Der Rothaarige
Es war halb vier Uhr, als ich auf die Lang Dykes hinaustrat. Dean war das Wanderziel, das ich mir gesetzt hatte. Da Catriona dort wohnte und es fast erwiesen war, daß ihre Sippe, die MacGregors von Glengyle, sich gegen mich verbündet hatte, gehörte dieses Dorf eigentlich zu den wenigen Ortschaften, die ich hätte vermeiden sollen; aber ich war noch sehr jung und auf dem besten Wege, mich bis über beide Ohren zu verlieben; so wandte ich mich, ohne einen Augenblick zu zögern, gen Dean. Um jedoch mein Gewissen und meine Vernunft zu beruhigen, nahm ich zu einer Vorsichtsmaßregel meine Zuflucht. Als ich den Gipfel einer kleinen Anhöhe erreichte, ließ ich mich zwischen der Gerste nieder und lag wartend da. Nach einer Weile ging ein Mann vorüber, der wie ein Hochländer aussah, den ich jedoch nicht kannte. Ihm folgte kurz darauf Neil, der Fuchsige. Der nächste Passant war ein Müller mit seinem Wagen, und dann kamen nur noch Leute, denen man auf den ersten Blick den Bauern ansah. Von Rechts wegen hätte das genügen müssen, um mich von meinem Vorhaben abzubringen, aber meine Wünsche trieben mich alle in die entgegengesetzte Richtung. Ich redete mir also ein, dieser Weg sei der richtige Weg, um Neil im Auge zu behalten, da er mich ja schnurstracks zu seines Häuptlings Tochter führe, und was den anderen Hochländer anbelange – nun, ich würde wohl nicht weit kommen, wenn ich mich durch jeden Hochländer, der mir in die Arme lief, abschrecken ließ. Vollkommen befriedigt von dieser recht zweifelhaften Logik schritt ich um so eiliger vorwärts und erreichte kurz nach vier Uhr die Besitzung von Mrs. Drummond-Ogilvy.
Beide Damen waren zu Hause. Als ich sie zusammen an der offenen Türe stehen sah, lüftete ich den Hut und sagte: »Ein junger Bursche bittet um einen Sixpence.« Ich glaubte, das würde der Matrone gefallen. Catriona lief mir entgegen und begrüßte mich herzlich, und die alte Dame war zu meiner Überraschung kaum weniger liebenswürdig. Viel später erfuhr ich, sie hätte bei Morgengrauen bereits einen berittenen Boten nach Queensferry zu Rankeillor geschickt, der, wie sie wußte, Sachwalter von Shaw war, und sie trug daher zur Zeit einen Brief von diesem, meinem sehr guten Freunde, in der Tasche, der meinen Charakter und meine Aussichten in günstigstem Lichte schilderte. Allein ich würde ihre Absichten auch nicht schärfer durchschaut haben, wenn ich den Brief gelesen hätte. Mochte ich ein ungeschlachter Bauer sein, ich war doch nicht so dumm, wie sie glaubte. Selbst meinem hausbackenen Verstande war es klar, daß sie beschlossen hatte, koste es, was es wolle, eine Ehe zwischen ihrer Base und diesem grünen Jungen, der in Lothian eine Art Grundbesitzer war, zustande zu bringen.
»Sixpence wird wohl seine Abendsuppe bei uns essen, Katrin,« sagte sie, »lauf und gib dem Mädchen Bescheid.«
Und in der kurzen Zeit, die wir allein blieben, gab sie sich rechte Mühe, mir zu schmeicheln. Zwar war sie stets geschickt und nannte mich, unter dem Vorwand, mich zu necken, nie anders als Sixpence; aber sie verstand, den Dingen eine Wendung zu geben, berechnet, unmerklich meine Selbstachtung zu steigern. Als Catriona zurückkehrte, wurde der Anschlag, wenn möglich, noch durchsichtiger: sie führte des Mädchens gute Eigenschaften vor, wie ein Roßkamm sein Pferd. Meine Wangen brannten bei dem Gedanken, daß man mich für so dickfellig hielt. Einmal wähnte ich, das Mädchen sei ahnungslos und ganz unschuldig an dieser Schaustellung, und ich hätte das tolle, alte Frauenzimmer prügeln können; ein andermal meinte ich, die beiden seien vielleicht doch miteinander im Bunde, um mich einzufangen – dann saß ich stocksteif zwischen ihnen da, die leibhaftige, finstere Verstocktheit. Endlich kam die Kupplerin auf das wirksamere Mittel, uns allein zu lassen. Wenn erst irgend etwas meinen Argwohn erregt hat, ist es mitunter alles andere als leicht, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber obwohl ich Catrionas Sippe kannte und als Diebssippe erkannt hatte, war es mir unmöglich, dem Mädchen zu mißtrauen, wenn ich ihr Gesicht sah.
»Ich darf wohl keine Fragen stellen?« forschte sie eifrig, sobald wir allein waren.
»Doch, heute darf ich mit ruhigem Gewissen reden«, entgegnete ich. »Ich bin meines Versprechens entbunden. Ja, nach dem, was heute morgen vorgefallen ist, hätte ich es unter keinen Umständen erneuert.«
»Sprecht,« sagte sie, »meine Base wird bald wieder hier sein.«
Ich erzählte ihr also Schritt für Schritt die Geschichte des Leutnants, die ich ihr so heiter wie möglich darzustellen suchte, und in der Tat war an dieser lächerlichen Sache manches Ergötzliche.
»Ich glaube, Ihr taugt für rauhe Männer so wenig wie für schöne Damen!« meinte sie, als ich geendet hatte. »Doch wie konnte Euer Vater nur unterlassen, Euch im Gebrauch des Schwerts zu unterweisen! Das ist höchst unadelig; ich habe nie dergleichen gehört.«
»Zum mindesten ist es ungemein hinderlich,« erwiderte ich, »und ich glaube, mein Vater (Gott hab ihn selig) war nicht recht gescheit, als er mich statt dessen Latein lehrte. Doch tu ich, wie Ihr seht, mein möglichstes; ich stelle mich hin gleich Lots Weib, und lass sie auf mich loshauen.«
»Wißt Ihr, weshalb ich lächeln muß?« fragte sie. »Ich will’s Euch sagen. Ich bin so geschaffen, daß ich ein Bub hätte werden sollen. Ich selbst fühle mich stets als Bub und denke mir dies und jenes aus, das ich erleben möchte. Wenn es dann aber ans Fechten geht, fällt mir ein, daß ich ja doch nur ein Mädchen bin und weder ein Schwert tragen noch einen Hieb austeilen kann. Dann muß ich meine Geschichte drehen und wenden, daß es zu keinem Kampfe kommt, ich aber trotzdem Sieger bleibe, gerade wie Ihr mit Eurem Leutnant. Ich bin stets der Bursche, der sich mit schönen Reden durchschlägt, genau wie Mr. David Balfour.«
»Ihr seid mir ein blutdürstiges junges Fräulein«, bemerkte ich.
»Ja, ja, ich weiß, Spinnen und Nähen und Stickmustermachen ist eine recht gute Sache«, fuhr sie fort; »wenn Ihr aber nichts anderes auf der Welt zu tun hättet, ich glaube, Ihr würdet es auch langweilig finden. Nicht, daß ich Menschen töten möchte! Habt Ihr schon jemanden getötet?«
»Das habe ich, zufällig. Zwei sogar, obwohl ich von Rechts wegen noch auf der Hochschul sein sollte«, entgegnete ich. »Trotzdem schäme ich mich dessen nachträglich nicht.«
»Doch wie fühltet Ihr Euch damals – als es geschehen war?« forschte sie.
»Nun, ich setzte mich hin und flennte wie ein Kind«, antwortete ich.
»Das Gefühl kenne ich«, rief sie. »Ich ahne, woher diese Tränen stammen. Jedenfalls möchte ich nicht töten; ich möchte nur Katharina Douglas sein, die ihren Arm durch die Krampe schob und so die Tür hielt, bis der Arm brach. Sie ist meine Hauptheldin. Würdet Ihr nicht mit Freuden so sterben – für Euren König?«
»Meiner Treu,« entgegnete ich, »so warm ist meine Liebe zum König – Gott segne sein grobes Bulldoggengesicht – nun doch nicht; zudem glaubte ich mich heute dem Tode bereits so nahe, daß ich zur Zeit in das Leben recht verliebt bin.«
»Recht so,« sagte sie, »so schickt es sich für einen Mann! Aber das Fechten müßt Ihr noch lernen; ich möchte keinen Freund haben, der nicht einen Streich führen kann. Ihr habt jene zwei doch nicht mit dem Schwert getötet?« »Wahrhaftig nicht,« entgegnete ich, »mit einem paar Pistolen. Und ich danke meinem Schöpfer, daß die Männer nahe standen; denn ich weiß mit Pistolen etwa so gut umzugehen wie mit dem Schwert.« Auf diese Art entlockte sie mir die Geschichte unseres Kampfes auf der Brigg, die ich in meinem ersten Bericht weggelassen hatte. »Ja,« meinte sie, »Ihr seid wirklich tapfer. Und ich liebe und bewundere Euren Freund.«
»Ich glaube, das täte jeder«, entgegnete ich. »Er hat seine Fehler wie wir alle; aber er ist mutig, treu und gut. Gott segne ihn! Den Tag möchte ich sehen, an dem ich Alan vergessen werde.« Fast überwältigte mich der Gedanke, daß es in meiner Macht stünde, noch heute abend mit ihm zu sprechen.
»Wo habe ich nur meinen Kopf gelassen, daß ich Euch noch nicht meine Neuigkeiten berichtete!« rief sie lebhaft, und dann erzählte sie, sie hätte von ihrem Vater einen Brief erhalten, mit der Erlaubnis, ihn morgen im Schloß zu besuchen, wohin man ihn geschafft hätte, und seine Angelegenheiten wären im Aufblühen. »Das gefällt Euch nicht«, sagte sie. »Wollt Ihr meinen Vater richten, ohne ihn zu kennen?«
»Da sei Gott vor«, entgegnete ich. »Ich gebe Euch mein Wort, ich freue mich aufrichtig, daß Euch jetzt leichter ums Herz ist. Hab ich ein Gesicht gezogen, wie das wohl der Fall gewesen sein mag, so vergeßt nicht, daß mir Vergleiche heute gefährlich dünken, und daß mit den Leuten, die die Macht in Händen haben, schlecht Kirschen essen ist. Simon Fraser liegt mir noch ziemlich schwer im Magen.«
»A!« rief sie, »wie könnt Ihr die beiden in einem Atem nennen! Und Ihr vergeßt, daß Prestongrange und mein Vater, James More, ein und desselben Blutes sind.« »Das ist mir neu«, entgegnete ich. »Es ist eigentlich merkwürdig, wie wenig Ihr Bescheid wißt«, sagte sie. »Der eine Teil nennt sich Grant und der andere Macgregor, aber alle gehören dem gleichen Clan an. Alle sind Söhne von Appin, nach welchem, soviel ich weiß, unser Land benannt ist.«
»Welches Land meint Ihr?« fragte ich.
»Das meine und das Eurige«, entgegnete sie.
»Heute ist ein Tag der Überraschungen, glaube ich,« war meine Antwort, »ich dachte bisher, es hieße Schottland.« »Schottland ist der Name des Landes, das Ihr Irland nennt«, erwiderte sie. »Doch der alte, echte, eigentliche Name der Erde, auf der unsere Sohlen ruhen, und aus dem unser Gebein geschaffen ist, lautet Alban. Alban hieß das Land, als unsere Ahnen es gegen Rom und Alexander verteidigten, und so heißt es auch heute noch in Eurer Heimatsprache, die Ihr vergessen habt.« »Weiß Gott, das habe ich nicht gewußt!« sagte ich; mir fehlte es an Mut, ihr den Mazedonier vorzuwerfen. »Aber Eure Vorväter und -mütter redeten diese Sprache, Geschlecht für Geschlecht«, fuhr sie fort. »Und sie wurde an den Wiegen gesungen, bevor Ihr oder ich uns davon träumen ließen; und Euer Name hat sie sich noch bewahrt. Ach, könntet Ihr nur jene Sprache sprechen, Ihr würdet mich nicht wiedererkennen. Das Herz redet aus ihr.« Ich aß mit den beiden Damen zu Abend, ein vortreffliches Mahl, auf schönem alten Silber serviert und von vorzüglichem Wein gewürzt; denn Mrs. Ogilvy war, wie es schien, reich. Auch unser Gespräch verlief recht angenehm; sobald ich jedoch die Sonnenstrahlen sich schrägen und die Schatten wachsen sah, stand ich auf und verabschiedete mich. Ich war jetzt entschlossen, Alan Lebewohl zu sagen; dazu war erforderlich, daß ich noch bei Tageslicht das Gehölz, in dem wir uns treffen wollten, durchforschte. Catriona begleitete mich bis zur Gartenpforte. »Wird es lang dauern, bevor ich Euch wiedersehe?« fragte sie. »Wie soll ich das wissen?« entgegnete ich. »Es kann lange dauern, es kann auch nie sein.«
»Es kann auch nie sein«, wiederholte sie. »Tut es Euch leid?« Ich nickte und blickte sie an. »Mir auch, komme, was da kommen mag«, sagte sie.
»Ich kenne Euch erst kurze Zeit, aber ich schätze Euch sehr hoch. Ihr seid treu, Ihr seid tapfer; mit der Zeit, glaube ich, wird noch ein ganzer Mann aus Euch werden. Ich werde stolz sein, das zu hören. Und sollte es Euch schlecht gehen, sollte das eintreten, was wir befürchten – dann, ja dann denkt daran, daß Ihr eine wahre Freundin, Eure Freundin, habt. Und lange noch, wenn Ihr schon tot seid und ich eine alte Frau bin, werde ich den Kindern von David Balfour erzählen, und meine Tränen werden fließen. Ich werde ihnen erzählen, wie wir auseinandergingen, und was ich Euch sagte, und was ich Euch tat. Gott schütze und geleite Euch, betet Eure kleine Freundin: das, werde ich ihnen erzählen, sagte ich zu ihm – und jetzt seht, was ich Euch tue.« Sie nahm meine Hand und küßte sie. Ich war im Innersten so tief erschrocken, daß ich aufschrie wie jemand in Schmerz. Ein dunkles Rot überflog ihre Wangen, und sie blickte mich an und nickte. »Ja, ja, Mr. David,« sagte sie, »das ist’s, was ich von Euch denke. Das Herz hält mit der Zunge Schritt.« Ich konnte auf ihrem Antlitz hohen Mut und eine Ritterlichkeit lesen, gleich der eines tapferen Kindes, sonst stand nichts dort geschrieben. Sie küßte meine Hand, wie sie die Prinz Charlies geküßt hatte, mit einer edleren Leidenschaft als der gemeine, irdische Mensch sie empfinden kann. Nichts zuvor hatte mir so klar gezeigt, wie sehr sie meine Liebe besaß, und wie hoch ich noch streben mußte, um sie zu lehren, mich in diesem Lichte zu betrachten. Dennoch konnte ich mir selber zum Troste sagen, daß ich einige Fortschritte gemacht, und daß ihr Herz bei dem Gedanken an mich höher geschlagen und ihr Blut sich erwärmt hatte. Nach der Ehre, die sie mir angetan, konnte ich ihr keine leere Höflichkeit mehr bezeigen. Mir fiel sogar das Reden schwer; ein gewisser Klang in ihrer Stimme, klar und hell, hatte unmittelbar an meine Tränen gerührt. »Ich preise Gott für deine Güte, liebes Herz«, sagte ich. »Leb wohl, meine kleine Freundin!« So gab ich ihr den Namen, den sie sich selbst gegeben hatte. Dann verneigte ich mich und ging. Mein Weg führte mich hinunter in das Tal des Leith gen Stockbridge und Silvermills. Ein Pfad zog sich an der Sohle entlang: im Flußbette lärmten und sangen die Wasser; über mir fielen von Westen her zwischen wachsende Schatten die Sonnenstrahlen und schufen bei jeder Talbiegung eine neue Szenerie und eine neue Welt. In Erinnerung an Catriona und in der Vorfreude auf Alan ging ich wie auf Wolken. Außerdem entzückten mich der Ort, die Zeit und das Schwatzen des Flusses, und ich verlangsamte meinen Schritt und blickte im Gehen vorwärts und zurück. Das und die Gnade des Himmels bewirkten, daß ich plötzlich dicht hinter mir im Gebüsch einen roten Schopf auftauchen sah. Zorn schoß mir ins Herz. Ich kehrte sogleich um und marschierte eilig zurück, woher ich gekommen war. Der Weg führte dicht an der Stelle vorbei, an der ich den Kopf bemerkt hatte. Ich erreichte den Hinterhalt und schritt vorüber, scharf darauf gefaßt, mich eines Überfalls erwehren zu müssen. Doch nichts geschah; unbelästigt durfte ich passieren. Da wuchs meine Furcht. Zwar war es immer noch hell, aber der Ort war sehr einsam. Hatten meine Verfolger sich diese gute Gelegenheit entschlüpfen lassen, so mußten sie offenbar ein größeres Wild als David Balfour aufs Korn genommen haben. Alans und James‘ Leben lasteten auf mir mit dem Gewicht zweier starker Ochsen. Catriona ging immer noch allein im Garten auf und ab. »Catriona,« sagte ich, »wie Ihr seht, bin ich wieder hier.« »Doch Euer Gesicht ist anders geworden«, sagte sie.
»Ich trage das Leben zweier Männer mit mir herum,« entgegnete ich, »da wäre es Sünde und Schande, unvorsichtig zu sein. Ich zweifelte, ob ich das Recht hätte, hierherzukommen. Es wäre mir sehr arg, wenn uns dadurch ein Unglück träfe.«
»Ich kenne jemand, dem das noch ärger wäre, und dem es gar nicht gefällt, Euch jetzt so reden zu hören«, rief sie. »Was habe ich denn getan?« »Ihr? Gar nichts! Aber Ihr seid nicht allein«, erwiderte ich. »Seit ich fortgegangen bin, hat man mich wieder auf Schritt und Tritt verfolgt; ich kann Euch sogar den Namen des Mannes sagen. Es ist Neil, der Sohn Duncans, Euer oder Eures Vaters Knecht.« »Ihr müßt Euch irren, ganz gewiß«, sagte sie mit sehr weißem Gesicht. »Neil ist in Edinburg in Geschäften meines Vaters.« »Damit ist die Sache erwiesen«, sagte ich. »Doch was seinen Aufenthalt in Edinburg betrifft, so will ich Euch, wenn’s gut geht, gleich eines Besseren belehren. Sicherlich habt Ihr irgendein Zeichen verabredet, ein Notsignal, das ihn heranruft, falls er sich in Hör- und Reichweite befindet?«
»Wie habt Ihr das nur erraten?« fragte sie. »Mit Hilfe eines Talismans, den Gott mir verliehen; man nennt ihn Vernunft«, entgegnete ich. »Seid so gütig, das Zeichen zu geben, und ich werde Euch Neils roten Schopf zeigen.« Ohne Zweifel war mein Ton scharf und bitter. Bitter war auch mein Gefühl. Ich klagte mich selbst und das Mädchen an und haßte uns beide: sie des erbärmlichen Geschlechts wegen, dem sie entstammte; mich wegen meines sträflichen Leichtsinns, den Kopf in ein derartiges Wespennest gesteckt zu haben. Catriona hielt die Finger an die Lippen und pfiff ein einziges Mal: einen ungemein klaren, kräftigen, durchdringenden Ton, rund und voll wie bei einem Bauern. Eine Weile warteten wir schweigend, und ich wollte sie eben bitten, den Pfiff zu wiederholen, als ich ein Geräusch, wie von jemandem, der sich einen Weg durch das Unterholz bahnt, vom Fuße des Hügels her vernahm. Lächelnd deutete ich in jene Richtung, und sehr bald sprang Neil in den Garten. Seine Augen glühten, und in seiner Hand hielt er ein nacktes, schwarzes Messer (wie sie’s im Hochland nennen). Als er mich neben seiner Herrin stehen sah, wollte er erstarren.
»Er ist Eurem Rufe gefolgt«, sagte ich; »urteilt jetzt, wie nahe er Edinburg war, und welches die Art von Eures Vaters Geschäften ist. Fragt ihn selbst. Soll ich mein Leben oder das Leben derer, die von mir abhängen, durch Machenschaften Eures Clans verlieren, so will ich wenigstens mit offenen Augen gehen, wohin ich muß.« Zitternd redete sie ihn auf gälisch an. Eingedenk der fürsorglichen Höflichkeit Alans in diesem Punkte, hätte ich vor Bitterkeit laut lachen können; wahrlich, jetzt in der Stunde meines Argwohns, hätte sie am Englischen festhalten sollen. Zwei-, dreimal sprachen sie miteinander, und trotz seiner Unterwürfigkeit konnte ich erkennen: Neil war zornig. Dann wandte sie sich an mich. »Er schwört, es sei nicht der Fall«, sagte sie. »Catriona,« entgegnete ich, »glaubt Ihr dem Manne?«
Sie machte eine Geste, als ränge sie die Hände. »Wie soll ich das wissen?« »Aber ich muß ein Mittel finden, es zu erfahren«, erwiderte ich. »Ich kann nicht weiter hier in der Dunkelheit herumirren mit zwei Menschenleben auf meinem Buckel! Catriona, versucht Euch an meine Stelle zu setzen, so wie ich (das bezeuge ich vor Gott) nach Kräften mich in Eure Lage hineinzufinden suche. Reden, wie sie heute gehalten wurden, hätten zwischen Euch und mir niemals stattfinden sollen; niemals, niemals; das Herz dreht sich mir im Leibe um, denk ich daran. Hört mich an, haltet diesen Mann hier fest bis zwei Uhr morgens, und alles ist mir gleich. Schlagt ihm das vor.«
Wieder sprachen sie auf gälisch miteinander.
»Er sagt, er sei auf Geheiß von James More, meinem Vater hier«, dolmetschte sie. Sie war bleicher denn je, und ihre Stimme brach bei diesen Worten.
»Jetzt ist alles ziemlich klar«, meinte ich, »Gott verzeih den Übeltätern!«
Selbst hierauf antwortete sie nicht, sondern fuhr fort, mich mit dem nämlichen bleichen Gesicht anzustarren. »Eine schöne Sache«, hub ich von neuem an. »Soll ich also wirklich ins Verderben gehen und jene beiden mit mir reißen?« »Ach, was soll ich nur tun!« rief sie verzweifelt. »Kann ich denn gegen meines Vaters Befehl handeln, gerade jetzt, da er gefangen ist und vielleicht sein Leben davon abhängt?« »Vielleicht sind wir voreilig gewesen«, sagte ich. »Auch das Letzte kann eine Lüge sein. Vielleicht hat der Mann gar keine ausdrücklichen Befehle; alles kann das Werk Simon Frasers sein, ohne Wissen Eures Vaters.« Da brach sie, ohne auf uns beide zu achten, in Tränen aus, und mein Herz machte mir heftige Vorwürfe, denn dieses Mädchen dünkte mir in einer furchtbaren Lage. »Hört zu,« sagte ich, »haltet ihn nur eine einzige Stunde fest, und ich will versuchen durchzukommen und Euch segnen.« Sie reichte mir die Hand. »Ich habe ein gutes Wort nötig«, schluchzte sie. »Eine volle Stunde also?« fragte ich, ihre Hand festhaltend. »Drei Menschenleben hängen davon ab, mein Mädchen.« »Eine volle Stunde«, wiederholte sie und rief laut ihren Heiland um Vergebung an.
Ich meinte, hier wäre kein passender Ort für mich und floh.