7. Luzerner Hörner und Mordnacht

7. Luzerner Hörner und Mordnacht

Da die Schweizer aufstanden und zu Felde zogen gegen ihre Unterdrücker, gebrauchten sie allerlei Kriegsinstrumente. So hatten die von Uri einen Mann, den hießen sie den Stier von Uri, der blies ein mächtig Urhorn, das mit Silber beschlagen war; und wenn man einen Keil ins Mundstück schlug, konnte man auch daraus trefflich trinken. Die Luzerner brauchten eherne Hörner, wie die alten Römer gebraucht, die hießen sie Harschhörner, und die hatte ihnen König Karl verliehen, als sie mit ihm in der Roncevaller Schlacht gestritten, wo Held Roland fiel.

Zur Zeit, als die Schweiz sich erhob, gab es in Luzern eine Partei, die war noch gut österreichisch gesinnt, die erkannten sich an den roten Ärmeln, die sie an ihren Wämsern trugen. Die versammelten sich unter dem großen Schwibbogen an der Ecke der Schneiderzunftstube und verabredeten, daß sie um Mitternacht alle Eidgenössischen überfallen und morden wollten. Ein Bettelbube vernahm’s, ward aber entdeckt und mit dem Tode bedreut, wenn er nicht schweige; mußte deshalb einen Eid schwören, niemand den Anschlag anzusagen. Der Knab‘ ging auf die Metzgerzunftstube, da zechten noch viele Gesellen, und der Knabe legte sich auf die Ofenbank und seufzte:

O Ofen, o Ofen, was muß ich dir klagen,
Wel ich’s beim Eed sonst niemand darf sagen.
Die Landsknecht wollen, wenn’s Zwölfe wird schlagen,
Alles morden und alles erschlagen.

Da horchten die Zecher hoch auf, und lief alsbald einer aufs Rathaus, ein anderer zum Glöckner, daß er nicht Zwölfe anschlage, ein dritter und vierter und fünfter zu den Zünften, und kamen den Rotmänteln zuvor. Hernachmals ist das Bild des Knaben auf der Metzgerzunftstube hinter dem Ofen gemalt lange Zeit zu sehen gewesen.

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79. Das Pfaffenkäppchen

79. Das Pfaffenkäppchen

Zwischen schroff und steil überm Tal der Nahe zum Himmel sich aufgipfelnden Felskolossen werden jetzt die Trümmer der einst trotzigen Burgfeste Rheingrafenstein erblickt. Auf der Kauzenburg saß ein junger Rheingraf, jagdlustig, mutig, der wünschte sich eine Burg auf diesen ungeheuren Felsen, stattlich wie die Ebernburg und der Landstuhl der Sickinger, unnahbar dem Feinde – und mit solchen Wünschen weilte er einstens sehnend und sinnend in der Nähe der Felsriesen, deren Gipfel noch kein Mensch erstiegen hatte. Da gesellte sich einer zu ihm, den man nicht gern nennt, der las in des jungen Rheingrafen Seele den Wunsch und redete ihn an und sprach: Eine Burg da droben, eine schöne stattliche, feste, ja, die wär‘ Euch recht! Nicht so? Fehlt nur der Baumeister – ja – und wenn einer käme, und baute sie über Nacht – dem verschriebet Ihr wohl einen stattlichen Lohn? Was gäbet Ihr solchem? Sagt es an! – Ihr redet wunderlich, erwiderte der Rheingraf. Seid Ihr der Mann, der das vermag, so fordert und bestimmt den Lohn. – Nur eine einzige Seele – die Seele dessen, der zuerst durchs Fenster der neuen Burg herab ins Tal der Nahe und über alle die Täler und Berge ausschaut – das ist wohl wenig für eine stattliche Grafenburg. Kommt heute abend wieder her, ich will es in Überlegung ziehen! sagte der Rheingraf und verließ gedankenvoll den Ort – eine Seele seinem Wunsche zu opfern, dünkte ihm sündlicher Frevel, und doch war sein Wunsch stark und groß. Daheim ließ er seinen Burgpfaffen kommen und offenbarte dem den Handel. Der Pfaffe schlug viele Kreuze und riet ernstlich ab, warnte gar treu vor des bösen Feindes List und Tücken und rückte sein schwarzes Käppchen auf dem Scheitel wohl hin und her. Da trat des Rheingrafen junges Ehegemahl herein und hörte das Gespräch und ließ erst den Pfaffen hinausgehen, dann sagte sie: Laß jenem nur gewähren, versprich ihm, was er begehrt, das andere findet sich. – Da ritt der Ritter wieder hinaus ins Nahetal und hielt ganz allein am Fuß der Felsen, und es dämmerte schon, oben aber sprang eine schwarze Gestalt von Fels zu Felsen, einer Gemse gleich, und mit einem Male stand der Fremde auch unten im Tale. Was machtest du da droben? fragte der Ritter. Ich nahm einstweilen die Maße, antwortete jener und fragte: Nun, soll ich? Fast hätte der Rheingraf gesagt: In Gottes Namen – da wäre es gleich aus gewesen – er besann sich und sagte bloß: Ja – aber bis morgen früh fertig, und daß nichts fehle, Bergfried, Mushaus, Palas, Luginsland, Mauern, Brücken, alles, was zu einer stattlichen Burg gehört. – Am andern Morgen glänzte die Burg flammenrot ins Nahetal herab, alle Welt war erstaunt, solch Wunder- und Zauberwerk war noch nicht da gewesen. Der Rheingraf ritt nun hinauf, und der Architekt der Nacht führte ihn in dem neuen herrlichen Eigentum umher, zeigte ihm Hallen und Säle, Brücken und Gänge und öffnete im Palas ein hohes Bogenfenster, die herrliche Aussicht bewundern zu lassen. Aber der Ritter sah nicht hinaus, er sagte spöttisch: Machet zu, hier zieht’s, wir sind warm vom Steigen. Morgen wollen wir die Kauzenburg verlassen und hier heraufziehen. Ihr räumt wohl den Platz und nehmt ein Zimmer im Wächterturme? Nicht? – Der Teufel zog ein schiefes Maul, er hatte sich schon unendlich darauf gefreut, dem Rheingrafen einen Stoß aus dem Fenster in die schwindelnde Tiefe zu geben und mit dessen Seele davonzufahren.

Am andern Morgen kamen der Rheingraf und die Gräfin, und der Burgkaplan, und das Hofgesinde, die Leibdiener, die Jäger, die Knappen, die Stallleute, die Wächter, die Hundejungen, die Hühnerwärter, die Schloßmägde, die Käsemutter, die Zwergin und die Pferde, die Kühe, die Esel, die Rüden, der Meeraffe, die Katzen. Es war ein Zug, schier gleich dem des Erzvaters Noah, da er in den Kasten einging, zu Roß, zu Esel, zu Wagen – alles auf das neue Schloß.

Die junge Gräfin scherzte freundlich mit dem Burgkaplan, da droben werde es sehr zugig sein, sie wolle ihm ein wärmeres Käpplein nähen, er möge ihr das alte zum Muster einmal leihen – und als sie oben angelangt war, ließ sie durch die Knappen auch ein Eselfüllen hinauf in den Palas führen, und hieß es halten, und band ihm das Pfaffenkäpplein auf den Kopf, und ließ das Fenster öffnen und das Füllen daranstellen, das schaute gar fromm und bedächtiglich zum Fenster hinaus und spitzte die Ohren und witterte die frische Morgenluft. Der Teufel hatte lange schon still lauernd seitwärts gegenüber auf der Turmzinne gesessen, jetzt sah er das Fenster sich öffnen, sah des Pfaffen ihm wohlbekanntes Käppchen zum Vorschein kommen, und fuhr im Nu hin, und krallte seiner Meinung nach den Pfaffen heraus, und schmetterte ihn ins Tal, und fing die Seele auf. Herrgott, was der Teufel für einen Zorn hatte, als er von einer Tochter Evas sich überlistet sah und statt einer Pfaffenseele eine Eselsfüllenseele in den Klauen hielt! –

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799. Christnachtwunder

799. Christnachtwunder

Im Frankenlande herrscht gar mancher Aberglaube im Volke, und es hat dort so wenig gegen ihn geholfen, daß 1477 die Asche des Paukers von Niklashausen in den Main gestreut ward, als die Aufklärung der Philosophen, Pfarrer und Schulmeister vom Ende des vorigen Jahrhunderts an bis auf den heutigen Tag im ganzen übrigen Deutschland. In der Christnacht, wann es zwölfe schlägt, so glauben die Landleute, rede das Vieh in deutscher Menschensprache, und wer da lausche, der höre und verstehe, was ein Vieh zum andern sagt, und braucht nicht erst von der weißen Schlange gegessen zu haben wie der Graf Isang. Da war ein Bauer im Dorfe Riedenheim, einige Stunden von Niklashausen, der war neugierig, mocht‘ gar zu gern wissen, was das Vieh in der Christnacht für einen Diskurs führen würde, und barg sich unter die Krippe und lauschte. Und wie die Glocke zwölf schlug, so tat ein Ochs sein Maul auf und sprach zum Nachbarochsen: Du! heut über acht Tage wird unser Herr sterben! – Da antwortete der andere: Du! das geschieht ihm recht, dem Viehschinder! – und da fing der ganze Stall an vor Freude zu brüllen, aber weil die Uhr schon ausgeschlagen hatte, so hörte und verstand er nichts weiter als: Juhu! ju! ju! juhu! – Nun war aber besagter Bauer selbst der Herr und hatte genug gehört und verstanden, und nach acht Tagen lag er auf der Bahre.

Ein anderes Christnachtwunder in Franken, an welches starker Glaube herrscht, ist, daß mit dem Schlage zwölf der Mitternachtstunde, solange die Glocke dröhnt, Wein anstatt Wassers aus jedem Brunnen springe. Gar wunderselten aber wagt es einer oder eine, sotanes Wunder zu erproben. Nun war einmal in demselben Dorfe Riedenheim eine vorwitzige Magd, die wagte es, in der Mitternachtsstunde der Christnacht an den Brunnen zu gehen und während des Stundenschlages ihre Butte zu füllen. Freudezitternd trug sie die Butte nach Hause, da begegnete ihr ein schwarzer Mann, der hatte eine rote Feder auf dem Hut und feurige Augen, faßte die Magd hart an und sprach zu ihr:

In deiner Butte trägst du Wein,
Für deine Sünde bist du mein! –

faßte sie, riß ihr die Butte vom Rücken, die man am andern Morgen leer auf der Straße liegend fand, und fuhr mit ihr durch die Lüfte von bannen.

Ähnliches erzählt man sich im Dorfe Weinheim an der Bergstraße. Alldort stritten sich zwei Bürger über die Wahrheit oder Unwahrheit des Volksglaubens, daß in der zwölften Christnachtstunde Wein aus dem Brunnen fließe. Darauf wurden sie einig, der Knecht des einen solle am Brunnen stehen und die Probe machen, sie aber wollten im nahen Hause am Fenster lauschen. Die Nacht kam, der Brunnen lief, der Knecht stand und probte von Zeit zu Zeit. Wasser!

rief er dann jedesmal. Wasser! Wasser! – Jetzt schlug die Glocke zwölf. Ach! jetzt lauft Wein! rief der Knecht und hatte einen prächtigen Schluck getan. Und du bist mein! rief hinter ihm eine schwarze Gestalt, griff ihn und verschwand mit ihm.

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800. Die Rüden von Collenberg

800. Die Rüden von Collenberg

Überall, wo in einem Geschlechtsnamen eine Andeutung auf Welflin, Hunde, Rüden und dergleichen begegnet, hat die Sage ihr lebendiges Schaffen begonnen und ihr Netz gesponnen. Am rechten Ufer des Mainstromes, eine Strecke unter Wertheim, zeigt sich noch das Trümmerschloß Collenberg. Darauf hauste einst ein Ritter rauher Art, hart, geizig, mürrisch, menschenfeindlich gesinnt. Um so besseren Sinnes war seine Hausfrau, sanft, liebevoll, duldsam, nachgiebig – dafür hatte sie es auch, gleich vielen andern guten Frauen, die solche nichtsnutzige Männer haben, herzlich schlecht, zumal sie ihrem Manne den gehofften Erben nicht schenkte. Da trat einstmals ein Bettelweib den Ritter an, die hatte sechs Söhne bei sich, wie die Orgelpfeifen und alle frisch und rotwangig wie Borsdorfer Äpfelchen. Da nun das Weib mit ihren sechs Jungen den Ritter flehentlich anbettelte, da ergrimmte er über ihren Anblick und schrie sie an: Weib! Du bettelst und hast sechs Rangen, denen man keinen Hunger ansieht! Da muß die Hölle platzen! Gleich pack dich zu allen Teufeln mit deiner Brut, die der Teufel an den Galgen führe! Ich habe keinen einzigen Sohn, und du Nichtsnutz hast sechs Freßmäuler, die dem lieben Herrgott die Tage abstehlen! – Schön! entgegnete das Bettelweib mit einem bösen Blick. Wir bedanken uns, Herr Ritter, für die guten Wünsche! Ich wünsch‘ Euch auch etwas! Ich wünsch‘ Euch zwölf Jungen auf einmal! Ich wünsche, daß sie Euch arm fressen, bettelarm, wie ich – daß ihr selber Gaben heischen müßt und lernt, wie Bettelbrot schmeckt, und wie solche Worte schmecken! Da muß die Hölle platzen! – Der edle Herr von Collenberg war ganz versteinert über des Weibes unerhörte Frechheit, er suchte nach seinem Schwert, hatte aber keins anhängen, rief nach seinen Dienern, seinen Hunden, war aber keiner zur Stelle, und das Weib und ihre Buben hatten flinke barfuße Beine, mit denen sich’s weit leichter und schneller läuft als in Stiefeln oder Schuhen. – Und nach Jahresfrist hatte Gott den Leib der Frau des Ritters von Collenberg gesegnet, und sie gebar zwölf Söhne auf einmal. Da fiel dem Ritter die Verwünschung der Bettlerin ein, und war ihm bei seinem Geiz mächtig bange, das Dutzend möchte ihn arm essen, gab daher heimlich Befehl, die Knäblein bis auf eins gleich jungen Rüden ins Wasser zu tragen. Aber das wollte Gott nicht, und es ging wie bei den acht Knäblein des Grafen von Querfurt und bei den Hunden von Wenkheim, nur daß dort die Mütter aus Furcht unmenschlich grausam waren, hier aber der Vater aus nichtswürdigem Geiz: die Knäblein wurden durch Gottes Hand und Willen am Leben erhalten, und da sie erwachsen waren, kamen sie allzumal und wurden die Rüden geheißen, und war ein mannlich Geschlecht, das den Collenberger arm zehrte und seine Besitzungen gewann. Nachher nahmen sie von der Burg ihres Vaters den Namen an Rüden von Collenberg.

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801. Geistermette zu Karlstadt

801. Geistermette zu Karlstadt

Geistermette zu Karlstadt

Zu Karlstadt am Main geschah es einst, daß eine fromme Magd in einer Adventsnacht erwachte und zur Mette läuten hörte. In der Meinung, es sei Zeit ins Rorate (Besprengung mit dem Weihwasser), zog sie sich an und ging in die Kapuzinerkirche. Unterwegs noch vernahm sie das Geläute; als sie an die Kirche kam, wurde darin zur Orgel gesungen, und die Fenster waren hell erleuchtet. Sie ging durch die offene Tür hinein, es war am ersten Segen, und sie kniete schnell in einen Betstuhl. Später fiel es ihr auf, daß andere Lieder als die gewöhnlichen gesungen wurden; sie schaute umher und erkannte jetzt in dem Priester und in mehrern andern Verstorbene aus dem Orte und merkte nun, daß sie unter lauter solchen sich befinde. Voll Schrecken floh sie aus der Kirche, und kaum war sie vor der Türe, so schlug es Mitternacht. Da mit einemmal verstummte in der Kirche Gesang und Orgel, die Lichter erloschen, und ein Windstoß warf die Türe zu.

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802. Karlstadter Streiche

802. Karlstadter Streiche

Auch Karlstadt am schönen Main hat die Ehre, in den Kranz der Orte zu gehören, denen Scherz und Sage absonderliche Lalenstreiche aufbürden, gleich den Wasungern und vielen andern, trotzdem, daß schon Karl Martell die Karlsburg über dem Städtlein erbaut haben soll. Freilich ist auch hier vieles, wie bei den meisten andern, nur ein Widerhall aus dem Lalenbuche, anderes ist oft gerade deshalb, weil es eigentümlich, nicht wohl ausführlich mitzuteilen. Der weise Rat, die vom Berge herabgefahrenen Garben wieder hinaufzuführen, weil das Herabwerfen schneller gehe, wiederholt sich anderwärts mit Holz; jener, welche Sorte Papier dem Fürstbischof von Würzburg bei seinem hochgnädigen Besuch in Karlstadt an den dritten Ort gelegt werden solle, könne und dürfe, der sich über Gebühr und Zeit in die Länge zog, ist einer von den eigentümlichen Streichen, zumal diese brennende Frage bis dato noch nicht entschieden sein soll.

Als die Schweden Würzburg erobert hatten und darin als Herren walteten und vieles mitgehen ließen, schien auch für Karlstadt deren Nahen unausbleiblich, daher ward in aller Eile der Schatz der Stadt in eine eiserne Truhe verschlossen und, gleich dem Nibelungenhort im Rhein, in den Main versenkt. Welches Zeichen die Nibelungen gemacht, den Hort dereinst wiederzuerlangen, wußten die Karlstadter nicht, welches sie aber machen sollten, das wußten sie. Sie schnitten in aller Eile in den Schelch, darauf sie den Schatz mitten in den Strom gefahren, an der Stelle, wo sie den Schatz hinabgesenkt, eine tiefe Kerbe und fuhren dann fröhlich wieder zum Ufer. Der Schatz war gut geborgen. Als der Schwede kam, fand er ein leeres Nest, und als er fort war, fanden die Karlstadter wohl die Kerbe im Schelch, aber den Schatz, den fanden sie nicht wieder.

Wie sie das blecherne Männlein an der Uhr kuriert haben, das ist auch so eine Geschichte, die sie nicht gern erzählen hören, darum mag sie auch hier unerzählt bleiben.

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787. Das Herrenbild

787. Das Herrenbild

Lange bevor der Erbauer des Jagdschlosses zu Hessenthal daselbst eine Kapelle baute, stand ein Kapellchen über dem Ort auf einem Berge. Hessenthal hat seinen Namen nicht von Hessen, es hieß ursprünglich Häslenthal von den vielen Haselnußbäumen (Häslen), die dort wachsen. Das bezeugt noch ein gar nicht alter Bildstock auf der Hohenwart, einem Waldberge über Aschaffenburg, über den auch der wilde Jäger zieht, und wo feurige Männer spuken. Da könnte einer auch schreien: Halbpart auf der Hohenwart – wie jener Wanderer im Valleidatale bei Saalfeld, und würd‘ ihm am Ende auch ein Hinterviertel von einem verruchten Wild zufliegen. Hans Spatz aber, der einstmals nachts darüberging, die wilde Jagd brausen hörte und feurige Männer sich miteinander schlagen sah, daß die Funken umherstoben, und sah Raben mit tollem Kreischen eine Schlacht aufführen, schrie nicht also, sondern gelobte zitternd und bebend einen Bildstock für die heile Haut, die er gar zu gerne heimtragen mochte. Und die lieben Gottesheiligen schützten ihn, daß er heil heimkam, und er ließ dankbar den Bildstock aufrichten und seinen Namen hineinmeißeln: Hans Hénrich Spatz von Heslendahl 1745.

Von Hessenthal führte früher die alte Straße nach Oberbessenbach durch tiefen öden Wald. Ein Postknecht ritt seine Pferde von Aschaffenburg nach der Station zurück, es war Nacht, und er schlief. Da standen plötzlich die Pferde, aus dem nahen Busche drang ein Ruf, und lichter Schimmer leuchtete dort, woher die wundersame Stimme drang. Der Postknecht stieg ab, ging mutig auf die Stelle zu und fand tief im Buschwerk vernachlässigt, moosüberwachsen und altergrau ein Muttergottesbild aus Holz. Treulich erhob er dasselbe, säuberte es, trug es heraus und stellte es auf einen Steinhaufen am Wege, denn es mitzunehmen, dazu war es zu schwer. Es dauerte nicht lange, so taten sich einige fromme Herren zusammen und erbauten dem Bilde eine kleine Kapelle, und das Bild tat Wunder, und die Hessenthaler gingen hinauf und beteten dort. Da nun die Echter in Hessenthal die Kapelle erbauten, zogen die Bewohner hinauf und trugen das Gnadenbild herab in die neue geweihte Kapelle. Allein das Herrenbild – so ward und wird es noch genannt – machte es wie jenes auf der Milseburg im Rhöngebirge und jenes am Räti und kehrte wieder an seinen Ort zurück. Dreimal holten die Hessenthaler das Bild in ihre neue, schöne Kapelle, und an jedem Morgen stand es wieder droben in dem alten einfachen Kapellchen. Da gelobten die Hessenthaler, wenn das Bild bei ihnen bleiben wollte, so wollten sie es alljährlich auf den Pfingstmontag in feierlicher Prozession hinauf auf den Berg tragen. Diesen Akkord hat hernach das Bild eingegangen, und geschieht noch also.

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788. Die Garnkocherin

788. Die Garnkocherin

Zu Hessenthal, das so recht mitten im Schoß des Spessart liegt, steht in einer großen offnen kapellenartigen Halle das Bildwerk einer Kreuzigung mit reicher Gruppierung auf einem dreißig Fuß langen und neun Fuß hohen Piedestal. In der Mitte desselben, unter dem mittleren Kreuze, ist an der Vorderseite eine eingehauene zweikantige Vertiefung in den Stein. Hält man nun hier den Kopf hinein, so vernimmt man ein Brausen, ähnlich dem Strudeln kochenden Wassers. Hierüber geht diese Sage. Es standen früher an diesem Platze zwei Hütten. Die Bewohnerin einer derselben kochte am Pfingstmontage, wo man das Marienbild in Prozession zum Berge trug, Garn, um es zu bleichen. Ihre Nachbarsfrau, die es sah, sagte zu ihr: Was! Du kochst heute am Pfingstmontag Garn? – Allein jene gab ihr zur Antwort: Pfingstmontag hin, Pfingstmontag her, mein Garn muß gekocht sein. – Und alsbald sank sie unter furchtbarem Getöse samt ihrer Hütte unter die Erde. Seitdem vernimmt man nun hier das brodelnde und strudelnde Getöse, das an Pfingstmontagen immer stärker ist als an andern Tagen, und hört aus der Tiefe ein jammerndes Ächzen. Aber die Höhlung hat die wunderbare Eigenschaft, Schwerhörige, die hineinhorchen, von ihrer Taubheit zu heilen.

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78. Der Affe zu Dhaun

78. Der Affe zu Dhaun

Hoch über dem Städtlein Simmern liegt der alte rheingräfliche Burgsitz Dhaun, das war ein gar stattliches und schönes Grafenschloß mit herrlichem säulengezierten Palas – und über dem Eingang zum Palas wird ein Wahrzeichen in Stein erblickt, ein Affe, der einem Kinde einen Apfel darbeut, von welchem Bilde diese Sage geht. Es hatte ein Burggraf ein junges Kind gehabt, das hatte eine Wärterin, die wiegte das Kindlein im schattigen Burghof, und da der Tag ein Sommertag und schwül war, so nickte sie ein, und als sie aufwachte, war das Kindlein aus der Wiege und fort. Da ward ihr angst und bange, denn wie sie es auch ringsum suchte und in alle Winkel lugte – es war und blieb verschwunden. Da schlug ihr der Schreck in alle Glieder, zitternd vor dem Zorn der Gräfin und des Grafen dachte sie nichts Besseres tun zu können, als ihr Leben zu retten, und stürzte in den Wald, um auch da vielleicht noch eine Spur zu finden. Da kam sie in ein dunkles Dickicht, und siehe, da saß der Affe, den der Graf hielt, und hatte den jungen Grafensohn auf seinen haarigen Armen und küßte ihn gar zärtlich und schaukelte ihn, legte ihn dann sanft auf ein Lager von Moos, bot ihm einen Apfel dar, und als es den nicht annahm, sondern einschlief, wehrte der Affe eine Zeitlang die Fliegen von ihm ab, und dann entschlief er selbst. Des war die Amme froh, schlich leise hinzu und nahm das Kind und trug es fröhlich wieder zur Feste Dhaun hinauf, wo schon alles unruhig war und nach ihr rief und suchte. Da verkündete sie laut die Tat des Affen, und die erst entsetzten, nun hocherfreuten Eltern beschlossen, dieselbe in Stein ausgehauen und überm Torbogen ihres herrlichen Palas verewigen zu lassen.

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789. Der Schellenberg

789. Der Schellenberg

Unweit Mespelbrunn in einem engen Tale steht ein alter viereckiger Turm, den bereits der Jahn der Zeit sehr benagte. In seinem Innern befindet sich noch eine Stiege von Stein, die unter die Erde führte. Hier soll sich ein Raubritter aufgehalten haben, der die ganze Umgegend unsicher machte. Von dem Turme aus ging ein Draht nach dem nahen Berge, an dessen Ende in dem Turm eine Schelle angebracht war. über den Berg selbst führte eine sehr lebhaft begangene und befahrene Straße, über diese war der Draht, leicht bedeckt, so geleitet, daß fast alle des Weges Kommenden ihn betreten mußten. Dann klingelte die Schelle, und der Räuber eilte auf einem Richtweg nach einer Stelle hin, wo er nun auf die Reisenden lauerte und ihnen ihre Last leichter machte; davon wird dieser Berg und Turm noch immer der Schellenberg genannt.

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