659. Die Schwestern von Troßky

659. Die Schwestern von Troßky

Auf Chlumecz saßen Herren des Geschlechtes Berka von Dux und Leipa, und einer unter ihnen schrieb sich Otto Berka von Troßky auf Chlumecz. Troßky war eine Felsenburg, deren Riesenzacken miteinander durch Gemäuer verbunden waren und noch sind. Eine dieser Zacken, die höhere, heißt Baba (Mutter) und die andere Panna (Jungfrau). Vorzeiten wohnten auf diesen Zacken zwei Schwestern, die liebten einander so zärtlich wie Hund und Katze, zumal auch die Religion sie getrennt hielt; sie sahen jeden Morgen zum Fenster heraus, riefen einander Schimpfworte zu, deutsch und böhmisch, wie es kam, streckten einander die Zungen heraus, ballten gegeneinander die Fäuste, und jede erbaute im Dorfe Troßkowitz eine Kirche, um ja nicht mit der Schwester in Gemeinschaft zu kommen. Diese Kirchen oder Kapellen sind genau so weit voneinander entfernt als droben auf dem Berge die Zacken mit den Turmtrümmern. Die Schwestern hatten auch noch nach ihrem Tode keine Ruhe, und man hört noch immer in stillen Nächten droben aus den öden Fensterhöhlen ihr Gezänk herüber-, hinüber- und heruntergellen.

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660. Des Kindes Weissagung

660. Des Kindes Weissagung

Wie die Sibylle auf der berühmten Linde bei Eisersdorf vom Türken weissagte, so begab sich’s im Jahr 1254 mit einem halbjährigen Kinde zu Krakau im Lande Polen. Das begann zu reden und zu weissagen von der Tataren (Mongolen) Ankunft, daß jedermann erschrak und sich verwunderte. Und leider ist diese Weissagung des Kindes auf eine schreckliche Weise eingetroffen, und die Tataren sind in das Land gebrochen und haben es verheert mit Schwert und Feuer und sind bis an das Riesengebirge und nach Schlesien und Böhmen gedrungen. Zu Breslau, das sie auch einäscherten, fiel Feuer vom Himel auf das Gebet des heiligen Czeslaw in das Lager der Mongolen, und darum zogen sie sich zurück. Bei Wahlstatt ward die blutige Tatarenschlacht geschlagen, in welcher dreißigtausend Christen blieben und neun Säcke voll Christenohren, von jedem Gefallenen nur eins, abgeschnitten wurden. Unzählige Gefangene wurden hinweggeschleppt, darunter allein einundzwanzigtausend Jungfrauen. Das Kind hatte auch geweissagt, ihm selbst werde das Haupt von den grimmen Tataren abgeschlagen werden, und es geschahe also.

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661. Rückkehrender Selbstmörder

661. Rückkehrender Selbstmörder

In einer bekannten Stadt Schlesiens schnitt sich ein Schuhmacher die Gurgel ab, darob erschrocken und die Schande zu umgehen, verhehlten des Toten Witwe und ihre Schwestern diesen Selbstmord, suchten dessen Spur zu tilgen und umwanden den Leichnam so mit Tüchern, daß nichts von der Todesart des sonst ganz braven und unbescholtenen Mannes verlautete. Es ward ihm ein feierliches ehrliches Begräbnis gehalten, und er ward von vielen aufrichtig betrauert. Nach sechs Wochen aber erging ein Gerücht in der Stadt, der Schuhmacher sei nicht nur eines natürlichen Todes nicht gestorben, sondern lasse sich auch sehen. Und dieses tat derselbe auch wirklich; er ging spukend um am hellen Tage und in der Nacht und warf sich auf die Schlummernden – er war ein Vampyr geworden und erregte so viel Angst und Schrecken, daß niemand mehr allein schlafen mochte, die Leute taten sich zu gemeinschaftlichen Schlafpartien zusammen, allein auch dieses half nicht immer. Diese Plage des Gespenstes währte schon in den siebenten Monat; am 20. September 1591 war der Schuster Todes verblichen, und am 18. April 1592 ließ der Senat in der Nacht um ein Uhr das Grab öffnen. Da lag die Leiche des Schusters noch frisch mit der frischblutigen Halswunde. Dieselbe wurde sechs Tage lang ausgestellt, und über die Witwe und ihre Schwestern ward schwere Untersuchung verhängt. Hierauf ordnete der Stadtrat an, daß die Leiche zum andernmal, aber auf dem Schandplatz begraben werde, welches auch geschah, aber nichts half, denn der Vampyr kehrte immer wieder. Da ist er hernach nochmals ausgegraben worden, der Kopf ihm abgehackt, desgleichen die Gliedmaßen, und dann wurde er mit Rumpf und Stumpf verbrannt und die Asche in den Fluß gestreut. Dieses muß den Geist mißfallen haben, denn von da an war und blieb er hinweg.

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662. Der rote Leu

662. Der rote Leu

Zwischen Glatz und Schweidnitz streckt sich das erzreiche Eulengebirge majestätisch hin. In einem Bergwerke auf der böhmischen Seite arbeitete ein Bergmann, der hieß der rote Leu; er hatte für sich selbst gemutet und arbeitete auf eigene Rechnung, allein anfangs mit gar keinem Glück, denn er setzte Hab und Gut bei seiner Fundgräberei zu und zuletzt auch alles Eingebrachte seiner Frau, so daß sie endlich sogar ihren Schleier verkaufen mußte. Eines Tages, als dieselbe ihrem Manne Essen in die Grube brachte, stieß sie sich an einem großen Knauer (hervorragendem Felsstück) hart an die Ferse, daß diese blutete. Da nahm der Mann sein Gezeug, den Knauer wegzustufen, und wie er begann, hei! da blinkte es hell und klar, da war es gediegenes Gold. Da dankte bald darauf die Frau ihrer blutigen Ferse den schönsten Schleier und bekam alles Verlorene tausend- und abertausendfach wieder, so daß sie sich zu sagen vermaß, jetzt sei es dem lieben Herrgott selbst unmöglich, sie wieder arm zu machen. Und der rote Leu, der wurde ein Mann von mächtigem Ansehen, weit bekannt und genannt. Er durfte den König Wenzel von Böhmen zu Gaste laden, und dieser gute Herr war so gnädig, eine ganze Tonne Goldes vom roten Leu zum Geschenk anzunehmen; Wenzels Vater aber, dem Kaiser Karl IV., rüstete derselbe hundert Reisige vollständig aus mit Pferden und Harnischen. Sich selbst und sein Weib kleidete der rote Leu fortan in Glanz und Pracht, sein Haus wurde der Sitz allen Wohllebens, alles glänzte darinnen von Silber, Gold und Seide. Dazumal begann die Kunst der Alchimie aufs neue eifrig betrieben zu werden, und die Goldmacher nannten den geheimnisvollen Goldkönig, den sie hervorzubringen sich bemüheten, dem reichen glücklichen Goldfinder zu Ehren den roten Leu. Aber Stolz und Hoffart und des Weibes unsinnige Vermessenheit und Gotteslästerung machten der roten Herrlichkeit bald ein Ende, denn der Golderzgang hörte plötzlich auf, gespart war nichts worden, und da flog zuletzt auch des Weibes Schleier wieder fort, und der rote Leu wurde bettelarm und ist samt seinem Weibe auf dem Misthaufen gestorben. Ersteres, das Bettelarmwerden, widerfuhr über dem fruchtlosen Hoffen auf das Erscheinen des roten Leu auch gar vielen Alchimisten.

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663. Die drei Bergleute im Kuttenberg

663. Die drei Bergleute im Kuttenberg

Im Lande Böhmen liegt gar ein berühmtes Bergwerk, das ist im Kuttenberge; da hat sich’s vorlängst zugetragen, daß drei Bergleute miteinander jahraus jahrein in einer Grube arbeiteten und ihr Brot verdienten. Sie nahmen täglich, wenn sie anfuhren, ihr Gebetbuch, ihr Grubenlicht, auf einen Tag mit Öl versehen, und ihr Brot, auch nur auf einen Tag, mit in die Grube, beteten und fuhren dann vor Ort. Da geschah es, daß sich eines Tages ihre Grube verschüttete, und da befahlen sie sich Gott und gedachten zu sterben, denn ihr Öl und Brot reichte nur auf einen Tag, aber ihr Gebet, das sie gemeinsam verrichteten, das reichte viel weiter, und es nahm ihr Öl nicht ab und nicht ihr Brot, und sie beteten und arbeiteten im Berge immer fort und merkten nicht, daß die Jahre dahingingen, und als eine Jahreswoche vorüber war, dünkte es sie noch keine gewöhnliche Woche zu sein; nur daran, daß Bart und Haare ihnen mächtig wuchsen, merkten sie die Flucht der Zeit. Ihre Weiber daheim wußten, daß sie alle drei verschüttet und vergraben waren, und dachten endlich daran, andere Männer zu nehmen, wenn einer sie haben wolle. Zu einer Zeit begannen die drei Bergleute sich doch recht herzlich aus ihrer Gruft herauszusehnen nach dem Lichte, gleich der Pflanze im Keller, die sehnsuchtbleiche Ranken empor zum Lichte schickt und gern ergrünen möchte, und da seufzte einer von den Dreien aus tiefem Herzensgrunde: O nur noch einmal, einmal nur am Tageslicht mich freuen und sonnen, und dann in Gottes Namen sterben! Da seufzte der zweite: O nur einmal noch mit meiner lieben Frau zu Tische sitzen, nur einen Tag mich wieder droben freuen, und dann sterben in Gottes Namen! Und der dritte seufzte: Ach nur ein Jahr im guten Frieden droben an der Seite meiner Frau, und nimmermehr herunter, dann wollt ich gerne sagen: Welt, ade! – Da tat der Berg, als sie so gewünscht hatten, einen Donnerkracher, als wollt‘ er mitten voneinander bersten, und da fiel durch eine Ritze der Schein des blauen Himmels in die tiefe Grube. Da klommen die Drei hinan, und der erste kroch hinaus ans Tageslicht und sog es wonneatmend ein und freute sich und sonnte sich am warmen Strahl und rief: O du Licht, du Licht von Gott! – und sank um und war tot. Indem so krochen die zwei andern auch heraus und wanderten in ihr Dorf, da sie wohnten, und suchten ihre Weiber, die kannten sie nicht, denn jeder sah aus wie ein Waldschrat, und wollen nichts mit ihnen zu tun haben. Die Männer aber heischten Bartmesser und Seife und traten bald darauf vor ihre Weiber, nachdem sie sich geschoren und gezwagt, und war jetzt jeder ein Mann, der sich gewaschen hatte und auch gekämmt, da freuten sich die Weiber, daß sie ihre Männer wieder hatten, und die des ersten bereitete gleich ein Mahl, so gut sie es vermochte, und da aßen und tranken die beiden und freuten sich, und der Mann sprach zuletzt den Abendsegen und dankte Gott für Speis und Trank und sank um und war tot. Dem dritten aber ward vergönnt, ein ganzes Jahr hindurch sich noch des Erdentages zu erfreuen, und fuhr nicht mehr in den Schacht; und genau, als ein Jahr vorüber, nachdem der Bergmann wieder aus dem Kuttenberge hervorgegangen, da umfing er seine Frau und sagte zu ihr: Lebe wohl! Auf Wiedersehen in Gottes Himmel! – O nimm mich lieber gleich mit! sprach sie, und wie sie sich so liebschmerzlich und treu umfangen hielten, umfing sie selbst beide der ewige Schlaf. – Im Kuttenberge gibt es auch Zwergmännlein, die nennen die Böhmen Haus-Schmiedlein; sie graben und hämmern und schmieden und pochen, necken auch zum öftern die Knappen und strafen die Gottlosen und die Flucher.

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664. Der König im Berge

664. Der König im Berge

Im deutschböhmischen Gebirge lag ein altes Schloß, Schildheiß, das sollte im Bau erneuert werden. Im Grunde fanden die Maurer und Werkleute viele Gänge und Kellergewölbe, und in einem derselben saß ein König im Sessel von Elfenbein und schlief, und neben ihm stand regungslos eine Jungfrau, die stützte sein Haupt. Da nun die Werkleute neugierig näher zu der Erscheinung schritten, so verwandelte sich die Jungfrau urplötzlich in eine Schlange und spie ihnen als solche Feuer und Dampf entgegen, so daß sie scheu zurückwichen. Als solches nun dem Herrn des Schlosses angesagt worden war, begab sich dieser selbst in die Gewölbe hinab, da hörte er die Jungfrau bitterlich seufzen. Er öffnete und trat hinein, aber Feuer und Rauch kam ihm entgegengepustet; sein Hund lief jedoch keck voran, und der Burgherr wollte nicht mindern Mut haben wie sein Hund. Als er der Jungfrau ansichtig war, sah er, daß sie seinen Hund auf den Armen hielt, unbeschädigt, aber an der Wand erschien eine Tafel mit brennender Schrift darauf, die war von Flammen umwebert und leuchtete glühend, und stand darauf eine Mahnung, nicht ins Verderben zu gehen. Mutvoll jedoch schritt der junge Ritter noch näher, da umschlangen und verschlangen ihn die Flammen.

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665. Die Seelen der Ertrunkenen

665. Die Seelen der Ertrunkenen

In einem See im Böhmerlande wohnte ein Wassermann, der trug einen grünen Hut und konnte die Lippen nicht schließen, so daß, wer ihn sah, auch seine grünen bleckenden Zähne sah, sonst war er von einem Menschen in nichts unterschieden. Zuweilen hat er sich den Mädchen gezeigt, sitzend am Ufer des Sees und grünes Band messend, das er endlos aus der Flut herauszog und dann ihnen zuwarf, wenn er genug gemessen. Selbiger Wassermann war gut bekannt worden mit einem Bauer, der am See wohnte, kam zum öftern in dessen Haus und lud auch den Bauer ein, ihn in seiner Wohnung unterm See zu besuchen. Dies tat der Bauer und fand es unten über alle Maßen schön und viele Schätze, und endlich kam er in eine kleine Stube, darin standen ganze Reihen neuer Töpfe, aber alle umgestürzt. – Was tut Ihr damit? fragte der Bauer. – Das will ich dir sagen! antwortete der Wassermann. Alle Jahre hole ich mir einen in den See, und seine Seele, die ist dann mein, und ich halte sie unter dem Topf eingesperrt. Jeder Mann muß doch ein Vergnügen auf der Welt haben, auch der Wassermann, und das ist nun das meine. – Dem Bauer verdroß dieses Vergnügen und ärgerte ihn und ging ihm im Kopf herum; er achtete aber genau auf die Art, wie er in den See gekommen war, der Weg ging durch eine Brunnenstube, und als er eines Tages in der Mittagsstunde den Mönch am See sitzen und Band messen sah, was er den Mädchen nur hinwarf, sie daran zu fangen und hinabzuziehen, so schlüpfte der Bauer geschwinde heimlich hinunter in des Wassermanns Behausung, war her und schmiß alle Töpfe um. Hei, war das eine Seelenlust, wie alle die Seelen aus der Sammlung des Wassermannes frei wurden und erlöst aufwärtsschwebten! Der Wassermann aber wurde sehr böse über den ihm gespielten Streich, denn niemand läßt sich gern sein Steckenpferd nehmen, und drohte dem Bauer grimmige Rache. Da aber der Wassermann die Gewohnheit hatte, sein Fleisch in den Fleischbänken der Stadt selbst zu kaufen, wie die Engländer und Amerikaner, und dieses immer mit alten böhmischen Groschen bezahlte, in denen ein Loch war, folglich von den angereihten Groschen der Halsschnuren der Mädchen, die er in den See gelockt, so gickte ihn bei einem jüngsten Besuch der Metzger, als geschehe es unversehens, mit dem spitzen und scharfen Messer in den Daumen, womit er die Löchergroschen zählte, daß das Blut des Wassermanns floß, welches aussah wie Froschlaich. Da wandte der Wassermann sich zornig hinweg, ging und kam nimmermehr wieder. So entging jener Bauer seiner Rache.

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666. Das Weinfaß im Helfenstein

666. Das Weinfaß im Helfenstein

Am Fuße des Riesengebirges auf der böhmischen Seite liegt das Städtlein Trautenau, und eine Strecke ins Gebirge hinein, eine Meile davon, liegt ein hoher Felsberg, darauf hat ein Schloß gestanden, das hat der Helfenstein geheißen, aber es ist verschwunden und versunken mit Mann und Maus, wie das Schloß auf dem Singerberge in Thüringen und viele andere Schlösser und Burgen, aber die Sage blieb am Leben und versank nicht mit, daß die Menschen im Helfenstein nicht allein vielen Durst, sondern auch vielen Wein gehabt, der auch mit versunken sei, als welches gar schade. Da war nun im Orte Marschendorf am Aupabach, der dicht oben an der Schneekoppe entspringt, im Jahr 1614 eine junge Magd, die hütete Vieh in diesem wilden Gebirgstale und kam dem Helfenstein nahe und sagte zu den drei Kindern, die bei ihr waren: Kommt, laßt uns vollends zum Helfenstein hinaufgehen, vielleicht ist er offen, und wir bekommen das große Weinfaß zu sehen. Das taten sie, und richtig war der Fels offen, und sie traten hinein und kamen durch ein Vorgemach und einen Gang in eine weite Halle, darin lag das zehneimerige Stückfaß, das hatte nur noch wenig Dauben und Reife, aber eine fingersdicke Haut von Weinstein umgab das Faß, daß nichts herauslief. Wenn diese Haut angefaßt wurde, gab sie nach und schlotterte wie ein Windei. Siehe, da trat aus einem andern Gemache, darin Musik und fröhliche Gesellschaft war, ein altmodisch geputzter Herr mit einem roten Federbusch auf dem Hut und einer großen zinnernen Kanne in der Hand, Wein zu zapfen. Dieser Herr sagte, sie sollten nur hineingehen, es gehe drinnen lustig her, aber die Magd und die Kinder zagten. Er bot ihnen Wein aus der Kanne, aber sie weigerten sich. Da sprach er: Harret hier mein, ich will gehen und kleine Becherlein holen. – Kaum war er hinein, so sprach die Magd: Lauft, Kinder, lauft geschwind hinaus, die Leute hier im Berge sollen all verfallen und verwunschen sein. – Und da eilten sie hinaus, und hinter ihnen schlugen mit Knall und Fall die Türen zu, und es polterte furchtbar. – Als sie nach etwa einer Stunde sich von dem Schrecken erholt hatten, war die Magd doch wieder keck, wollte sehen, was es denn gewesen sei, das so gekracht habe, ob etwa der Felsen eingefallen sei, und redete den andern zu, nochmals mit ihr hinaufzusteigen. Sie fanden aber die Öffnung nimmer wieder, der Fels war zu und blieb zu von allen Seiten.

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657. Die Linde der Sibylle

657. Die Linde der Sibylle

Eisersdorf, dahin die Heidenjungfrau auf dem Schlosse zu Glatz mit ihrem Bogen schoß, liegt von Glatz eine gute böhmische Meile am Flüßchen Viele. Dort stand eine große uralte Linde, die war weit und breit berühmt; sie sollte so alt sein als der Heidenturm auf dem Schlosse zu Glatz. Wenn sie auch wegen hohen Alters von Zeit zu Zeit einmal verdorrete, so grünte sie doch immer wieder von neuem aus. Auf dieser Linde saß die Sibylle und weissagte viel von künftigen Dingen der Stadt Glatz. Der Türke werde gen Glatz kommen, und wenn er durch die steinerne Brücke hinein auf dem Rink seinen Einzug halten werde, so würde er eine große Niederlage erleiden, weil ihm die Christen aus dem Schlosse herab entgegenziehen und auf dem Markt ihn erlegen würden. Bevor aber solches geschehe, werde zuvor ein ganzer Haufe Kraniche durch die Brotbänke fliegen. – Daß die heidnische Jungfrau zu Glatz diese Sibylle selbst war, scheint denen nicht beigefallen zu sein, die nach ihrem Ursprung und Namen forschten; es ist aber etwas Wundersames um den Zusammenhang des Redens und Sagens von einer Sibylle und deren Weissagung vom Türken im deutschen Volke, denn es gibt der Orte mehrere, von denen gerade die Sibylle geweissagt haben soll, auf ihnen werde der letzte Türke erschlagen werden, unter andern zu Eiba bei Saalfeld in Thüringen, da soll der letzte Türke in einem Backofen verbrannt werden, wie im Werratale, wo auf der Borchfelder Brücke der letzte Sultan enden soll. Auch im Vogtland, am Rhein und anderorts ist diese Sage lebendig. Zu Bamberg geht die Weissagung, die Türken würden ihre Pferde noch aus dem Rhein saufen lassen, wo Gott vor sei! Auch in Schwaben ist eine Sibyllenhöhle.

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64. Die heiligen Kreuze zu Mainz

64. Die heiligen Kreuze zu Mainz

Zu Mainz hat eine schöne Kirche in der frühern Zeit den Namen Zu Unsrer Lieben Frauen im Felde geführt, das Volk aber nennt sie Heiligkreuz. Ein Schiff kam gefahren mit Männern und Frauen, die sahen in der Luft ein schimmerndes Kreuz schweben, das ihrem Schiffe nachzog und an seinen Mast sich heftete. Nahe der alten Schiffbrücke beim Holztor legte das Schiff an, und siehe, da war das schimmernde Kreuz kein Luftgebilde, sondern ein ehernes kunstvolles Kruzifix von wundersamer Meisterarbeit. Um nun dessen Bestimmung zu erkunden, wurde es zwei ungejochten und ungeschirrten Ochsen auf den Rücken gelegt, und diese ließ man ohne Leitung und Führung gehen, und da trugen sie das Kreuz auf den Hechtsheimer Berg, dort ward eine Kirche erbaut und das Wundergebilde darinnen zur Verehrung aufgestellt. Viele Kranke sind genesen, die vor dem Kreuze in Andacht knieten, bis die Kirche mit mehreren anderen in Flammen aufging, als Markgraf Albrecht von Brandenburg 1552 die Stadt Mainz einnahm. Zwischen dem Holz- und Bockstor aber ward noch lange Zeit ein Gemälde gesehen, davon noch heute Spuren zu entdecken sind, darstellend ein Kreuz, hangend an den Segeln eines stromaufwärts fahrenden Schiffes.

Zwischen der Kirche zum Heiligen Kreuz und St. Alban stand vorzeiten eine offene Kapelle, darinnen war ein hölzern Kruzifix, darunter Maria und Johannes, zur Verehrung der Gläubigen aufgestellt. Nun lebte zu Mainz ein Bürger, des Name war Schelkropf, ein Spieler und Trunkenbold, der wenig aus dem Wirtshaus zur Blume kam, das in der ehemaligen Vorstadt Vilzbach stand. Eines Tages hatte er alles, was er besaß, verspielt und vertrunken und verwünschte in seinem wilden Rausche sich, Gott und alle Heiligen und schwur, mit seinem Schwerte das erste beste heilige Bild, auf das er stoße, mitten voneinander zu hauen. So taumelte er durchs Feld, und kam an die offene Kapelle, und rannte auf die hölzernen Bilder an, und stach und hieb. Und siehe, da sprangen ihm aus den leblosen Bildern, zumal aus dem Kruzifix, Ströme Blutes entgegen. Entsetzt stand er und sinnverwirrt, das Schwert entfiel seiner Hand, und so ward er gefunden und gefangen. Fromme Hände fingen in Schalen das rinnende Blut auf. Schelkropf wurde für seinen unerhörten Frevel lebendig verbrannt, das wundertätige Christusbild aber und das heilige Blut brachte man in die nahe Kirche. Als diese in Flammen aufging, blieb dieses heilige Kreuzbild verschont und ward gerettet, und noch heute wird es den Gläubigen in der St. Christophskirche zu Mainz gezeigt.

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