588. Kinderzüge und Kindertanz

588. Kinderzüge und Kindertanz

Zu einer Zeit (1212) kam unter die Kinder in Thüringen und auch im übrigen Deutschland, wie in Frankreich, gar ein sonderer Trieb und eine wunderbare Phantasei, sich zusammenzuscharen und hinwegzuziehen, das Heilige Grab zu gewinnen.

Die Sage geht, daß ein fremder schöner Knabe durch die Gaue gewandelt und das Kreuzfahrerlied gesungen habe, da seien ihm alle Kinder scharenweise gefolgt mir unwiderstehlichem Triebe, da weder Worte, noch Schläge, noch Bande sie abhielten, und sollen aus Deutschland zwanzigtausend, aus Frankreich aber dreißigtausend Knaben so fortgewandert sein; kamen aber auf ihrem Wege über die Alpen in unwegsamen Gebirgen um und jene, die das Meer erreichten, durch schreckliche Seestürme, und hat ihrer keiner die Heimat wiedergesehen.

Wie dieser Zug im großen, ist auch einer im Jahre 12Z7 im kleinen geschehen, doch war derselbe wieder anderer Art und Ausganges, gab aber Zeugnis, wie ein unbekanntes Etwas die Menge allgewaltig ergreifen und fortreißen kann, ohne daß sie sich Rechenschaft zu geben weiß von ihrem oft ganz wahnvollem Tun.

Es kam am 15. des Brachmonats im genannten Jahre unter die Kinder in der Stadt Erfurt eine sonderbare Tanzlust, sie sammelten sich zu einer Schar von mehr als eintausend und machten einen Tanz, Hände in Hände, in großen Ketten, vom Löbertor zu Erfurt hinauf auf den Steigerwald bis zum Dorfe Waltersleben und von da nach Eischleben, von Eischleben nach Ichtershausen und über Rudisleben nach Arnstadt, eine Wegstrecke von vier guten Stunden immer tanzend, singend und springend guter Dinge und hingerissen, bis sie am Abend todmüde in Arnstadt ankamen. Die Bürger von Arnstadt verwunderten sich gar sehr, wo nur die vielen Kinder auf einmal herkämen, und nahmen sie auf, und die Bürger in Erfurt wußten nicht, wo ihre Kinder hin waren, und war eine überaus große Bestürzung in der Stadt, da fast in jedem Hause Kinder fehlten, die dauerte die ganze Nacht hindurch, bis endlich am frühen Morgen Botschaft von Arnstadt kam. Da haben die Erfurter viele Wagen genommen und sind hinüber nach Arnstadt gefahren und haben diesen Bürgern gar herzlich gedankt für die Gastfreundschaft, so sie ihren Kindern erwiesen, und haben die Kinder wieder mit sich nach Hause genommen. Die Kinder aber haben alle nicht sagen können, wer ihnen geheißen, diesen weiten Weg tanzend zurückzulegen, es wäre ihnen so angekommen, und sie wären wohl noch weiter gegangen, wenn sie nicht müde und hungrig geworden. Aber viele dieser Kinder starben bald darauf, und die Mehrzahl der übrigen blieb bis zum Tode mit einem anhaltenden Zittern behaftet. Ihr Tanz war ein Verhängnis.

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582. Die Gräfin von Orlamünde

582. Die Gräfin von Orlamünde

Es war ein Graf zu Orlamünde, Otto, der starb und hinterließ seine Gemahlin Agnes, die ihm zwei Kinder geboren, als eine noch sehr junge Witwe; sie war eine geborene Herzogin von Meran, und so war ihr als Erbe neben der Grafschaft Orlamünde in Thüringen auch die Plassenburg und deren Gebiet in Franken zugefallen, und sie wohnte bisweilen dort. Da geschah es, daß sie eine heftige Liebe gewann zu Albrecht dem Schönen, Markgrafen von Brandenburg und Burggrafen zu Nürnberg, und heimlich forschen ließ, ob dieser wohl geneigt sei, sich mit ihr zu verbinden. Es war aber schon zwischen dem Markgrafen und der Gräfin Sophia von Henneberg eine Verbindung im Gange, welche des Markgrafen Eltern lebhaft wünschten, und Albrecht ließ die Äußerung fallen, als ihm unter der Hand von der Neigung der Gräfin von Orlamünde Kenntnis zuging: Wenn vier Augen nicht wären. Dieses hörte die Gräfin und deutete es auf ihre zwei schuldlosen Kindlein, das eine, ein Söhnlein, von drei, das zweite, ein Töchterlein, von zwei Jahren, und ward von unsinniger Liebe zu dem Markgrafen also verblendet, daß sie den schwarzen Entschluß in ihrer Seele faßte, die Kindlein aus dem Wege zu räumen. Darauf gewann sie mit Gaben einen Dienstmann, Haider, die Kindlein umzubringen, und als dieser zur Tat schritt, soll der kleine Graf gefleht haben:

Lieber Haider, laß mich leben.
Ich will dir Orlamünde geben;
Auch Plassenburg, das neue,
Auf daß es dich nicht reue! –

und das Töchterlein:

Lieber Haider, laß mich leben,
Ich will dir alle meine Docken geben! –

aber der Mörder ließ sich nicht erflehen und vollbrachte die Untat, hat aber nachher auf der Folter bekannt, daß sie ihm schrecklich gereuet habe, wenn er der Worte der unschuldigen Kinder, insonderheit des Mägdleins, gedacht. Da nun die Gräfin ihren Zweck dennoch nicht erreichte, fiel sie in Reue und Verzweiflung, übte schwere Buße und fand auch nach ihrem Tode keine Ruhe, sondern wandelt als die bekannte weiße Frau auf dem Schlosse Plassenburg umher. Sie rutschte auf ihren Knieen bis zum Kloster Himmelskron und liegt alldort begraben.

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575. Prechtenbier

575. Prechtenbier

Ohnweit der Stadt Pößneck liegt Bodelwitz, und nicht weit von Bodelwitz liegt Döbritz, und nahezu bei Döbritz liegt ein dreieckiger Acker, den ackert zuzeiten die wilde Prechta. Ein Mädchen von Döbritz ward nach Bodelwitz geschickt, dort Bier zu holen, wie jene Knaben bei Schwarza, denen die Hullenpöpel das Bier aussoffen, hier aber zeigte die Prechta das gleiche Gelüsten. Als das Mädchen mit gefüllter Gießkanne zurückkam, traf es, schon wieder dem Dorfe nahe, an dem dreieckigen Acker auf Prechta mit ihrem Ackerpfluge. Die fragte das Mädchen, wo es gewesen sei, und was es in der Kanne geholt habe. Drauf nahm sie die Gießkanne dem Mädchen aus den Händen und trank das Bier aus bis auf den Grund. Als sie das getan, so pißte Perchta in den Gießer, gab ihn zurück und sprach: Komm bald wieder! Einige Holzspäne wollte sie dem Mädchen noch zum Geschenke machen und stopfte, als das Geschenk verachtet wurde, sie der Davonlaufenden noch in die Schuhe. Sie wiesen sich in Döbritz, bei Lichte besehen, als sechs Goldstücke aus. Das mitgebrachte Bier schmeckte besser wie das Köstritzer und wollte gar kein Ende nehmen, bis dem Mädchen angst und bange darüber wurde. Als es ausgebeichtet hatte, wie es mit dem Gießer zugegangen, war die Kanne mit einem Male leer. Dieses Mädchen ist hernachmals immer glücklich gewesen, war auch treu und fleißig und keins von denen, wie sie vordessen zu Bodelwitz waren, auf welche der Spottreim im Lande umging:

Wißt ihr nich, wu Budels liegt?
Budels liegt im Grunne.
Sin a seine Mädlich drin,
Sin faul wie die Hunne.
Früh murgens, wann der Härte tutt,
Schrein se: Ach du lieber Gutt!
Mer han nuch nich gemulken. –

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576. Urbanuspredigt

576. Urbanuspredigt

An der Kirche zu Oelsen wird an der Nordseite ein Steingebild erblickt, das stellt einen Schäfer vor, der auf einem Schafe reitet, und wird davon diese Sage erzählt. Auf dem Clidenfelsen oberhalb Oelsen stand in frühen Zeiten ein Braukessel, den die Bewohner des Dorfes fleißig zur Bierbrauerei benutzten. Der Kessel mußte jedesmal auf Borg erbeten und abgeholt werden. Wurde er wieder zurückgebracht, so durfte ein Maß Bier und eine Zeile Semmeln darin nicht fehlen. Ein Schafknecht, von Hunger und Durst getrieben, machte sich einstmals über diese aufgefundene Mahlzeit und zehrte selbige auf. Zur Strafe versanken Schafknecht, Herde und Braukessel in die Erde, und zur Sühne dafür, daß er die Semmeln gegessen und das Bier ausgelöffelt, hat der versinkende Schafknecht ein Vermächtnis gestiftet, so daß alle Jahre an dem Tage, an welchem er den Frevel begangen hatte, war Sankt Urbanus Tag, Gottesdienst gehalten, für seine arme Seele gebetet und dabei allen Menschen, die dazu sich einfinden würden, ein Brötchen aus seiner Verlassenschaft gebacken und verabreicht werden solle. Solches geschieht auch noch. Diese Brötchen besitzen die Kraft, daß sie niemals schimmelig werden; auch wird heilig und teuer versichert, solange man sie aufbewahre, mangele es nicht an Brot im Hause.

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577. Der Riese mit dem goldnen Pantoffel

577. Der Riese mit dem goldnen Pantoffel

Bei Pößneck liegt eine malerische Felspartie, deren steiler Abhang gegen Osten nach Oppurg zu gerichtet ist. In jeder Nacht, wann in Pößneck die Kirchenuhr zwölf schlägt, geht aus diesem Felsenhaus ein Riese und nach dem Galgenberg hinüber, der trägt am linken Fuß einen goldenen Pantoffel. Wenn jemand mit dem Riesen zugleich am Felsen die Schritte ansetzt und ihn einholt, so verliert der Riese den Pantoffel, und jener wird dessen Besitzer und reich für immer.

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578. Die Schätze in den Camsenbergen

578. Die Schätze in den Camsenbergen

Zwischen Pößneck und Oppurg liegen zwei Berge, die Camsen- oder Chamsenberge genannt. Einer zeigt nach Süden zu eine Felsenspalte, diese soll der Eingang zur großen Schatzhöhle der Camsenberge sein. Die Sage geht, daß erst ein schmaler Gang lange durch das Innere führe, der sich dann zu einer mächtigen Halle erweitere. Ganz in der Tiefe endlich da steht eine Braupfanne voll roten Goldes, aber abgeschlossen durch eine eiserne Doppeltüre und gehütet von einem feuerschnaubenden Drachen. Wer so glücklich wäre, hineindringen zu können und im finstern Höhlengraus den Kampf mit dem Drachen zu bestehen, der würde Besitzer des Goldhortes werden. Die Camsenberge sind bezüglich ihres Sagenreichtums, was die Hörseelenberge, die Hermannsberge, der Wartberg, der Singerberg, der Schneekopf und andere thüringische Höhen. Ein Schloß des Namens Osteralitz ist dort versunken; ein weißes wandelndes Fräulein hütet die Schätze. Wandernde Musikanten sahen ein leuchtendes Licht, laufen davon, nur der Baßträger, der ärmste, kann nicht so schnell nach. Das Licht kommt näher, wird zur Feuerkugel, zerplatzt knallend, feurige Kohlen stäuben umher, einige fallen auch durch das Schalloch in den Rumpelbaß und werden drinnen zu Goldstücken. – Graue Männlein laden und führen Bauern, Schäfer, Hirten, Knaben in das Bergesinnere, viele kehren begabt zurück. Eine Magd ward hineingelockt, die ein Kind trug; Brot und Gold sollte sie nehmen, doch zugleich. Sie setzt das Kind auf die Tafel, rafft zusammen, was nur in die Schürze geht, rennt fort nach Oberoppurg zur Herrschaft. Wo hast du das Kind? – Herr Gott, vergessen im Camsenberge! – Rennt wieder hin, findet den Eingang noch offen, findet das Kind, nimmt es vom Tische, trägt’s heraus – wie sie herauskommt, ist es Asche. Vieh ward von den Herden entführt und in die Stallung des versunkenen Schlosses gebracht, doch der Verlust den Hirten reich vergolten. Die Wunderblumen fehlen so wenig wie die Wunder am und im Camsenberge. Es gibt Orte, an denen die Sagen selbst dem quillenden Silber im Harzwald bei Thale zu vergleichen sind – die Camsenberge sind ein solcher Ort.

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57. Der Heerwisch

57. Der Heerwisch

Der Heerwisch

Die Leute in der Gegend der Bergstraße und insonderheit um die Orte Lorsch und Hähnlein nannten und nennen die Irrwische Heerwische und haben einen Spottreim, daß sie sie anrufen, wenn sie, wie gewöhnlich nur geschieht, in der Adventszeit sich sehen lassen:

Heerwisch, ho ho!
Brennst wie Haberstroh!
Schlag mich blitzeblo!

Das ist aber schon mehr als einem übel bekommen. Da war vor länger als dreißig Jahren einmal ein junges Mädchen, das ging zur Abendzeit an einem Sumpf bei Hähnlein vorüber, da sah sie einen Irrwisch hüpfen und rief ihm keck und laut den Spottreim hinüber. Sogleich kam der Irrwisch über den Sumpf herübergeflattert, auf das Mädchen zu, dem ward angst – es eilte, was es eilen konnte, seinem Elternhause zu, der Heerwisch aber flugs hinterdrein, und hatte feurige Flügel, und schlug damit wie ein recht wilder großer Sumpfvogel auf das Mädchen los, und als sie, zum Tod geängstigt, das Haus erreichte und hineinschlüpfte, war der Heerwisch auch mit drin, machte die ganze Hausflur hell, trat ihr in die Stube nach und schlug mit seiner Flackerlohe alle Leute, die ihm in den Weg und Wurf kamen, dann fuhr er zum Schornstein hinauf und aus dem Schlot wie ein Feuerdrache und walzte über alle Dächer, daß sich männiglich entsetzte. Am andern Tage waren alle, und das Mädchen zumeist, »blitzeblo« von des Heerwisches Schlägen. Die Heer- und Irrwische und Feuermänner werden für Verstorbene gehalten, welche wegen ihrer Übeltaten im Leben die ewige Ruhe nicht finden, insonderheit sind es falsche Feldmesser, Grenzsteinverrücker und Bauern, die dem Nachbar die Furchen abpflügen, die in ganz Deutschland für solche gehalten werden, die als Feuermänner büßen müssen. Im deutschen Norden gelten die Irrwische für die Seelen ungetauft verstorbener Kinder. In Thüringen haben die Leute ein Sprüchwort, wenn einer recht hastig rennt: Du läufst ja wie ein feuriger Mann.

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579. Silberschaumquell

579. Silberschaumquell

Nahe bei Orlamünde liegt der Ort Heilingen, in dessen Nähe ist eine Wüstung. Dort hütete einstmals ein Junge Schafe. Auf einmal tat sich vor ihm ein Loch in der Erde auf, aus dem ein weißer Schaum, wie Reif anzusehen, emporstieg und sich um den ganzen Rand der Öffnung legte. Lange staunte der Junge das Loch und das weiße Zeug darin an, endlich trieb er die Schafe hinweg, kam nach Hause und erzählte, was er Sonderbares gesehen habe. Da brach der Schafmeister in Scheltworte aus: Dummer Junge! nicht jedem ist solch Glück beschieden, wie dir beschert war. Hättest du doch zugegriffen und das Weiße abgenommen. Dir wäre geholfen gewesen auf immer, denn das war reines Silber. – Tag für Tag hat der Schafjunge hernach auf dieselbe Stelle hingetrieben, aber vergebens, er hat das Silberloch sein Lebtage nicht wieder gefunden. Es geht andern Schafjungen nicht besser, selbst wenn sie Brillen aufsetzten.

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580. Die Unkluge

580. Die Unkluge

Über Heilingen stand ein altes Ritterschloß. Der letzte Ritter, der es bewohnte, hatte eine einzige Tochter, diese ward geliebt von einem Jüngling, den sie wieder liebte, der Vater aber haßte ihn und schoß ihn nieder; da stürzte sich das Ritterfräulein vom Turm, der Alte starb vor Reue, und das Schloß ward eine Trümmer. Das Fräulein wandelt nun als ruheloser Geist umher, doch ist sie ein gütiger Geist und hat schon manche begabt. Sie hat auch den Schlüssel zu dem verborgenen Weinkeller, der noch große Fässer voll des besten Weins enthält. Schade, daß solche Keller und solche Fräulein so rar sind!

Ein Bauer zu Heilingen hatte eine Tochter, die war unklug, was man so insgemein simpel nennt, doch nicht ganz stumpfsinnig, sondern nur blöd. Bei dem war einmal eine Trink- und Kartgesellschaft von guten Nachbarn und desgleichen, und da meinten die Bäuerlein, und sprachen diese ihre Meinung auch aus: Wer doch nur den Keller in dem alten Schlosse auffinden könnte, darin des Weines und Goldes die Menge liegt! – Da rief die blödsinnige Tochter: Ich weiß den Keller, ich weiß ihn! – Ja, du sähest mir danach aus! sprach der Vater. – Ich weiß ihn doch, wiederholte die Unkluge, und will euch gleich Wein daraus holen. – Damit nahm sie einen Topf, ging und brachte in kurzer Zeit den Topf zurück bis zum Rande angefüllt mit Wein. – Den Keller muß ich auch sehen, sprach der Vater, komm du und geh mit mir hin! – Sie machten sich beide auf den Weg, doch jede Spur war jetzt für die Einfältige verschwunden. – Wäre ich nur allein gewesen, sprach sie bei der Rückkehr in die Bauernstube, ich hätte meinen Keller schon finden wollen. Da regte sich die Lust nach wiederholtem Trunke des guten Weines. Die Bauern legten zusammen und boten Geld, wenn sie noch einmal Wein zur Stelle schaffen wolle. Sie ging, brachte Wein, klagte aber dabei: Nun ist es mit dem Weinschank aus. Das weiße Fräulein läßt mich nicht wieder hinein, weil ich von euch das dumme Geld genommen habe. Das Fräulein läßt euch sagen, für eure Strumpfgurgeln wäre der Wein viel zu gut, euch gehörte Kovent, ihr wäret alle zusammen keine Kanne Wein wert. – Die Bauern lächelten, wie jene bei der Schmeichelei des Amtmanns in Gellerts Fabel, und sprachen untereinander: Laßt sie reden, sie ist halt unklug. –

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581. Der Stadtpfeifer aus Orlamünde

581. Der Stadtpfeifer aus Orlamünde

Zu Orlamünde war ein Stadtpfeifer, sie nannten ihn den Hausmann, ein munterer Geselle, doch ein ehrlich Blut, nicht mehr ganz jung an Jahren, aber frischen Gemütes und kein Verächter des edeln Rebensaftes, der Gottesgabe. Nun war einstmals besagter Hausmann mit seinen Leuten zu Hetlingen, andere sagen, in einem Dorfe unterm Schauenforst, gewesen und hatten bei einer Hochzeit aufgespielt, waren auch schön bewirtet worden, zogen daher, als der Tag graute, fröhlich und wohlgemut am alten Schloß vorbei, oder an dem Schauenforst, und da sprach der Hausmann: Wir wollen doch heute den Tag mit einem Morgenlied anblasen, und zugleich dem weißen Fräulein da droben! Sie stellten sich also auf und bliesen mit frommem Sinne frisch drauflos. Noch waren sie mit ihrem Choral nicht fertig, da trat das weiße Fräulein heraus, auf die Musikanten zu und bot freundlich auf einem Teller, nach der Zahl der Leute, so viele Becher Weines. Sie tranken, und aus Dankbarkeit bliesen sie noch ein Stück. Das Fräulein kam zum zweitenmal, reichte aber auf dem Teller eine Anzahl Knochen dar. Mochten sie da auch große Augen machen, so hatte doch keiner das Herz, die wunderliche Gabe auszuschlagen. Sobald sie aber den Turm aus den Augen hatten, warfen die Gesellen ihr Teil in den nächsten Kornacker. Ehrbar aber hatte der Hausmann seinen Knochen in die Tasche gesteckt, und so wurde er bei der Heimkehr mit dem Rocke in den Kleiderschrank gehängt. Am nächsten Sonntag verlangte der Mann seinen Staatsrock. Die Frau holte ihn. Aber, fragte sie, was hast du denn eingesteckt? Das ist ja schwerer als ein Klumpen Eisen! – Ich wüßte nicht, war seine Antwort, wer mir etwas gegeben hätte, zeig doch her! – Sie langte eine lange Rolle Gold aus der Tasche, in die der fromme Stadtpfeifer den Knochen gesteckt hatte.

Das war den Gesellen, die ihre Knochen weggeworfen hatten, außer dem Spaß, als sie das hörten; sie liefen spornstreichs nach dem Kornacker zurück, und o Freude, sie fanden die Knochen und trugen sie jubelnd nach Hause. Als sie sie dort aus der Tasche zogen, hatte jeder ein Stück beinerne Flöte – ihr gehofftes Glück war flöten gegangen, und konnten sich nun selbst was pfeifen.

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