610. Der Zauberjunge

610. Der Zauberjunge

Ein vorwitziger Lehrjunge zu Leipzig verband sich im Jahr 1707 mit einem fremden Mühlburschen, Teufelsbeschwörungen und Schatzhebung vorzunehmen, empfing von diesem gegen Geld eine Abschrift von Doktor Fausts Höllenzwang und eine metallene Wünschelrute und begann seine Zauberei und seine Zitation nach allen Regeln an einem Freitag im Keller seines Lehrherrn. Bei der dritten Beschwörung stieg ein Rauch aus dem Boden, daraus wurde ein kleines Männlein, welches anzusehen war, als wäre es ganz und gar mit einem grauen Flor überzogen, das legte ihm zwei Zweigroschenstücke hin und fragte: Bist du damit zufrieden? – Darauf sagte der Junge: Ja! – Bei einer später » Beschwörung an einem andern Freitag erfolgte dieselbe Erscheinung, und da tat sich nebenbei die Erde auf und ließ den Schatz blicken. Da legte die Geisterscheinung ein brandenburgisches Sechzehngroschenstück unversehens hin und fragte wieder: Bist du damit zufrieden?, doch regte sich das graue Männchen im geringsten nicht, bewegte auch keine Lippe. Und der Junge sagte wiederum ja und beobachtete alles Vorgeschriebene, mit Lichter löschen, rücklings aus dem Keller gehen und dergleichen. Das war geschehen am 28. Oktober, und am 4. November Hub der junge Zauberer wieder an, eine noch schärfere Beschwörung vorzunehmen, und wieder erfolgte des Dämons Erscheinung, aber unter rollendem Geräusch, und tat sich die Erde ganz auf, und rückte ein Kessel herauf, der war voll geprägtes Geld, auf dem Gelde aber lag etwas, anzusehen wie eine Karbatsche, vorn mit einem Kopf, der sich immerdar bewegte. Da sich nun bei dieser starken Beschwörung der Zauberjunge der heiligen Dreifaltigkeit abschwur, so kam ein Papierblatt in Form eines in der Länge durchschnittenen halben Bogens, mit schwarzem Rande und auf beiden Seiten rot beschrieben, nebst einer schwarzen Feder, verkehrt geschnitten, zum Vorschein, und das graue Männchen hatte wieder, wie auch bei seinem ersten und zweiten Erscheinen, ein längliches Buch vom Format jenes Papierblattes, wie ein Zinsregister, unterm Arme. Dann war dem Zauberjungen, als falle ein Körnlein Sand oder ein Tropfen Wasser von der Decke herab erkältend auf seine Hand, und als er die Hand hob und ansah, stand ein Tropfen Blutes darauf. Keck nahm er das Papier und die Feder, faßte mit letzterer das Blut auf und begann zu schreiben: J – o – (er hieß Johannes). Da war ihm, als komme jemand schnellen Schrittes die Kellertreppe herab; da er nun vermeinte, es sei sein Mitgeselle, sich aber nicht umsehen durfte, so ließ er die Feder fallen, verlöschte in Eile die Lichter und warf sie in ein Wasserfaß, zerriß den Faden, damit er den Zauberkreis gemacht, und ging rücklings zum Keller hinaus, zu sehen, wer ihn gestört, fand aber niemand. Nach acht Tagen ging der Zauberjunge wieder in den Keller, da er aber auf die untersten Stufen gelangte, kam ihn ein Schauer an, daß er nicht vermochte, vollends hinabzugehen, kehrte demnach wieder um. Am nächsten Freitag, wo er wieder hinab und das Werk fortsetzen wollte, hieß ihn sein Herr in die Kirche gehen, den darauffolgenden verhinderte ihn ein im Keller arbeitender Maurergeselle – aber Tag und Nacht hatte er keine Ruhe, immer war das graue Männchen um ihn, machte oft pst! pst! Das machte ihn ganz verwirrt, und sah aus wie ein Trunkener, und hatte die Augen voll Wasser. Der Lehrherr nahm ihn in das Gebet, aber er gestand nichts, und da ersterer ihm wiederholt anriet, er solle sich bereiten, zum Abendmahl zu gehen, so antwortete der Zauberjunge stets: Das darf ich nicht, das kostet mir mein Leben. Endlich nahm der Junge sein Beschwörungsbuch, zerriß es und warf es ins Feuer, lief davon und entdeckte sich einem Freund, der offenbarte es seinem Lehrherrn, und dieser sandte nun nach dem Beichtvater des jungen Menschen. Er bekannte alles, offenbarte aber dabei einen krassen Unglauben und empfand einen beständigen Trieb, nach dem Keller zu gehen, daran er aber stets, weil man ihn bewachte, verhindert wurde. Nachderhand bekehrte er sich völlig und nahm das Abendmahl, sein Lehrherr aber schenkte ihm seine noch übrige Lehrzeit, sprach ihn frei, übergab ihn seinem herbeigerufenen Vater und war froh, ihn los zu sein, nachdem er drei ganzer Wochen lang Sorgen und Beschwerden genug mit ihm ausgestanden.

*

 

611. Doktor Faust in Auerbachs Keller

611. Doktor Faust in Auerbachs Keller

Da Doktor Faustus, den man als Verfasser des Höllenzwanges nennt, welches Buch so viel Unglück angerichtet, so viele Menschen um den Verstand und um ihr Seelenheil betrogen hat, zu Wittenberg war, hatte er gute Kundschaft mit adeligen Studenten, welche viel Geld aufgehen ließen, fuhr mit ihnen da- und dorthin, und so auch einstmals auf einem schnellen Wagen nach Leipzig, allwo gerade Messe war, und brauchten zu dieser Fahrt nur wenige Stunden. Andern Tages besahen sie die Stadt und ihr Meßgewühl und sahen da gegenüber ihrem Wirtshause einen Keller, aus welchem die Weinschröter, auch Weißkittel genannt, etwa ihrer vier oder fünf ein volles Achteimerfaß heraufzuschroten sich bemühten, selbiges aber nicht vermochten, sondern abließen, bis ihrer mehrere dazukommen und helfen würden. Da sprach Faustus fast höhnisch zu den Schrötern: Wie stellt ihr euch doch so täppisch zu dem Faß! Könnt es nicht zwingen und seid doch eurer so viel! Könnt‘ es doch wahrhaftig einer allein, wenn er Geschick hat! – Diese Schröter nun waren handfeste Gesellen, mit dem Maul so derb wie mit ihren Fäusten, die kannten Faustum nicht und blieben ihm auf seinen Hohn die Antwort nicht schuldig. – Was kümmert der Herr sich unsrer Arbeit? fragten sie. Ist der Herr so überstudiert, daß er solches Faß heben und die Treppe allein hinaufbringen kann, ei so lasse er seine Kunst sehen, so schrote er es hinauf in aller Teufel Namen! – Indem Faustus also mit der Höflichkeit der Schröter bedient wurde, kam der Wirt vom Auerbachskeller, wo sich dies Abenteuer zutrug, vernahm des Scheltens Ursache und sprach im Unwillen: Seid ihr so starke Riesen, daß einer von euch sich vermißt, dieses Faß allein hinaufzubringen, der mag es tun! Wer es kann, dem soll es eigen sein! – Unterdessen waren noch mehrere Studenten hinzugekommen und stehengeblieben, und Faustus rief diese zu Zeugen von des Weinkellerwirtes Rede an, stieg hinab, setzte sich auf das Faß, gleich als aus einen Bock, und sagte: Marsch! – und ritt das Faß die Treppe herauf zu jedermanns Verwunderung. Am meisten verwunderte sich der Wirt und schrie: Das geht nicht natürlich zu! – half ihm aber nichts, und ging hernach um so natürlicher zu, als Faustus und die Studenten das Faß anstachen und davon zechten, solange noch ein Tropfen aus dem Zapfen rann.

*

 

612. Nixenflüsse bei Leipzig

612. Nixenflüsse bei Leipzig

Die kleinen stillen Flüßchen bei Leipzig, die Elster wie die Pleiße, sind von Nixen bewohnt und fordern jedes Jahr ihren Toten. Da ist besonders der Johannistag der Tag, an welchem niemand zu raten ist, auf dem Wasser zu fahren oder darin zu baden. Häufig geschieht es, wenn einer ertrinken soll, daß man die Nixen auf dem Wasser tanzen sieht. Zu Leipzig wurde oft auf der Straße ein Nixenweiblein gesehen. Es kam mit einem Tragkorbe und mischte sich unter andere Bauersweiber, Lebensmittel einzukaufen, doch hat es mit niemand ein Wort geredet; es deutete auf die Ware, vernahm den Preis, bot feilschend weniger Geld, nahm endlich und ging. Wer es grüßte, dem dankte es nicht. Einmal sind ihrer zwei dem seltsamen Weiblein nachgegangen, da sahen sie, wie es an einem kleinen Wasser seinen Korb hinsetzte, und wie der Blitz war es samt dem Korbe verschwunden. Auf der Nixe Spur sah man den Weg betropft, denn der Saum ihrer Gewänder war zwei Hände hoch naß. Gleiches wird überall erzählt, fast in allen Orten, die an Flüssen, Strömen oder Seen liegen; insgemein geht auch diese Sage, daß die Nixe an die Fleischbänke tritt, ihren Daumen auf ein Stück Fleisch legt und der Metzger diesen abhaut – da leitet dann die Blutspur in den See oder in den Fluß, der Metzger aber muß die schlimme Tat ganz sicher mit dem Leben büßen, wie jener Mühlknappe, der eine Nixe am Ufer sitzen und ihr Haar strählen sah und auf sie mit der Büchse anlegte. Die Nixe aber sprang rasch in den Fluß und drohte zornig mit dem Finger. Nach drei Tagen badete der Bursche, und weg war er. Bei Leipzig tief hinten im Rosentale und aufwärts an den wiesenumgrünten, waldumrauschten Ufern der Elster und Pleiße ist es so geheimnisvoll und unheimlich still, daß den Wanderer unwillkürlich ein Grauen überfällt und keiner sich wundern würde, sähe er die Nixen der stillen Flut entsteigen.

*

 

613. Der Graf von Eilenburg und die Zwerge

613. Der Graf von Eilenburg und die Zwerge

Zu Eilenburg im Sachsenlande, jetzt preußisch, wohnten unterm Schlosse Zwerglein, die mußten Hochzeit halten und wollten das in dem Saale tun, darin der alte Graf in einem hohen Himmelbette schlief, und da kamen sie und drangen und sprangen durch das Schlüsselloch, durch Türspalten und Fensterritzen herein, daß es nur so rasselte und prasselte, als schütte einer Erbsen auf die Tenne. Da erwachte der Graf und sah ein Männlein gleich einem Herold auf sich zutreten, das bat gar höfisch, das Fest zu erlauben und daran teilzunehmen, doch dürfe keins vom Gesinde oder sonstwer auch nur mit einem Blicke zusehen, wie dort im Städtlein Leuenburg auf dem Schlosse der Freiherrn von Eilenburg auf Prassen bei der Fingerlingsbraut auch unter solchem Beding verlangt ward. Der Graf war es zufrieden, und da er einmal wach war, sagte er zu, mitzuhalten. Da führten sie ihm eine so winzig kleine Tänzerin zu, daß er beim Tanze Mühe hatte, sie nicht zu verlieren, und es begann eine Heimchenmusik, die hatte hellen, schrillen Klang. Das kleine Weiblein tanzte aber ganz flott und wirbelte den alten Herrn herum, daß ihm der Odem stille stand und das Herz pochte; es war leicht wie ein Flederwisch, und deshalb hatte er an ihm zu halten. Auf einmal aber hörten Musik und Tanz plötzlich auf und war eine große Verstörung; alles schaute ängstlich nach der Saaldecke hinauf oder entfloh durch alle Ritzen. Die Saaldecke hatte ein Loch, und durch das Loch guckte die alte Gräfin, die oben überm Saale schlief, herunter in die lustige Wirtschaft. Dieses Lauschen verdroß die Zwerge sehr, und die zuzurückgebliebenen sagten:

Wolln nach dem Zimmermann schicken,
Zimmermann soll den Tanzboden flicken,
Tanzboden hat ein Loch! –

und da blies ein Zwerg hinauf. Gegen den Grafen aber neigte sich das kleine Völklein und dankten ihm und sprachen: Weil durch das alte Fell da droben unsere Hochzeitfreude und unser Tanz gestört worden, so soll euer Geschlecht nie mehr als sieben auf einmal zählen. Und dann schwanden auch die letzten hinweg, und war still im weiten Saale, und der Graf war allein. Als am andern Morgen die Gräfin erwachte, hatte sie auf dem Auge, mit dem sie herabgeblinzt, ein Fell. Stets starb von sechs lebenden Grafen von Eilenburg einer, bevor ein siebenter geboren ward.

Diese Sage hat ohne Zweifel Goethe seinem Hochzeitlied: Wir singen und sagen vom Grafen so gern – teilweise zum Grunde gelegt. Eigentümlich ist der Sage Wandlung, die in Ostpreußen zu Leuenburg, jetzt ein Dorf, sonst ein Städtlein, einem des Geschlechtes Eulenburg, welcher Name im Namen Leuenburg durch Buchstabenversetzung auch enthalten. Ähnliches widerfahren läßt wie dem alten Grafen von Eilenburg im Sachsenlande, dessen Geschlechtsname früher auch Eulenburg geschrieben ward.

*

 

614. Der Name von Oschatz

614. Der Name von Oschatz

Vom Städtchen Oschatz zwischen Leipzig und Dresden wird diese Sage erzählt. Da es erbaut worden sei und noch keinen Namen gehabt, so habe der Herrscher des Sachsenlandes sehr am selben seine Freude gehabt, und da er mit seiner Gemahlin auf dem nahen Kalvariberg gestanden und von da das Städtlein überschaut, habe er gemeint, sie solle jenem einen Namen verleihen, da habe aber die Herrin verlegen den Blick gesenkt und sagen wollen, daß sie solches nicht vermöge, und schüchtern zu reden begonnen: O Schatz – da habe der Fürst und Gemahl sie unterbrochen und ausgerufen: Du hast es gesagt, meine Liebe, Oschatz soll diese Stadt hinfüro heißen, und dabei sei es geblieben, und sie heißt Oschatz bis auf den heutigen Tag.

*

 

600. Herr Augustin

600. Herr Augustin

Zu Gotha am Jakobsplatz steht ein steinern Haus mit einem Steingebilde, darauf ist ein Mann zu erblicken, der zweien Kindlein Brötchen darreicht, und stellt solches Bild den Herrn Augustin vor, welcher ein absonderlicher Kinderfreund war. Stets beschenkte er arme Kinder, ging niemals aus ohne die Taschen voll Gaben, und es war, als ob es aus sotanen Taschen quölle und sie nimmer leer würden. Selbiger Herr Augustin wurde achtzig Jahre alt unter solcher Liebe zu den Kindern und der Kinder zu ihm, und da es mit ihm zum Sterben gedieh, hat man zwei Knäblein an seinem Lager sitzen sehen, welche ihm die Augen schlossen, und auf seinem Grabe ist drei Tage lang ein Knäblein sitzend gesehen worden, niemand aber hat dasselbe gekannt.

*

 

601. Schatz auf dem Friedenstein

601. Schatz auf dem Friedenstein

Auf dem Schlosse Friedenstein zu Gotha, darinnen die Ahnfrau des herzoglichen Hauses umwandelt, war ein Mann vom Soldatenstande des Namens Eckart Hofverwalter, und pflegte bisweilen in der Hofstube auf einer Bank die Nacht hinzubringen, besonders dann, wenn langanhaltende Festlichkeiten bei Hofe seinen Dienst bis in die späte Nacht erfordert hatten. Der erblickte einst in dieser Stube einen Geist, der ihm zu folgen winkte. Eckart nahm das noch brennende Licht und ging ohne Furcht dem Geist nach. Dieser führte ihn durch mehrere Gänge in ein Gewölbe, da stand ein großer Kessel ganz voll Goldstücke, und der Geist bedeutete dem Mann, er solle zugreifen und den Schatz heben. Aber es kam ihm Grauen und Entsetzen an, und er wich nach der Hofstube zurück. Der Geist folgte ihm und suchte ihn unter beweglichen Gebärden zu vermögen, umzukehren. Er solle nur ein Drittel des Schatzes für sich nehmen und die beiden andern Dritteile der Landesherrschaft geben, aber Eckart ließ sich nicht darauf ein. Am folgenden Morgen eröffnete er den Vorgang seinem Herrn, dem Herzog Friedrich II., und bat um Verhaltungsbefehle in dieser Sache. Der Herzog sprach, er befehle ihm hierin nichts, wolle er fürder mit dem Geist gehen, so möge er es auf eigene Gefahr tun. Nach einiger Zeit fand man die Hofstube verschlossen, und der Hofverwalter war nicht zu sehen. Man klopfte und rief, so stark man konnte, und endlich ward die Türe aufgebrochen. Der Hofverwalter lag fast leblos mit dem Kopfe auf dem Tische; er wurde zwar wieder zu sich gebracht, doch war nichts aus ihm herauszubringen. Nur einem Geistlichen hat er hernachmals offenbart, daß der Geist ihm abermals erschienen und gar wehmütig gefleht, gleich wie das Gespenst bei der Edelfrau zu Gehofen, doch den ihm bescherten Schatz zu heben. Er solle sich nur nicht fürchten; es werde zwar eine Geistesgestalt wie ein welscher Hahn ihm zwischen den Beinen hindurchfahren, doch ohne Schaden, und der Wert des Schatzes betrage vierzigtausend Taler. Er, der Hofverwalter, habe aber gesagt, er tue es nicht, er liebe und lobe sich die welschen Hahnen gebraten vor ihm in der Schüssel und nicht also, wie der Geist zu verstehen gegeben, da habe der letztere schrecklich wehmütige und entsetzliche Gebärden gemacht, so daß er, Eckart, darüber ganz die Besinnung verloren habe. Der Geistliche gab den Rat, nicht mehr in der Hofstube zu schlafen, sich einen fetten Konsistorialvogel braten zu lassen und zur Stärkung eine Flasche Wein dazu zu trinken, wobei er ihm auf Verlangen Gesellschaft zu leisten gern erbötig; selbiges hat Eckart getan und ist nachher von dem Geist unbeschwert geblieben, sonach dürfte der Schatz noch zu heben sein, wenn der Geist nicht einen andern Mann gefunden hat. Eckart hat nachher noch manchen welschen Hahnen vor sich erscheinen lassen, dabei zum öftern sein Erlebnis erzählt und ist als herzoglicher Major zu Gotha nach einem löblichen Leben seliglich verstorben.

*

 

602. Thüringer Fluten

602. Thüringer Fluten

Große und greuliche Wasserfluten haben oft das Thüringerland heimgesucht. Eine der schrecklichsten war die am 17. Maimond 1558; die Erde erbebte, und die Schleusen des Himmels gössen stromgleiche Fluten auf die Fluren zwischen Gotha und Langensalza nieder. Im Orte der Grafen von Gleichen, Burgtonna, wurden fast vierzig Häuser und Scheunen zumal und von Grund aus verwüstet, daß man hernach nicht mehr sah, wo Haus oder Scheuer gestanden. Starke Bäume wurden mit den Wurzeln ausgerissen und davongeführt, sechsundvierzig Personen fanden nur allein in Burgtonna ihren Tod. In einem der hinweggerissenen Häuser, des Hirten Wohnung, lag eine Wöchnerin, die Tags vorher geboren hatte. Das Kindlein lag in einer Mulde, das Haus stürzte zusammen, die Mutter verdarb, das Neugeborene schwamm in seiner Mulde unversehrt neunzig Schritte weit davon, blieb im Gezweig eines Apfelbaumes hangen und ward gefunden lebend und ohne Leid. An manchen Stellen im Dorfe hat das Wasser dreier Männer Höhe übereinander erreicht. Ein Mann sang noch im Untersinken: Nun bitten wir den Heiligen Geist; ein anderer reckte seine Hand im Sinken aus dem Wasser und segnete die, so noch lebendig. Ein Knabe, ein Knecht und ein Futterschneider gewannen einen hohen Birnbaum, die erhielten ihr Leben. Ein im Lande umwandernder Buchträger, heutzutage neumodisch Kolporteur genannt, kam auf einen Balken rittlings zu sitzen, schwemmte fünf Ackerlängen hinweg und brachte sich und seinen Bücherranzen glücklich und unversehrt ins Trockne.

Das war aber alles nichts gegen eine Flut, dergleichen nie vorher und nie nachher erhöret worden im Thüringer Lande, die geschahe am 29. Mai 1613. Da kamen Wetter von allen Seiten und standen viele Meilen in die Runde über dem Lande und tobten gegeneinander, daß alle Leute glaubten, der Erde jüngster und letzter Tag sei herbeigekommen, das reichte von der Saale bis zum Harz und von der Werra bis zur Elbe. Die Ilm überschwoll ihr Bette zehn bis zwölf Ellen hoch, riß in Weimar vierundvierzig Häuser und Scheuern weg, ertränkte vierundsiebzig Menschen und zweihundert Stück Vieh; noch ist am Kegeltor daselbst der schwarze Strich, das Wahrzeichen, wie hoch dort die Flut stand. In Oberweimar ertranken vierzehn Menschen, stürzten zweiundzwanzig Häuser ein; in Mellingen raffte die Flut zweiundzwanzig Menschen hinweg und zertrümmerte sechsunddreißig Häuser. Eines Hirten Weib ertrank mit zugleich vier Kindern; der Vater, der sich rettete, hörte noch, wie das jüngste, als seine kleine Lagerstätte schon schwamm, die Mutter fragte: Kommen wir auch in den Himmel, wenn wir ertrinken? – und als jene mit Ja! antwortete, hat das Kindlein gerufen: Ei, so will ich gern mit ertrinken! Gut Nacht, lieb Vater und Mutter! – Mehrere Dörfer wurden fast ganz hinweggerissen, so daß nur wenige Häuser stehenblieben. In Gotha blieb kaum ein Fenster ganz von den Schloßen, kein Halm auf den Äckern. Mühlhausen litt ungemein; der Schade, den Wetter und Flut in Langensalza tat, ward allein auf eine Tonne Goldes geschätzt, aber der ganze Schade im Thüringer Lande auf mehrere Millionen Taler. Nur allein zwischen Jena und Magdeburg ertranken über zweitausend Personen oder wurden von einstürzenden Häusern begraben. Diesen furchtbaren Wassererguß nannte man hernachmals die Thüringer Sündflut und erkannte in ihr ein strafendes Gottesurteil, um so mehr, als alle römischen Zahlbuchstaben dieses strafenden Jahres in einem einzigen Worte enthalten waren, und das war das Wort IVDICIVM (MDCXIII).

*

 

603. Die Nägelstätter Weide

603. Die Nägelstätter Weide

Zwischen Langensalza und Groß-Vargula, allwo Winfried Bonifazius eine Kirche gründete und zum Zeichen der Wahrheit der Christuslehre seinen Stab in den Boden stieß, aus dem ein grünender Baum wurde, liegt das Dorf Nägelstätt und dabei eine Trift, die ist verrufen und heißt die Nägelstätter Weide. Zum öftern sind Geister dorthin gebannt worden. So lebte zu Langensalza ein wunderlicher Doktor, der von aller Welt sich abgeschieden hielt, doch ließ er reiche Gaben an die Armen durch seinen Diener austeilen. Er starb endlich alt und vielleicht auch lebenssatt; da es nun zu seinem Begräbnis kam und der Sarg schon in der Flur stand, sangen die Kurrendschüler vor dem Hause nach üblicher Weise ein Sterbelied – siehe, da schaute oben der alte tote Doktor in seiner weißen Zipfelmütze und mit einer grünen Brille zum Fenster heraus. Man eilte bestürzt in das Haus, öffnete den Sarg – da lag der Alte starr und steif; man erhob rasch den Sarg und trug ihn zum Gottesacker hin, während der Doktor wiederum gemütlich nachsah, wie man mit ihm dahinlief, als wäre er ein zu begrabender Jude. Von da an schaute von jedem Mittagsglockenschlag zwölf Uhr bis um ein Uhr der Geist des Doktors aus dem Fenster, und niemand wollte in das Haus ziehen. Da ließ man einen Hullen- und Pöpelsträger kommen, das war ein Jesuit vom Eichsfeld, der brachte einen Fuhrmannskober mit, bannte den Geist dahinein und trug ihn in die Nägelstätter Weide. Acht Tage darauf geschah es von ohngefähr, daß ein Brautpaar aus dem Dorfe durch die Weide ging, wollte in die Stadt und wollte Einkäufe zur Hochzeit machen, hatte aber des Geldes nicht gar viel, und da tat die Braut einen Wunsch: Ach, wenn wir doch einen Schatz fänden, da wäre unserer Sorge mit einem Male abgeholfen! – Jaja, sagte der Bräutigam, hat sich was mit Schatz finden! – Da aber gewahrte sein Blick an einer alten Eiche einen Kober, der mit Stricken fest umwunden war, der hing an einem Astrest, und da rief der Bräutigam scherzend: Fundus! hier hängt unser Schatz. – Rasch wurde der Kober vom Baume genommen, er war sehr schwer, gewiß enthielt er Geld – und wurde etwas seitab vom Wege geöffnet. Wie die fest geknoteten Stricke mühsam gelöst waren und der Deckel abgehoben war, siehe, da ging es dem Brautpaar wie dem Fischer im ersten Märchen der Tausendundeinen Nacht, der die alte Wärmflasche aufgefischt und aufgeschraubt, es stieg ein Qualm aus dem Kober, der roch wie Teufelsdreck, Baldrian und Moschus durcheinander, und aus diesem Qualm formte sich die Gestalt eines uralten hockeruckerigen Männleins, und das war der Langensalzer Doktor, der sprach gar freundlich: Habt Dank, ihr jungen Leutchen, daß ihr mich aus dem Kober erlöst habt, in den mich der gottverfluchte Jesuiter hineingebannt.

und empfanget zum Danke diesen Goldgulden, dafür mögt ihr kaufen, was ihr wollt, er wird immer wieder zu euch zurückkehren. Doch mißbraucht nie die Gabe meines Dankes. Da wurde das Brautpaar reich und glücklich. Der Geist des alten Doktors ging aber nicht wieder in das Haus nach Langensalza zurück, sondern blieb in der Nägelstätter Weide, wo er sich noch immer bisweilen sehen läßt. Eine ähnliche Sage wird vom Webicht, einem Walde bei Weimar, erzählt, wo es auch nicht geheuer sein soll, zumal an dieses Laubwaldes unterm Ende, nach Tiefurt zu, auch die Ilmnixe sich sehen läßt, ihr grünes Haar strählt und flicht und Leute in das Wasser lockt.

*

 

604. Blutgraben

604. Blutgraben

Im Jahre 1555 am 6. des Heumonds hat der Schloßgraben zu Weimar an einer Stelle hinten bei der Rentnerei angefangen zu wallen und überzuquellen, als ob das Wasser siede. Und war dessen Farbe fleischfarb, ja bisweilen gar rot wie Blut, daß sogar der Schatten, so von dem Sonnenschein an das Schloß gefallen, am Gemäuer feuerrot gesehen wurde. Bisweilen hat sich dieses Aufwallen an einer Stelle, bisweilen auch an mehreren erhoben und ist mit Gewalt mitten im ruhigen Flusse emporgedrungen, obschon im Grunde keine Quelle vorhanden war. Das hat für und für angehalten bis an den dritten Tag, und da hat man den Graben abgelassen, aber keine Ursache des Aufwallens und der Farbe gefunden; am Erdreich aber hing es wie Blutstropfen, und in Gefäßen aufbewahrt blieb das Wasser klar wie roter Wein. Zu Erfurt wurde damals auch ein Brunnen blutrot, und ein Feldwegs von Weimar begann eine Brunnquelle, die das Jahr vor dem Bauernkrieg auch in Blut verwandelt worden, aufs neue rötlich über sich zu sprudeln, wie auch noch ein Brunnen im Thüringerland in gleicher Gestalt gesehen worden. Was es bedeute, wußte man damals nicht zu sagen, hernachmals aber ist es klar geworden mit Schrecken, denn in dieser Zeit hoben sich die Grumbachischen Händel an, welche auf thüringischer Erde gar manchem Mann das Leben kosteten und die beiden Brüderherzoge zu Sachsen, Johann Friedrich den Mittlern und Johann Wilhelm, auf den Tod entzweiten, auch den ersteren guten, glaubenseifrigen und freundestreuen Fürsten in lebenslängliches Gefängnis brachten.

*