Zweites Kapitel


Der Hochlandsadvokat

Mr. Charles Stuart, der Anwalt, wohnte am Ende der längsten Treppenflucht, die Maurer je gebaut; fünfzehn verschiedene Stiegen, nicht eine weniger; und als ich seine Tür erreichte, die ein Schreiber mir öffnete, um mir zu sagen, daß sein Herr zu Hause sei, besaß ich kaum noch Atem genug, meinen Dienstmann zum Teufel zu schicken.

»Fort mit Euch nach Ost und West!« sagte ich, nahm ihm den Geldsack ab und folgte dem Schreiber.

Der äußere Raum war ein Bureau mit einem Tisch voller Papiere, vor dem des Schreibers Stuhl stand. Im inneren Zimmer, das in das äußere mündete, saß ein energischer kleiner Mann brütend über einem Schriftsatz, von dem er bei meinem Eintritt kaum aufsah: ja, sein Finger blieb an der richtigen Stelle liegen, als habe der Mann die Absicht, mich sofort wieder hinauszuwerfen und zu seinen Studien zurückzukehren. Das behagte mir schon wenig genug; aber schlimmer noch war, daß der Schreiber, meiner Ansicht nach, alles, was zwischen uns vorging, deutlich hören konnte. Ich fragte den kleinen Mann, ob er Mr. Charles Stuart, der Anwalt, sei. »Der nämliche,« sagte er, »und wer seid Ihr, falls die Frage ebenso angebracht erscheint?«

»Ihr werdet weder meinen Namen kennen von mir selber gehört haben,« sagte ich, »aber ich bringe Euch einen Ausweis von einem Freunde, der Euch wohl bekannt ist. Der Euch wohl bekannt ist,« wiederholte ich und senkte die Stimme, »von dem zu hören Ihr aber gegenwärtig vielleicht nicht gerade erbaut sein werdet. Das kleine Geschäft, das ich Euch heute vorzuschlagen habe, ist mehr privater Natur. Kurz, mir wäre lieb, zu wissen, daß wir ganz unter uns sind.« Er erhob sich ohne weitere Worte, warf seine Papiere mit der Miene eines Mannes hin, der sehr schlechter Laune ist, und schickte den Schreiber auf einen Botengang, indem er hinter ihm die Tür schloß.

»Jetzt, Sir,« sagte er zurückkehrend, »sprecht frei von der Leber weg und fürchtet nichts mehr«; und plötzlich fuhr er fort – »obwohl mir Schlimmes schwant, noch ehe Ihr angefangen habt! Ich erkläre Euch von vorneherein, Ihr seid entweder ein Stuart oder von einem Stuart geschickt. ‚S ist ein guter Name und obendrein einer, den zu schmähen meines Vaters Sohn schlecht ansteht. Doch mich gruselt’s schon, wenn ich ihn nennen höre.«

»Mein Name ist Balfour,« sagte ich, »David Balfour von Shaw. Und was den, der mich sandte, betrifft, so will ich seinen Ausweis für mich reden lassen.« Und ich zeigte ihm den silbernen Knopf.

»Steckt ihn in die Tasche, Sir!« rief er. »Ihr braucht keinen Namen zu nennen. Der Satanskerl von einem Querkopf, ich kenne seinen Knopf! Der Teufel hol ihn! Wo steckt er jetzt?«

Ich sagte ihm, ich wüßte nicht, wo Alan sich aufhielte, aber er hätte irgendwo am Nordufer ein Versteck, in dem er sicher wäre (oder sicher zu sein glaube), und wo er bleiben wolle, bis man ihm ein Schiff ausfindig gemacht hätte. Und dann wiederholte ich seine Anweisungen, wo und wie man mit ihm sprechen könnte. »Ich war immer schon überzeugt, daß ich für meine Familie einmal baumeln würde,« rief Mr. Stuart, »und bei Gott, ich glaube, jetzt sind wir so weit! Ihm ein Schiff ausfindig machen, sagt er? Und wer soll dafür bezahlen? Der Bursche ist toll!«

»Das ist meine Sache, Mr. Stuart«, antwortete ich. »Hier ist ein Beutel Geld, und wenn mehr gebraucht wird, ist dort, wo dieses herkommt, mehr zu haben.«

»Nach Eurer Partei brauche ich nicht erst zu fragen«, meinte er. »Das braucht Ihr nicht,« sagte ich lächelnd, »denn ich bin ein so guter Whig, wie Ihr nur einen finden könnt.«

»Sachte, sachte«, versetzte Mr. Stuart. »Was soll das heißen? Ein Whig? Weshalb seid Ihr dann mit Alans Knopf zu mir gekommen? Und was für einen Teufelshandel treibt Ihr hier, Mr. Whig? Da ist ein landflüchtiger Rebell und angeklagter Mörder mit einem Preis von 200 Pfund auf seinen Kopf, und Ihr verlangt von mir, daß ich mich in seine Angelegenheiten mische, und erzählt mir dann, Ihr wäret ein Whig? Ich will nichts wissen von solchen Whigs, obwohl mir schon genug dergleichen über den Weg gelaufen sind.« »Der Mann ist zwar ein landflüchtiger Rebell, – leider –,« sagte ich, »aber er ist mein Freund. Ich wünsche nur, daß er besser beraten wäre. Und auch des Mordes ist er zu seinem Unglück angeklagt; aber zu Unrecht angeklagt.« »Ihr behauptet es wenigstens«, war Stuarts Entgegnung.

»Ihr werdet mich gleich noch mehr behaupten hören«, rief ich. »Alan Breck ist unschuldig und James gleichfalls.« »Ah!« sagte er, »die beiden Fälle hängen zusammen. Steckt Alan drin, kann James nicht draußen sein.« Hierauf erzählte ich ihm in aller Kürze von meiner Bekanntschaft mit Alan und von dem unglücklichen Zufall, der mich zum Zeugen des Appiner Mordes machte, von den verschiedenen Stationen unserer Flucht durch die Heide und von der Rückgewinnung meines Vermögens. »Und nun, Sir, wißt Ihr die ganze Folge der Ereignisse«, schloß ich, »und könnt selber sehen, wie es kommt, daß ich so tief in Eurer Verwandten und Freunde Angelegenheiten verstrickt bin, von denen ich (zu unser aller Wohl) wünschte, sie wären einfacher und weniger blutig. Ihr seht selbst, daß ich gewisse Dinge zu erledigen habe, die ich kaum dem ersten besten Anwalt vorlegen konnte. Nun bleibt nur noch übrig, Euch zu fragen, ob Ihr Euch meiner Sache annehmen wollt?« »Ich habe nicht sonderlich viel Luft dazu; da Ihr aber mit Alans Knopf zu mir kommt, bleibt mir wohl keine Wahl«, sagte er. »Welches sind Eure Instruktionen?« fügte er, nach der Feder greifend, hinzu. »Das Wichtigste ist, Alan aus dem Lande zu schmuggeln,« sagte ich, »aber das brauche ich wohl nicht zu wiederholen.«

»Ich werde es schwerlich vergessen«, meinte Stuart. »Das Nächste betrifft das bißchen Geld, das ich Cluny schulde«, fuhr ich fort. »Es würde mir schwerfallen, Mittel und Wege zu finden, es ihm zu übermitteln, doch Euch müßte es ein leichtes sein. Es waren zwei Pfund, fünf Shilling und anderthalb Pence Sterling.« Er notierte sich die Summe. »Dann«, sagte ich, »ist da ein Mr. Henderland, ein konzessionierter Prediger und Missionar in Ardgour, dem ich recht gerne ein wenig Schnupftabak zuwenden würde; und da ich vermute, daß Ihr mit Euren Freunden in Appin in Verbindung steht und Appin doch dicht dabei liegt, ist das ein Geschäft, das Ihr zweifellos mit dem anderen übernehmen könnt.« »Wieviel Tabak soll es sein?« fragte er.

»So an die zwei Pfund, dachte ich.«

»Zwei«, wiederholte er. »Dann ist da noch ein Mädel, Alison Hastie zu Limekilnes,« sagte ich, »dieselbe, die mir und Alan den Übergang über den Forth ermöglichte. Ich hatte gedacht, ihr ein gutes Sonntagsgewand zu kaufen, wie sie es in ihrem Stande in Ehren tragen könnte. Das würde mein Gewissen erleichtern, denn, um die Wahrheit zu sagen, schulden wir ihr unser Leben.« »Ich freue mich, zu sehen, daß Ihr sparsam seid, Mr. Balfour«, sagte er, es sich notierend.

»Ich würde mich schämen, es am ersten Tage meines Wohlstandes nicht zu sein«, entgegnete ich. »Und wenn Ihr mir jetzt die Auslagen samt Euren eigenen Gebühren zusammenrechnen wolltet, würde ich mich freuen, zu erfahren, ob ich noch ein wenig Geld zum Leben zurückerhalte. Nicht daß ich ungern das Ganze dransetzen würde, um Alan frei zu bekommen, oder daß es mir etwa an mehr gebricht; aber nun ich an einem Tage so viel abgehoben habe, möchte es meines Erachtens einen recht mißlichen Eindruck machen, wenn ich mich am drauffolgenden gleich wieder meldete. Aber seht ja zu, daß es reicht,« setzte ich hinzu, »denn ich habe wenig Lust, Euch wiederzutreffen.« »Nun, es freut mich, daß Ihr auch vorsichtig seid«, sagte der Anwalt. »Aber ich meine, es ist doch ein wenig riskant, mir eine so große Summe anzuvertrauen.« Dies wurde mit verschleiertem Hohn gesagt. »Ich muß das Risiko tragen«, antwortete ich. »Ja, da ist doch noch ein weiterer Dienst, den ich von Euch erbitten möchte, und zwar, daß Ihr mir den Weg zu einem Logis weist, denn ich habe kein Dach über meinem Kopf. Aber es muß ein Logis sein, auf das ich auch zufällig gestoßen sein könnte; denn es geht ganz und gar nicht, daß der Lord Staatsanwalt von unserer Bekanntschaft erfährt.«

»Darüber könnt Ihr völlig beruhigt sein«, erklärte er. »Ich werde ihm Euren Namen niemals nennen, Sir; und meine Meinung ist, man kann dem Lord Staatsanwalt immerhin noch gratulieren, daß er von Eurer Existenz nichts weiß.«

Ich sah, ich hatte den Mann falsch angefaßt.

»Dann steht ihm noch ein guter Tag bevor,« sagte ich, »denn nicht später als morgen, wenn ich ihn besuchen werde, muß er davon erfahren, und wäre er taub.« »Wenn Ihr ihn besucht!« wiederholte Mr. Stuart. »Bin ich toll oder seid Ihr’s? Was wollt Ihr beim Staatsanwalt?« »Oh, nichts Besonderes, nur mich ihm stellen«, lautete meine Antwort. »Mr. Balfour,« rief er, »haltet Ihr mich zum Narren?«

»Nein, Sir,« erwiderte ich, »obwohl ich der Ansicht bin, daß Ihr Euch mir gegenüber einige Freiheiten erlaubt habt. Aber ich gebe Euch ein für allemal zu verstehen, daß ich nicht zum Scherzen aufgelegt bin.« »Ich auch nicht«, erwiderte Stuart. »Und ich gebe Euch zu verstehen (wenn es wirklich in diesem Tone weitergehen soll), daß mir Euer Benehmen immer weniger gefällt. Ihr kommt hierher mit den verschiedensten Ansinnen, die mich zu höchst zweifelhaften Handlungen veranlassen und mich auf lange Zeit hinaus mit einigen sehr wenig wünschenswerten Personen zusammenführen werden. Und dann erklärt Ihr mir, Ihr ginget von meinem Bureau aus schnurstracks zum Staatsanwalt, um mit ihm Euren Frieden zu machen. Alans Knopf hin und her, Alans Haxen und Hände werden mich nicht dazu bringen, mich weiter mit Euch einzulassen.« »Ich würde an Eurer Stelle die Sache mit etwas mehr Gleichmut hinnehmen«, sagte ich; »vielleicht können wir das vermeiden, wogegen Ihr Euch sträubt, obwohl ich keinen anderen Ausweg sehe, als mich freiwillig zu stellen. Vielleicht wißt Ihr indes einen besseren. Wenn Ihr’s könntet, will ich gar nicht bestreiten, daß mir viel wohler zumute wäre. Denn ich vermute, mein Handel mit Seiner Lordschaft dürfte meiner Gesundheit wenig zuträglich sein. Das eine ist klar: ich muß mein Zeugnis ablegen, denn ich hoffe, es wird Alans Ruf (wenigstens was davon übriggeblieben ist), und was wichtiger ist, James‘ Hals retten.«

Er schwieg eine kleine Weile, dann: »Mein guter Bursche, man wird Euch niemals gestatten, derartiges auszusagen.«

»Das werden wir noch sehen«, entgegnete ich, »ich bin ziemlich steifnackig, wenn’s mir drauf ankommt.«

»Esel, Riesenesel!« rief Stuart. »’S ist doch der James, den sie wollen; James muß hängen – Alan auch, wenn sie ihn erwischen können – doch James unter allen Umständen. Kommt dem Staatsanwalt nur mit irgendwelchen derartigen Sachen, und Ihr werdet sehen, er findet einen Weg, Euch einen Maulkorb anzulegen.«

»Ich habe eine bessere Meinung von dem Staatsanwalt als Ihr«, antwortete ich.

»Zum Henker mit dem Staatsanwalt!« rief er. »Es sind die Campbells, Mann! Ihr werdet die ganze Meute auf den Fersen haben, und der Staatsanwalt auch, armer Teufel! Es ist erstaunlich, daß Ihr nicht begreift, wo Ihr steht! Finden sie keinen geraden Weg, Euch das Maul zu stopfen, so haben sie einen krummen bei der Hand. Sie können Euch auf die Anklagebank bringen, seht Ihr denn das nicht ein?« rief er und bohrte mir seinen Finger ins Bein.

»Freilich,« erwiderte ich, »das Gleiche wurde mir erst heute morgen von einem anderen Anwalt gesagt.«

»Und wer war das?« forschte Stuart. »Zum mindesten hat er vernünftig gesprochen.«

Ich sagte ihm, er müsse es mir schon erlassen, einen Namen zu nennen, denn es wäre ein angesehener, überzeugter, alter Whig, der wenig Lust hätte, in derartige Angelegenheiten hineingezerrt zu werden. »Ich glaube, die ganze Welt ist darin verwickelt!« rief Stuart. »Und was habt Ihr darauf erwidert?«

Ich erzählte ihm, was sich vor dem Hause Shaw zwischen Rankeillor und mir zugetragen hatte.

»Nun, dann werdet Ihr hängen«, meinte er. »Ihr werdet neben James Stuart hängen. Da habt Ihr Euer Schicksal vorausgesagt!«

»Ich hoffe immer noch, daß es besser abgehen wird,« entgegnete ich, »doch habe ich niemals bestritten, daß ein Risiko damit verknüpft ist.«

»Ein Risiko!« wiederholte er und saß dann wieder schweigend da. »Ich müßte Euch von Rechts wegen für Eure Treue gegen meine Freunde, denen gegenüber Ihr eine so feste Gesinnung zeigt, danken,« sagte er. »Wenn Ihr nur die Kraft habt, bei der Stange zu bleiben. Aber ich warne Euch, Ihr watet in tiefem Wasser. Ich (ein geborener Stuart) würde mich für alle Stuarts seit Noah nicht an Eure Stelle setzen. Risiko? Ich laufe deren mehr als genug: doch vor einem Gerichtshof, zusammengesetzt aus Campbell-Geschworenen und Campbell-Richtern und obendrein in einer Campbell-Gegend und in einem Campbell-Streit – denkt von mir, was Ihr wollt, Balfour, es geht über meine Kraft.« »’S ist wohl ein Unterschied in der Denkungsart«, antwortete ich. »Ich wurde von klein auf in der meinigen von meinem Vater erzogen.«

»Ehre seiner Asche! Er hat seinen Namen einem braven Sohn hinterlassen«, erklärte er. »Und doch möchte ich nicht, daß Ihr allzu schlecht von mir denkt. Mein Fall ist verdammt verzwickt. Seht, Sir, Ihr sagt, Ihr seid ein Whig; ich frage mich, was ich eigentlich bin. Sicherlich kein Whig, das ist klar; justament ein Whig könnte ich nicht sein. Jedoch – lacht nur über mich – ich stehe vielleicht auch nicht ganz so scharf auf der anderen Seite.«

»Ist das wirklich wahr?« rief ich. »Genau das hätte ich bei einem Mann von Eurem Verstande angenommen.«

»Bah! Nichts von Euren Schmeicheleien!« rief er. »Verstand ist auf beiden Seiten. Aber ich privatim trage kein sonderliches Verlangen, König Georg eins auszuwischen; und was König Jakob – Gott segne ihn! – betrifft, so finde ich ihn für meinen Teil jenseits des Kanals ganz gut aufgehoben. Seht Ihr, ich bin ein Anwalt und liebe meine Bücher und einen guten Tropfen, ein rechtschaffenes Plädoyer, einen säuberlich aufgesetzten Schriftsatz, einen gelegentlichen Strauß mit den Herren Kollegen im Parlamentshaus und dann und wann an Samstagabenden ein Spielchen Golf. Nun frag ich Euch: Wo ist da Platz für Eure Hochlandsplaids und Schwerter?«

»Ja,« entgegnete ich, »’s ist wirklich wahr, Ihr habt wenig von einem wilden Hochländer an Euch.«

»Wenig?« echote er. »Gar nichts, Mann! Und doch bin ich dort geboren, und wenn der Clan pfeift – was hilft’s – da muß ich tanzen. ‚S ist, wie Ihr selber sagt: mein Vater hat’s mich so gelehrt, und ’ne nette Tätigkeit hat er mir zugeschanzt! Hochverrat und das Herein- und Herausschmuggeln von Hochverrätern; und die französischen Werbungen – hol sie der Henker! – Und das Durchschmuggeln der Rekruten; und erst die Prozesse! Der Teufel hole sie! Gerade hab ich wieder einen anhängig gemacht, für meinen Vetter, den jungen Ardshiel: Klage auf Rückgabe seiner Ländereien auf Grund eines Ehekontraktes – verpfändeter Ländereien! Ich sagte ihnen, es wäre ein Unsinn; was fragten sie schon danach! Und dann mußt ich mich hinter einen Gerichtsadvokaten stecken, dem die Sache genau so wenig gefiel wie mir, denn sie hat uns beide glatt ruiniert – gleich steht man auf der schwarzen Liste und bekommt einen Stempel ›Mißvergnügt‹ aufgebrannt, wie das liebe Vieh den Namen des Besitzers! Was soll ich dagegen tun? Ich bin ein Stuart, seht Ihr, und muß für meinen Clan und meine Familie einstehen! Erst gestern wurde wieder einer von unseren Burschen nach der Burg gebracht. Weswegen? Ich weiß es genau: Gesetz von 1736 – Rekrutierung für König Louis. Und Ihr werdet sehen – er wird nach mir pfeifen, damit ich seine Sache übernehme, und meine Reputation hat einen neuen schwarzen Fleck! Ich sag es Euch rundheraus: könnt ich den Kopf eines hebräischen Worts vom Schwanz unterscheiden, der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht die ganze Sache an den Nagel hinge, um Geistlicher zu werden!«

»Es ist wirklich eine ziemlich schwierige Lage«, bemerkte ich.

»Verdammt schwierig!« rief er. »Und gerade deshalb denk ich so hoch von Euch – der Ihr kein Stuart seid, – daß Ihr Euren Kopf so tief in eine Stuartsache steckt. Weshalb, weiß ich nicht: es sei denn, Ihr tätet’s aus Pflichtgefühl.«

»Ich hoffe, das ist der Grund«, sagte ich.

»Nun,« meinte er, »’s ist eine großartige Eigenschaft. Doch da kehrt mein Schreiber zurück, und wir wollen, mit Eurer Erlaubnis, alle drei einen Bissen essen gehen. Danach werde ich Euch die Adresse eines sehr ordentlichen Mannes geben, der Euch recht gern als Mieter aufnehmen wird. Und Eure Taschen werd ich Euch auch füllen, und zwar aus Eurem eigenen Beutel. Denn dies Geschäft hier wird lange nicht so kostspielig sein, als Ihr es Euch denkt – nicht einmal die Schiffsangelegenheit.«

Ich bedeutete ihm, daß der Schreiber in Hörweite wäre.

»Bah, Ihr braucht auf Robbie keine Rücksicht zu nehmen«, rief er. »Er ist auch ein Stuart, armer Teufel! und hat mehr französische Rekruten und rührige Papisten ‚rübergeschmuggelt, als er Haare im Gesicht hat. Robin selbst ist derjenige, der diesen Teil meiner Geschäfte besorgt. Wen haben wir zur Zeit bei der Hand, Robbie, um jemanden überzusetzen?« »Nun, da wäre Andie Scougal auf der ›Thristle‹«, entgegnete Robin. »Hoseason sprach ich erst vor kurzem, aber er scheint noch immer kein Schiff zu haben. Dann ist da auch noch Tam Stobo; aber ich bin mir Tams nicht so ganz sicher. Ich hab gesehen, wie er sich mit einigen recht zweifelhaften Bekanntschaften anbiederte; und wenn sich’s um jemand von Bedeutung handelt, würde ich den Tam übergehen.« »Der Kopf ist zweihundert Pfund wert, Robin«, sagte Stuart. »Potz Donner, ’s ist doch nicht etwa Alan Breck?« rief der Schreiber. »Niemand anders«, versetzte sein Herr. »Liebe Zeit! Das ist ’n ernster Fall«, rief Robin. »Ich will’s dann mal mit Andie versuchen; Andie ist schon der Richtige.« »Das scheint ja eine ganz schwierige Sache zu sein«, bemerkte ich. »Überhaupt nicht abzusehen, Mr. Balfour«, sagte Stuart. »Euer Schreiber nannte da vorhin einen Namen,« fuhr ich fort, »Hoseason, von der Brigg ›Covenant‹. Würdet Ihr dem vertrauen?« »Er hat nicht gut gegen Euch und Alan gehandelt,« meinte Mr. Stuart, »aber ich bin über den Mann im allgemeinen anderer Ansicht. Hätte er Alan auf einen Vertrag hin an Bord genommen, er hätte sich meiner Meinung nach als zuverlässiger Kontrahent gezeigt. Was meinst du, Robbie?« »Es gibt keinen Ehrlicheren im ganzen Schiffergewerbe«, erwiderte der Schreiber. »Ich würde auf Elis Wort schwören, und handelte es sich um den Chevalier2 und um Appin selbst«, fügte er hinzu.

»Er war’s doch auch, der den Doktor3 ‚rüberbrachte?« fragte sein Herr.

»Der nämliche«, war des Schreibers Antwort.

»Und ich glaube, er brachte ihn auch wieder zurück?« forschte Stuart.

»Jawohl, und zwar mit vollen Taschen«, rief Robin.

»Und Eli wußte davon.«

»Nun, es scheint, daß man sich in den Leuten nur schwer auskennt«, sagte ich.

»Das gerade hatte ich vergessen, als Ihr bei mir eintratet, Mr. Balfour«, schloß der Anwalt.

  1. Name für Prinz Charlie, den letzten Stuart.
  2. Dr. Cameron, der die Sekte der Cameronier gründete.

Neunundzwanzigstes Kapitel


Wir treffen uns in Dünkirchen

Alles in Allem war ich am folgenden Tage doch nicht so unglücklich, daß ich nicht auch hoffnungsfrohe und glückliche Minuten erlebte; ich warf mich mit ziemlichem Eifer auf meine Studien und beschloß, auszuharren, bis Alan käme oder bis ich durch James More Nachricht von Catriona erhielt. Ich empfing im ganzen drei Briefe in dieser Zeit unserer Trennung. Der eine kündete ihre Ankunft in der Stadt Dünkirchen in Frankreich an, von wo aus James More bald darauf in privater Mission allein weiterreiste. Sein Auftrag führte ihn nach England zu Lord Holderneß, und mir ist es von jeher ein bitterer Gedanke gewesen, daß mein gutes Geld mitwirkte, die Kosten hierfür zu bestreiten. Aber wer mit dem Teufel oder James More zur Nacht speiste, der bedurfte eines gar langen Löffels. In seine Abwesenheit fiel der Termin für einen zweiten Brief, und da diese Nachrichten eine Vorbedingung der Rente waren, hatte er sie sorgsam vorbereitet und Catriona zur Weiterbeförderung hinterlassen. Allein unsere Korrespondenz erregte ihren Argwohn; kaum war er fort, da erbrach sie das Siegel. Das Schreiben, das ich erhielt, begann daher in der Handschrift James Mores:

»Sehr geehrter Herr, Eure geschätzte Sendung traf pünktlich ein, und ich beeile mich, die Einlage laut Vereinbarung zu bestätigen. Es soll alles getreulich auf meine Tochter verwendet werden, die sich wohlauf befindet und ihrem teuren Freunde ihre Grüße schickt. Sie befindet sich zur Zeit in etwas melancholischer Verfassung, aber ich vertraue auf Gottes Gnade, sie bald wiederhergestellt zu sehen. Unser Leben ist sehr einsam; wir trösten uns indes mit den melancholischen Weisen unserer heimatlichen Berge sowie durch häufiges Wandeln an der Küste jener See, die Schottland zunächst gelegen ist. Das waren bessere Tage, als ich noch mit fünf Wunden am Leibe auf dem Feld von Gladsmuir lag. Beschäftigung habe ich gefunden in dem Gestüt eines französischen Edelmanns, wo meine Erfahrungen geschätzt werden. Aber, verehrter Sir, die Entlohnung ist so überaus unangemessen, daß ich mich schämen müßte, sie zu nennen, wodurch Eure Rimessen für meiner Tochter Bequemlichkeit um so notwendiger werden, obzwar der Anblick alter Freunde noch wohltuender wirken dürfte.

Ich verbleibe, mein teurer Sir, Euer anhänglicher, gehorsamer Diener, James MacGregor Drummond.«

Darunter stand in Catrionas Handschrift:

»Glaubt ihm nicht; es ist alles gelogen.

C. M. D.«

Ich glaube, sie fügte nicht nur dieses Postskriptum hinzu, sondern war nahe daran, den Brief zu unterschlagen, denn er traf, dem Datum nach, stark verspätet ein, und ihm folgte bald darauf der dritte Brief. Inzwischen war auch Alan gekommen; sein lustiges Geplauder schuf mir ein neues Leben; er hatte mich seinem Vetter von der Schottisch-holländischen Garde vorgestellt, einem Manne, der mehr trank als ich für möglich hielt, sonst aber uninteressant war. Ich wurde zu zahlreichen ausgelassenen Diners eingeladen und gab selbst einige lustige Essen – alles, ohne eine Milderung meines Kummers zu verspüren, und wir beide (will sagen Alan und ich und keineswegs der Vetter) erörterten lang und breit meine Beziehungen zu James More und seiner Tochter. Begreiflicherweise war ich nicht sehr bereit, Einzelheiten zu schildern, eine Abneigung, die durch die Art von Alans Kommentar nicht behoben wurde. »Ich kann nicht draus klug werden,« pflegte er zu sagen, »aber ich meine, du hast einen rechten Esel aus dir gemacht. Wenige Menschen besitzen mehr Erfahrung als Alan Breck, und ich kann mich nicht besinnen, je im Leben von einem Mädel gehört zu haben wie deines hier. Wie du die Sache erzählst, ist sie rein unmöglich. Du mußt die Angelegenheit hoffnungslos verpatzt haben. David.«

»Mitunter bin ich ganz deiner Meinung«, antwortete ich.

»Das Sonderbare ist, du scheinst an dem Mädchen eine Art Narren gefressen zu haben.«

»Den größten Narren von der Welt, Alan; ich glaube, ich werde ihn noch mit ins Grab nehmen.«

»Na, das geht über meinen Horizont!« waren seine Schlußworte.

Ich zeigte ihm den Brief mit Catrionas Postskriptum. »Da haben wir’s wieder!« rief er. »Unmöglich kann man dieser Catriona einen gewissen Anstand absprechen! Ja, und sie ist auch ganz gescheit! Was nun James More betrifft – der Mann ist so hohl wie eine Trommel – nichts als ein Bauch und leere Redensarten; obwohl ich nicht leugnen kann, daß er bei Gladsmuir tapfer gefochten hat, und was er von den fünf Wunden sagt, ist auch wahr. Aber das Schlimme an ihm ist – der Kerl ist hohl.«

»Du verstehst doch, Alan,« sagte ich, »es geht mir gegen den Strich, das Mädchen in solchen Händen zu lassen.«

»Schlechter könnten die Hände nicht sein«, gestand er. »Aber was willst du? Wenn sich’s um ’n Mannsbild und ’n Frauenzimmer handelt, liegt die Sache so, Davie: Verstand haben die Weiber überhaupt nicht. Entweder sie mögen den Mann, dann geht alles wie geschmiert; oder sie hassen ihn einfach, dann kannst du dir die Worte sparen – dann ist nichts zu machen. Es gibt nur diese zwei Arten – Weiber, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen, und Weiber, die nicht einmal den Boden ansehen, auf dem man steht. Andere gibt’s nicht, und du scheinst ein solcher Esel zu sein, daß du sie nicht einmal unterscheiden kannst.«

»Ja, ich fürchte, da hast du recht.«

»Und doch ist nichts leichter als das!« rief Alan. »Ich könnte dich’s ohne weiteres lehren, aber du scheinst mir blind geboren; das ist eben der Haken!«

»Kannst du mir wirklich nicht helfen, Alan? Du bist doch so klug in allen diesen Dingen!«

»Ja, weißt du, Davie, ich hab das Mädel nicht kennengelernt. Ich bin wie ein Feldoffizier, der als Beobachter und Eclaireurs nur Blinde hat. »Was soll man da machen? Ich meine eben, du hast irgendeine Riesendummheit begangen, und wenn ich du wäre – ich würde die Sache noch einmal in die Hand nehmen.« »Glaubst du wirklich, Alan, mein Junge?«

»Wirklich und wahrhaftig.« Der dritte Brief erreichte mich, als wir gerade in ein derartiges Gespräch vertieft waren; man wird gleich sehen, wie sehr er uns gelegen kam. James behauptete, um seiner Tochter Gesundheit, die meines Glaubens nach niemals befriedigender gewesen war, sehr besorgt zu sein. Er floß über von freundschaftlichen Beteuerungen und schlug schließlich vor, ich solle ihn in Dünkirchen besuchen.

»Ihr werdet zur Zeit die Gesellschaft meines alten Kameraden, Mr. Stuarts, genießen«, schrieb er. »Weshalb ihn nicht auf seiner Rückkehr nach Frankreich hierher begleiten? Ich habe ganz private Neuigkeiten nur für Mr. Stuarts Ohr. Zum mindesten würde ich mich sehr freuen, einen so ritterlichen Waffenbruder wiederzusehen. Und was Euch selbst betrifft, mein teurer Sir, so werden meine Tochter und ich stolz sein, unseren Wohltäter zu begrüßen, den wir als einen Bruder und Sohn betrachten. Der französische Edelmann hat sich als eine Person von so filzig geizigem Charakter erwiesen, daß ich mich genötigt sah, das Gestüt zu verlassen. Ihr werdet uns daher ein wenig kümmerlich in der ›Auberge‹ eines gewissen Bazin untergebracht finden; aber die Situation ist neu, und ich zweifle nicht, daß wir einige recht angenehme Tage verbringen werden, in denen Mr. Stuart und ich Erinnerungen aus der Zeit unseres Waffenhandwerks austauschen können, während Ihr und meine Tochter Euch in einer Eurem Alter entsprechenden Weise unterhalten möget. Zum mindesten ersuche ich Mr. Stuart, hierherzukommen; die Angelegenheit, die ich ihm zu eröffnen habe, ist von weittragender Bedeutung.«

»Was will der Mann von mir?« rief Alan, als er zu Ende gelesen hatte. »Was er von dir will, ist klar genug – Geld. Aber was schert ihn Alan Breck?« »Ach, es wird nur so eine Art Vorwand sein«, sagte ich. »Er hat immer noch diese Heirat im Kopf und will sie, koste es, was es wolle, durchsetzen. Dich bittet er, zu kommen, weil er glaubt, daß ich ohne dich erst recht nicht erscheinen werde.«

»Nun, ich wollte, ich wüßte, woher der Wind pfeift«, meinte Alan. »Er und ich waren niemals sonderlich gut Freund; wir knurrten einander an, wie so ein paar Dudelsäcke. ›Etwas privatim für mein Ohr‹ schreibt er! Ich werde vielleicht etwas privatim für seinen Hintern haben, bevor wir miteinander fertig sind. Potzdonner, das wäre doch ein sehr netter Spaß, hinzureisen und zu sehen, was er im Schilde führt! Außerdem lernte ich dann das Mädel kennen. Was meinst du dazu, Davie? Willst du Alan begleiten?«

Wie man sich denken kann, war ich nicht abgeneigt, und da Alans Urlaub sich seinem Ende näherte, brachen wir kurz darauf zu diesem gemeinsamen Abenteuer auf.

Es war dicht vor Dunkelwerden an einem Tage im Januar, als wir endlich in die Stadt Dünkirchen einritten. Wir stellten unsere Pferde in der Post unter und fanden einen Führer nach Bazins Gasthof, der außerhalb der Tore lag. Mittlerweile war es ganz Nacht geworden, wir waren die letzten, die aus der Festung hinausgelassen wurden und hörten, als wir die Brücke passierten, hinter uns die Tore ins Schloß fallen. Jenseits der Wälle lag eine erleuchtete Vorstadt, durch die zuerst der Weg führte, dann bogen wir in ein dunkles Gäßchen ein und mußten nach einer kleinen Weile in der Finsternis durch tiefen Sand waten, während Meeresbrausen an unser Ohr drang. So strebten wir eine Zeitlang vorwärts, hauptsächlich unseres Führers Stimme folgend, und ich dachte bereits, er hätte den Weg verloren, als wir die Spitze eines kleinen Hügels erklommen und vor uns aus der Dunkelheit ein schwacherleuchtetes Fenster auftauchen sahen. »Voilà l’auberge à Bazin«, sagte der Führer.

Alan schnalzte mit der Zunge. »Eine unheimlich einsame Gegend«, meinte er, und ich glaubte seinem Tone zu entnehmen, daß er nicht ganz zufrieden war. Bald darauf standen wir im Untergeschoß eines Hauses, das ein einziger Raum ausfüllte; eine Treppe führte hinauf zu den seitlich gelegenen Zimmern, Bänke und Tische standen an den Wänden, der Kochherd nahm das eine Ende des Gemaches ein, und Bordbretter mit Flaschen und eine Kellerfalltür befanden sich an dem anderen Ende. Hier erklärte uns Bazin, ein großer Bursche von zweifelhaftem Aussehen, der schottische Gentleman sei ausgegangen, wohin, wüßte er nicht, aber die junge Dame wäre oben; er würde sie herunterrufen.

Ich zog aus meinem Busen das Tuch mit dem fehlenden Zipfel und knüpfte es um meinen Hals. Ich vernahm dabei das Pochen meines Herzens und konnte, da Alan mir mit ein paar lachenden Worten auf die Schulter klopfte, kaum eine scharfe Entgegnung unterdrücken. Aber ich hatte nicht lange zu warten. Ich erkannte zu unseren Häupten ihren Schritt und sah sie die Treppe herunterkommen. Sie kam sehr ruhig und begrüßte mich ein wenig bleich und mit einer gewissen Intensität oder Unruhe in ihrem Gebaren, die mich außerordentlich dämpfte. »Mein Vater, James More, wird bald zurück sein. Er wird sich sehr freuen, Euch zu sehen«, sagte sie. Dann flammte plötzlich ihr Gesicht auf, ihre Augen leuchteten und das Wort blieb ihr auf den Lippen haften; ich war überzeugt, sie hatte das Halstuch bemerkt. Ihre Erregung dauerte nur einen Atemzug, aber mich dünkte, sie wandte sich mit besonderer Lebhaftigkeit Alan zu. »Und das ist sicherlich Euer Freund, Alan Breck?« rief sie. »Viele Dutzend Male hab ich von Euch erzählen hören; ich liebe Euch bereits dank Eurer Tapferkeit und Güte.«

»Ja, ja,« sagte Alan und hielt, den Blick auf sie geheftet, ihre Hand in der seinen, »da haben wir also endlich die junge Dame! David, ein Tausendkünstler im Beschreiben bist du nicht.«

Ich glaube, so geradewegs zu Herzen hab ich ihn nie reden hören; der Klang seiner Stimme war Musik in meinen Ohren. »Wie, hat er mich Euch beschrieben?« rief sie.

»Er hat wenig anderes getan, seit ich aus Frankreich gekommen bin!« entgegnete er. »Dazu kommt noch eine gewisse Nacht in Schottland in einem kleinen Gehölz bei Silvermills. Aber laßt nur, mein Kind, Ihr seid viel hübscher als er sagt. Und das eine ist klar: Ihr und ich, wir werden Freunde werden. Ich bin so eine Art Schatten von Davie hier, ein alter Köter an seinen Fersen: was er liebt, das muß ich auch lieben – und bei der Heiligen Schrift! – mich lieben müssen seine Freunde auch! So, nun wißt Ihr, wie Ihr mit Alan Breck steht, und Ihr werdet finden, verlieren tut Ihr an dem Handel nicht. Er ist nicht gerade hübsch, mein Kind, aber er ist denen treu, die er liebt.«

»Ich danke Euch von Herzen für Eure guten Worte«, sagte sie. »Ich habe so große Achtung vor einem tapferen, aufrechten Mann, daß ich nicht weiß, was ich Euch sagen soll.« Wir machten Gebrauch von dem Recht der Reisenden und setzten uns zu dritt, ohne auf James More zu warten, zu Tisch. Alan ersuchte Catriona, sich neben ihn zu setzen und ihm beim Essen aufzuwarten: er ließ sich von ihr das Glas kredenzen und umgab sie von Anfang bis zu Ende mit freundschaftlichen, galanten Aufmerksamkeiten, ohne mir auch nur den leisesten Grund zur Eifersucht zu bieten. Ja, er beherrschte so vollkommen das Gespräch und lenkte es in so launiger Weise, daß sie wie ich unsere Verlegenheit vergaßen. Wäre jemand dagewesen, uns zu beobachten, er hätte glauben müssen, Alan sei der altvertraute Freund und ich der Fremde. Wahrhaftig, ich hatte oft schon Gelegenheit gehabt, ihn zu lieben und zu bewundern, niemals aber liebte und bewunderte ich ihn mehr als in jener Nacht. Mir selbst sagte ich dabei (was ich mitunter zu vergessen neigte), daß er nicht nur große Lebenserfahrung, nein, auf seine Weise auch ein hohes Maß natürlicher Begabung besäße. Was Catriona betraf, so schien sie gänzlich hingerissen; ihr Lachen klang hell wie ein Glockenspiel, ihr Antlitz war so heiter wie ein Maimorgen; und ich gestehe, obwohl ich mich darüber freute, war ich doch ein wenig traurig, denn ich kam mir neben meinem Freunde langweilig und hölzern vor, kurz, kaum geeignet, in eines jungen Mädchens Leben einzugreifen, um womöglich gar ihre Daseinsfreude zu betäuben.

Allein, obschon das meine Rolle zu sein schien, hatte ich doch den Trost, sie nicht als einziger spielen zu müssen. James More kehrte unerwartet zurück, und das Mädchen war von diesem Augenblick an zu Stein verwandelt. Den Rest des Abends, bis sie unter irgendeinem Vorwand zu Bette ging, beobachtete ich sie ohne Unterlaß und kann bezeugen, daß sie auch nicht einmal lächelte, kaum ein Wort sprach und fast ständig vor sich hinstarrte. Wahrhaftig, ich mußte staunen, so viel hingebende Liebe (wie sie sie früher empfunden hatte) förmlich in krankhaften Haß verwandelt zu sehen.

Es erübrigt sich, von James More sonderlich viel zu sagen; man kennt ihn bereits zur Genüge, weiß, was es von ihm zu melden gibt; und ich habe es satt, von seinen Lügen zu schreiben. Genug, daß er sehr viel trank und uns sehr wenig Positives erzählte. Was das Geschäft mit Alan anbelangte, so sollte es bis morgen und für Alans Ohr allein aufgespart werden. Es ließ sich um so leichter verschieben, als Alan und ich von unserem Ritt ermüdet waren und nach Catrionas Aufbruch nicht mehr lange aufsaßen. Bald befanden wir uns allein in unserem Zimmer, wo wir uns in ein Bett teilen mußten. Alan blickte mich mit sonderbarem Lächeln an. »Du hoffnungsloser Esel, du!« sagte er. »Was soll das heißen?« rief ich. »Heißen? Was das heißen soll? Es ist erstaunlich, David, Junge, wie grenzenlos dumm du bist.« Wieder bat ich ihn, sich deutlich auszudrücken. »Nun, ich will dir das eine verraten: ich sagte dir bereits, es gäbe zwei Arten von Frauen – Frauen, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen und andere. Versuch jetzt mal selber dahinterzukommen, mein Junge! Aber was ist das für ein Tuch um deinen Hals?« Ich sagte es ihm. »Hatte ich mir doch was Ähnliches gedacht«, meinte er. Und mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, obwohl ich ihn lange noch mit Bitten bestürmte.

Dreißigstes Kapitel


Der Brief von dem Schiffe

Das Tageslicht zeigte uns die einsame Lage des Gasthofes, offenbar hart am Meere, aber von dort aus völlig unsichtbar, allseitig von räudigen Sandhügeln umgeben. Das einzige, was sich an Aussicht bot, waren über dem Rande einer Düne emporragend zwei Flügel einer Windmühle, die den Ohren eines verborgenen Esels glichen. Als ein Wind aufsprang (zuerst war die Luft totenstill gewesen), war es seltsam, die beiden großen Flügel über der Erderhöhung sich drehen und jagen zu sehen. Ein regelrechter Weg lief hier kaum vorbei; dagegen führten nach allen Richtungen zwischen den Dünen Fußpfade zu M. Bazins Tür. In Wahrheit betrieb der Mann zahlreiche Gewerbe, darunter jedoch kein einziges ehrliches, und die Lage seines Wirtshauses war für ihn die denkbar beste. Schmuggler gingen dort aus und ein; politische Agenten und Flüchtlinge vor dem Gesetze, die über das Meer setzen wollten, warteten hier auf die Überfahrt; und wahrscheinlich lauerte noch Düstereres hinter diesen Mauern, wo ganze Familien hätten ermordet werden können, ohne daß jemand Wind davon bekommen haben würde.

Ich schlief wenig und unruhig. Lange vor Morgengrauen hatte ich mich von meinem Bettgenossen fortgestohlen und wärmte mich bereits vor dem Feuer oder durch Aufundabgehen vor der Tür. Der Tag kam mürrisch und grau; bald jedoch sprang aus Westen ein Wind auf, der die Wolken zerteilte, der Sonne einen Weg bahnte und die Mühle antrieb. Etwas Frühlingshaftes lag in dem Sonnenschein, vielleicht lebte es auch in meinem Herzen, und der Anblick der mächtigen Flügel, die einer nach dem anderen hinter der Anhöhe auftauchten, erheiterte mich ungemein. Von Zeit zu Zeit hörte ich das Gehwerk knarren, und etwa um halb neun Uhr morgens begann Catriona im Hause zu singen. Da hätte ich vor Freude meinen Hut in die Luft schleudern mögen, und dieser traurige, öde Ort schien mir ein Paradies.

Trotzdem spürte ich, als der Tag älter wurde und keine Menschenseele dem Hause sich näherte, eine gewisse, mir selbst kaum erklärliche Unruhe. Ich witterte irgend etwas Böses; die Flügel der Windmühle glichen im Aufundniedertauchen Spionen, und abgesehen von aller Phantasie – Nachbarschaft wie Haus waren ein recht merkwürdiger Aufenthalt für eine junge Dame. Beim Frühstück, zu dem wir erst spät kamen, wurde es klar, daß James More sich in irgendeiner Gefahr oder Verlegenheit befand; ebenso klar war es, daß Alan es bemerkte und ihn scharf beobachtete. Zwischen dieser offenbaren Verstellung des einen und der Wachsamkeit des anderen saß ich wie auf glühenden Kohlen. Kaum war die Mahlzeit beendet, da schien James einen Entschluß zu fassen; er brachte allerlei Entschuldigungen vor von privaten Verabredungen in der Stadt (mit dem französischen Edelmann, wie er behauptete), und bat uns, ihn bis Mittag zu beurlauben. Inzwischen zog er seine Tochter in den fernsten Winkel des Zimmers, wo er anscheinend nachdrücklich auf sie einredete, während sie ohne sonderliche Bereitwilligkeit lauschte.

»Dieser Mann James gefällt mir immer weniger«, sagte Alan. »Etwas ist an diesem Manne James nicht ganz geheuer, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn Alan Breck ihn heute ein wenig im Auge behielte. Ich gäbe viel darum, diesen französischen Edelmann kennenzulernen, David; und ich meine, du selbst wirst auch wissen, was du zu tun hast, nämlich, dich bei dem Mädel nach dem Stand deiner Angelegenheit zu erkundigen. Rede mit ihr ganz offen, sag ihr, du wärest von Anfang bis zu Ende ein großer Esel gewesen; und dann, wenn ich du wäre und du brächtest es fertig, recht natürlich zu sein, würde ich ihr ein wenig vorschwindeln, ich befände mich in irgendeiner Gefahr; das wirkt immer auf die Weiber.« »Ich kann nicht lügen, Alan, ich bring’s nicht fertig, so was natürlich zu sagen«, spottete ich.

»Dummkopf«, erklärte er. »Dann kannst du ihr ja sagen, ich hätte es dir geraten; das wird sie zum Lachen bringen und ist wahrscheinlich das Nächstbeste. Aber behalte die beiden im Auge! Wenn ich mich des Mädels nicht so sicher fühlte und wüßte, daß sie von Alan sehr entzückt und mit ihm dick Freund ist – ich würde glauben, jene beiden hätten irgendeinen Hokuspokus vor.« »Ist sie wirklich so sehr von dir entzückt, Alan?« forschte ich.

»Sie schätzt mich ungemein«, sagte er. »Ich bin darin anders als du; ich weiß genau Bescheid. Das tut sie wirklich – schätzt Alan ungemein. Und meiner Treu – ich halte selbst ziemlich viel von mir, und mit deiner Erlaubnis, Shaw, werde ich einmal einen kleinen Spaziergang zwischen den Dünen machen, um zu sehen, in welche Richtung James gegangen ist.« Einer nach dem anderen verabschiedete sich, bis ich allein am Frühstückstische saß; James ging nach Dünkirchen, Alan heftete sich ihm auf die Fersen und Catriona begab sich nach oben auf ihr eigenes Zimmer. Ich verstand sehr gut, daß sie es vermied, mit mir allein zu sein; deswegen war ich aber nicht weniger unzufrieden und beschloß, sie mit List noch vor Rückkehr der beiden Männer zu einer Unterredung zu bewegen. Alles in allem erschien es mir das Gescheiteste, Alans Verhalten nachzuahmen. War ich erst zwischen den Sandhügeln verschwunden, so würde der schöne Morgen sie schon hervorlocken, und im Freien hatte ich meinen Willen.

Gesagt, getan; ich hatte noch gar nicht lange im Schutze einer Düne gewartet, als sie an der Haustür erschien und sich nach allen Richtungen umschaute. Da niemand zu sehen war, schritt sie auf geradestem Wege dem Meere zu, und ich folgte ihr. Ich hatte keine Eile, meine Gegenwart zu verraten; je weiter sie ging, um so länger mußte sie meiner Werbung lauschen, und bei dem sandigen Boden war es leicht, ihr geräuschlos zu folgen. Der Weg wurde steiler und mündete zuletzt auf einem Hügel. Von dort aus entrollte sich zum ersten Male vor mir in vollem Umfange die trostlose Öde, darin das Wirtshaus sich verbarg; nirgends ein Mensch oder Anwesen mit Ausnahme von Bazins Gasthaus und der Windmühle. Dicht hinter dem Hügel dehnte sich das Meer mit einigen Schiffen drauf, das Ganze hübsch wie eine Zeichnung. Eines dieser Fahrzeuge war für ein so großes Schiff ungewöhnlich nahe an Land gekommen, und mit argwöhnischem Schreck erkannte ich in ihm das »Seepferd«. Was hatte ein englisches Kriegsschiff so dicht an der französischen Küste zu suchen? Weshalb hatte man Alan in diese Gegend gelockt, an einen Ort weitab von jeder Hilfe? Und war es Zufall oder Absicht, daß die Tochter James Mores heute am Strande spazierenging?

Bald darauf trat ich, ihr immer noch im Rücken, hinter den Dünen auf den Strand hinaus. Es war ein langer öder Streifen, und etwa in dessen Mitte war eine Kriegsschiffjolle auf den Sand gezogen, während ein Offizier zur Bewachung und wie in Erwartung auf und ab patrouillierte. Sogleich ließ ich mich an einer Stelle, wo es mich fast bedeckte, in dem rauhen Grase nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Catriona schritt gerade auf das Boot zu; der Offizier begrüßte sie höflich; sie sprachen vielleicht zehn Worte miteinander, ich sah, wie ein Brief von Hand zu Hand ging, und Catriona befand sich bereits auf dem Rückwege. Gleichzeitig stach das Boot von neuem in See, den Schnabel auf das »Seepferd« gerichtet, als wäre damit seine Mission auf dem Kontinent erledigt. Ich bemerkte jedoch, daß der Offizier zurückblieb und zwischen den Hügeln verschwand.

Die Angelegenheit wollte mir wenig gefallen, um so weniger, je mehr ich darüber nachdachte. War es Alan oder Catriona, die der Offizier gesucht hatte? Jetzt näherte sie sich mir, den Blick gesenkt und den Sand betrachtend, ein so reizendes Bild, daß ich es nicht ertrug, länger an ihrer Unschuld zu zweifeln. Im nächsten Augenblick blickte sie auf und erkannte mich; sie schien zu zögern, dann schritt sie, wenn auch langsamer, näher, mit veränderter Farbe, wie mich dünkte. Bei diesem Gedanken schmolz alles, was mich bedrückte – Furcht, Argwohn und Sorge um meines Freundes Leben – dahin, und ich sprang auf und erwartete sie, trunken vor Hoffnung.

Im Näherkommen erwiderte ich ihr »Guten Morgen«, das sie mir ziemlich gefaßt bot.

»Könnt Ihr mir verzeihen, daß ich Euch gefolgt bin?« bat ich. »Ich weiß, alles was Ihr tut, geschieht in guter Absicht,« entgegnete sie und fügte ein wenig heftig hinzu: »Aber weshalb schickt Ihr jenem Manne Geld? Das darf nicht sein.« »Es war nicht für ihn bestimmt,« sagte ich, »sondern für Euch, Ihr wißt es ganz genau.«

»Aber Ihr habt auch kein Recht, es mir zu schicken,« antwortete sie. »David, das ist nicht recht.« »Es ist nicht recht, es ist von Anfang bis zu Ende unrecht,« sagte ich, »und ich bitte zu Gott, daß er diesem dummen Kerl (wenn möglich) helfen möge, es besser zu machen. Catriona, das ist kein Leben hier für Euch; verzeiht das Wort, das ich jetzt sage, aber Euer Vater ist nicht würdig, Euch zu hüten.« »Oh, nicht einmal seinen Namen sollt Ihr erwähnen!« war ihr Aufschrei. »Ich brauche auch nicht mehr von ihm zu reden; er ist es ja gar nicht, an den ich denke, oh, glaubt mir das! Ich bin jetzt die ganze lange Zeit in Leyden allein gewesen, und selbst während meiner Studien habe ich stets nur an das eine denken müssen. Dann kam Alan, und ich ging mit Offizieren zu ihren langen Zechereien, und immer noch dachte ich nur an das eine. Und so war es auch vordem, als ich Euch noch an meiner Seite hatte. Catriona, seht Ihr dieses Tuch an meinem Halse? Ihr habt den einen Zipfel abgeschnitten und ihn dann weggeworfen. Es sind jetzt Eure Farben; ich trage sie auf meinem Herzen. Oh, Liebe, ich kann nicht ohne Euch sein. Oh, versucht doch, mich ein wenig gern zu haben!«

Ich trat vor sie hin, ihr den Weg zu versperren.

»Versucht, mich ein wenig gern zu haben,« bat ich von neuem, »versucht es doch und habt mich ein wenig gern.« Noch immer sprach sie kein Wort, und eine Furcht stieg in mir auf wie die Furcht des Todes.

»Catriona,« schrie ich, sie fest anblickend, »habe ich mich wieder geirrt? Bin ich ganz verloren?«

Atemlos sah sie zu mir auf. »Willst du mich wirklich, David?« Kaum vermochte ich die Worte zu verstehen. »Das will ich. Oh, du weißt es ja – das will ich wirklich.« »Ich habe nichts mehr zu geben oder zu versagen«, sagte sie. »Es war alles dein, bereits am ersten Tage, wenn du mich als Geschenk hättest nehmen wollen!« Wir standen auf dem Gipfel des Hügels; die Stätte war windig und weithin sichtbar, selbst von dem englischen Kriegsschiff aus konnte man uns sehen, aber ich kniete vor ihr auf den Sand hin und umschlang ihre Knie und brach in einen solchen Sturm von Tränen aus, daß ich wähnte, er müsse mich zerbrechen. Alles Denken ward von der Wucht dieses Ausbruchs aus meinem Hirn verschlagen. Ich wußte nicht länger, wo ich war, ich hatte vergessen, weshalb ich mich so glücklich fühlte; ich wußte nur, daß sie sich zu mir neigte und mich an ihr Gesicht und ihre Brust zog und hörte ihre Worte wie durch einen Wirbelwind. »Davie,« sagte sie, »o Davie, das ist’s also, was du von mir denkst? So lieb hast du mich armes Mädchen? O Davie, Davie!« Damit begann sie selbst zu weinen, und unsere Tränen vermischten sich in vollkommener Freude. Es mag zehn Uhr morgens gewesen sein, als mir aufdämmernd das Bewußtsein der Gnade kam, die mir zuteil geworden und ich mich ihr gegenüber setzte, ihre beiden Hände in den meinen, und ihr ins Gesicht starrte und vor Freude wie ein Kind laut auflachte, und ihr alle möglichen törichten und lieben Namen gab. Nie hab ich einen Ort gesehen, so schön in meinen Augen wie jene Dünen bei Dünkirchen, und die Windmühlenflügel klangen, als sie über den Gipfel tauchten, wie Musik in meinen Ohren.

Ich weiß nicht, wie lange wir noch alles außer uns selbst hätten vergessen können, hätte ich nicht zufällig ihren Vater erwähnt und uns dadurch mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückversetzt.

»Meine kleine Freundin« nannte ich sie wieder und immer wieder und frohlockte, in diesem Worte die Vergangenheit heraufbeschwören zu können und ihr ins Gesicht zu sehen und mich ein wenig von ihr zu entfernen: »Meine kleine Freundin, jetzt bist du ganz mein; mein für immer, meine kleine Freundin; und jener Mann da existiert überhaupt nicht mehr.« Plötzliche Blässe überflog ihr Gesicht und sie entzog mir ihre Hände. »Davie, bring mich von ihm fort!« rief sie. »Etwas ist da nicht in Ordnung; er ist kein ehrenhafter Mann. Etwas ist nicht in Ordnung; in meinem Herzen lebt eine furchtbare Angst. Was will er nur mit jenem Kriegsschiff? Was steht in diesem Schreiben?« Sie hielt mir den Brief hin. »Ich fürchte, daß es Alan Böses bringt. Öffne es, Davie – öffne es und sieh nach.« Ich nahm es ihr ab, betrachtete es und schüttelte den Kopf. »Nein,« sagte ich, »mir widerstrebt es; ich kann eines anderen Brief nicht öffnen.«

»Auch nicht, um deinen Freund zu retten?«

»Ich weiß es nicht, ich glaube, nein. Wenn ich nur Gewißheit hätte.« »Du brauchst ja nur das Siegel zu erbrechen!«

»Ich weiß, aber die Sache geht mir wider den Strich.«

»Gib ihn mir,« sagte sie, »ich werde ihn selbst öffnen.«

»Nein, du auch nicht«, erwiderte ich. »Du am allerwenigsten. Der Brief betrifft deinen Vater und seine Ehre, Liebste, die wir beide anzweifeln. Ohne Frage ist der Ort hier nicht geheuer, zumal das englische Kriegsschiff sich hier befindet, und dein Vater davon weiß und jener Offizier hier an Land blieb. Er wird auch nicht allein geblieben sein; andere werden ihn begleiten; wahrscheinlich wird man uns im Augenblick sogar beobachten. Ja, kein Zweifel, der Brief muß geöffnet werden; aber ich meine, weder von dir noch von mir.« So weit war ich gekommen, im Geiste recht niedergedrückt durch das Bewußtsein der Gefahr und verborgener Feinde, als ich Alan von seiner Verfolgung James Mores allein zwischen den Dünen zurückkehren sah. Er trug selbstverständlich Uniform und sah vorzüglich aus; aber ich konnte einen Schauder nicht unterdrücken, als ich mir überlegte, wie wenig jener Rock ihn schützen würde, wenn sie ihn fingen, auf eine Jolle brachten und an Bord des »Seepferds« schleppten, ihn, den Deserteur und Rebellen und erst kürzlich verurteilten Mörder.

»Da,« sagte ich, »da ist der Mann, der das beste Recht hat, ihn zu öffnen oder nicht – wie er es für richtig hält.« Dann begann ich, ihn mit Namen zu rufen, und wir beide erhoben uns, um ihm den Weg zu zeigen.

»Wenn es so ist – wenn neue Schande über mich kommt – kannst du es ertragen?« forschte sie und sah mich mit brennenden Augen an.

»Eine ähnliche Frage ward mir vorgelegt, als ich dich erst einmal gesehen hatte«, entgegnete ich.

»Weißt du, was ich da antwortete? Wenn ich dich wirklich so möchte, wie ich glaubte – und oh! ich mag dich jetzt noch viel, viel mehr! – dann würde ich dich auch vom Fuße des Galgens weg heiraten.« Das Blut schoß ihr ins Gesicht; sie trat dicht zu mir und schmiegte sich an mich, meine Hand fest in der ihren: so erwarteten wir Alan. Er kam mit einem seiner seltsamen Lächeln. »Was hab ich dir gesagt, David?« fragte er.

»Alles zu seiner Zeit, Alan«, antwortete ich, »und die Zeit hier drängt. Wie ist es dir ergangen? Du kannst vor unserer Freundin offen reden.«

»Der Weg war umsonst«, erwiderte er.

»Ich glaube, dann haben wir mehr Glück gehabt, zum mindesten liegt hier allerlei vor, über das du richten magst. Hast du das gesehen?« fuhr ich fort, auf das Schiff deutend. »Das ist das ›Seepferd‹, Kapitän Palliser.« »Ich sollte es auch kennen«, meinte Alan. »Das Schiff hat mir damals, als es im Forth stationiert war, genug zu schaffen gemacht. Aber was fehlt dem Mann, daß er so dicht an die Küste herankommt?«

»Ich will dir’s sagen, weshalb er ursprünglich kam«, entgegnete ich. »Er kam, um James More diesen Brief zu bringen. Weshalb er noch hier weilt, nun da er ihn abgegeben hat, worum es sich handelt, weswegen ein Offizier dort in den Dünen versteckt ist und ob er sich wohl allein oder nicht allein befindet – das überlasse ich dir zu beurteilen.«

»Einen Brief an James More?«

»Jawohl.«

»Nun, ich kann dir noch mehr verraten,« sagte Alan. »Gestern nacht, als du fest eingeschlafen warst, hörte ich den Mann mit jemanden auf französisch verhandeln; dann wurde die Tür des Gasthofes geöffnet und wieder geschlossen.« »Alan,« rief ich, »du hast die ganze Nacht geschlafen. Das kann ich hier bezeugen.« »Ja, aber ich würde Alan selbst im Schlafe nicht trauen!« meinte er. »Doch die Sache sieht bös aus. Laß mich den Brief sehen.«

Ich gab ihn ihm. »Catriona,« sagte er, »Ihr müßt mich entschuldigen, mein Kind; aber hier stehen nicht mehr und nicht weniger als meine edlen Knochen auf dem Spiel; ich werde das Siegel erbrechen müssen.«

»Es ist mein Wunsch«, sagte Catriona.

Er öffnete das Schreiben, durchflog es und fuhr mit der Hand durch die Luft. »Der stinkende Lump«, sagte er und stopfte das Papier in die Tasche. »Kommt, wir wollen unsere Sachen packen. Der Ort hier ist für mich der Tod.« Und er begann nach dem Gasthaus auszuschreiten. Catriona war die erste, zu sprechen. »Er hat Euch verkauft?« fragte sie. »Verkauft, mein Kind. Aber dank Eurer und Davies Hilfe mache ich ihm noch einen Strich durch die Rechnung. Säße ich nur erst auf meinem Gaul!« fügte er hinzu. »Catriona muß uns begleiten«, sagte ich. »Sie darf mit diesem Manne nichts mehr zu schaffen haben. Sie und ich wollen uns heiraten.« Bei diesen Worten preßte sie meine Hand an ihre Seite.

»Seid ihr endlich so weit?« fragte Alan, über die Schulter blickend. »Die beste Tagesarbeit, die Ihr beide im Leben bisher geleistet habt. Und das muß ich sagen, meine Lieben, Ihr macht wirklich ein hübsches Paar.« Der Weg, dem er folgte, führte uns dicht an der Windmühle vorbei, wo ich einen Mann in Matrosenkleidung bemerkte, der dort auf Posten zu stehen schien. Wir näherten uns ihm natürlich von rückwärts. »Sieh nur, Alan«, sagte ich.

»Pst!« machte er, »das hier ist meine Sache.«

Ohne Zweifel war der Kerl ein wenig betäubt durch das Klappern der Mühle; so kamen wir unbemerkt an ihn heran. Da drehte er sich um, und wir gewahrten einen großen, kräftigen Burschen mit mahagonibraunem Gesicht. »Ich glaube, Sir, Ihr sprecht Englisch«, erkundigte sich Alan. »Non, monsieur«, erklärte der andere mit unglaublich schlechtem Akzent. »Non, monsieur!« wiederholte Alan spöttisch. »Lehrt man an Bord des ›Seepferds‹ so Französisch? Du dummer, gefräßiger Esel, hier hast du einen schottischen Stiefel in dein englisches Hinterteil!«

Er stürzte sich auf ihn, noch ehe der Mann entwischen konnte, und versetzte ihm einen Tritt, daß er der Länge nach zu Boden flog. Dann stand er da, ein wildes Lächeln auf den Lippen, und sah zu, wie der andere eilig auf die Füße kletterte und sich zwischen den Dünen aus dem Staube machte.

»Es ist hohe Zeit, daß ich aus diesen öden Hügeln herauskomme!« meinte Alan und setzte seinen Weg im Laufschritt fort, wir immer hinterdrein, bis wir vor der Hintertür zu Bazins Wirtshaus standen.

Zufällig betrat, als wir zu der einen Tür hereinkamen, James More gleichzeitig durch die andere Tür das Haus. »Hier!« sagte ich zu Catriona, »rasch! Mach, daß du nach oben kommst und deine Sachen packst! Das hier ist keine passende Szene für dich!«

Jetzt standen sich James und Alan in der Mitte des langgestreckten Raumes gegenüber. Catriona huschte dicht an ihnen vorbei, um die Treppe zu erreichen; ich sah, wie sie sich auf halber Höhe nach ihnen umblickte, ohne jedoch im Laufen innezuhalten. Der Anblick war auch wahrhaftig sehenswert. Alan trug, als sie zusammentrafen, die denkbar liebenswürdigste, freundschaftlichste Miene zur Schau, darunter aber schwelte eine so aggressive Feindschaft, daß James sofort Gefahr witterte, wie Menschen, die den Brand im Hause riechen und auf jedes Unglück gefaßt sind. Die Zeit drängte. Alans Lage an diesem einsamen, von Feinden umstellten Ort, hätte selbst einen Cäsar entmutigen können. Auf ihn machte sie keinen Eindruck, und er eröffnete das Treffen in dem alten Geist der Spottsucht und des Spiels.

»Schön guten Tag, Mr. Drummond«, sagte er. » Worum handelt es sich eigentlich bei dem Geschäft, das Ihr betreibt?« »Ja, das ist eine private und ziemlich langwierige Sache,« erwiderte James, »ich meine daher, wir sparen sie bis nach dem Essen auf.«

»Da bin ich nicht so ganz Eurer Ansicht«, entgegnete Alan. »Ich meine, es heißt nun, jetzt oder nie; Tatsache ist, Mr. Balfour und ich haben einen Brief erhalten und wollen sogleich wieder weiter.«

Ich sah eine gewisse Überraschung in James Auge aufleuchten; aber er hielt sich tapfer.

»Ich brauche Euch nur ein Wort zu verraten, und Ihr gebt diese Absicht auf: ich nenne Euch den Namen des Geschäfts.« »Also heraus mit der Sprache! Pah, Ihr braucht Euch um Davie nicht zu scheren!« »Es handelt sich um eine Sache, die uns beide reich machen kann.«

»Wahrhaftig?« rief Alan. »In der Tat, Sir. Die nackte Tatsache ist, es handelt sich um Clunys Schatz.« »Nein!« rief Alan. »Wißt Ihr, wo er sich befindet?«

»Ich kenne den Ort, Mr. Stuart, und kann Euch zu ihm hinführen.« »Das setzt doch allem die Krone auf!« rief Alan. »Ich bin aber wirklich froh, daß ich nach Dünkirchen gekommen bin. Das war also Euer Geschäft? Halbpart, natürlich?«

»Das, Sir, war das Geschäft.« »Ja, ja,« meinte Alan, immer noch in dem gleichen Ton kindlichen Interesses, »es hat also nichts mit dem ›Seepferd‹ zu tun?«

»Mit was?« fragte James.

»Oder mit dem Burschen, den ich soeben hinter der Windmühle zum Teufel jagte?« fuhr Alan fort. »Pfui, Mann, jetzt aber Schluß mit Euren Lügen! Ich habe Pallisers Brief hier in der Tasche. Mit Euch ist es aus, James More. Ihr könnt Euch vor anständigen Menschen nie wieder blicken lassen.«

James war wie betäubt. Eine Sekunde lang stand er bleich und regungslos, dann schwollen ihm die Adern vor lebendigem Zorn. »Wagst du so mir mit zu reden, du Bastard?,« brüllte er. »Du verräterisches Schwein!« schrie Alan und schlug ihn heftig auf den Mund; in der nächsten Sekunde klirrten ihre Klingen gegeneinander.

Bei dem ersten Anprall des nackten Stahls war ich instinktiv zurückgefahren; das Nächste, was ich sah, war James, der so haarscharf einen Stoß parierte, daß ich glaubte, er wäre getötet; dann schoß es mir durch den Sinn, daß er ja der Vater des Mädchens und in gewissem Sinne auch mein eigener Vater wäre und ich zog gleichfalls blank und fuhr dazwischen, um sie zu trennen. »Zurück, Davie! Bist du toll? Verdammt noch einmal, zurück!« brüllte Alan. »Dein Blut komme über dein eigenes Haupt!« Zweimal schlug ich ihre Klingen nieder. Taumelnd flog ich gegen die Wand und stand im nächsten Augenblick wieder zwischen ihnen. Sie achteten meiner nicht und hieben gleich zwei Furien aufeinander ein. Ich weiß auch heute nicht, wie ich es vermied, von diesen beiden Rodomonten erstochen zu werden; die ganze Szene wirbelte um mich herum wie eine Szene aus einem Traum. Da erscholl mitten in dem Aufruhr von der Treppe her ein lauter Schrei und Catriona warf sich vor ihren Vater. Gleichzeitig traf mein Degen auf etwas Weiches. Er blieb gerötet in meiner Hand zurück. Ich sah Blut von des Mädchens Halstuch fließen und Übelkeit bemächtigte sich meiner. »Wollt Ihr ihn vor meinen Augen töten, vor mir, die ich trotz allem seine Tochter bin?« schrie sie.

»Kind, ich bin mit ihm fertig«, sagte Alan, ging fort und setzte sich mit gekreuzten Armen, den bloßen Degen in der Hand, auf einen der Tische.

Eine Weile stand sie keuchend mit weit aufgerissenen Augen vor ihm, dann wandte sie sich plötzlich gegen den anderen. »Fort!« redete sie ihn an, »trag deine Schande aus meinem Angesicht; laß mich bei reinen Menschen. Ich bin eine Tochter Alpins! Du Schmach der Söhne Alpins, aus meinen Augen!« Das wurde mit solcher Leidenschaft gesprochen, daß es mich aus dem Grauen vor meinem eigenen blutigen Schwert aufrüttelte. Die beiden standen einander gegenüber, sie mit dem roten Fleck auf ihrem Brusttuch, er weiß wie ein Laken. Ich kannte ihn gut – ich wußte, es mußte ihn bis ans Herz getroffen haben, aber er rettete sich in eine Bravolaune. »Gut,« sagte er, das Rapier einsteckend, aber immer noch scharf zu Alan hinüberäugend, »wenn also dieser kleine Zank vorbei ist, werde ich meinen Mantelsack holen –«

»Hier kommt mir, außer durch meine Person, kein Mantelsack aus dem Haus«, erklärte Alan.

»Sir!« rief James.

»James More,« sagte Alan, »diese Dame, Eure Tochter, wird meinen Freund Davie heiraten, aus welchem Grund ich Euch gestatte, Euren Kadaver unversehrt zu entfernen. Aber ich rate Euch gut, sorgt, daß dieser Kadaver in Sicherheit gebracht wird, ehe es zu spät ist. Ihr werdet es kaum glauben, aber selbst meine Geduld hat ihre Grenzen.«

»Verdammt, Sir, aber mein Geld befindet sich in jenem Mantelsack!«

»Auch das tut mir sehr leid,« sagte Alan mit drolligem Gesichtsausdruck, »aber seht ihr, es gehört jetzt mir.« Dann fügte er mit größerem Ernst hinzu: »Laßt Euch raten, James More, verlaßt dieses Haus.« Einen Augenblick schien James im Stillen zu überlegen, aber es ist anzunehmen, daß er von Alans Fechtkunst eine hinreichende Probe gekostet hatte; denn plötzlich (mit dem Ausdruck eines Verdammten) zog er seinen Hut und verabschiedete sich von uns in corpore. Im nächsten Augenblick war er gegangen. Gleichzeitig schien der Bann von mir zu weichen.

»Catriona!« rief ich, »ich war es – mein Degen! Oh, bist du schwer verletzt?«

»Ich weiß es, Davie, und liebe dich ob des Schmerzes um so mehr, weil es geschah, um jenen schlechten Menschen, meinen Vater, zu verteidigen. Sieh!« sagte sie und zeigte mir eine blutende Schramme, »du hast jetzt einen Mann aus mir gemacht. Ich will die Wunde tragen wie ein alter Soldat.«

Freude über die Geringfügigkeit ihrer Verletzung und Liebe zu ihrem tapferen Wesen rissen mich fort. Ich umarmte sie und küßte die Wunde.

»Ja, soll denn ich, der ich mir keinen Kuß entgehen lasse, ganz leer ausgehen?« fragte Alan, und mich beiseite schiebend, faßte er Catriona an beiden Schultern. »Kind,« sagte er, »du bist eine echte Tochter Alpins. Nach allem, was wir wissen, war er ein Prachtkerl, und er kann stolz auf dich sein. Sollte ich mich je verheiraten, werde ich Bein von deinem Bein zur Mutter meiner Söhne wählen. Und ich trage eines Königs Namen und rede die Wahrheit.« Das sagte er mit heißer und ernster Bewunderung, die für das Mädchen und indirekt auch für mich reinster Honig war. Alle Schmach von James More schien dadurch von uns abgewaschen. Im nächsten Augenblick war er wieder ganz er selbst.

»Mit Verlaub, meine Lieben –das ist ja alles recht schön und gut, aber Alan Breck befindet sich dem Galgen ein klein wenig näher, als ihm gerade lieb ist. Bei Gott, ich meine, dieser Ort ist ein herrlicher Ort – zum Davonlaufen.« Seine Worte brachten uns zur Vernunft. Alan rannte eilig nach oben und kehrte mit unseren Satteltaschen und mit James Mores Mantelsack zurück; ich raffte Catrionas Bündel von der Treppe auf, wo sie es hatte fallen lassen, und wir waren eben im Begriff, von jenem gefährlichen Hause aufzubrechen, als Bazin uns schreiend und gestikulierend zurückhielt. Er hatte sich, als blank gezogen wurde, schleunigst unter den Tisch verkrochen, war jetzt aber kühn wie ein Löwe. Es sei noch eine Zeche zu begleichen, wir hätten einen Stuhl zerschlagen, Alan hätte sich zwischen das Geschirr gesetzt und James More wäre geflohen. »Hier,« rief ich, »macht Euch selbst bezahlt« und warf ihm einen Louisdor zu; es war jetzt nicht an der Zeit, zu rechnen. Er stürzte sich auf das Geld, und wir stürmten an ihm vorbei ins Freie. Von drei Seiten drangen Seeleute eilig und den Kreis unablässig verengend gegen das Haus vor; in geringer Entfernung schwenkte James More den Hut, wie um sie anzufeuern, und unmittelbar hinter ihm bewegten sich, gleich einem Narren, der hilflos gestikuliert, die Flügel der Windmühle.

Alan warf nur einen einzigen Blick um sich und fiel in Laufschritt. Er hatte schwer an James‘ Mantelsack zu schleppen, aber ich glaube, er hätte lieber sein Leben gelassen, als die Beute aufgegeben, die seine Rache war; er lief so schnell, daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen und staunte und stolz war, das Mädchen an meiner Seite dahinstürmen zu sehen.

Als sie unser gewahr wurden, ließen sie allen Schein fahren; die Matrosen nahmen unter lauten Rufen und Hurrageschrei die Verfolgung auf. Wir hatten einen Vorsprung von zweihundert Metern, und sie waren alles in allem doch nur krummbeinige Teerjacken, mit nur geringer Hoffnung, uns in diesem Sport zu überholen. Wie ich vermute, waren sie auch bewaffnet, wagten es aber wahrscheinlich nicht, auf französischem Boden ihre Pistolen zu gebrauchen. Sobald ich erkannte, daß wir die Entfernung zwischen ihnen und uns nicht nur einhielten, sondern sogar vergrößerten, war ich über den Ausgang ganz beruhigt. Trotzdem war es harte, heiße Arbeit, so lange sie währte; Dünkirchen lag immer noch eine gehörige Strecke entfernt, und als wir endlich jenseits der Kuppe eines Hügels eine Kompanie Garnisonsoldaten bei irgendeinem Marschmanöver überraschten, vermochte ich Alans Bemerkung recht gut zu verstehen. Er hielt augenblicklich in seinem Lauf inne und wischte sich die Stirn. »Sie sind doch wirklich eine sympathische Nation, die Franzosen«, meinte er.

chapter32.html


Schluß

Kaum befanden wir uns innerhalb der Mauern von Dünkirchen in Sicherheit, da hielten wir den so nötigen Kriegsrat über unsere Lage. Wir hatten mit Waffengewalt einem Vater seine Tochter geraubt; jeder Richter hätte sie ihm ohne weiteres wieder zugeführt und aller Wahrscheinlichkeit nach Alan und mich ins Gefängnis geworfen, und obwohl wir in Gestalt von Kapitän Pallisers Brief ein Argument zu unseren Gunsten besaßen, lag doch weder Catriona noch mir sonderlich daran, es in der Öffentlichkeit zu gebrauchen. Alles in allem schien es uns das Klügste, das Mädchen nach Paris zu bringen in die Obhut ihres eigenen Häuptlings, Macgregor von Bohaldie, der nicht nur bestimmt bereit sein würde, seiner Verwandten zu helfen, sondern auch durchaus abgeneigt, James Mores Schande aufzudecken.

Wir kamen nur recht langsam vorwärts, da Catriona nicht so gewandt im Reiten wie im Rennen war und seit ’45 kaum im Sattel gesessen hatte. Aber endlich, an einem Sonntagsmorgen, waren wir in Paris und begaben uns unter Alans Führung auf dem schnellsten Wege zu Bohaldie. Er wohnte recht prächtig und lebte auf gutem Fuß, da er eine Pension aus dem Schottenfond bezog und auch über Privatmittel verfügte; Catriona begrüßte er wie eine Angehörige seines eigenen Hauses und benahm sich im ganzen sehr höflich und diskret, wenn auch nicht besonders offenherzig. Wir fragten ihn nach Nachrichten über James More. »Der arme James!« sagte er und schüttelte den Kopf und lächelte, und ich gewann die Überzeugung, daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Dann zeigten wir ihm Pallisers Brief, und sein Gesicht wurde ellenlang. »Der arme James!« sagte er von neuem. »Nun, es gibt schlechtere Menschen als James More. Aber das hier ist wirklich sehr schlimm. Ja, ja, er muß reinweg den Kopf verloren haben! Ein höchst unerfreulicher Brief. Trotzdem, meine Herren, sehe ich nicht ein, weshalb wir ihn der Öffentlichkeit übergeben sollten. Es ist ein schlechter Vogel, der sein eigen Nest beschmutzt, und wir sind alle Schotten und Hochländer.« Darin waren wir mit ihm einig, alle, ausgenommen vielleicht Alan, und noch einiger waren wir betreffs unserer Heirat, die Bohaldie selbst in die Hand nahm, als gäbe es überhaupt keinen James More. Auf die reizendste Manier, und mit zierlich gedrechselten französischen Komplimenten gab er Catriona eigenhändig in die Ehe, und erst, als alles vorbei war und man auf unser Wohl getrunken hatte, verriet er uns, daß James sich in der Stadt befände, wo er einige Tage vor uns eingetroffen war und jetzt auf den Tod krank darniederlag. Ich glaubte auf meiner Frau Gesicht zu lesen, wohin ihr Herz sie trieb.

»Wir wollen ihn besuchen«, sagte ich.

»Wenn du es wirklich wünschst«, meinte Catriona. Das war noch in den Flitterwochen.

Er war in dem gleichen Stadtviertel wie sein Häuptling in einem großen Eckhaus untergebracht; und der Klang eines hochländischen Dudelsacks zeigte uns den Weg nach seiner Dachkammer. Es scheint, daß er sich von Bohaldie ein paar Querpfeifen geborgt hatte, um sich während seiner Krankheit die Zeit zu vertreiben, und obgleich er kein solcher Künstler wie sein Bruder Rob war, machte er doch recht gute Musik. Es war ein kurioser Anblick, die französischen Zuhörer lachend sich auf der Treppe drängen zu sehen. Er lag auf einer Strohmatratze, von Kissen gestützt. Bereits auf den ersten Blick erkannte ich, daß es mit ihm zu Ende ging, und zweifellos war der Ort als Sterbezimmer für ihn ein merkwürdiger Ort. Aber selbst jetzt vermag ich kaum mit Nachsicht bei seinem Ende zu verweilen. Sicherlich hatte Bohaldie ihn auf unser Kommen vorbereitet; er wußte anscheinend, daß wir verheiratet waren, beglückwünschte uns zu dem Ereignis und erteilte uns wie ein Patriarch seinen Segen.

»Man hat mich niemals verstanden«, sagte er. »Ich verzeihe Euch beiden ohne Bitterkeit,« und so redete er fort, ganz wie früher; ja, er war so gefällig, uns auf den Querpfeifen ein paar Lieder vorzuspielen und ging mich zum Schluß um ein kleines Darlehen an. Ich vermochte auch nicht die Spur von Scham an ihm zu entdecken, dagegen war er ein Meister im Vergeben; das schien für ihn niemals den Reiz zu verlieren. Ich glaube, er vergab mir jedesmal, wenn wir zusammen waren, und als er rund vier Tage später in einer Art Heiligenschein liebevoller Frömmigkeit verschied, hätte ich mir vor Ekel die Haare ausraufen können. Ich ließ ihn begraben, aber was ich auf seinen Grabstein setzen sollte, ging über meinen Horizont; bis es mich endlich das beste dünkte, es bei dem schlichten Datum zu belassen.

Ich hielt es für ratsamer, jeden Gedanken an Leyden, wo wir als Bruder und Schwester aufgetreten waren, aufzugeben; ohne Frage sah es sehr sonderbar aus, jetzt in einer neuen Rolle dort zu erscheinen. Schottland war für uns das Richtige, und nach Schottland fuhren wir auf einem niederländischen Schiff, nachdem ich mein zurückgelassenes Hab und Gut wieder in meinen Besitz gebracht hatte.

Und jetzt, Fräulein Barbara Balfour (um den Damen den Vortritt zu geben) und Mr. Alan Balfour, Junker von Shaw, habe ich Euch die Geschichte fein säuberlich zu Ende erzählt. Ihr werdet finden (wenn Ihr’s Euch recht überlegt), daß Ihr einen großen Teil der darin handelnden Personen kennt und gesprochen habt. Alison Hastie aus Limekilnes ist das Mädchen, das Eure Wiege schaukelte, als Ihr noch zu klein wart, um etwas davon zu verstehen, und Euch in späteren Jahren auf dem Gute spazierenführte. Die sehr schöne, große Dame, Barbaras Patin, ist niemand anders als Miß Grant, die David Balfour im Hause des Lord Staatsanwalts so arg zum Narren hielt. Und ich frage mich, ob Ihr Euch wohl noch des kleinen, hageren, lebhaften Herrn in Stutzperrücke und schwerem Mantel erinnert, der sehr spät in einer dunklen Nacht nach Shaw kam und den zu begrüßen Ihr aus Euren Betten geholt wurdet, um ihm in dem Speisesaal unter dem Namen Mr. Jamieson vorgestellt zu werden? Oder hat Alan etwa vergessen, was er auf Mr. Jamiesons Verlangen tat – eine äußerst unpatriotische Handlung, deretwegen er, dem Buchstaben des Gesetzes nach, sogar hätte gehenkt werden können – nämlich auf das Wohl des Königs »jenseits des Meeres« zu trinken? Schöne Dinge, merkwürdige Dinge für ein gut whigsches Haus! Aber Mr. Jamieson ist eine privilegierte Persönlichkeit und kann, wenn er will, selbst meinen Kornspeicher in Brand setzen; und der Name, unter dem man ihn heute in Frankreich kennt, lautet ›der Chevalier Stuart‹. Und was Davie und Catriona betrifft, so werde ich sie in diesen Tagen recht scharf im Auge behalten, ob sie auch nicht so naseweis sind, Papa und Mama auszulachen. Wahr, wir benahmen uns nicht immer so gescheit, wie wir uns hätten benehmen können und schafften uns aus dem Nichts ein gut Teil Herzeleid; aber Ihr werdet finden, wenn Ihr erst erwachsen seid, daß selbst die kluge Miß Barbara und der tapfere Mr. Alan nicht so sehr viel gescheiter als ihre Eltern sind. Das Leben des Menschen auf dieser Erde ist eine recht kurzweilige Sache. Es heißt zwar, daß es die Engel zum Weinen bringt, aber ich meine, weit öfter müssen sie sich die Seiten halten vor Lachen, wenn sie auf uns hier unten herniederschauen; und das eine stand nun mal bei mir fest, als ich diese lange Geschichte begann: alles so zu erzählen, wie es sich wirklich ereignet hat.

Drittes Kapitel


Ich gehe nach Pilrig

Kaum war ich am nächsten Morgen in meinem neuen Logis aufgewacht, als ich auch schon munter und in meinen Kleidern war; und kaum hatte ich mein Frühstück heruntergeschluckt, als ich auf weitere Abenteuer auszog. Für Alan, konnte ich hoffen, war jetzt gesorgt; James versprach ein heiklerer Fall zu werden, und ich mußte annehmen, daß dieses Unterfangen mich teuer zu stehen kommen würde, zumal jeder, dem ich meine Auffassung auseinandergesetzt hatte, mich desgleichen versicherte. Es schien, als hätte ich den Gipfel des Berges nur erklommen, um gleich wieder in die Tiefe zu stürzen; als hätte ich mich durch so schwere Mühsale zu Reichtum und Ehren, zu meiner städtischen Kleidung und dem Schwert an meiner Seite emporgearbeitet, lediglich um zum Schluß Selbstmord zu begehen, und zwar die schlimmste Art von Selbstmord: auf des Königs Kosten gehängt zu werden. Weshalb tat ich es eigentlich? fragte ich mich selbst, als ich die High-Street hinunter und nordwärts über Leith Wynd zum Tore hinausschritt. An erster Stelle, sagte ich mir, um James Stuart zu retten; und wirklich spielte die Erinnerung an seine Verzweiflung, an die Wehklagen seiner Frau sowie an ein gelegentliches Wort von mir, das ich ihm gegenüber hatte allen lassen, dabei eine große Rolle. Gleichzeitig aber überlegte ich mir, daß es meines Vaters Sohn doch eigentlich höchst gleichgültig sein könnte (oder müßte), ob James in seinem Bett oder auf dem Schafott stürbe. Zwar war er Alans Vetter; aber was Alan selbst betraf, so konnte ich nichts Besseres tun, als mich mucksmäuschenstill zu verhalten und den König, Seine Liebden, den Herzog von Argyle, und die Krähen sich nach Herzenslust um die Knochen ihres Verwandten raufen lassen. Zudem konnte ich nicht vergessen, daß James, obwohl wir doch alle miteinander in der gleichen Klemme steckten, keine übertriebene Besorgnis um Alan und mich gezeigt hatte.

Dann kam mir der Gedanke, daß es um der Gerechtigkeit willen geschehe; das Wort gefiel mir ungemein, und ich setzte mir selbst des langen und breiten auseinander, daß uns vor allem daran gelegen sein müsse (da wir alle nun mal in die Politik verwickelt wären, einer dem anderen zum Schaden), der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, und daß der Tod eines Unschuldigen dem ganzen Gemeinwesen eine Wunde schlüge. Dann wieder gab der Versucher mir eine Probe seiner Überredungskunst zu kosten; er flüsterte mir zu, ich solle mich schämen, daß ich mich in diese hohe Angelegenheit mische, ich sei ja nur ein eitles, prahlerisches Kind, das sich vor Rankeillor und Stuart gebrüstet hätte und sich nun durch seine Eitelkeit gebunden hielte, für seine großen Worte einzustehen. Ja, und er ließ mich auch das andere Ende des Knüppels spüren: er klagte mich der feigen Berechnung an, und daß ich auf Kosten eines kleinen Risikos mir größere Sicherheit erkaufen wolle. Sicher war, ich konnte jeden Tag Mungo Campbell oder den Beamten des Sheriffs von neuem über den Weg laufen, und dann würde man mich erkennen und mich Hals über Kopf in die Appin-Mordaffäre hineinziehen, wenn ich mich nicht zuvor gestellt und vom Verdacht gereinigt hätte. Und zweifellos würde ich, falls es mir gelang, meine Sache gut zu führen, von da an bis an mein Lebensende freier atmen. Doch wenn ich diesen Gründen voll ins Gesicht schaute, vermochte ich an ihnen nichts Unehrenhaftes zu entdecken. Und was das übrige betraf, so überlegte ich mir: hier steh ich am Kreuzweg; beide Wege führen zum gleichen Ziel. Es ist ungerecht, daß James gehenkt wird, wenn ich ihn retten kann; und ich würde mich lächerlich machen, wenn ich nach all meinem Gerede nicht auch handelte. James von der Schlucht kann von Glück sagen, daß ich mich von Anfang an so gebrüstet habe; und für mich selbst ist es auch kein Unglück, denn nun bin ich gebunden, das Rechte zu tun. Ich habe jetzt den Namen und die Mittel eines Gentleman; es wäre recht erbärmlich, entdecken zu müssen, daß mir das Wesentlichste dazu fehlt. Und dann fiel mir wieder ein, das sei ja eine unchristliche Gesinnung, und ich sprach rasch für mich ein Gebet, in dem ich um den Mut flehte, an dem es mir vielleicht gebrach, und bat, daß ich schnurstracks auf meine Pflicht losmarschieren möchte, wie ein Soldat in die Schlacht, um womöglich auch unbeschadet an Leib und Leben davonzukommen wie so viele andere.

Diese Gedankengänge festigten meinen Entschluß, trotzdem sie meine Augen durchaus nicht gegen die mich umdrohenden Gefahren und gegen die Tatsache verschlossen, daß ich auf meinem Wege (wenn ich ihn wirklich fortsetzte) wahrscheinlich über die Leiter zum Galgen stolpern würde. Es war ein klarer, schöner Morgen, obwohl der Wind von Osten blies. Seine kühle Frische sang sich mir ins Blut und gab mir ein Gefühl wie von Herbst und welken Blättern und von Toten, die in ihren Gräbern ruhen. Wahrhaftig, der Teufel mußte schon seine Hand im Spiele haben, wenn ich tatsächlich in der Hochflut meines Glücks um anderer Leute willen sterben sollte. Auf dem Gipfel von Calton Hill liefen einige Kinder lärmend hin und her und ließen ihre Drachen steigen, obwohl es für dieses Vergnügen noch nicht die richtige Jahreszeit war. Die papierenen Vögel zeichneten sich klar gegen den Himmel ab; ich sah, wie ein besonders schwerer vom Wind in große Höhen getrieben wurde und dann zwischen den Ginsterbüschen schwerfällig zur Erde fiel; und bei diesem Anblick dachte ich zu mir selbst: »Das war Davie.«

Mein Weg führte mich über Mouters Hill und zwischen Wiesen und an Hügeln vorbei durch den Zipfel eines Dorfes. Hier tönte das Gerassel von Webstühlen von Haus zu Haus; Bienen summten in den Gärten; die Nachbarn, die ich vor der Türe miteinander schwatzen sah, redeten eine fremde Sprache, und später hörte ich, daß es das Dorf Picardy gewesen sei, eine Niederlassung französischer Weber, die für die Linen Company arbeiteten. Bei ihnen erkundigte ich mich von neuem nach meinem Ziel, Pilrig und stieß nach einer Weile neben der Landstraße auf einen Galgen, an dem an Ketten zwei Männer hingen. Die Leichen waren, der Sitte gemäß, in Teer getaucht; der Wind wirbelte sie im Kreise herum, die Ketten klirrten, und die Vögel klammerten sich schreiend an die unheimlichen Hampelmänner. Das Schauspiel traf mich urplötzlich gleich einer Versinnbildlichung aller meiner Befürchtungen, und ich wurde nicht müde, es näher zu betrachten und mit allen Poren das Trostlose des Anblicks einzusaugen. Und was führt mir da der Zufall in den Weg, während ich immer wieder den Galgen umkreise? Ein gespenstiges altes Weiblein, das hinter dem einen Pfosten hockte und kopfschüttelnd und mit vielen Verbeugungen und Handbewegungen laut mit sich selbst redete. »Wer sind diese beiden da, Mutter?« fragte ich, auf die zwei Leichname deutend. »Gottes Segen über dein herziges Gesicht«, rief sie. »Zwei alte Schätze von mir; nur zwei meiner alten Schätze, mein Junge.« »Und weswegen hängen sie da?« erkundigte ich mich weiter. »Oh, nur wegen der guten Sache«, erwiderte sie. »Oft hab ich’s ihnen vorausgesagt, wie’s enden würde. Zwei Shilling schottisch, nicht einen Penny mehr; und zwei hübsche Jungen müssen dafür hängen: sie nahmen’s einem Balg aus Brouchton ab.« »So, so«, sagte ich zu mir selbst und nicht zu der tollen alten Vettel, »und wegen einer so erbärmlichen Sache haben sie’s so weit gebracht. Das heiß ich wahrhaftig von Gott verlassen sein.«

»Laß mich deine Hand sehen, Herzensjunge,« fuhr sie fort, »ich will deine Zukunft voraussagen.«

»Nein, Mutter«, entgegnete ich, »ich sehe schon so klar genug, wohin der Weg mich führt. Es tut nicht gut, zuviel vorauszuwissen.«

»Ich lese auf deiner Stirne«, antwortete sie. »Da ist ein hübsches Mädel mit hellen Augen und ein kleiner Mann in einem schönen, gestickten Rock und ein großer Mann in einer gepuderten Perücke, und da ist noch der Schatten der Rabenwippe, hier quer über deinem Weg. Zeig deine Hand her, Herzensjunge, und laß dir von der alten Merren eine feine, gute Zukunft voraussagen.«

Die beiden Zufallstreffer, die auf Alan und die Tochter James Mores abzuzielen schienen, berührten mich tief, und ich floh vor dem grausigen Geschöpf, ihr einen Batzen hinwerfend, mit dem sie unter den tanzenden Schatten der Gehenkten weiter spielte.

Mein Weg auf der Leither Landstraße wäre ohne diese Begegnung um vieles angenehmer gewesen. Der alte Fahrdamm führte zwischen Feldern hindurch, derengleichen ich, was Geschicklichkeit in der Bebauung anbelangt, nie gesehen hatte; allein die Galgenketten rasselten weiter in meinem Kopf, und das Krächzen und Unken der alten Hexe sowie der Gedanke an die beiden Toten verfolgten mich wie ein Gespenst. Am Galgen zu endigen schien mir ein hartes Los, und ob nun ein Bursche wegen zwei Shilling schottisch oder (wie Mr. Stuart es prophezeite) wegen seines Pflichtgefühls dort baumelte, machte, sobald er erst mal geteert und gefesselt und aufgehängt war, im Grunde genommen wenig aus. Dort würde David Balfour vielleicht auch einmal hängen, und die anderen Burschen würden vorbeigehen und Schlechtes von ihm denken und sich von verrückten alten Weibern, die am Fußende kauerten, die Zukunft voraussagen lassen; und saubere, schlanke Mädchen würden vorübergehen und sich dabei die Nase zuhalten. Ich sah sie deutlich vor mir, und alle hatten sie graue Augen, und die Bänder, die sie im Haare trugen, leuchteten in den Drummond-Farben. Ich war daher in gedrücktester Stimmung, wenn auch immer noch ziemlich fest entschlossen, als ich Pilrig vor mir auftauchen sah: ein hübsches Haus mit vielen Giebeln, das neben der Landstraße zwischen einigen prächtigen jungen Bäumen lag. Des Gutsherrn Pferd stand gesattelt vor der Türe, als ich mich dem Hause näherte, aber er selbst befand sich in seinem Studierzimmer, wo er mich, umgeben von gelehrten Büchern und Musikinstrumenten, empfing, denn er war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein eifriger Musiker. Anfänglich begrüßte er mich ziemlich freundlich und stellte sich mir dann, nachdem er Rankeillors Brief gelesen hatte, mit großer Zuvorkommenheit ganz zur Verfügung. »Worum handelt es sich, Vetter David?« fragte er – »denn wir sind ja, wie es scheint, Vettern – was kann ich für Euch tun? Ein Wort an Prestongrange? Das ist zweifellos leicht geschrieben. Aber wie soll dieses Wort lauten?« »Mr. Balfour,« entgegnete ich, »wollte ich Euch meine Geschichte erzählen, ich glaube tatsächlich, Ihr wäret wenig davon entzückt. Das ist meine Ansicht, und Mr. Rankeillors ebenfalls.«

»Es tut mir leid, derartiges von Euch zu hören, Vetter,« antwortete er. »Das darf ich nicht auf mir sitzen lassen, Mr. Balfour,« entgegnete ich: »mich drückt nichts, das mich gereut oder das Ihr um meinetwillen zu bedauern braucht, ausgenommen gemeine menschliche Gebrechen, wie wir sie alle tragen: ›die Schuld aus Adams erster Sünde, der Mangel ursprünglicher Gerechtigkeit und die Verderbtheit meiner ganzen Natur‹: für die muß ich einstehen, und ich hoffe, man hat mich gelehrt, wohin ich mich um Hilfe wenden muß«, fügte ich hinzu; denn aus dem Aussehen des Mannes schloß ich, daß er um so besser von mir denken würde, je genauer ich meinen Katechismus kannte. »Doch was meine weltliche Ehre betrifft, so habe ich mir nichts vorzuwerfen, und die Schwierigkeiten, in die ich geraten bin, sind sehr gegen meinen Willen und (soweit ich es beurteilen kann) ohne mein Zutun über mich hereingebrochen. Das Schlimme ist, ich bin in politische Wirren verstrickt, von denen Ihr, wie man mir sagt, nichts wissen mögt.« »Schön, schön, Mr. David,« lautete seine Antwort, »ich freue mich, daß Ihr all das haltet, was Mr. Rankeillor von Euch verspricht. Und was die politischen Wirren anbetrifft, so habt Ihr vollkommen recht. Es ist mein Bemühen, jeden Verdacht zu vermeiden, ja mit alledem nichts zu tun zu haben. Die Frage ist nur,« fuhr er fort, »wie kann ich Euch, ohne von der Sache irgend etwas zu erfahren, helfen?« »Nun, Sir,« entgegnete ich, »ich schlage vor, daß Ihr an Seine Lordschaft schreibt, ich sei ein junger Mann von leidlich guter Familie und ansehnlichem Vermögen; beides trifft, wie ich glaube, zu.«

»Rankeillors Wort bürgt dafür,« sagte Mr. Balfour, »und das genügt mir unter allen Umständen.«

»Dann könntet Ihr noch hinzufügen (falls Ihr mein Wort dafür nehmen wollt), ich sei ein guter Kirchgänger und treuer Untertan König Georgs und in dieser Anschauung erzogen worden.«

»Was Euch unter gar keinen Umständen schaden kann«, sagte Mr. Balfour.

»Und ferner«, schlug ich vor, »könntet Ihr Seiner Lordschaft schreiben, ich käme in einer überaus wichtigen Angelegenheit zu ihm, die Seiner Majestät Dienste und Rechtspflege beträfe.«

»Da ich von der Angelegenheit nichts erfahren soll,« erklärte der Gutsherr, »kann ich auch nicht für ihre Wichtigkeit einstehen. ›Überaus‹ wird daher gestrichen und ›Wichtigkeit‹ ebenfalls. Im übrigen kann ich mich ja so ausdrücken, wie Ihr es wünscht.«

»Und dann, Sir,« schloß ich, ein paarmal mit dem Daumen über mein Genick fahrend, »dann wäre es mir noch sehr lieb, wenn Ihr an irgendeiner Stelle ein Wort zu meinem Schutz einfügen wolltet.«

»Schutz?« echote er, »zu Eurem Schutz? Der Ausdruck wirkt ein wenig wie eine Dusche auf mich. Wenn die Angelegenheit gar so gefährlich ist, dann trage ich, offen gestanden, einige Bedenken, mich so mit einer Binde vor den Augen einzumischen.«

»Ich glaube, ich könnte Euch in zwei Worten sagen, wo der Hund begraben liegt«, erwiderte ich.

»Das wäre vielleicht das Beste.«

»Nun, es handelt sich um die Appin-Mordaffäre.«

Er hielt beide Hände hoch. »Gott im Himmel!« rief er. Nach dem Ausdruck seines Gesichtes und seiner Stimme zu urteilen, glaubte ich zunächst, ich hätte meinen Gönner verloren.

»Ich will Euch erklären – –«, hub ich an.

»Vielen Dank, ich will nichts mehr davon hören«, meinte er kategorisch. »Ich weigere mich in toto, noch etwas davon zu hören. Um Eures Namens und um Rankeillors willen und vielleicht auch ein wenig um Eurer selbst willen werde ich tun, was ich kann, um Euch zu helfen; aber ich will keine Einzelheiten wissen. Und es ist offenbar meine erste Pflicht, Euch zu warnen. Das hier sind kitzlige Angelegenheiten, Mr. David, und Ihr seid noch ein junger Mann. Hütet Euch und überlegt es Euch zweimal.«

»Man sollte meinen, ich hätte es mir öfter überlegt, Mr. Balfour,« erwiderte ich, »und ich möchte Euch auf Mr. Rankeillors Brief aufmerksam machen, darin er (wie ich hoffe und glaube) mein Vorhaben billigt.«

»Gut, gut,« sagte er und wiederholte nach einer Pause, »gut, gut! Ich werde tun, was ich kann.« Mit diesen Worten griff er zu Feder und Papier, dachte eine Weile nach und begann dann mit großer Bedachtsamkeit zu schreiben. »Wenn ich Euch recht verstehe, billigt Mr. Rankeillor Eure Absicht?« fragte er schließlich.

»Nach einigem Hin- und Herreden hieß er mich in Gottes Namen gehen«, antwortete ich.

»Das ist der Name, in dem man eine Sache anfangen soll«, sagte Mr. Balfour und fuhr mit Schreiben fort. Nach einer Weile fügte er die Unterschrift hinzu, überflog noch einmal das Geschriebene und wandte sich dann wieder an mich. »Also hier habt Ihr Euren Empfehlungsbrief, Mr. David. Ich setze mein Siegel darauf, ohne ihn zu verschließen, und übergebe ihn Euch offen, wie es die Sitte verlangt. Da ich aber vollständig im Dunkeln tappe, will ich ihn Euch rasch einmal vorlesen, damit Ihr sehen könnt, ob Euch damit gedient ist:

›Pilrig, den 26. August 1751.

Mylord, – Dieser Brief möchte Eurer Wohlgeneigtheit meinen Namensvetter und Verwandten, David Balfour von Shaw, empfehlen, einen jungen Herrn von untadeliger Herkunft und ansehnlichem Vermögen. Er hat des weiteren die wertvolleren Vorteile einer gottesfürchtigen Erziehung genossen, und seine politischen Grundsätze entsprechen ganz Eurer Lordschaft Wünschen. Ich genieße nicht Mr. Balfours Vertrauen, aber er hat, wenn ich ihn recht verstehe, Eurer Lordschaft eine Angelegenheit zu unterbreiten, die Seiner Majestät Dienste und Rechtspflege betrifft: Dinge, von denen bekannt ist, wie sehr sie Eurer Lordschaft am Herzen liegen. Ich muß noch hinzufügen, daß einige seiner Freunde des jungen Herrn Absichten kennen und billigen, und daß sie mit hoffnungsvoller Besorgnis deren Gelingen und Scheitern verfolgen.‹

Und dann«, fuhr Mr. Balfour fort, »habe ich noch mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln meine Unterschrift daruntergesetzt. Ihr seht, es ist von ›einigen seiner Freunde‹ die Rede; hoffentlich habe ich damit nicht zuviel gesagt?«

»Durchaus nicht, Sir; meine Absichten werden von mehr als einem gebilligt«, entgegnete ich. »Und Euer Brief, für den ich Euch von ganzem Herzen danke, besagt alles, was ich mir nur wünschen kann.«

»Ich habe hineingepreßt, was mir nur irgend möglich war,« erklärte er, »und soweit ich über die Angelegenheit, in die Ihr Euch mischen sollt, unterrichtet bin, kann ich nur Gott bitten, daß es genügen möge.«

Viertes Kapitel


Der Lord Staatsanwalt Prestongrange

Mein Verwandter hielt mich noch zum Mittagessen fest, »um der Ehre des Hauses willen«, behauptete er; und ich glaube, ich legte den Rückweg um so rascher zurück. Ich hatte nur den einen Gedanken, auch den nächsten Schritt zu vollenden und mir damit jeden Rückzug abzuschneiden. Für einen Menschen in meiner Lage hatte eine derartige Geste, die der Unentschlossenheit und der Versuchung scheinbar einen Riegel vorschob, an sich schon etwas ungemein Verlockendes; um so enttäuschter war ich, als ich Prestongranges Haus erreichte und die Auskunft erhielt, daß er ausgegangen sei. Dies traf, glaube ich, für den Anfang und für die darauffolgenden paar Stunden auch zu; später war ich jedoch überzeugt, daß er nach Hause gekommen war und in einem der benachbarten Zimmer mit seinen Freunden tafelte, während man meine Anwesenheit wahrscheinlich ganz vergessen hatte. Wohl ein dutzendmal war ich nahe daran, wieder wegzugehen, und ich hätte es auch getan, wäre nicht das starke Verlangen gewesen, auf der Stelle meine Erklärung abzugeben, um mich dann mit reinem Gewissen schlafen legen zu können. Anfänglich beschäftigte ich mich mit Lesen, denn das kleine Arbeitszimmer, in dem man mich warten ließ, enthielt eine Menge Bücher. Aber ich fürchte, ich zog nur wenig Nutzen aus meiner Lektüre, und da die Dämmerung infolge des trüben Wetters früher als gewöhnlich einsetzte und mein Zimmer nur von einem einzigen kleinen Fenster erhellt wurde, war ich schließlich gezwungen, auch diesen Zeitvertreib (sofern es wirklich einer war) aufzugeben und den Rest der Zeit in überaus quälendem Nichtstun zu verbringen. Nur das Stimmengewirr im Nebenzimmer und die einschmeichelnden Töne eines Spinetts sowie einmal ein Lied, von einer Dame gesungen, leisteten mir gleichsam Gesellschaft.

Ich weiß nicht, wieviel Uhr es war; aber es war lange schon dunkel geworden, als die Tür zum Arbeitszimmer aufging und ich auf der Schwelle im Licht des Nebenraumes die hohe Gestalt eines Mannes erblickte. Ich erhob mich sogleich.

»Ist jemand hier?« fragte er. »Wer ist dort?«

»Ich bin der Überbringer eines Schreibens von dem Herrn von Pilrig an den Lord Staatsanwalt«, antwortete ich.

»Seid Ihr schon lange hier?« erkundigte er sich.

»Ich möchte nicht erraten, wieviele Stunden«, erwiderte ich.

»Das ist das erste, was ich davon höre«, meinte er mit einem leisen Lachen. »Die Burschen müssen Euch vergessen haben. Aber Ihr seid nun endlich am Ziel, denn ich bin Prestongrange.«

Mit diesen Worten schritt er an mir vorüber in das benachbarte Zimmer, wohin ich ihm auf seinen Wink folgte, und wo er eine Kerze anzündete und auf einen Schreibtisch stellte. Es war ein langgestreckter Raum von ansehnlichem Ausmaß, an den Wänden ganz mit Büchern bedeckt. Der schwache Lichtstrahl in der einen Ecke fiel auf die stattliche Gestalt und auf das energische Gesicht des Mannes. Es war gerötet, seine Augen tränten und funkelten hell, und ich bemerkte, daß er einigemal unsicher hin und her schwankte, ehe er sich setzte. Ohne Zweifel hatte er reichlich getrunken, aber er war vollkommen Herr seines Verstandes und seiner Zunge.

»Nun, Sir, nehmt Platz«, sagte er, »und laßt sehen, was Pilrig schreibt.«

Er durchflog den Brief anfänglich nur ganz oberflächlich, indem er bei meinem Namen aufblickte und mir eine Verbeugung machte; bei den letzten Worten jedoch verdoppelte er seine Aufmerksamkeit, und ich bin sicher, daß er sie zweimal las. Ihr könnt Euch denken, wie mir während dieser Zeit das Herz klopfte, denn jetzt hatte ich endgültig meinen Rubikon überschritten und mich in die Schlacht begeben.

»Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Mr. Balfour«, sagte er, als er geendet hatte. »Darf ich Euch ein Glas Wein anbieten?«

»Mit Verlaub, Mylord, ich täte mir selbst unrecht, es anzunehmen«, entgegnete ich. »Wie Ihr aus dem Briefe erseht, bin ich in einer für mich sehr ernsten Sache hierher gekommen; und da ich Wein nicht gewöhnt bin, könnte er mir leicht zu Kopf steigen.« »Wie Ihr wollt,« meinte er, »aber ich glaube, ich werde mit Eurer Erlaubnis für mich eine Flasche kommen lassen.«

Er klingelte, und wie auf ein verabredetes Signal erschien ein Lakai mit Wein und Gläsern.

»Wollt Ihr wirklich nicht mithalten?« erkundigte sich der Staatsanwalt. »Nun denn, auf unsere nähere Bekanntschaft! Womit kann ich Euch dienen?«

»Ich sollte vielleicht mit der Mitteilung beginnen, Mylord, daß ich auf Eure dringende Einladung hier bin«, sagte ich. »Da seid Ihr mir gegenüber irgendwo im Vorteil,« versetzte er, »denn ich muß gestehen, vor heute abend habe ich meines Wissens nach nie von Euch gehört.« »Das stimmt, Mylord, der Name dürfte Euch wirklich fremd sein«, sagte ich. »Und doch ist Euch seit langem sehr viel daran gelegen, meine Bekanntschaft zu machen, und Ihr habt dergleichen öffentlich erklärt.« »Ich wollte, Ihr gäbet mir irgendeinen Anhaltspunkt«, meinte er. »Ich bin kein Hexenmeister.«

»Vielleicht wird die Mitteilung genügen,« sagte ich, »daß ich bei Euer Lordschaft, wäre ich zum Scherzen aufgelegt – was durchaus nicht der Fall ist – Anspruch auf zweihundert Pfund erheben dürfte.« »Inwiefern?« forschte er. »Insofern, als auf Einlieferung meiner Person eine Belohnung ausgesetzt ist«, lautete meine Antwort.

Er schob sein Glas ein für allemal weit von sich und setzte sich in dem Stuhl, in dem er es sich bisher bequem gemacht hatte, kerzengerade aufrecht. »Was soll das heißen?« fragte er.

»Ein großer, kräftiger Bursche von etwa achtzehn Jahren«, zitierte ich, »spricht wie ein Tiefländer und trägt keinen Bart.« »Ich kenne diese Worte,« sagte er, »und sie können Euch, falls Ihr in der unangebrachten Absicht, Euch einen Scherz zu erlauben, hierhergekommen seid, teuer zu stehen kommen.« »Mein Wollen in dieser Angelegenheit«, entgegnete ich, »ist genau so ernst wie das Leben oder der Tod. Ihr habt mich restlos verstanden. Ich bin der Bursche, der mit Glenure sprach, als er erschossen wurde.«

»Ich kann nur annehmen (da Ihr hier steht), daß Ihr unschuldig zu sein behauptet«, sagte er.

»Die Folgerung liegt auf der Hand«, erwiderte ich. »Ich bin ein sehr guter Untertan König Georgs; doch wenn ich mir irgend etwas vorzuwerfen hätte, ich besäße mehr Vernunft, als mich in die Höhle des Löwen zu begeben.« »Das freut mich, Mr. Balfour«, sagte er. »Dies abscheuliche Verbrechen ist von einer Art, die jede Milde ausschließt. Blut ist auf barbarische Weise vergossen worden. Es ist vergossen worden in direkter Auflehnung gegen Seine Majestät und gegen unseren ganzen Gesetzeskodex, und zwar von denen, die als seine offenen Widersacher bekannt sind. Ich nehme diesen Fall sehr ernst. Ich will nicht leugnen, daß ich dies Verbrechen als direkt persönlich gegen Seine Majestät gerichtet ansehe.« »Und zum Unglück auch gegen eine andere hochgestellte Persönlichkeit, die vielleicht ungenannt bleiben möchte«, fügte ich ein wenig trocken hinzu.

»Wenn Ihr mit Euren Worten irgend etwas sagen wollt, so muß ich Euch erklären, daß ich sie im Munde eines getreuen Untertanen höchst unziemlich finde; und wären sie in der Öffentlichkeit gesprochen, ich würde es als meine Pflicht erachten, davon Notiz zu nehmen«, sagte er. »Ihr scheint mir den Ernst Eurer Lage nicht ganz begriffen zu haben, oder Ihr würdet Euch hüten, sie durch Reden zu verschlimmern, die die Reinheit der Justiz anzweifeln. Die Justiz macht in diesem Lande und in meinen geringen Händen vor keiner Person halt.«

»Ihr mißt meiner Rede eine zu persönliche Bedeutung bei, Mylord«, entgegnete ich. »Ich wiederhole nur, was im ganzen Lande Gemeingut ist, und was ich während meiner Reise überall von Leuten jeder politischen Richtung habe sagen hören.«

»Wenn Ihr älter und verständiger geworden seid, werdet Ihr begreifen, daß man derartiges Gerede nicht beachtet, geschweige denn wiederholt«, erklärte der Staatsanwalt. »Doch ich spreche Euch von jeder bösen Absicht frei. Jener Edelmann, den wir alle ehren, und der durch diese letzte Barbarei empfindlich getroffen worden ist, steht allzu hoch, als daß derartige Insinuationen ihn zu beleidigen vermöchten. Der Herzog von Argyle – Ihr seht, daß ich ganz offen mit Euch rede – nimmt sich die Angelegenheit zu Herzen, wie auch ich das tue, und wie wir beide es durch unsere juristischen Funktionen im Dienste Seiner Majestät zu tun verpflichtet sind. Ich wünschte nur, alle Hände wären in dieser argen Zeit so rein von Familienranküne. Jedoch der Zufall, daß wieder einmal ein Campbell das Opfer seiner Pflicht geworden ist – und wer, wenn nicht die Campbells, haben sich von jeher in die vordersten Reihen gestellt, wenn es galt, diesen Pfad zu beschreiten – das darf ich, der ich kein Campbell bin, getrost behaupten – – jener Zufall, wie gesagt, und die Tatsache, daß das Oberhaupt dieses großen Hauses gleichzeitig (zu unser aller Vorteil) auch das gegenwärtige Oberhaupt des Justizkollegiums ist, haben kleine Geister und mißvergnügte Zungen in jedem Wirtshaus des Landes in Aufruhr versetzt; und ich sehe einen jungen Gentleman wie Mr. Balfour so schlecht beraten, sich zu deren Echo zu erniedrigen.« Bisher hatte er mit stark rednerischer Pose wie vor versammeltem Gerichtshof gesprochen, jetzt aber fiel er wieder in die Art eines Gentleman. »Das für Euch privat«, meinte er. »Jetzt muß ich nur noch wissen, was ich mit Euch eigentlich anfangen soll.«

»Ich hatte gedacht, das würde ich von Eurer Lordschaft erfahren«, erwiderte ich. »Schon gut«, erklärte der Lord Staatsanwalt. »Doch seht, Ihr seid mit guten Empfehlungsschreiben zu mir gekommen, und es steht ein guter, ehrlicher Whigname unter diesem Brief«, fuhr er fort, ihn einen Augenblick vom Tische nehmend. »Und – außergerichtlich, Mr. Balfour – es gibt immer die Möglichkeit zu irgendeinem Ausgleich. Ich mache Euch darauf aufmerksam, und zwar gleich von vorneherein, damit Ihr auf Eurer Hut seid: Euer Schicksal ruht einzig und allein in meinen Händen. In dergleichen Dingen bin ich (mit aller Ehrfurcht zu vermelden ) mächtiger als Seine Majestät der König; und wenn Ihr mir im Verlaufe unserer Auseinandersetzung gefallt – – und selbstverständlich auch mein Gewissen beruhigt – – so kann, was jetzt noch zwischen uns vorgeht, unter uns bleiben.«

»Wie meint Ihr das?« erkundigte ich mich.

»Ich meine, Mr. Balfour,« entgegnete er, »keine Seele braucht auch nur von Eurem Besuch in meinem Hause zu erfahren, wenn Ihr mir eine befriedigende Erklärung gebt. Ihr seht, ich rufe nicht einmal meinen Schreiber herein.« Ich merkte, worauf er hinaus wollte. »Ich vermute, es ist wirklich überflüssig, daß irgend jemand von meinem Besuche erfährt,« sagte ich, »obwohl ich nicht sehe, was mir das nützen soll. Ich schäme mich durchaus nicht, hierhergekommen zu sein.«

»Und habt auch gar keine Ursache dazu«, meinte er in aufmunterndem Tone. »Ebenso wie Ihr die Folgen (wenn Ihr besonnen seid) nicht zu befürchten braucht.« »Mylord,« sagte ich, »ich bin, mit Eurer gütigen Erlaubnis, nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen.« »Das ist auch gewiß nicht meine Absicht«, erwiderte er. »Doch nun zu dem Verhör; und ich warne Euch noch einmal, antwortet nur auf das, was ich Euch fragen werde, ohne von Euch aus etwas hinzuzufügen. Das kann für Eure Sicherheit von größter Bedeutung sein; ich bin ganz außerordentlich diskret, aber alles hat seine Grenzen.« »Ich werde versuchen, Eurer Lordschaft Rat zu befolgen«, antwortete ich.

Er breitete ein Stück Papier auf dem Tische aus schrieb die Überschrift. »Es scheint, daß Ihr im Walde von Lettermore zugegen waret und am Wegrande standet, als der tödliche Schuß abgegeben wurde«, begann er. »War das ein Zufall?«

»Ein Zufall«, entgegnete ich. »Wie kam es, daß Ihr mit Colin Campbell spracht?« forschte er. »Ich erkundigte mich bei ihm nach dem Wege nach Aucharn«, antwortete ich. Ich bemerkte, daß er diese Entgegnung nicht niederschrieb. »Hm, wahr,« meinte er, »das hatte ich vergessen. Und soll ich Euch raten, Mr. Balfour? Ich würde an Eurer Stelle so wenig wie möglich bei Euren Beziehungen zu diesen Stuarts verweilen. Das könnte unser Geschäft bedeutend erschweren. Ich bin einstweilen nicht geneigt, diese Dinge als wesentlich zu betrachten.« »Ich dachte, Mylord, in einem solchen Falle wären alle Einzelheiten gleich wesentlich«, bemerkte ich. »Ihr vergeßt, wir haben es mit diesen Stuarts zu tun«, erwiderte er mit vielsagender Betonung. »Sollte es je dazu kommen, daß wir auch Euch vor die Schranken stellen, so ändert das die Lage ganz und gar, und ich werde alsdann die nämlichen Fragen, über die ich jetzt bereit bin, hinwegzugleiten, mit besonderer Schärfe verfolgen. Doch zur Sache: hier in Mr. Mungos Aussage steht, Ihr wäret sofort den Hügel hinaufgelaufen. Wie kam das?«

»Nicht unmittelbar darauf, Mylord, und die Ursache war, daß ich den Mörder erblickte.«

»Ihr saht ihn also?« »So deutlich wie ich Eure Lordschaft hier vor mir sehe, wenn auch nicht ganz so nah.«

»Würdet Ihr ihn wiedererkennen?«

»Das würde ich.« »Ihr waret bei Eurer Verfolgung also nicht so glücklich, ihn einzuholen?«

»Nein.« »War er allein?«

»Er war allein.« »Es war also niemand anders in der Nähe?«

»Alan Breck Stuart befand sich nicht weit davon entfernt im Walde.« Der Staatsanwalt legte sein Feder weg. »Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei,« sagte er, »und der Spaß dürfte Euch teuer zu stehen kommen.« »Ich bin zufrieden, Eurer Lordschaft Rat zu befolgen,« entgegnete ich, »und antworte lediglich auf das, was man mich fragt.« »Dann seid so klug, Euch rechtzeitig zu besinnen,« antwortete er; »ich behandle Euch mit denkbar größter Schonung, die Ihr indes kaum zu würdigen scheint, und die (wenn Ihr nicht vorsichtiger seid) vergeblich sein könnte.« »Im Gegenteil, ich weiß Eure Nachsicht vollauf zu schätzen, halte sie jedoch für falsch«, entgegnete ich, und fast wollte die Stimme mir versagen; denn ich erkannte, daß jetzt endlich der Kampf zwischen uns begonnen hatte. »Ich stehe hier, um gewisse Aussagen zu machen, kraft derer ich Euch überzeugen will, daß Alan an dem Morde Glenures keinen Anteil hatte.« Der Staatsanwalt schien einen Augenblick fassungslos. Da saß er, die Lippen aufgeworfen, und blinzelte mich an wie eine zornige Katze. »Mr. Balfour,« meinte er schließlich, »ich sage es Euch rund heraus: Euer Verhalten läuft Euren Interessen stracks zuwider.« »Mylord«, entgegnete ich, »ich bin von dem Vorwurf, in dieser Sache meine eigenen Interessen berücksichtigen zu wollen, so frei wie Eure Lordschaft selbst. So wahr Gott mich sieht, verfolge ich nur den einen Zweck, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und Unschuldige von Verdacht zu reinigen. Wenn ich mir dabei Eurer Lordschaft Ungnade zuziehe, muß ich das ertragen, so gut ich kann.«

Nach diesen Worten erhob er sich von seinem Sessel, zündete eine zweite Kerze an und blickte mir eine Weile fest ins Gesicht. Zu meiner Überraschung war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen; er sah sehr ernst und, wenn ich mich nicht irre, fast ein wenig bleich aus. »Ihr seid entweder höchst einfältig oder das gerade Gegenteil, und ich sehe, ich muß vertraulicher mit Euch reden«, sagte er schließlich. »Das hier ist ein politischer Fall, – ja, ja, ein politischer Fall, Mr. Balfour! – ob wir es nun wollen oder nicht – und ich zittere, wenn ich seine möglichen Folgen bedenke. An einen politischen Fall gehen wir – das brauche ich einem jungen Manne von Eurer Bildung wohl kaum erst zu sagen – mit ganz anderen Gedanken heran als an einen rein kriminellen. Salus populi suprema lex, das ist ein Maxim, das wir sonst nur in den Gesetzen der Natur wiederfinden: ich meine, es besitzt die Kraft der Notwendigkeit. Ich will Euch das, mit Verlaub, näher erklären. Ihr wollt mir weismachen – « »Verzeihung, Mylord, ich will Euch nur glauben machen, was ich beweisen kann«, unterbrach ich ihn. »Pah, pah, junger Herr!« lautete seine Antwort, »seid nicht gar so pragmatisch und erlaubt einem Manne, der Euer Vater (wenn nicht Euer Großvater) sein könnte, seine eigene, unvollkommene Redeweise zu gebrauchen und seine eigene bescheidene Meinung zu sagen, selbst wenn sie das Unglück hat, mit Mr. Balfours nicht übereinzustimmen. Ihr wollt mir einreden, daß Alan Breck unschuldig ist. Ich würde das, an sich, für unwichtig halten, zumal wir des Mannes nicht habhaft werden können. Doch die Frage nach Brecks Unschuld ist von weittragenderer Bedeutung. Würden wir seine Unschuld zugestehen, so wäre damit zugleich unsere ganze Anklage gegen einen zweiten und ganz andersartigen Verbrecher hinfällig geworden, gegen einen Mann, der alt und grau geworden ist in Hochverrat, der bereits zweimal die Waffen gegen seinen König ergriffen hat und zweimal begnadigt worden ist, gegen einen Volksaufwiegler und gegen den eigentlichen Anstifter der Tat (ganz gleich, wer den Schuß abfeuerte). Ich brauche Euch nicht erst zu sagen, daß ich James Stuart meine.«

»Und ich kann nur genau so offen erklären, daß Alans und James‘ Unschuld der Grund ist, weswegen ich privatim vor Eurer Lordschaft stehe, und daß ich, wenn nötig, bereit bin, sie in der öffentlichen Verhandlung durch meine Zeugenaussage zu beweisen.« »Worauf ich nur mit der gleichen Offenheit antworten kann, Mr. Balfour,« entgegnete er, »daß ich Euch (in diesem Falle) nicht als Zeuge aufrufen werde und Euch hiermit ersuche, Eure Auslagen in toto für Euch zu behalten.« »Ihr seid ein Oberhaupt der Justiz dieses Landes,« rief ich, »und Ihr schlagt mir ein derartiges Verbrechen vor?« »Ich bin ein Mann, der mit beiden Händen die Interessen dieses Landes pflegt,« erwiderte er, »und überrede Euch lediglich zu einer politischen Notwendigkeit. Vaterlandsliebe ist nicht durchwegs moralisch im formalen Sinne. Ihr solltet Euch eigentlich darüber freuen; die Indizien sprechen stark gegen Euch, und wenn ich mich noch immer bemühe, Euch von einem überaus gefährlichen Schritt zurückzuhalten, so geschieht das teils Eurer Ehrlichkeit wegen, hierherzukommen, für die ich nicht unempfänglich bin, und teils wegen Pilrigs Brief; in der Hauptsache aber, weil ich in dieser Sache an erster Stelle meine politische Pflicht und erst an zweiter Stelle meine Pflicht als Justizbeamter berücksichtige. Aus dem nämlichen Grunde – ich wiederhole es mit denselben ungeschminkten Worten – will ich Eure Aussagen nicht.« »Ich möchte nicht als fürwitzig erscheinen, wenn ich lediglich unsere beiderseitige Position kennzeichne«, entgegnete ich. »Aber ob auch Eure Lordschaft Aussage nicht brauchen können, glaube ich doch, daß die andere Partei sich sehr darüber freuen würde.« Prestongrange erhob sich und begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ihr seid nicht so jung, daß Ihr Euch nicht genau des Jahres ’45 erinnern könntet und des Schreckens, der damals im ganzen Lande herrschte. Aus Pilrigs Brief ersehe ich, Eure kirchlichen und politischen Anschauungen sind gesund. Wer hat sie in jenem verhängnisvollen Jahr gerettet? Ich denke dabei nicht an Seine Königliche Hoheit und an seine Ladestöcke, obzwar sie seinerzeit sehr nützlich waren. Das Land wurde gerettet und die Schlacht gewonnen, bevor noch Cumberland nach Drummossie kam. Wer hat es gerettet? Ich frage Euch noch einmal. Wer hat die protestantische Religion und den gesamten Bau unserer bürgerlichen Institutionen gerettet? An erster Stelle der verstorbene Lord Präsident Culloden; er handelte wie ein Mann, und der Dank, den er dafür erntete, war gering, so wie ich, den Ihr hier vor Euch seht, jeden Nerv im Dienste der Sache anspanne und keinen anderen Lohn erwarte als das Bewußtsein, meine Pflicht getan zu haben. Und wer an zweiter Stelle? Ihr kennt die Antwort so gut wie ich; teils haben sie einen Skandal daraus gemacht, auf den Ihr vorhin selbst anspieltet und dessentwegen ich Euch tadelte, am Anfange, als Ihr zu mir kamt. Es war der Herzog und der große Clan Campbell. Und jetzt ist ein Campbell heimtückisch ermordet worden, und obendrein noch im Dienste des Königs. Der Herzog und ich sind beide Hochländer. Aber wir sind zivilisierte Hochländer, und auf die große Masse unserer Clans und Familien trifft das nicht zu. Sie haben noch ihre barbarischen Tugenden und Fehler. Sie sind Wilde geblieben, wie diese Stuarts, mit dem einzigen Unterschied, daß die Campbells auf der richtigen Seite, die Stuarts aber auf der falschen stehen. Nun urteilt selbst. Die Campbells rechnen mit ihrer Rache. Bekommen sie sie nicht – geht dieser Mann James frei aus – dann gibt es Unruhen unter den Campbells. Und das bedeutet Aufruhr in den Hochlanden, die immer unruhig und durchaus nicht entwaffnet sind: die Entwaffnung ist eine Posse –« »Darin muß ich Euch recht geben«, bestätigte ich. »Aufruhr in den Hochlanden jedoch verschafft unseren wachsamen, alten Feinden die Gelegenheit, derer sie harren«, fuhr Seine Lordschaft fort, im Auf- und Abgehen jeden Satz mit dem Finger unterstreichend, »und ich gebe Euch mein Wort, daß wir ein zweites ’45 erleben werden, aber mit den Campbells auf der anderen Seite. Um das Leben dieses James Stuart zu retten – ein Leben, das er ein halbes dutzend Mal in anderen Dingen, wenn nicht in diesem verwirkt hat –, wollt Ihr Euer Vaterland in einen Krieg hineinhetzen, den Glauben Eurer Väter in Gefahr bringen und das Leben und Vermögen vieler tausend Unschuldiger aufs Spiel setzen? – Das sind Bedenken, die bei mir und, wie ich hoffe, auch bei Euch, der Ihr Euer Land, eine tüchtige Regierung und die Wahrheiten der Religion liebt, schwer in die Wagschale fallen, Mr. Balfour.« »Ihr sprecht sehr offen mit mir, und ich danke Euch dafür«, sagte ich. »Ich will versuchen, nun meinerseits nicht weniger aufrichtig zu sein. Ich halte Eure Politik für vernünftig. Ich glaube gern, daß diese hohen Pflichten Eurer Lordschaft auferlegt sind; ich glaube, daß Ihr sie mit Eurem Amtseid Eurem Gewissen auferlegt habt. Doch mir, der ich ein einfacher Mann – oder kaum erst ein Mann bin – müssen die einfachen Pflichten genügen. Ich kann nur zwei Dinge bedenken: die arme Seele, die sich in unmittelbarer Gefahr eines schändlichen und ungerechten Todes befindet, und die Tränen und Klagen seiner Frau, die mir noch immer in den Ohren klingen. Weiter vermag ich nicht zu sehen, Mylord. Ich bin wohl nun einmal so beschaffen. Soll das Land untergehen, so muß es untergehen. Und möge Gott mich erleuchten, wenn dies vorsätzliche Blindheit ist.« Er hatte mich regungslos angehört und stand noch eine Weile, ohne sich zu rühren. »Das ist ein unerwartetes Hindernis«, sagte er laut, aber zu sich selber. »Und was wollen Euer Lordschaft mit mir anfangen?« fragte ich. »Ihr wißt doch, ich könnte Euch, wenn ich es wollte, heute nacht im Gefängnis schlafen lassen.« »Mylord,« entgegnete ich, »ich habe schon an schlimmeren Orten genächtigt.« »Nun, mein Junge,« sagte er, »das eine geht klar aus unserer Unterredung hervor: ich kann mich auf Euer Wort verlassen. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr sowohl über das, was heute nacht hier vorgegangen ist, wie auch über den ganzen Appiner Mord schweigen werdet, und ich lasse Euch die Freiheit.« »Ich will es Euch bis morgen oder bis zu irgendeinem anderen nahen Tag versprechen«, entgegnete ich. »Ich möchte nicht als zu schlau erscheinen, aber würde ich mein Wort ohne jede Einschränkung geben, dann hätten Euer Lordschaft ja den Zweck erreicht.« »Ich hatte nicht die Absicht, Euch eine Falle zu stellen«, versetzte er. »Davon bin ich überzeugt.« »Laßt sehen«, fuhr er fort. »Morgen ist Sonntag. Kommt Montag früh um acht Uhr wieder und gebt mir bis dahin Euer Wort.« »Von Herzen gern, Mylord,« erwiderte ich, »und was Eure Äußerung zu mir betrifft, so will ich versprechen, zu schweigen, solange es Gott gefallen mag, Euch am Leben zu erhalten.« »Ihr werdet bemerkt haben,« meinte er alsdann, »daß ich keinerlei Drohungen gebraucht habe.« »Wie es von Eurer Lordschaft Edelmut zu erwarten war«, sagte ich. »Und doch bin ich nicht ganz so dumm, als daß ich die Natur der Drohungen, die unausgesprochen blieben, nicht erkannt hätte.«

»Nun,« sagte er, »ich wünsche Euch gute Nacht. Schlaft wohl, das ist mehr, als ich wahrscheinlich tun werde.« Dann griff er seufzend nach der Kerze und geleitete mich zur Haustür.

Neunzehntes Kapitel


Ich bin viel in den Händen der Damen

Das Kopieren war ein langweiliges Geschäft, zumal ich recht klar erkannte, daß die betreffende Angelegenheit in keiner Weise pressierte und sehr bald meine Beschäftigung als einen Vorwand zu betrachten begann. Kaum war ich damit fertig, da saß ich auch schon zu Pferde, um noch den letzten Rest Tageslicht auszunutzen; trotzdem wurde ich von der Dunkelheit überrascht und mußte in einem Hause in der Nähe von Almond Water übernachten. Noch vor Tagesgrauen war ich wieder im Sattel, und die Edinburger Läden wurden eben aufgeschlossen, als ich bei West Bow zum Tor hineinrasselte und vor des Lord Staatsanwalts Haus mein dampfendes Pferd zügelte. In meinem Besitze befand sich eine schriftliche Anweisung an Doig, Mylords Privatsekretär, von dem man annahm, daß er in alle Geheimnisse eingeweiht wäre – ein würdiger, häßlicher kleiner Mann, ganz Fett, Schnupftabak und Selbstsicherheit. Ich fand ihn in dem gleichen Vorraum, in dem ich mit James More zusammengestoßen war, vor einem Pult, trotz der Morgenfrühe über und über mit Tabakspuren bekleckst. Meinen Zettel las er mit peinlicher Sorgfalt durch, gleich einem Kapitel aus der Bibel.

»Hm,« meinte er, »Ihr kommt ein wenig spät, Mr. Balfour. Der Vogel ist ausgeflogen – wir ließen ihn frei.« »Miß Drummond befindet sich in Freiheit?« rief ich. »Jawohl! Weshalb sollten wir sie behalten? Versteht Ihr mich? Wem wäre damit gedient, wenn wir um des Mädels willen ein Aufhebens machen?«

»Wo wird sie jetzt sein?« forschte ich.

»Weiß der liebe Himmel«, antwortete Doig mit einem Achselzucken. »Sie wird zu Lady Allardyce gegangen sein.«

»Höchstwahrscheinlich.«

»Dann gehe ich auch dorthin.«

»Aber Ihr werdet zuvor doch einen Bissen zu Euch nehmen?« »Keinen Bissen und keinen Tropfen! Ich trank in Ratho einen tüchtigen Trunk Milch.«

»Gut, gut«, meinte Doig. »Ihr könnt indes Euer Pferd und Euer Gepäck hier lassen; es scheint, wir müssen Euch beherbergen.« »Nein, nein,« entgegnete ich, »am heutigen Tage von allen Tagen des Jahres wären Schusters Rappen nicht die richtigen Rösser für mich.« Da Doig ziemlich breiten Dialekt redete, war ich unwillkürlich in eine Aussprache verfallen, weit gröber als die, derer ich mich gewöhnlich mit großer Sorgfalt befleißigte. Um so beschämter war ich, als hinter mir eine dritte Stimme einige Takte aus einer Ballade summte:

»Lauf, sattle mir mein tapferes Roß,
Heut gilt’s, drum spute dich fein;
Will reiten über den Gatehope-Berg,
Besuchen die Liebste mein.«

Die junge Dame stand da im Morgennegligé, die Hände, wie abwehrend, in den Falten ihres Kleides vergraben. Trotzdem schien mir der Blick, mit dem sie mich betrachtete, nicht unfreundlich. »Mein ehrerbietigstes Kompliment, Miß Grant«, grüßte ich, mich verneigend. »Euch selber das gleiche«, antwortete sie und machte mir einen tiefen Knicks. »Gestattet mir, Euch an ein hausbackenes und altersgraues Sprichwort zu gemahnen: ›Durch Messen und Essen kam niemand noch zuschanden.‹ Die Messe kann ich Euch zwar nicht bieten, da wir alle gute Protestanten sind, aber das Essen möcht ich Euch dringend anempfehlen. Ferner müßte es mich wundernehmen, hätt ich nicht privatim für Euer Ohr einige Neuigkeiten, die den Aufenthalt hier lohnen dürften.« »Miß Grant,« sagte ich, »ich glaube, ich bin bereits etlicher munterer Worte wegen – die mir zugleich recht gütig dünkten – Euer Schuldner. Sie standen auf einem Papier ohne Unterschrift.«

»Ohne Unterschrift?« wiederholte sie mit drolligem, aber wunderbar schönem Ausdruck, wie jemand, der sich an etwas zu erinnern sucht. »Sonst müßte ich mich arg täuschen«, fuhr ich fort. »Doch uns bleibt ja noch Zeit genug, davon zu reden, da Euer Herr Vater so gütig ist, mich eine Zeitlang als Hausgenossen aufzunehmen; ›der Esel‹ bittet Euch daher, ihm dieses eine Mal die Freiheit zu gewähren.« »Ihr gebt Euch da einen harten Namen!«

»Mr. Doig und ich würden uns mit Freuden seitens Eurer geschickten Feder noch härtere gefallen lassen.« »Wieder einmal muß ich die Diskretion der Männer bewundern«, lautete die Antwort. »Aber macht, daß Ihr fortkommt, wenn Ihr wirklich nicht essen wollt. Um so früher seid Ihr zurück; die wilde Jagd ist doch umsonst. Macht, daß ihr fortkommt, Mr. David.« Und die Tür öffnend, fügte sie hinzu:

»Auf saß er auf sein wackeres Roß,
Fort ging’s über Berg und Rain;
Nicht schonte er Peitsche und stachligen Sporn;
So jagt er zur Liebsten fein.«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte Miß Grants Zitat auf dem Wege nach Dean alle Ehre. Die alte Lady Allardyce spazierte in Hut und Haube allein im Garten, gestützt auf einen schwarzen, mit Silber eingefaßten Spazierstock. Als ich vom Pferde stieg und mich ihr unter Bücklingen näherte, sah ich, daß ihr das Blut ins Gesicht schoß, und daß sie mit einer Miene, wie ich sie mir bei einer Kaiserin träumte, den Kopf in den Nacken warf. »Was führt Euch an meine Tür?« rief sie in schrillem, näselnden Ton. »Ich kann sie Euch nicht verschließen. Die Männer meines Hauses sind tot und begraben; ich habe weder Gatten noch Sohn, die sich an meiner Statt vor die Schwelle stellen könnten; jeder Bettler darf mich am Barte zupfen – ein Bart ist wirklich vorhanden – und das ist noch das Schlimmste an der Sache!« fügte sie halb zu sich selbst hinzu.

Ich war über diesen Empfang arg konsterniert, zumal die letzte Bemerkung, die von einer Verrückten zu stammen schien, machte mich sprachlos.

»Ich sehe, ich habe mir Eure Ungnade zugezogen Madame«, sagte ich. »Dennoch möchte ich so kühn sein, mich bei Euch nach Miß Drummond zu erkundigen.« Brennenden Auges blickte sie mich an, die Lippen in zwanzig Falten zusammengepreßt, zitternd auf ihren Stock gelehnt. »Das übersteigt doch alles!« stieß sie hervor. »Ihr kommt, um Euch nach ihr zu erkundigen? Wolle Gott, ich wüßte was von ihr!« »Sie ist nicht hier?« rief ich. Abermals warf die alte Dame den Kopf zurück, trat einen Schritt vor und fuhr mich so heftig an, daß ich schleunigst den Rückzug antrat.

»Schande über Eure lügnerische Zunge! Was? Ihr kommt, mich auszuhorchen? Im Gefängnis sitzt sie, wo Ihr sie hingebracht habt – mehr gibt es nicht zu sagen. Und von allen Wesen in Mannsbildkleidung mußtet gerade Ihr der Verräter sein! Ihr feiger Schuft! Wäre meinem Namen auch nur ein einziges Mannsbild verblieben, ich sorgte, daß Euch der Buckel verwamst würde, bis Ihr brülltet.« Mich dünkte es unratsam, länger an diesem Ort zu verweilen, da ich merkte, daß sie sich immer mehr in Zorn hineinredete. Ja, als ich nach dem Pfosten zurückwich, an dem mein Pferd angebunden war, folgte sie mir, und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich davonritt, einen Fuß im Steigbügel und mit dem anderen krampfhaft den zweiten Bügel suchend. Da ich nicht wußte, wohin ich mich mit meinen Nachforschungen noch wenden sollte, blieb mir nichts übrig, als nach dem Hause des Lord Staatsanwalts zurückzukehren. Ich wurde von den vier Damen sehr freundlich begrüßt, die alle beisammen saßen und sich bemüßigt fühlten, mit großer Ausführlichkeit und Langeweile für mich, alle Neuigkeiten zu erzählen, sowie alles, was es von Prestongrange zu berichten gab. Währenddessen beobachtete mich die junge Dame, die wieder allein zu sprechen ich mich von Herzen sehnte, mit verschmitztem Ausdruck und schien sich an meiner Ungeduld zu weiden. Endlich, als ich eine ganze Mahlzeit über mich hatte ergehen lassen und schon sehr nahe daran war, das Fräulein in Gegenwart ihrer Tante um eine Unterredung zu bitten, erhob sie sich, ging an das Notenpult, wählte ein Lied aus und sang in hohem Sopran: »Wer nicht nutzt die Gelegenheit, wartet vergeblich zu späterer Zeit«. Damit jedoch ließ ihre Strenge es bewenden; bald darauf führte sie mich unter irgendeinem Vorwand, den ich vergessen habe, in ihres Vaters Privatbibliothek. Dabei darf ich nicht unterlassen zu erwähnen, daß sie mit vollendeter Eleganz gekleidet war und ganz ungewöhnlich schön aussah.

»So, Mr. David, jetzt setzt Euch und laßt uns unter vier Augen miteinander plaudern. Ich habe Euch viel zu erzählen; außerdem scheine ich Euch in puncto Geschmack schweres Unrecht getan zu haben.«

»Inwiefern, Miß Grant? Ich hoffe, ich habe es niemals an schuldigem Respekt fehlen lassen.« »Darüber kann ich Euch beruhigen, Mr. David. Euer Respekt, ob gegenüber Euch selbst oder Euren armen Mitmenschen, war glücklicherweise stets exemplarisch. Ihr erhieltet von mir ein Billett?«

»Ich war so kühn, dies auf gewisse Indizien hin zu glauben; es wurde dankbar aufgenommen.«

»Es muß Euch ungeheuer überrascht haben. Aber wir wollen mit dem Anfang anfangen. Ihr erinnert Euch vielleicht noch eines Tages, da Ihr so freundlich waret, drei äußerst langweilige Fräulein nach Hause zu geleiten? Ich habe um so mehr Grund, ihn nicht zu vergessen, als Ihr die große Güte hattet, mich in einige Grundprinzipien der lateinischen Grammatik einzuführen, eine Tatsache, die sich unauslöschlich in mein Dankesbewußtsein eingegraben hat.« »Ich fürchte, ich war ein trauriger Pedant«, sagte ich, in der Erinnerung schamüberwältigt. »Bedenkt indes, daß ich Damengesellschaft durchaus ungewohnt bin.« »Wir wollen also die Grammatik nicht weiter erwähnen. Wie kamt Ihr aber dazu, Eure Schutzbefohlenen im Stich zu lassen? ›Und er stieß sie hinweg und sah sie nimmer an, sein Annchen, sein süßes, süßes Annchen‹« summte sie. »Nun, sein Annchen und ihre beiden Schwestern mußten wie eine Herde junger Gänse ganz allein nach Haus marschieren! Ihr kehrtet, wie es scheint, zu meinem Papa zurück und benahmt Euch ungemein martialisch, und von dort ging es in unbekannte Gegenden, zuletzt offenbar nach der Insel Baß; aber vielleicht sind Lummen mehr nach Eurem Geschmack als hübsche Mädchen?« Durch all diese Neckerei hindurch schimmerte in der Dame Auge ein gewisses Wohlwollen, das mich annehmen ließ, sie habe Besseres für mich in petto.

»Ihr findet Vergnügen daran, mich zu quälen, und ich gebe ein recht wehrloses Spielzeug ab. Laßt Euch jedoch bitten, etwas barmherziger zu sein. Zur Zeit gelüstet es mich, nur das eine zu hören: Neues über Catriona.« »Nennt Ihr sie auch in ihrer Gegenwart bei diesem Namen?« »Mein Wort darauf, ich weiß es nicht genau«, stammelte ich. »Jedenfalls würde ich das nicht vor Fremden tun. Weshalb seid Ihr eigentlich so sehr an dieser jungen Dame Schicksal interessiert?« »Ich hörte, sie befände sich im Gefängnis.«

»Nun, jetzt hört Ihr, daß sie nicht mehr dort ist; was wollt Ihr mehr? Sie bedarf in Zukunft keines Ritters.« »Um so mehr bedarf ich ihrer, gnädiges Fräulein.« »Ach, das klingt schon besser! Aber blickt mir einmal gerade ins Gesicht; bin ich nicht hübscher als sie?«

»Ich wäre der letzte, das zu bestreiten; es gibt in ganz Schottland nicht Euresgleichen.« »Nun, jetzt habt Ihr die Wahl zwischen uns beiden und müßt durchaus nur von der andern reden? Das ist nie und nimmer die rechte Art, Damen zu gefallen, Mr. Balfour.« »Aber, Fräulein, zweifellos gibt es doch noch andere Dinge als Schönheit.« »Womit ich zu verstehen habe, daß ich nicht besser bin, als ich eigentlich sein sollte?«

»Womit Ihr gnädigst verstehen wollt, daß ich dem Hahn im Fabelbuche gleiche. Ich sehe zwar das kostbare Juwel – und es gefällt mir gut – aber mir tut ein Körnlein Weizen wohler«. »Bravissimo!« rief sie. »Endlich eine gut gedrehte Antwort, und Euer Lohn soll meine Geschichte sein. In der Nacht, da Ihr desertiertet, kehrte ich in vorgeschrittener Stunde von einer Freundin zurück – in deren Haus ich baß bewundert wurde, was immer Eure Ansicht sein mag – und was erfahre ich bei meiner Rückkunft? Daß mich ein Mädchen in Hochlandstracht zu sprechen wünscht. Sie sei schon über eine Stunde da, behauptete das Dienstmädel, und habe im Warten geweint. Ich ging direkt zu ihr; sie erhob sich bei meinem Eintritt, und ich erkannte sie auf den ersten Blick. ›Die Grauen Augen!‹ sagte ich zu mir selbst, war aber so klug, mir nichts merken zu lassen. ›Endlich! Ihr werdet Miß Grant sein?‹ sagte sie, sich erhebend, und sah mich mit festem, traurigen Blick an. ›Ja, er hat wahr gesprochen, Ihr seid schön, das ist gewiß.‹ – ›So wie Gott mich erschaffen hat, liebes Kind,‹ sagte ich, ›aber ich wäre froh und dankbar, wenn Ihr mir sagen wolltet, was Euch zu dieser Nachtzeit hierher führt? – ›Fräulein,‹ sagte sie, ›wir gehören der gleichen Sippe an, wir sind beide vom Blut der Söhne Alpins.‹ – ›Liebes Kind,‹ erwiderte ich, ›mir bedeuten Alpin und seine Söhne nicht mehr als irgendein Kohlstrunk. Diese Tränen da auf Eurem hübschen Gesicht sind in meinen Augen ein gewichtigeres Argument.‹ Darauf hatte ich die Schwäche, sie zu küssen, wozu Ihr ebenfalls große Lust habt – aber ich wette, Ihr werdet nimmermehr den Mut dazu aufbringen. Ich sagte schon, daß es von mir eine Schwäche war, und in Wahrheit kannte ich ja an dem Mädchen nichts als ihr Äußeres. Trotzdem war dieser Kuß das Klügste, das ich hätte tun können. Sie ist ein wackeres, tapferes Mädchen, an Zärtlichkeiten aber kaum gewöhnt, wie mir scheint, und mit dieser Liebkosung (die, um die Wahrheit zu gestehen, gar leichtfertig gegeben wurde) hatte ich ihr ganzes Herz gewonnen. Nun werde ich Euch aber keineswegs die Geheimnisse meines Geschlechts verraten, Mr. Davie; niemals sollt Ihr wissen, wie sie mich um den Finger wickelte, denn auf ganz die gleiche Art wird sie auch Euch um den Finger wickeln. Wahrhaftig, sie ist ein prächtiges Mädchen! So klar wie ein Bergquell!« »Ja, das ist sie!« rief ich. »Also, sie klagte mir ihr Leid,« fuhr Miß Grant fort, »und welchen Kummer sie um ihren Papa litte und welche Sorge um Euch – mit sehr geringem Grund – und wie ratlos sie gewesen wäre, als Ihr sie verlassen hattet. ›Und endlich‹, sagte sie, ›fiel mir ein, daß wir ja von einer Sippe sind, und daß Mr. David Euch als die Schönste aller Schönen geschildert hatte, und ich sagte zu mir selbst: Wenn sie so schön ist, dann ist sie auch gut, und deshalb machte ich mich auf den Weg zu Euch!‹ Das war der Augenblick, als ich Euch alles verzieh, Mr. Davie. Solange Ihr Euch in meiner Gesellschaft befandet, schienet Ihr auf glühendem Rost zu braten; hab ich je einen jungen Mann sich von mir fortsehnen sehen, so wart Ihr der Mann, und ich nebst meinen beiden Schweizern waren die Damen, denen Ihr entfliehen wolltet. Jetzt aber schien es, als hättet Ihr so en passant dennoch einige Notiz von mir genommen und die Güte gehabt, Euch wohlwollend über meine Reize zu äußern! Von jener Stunde an mögt Ihr meine Freundschaft für Euch datieren; gleichzeitig begann ich mit zärtlicher Nachsicht der lateinischen Grammatik zu gedenken.«

»Ihr werdet noch viele Stunden Zeit haben, meiner zu spotten«, sagte ich. »Zudem bin ich der Meinung, daß Ihr Euch selber unrecht tut. Ich glaube, Catriona war es, die mir Euer Herz zuwandte. Sie ist zu schlicht, die Steifheit ihres Freundes zu bemerken, wie Ihr es tut.« »Darauf möchte ich keine Wette eingehen, Mr. David. Das Mädchen hat helle Augen. Aber zum minderten ist sie ganz und gar Eure Freundin, wie ich gar bald erfahren sollte. Ich führte sie zu Seiner Lordschaft, meinem Herrn Papa; und Seine richterliche Gnaden waren so gütig, da er sich in angenehmer Rotweinlaune befand, uns beide zu empfangen. ›Hier sind die Grauen Augen, die Euch in letzter Zeit so viel zu schaffen machte‹, sagte ich; ›sie sind erschienen, um zu beweisen, daß wir die Wahrheit redeten. Hiermit lege ich Euch das hübscheste Mädchen in den drei Lothians zu Füßen‹ – innerlich machte ich selbstverständlich ein jesuitisches Reservatio zu meinen Gunsten. Das Mädchen paßte ihr Verhalten meinen Worten an: schon lag sie vor ihm auf den Knien – ja, ich möchte wetten, daß er gleich zwei hübsche Mädchen vor sich sah, was Catrionas Bitte zweifellos um so unwiderstehlicher machte – Ihr seid ja samt und sonders spitzbübische Mohammedaner. Sie erzählte ihm, was sich in jener Nacht ereignet hatte, und wie sie ihres Vaters Knecht zurückgehalten hätte, Euch zu folgen, und wie verzweifelt sie über ihren Vater wäre, und wie aufgeregt über Euer Schicksal, und sie bat ihn unter Tränen um Euer beider Leben (die beide durchaus nicht bedroht waren), bis ich, auf mein Wort, zugleich stolz war auf mein Geschlecht, weil alles mit solcher Anmut vorgetragen wurde, und mich seiner ob des geringen Anlasses schämte. Sie war noch nicht weit gekommen, bevor der Lord Staatsanwalt, angesichts der Tatsache, daß ein junges Mädchen seine geheimste Politik enthüllte und der unlenksamsten aller Töchter verriet, völlig nüchtern wurde. Aber wir nahmen ihn vereint in die Hand und brachten die Affäre bald in Ordnung. Richtig geleitet – will sagen, von mir geleitet – gibt es keinen, der sich mit meinem Papa messen kann.«

»Mir gegenüber hat er sich als guter Mensch gezeigt.« »Nun, zu Catriona war er gleichfalls gut; ich war dabei, um drauf zu achten.«

»Sie hat also wirklich für mich gebeten?«

»Freilich, und zwar recht inständig; ich möchte Euch nicht wiederholen, was sie sagte – ich finde, Ihr seid schon eitel genug.«

»Gott lohne es ihr!«

»Durch Mr. David Balfours Hand, nicht wahr?«

»Da endlich tut Ihr mir zuviel Unrecht!« rief ich. »Ich zittere bei dem Gedanken, sie in so harten Händen zu sehen. Meint Ihr, ich würde fürwitzig sein, nur weil sie für mich gebeten hat? Das täte sie auch für einen wehrlosen jungen Hund! Da hätt ich schon stärkeren Grund, mir Mut zu machen, wenn Ihr’s nur wüßtet. Sie hat mir diese meine Hand geküßt. Ja, das hat sie. Wollt Ihr wissen, weshalb? Weil sie glaubte, daß ich eine wackere Rolle spielte und vielleicht in meinen Tod ginge. Es geschah nicht um meinetwillen – aber das brauche ich Euch, die Ihr mich, ohne zu lachen, gar nicht ansehen könnt, nicht erst zu sagen. Es geschah aus Liebe zu meiner Handlung, die sie für tapfer hielt. Ich glaube, außer mir und dem Prinzen Charlie ist noch niemandem dergleichen Ehre widerfahren. Heißt das nicht, aus mir einen Götzen machen? Und zweifelt Ihr etwa, daß mein Herz in Erinnerung daran zittert?«

»Ich muß wirklich oft über Euch lachen, weit öfter, als es mit Höflichkeit ganz vereinbar ist; aber ich will Euch eins verraten: wenn Ihr auf diese Weise zu ihr sprecht, bleibt Euch ein matter Schimmer von Hoffnung.« »Nie!« rief ich aus. »Dazu hätte ich niemals die Courage. Zu Euch kann ich reden, Miß Grant, weil mir gleichgültig ist, was Ihr von mir denkt. Aber zu ihr –? Keine Angst!«

»Ich glaube wahrhaftig, Ihr habt die plumpsten Füße in ganz Schottland«, lautete ihre Antwort.

»Wahrhaftig, sehr klein sind sie nicht«, meinte ich und blickte auf meine Füße hinab.

»Ach arme Catriona!« rief Miß Grant.

Da konnte ich nicht anders, ich mußte sie verwundert anstarren, denn, obwohl ich genau wußte, worauf sie (vielleicht sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung) hinauswollte, war ich doch von jeher angesichts so leichten Geplänkels recht schwerfällig. »Ja, ja, Mr. David,« bemerkte sie, »es läuft meinem Gewissen zwar stracks zuwider, aber ich sehe, ich muß mich zu Eurem Sprachrohr erwählen. Sie soll erfahren, daß Ihr unmittelbar nach der Nachricht von ihrer Gefangensetzung hierher eiltet; sie soll wissen, daß Ihr nicht warten wolltet, um zu essen, und von unserem Gespräch soll sie so viel hören, als ich für eine Jungfrau ihres Alters und ihrer mangelnden Erfahrung für richtig erachte. Glaubt mir, Euch wird auf diese Weise viel besser gedient sein, als Ihr Euch selber dienen könnt; ich werde sorgen, daß die plumpen Füße nicht dazwischen stolpern.«

»So wißt Ihr, wo sie sich befindet?«

»Ich weiß es, Mr. David, aber ich werde es Euch niemals verraten.«

»Weshalb nicht?«

»Nun, ich bin, wie Ihr bald merken werdet, meinen Freunden eine gute Freundin, und mein bester Freund ist mein Papa. Ich versichere Euch, von diesem Standpunkt werden weder Hitze noch Kälte mich abbringen, also verschont mich mit Euren Lammsaugen. Inzwischen wünsche ich Eurer David-Balfourschaft Adieu.«

»Noch eins!« rief ich. »Es gibt da einen Punkt, der aufgeklärt werden muß, da er ihr selbst und auch mir schwer schadet.« »Also faßt Euch kurz, ich habe Euch ohnehin die Hälfte meines Tages gewidmet.«

»Mylady Allardyce glaubt –« hub ich an – »ist der Ansicht – meint – ich hätte sie entführt.«

Miß Grant schoß das Blut ins Gesicht, daß ich anfänglich ganz zerknirscht war, sie so schamhaft zu finden, bis mir endlich der Gedanke kam, sie bemühe sich vielmehr, ihrer Heiterkeit Herr zu werden – eine Auffassung, die vollkommen durch den zitternden Ton ihrer Antwort bestätigt wurde: –

»Ich werde die Verteidigung Eurer Reputation auf mich nehmen. Ihr dürft sie mir getrost überlassen.«

Mit diesen Worten verließ sie die Bibliothek.

Zwanzigstes Kapitel


Ich fahre fort, mich in guter Gesellschaft zu bewegen

Genau zwei Monate blieb ich als Gast in der Prestongrangeschen Familie, wo ich meine Bekanntschaft mit Richtern und Advokaten, ja mit der Blüte der Edinburgher Gesellschaft vervollständigte. Trotzdem darf man nicht annehmen, daß ich meine Ausbildung vernachlässigte; ich hatte im Gegenteil alle Hände voll zu tun. Vor allem studierte ich Französisch, um mich auf meinen Leydener Aufenthalt vorzubereiten; außerdem lernte ich fechten und übte mich darin fleißig, mitunter drei Stunden den Tag, so daß ich gute Fortschritte machte. Auf Vorschlag meines Vetters Pilrig, der ein tüchtiger Musiker war, nahm ich an einem Singkursus teil und auf Befehl von Miß Grant an einer Tanzstunde, der ich indes nicht zur Zierde gereichte. Alle jedoch waren so gütig, zu behaupten, daß diese Dinge mir ein wenig Schliff verliehen. Jedenfalls lernte ich, meine Rockschöße und mein Rapier mit größerer Gewandtheit schwenken und mich in einem Salon bewegen, als gehöre das Zimmer mir. Auch meine Kleidung wurde mit großem Ernst von A bis Z revidiert, und selbst die lächerlichsten Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Frage, wie und mit welcher Farbe Band ich meine Haare binden sollte, wurden von den drei Fräulein mit einem Ernst erörtert, der einer gewichtigen Sache wert gewesen wäre. Alles in allem veränderte ich mich äußerlich stark zu meinem Vorteil, ja ich gewann ein leicht modisches Aussehen, das die guten Leute in Essendean fraglos in Erstaunen gesetzt hätte. Die beiden jüngeren Fräulein waren außerordentlich gern bereit, Toilettenfragen mit mir zu erörtern, da ihr Denken sich vornehmlich in dieser Richtung bewegte. Sonst könnte ich kaum sagen, daß sie in irgendeiner Weise von meiner Gegenwart Notiz zu nehmen schienen. Obwohl sie stets höflich waren, ja mich mit einer Art herzloser Herzlichkeit behandelten, konnten sie doch nicht verhehlen, wie sehr ich sie langweilte. Was nun die Tante betraf, so war sie eine merkwürdig stille Frau; ich glaube, sie zollte mir ungefähr ebensoviel Aufmerksamkeit wie den übrigen Mitgliedern der Familie, und das war wenig genug. So kam es, daß ich mich vor allem dem Staatsanwalt selbst und seiner ältesten Tochter anschloß, und unsere Intimität wuchs noch dank eines Vergnügens, das wir gemeinsam genossen. Vor Zusammentritt des Gerichts verbrachten wir ein, zwei Tage auf Schloß Grange, wo wir in großzügigster Weise offenes Haus hielten; hier war es auch, daß wir drei anfingen, miteinander über die Wiesen zu reiten, ein Zeitvertreib, den wir, sofern des Staatsanwalts ständige Geschäfte es gestatteten, noch in Edinburgh fortsetzten. Sobald die muntere Bewegung, die Schwierigkeiten des Weges oder die Zufälle schlechten Wetters unser Blut in Wallung brachten, verlor ich auch meine Schüchternheit. Dann vergaßen wir, daß wir einander fremd waren, und das Gespräch floß um so zwangsloser, als niemand zu sprechen sich verpflichtet fühlte. So kam es, daß sie mir meine Geschichte entlockten, Stück für Stück, von der Zeit an, da ich Essendean verließ bis zu meiner Fahrt auf der ›Covenant‹ und meinen Wanderungen durch die Heide usw., und dem Interesse, das sie an meinen Abenteuern nahmen, entsprang ein kleiner Ausflug, den wir bald darauf an einem Tag, da keine Gerichtsverhandlung war, unternahmen, und den ich hier ein wenig ausführlicher behandeln möchte. Wir saßen schon früh am Morgen auf und ritten zuerst nach dem Hause Shaw, das rauchlos und leblos in einer weißen, mit Rauhreif bedeckten Ebene lag. Hier stieg Prestongrange vom Pferde, reichte mir die Zügel und begab sich allein ins Haus, um meinen Onkel zu besuchen. Ich weiß noch, daß mein Herz bei dem Anblick dieses öden Gebäudes und bei dem Gedanken an den alten Geizhals, der frierend in seiner kalten Küche hockte, vor Bitterkeit schwoll.

»Das ist nun mein Heim und meine Familie«, sagte ich.

»Armer David Balfour!« entgegnete Miß Grant.

Was sich während des Besuches ereignete, habe ich nie erfahren; aber ich zweifle keinen Augenblick, daß es für Ebenezer nicht sonderlich angenehm war, denn als der Lord Staatsanwalt wieder erschien, war sein Blick finster.

»Ich glaube, Ihr werdet hier bald der Herr sein, Mr. David«, bemerkte er und wandte sich, den Fuß im Steigbügel, noch einmal halb zurück.

»Ich will nicht behaupten, daß es mich reuen würde«, antwortete ich; um die Wahrheit zu sagen, hatten Miß Grant und ich während Prestongranges Abwesenheit Pläne entworfen, wie man das Anwesen durch Anpflanzungen, Beete und Terrassen verschönern könnte, Pläne, die ich seitdem größtenteils ausgeführt habe. Von dort ritten wir drei nach Queensferry, wo Rankeillor uns einen herzlichen Empfang bereitete. Ja, er war ganz außer sich über die Ehre, so hohen Besuch bei sich zu sehen. Hier hatte der Lord Staatsanwalt die unverhohlene Güte, sich eingehendst nach meinen Angelegenheiten zu erkundigen und sich über zwei Stunden mit dem Advokaten in seinem Studierzimmer zu beraten, wobei er (wie man mir später erzählte) große Achtung vor mir selbst und ein lebhaftes Interesse an dem Stand meiner Geschäfte bezeugte. Um die Zeit zu vertreiben, nahmen derweil Miß Grant, ich und der junge Rankeillor ein Boot und setzten über die Hope nach Limekilnes über. Rankeillor benahm sich dabei recht lächerlich und (meiner Meinung nach) auch unschicklich, so groß war seine Bewunderung für die junge Dame; diese jedoch schien zu meinem Erstaunen (trotzdem das eine allgemeine Schwäche ihres Geschlechts ist) eher Gefallen daran zu finden. Allerdings hatte sein Verhalten ein Gutes: als wir das jenseitige Ufer erreichten, befahl sie ihm, das Boot zu hüten, während sie und ich nach dem Wirtshause weitergingen. Miß Grant war selbst auf diesen Gedanken gekommen; mein Bericht hatte sie für Alison Hastie sehr eingenommen, und sie wünschte persönlich mit dem Mädchen zu sprechen. Auch diesmal fanden wir die Wirtstochter allein – ich glaube, ihr Vater arbeitete den ganzen Tag auf dem Felde – und sie machte den Herrschaften, insbesondere der schönen jungen Dame in dem Reithabit, pflichtgemäß einen ehrerbietigen Knicks. »Soll das unser ganzer Willkomm sein?« fragte ich, ihr die Hand entgegenstreckend. »Erinnerst du dich nicht eines alten Freundes?« »Gott im Himmel, wer ist denn das?« stieß sie hervor und fügte hinzu: »Gottes Wahrheit, es ist der zerlumpte, junge Bursch!«

»Niemand anders«, bestätigte ich.

»Wie oft hab ich an Euch und Euern Freund denken müssen, und wie freue ich mich, Euch in den schönen Kleidern zu sehen! Zwar wußte ich, daß Ihr zu Eurer Familie zurückgekehrt wäret; das zeigte mir das prächtige Geschenk, das Ihr mir sandtet, und ich danke Euch auch von Herzen.« »So,« sagte Miß Grant, zu mir gewandt, »jetzt seid ein guter Bursch und laßt uns allein. Ich bin nicht gekommen, um Euch das Licht zu halten; sie und ich wollen miteinander schwätzen.« Sie blieb an die zehn Minuten im Hause, und als sie herauskam, bemerkte ich zweierlei: ihre Augen waren gerötet, und an ihrem Busen fehlte eine silberne Brosche. Das rührte mich tief. »Noch nie sah ich Euch so schön geschmückt«, bemerkte ich. »Ach Davie, Bursch, sei kein geschraubter Geck!« lautete ihre ganze Antwort, und den Rest des Tages war ihr Ton mir gegenüber ungewöhnlich scharf.

*

Längere Zeit hörte ich nichts mehr von Catriona. Miß Grant blieb nach wie vor undurchdringlich und verschloß mir mit Neckereien den Mund. Eines Tages jedoch, als sie von einem Spaziergang heimkehrte, fand sie mich im Salon allein über meinem Französisch, und ich glaubte an ihrem Aussehen etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Ihre Farben waren lebhafter als sonst, die Augen funkelten übermütig, und jedesmal, wenn sie mich ansah, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Ja, sie dünkte mich der verkörperte Mutwillen, und bald hatte sie mich, munter im Zimmer auf und ab spazierend, in eine Art Streit um nichts verstrickt (zum minderten war auf meiner Seite nichts Böses beabsichtigt). Ich glich dem guten Christen in der Fabel, der durch einen Sumpf watet – je mehr ich mich am Ufer hinauszuarbeiten suchte, um so tiefer sank ich hinein, bis sie zuletzt mit großer Heftigkeit erklärte, eine derartige Antwort ließe sie sich von niemandem gefallen, und ich hätte sie auf der Stelle kniefällig um Verzeihung zu bitten. Die Zwecklosigkeit all dieses Lärms trieb auch mir die Galle hoch. »Ich habe nichts gesagt, an dem Ihr gerechterweise Anstoß nehmen könntet,« erwiderte ich, »und was das Hinknien betrifft, so spare ich eine derartige Stellung für den Herrgott auf.« »Und ich will wie eine Göttin behandelt werden!« rief sie mit lebhaft gerötetem Gesicht, ihre braunen Locken schüttelnd. »Jeder Mann, der auch nur in die Nähe meiner Weiberröcke kommt, hat mich so zu behandeln!«

»Ich will so weit gehen, Euch um Verzeihung zu bitten, da die Sitte es erheischt, obwohl ich schwöre, daß ich nicht weiß, welche Ursache ich dazu hätte. Aber was diese Schauspielergebärden anbelangt, so müßt Ihr Euch einen anderen suchen.« »O Davie, wenn ich Euch nun darum bitte!« Da fiel mir ein, daß ich es ja mit einer Frau zu tun hatte, also mit einem Kinde, und daß sich das Ganze obendrein nur um eine Äußerlichkeit drehte.

»Ich halte es zwar für kindisch«, entgegnete ich, »und für ein Euer unwürdiges Verlangen, ebenso wie die Gewährung meiner unwürdig ist. Trotzdem will ich es Euch nicht verweigern. Die Schande komme über Euer Haupt!« Mit diesen Worten sank ich tatsächlich in die Knie. »Da,« rief sie. »Das ist die Euch geziemende Stellung; ich hatte es mir vorgenommen, Euch dahin zu bringen.« Und plötzlich warf sie mir mit den Worten: »Fangt auf!« ein Billett zu und rannte lachend aus dem Zimmer. Das Billet verriet weder ein Datum noch den Ort des Schreibens. Es lautete: »Lieber Mr. David, – Ich höre regelmäßig von Eurem Wohlergehen durch meine Base, Miß Grant, und höre stets Angenehmes. Mir geht es sehr gut; ich befinde mich an einem freundlichen Ort bei freundlichen Menschen, muß mich aber wohl oder übel recht still verhalten, obwohl ich hoffe, Euch endlich einmal wiederzusehen. All Eure Freundschaften sind mir von meiner lieben Base, die uns beide liebt, berichtet worden. Sie will, daß ich Euch diesen Brief sende, und hat selbigen überwacht. Ich bitte Euch, alle ihre Befehle auszuführen, und verbleibe Eure treue Freundin Catriona MacGregor-Drummond. P.S. Wollt Ihr nicht meine Base Allardyce aufsuchen?«

Ich erachte es als eines meiner glanzvollsten Bravourstückchen (wie es im Jargon der Militärs heißt), daß ich tat, worum man mich gebeten hatte, und mich unverzüglich nach Dean begab. Aber die alte Dame war jetzt vollständig verändert und so schmiegsam wie ein Handschuh. Wie Miß Grant das zuwege gebracht hatte, vermochte ich nie zu erraten. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß sie in dieser Affäre nicht offen hervorzutreten wagte, da ihr Papa sich darin bereits ziemlich tief kompromittiert hatte. In der Tat war er es gewesen, der Catriona überredet hatte, ihre Base zu verlassen oder, richtiger, nicht zu ihr zurückzukehren, und der sie statt dessen bei einer Familie Gregory einquartiert hatte – anständigen Leuten, die dem Lord Staatsanwalt durchaus ergeben waren, und in die Catriona um so mehr Vertrauen setzte, als sie zu ihrem eigenen Clan und Stamm gehörten. Diese Familie hielt sie bei sich verborgen, bis die Zeit reif war, spornte sie an und half ihr, ihres Vaters Befreiung durchzuführen und nahm sie, nach ihrer Entlassung, in gleicher Heimlichkeit wieder bei sich auf. So bemächtigte und bediente sich Prestongrange seines Werkzeugs, ohne daß auch nur eine Silbe von seiner Bekanntschaft mit James Mores Tochter ruchbar wurde. Natürlich munkelte man allerlei über die Flucht einer so zweifelhaften Persönlichkeit; aber die Regierung antwortete durch ostentative Strenge; einer der Gefangenenwärter wurde ausgepeitscht, und der wachhabende Leutnant (mein armer Freund Duncansby) verlor seinen Offiziersrang. Was Catriona anbetrifft, so fand die gesamte Männerwelt an ihrem Vergehen derartiges Gefallen, daß alle es wohl zufrieden waren, sie straffrei entkommen zu sehen. Miß Grant war durch nichts zu bewegen, Catriona ein Antwortbillett zu überbringen. »Nein,« entgegnete sie auf meine wiederholten Bitten, »ich bin entschlossen, die plumpen Füße vor dem Dazwischenstolpern zu bewahren.« Für mich war das um so schwerer zu ertragen, als ich wußte, daß sie mehrere Male in der Woche mit meiner kleinen Freundin zusammentraf und ihr jedesmal, »wenn ich brav gewesen war« (wie sie sich ausdrückte), von mir berichtete. Endlich machte sie mir eine Freude, zum mindesten nannte sie es so, mich dünkte die Sache jedoch eher eine Neckerei. Sie empfand ohne Frage eine starke, fast heftige Freundschaft für alle Menschen, die sie gut leiden konnte, darunter mit an erster Stelle für ein kränkliches, altes Edelfräulein, stockblind und sehr geistreich, das zusammen mit einer Schar eingesperrter Hänflinge auf einem hohen Hügel oberhalb eines engen Hofes häufte und den ganzen Tag über zahlreiche Besuche empfing. Miß Grant liebte es sehr, mich dorthin zu führen, damit ich die alte Dame mit dem Bericht meiner Abenteuer unterhielte, und Miß Tibbie Ramsay (so hieß das alte Fräulein) war stets besonders liebenswürdig und erzählte mir viel Wissenswertes von den alten Familien und vergangenen Ereignissen in Schottland. Ich muß noch erwähnen, daß man von ihrem Zimmerfenster aus keine drei Fuß entfernt – so eng ist der betreffende Hof – in ein vergittertes Ochsenauge blicken konnte, das den Treppenflur des gegenüberliegenden Hauses erhellte. Hier ließ mich Miß Grant eines schönen Tages unter irgendeinem Vorwande mit Miß Ramsay allein; ich weiß noch, daß die alte Dame mir unaufmerksam und zerstreut erschien. Außerdem fühlte ich mich unbehaglich, da entgegen jeder Gewohnheit das Fenster offen stand und es draußen kalt war. Plötzlich drang Miß Grants Stimme aus einiger Entfernung an mein Ohr. »Hierher, Shaw!« rief sie, »guckt einmal aus dem Fenster und seht, was ich Euch mitgebracht habe.« Ich glaube, das Bild, das sich mir bot, war das hübscheste, das ich je gesehen habe. Der Brunnen auf dem Hofe lag ganz in klarem Schatten, der alles deutlich erkennen ließ; die Mauern waren tiefschwarz und rußig, und aus dem vergitterten Mauerschlitz schauten zwei lächelnde Gesichter – Miß Grants und Catrionas. »Da!« rief Miß Grant, »ich wollte, daß sie Euch auch einmal in Eurem Staat sehen sollte, wie die Wirtstochter in Limekilnes. Ich wollte ihr einmal zeigen, was ich alles aus Euch machen kann, wenn ich mir ernsthaft Mühe gebe!« Da fiel mir ein, daß sie sich heute eingehender denn je mit meiner Kleidung befaßt hatte: ja, ich glaube, einen Teil der gleichen Sorgfalt hatte sie auch auf Catrionas Anzug verwendet. Für eine so lebhafte und gescheite junge Dame legte Miß Grant entschieden erstaunlichen Wert auf Putz.

»Catriona!« war alles, was ich über die Lippen brachte. Und sie? Sie äußerte kein einziges Wort, winkte nur hinüber und lächelte mich an und wurde plötzlich vom Fenster fortgezogen. Kaum war diese Vision meinen Blicken entschwunden, als ich auch schon zur Haustür rannte, die ich jedoch verschlossen fand; von dort lief ich zu Miß Ramsay zurück und verlangte polternd den Schlüssel; ebensogut hätte ich den Burgfelsen anflehen können. Sie hätte ihr Wort gegeben, beteuerte sie, ich müsse ein folgsamer Junge sein. Es war unmöglich, die Tür zu sprengen, selbst wenn es der Anstand erlaubt hätte; nicht minder unmöglich war es, aus dem Fenster zu springen, da das sieben Stockwerke über dem Erdboden lag. Ich konnte also lediglich auf den Hof hinausstarren und warten, daß sie zusammen die Treppe hinunter zur Tür herausträten. Auch dann gab es nur wenig zu sehen: nichts als von oben ihre beiden Köpfe, die sich auf einer Spule von Reifröcken bewegten – ein lächerlicher Anblick, wie zwei wandelnde Nadelkissen. Catriona blickte auch nicht einmal auf, um Lebewohl zu sagen; später hörte ich, Miß Grant habe sie daran gehindert durch die Mitteilung, nie nähme man sich so unvorteilhaft aus, wie von oben betrachtet. Auf dem Heimwege, sobald ich die Freiheit wiedererlangt hatte, schalt ich Miß Grant ob ihrer Grausamkeit.

»Es tut mir leid, daß Ihr enttäuscht seid«, sagte sie, ganz sittsame Sanftmut. »Ich dagegen war sehr zufrieden. Ihr saht besser aus, als ich erwartet hatte; Ihr nahmt Euch aus – hoffentlich werdet Ihr nicht gar zu eitel – wie ein verflixt hübscher junger Mann, als Ihr dort oben am Fenster erschienet. Vergeßt nicht, daß sie Eure Füße nicht sehen konnte.« Letzteres fügte sie in beruhigendem Tone hinzu.

»O!« rief ich, »laßt meine Füße in Ruh – sie sind auch nicht größer als die meiner Mitmenschen.«

»Sie sind sogar kleiner als viele andere, aber ich spreche in Parabeln, wie die jüdischen Propheten.« »Dann wundere ich mich nicht, daß sie mitunter gesteinigt wurden! Böses Mädchen! Wie brachtet Ihr das nur übers Herz? Weshalb findet Ihr Vergnügen daran, mich durch einen flüchtigen Augenblick zu quälen?« »Die Liebe ist wie die Menschen; beide bedürfen einer gewissen Nahrung.« »O Barbara! Erlaubt, daß ich sie richtig spreche!« flehte ich. »Es steht in Eurer Macht – Ihr seht sie, wann es Euch beliebt; vergönnt mir eine halbe Stunde!« »Habt Ihr oder habe ich diese Liebesaffäre in die Hand genommen?« forschte sie und griff, als ich sie weiter mit Bitten bestürmte, auf ein unfehlbares Mittel zurück; sie imitierte den Ton meiner Stimme, als ich Catriona mit Namen rief. Ja, durch das gleiche Mittel hielt sie mich die nächsten Tage in Schach. Niemals fiel auch nur ein Wort von dem Memorial, wenigstens nicht von meiner Seite. Prestongrange und Seine Gnaden, der Lord Präsident mögen – was weiß ich – auf der tauben Seite ihres Kopfes davon gehört haben; jedenfalls behielten sie die Sache für sich – und die Öffentlichkeit wurde um keinen Deut klüger. Ja, der arme James von der Schlucht wurde im Laufe der Zeit, am 8. November, inmitten ungeheuren Sturms und Regens, zu Lettermore bei Ballachulish vorschriftsmäßig gehenkt. Das war also das Ergebnis meiner Politik! James war nicht der erste Unschuldige, der elend zugrunde ging, und viele Unschuldige werden noch bis an das Ende aller Zeiten (trotz unserer übergroßen Weisheit) zugrunde gehen. Und bis an das Ende aller Zeiten werden junge Leute, die die Doppelzüngigkeit des Lebens und der Menschen ungewohnt sind, wie ich weiterkämpfen und heroische Entschlüsse fassen und schwere Gefahren auf sich nehmen; und die Ereignisse werden sie beiseite schieben und wie eine sich vorwärts bewegende Armee ihren Marsch fortsetzen. James wurde gehenkt; trotzdem verweilte ich hier in Prestongranges Haus und fühlte mich ihm gegenüber für seine väterliche Sorge tief verpflichtet. James wurde gehenkt, und siehe da! – als ich Herrn Simon Fraser auf der Straße begegnete, zog ich vor ihm meinen Hut wie ein gehorsamer kleiner Schulbub vor seinem Lehrer. James wurde durch Betrug und Gewalt gehenkt, und die Welt ging ihren Gang weiter, und nichts war um ein Jota anders, und die Verbrecher in dieser scheußlichen Verschwörung waren ehrbare Familienväter, die den Gottesdienst besuchten und das Abendmahl einnahmen! Ich besaß jedoch meine eigene Ansicht von jenem widerlichen Geschäft – Politik –, ich hatte einen Blick hinter die Kulissen geworfen und hatte dort nichts als nacktes Gebein und Finsternis gesehen! Das genügte, um mich auf Lebenszeit von jeder Versuchung, mich an der Politik zu beteiligen, zu kurieren. Mein Ehrgeiz hatte sich einen geraden ruhigen, stillen Lebenspfad zum Ziel erwählt, wo ich mein Haupt ungefährdet aufrecht tragen und mein Gewissen vor Versuchung bewahren konnte. Aber rückblickend wollte es mir erscheinen, daß ich doch ziemlich kläglich gescheitert war; trotz der denkbar größten Reden und Vorbereitungen hatte ich nichts erreicht.

Am 25. des Monats sollte von Leith aus ein Schiff in See stechen, und unversehens erhielt ich den Rat, mein Bündel zu schnüren und mich nach Leyden auf den Weg zu machen. Zu Prestongrange konnte ich natürlich kein Wort äußern; ich hatte lange Zeit von seinem Hause und seinem Tisch gezehrt. Aber seiner Tochter gegenüber war ich offener; ich beklagte mein Los, außer Landes gehen zu müssen, und versicherte ihr, wenn sie es zuvor nicht ermöglichte, daß ich Catriona Lebewohl sagte, würde ich mich in letzter Stunde weigern.

»Hab ich Euch nicht meinen Rat erteilt?« forschte sie.

»Das habt Ihr in der Tat, und ich weiß auch, wie tief ich in Eurer Schuld stehe und daß ich zu gehorchen verpflichtet bin. Aber Ihr müßt selbst zugeben: mitunter seid Ihr allzu lose, als daß man Euch völlig trauen könnte.«

»Ich will Euch eines sagen. Seid um neun Uhr morgens an Bord; das Schiff fährt erst am Nachmittag. Sorgt, daß Euer Boot in der Nähe bleibe, und wenn Ihr dann nicht mit meinem Abschiedsgruß zufrieden seid, dürft ihr an Land zurückkehren und Kathrin persönlich aufsuchen.«

Mehr konnte ich nicht aus ihr herausbringen; also mußte ich mich damit zufrieden geben.

Endlich war der Tag da, an dem sie und ich uns trennen mußten. Wir waren einander recht nahegekommen; ich schuldete ihr großen Dank, und die Frage, wie wir auseinandergehen sollten, sowie die Frage nach den Trinkgeldern für die Dienerschaft beraubten mich meines Schlafes. Ich wußte, ich war in Barbaras Augen allzu schüchtern, und spürte daher eher den Wunsch, in dieser Hinsicht meinen Ruf zu heben. Außerdem mußte jede Steifheit nach so viel ostentativer (und, wie ich glaube, auch echter) Zuneigung kalt erscheinen. Also nahm ich meinen Mut in beide Hände, legte mir meine Rede zurecht und fragte sie, als wir voraussichtlich das letztemal allein waren, ob ich ihr zum Abschied einen Kuß geben dürfe.

»Ihr vergeßt Euch, Mr. Balfour, und setzt mich in Erstaunen. Wann hätte ich Euch im Laufe unserer Bekanntschaft das Recht gegeben, Euch irgendwelche Freiheiten zu gestatten?«

Da stand ich vor ihr wie eine Uhr, deren Gang man aufgehalten hat, und wußte nicht, was ich denken, geschweige denn sagen sollte, als sie plötzlich ihre Arme um meinen Nacken schlang und mich mit größter Herzlichkeit küßte.

»Du einziges Kind!« rief sie. »Meinst du, ich ließe uns wie Fremde auseinandergehen? Weil ich dir gegenüber keine fünf Minuten lang ernst bleiben kann, darfst du doch nicht glauben, ich hätte dich nicht sehr lieb! Ich bin ja ganz Liebe und Lachen, so oft ich dich nur ansehe! Und jetzt will ich dir als Abschluß meines Unterrichts einen Rat geben, den du gar bald wirst brauchen können: frage die Weiber nie erst um Erlaubnis. Sie können dann nicht anders, als mit Nein antworten; Gott hat das Mädel nicht erschaffen, das der Versuchung zu widerstehen vermöchte. Die Pfaffen glauben, das sei der Fluch Evas; weil sie nicht nein sagen konnte, als der Teufel ihr den Apfel anbot, vermögen ihre Töchter nichts anderes zu sagen.«

»Da ich so bald meine schöne Lehrmeisterin verlieren soll –«, begann ich.

»Das nenne ich in der Tat galant«, meinte sie mit einem Knicks.

»– möchte ich mir erlauben, eine Frage zu stellen: darf ich ein Mädchen fragen, ob sie mich heiraten will?«

»Du meinst, ohne diese Frage geht es nicht? Oder soll sie etwa das Angebot machen?«

»Ich sehe, Ihr könnt wirklich nicht ernst bleiben.«

»In einer Sache wirst du mich sehr ernst finden, David. Ich werde stets deine Freundin sein.«

Als ich am folgenden Morgen mein Pferd bestieg, standen alle vier Damen am Fenster, von dem aus sie Catriona beobachtet hatten, und alle vier riefen mir Lebewohl zu und winkten mit den Schnupftüchern, als ich davonritt. Von einer wußte ich, daß ihr der Abschied ehrlich schwer wurde; und in dem Gedanken daran und an die Verfassung, in der ich vor drei Monaten zum erstenmal an diese Tür geklopft hatte, packten mich Trauer und Dankbarkeit und führten in meinem Geiste einen wirren Kampf.

Einundzwanzigstes Kapitel


Die Reise nach Holland

Das Schiff lag nur an einem einzigen Ankertau weit draußen im Leither Hafen, und wir Passagiere mußten alle auf kleinen Booten hinübergerudert werden. Dies schaffte uns jedoch nur geringe Beschwer, denn das Meer war still und glatt und der Tag bitterkalt und trübe, mit einem tieflagernden wallenden Nebel über den Wassern. So kam es, daß der Rumpf des Schiffes vollständig verhüllt war, als ich mich ihm näherte; aber die hohen Spieren ragten klar und leuchtend wie flackernde Flammen in den Sonnenschein. Das Fahrzeug entpuppte sich als ein äußerst geräumiges, bequemes Kauffahrteischiff mit etwas plumpem Bug und war mit Salz, gepökeltem Lachs und feinen, weißen Leinenstrümpfen für die Holländer außerordentlich schwer beladen. Bei meiner Ankunft an Bord begrüßte mich der Kapitän – ein gewisser Mr. Sang – (aus Lesmahaga, wenn ich mich nicht irre) –, eine warmherzige, freundliche Teerjacke, die im Augenblick jedoch vollauf beschäftigt schien. Die anderen Passagiere waren noch nicht gekommen; ich wanderte daher einsam an Deck auf und ab, betrachtete die Aussicht und fragte mich des öfteren, worin wohl die mir verheißenen Abschiedsgrüße beständen.

Ganz Edinburg und die Hügel von Pentland schimmerten über mir in einer Art nebligen Glanz, und nur von Zeit zu Zeit verbargen sie Wolkenmassen; von Leith waren lediglich die Kaminfirste sichtbar, und den Wasserspiegel selbst deckten undurchdringliche Schwaden. Aus diesem Nichts heraus hörte ich plötzlich das Geräusch von Rudern, und kurz darauf tauchte (wie aus dem Rauch eines Feuers) ein Boot auf. Am Heck saß ein ernst blickender Mann, den zahlreiche Hüllen gegen die Kälte schützten, neben ihm eine hohe, hübsche, zarte Mädchengestalt, bei deren Anblick mein Herzschlag stockte. Kaum blieb mir Zeit, den Atem anzuhalten und mich für den Empfang zu stählen, da stand sie auch schon auf Deck, und ich ging ihr lachend und mit einer eleganten Verbeugung (weit eleganter als die, mit der ich zuerst Mylady, ihre Tante, begrüßt hatte) entgegen. Ohne Zweifel hatten wir uns beide stark verändert: sie schien hochaufgeschossen wie ein junger, schöner Baum und trug jetzt eine reizende Schüchternheit zur Schau, die ihr vortrefflich stand, als schätze sie sich selbst höher als zuvor und sei inzwischen ganz Weib geworden. Tatsache war, Miß Grant hatte veredelnd auf uns beide gewirkt.

Die gleiche Begrüßung entfuhr uns in fast den nämlichen Worten. Jeder glaubte vom andern, er sei um Abschied zu nehmen, an Bord gekommen, und jeder erkannte blitzartig, daß wir die Fahrt zusammen zurücklegen sollten.

»O, weshalb hat Baby mir das nicht gleich gesagt!« rief sie; dann fiel ihr ein, daß man ihr einen Brief gegeben hatte, mit der Bedingung, ihn erst an Bord zu öffnen. Er enthielt eine Einlage für mich selbst, die folgendermaßen lautete:

»Lieber David, was haltet Ihr von meinem Abschiedsgruß? Und was sagt Ihr zu Eurer Mitreisenden? Habt Ihr geküßt oder gefragt? Hier wollte ich bereits die Unterschrift hinzufügen, aber da fiel mir ein, daß das den Zweck meiner Frage im unklaren ließe; was mich betrifft, so kenne ich die Antwort. Also anschließend die guten Ratschläge! Seid nicht zu schüchtern und versucht um Gottes willen auch nicht, zu fürwitzig zu sein; nichts kleidet Euch schlechter. Womit ich verbleibe

Eure wohlgeneigte treue Freundin und Lehrmeisterin

Barbara Grant.«

Ich kritzelte ein Wort des Dankes und der Höflichkeit auf ein Blatt meines Notizbuches, legte einen Zettel von Catriona bei, versiegelte das Ganze mit meinem neuen Siegelring mit dem Balfourwappen und beförderte es durch Prestongranges Diener, der noch in meinem Boote wartete.

Dann erst hatten wir Zeit, uns in Muße zu betrachten, und noch war keine Minute verstrichen, als wir, auf gemeinsamen Impuls hin, einander noch einmal die Hand schüttelten.

»Catriona!« stieß ich hervor. Zu mehr reichte meine Beredsamkeit nicht.

»Ihr freut Euch, mich wiederzusehen?«

»Ich meine, das ist ein überflüssiges Wort; wir sind zu große Freunde, um derartige Nichtigkeiten zu reden.«

»Ist sie nicht das prächtigste Mädchen von der Welt?« hub sie von neuem an. »Noch nie habe ich ein so aufrichtiges, schönes Mädchen getroffen.«

»Und doch bedeutet ihr Alpin nicht mehr als ein Kohlstrunk.«

»Ach, das behauptet sie nur so!« rief Catriona. »Es war um des Adels und des guten, adeligen Blutes willen, daß sie mich aufnahm und so gut zu mir war.«

»Ich will Euch sagen, weshalb sie es tat«, entgegnete ich. »Es gibt alle möglichen Gesichter auf dieser Welt. Es gibt Barbaras Gesicht, das keiner ansehen kann, ohne es zu bewundern und sie für ein prächtiges, hochgemutes, munteres Mädchen zu halten. Und dann gibt es Euer Gesicht, das ganz anders ist – wie anders, weiß ich erst heute. Ihr könnt Euch selbst nicht sehen und den Unterschied begreifen; aber es war die Liebe zu Euerm Gesicht, die sie bewog, Euch aufzunehmen und gut zu Euch zu sein. Jeder Mensch würde das gleiche tun.«

»Jeder?«

»Jede lebende Seele.«

»Ach, das war also der Grund, weshalb die Soldaten auf dem Schlosse mich festhielten!«

»Barbara hat Euch gelehrt, mir Fallen zu stellen.«

»Sie hat mich auch noch anderes gelehrt. Zum Beispiel hat sie mir viel von einem Mr. David gesprochen – von allen seinen schlechten Eigenschaften und ein klein wenig auch von seinen guten«, sagte sie lächelnd. »Ja, sie wird mir von Mr. Balfour erzählt haben, was es zu erzählen gibt, nur nicht, daß er auf dem gleichen Schiffe wie ich fahren würde. Was ist eigentlich der Zweck Eurer Reise?«

Ich nannte ihn ihr.

»So,« meinte sie, »dann werden wir wohl einige Tage zusammenbleiben und endlich (vermutlich) auf immer auseinandergehen! Ich reise zu meinem Vater, an einen Ort namens Helvoetsluys, und von dort aus nach Frankreich, um mit unserem Häuptling das Exil zu teilen.«

Ich vermochte nur »O!« zu sagen; der Name James More genügte, um mir die Rede zu verschlagen.

Sie merkte das auf der Stelle und erriet einen Teil meiner Gedanken.

»Eines muß ich vor allem sagen, Mr. David. Ich glaube, zwei aus meiner Sippe haben nicht gut an Euch gehandelt. Der eine von beiden ist James More, mein Vater, und der andere ist der Herr von Prestongrange. Prestongrange wird sich selbst gerechtfertigt haben, oder seine Tochter hat es an seiner Statt getan. Und für meinen Vater, James More, möchte ich Folgendes sagen: er lag in Ketten im Gefängnis; er ist ein schlichter, ehrlicher Soldat und ein einfacher Hochlandsgentleman; worauf die anderen hinauswollten, hat er niemals erraten. Hätte er es jedoch gewußt, er hätte lieber den Tod erlitten als geduldet, daß einem jungen Gentleman wie Euch solches Unrecht geschehe. Und um all Eurer Freundschaft willen bitte ich Euch jetzt, meinem Vater und meiner Familie diesen Irrtum zu verzeihen.«

»Catriona,« entgegnete ich, »worin dieser Irrtum bestand, will ich niemals erfahren. Ich weiß nur das eine: Ihr seid zu Prestongrange gegangen und habt kniefällig um mein Leben gebeten. O, ich weiß genau, Ihr gingt um Eures Vaters willen; aber als Ihr dort waret, batet Ihr auch für mich. Zwei Dinge gibt es, die ich Euch nie vergessen kann: die guten Worte, die Ihr sprachet, als Ihr Euch meine kleine Freundin nanntet, und die Tatsache, daß Ihr um mein Leben flehtet. Zwischen uns beiden, Euch und mir, soll niemals wieder die Rede von Unrecht und Vergebung sein.«

Danach verharrten wir in Schweigen; Catriona betrachtete das Deck, und ich betrachtete sie, und noch ehe wir weiterredeten, sprang aus Nordwesten ein leichter Wind auf, die Mannschaft hißte die Segel, und der Anker wurde gelichtet.

Außer uns befanden sich noch sechs Passagiere an Bord; damit war das Schiff besetzt. Es waren drei solide Kaufleute aus Leith, Kirckaldy und Dundee, die alle in dem gleichen Unternehmen nach Süddeutschland reisten, ein Holländer, auf der Rückfahrt begriffen, und zwei brave Kaufmannsfrauen, deren Obhut Catriona anvertraut war. Mrs. Gebbie, so hieß die eine, hatte zum großen Glück ziemlich viel unter der Seekrankheit zu leiden und lag Tag und Nacht flach auf dem Rücken. Da wir, mit Ausnahme eines bleichgesichtigen Jungen, der meiner alten Pflicht, bei Tische aufzuwarten, oblag, die einzigen jungen Leute an Bord der »Rose« waren, blieben wir ziemlich viel allein. Bei Tisch saßen wir nebeneinander, und ich erwies Catriona mit größter Freude jede Aufmerksamkeit. Auf Deck bereitete ich ihr mit meinem Mantel ein weiches Lager, und da das Wetter für die betreffende Jahreszeit ungewöhnlich schön war, mit klaren, kalten Tagen und Nächten und einer stetigen, sanften Brise, zitterte auf der ganzen Fahrt durch die Nordsee kaum ein Segel, und wir saßen da (nur von Zeit zu Zeit auf und ab gehend, um warm zu bleiben) vom ersten Sonnenstrahl an bis acht oder neun Uhr nachts unter den hellen Sternen. Mitunter warfen uns die Kaufleute oder Kapitän Sang im Vorübergehen einen lächelnden Blick oder ein Scherzwort zu, die meiste Zeit jedoch waren sie eingehend in Gespräche über Heringe, Möbelkattune und Leinen vertieft oder berechneten die Länge der Fahrt und überließen uns unseren eigenen Angelegenheiten, die ja auch niemandem außer uns selbst wichtig dünkten.

Anfänglich hatten wir uns viel zu sagen und kamen uns dabei recht geistreich vor; ich gab mir erkleckliche Mühe, den Galan zu spielen und sie (wie ich glaube) die weltkluge, junge Dame. Aber bald wurden wir beide schlichter. Ich legte mein hochgeborenes, geschraubtes Englisch ab (sehr fest saß es ohnehin nicht) und vergaß meine Edinburger Reverenzen und Kratzfüße, und sie verfiel in eine Art Vertraulichkeit. Wir lebten zusammen wie Mitglieder einer Familie, nur bestand auf meiner Seite ein tieferes Gefühl. Gleichzeitig schien unseren Gesprächen gleichsam der Boden auszufallen, aber wir waren deswegen nicht weniger glücklich. Hin und wieder erzählte sie mir Altweibermärchen, von denen sie, vornehmlich durch meinen rothaarigen Freund Neil, eine erstaunliche Menge kannte und die sie wunderhübsch wiedergab. Wirklich waren es auch hübsche, kindliche Geschichten; aber mein größter Genuß war doch, ihrer Stimme zu lauschen und mir klarzumachen, daß sie mir erzählte, und daß ich zuhörte. Mitunter saßen wir auch in tiefstem Schweigen, ohne selbst durch einen Blick eine Verbindung herzustellen, und doch innig befriedigt von der Süße dieses Zusammenseins. Ich spreche in diesem Falle nur von mir selbst. Was in der Jungfrau Herzen vorging, danach fragte ich, glaube ich, nie, und was in dem meinen lebte, fürchtete ich mich zu betrachten. Ich brauche es weder dem Leser noch mir selbst zu verbergen: ich hatte mich rettungslos verliebt. Sie stand zwischen mir und der Sonne. Wie gesagt, sie war plötzlich gewachsen, aber es war ein freudiges Wachstum, ganz Gesundheit, Leichtigkeit und hoher Mut. Ja, mich dünkte, sie glich im Gehen einem jungen Hirsche und in der Ruhe einer Birke am Bergeshang. Ich war es sehr zufrieden, auf Deck neben ihr zu sitzen, und widmete der Zukunft tatsächlich keinen Gedanken. Ja, der augenblickliche Genuß war so erschöpfend, daß ich mir nicht die Mühe machte, weitere Schritte zu erwägen, es sei denn, daß ich mich mitunter versucht fühlte, ihre Hand zu ergreifen und sie in der meinen zu halten. Aber ich geizte allzusehr mit meinen gegenwärtigen Freuden, um sie durch irgendwelche Kühnheit aufs Spiel zu setzen.

Unser Gespräch drehte sich in der Hauptsache um uns selbst; wem es daher gelohnt hätte, uns zu belauschen, der hätte uns für die größten Egoisten von der Welt halten müssen. Eines Tages kamen wir auch auf Freunde und Freundschaft zu sprechen; das war, glaube ich, der Augenblick, in dem wir der eigentlichen Sache am nächsten waren. Wir betonten, welch schönes Ding doch die Freundschaft wäre, und wie wenig wir sie bisher gekannt hätten, und daß sie das ganze Leben erneuere, und tausend andere verschleierte Worte dieser Art, wie sie ohne Zweifel seit Erschaffung der Welt von jungen Menschen in unserer Lage gesagt worden sind. Dann wunderten wir uns über die Tatsache, daß Freunde einander anfangs so gegenüberträten, als lebten sie in jenem Augenblick zum ersten Male, und doch wären beide Teile herangewachsen und hätten ihre Zeit mit anderen vergeudet. »Ich habe bisher nicht viel erlebt,« sagte sie, »fünf Fünftel davon lassen sich in zwei, drei Worten zusammenfassen. Ich bin ja nur ein Mädchen, was kann sich schon im Leben eines Mädchens ereignen! Aber ich bin im Jahre ’45 mit dem Clan marschiert. Die Männer zogen mit Schwertern und Feuerschloßgewehren ins Feld, und etliche trugen gleiche Farben und waren zu Brigaden formiert. Ich sage Euch, da ließ keiner auf sich warten. Gentlemen aus dem Flachland waren dort mit ihren berittenen Pächtern und mit Trompeten; und die Kriegspfeifen bliesen laut und schrill. Ich ritt auf einem kleinen Hochlandpony zur rechten meines Vaters, James Mores, neben Glengyle selbst. Und das ist eines der schönsten Dinge, deren ich mich erinnern kann: Glengyle küßte mich ins Gesicht, »weil«, wie er sagte, »du, meine kleine Base, die einzige Dame bist, die mit dem Clan reitet.« Dabei war ich nur ein kleines Mädchen von zwölf Jahren. Ich habe auch Prinz Charlie gesehen und seine blauen Augen; o, er war ein schöner Mann! Und ich erhielt vor der ganzen Armee seine Hand zum Kuß. Ja, das waren herrliche Zeiten, aber nun ist alles wie ein Traum, den ich geträumt habe, und aus dem ich inzwischen erwacht bin. Ihr wißt ja, wie es ausging. Das waren die schlimmsten Zeiten von allen, als die Rotröcke nach uns fahndeten und mein Vater und meine Onkel in den Bergen verborgen lagen und ich ihnen um Mitternacht oder bei Morgengrauen, wenn die Hähne krähten, ihr Essen brachte. Ja, manches Mal bin ich mitten in der Nacht unterwegs gewesen, während das Herz mir aus Furcht vor der Dunkelheit schwoll. Es ist recht seltsam, daß mich niemals ein Gespenst erschreckt hat; aber man sagt ja, eine Jungfrau ginge unbehindert. Dann kam meines Onkels Heirat, und das war auch eine schreckliche Geschichte. Jean Kay war der Name der Frau; sie zwang mich in jener Nacht, in ihrer Kammer zu bleiben, in der Nacht zu Inversnaid, wo wir sie nach altem Brauch ihrer Sippe raubten. Jean war bereit und auch nicht bereit: den einen Augenblick war sie willens, Rob zu heiraten, und im nächsten wollte sie nichts von ihm wissen. Nie sah ich ein so hilfloses Geschöpf; wahrlich, ihr ganzes Sein hätte ihr doch Antwort geben müssen. Nun, sie war eine Witwe, und die sind in meinen Augen niemals gute Weiber.«

»Catriona,« sagte ich, »wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

»Ich weiß es nicht; ich sage Euch nur, was in meinem Herzen lebt. Einen zweiten Mann heiraten? Pfui! Aber so war sie; sie heiratete meinen Onkel Robin und ging eine Zeitlang mit ihm zur Kirche und auf den Markt, und dann bekam sie ihn satt, oder ihre Freunde beschwatzten sie, oder aber sie schämte sich der Sache. Jedenfalls lief sie ihm davon zu ihrer eigenen Sippe und sagte, wir hätten sie in den See getaucht und anderes, das ich Euch nie erzählen werde. Seitdem halte ich nicht viel von den Weibern. Und endlich wurde mein Vater, James More, ins Gefängnis geworfen, und den Rest kennt Ihr so gut wie ich.« »Und hattet Ihr während der ganzen Zeit keine Freundinnen?« forschte ich. »Nein, ich war von zwei, drei Mädels die Anführerin, aber Freundinnen waren es nicht.«

»Nun, meine Geschichte ist sehr einfach. Ich hatte nie einen Freund, bis ich Euch fand.«

»Und jener tapfere Mr. Stuart?«

»O ja, den hatte ich vergessen! Aber er ist ein Mann; das ist etwas ganz anderes.«

»Das will ich meinen«, antwortete sie. »Natürlich etwas anderes.« »Ja, und da war noch einer. Ich hielt ihn für einen Freund, aber es war eine Täuschung.« Sie fragte, wer es gewesen sei, »Wir beide waren die Bellen in meines Vaters Schule und glaubten einander zu lieben. Mit der Zeit ging er aber nach Glasgow und trat bei einem Kaufmann ins Geschäft, einem Vetter dritten Grades. Er schrieb mir zwei-, dreimal durch den Landboten und fand dann neue Freunde. Da konnte ich schreiben, bis ich müde war, niemals nahm er davon Notiz. Ja, Catriona, es brauchte lange Zeit, ehe ich das der Welt zu verzeihen vermochte. Nichts ist so bitter, als einen vermeintlichen Freund zu verlieren.«

Darauf fragte sie mich eingehend nach seinem Aussehen und Charakter – jeder nahm an allem, was den anderen betraf, innigen Anteil –, bis ich mich endlich, in einem unglücklichen Augenblick, seiner Briefe erinnerte und in die Kabine ging, um sie zu holen. »Hier sind seine Briefe,« sagte ich, »alle Briefe, die ich besitze. Das ist das Letzte, das ich Euch von mir erzählen kann; das Übrige kennt Ihr so gut wie ich.« »Wollt Ihr mir erlauben, sie zu lesen?« fragte sie. Ich sagte ja, wenn sie sich die Mühe machen wollte, und sie bat mich, sie allein zu lassen; sie wolle sie von Anfang bis zu Ende durchlesen. Aber in dem Bündel befanden sich nicht nur die Briefe meines treulosen Freundes, nein, auch einige Briefe, die mir Mr. Campbell von der Konsistoriumsversammlung aus geschrieben hatte, sowie, um die Liste zu vervollständigen, Catrionas kleines Billett und die beiden Billetts von Miß Grant, die ich auf der Insel Baß und hier auf dem Schiff erhalten hatte. Diese hatte ich jedoch im Augenblick vergessen. Der Gedanke an meine Freundin beherrschte mich so vollständig, daß es mir gleichgültig war, was ich tat, ja, es machte mir nur wenig aus, ob ich ihre Gegenwart genoß oder nicht; sie war mir ins Blut übergegangen wie eine Art edlen Fiebers, das ständig, Tag und Nacht, in meiner Brust brannte, ob ich nun wachte oder schlief. So kam es, daß ich, als ich mich erst einmal an den Schiffsbug begeben hatte, wo die breiten Planken klatschend in die Wogen tauchten, keine sonderliche Eile, zu ihr zurückzukehren, spürte. Ich zog vielmehr meine Abwesenheit in die Länge, wie um eine Art Freude auszukosten. Ich glaube kaum, daß ich von Natur aus ein Epikuräer bin; aber ich hatte bisher so wenig Freuden gekannt, daß ein Verweilen dabei vielleicht entschuldbar scheint.

Bei meiner Rückkehr spürte ich ein leichtes Mißbehagen, wie wenn etwas nicht ganz in Ordnung wäre, so kalt überreichte sie mir das Bündel.

»Habt Ihr sie gelesen?« fragte ich, und meine Stimme klang mir unnatürlich; ich zerbrach mir den Kopf, was Catriona wohl hätte.

»Wolltet Ihr, daß ich alle lesen sollte?« Gedrückt antwortete ich mit Ja.

»Den letzten Brief ebenfalls?« Jetzt wußte ich, wo wir standen; aber ich wollte ihr gegenüber nicht lügen. »Ich gab sie Euch alle, ohne mir etwas dabei zu denken, und nahm an, daß Ihr alle lesen würdet. Ich halte sie alle für harmlos.«

»Dann bin ich anders als Ihr. Ich danke Gott, daß ich anders bin. Es ziemte sich nicht, mir diesen Brief zu zeigen. Es ziemte sich nicht, daß er überhaupt geschrieben wurde.« »Ich glaube, Ihr sprecht von Eurer Freundin, Barbara Grant?« »Nichts ist so bitter, wie einen vermeintlichen Freund verlieren«, zitierte sie als Antwort.

»Ich glaube, mitunter ist die Freundschaft nur eingeredet!« rief ich. »Nennt Ihr das gerecht, mir wegen einiger Zeilen von der Hand eines tollen Mädchens die Schuld zu geben? Ihr wißt genau, wie achtungsvoll ich mich benahm und mich stets benehmen werde.« »Und doch habt Ihr mir diesen Brief gezeigt! Ich will von solchen Freunden nichts wissen. Ich kann auch ohne Barbara Grant – und ohne Euch – recht gut auskommen, Mr. Balfour.«

»Das nenn ich mir einen schönen Dank!«

»Ich bin Euch sehr verpflichtet«, sagte sie. »Ich bitte Euch, Eure Briefe zu entfernen.« Sie schien bei diesen Worten zu ersticken, und es klang wie ein Fluch. »Ihr sollt mich nicht zweimal darum bitten«, sagte ich, nahm das Bündel, trat ein paar Schritte vor und warf es, soweit wie nur möglich, in die See. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich selbst nachgeworfen. Den Rest des Tages ging ich wutschnaubend auf und ab. Als die Sonne versank, gab es wenige böse Worte, die ich Catriona in Gedanken nicht an den Kopf geworfen hatte. Alles, was mir je über den Hochländerstolz zu Ohren gekommen war, schien hier weit übertroffen. Daß ein Mädel, kaum erwachsen, eine Anspielung von seiten ihrer intimsten Freundin, deren Lob sie mir unermüdlich gesungen, übelnehmen konnte, ging doch zu weit! Meine Gedanken an sie waren hart und bitter wie die eines zornigen Knaben. Ich glaube, sie würde, wenn ich sie tatsächlich geküßt hätte, die Sache ziemlich gut aufgenommen haben; und nur weil dieser Gedanke in treffenden Scherzworten zu Papier gebracht worden war, redete sie sich in solchen lächerlichen Zorn hinein. Mir schien, als litte das ganze weibliche Geschlecht an einem Mangel an Einsicht, der selbst die Engel im Himmel über uns arme Männer zum Weinen bringen mußte.

Beim Abendessen saßen wir wieder nebeneinander, aber welche Veränderung von ihrer Seite! Zu mir war sie wie saure Milch; ihr Gesicht war das einer Holzpuppe. Ich hätte sie schlagen oder mich vor ihr im Staube krümmen mögen, aber sie bot mir zu beiden Möglichkeiten nicht den geringsten Anlaß. Kaum war die Mahlzeit zu Ende, da begab sie sich zu Mrs. Gebbie, die sie, glaube ich, bisher etwas vernachlässigt hatte. Aber nun holte sie das Versäumte nach, und den Rest der Überfahrt erwies sie der alten Dame die größte Aufmerksamkeit und schien sich auf Deck, mehr als mir klug dünkte, mit Kapitän Sang einzulassen. Zwar schien der Kapitän ein würdiger, väterlicher Mann, aber ich haßte es, irgend jemanden außer mir selbst vertraulich mit ihr umgehen zu sehen.

Kurz, sie wich mir geschickt aus und wußte sich so hartnäckig von Fremden zu umgeben, daß ich lange warten mußte, bis ich Gelegenheit, sie zu sprechen, fand; und selbst dann scheiterte ich, wie man gleich hören wird, ziemlich kläglich. »Ich ahne nicht, wodurch ich Euch beleidigt habe,« hub ich an, »daher dürfte das Vergehen kaum unverzeihlich sein. O, versucht doch, mir zu vergeben!«

»Ich habe nichts zu vergeben«, lautete die Antwort, und die Worte kamen hart wie Marmelsteine aus ihrer Kehle. »Ich bin Euch für all Eure Freundschaft sehr verpflichtet.« Damit schenkte sie mir den achten Teil eines Knickses.

Aber ich hatte mich darauf gefaßt, mehr zu sagen, und war auch entschlossen, es zu tun.

»Vor allem eins: wenn ich durch das Vorzeigen jenes Briefes Euer Anstandsgefühl verletzt habe, kann das doch Miß Grant in keiner Weise berühren. Sie schrieb nicht an Euch, sondern an einen ganz gewöhnlichen, armen Burschen, der mehr Verstand hätte haben müssen, als den Brief Euch zu zeigen. Wenn Ihr also mir die Schuld zumesset…«

»Ich rate Euch, unter keinen Umständen ein Wort mehr von diesem Mädchen zu sprechen!« rief Catriona. »Ich würde sie nicht ansehen, und wenn sie im Sterben läge.« Damit wandte sie sich von mir ab und drehte sich dann plötzlich noch einmal um. »Wollt Ihr schwören, nichts mehr mit ihr zu tun zu haben?« fragte sie.

»Nein, nie und nimmer werde ich so ungerecht und so undankbar sein«, erwiderte ich.

Und jetzt war ich es, der sich wegwandte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel


Helvoetsluys

Gegen Ende der Reise verschlimmerte sich das Wetter beträchtlich; der Wind sang in den Wanten, die See ging höher und höher, und das Schiff begann unter der Wucht der Wellen zu schlingern und zu stöhnen. Der Ruf des Lotsen an den Ankerketten tönte fast unablässig, ständig mußten wir unseren Weg zwischen Sandbänken suchen. Etwa um neun Uhr morgens, während eines flüchtigen Durchbruchs der Sonne zwischen zwei Hagelschauern, warf ich meinen ersten Blick auf Holland, – eine Reihe Windmühlen, die sich im Seewind drehten. Es war auch das erstemal, daß ich eine dieser tollen Baulichkeiten zu Gesicht bekam, und das Bewußtsein fremder Länder und einer neuen Welt und neuen Lebens wurde in mir wach. Etwa um halb zwölf Uhr vormittags gingen wir außerhalb des Hafens von Helvoetsluys vor Anker, an einer Stelle, wo sich von Zeit zu Zeit die Wellen brachen und unser Schiff wild umherschleuderten. Es versteht sich von selbst, daß wir alle, mit Ausnahme von Mrs. Gebbie, auf Deck waren, teils in Mänteln, teils in Öltücher gehüllt; dort hielten wir uns an den Tauen fest und suchten nach Möglichkeit, wie erfahrene Seeleute, über die Lage zu scherzen.

Bald danach tastete sich ein Boot mit dem Rückenpanzer einer Seekrabbe vorsichtig an uns heran, der Führer rief unserem Kapitän auf holländisch etwas zu. Darauf wandte sich Kapitän Sang mit sehr besorgtem Ausdruck an Catriona und setzte uns, die wir ihn umringten, auseinander, welche Schwierigkeiten es zu bewältigen gälte. Die »Rose« war nach Rotterdam bestimmt, wohin die anderen Passagiere möglichst schnell gelangen wollten, da noch am selben Abend ein Schiff nach Deutschland abging. Bei dem gegenwärtigen stürmischen Wind, erklärte der Kapitän, könne er, wenn hier keine Zeit versäumt würde, das Ziel noch rechtzeitig erreichen. James More hatte sich aber mit seiner Tochter in Helvoet ein Rendezvous gegeben, und der Kapitän hatte sich verpflichtet, am dortigen Hafen anzulegen und Catriona (dem Brauche gemäß) ausbooten zu lassen. Das Boot war ja auch zur Stelle, Catriona war bereit; aber sowohl der Kapitän wie der holländische Bootsführer scheuten sich, ein derartiges Risiko auf sich zu nehmen, und ersterer war nicht geneigt, zu warten.

»Euer Vater würde wenig entzückt sein, wenn Ihr durch unsere Schuld ein Bein brächet, Miß Drummond, oder wenn wir gar zusähen, wie Ihr ertränket. Laßt Euch von mir raten: fahrt mit uns andern nach Rotterdam. Von dort könnt Ihr in einem Schnellsegler die Maas hinunter bis Brill fahren und weiter in einem Postwagen nach Helvoet zurück.«

Aber Catriona wollte von keiner Änderung ihrer Reisepläne hören. Sie erbleichte, als sie den hoch sprühenden Gischt sah, die grünen Wogen, die mitunter über dem Vorkastell zusammenbrachen, und das Boot, das unablässig auf den Wellenkämmen tanzte und schaukelte, aber sie hielt an ihres Vaters Befehl fest. »Mein Vater, James More, hat es so bestimmt«, war ihr erstes und letztes Wort. Mich dünkte es sehr töricht, ja leichtsinnig von dem Mädchen, sich so wörtlich an eine Verabredung zu halten und so dringlichem, freundschaftlichen Rat entgegenzuhandeln; in Wahrheit jedoch hatte sie dafür einen sehr guten Grund, wenn wir es nur gewußt hätten. Schnellsegler und Postwagen sind zwar vortreffliche Dinge, wollen aber im voraus bezahlt werden, und Catrionas ganzes Hab und Gut betrug zwei Schillinge und sechs Pence Sterling. So kam es, daß der Kapitän und die Passagiere in Unkenntnis ihrer Armut, die sie zu stolz war, einzugestehen, umsonst redeten.

»Aber Ihr könnt ja weder Französisch noch Holländisch«, bemerkte der eine.

»Wahr, aber seit dem Jahre ’46 halten sich so viele brave Schotten im Ausland auf, daß ich recht gut durchkommen werde, danke.«

In diesen Worten lag eine so reizende, ländliche Einfalt, daß einige lächelten und andere ernster denn je dreinschauten, und Mr. Gebbie erhielt einen regelrechten Wutanfall. Ich glaube, er wußte genau, daß es seine Pflicht war, da seine Frau die Verantwortung für das Mädchen übernommen hatte, Catriona an Land und in Sicherheit zu bringen; dazu hätten ihn aber keine zehn Pferde gebracht, da das die Versäumnis seines Anschlusses bedeutete; vermutlich erstickte er daher die Stimme des Gewissens durch lautes Poltern. Endlich wandte er sich wutschnaubend gegen Kapitän Sang, behauptete, das Ganze wäre eine Schande, und jetzt das Schiff verlassen, hieße dem Tod in die Arme laufen; unter keinen Umständen könnten wir ein unschuldiges Mädchen einem Boot voll widerlicher holländischer Fischer ausliefern und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Ich dachte ungefähr das Gleiche, zog den Maat beiseite, vereinbarte mit ihm, mein Gepäck durch ein Treidelboot an eine angegebene Adresse in Leyden nachzusenden, und trat vor und machte den Fischern ein Zeichen.

»Ich werde mit der jungen Dame an Land gehen, Kapitän Sang«, sagte ich. »Es ist mir ganz gleich, auf welche Weise ich Leyden erreiche«, damit sprang ich mit solcher Eleganz in das Boot, daß ich zwei von den Fischern mit mir zu Boden riß.

Von unten aus erschien die Sache noch gefährlicher als von Deck, so hoch über uns ragte das Schiff, so heftig waren seine Bewegungen, und so sehr bedrohte es uns durch sein Stampfen und Reißen am Ankerkabel. Ich fing an zu glauben, ich hätte einen Narrenstreich begangen – es schien mir schier unmöglich, daß Catriona mir nachfolgen könnte –, und daß ich ganz allein in Helvoet an Land gehen müßte, ohne andere Aussicht auf Lohn als die Freude, James More in die Arme zu schließen, falls ich dazu Lust verspürte. Aber ich hatte ohne des Mädchens Mut gerechnet. Sie hatte gesehen wie ich, scheinbar fast ohne zu zögern (ganz gleich, welches meine wahren Gefühle waren), hinabgesprungen war und wollte, koste es, was es wolle, nicht hinter ihrem verschmähten Freunde zurückstehen. Da stand sie auf der Reeling und hielt sich an dem Gestänge fest, während der Wind ihre Röcke zauste – ein Umstand, der das Unterfangen noch gefährlicher gestaltete –, dabei zeigte sie uns ein wenig mehr von ihren Strümpfen, als in einer Stadt gerade für vornehm gegolten hätte. Es gab keine Minute zu verlieren, und uns blieb auch keine Zeit, uns einzumischen, vorausgesetzt, daß wir den Wunsch dazu gehabt hätten. Ich breitete unten meine Arme aus; das Schiff tauchte zu uns herab, der Patron schob sein Boot etwas näher heran, als mit unserer Sicherheit so ganz vereinbar war, und Catriona sprang in die Luft. Ich war so glücklich, sie aufzufangen, und wir entgingen, da die Schiffer uns bereitwillig stützten, einem Fall. Einen Augenblick klammerte sie sich, schwer und tief Atem holend, an mich, dann half uns der Steuermann an unsere Plätze, und unter den Hurrarufen und Abschiedsgrüßen Kapitän Sangs und der Passagiere hielt das Boot auf die Küste zu.

Kaum, hatte Catriona sich ein wenig gefaßt, als sie wortlos meine Hand losließ. Auch ich sprach kein Wort, ja das Pfeifen des Windes und der Sprühregen machten Sprechen fast unmöglich; unsere Besatzung gab sich die denkbar größte Mühe, kam aber nur sehr langsam vorwärts, und die »Rose« war bereits wieder unterwegs, ehe wir die Hafenmündung erreichten.

Sobald wir in ruhigem Wasser fuhren, hielt der Patron, der abscheulichen holländischen Sitte gemäß, das Boot an und verlangte von uns das Fahrgeld. Der Mann forderte zwei Guilders – etwa drei bis vier englische Schillinge – pro Fahrgast. Da aber begann Catriona sehr aufgeregt zu protestieren. Sie erklärte, sie hätte sich bei Kapitän Sang nach dem Preis erkundigt; er betrüge nur einen Schilling englisch. »Glaubt Ihr, ich wäre, ohne vorher zu fragen, an Bord gekommen?« rief sie. Der Patron antwortete schimpfend in einem Dialekt, der reichlich mit englischen Flüchen untermischt, sonst aber gut holländisch war, bis ich dem Schelm heimlich sechs Schillinge in die Hand drückte, da ich erkannte, daß das Mädchen den Tränen nahe war, worauf er die Güte hatte, ohne weitere Beschwerden von ihr den verbleibenden Schilling anzunehmen. Fraglos war ich ziemlich gereizt und beschämt. Ich liebte Sparsamkeit, nicht aber, wenn sie zur Leidenschaft wurde; als das Boot sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, fragte ich Catriona daher in zweifellos recht kühlem Tone, wo sie ihren Vater zu treffen gedächte.

»Ich soll mich nach ihm im Hause eines gewissen Sprott erkundigen, der ein ehrlicher schottischer Kaufmann ist«, entgegnete sie und fügte im gleichen Atemzuge hinzu: »Ich möchte Euch recht herzlich danken – Ihr habt an mir als wackerer Freund gehandelt.«

»Dazu ist noch Zeit genug, wenn ich Euch zu Eurem Vater gebracht habe«, antwortete ich, ohne zu ahnen, wie wahr ich sprach. »Ich habe ihm eine prächtige Geschichte von einer treuen Tochter zu erzählen.«

»O, ich glaube, ich bin kein treues Mädchen«, rief sie mit sehr schmerzlichem Ausdruck. »Ich glaube, im Herzen bin ich gar nicht treu.«

»Sehr wenige Menschen hätten jenen Sprung gewagt, nur um eines Vaters Befehl zu gehorchen«, bemerkte ich.

»Ich kann nicht dulden, daß Ihr solches von mir denkt«, rief sie von neuem. »Wie konnte ich zurückbleiben, da Ihr vor mir das Gleiche getan hattet? Jedenfalls war Treue nicht der einzige Grund.« Und brennenden Antlitzes schilderte sie mir offen ihre Armut.

»Gott im Himmel, was ist das für ein tolles Unterfangen, sich mit leerem Beutel auf dem europäischen Kontinent absetzen zu lassen – das ist in meinen Augen kaum anständig – kaum anständig!« wiederholte ich aufgeregt.

»Ihr vergeßt, James More, mein Vater, ist ein armer Gentleman. Er ist ein gehetzter Verbannter.«

»Aber all Eure Freunde sind, soviel ich weiß, nicht gehetzte Verbannte«, rief ich aus. »Ist das gerecht gegen die gehandelt, denen Ihr teuer seid? Ist es gerecht gegen mich? Gerecht gegen Miß Grant, die Euch den Rat, zu fahren, gab, und die fuchsteufelswild wäre, wenn sie davon wüßte? War es selbst gegen diese Gregorys gerecht, mit denen Ihr zusammenlebtet, und die sehr gütig zu Euch waren? Es ist ein Segen, daß Ihr in meine Hände fielet. Wenn nun Euer Vater durch irgendeinen Zufall verhindert wäre, was sollte wohl aus Euch werden, falls Ihr Euch mutterseelenallein in einem fremden Ort befändet? Schon der Gedanke macht mir Angst.«

»Ich habe sie alle belogen«, erwiderte sie. »Ich sagte allen, ich hätte reichlich Geld. Ich sagte es auch ›ihr.‹ Ich konnte James More in ihren Augen nicht herabsetzen.«

Später entdeckte ich, daß sie ihn selbst bis in den Staub herabgesetzt haben mußte; die Lüge war ursprünglich von dem Vater, nicht von der Tochter ausgegangen, und sie war gezwungen gewesen, des Mannes Ruf zu decken. Im Augenblick wußte ich jedoch nichts hiervon; bereits der Gedanke, in welche Not und Gefahr sie hätte geraten können, genügte, um mich über die Maßen zu irritieren.

»Ja, ja,« antwortete ich, »Ihr müßt lernen, mehr Vernunft anzunehmen.«

Ich ließ ihr Gepäck vorübergehend in einem Wirtshaus am Strande, wo ich mich auch in meinem neuen Französisch nach Sprotts Wohnung erkundigte. Wir gingen zu Fuß dorthin – sie lag eine ganze Strecke entfernt – und staunten im Gehen den Ort an. Es gab hier für Schotten wirklich viel zu bewundern: Kanäle und Bäume zwischen den einzelnen Häusern; Häuser, jedes für sich abgeschlossen, aus schönen roten, rosenfarbenen Ziegeln mit Treppen und Bänken aus blauem Marmor an jeder Türschwelle, das ganze Städtchen so sauber, daß man von der Straße hätte essen können. Sprott saß zu Hause über seinen Rechnungsbüchern, in einem niederen, sehr ordentlichen, properen Wohnzimmer, das ganz mit Porzellan und Bildern und mit einem Globus in messingnem Rahmen ausgeschmückt war. Er war ein pausbäckiger, kräftiger, vollblütiger Mann mit einem harten, unehrlichen Ausdruck und hatte nicht einmal die Höflichkeit, uns einen Stuhl anzubieten.

»Ist James More McGregor zur Zeit in Helvoet, Sir?« erkundigte ich mich.

»Ich kenne niemanden jenes Namens«, entgegnete er ungeduldig.

»Da Ihr es so genau nehmt,« antwortete ich, »werde ich meine Frage vervollständigen und mich bei Euch erkundigen, ob in Helvoet ein gewisser James Drummond, alias McGregor, alias James More, weiland Pächter in Inveronachile, zu finden ist?«

»Sir,« erwiderte er, »er kann meinetwegen in der Hölle sein, was weiß ich; ich persönlich wünsche, er wäre es.«

»Diese junge Dame hier ist jenes Gentlemans Tochter, Sir,« sagte ich, »und Ihr werdet, nehme ich an, mit mir übereinstimmen, daß es nicht gerade der Schicklichkeit entspricht, sich in ihrer Gegenwart über seinen Charakter zu äußern.«

»Ich habe weder mit ihm noch mit ihr noch mit Euch selbst was zu schaffen!« schrie er mit seiner groben Stimme.

»Mit Verlaub, Mr. Sprott,« entgegnete ich, »diese junge Dame ist aus Schottland gekommen, um ihn aufzusuchen und erhielt, einerlei durch welchen Irrtum, Euer Haus als seine Adresse angegeben. Es scheint hier in der Tat ein Irrtum vorzuliegen, aber ich glaube, das legt sowohl Euch wie mir – der ich zufällig einer ihrer Mitreisenden bin – die starke Verpflichtung auf, unserer Landsmännin zu helfen.«

»Wollt Ihr mich noch verrückt machen?« schrie er. »Ich sage Euch ja, ich weiß nichts von ihm seiner Brut und frage noch weniger danach. Ich sage Euch, der Mann ist mir Geld schuldig.»

»Das kann sehr leicht möglich sein«, entgegnete ich, jetzt noch um einen Grad aufgebrachter als er. »Ich aber zum mindesten schulde Euch nichts; diese junge Dame steht unter meinem Schutz, und ich bin derartige Manieren weder gewöhnt, noch bin ich gesonnen, sie mir gefallen zu lassen.«

Als ich mit diesen Worten, ohne mir etwas dabei zu denken, ein, zwei Schritt näher trat, bemerkte ich, daß ich durch schieres Glück das einzige Mittel entdeckt hatte, das den Mann irgendwie zu berühren vermochte. Das Blut wich aus seinem roten, gesunden Gesicht.

»Um des Himmels willen, nicht so hastig, Sir!« stieß er hervor. »Ich habe wahrhaftig nicht die Absicht, jemanden zu beleidigen. Aber Ihr wißt schon, Sir, ich gehöre zu den gutmütigen, ehrlichen, vorsichtigen alten Rauhbeinen. Wenn man mich hört, könnte man fast meinen, ich sei ein wenig sauertöpfisch; aber nein, nein, im Grund seines Herzens ist Sandie Sprott ein guter alter Kerl! Und Ihr könnt Euch nicht denken, welchen Ärger ich schon mit jenem Mann gehabt habe.«

»Gut, Sir, dann werde ich Eure Güte so weit in Anspruch nehmen, Euch um die letzten Nachrichten von Mr. Drummond zu bitten.«

»Herzlich gern, Sir! Und was die junge Dame betrifft (respektvollsten Diener!), so wird er sie rein vergessen haben. Sie begreifen, ich kenne den Mann; ich habe schon früher Geld an ihn verloren. Er denkt an niemand als an sich selbst; Clan, König und Tochter, er ließe sie und seinen Geschäftsfreund im Stich, um nur erst sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Gewissermaßen bin ich sein Geschäftsfreund. Tatsache ist, wir sind zusammen an einem Unternehmen beteiligt, und es scheint mir ganz so, als sollte das Sandie Sprott teuer zu stehen kommen. Der Mann ist so gut wie mein Teilhaber, trotzdem geb ich Euch mein Wort, daß ich nicht weiß, wo er steckt. Vielleicht ist er auf dem Wege nach Helvoet; vielleicht kommt er morgen, vielleicht in einem Jahr. Ich werde mich über nichts in der Welt mehr wundern, nur noch über das eine: wenn ich mein Geld zurückerhalte. Ihr seht also, wie’s um mich steht und daß ich keine große Lust habe, mich um die junge Dame zu kümmern, wie Ihr sie nennt. Hier kann sie nicht bleiben, das ist sicher. Bei Gott, Sir, ich bin Junggeselle! Wenn ich sie bei mir aufnähme, der Teufelskerl bekäm’s fertig und zwänge mich bei seiner Rückkehr, sie zu heiraten!«

»Genug von diesem Geschwätz«, sagte ich. »Ich werde die junge Dame zu besseren Freunden bringen. Gebt mir Feder, Tinte und Papier, und ich werde James More die Adresse meines Leydener Korrespondenten dalassen. Er kann sich bei mir erkundigen, wo seine Tochter zu finden ist.«

Ich schrieb und versiegelte einen Zettel dieses Inhalts, während Sprott von sich aus das willkommene Angebot machte, die Sorge für Miß Drummonds Gepäck zu übernehmen, ja einen Träger nach dem Gasthaus zu senden. Zu diesem Zweck händigte ich ihm als Deckung ein paar Taler aus, und er überreichte mir dafür eine schriftliche Quittung.

Darauf bot ich Catriona meinen Arm, und wir verließen zusammen das Haus dieses unausstehlichen Gauners. Sie hatte während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen und mir statt dessen das Reden und das Handeln überlassen; ich meinerseits hatte mir Mühe gegeben, sie durch keinen Blick in Verlegenheit zu setzen. Und selbst jetzt war es meine Sorge, vollkommen unbefangen zu erscheinen, obwohl mein Herz vor Scham und Zorn stillzustehen drohte.

»So,« sagte ich, »jetzt wollen wir in das Wirtshaus zurückkehren, in dem man französisch spricht, zu Mittag essen und uns nach einer Reisemöglichkeit nach Rotterdam erkundigen. Ich werde keine Ruhe haben, bis ich Euch wieder sicher in Mrs. Gebbies Händen weiß.«

»Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben,« meinte Catriona, »obwohl ich kaum glaube, daß sie sich darüber freuen wird. Ich möchte Euch auch noch einmal daran erinnern, daß ich nur einen Schilling und sechs Pence besitze.«

»Und ich sage nochmals, es ist ein Segen, daß ich Euch an Land begleitete.«

»Meint Ihr, ich hätte die ganze Zeit an etwas anderes denken können?« entgegnete sie und lehnte sich, wie mich dünkte, etwas stärker auf meinen Arm. »Ihr seid mir ein treuer Freund.«