605. Das Schwedenglöckchen

605. Das Schwedenglöckchen

Zu Weimar auf dem Stadtkirchturm hängt ein altes, später aber umgegossenes Glöckchen, das hat zu zweien Malen in der Nacht um zwei Uhr plötzlich von selbst Sturm zu läuten begonnen, und das geschah das erstemal im spanischen Kriege, da der Alba in Thüringen hauste, und da hatten die Spaniolen einen Anschlag gemacht, die Stadt Weimar zu überfallen; da sie aber die Wächterglocke hörten, so die Bürgerschaft ins Gewehr brachte, brachen sie wieder auf und zogen von bannen. Zum zweiten Male geschah es im Dreißigjährigen Kriege, als die Schweden unversehens der Stadt zur Nachtzeit sich näherten und auf dem Acker hinter der alten Burg, den man noch die Schwedenschanze nennt, andere sagen, am Ettersbergs, Lager schlugen. Da trat zu dem jungen Herzogssohn Johann Ernst ein kleines weißgekleidetes Knäblein, rief den Prinzen wach und sagte ihm, es sei große Gefahr vorhanden, er solle es seinem Vater ansagen. Zugleich schlug hell vom Turme das Glöcklein an; da wurden die Bürger wach und rüsteten sich zu guter Hut und Abwehr, denn die Schweden waren auch in Freundes Landen ein wüstes verderbliches Kriegsvolk und hätten Weimar nicht geschont, obgleich die heldenmütigen Brüder Wilhelm und Bernhard, Herzoge zu Sachsen-Weimar, mit dem Schwedenkönige Gustav Adolf im Bündnis, ja dessen berühmte Feldherren waren. Zum Angedenken jenes Läutens, das von einem Engel geschehen sein soll, wurde hernach, wohl zwei Jahrhunderte lang, in jeder Nacht um zwei Uhr das Schwedenglöckchen eine Weile geläutet, nunmehr aber ist solches Läuten abgestellt worden, wie so mancher andere alte Brauch, vornehmlich aber an vielen Orten die dankbare Erinnerung.

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595. Sibyllentürmchen

595. Sibyllentürmchen

Unter der Feste Cyriaksburg nahe bei Erfurt, links an der alten Fahrstraße nach Gotha, steht ein großer steinerner Bildstock mit altgotischer Zier und erhabener Steinhauerarbeit, der wird das Sibyllentürmchen genannt. Mehr als eine Sage wird davon erzählt, doch ist die nachstehende die am meisten bekannte. Es war ein junger Graf von Gleichen, der liebte eine junge Gräfin von Käfernburg, und der Tag ihrer Verbindung war schon anberaumt und nahe. Sehnsuchtsvoll erwartete ihn sein Lieb, allein er kam nicht. In Begleitung von zwei Knappen war er von seiner Burg herein nach Erfurt geritten, allda Schmuck für seine Braut zu kaufen; ein ihm feindlich gesinnter Schnapphahn aus der Gegend hatte davon Kundschaft erhalten, lauerte dem Grafen mit einigen Mordgesellen unten am Fuße der Cyriaksburg, an deren Stelle damals ein Nonnenkloster stand, und erschlug nach kurzem Kampfe den jungen Grafen samt den beiden Knappen. Da ward groß Trauern und Herzeleid bei der Braut auf der Käfernburg; sie verließ ihre Burg und ihr Erbe, ließ dem Geliebten, der an jener Stelle mit seinen Begleitern begraben ward, ein Kreuz setzen und auch auf jedes Knappengrab ein Kreuz und daneben den großen und hohen Bildstock errichten, nahm den Nonnenschleier im Kloster St. Cyriaki auf dem Berge und ging alltäglich herab zu dem Bildstock, der ihren Namen bis auf die gegenwärtige Zeit brachte, um am Grabe ihres Liebsten zu beten, bis der Tod sie von ihrem stillen Gram erlöste.

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596. Der zärtliche Wolf

596. Der zärtliche Wolf

Im Jahre 1555 im Sommer lief etliche Wochen lang im Weichbild der Stadt Erfurt ein Wolf herum, der lief den Leuten auf dem Felde nach, umarmte, herzte und drückte sie, absonderlich die Weibspersonen, tat ihnen aber sonst kein Leides und biß niemand. Wenn er aber so eine oder die andere umschlungen hielt und den Rachen aufriß, der von einer ungewöhnlichen Größe war, ist sie doch so erschrocken, daß sie fast den Tod davon hatte. Glaubwürdige Leute sollen das gesehen und ausgesagt haben.

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597. Der Wolfram

597. Der Wolfram

Im hohen Chor des Domes zu Erfurt steht, gegen den Hochaltar gekehrt, ein ehern Bildnis, eine Mannesgestalt von der Größe eines Knaben, das wird der Wolfram genannt; es hält in jeder Hand einen Kirchenleuchter und soll, wie die Mesner sagen, aus Heidenzeiten herrühren; doch dem ist nicht also. Ein junger Patrizier des Namens Wolfram beging ein großes fleischliches Vergehen; solches zu sühnen, verurteilte ihn der Papst zu harter und langer Kirchenbuße, daß er ein ganzes Jahr lang täglich, in der Hand einen Leuchter mit zwei brennenden Kerzen, vor dem Altar stehen sollte, und zwar so lange, als der Dienst der Messe daure. Dies tat nun auch Wolfram, aber er fiel darob ganz von Kräften und vermochte sich kaum aufrecht zu erhalten. Da ward heftig für ihn gebeten, bis ihm die Strafe erlassen wurde, doch stiftete er noch zur Sühne und zum Gedächtnis seiner Reue und Buße das metallene Bild und trat darauf in einen strengen Orden, darin er bald hernach Todes verblichen ist.

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598. Der Graf von Gleichen

598. Der Graf von Gleichen

Das Geschlecht der Grafen von Gleichen hat seinen Ursprung hoch hinauf in der Zeiten Frühe verlegt, doch stimmen die Stammsagen desselben darin überein, daß zuerst zwei Brüder, Edle zu Rom, ihre Heimat Italien verlassen und in der Nähe von Göttingen jene zwei Burgen erbaut und bewohnt, die man noch heute die Gleichenschen Burgen nennt. Darauf sollen aber sie selbst oder ihre nächsten Nachkommen von dort hinweggezogen oder vertrieben worden sein und in Thüringen die drei Burgen erbaut haben, welche man die drei Gleichen nennt. Diese Burgen liegen in einem Dreieck zwischen den drei Städten Erfurt, Gotha und Arnstadt, zwei sind Trümmern, die eine das ist die eigentliche Burg Gleichen, genannt das Wandersleber Schloß, die andere war Schloß Mühlberg. Die dritte, die höchste und festeste, ist die Wachsenburg benannt und noch immer bewohnt. Die Grafen von Gleichen hatten viel Landes inne in Thüringen, Westfalen und auf dem Eichsfelde. Wittekind, der schwarze Ritter, soll nicht ein Verwandter des großen Wittekind gewesen sein, sondern der Enkel Ernsts, des Stammvaters der Grafen von Gleichen, und soll zwei Söhne gehabt haben, Ludwig und Karl, und dieser Ludwig soll Schloß Gleichen in Thüringen zuerst erbaut haben. Einer des edlen Geschlechts hieß Siegmund, der bekriegte im Bündnis mit den Grafen von Käfernburg und denen von Arnstadt die Stadt Erfurt und tat ihr merklichen Schaden, so daß sie ihn den Thüringer Teufel nannten.

Da Kaiser Friedrich II. einen Kreuzzug begann, an welchem Landgraf Ludwig von Thüringen teilnahm mit den meisten seiner Vasallen, zog auch Graf Ernst III. von Gleichen mit hinweg und stritt tapfer gegen die Heiden. Der Landgraf war gestorben, der Kaiser schloß zu Akkon Waffenstillstand mit dem Sultan und kehrte zurück, ließ aber den Grafen von Gleichen und andere zum Schutze Akkons zurück. Auf einem Ritt in die Wüste wurde der Graf gefangengenommen und in schwerer Dienstbarkeit als ein Sklave gehalten. Endlich, da er als ein Gärtner arbeitete, nahm die schöne Tochter des Sultans seiner wahr und gewann ihn lieb, auch entdeckte seiner Mitgefangenen Diener einer ihr seinen Stand. Da bot sie ihm Befreiung, sich selbst und alle ihre Schätze an, wenn er sie zum ehelichen Weibe nehmen und mit ihr entfliehen wolle. Nun hatte aber Graf Ernst von Gleichen daheim bereits eine Gemahlin und zwei Kinder, doch dünkte dieses der sarazenischen Jungfrau kein Hindernis. Da nun der Graf erwog, daß ohne Benutzung des Erbietens der Sultanstochter er die Freiheit nie erlangen und für seine Gemahlin und seine Kinder tot und verloren bleiben werde, so hoffte er, der Papst werde ihm die zweite Ehe einzugehen bewilligen, zumal da die schöne Heidin gern bereit war, dem Grafen zuliebe eine Christin zu werden. Die Flucht gelang, die Sarazenin nahm große Schätze mit sich fort, und glücklich kamen die Liebenden und ihr Gefolge in Italien an, zogen gen Rom, und nachdem die Sultanstochter getauft war, wurde sie dem Grafen als rechte Gemahlin angetraut. Hierauf setzten sie ihre Reise nach Thüringen fort, und der Graf eilte voraus zu seiner Gemahlin, die den Totgeglaubten freudiglich empfing, und entdeckte ihr alles. Sie segnete dankbar die Fremde, die ihr den Gemahl, ihren Kindern den Vater zurückbrachte, und verhieß, sie als eine Schwester zu lieben. Darauf zogen sie der Nahenden entgegen, empfingen sie unten am Fuße der Burg gar herrlich und nannten diese Stätte das Freudental, welchen Namen sie behalten hat bis auf den heutigen Tag. Einträchtiglich und liebevoll lebten die drei Verbundenen beisammen, doch gewann die Sarazenin keine Kinder. Viele Wahrzeichen dieser Begebenheit im eigentlichsten Wortsinn gab es und gibt es noch; auf Burg Gleichen über Wandersleben wurde bis in das zweite Jahrzehent dieses Jahrhunderts die dreischläferige Ehebettstelle gezeigt, wichtiger als diese ist der im Dome zu Erfurt noch vorhandene Grabstein, auf welchem der Graf zwischen seinen beiden Gemahlinnen dargestellt ist, und ist die Tracht völlig übereinstimmend mit jener der Zeit des Kreuzzugs Kaiser Friedrich II.; ebenso ist diese Tracht beider Frauen deutsch. Man zeigt noch dort die Gebeine, insonderheit die Schädel der drei Vereinten. Von Burg Gleichen herab in das Freudental führte ein gepflasterter Weg, der Türkin Weg, weil alles, was aus dem Morgenlande kam, der damaligen Zeit türkisch hieß. Im Gleichenschen Schlosse zu Tonna ward der Türkenbund der Sarazenin – der auf dem Grabstein nicht zu erkennen, da tragen beide Frauen rote goldverzierte Kronenreife – und ein goldnes Kreuz gezeigt, auf dem zu Farnrode ein Teppich, dessen Bildwerk die Erzählung vorstellte, zu Ohrdruf in einer Kirche ein Schnitzwerk, im Schlosse daselbst wie zu Schloß Pyrmont, auf Burg Ehrenstein und auf dem Vorwerk Werningsrode bei Emleben überall ein dreischläferiges Bette.

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5. Dagoberts Zeichen

5. Dagoberts Zeichen

Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte große Kriege gegen die Sachsen und war dabei fromm und kostfrei. Selbst gegen Tiere übte er Milde, und es ging von ihm das Sprüchwort im Volke um: Wann König Dagobert gegessen hat, so läßt er auch seine Hunde essen, und eine andere Rede ward ihm nachgesagt, daß er auf seinem Sterbelager zu seinen Hunden gesprochen habe: Ihr guten Hunde, es ist doch keine Gesellschaft im Leben also gut, daß man sie nicht verlassen und von ihr abscheiden müsse. – Auf seinen Zügen drang König Dagobert auch bis in das Schweizer Alpenland und bis dahin, wo man die Landschaft vorzugsweise das Rheintal nennt, und ließ dort in die Talfelsen einen großen halben Mond einhauen, als Grenzzeichen seines Reiches.

Da es mit dem guten Könige Dagobert zum Sterben gekommen war, erfaßten die Teufel seine Seele und brachten sie auf ein Schiff, mit ihr von dannen zu fahren. Solches ließ Gott der Herr geschehen, weil der König noch nicht gereinigt und gelöset war von aller Schuld. König Dagobert hatte aber einen Freund am heiligen Dionysius, dessen Gebeine er dereinst aufgefunden mit Hülfe seiner so sehr geliebten Hunde, und welchen Heiligen der König stets in stärksten Ehren hielt, dafür dieser ihn auch stetiglich schirmte und schützte. Da nun, als Dagobert verstorben war, erbat der Heilige die Erlaubnis von Gott dem Herrn, des Königs Seele zu retten, und als er die erhalten, fuhr er im Geleite anderer Gottesheiligen und vieler Engel zur See und dem Schiffe nach, darauf die Teufel mit Dagoberts Seele waren. Darauf entspann sich ein harter Kampf zwischen Engeln, Heiligen und Teufeln um des Königs Seele, in welchem die ersteren Sieger blieben, und trugen alsbald die Engel die Seele Dagoberts in den Schoß der ewigen Gnade, die Heiligen aber kehrten in das Himmlische Paradies zurück.

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59. Das versunkene Kloster

59. Das versunkene Kloster

Ohnweit des Fleckens Neuenkirchen im Odenwalde liegt ein stilles einsames Wiesental mit einem kleinen Weiher ohne Zufluß und ohne Abfluß. Dort hat vorzeiten ein Nonnenkloster gestanden, und darinnen war eine junge Novize, die hatte das Gelübde noch nicht abgelegt. Sie war zum Kloster gezwungen worden und liebte einen Ritter von einer der nahen Burgen, der oft zur Nachtzeit, wenn alles ruhte, heimlich in den Klostergarten kam und die Geliebte sah und sprach. Eines Abends kam ein müder greiser Pilger an die Klosterpforte und begehrte Einlaß und Obdach über Nacht, allein die Priorin und der ganze Konvent wiesen ihn ab. Nur die Novize bat, des alten Mannes Bitte doch zu gewähren, allein da sie noch nicht Nonne war, stand ihr nicht einmal zu, einen Rat zu geben, und die Pforte des Klösterleins blieb dem Pilger verschlossen. Da murmelte derselbe einen Fluch, schwang seinen Stab, schlug dreimal damit an die Pfortenmauer, und da versank das Kloster mit Kirche und Konventhaus lautlos in die Tiefe, und wo es gestanden, breitete eine stille Wasserfläche geheimnisvoll sich aus. Der Pilger aber schwand hinweg, an seine Stelle trat der liebende junge Ritter – und traute gar nicht seinen Sinnen, als er nichts mehr vom Kloster sah. Laut rief er den Namen der Geliebten durch die öde Stille, die ihn umschauerte, da scholl es aus der Tiefe herauf: Morgen zu dieser Stunde kehre wieder zu dieser Stätte! Einen roten Faden, der auf dem Wasser schwimmen wird, erfasse dann!

Der Ritter tat in der folgenden Nacht, wie ihm geboten war, er faßte den Faden und zog an ihm, und da stand sein liebes Lieb vor ihm und küßte ihn und sprach zu ihm: Unschuldig muß ich mit den andern büßen, doch ist mir vergönnt, dich zu dieser Nachtstunde zu sehen, nur darf ich nicht über ihren letzten Schlag verweilen. Der rote Faden, an dem du mich emporziehst, ist mein Lebensfaden, darum halte mich nicht über die Zeit. – Lange sahen sich so die Liebenden fast in jeder Nacht, bis sie einmal allzu lange Herz am Herzen ruhten – da hatte der Ritter sein Lieb zum letzten Male in seinen Armen gehabt. Als er in folgender Nacht wiederkam und den Faden faßte, da war er nicht mehr rot – er war durchschnitten – wohl aber war rot der ganze See, vom Blute der Geliebten gefärbt. Andere sagen, der Nonnen Mißgunst habe ihn durchschnitten. Der Liebende blickte traurig in den See und versenkte sich selbst hinab in die Tiefe. In Mondnächten rauschen die versunkenen Nonnen bisweilen herauf und tanzen als Nixen mit Skapulier und Stola lustigen Ringelreigen am grünen Ufer, und Irrlichter mischen sich in ihren Reigen.

Der Sagen von Jungfrauen, die aus Weihern emporsteigen und im Arm der Liebe oder der Freude des Tanzes die bestimmte Stunde vergessen, worauf von ihrem Blute die Seen und Weiher gerötet erblickt werden, gibt es in Deutschland wohl an die tausend.

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599. Der Mordgarten

599. Der Mordgarten

Unter der Burg Gleichen beim Freudentale liegt ein vormals von alten Bäumen umschatteter Platz, der wird der Mordgarten genannt; er war ein Ort der Zweikämpfe. Es ist nun weit über hundert Jahre her, daß zwei junge Männer zugleich eine schöne Arnstädterin liebten, die nur einen von ihnen begünstigte. Der verschmähte Nebenbuhler suchte Händel mit dem Beglückten, die sich beim Spiele leicht fanden; man forderte sich und schlug sich im Mordgarten auf Pistolen. Die Geliebte sandte ahnungsvoll am Morgen des Kampftages ihrem Liebsten das übliche Brauthemde – es wurde sein Totenhemd, er wurde darin begraben, denn er fiel auf den ersten Schuß. Darauf hat die Jungfrau ihrem Freund im Freudentale, das ihr ein Jammertal ward, gleich jener Käfernburgerin Sibylle ein Kreuz an der Stätte errichten lassen, an welcher er um sie den Tod empfangen. Dies alte Kreuz mag wohl noch stehen; im Jahre 1820 stand es noch und wurde darauf gelesen der Name und die folgende Schrift:

Herr Christian
Friedrich Carl v. Bote
ward hier getödtet den 9. Marty
Anno 1717.

Christi Blut hat mich befreit von der Höllen
Rachen
Mein Blut
Umb Rache
schreyt
Gott befehl ich mein
Sachen.

Die Bäume des vormaligen sogenannten Baum- und Mordgartens sind verschwunden. Das Steinkreuz steht einsam am Saume eines unbebauten Hügels unterhalb der Burgruine, südlich von dem Freudentale.

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594. Kurzer Prozeß

594. Kurzer Prozeß

Absonderlich kurzen Prozeß machte der Erfurter Stadtrat mit Mordbrennern, sie mochten solche scheußliche Tat getan oder auch nur ausführen gewollt haben. Nach Donndorf, einem erfurtischen Dorfe, kam ein Mann, der bot von Haus zu Haus Gänse feil, die Bauern argwohnten aber in besagtem Gänsemann einen Auskundschafter, verstrickten ihn und führten ihn nach Erfurt, dort ward er scharf befragt und bekannte, er habe des Dorfes Gelegenheit allerdings auskundschaften und verraten wollen, sei auch dabei gewesen, wie das Dorf Berlstett angesteckt worden. Darauf ward er wieder nach Donndorf geführt, ihm alldort der Kopf abgeschlagen und der Leib gevierteilt.

In Erfurt selbst ward einer gesehen, der trug einen Strohwisch und ging damit zum Tore hinaus. Das erregte Verdacht, es ward ihm nachgesendet, und er wurde gefangen eingebracht. Befragt, und ohne Zweifel mit der scharfen Frage, bekannte der Mann, er habe erfurtische Dörfer anstecken wollen, worauf man ihm, erzählt die Chronik, den Kopf abschlug und ihn hingehen ließ, wohin er wollte.

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58. Die Wiesenjungfrau und das Niesen

58. Die Wiesenjungfrau und das Niesen

Auf einer grünen Wiese bei Auerbach, eine Meile von Lorsch, hütete ein Hirtenbub seines Vaters Kühe, stand müßig und dachte an gar nichts. Da fühlte er auf einmal einen sanften Backenstreich auf seiner Wange von einer weichen Hand, und wie er erschrocken sich umdrehte, so stand eine wunderschöne Jungfrau vor ihm da, schloßschleierweiß, und tat den Mund auf, ihn anzureden. Aber der Bub tat vor Schreck einen Brüll, als wenn er am Spieße stäke, und rannte davon, nach Auerbach zu und hinein. Nach einiger Zeit hütete der Bube abermals auf jener Wiese und stand träumend in der heißen Mittagsstunde am Waldesrain. Da raschelte es am sonnigen Rain, als schlüpfe ein Eidechs ins Dorngebüsch, der Knabe blickte hin, da sah er eine kleine Schlange, die trug in ihrem Mund eine blaue Blume und sprach: Guter, erlöse mich! erlöse mich! Mit dieser Blume öffnest du droben im alten Schloß Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer voll Gold, und alles ist dein! Nimm die Blume, nimm die Blume! – Aber dem Buben wurde es ganz unheimlich und graulich, er hatte all sein Lebetage noch keine Schlange sprechen hören – und lief von bannen, als wenn der wilde Jäger hinter ihm drein wäre. Als der Spätherbst kam, hütete derselbe Bube zufällig wieder an derselben Stelle, und da empfing er wieder einen sanften Backenstreich und sah im Umdrehen wieder die weiße Jungfrau, welche ihn flehend ansprach: Erlöse mich! erlöse mich! Ich will dich reich und glücklich machen. Du allein kannst es, nur du allein. Ich bin verwünscht, zu harren und zu wandeln, und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis aus einem Kirschkern, den ein Vöglein auf diese Wiese fallen läßt, ein Kirschbaum groß und stark gewachsen ist, der Baum abgehauen und aus ihm eine Wiege gemacht wird. Nur das erste Kind, das in solcher Wiege geschaukelt wird, kann dadurch mich erlösen, daß es mit der blauen Blume, die ich hier halte, hinauf zur Burg geht und dort die unterirdischen Schätze hebt. Du bist das Kind, das in solcher Wiege gewiegt worden. – Als der Bube diese Rede hörte, zitterte er, und es lief ihm eiskalt über den Nacken, denn er hatte kein Herz, und wenn der Mensch kein Herz hat, ist er ein Tropf. Und kreuzigte und segnete sich und schüttelte mit dem Kopfe. – Wehe mir! Wehe! rief da die Jungfrau. So muß ich wieder hundert Jahre harren und wandeln, wehe dir, daß du kein Herz hast, so sollst du auch keins finden! – Und tat einen lauten Schmerzensschrei und verschwand.

Der Bube aber ging von diesem Tage an still und bleich umher und hat nicht lange gelebt.

Eine ähnliche Sage von dem Kirschkern, Baum und Wiege, an die sich Hoffnung auf Erlösung knüpft, geht von den Trümmern der Burgruine Raueneck in Osterreich. Dort bei Auerbach aber ist’s auch sonst nicht geheuer. Über das Flüßchen, die Auerbach, geht ein Brückchen. Als einstens jemand darüberschritt, hörte er es im Wasser niesen, und zwar dreimal, und dreimal sprach er: Gott helf! Da stieg die Gestalt eines Knaben aus dem Wasser und rief: Gott danke dir, du hast mich erlöst! Darauf hab‘ ich dreißig Jahre gewartet. Ein anderer hatte oberhalb der Brücke auch dreimal niesen hören; zweimal hatte er Gott helf! gerufen, weil aber niemand einen Dank zurückrief, so schreit er beim dritten Male: Hole dich der Teufel! – Da hat es im Wasser einen Wall getan, als wenn sich jemand in demselben heftig umwälze, und darauf ist alles stille gewesen.

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