Sagen von der Ruhr
Die älteste Kohlengrube an der Ruhr
Nicht weit von Langenberg an der Ruhr hütete einmal ein junge die Schweine. Es war im Spätherbst, und der Wind wehte kalt. Da dachte der junge ein Feuer anzuzünden, um sich zu wärmen. Aus einem nahen Wäldchen schleppte er dürres Reisig herbei. Dann sah er sich nach einer Stelle für sein Feuerchen um. Am Fuße eines Baumes hatte eine Mutte, so nennt man dort die Sau, ein tiefes Loch gewühlt; das schien dem jungen die geeignete Stelle zu sein. Bald loderte ein helles Feuer empor.
Als der Schweinehirt seine Herde heimtrieb, brannte das Feuer noch immer, obwohl der Holzvorrat längst aufgebraucht war. Der junge wunderte sich sehr darüber. Am folgenden Morgen, als er die Schweine wieder zur Weide trieb, wunderte er sich noch mehr; denn das Feuer war noch nicht erloschen. Es erhielt sich aber nicht durch Holz, sondern durch schwarze Erde. Das erzählte der junge seinem Vater; der kam und fand in dem Loch zu seiner Freude gute Kohle. Er legte an dieser Stelle eine Grube an, die noch heute besteht. Sie ist das älteste Kohlenbergwerk an der Ruhr und führt den Namen »Op de Mutte«.
Der Affe zu Dhaun
Nicht weit von der Nahe, hoch über dem Tal des Simmerbaches, stand das im Mittelalter erbaute stolze Schloß Dhaun. Dort wohnten lange Zeit die Wild- und Rheingrafen, ein mächtiges und reiches Geschlecht. In den Ruinen ihrer alten Burg sieht man über dem Torbogen des Palastes ein wunderliches Bild. Es stellt einen Affen dar, der einem Kinde einen Apfel reicht. Über die Entstehung dieses Bildes berichtet die Sage.
An einem schönen Sommertage saß im Garten der Burg eine Wärterin mit dem kleinen Grafenkinde. Die Sonne brannte heiß hernieder, einschläfernd summten die Bienen in den Rosensträuchern; die Wärterin fiel in einen leichten Schlummer. Als sie erwachte, war das Kind verschwunden. Nachdem sie sich von dem ersten lähmenden Schrecken erholt hatte, suchte sie jammernd den weiten Garten und die ganze Gegend ab; doch sie fand nicht einmal eine Spur ihres Schützlings. In ihrer Verzweiflung lief sie in den Wald; denn sie getraute sich nicht mehr, ihrem Herrn vor die Augen zu treten. Da sah sie plötzlich nach langem Umherirren unter einem schattigen Baume das verlorene Kind. Es lag mit roten Bäckchen im weichen Moose und schlief. Neben ihm saß der gleichfalls schlafende Affe, den der Burggraf von einer Fahrt nach dem Morgenlande mitgebracht hatte. Überglücklich schloß die Wärterin das wiedergefundene Kind in ihre Arme und eilte zum Schlosse, wo sich Trauer und Klagen schnell in Freude und Jubel verwandelten.
Der Vater des Kindes ließ die seltsame Begebenheit in jenem Steinbilde am Torbogen festhalten.
Die sieben Schönen von Schönberg
Vor langer Zeit wohnten in der Burg Schönberg bei Oberwesel sieben biIdschöne Schwestern. Von nah und fern kamen tapfere Ritter, um als Freier ihr Glück bei ihnen zu versuchen; doch keiner ward erhört. Jahrelang verteilten die Spröden nur Körbe, die den damit Bedachten viel Spott und Hohn eintrugen.
Da geschah es einmal, daß der Zufall die abgewiesenen Freier zusammenführte. Sie verabredeten sich, dem Werben ein Ende zu machen, und sandten einen Knappen nach Schönberg mit der Botschaft: »Meine Herren lassen euch wissen: Wenn ihr nicht willens seid, sieben Bewerbern aus unserer Mitte das Jawort zu geben, dann werden wir nie wieder Schloß Schönberg betreten. Und auch unsere Freunde und Bekannten werden wir abhalten, jemals den Fuß über die Schwelle eurer Burg zu setzen.«
Über diese Botschaft lachten die übermütigen Schönen. Sie beschlossen, den aufgebrachten Freiern einen heilsamen Streich zu spielen, und luden sie für den folgenden Tag nach Schönberg ein. Als die Schar der Freier im Rittersaale versammelt war, kam eine Magd und berichtete: »Es ist der Wille meiner Herrinnen, sieben von den edlen Rittern als Gemahl anzunehmen. Über die Wahl soll das Los entscheiden.«
In einer silbernen Schale wurden die Lose hereingebracht. Und siehe, die ältesten und unansehnlichsten Freier zogen die Glückslose, die die Namen der Schwestern trugen. Die überglücklichen Gewinner beeilten sich, die Bräute zu begrüßen. Sie strichen schnell noch über Haar und Bart, zupften den Rock zurecht und begaben sich erwartungsvoll in das Frauengemach. Aber die Schwestern waren verschwunden. Nur fratzenhafte Bilder hatten sie zurückgelassen, um die Freier zu verhöhnen. Vom Ufer des Rheines herauf klang ihr spöttisches Gelächter. Sie stiegen eben in einen Kahn, um nach dem andern Ufer überzusetzen und auf einer Burg an der Lahn Wohnung zu nehmen. Ob sie dort angekommen sind, weiß man nicht. Noch heute bringt man ihr Verschwinden in Verbindung mit sieben Felsklippen im Rhein, die in ganz trockenen Sommern aus der Flut auftauchen. Zur Strafe für ihren Übermut sollen sie in dieses harte Gestein verwandelt worden sein.
Die Höhle bei Island
EIberfeld gegenüber liegt Island, das wohl älter sein mag, als die Stadt; oberhalb diesem Islande lag unten an der Wupper eine Höhle, in welcher vor alten Zeiten Zwerge, oder gespenstige Wesen gewohnt haben sollen. Diese Zwerge erschienen öfter vor Zeiten den Menschen, zeichneten sich durch Reinlichkeit und Anstand aus und litten nicht, daß sich in ihrer Nachbarschaft etwas Unehrenhaftes oder Unanständiges zutrug. Als die Stadt Elberfeld schon bedeutend angewachsen war, und die kleine Schlucht in der Nähe der Höhle vielen Bürgern ob des Schattens der hohen Eichen und durch die Kühle des fließenden Bächleins zum Erholungsgange diente, begegnete man auch dorten öfter den seltenen Wesen. Es leuchtete nun auch manchen Liebesleuten ein, welche geheimen Umgang miteinander pflogen oder pflegen wollten, daß diese Stelle, welche zahlreiche Verstecke bot, für sie eine recht günstige sei. Sie gaben sich daher dort wohl Stelldichein, allein so oft sie indessen zu Vertraulichkeit übergehen wollten, regnete es von allen Seiten dermaßen von Steinen auf das Paar, daß sie nicht anders als rasch sich durch die Flucht entziehen konnten. Wenn sich auch dieser oder jener Bursche zur Verteidigung seines Schätzchens anschicken wollte, so konnte er nirgends einen Feind finden, setzte er sich allenthalben den Steinwürfen aus und stolperte nicht selten durch Stäbe, die ihm zwischen die Beine gerieten und ihn in Pfützen und Dornen warfen. Zuletzt wagte sich niemand mehr in unlautern Absichten in die Schlucht, und so ward diese von allem schlechten Volke gemieden.
Der Schmied und die Zwerge von Müngsten
Bei Müngsten im Wuppertal wohnten Zwerge in steilen Felsen auf dem rechten Ufer des Flusses. Einmal kam um Mitternacht ein Hammerschmied vom Wirtshaus des Weges daher. Als er in die Gegend der Zwerglöcher gelangte, blieb er verwundert stehen; er hörte ganz deutlich helles Lachen und Jauchzen. Und da sah der Schmied auch schon im Mondschein die kleinen Kerlchen zwischen den Bäumen und Felsen herumspringen; manche warfen vor Vergnügen ihre Mützen in die Luft und fingen sie wieder auf, andere tanzten lustig das Flußufer entlang. Auf einmal gab’s ein lautes Jammern. Einem der kleinen Schelme war die Mütze in die Wupper gefallen, alle rannten hin und sahen entsetzt, wie das Käppchen fortschwamm. Was sollte der Arme machen? Ohne seine Mütze war er ja kein richtiger Zwerg mehr! Das tat nun dem guten Hammerschmied leid; er stieg ins Wasser, fischte die Mütze heraus und gab sie dem Zwerg, der sich sehr darüber freute.
Der Schmied ging nun nach Hause, stellte sich noch Roheisen an den Amboß zurecht, weil er früh an die Arbeit gehen mußte, und legte sich dann zu Bett. Als er aber am andern Morgen die Schmiede betrat, fand er statt des Roheisens den schönsten Stahl vor. Und das ging nun so fort, Nacht für Nacht; bald war er der wohlhabendste Mann in ganz Remscheid. Aber die Neugierde, wie das mit dem Eisen zuging, ließ den Mann nicht ruhen.
Eines Abends versteckte sich der Schmied hinter dem Blasebalg; bald hörte er auch ein feines Geräusch, und herein kam der Zwerg, dem er damals geholfen hatte, mit einem Schurzfell angetan, eine silberne Lampe in der Hand. Der Schmied mußte sich bemühen still zu sein, um nicht loszuplatzen, so spaßig sah der kleine Mann aus. Nun holte der Zwerg sein Hämmerchen aus dem Schurzfell und fing an zu hämmern. Die Schläge hörte man kaum, aber das Eisen dehnte sich wie Wachs, und in wenigen Stunden lag der Stahl fertig da.
Nun wollte sich der Hammerschmied auch nicht lumpen lassen; er bestellte bei dem besten Schneider ein goldgesticktes Wämschen für seinen kleinen Gesellen und legte es ihm am Abend, fein verpackt, hin. Das Männchen kam, öffnete vorsichtig das Paketchen und lachte übers ganze Gesicht vor Freude. Schnell hatte es sein graues Röckchen aus- und das neue angezogen, besah sich von oben bis unten und rief: »Wat brukt en Jonker te schlipen, de en ruaden Rock anhett?«, und ließ sich seitdem nicht mehr sehen.
Einstens sind Zwerge öfters bei Schmieden und anderen Arbeitern eingekehrt und haben ihnen geholfen. Leider sind diese Zeiten verklungen!
Die kegelschiebenden Bauern
Auf dem Kreuzwege zwischen Mettmann und Lüttges kegeln häufig in der Nacht verschiedene Bauern, welche zu ihren Lebzeiten auf einer benachbarten Kegelbahn regelmäßig Kegel zu schieben pflegten. Bei diesem Kegeln geht es selten ohne Streit und Zank ab. Die Bauern nehmen ihre Schädel als Kegelkugeln und Arm- und Beinknochen müssen die Stelle der Kegel vertreten.
So sind sie oft von nächtlichen Wanderern gesehen worden.
Die wunderbaren Äpfel
Zwei Burschen aus dem Dönberg gingen an einem Sonntagmorgen zur Kirche nach Langenberg. Das pflegten sie häufig zu tun, und gewöhnlich nahmen sie ihren Weg durch den Hof »am Stein«. Dort dienten zwei Mägde, welche ihnen befreundet waren, und welche sie häufig besuchten. Als sie nun durch den Hof schritten, rief die eine Magd ihrem Schatz ein freundliches »Guten Morgen, Peter« zu; und die andere rief frohen Mutes: »Guten Morgen, Wilhelm! « Das taten sie aber, um die Männer für den Abend zum Besuch einzuladen. Nach dem Gruß boten die Mädchen den beiden je einen Apfel an. Dankend steckte jeder seinen Apfel in die Rocktasche und gingen alsdann ihres Weges weiter.
Als sie auf dem Rückweg von der Kirche begriffen waren, aß der eine Bursche seinen Apfel, während der andere ihn in der Tasche ließ. Den Rock hing er am Abend an die Wand und vergaß den Apfel.
Es dauerte nun einige Tage, da hörte er, daß sein Freund erkrankt sei. »Du mußt doch einmal nachsehen, was ihm fehlt«, denkt er, nimmt seinen Rock von der Wand und macht sich auf den Weg. Wirklich lag Peter schwer krank darnieder. Die Nachbarn munkelten aber, er sei behext. Wieder andere behaupteten, er sei vom Teufel besessen. Alle stimmten aber darin überein, daß der junge, blühende Mann nicht von einer natürlichen Krankheit betroffen worden sei. Kaum war man aber zu dieser Erkenntnis gelangt, so eilte man nach Neviges zum Kloster und teilte dem Pater Crementines den ganzen Vorfall mit. Crementines ließ sich nicht lange bitten und ging sofort mit zum Hause des Kranken. Er erkannte sogleich, daß er bezaubert sei. Er gab ihm das mitgebrachte Heiligtum zu essen. Kaum hatte der Kranke dies genossen, als er sich erbrach; aber eine große Kröte fuhr ihm aus dem Halse.
Als Wilhelm nach Hause kam, dachte er wieder an seinen Apfel. Er griff in seine Rocktasche und zog ebenfalls eine große Kröte hervor.
Der gebannte Teufel
Auf einem Hofe bei Langenberg lebte einmal ein alter Mann mit seiner Frau. Er besaß eine Lintsgetau (Bandstuhl zur Herstellung von Leinenband) und ließ darauf seine Enkelkinder, namentlich einen jungen Mann, arbeiten. jedesmal, wenn der Alte heimkam, schimpfte und fluchte er über die Kinder, daß sie nicht fleißig genug gewesen seien. Einst wünschte er sogar, der Satan möge sie alle holen.
Einige Tage darnach wütete der Alte wieder gegen die Kinder, schlimmer, denn je vorher. Als sich nun der junge an die Arbeit machen wollte, fielen die Gewichtskästen des Bandstuhls laut dröhnend zur Erde, und die Nägel seiner Finger wurden ganz schwarz. Es war nun kein Zweifel mehr: der Böse war im Hause. Bald machte er sich auf alle Weise bemerkbar. Mit jedem Tag wurde sein Auftreten schlimmer. Als alles nichts half, wandte man sich nach dem Kloster Hardenberg, an den großen Teufelsbanner Pater Crementines. Der kam denn auch und trat betend in die Stube. Als er weiter in die Stube hineinschritt, bedächtig und laut betend, da erhob sich im nebenanliegenden Arbeitszimmer lautes Gebrüll, als wenn ein Löwe sich vernehmen läßt. Doch der Pater ließ sich nicht schrecken und schritt beherzt auf das Gemach zu. Da schrie aus diesem eine Stimme: »Hebe dich fort, du bist ein Dieb!« Aber auch hierdurch ließ sich der geistliche Herr nicht beirren und setzte sein Werk fort. Der Gottseibeiuns wurde aus dem Hause verwiesen und unterhalb des Hauses in einen Siepen verbannt. Dort machte er sich in der Folgezeit noch oft bemerkbar. Aber mit jedem Jahre kommt er wieder einen Hahnenschritt dem Ort seiner einstigen Tätigkeit näher.
Das Riesen-Spielzeug
Auf der Burg Nideck, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall liegt, waren die Ritter vorzeiten große Riesen. Einmal ging das Riesen-Fräulein herab ins Tal, wollte sehen, wie es da unten wäre und kam bis fast nach Haslach auf ein vor dem Wald gelegenes Ackerfeld, das gerade von den Bauern bestellt ward. Es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug, die Pferde und Leute an, das ihr alles etwas neues war.
»Ei«, sprach sie, und ging herzu, »das nehm ich mir mit.« Da kniete sie nieder zur Erde, spreitete ihre Schürze aus, strich mit der Hand. über das Feld, fing alles zusammen und tat’s hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Haus, den Felsen hinaufspringend, wo der Berg so jäh ist, daß ein Mensch mühsam klettern muß, da tat sie einen Schritt und war droben.
Der Ritter saß gerad am Tisch, als sie eintrat. »Ei, mein Kind«, sprach er, »was bringst du da, die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus.« Sie machte geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. »Was hast du so Zappeliches darin?« »Ei Vater, gar zu artiges Spielding! so was schönes hab ich mein Lebtag noch nicht gehabt.« Darauf nahm sie eins nach dem andern heraus und stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit ihren Pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich das kleine Wesen darauf hin und her bewegte. Der Vater aber sprach: »Kind, das ist kein Spielzeug, da hast du was schönes angestiftet! Geh nur gleich und trags wieder hinab ins Tal.« Das Fräulein weinte, es half aber nichts. »Mir ist der Bauer kein Spielzeug«, sagt der Ritter ernsthaftig, »ich leids nicht, daß du mir murrst, kram alles sachte wieder ein und trags an den nämlichen Platz, wo du’s genommen hast. Baut der Bauer nicht sein Ackerfeld, so haben wir Riesen auf unserm Felsen-Nest nichts zu leben.«
Die Pferde aus dem Bodenloch
Richmuth von Adocht, eines reichen Bürgermeisters zu Köln Ehefrau, starb und wurde begraben. Der Totengräber hatte gesehen, daß sie einen köstlichen Ring am Finger trug, die Begierde trieb ihn Nachts zu dem Grab, das er öffnete, Willens den Ring abzuziehen. Kaum aber hatte er den Sargdeckel aufgemacht, so sah er, daß der Leichnam die Hand zusammendrückte und aus dem Sarg steigen wollte. Erschrocken floh er. Die Frau wand sich aus den Grabtüchern los, trat heraus und ging geraden Schritts auf ihr Haus zu, wo sie den bekannten Hausknecht bei Namen rief, daß er schnell die Türe öffnen sollte und erzählte ihm mit wenig Worten, was ihr widerfahren. Der Hausknecht trat zu seinem Herrn und sprach: »Unsere Frau steht unten vor der Türe und will eingelassen sein. « »Ach«, sagte der Herr, »das ist unmöglich, eh das möglich wäre, eher würden meine Schimmel oben auf dem Heuboden stehen! « Kaum hatte er das Wort ausgeredet, so trappelte es auf der Treppe und dem Boden und siehe, die sechs Schimmel standen oben alle beisammen. Die Frau hatte nicht nachgelassen mit Klopfen, nun glaubte der Bürgermeister, daß sie wirklich da wäre; mit Freuden wurde ihr aufgetan und sie wieder völlig zum Leben gebracht. Den andern Tag schauten die Pferde noch aus dem Bodenloch und man mußte ein großes Gerüste anlegen, um sie wieder lebendig und heil herabzubringen. Zum Andenken der Geschichte hat man Pferde ausgestopft, die aus diesem Haus zum Boden herausgucken. Auch ist sie in der Apostelkirche abgemalt, wo man überdem einen langen leinenen Vorhang zeigt, den Frau Richmuth nachher mit eigner Hand gesponnen und dahin verehrt hat. Denn sie lebte noch sieben Jahre.
Das Bäumchen zu Ürdingen
Zu Ürdingen wurde eine arme Magd eines schweren Verbrechens angeklagt. Aber obwohl sie ihre Unschuld mit heiligen Eiden beteuerte, wurde sie doch dazu verurteilt, im Kerker Hungers zu sterben. Als sie weggeführt wurde, rief sie den Richtern zu: »Zum Zeichen dafür, daß ich unschuldig bin, wird ein Bäumchen aus meinem Grabe wachsen, das wird nicht vergehen, was ihr auch anstellen möget, es zu zerstören. Dann wird es zur Reue für euch zu spät sein.« Drauf brachte der Büttel sie in den Gefängnisturm am Neutor der Stadt.
Die Ürdinger hatten die arme Magd und ihr Schicksal fast schon vergessen, da wuchs aus der Mauer ihres Kerkers ein Bäumchen hervor; das vermochten weder Wind noch Wetter noch Menschenhand zu vernichten. Es grünte und blühte Jahr um Jahr, bis das Neutor abgetragen wurde.
Der Rheingrafenstein
Auf dem Rheingrafenstein, einem stellen Felsen an der Nahe, stand in alten Zeiten eine gewaltige Burg, die war nicht von Menschenhänden erbaut; sie war vielmehr des Teufels Werk.
Einer der Grafen von der Kauzenburg in Kreuznach schloß nach einer durchzechten Nacht mit dem Bösen diesen Vertrag: »Ich, der Teufel, werde auf dem Rheingrafenstein in einer einzigen Nacht ein Schloß erbauen und es dem Ritter von der Kauzenburg schenken. Dafür soll die Seele des ersten, der aus einem Fenster des Schlosses schaut, mir gehören.«
Als nun das Bauwerk wider alles Erwarten am andern Morgen vom hohen Felsen stattlich emporragte, da ward es dem Ritter angst und bange; ja, er wollte gar nicht in die Teufelsburg einziehen. Die Gräfin aber machte ihm Mut. Ruhig ritt sie den Felspfad hinauf, gefolgt vom Burgkaplan; zögernd kam der Graf mit seinen Rittern und Mannen hinterher. Als der Teufel, der in Gestalt eines großen Raubvogels auf dem Dachfirst saß, den Geistlichen sah, da lachte ihm das schwarze Herz im Leibe, dachte er doch, jener werde ganz sicher seine Beute werden.
Doch der kluge Teufel hatte sich diesmal gründlich verrechnet. Die Gräfin setzte Frauenlist gegen Teufelslist, und es gelang ihr, den Vater der Lüge zu prellen. Sie ließ einen Esel in den Rittersaal bringen, bekleidete ihn mit des Kaplans Sutane und schwarzem Käppchen und ließ ihn dann zum Fenster hinausschauen. Mit wilder Freude stieß der Teufel auf sein Opfer nieder und trug es in den Krallen davon. Doch hoch in den Lüften begann das Grautier aus allen Kräften sein angsterfülltes I-a, I-a zu schreien. Nun erkannte der Teufel, daß er sich hatte übertölpeln lassen. Mit einem entsetzlichen Fluch ließ er den Esel los, der beim Aufprall auf den Felsen zerschmettert wurde.
Der Traum vom Glück auf der Brücke zu Koblenz
Ein Bewohner des am Hochwald gelegenen Dorfes Alt-Rinzenberg, hatte einst drei Nächte hintereinander den gleichen Traum; eine Stimme rief ihm zu:
Zu Koblenz auf der Brück‘
Da blüht dir dein Glück.
Als der Mann den Traum seinen Verwandten erzählte, drangen diese so lange in ihn, bis er sich nach Koblenz aufmachte, um das Glück zu suchen. Dort begab er sich sofort auf die alte Moselbrücke, an der das Kur-Trierische Schloß stand, und ging hier auf und ab, das Glück erwartend, das sich aber nicht einstellen wollte. Eben gedachte er – denn es war schon gegen Abend – voll Ärger über die unnötigen Ausgaben und die beschwerliche Reise wegzugehen, als ein Soldat, der auf der Brücke Schildwache stand, auf das sonderbare Gebaren des unruhig hin- und hergehenden Bauern aufmerksam wurde, ihn anredete und fragte, was er eigentlich hier suche.
»Ach«, erwiderte der Bauer, »da träumte mir dreimal hintereinander:
Zu Koblenz auf der Brück‘
Da blüht dir dein Glück.
Und nun laufe ich schon den ganzen Tag hier auf und ab, aber vom Glück habe ich noch nichts gesehen.«
Da lachte der Soldat und sagte: »Auf Träume darf man überhaupt nichts geben; da träumte ich immer: In Rinzenberg steht in einer alten, zerfallenen Zisterne ein Kessel mit Gold. Aber soviel ich auch gefragt habe, kein Mensch kann mir erklären, wo Rinzenberg liegt, das gibt’s ja gar nicht.«
»Ah«, dachte der Bauer, »bläst der Wind daher! Jetzt weiß ich genug.« Er verabschiedete sich schnell und machte sich auf den weiten Heimweg. Zu Hause fand er den Schatz richtig an der bezeichneten Stelle, hob ihn und erbaute weitab von seinem Dorf, am Eberswalde, nahe bei dem damals berühmten Sauerbrunnen, drei schöne Häuser und gründete so Neu-Rinzenberg, das unter dem Namen Rinzenberg heute noch besteht, während Alt-Rinzenberg verfiel und bald völlig verschwunden war. Im Volk will man noch die Stelle genau wissen, wo der Weiler einstens gestanden war.
Der Schäfer am Pulvermaar
In alter Zeit zogen alljährlich in den ersten Frühlingstagen die Bauern aus den Dörfern am Pulvermaar um den See und flehten betend und singend den Segen Gottes auf ihre Fluren herab. Aus Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit unterblieb einmal der fromme Bittgang. Da geriet das Wasser des tiefen Kessels in Bewegung; wie von unterirdischen Feuern erhitzt, wallte es auf, stieg höher und höher und drohte über die Ufer zu treten. Unheimlich grollte und dröhnte es aus der Tiefe, und die Erde erbebte im weiten Umkreis.
Ein Schäfer, der in der Nähe seine Herde hütete, gewahrte voll Schrecken das nahende Verderben. Sein frommer Sinn sagte ihm sogleich, daß Gottes Strafgericht drohe, weil die Dorfbewohner vom frommen Väterbrauch abgewichen waren. Um das Versäumte nachzuholen, steckte er seinen Hut auf den Hirtenstab und zog, gefolgt von seinen Schafen, mit Gebet und Gesang um den See. Alsbald beruhigte sich die zürnende Flut, mehr und mehr trat sie zurück, und als der Schäfer den Umgang beendet hatte, lag der Wasserspiegel wieder ruhig und friedlich wie sonst an stillen Frühlingstagen.
Der goldene Pflug
in Inneren des Berges, der die Ruinen der stattlichen Burg Neuenahr trägt, waren in alter Zeit viele Schätze verborgen. Dazu gehörte auch ein goldener Pflug, der in dem heute verschütteten Schloßbrunnen lag. Ein Bauer, dem das Arbeiten schwer fiel, und der doch gern ein Leben geführt hätte wie die adligen Herren auf ihren Burgen, wurde einmal um die Mitternachtsstunde von einem Zwerge an den Rand des Brunnens geführt. Der Kleine sprach: »Du weißt, daß auf dem Grunde dieses tiefen Schachtes ein goldener Pflug liegt. Grabe in der nächsten Vollmondnacht danach. Dort unter jenem Haselstrauch liegt ein Stein, der den Brunnen verdeckt. Heb ihn auf und lasse eine Angel hinab, dann wirst du den Schatz bergen und ein reicher Mann sein. Doch darf dabei kein Laut über deine Lippen kommen, sonst werden die Erdgeister den Schatz nicht hergeben!«
Der Bauer merkte sich die Stelle genau und traf alle Vorbereitungen, um den goldenen Pflug ans Tageslicht zu bringen. Er verhielt sich in diesen Tagen so schweigsam, daß es seinem redseligen Weibe nicht gelingen wollte, auch nur ein einziges Wort aus ihm herauszubringen. Endlich war der Mond voll geworden, und der Schatzgräber ging um die Mitternachtsstunde an die Arbeit. Er hieb den Haselstrauch ab und schob den Schlußstein des Brunnens beiseite. Aus der Tiefe strahlte ihm ein heller Schein entgegen. Behutsam ließ er die Angel, die er mitgebracht hatte, an einer langen Schnur bis auf den Grund des Schachtes hinab und zog sie dann langsam und schweigend nach oben. Wild klopfte da sein Herz vor Freude; denn er merkte, daß ein schweres Gewicht an der Angel hing. Höher und höher stieg der kostbare Schatz, noch einige Augenblicke, so dachte der Bauer, und er würde ihn sein eigen nennen. Doch plötzlich sah er einen feurigen Ritter vor sich, der ihm drohend sein blitzendes Schwert entgegenstreckte. Mit einem gellenden Schrei sprang er zurück, und der goldene Pflug stürzte wieder in die Tiefe. Ganz verstört eilte der Zitternde nach Hause. Als er in der nächsten Vollmondnacht einen zweiten Versuch machen wollte, in den Besitz des Schatzes zu gelangen, da war jede Spur des Brunnens verschwunden.
Das Gnadenbild zu Klausen
Nicht weit von dem langgestreckten Brauneberg, näher noch dem Moselflecken Piesport, liegt der Wallfahrtsort Klausen.
Zu jener Zeit, als der gelehrte Nikolaus Cusanus schon ein berühmter Mann der Kirche und der Wissenschaft war, lebte im Dorfe Esch an der Salm ein frommer Bauer namens Eberhard. Dieser hatte eine besondere Andacht zur Muttergottes; einmal träumte ihm dreimal hintereinander, er müsse der Gottesmutter ein Haus bauen. Man schenkte ihm auch in Trier ein Bild der schmerzhaften Mutter Jesu, ein Glöckchen und einen Leuchterstock. Dann baute er eine kleine Kapelle und sich selbst eine Hütte dabei. Bald erzählte man auch von allerlei Wundern, die dort geschehen sein sollten; der Gnadenort bekam Zulauf, und Eberhard begann eine Kirche zu bauen.
Eben damals kam auf einer Reise durch Deutschland der Kardinal Cusanus nach Trier. Als er von den Wundern bei Eberhards Klause erfuhr, meinte er, dies könne nicht mit rechten Dingen zugehen; er reiste hin, schalt den Bauern gehörig wegen seines törichten und abergläubischen Treibens und verbot ihm, mit dem Bau fortzufahren.
Als der Kardinal aber weitergereist war und sich in Koblenz bei seiner Schwester aufhielt, wurde er schwer krank. Da hielt ihm seine Schwester vor, er habe vielleicht die Jungfrau Maria böse gemacht, indem er dem Klausner verbot, die Kirche auszubauen. Nun fiel dem Kardinal sein unwirsches Gebaren gegenüber dem frommen Bauersmann schwer aufs Herz; er schickte Boten aus und ließ Eberhard mitteilen, er solle nur weiterbauen; ja, er versprach ihm noch Beihilfe dazu. Bald darauf wurde der Kardinal wieder gesund und konnte seine Reise fortsetzen. Auch der Klausner Eberhard nahm sein Werk wieder auf, und die Bauern aus der Nachbarschaft halfen ihm eitrig dabei.
Nun wollte ihnen Eberhard dafür etwas zugute tun und ließ, da es sehr heiß war, ein Fäßchen Wein von der nahen Mosel holen. Aber das war für die vielen Arbeiter nicht groß genug gewesen, deshalb ging der Wein bald aus. Der fromme Mann hatte zwar einen Boten um ein zweites Fäßchen geschickt, aber dieser blieb lange aus.
Als Eberhard nun sah, wie seine Leute Durst litten, eilte er zu dem Gnadenbild und bat: »Meine liebe himmlische Magd! Ich habe das meinige getan, die Reihe ist jetzt an Dir. Hilf mir und den Meinen in dieser Not!« Und wirklich, die himmlische Magd hatte das Gebet des frommen Klausners erhört, das Fäßchen war mit einemmal wieder gefüllt.
Das Volk aber erzählt, das Wunder sei weitergegangen. Als das Fäßchen lange, lange nicht leer geworden war, kam Eberhard ein Zweifel, wie lange es noch so fortgehen könne, und neugierig untersuchte er mit einem Maßstab, wieviel Liter noch im Faß seien. Im selben Augenblick aber hörte zur Strafe für seinen Zweifel das Fäßchen zu laufen auf.
Heute noch wünscht sich mancher, wenn ihm zum heißen Tagewerk der Trunk abgeht, »Eberhards Fäßchen«, so sagen die Moselländer Landsleute.
Die untergegangene Stadt Gression
Als an der Duffesmaar bei Gelch einmal ein Bauer beim Pflügen an etwas Hartes im Boden stieß, so hart, daß der Pflug davon zerriß, fing es an zu läuten; er grub nach und fand die Spitze eines Kirchturmes von Gression. Sofort warf er Erde in das Loch, denn es soll nicht gut sein, in die Geheimnisse einer versunkenen Stadt einzudringen. Einen guten Teil unseres linksrheinischen Niederlandes muß in alten Heidenzeiten einmal diese große Stadt Gression bedeckt haben. Auf dem Rott, einer Flur bei Gürzenich, haben ihre Festungswerke on Poeze (Pforten, Tore) gestanden, aber auch »ein Poezefähld« bei Langerwehe, wie schon der Name besagt; die Marktplätze der Stadt lagen in Düren, wo heute das Muttergotteshäuschen steht, bei Birgel auf dem »Mahdberg« (was also nichts anderes als Marktberg bedeutet) und in der »Duffesmaar« bei Geich. Auch bei Berzbuir, wo es heißt »de ahl Kerch«, und im »Kirchwasser« bei Merken sollen solche Kirchen von Gression versunken sein, oder richtiger Heidentempel, denn auch an der Stelle mancher alten Pfarrkirche, wie der zu Langerwehe und zu Pier, standen solche Tempel. Und bei letztgenanntem Orte im Schlammerweiher liegt denn auch die Burg von dem, der über die Stadt zu sagen hatte; freilich auch die Heidenburg bei Hoven gehörte mindestens noch zu Gression. Und wiederum in Lamersdorf behaupten sie, ihr Ort sei einst der Mittelpunkt von Gression gewesen. Zurzeit als er noch auf der Höhe, nicht wie jetzt im Tale, lag. Bescheidener beansprucht Altdorf, daß dort eine Vorstadt gewesen sei, weshalb auch jetzt noch ein Teil der Ortschaft so heiße. Durch einen großen Teil des Kreises Düren und des Landkreises Aachen geht diese Sage von Gression, und auch noch bis in die Kreise Bergheim und Jülich. Wo man mit dem Spaten oder Pflug auf römische Baureste, Dachpfannen oder Grundmauern stößt, sagt man gleich: »Das es wedde e Stöck van dr Stadt Gression, die versonke es«, oder so ähnlich. Fast immer heißt es auch: »diese Stadt die reichte bis Gressenich«. Dies heutige Dorf Gressenich (zwischen Stolberg und Düren) muß denn auch seinen Namen von dem alten Gression haben, es ist eben das, was von der großen Stadt übrigblieb, es war der Hauptteil davon, ja, die untergegangene Stadt wird nicht selten selbst Gressenich genannt.
Nach alledem muß die Stadt größer gewesen sein, als alle jetzigen bei uns. Nach einigen brauchte man zwei Stunden, nach andern fünf, nach den meisten Berichten sieben Stunden, um sie zu durchmessen. Damit noch nicht genug, es heißt, sie habe gar von Aachen bis Köln und von Düren bis Jülich gereicht, oder von Aachen längs der Krefelder Straße bis an den Rhein, hundert Stunden habe sie im Umfang gehabt. Sie war auch anders gebaut als die heutigen Großstädte: »Dat woe su ne vertelte Stadt, riet wie jetz die Städt senn. He woe ne Fleck, do stonde de Huse, dann kom ne Plaatz, do wor et frei; su geng dat fürahn, su dat dat velle Oetschofte wore. Dat ganze nennte nie evve Gressiona«. Und an verschiedenen Orten, wie wir bereits wissen, kennt man noch die Stellen der Tore und Mauern.
Fast alle stimmen darin überein, daß sie in der Heidenzeit gestanden habe, einige meinen, es sei schon vor der Sündflut gewesen. Die römischen Scherben im Ackerboden haben wohl den Anstoß zur Bildung der Sage gegeben, aber die Volkssage weiß von Römern als Erbauern und Bewohnern Gressions nur in Gressenich und wenigen anderen Orten. Einmal war ein riesiges Türkenheer vor Gression, das als uneinnehmbare Festung galt, das war zu der Zeit als der Omerbach, der zwischen Gression und Hamich fließt, noch ein großer, schiffbarer Strom war. Dort wurden die Türken in einer furchtbaren Schlacht besiegt:
Zu Gression
Am Omerstrom
Ward eine blutige Schlacht geschlagen…
So begann ein altes Lied, das die Leute jetzt leider vergessen haben. Der Türkenfeldherr soll aber beim Abzug gesagt haben, »wenn er wiederkäme, würde er ein so großes Heer mitbringen, daß ihre Pferde den ganzen Omerfluß aussaufen und trocknen Fußes hinüber könnten. Dann solle in der Stadt kein Stein auf dem andern bleiben.«
Wie die Stadt Gression zugrunde ging, davon wird noch mancherlei erzählt; außer den Türken wird es auch irgendwelchen andern fremden Kriegsvölkern zugeschrieben. In Merken sagt man, bei der Zerstörung sei es so furchtbar zugegangen, daß davon die Stadt oder vielmehr ihre Ruine den Namen Gräßelich bekam, woraus dann später Gressenich wurde. An der Kohlenasche, die sich viel in römischen Trümmern findet, soll man ein sicheres Zeichen haben, daß die Stadt durch Feuer zerstört wurde. In andern Orten dagegen hält man dafür, daß eine große Flut, meist sagt man: die Sündflut, die Stadt begraben habe. Man sehe das ja auch noch an den doch nur vom versteinerten Muscheln in den Steinbrüchen, die könnten Wasser herrühren; ebenso auch die Baumstämme, die in der Braunkohle bei Lucherberg zusammengeschwemmt sind, und die Sand- und Geröllmassen über dieser Schicht; und dann die steinharten, schwarzen Baumstümpfe, die im »ruede Brooch« bei Schwarzenbroich stecken, mit der Wurzel nach oben: was das für eine gewaltige Flut gewesen sein müsse!
Am meisten hört man: Gression ist versunken, warum, wissen manche Erzähler nicht zu sagen, oder es heißt, wie bei vielen andern Städten, denen das geschah: zur Strafe für ihre Üppigkeit und ihre Sünden. Wie prächtig und wie reich die Stadt war, können wir nur noch ahnen; im Oretzfeld bei Selgersdorf (im Kreise Jülich) werden manchmal besonders Schöne, große Ziegel ausgepflügt, mit Blumen und anderm Bildwerk darauf, und am Sandberg bei Rödingen (ebenfalls im Kreise Jülich) findet man an einigen Stellen Sand so glänzend und schwer wie pures Gold. Die Alten wußten mehr davon, wie es in Gression zugegangen ist. Eine von den schlimmsten in der Stadt sei »Frau Liesche« gewesen. Nach ihr heißt heute noch eine Mulde, die mit Gestrüpp und alten Weidenbäumen bewachsen war, hinter Röhe auf St. Jöris zu; da ging nachts Frau Liesche um, oder sprang von Baum zu Baum in langes, leuchtend weißes Leinen gehüllt, und plättete mit den Händen Wäsche, daß es schaurig durch den ganzen Wald hallte; das mußte sie nach ihrem Tode zur Strafe dafür, daß sie sonntags gewaschen hatte.
Die Johannisopfer zu Schönrath
Zur Zeit des Grafen Gerhard von Berg hauste zu Schönrath an der Agger Ritter Hans von Schönrath. Er hatte drei Söhne und zwei Töchter, die zur Freude der Eltern heranwuchsen. Es war allen Leuten bekannt, daß zur Zeit der Sommersonnenwende Sankt Johannes drei Opfer fordere, eins im Wasser, eins auf dem festen Boden und eins in der Luft. Ängstlich hatten daher der Ritter und seine Gemahlin ihre Kinder vor diesem Tage gewarnt.
Als wieder einmal der Johannistag herangekommen war, verließen die Kinder heiter das Schloß, um im nahen Forst dem gewohnten Spiel nachzugehen. Einer der Söhne gewahrte auf einer hohen Fichte einen Falkenhorst und machte sich sofort daran, das Nest herabzuholen. Die beiden andern schauten ihm nach, bis er sich zur schwankenden Krone in schwindelnder Höhe aufklemmte. In diesem Augenblick brach ein Wolf aus dem Dickicht hervor, ergriff den jüngsten Knaben und lief mit ihm davon. Das gellende Schreien des Geraubten erschreckte den Bruder in seiner luftigen Höhe, die Sinne vergingen ihm, und er stürzte vom Baum hinab.
Als der dritte das schreckliche Unglück sah, rannte er wie besessen nach Hause. In seiner Verwirrung lief er nicht über die Brücke in das Schloß, sondern stürzte in den Graben, wo er ertrank.
Als man die Knaben vermißte, begann man sie zu suchen und brachte am Abend drei Leichen ins Schloß: aus dem Wasser, dem Forst und aus der wilden, zerklüfteten Schlucht.
So leuchten nunmehr zur Sommersonnenwende die Feuer von den Höhen, um niemals mehr St. Johannes zu erzürnen.
Der Riese im Treiser Schock
Zu jener Zeit, als die Hunnen über den Hunsrück zogen, lebte im Treiser Schock ein wilder Riese in einer tiefen, dunklen Felsenhöhle; ringsumher hatte er große Steinblöcke wie eine Mauer aufgeschichtet. Manchmal spielte er mit schweren Felskugeln Ball oder warf sie vom hohen Berg ins Tal; das tat er besonders gern, wenn Leute dort arbeiteten; die mußten dann jedesmal schleunigst das Weite suchen. Fast täglich jagte der Unhold in den Wäldern; alles Wild, das ihm in den Wurf kam, erlegte er, und wenn ihm dabei ein Mensch begegnete, so mußte der Unglückliche mit ihm jagen, da half kein Bitten und Sträuben. Dann ging’s vom Morgen bis zum Abend über Stock und Stein. Waren die armen Leute abends todmüde, so brüllte er sie fürchterlich an, stieß die gräßlichsten Drohungen aus und jagte die Ärmsten, die vor Angst schon mehr tot als lebendig waren, schließlich unter wüsten Flüchen davon. Daher mied jedermann ängstlich den Schockwald, um nur dem Riesen nicht zu begegnen.
Nur ein Mann fürchtete den gewalttätigen Unhold nicht; das war ein frommer Einsiedler, der am Südende des Waldes seine Behausung hatte. Der Klausner hatte dreizehn Steinchen, die wunderbar glänzten; wenn man eins davon dem Riesen vor die Augen hielt, wurde er geblendet und konnte einem nichts tun. Wer über den Schock zur Mosel ging, lieh sich bei dem Einsiedler eines von seinen Steinchen aus.
Einmal kamen zwölf Männer, denen gab der gottesfürchtige Mann je eins von den Steinchen mit. Nach einer Weile fand sich aber noch ein Junge ein und bat wieder um eins. Da wollte ihm der Einsiedler sein letztes Steinchen zuerst nicht geben; als aber der Junge bitterlich zu weinen anfing, hatte der Alte Mitleid und überließ es ihm.
Der Junge kam zur Höhle des wilden Mannes. Da trat der Riese plötzlich heraus, brüllte den Knaben an und wollte ihn auf die Jagd mitnehmen. Der arme Kerl erschrak so heftig, daß er das Steinchen fallen ließ; er konnte es nicht wieder finden, sosehr er sich auch mühte. Aber der Riese wurde auf einmal ganz still, machte sich rasch in seine Höhle davon und ließ den Jungen ungehindert weitergehen.
Als die zwölf Männer gegen Abend zurückkehrten, war von dem Riesen nichts mehr zu sehen. Während sie noch ganz verwundert mit dem Einsiedler darüber sprachen, kam auch der Junge dahergelaufen und erzählte schluchzend, wie es ihm mit dem Steinchen ergangen war. Da erkannten alle, daß der Riese durch das Steinchen in seine Höhle gebannt war. Alle Leute in der Gegend dankten Gott, daß sie von der Plage befreit waren, und erbauten mit dem Einsiedler bei der Klause ein Gotteshaus.
Später entstand dort ein Hof, der bis auf den heutigen Tag »Gotteshausen« heißt. Auch an der anderen Seite des Schocks wurde ein Bauerngehöft angelegt und nach den Hünen der »Hohnhäuser-Hof« genannt. Das Steinchen liegt immer noch im Schock vor der Riesenhöhle.
Wenn dies Wundersteinchen jemand finden und wegnehmen sollte, erscheint der Riese wieder, und es fängt die alte Plage von neuem an.
Der Dom zu Köln
AIs der Bau des Doms zu Köln begann, wollte man gerade auch eine Wasserleitung ausführen. Da vermaß sich der Baumeister und sprach: »Eher soll das große Münster vollendet sein, als der geringe Wasserbau!« Das sprach er, weil er allein wußte, wo zu diesem die Quelle sprang, und er das Geheimnis niemandem, als seiner Frau entdeckt, ihr aber zugleich bei Leib und Leben geboten hatte, es wohl zu bewahren. Der Bau des Doms fing an und hatte guten Fortgang, aber die Wasserleitung konnte nicht angefangen werden, weil der Meister vergeblich die Quelle suchte. Als dessen Frau nun sah, wie er sich darüber grämte, versprach sie ihm Hilfe, ging zu der Frau des andern Baumeisters und lockte ihr durch List endlich das Geheimnis heraus, wonach die Quelle gerade unter dem Turm des Münsters sprang; ja, jene bezeichnete selbst den Stein, der sie zudeckte. Nun war ihrem Manne geholfen; folgenden Tags ging er zu dem Stein, klopfte darauf und sogleich drang das Wasser hervor. Als der Baumeister sein Geheimnis verraten sah und mit seinem stolzen Versprechen zu Schanden werden mußte, weil die Wasserleitung ohne Zweifel nun in kurzer Zeit zu Stande kam, verfluchte er zornig den Bau, daß er nimmermehr sollte vollendet werden, und starb darauf vor Traurigkeit. Hat man fortbauen wollen, so war, was an einem Tag zusammengebracht und aufgemauert stand, am andern Morgen eingefallen, und wenn es noch so gut eingefügt war und aufs festeste haftete, also daß von nun an kein einziger Stein mehr hinzugekommen ist.
Andere erzählen abweichend. Der Teufel war neidig auf das stolze und heilige Werk, das Herr Gerhard, der Baumeister, erfunden und begonnen hatte. Um doch nicht ganz leer dabei auszugehn, oder gar die Vollendung des Doms noch zu verhindern, ging er mit Herrn Gerhard die Wette ein: er wolle ehr einen Bach von Trier nach Köln, bis an den Dom, geleitet, als Herr Gerhard seinen Bau vollendet haben; doch müsse ihm, wenn er gewänne, des Meisters Seele zugehören. Herr Gerhard war nicht säumig, aber der Teufel kann teufelsschnell arbeiten. Eines Tags stieg der Meister auf den Turm, der schon so hoch war, als er noch heut zu Tag ist, und das erste, was er von oben herab gewahrte, waren Enten, die schnatternd von dem Bach, den der Teufel herbeigeleitet hatte, aufflogen. Da sprach der Meister in grimmem Zorn: »Zwar hast du, Teufel, mich gewonnen, doch sollst du mich nicht lebendig haben!« So sprach er und stürzte sich Hals über Kopf den Turm herunter, in Gestalt eines Hundes sprang schnell der Teufel hintennach, wie beides in Stein gehauen noch wirklich am Turme zu schauen ist. Auch soll, wenn man sich mit dem Ohr auf die Erde legt, noch heute der Bach zu hören sein, wie er unter dem Dome wegfließt.
Endlich hat man eine dritte Sage, welche den Teufel mit des Meisters Frau Buhlschaft treiben läßt, wodurch er vermutlich, wie in der ersten, hinter das Baugeheimnis ihres Mannes kam.
Der feststellende Köhler
Ein Kohlenbrenner von Barmen, der im Wirtshause saß, rühmte vor seinen Gefährten, daß ihm niemand etwas von seinem Meiler entwenden könne, wenn er schon nicht dort sei, weil er die Kunst verstehe, die Diebe festzustellen. Da wettete einer von der Gesellschaft mit ihm, binnen Stundenfrist mit seiner Schürhacke in der Stube zu sein. Der Bursche ging zum Walde, der Köhler aber sprach seine Zaubersprüche. Der erstere kam richtig an den Meiler, wie er aber die Hacke anfaßte siehe da waren ihm die Füße wie an die Erde festgewachsen und, was er zappelte, er vermochte nicht von der Stelle zu kommen. Er rief da dreimal: laß mich los im Namen der heiligen Dreifaltigkeit. Diese Worte vermochten aber den Zauber nicht zu brechen. Da griff er mit der Linken in die Tasche, die Rechte klebte an der Hacke, zog sein Messer und zerschnitt damit den linken Hosenträger. Gleich konnte er nun von der Stelle und mit der ergriffenen Schürhacke zum Wirtshause eilen. Er fand den Köhler dort tot; der Schnitt, welcher den Hosenträger spaltete, hatte ihn auch ins Herz getroffen.
Frau säugt junge Schweine bei den Zwergen
Zu Richrath wurden noch vor kurzem in einem Steinbruch Höhlen gezeigt, in welchen in grauer Vorzeit Zwerge hausten. Einmal stahlen diese Zwerge eine Frau in der Nähe des Dellbaches und schleppten sie mit in ihre Höhle. Dort zwangen sie das arme Weib, ihre Schweine zu säugen.
Lange Jahre weilte die Frau bei den Zwergen, welche im allgemeinen gut und liebreich gegen sie waren. Aber die Sehnsucht nach dem hellen Sonnenlicht und ihrer lieben Heimat wuchs täglich bei der Frau, bis es ihr einmal gelang, aus der Höhle zu entfliehen. Sie gelangte bald auf den Hof, wo sie einst gewohnt hatte; aber niemand kannte sie mehr, und auch sie fand keinen der alten Bekannten wieder. Traurig setzte sie sich auf einen Stein im Hof und begann bitterlich zu weinen. Einige Kinder drängten sich neugierig um das seltsame, fremde Weib. Der Anblick der lebensfrohen Kinder vermehrte ihren Schmerz, und mit doppelter Bitterkeit dachte sie an ihr Los in der finstern Höhle bei den mißgestalteten Zwergen. Als einige der Kinder zudringlich wurden, rief sie ihnen zu: »Stört meine Ruhe nicht, denn ich habe keins von Euch unter meinem Herzen getragen.«
Dann ging sie fort und wurde nie wieder gesehen.
Das Kräutermännchen
Ein Fischer stand bei Sonnenuntergang mit seinem Wurfgarn oberhalb der Fließemer Mühle an der Kyll. Immer wieder warf er das Netz in die klare Flut, doch es gelang ihm nicht, auch nur ein einziges Fischlein zu fangen. Das machte ihn sehr verdrießlich, hatte er doch zu Hause zwei kranke Zwillingskinder, die einen Fisch zu essen begehrten.
Während er so ungeduldig harrend am Ufer stand, kamen auf dem Wasser zwei junge Schwäne daher, die, schwach und matt, langsam flußaufwärts schwammen. Schon war er versucht, das Garn nach ihnen auszuwerfen, da trat am andern Ufer das grasgüne Kräutermännlein aus dem Walde und drohte ihm mit erhobenem Finger. Doch der Fischer achtete nicht auf die Warnung, er ließ das Garn fliegen, und die Schwäne waren gefangen. Als er aber das Netz aus dem Wasser zog, da waren statt der Schwäne zwei glänzende Forellen drin. Nicht wenig war darüber der Fischer verwundert; er eilte rasch nach Hause, um den kranken Kindern die sehnsüchtig erwartete Speise zu bringen. Als er sich seiner Hütte näherte, sah er zwei Schwäne über dem Dache emporsteigen und in nebelhafter Ferne verschwinden. Die Kinder aber lagen in ihren Betten und waren tot.
Da wußte er, daß die kranken Schwäne seine eigenen Kinder gewesen waren, und untröstlich sprach er immer wieder: »O hätte ich doch dem Kräutermännlein gefolgt! «
Der Teufelstein
Da liegt im Weselerwald zwischen Drevenack und Marienthal, dem Dorf, in dem das alte Kloster am grünen Isselufer lag, mitten in einer Wiese ein mächtiger Steinblock, von dem niemand weiß, wie er dahingekommen ist. Von einem Felsen kann er nicht hinabgerollt sein, weil es dort in der niederrheinischen Ebene keine Felsen gibt. Und wenn die Gelehrten heute sagen, daß er in Zeiten, als dies weite Land noch Meer war, mit einem Eisberg angespült sei, so haben aber doch die Urgroßväter der Bauern, die dort noch heute wohnen, nichts gewußt von so gelehrten Dingen, von nordischem Granit, woraus der Stein besteht, und auch von einer Zeit vor mehr als hunderttausend Jahren nichts. Als sei er aus der Luft herabgefallen, so lag er immer da, Jahrzehnt schon um Jahrzehnt, breit und dick und fast so hoch wie eine Weihnachtstanne, so daß die Knechte sich vor Sonnenschein und Regen hinter ihm verstecken konnten. Wie aus der Luft herabgefallen – doch wie kann das sein? Vom Himmel? Aus den Wolken? Von den Sternen? Es war noch nie, so daß sie’s wußten, solch ein Felsblock aus der Luft gekommen -und es konnte da nur eine einzige Lösung geben, da nur einer solche Kräfte haben konnte und auch den bösen Sinn, diesen Stein hoch durch die Luft zu werfen: Der Teufel selber kann es nur gewesen sein. Und so erzählten sie:
In jener Zeit, als auch diesem Lande das Evangelium vorn Christ gepredigt wurde, als in Marienthal fromme Männer das Kloster bauten und in Drevenack die Kirche immer höher stieg, daß der Turm schon weither vom Walde zu sehen war, da habe der Teufel seinen bösen Streich ausführen wollen. Den Nixen in der Issel war es fast gelungen, den Bau des Klosters zu verhindern. Sie trieben das Wasser des kleinen Flüßchens hoch über die neuen Fundamente; die Mönche aber ließen sich keine Mühe mehr verdrießen: Sie bauten neu, einige Meter höher, den Hügel aufwärts, da wo nun heute noch das Kirchlein steht und wo noch der Kreuzgang und die alten Zellen immer noch an jene längst vergangene Zeit erinnern.
Das aber war dem Teufel denn nun doch zu viel. Hoch oben auf den Testerbergen jenseits der Lippe habe ihn die Satanswut erfaßt, so daß er jenen Fels, den Teufelsstein, gegriffen habe, um ihn weit – (mit donnerstarkem Brausen sei er durch die Luft geflogen) – ja, nun weiß man nicht, um ihn gegen das Kloster oder die neue Drevenacker Kirche, die er beide von seinem hohen Sitze habe sehen können, zu schleudern. Und man weiß nicht, war seine Kraft zu schwach, so daß der Stein zwischen Marienthal und Drevenack am Weselerwald zu Boden fiel und also das Kloster nicht erreichte – oder zu ungestüm, so, daß er über Drevenacks Kirche weit in die großen Wälder flog, dahin, wo heute Wiese ist und wo er immer noch, wenn auch schon fast in die Tiefe eingesunken, liegt, und wo man immer noch an einer Seite die Löcher sieht, da seine Teufelskrallen sich in blinder Wut in die harte Masse eingegraben haben.
Im Sommer, wenn die Wiesenblumen blühen und die Rispen und die Ähren wogen, ist er kaum mehr zu sehen. Einst wird er ganz verschwunden sein, wenn aber doch die Kirchen von Marienthal und Drevenack noch lange, lange stehen werden.
Die Nachtwandlerin zu Düssel
Auf einem Bauernhofe zwischen Düssel und Wülfrath lebte einst eine Bäuerin, welche sehr geizig war. Den ganzen Tag hörte man ihr Zanken und Schelten durch das ganze Haus. Versah die Magd nur das Geringste im Dienst, so folgte eine Flut von Schimpfwörtern aus dem Munde ihrer Herrin.
Namentlich war die Bauersfrau hart gegen die Armen. Nahte jemand ihrer Türe und bat um ein Stück Brot oder eine kleine Gabe, so wies sie ihn hart ab. Das Essen, welches übrig blieb, schüttete sie regelmäßig in den Schweinetrog.
Da starb die Bäuerin. Aber sie konnte keine Ruhe im Grabe finden. Regelmäßig, wenn am Abend die Schweine gefüttert wurden, erschien sie klagend und stöhnend. Dann wurden die Schweine und die andern Haustiere in ihren Ställen sehr ungebärdig.
Lange war man auf dem Hofe ratlos, wie diesem Unwesen zu steuern sei, da man die Nachtwandlerin nicht zu erblicken vermochte. Aber man war überzeugt, daß nur ein Geist diese Beunruhigung des Viehs hervorbringe. Dagegen konnte nur ein Mittel empfohlen werden: Der Geist mußte »besprochen« werden. Dazu wollte sich lange Zeit niemand verstehen, bis endlich eine Magd sich bereit erklärte.
Als am nächsten Abend der Geist wieder sein Wesen trieb, rief die Magd herzhaft: »Wer ist da?« Eine Stimme antwortete: »Die Frau vom Hause!« Die Magd erkundigte sich nun, was jene wünsche. Da erwiderte die Abgeschiedene, sie könne keine Ruhe im Grabe finden, weil sie zu ihren Lebzeiten so hart und unbarmherzig gegen die Armen gewesen sei, und das Essen lieber den Schweinen als den Armen gegeben habe. Man möchte doch ihre Schuld durch Güte gegen die Armen wieder gut machen und vor allen Dingen das Essen nicht mehr den Schweinen geben. Dann würde sie Ruhe im Grabe finden.
Die Magd versprach, die Wünsche ihrer früheren Herrin getreulich zu erfüllen. Als diese nun ein Pfand begehrte, reichte sie einen Zipfel ihrer Schürze (nicht die Hand, wie man sie ausdrücklich belehrt hatte) hin, welcher jäh abgerissen wurde.
Die Tiere beruhigten sich von der Zeit an, und von dem Geiste der nachtwandelnden Bäuerin wurde seit der Zeit nichts mehr verspürt.
Die Meerfrau im Altwasser
Zwischen Birten und Xanten liegt ein tiefer See, der wahrscheinlich aus einem alten Rheinarme entstanden ist. In diesem See sind schon viele Leute zugrunde gegangen. Ein Mann, der in Birten die Weihnacht mitgefeiert hatte und aus der Kirche durch das nächtliche Dunkel nach Hause gehen wollte, suchte seinen Weg durch eine geweihte Weihnachtskerze zu beleuchten. Dennoch geriet er auf Abwege, und bald war der Nebel so feucht um ihn, daß das Licht zu erlöschen drohte. Mit Mühe hielt er es brennend und konnte endlich ein anderes Licht durch den Nebel schimmern sehen. Er gelangte nun bald an ein stattliches Haus, öffnete die Tür, um sich nach dem Wege zu erkundigen und trat in eine weite, erleuchtete Halle, an deren Wänden er eine Menge von seltsamen Töpfen stehen sah. Als er sich nun in der Halle umschaute, ob nicht jemand da sei, der ihm den Weg zeigen könne, hörte er sich plötzlich bei Namen rufen. Da er niemand sah, erschrak er anfangs und wollte sich entfernen. Da der Ruf sich jedoch wiederholte, ging er auf den Schall zu und gelangte so an einen der Töpfe. »Wer will hier etwas von mir?« sagte der Bauer. Da entgegnete die Stimme: »Ich bin’s, dein Großvater! Mich hat die Meerfrau in die Tiefe hinabgezogen und hütet mich in ihrem Nelkentopf.« »Ihr seid ja hier in einem stattlichen Hause«, entgegnete der Bauer. »Da irrst du«, sagte die Stimme. »Du bist hier tief im Altwasser. Trügst du nicht die geweihte Kerze, wärst du längst ertrunken. Das, was dir Nebel schien, war Wasser, in dessen Tiefe du geraten bist, und dies ist das Haus der Meerfrau. Du mußt dich sputen, sonst kehrt die Wasserfrau zurück und wird dich fangen.« »Wie soll ich den Weg nach Hause finden?« fragte der Bauer ängstlich. »Nimm den Hausschlüssel, den du in der Tasche trägst und schlage den Deckel auf dem Topfe entzwei. Lege aber die Kerze nicht aus der Hand, sonst bist du verloren. Ist der Deckel in drei Schlägen entzwei, so bekreuzige dich dreimal mit dem Schlüssel und eile hinaus. Ich will dir dann leuchten, du folge mir; tu es aber rasch und schau nicht hinter dich! «
Der Bauer tastete nun in die Tasche, fand den Schlüssel und führte damit drei Schläge gegen den Deckel des Topfes, der unter dem dritten Schlage zerbrach. Dann bekreuzte er sich und suchte so rasch wie möglich durch die Tür zu entkommen. Draußen sah er auch bald ein Licht, das lustig vor ihm her flatterte. Dem folgte er so rasch wie möglich, sorgte aber, daß seine Kerze nicht erlosch. Es ging ziemlich bergan, bis endlich der feuchte Nebel verschwand und die Sterne über ihm funkelten. Er erkannte nun die Gegend und erreichte seine Wohnung.
Als der Morgen anbrach, fand er seine Fußbekleidung voll Schlamm, obschon die Wege allenthalben fest und hart gefroren waren. Da wußte er, daß er tief unten im Altwasser gewandert war.
Gräfin Loretta
Nicht weit von Traben-Trarbach liegt, weit ins Land schauend, auf dem Kamm steilragender Rebenhänge das Dörflein Starkenburg. Nur eine einzige Fahrstraße führt von Enkirch aus auf die luftige Höhe. Ein kleiner Trümmerrest zeigt die Stelle, wo vormals die ritterliche Feste stand, die dem Dörflein den Namen gab.
Zur Zeit des Trierer Kurfürsten Balduin wohnte auf der Starkenburg die tatkräftige und schöne Gräfin Loretta von Sponheim. Sie war früh Witwe geworden, ihr Gemahl war von einer Fahrt ins heilige Land nicht heimgekehrt. Um das Erbgut ihrer Kinder lag sie nicht nur mit gierigen Nachbarn, sondern mehr noch mit dem herrschgewaltigen Kurfürsten in gar erbittertem Streit, bis es der Vermittlung wohlmeinender Freunde und Verwandten endlich gelang, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Doch bald bot sich ihr eine solch günstige Gelegenheit, den großen Gegner in ihre Hände zu bekommen, daß sie sich kein Gewissen daraus machte, den geschlossenen Vertrag zu brechen.
Von ihren Spähern erfuhr die Gräfin, der Kurfürst werde auf einem kleinen Schifflein mit geringer Begleitung moselabwärts nach Koblenz fahren. An trefflich geeigneter Stelle, von einem mit Weidengebüsch dicht bestandenen Vorland aus, ließ sie nahe unter dem Wasserspiegel eine starke Kette spannen, die den Fluß absperrte. Ahnungslos fuhr der Kurfürst in die Falle. Die plötzlich straffgezogene Kette zwang sein leichtes Fahrzeug, zu halten, und von der Übermacht der Mannen Lorettas überwältigt, ward er gefangen und auf die Starkenburg geführt. Dort empfing ihn die Gräfin mit allen seinem Stande zukommenden Ehren, hielt ihn aber in sicherem Gewahrsam. Selbst der Bannstrahl des Papstes vermochte nicht, ihn aus den Händen Lorettas zu befreien.
Lange zogen sich die Verhandlungen zwischen den Gegnern hin; endlich verpflichtete sich Balduin, der Gräfin ein hohes Lösegeld zu zahlen, ihr eine auf Sponheimschen Grund zu Birkenfeld erbaute Burg zu übergeben und gar ein Bündnis mit ihr zu schließen. Nach seiner Entlassung hielt der Kirchenfürst diese Versprechungen aufs Wort; ja, er schloß sogar Freundschaft mit der tapferen und klugen Frau, die so mannhaft für die Rechte ihrer Kinder eingetreten war.
Die Entstehung des Siebengebirges
In uralter Zeit lag oberhalb Königswinter ein großer See, der zur Zeit der Schneeschmelze oft Schaden anrichtete. Die Uferbewohner aus der Eifel und vom Westerwald faßten daher den Plan, ihn abzuleiten. Da dies Werk aber Menschenkraft überstieg, wandten sie sich an die Riesen, denen sie hohen Lohn versprachen. Sieben von ihnen kamen. Sie trugen gewaltige Schaufeln auf den Schultern und machten sich alsbald an die Arbeit. Nach ein paar Tagen hatten sie schon eine tiefe Scharte in das Gebirge gegraben. In die Vertiefung drang das Wasser und vollendete das Werk der Riesen. Der See floß ab. Wo früher seine Fluten gespült hatten, lag nun fruchtbares Land. Die dankbaren Uferbewohner schleppten den Lohn für die Riesen herbei. Diese teilten ihn brüderlich, und jeder von ihnen schob seinen Anteil in seinen Reisesack. Ehe sie Abschied nahmen, klopften sie noch Erdreich und Gestein, die an den Spaten hafteten, ab. Dadurch entstanden sieben Berge, die man noch heute am rechten Rheinufer sehen kann.
Der Wechselbalg von Schalken
In Schalken war einem jungen Bauer die Frau gestorben und hatte ihrem Mann einen mutterlosen Säugling hinterlassen. Da sah nun niemand recht auf das Kleine, wenn auch die Nachbarinnen zuweilen Nachschau hielten. Eines Tages nahmen die Erdmännchen das Kind mit sich und legten eine alte, zahnlose Zwergin an seine Stelle.
Zunächst merkte dies niemand. Das Zwergmütterchen war noch stiller, als das kleine Mädchen gewesen war, und schlief viel; nur wenn man es bekreuzte oder mit Weihwasser besprengte, wimmerte es jedesmal. Als es aber nach geraumer Zeit gar nicht an Gewicht zugenommen hatte, ging der Bauer zu einer vielbefragten Wahrsagerin nach Lindlar und zeigte ihr ein paar Kopfhaare von dem Kinde. Da sagte die Frau sofort: »Das ist ein Wechselbalg, eine Zwergin, die wächst überhaupt nicht, und das rechte Kind ist in der Zwergenhöhle.« Und sie belehrte den Bauern ganz genau, was er tun müsse.
Als man am nächsten Mittag bei Tisch saß, während der Wechselbalg nahebei in der Wiege lag und wieder tat, als ob er schliefe, klagte der Bauer ganz laut, daß das Kind gar nicht wachsen wolle; ein Mittel werde er noch versuchen, nämlich es diesen Abend wieder taufen zu lassen. Dann ordnete er sogleich alles für die Taufe an, schickte das Gesinde hinaus und schloß hinter ihm zu. Er selbst holte sämtliche Töpfe herbei, stellte sie um den Herd herum und legte quer durchgeschlagene Eierschalen dazu. Dann tat er, als ob er auch hinausgehe, versteckte sich aber im Rauchfang.
Als es ganz still und finster geworden war, trippelte aufeinmal etwas durch die Stube zur Stubentür; diese ging auf, und die Kleine wollte bei der Haustür hinaus, um der angedrohten Taufe zu entgehen. Als sie aber die vielen Töpfe und Eierschalen am Herd sah, guckte sie neugierig hinein, zählte sie und rief:
»Ich bin so alt
Wie der Duisburger Wald,
Hab‘ aber mein Lebtag nicht gesehn
So viel‘ Töpfe am Herd eines Bauern stehn.«
Dann lief sie fort.
Der Bauer kroch aus dem Rauchfang heraus, holte seine Leute und auch den Pfarrer herbei, und als diese vors Haus kamen, hörten sie von draußen in der Stube drinnen ein Kind weinen. Als sie aber eilig nachsahen, lag in der Wiege des Bauern sein kleines Mädchen, gesund und frisch und schon ordentlich gewachsen, das häßliche Zwergenkind aber war verschwunden.
Seit diesen aufregenden Tagen ließ der Vater seinem Kind alle Liebe und Sorgfalt angedeihen.
Der Rittersprung
Der junge Günther von der Saffenburg bewarb sich um die Hand der Hildegunde, der Tochter des Grafen von Are. Das Burgfräulein nahm den Antrag des ritterlichen Bewerbers, dem es schon lange in Liebe zugetan war, mit Freuden an, doch der Vater, der mit den Saffenburgern eine alte Rechnung zu begleichen hatte, wies den Freier mit höhnischen Worten ab und verbot ihm, die Burg Are jemals wieder zu betreten.
Günther störte sich nicht an das Verbot des Haßerfüllten. In nächtlicher Stunde erstieg er immer wieder unter Lebensgefahr den Burgberg von Are zu heimlicher Zwiesprache mit der Braut. Bald ward das dem Grafen hinterbracht, und als der treue Liebhaber wieder einmal im Schutze der Dunkelheit den steilen Pfad hinaufklomm, da schreckte ihn plötzlich Waffengeklirr aus seinen sehnsüchtigen Gedanken auf. Im Augenblick sah er sich von einer bewaffneten Schar umringt. Mit geschwungenem Schwerte stürmte der Burgherr rachedürstend auf ihn zu. Der wehrlose Jüngling schien verloren; jeder Widerstand war bei der Übermacht der Feinde nutzlos. Doch lieber wollte er sterben, als in schimpfliche Gefangenschaft geraten. Rasch entschlossen stürzte er sich in kühnem Sprunge in den schauerlichen Abgrund. Wie durch ein Wunder kam er mit dem Leben davon.
Schon am folgenden Tage gab der Graf von Are seine Einwilligung zur Vermählung der Liebenden. Die Stelle aber, von der aus der junge Saffenburger den tollkühnen Sprung gewagt hatte, heißt noch heute »Zum Rittersprung! «
Die Bäckerjungen von Andernach
Einst zogen die Linzer gegen ihre Erbfeinde, die Andernacher, zum Streite. Bei grauendem Morgen kamen sie vor die Tore der feindlichen Stadt. Sie wähnten die Bewohner noch in den Federn; doch sie hatten die Rechnung ohne die fleißigen Bäcker gemacht, die seit dem ersten Hahnenschrei in ihren Backstuben hantierten, und deren jungen die frischen Wecken schon von Haus zu Haus trugen.
Zwei der Burschen, die ihren Rundgang beendet haben, steigen zum Vergnügen auf den Torturm am Rheinufer. Von dort aus sehen sie die vorsichtig heranschleichenden Linzer. Sogleich reißen sie mit aller Kraft am Strang der Sturmglocke. Dann aber werfen sie den Feinden die auf der Mauerbrüstung stehenden Bienenkörbe auf die Köpfe. Die gereizten Immen stechen wütend drauf los, und alsbald wenden sich die Linzer vor solch grimmigem Feinde zur Flucht. Gepeinigt von rasendem Schmerz, mit dikken Mäulern und verbeulten Gesichtern sitzen sie nach kurzer Zeit reihenweise am Rheinufer, um die Qual durch Kühlung zu lindern. Von der Andernacher Stadtmauer her aber tönt lautes Hohngelächter.
Das Lob der tüchtigen Bäckerjungen klingt noch heute fort; ihr Andenken ist durch ein Steinbild am Rheintor für immer gesichert.
Die Zwerge von Kollenberg
Auf dem Kirchgute Kollenberg bei Radevormwald wohnte einst ein Pächter, welcher niemals seine Kühe selbst hütete, sondern die Sorge für dieselben den Zwergen überließ, welche aufs beste für das Vieh sorgten. Das Essen setzte man den kleinen Leuten in Näpfchen auf einen bestimmten Zaunpfahl.
War der Herbst herbeigekommen, so beteiligte sich einer der Zwerge auch an der Ernte. Aber er trug niemals mehr als einen Halm und schleppte denselben anscheinend nur mühsam fort, schwer seufzend bei dieser Arbeit. Die Pächtersfrau wurde einst ärgerlich darüber, daß der kleine Mann bei einer so scheinbar geringfügigen Arbeit so schwer seufzte und gab ihrem Unmut unverhohlenen Ausdruck. Seit der Zeit verschwanden die Zwerge von Kollenberg. Der Wächter aber verarmte von da ab immer mehr.
Jan Frithoff
Eine Zeit lang war es in der Gegend von Krußstammhecken, einer alten Grenzbezeichnung in Bruckhausen bei Dinslaken, nicht geheuer. Wenn man zur Mitternachtsstunde an dieser Stelle vorüberging, hörte man ein deutliches Stöhnen und Ächzen. Niemand konnte begreifen, was das zu bedeuten hatte, und ängstlich wurde die Stelle von jedermann gemieden. Es war aber niemand anders als der böse, alte Frithoff, der seinem Nachbar alljährlich von seinem Acker ein paar Furchen abgepflügt hatte. Als er plötzlich starb – er fiel »inne Höll« – konnte er im Grabe keine Ruhe finden. jede Nacht mußte er den Weg vom Hünxer Kirchhof durch die »Stollbeck« zum Bruckhauser Feld machen. Hier plagte er sich mit einem schweren, eisernen Pflug, den er immer hin und her über den Acker schleifen mußte. Punkt ein Uhr war er plötzlich verschwunden. Das wiederholte sich jede Nacht, bis er endlich erlöst wurde. Eines Nachts erschien eine weißgekleidete Jungfrau, die mit silbernem Pflug die gestohlenen Furchen wieder zurückpflügte. Seitdem fand er Ruhe, und der Spuk war verschwunden.
Der Feuerkopf von Wülfrath
Eine Gegend zwischen Mettmann und Wülfrath war längere Zeit sehr verrufen wegen eines Feuerkopfes, der sich dort oft in der Nacht zeigte. Viele Leute haben ihn gesehen und haben in eiliger Flucht ihr Heil gesucht.
Das behexte Kind
Eine Frau in Hilden hatte ein kleines Kind, welches sich durch seine Schönheit auszeichnete. Eines Tages trug sie dasselbe, um in der Nachbarschaft einen Besuch abzustatten, über Feld, als ihr eine Frau begegnete, welche in der ganzen Gegend als Hexe verschrieen war. Gerne wäre die glückliche Mutter mit ihrem Kinde schnell davongeeilt; doch jene vertrat ihr den Weg, liebkoste das Kind und sprach: »O, welch schönes Kind!« Von diesem Augenblicke an war das Kind behext. Außer manchen anderen Untugenden, die es früher nicht besessen hatte, fing es nun an, laut in der Wiege zu krähen, wie ein Hahn. In ihrer Herzensangst eilten die Eltern zum Pfarrer und flehten ihn an, zu helfen. Doch dieser suchte ihnen den Glauben, das Kind sei behext, auszureden. Die Leute gingen wieder heim und trennten das Kissen auf, auf welchem das Kind zu liegen pflegte, und fanden mehrere Federkränze in demselben. In der Mitte der Kränze befand sich ein fast ausgebildeter Hahn. Wäre er zur völligen Entwicklung gelangt, so hätte das Kind in demselben Zeitpunkte sterben müssen. Nun trugen die Eltern die Kränze zum Geistlichen, der sie »überredete«.
Das Übel war nun völlig gehoben. Das trug sich auf der Sandstraße in Hilden zu.
Das Zwergenloch bei Elberfeld
In der Kluse bei Elberfeld führte vor dem Bau der Bergisch-Märkischen Eisenbahn von der Wupper aus das Zwergenloch in den steilen Abhang des Döppersberges hinein. Dort war der Eingang zum Reich der Schwarzelfen oder Zwerge. Von dort aus besuchten die kleinen, mißgestalteten, aber gutmütigen Wesen bis in den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts hinein die Kluse und lustwandelten im Schatten der Buchen und Eichen, unterhielten wohl auch, trotz ihres scheuen Charakters, mit den Menschen, wenn man ihnen redlich begegnete, einen freundlichen Verkehr. Denn diese Erdmännchen, die in den Spalten und Höhlen der Berge Schätze sammeln, prächtige Waffen schmieden und herrliche Paläste bauen, verstanden sich ganz gut mit den Menschen, auch als im Wuppertale an die Stelle des Garnbleichens andere Beschäftigungen getreten waren. Aber als die Eisenbahn gebaut wurde, schlug auch die Stunde der kleinen Leute.
Bockum
In der Zeit der Kämpfe um das heilige Grab in Jerusalem hatte auch der Ritter Ulrich Bock das Kreuz genommen und sich beeilt, einer der ersten im frommen Zuge zu sein. Aber er geriet in Feindes Hand und mußte Jahre lang im unterirdischen Verließ, hundert Meilen von der Heimat entfernt, in Elend und Not schmachten. Einem fast wunderbaren Zufall dankte er es, daß er seine Freiheit wieder erhielt. Geschwächt an Körper und Geist und ergraut vor der Zeit trat er seine Heimkehr an, und unter vielen Mühseligkeiten landete er endlich im Pilgergewande, allen fremd geworden, in seiner Heimat. Aber auch ihm war alles fremd. Der stattliche Buchenwald, in dem er dem edlen Waidwerk obgelegen, war gefallen, von seiner Burg war jede Spur verwischt. Ein prächtiger Neubau mit doppeltem Graben erhob sich an der Stelle. Nebenan stand aus Tuffstein erbaut ein Kirchlein, der St. Gertraudis geweiht. Wo er anklopfte, sah er fremde Gesichter. Sprach er einen Menschen an, so wich der scheu zurück, und selbst auf der Burg kannte man ihn nicht. Als er sich zum Kirchlein wandte, um sich im Gebete Mut und Stärkung zu suchen, begegnete ihm auf der Schwelle ein altes Mütterchen, das ihn stieren Blickes ansah und wie in einem Krampf mit wilder Stimme schrie: »Bock um!« Da brach der arme Ritter mit lautem Aufschrei zusammen und lag regungslos am Boden. Die Alte trippelte fort und brachte das ganze Kirchspiel in Verwirrung. Sie war die Einzige, welche den Ritter wiedererkannt hatte, aber die unerwartete Begegnung hatte ihren schwachen Geist zerrüttet. »Bock um! Bock um! « so sprach sie immerfort vor sich hin.
Als man den Ritter fand, lag er im Todeskampf. »Bock um« war auch sein letztes Wort gewesen. Der Herr von Neuenhofen, wie das neue Schloß sich nannte, war herbeigeeilt und schaute in das blasse Angesicht des entseelten Pilgers. Er sank an seine Seite, strich die weißen Locken zurück und drückte einen Kuß auf die erstarrten Lippen.
Ritter Bock war erkannt, der Ort, bisher nur St. Gertrud genannt, erhielt zur Erinnerung an den merkwürdigen Vorgang im Munde des Volkes die Bezeichnung St. Gertrudis-Bockum und bald kurzweg nur Bockum. Das alte Weib wurde nicht wieder gesehen. Auf dem Grabstein des Ritters steht ein rückwärts gewandter Bock. An die Stelle seines Geschlechts trat das der Neuhofer, die aber auch schon seit langen Zeiten ausgestorben sind.
Der Fluch von Altenberg
Beim Kloster Altenberg befanden sich früher sieben Teiche, in welchen die Mönche ihre Fische mästeten.
Einst hatte ein Mönch des Klosters eine Jungfrau verführt. Als das im Kloster ruchbar wurde, beschloß man den Tod des Mädchens, damit jeder Makel vom Kloster ferngehalten würde. Man führte es auf einen Damm von einem der Fischteiche, um es hinabzustoßen in die kalten Fluten. Aber ehe dies geschah, erhob die Jungfrau drohend ihre Hand gegen das Kloster und sprach einen schauerlichen Fluch über dasselbe aus, dabei prophezeiend, daß es durch Flammen zu Grunde gehen werde.
Der Fluch ging in Erfüllung. Niemals ging eine Leuchte der Wissenschaft aus jenem Kloster hervor, und Flammen verzehrten teilweise das ehrwürdige Kloster mit der Kirche.
Die Nikolauskerze
Zwischen Sennheim und Mesenich an der Mosel stand früher ein schroffer Schieferfelsen. Die Schiffer kannten ihn alle und nannten ihn schlechtweg die »Lei«. Es war eine gefährliche Stelle für sie, und in einer Nische des Felsens stand ein Bild des heiligen Nikolaus, ihres Schutzpatrons, und keiner vergaß, ihn um Hilfe anzurufen. Einmal bei Hochwasser fuhr ein Schiffer mit kostbarer Ladung zu Tal. Da trieb ihn die reißende Strömung dem Riff zu, und es half auch nichts, daß er mit dem Schorbaum das Schiff vom Felsen abzuhalten suchte. Da warf er sich in seiner Angst auf die Knie und rief: »Heiliger Nikolaus, hilf mir! Ich opfere dir auch eine Kerze so dick wie der Schorbaum.« Kaum hatte er das Gelöbnis getan, da dreht sich das Schiff dicht vor der Lei herum und treibt ganz ruhig im schönsten Fahrwasser. Da wurde der Schiffer gleich wieder übermütig, und wie er an dem Kapellchen vorbeifuhr, rief er: »Niklösche, no kriegst de nit esu lang! «, und dabei legte er den einen Zeigefinger über das erste Glied des andern. Aber er hatte zu früh triumphiert. Gleich unterhalb Mesenich, wo er so oft gefahrlos vorübergefahren war, wurde das Schiff auf einmal so gegen den Riverberg geschleudert, daß es in wenigen Augenblicken unterging. Nur der Schiffsknecht konnte mit Mühe und Not an Land schwimmen.
Die Zöpfe von Ruhrort
Es war zu allen Zeiten und ist auch noch heute so, daß die Schützenfeste am Niederrhein mit recht lauter, jubelnder Freude, aber auch manchmal mit ein wenig Zank und Streit gefeiert werden. Und so war es einmal in Ruhrort, dem damals kleinen Städtchen an der Ruhr. Das Geschehen einer Nacht in längst vergangener Zeit ist bis heute noch nicht ganz in der Erinnerung geschwunden, wie folgende kleine Geschichte zeigen kann.
Die Ruhrorter Junggesellen hatten ihre Duisburger Freunde eingeladen, und es ging recht lustig her mit Wort und Spiel. Aber wie es denn so ist: wenn der Wein die Gemüter erhitzt, werden die Münder übermütig. Und schließlich war es hier wie überall, daß der eine dieses und jenes vor seinen Nachbarn voraushaben wollte; aus Scherz wurde Ernst, und zuletzt entschieden die Fäuste über Recht und Unrecht – und weil die Duisburger stärker waren als ihre Gastgeber, trieben sie sie recht ins Gedränge, daß sie in ihre Häuser flüchten mußten. Da sie auch ein Zeichen ihres Sieges wünschten, schnitten sie ihnen die langen Zöpfe ab, die sie dann an der Stadtpumpe angenagelt haben.
Noch heute soll es so sein, daß die Ruhrorter Vereine bei ihren Festen mit Musik und Fahnen dreimal um die alte Pumpe ziehen.
Der Teufelssand
Der Satan wollte sich rächen für den Streich, der ihm gespielt worden war, flog darum nach dem Gestade der See und lud eine große Düne gleich einem Mehlsack auf den Rücken; mit der Last machte er sich alsbald wieder nach Aachen, um die Stadt gänzlich zu verschütten und unter dem Sand zu begraben. So war er schon über die Maas gekommen und stand endlich nicht mehr weit von der Stadt im Soerstal; da trieb ihm ein plötzlicher Wind so viel Sand in die Augen, daß er die Gegend nicht recht erkennen konnte. Eben kam ein altes Weib daher, das hatte Schlubben (Schlappschuhe) an. Das fragte er, wo er denn eigentlich wäre und wie weit er noch bis Aachen hätte. Die Alte schaute ihm einmal ins Gesicht und erkannte ihn gleich wieder, denn sie hatte ihn früher oft beim Bau des Münsters gesehen; auch erriet sie schnell seine Absicht, als sie den Sandberg auf seinen Schultern sah, und sie sprach schlau: »Ach, da seid ihr ja ganz vom Wege abgekommen, lieber Herr. Schaut nur auf mein Fußzeug; ich habe die Schuhe in Aachen neu angezogen, und jetzt sind die Sohlen mir von der lange Reise bis hierher schon ganz zerrissen.«
Da fluchte der Teufel einen greulichen Fluch und schrie zornig: »Ich bin der Schlepperei müde; für jetzt mag mir das Betrügernest entgehen, ich werde mich doch noch an ihm zu rächen wissen.« Und mit den Worten warf er den Sandberg nieder auf die Erde und fuhr ab, wobei er einen übernatürlichen Gestank hinterließ.
Den Sandhaufen kann man noch sehen; er ist durch den gewaltigen Stoß, den er bekam, als der Teufel ihn hinwarf, in der Mitte gespalten und bildet so eigentlich zwei Berge, von denen einer der Lousberg heißt, wie das alte Weib dem Teufel selbst zu loos (lose, schlau) war.
Gott läßt seiner nicht spotten
Der Wandersmann, der das Geldernsche Land durchwanderte und spät in der Nacht auf einem Bauernhofe ankam und Obdach erhielt, fühlte plötzlich in der Nacht, daß sein Ende nahe war; und den Knecht, der auf sein Stöhnen hin herzugekommen war, hat er in herzlichem Verlangen, einen Priester zu holen, damit er nicht ohne letzte Zehrung den Weg in die Ewigkeit zu gehen brauche.
Der Knecht, den die durchstürmte kalte Nacht nicht gerade einlud, den gefahrvollen Weg durch das Dunkel allein zu machen, weckte den Bauer selbst, ihn um seinen Rat zu fragen, ihn auch wohl zu bewegen, mit ihm zu gehen – und der, wohl wissend, daß man den Armen nicht ohne Stärkung dürfe sterben lassen, glaubte in seiner dummen Verschlagenheit, den Ewigen selbst in seiner heiligsten Feier umgehen und seiner spotten zu können. Ein wenig als Priester verkleidet, in seiner wahren Eigenschaft den schwachen, verlöschenden Augen des Sterbenden kaum erkennbar, teilte er das heilige Mahl selber aus, so wenigstens, daß der Wandersmann alsbald schon ohne Erkenntnis der Täuschung, mit Welt und Leben ausgesöhnt, hinüberschlief.
Als es Tag wurde, begrub man ihn und sprach zu keinem davon. Und es war, als sei alles gut – die Saat wuchs, Lerchen jubelten, und als die Vögel ringsumher in den Pappeln, Erlen und den Büschen zwischen den Weiden verstummten, reifte das Korn. Doch in diesen Zeiten, als schon die Ernte in den Scheunen geborgen war, geschah es, daß eines Tages die Magd mit verstörtem Gesicht ins Haus gestürzt kam: »In der Scheune steht ein schwarzes Gespenst, furchtbaren Gesichts, mit funkelnden Augen und langer roter schnalzender Zunge … « Und die es durch den Türspalt sahen, erschraken nicht minder, und Tag um Tag, Nacht um Nacht (da keiner schlief) blieb das Gespenst da, wo es war. Und schließlich, als der Bauer den Priester holte, der mit einem Kruzifix durch die weite Tür dem Untier entgegenging, ward der Bann gelöst: Das Tier sprang auf, sprang an allen vorbei… und eh sie sichs versahen, lag der Bauer im Blute da: Das Untier war ihm an die Kehle gesprungen und kaum, daß er hatte schreien können, war er schon tot.
Der Ritt auf dem Ungeheuer im Walde
In Kosthausen bei Haan soll ein alter, längst verstorbener Bauer umgehen. Den Anlaß dazu bot Folgendes:
Eines Tages ließ jener Bauer den Vieharzt auf seinen Hof kommen, da eine Kuh krank geworden war. Der Arzt schrieb ein Rezept, und der Bauer machte sich auf den Weg nach Erkrath, um in der dortigen Apotheke die Medizin zu holen. Da der Arzt denselben Weg nahm, gingen beide zusammen zum Kosthausener Wald. Durch denselben zieht sich noch heute ein Wassergraben. Als die beiden an diesem Graben angelangt waren, mahnte der Bauer den Arzt zur größten Vorsicht. Dieser war eben im Begriff, über den Graben zu schreiten, als sich plötzlich vor ihm ein Ungeheuer erhob. In demselben Augenblicke war er aber auch den Blicken des Bauern entschwunden. Voller Entsetzen rennt der Bauer nun durch den Wald und vernimmt endlich von fern her die Stimme des Arztes. Er eilt hinzu und findet ihn nach kurzer Zeit auf der Erde liegend. Endlich rafft er sich wieder auf und erzählt seinem Gefährten, daß er von einem wilden Tier weggetragen worden sei. Alle Versuche, von demselben loszukommen, seien vergeblich gewesen. Endlich hätte ihn das Ungeheuer zu Boden geschleudert.
Beide setzten nun ihren Weg unbehelligt fort. Der Bauer aber, welcher bald darauf starb, geistert seit seinem Tode auf Kosthausen.
Die Jungfrau am Drachenfels
Unter den Bergen des Siebengebirges hebt sich der Drachenfels mit seinen Ruinen am kühnsten am Rhein empor. In uralten Zeiten, so erzählt die Sage, lag hier in einer Höhle ein Drache, dem die heidnischen Bewohner der Gegend Verehrung erwiesen und Menschenopfer darbrachten. Gewöhnlich wurden dazu Leute ausgewählt, die im Krieg gefangen worden waren. Unter ihnen befand sich einst eine Jungfrau, die sich bereits zum Christentum bekehrt hatte. Sie war von hoher Schönheit, und zwei Anführer stritten sich um ihren Besitz. Da entschieden die Ältesten, daß sie dem Drachen geopfert werde, damit keine Zwietracht unter den Häuptern des Volkes entstehe.
In weißem Gewand, einen Blumenkranz im Haar, wurde die Jungfrau den Berg hinaufgeführt und in der Nähe der Felsenhöhle, worin der Lindwurm lag, an einen Baum gebunden. Viel Volk hatte sich in einiger Entfernung versammelt, um dem Schauspiel zuzusehen; aber es waren wenige, die das Los der Armen nicht vom Herzen bedauerten. Die Jungfrau stand ruhig da und schaute mit frommer Ergebung zum Himmel auf.
Eben stieg die Sonne hinter den Bergen hervor und warf ihre ersten Strahlen an den Eingang der Höhle. Bald kroch das geflügelte Untier heraus und eilte nach der Stätte, wo es seinen Raub zu finden gewohnt war. Die Jungfrau erschrak nicht, sie zog vielmehr ein Kreuz mit dem Bilde des Erlösers aus ihrem Gewande hervor und hielt es dem Drachen entgegen. Dieser bebte zurück und stürzte mit fürchterlichem Gezische und Dröhnen in den nahen Abgrund. Man hat ihn niemals mehr gesehen.
Da eilte das Volk, aufs tiefste ergriffen von dem Wunder, zur Jungfrau hin, löste ihre Bande und sah mit Erstaunen das kleine Kreuz an. Die Jungfrau aber erklärte ihnen die Bedeutung des heiligen Zeichens, und alle fielen zur Erde und baten sie, zu den Ihrigen zurückzukehren und ihnen einen Priester zu schicken, der sie unterweisen und taufen möge.
So kam das Christentum in die Gegend des Siebengebirges, und bei der Drachenhöhle wurde eine Kapelle erbaut.
Der blinde Schütz auf Sooneck
In alten Zeiten hauste auf der stolzen Burg Sooneck ein gewalttätiger Raubritter. Er war der Schrecken der Reisenden, die duch sein Gebiet ziehen mußten, und lag mit allen Nachbarn, die sich an seinen Raubzügen nicht beteiligten, in Fehde. Zu seinen Freunden zählte er nur Gesellen seines eigenen Schlages.
Eines Tages überfiel er mit seinen Kumpanen einen Zug friedlicher Kaufleute. Den billig errungenen Sieg feierte er mit einem wüsten Trinkgelage. Als die Zecher vom reichlich genossenen Wein erhitzte Köpfe hatten, gerieten sie in Streit darüber, wer von ihnen Bogen und Pfeil am besten zu handhaben verstehe. Keiner wollte zurückstehen, jeder wollte Meister sein.
Da rief der Burgherr in den Streit und Lärm hinein: »Nicht einer von uns allen kann es als Schütze mit dem Fürstenecker aufnehmen!« Die Spießgesellen schauten einander verwundert an, war doch der Ritter von Burg Fürsteneck seit einiger Zeit auf unerklärliche Weise verschwunden. Mit seiner vom Trunke heiseren Stimme rief da der Soonecker: »Ich weiß, wo der fromme Schleicher ist! In meinem Burgverlies liegt er gefangen und geblendet. Doch heute soll er vor euch einen Meisterschuß tun,«
Nach wenigen Augenblicken steht der Gefangene im Saal, erloschenen Auges und mit vergrämten Zügen, aber doch hoch erhobenen Hauptes. »Heute sollst du deinen Meisterschuß tun«, höhnt der Soonecker. »Wenn. du das Ziel triffst, bist du frei!« »Ich will es wagen«, sagt der Blinde und umspannt prüfend den dargereichten Bogen. Da wirft der Räuber einen Becher mitten unter die Zechgenossen und schreit: »Hier der Becher ist das Ziel. Schieß los!«
Schnell spannt der Blinde den Bogen, schon schwirrt die Sehne, und mit dem Pfeil im Herzen sinkt der Ritter von Sooneck tot zu Boden. Ernüchtert verlassen die Gäste den Saal. Nur ein Mitleidiger bleibt zurück und führt den Blinden auf seine Burg, heim zu Weib und Kind.
Der Weisenstein
In Viersen auf dem Markte lag in früherer Zeit ein Stein, den man den Weisenstein nannte. Er sollte weiser sein als die Menschen, die oftmals, wenn ein Unrecht geschehen war, trotz vieler Zeugen und der klügsten Richter nicht den Übeltäter fanden und in leblosen Dingen Gottes Kraft vermuteten und durch sie ein sichtbares Zeichen als sein Urteil suchten. Bei diesem Stein aber sollte es sein, daß der Angeklagte mit der Hand auf ihn schlagen sollte. Blutete ihm davon die Nase, dann war er der Übeltäter. jedermann aber weiß, daß es Menschen gibt, denen leicht die Nase blutet, sogar ohne daß sie auf einen Stein schlagen, und es wird wohl keiner sein, dem nicht schon einmal die Nase blutete, ohne daß er irgend eine Ursache dazu wußte.
So geschah es denn einmal (und wahrscheinlich oft), daß nicht der Übeltäter sondern derjenige verurteilt wurde, der die dünnsten Nasenadern hatte. Und als ein ehrsamer Bürger so zum Tode geführt werden sollte, ergriff es ihn so tief, ob dieses einfältigen Zeichens willen sterben zu sollen, daß er gar nicht anders denken konnte, als daß Gott ein anderes für ihn aufgespart habe. Und als er mit dem Henker an einem Lindenbaum vorbeikam, der voll der schönsten grünen Blätter hing, da trieb es ihn aus einer wunderbaren Kraft, herauszuschreien: »So gewiß der Baum im Augenblick alle Blätter verliert, so gewiß bin ich unschuldig …« Und indem er dieses sagte, ehe noch die Menge es ganz verstanden hatte, begann ein Rieseln und ein Wehen, fielen die grünen Blätter mitten in der Sommerzeit, als noch die Bienen in den Blüten summten, hernieder, daß der Platz grün wurde, wie festlich bestreut, und daß jeder, in Erschauerung vor dem Wunder, auch mit in dem Rieseln stehen wollte, das ihnen allen wie eine Gnade war, wie ein niederschwebender Segen. Und so erwiesen sie dem Angeklagten alle Ehre, und da sie dem Stein nicht mehr glaubten, warfen sie ihn über die Mauer in den Wassergraben, wo er schon bald von andern seiner Art nicht mehr zu unterscheiden war.
Das Haus der Frau Richmut zu Köln
Frau Richmut von Adocht, die Gemahlin eines reichen Bürgermeisters zu Köln, starb und wurde feierlich begraben. Der Totengräber hatte bemerkt, daß die Verstorbene einen wertvollen Ring am Finger trug. Die Goldgier trieb ihn nachts zu dem Grabe, das er heimlich öffnete, um den Ring abzuziehen.
Kaum aber hatte er den Sargdeckel aufgemacht, so sah er, daß der Leichnam die Hand zusammendrückte und aus dem Sarg steigen wollte. Erschrocken floh er davon. Die Frau wand sich aus den Grabtüchern, stieg aus dem Grab heraus und ging geradewegs auf ihr Haus zu, wo sie dem Hausknecht rief, er möge ihr schnell die Tür öffnen; dann erzählte sie ihm mit wenigen Worten, was ihr widerfahren sei.
Der Hausknecht eilte zu seinem Herrn, und atemlos stammelte er: »Unsere Frau steht unten vor der Tür und will eingelassen werden.«
»Ach«, erwiderte der Herr, »das ist unmöglich; eher würden meine Schimmel oben auf dem Heuboden stehen.«
Kaum hatte er die Bemerkung fallen gelassen, so trappelte es auf der Treppe und dem Boden, und siehe, die sechs Schimmel des Bürgermeisters standen alle oben auf dem Boden beisammen.
Die Frau aber hatte nicht augehört zu klopfen; nun glaubte es der Bürgermeister, daß sie wirklich da sei, und ließ sie mit Freuden ins Haus. Wie waren alle glücklich, daß die Frau wieder dem Leben zurückgegeben war.
Am nächsten Tag schauten die Pferde noch aus dem Bodenloch, und man mußte ein großes Gerüst aufstellen, um sie unversehrt wieder herabzubringen .
Zum Gedenken an diesen Vorfall hat man Pferde ausgestopft, die an diesem Haus zum Boden herausschauen. Auch ist Frau Richmut in der Apostelkirche zu Köln dargestellt, wo man überdies einen langen leinenen Vorhang zeigt, den sie nachher mit eigener Hand gesponnen und der Kirche verehrt hat. Denn sie lebte noch sieben Jahre nach den schrecklichen Tagen ihrer Beerdigung.
Der Heribertsborn
Zwischen der Stadt Solingen und den Dörfern Witzhelden und Leichlingen erhebt sich ein bedeutender waldbedeckter Höhenzug, das Grünscheidt; auf diesem entspringt, von allen menschlichen Wohnungen entfernt, der Heribertsborn. An diesem Borne will man oft eine weiße Frau, oft deren drei erblickt haben. Einige Augenzeugen bemerkten sie, in blendend weiße Gewande gehüllt, unter hohen Bäumen sitzen; andere erzählen, sie pflegten in dem Quell zu baden. Alle Wanderer, welche am Tage, besonders die, welche zur Abendzeit an dieser Stelle vorbei müssen, tun dieses nicht ohne Grausen, obschon man nicht gehört hat, daß die Erscheinungen je einem ein Leides getan. Wenn Leichen an dieser Stelle vorbei getragen werden, was wohl zu geschehen pflegt, da die Bewohner der nahen Weiler ihre Toten nach den Friedhöfen von Leichlingen, Witzhelden oder Solingen bringen, setzen sie hier die Bahre nieder, sprechen im Stillen ein Gebet und verfolgen dann erst ihren Weg. Es wird erzählt, daß noch während der letzten Jahre ein Bewohner des Rheintales, welcher nach Solingen wollte und sich den näheren Weg durch den Gebirgswald beschreiben ließ, in demselben irre geworden, die Kreuz und Quer, bergan und bergab gezogen, bis zum Sinken der Nacht ohne Ausweg geblieben, endlich in seiner Trostlosigkeit an jene Bäume gelangt sei. Dort habe er drei hohe Frauen in schimmernd weißen Gewanden nebeneinander sitzen sehen. Obschon ihm das Herz hier tief im Walde in der Dämmerung dieser Erscheinung gegenüber erbebte, und obschon er sich nicht getraute, näher zu treten, fragte der Verirrte bescheiden nach dem Wege, worauf eine der Frauen sich aufrichtete und hochragend mit der Hand nach der Gegend winkte, wo sein Weg lag, welchem der Wanderer sich auch gleich mit beklommenem Herzen und wankenden Knien zuwandte. Er gelangte bald zu einem Weiler, hörte dessen Bewohner, die er um den ferneren Weg anging, manches Verdächtigte über die Frauen am Borne murmeln, fand aber keine Ursache, sich über die Weißen zu beklagen, indem sie ihm den kürzesten Weg zum Ziele angedeutet hatten.
Die Hand aus dem Grabe
Es war eine Tochter, die ihre Mutter geschlagen hatte. Als sie gestorben war, wuchs ihre Hand aus dem Grabe, und wo sonst Gras und Blumen stehen, war es grau und kahl. Und trotz Pflanzen und Begießen: alles verdorrte ringsumher. Das einzige, was erschauernd und furchtbar aufwuchs aus der Nacht der Erde war die weiße Totenhand.
Alle Tage war die Mutter mit Beten und Weinen zum Friedhof gegangen, bis sie schließlich die Schaufel nahm und ihr Kind tiefer in die Erde grub. Und es war so an diesem wie am nächsten und übernächsten Tage: So tief sie das Grab auch schaufelte, immer war der Arm so hoch gewachsen, daß immer wieder die Hand aus dem Grabe aufrecht stand, daß jeden, der vorüberging, ein Grauen ankam und die Mutter immer einsamer sich verschloß vor aller Menschen Blick. Einer Mutter Liebe ist jenseits von Gut und Böse, sie duldet alles und erträget alles; und also war das Grab zuletzt ihr einziger Ort, an dem sie mit der toten Tochter und ihrem eigenen schweren Leib allein war, von den Menschen fern in dieser leeren, öden Friedhofseinsamkeit.
Es begab sich eines Tages, daß der Pfarrer des Weges ging und sie ihn anrief, daß er möge beten und die Gemeinde bitten, mit zu beten um der gestraften Tochter Heil. Und als ihr die Antwort ward, es wüchsen auf dem Friedhof Birkenreiser für ein ungezogenes Kind genug, sie solle es noch im Tode strafen, dann würde jener Fluch entkräftet und die Hand im Grab verbleiben, da regte es sich in der Erde tief, das Grab zerbarst und der Tochter dumpfe Grabesstimme sprach: » So strafe mich, o Mutter, damit Du Ruhe findest. Dort steht der Birkenbaum, des Wurzeln bis in meine Tiefe kommen, schlag mich mit seinen Reisern! O, ich möchte ein Leben lang mich von dir strafen lassen, die ich dir den Frieden und die Freude dieses Lebens ganz zerstörte.« Doch indem sie sprach, zitterte es durch den Leib der Mutter: »Sie lebt, sie lebt, o, das ist ihre Stimme!« … und es hielt sie nichts: mit einem Freudenschrei warf sie sich zu der Tochter in die dunkle Gruft, umschloß sie fest mir ihren Armen und ließ die Schollen über sich hinrieseln, daß sie bald schon beide, ganz bedeckt mit Erde, begraben waren: Im Tod vereint.
Der Pfarrer, der es so erzählte, kam mit verstörtem Blick nach Hause. Man fand ihn am andern Morgen auf jenem Grab erstarrt und tot. Doch als die Gemeinde nach drei Tagen mit seiner Leiche im großen, feierlichen Zug zum Friedhof kam, da sahen sie alle auf jenem Mutter-Tochtergrab ein Grünen und ein Blühen mit Nelken und Reseden und hundert Sommerblumen wie nirgendwo. Und jener Birkenbaum, der seine Zweige senkte, und dessen Wurzeln bis in jene Tiefe reichten, da die beiden schliefen, war wunderbar verwandelt, daß aus seinen Zweigen rote Rosen blühten.
Der Todeskampf in der Luft
In dem Augenblicke, wo jemand verscheidet, findet ein Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Gott und dem Teufel, zwischen dem Licht und der Finsternis statt. Dieser Glauben herrscht namentlich noch im Dönberg und hat sich vielfach zu Sagen verdichtet.
Einst lag ein Greis zu Kattenbruch im Dönberg auf seinem Sterbelager. Als er das Ende nahen fühlte, sandte er seinen erwachsenen Sohn eiligst zu einem reformierten Geistlichen nach Elberfeld. Der Geistliche war sofort bereit, dem Sterbenden die Tröstungen der christlichen Kirche zu gewähren, und begab sich mit dem Burschen auf den Weg. Als sie nahe zum Hause gekommen waren, blieb der junge Mann plötzlich stehen und starrte einige Zeit sprachlos in die Luft. Auf die Frage des Pfarrers, was er dort sehe, erwiderte er, daß er dort einen Kampf, ein gewaltiges Ringen zwischen unbeschreibbaren Wesen gesehen habe. Der Pfarrer teilte nun dem jungen Manne mit, daß jedesmal beim Sterben des Menschen ein Kampf stattfinde. Als sie einige Minuten später ins Haus traten, hatte der Alte ausgekämpft. Sein Tod war in demselben Augenblicke eingetreten, als sein Sohn den Kampf in der Luft beobachtete.
Die Zedern von Aspel
Unweit der Stelle, wo am Rhein die alte Stadt Rees mit ihren breiten Mauern, Türmen und Bäumen liegt, steht auch seit vielen hundert Jahren schon das Schloß Aspel. Turm und Fenster spiegeln sich im tiefen Wasser, und hohe Pappeln, Weiden, Kiefern und auch Eichen wachsen in seiner Nähe, und niemand wundert sich dessen, weil eben der Niederrhein aller dieser Bäume Heimat ist. Bei Aspel aber stehen in einer Allee, die nach Rees zu führt, einige Stämme, die in dieser Landschaft etwas ganz besonderes sind: Zedern aus dem Morgenland; und es geht eine schöne Sage, die erzählt, wie sie einst vom Süden her in diese nordische Landschaft kamen.
In der Zeit der Kreuzzüge, als sich die deutschen Ritter zusammenscharten, um das heilige Grab vor der Macht der ungläubigen Türken zu schützen, sollen sie dorthin gebracht worden sein. Der Aspeler Schloßherr, der auch manches Jahr der Heimat fern gewesen, war zurückgekehrt. Aber in dem Fest der Freude und des Wiedersehens war eine große Trauer um einen Knecht, der ihm treu gedient, der ihm und allen, die ihn kannten, der Gräfin auch, lieb und teuer war, und über den er dennoch nun schon in den ersten Tagen seiner Rückkehr ein strenges Strafgericht verhängen mußte. Eines Verbrechens war er angeklagt, einen Priester sollte er ermordet haben, drüben im heiligen Land. Er habe ihn ins Schilf geworfen und den Toten dann, um den Verdacht von sich abzulenken, auf seinem Rücken selbst zu seinem Herrn ins Lager getragen.
Das war nun alles schon eine lange Zeit vorbei. Man hatte ihn, der immer seine Unschuld beteuerte, gefangen mitgeführt, um ihn erst in der Heimat zu verurteilen. Es war dem Grafen selber schwer, an seine Schuld zu glauben. Aber durch das Zeugnis eines anderen Knechts, der die böse Tat gesehen haben wollte und einen Eid gegen ihn geschworen hatte, war kein Zweifel mehr… und nun, nach jenen ersten Tagen der Heimkehr, sollte ohne langes Gericht und Urteil die Todesstrafe an dem Knecht, der vermeintlich doch nun auch des Herrn besonderes Vertrauen betrogen hatte, vollzogen werden.
Jedoch die Gräfin, die auch den Knappen liebte, bat in letzter Stunde noch für ihn: »Laßt wenigstens den Richter sprechen! Laßt uns Klage und Gegenklage, Verteidigung und Richterspruch anhören… Denn falsches Urteil ist eine Sünde wider Gott!« Und so geschahs denn auch: Der ihn beschuldigt hatte wiederholte seine Klage gegen ihn, und er selbst beteuerte wie schon immer seine Unschuld. Er sei von eines Türken Hand verwundet worden, und indem er sich die Wunde vom Blut reinwaschen wollte, habe er die Leiche im Schilf des Flusses verborgen aufgefunden und zum Lager gebracht. Auf dem Wege aber sei ihm eben dieser Knecht, der ihn des Mords beschuldige, mit verstörtem Blick und in hastigem Lauf begegnet… und er erhebe nun, da sie in der Heimat seien, die Gegenklage: »Ich beschuldige ihn«, so rief er, zitternd am ganzen Leibe, der Versammlung zu, »des Mords. Ihn, der an meiner Statt des Grafen Freund geworden ist. Und ich beschuldige weiter ihn der bösen Tat, die er drüben im fremden Land an einem Mädchen vollbringen wollte, daran ich ihn gehindert. Ich weiß, daß nur die Angst vor mir, sein böses Gewissen wegen dieser schlechten Tat, ihn zu dem falschen Eid verleitet haben, und ich hätte geschwiegen, müßte ich nun nicht selber um mein Leben kämpfen! «
Nach diesen Worten war es still ringsum. So sehr alle auch den Knappen liebten, und so sehr einige auch ihm zu glauben neigten: Es stand Klage gegen Klage… und um ein Ende und des schweren Rätsels Lösung nun zu finden, kam man überein, daß Gott entscheiden solle. Und ehe man sich über die Art des Gottesurteils geeinigt hatte, sprang der Beschuldigte vor, schwang einen dürren Peitschenstiel, geflochten rund aus Zedernreisern, und rief also: »Ich will den dürren Stab, aus dem Morgenlande heimgebracht, in diese trockene Erde stecken. Ohne Wunder Gottes wird er nicht zum Wachsen kommen. Wächst er aber im Augenblick mit grünen Nadeln und mit jungen Spitzen wie ein junger Baum im Frühling, alsdann sei meine Unschuld klar erwiesen!« Und schon sprang er durch der Knechte Kette, pflanzte den Stab gleich nebenan in die harte, trockene Burghofserde – und seine Hände und Augen wie in Verzweiflung zum Himmel erhoben, betete er: »Gott, gib der Wahrheit Kraft! Gib diesem dürren Stabe Kraft, Wahrheit zu zeugen und die Lüge und die Sünde zu beweisen! « Und indem er kniete, lichtete sich aus grauen Wolken des Himmels klarer Schein. Und im harten Burghof lockerte sich die Erde, daß es wie ein leises Rieseln war; Wurzeln wuchsen… und zugleich brachen Knospen auf zu feinen Nadeln, und schon auch streuten sich Samen ringsumher, aus denen junge Zedern wuchsen, die noch heute dort in Aspel bei dem Burghof stehen, und deren eine bis heute die Gestalt des gewundenen Peitschenstiels behalten hat.
Da war stille Befriedigung über des Knappen Unschuld und Gottes sichtbarliches Zeichen. Erst war Staunen, eine heilige Stille wie Gebet… dann aber brach der Jubel los, und mit aufgetanen Armen holte der Graf den also treu Erwiesenen zu seinem Stuhl. Und nun erst war rechte Freude der Heimkehr nach so langer Fahrt durch Nöte und Gefahr in Kampf und heißer Sonnenglut des Morgenlandes.
Der Teufelsschornstein
Bei Saarhölzbach lebte einmal ein Schmied, der war so stark, daß er seinen Amboß mit Leichtigkeit bis über den Kopf heben konnte. Er war ein rauher Geselle, fluchte den ganzen Tag und glaubte weder an Gott noch an den Teufel.
Eines Tages stand er in seiner Werkstatt und machte Hufeisen. Als er das erste fertig hatte und beiseite schob, sprang es mitten durch. Zornig nahm er ein zweites unter den Hammer, doch auch dieses zersprang. Da packte er fluchend ein neues Stück Eisen mit der Zange und sprach: »Wenn das nun auch zerspringt, dann soll mich gleichfalls der Teufel holen! « Wütend hämmerte er drauf los, daß die Funken bis an die Wände stoben. Wie nun auch das dritte Hufeisen klirrend in zwei Stücke zerbrach, da kam schon der Teufel durch den Rauchfang und redete den Überraschten an: »Ich habe deinen Wunsch gehört und bin gekommen, ihn zu erfüllen. Folge mir! «
Da wurde es dem Schmied angst und bange; er dachte darüber nach, wie er dem Teufel entrinnen könne, und sagte endlich: »Mein Wort will ich halten, doch sollst du mir vorher zeigen, wie groß deine Macht ist. « Der Teufel war’s zufrieden, und nachdem die beiden abgemacht hatten, sich um Mitternacht auf dem Berge gegenüber Saarhölzbach zu treffen, verschwand der Böse wieder durch den Rauchfang.
Als es Nacht geworden war, nahm der Schmied seinen schweren Zuschlaghammer unter den Arm, fuhr mit einem Nachen über die Saar, stieg den Berg hinan und stellte sich in einen hohlen Baum, Um den Teufel zu erwarten. Plötzlich tat sich am Abhange des Berges die Erde auf, und der Fürst der Unterwelt kam, in eine Rauchwolke gehüllt, aus der Öffnung hervor. Er hob schnuppernd die Nase und kam dann geradeswegs auf den hohlen Baum zu. Der Schmied gab ihm nun auf, zwischen 12 und 1 Uhr sämtliche Marksteine des Trierer Landes auf einen Haufen zusammenzutragen, und sie dann zwischen 1 und 2 Uhr wieder zurückzuschaffen, einen jeden an seine Stelle. Der Teufel war einverstanden; er pfiff auf den Fingern, und sogleich kam eine ganze Schar bocksfüßiger Gesellen herbeigestürmt. Die gingen, als es im nahen Mettlach zwölf Uhr schlug, mit ihrem Meister ans Werk. Bald regnete es Marksteine, und noch vor Ablauf einer Stunde war die halbe Arbeit getan; die Steine lagen, haushoch aufgetürmt, beisammen. Nur einer lag etwas abseits; ein Teufel hatte ihn fallen lassen, als ob er ihm zu heiß sei. Als der Schmied ihn genauer betrachtete, sah er, daß er mit einem Kreuz gezeichnet war. Er zerschlug ihn heimlich mit dem Hammer zu Staub und streute diesen in den nahen Bach.
Beim Schlage eins begann die höllische Schar die Steine wieder fortzuschaffen, und schon vor der ausbedungenen Zeit konnte der Meister berichten, daß die Abmachung erfüllt sei. Der Schmied aber machte ihn darauf aufmerksam, daß noch ein Stein fehle. Als die Teufel merkten, was geschehen war, drangen sie wütend auf den Mann in der Lederschürze ein. Der aber packte den Hammer und schlug den Anstürmenden gewaltig auf die Köpfe, daß sie klirrten. Doch allmählich erlahmten seine Kräfte, und er wäre sicher verloren gewesen, wenn es nicht im Augenblick der höchsten Gefahr vom Mettlacher Kirchturm zwei geschlagen hätte. Da fuhren die Teufel durch die Öffnung am Bergabhang wieder in die Tiefe.
Als der Schmied sich erholt hatte, ging er langsam nach Hause. Schon am andern Morgen warf er Hammer und Amboß in die Saar und trat eine Fahrt nach dem heiligen Lande an. Der Felsen aber, unter dem die Höllenbewohner aus- und eingefahren waren, heißt noch heute der Teufelsschornstein.
Der Wolf und der Tannenzapf
Zu Aachen im Dom zeigt man an dem einen Flügel des ehernen Kirchentors einen Spalt und das Bild eines Wolfs nebst einem Tannenzapfen, beide gleichfalls aus Erz gegossen. Die Sage davon lautet: vor Zeiten, als man diese Kirche zu bauen angefangen, habe man mitten im Werk einhalten müssen aus Mangel an Geld. Nachdem nun die Trümmer eine Weile so dagestanden, sei der Teufel zu den Ratsherrn gekommen, mit dem Erbieten, das benötigte Geld zu geben unter der Bedingung, daß die erste Seele, die bei der Einweihung der Kirche in die Türe hineinträte, sein eigen würde. Der Rat habe lang gezaudert, endlich doch eingewilligt und versprochen, den Inhalt der Bedingung geheim zu halten. Darauf sei mit dem Höllengeld das Gotteshaus herrlich ausgebaut, immittelst aber auch das Geheimnis ruchtbar geworden. Niemand wollte also die Kirche zuerst betreten und man sann endlich eine List aus. Man fing einen Wolf im Wald, trug ihn zum Haupttor der Kirche und an dem Festtag, als die Glocken zu läuten anhuben, ließ man ihn los und hineinlaufen. Wie ein Sturmwind fuhr der Teufel hinterdrein und erwischte das, was ihm nach dem Vertrag gehörte. Als er aber merkte, daß er betrogen war und man ihm eine bloße Wolfsseele geliefert hatte, erzürnte er und warf das eherne Tor so gewaltig zu, daß der eine Flügel sprang und den Spalt bis auf den heutigen Tag behalten hat. Zum Andenken goß man den Wolf und seine Seele, die dem Tannenzapf ähnlich sein soll. – Andere erzählen es von einer sündhaften Frau, die man für das Wohl der ganzen Stadt dem Teufel geopfert habe und erklären die Frucht durch eine Artischocke, welche der Frauen arme Seele bedeuten soll.
Das steinerne Kreuz
Unweit der hellen Fläche des Talsperrsees bei Remscheid steht im Gestrüpp ein altes, morsches Steinkreuz, mit unleserlichen Inschriften bedeckt. Der Platz umher ist fast ganz frei von Strauchwerk und dient alljährlich am zweiten Pfingsttag einer zahlreichen Volksmenge von nah und fern zum Festplatz. In geringer Entfernung zieht die alte kölnische Straße vorüber.
Von diesem Kreuz erzählt das Volk folgendes:
Vor Zeiten wurde an diesem Platze ein Bote erschlagen und ausgeraubt. Sterbend rief er seinen Mördern zu, der Himmel werde ihn durch die Vögel rächen, welche grade über sie hinflogen. Nach vollbrachter Tat zogen die Mörder nach dem Born und kehrten in einem dortigen Wirtshause ein. Hier ließen sie es sich wohl schmecken, und bald standen Kramtsvögel vor ihnen. Da bemerkte der eine, diese würden sie gewiß nicht verraten. Aber der Wirt hatte diese Worte vernommen. Er sandte zum Gericht, und halb saßen die beiden im Kerker. So entgingen sie ihrer gerechten Strafe nicht.
Die Bockreiter
In den Ländern links des Niederrheines verbreiteten in alten Zeiten die Bockreiter Furcht und Schrecken. Sie waren eine Verbrecherzunft, die durch strenge Gesetze zusammengehalten wurde. Bei ihrer Aufnahme in die Zunft mußten sie Gott absagen und sich dem Teufel verschreiben. Der höllische Geist stand ihnen bei. Er trug sie in der Gestalt eines schwarzen Bockes an die Orte ihrer Verbrechen und wieder zurück, so daß es nur selten gelang, einen von ihnen der strafenden Gerechtigkeit zuzuführen.
Daß die Bockreiter mit des Teufels Hilfe Wunder vollbringen konnten, erfuhr ein junger Bursch aus Jülich, der den Werbern des Preußenkönigs in die Hände gefallen und nach Spandau gebracht worden war. Als er dort sieben Jahre lang Kommißbrot gegessen hatte, wurde seine Sehnsucht nach Freiheit so groß, daß er es fast nicht mehr aushalten konnte. Das merkte ein alter Korporal, ein Landsmann des Jülichers aus Herzogenrath. Der redete ihn eines Tages an und sagte: »Kamerad, du willst heim, ich sehe es dir an. Ich will dir zur Flucht verhelfen. Ich bin Bockreiter und erwarte dich in der kommenden Nacht um die zwölfte Stunde auf der Bastei. Wenn du tust, was ich dir sage, dann wirst du morgen früh vor dem ersten Hahnenschrei in deines Vaters Haus sein.« Der junge Soldat hatte in seiner Heimat viel seltsame Geschichten von den Bockreitern gehört. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, daß zwei von ihnen einmal abends dem Sultan in Konstantinopel die Wäsche gestohlen und sie am nächsten Morgen auf dem Markt in London fellgeboten hätten. Dem Soldaten widerstrebte es zwar, sich einem Bockreiter anzuvertrauen, doch war sein Heimweh so übermächtig, daß er sich um Mitternacht an der verabredeten Stelle einfand. Der Korporal kam ihm schon entgegen. Er winkte mit einem Stock, und im nächsten Augenblicke stand ein schwarzer zottiger Bock mit feurigen Augen vor ihnen. »Steige auf seinen Rücken«, sagte der Alte, »und packe ihn fest bei den Hörnern. Wenn dich etwas unterwegs erschreckt, dann sprich nicht das Wort aus, das eine Mutter sagt, wenn sie unversehens in Gefahr kommt. Fluche lieber, soviel du willst, in drei Teufels Namen.«
Im nächsten Augenblick erhob sich der Bock in die Lüfte, und fort ging es mit Windeseile nach Westen. Plötzlich ging die Fahrt in die Tiefe. Der Soldat erschrak und rief: »Jesses!« Da warf der Bock ihn ab. Er fiel zum Glück in ein dichtes Gebüsch und kam so mit dem Leben davon. Als er sich erheben wollte, merkte er, daß er ein Bein gebrochen hatte. Am Morgen kam ein Bauer mit seinem Fuhrwerk vorbei. Der sagte ihm, daß er am Rande des Jülicher Waldes liege, und brachte ihn zu seinen Eltern.
Die Ebernburg
Unweit der Badestädte Kreuznach und Münster am Stein, im Winkel von Nahe und Alsenz, steht die stolze Ebernburg. Dort wohnte um das Jahr 1500 Franz von Sickingen, das Oberhaupt des schwäbischrheinischen Ritterbundes, ein tatkräftiger Schirmherr der Reformation. Viele Anhänger der neuen Lehre fanden bei ihm Schutz vor Verfolgung und eine gastliche Freistätte, darunter auch Ulrich von Hutten, der den Ebernburger zum Kampf gegen die geistlichen Fürsten am Rhein aufrief.
Einst wurde die Ebernburg belagert. Viele Wochen lang rannten die Feinde vergebens gegen ihre starken Mauern an. Den Belagerern blieb schließlich die einzige Hoffnung, Sickingen mit seinen Mannen auszuhungern; allzu groß konnten die Lebensmittelvorräte auf der Burg nicht mehr sein. Aber die Zeit bis zur Übergabe wurde den Feinden doch lange gemacht. Tag für Tag mußten sie sehen, wie die Burgmannen ein großes Schwein zum Hof hinausführten und zum Abstechen niederwarfen; gleichzeitig vernahmen sie ein lautes quiekendes Geschrei. Hätten sie geahnt, daß ihnen mit einem einzigen Borstentier, einem stattlichen Eber, solch Schauspiel immer von neuem vorgeführt wurde, dann würden sie die Belagerung nicht so bald aufgegeben haben. So aber gelang die Täuschung, und der Feind zog ab.
Des Ebers Bild, in Stein gehauen, ist noch jetzt am Eingang der Burg, die zum Teil aus dem Schutt vergangener Jahrhunderte neu erstanden ist, zu sehen.
Woher Hückeswagen seinen Namen hat
Vor langen, langen Zeiten fuhr einmal eine Frau auf ihrem von einem Esel. gezogenen Gefährt Käse zur Stadt. In einem Hause verweilte die Bäuerin über Gebühr, während das Langohr draußen stand. Diesem wurde allmählich die Zeit zu lang, und plötzlich setzte sich das Tier in Bewegung. Als das die Frau gewahrte, stürzte sie hinaus und lief, laut: »Hü (Halt) Keswagen« rufend, hinter dem enteilenden Fuhrwerk her. Daher rührt die Bezeichnung des Städtchens an der obern Wupper.
Wo das Paradies lag
Da zerbrechen sich die Gelehrten den Kopf darüber, wo das Paradies gelegen haben kann, und wer nach Kleve kommt, der kann es von jedem einfachen Mann, ja von jedem Kind, das zur Schule geht, erfahren. Warbeyen heißt der Ort, der nicht weit von der holländischen Grenze liegt. Als Adam und Eva von dem verbotenen Apfel gegessen und sich versteckt hatten und der liebe Gott hinter ihnen her war und sie im Garten suchte, da hat er in der Sprache dieser Gegend schon damals Adam angerufen: »Adam, war bey je?« – (Adam, wo bist du?) und nach dieser Frage des lieben Gottes an Adam bekam die Gegend dort ihren Namen. Aber es wird auch weiter erzählt, daß, gleich nachdem die ersten Menschen aus dem Paradies Warbeyen gewiesen waren, der Teufel hinter ihnen her gewesen sei, so, daß Gott ihn voll Zorn anrufen mußte: »Düffel, wart! « Und wo der Teufel da gestanden hat, ist heute der Ort Düffelward, und wo Adam und Eva stehen blieben – se bleven stohn un »keeken« – ist heute das Dorf Keeken. So also haben Warbeyen, Düffelward und Keeken ihre Namen aus der allerältesten Zeit, als nur Adam und Eva und sonst noch keine Menschen auf Erden waren.
Wie ein Bauer zu einem neuen Hofe kam
In der Nähe von Hinsbeck am Herschen lebte in alten Zeiten ein Bauer, dessen Hof in schlechtem Zustande war. Als er nun eines Tages über sein Feld ging und nachdachte, wie er zu einem neuen Hofe kommen könne, stand auf einmal ein feiner Herr vor ihm und fragte ihn: »Ei, Bauer, warum so schlechten Mutes?« »Ach«, sagte der Bauer, »mein Hof ist so schlecht, und ich weiß nicht an einen neuen zu kommen.« »0«, sprach der Herr, »da kann ich wohl helfen, ich will dir Geld genug geben, daß du dir einen schönen, neuen Hof bauen kannst; dafür mußt du mir aber deine Seele verschreiben.« Der Bauer sagte: »Das ist doch zu viel verlangt, dir meine Seele zu verschreiben, wenn ich den Hof gebaut habe; ich muß doch auch Genuß davon haben.« Da sprach der Teufel: »Du kannst noch vierzehn Jahre leben, und wir teilen uns in dieser Zeit die Ernte so, daß ich in einem Jahre bekomme, was auf dem Erdboden wächst und in dem folgenden, was in der Erde wächst – und so abwechselnd.« Wenn nun das Jahr kam, wo des Teufels Anteil die Ernte auf der Erde war, pflanzte der Bauer, was in der Erde wuchs; dann bekam der Teufel nichts und der Bauer alles. Wenn das Jahr kam, wo der Teufel Anspruch auf die Ernte in der Erde hatte, säte der Bauer Hafer, Roggen, Weizen und dergleichen. So bekam der Teufel wieder nichts. Als das einige Jahre so zuging, sagte der Teufel zum Bauer: »So geht es aber nicht weiter, denn da bekomme ich ja gar nichts. Da wollen wir lieber einen Wettkampf eingehen. Wer am weitesten einen Stein werfen kann, der soll Sieger sein.« – Das war dem Bauer recht, wenn der Teufel zuerst werfen wollte. Da nahm der Teufel einen ganz großen Stein und warf ihn bis auf den Buschberg. Nun war der Bauer an der Reihe. Er nahm einen viel kleineren Stein, sagte aber: »Nun weiß ich nicht, wo jetzt mein Bruder weilt; der ist in Frankreich, England oder Spanien, den darf ich doch nicht totwerfen.« »Hu«, sagte der Teufel, »wenn du so weit werfen kannst bis in Frankreich, England oder Spanien, so fange nur ja nicht an, denn so weit kann ich es nicht.« Und der Teufel ging seiner Wege und überließ dem Bauer die Ernte und den Hof.
Der Schnutenteich bei Mettmann
Hart am Wege von Gruiten nach Mettmann, ungefähr auf der Hälfte, liegt der von der Bevölkerung der dortigen Gegend gefürchtete und gemiedene »Schnutenteich«.
Fast jedermann weiß eine Reihe von Geschichten zu erzählen, welche alle darin übereinstimmen, daß dort den Leuten zu nächtlicher Stunde auf geheimnisvolle Weise das Geld aus der Tasche geraubt wird.
»Das tun die bösen Geister«, setzt der Landmann geheimnisvoll hinzu.
Die Kapelle auf dem Petersberg
In alten Zeiten stand in Neef an der Mosel ein kleines Kirchlein mitten in einem Friedhofe, auf dem die Dorfbewohner seit Menschengedenken zur letzten Ruhe gebettet wurden. Wie nun das ehrwürdige Gotteshaus baufällig wurde, rissen die Neefer es ab, um an seiner Stelle ein größeres und schöneres zu errichten. Alt und jung beteiligten sich in frohem Wetteifer an der Arbeit, und bald lagen Holz und Steine in Fülle auf der Baustelle. Als aber die Steinmetzen eines Morgens ans Werk gehen wollten, um das Gebäude aufzuführen, da war der Bauplatz leer, Holz und Steine waren verschwunden. Und wie man suchte, fand man alles auf der Höhe des Petersberges, fein säuberlich zu hohen Stapeln aufgeschichtet. Zuerst dachte man an einen losen Scherz mutwilliger Buben, doch die Umlagerung war ohne jeden Lärm vor sich gegangen; kein Hund hatte in der Nacht angeschlagen.
Mühsam schafften die fleißigen Neefer die Vorräte auf die alte Stelle. Vergebens! Morgens lagen sie wieder auf der Höhe des Berges. In der nächsten Nacht standen die Männer des Dorfes Wache, um zu sehen, wer ihnen wohl den bösen Streich spiele. Bis Mitternacht blieb alles still, der Bauplatz lag friedlich im Mondenschein. Da stiegen aus einer Wolke leuchtende Gestalten hernieder und trugen Holz und Steine durch die Luft erneut zur Bergesspitze empor. Nun erkannten die Neefer, daß die Kapelle nach Gottes Willen hoch oben über ihren Weinbergen errichtet werden sollte. Sie fügten sich dem göttlichen Befehl, und heute noch steht das Kirchlein inmitten des stillen Friedhofes an der Stelle, die Gott durch ein Wunder gezeigt hatte.
Die drei Jungfrauen von Landskron
Auf der Burg Landskrone an der Ahr wohnte einmal ein mächtiger Graf, der hatte drei liebliche Töchter, denen es an Freiern nicht fehlte. Um die Hand der jüngsten bewarb sich ein benachbarter Ritter, der aber kein Gehör fand und daher auf blutige Rache sann.
Eines Tages zog der Graf mit seinen Knappen auf die Jagd. Da überfiel der abgewiesene Freier mit seinen Leuten die Burg. Ungestüm polterte er von einem Gemach zum andern, doch die Gesuchte fand er nicht. In seiner wilden Wut ließ er das Schloß plündern und in Brand stecken.
Den Schwestern war es rechtzeitig gelungen, durch ein geheimes Pförtchen in der Ringmauer zu fliehen und in einer nahen Felsenkluft Schutz zu suchen. Doch auch dorthin fand der Rasende im Feuerschein der brennenden Burg den Weg. Die Jungfrauen, die sich in ihrer Herzensangst im fernsten Winkel der Schlucht verborgen hatten, vernahmen alsbald vom Eingang her drohende Rufe und Waffengeklirr. In dieser großen Not konnte nur Gott ihnen helfen. Engumschlungen knieten sie nieder und flehten inbrünstig um seinen Schutz. Und siehe, die Felswand teilte sich wie ein Vorhang; eine dunkle Grotte wurde sichtbar und nahm die Schwestern bergend auf. Nach einer Weile verhallten Schwertgerassel und Verwünschungen in der Ferne.
Mittlerweile war der Graf von der Jagd zurückgekehrt. Schon von weitem hatte er die rauchenden Trümmer seiner Burg gesehen. Er jagte dem FrevIer nach und tötete ihn im Zweikampfe. Dann suchte er nach seinen Töchtern, doch all sein rastloses Forschen war vergeblich. Er durchstreifte die Wälder zu beiden Seiten der Ahr, er räumte den Schutt der zerstörten Burg hinweg, er stieg sogar ins tiefe Burgverlies hinab, nirgendwo fand er eine Spur der Verschwundenen.
Endlich, in der dritten Nacht nach jenem Schreckenstage, zeigte ihm ein Engel im Traume das Versteck seiner Töchter. Noch ehe der Tag graute, machte er sich froher Hoffnung voll auf den Weg nach der Schlucht, und schon bald schloß er die Wiedergefundenen beglückt in seine Arme. An der Stelle aber, wo Gott durch ein Wunder die verfolgte Unschuld gerettet hatte, ließ er eine Kapelle erbauen, die noch heute weißglänzend vom Gipfel des Burgberges ins Ahrtal hinabschaut.
Zwerge als Hirten am Niederrhein
Am Niederrhein weiß man viel zu erzählen von der Hilfe der Unterirdischen bei der Feldarbeit. Vor allem hüten sie gern das Vieh. Wo Zwerge das Hüten übernahmen, da ging kein Stück der Herde verloren. Man trieb die Tiere nur bis ans Hoftor und brauchte sich nicht weiter um sie zu kümmern. Es war niemand zu sehen, der das Vieh hütete, aber die Tiere gediehen dabei aufs beste, und am Abend wurden sie wieder von unsichtbaren Hirten heimgetrieben, wo die Mägde dann das Weitere besorgten. Man vergaß aber nie, auf den Pfosten des Tores oder der Stalltür ein Näpfchen mit Milch nebst einem Butterbrot oder auch sonstiges Essen zu stellen; all das zurecht Gemachte wurde auch regelmäßig verzehrt.
Etwas habe man aber doch von den Zwergen gesehen, meint man in Dierrath – nämlich die zwei ellenlangen weißen Stäbchen der Hirtenzwerge, und es sah wunderbar aus, wenn sich diese Stäbchen, von keinem sichtbaren Wesen gehalten, scheinbar ganz von selbst hinter dem Vieh her bewegten.
Ähnliches erzählt man auch von den »Holen« in Hardt bei Wildberg. Alte Leute warnten die Dorfjungen immer davor, mit Steinen zu werfen, wenn Vieh in der Nähe war; einmal traf einer von den Buben, der das Werfen nicht lassen konnte, einen Zwerg am Kopf, so daß ihm das Hütchen herabfiel und er sichtbar wurde. Da nahm der Zwerg seinen weißen Stab und schlug damit den Jungen; dieser erschrak so sehr darüber, daß er fallsüchtig wurde. Das Vieh aber blieb seitdem unbehütet, die Speisenäpfe auf dem Pfosten wurden nicht mehr berührt, und die guten Erdgeister sind seit diesem Vorkommnis dort nicht mehr zu verspüren.
Die Hexe von Nattenheim
Zu der Zeit, als im Trierischen Lande die Hexen noch ihr Unwesen trieben, diente in Nattenheim ein armes Knechtlein bei einem Bauern, dessen Weib auch mit dem Teufel im Bunde stand. Allabendlich trat die Hexe an den Jungen heran, warf ihm einen Pferdezaum um den Hals und ritt auf seinem Rücken über Berg und Tal, durch Feld und Wald bis in den Morgen hinein. Kaum war nach dem wilden Ritt der Todmüde in seiner Kammer eingeschlafen, dann trommelte ihn seines Herrn harte Faust schon wieder heraus.
Wie der Arme nun von Tag zu Tag blasser und schmaler wurde, schickte ihn der Bauer zum Arzt. Das Knechtlein aber sprach: »Der Doktor kann mich nicht heilen, nur Ihr könnt mir helfen«; und er erzählte dem Bauern sein ganzes Elend. Vor Staunen fiel der Mann beinahe auf den Rücken, und er nahm sich vor, sein Weib zu kurieren.
Noch am gleichen Abend versteckte er sich hinter der Tür der Knechtekammer. Wie dann die Bäuerin eintrat, riß er ihr den Zaum aus der Hand und warf ihn ihr um den Hals. Da stand ein Schimmel vor ihm mit Pferdehuf und Schweif. Er schwang sich auf seinen Rücken, und fort ging’s über Stock und Stein, bis der Schaum dem Pferde von den Flanken flog. Doch dem Bauer ging es noch immer zu langsam. Er bearbeitete sein Reittier mit Peitsche und Sporn, daß es dahinfegte wie der Wind, bis endlich ihm selber der Atem stockte. Dann hielt der Reiter vor eines Hufschmieds Haus und ließ seinem Gaul vier neue Eisen anschlagen. Und weiter ging der rasende Galopp bis zum Frührot. Als die Sonne eben aufging, löste vor seines Hauses Tür der Bauer den Zaun vom lahmenden Schimmel. Eine Stunde später fand man die Hexe im Bette liegend, zerkratzt und zerschunden, mit Hufbeschlag an Hand und Fuß.
Der Meister über alle Meister
In jener glücklichen Zeit, als unser Herr noch unter den Menschen wandelte, kam er eines Tages in Begleitung des heiligen Petrus durch eine Stadt. In der Hauptstraße trafen sie von ungefähr auf die Werkstätte eines Schmiedes, der der Welt seine Kunst und Geschicklichkeit durch die prahlerischen Worte auf einem Schilde über der Türe verkündigte: »Hier wohnt ein Meister über alle Meister.«
Da sprach unser Herr zu Petrus: »Wollen doch einmal eben vorsprechen und diesen eingebildeten Prahler von seinem Dünkel und seiner Anmaßung gründlich kurieren.« – Traten also in die rußige Schmiede und fragten den Meister, den sie eben antrafen, bescheiden um Arbeit, vorgebend, daß sie wandernde Zunftgenossen seien und sich nach Arbeit umsähen.
Der Meister war hocherfreut und grüßte herzlich die willkommene Hilfe, die ihm in Gestalt so schmucker Gesellen wie vom Himmel gesandt erschien. Er beauftragte unsern Herrn auch sogleich mit dem Beschlagen eines Pferdes, und Petrus sollte ihm helfend zur Hand gehen.
Unser Herr nimmt alsbald ein großes Messer und schneidet, während die Zuschauer vor Grausen sprachlos stehen, dem Pferde einen Fuß nach dem andern ab, spannt sie zwischen den Schraubstock, schneidet sie nach allen Regeln der Kunst zurecht und schlägt in aller Gemütsruhe die neuen Eisen auf die Hufe. Nachdem dies geschehen, setzt er jeden der Füße wieder an das zugehörige Pferdebein, als wär’s eben nur ein Kinderspiel. Doch siehe da! alle Füße sind alsbald heil und gesund und so richtig beschlagen wie nie zuvor.
Grenzenlos ist das Erstaunen des früher so eingebildeten Meisters; voll Reue wirft er sich dem Herrn zu Füßen und gelobt von der Stunde an, sich zur Demut zu bekehren und das Schild mit der lügnerischen Inschrift zu verbrennen. Der aber, durch den er so handgreiflich von dem Dasein eines Meisters über ihm belehrt worden, setzte noch in derselben Stunde, von St. Petrus begleitet, seinen Wanderstab weiter, um auch andere Leute mit seiner frohen Botschaft zu beglücken.
Die Entstehung der Wupper
Einst schritt ein Gnom, den Stab in zarter Hand, durchs rauhe Land der Berge dahin. Den Menschen Wohltaten zu spenden, war sein unablässiges Bestreben. Allein ihm mangelte es an Speise, denn es war ein Hungerjahr. Da gewahrte ihn ein Weib, und, seine Not erkennend, bot sie ihm würzige Erdbeeren, welche sie im fernen Tale für ihre Kleinen gepflückt hatte. Hoch erfreut aß der Zwerg, gewährte aber dem Weibe aus Dankbarkeit die Gewährung eines Wunsches. Dessen Verlangen war nun nicht auf Gold gerichtet. Darum erbat sie das Wohlwollen des Gnomenkönigs für ihre Kinder und dies rauhe, unwirtliche Land. Der König gewährte die Bitte und befahl dem Weibe, an dieser Stelle zu graben. Kaum hatte es mit der Arbeit begonnen, als ein wasserreicher Quell hervorsprudelte, der munter zu Tal hüpfte. »Dieser Quell«, sprach der Gnom, »wird das Glück Deiner Kinder sein. Denn sein Wasser wird bald zum kräftigen Fluß erstarken, der Segen verbreiten und Gold und Silber hervorzaubern wird. Namentlich wird der Ort beglückt werden, wo Du mir die Erdbeeren gepflückt hast. Weit wird einst der Ruhm Elberfelds durch die Welt dringen.«
Da verschwand der Gnom.
Sage vom Broß
Uin das Jahr 1600 lebte auf dem Gehöft Oberhof bei Beyenburg ein Mann, namens Broß, dessen Grabstein sich noch auf dem katholischen Friedhof befindet. Broß hatte seine Magd getötet. Jäger fanden den Kopf derselben in einer hohlen Buche, welche die Hunde eifrig beschnupperten. Der Körper der Magd lag aber in einem nahegelegenen Teiche, noch heute der Broßteich genannt.
Broß ist dann nach seinem Tode sieben Jahre auf dem Oberhof umgegangen und machte sich namentlich, wenn der Besitzer desselben wechselte, bemerkbar. Abends sah man ihn wohl in der Scheune, wie er sich die Nägel an Händen und Füßen schnitt. Am Tage neckte er die Drescher, indem er leere Pickeln (ausgedroschene Garben) vom Speicher herunterwarf.
Vielfach bewegte er sich auf allen Vieren fort, sprang den Leuten im Dunkeln auf den Rücken, klammerte sich an und verließ sie erst an der Grenze des Hofes.
Die Furcht vor dem Geist des alten Broß war so groß, daß sich selbst erwachsene Leute hüteten, zu jener Zeit am Abend den Hof zu betreten.
Das Ende des Zwergenvolkes im Hülser Berg
Der junge König des Zwergenvolks, das im Hülser Berg am Niederrhein wohnte, hörte einmal von der vielumworbenen Tochter des Grafen von Krakauen bei Krefeld. Er nahm sich vor, das schöne Menschenkind zu gewinnen, und machte sich alsbald auf die Fahrt. Als er an den Schloßteich kam, traf er ein altes Weib; das riet ihm, er solle rufen:
Fischlein, Fischlein, Timpatee,
hol mich rasch wohl über den See!
Er befolgte den Rat, und sogleich kam ein großer Fisch ans Ufer. Der König setzte sich auf seinen Rücken, und schnell trug ihn der Fisch übers Wasser.
Im Schloßgarten fand er die Königstochter. Sie wurde seine Liebste. Von nun an kam er Tag für Tag zu ihr. Eines Abends überraschte ihn der Graf, wie er gerade von seiner Liebsten Abschied genommen hatte und auf dem Rücken des Fisches davonschwamm. Voll Zorn griff der Graf nach seinem Bogen und durchbohrte den Zwerg mit einem Pfeil.
An diesem Abend wartete das Volk im Hülser Berg vergebens auf die Heimkehr seines Königs. Nach langem Suchen fanden seine Getreuen ihn tot im Schloßteich von Krakauen. Sie begruben ihn und sangen dabei einen seltsamen Grabgesang. jedesmal, wenn sie das Lied gesungen hatten, sprang einer von ihnen in das Wasser, bis sie alle ertrunken waren.
Der Sänger Arnold
Ein Wald, in dem der Kaiser Karl gern jagte, war der Burgel bei Arnoldsweiler; er ist so oft von Aachen dahin geritten, daß ein Feldweg durch die Lucherberger Mark zum Andenken daran noch heute Keseschpättche (Kalserspfädchen) genannt wird. Von diesem Burgel- oder Bürgelwald wird auch eine Schenkungsgeschichte erzählt, die sich auf einer Jagd Karls zugetragen hat.
Es war zu der Zeit ein Sänger ins Land gekommen, der Legende nach aus Griechenland, er hieß aber Arnold. Da er ein Meister in seiner Kunst war, wurde er am Hofe wohl aufgenommen. Alles aber, was er mit Singen und Saitenspiel gewann, verteilte er unter die Armen und Waisen. Einst ging König Karl mit seinem Gefolge bei Ginnezwilre (Arnoldsweiler) auf die Jagd. Da lag ein großer Wald, Burgel genannt; die Leute aber, die ringsum wohnten, hatten kein Holz und litten große Not dadurch, wagten aber keines aus dem Walde zu holen, da er zum Königsgut gehörte. Da sann der fromme Arnold, wie er ihnen helfen könnte.
Und eines Tages, als der König sich zu Tisch setzte, trat er zu ihm und erbat sich eine Gnade. Der König fragte, was es wäre, da sprach er.- »Ich bitte dich darum, daß du mir so viel von dem benachbarten Wald schenkst, als ich umreiten kann, während du an der Tafel sitztest. « Karl gewährte es ihm; der Sänger aber hatte schon vorher eine Anzahl der schnellsten Pferde rings um den Wald, den er zu erwerben gedachte, in gleichen Abständen aufgestellt, so daß er sofort, wenn ein Tier müde war, ein anderes besteigen konnte. So umritt er ein Waldstück zwei Meilen in die Länge und halb so breit; jedesmal aber, wenn er abstieg, zeichnete er eine hohe Eiche mit dem Schwert – die Marken sollen noch zu der Zeit, da diese Legende aufgezeichnet wurde (1637), zu sehen gewesen sein. Dann kehrte er voll Freude zurück, als Karl noch an der Tafel saß. Der König verwunderte sich über die Maßen, aber was er ihm zugesagt hatte, säumte er nicht zu erfüllen, zog einen Ring vom Finger und gab ihm mit diesem nach Königs Brauch vor aller Augen den Wald zu eigen. Der Sänger dankte ihm auf den Knien und flehte Gott um langes Leben und himmlischen Lohn für ihn an: »Wisse, Herr«, sprach er, »diese reiche Gabe wird dir für alle Zeit unvergessen sein, denn ich will sie dem Himmelsherrn darbringen für das Heil deiner und meiner Seele. «
Und nachdem er den Wald so durch Übergabe des Ringes empfangen, verteilte er ihn an die umliegenden Dörfer, deren Namen hier angeführt seien, damit kein Fremder und von dieser Schenkung Ausgeschlossener sich deren etwas anmaße: Arnoldsweiler, Ellen, Oberzier, Niederzier, Lich, Ober- und Niederembt, Angelsdorf, Elsdorf, Paffendorf, Glesch, Heppendorf, Sindorf, Manheim, Kerpen, Blazheim, Golzheim, Buir, Morschenich, Merzenich.
Auf seinen Wegen zum Bürgelwald soll der Kaiser auch über den Plan nachgedacht haben, eine große Stadt zu bauen, die von Aachen bis Düren reichte; soll es dann aber schweren Herzens der zu großen Kosten wegen aufgeben haben mit den Worten: »Ach weh, teuer! « Danach, so meinten die alten Leute früher dort, seien dann die Orte Aachen, Wehe und Düren benannt worden. Dagegen weiß man an vielen Orten des Landes um Aachen über die ganze Eifel und die Ardennen hin von einem Jagdschloß zu erzählen, das sich Karl da gebaut haben soll, so in Stolberg, Monschau, Karlshausen (im Kreise Bitburg) und Bertrad.
Die Leiter am Teufelskädrig
Es war an einem launischen Tage im Mai. Heulend trieb der Wind Regen und verspäteten Schnee vor sich her. Da kam der Ritter Sibo, Herr zu Lorch, von einem langen Ritt ermüdet zurück. Er hatte dem jungen Ruthelm, der das Waffenhandwerk bei ihm gelernt hatte, und nun zu seinem ersten Kriegszug ausritt, das Geleite gegeben.
Kaum hatte der Wächter das Tor hinter seinem Herrn geschlossen, da bat auch ein Fremder um Einlaß. Sibo war schlechter Laune und ließ ihn kurz abweisen. Der grobe Torwart schlug dem Unbekannten das Guckfenster vor der Nase zu und empfahl ihm höhnisch, unter der Zugbrücke zu übernachten.
Hell leuchtete am anderen Morgen die Maiensonne wieder, als des Burgherrn einziges Töchterlein, die zwölfjährige Gerlind, vor das Tor hinaussprang, um Blumen zu einem Frühlingsstrauß zu pflücken. Als das Kind um die Mittagsstunde noch nicht heimgekehrt war, schickte der Ritter Leute aus, um es zu suchen. Ganz niedergeschlagen und ohne Erfolg kehrten sie zurück. Da überfiel bange Sorge des Vaters Herz; mit seinen Knechten eilte er hinaus und durchforschte jeden Winkel in der ganzen Gegend. Doch alle Mühe war umsonst, nicht einmal eine Spur der Verlorenen ward gefunden. Endlich trafen die Suchenden einen Hirtenknaben, der das Kind frühmorgens am Fuße eines hohen Felsens, Kädrig genannt, gesehen hatte. »Mit einem Male«, so berichtete der Knabe, »kamen mehrere graue Männlein vom Felsen herabgesprungen, faßten das kleine Fräulein bei den Händen und stiegen mit ihm am Gestein empor.«
Wie Sibo nun vor dem steilen Berge stand und mit den Augen das glatte Gestein absuchte, da krampfte sich ihm das Herz zusammen vor Weh; eines Menschen Fuß, das sah er, konnte diesen Felsen nicht ersteigen. Endlich glaubte er hoch oben ein helles Gewand zu sehen. Er streckte die Arme sehnsüchtig aus und rief den Namen seines Kindes. Doch ein böses Lachen ertönte, und eine schrille Stimme rief: »Das ist der Dank für deine Gastfreundschaft!«
Alsbald versuchten beherzte Männer den Felsen zu erklimmen; aber auf halbem Wege mußten sie haltmachen, ja man hatte Mühe, sie aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien. Als die Knechte des Ritters am anderen Morgen versuchten, mit Hacke und Meißel eine Treppen in den Felsen zu schlagen, da setzte sich über ihren Köpfen eine Steinrausche in Bewegung und vertrieb sie.
Sommer und Winter vergingen, der Kädrig wurde nicht erstiegen, und Sibos Haar wurde weiß vor Kummer und Sorge. Auf der vereinsamten Burg ging der unglückliche Vater umher mit gramdurchfurchten Zügen und trüben Augen. All das reiche Almosen, mit dem er Kirchen und Klöster beschenkte, konnte ihm nicht eine einzige frohe Stunde schaffen.
Vier lange Jahre waren verflossen, da kehrte der junge Ruthelm von seinem Kriegszuge zurück. Er war inzwischen zu einem kraftvollen Manne herangereift. Als er von Sibo vernahm, was am Tage nach seinem Weggang geschehen war, da rief er in froher Zuversicht: »Ich bringe Euch die Tochter wieder! Ich will sie den grauen Männlein schon entreißen! « Voll Zweifel, doch in leiser Hoffnung, entgegnete Sibo: »Wenn du sie befreist, dann darfst du mit ihr als deiner Braut einreiten durch die Tore von Lorch!«
Ohne Säumen begab sich Ruthelm an den Fuß des Kädrig. Scharfen Blickes späht er hinauf, um einen Weg zu finden, den trotzigen Felsen zu bezwingen. Da sah er auf einem Felsvorsprung ein graues Männlein sitzen, das sich den langen Bart strich und ihm lachend zurief: »Heda, der Junker will wohl hinaufsteigen, um sein Schätzchen zu suchen! Wenn er das fertig bringt, dann soll er das Mägdlein haben. Darauf kann er sich verlassen! « Im Augenblick verschwand der Graue im Gestein wie ein Mäuslein in altem Gemäuer.
Wie nun Ruthelm wieder emporblickte, da sah er über dem Berge einen Vogel seine Schwingen breiten, und er sprach vor sich hin: »Ach wäre ich doch ein Vogel, wie jener Falke, der so leicht um des Berges Gipfel kreist! « Da stand neben ihm ein Zwergenweiblein, sah ihn freundlich an und sagte: »Auch ohne Flügel wird es dir möglich sein, den Felsen zu ersteigen und die Gefangene zu befreien. Der dir das Mägdlein eben versprochen hat, ist mein Bruder; er wird Wort halten. Ich aber will dir verraten, wie du den Weg zur Höhe findest. Im Wispertal ist ein verfallener Stollen. Über seinem Eingang ist eine Buche mit einer Tanne dicht zusammengewachsen. Dort läute mit diesem Glöcklein, und es wird dir Hilfe werden.«
Schon nach wenig Stunden stand Ruthelm am Stolleneingang im Wispertal und schwang das Glöcklein. Da tauchte aus der Tiefe ein graues Männlein auf, das ein Grubenlicht in der Hand hielt. Ruthelm erzählte, wer ihn geschickt habe, und bat flehentlich um Hilfe. Der Alte sagte: »Wenn du Mut hast, dann komme morgen früh vor Tagesanbruch an den Kädrig!« Darauf steckte er zwei Finger in den Mund und pfiff, und sogleich raschelte es ringsum im Laube. Ruthelm sah eine ganze Schar von Männlein mit Axt und Säge, die mit einem Male wieder seinen Blicken entschwanden. Auf dem Heimwege aber vernahm er solch lauten Lärm im Walde, als ob hundert Holzhauer an der Arbeit wären.
Ehe die erste Morgenröte sich am Himmel zeigte, stand Ruthelm schon am Fuße des Kädrig und sah eine mächtig große Leiter, die am Felsen lehnte. Ohne Zögern begann er emporzusteigen. Als er aber nach einer Weile in den Abgrund schaute, da zitterten ihm die Knie vor Entsetzen. Doch er biß die Zähne zusammen und straffte die Muskeln, bis er endlich über die oberste Leitersprosse hinweg auf ebenen Boden gelangte und halb ohnmächtig vor übermäßiger Anstrengung zusammenbrach. Nach einigen Augenblicken der Ruhe schaute er um sich und sah ganz nahe eine Hütte. Dorthin lenkte er den Schritt. Wer beschreibt seine Freude, als er vor der Hütte auf einem Mooslager ein liebliches Mägdelein in tiefem Schlafe fand. Er erkannte in der Schlummernden die kleine Gefährtin seiner Kindertage kaum wieder, war sie doch zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen. Leise ließ er sich neben ihr auf die Knie nieder und ergriff ihre Hand. Da öffnete sie die Augen und erkannte in freudigem Erschrecken den Jugendfreund. Ruthelm erzählte der Überglücklichen, daß er gekommen sei, um sie zu befreien und heimzuführen. Lange saßen die beiden zusammen in seliger Freude, bis sie endlich die Männlein gewahrten, die um sie herstanden. Der Anführer der Schar sprach zu Ruthelm: »Du hast nun die Braut gewonnen. Aber ehe du sie nach der Burg Lorch führen darfst, mußt du noch die Leiter hinabsteigen. Gerlind wirst du unten finden. Wenn du dann nach Lorch kommst, dann sage dem Alten, daß er für seine Ungastlichkeit nun genug gebüßt habe.«
Beim Abstieg hüllten freundliche Rheinnebel Ruthelm ein, so daß er den grausigen Abgrund zu seinen Füßen nicht sah. Sobald sein Fuß den Boden betrat, kam Gerlind an der Hand des Zwergenweibleins auf ihn zu. Beim Abschied drückte ihnen die Alte als Hochzeitsgeschenk ein Kästchen mit edlem Gestein in die Hand.
Der hochbeglückte Burgherr von Lorch fand nach der Wiedervereinigung mit seinem Kinde bald Gesundheit und Lebensmut wieder. Er richtete ein Hochzeitsfest, zu dem jedermann willkommen war. Wenn aber in Zukunft auf Burg Lorch ein Kindlein in der Wiege lag, dann erschien jedesmal bei Gerlind und Ruthelm die Alte mit kostbaren Geschenken und erfreute sich am Anblick des jungen Lebens.
Der Binger Mäuseturm
Zu Bingen ragt mitten aus dem Rhein ein hoher Turm, von dem nachstehende Sage umgeht. Im Jahr 974 ward große Teuerung in Deutschland, daß die Menschen aus Not Katzen und Hunde aßen und doch viel Leute Hungers sturben. Da war ein Bischof zu Mainz, der hieß Hatto der andere, ein Geizhals, dachte nur daran, seinen Schatz zu mehren und sah zu, wie die armen Leute auf der Gasse niederfielen und bei Haufen zu den Brotbänken liefen und das Brot nahmen mit Gewalt. Aber kein Erbarmen kam in den Bischof, sondern er sprach: »Lasset alle Arme und Dürftige sammlen in einer Scheune vor der Stadt, ich will sie speisen.« Und wie sie in die Scheune gegangen waren, schloß er die Türe zu, steckte mit Feuer an und verbrannte die Scheune samt den armen Leuten. Als nun die Menschen unter den Flammen wimmerten und jammerten, rief Bischof Hatto: »Hört, hört, wie die Mäuse pfeifen! « Allein Gott der Herr plagte ihn bald, daß die Mäuse Tag und Nacht über ihn liefen und an ihm fraßen, und vermochte sich mit aller seiner Gewalt nicht wider sie behalten und bewahren. Da wußte er endlich keinen andern Rat, als er ließ einen Turm bei Bingen mitten in den Rhein bauen, der noch heutiges Tags zu sehen ist, und meinte sich darin zu fristen, aber die Mäuse schwummen durch den Strom heran, erklommen den Turm und fraßen den Bischof lebendig auf.
Auf dem Drachenfels
In alten Zeiten, als an den Ufern des Rheins noch Heiden wohnten, hauste im Siebengebirge ein furchtbarer Drache, dem man tagtäglich Menschenopfer darbrachte. Meist waren es arme Kriegsgefangene, die ihm vorgeworfen wurden. Unweit der Höhle band man sie fest an einen Baum, unter dem ein Altar aufgemauert war. Zur Zeit der Abenddämmerung kam das Ungeheuer hervor und verschlang gierig die Opfer.
Einst brachten die Bewohner des Landes von einem Kriegszuge eine christliche Jungfrau von großer Schönheit als Gefangene mit. Da sich die Anführer über den Besitz der Beute nicht einigen konnten, wurde die Unglückliche als Opfer für den Drachen bestimmt. Auf dem Altarsteine wurde sie, in weißem Gewande, wie eine Braut geschmückt, festgebunden. Ruhig stand sie da, ergeben in Gottes Willen. Aus der Ferne blickte das Volk wie gebannt nach der furchtbaren Stätte.
Als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf den Eingang der Höhle fielen, kam mit glühendem Atem der Drache hervor und kroch nach dem Altare, um sein Opfer zu verschlingen. Doch auch da verzagte die edle Jungfrau nicht. Zuversichtlich hielt sie ihr Kreuzlein empor. Vor diesem Zeichen wich das Untier zurück; brüllend und schnaubend stürzte es sich den Felsen hinab in den Rhein.
Voll Staunen und Freude eilte das Volk herbei, um die Jungfrau zu befreien. Es bewunderte gar sehr die Macht des Christengottes und ließ die Gerettete frei in die Heimat zurückziehen.
Die Felsenkirche
Auf steilem Felsen über dem Nahestädtchen Oberstein stand in alten Zeiten ein stolzes Grafenschloß. Dort lebten einmal zwei Brüder, Emich und Wyrich, die waren einander in treuer Liebe zugetan. Bei einem Turnier, auf dem sie Seite an Seite kämpften und sich hohen Ruhm erwarben, lernten sie ein junges Edelfräulein von der Burg Lichtenberg kennen. Das Schicksal fügte es, daß beide die Schöne liebgewannen. Mit der Liebe zog aber auch die Eifersucht in ihre Herzen ein, und es dauerte nicht lange, da schauten sie sich nicht mehr mit freundlichen Augen an. Als der Zufall sie einmal im Erkerzimmer der Burg zusammenführte, da flammte der Haß zwischen ihnen wild auf. Wyrich packte den Bruder und schleuderte ihn hinab in den schauerlichen Abgrund. Mit zerschmetterten Gliedern blieb Emich am Fuße des Burgfelsens tot liegen.
Die furchtbare Tat lastete schwer auf dem Mörder, und das vergossene Bruderblut ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Wie Kain irrte er unstet und flüchtig umher. Auch eine Fahrt ins heilige Land brachte seiner Seele den Frieden nicht. Da traf er einmal einen Einsiedler, dem er seine bittere Herzensnot klagte. Der kluge Greis gab ihm den Rat: »Achte auf deinen nächsten Traum. Was Gott dir in seiner Weisheit und Güte eingeben wird, das tue!«
Bald nachher sah der Ritter im Schlafe sich selbst, wie er mit Meißel und Hammer eine Grotte in einen Felsen schlug und in die tiefe Höhlung eine Kirche baute. Als er erwachte, erinnerte er sich an den Rat des Klausners und machte sich sofort ans Werk. Mit unermüdlichem Fleiß führte er am steilen Hange über der rauschenden Nahe Schlag auf Schlag gegen den harten Felsen. Oft wollten ihm die müden Hände beinahe den Dienst versagen, doch nach einem kurzen Gebet griff er immer wieder mit neuem Mute nach Brecheisen und Schlägel. An einem heißen Sommertag sehnte er sich bei der harten Arbeit nach einem Trunke frischen Wassers. Siehe, da sprudelte aus einem Felsspalt eine klare Quelle hervor. »Herr, du bist gütig und allmächtig«, sprach der Ritter voll Zuversicht, als er das wunderbare Zeichen sah, »du kannst mir auch Verzeihung meiner schweren Sünde gewähren.« Mit allen Kräften arbeitete er nun weiter, und noch vor Ablauf eines Jahres war die Kirche vollendet.
Als am Morgen des Einweihungstages der Priester, der das erste heilige Opfer in der neuen Kirche darbringen sollte, zum Altare schritt, da fand er den Ritter tot an den Stufen des Heiligtums. Sanfter Friede verklärte das bleiche Antlitz.
Der Ring im See bei Aachen
Petrarcha, auf seiner Reise durch Deutschland, hörte von den Priestern zu Aachen eine Geschichte erzählen, die sie für wahrhaft ausgaben, und die sich von Mund zu Munde fortgepflanzt haben sollte. Vor Zeiten verliebte sich Karl der Große in eine gemeine Frau so heftig, daß er alle seine Taten vergaß, seine Geschäfte liegen ließ, und selbst seinen eigenen Leib darüber vernachlässigte. Sein ganzer Hof war verlegen und mißmutig über diese Leidenschaft, die gar nicht nachließ; endlich verfiel die geliebte Frau in eine Krankheit und starb. Vergeblich hoffte man aber, daß der Kaiser nunmehr seine Liebe aufgeben würde: sondern er saß bei dem Leichnam, küßte und umarmte ihn, und redete zu ihm, als ob er noch lebendig wäre. Die Tote hub an zu riechen und in Fäulnis überzugehen; nichtsdestoweniger ließ der Kaiser nicht von ihr ab. Da ahnte Turpin der Erzbischof, es müsse darunter eine Zauberei walten; daher, als Karl eines Tages das Zimmer verlassen hatte, befühlte er den Leib der toten Frau allerseits, ob er nichts entdecken könnte; endlich fand er im Munde unter der Zunge einen Ring, den nahm er weg. Als nun der Kaiser in das Zimmer wiederkehrte, tat er erstaunt, wie ein Aufwachender aus tiefem Schlafe, und fragte »Wer hat diesen stinkenden Leichnam hereingetragen?« und befahl zur Stunde, daß man ihn bestatten solle. Dies geschah, allein nunmehr wandte sich die Zuneigung des Kaisers auf den Erzbischof, dem er allenthalben folgte, wohin er ging. Als der weise, fromme Mann dieses merkte und die Kraft des Ringes erkannte, fürchtete er, daß er einmal in unrechte Hände fiele, nahm und warf ihn in einen See, nah bei der Stadt. Seit der Zeit, sagt man, gewann der Kaiser den Ort so lieb: daß er nicht mehr aus der Stadt Aachen weichen wollte, ein kaiserliches Schloß und einen Münster da bauen ließ, und in jenem seine übrige Lebenszeit zubrachte; in diesem aber nach seinem Tode begraben sein wollte. Auch verordnete er, daß alle seine Nachfolger in dieser Stadt sich zuerst sollten salben und weihen lassen.
Die Rosen von Altenberg
Im Hochaltar des Domes zu Altenberg befanden sich früher im gemalten Holzschnitzwerk zwei Rosen, eine weiße und eine rote, mit denen hat es folgende Bewandtnis.
Ein Bruder des Klosters lag einst schwer leidend darnieder, und mit ihm flehten alle übrigen Brüder, daß ihn der Himmel durch den Tod von seinem Schmerzenslager bald erlösen möge. Da sproßte im Mönchschor, wo der kranke Bruder gewöhnlich zu sitzen und zu beten pflegte, eine weiße Rose hervor. Drei Stunden darnach starb der Kranke. Seitdem wiederholte sich das Zeichen. Stets fand derjenige, welchem der Tod bevorstand, drei Stunden vor einem Ende eine weiße Rose auf seinem Platze. Dies währte so lange, bis einst ein junger, lebenslustiger Mönch, der dieses Todeszeichen auf seinem Stuhle fand, es seinem Nachbar hinschob. Da ward die weiße Rose plötzlich rot, wie von Blut übergossen, und beide Mönche starben darauf.
Seit dieser Zeit erschien das Zeichen nicht mehr.
Der Zauberring
In der Nähe des Klosters von Grevenmacher an der Mosel wohnte einst ein Mann, der einen Zauberring besaß. Sein Nachbar, ein reicher Bauer, hatte sich mit den Klosterherren entzweit. Um den Abt einmal ungestraft gründlich ärgern zu können, erbat der Streitsüchtige sich für einen Tag den Zauberring. Nur mit großem Widerstreben ging der Besitzer des Ringes darauf ein, mußte er doch während der ganzen Zeit, in der er das seltsame Schmuckstück nicht am Finger hatte, ständig in tiefem Schlafe liegen. Nur durch große Versprechungen ließ er sich schließlich bewegen, den Wunsch des Zudringlichen zu erfüllen.
Als dann der Bauer den schmalen Eisenreifen über den Finger streifte, ward er sogleich in eine Katze verwandelt. Kaum war es dunkel geworden, da kletterte er an dem Weinstocke des Klostergebäudes bis zu der Fensterbank vor des Prälaten Studierzimmer, öffnete den Fensterriegel, indem er die Pfote durch eine zerbrochene Scheibe hineinsteckte, warf voll Schadenfreude Bücher und Schriftwerk vom Schreibtisch auf den Boden und goß das bis an den Rand gefüllte Tintenfaß darüber aus.
Zweimal wiederholte er den Schabernack, der den Abt weidlich in Harnisch brachte. Beim vierten Male aber ging es ihm übel. Der gewitzte Prälat stand hinter dem Fenstervorhang auf der Lauer. Wie nun die Pfote durch die Scheibe hineinlangte, hieb er sie blitzschnell mit einem großen Messer ab und verbrannte sie im Kamin.
Seit diesem Tage schleicht die Katze noch immer umher und sucht die verlorene Pfote, um den Zauber lösen zu können; in dem Häuschen neben dem Kloster aber schlief bis zu seinem Tode jener törichte Mann, der seinen Zauberring verliehen hatte.
Der Mäuseturm
Wo aus dem Rheinstrom unterhalb von Bingen weiße Klippen gefahrdrohend emporragen und nur einen schmalen Raum – das sogenannte Binger Loch – für die Durchfahrt freilassen, da erhebt sich in der Nähe der Ruine Ehrenfels und unweit des Rheinsteins inmitten der schäumenden Fluten ein finsteres, halbzertrümmertes Gemäuer. Es ist »Hattos Turm«. Von Eulen und Fledermäusen umflattert, erscheint er dem Beschauer wie das Haus eines Bösen, wie das Denkmal eines ungeheuren Frevels. »Mäuseturm« nennt die Sage jenes Gemäuer, von dem der Schiffer mit Grauen das Gesicht abwendet.
Einst lebte zu Mainz ein Erzbischof namens Hatto, dessen Herz rauh und hart war und unempfänglich gegen die Not der Bedrängten. Um diese Zeit brach am Rhein und rings in der Gegend eine große Hungersnot aus, so daß viele Menschen umkamen. Der Bischof jedoch, dessen Speicher mit Korn gefüllt waren, öffnete diese dem Wucher, aber nicht den Armen seines weiten Sprengels.
Als nun die Not seiner Untertanen größer und größer wurde, fielen sie in Scharen zusammen und flehten den gefühllosen Mann um Erbarmen und Nahrung an, und als dies umsonst war, murrten sie und fluchten in ohnmächtiger Wut dem Tyrannen. Und ob sein Herz sich nicht vor Mitleid regte, wurde es doch rege vor Zorn. Er ergrimmte und schickte seine Schergen aus, um die Murrenden zu fangen, sperrte sie in eine große Scheune ein und ließ Feuer daranlegen. Als die Unglücklichen von den Flammen ergriffen wurden und ihr Todesgeschrei bis in den Bischofspalast drang, bis herauf an die Ohren des Unmenschen und aller derjenigen, die mit ihm an der üppigen Tafel saßen, da rief er in teuflischem Hohn: »Hört ihr die Kornmäuslein unten pfeifen?«
Aber still wurde es unten, und die Sonne verhüllte ihr Antlitz. Im Saal wurde es dunkel, und die angezündeten Kerzen vermochten nicht, die Dämmerung zu durchbrechen, die den finsteren Mann von nun an umlagerte. Und siehe! Im Saal begann es sich zu regen, und aus allen Winkeln, aus den Ritzen des Fußbodens, zu den Fenstern herein und von der Decke herab krochen und liefen Scharen nagender Mäuse und erfüllten alsbald alle Gemächer des Palastes. Ohne Scheu sprangen sie auf die Tische und benagten die Speisen vor den Augen der erstaunten Versammlung. Immer neue kamen hinzu, und nicht die Brosamen auf der Tafel blieben verschont und nicht der Bissen, der zum Munde geführt wurde.
Da ergriffen Furcht und Entsetzen alle, die das sahen, und seine Freunde, seine Knechte und Mägde flohen die Nähe des Geächteten.
Der Bischof aber wollte entrinnen, bestieg ein Schiff und fuhr den Rhein hinab bis zu jenem Turm, der von den Wellen des Stroms umspült wird. Dort wähnte er sich vor seinen unersättlichen Peinigern sicher. Doch Tausende von Mäusen krochen wiederum mit Gepfeife aus alIen Wänden hervor. Vergebens erstieg er bebend vor Angst, stumm vor Entsetzen die höchste Warte. Auch dahin folgten sie ihm, und heißhungrig fielen sie den unmenschlichen Spötter an. Bald war nichts nichts von ihm übrig.
So lautet die Sage von jenem einsamen Turm mitten im Rhein.
Die glühenden Kohlen
In der Nähe eines Franziskanerklosters vor den Toren von Adenau wohnte einmal ein armer Bauersmann, dessen Weib in jungen Jahren gestorben war. Gern hätte der Witwer die Magd, die ihm das Hauswesen führte, und die er wegen ihre Tugendhaftigkeit und Schönheit von Herzen lieb gewonnen hatte, zum Weibe genommen. Doch er brachte es nicht über sich, das junge Blut zum Genossen seiner Dürftigkeit und Not zu machen.
Es war an einem frühen Morgen in der Adventszeit. Der Bauer hatte mit seiner Magd die Roratemesse in der nahen Klosterkirche besucht. Nach der Heimkehr machte er sich im Stalle zu schaffen, während die Magd in die Küche ging, um das Essen zu bereiten. Zu ihrem größten Erstaunen war die Glut auf der Herdstätte erloschen. Sie eilte sogleich mit der Kohlenpfanne nach der Klosterküche, um neue Glut zu holen. Doch siehe, am Wegrande vor der Klostermauer loderte ein helles Feuer empor. Schnell füllte sie die Pfanne mit glühenden Kohlen und lief nach Hause. Als sie wieder am Herde stand, waren die eben noch brennenden Holzkohlen kalt und schwarz geworden. Auch beim zweiten und dritten Versuch, mit frischer Glut vom Feuer am Wege die Herdflamme wieder zu entfachen, hatte sie keinen Erfolg.
Unterdessen kam der Hausherr, und die Magd erzählte ihm ihr sonderbares Erlebnis. Prüfend schauten beide nach dem Herde. Da sahen sie anstatt der schwarzen Kohlen einen Haufen puren Goldes. Der arme Bauer war nun ein wohlhabender Mann. Dankbaren Herzens machte er dem Kloster ein reiches Geschenk und vermählte sich mit der treuen Magd.
Die krummbeinigen von Solingen
An der Wupper, in der Nähe von Solingen, lag ein Schleifkotten, welcher von einer armen Schleiferfamilie bewohnt war. Wenn diese Familie einen Feiertag beging, wurde Reisbrei gekocht.
Allmählich wuchs die Familie immer mehr an, und der alte Topf wurde bald zu klein. Einen neuen, größeren Topf konnte der Schleifer nicht kaufen. Dazu reichten seine Mittel nicht.
Nun wohnten in dem gegenüberliegenden Berge die Heinzelmännchen, welche viele Töpfe, große und kleine, besaßen. Dort lieh nun unsere Schleiferfamilie jedesmal einen großen Topf, wenn wieder Reis für die Familie gekocht werden sollte. Einen Rest der Speisen ließ man den Heinzelmännchen jedesmal aus Dankbarkeit im Topf zurück. So bestand lange ein freundnachbarlicher Verkehr zwischen den Schleifersleuten und den Heinzelmännchen.
Die Kunde davon verbreitete sich auch in Solingen, und einige der dortigen Schleifer beschlossen, auch einmal einen Topf von den liebenswürdigen Heinzelmännchen zu leihen. Gesagt, getan. Als sie aber den Topf zurückbrachten, ließen sie keinen Rest der Speisen zurück, sondern verunreinigten den Topf mit menschlichem Unrat. Das erbitterte die Heinzelmännchen derart, daß sie die Solinger Einwohner verfluchten und ihnen für alle Zukunft krumme Beine wünschten.
Der Fluch ging in Erfüllung. Und seit jener Zeit sind die Solinger krummbeinig.
Die Kanzel-Ley bei Nideggen
In einer Felsenhöhle bei Schloß Nideggen brachte in alter Zeit ein Eremit seine Tage mit Gebet und Bußübungen zu. Jeden Sonntag hielt er dem von nah und fern herbeiströmenden Volke eine erbauliche Predigt über Gottes Wort. Als Predigtstuhl diente ihm ein Felsblock, die Kanzel-Ley; rings im Kreise standen die andächtig lauschenden Zuhörer.
Da geschah es einmal, daß der Prediger eine halbe Stunde später zum gewohnten Dienste kam. Zu seinem größten Erstaunen sah der Herbeieilende auf seiner Felsenkanzel inmitten des zahlreich versammelten Volks einen Kuttenträger, der in Gestalt und Gesichtszügen sein leibhaftiges Ebenbild war. Auch glaubte er seine eigene Stimme zu vernehmen.
»Das kann nur der Teufel sein! « dachte der Klausner und hob sein Kreuz hoch empor vor des Predigers Gesicht. Der sprang mit einem gewaltigen Satze vom Predigtstuhl und entfernte sich eilenden Laufes mit flatternder Kutte, indem er den einen Fuß etwas nachzog. Bei Kühlenbusch kam er an eine breite Schlucht. Er schätzte in seiner Hast die Entfernung bis zum jenseitigen Rande zu kurz und sprang, statt oben auf den Rasen, unten auf ein Felsstück, wobei sich sein Pferdehuf tief in das Gestein drückte. Noch heute ist jene Stelle, »Düvelstrett«, zu sehen.
Das Schwanschiff am Rhein
Im Jahr 711 lebte Dieterichs, des Herzogen zu Kleve, einzige Tochter Beatrix, ihr Vater war gestorben, und sie war Frau über Kleve und viel Lande mehr. Zu einer Zeit saß diese Jungfrau auf der Burg von Nimwegen, es war schön, klar Wetter, sie schaute in den Rhein, und sah da ein wunderlich Ding. Ein weißer Schwan trieb den Fluß abwärts, und am Halse hatte er eine goldne Kette. An der Kette hing ein Schiffchen, das er fortzog, darin ein schöner Mann saß. Er hatte ein goldnes Schwert in der Hand, ein Jagdhorn um sich hängen, und einen köstlichen Ring am Finger. Dieser Jüngling trat aus dem Schifflein ans Land, und hatte viel Worte mit der Jungfrau, und sagte: daß er ihr Land schirmen sollte, und ihre Feinde vertreiben. Dieser Jüngling behagte ihr so wohl, daß se ihn liebgewann und zum Manne nahm. Aber er sprach zu ihr: »Fraget mich nie nach meinem Geschlecht und Herkommen; denn wo ihr danach fraget, werdet ihr mein los und ledig, und mich nimmer sehen.« Und er sagte ihr, daß er Hellas hieße; er war groß vom Leibe, gleich einem Riesen. Sie hatten nun mehrere Kinder mit einander. Nach einer Zeit aber, so lag dieser Helias bei Nacht neben seiner Frau im Bette, und die Gräfin fragte unachtsam, und sprach: »Herr, solltet ihr euren Kindern nicht sagen wollen, wo ihr herstammet?« Über das Wort verließ er die Frau, sprang in das Schwanenschiff hinein, und fuhr fort, wurde auch nicht wieder gesehen. Die Frau grämte sich, und starb aus Reue noch das nämliche Jahr. Den Kindern aber soll er die drei Stücke, Schwert, Horn und Ring zurück gelassen haben. Seine Nachkommen sind noch vorhanden, und im Schloß zu Kleve stehet ein hoher Turm, auf dessen Gipfel ein Schwan sich drehet; genannt der Schwanthurm, zum Andenken der Begebenheit.
Das Eberhardsfäßchen
Der fromme Einsiedler Eberhard errichtete an der Stelle, wo heute der weitbekannte Wallfahrtsort Klausen liegt, zur Ehre der Gottesmutter eine schlichte Kapelle. Rasch ging der Bau vonstatten; denn von allen Seiten eilten die Landleute herbei und halfen an dem gottseligen Werke. Es war mitten in der Sommerzeit, und Eberhard hatte von der Mosel ein Fäßlein guten Weines besorgt, um die Arbeiter von Zeit zu Zeit mit einem kühlen Trunk zu erquicken. Als aber an einem Tage die Sonne besonders heiß vom Himmel brannte, ging der Wein zur Neige. Der vorsorgliche Bauherr hatte zwar zeitig nach einem zweiten Fäßchen gesandt, doch es war noch nicht angekommen. Da fingen die Bauleute an zu murren und drohten fortzugehen. In dieser Not wendete sich der Einsiedler an die himmlische Mutter. Er betete: »Liebe Mutter, ich habe das Meinige getan, die Reihe ist jetzt an dir; hilf mir in meiner großen Not.« Und siehe, sein Gebet wurde erhört; das eben noch leere Fäßchen war wieder bis zum Spundloch voll des besten Weines.
Die Nachricht von diesem großen Wunder verbreitete sich rasch in der ganzen Gegend. Noch heute ist es im Mosellande Sitte, sich bei Hitze und Durst ein Eberhardsfäßchen zu wünschen.
Der Bernkasteler Doktor
Auf seiner schönen Burg Landshut lag Erzbischof Boemund schwer krank danieder; vergebens hatten die Ärzte ihre Kunst an ihm versucht, unrettbar schien er dem Tode verfallen.
Da versprach der Kirchenfürst hohen Lohn dem, der ihm noch helfen könne. Ein schlichter Bürger aus Bernkastel hörte das. Gar feinen Wein hatte er im Keller; er nahm ein Fäßlein vom Allerbesten und trug es keuchend hinauf zur kurfürstlichen Burg. Erst wollte man ihm hier den Eintritt verwehren, doch als er dringlich vorgab, er sei der rechte Doktor, der den Kurfürsten ganz gewiß wieder gesund machen könne, ward er eingelassen. Vor dem Krankenbette schlug er den Kran ins Fäßlein, füllte einen Becher mit perlendem Wein und reichte ihn dem Kurfürsten mit den Worten: »Wer von diesem Wein trinkt, der muß gesund werden. Das ist der rechte Doktor! «
Erst nippte der Kranke, dann schlürfte er, dann tat er einen langen Zug. Als der Becher geleert war, sprach er: »Reich mir noch mehr von dieser guten Arznei! Ich fühle, wie sie mir wohlig durch die Adern rinnt.« Nun trank er weiter von dem köstlichen Lebenselixier, und schon nach kurzer Zeit konnte er völlig genesen vom langen Krankenlager aufstehen.
Noch heute rühmt man jenen Wein als den »Bernkasteler Doktor«.
Karls Rückkehr aus Ungarn
Als König Karl nach Ungarn und der Walachei fahren wollte, die Heiden zu bekehren, gelobte er seiner Frau, in zehn Jahren heimzukehren. Käme er in dieser Zeit nicht, so sollte sie seinen Tod für gewiß halten. Würde er ihr aber durch einen Boten sein golden Fingerlein zusenden, dann möge sie auf alles vertrauen, was er ihr durch denselben entbieten lasse. Nun geschah es, daß der König schon über neun Jahre ausgewesen war, da begann der Unfriede in den Ländern am Rhein; Raub und Brandschatzungen wollten nicht aufhören. Die Herren gingen zur Königin und baten, daß sie sich einen andern Gemahl auswähle, der das Reich beschützen könne. Die Königin aber wollte ihrem Gemahl nicht untreu werden und nichts tun, eh‘ er das Wahrzeichen gesandt hätte. Doch die Herren drängten so lange, bis sie endlich nachgab. Gott der Herr aber sandte einen Engel an König Karl nach Ungarland, der es ihm kundtat. Wie der König aber verzagte, daß er in drei Tagen sollte heimkehren können, sprach der Engel: »Weißt du nicht, Gott kann tun, was er will? Geh zu deinem Schreiber, der hat ein gutes starkes Pferd, das du ihm abgewinnen mußt; das soll dich in einem Tag tragen über Moos und Heide bis in die Stadt zu Raab, das sei dein erster Tagesritt. Den andern Morgen sollst du früh ausreiten die Donau hinauf bis gen Passau; das sei der nächste Tagesritt. Zu Passau sollst du dein Pferd lassen; der Wirt, bei dem du einkehrst, hat ein schön Füllen; das kauf ihm ab, es wird dich den dritten Tag bis in dein Land tragen.«
Der Kaiser tat, wie ihm geboten war und ritt in einem Tag von der Bulgarei bis nach Raab, und den zweiten kam er nach Passau. Der Wirt, bei dem er abends, als das Vieh einging, das Füllen sah und es kaufen wollte, gab es ihm aber erst nicht, weil es noch zu jung sei und er zu schwer dafür. Erst als der Gast ihn zum drittenmal darum anging, ließ er es ihm gegen dessen Pferd.
Also machte sich der König des dritten Tages auf und ritt schnell und unaufhaltsam bis gen Aachen vor das Burgtor; da kehrte er bei einem Wirt ein. Überall in der ganzen Stadt hörte er einen fröhlichen Lärm, der kam vom Singen und Tanzen. Da fragte er, was das wäre. Der Wirt sprach: »Eine große Hochzeit soll heute gefeiert werden, denn unsere Frau wird einem reichen König anvermählt; da wird große Kost gemacht, und jungen und Alten, Armen und Reichen Brot und Wein gereicht, und Futter wird vor die Pferde geschüttet.« Der König sprach: »Hier will ich mein Gemach haben und mich nicht um die Speise bekümmern, die sie in der Stadt austeilen; kauft mir für mein Guldenpfennig, was ich bedarf, schafft mir viel und genug.« Als der Wirt das Gold sah, sagte er bei sich selbst: »Das ist ein Edelmann, wie ich noch keinen erblickte!« Nachdem die Speise köstlich und reichlich zugerichtet und Karl zu Tisch gesessen war, forderte er einen Wächter vom Wirt, der sein des Nachts über pflege, und legte sich zu Bette. In dem Bette aber liegend, rief er den Wächter, und mahnte ihn: »Wann man den Singos im Dom läuten wird, sollst du mich wecken, daß ich das Läuten höre; dies gülden Fingerlein will ich dir zum Lohn geben.« Als nun der Wächter die Glocke vernahm, trat er ans Bett vor den schlafenden König: »Wohlan, Herr, gebt mir meinen Lohn, eben läuten sie den Singos im Dom.« Schnell stand dieser auf, legte ein reiches Gewand an und bat den Wirt, ihn zu begleiten. Dann nahm er ihn bei der Hand, und ging mit ihm vor das Burgtor, es lagen starke Riegel davor. »Herr«, sprach der Wirt, »ihr müßt unten durchschlüpfen, aber dann wird euer Gewand kotig werden.« – »Daraus mach ich mir wenig, und würde es ganz zerrissen.« So krochen sie unterm Tor hindurch; der König voll weisen Sinnes hieß den Wirt um den Dom gehen, während er selber in den Dom ging. Nun galt in Franken das Recht, »wer auf dem Stuhl im Dom sitzt, der muß König sein«. Das erschien ihm gut, er setzte sich auf den Stuhl, zog sein Schwert und legte es nackt über seine Knie. Da trat der Mesner in den Dom und wollte die Bücher bereitlegen; als er aber den König sitzen sah mit blankem Schwert und stillschweigend, begann er zu zagen, und verkündete eilends dem Priester: »Als ich zum Altar ging, sah ich einen greisen Mann mit bloßem Schwert über die Knie auf dem gesegneten Stuhl sitzen.« Die Domherren wollten dem Mesner nicht glauben; einer von ihnen ergriff ein Licht und ging unverzagt zu dem Stuhle. Als er die Wahrheit sah, wie der greise Mann auf dem Stuhle saß, warf er das Licht aus der Hand, und floh erschrocken zum Bischof. Der Bischof ließ sich zwei Kerzen von Knechten tragen, die mußten ihm zum Dom leuchten; da sah er den Mann auf dem Stuhle sitzen und sprach furchtsam: »Ihr sollt mir sagen, was Mannes Ihr seid, geheuer oder ungeheuer, und wer Euch ein Leids getan, daß Ihr an dieser Stätte sitzt?« Da hob der König an: »Ich war Euch wohl bekannt, als ich König Karl hieß, an Gewalt war keiner über mir! « Mit diesen Worten trat er dem Bischof näher, daß er ihn recht ansehen könne. Da rief der Bischof: »Willkommen, liebster Herr! Eurer Kunft will ich froh sein«, umfing ihn mit seinen Armen und leitete ihn in sein reiches Haus. Da wurden alle Glocken geläutet, und die Hochzeitsgäste fragten, was der Schall bedeute. Als sie aber hörten, daß König Karl zurückgekehrt sei, stoben sie auseinander, und jeder suchte sein Heil in der Flucht. Doch der Bischof bat, daß ihnen der König Friede gäbe und der Königin wieder hold würde, es sei ohne ihre Schuld geschehen. Da gewährte Karl die Bitte, und gab der Königin seine Huld.
Vorahnungen
Bei Rabevormwald liegt eine Stelle, Bu (=Bau) genannt, weil dort vor Zeiten ein gar wunderliches Bauwerk stand. Dasselbe brannte im Jahre 1863 oder 1864 ab, wobei eine ganze Familie, und zwar Vater, Mutter und Sohn unter merkwürdigen Umständen verbrannten.
Zwei Monate vorher hatten Leute, welche von Rade kamen, an jenem Platze Feuer gesehen. Sie eilten herzu, um rettende Hand anzulegen; aber es stellte sich heraus, daß es gar nicht brannte.
Etwas später vernahm man an jener Stelle ein furchtbares Jammergeschrei. Als man aber näher kam, war wiederum alle Besorgnis grundlos.
Noch einige Tage darnach sah man in der benachbarten Lunenmühle eine Person herankommen, gehüllt in ein großes, weißes Tuch. Die Person kam näher und näher und zerrann plötzlich vor den Augen der entsetzten Bewohner der Mühle.
Bei jenem schon angedeuteten Brande trugen sich alle diese angedeuteten Einzelheiten zu. Wie das Gerede ging, hatten die Bewohner selbst das Haus angezündet; und trotzdem fanden drei Personen dabei ihren Tod. Der Vater hatte vergessen, sein Geld zu retten. Er stürzte mit seinem Sohne durch die Flammen in das Haus hinein. Da er aber den Sprung vom Söller nicht wagen wollte, wie jener, so eilte er hinab und fand auch glücklich wieder den Weg ins Freie. Aber in demselben Augenblick, als sein flüchtiger Fuß das brennende Haus verlassen wollte, stürzte ein Teil des brennenden Daches auf ihn herab, ihn unter Trümmern und Feuergarben begrabend. Aber nochmals raffte er sich auf, hüllte sich in ein großes, weißes Tuch, und schleppte sich, über und über mit Brandwunden bedeckt, zur Lunenmühle hin, wo er kurz darauf seinen Verletzungen erlag.
Auch die Mutter geriet, als sie sich zu eifrig an der Bergung von ihrem Hab und Gut beteiligte, in Brand. Ihr entsetzliches Jammergeschrei verhallte anfangs ungehört; als man endlich hinzueilte, glich sie einer brennenden Säule. Man wälzte sie zum nahen Bach hin, um die Flammen zu löschen. Dabei verbrannte der Sohn seine Augen. Die Mutter starb. Dem Sohn verheimlichte man bis zum Begräbnistage den Tod seiner Eltern. Als man aber die Totengesänge anstimmte, erkannte er den wahren Sachverhalt und brach in ein entsetzliches Klagegeschrei aus. Auch er fand bald darnach seinen Tod.
Dieser schreckliche Brand erfolgte am hellen Tage.
Der Pfeil
Gegen Ende des 9. Jahrhunderts lebte in der Nähe von Laon in Frankreich der reiche Ritter Nithard mit seiner edlen Gemahlin Erkanfrieda. Er diente Gott mit Gebet und guten Werken und war seinen Untertanen ein milder und gerechter Herr. Alles, was er unternahm, gelang ihm, und sein Glück wäre vollkommen gewesen, wenn Gott ihm einen Erben geschenkt hätte.
Als seine Tage sich dem Ende zuneigten, faßte er den Entschluß, seine Güter einem Kloster zu übertragen, damit sie zu guten und wohltätigen Zwecken verwandt würden. Um die richtige Wahl zu treffen, zog er seinen Beichtvater zu Rate. Der sprach zu ihm. »Nimm aus deinem Köcher einen Pfeil und schieß ihn ab. Die Lüfte werden ihn weitertragen über Berg und Tal. Dem Kloster, in dessen Bereich er niederfällt, schenke deinen Reichtum.«
Der Vorschlag gefiel dem Ritter, und er veranstaltete auf seiner Burg ein großes Fest, das sieben Tage dauerte. Am letzten Tage wollte er den Pfeil abschießen. Er versammelte seine Gäste um sich und stieg mit ihnen den Burgberg hinab ins Tal zu einem sagenumwobenen Felsen. Dort befestigte er die Schenkungsurkunde an einem Pfeil. Bevor er ihn in die Lüfte sandte, sprach der Burgkaplan zu der harrenden Menge: »Nithard übt ein edles Werk. Lasset uns zum Herrn beten, daß es recht gelingen möge! « Alle knieten nieder und beteten andächtig. Dann bestieg Nithard den Felsen und schoß den Pfeil ab hoch in die Wolken. Im gleichen Augenblick öffnete sich der Himmel, lieblicher Gesang ertönte, ein strahlender Engel stieg hernieder, fing den Pfeil auf und trug ihn durch die Lüfte davon.
Zur selben Stunde stand im fernen Eifelkloster Prüm Abt Ansbald am Altare und feierte das heilige Opfer. Auf einmal erfüllten süße Klänge das Gotteshaus. In hehrem Glanze schwebte ein Engel hernieder und überreichte dem Abt im Angesichte des staunenden Volkes Nithards Pfeil mit der Urkunde. Nachdem der Engel sich vor dem Allerheiligsten geneigt hatte, verschwand er wieder.
Lange wurde der wunderbare Pfeil als kostbares Kleinod im Prümer Kloster aufbewahrt.
Das blutende Marienbild
Im Jahre 1302 kam König Albrecht, des Kaisers Rudolf von Habsburg Sohn, an den Rhein und zog gen Bingen, um die Stadt zu erobern. Da entflohen die Nonnen aus dem ehrwürdigen Kloster Rupertsberg, wo vor Zeiten die heilige Seherin Hildegard Äbtissin gewesen war. Die Kriegsleute des Königs drangen in die verlassenen Zellen der Nonnen und in die Klosterkapelle ein und raubten, was ihnen des Mitnehmens wert schien.
Eine Mauernische im Chor der Kapelle barg ein altes Holzbild der hl. Jungfrau mit dem göttlichen Kind. Die Krone der Gottesmutter war mit vier Edelsteinen herrlich geschmückt; ein besonders kostbarer Diamant zierte die Halskette der hohen Frau. Angelockt durch den Glanz des Geschmeides, kam einer der Kriegsleute herbei und riß die Edelsteine aus der Krone. Auch nach dem fünften Steine streckte er die räuberischen Hände. Dabei stieß er mit dem Dolch in das fromme Bild. Und siehe, sogleich quoll rotes Blut aus dem harten Holze. Entsetzt sprang der Frevler zurück. Mit einem Fetzen vom Seidengewand des Gnadenbildes suchte er das Blut zu stillen. Doch vergebens! Da kam ein Priester, um das heilige Opfer darzubringen; ihm gelang es, mit dem geweihten Kelchtüchlein die Wunde zu schließen.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von diesem großen Mirakel. König Albrecht und seine Scharen sahen staunend und ehrfürchtig, was geschehen war; und es dauerte nicht lange, da kamen von nah und fern fromme Pilger, um vor dem blutenden Marienbild ihre Andacht zu verrichten.
Die Geister im Schloß Ehrenbreitstein
In der Philippsburg zu Ehrenbreitstein, der alten Residenz der Trierer Kurfürsten, war es niemals recht geheuer. Als der letzte der Kurfürsten, Clemens Wenzeslaus, seinen Wohnsitz nach dem neuen Koblenzer Schloß verlegte, da mag der Gedanke an die Geister von Philippsburg ihm den Entschluß dazu erleichtert haben.
Der Kurfürst Johann Hugo von Orsbeck, einer der Vorgänger des Clemens Wenzeslaus, hatte einmal in Ehrenbreitstein ein ganz seltsames Erlebnis. Am Dreikönigstage des Jahres 1701 wurde in der Schloßkirche das Fest des ewigen Gebetes gefeiert, das nach damaligem Brauch um 4 Uhr nachmittags seinen Anfang nahm. Wichtige Amtsgeschäfte brachten es mit sich, daß der Kurfürst erst gegen Mitternacht dazu kam, seine Betstunde zu halten. Er fand die Kirche hell erleuchtet, am Altare brannten die Kerzen. Endlich öffnete sich lautlos die Türe der Sakristei, und es kamen drei Priester hervor, die in den kostbarsten Gewändern zum Altare schritten. Über das Ungewöhnliche dieses Vorganges verwunderte sich der Kurfürst sehr; auch kam es ihm so vor, als habe er keinen der drei Herren je gesehen.
Nach einer kurzen Anbetung setzten sich die Priester stumm nieder. Der Kurfürst machte ihnen ein Zeichen, mit dem Dienste zu beginnen, doch er erhielt zur Antwort: »Wir warten noch auf einen Mitbruder!« Das alles kam ihm ganz absonderlich vor, und er ging in die Sakristei, um nachzusehen, wer doch jener sei, auf den die drei am Altare warteten. Da erblickte er eine Gestalt, die in Größe, Gewand und Gesichtszügen sein vollkommenes Ebenbild war. Durch eine Türe, zu der nur er den Schlüssel trug, ging die Gestalt in die Kirche. Er folgte ihr, fand aber die Türe fest verschlossen, und selbst mit seinem Schlüssel konnte er sie nicht öffnen.
Tiefer Schreck überfiel nun den Kurfürsten; er stieg auf die Empore über dem Chor, um von dort aus die Herren am Altare genauer zu betrachten. Endlich erkannte er in ihnen drei längst verstorbene Amtsbrüder, die bei seiner Bischofswelhe die heiligen Handlungen vorgenommen hatten. Auch unter den anwesenden Gläubigen erkannte er die Gesichter von alten Freunden und Bekannten, die lange im Grabe ruhten. Und als der feierliche Dienst beendet war, da kamen seine verstorbenen Eltern, umgeben von ihren Kindern, Hand in Hand durch das Kirchenschiff.
Mit einem Schlage war darauf alles in der Kirche verändert. Die Wände waren schwarz ausgeschlagen wie zu einer feierlichen Trauermesse. Herzbeklemmend erklang das dies irae. In einem offenen Sarge sah der Kurfürst sich selber liegen, angetan mit den Zeichen seiner bischöflichen Würde. Tiefes Grauen überfiel ihn; er fühlte sich umweht von den geheimnisvollen Schauern der Ewigkeit; ganz gebrochen schleppte er sich in sein Schlafgemach.
Zehn Jahre später am Dreikönigstage starb Johann Hugo. Er liegt begraben vor den Stufen des Altares, den er den drei Heiligen aus dem Morgenlande zu Ehren in der hohen Domkirche zu Trier hatte errichten lassen.
Der Teufelsweg
Der junge Ritter Siegfried von Sezin hielt eines Tages um die Hand der schönen Tochter des Burgherrn von Falkenstein an. In finsterem, hochmütigem Schweigen stand der Falkensteiner, dann sprach er: »Bei Rittern ist es Sitte, die Braut hoch zu Roß mit Wagen und Gefolge abzuholen. Wenn Ihr es fertig bringt, in einer einzigen Nacht einen Weg auf meine Burg zu schaffen, so daß Ihr der Braut Eure Aufwartung machen könnt, wie es ihrem Stande zukommt, dann will ich Euren Wunsch erfüllten.« Niedergeschlagen und ohne Hoffnung ging der Freier davon; war doch die Forderung des Falkensteiners nicht in einem ganzen Jahre, geschweige denn in einer Nacht zu erfüllen.
Als der junge Ritter den Felsenpfad von Falkenstein hinabschritt, trat aus dem Gebüsch der Zwergenkönig in grünem Gewande und redete ihn an: »Der Grund Eures Trübsinns ist mir bekannt. Ich kann Euch zur Erfüllung Eures Wunsches verhelfen, wenn Ihr auf meinen Vorschlag eingeht. Ihr habt ein Bergwerk in der Nähe der Behausung meines Volkes. Wenn Eure Leute dort weiter arbeiten, so werden sie uns bald vertreiben. Versprecht mir, die Arbeit einzustellen, dann wollen wir noch in dieser Nacht den Weg nach Falkenstein vollenden.«
Mit tausend Freuden sagte Siegfried zu, und in wenig Minuten wimmelte der ganze Wald von Männlein, die den Weg absteckten, Bäume fällten und Gestein und Erdreich bewegten. Und als vom Turm die erste Stunde nach Mitternacht schlug, war das Werk vollendet. Dunkel und still lag der Wald, der eben noch hell erleuchtet und vom Lärm der Arbeit erfüllt gewesen war.
Am frühen Morgen ertönte des Falkensteiner Turmwarts Horn; ein prächtiger Zug von Reitern und Wagen bewegte sich auf breitem Fahrweg den Burgberg herauf. Da löste der Burgherr sein Wort ein und nahm den Ritter, der solchen Teufelsweg fertiggebracht hatte, zum Schwiegersohne an.
Der Elbersfelder Martinsreiter
In der Martinsnacht (10. November) schreitet eine schreckliche Erscheinung in der Stadt Elberfeld von der Höhe hinunter zum Mirkerbache, dorten besteigt sie einen feuersprühenden gewaltigen Ochsen und reitet auf demselben über den Markt zur Wupper. Über dem Ritte soll der Spuk seinen Kopf gleich einem Hute abnehmen. Dieser Reiter soll ein sehr reicher Mann gewesen sein, welcher ehedem auf dem Kerstenplatze gewohnt und nach und nach die ganze Nachbarschaft erworben hätte. Zuletzt habe er eine Witwe um das ihre betrogen und deren letztes Stück Vieh sich angeeignet, wegen dieses Betruges wäre er verdammt, und müsse auf dem Stück Vieh den jährlichen Ritt unternehmen. Anfangs vollführte er diesen Ritt bis in sein Haus am Kerstenplatze. Da die Besitzer dieses Gutes aber diesen unheimlichen Gast nicht bei sich dulden wollten, ließen sie von Köln einen Geisterbeschwörer kommen, welcher den Spukgeist überlas, so daß er in das Tal der Mirke weichen, sich dort einen Schlupfwinkel suchen mußte. Mit jedem Jahre rückt er aber um einen Hahnenschritt näher, bis er endlich wieder in der alten Wohnung angelangt sein wird. Die Leute nennen den Spuk den glühenden Kornelius, oder Kornelius mit der glühenden Kuh.
Gunhild
Gunhild war einem vornehmen Adelsgeschlecht am Niederrhein entsprossen. Schon in zarter Jugend zeigte sie viel Neigung zu einem beschaulichen Leben. Als sie zur Jungfrau herangewachsen war, trat sie ins Kloster zu Gräfrath. Sie war eine der frömmsten Nonnen. Aber auch bei diesen pflegt sich der Versucher einzustellen. Er erschien Gunhild in der Person des Beichtvaters, eines jungen, strengen Klostergeistlichen.
Die Unschuld und Schönheit der jungen Nonne machten den Mönch seinem Gelübde ungetreu. Er wollte um jeden Preis die Liebe der Jungfrau erwerben und in ihren Besitz gelangen. Er hatte lange zu kämpfen und zu überreden, bis er sie zur Flucht bewegen konnte. Durch Freunde und Verwandte, aber auch durch unehrliche Mittel, hatte er sich einen vollen Säckel zur Reise zu verschaffen gewußt. Glücklich kam er mit seiner Geliebten in die Fremde, wo die beiden anfangs im seligen Liebesrausch wie ehelich Verbundene miteinander lebten. Aber bald schwanden die Mittel. des Mönches dahin und er suchte Betäubung im Genuß geistiger Getränke. In den Schenken lernte er verwegene, gesetzlose Menschen kennen und wurde ihnen zu vielen Niederträchtigkeiten verleitet. Die Vorstellungen, welche ihm Gunhilde machte, halfen nichts; er fiel immer tiefer und fand zuletzt an der Heerstraße, welche er als Räuber unsicher gemacht hatte, seinen Tod. Gunhilde verfiel nun der bittersten Armut. Aber noch mehr drückte sie das Bewußtsein ihrer Schuld, wodurch sie in diese traurige Lage gekommen war. Sie beschloß endlich, in das verlassene Kloster zurückzukehren und ihr Vergehen dort zu bekennen. Ehe sie aber ihr Ziel erreichte, mußte sie den Weg, welchen sie vorher in Freude und Wohlleben gemacht hatte, in Armut und Not wieder zurücklegen. In prächtigen Kleidern war sie geflohen – als abgezehrte Bettlerin kehrte sie ins Kloster zurück. Mit Auszeichnung wurde sie von der Pförtnerin aufgenommen. Verwirrt eilte sie zur Äbtissin und klagte sich der Flucht und der vielen anderen Vergehen an. Aber sie fand kein Gehör, sondern wurde als eine Kranke zu Bett gebracht. Jedesmal, wenn sie beichtete, beschwichtigte man sie wie eine Fieberkranke und sagte, daß sie nie ein Gesetz übertreten, nie das Kloster verlassen und stets in größtem Eifer allen ihren Pflichten genügt habe. Zuletzt begriff sie, daß sie in den sieben Jahren ihrer Abwesenheit auf Geheiß der heiligen Himmelskönigin durch einen Engel vertreten worden war, so daß niemand ihre Flucht ahnen konnte. Von nun an hielt sie ihren früheren unbescholtenen Lebenswandel wieder aufs strengste inne und befleißigte sich noch größerer Sittenstrenge und Frömmigkeit.
Der heilige Mauritius auf dem Speicher zu Georgsweiler
In Büchel wurde vor Zeiten eine neue Pfarrkirche errichtet. Als der Bau fertig war, trug man alle heiligen Geräte und Bilder aus der alten, baufälligen Vikariekirche (Kirche, der ein Vikar vorsteht) zu Georgsweiler in das neue Gotteshaus hinüber. Nur eine Reiterstatue des heiligen Mauritius, die aus Morschweiler stammte, vergaß man. Die Dorfkinder spielten damit und führten das hölzerne Pferd auf den Grasplatz bei der Kirche zur Weide. Eines Abends nahmen zwei Geschwister die Statue verstohlen mit heim. Als sie größer geworden waren und nicht mehr mit dem Pferd des Heiligen spielten, wurde die Statue in den Speicher gestellt und geriet allmählich in Vergessenheit. Da oben in der staubigen Dachkammer zwischen Spinnen und Mäusen mochte es dem Heiligen wenig gefallen. Durch eine Dachlucke konnte er auf die schöne neue Pfarrkirche hinübersehen, während er sich mit einem düsteren Kämmerlein begnügen mußte.
Eines Tages nun merkte der Bauer, daß sein Hafer, den er auch auf dem Speicher dem Heiligen gegenüber in einer Ecke aufgeschüttet hatte, bedenklich abnahm. Er dachte, es wären die Mäuse, und hielt sich Katzen. Doch das half nichts. Da meinte er, die Spatzen könnten den Hafer vielleicht gefressen haben, ließ sein Strohdach ausbessern und Drahtnetze vor die Lucken ziehen. Aber der Hafer nahm immer weiter ab.
Schließlich versteckte sich der Mann mit zwei Nachbarn auf dem Speicher im Stroh und wachte eine Nacht über, um endlich den Dieb zu erwischen. Da, als es zwölf Uhr schlug, bewegte sich der hölzerne Mauritius, gab seinem Schimmel die Sporen, und das Tier sprang von der Mauer herab, auf der es stand, nach der andern Ecke, mitten in den Hafer hinein, fraß sich dort tüchtig satt und schritt dann gemächlich in seine Ecke zurück. Roß und Reiter standen dann wieder unbeweglich dort wie zuvor.
Am andern Morgen ließ sich der Bauer vom Küster gleich die Kirche aufschließen und trug die Holzstatue auf seinen Armen hinein. So hatte Mauritius wieder einen Aufenthalt, wie er sich für einen Heiligen geziemt, und dem Bauern wurde kein Hafer mehr weggefressen.
Die versunkene Ritterburg
Bei Goch an der Niers stand in alten Zeiten eine Ritterburg. Der letzte Burgherr war sehr reich. Er ließ seinen Pferden goldene Hufeisen aufschlagen, die Reifen seiner Wagenräder waren aus Silber, und die Halsbänder seiner Hunde waren mit Edelsteinen besetzt. Der Ritter war aber ebenso hartherzig wie reich. Einst kam um die Zeit der Abenddämmerung ein greiser Pilger auf den Burghof und bat um Herberge. Aber niemand kümmerte sich um ihn, und niemand hielt die Hunde zurück, die ihn mit wütendem Gebell anfielen. Es gelang ihm kaum die Tiere mit seinem Stabe abzuwehren. Da ritt der Burgherr mit seinem Gefolge daher. Er befahl seinen Knappen, den Pilger vor das Burgtor zu werfen. Ehe der Befehl ausgeführt werden konnte, trat die Tochter des Ritters dazwischen. Sie nahm den Pilger bei der Hand und führte ihn hinaus. Draußen beschwor der Alte die Jungfrau, nicht mehr in die Burg zurückzukehren, da sie sonst den nächsten Tag nicht mehr erleben werde. Sie glaubte ihm nicht, gab ihm zum Abschied die Hand und ging in die Burg.
In der folgenden Nacht versank das stolze Gebäude mit allem, was darin war. Nur der Garten blieb erhalten. Wo er einst lag, wachsen noch jetzt Jahr für Jahr die schönsten Blumen weit und breit.
Der Elfenkönig
Bei Wiesdorf am Rhein, wo es früher in Sumpf und Bruch viele Erlen gab und allerlei dichtes Gestrüpp, war eine Gegend, die Wüstenei genannt. Man erzählt sich, daß dort der Erlen- oder Elfenkönig gewohnt habe, der in den nebeligen Nächten, wenn der Mond durch die Erlen schien, über die Felder und Weiden ging und auch manchmal in den frühen Morgenstunden noch sichtbar war.
Es war ein Mädchen, das hinausgegangen war, um Futter für die Kuh zu holen, ehe noch die Sonne aufging und als der Tau noch im Grase lag. Da aber die Bürde so schwer geworden war, daß sie sie selbst nicht auf ihren Kopf heben konnte, sah sie sich nach jemandem um, der ihr hätte helfen können. Da aber in so früher Stunde noch niemand auf dem Acker war, war sie gerade im Begriff, ihre Last zu erleichtern. In dem Augenblick aber, in dem sie sich niederbeugte, stand ein Mann neben ihr von sonderbarer Gestalt. War es eine Krone oder war es nur Licht, goldenes Licht, das sein Haupt umstrahlte? Milde schienen seine Augen, und freundlich war seine Stimme, mit der er sich anbot, ihr zu helfen. Und es war, als hätte er das Bündel Gras kaum berührt, als sei es mit seiner Hand leicht, wie von selbst auf ihren Kopf hinaufgeschwebt – und ebenso leicht war die Last, als sie heimging und der Mann (wie war sie erschrocken) so plötzlich, wie er gekommen, verschwunden war.
Und sonderbar: Ihre Backe brannte, als wäre sie dem Herdfeuer zu nahe gekommen, so heiß, als wenn noch die Flammen sie berührten. Sie entsann sich, daß, als der Mann das Bündel auf ihr Haupt gehoben, seine Hand ihre Backe gestreift hatte, und daß seitdem das Brennen an ihr war, daß sie noch nach Tagen an diese sonderbare Begegnung und den wunderbaren Morgen erinnert wurde. Und man erzählte ihr, daß es niemand anders hätte sein .können, als der Elfenkönig, der aus der Vorzeit Tagen dort in jenem einsamen Erlengrund noch immer seine Wohnung habe.
Der Fischerknabe am Laacher See
Am Ufer des Laacher Sees wohnte einmal ein Fischer, der hatte einen Sohn, den alles Geheimnisvolle unwiderstehlich lockte. Wenn an stillen Abenden der See im Mondenschein gespenstisch leuchtete, dann erzählte die Großmutter dem atemlos lauschenden Knaben von versunkenen Schlössern und verborgenen Schätzen, und der Wißbegierige nahm sich vor, einmal in der Mitternachtsstunde hinauszufahren, um die Wunder der Tiefe zu schauen.
In einer sternenhellen Nacht verließ er unbemerkt sein Lager und schlich ans Seeufer hinab. Mit kundiger Hand löste er einen Kahn vom Pflocke, schwang sich hinein und ruderte furchtlos der Mitte des Sees zu. Tiefe Stille herrschte ringsum, der Knabe vernahm nur das Plätschern der Bugwellen und vom Ufer her den Ruf des Käuzchens.
Plötzlich drangen sanfte Töne an sein Ohr, die allmählich anschwollen und immer lauter aufrauschten. Harfen und Flöten erklangen, dazwischen erscholl froher Becherklang und das kriegerische Klirren der Waffen. Beglückt und frohen Staunens voll beugte sich der Knabe weit über den Rand des Fahrzeuges. Da sah er tief unten ein herrliches Schloß mit festen Mauern und hohen Zinnen. An den hellerleuchteten Fenstern vorbei bewegten sich eilende Schatten wie von tanzenden Paaren. Nixen stiegen aus der Tiefe und lockten mit holdem Lächeln. Der Knabe wußte nicht, wie ihm geschah; er glitt vom Rande des Nachens in die grundlose Tiefe.
Am folgenden Morgen fand der Fischer ein Boot, kieloben auf den Fluten treibend; von dem Knaben ward nichts mehr gesehen.
Die Neunhollen in Georgsweiler
Die Neunhollen im Hochpochtner Wald sind in manchen Dingen den kleinen Holz- und Moosleuten ähnlich, von denen besonders in den mitteldeutschen Waldländern viel erzählt wird. Die Neunhollen blieben im Frühjahr und Sommer in ihrem Wald, ging es aber gegen den Winter, so kamen sie heraus und hüpften auf freiem Feld so lange umher, bis der Sturmwind sie aufnahm und über Berg und Tal zu ihrer Winterwohnung wehte, einem alten Bauernhaus in Georgsweiler. Dort huschten sie in die Küche und hockten sich um den Herd.
Freilich nur bei Nacht saßen sie dort und hüteten die Glut in der Asche. Bei Tag hielten sie sich in der dunklen, warmen Ecke über dem Backofen auf und schliefen; erst gegen Abend kamen sie hervor und betätigten sich nützlich wie gute Hausgeister. Als kräuterkundige Waldleute machten sie sich bisweilen mit dem alten Bauern einen besonderen Spaß, indem sie ihm heimlich ein paar Blättchen Maikräuter in die Pfeife stopften. »Kathrin, wo hast du denn den guten, Tabak gekauft?« pflegte der Alte dann wohl die Bäuerin zu fragen, ohne zu ahnen, woher dies feine Kraut komme.
Um Ostern herum machten sich dann die Neunhollen wieder auf die Reise. Sie befeuchteten zuerst den Zeigefinger mit Speichel und hielten ihn zum Schornstein hinaus, um zu fühlen, woher der Wind wehe. Wenn es dann der richtige war, setzten sie sich frei hin, atmeten tief ein, damit sie recht luftig würden, und im Nu hatte sie der Wind gefaßt und weggeführt.
So waren sie manchen Winter in dem Bauernhaus zu Gast gewesen; aber einmal, als sie wieder kamen, war die gute alte Bäuerin nicht mehr da, eine junge Frau führte den Haushalt und wollte von Neunhollen und dergleichen dummem Zeug nichts wissen. Da gaben ihr die Zwerge zunächst eine Lehre. Am Abend hatte die junge Bäuerin Brotteig angerührt für den andern Tag. Da buken die Männlein des Nachts vierzehn große, runde Brote und stellten sie zum Ausdunsten auf die Treppenstufen. Als nun die Frau am Morgen in der Dunkelheit die Treppe herunter wollte, stolperte sie und sauste über vierzehn Brotlaibe die finsteren Stufen hinab. Und die Brote bumsten unten gegen Tür und Tische, gegen Stühle und Schrank; alles fiel um, das Geschirr kollerte auf den Boden, und die junge Frau lag mitten in dem Wirrwarr und jammerte. Trotzdem hätten die Neunhollen wohl noch bis zum Frühjahr ausgehalten, wäre nicht der Dreikönigstag gewesen.
Am Abend dieses Tages kam nämlich eine arme Witwe mit ihrem kleinen kranken Jungen an der Hand; um seine Pelzmütze trug er eine Dreikönigskrone aus Papier und auf seinem Stock einen Blechstern. Der Hunger guckte den beiden aus den Augen. Sie sprachen vor der Tür ein lautes »Vaterunser« und traten dann zaghaft in die große Küche. Als sie da im Schornstein die vielen Schinken, Speckseiten und Würste hängen sahen, sagte die Mutter voll Vertrauen den alten Reim:
Stellt die Leiter an die Wand,
Nehmt das Messer in die Hand,
Laßt das Messer klinken,
Schneid’t mir ’n Stück vom Schinken!
Und der kleine Junge schwang seinen Stab, hustete und plapperte:
Ich bin an kleiner König,
Gebt mir nicht zu wenig!
Aber die Bäuerin machte ein böses Gesicht, riß die Tür weit auf und wies beide hinaus, ohne ein Wort zu reden. Da fingen aber die Neunhollen zu knurren, zu brummen und zu brausen an wie ein Sturmwind, so fürchterlich, daß es die Frau nicht mehr aushalten konnte, angsterfüllt in ihre Kammer lief und den Kopf unters Federbett steckte. Sogleich warfen die Neunhollen allen Speck und Schinken auf den Herd herunter und kletterten dann rasch durch den Schornstein hinaus; es war auch die höchste Zeit dazu, denn hinter ihnen schoß eine gewaltige Flamme empor. Das ganze Dorf lief zusammen, aber es war nichts mehr zu machen; alle Würste, Schinken und Speckseiten waren verbrannt. Die Neunhollen aber suchten von da an eine andere Winterwohnung auf.
Der Geist im schwarzen Broich
Im schwarzen Broich bei Ratingen wandelt nachts eine hohe Männergestalt in Schuhen von Blech umher. Alle vier Jahre müssen ihm von einem entfernt wohnenden, vornehmen Geschlechte, welchem er angehört, ein Paar neue Blechschuhe auf den Kreuzweg gebracht werden, welcher sich mitten im schwarzen Broiche befindet, und zwar müssen diese Blechschuhe auf einem vierspännigen Wagen stehen und in der Mitternachtsstunde angefahren kommen. Diese Lieferung soll sich, wie gesagt wird, fünfundzwanzigmal erneuern. Einige behaupten, der Mann sei aus Tiefenbroich gewesen und habe sich in diesem Walde erhängt, wandle deshalb strafweise umher.
Die jugendliche Melkerin
Auf einem Bauerngute bei Ratingen war einst die Bäuerin zur Kirche gegangen. Der Bauer unterhielt sich mit seinem Töchterchen über Stall und Küche. Wie staunte aber der Vater, als ihm das Kind erklärte, daß sie schon melken könne, dazu aber gar nicht einmal den Stall zu betreten brauche, sondern die Milch aus dem Handtuch in der Wohnstube melken könne. Der Vater ersuchte das Mädchen, sofort eine Probe ihrer Kunst zu geben. Dasselbe holte auch den Melkeimer und molk an dem Handtuch, daß der Eimer in kurzer Zeit voll war. Nun wollte das Kind aufhören, weil sonst die beste Kuh im Stall zu Schanden gehen würde. Der Vater gebot ihm aber, fortzumelken und sich um alles Andere nicht zu kümmern. Das Mädchen gehorchte, holte einen anderen Eimer und molk weiter. Nach einiger Zeit hielt sie wieder an und machte den Vater darauf aufmerksam, daß die Kuh wirklich gefallen sei. Der Vater eilte zum Stall und sah seine beste Kuh verendet am Boden liegen.
Dieses Mädchen soll auch Mäuse habe machen können, denen aber die Schwänze fehlten. Später ist sie mit andern Hexen auf dem Hexenberge bei Gerresheim verbrannt worden.
Der Mäuseturm bei Bingen
Am Eingang zur schauerlichen Felsschlucht, in die sich der Rhein bei Bingen hineinzwängt, erhebt sich auf dem rechten Ufer des Stroms zwischen den Gesträuchen und Weinbergen der Rüdesheimer Höhen die Ruine der stolzen Burg Ehrenfels; inmitten der brausenden Fluten des Rheins aber ragt auf einer Felseninsel ein düsteres Gemäuer empor, das unter dem Namen »Mäuseturm« oder »Hattos Turm« berüchtigt geworden ist. Das alte Bauwerk steht hart bei dem sogenannten Binger Loch, wo der Strom über Klippen rauscht und nur eine enge Durchfahrt freiläßt, die man einst für sehr gefährlich hielt; man glaubte, daß die Trümmer von Fahrzeugen, die das Binger Loch verschlungen, an der Felsenbank von St. Goar wieder zum Vorschein kämen. Aber seit langer Zeit kennt der Schiffer diesen Weg so genau, daß die Durchfahrt nur bei Sturm bedenklich ist; jetzt sind die meisten der gefährlichen Felsen gesprengt.
Im Anfang des zehnten Jahrhunderts lebte in jener Gegend ein gewisser Hatto, der durch Wohlleben, Übermut und Hartherzigkeit weithin verrufen war. Der ehrgeizige Mann wurde schließlich zum Erzbischof von Mainz erhoben. Nachdem er jahrelang seines Amtes gewaltet hatte, wurde das gesegnete Land am Rhein von schweren Plagen heimgesucht. Schwüle Hitze brannte die reichen Felder aus; eine starke Wasserflut vernichtete alle Hoffnung auf die Ernte; überall herrschte Not und Teuerung. Nur Hatto spürte nichts davon; denn seine Speicher waren gefüllt, und er scheute sich auch nicht, üblen Getreidewucher mit seinen Vorräten zu treiben.
Die Not stieg immer höher, und das arme, ausgehungerte Volk bestürmte den reichen Kirchenfürsten mit der flehentlichen Bitte um Brot. Der hartherzige Mann aber wollte nicht an seine Pflicht erinnert werden und ließ die Armen fortjagen; es seien nur Müßiggänger, sagte er, die sich ihr Brot auf leichte Art durch Bettel erwerben wollten. Doch nur um so stärker erscholl die Klage, man hörte sogar Worte der Verwünschung, aus der die Verzweiflung zu erkennen war. Denn der Erzbischof hatte sich beim Volke durch Bedrückungen schon längst verhaßt gemacht; immer neue Bittsteller vermehrten die Schar der Flehenden, die schließlich mit Gewalt zu drohen schienen, da er ihrem Flehen kein Gehör schenkte.
Hatto sah darin einen Aufstand, rief seine Waffenknechte herbei und befahl ihnen, die frechen Empörer zu ergreifen. Die Söldner stürmten heran und zerstreuten die zusammengerottete Menge nach kurzem Widerstand. Groß war die Zahl derer, die man gefangen ins Schloß führte.
»Sie trachten nach meiner Frucht«, erklärte Hatto mit bitterem Hohn. »Gut! Man sperre sie in eine der Scheunen!« Die Knechte schleppten die Ärmsten hinein, und der grausame Herr befahl, die Scheune in Brand zu stecken. Bald loderten die Flammen ringsum empor, und das Klagegeschrei der Unglücklichen, für die jeder Weg zur Rettung verschlossen war, drang zum Himmel. Mit satanischem Gelächter rief der Bischof: »Hört doch, hört, wie die Kornmäuse pfeifen!« Den Aufruhr hatte der Bösewicht nun unterdrückt, der Strafe Gottes aber vermochte er nicht zu entrinnen.
Als sich Hatto am Abend nach dem Mahle in sein prächtiges Schlafgemach zurückzog, hörte er plötzlich ein sonderbares Gepolter und ein durchdringendes Pfeifen. Kalter Schauer fuhr ihm durch die Glieder. Mit einemmal sprangen Mäuse aus allen Wänden und Ritzen und fielen über den erschrockenen Mann her. Heulend rief er seine Diener zu Hilfe; aber sie konnten den dichten Haufen der Tiere nicht, abwehren; die Leute bekreuzten sich entsetzt und flohen. Endlich warf sich Hatto zu Pferd, eilte mit einem Trupp seiner Knechte stromabwärts und suchte Schutz in der Burg Ehrenfels. Doch die Plagegeister wimmelten auch hier durch das ganze Schloß, ihn mit scharfen, quälenden Bissen verfolgend.
Nun erwachte Hattos Gewissen, er fühlte seine Sünde und flehte zum Himmel um Hilfe. Aber die gerechte Strafe, die ihn treffen sollte, war noch nicht vollendet. Er floh daraufhin auf einem Kahn zu dem einsamen Turm, der sich auf der kleinen Rheininsel erhob, und – ließ dort sein Bett an Ketten aufhängen. Aber die Mäuse schwammen durch die Flut, kamen ihm nach, schlüpften durch alle Gitter und Löcher und nagten mit scharfem Biß so lange an seinem Leib, bis der geistliche Würdenträger den Geist aufgab. Ja, selbst sein Name, der in die Tapeten des Gemachs gewirkt war, wurde von den Tieren zernagt.
Kaum war dies geschehen, so zerstreute sich das ganze Heer der Mäuse und wurde nicht mehr gesehen. Der Ort aber, wo der Bischof seinen gerechten Lohn gefunden, heißt von jener Zeit an der »Mäuseturm«. Noch oft soll bei Nacht, wenn der Sturm braust und die Woge grollt, sein Geist gleich einer grauen Wolke das uralte Gemäuer umschweben; somit hat der Bischof wegen seiner schweren Schuld noch immer nicht die ewige Ruhe gefunden.
St. Oranna
Die hl. Oranna war eine Königstochter aus Schottland. Gleich ihrem Bruder Wendelin verließ sie ohne Wissen der Eltern Vaterhaus und Heimat und zog über das Meer, um in der Stille und Verborgenheit Gott zu dienen. Als sie mit ihrer Gefährtin Cyrilla in die Bergwälder an der Saar gekommen war und eines Tages auf der steilen Höhe von Berus rastete, sah sie im Tale eine Reiterschar, die sie auf Befehl ihres Vaters verfolgte und nach Schottland zurückbringen sollte. Voll Angst flohen die beiden Jungfrauen weiter.
Zur gleichen Stunde war ein Bauersmann auf einem nahen Felde bei der Arbeit. Als er zum letzten Male die braunen Ackerfurchen entlang schritt, um seinen Samen auszustreuen, kamen die Verfolger auf der Höhe an. Sie fragten ihn, ob er keine Flüchtlinge gesehen habe. »Als ich anfing zu säen«, antwortete der Gefragte, »ritten zwei vornehme Jungfrauen in Eile hier vorbei.« Bei diesen Worten blickte er um sich, und siehe, die eben gesäte Gerste stand kniehoch. Auch die Reiter sahen das grüne Getreidefeld und sprachen bei sich: »Es ist umsonst gewesen, wir kommen zu spät.« Und sie gaben die Verfolgung auf und kehrten nach Schottland zurück.
Oranna und Cyrilla blieben als fromme Klausnerinnen im Walde von Berus. Als sie starben, wurden sie im nahen Eßweiler begraben. Über ihrer Gruft wurde eine Kapelle errichtet. In den Bauernkriegen wurde das Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Obwohl das Kirchlein der Zerstörung entging, brachte man doch die Gebeine der heiligen Jungfrauen in die Pfarrkirche von Berus. Dort sind sie noch heute der Gegenstand frommer Verehrung. Das in der Regel am dritten Sonntage im September stattfindende Orannafest wird von zahlreichen Wallfahrern aus dem Saarlande und dem benachbarten Lothringen besucht.
Bonschariant
Zu dem reichen Grafen Sibodo, der in der Zeit Kaiser Heinrichs I. lebte und ein lauer Christ war, trat einmal der Teufel in Gestalt eines Dieners, der sich Bonschariant nannte. Der Graf nahm ihn mit auf sein Schloß an der Ahr. Mit wunderbarer Geschicklichkeit erfüllte der neue Diener alle Befehle und Wünsche seines Herrn, der sich schließlich gar nicht mehr von ihm trennen konnte. Wenn der Ritter auszog zu Kampf oder Turnier, war Bonschariant stets sein unentbehrlicher Begleiter. Sibodo nahm ihn auch mit ins heilige Land, und wo der Diener an der Seite seines Herrn kämpfte, da war der Sieg.
Als der Ritter aus dem Morgenlande zurückgekehrt war, tobten bald auch am Rhein heftige Kämpfe. Es gelang Sibodo, den Feind zu schlagen und über den Strom zurückzudrängen. Eines Abends schlief er, müde vom Kampfe, unter einem Baume ein. Da schlichen die Feinde unbemerkt heran, und sein Leben schwebte in höchster Gefahr. Doch Bonschariant eilte rechtzeitig herbei und trug den Schlafenden durch die Lüfte davon. Während sie in den Wolken dahinschwebten, erwachte Sibodo und rief: »Gott sei mir gnädig!« Da knurrte und rumorte der erboste Teufel gewaltig. Von dieser Stunde an betrachtete Sibodo seinen unheimlichen Diener mit Mißtrauen und geheimer Sorge.
Nach einer Reihe von Jahren erkrankte die Gemahlin Sibodos schwer. Von nah und fern rief der Ritter die berühmtesten Ärzte herbei, doch ihre Kunst versagte am Leiden der Gräfin. Endlich sagte einer der Ärzte: »Es gibt noch ein letztes Mittel, die Kranke zu hellen, Löwenmilch mit Drachenblut, aber wer kann das herbeischaffen?« »Dies werde ich tun«, sagte Bonschariant, erhob sich in die Lüfte und rauschte nach Süden davon. Schon nach zwei Stunden kam er mit dem Wunderelixier aus dem innersten Afrika zurück. Die Gräfin genas und ward gesünder denn) e. Als sie aber hörte, wie ihre Heilung sich zugetragen hatte, da drängte die Fromme ihren Gatten, den Diener, der doch der leibhaftige Teufel sein müsse, zu entlassen.
Sibodo fiel es schwer, auf die Dienste Bonschariants zu verzichten. Um aber seine Gattin zu beruhigen, beschloß er, in den Eifelbergen zur Ehre Gottes ein Kloster zu erbauen und es Steinfeld zu nennen. Dem Diener sagte er, daß die stattlichen Gebäude ein Jagdschloß werden sollten. Als das Werk nahezu vollendet war, setzte der Graf über Nacht ein Kreuz auf die höchste Spitze. Das sah am nächsten Tage in der Frühe der Teufel, als er eben einen schweren Stein herbeischleppte. Da geriet er in rasende Wut und schleuderte den Stein nach dem Zeichen des Menschensohnes. Doch das Wurfgeschoß wurde von unsichtbarer Hand abgelenkt und fiel weitab bei Dieffenbach nieder, wo es noch heute liegt. Von dieser Zeit an wurde Bonscharlant nicht mehr gesehen.
Das verlorene Pantöffelchen
Bei Speicher, unweit der Kyll, hausten in einer Felsenhöhle Wichtelmännchen. Sie waren winzig klein und trugen hohe, spitze Hütchen. Am Tage waren sie nie zu sehen; nur in dunklen Nächten gingen sie aus. Man sah dann am Morgen im feuchten Grunde vor der Höhle ihre zierlichen Fußspuren. Sie waren den Menschen freundlich gesinnt und besserten ihnen Schuhe und Kleider aus.
Einst wurde in einer Mühle an der Kyll eine Hochzeit gefeiert. Musik und Jubel drangen bis in die Höhle der winzigen Gesellen. Und als die Nacht hereinbrach, da schimmerten hellerleuchtete Fenster lockend durch das tiefe Dunkel. Wie gerne hätten die Männlein an der Freude der Menschen, mit denen sie es so gut meinten, teilgenommen, doch sie wagten es nicht. Endlich faßte der Nestling der Schar Mut und sprach: »Wenn wir auch nicht ins Haus hineingehen dürfen, so wollen wir uns doch die Hochzeit von außen ansehen!« Trotz der Warnung der Alten machten sie sich zusammen auf und schlichen klopfenden Herzens an das Hochzeitshaus. Sie stiegen auf die Haselnußsträucher, die vor der Mühle wuchsen, und schauten sehnsüchtigen Blickes durch die Fenster. Doch, O Schrecken, der Neugierigsten einer stieß unversehens an eine Fensterscheibe. »Die Wichtelmännchen belauschen uns!« so hörten die zu Tode Erschrockenen eine laute Stimme rufen. Und sie liefen fort, so schnell ihre kurzen Beinchen sie trugen. Die jungen Burschen im Hochzeitshaus aber ließen vom Tanze ab und verfolgten die Fliehenden. Der Bruder der Braut fand ein winziges Pantöffelchen von purem Golde, das der Männlein einst verloren hatte.
Während nun die Hochzeitsgesellschaft ihre Feier fortsetzte, irrte der arme Kleine im Finstern umher und suchte sein verlorenes Schühlein. Da er es nicht wiederfand, durfte er nicht mehr zu seinen Brüdern zurückkehren. Er wußte nicht, daß die bösen Menschen es gefunden hatten. Noch heute wandelt er in nächtlicher Stunde klagend durch das Kylltal. Die andern Wichtelmännchen aber zogen bald nach jener Hochzeit von dannen, wohin, weiß niemand.
Die heiligen drei Könige von Köln
As Kaiser Friedrich Barbarossa Mailand belagerte, da bat die Schwester des Bürgermeisters, die Äbtissin eines Nonnenklosters in Mailand war, den Erzbischof Reinald von Köln, ihren Bruder zu retten, dem der Kaiser den Tod zugeschworen hatte. Reinald versprach es, wenn sie ihm die Reliquien der hl. drei Könige schenken würde. Als nun die Stadt sich dem Kaiser ergab, bat sich der Erzbischof vom Kaiser das aus, was die Äbtissin auf den Schultern tragen würde. Der Kaiser gestand es ihm zu. Die fromme Frau aber kam und hatte ihren Bruder den Bürgermeister auf dem Rücken. Und so wurde ihm das Leben gerettet, denn der Kaiser mußte Wort halten. Reinald bekam nun die Reliquien und sandte sie heimlich nach Köln. Doch hatten andere Fürsten im Lande davon gehört und rüsteten sich, ins Kölnische einzufallen und den Kölnern den kostbaren Schatz abzugewinnen. Da zogen die Lehnsleute des Bischofs und die Bürger von Köln hinauf gegen Andernach, die Feinde zu erwarten. Als die es gewahr wurden, wagten sie keinen Angriff und die Kölner behielten die hl. drei Könige; die Reliquien kamen dann hernach in den Dom; und viele Andächtige pilgerten nach Köln, sie zu verehren.
Die Andacht zu den drei Königen hatte in Köln zuletzt so zugenommen, daß es den Teufel schwer ärgerte und er einen großen Stein auf das Dach des Domes warf; der fuhr hindurch, durchbrach das Gewölbe und fiel auf die Dreikönigskapelle. Da hätte er den kostbaren Schrein, der die Gebeine der drei Weisen enthält, ohne Zweifel zerschmettert, aber das wollte Gott nicht. Der Kasten wich zurück gegen die Wand hin und blieb also unverletzt.
Die weiße Frau im Düsseldorfer Schloß
Im Schlosse zu Düsseldorf hört man zuweilen um Mitternacht ein seltsames Rauschen, wie von seidenen Gewändern, ja es sollen Töne der Klage nicht selten dabei vernommen werden. Es schreitet dann ein hohes verschleiertes Weib in weißem Gewande durch die Gänge und soll besonders häufig in einem Saale verkehren, der den Namen des Schwanenzimmers führt. Einige sagen, das sei Jakobe von Baden, die durch ihre Schwägerin ermordete Herzogin von Berg, andere halten dafür, daß es die Stamm-Mutter des Altena-Berg-Brandenburgischen Geschlechtes sei, welche sich in den Räumen der alten Wohnung zeige, wenn irgend ihrem Hause ein glückliches oder unglückliches Verhängnis nahe. Diese Ahnfrau soll aus dem Geschlechte der Schwanen-Jungfrauen gewesen sein, und nach ihr soll das Zimmer, wo sie am meisten erscheint, das Schwanenzimmer heißen.
Siegfried
In jenen grauen, fernen Zeiten war es, als noch die Götter lebten, als in den wilden, sturmdurchtobten Nächten des November die Menschen in den Höfen unterm Schilfdach saßen und hörten die wilde Jagd. Wodan, der einäugige Gott, fuhr mit seinen göttlichen Mannen und Walküren durch die Wolken. Und Donar erlebte seine Abenteuer, der starke Göttersohn mit rotem Bart, aus dem die Blitze sprühten, wenn er seinen Hammer auf den Himmelsboden warf. Ziu war der Gott des Krieges, sie machten ihm zu Ehren Schwerttänze. Und Freia, Nerthus, Hertha oder Bertha, die Mutter Erde, Göttin der Fruchtbarkeit, Göttin alles Wachsens, alles Werdens, war den Menschen gütig, – und wenn die Erde frei vom Else war und die ersten Blumen aus dem Rasen sprossen, dann wurde sie mit Reigen und Tanz geehrt.
In diesen Zeiten war es, da Kobolde und Nixen, Elfen und Alben, Zwerge und Riesen lebten, da der Rhein wilder von den Bergen her ins Land schoß, da noch nicht lange die gewaltigen Gletscher verschwunden waren, die das niederrheinische Land mit Geröll und Steinen füllten, ganze Berge anschütteten; da noch keine Kirchtürme weithin über die Ebene grüßten, da in »Xanten am Rhein« der König Siegmund lebte, der von Gott und Christus noch nichts wußte; Siegmund, reich und stark, dessen Schwert im letzten Kampf zerbrach, als sich Wodan, der ihn heimforderte von Manheim, dem Land der Menschen, nach Wallhall in Asenheim, der Götterheimat, ihn, der bisher unbesiegbar war, im Kampfe selber stellte. Sieglind, Siegmunds Weib, war vor der Schwerter Klang und der Stimmen Kampfgewirr in den Wald geflohen, gebar einen Sohn, dem eine Hirschkuh Amme ward, weil die Mutter starb. Und so lebte Siegfried allein im Walde, wuchs heran, hatte blaue Augen und gelbes Haar, ward von der Hirschkuh behütet und gewärmt in kalten Nächten, bis er eines Tages zu der Schmiede kam, in der er sein Schwert hämmerte, nach Regins Weisung, der ein Albe war, aus der Unterwelt stammte und ihn den Weg nach Gnitaheide wies, wo der Drache lebte, den er tötete, in dessen Blut er badete. Siegfried aber, der Balmungschwinger, der nun unverwundbar war bis auf die eine Stelle, da das Lindenblatt den Körper deckte, der die Sprache der Vögel verstehen lernte, und der dann Regin (der ihm, wie die Vögel zwitscherten, nach dem Leben trachtete), mit dem Balmung den Kopf abschlug und den großen Schatz, den Nibelungenhort bekam, die Tarnkappe auch dazu… ; er wurde dann der größte Held der alten Deutschen.
Als er noch auf Gnitaheide stand, kam ein Roß herangetrabt, dem er einen Teil des Schatzes auf den Rücken laden wollte, das aber stehen blieb und nicht von der Stelle wich, bis Siegfried selber sich auf seinen Rücken schwang. Dann gings im Trab (Grani hieß das Pferd) weite Wege durch das graue Heideland zum Meere hin, wo auf hohem Fels des Isensteins die dunkle Burg lag, darinnen Brunhild, die Walküre, schon seit ewgen Zeiten schlief. Der Berg war hell umflammt von jener Waberlohe, in der schon mancher kühne Recke umgekommen war. jedoch als Siegfried auf seinem Grani-Rosse nahte, wichen die Flammen zur Seite – er ritt unversehrt hindurch – er ritt in den Burghof, da wie in einem Sarg Brunhilde schlief, in einem Panzer, der sie ganz umhüllte, der ganz wie um ihren Leib gewachsen war. Nur aber brauchte Siegfried mit dem Balmung das Erz zu berühren, da wich es wie eine dünne Haut von ihr ab. Sie reichte Siegfried den Minnetrunk, er gelobte Treue und zog dann wieder von neuem durch die Lande auf Abenteuer, bis er nach Worins an den Rhein kam, wo er Brunhild vergaß – (er hatte den Vergessenstrank getrunken, der von den Göttern gewollt war, weil sie fürchteten, daß die Kinder dieser stärksten Menschen Siegfried und Brunhild ihnen einmal gefährlich werden könnten). Und so nahm er Kriemhild zum Weibe, nachdem er in der Tarnkappe für Gunther gekämpft und Brunhild ohne seine Schuld betrogen hatte.
Brunhild ward Gunthers Weib, und Kriemhild hatte nicht unterlassen können, ihr zu sagen, daß Siegfried doch der Stärkere wäre, daß gar nicht Gunther sie besiegt habe, wodurch die Stolze so tief verletzt war, weil sie Siegfried, der sie einst auf dem Isenstein so stolz befreit, dem sie so stolz und voll Vertrauen ihre Hand gereicht hatte, trotz allem liebte. Ihre Liebe aber wandelte sich in Haß, daß sie die Anstifterin zum Morde wurde. Bei der Jagd im Spessart war es der finstere Hagen, der von den Alben abstammte, den Unterirdischen, der den stolzen Siegfried tötete. Über der Quelle brach er zusammen, auf einer Bahre brachte man den Toten in die Burg. Und nun erhob Brunhild, die selbst die Helden zu dem Morde angestiftet hatte, große Klage…
»Schauriges, Gunther, erschien mir im Traum: Leichen im Saal – ich – tot – auf dem Lager –Du, König, bekümmert in Ketten geschlossen, Zu Roß umringt von feindlichen Reitern – Die gesamte Sippe der Söhne Niblungs beraubt der Macht zur Rache des Meineids.
So gänzlich Gunther, vergessen hast du’s, Daß ihr beide in der Fußspur am Boden damals Euer Blut gemischt! Mit Mord belohnst du Deinen vordersten Vormann in allen Gefahren!
Mit welcher Treue der junge Thronherr Der streitbare Held seine Schwüre gehalten, Offenbarte deutlich ein Dienst ohne Beispiel: Sein Herz widerriets, doch er kam geritten, Um dir zum Weibe – mich zu werben.
Zwischen uns zweien legt er aufs Lager Die mit goldenen Zeichen verzierte Klinge, Der das Feuer gestählt die feine Schneide, Und Gift gegütet das innere Eisen.«
Und als Brunhild so gesprochen hatte, da stieß sie sich selber das Schwert ins Herz, um mit Siegfried zusammen auf dem Brandstoß zu verbrennen. Aber eine andere Sage erzählt, daß sie auf Siegfrieds Roß Grani aufrecht und stolz den Brandstoß hinaufgeritten sei, auf dem seine Leiche in den Flammen lag, auf daß ihrer beider Seelen gemeinsam hinaufschwebten in die Ewigkeit Walhalls.
Das versunkene Schloß
Es stand in der weiten Ebene, die da fruchtbar wie ein Garten war, dies starke Schloß mit hellen Zinnen, reich an Gold verziert und nicht unweit des Waldes, da stolze Eichen und Buchen rauschten und da oft das Jagdhorn Ritter Erichs widerhallte, der mit seinen Freunden ein wildes, lautes Leben führte im Wald beim Jagen und im Schloß beim Wein.
Es geschah, daß ein armer, alter Pilgersmann des Weges kam und durch das Schloßtor ging und sich wohl etwas fürchtete ob des Gekläffs der Hunde… und daß sich Ritter Erich, eben von der Jagd zurück, über diese Scheu des Alten lustig machte: »Hei, hetzt die Hunde auf den Mann, das gibt ein lustig Schauen und ein Lachen … « Und schon wollte sich die wilde Meute auf ihn stürzen, als von der Seite durch das schmale Törchen des Ritters wunderschöne Tochter aus dem Garten kam, beide Hände voll von roten und weißen Rosen: Elisabeth, schön von Gestalt und schöner noch in ihres Herzens Unschuld, die, als sie jenes frevle Treiben sah, die Hunde rief, die ihr gehorchten und die dann trotz des Scheltens ihres wilden Vaters zu dem Armen ging und – da sie beide Hände voll von Rosen hatte, ihm erst einen Strauß und dann die Hand gab und freundlich zu ihm sprach, so daß der Alte ganz beglückt tränenden Auges vor ihr niederkniete.
Sie aber hob ihn auf und führte ihn durch das Tor, ging eine Weile mit ihm auf den Weg, gab ihm eine gute Gabe und wies ihn zur Herberge. Aber als sie sich wieder wenden wollte, um zur Burg zurückzugehen, sprach der Alte sonderbare Worte, die sie nicht verstand, er verdrehte die Augen… und indem sie ihm zur Hilfe sprang, um den Wankenden zu halten, sah sie plötzlich mitten im hellen Sommerlicht über ihres Vaters Burg eine dunkle Wolke, die immer tiefer sank, und im gleichen Augenblick wankten des Schlosses Türme, ein ungeheuerer Donner brach los, als wenn von tausend Riesenschmiedehämmern die ganze Burg zerschlagen worden wäre. Und wo noch eben blühendes Leben war und Menschen, die nach der Heimkehr sich des Weines freuten, war nun ein See. Dunkle Bäume rauschten traurig an den Ufern rings, Schloß und Gärten sind für alle Zeiten nur Vergangenheit.
Als aber dies geschehen war, stand der Pilger wieder aufrecht. Es wird erzählt, daß Elisabeth an seiner Seite blieb, mit ihm durch weite Länder wandelte und ihn pflegte bis zu seinem Tode. Die Rosen aber, die sie ihm geschenkt, seien nie verblüht, – und als er mit ihnen vor die Himmelstür gekommen wäre, habe sie sich so weit aufgetan, daß auch Elisabeth, ihrer Irdischkeit vergessend, von dem Glanz und Licht herangezogen, lebend, ohne Tod, aus dieser Zeit in die Ewigkeit und Seligkeit gegangen wäre.
Die reichen Bauern
In der Gegend von Niederkassel und Heerdt war früher ein sehr fruchtbarer Boden, und als die Leute nun viele gute Jahre auf der Reihe hatten, da wurden sie so üppig und protzenhaft, daß der Pfarrer seine liebe Not mit ihnen hatte. Ein Bauer ließ ein Hufeisen von Silber machen mit seinem Namen drauf und ließ das seinem Pferde nur lose unterschlagen; und als er einmal auf die Nachbardörfer ausritt, fiel es natürlich ab. Aber das wollte er ja auch gerade; die armen Schlucker dort sollten es finden und sehen, was die Bauern in Niederkassel für schwerreiche Leute wären. Die Sache sprach sich denn auch herum, aber es kam auch dem Pastor von Heerdt zu Ohren, und der hat dann von der Kanzel herunter seiner Gemeinde ins Gewissen geredet und sie gewarnt und dabei gerufen:
Kassel, Kassel!
Gott wird dich hassen
Mit Feuer oder mit Wasser!
Und bald darnach ist eine furchtbare Überschwemmung gekommen – dieselbe, bei der auch das »Heerdter Loch« entstanden ist – hat Hunderte von Morgen des besten Ackerlandes mit Sand und Kies bedeckt und viele reiche Bauern zu armen Leuten gemacht.
Der Binger Bleistift
In alten Zeiten rief einmal der Bürgermeister von Bingen seine einundzwanzig Schöffen zusammen, um mit ihnen über das Wohl und Wehe der Bürger zu beraten. Viel kluge Gedanken wurden da zu Tage gefördert, manch guter Rat wurde gegeben. Endlich sagte der Bürgermeister: »Ihr Herrn, was ihr vorgebracht habt, hat Hand und Fuß. Damit es aber nicht in Vergessenheit gerät, sondern zum Besten unserer guten Stadt in die Tat umgesetzt werden kann, will ich die trefflichsten Vorschläge zu Papier bringen.« Er begann in seinen Rocktaschen nach einem Bleistift zu suchen, fand aber keinen. »Kann einer der Herren mir einen Bleistift leihen?« wandte er sich an die Stadtväter. Die schauten ihn halb verlegen, halb vorwurfsvoll an und griffen dann zögernd in die Taschen; es kam kein Bleistift zum Vorschein. »Dann wollen wir«, fuhr der Bürgermeister fort, »die Sitzung schließen und auf das gute Gelingen unserer Pläne ein paar Flaschen leeren.« Er winkte dem Ratsdiener, der alsbald verschwand und nach ein paar Minuten mit einem Korb voll bemooster Flaschen Scharlachberger zurückkam.
Von neuem kam das würdige Stadtoberhaupt in Verlegenheit; in seinen Hosentaschen fand sich kein Stopfenzieher. Auf seine Frage nach diesem im Weinlande so unentbehrlichen Gerät zuckten die Hände der Ratsherrn, ohne fehl zu greifen, blitzschnell nach den richtigen Taschen, und im nächsten Augenblick lagen einundzwanzig Stopfenzieher vor dem verständnisvoll schmunzelnden Bürgermeister. Sie waren alle vom fleißigen Gebrauch so blank wie ein neuer Silbertaler.
Noch heute heißen im Rheingau die Stopfenzieher Binger Bleistifte.
Vom Ulmener Maar
In düstere Wälder, fruchtbare Ackerbreiten und sonnige Heidehänge eingebettet, liegen geheimnisvoll blinkend die sagenumwobenen Eifelmaare. In ihrem Rund spiegelt sich an lieblichen Frühlingstagen seidenblau der Himmel, träge wie geschmolzenes Blei liegt unter der Sommersonne ihre Flut, an düsteren Herbsttagen ist tiefe Schwermut über sie ausgebreitet, und im Winter steigen die Nixen aus der Tiefe und pochen gegen die glitzernde Decke, die die Wasser gefangen hält.
Die Alten sagten, die Maare seien unergründlich tief und ständen nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Weltmeer in Verbindung. Einst fing ein Fischer im See von Ulmen einen Hecht, der mehr als zwei Meter lang war. Er band ihm eine Schelle um und brachte ihn dann wieder ins Wasser zurück. Und siehe, einige Wochen später zog ein Klosterbruder am Laacher See den Riesenfisch mit der Schelle staunend aus dem Netz.
Das versunkene Schloß
Wo sich jetzt das Weinfelder Maar ausbreitet, da stand vor Zeiten auf gesegneter Flur ein prächtiges Schloß. In diesem Schlosse wohnte ein reicher Graf, der wegen seiner Mildherzigkeit weit und breit berühmt war. Seine Gemahlin aber hatte ein hartes Gemüt. Lieber trat sie das Brot mit Füßen, als daß sie es einem Hungrigen reichte. Das bereitete dem Grafen großen Kummer. Doch still duldend ertrug er sein Leid. Er fand nur Trost in der Liebe zu seinem einzigen Kinde.
Eines Tages war der Graf mit seinem Gefolge zur Jagd geritten. Da verfinsterte sich plötzlich über dem Schlosse der Himmel, aus schwarzem Gewölk zuckten grelle Blitze, unheimlich rollte der Donner. Unter betäubendem Getöse spaltete sich der Boden, und ungeheure Wassermassen stiegen empor und verschlangen das Schloß mit allem, was darin war. In den aufsteigenden Fluten fand auch die Gräfin einen jähen Tod.
Ein Bote überbrachte dem heimkehrenden Herrn die schreckliche Kunde. Schon von weitem rief er dem Ahnungslosen zu: »Herr Graf, verschwunden ist Euer Schloß; wo es gestanden hat, da flutet jetzt ein tiefer See! « Ungläubig erwiderte der Graf: »Das ist ebensowenig möglich, als daß mein treuer Falchert, auf dem ich sitze, hier eine Quelle aus dem Boden stampfen könnte.« Noch hatte er nicht ausgesprochen, da fing das Pferd an zu scharren, und unter seinen Hufen sprudelte alsbald eine frische Quelle hervor. Der Graf wurde bleich wie der Tod. Er drückte seinem Pferde die Sporen in die Weichen und sprengte der Unglücksstätte zu. Als er dort ankam, sah er nichts als eine weite, unheimliche Wasserfläche. Bleich und zitternd starrte der Schwergeprüfte auf die dunkle Flut, die ihm alles genommen hatte. Doch siehe, da trieb, wie durch ein Wunder gerettet, sein liebes Kind wohlbehalten in einer Wiege ans Ufer. Voll Dank gegen Gott drückte er es an seine Brust und zog getröstet von dannen.
Der Spuk auf der Burg Manderscheid
Im Jahre 1844 wurden in der Niederburg bei Manderscheid Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. Dabei fand man in der Wand neben dem großen Wachtturm eine Nische, deren Eingang zugemauert war. Der Raum war so groß, daß ein erwachsener Mensch zur Not aufrecht darin stehen konnte. Ganz oben an der Decke befand sich eine kleine Öffnung. Als die Steinmetzen die Vorderwand entfernten, fanden sie in dem Kämmerchen ein menschliches Gerippe, eine kleine irdene Schüssel und einen Stein zum Sitzen.
Die Alten in Manderscheid wußten diesen schauerlichen Fund zu erklären.
Vor ein paar hundert Jahren lebte auf der Niederburg ein stolzer Graf, der das gewöhnliche Volk verachtete. Seine Tochter liebte einen von den Dienstmannen der Burgbesatzung, und dieser, ein schmuckes junges Blut, erwiderte ihre Liebe. Bei einer heimlichen Zusammenkunft wurde das ungleiche Paar überrascht, und der jähzornige Alte ließ den unglücklichen Liebhaber auf der Stelle töten. Seine Tochter aber ließ er in jener Nische einmauern. Durch die kleine Öffnung erhielt sie täglich ein wenig Nahrung, bis der Tod sie von ihrer Qual erlöste.
Von dieser Zeit an spukte es jahrhundertelang um die Mitternachtsstunde am alten Wachtturm. Der Spuk hörte erst auf, als man das Gerippe in ein christliches Grab gebettet hatte.
Der Ritter in der Manne
Auf einer von der Üß umflossenen Anhöhe in der Nähe von Bertrich stand in alter Zeit die Entersburg. Dort hauste ein Raubritter, der die Handelswege im Moseltal und in den Eifelbergen unsicher machte. Die Reisigen des Trierer Kurfürsten hatten Befehl, ihm das Handwerk zu legen, doch er entging durch eine List immer wieder ihren Verfolgungen. Wenn er die Feinde in der Nähe wußte, ließ er seinem Pferde die Hufeisen umgekehrt aufschlagen, so daß die Spuren nach der entgegengesetzten Richtung zeigten und die Verfolger in die Irre führten.
Um des verwegenen Räubers habhaft zu werden, beschloß der kurfürstliche Hauptmann, seine Burg zu belagern. Einige Zeitlang hielt die Besatzung tapfer stand; dann aber gingen ihr die Lebensmittel aus, und sie mußte sich ergeben. Die Gemahlin des Ritters erschien auf der Ringmauer und führte die Verhandlungen. »Wir übergeben euch«, so rief sie hinab, »die Burg, wenn ihr mir gestattet, frei auszuziehen und soviel mitzunehmen, wie ich in einer Manne auf dem Kopfe tragen kann.«
Der Anführer der Belagerer war mit diesem Vorschlage einverstanden. Das Burgtor ward von innen geöffnet, und heraus kam mit einem großen Korbe auf dem Kopf eine stattliche Frau. Unbehelligt schritt sie mitten durch die Schar der staunenden Feinde und verschwand im nahen Walde.
Die Kurtrierer drangen nun in die Burg ein, um den Räuber dingfest zu machen. Doch sie fanden ihn nicht, obwohl sie jeden Winkel vom Burgverlies bis zum höchsten Turmgemach hinauf durchsuchten. Zu spät fiel es ihnen ein, daß sie veräumt hatten, sich den Inhalt der Manne zeigen zu lassen.
Der Mönch zu Heisterbach
Im ehrwürdigen Kloster Heisterbach lebte einmal ein junger Mönch, der in der heiligen Schrift und in den frommen Büchern der Väter die Gottesgelehrtheit eifrig studierte. Mit heißem Bemühen und rastlosem Fleiß suchte er einzudringen in die ewigen Dinge, die dem Menschenverstande verborgen sind. Und er las: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.« Lange grübelte er über den Sinn dieser Worte nach; bange Zweifel quälten seine Seele, während er sinnend im Klostergarten auf und ab ging.
Da hörte er der Vöglein liebliches Singen im nahen Walde. Er folgte den süßen Tönen und ließ sich endlich auf das weiche Moos nieder. Langsam schlossen sich seine müden Augen zum Schlafe.
Als er erwachte, leuchtete das Abendrot durch die Zweige; vom nahen Kloster tönte das Vesperglöcklein herüber. Um das gemeinsame Mönchsgebet nicht zu versäumen, schritt er frisch dahin. Doch alles kam ihm gar seltsam vor. Den Bruder an der Klosterpforte erkannte er nicht. An seinem Platze im Chor kniete ein fremder Mönch. Der Abt fragte ihn nach seinem Namen, und als er ihn bekommen nannte, da hatte keiner der Brüder ihn je gehört. Ein Mönch brachte dann die Klosterchronik herbei, und es stellte sich heraus, daß ein Bruder seines Namens vor dreihundert Jahren das Kloster verlassen hatte und nicht wiedergekommen war. Nun merkte der Heimgekehrte, er selber war jener Verschollene. Aufrichtig bereute er all seine Zweifel; dann sank er sterbend zu Boden, indem er gläubig flüsterte: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.«
Der Schwanritter
Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, daß sein Land der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich jedoch Gottfrieds Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen wenig: sondern bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und Waise unerachtet, des Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne.
Die Herzogin beschloß daher, bei dem König zu klagen; und als bald darauf Carl nach Niederland zog, und einen Tag zu Neumagen am Rheine halten wollte, kam sie mit ihrer Tochter dahin und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsen Herzog gekommen, und wollte der Klage zu Antwort stehen. Es ereignete sich aber, daß der König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weißen Schwan, der schwamm den Rhein herdan und zog an einer silbernen Kette, die hell glänzte, ein Schifflein nach sich; in dem Schiff aber ruhte ein schlafender Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen, und neben ihm lagen Helm und Halsberg; der Schwan steuerte gleich einem geschickten Seemann, und brachte sein Schiff an das Gestade. Carl und der ganze Hof verwunderten sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignis; jedermann vergaß der Klage der Frauen, und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand, und führte ihn gegen die Burg. Da sprach der junge Held zu dem Vogel: »Flieg deinen Weg wohl, lieber Schwan! wann ich dein wieder bedarf, will ich dir schon rufen.« Sogleich schwang sich der Schwan, und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen weg. jedermann schaute den fremden Gast neugierig an; Carl ging wieder ins Gestühl zu seinem Gericht, und wies jenem eine Stelle unter den andern Fürsten an.
Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen Tochter, hub nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach verteidigte sich auch der Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht, und die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu bewähren. Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, an den sich niemand wagen würde; vergebens ließ sie im ganzen Saale die Augen umgehen, keiner war da, der sich ihr erboten hätte. Ihre Tochter klagte laut und weinte; da erhob sich der Ritter, den der Schwan ins Land geführt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf wurde sich von beiden Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem langen und hartnäckigen Gefecht war der Sieg endlich auf Seiten des Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und ledig. Da neigten sie und die Tochter dem Helden, der sie erlöst hatte, und er nahm die ihm angetragene Hand der Jungfrau mit dem Beding an, daß sie nie und zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen, und welches sein Geschlecht sei, denn außerdem müsse sie ihn verlieren.
Der Herzog und die Herzogin zeugten zwei Kinder zusammen, die waren wohl geraten; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, daß sie gar nicht wußte, wer ihr Vater war; und endlich tat sie an ihn die verbotene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: »Nun hast du selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen.« Die Herzogin bereute es aber zu spät, alle Leute fielen zu seinen Füßen und baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit demselben Schifflein geschwommen, darauf küßte er beide Kinder, nahm Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk; dann trat er in’s Schiff, fuhr seine Straße und kehrte nimmer wieder. Der Frau ging der Kummer zu Bein und Herzen, doch zog sie fleißig ihre Kinder auf. Aus dem Samen dieser Kinder stammen viel edle Geschlechter, die von Geldern sowohl als Kleve, auch die rieneker Grafen und manche andre; alle führen den Schwan im Wappen.
Der Kalkbrenner aus Birkenfeld und der Teufel
In Birkenfeld lebte vor langer Zeit in der Achtstraße ein armer Kalkbrenner namens Jakob. Sein Kalkofen befand sich am Palmsberg, am Wege nach Neubrücke, und heute noch heißt die Stelle im Volksmund »Am Kalkofen«.
In der bittersten Not, als seine zahlreiche Familie schon Hunger litt, entschloß sich der arme Mann in einer schlaflosen Nacht, ein Bündnis mit dem Teufel einzugehen. Dieser fand sich auch schon am folgenden Morgen, als vornehmer Herr auftretend, am Kalkofen ein und versprach, den Kalkbrenner zum reichen Mann zu machen und sein Geschäft glänzend auszugestalten. Als Bedingung stellte er aber, wie bei ihm üblich, daß der Kalkbrenner ihm seine Seele verschreibe, die er nach zehn Jahren abholen werde.
Nach langem Zögern ging der Mann auf diesen Vertrag ein. Der Teufel hielt Wort, und das Gold floß dem Birkenfelder in Strömen zu. Nach zehn Jahren fand sich der Teufel auch richtig am Kalkofen ein, um sein Opfer abzuholen. Der Kakbrenner bettelte um weitere zwei Jahre Frist, aber der Teufel ließ sich nur auf zehn Tage Verlängerung ein.
Sie vereinbarten nun nach langem Feilschen, daß der Teufel den Kalkbernner nach dieser Frist pünktlich mittags um zwölf Uhr mit einem Sack am Feuerloch seines Kalkofens in Empfang nehmen solle. Als der Tag heranbrach, kam der kluge Birkenfelder mit einem starken jungen Eber über den Zinnerbach zum Palmsberg gegangen. Er führte das halbwilde Tier an einem Strick. Mit Mühe und Not gelang es ihm, den Eber in den Kalkofen zu schaffen und die Tür zu schließen.
Zur festgesetzten Stunde traf auch der Teufel mit seinem Sack von Emmerichsberg herkommend, beim Kalkofen ein, freute sich, als er den Höllenlärm, das Poltern, Grunzen und Quieken aus dem engen Raum heraus hörte, und dachte, es sei der Kalkbrenner, der in seiner Seelenangst solchen Lärm anstelle. Mit großer Vorsicht machte er die Tür des Kalkofens auf und hielt den geöffneten Sack davor; der durch das Feuerspeien wildgewordene Eber war mit einem Satz im Sack, machte aber gleich darauf alle Anstrengung, dem neuen Gefängnis zu entrinnen. Nicht ohne Mühe brachte ihn der Teufel zur Hölle, frohlockend über seinen guten Fang.
Doch wie erschraken er und seine Großmutter, als beim Öffnen des Sackes nicht der Birkenfelder, sondern der wilde Eber daraus hervorbrach und rücksichtslos, wie Schweine nun einmal sind, zwischen ihren Beinen hindurch in der Hölle herumsauste und dort eine heillose Verwirrung anrichtete.
Seitdem ist man im Reich des Höllenfürsten recht vorsichtig geworden; Kalkbrenner sind dort nicht mehr beliebt, besonders solche aus Birkenfeld. Jakob aber lebte noch viele Jahre in Glück und Zufriedenheit und sah Enkel und Urenkel.
Der tabakrauchende Teufel
Im großen Wildenburger Wald auf dem Hunsrück machte einmal ein alter Förster seinen Reviergang und ließ dabei mächtige Rauchwolken aus seiner schön geschnitzten Pfeife aufsteigen. Mit einem Male stand, wie aus dem Boden gewachsen, ein wildfremder Kerl vor ihm, der einen weiten Mantel trug und einen Klumpfuß hatte. Wie der Förster in das feuerrote Gesicht mit den grellen Augen sah, wurde es ihm unheimlich, und verstohlen faßte er nach dem Schaft seiner Flinte, die er schußbereit über der Schulter trug. Und als ihn dann der Kerl fragte, was er tue, sagte er ganz seelenruhig: »Oh, nichts Besonderes; ich rauche meinen Tabak.« Da bat der Fremde: »Darf ich auch einen Zug aus dieser schönen Pfeife tun?« Bereitwillig kam der Förster der Bitte des Zudringlichen nach, hielt ihm aber statt der Pfeife den Flintenlauf an den Mund und forderte ihn auf, tüchtig zu ziehen. Kaum tat der Fremde den ersten Zug, da griff der Förster blitzschnell ans Flintenschloß und drückte los. Doch ruhig, als sei nichts geschehen, spuckte der Teufel, denn er war es, die Kugel aus und sagte: »Ei, zum Donner, du rauchst ein starkes Kraut.« Mit einem Schlage war darauf der Böse verschwunden. Der Förster aber merkte an dem abscheulichen Schwefelgeruch, wen er vor sich gehabt hatte.
Der entdeckte Werwolf
Ein Bauer aus der Nähe von Neviges kam nachts mit seiner Frau von einer Hochzeit. Da es geregnet hatte, trug die Frau ihr Kleid hoch aufgeschürzt, so daß der rote Unterrock zum Vorschein kam. Als sie in die Nähe ihrer Wohnung gekommen waren, bat der Bauer seine Frau, schon voran zu gehen, er werde bald nachkommen. Nach kurzer Zeit erblickte die Frau, durch ein Geräusch aufmerksam gemacht, ein Wolfsungeheuer hinter sich, das sie verfolgte und seine langen Zähne tief in ihrem Unterrocke begrub. Sie schrie laut auf und flüchtete der nahen Wohnung zu, worauf das Untier von ihr abließ. Kurz darnach erschien ihr Mann, dem sie sofort den Vorfall erzählte. Ohne viel zu sagen, legte sich dieser aber zu Bett. Als sich die Frau am folgenden Morgen erhob, schlief ihr Mann noch fest. Da gewahrte sie die roten Fetzen von ihrem Unterrock zwischen seinen Zähnen. Nun wußte sie, daß ihr Mann ein Werwolf sei. Sie floh zu ihren Eltern und setzte die Scheidung von ihrem Manne durch.
Der Geiger von Echternach
Vor mehr als tausend Jahren lebte in Echternach der hl. Willibrord, der in großer Wohltäter unseres Landes war. Wenn er predigte, dann drängte sich das Volk in dichten Scharen um ihn. In der vordersten Reihe der Zuhörer sah man stets den lange Veit, einen ungewöhnlich großen Mann, der als Musikant durchs Land und bei Festlichkeiten zum Tanze aufspielte. Das Wort des gewaltigen Bußpredigers rührte so sehr das Herz des Spielmanns, daß dieser sich eines Tages aufmachte und mit seinem Weibe eine Wallfahrt nach dem heiligen Lande antrat.
Jahre vergingen, doch Veit kehrte nicht zurück; nicht einmal eine Nachricht von ihm kam in die Heimat. Seine Verwandten hielten ihn für tot und teilten seinen Besitz. Da endlich, am Ostertage des zehnten Jahres seiner Wallfahrt, erschien ganz unerwartet der Totgesagte wieder, allein und bettelarm. Sein Weib hatten Räuber im Morgenlande erschlagen. Eine alte Geige war seine ganze Habe. Er trat vor seine Verwandten und forderte sein Gut zurück. Die Unredlichen erschraken und beschlossen, sich des Heimgekehrten zu entledigen. Sie klagten ihn an, er selbst habe sein Weib im fernen Lande ermordet.
Für solch schwere Anklage war der Beweis vor dem Gerichte nicht zu führen; nur ein Gottesurteil konnte entscheiden. Gegen einen waffengewandten Vetter mußte der lange Veit zum Kampfe antreten; er wurde besiegt, und der Richter verurteilte den Unterlegenen nach Gesetz und Herkommen zum Tode.
Als der Unglückliche unter dem Galgen stand und den Strick schon am Halse spürte, bat er, noch einmal auf seiner Geige spielen zu dürfen. Das wurde ihm als letzte Gnade gewährt, und er entlockte den Saiten solche wehmütige Töne, daß den Zuhörern die hellen Tränen über die Wangen liefen. Dann aber spielte er feurige Weisen, die alle zur Hinrichtung Herbeigeeilten, Burschen und Dirnen, Männlein und Weiblein, ja selbst die ernsten Richter und den finstern Henker, zum Tanze mitrissen. Toll und immer toller drehte sich die Schar im Kreise, Veit aber stieg gemächlich von der Leiter herab und verschwand, immer weiter spielend, im Walde.
Erst am späten Abend hörten die Tänzer auf, sich zu drehen, doch die Verwandten Veits, die ihn fälschlich angeklagt hatten, mußten ohne Unterbrechung weiter springen. Schon hatten sie sich bis an die Knie in die Erde hineingetanzt, da löste endlich Sankt Willibrord, den man herbeigerufen hatte, den tollen Zauber.
Der Abt und der Schweinehirt
Kurfürst Jan Willem schenkte 1707 den Trappistenmönchen, die bis dahin das Löricker Werth bewohnt hatten, die beiden Speckerhöfe an der Düssel, aus denen dann das Kloster Düsseltal entstand. Nun brauchten sich die Mönche nicht mehr vor Hochwasser, Eisgang und feindlichen Überfällen zu fürchten und fühlten sich hier so wohl, daß sie, wie die Sage berichtet, über dem Eingangstor zum Kloster die Inschrift anbrachten: »Wir leben ohne Sorgen.« Nun stattete eines Tages der Erzbischof Joseph Clemens von Köln dem Kloster einen Besuch ab. Er hatte in seiner langen, wenig gesegneten Regierung über Mangel an Sorgen nicht zu klagen gehabt. Als er die Aufschrift las, gedachte er, dem Abt einen Schrecken einzujagen. Er legte ihm drei Fragen vor und drohte, wenn diese nicht binnen vierzehn Tagen richtig gelöst würden, solle der Abt seinen Posten verlieren. Die Fragen aber lauteten:
1. Was ist nicht krumm und auch nicht gerade?
2. Was ist nicht im Wege und auch nicht daneben?
3. Wo ist der Mittelpunkt der Erde?
Trotz allen Kopfzerbrechens konnte der Abt die Lösung der Rätselfragen nicht finden. Traurig schlich er umher, bis er eines Tages dem Schweinehirten des Klosters begegnete. Der faßte sich ein Herz und fragte nach dem Grunde seiner Traurigkeit. Als der Abt ihm nun seinen Kummer vertraute, da wußte der Hirt ihm die Lösung zu sagen. »Das erste ist eine Kegelkugel, das zweite ein Karrengeleise, und der Mittelpunkt der Erde ist hier, wo ich stehe«, sagte der pfiffige Knecht. Da wurde der Abt hocherfreut. Weil er sich aber trotzdem scheute, dem Erzbischof vor die Augen zu treten, so bewog er den Schweinehirten, an seiner Statt und in seiner Amtskleidung die Reise nach Bonn zu unternehmen. Als der nun dort die drei Fragen zur Zufriedenheit gelöst hatte, plagte ihn der Schalk, und er erbot sich, des Kurfürsten geheimste Gedanken zu erraten. Da wurde dieser neugierig, machte aber ein recht verdutztes Gesicht, als er hörte: »Ihr denkt, Ihr sprecht mit dem Abt von Düsseltal; ich bin aber nur des Klosters Schweinehirt.« Zum Schluß legte der wackere Beherrscher des Borstenviehes noch ein gutes Wort für seinen Herrn ein, damit dieser auf seinem Posten verbleiben konnte. Der Schweinehirt aber erhielt als Lohn einen Freibrief und das Gnadenbrot im Kloster bis an sein Ende.
Die Herdmännchen von Wachtendonk
In Wachtendonk wohnten die Erdmännchen oder Herdmännchen unter dem Rathaus; sie hatten einen großen kupfernen Kessel, den die Bürger bei Tage mitbenutzen durften. Dafür mußten sie ihn abends blankgescheuert wieder vor das Rathaus hinstellen und ein kleines Geschenk, ein Weißbrot oder dergleichen, hineinlegen. Ein Wachtendonker aber, der in der Nachbarschaft wohnte – man wußte sogar seinen Namen –, unterließ dies einst und machte sogar zum Hohn noch eine Schweinerei mit dem Kessel. Die Erdmännchen rächten sich damit, daß sie ihm in der nächsten Nacht alles Getreide aus dem Hause forttrugen. Da wollte er ihnen einen rechten Streich spielen und streute abends Erbsen auf die Treppe, daß sie in der Dunkelheit ausgleiten und herunterfallen sollten. Nun hatte er es aber ganz mit ihnen verdorben, sie stahlen ihm alles aus dem Hause weg, so daß er völlig verarmte.
Später als das Morgen-, Mittag- und Abendläuten in Wachtendonk eingeführt wurde, konnten die Erdmännchen das nicht ertragen und sind fortgezogen nach dem Hülser Berg im Kempener Land, dort hausten sie, wo jetzt der Aussichtsturm steht. Die Bauern der Umgegend hörten oft, wenn sie an dem Berg vorbeigingen, ein Gesumme wie von einem Bienenschwarm, konnten aber nirgends einen Eingang finden und sahen auch niemals irgend etwas Lebendiges aus- und eingehen. Solange die Erdmännchen aber in dem Berg wohnten, hatten die Bauern gute Tage. Einmal als der Rhein austrat, waren in einer Nacht tiefe breite Gräben gezogen, durch die das Wasser abfloß, so daß es den Feldern keinen Schaden tat; von diesen Gräben sind noch die Niepkuhlen erhalten. Und wenn die Bauern Roggen und Weizen gemäht auf dem Felde liegen hatten, konnten sie sicher sein, daß es am andern Morgen gedroschen und in Stroh und Körner gesondert auf der Tenne lag.