80. Der Stiefel voll Wein

80. Der Stiefel voll Wein

Auf dem Steine, wo nun fortan dieser Rheingraf fröhlich hauste, ging es zum öftern gar hoch her. Da saßen eines Abends die Wild- und Rheingrafen und eine große Schar Ritter von den Nachbarburgen im Saale beisammen und zechten baß, und die Humpen kreisten. Da saßen Ritter von Sponheim, von Dhaun, von der Ebernburg, von Flörsheim, von Stromberg und tranken scharf und fest. Jetzt hob der Rheingraf einen mächtigen Reiterstiefel auf den Tisch und goß den voll Weines und rief: Wer diesen Humpen leert auf einen Zug, dem soll Hüffelsheim zu eigen sein mit Wonne und Weide und aller Zubehör! – Des verwunderten sich die Mannen und mocht sich’s keiner vermessen, schien ihnen allen der Schluck doch zu groß, und selbst der Burgpfaff, der etwas zu leisten vermochte in guten Trünken, und mancher andere Wackere wagten sich nicht daran. Da saß auch ein alter Zecher im Kreise, Ritter Boos von Waldeck, der sah die andern alle der Reihe nach an und wartete, ob einer den Stiefel leeren wolle, und da es keiner tat, da faßte er ihn in die Hand, und ließ den Wein rinnen in seinen Schlund, und trank ihn leer bis auf die Nagelprobe, und dann sagte er: Lieber Rheingraf, dein Hüffelsheim schmeckte gut, wie wär‘ es nun mit Waldbökelheim? Der Mensch kann doch nicht in einem Stiefel gehen? – Aber der Rheingraf wollte nicht noch einen Ort an eine Rittergurgel verlieren und schwieg stille. Darnach ist das Sprüchwort aufgekommen: Der verträgt einen guten Stiefel.

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809. Nixen in Theilheim und im Gründlersloch

809. Nixen in Theilheim und im Gründlersloch

Auch vom Dorfe Theilheim, zwischen Randersacker und Dettelbach, sowie vom Gründersloch zwischen dem Schlosse Castell und dem Dorfe Rüdenhausen, wie noch an vielen Orten Mittelfrankens geht die weitverbreitete und fast immer gleichmäßig mit geringer Abänderung wiederholte Sage von Nixen, die zum Dorftanze kommen, fröhlich sind, singen, tanzen, lieben und dann leiden, als wolle überall die Sage das Glück der Mädchenjugendtage symbolisch andeuten. In Theilheim waren der Tänzerinnen drei, die häufig begegnende Nornenzahl, im Castell kamen aber der Tänzerinnen fünf zur Hochzeit eines jungen Grafen. Immer weilte die jüngste am längsten, immer büßte sie die Lust am härtesten; nie kommen sie wieder, aber die Sage von ihnen geht von Geschlecht zu Geschlecht.

Bei Randersacker ist ein Berg, der Spielberg geheißen, dort hat sich einstmals der wilde Jäger über den Main schiffen lassen, und das wilde Heer hat Feuer in die Fähre geworfen. Einem Heckenwirt, der von Würzburg nach Randersacker fuhr, soff es Wein aus dem Faß, wie die wilden Frauen bei Schwarza das Bier, und segnete es mit Nieversiegen; das währte so lange, bis der Heckenwirt sein Glück verplapperte.

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810. Das heitere Hochgericht

810. Das heitere Hochgericht

Zwischen Ochsenfurt a.M. und Kitzingen lag die Herrschaft Brauneck, die umfaßte das heutige Marktsteft und fünf Maindörfer und kam im Jahr ^448 an das burggräfliche Haus. Da wurde nicht nur in Marktsteft, sondern auch in den Dörfern alljährlich dreimal Hochgericht gehalten, und zwar im Februar, im Mai und im Herbst, etwa zur Weinlesezeit; das war etwas anders eingerichtet als die heutigen Schwurgerichte. Die Beisitzer sotanen Hochgerichts waren Beamte, Frauenzimmer, Jäger und Spielleute, und die Jäger brachten ihre Hunde auch mit, denn ein wackerer Weidmann hält auf den Spruch: Wo mein Hund nicht hin darf, da will ich auch nicht sein. – Da wurde eine große offene Mahlzeit gehalten, selbige war das Hochgericht; es wurde eine weite Kufe voll Wein auf die Gasse gestellt und ein Schöpfstutz oder Kelle hineingelegt, da konnte jeder kommen und schöpfen, wer da wollte, und trinken, so viel er wollte. Die Atzung, so nannte man die Kosten, die bei sotanem Hochgericht aufliefen, trug die Würzburger Dompropstei, die hatte einen großen Säckel. Das hat gewährt gerade zweihundert Jahre minder zwei, und hernach sind zwei andere Jahrhunderte gekommen, in denen hat die Hungerleiderei und die Töpfeguckerei und die Sparsucht überhandgenommen, und die Staatsweisheit ist bis zu den Bäuerlein gedrungen, und wird gespart dem Teufel ein Ohr ab von Ministern und Volksvertretern, kommt aber keiner Seele zugute und läuft immer nur auf den Spruch hinaus:

Wir wollen alle Tage sparen,
Und brauchen alle Tage mehr.

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811. Das Kitzinger Kätterle

811. Das Kitzinger Kätterle

Über den Namen der guten Stadt Kitzingen am Main, Geburtsort des berühmten Theologen Eber, Melanchthons rechte Hand, haben die Sprachdiftler so viel Abgeschmacktes zusammenetymologisiert und ihren Kohl hernach als Sage ausgegeben, daß einem übel und weh von solcher losen Speise werden mag. Am Rathause daselbst wird ein Mädchenbild in Flammen erblickt, vielleicht eine arme Seele im Fegefeuer oder eine unkenntlich gewordene Madonna in der Glorie ihres fliegenden Goldhaars; davon geht diese Sage. Vor langer Zeit lebte in Kitzingen ein durch seine Schönheit berühmtes Mädchen, welchem ein eigentümliches Unglück widerfuhr. Einstmals hatte Kätterle (Kätchen) sich schon ausgekleidet und stellte sich im Hemd nah an den heißen Ofen; auf einmal begann dieses zu brennen, und das Mädchen konnte die Flammen nicht löschen; in voller Angst lief die Arme auf die Straßen, doch je ärger sie lief, desto stärker brannte das Feuer, und das Kätterle mußte eines jämmerlichen Todes sterben. Zum Andenken an das schöne Kätterle ist dasselbe brennend am Rathaus zu Kitzingen abgebildet, und im Volk lebt noch ein Sprüchwort von ihm, denn wenn ein Kind zu nah an den Ofen tritt, so sagt man warnend: Hüte dich, daß es dir nicht ergehe wie dem Kätterle von Kitzingen.

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803. Das Schenkenschloß

803. Das Schenkenschloß

Über Zell bei Würzburg, hart überm Wege nach Karlstadt, rechter Hand steht eine alte Turmtrümmer, die Schenkenburg genannt; auf der hauste ein ruheloser Schenk. Nun wurde einst in einer Spinnstube gesagt, droben im Schenkenturme sei ein Hühnernest mit Eiern, und dabei derjenigen ein neuer grüner Rock versprochen, die sich getraue, jetzt in der Nacht und ganz allein die Eier aus dem Nest zu holen. Ein Mädchen war zu dem Unternehmen bereit, wenn man ihr einen Ranken Schwarzbrot, einen Wetzstein und einen schwarzen Kater verschaffen wolle. Nachdem sie diese drei Dinge erhalten, ging sie damit getrost hinauf in den öden Burgturm, fand dort in einer Raufe das Nest und nahm die Eier heraus. Da rief ein grauer Mann ihr zu: Hättest du nicht deinen linkenden Rank, deinen wetzenden Wetz und deinen schwarzen Kater – so müßt‘ ich dir den Hals brechen! – Voll Schrecken lief das Mädchen davon und brachte zwar die Eier nach Zell, wurde aber gleich darauf krank und starb nach kurzer Zeit.

Da, wo jetzt noch dieser Schenkenturm steht, stand vormals eine stattliche Burg, die gehörte dem Schenken von Roßberg. Es ist allgemeiner Glaube, daß dort die Geister der Ritter noch spukend umgehen, und daß große Schätze sich zur nächtlichen Zeit durch blaue Flämmchen droben verkünden. – Zu Unterdürrbach, hinterm Schloßberge nach Rimpar zu, lebte ein altes Weib, die hatte aus Gnade und Barmherzigkeit ein armes Waislein, das ihre Verwandte war, zu sich genommen. Sie plagte aber das arme Kind wie ein Teufel, und dabei hatte sie eine ungemein durstige Leber. Als sie einstmals ihren Vorrat ausgezecht, gab sie dem Mädchen den Weinkrug und befahl ihm Wein zu holen, aber Geld gab sie ihm nicht, und da fragte das Kind: Wo soll ich denn Wein holen ohne Geld? – Ei du Teufelsbraten! schrie die Alte, hol ihn doch in des Kuckucks Namen, wo du willst! Meinethalben droben im Schenkenturme! Da muß man doch wohl den Wein geschenkt bekommen! – Das Mädchen stieg in seiner Unschuld den steilen Berg hinauf und betrat die inneren Räume der Burg; da schritt ihm ein kleines eisgraues Männlein entgegen und fragte freundlich: Was willst du, Kleine? – Das Kind erzählte, was ihm von der Alten gesagt und geboten worden war. Das schien dem Männchen zu gefallen, und es nahm den Krug, verschwand in ein Gewölbe und brachte dann das Gefäß gefüllt mit dem köstlichsten Wein wieder. Als er ihn dem erstaunten Kinde übergab, sprach er: Habe Dank, du kleine reine Feine! Du glückselige Magd hast mich erlöst! Denn so lange war ich verdammt, in diesem Gemäuer zu wandern, bis ein rein unschuldig Kind mir etwas von dem geraubten Gut abverlangen werde. Geh hinab und trinke ja nicht von dem Wein, sonst brennt er dir auf der Seele. – Das Mädchen zitterte an allen Gliedern und trug den Korb hinab, der wurde aber mit jedem Schritt schwerer und immer schwerer, und als es endlich den Fuß des Berges erreicht hatte, sank es erschöpft nieder. Schon wollte es einen wackern Zug zur Stärkung tun, aber – da war der Wein verschwunden und hatte sich in eitel Goldstücke verwandelt.

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804. Würzburgs Gründung

804. Würzburgs Gründung

Die Gründung Würzburgs und namentlich die seiner Feste fällt in sehr frühe Zeiten. Da der Frankenherzog Gozbert sich dem Christenglauben zuneigte, ließ er die Götzenbilder in den Mainstrom versenken und reinigte von ihnen Schloß und Stadt. Also schon zu dessen Zeit war beides vorhanden. So auch bekannte sich der Herzoge letzter, Hetan, mit seiner Tochter Irmina zum Christentum, die später ihren Wohnsitz auf die Karlsburg über Karlstadt verlegte und die Burg über Würzburg dem ersten Bischof, Burkhard, überließ. Andere schreiben der Feste Gründung einem Traume Pipins zu, den er in öder Waldwildnis auf dem Burgberge, vom Jagen müde und entschlummert, gehabt, worauf derselbe 764 zuerst eine Kapelle auf dem Berge erbauen lassen; darauf habe Karl der Große ein Kloster droben begründet, und der alte Name habe Wilisburg, Wildsburg, Wülzburg gelautet, der häufig begegnende Umlaut des l in r habe endlich daraus Würzburg bilden lassen. Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen – allein solche Angaben sind kaum Sage zu nennen, denn in der Regel hat dergleichen nur einer gesagt, der es eben erträumte. Burg- und Städtegründungen, die so hoch wie jene Würzburgs in die Zeitenfrühe hinaufragen, lassen sich nicht nach Jahr und Datum an den Fingern herzählen.

Als sich in Westfrankonien die Macht der Majordomen oder Hausmeier über die der Könige unter dem hochstrebenden Pipin von Heristal, der das Ruder der Herrschaft in starken Händen hielt und dem König nur einen Schatten von Ansehen gönnte, erhoben hatte, nannten seine Nachkommen sich Herzöge und Fürsten der Franken. Karl Martell hatte Thüringen und Franken den Sachsen entrissen. Karlmann bekam in der Teilung mit seinen Brüdern Austrien, Suevien und Thüringen. Bald auch machte der Name Franken neben Austrien und Nuistrien (Neuaustrien, Ostfranken) sich für immer geltend. Karlmann konnte schon an das Stift Würzburg eine Menge Kirchen und Güter schenken. Pipin der Kurze, Karlmanns Bruder, bestieg, als letzterer der Welt entsagte und in ein Kloster trat, den Thron. Er übergab dem Bischof Burkard zu Würzburg die Herzogwürde für sich und seine Nachfolger mit der Jurisdiktion über Leute und Blut, welche die würzburgischen Bischöfe jedesmal von dem westfränkischen Königreiche zu Lehn empfangen sollten, daher das Sprüchwort entstand: Herbipolis sola judicat ense, stola. Pipins großer Sohn Karl war oft in Franken und Thüringen anwesend. Längst war Franken in Gaue eingeteilt, die unter besonderen Gaugrafen standen. – Würzburg, die uralte Bischofstadt, ist so reich an örtlichen Sagen, daß sie für sich ein Buch füllen würden.

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795. Die gleichen Frauen

795. Die gleichen Frauen

Ein Graf von Wertheim verlor seine treugeliebte Hausfrau durch den Tod. Das ging ihm mächtiglich zu Herzen, und er schwur, nie wieder zu freien. So hat in seinem gerechten Schmerz wohl schon mancher Mann geschworen, hat es aber nicht halten können, und übereilter Eid tut Gott so gut leid wie der gezwungene. Da ward aber mannigfach in ihn gedrungen, sich wieder zu vermählen, damit sein Stamm nicht aussterbe und die schöne mit Wald und Wein und Weide gesegnete Grafschaft nicht an die Herren Vettern und Nachbarn falle, und so sprach der Graf: Ich will es tun, so ich eine finde, die meiner verstorbenen Frau in allem gleicht, absonderlich im Gesicht. Und ist ausgeritten auf die Brautschau und hat lange gesucht, bis das Glück ihm ein holdes und tugendsames Frauenbild finden ließ, das seiner verlorenen Herzallerliebsten glich. Das hat er zum zweiten Gemahl erkoren und lange mit ihm unvergleichlich glücklich gelebt, und hat angeordnet, auf seinem Grabstein zwischen seinen beiden sich so gleichen Frauen abgebildet zu werden, gleich jenem thüringischen zweibeweibten Grafen von Gleichen zu Erfurt, auf welchem Steine des Steinmetzen Kunst die Frauen einander nach Gesicht und Tracht auch so ziemlich ähnlich geschaffen. So steht der Graf von Wertheim in der schönen gotischen Pfarrkirche der Stadt Wertheim an der Mauer zur linken Hand, und ward der Grabstein schon oft bewundert.

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796. Doktor Luther in Wertheim

796. Doktor Luther in Wertheim

Da Doktor Luther auf der Reise nach Worms begriffen war, soll er seinen Weg mainabwärts und im Städtlein Miltenberg Nachtquartier genommen haben. Nun wäre – geht die Sage – der damalige Graf von Wertheim ein abgesagter Feind des Reformators und der neuen Lehre gewesen und habe Arges gegen ersteren gesonnen, habe daher, sowie ihm Kunde gekommen, satteln lassen und sei sogleich nach Miltenberg geritten, allwo er aber erst ziemlich spät abends ankam und seinen Plan dem nächsten Morgen aufsparte. Am selbigen Morgen nun stieß der Graf die Fensterladen seiner Herberge auf und schaute in die frische Morgenluft hinaus, und drüben, im Hause gegenüber, schaute auch schon ein Mann heraus in geistlicher Tracht, der bot dem Nachbar gegenüber freundlich guten Morgen und begann zu sprechen vom Wetter und Weg, vom Main und vom Wein, und gab immer ein Wort herüber und hinüber das andere Wort, und beredeten sich die Herren, mitsammen das Frühmahl einzunehmen, und kamen zueinander. Da wurde fortgesprochen von der neuen Lehre, und wie der Graf ihr heftig zürnte, da milderte der andere seinen Zorn und sagte ihm, der Luther wolle ja nicht den Glauben umstoßen, sondern ihn nur geläutert haben, und klärte den Grafen auf über so manches, und sprach ihm die Zweifel aus dem Kopf und den Zorn aus dem Sinne. Und wie der geistliche Herr nun scheiden wollte, da bat ihn der Graf um seinen Segen und fragte ihn bescheidentlich, wie er sich nenne, und jener sprach: Wie soll ich mich anders nennen als Doktor Martinus Luther? Ich hab‘ gemeint, Ihr hättet mich gekannt! – Da hatte der Graf eine große Freude und geleitete Luther weiter mainabwärts nach seinem Wertheim, und ließ ihm im Adler Herberge anweisen, und führte ihn dann auf die Vockenrother Stege, die Stadt und Kreuzwertheim und die Gegend ihm zu zeigen. Da sprach Luther das prophetische Wort, als er die Stadt, von Main und Tauber umflossen, unter sich liegen sah:

Vom Feuer hat Wertheim nichts zu befahn,
Im Wasser aber wird’s untergahn!

Doch hat es mit sotaner Prophezeiung keine Eile. Den Wertheimern hat sie aber gleichwohl einen Schrecken gemacht, und war ihnen nicht lieb, und deshalb haben sie dem Doktor Luther nachgesagt, er sei im Adler immer noch die Bratwürste schuldig, die er alldort verzehrt.

Ein Stück unter Kreuzwertheim liegt das Pfarrdorf Hasloch und das Dörfchen Haselberg am rechten Mainufer, die wollen insofern ein wenig an den Hörselberg und das Hörselloch in Thüringen erinnern, als dort am Main nach allgemeiner Sage sich eine lichte Frauengestalt zeigt, deren Name im Volke Hulla lautet. Sie ist gütig und hülsreich, trägt müden Landleuten die schweren Hockelkötzen und ruht auf einem Felsen unter Hasloch aus, in dem sich ein förmlicher Sitz eingetieft zeigt. Wer sie beleidigt und zum Zorn reizt, dem begegnen dämonische Erscheinungen, die ihn vom Wege ableiten und in die Irre führen oder sonst ihn schrecken und sinnverwirrt machen. Hier ist Frau Hulda als liebreizende Huldgöttin von der Sage ausgefaßt, und nur mit leisem Zuge ist auf das wilde Heer hingedeutet und auf die Nachtseite der deutschmythischen Feine.

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797. Die Wettenburg

797. Die Wettenburg

Ganz nahe bei Kreuzwertheim erhebt sich ein steiler Berg, die Wettenburg genannt, der ist auf drei Seiten vom Main umflossen. Den Namen des Berges leitet die örtliche Sage von einer Burg ab, die ehemals dessen Scheitel krönte. Eine reiche Gräfin, die als Herrin auf der Burg saß, wollte den Berg auch noch auf der vierten Seite vom Main umgeben wissen, auf daß der Strom zum natürlichen Wallgraben eines Inselschlosses würde, und entbot dazu das Volk zur harten Frone. Ihre Untertanen erlagen fast unter der Last der Arbeiten, die das ungeheuere Unternehmen erforderte, und Hindernisse aller Art türmten sich entgegen, doch der Trotz der Gräfin ging so weit, jedem ihrer Freunde und Vasallen eine Wette anzubieten, der etwa das Zustandekommen der Ausführung ihres Planes bezweifeln wollte. Bei einem stattlichen Gastmahle, wo sie die Wette anbot, warf die Gräfin einen blitzenden Demantring in die Flut des Mains und sprach: So gewiß dieser Ring nimmer wieder in meine Hände kommt, so gewiß muß der Berg durchgraben werden; wo nicht, so verschlinge der Main mich und meine Burg! – Ein furchtbarer Donnerschlag aus heiterem Himmel antwortete der Stimme ihres Frevels. Am zweiten Abend saß die Dame in großer Gesellschaft bis Mitternacht beim Mahle, wo unter andern auch ein großer Fisch aufgetragen wurde, und o Wunder! in des Fisches Eingeweiden hatte sich der in die Fluten geschleuderte Ring gefunden, den der Koch, indem er den Fisch auftrug, glückwünschend der Herrin darreichte. Alles entsetzte sich, und mit dem letzten Schlage der Geisterstunde sank unter Donner und Blitz die Burg mit ihren Bewohnern in den Strom, und nur Steinhaufen bezeichneten ihre Stätte.

Diese Stätte der versunkenen Wettenburg, die nun von der Wette erst dann den Namen bekam, als sie nicht mehr war, bezeichnete sonst neben wenigen Trümmern nur eine tiefgehende schachtähnliche Kluft. In diese Kluft ließ sich einmal ein Hirte an einem Seil hinab und hatte seinen oben gebliebenen Gefährten angewiesen, ihn auf ein gegebenes Zeichen sogleich herauszuziehen. Er kam in einen Saal, worin ein schwarzer Hund lag und etliche Männer und Frauen in alter Tracht regungslos, wie Leichensteine, beisammensaßen. Da faßte ihn ein Grausen, und schnell ließ er sich hinaufziehen.

Einen Schäfer, welcher ein andermal hinuntergestiegen war, führte eine Frau, die Herrlichkeit des Schlosses ihm zeigend, durch viele Gemächer, zuletzt in eines, worin lauter Totenköpfe sich befanden. Als er aus dem Berg kam, erfuhr er, daß seit seinem Hinuntersteigen nicht, wie er geglaubt hatte, einige Stunden, sondern sieben ganze Jahre verflossen waren. – Heutiges Tages ist auch der Schacht nicht mehr zu sehen; wohl aber hört man noch Glockengeläute aus der Tiefe des Berges, und goldene Sonntagskinder können alle sieben Jahre am Tage des Untergangs der Burg dieselbe auf dem Grunde des Mains erblicken, ebenso auf dem Berge, da wo das Schloß gestanden, eine Höhle und daneben einen Felsen, worin ein großer Ring abgedruckt ist. Auf diesen Ring legte einst ein Küfer sein Bandmesser und schlief nachher ganz in der Nähe ein. Beim Erwachen sah er weder Felsen noch Messer mehr; aber nach sieben Jahren fand er beide wieder, als er an dem gleichen Tage dahinkam. – Ein Schäfer, welcher sich vor dem Regen in die Höhle geflüchtet hatte, verfiel darin in Schlaf; als er erwachte, waren unterdessen siebenmal sieben Jahre verflossen, und er traf zu Hause alles ganz verändert.

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798. Der Pauker von Niklashausen

798. Der Pauker von Niklashausen

Nicht weit von Wertheim liegt Niklashausen, ein Dorf an der Tauber, darin hat sich im Jahre 1476 ein Hirte und Paukenschläger erhoben und einen Aufruhr angezettelt, den der Teufel nicht schöner hätte einfädeln können, und waren gegen ihn viele Rumpelmeier und Rumorpauker, die in späterer Zeit, auch gleich ihm, auf den Wiesen predigten, nur Schwachmatiker. Das Treiben dieses losen Gesellen und Kommunismuspredigers und seines dreckigen Anhanges kann nur am besten mit Worten seiner Zeitgenossen geschildert werden, sonst könnte mancher denken, man führe gar zu unsäuberlich mit dem unsaubern zottelhaarigen Knaben Absalom. Der Hirte – so berichtet einfältiglich ein geschrieben Schwäbisch-Haller Chronikbuch – predigte gegen die Obrigkeit, gegen die Klerisei und, ein zweiter Capistranus, gegen die spitzen Schuhe, ausgeschnittene Goller und lange Haare. – Wasser, Wild und Weide solle und müsse alles gemein sein, keine Steuer, kein Zoll, kein Geleitgeld! Die Mutter Gottes hätt‘

ihm das in einer Samstagnacht offenbart! Ach ja! Also – denn diese Lehre schmeckte – ward gen Niklashausen ein großer Zulauf und ganz Deutschland bewegig; da liefen die Roßhirten von ihren Pferden, die Zäume in Händen tragend, die Schnitter mit ihren Sicheln vom Felde, die Heuerinnen mit ihren Rechen von den Wiesen, die Weiber von ihren Ehemannen und die Mannen von den Weiben. Der Wein war im Jahr davor wohlgeraten, gut und wohlfeil, da wurden zwei Meilen ringsumher um Niklashausen Tabernen aufgerichtet auf Feld und Rasen, da man Wein schank und den Wallern zu essen gab. Die Waller wurden vom Franken- und Tauberwein bezecht, übernachteten durcheinander in Scheuern und im Feld – ging nit all‘ Sach‘ gleich zu. – So groß ward des Volkes Zulauf, daß der Paukenschläger aus einem Bauernhaus den Kopf zum Dach herausstieß, daß ihn alle hörten, und hinter ihm im Dachboden stand ein Barfüßermönch, der gab ihm ein, was er predigte, und da hub das Volk an zu weinen – es mochte ihn verstehen oder nicht – wie bei Capistranus, der zumal lateinisch predigte – über seine Sünden und das drückende Elend, und schnitt so viel Haare und Schuhspitzen ab, und tat sich der gestickten Kleider und Wämser ab, daß es nit auf viele Wägen gegangen wäre – wenn es sich nicht unter der Hand verkrümelt hätte. Viele Männer und Frauen schienen Lust zu haben, gleich Adamstänzer zu werden vor lauter Zerknirschung und Gemeinheitstrieb, und zogen sich bis aufs Hemde aus; wenn aber das Getös und der Wein ihnen aus den Köpfen kam, hätten sie gern ihre Kleider wiedergehabt. Es fiel ein unsäglich Geld und Wachs, und die armsdicken Wachskerzen waren mit Würzburger Schillingern, Nürnberger Fünfern, Gerhardskreuzern und Ißbrücknern wie ein Igel mit Stacheln besteckt. Dieser Pauker hatte eine Zottelkappe auf, solche Zotteln riß ihm das Volk von seiner Kappe als ein Heiltum, daß es förderlich sei, wo etwan die Weiber in Kindsbanden lägen und hätten solchen Zottel bei sich, dürft’s nit mißlingen. Ja sie küßten dem Pauker Hand und Stecken und was sonst noch. Bald kamen auch absonderlich schöne Liedlein zum Vorschein, die sangen die Waller anstatt der alten Kreuzlieder, zum Beispiel:

Wir wollen’s Gott vom Himmel klag’n,
Kyrie eleison! –
Daß wir die Pfaffen nit tot söll’n schlag’»,
Kyrie eleison! –

Dann nannte das wahnbetörte Volk den Pauker nicht anders als Unser Frauen Botschaft, womit sie unserer Frau den allerschlechtesten Geschmack aufhalsten.

Die Herren zu Nürnberg merkten, wes Geistes Kind diese Wallfahrt war, und verboten den Untertanen ihres Gebietes bei schwerer Strafe das Rennen gen Niklashausen. Da nun endlich auch Bischof Rudolf, des Geschlechtes von Scheerenberg zu Würzburg, von dem andauernden nichtsnutzen Lärm und der Unzucht in seiner Nähe hörte, denn der Lärmspuk dauerte schon über ein Jahr, auch berichtet ward, der Pauker habe auf einen Samstag eine großmächtige Volksversammlung ausgeschrieen, sie sollten gen Niklashausen in großer Zahl kommen und ihre Wehre mitbringen, da wolle der Pauker ihnen sagen, was die Mutter Gottes ihm befehlen würde – wahrscheinlich hatte er einen Handstreich auf die nahen Schlösser und Klöster im Sinne, denn wozu sonst die Wehr? – da sandte der Bischof einige Reiter und ließ vor diesem Samstag den Pauker und seine Ratgeber einfangen und gen Würzburg führen. Wie nun das Volk erschien mit allerhand Wehr, auch Fahnen, Spießen, Stangen, Wandelkerzen, was jeder erwischt und zu Händen hatte, und hörte, daß Unser Frauen Botschaft zu Würzburg im Turm liege, da brauste es wie ein Wasserfall, und der helle Haufe brach gen Würzburg auf, den lieben Botschafter zu befreien. Da ritt des Bischofs reisiger Zeug entgegen, und die Führer fragten, was es geben solle mit diesem Zug und Spuk. – Der Bischof solle Unser Frauen Botschaft herausgeben, wo nit, so wollten sie ihn mit Gewalt herausnehmen! – Die Reisigen sprachen: Gehet heim! – Da hagelten erst die beliebten Schimpfwörter aus der Volkswehr auf die Reisigen: Ketzer! Pfaffenknechte! Hohlhipper! und dergleichen, ins neue Deutsch übersetzt: vertierte Söldlinge der Gewalt. Solches bewegte die Reisigen zur Ungeduld, wiesen ihrer viele mit blutigen Köpfen von sich, empfingen auch deren, und vermochten nicht, dem Strome zu widerstehen. Als nun die Aufruhrrotten wirklich den Frauenberg, die Feste Würzburgs und des Bischofs Residenzschloß, zu stürmen Miene machten, ließ der Bischof die Stückkugeln über ihre Köpfe hinwegspielen, da vermeinten sie. Unsere Frau beschütze sie mächtiglich, und die Kugeln könnten sie nicht treffen, drangen demnach mutig vor. Da ging denn der ernste Tanz los mit Hauen, Schießen, Stechen, Niederreiten, weil sie es gar nicht anders haben wollten, und wurden alle Türme und Gewölbe voll Gefangene gelegt. Dann wurde der Pauker samt einigen Rottgesellen zu Pulver verbrannt und ihre Asche in den Main gestreut, Aberglauben zu verhüten. In die Wallfahrtgelder, die eingegangen und sehr beträchtlich waren, teilten sich Würzburg, Mainz und Wertheim brüderlich, es ward also doch geteilt, nur nicht so, wie es der Pauker gewollt, und damit war die Niklashäuser Wallfahrt zu Ende.

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