Das heilige Köln

Köln ist eine der ältesten, größten und berühmtesten Städte am Rhein. Es soll, nachdem seine Stätte schon von Urvölkern bewohnt worden, 16 Jahre vor Christi Geburt begründet sein, und zwar von Marcus Agrippa, dem Schwiegersohn des Kaisers Augustus, daher sein lateinischer Name Colonia Agrippina. –

Es hatte die Stadt Köln so viel Kirchen und Kapellen, als das Jahr Tage zählt, und es birgt so viele Heiligen- und Märtyrerleiber, daß der Stadt schon in früher Zeit der Beiname das heilige Köln wurde. Auch ward es häufig das deutsche Rom genannt. Die drei Weisen des Morgenlandes, die das Christkind begabten, ruhen allda, St. Gereon mit seinen Kriegern, St. Ursula mit ihren 11 000 Jungfrauen, St. Georg der Drachentöter und viele andere Heilige. Und nun die langen Reihen heiliger und frommer Bischöfe und Erzbischöfe aus den edelsten und berühmtesten rheinischen Geschlechtern, mit großer Macht begabt; unter ihnen St. Severin, St. Cunibert, St. Anno u. a.

Gar große Rechte und Freiheiten hatte die Stadt und hat sie zum Teil noch immer, und sie stammen aus uralten Zeiten her.

Die Weingötter am Rhein

Zu Bacharach am Rhein, wo nach altem deutschen Reimspruch der besten Weine einer wächst, soll vor Zeiten ein Altar des Bacchus, des Weingottes, gestanden haben, und des Ortes Name soll von diesem Altar: Bacchi ara39 herrühren. Diesen Altarstein nannten die Winzer auch den Elterstein. Dort ist ein Fels im Rhein, der wird nur bei großem Wassermangel und heißem, dürrem Sommerwetter sichtbar. Er gilt stets für eine dem Weinjahr günstige Prophezeiung; denn es geht ein Sprüchlein, das lautet: »Kleiner Rhein gibt guten Wein.« Viele meinen, daß dieser Fels der Altar des Bacchus sei. Und wenn der Elterstein sich zeigt, so putzen die Schiffsleute eine Strohpuppe als Bacchus auf und befestigen sie auf dem Stein.

Zu Kaub, nahe der alten Burg Pfalzgrafenstein, mitten im Rheinstrom, lebt noch eine Sage von einem wunderlichen Heiligen, Theonest, dessen Name wie eine Verstümmelung des griechischen Wortes Dionysos (Bacchus) klingt. Dieser Theonest soll aber nicht ein heidnischer Weingott gewesen sein, sondern ein christlicher Märtyrer, der in Mainz bis auf den Tod gequält wurde und dem es gelang, in einer Weinkufe statt Nachens auf dem Rheinstrom zu entkommen und sich abwärts tragen zu lassen. Je weiter Theonest fuhr, um so wohler wurde ihm zumute, und bei Kaub landete er in seiner Kufe an, predigte das Christentum und pflanzte Weinreben, und zwar solche mit süßen Trauben, die kelterte er zuerst in seiner Kufe. Davon erhielt der Ort, den er hier am Strome gründete, den Namen Kaub, und in das Stadtsiegel nahmen hernach dankbar die Kauber das Bild des heiligen Theonest, in seiner Kufe sitzend, als ihr Stadtwappen auf. Auch ist Kaub hernachmals ein wichtiger Ort geworden durch Rheinzoll und Stromreederei40 .

  1. d. h. des Bacchus Altar
  2. Schiffsbau

Lurlei

Rheinsagen

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Wo das Stromtal des Rheins unterhalb Kaub am engsten sich zusammendrängt, starren schroff und steil zu beiden Seiten echoreiche Felsenwände von Schiefergestein schwarz und unheimlich hoch empor. Schneller fließt dort die Stromflut, lauter brausen die Wogen, prallen ab am Fels und bilden schäumende Wirbel. Nicht geheuer ist es in dieser Schlucht; die schöne Nixe des Rheins, die gefährliche Lurlei oder Lorelei, ist in den Felsen gebannt. Doch erscheint sie oft den Schiffern, strählt mit goldenem Kamme ihr langes, flachsenes Haar und singt dazu ein süß betörendes Lied. Mancher, der davon sich locken ließ und den Fels erklimmen wollte, fand seinen Tod in den Wellenwirbeln. Rheinab, rheinauf ist keine Sage so in aller Mund, als die von der Lurlei; aber sie gleicht dem Echo der Uferfelsen, das sich mannigfach rollend bricht und wiederholt. Viele Dichter haben sie ausgeschmückt – fast bis zur Unkenntlichkeit.

Lurlei ist die Rhein-Undine42 . Wer sie sieht oder wer ihr Lied hört, dem wird das Herz aus dem Busen gezogen. Hoch oben auf ihres Felsens höchster Spitze steht sie, im weißen Kleide, mit fliegendem Schleier, mit wehendem Haar, mit winkenden Armen. Keiner aber kommt ihr nahe, wenn auch einer den Felsgipfel erstiege. Sie weicht vor ihm, sie schwebt zurück, sie lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit bis an des Abgrunds jähen Rand. Er sieht nur sie, er glaubt sie vor sich auf festem Boden, schreitet vor und stürzt zerschmettert in die Tiefe.

  1. Eine ausführlichere Fassung dieser bekannten Sage findet sich in Bl. 13.
  2. Nixe

Die Brüder

Rheinsagen

Auf den nachbarlichen Burgen Sterrenberg und Liebenstein am Rhein wohnten zwei Brüder, die waren sehr reich und hatten die Burgen stattlich von ihres Vaters Erbe erbaut. Als ihre Mutter starb, wurden sie noch reicher. Beide hatten aber eine Schwester, die war blind, mit der sollten nun die Brüder der Mutter Erbe teilen. Sie teilten aber, da man das Geld in Scheffeln maß, daß jedes ein volles Maß nach dem andern nahm, und die blinde Schwester fühlte bei jedem, daß eins so voll war wie das andere. Die arglistigen Brüder drehten aber jedesmal, wenn es ans Maß der Schwester ging, das Maß um und deckten nur den von schmalem Rand umgebenen Boden mit Geld zu; die Blinde fühlte oben darauf und war zufrieden, daß sie ein volles Maß empfing, wie sie nicht anders glaubte. Sie war aber gottlos betrogen. Dennoch war mit ihrem Gelde Gottes Segen, und sie konnte reiche Andachten stiften in drei Klöstern, zu Bornhofen, zu Kiedrich und zur Not Gottes.

Aber mit dem Gelde der Brüder war der Unsegen für und für. Ihre Habe verringerte sich, ihre Herden starben, ihre Felder verwüstete der Hagel, ihre Burgen begannen zu verfallen, und sie wurden aus Freunden Feinde und bauten zwischen ihren nahe gelegenen Burgen eine dicke Mauer als Scheidewand, deren Reste noch heute zu sehen sind. Als all ihr Erbe zu Ende gegangen war, versöhnten sich die feindlichen Brüder und wurden wieder Freunde, aber auch ohne Glück und Segen. Beide bestellten einander zu einem gemeinschaftlichen Jagdritt; wer zuerst munter sei, solle den andern Bruder frühmorgens durch einen Pfeilschuß an den Fensterladen wecken. Der Zufall wollte, daß beide gleichzeitig erwachten und im gleichen Augenblick die Laden aufstießen und schossen, und daß der Pfeil jedes von ihnen dem andern ins Herz fuhr. Das war der Lohn ihrer untreuen Tat an ihrer blinden Schwester.

Heinrich Frauenlobs Begräbnis

Es war in deutschen Landen ein Minnesänger, der sang viel süße Weisen zum Lobe der Frauen; deshalb gewann er auch den Namen Frauenlob, denn sein rechter Name war Meister Heinrich von Meißen. Viele Reisen machte der Sänger von einem deutschen Hofe zum andern. Er sang irdische und sang Gottesminne. Zu Rostock regierte Markgraf Waldemar von Brandenburg, der hatte einen Rosengarten und ließ ein Wettsingen veranstalten; da war Meister Heinrich der erste Sieger. Einstmals lauerten Feinde ihm auf und umringten ihn mit Dräuen, sie wollten ihn töten. Da bat er, sie sollten ihm noch einen Sang vergönnen. Und als sie das taten, sang er so rührend zum Preise der himmlischen Frauen, daß jede gehobene Waffe sich senkte und die Feinde ihn ungehemmt und ungeschädigt von dannen ziehen ließen.

Auf seinen Sangesfahrten kam Meister Heinrich auch nach Mainz und verstarb allda und wurde begraben im Umgang des Domes, neben der Schule, mit großen Ehren. Von seiner Herberge bis zur Grabstätte trugen ihn Frauen und erhoben um ihn großes Weinen und Wehklagen, um des großen Lobes willen, welches der Sänger dem ganzen weiblichen Geschlecht zeit seines Lebens erteilt hatte. Und mit den Tränen zugleich gossen sie eine Fülle edlen Weins auf Meister Heinrichs Grab, daß der Wein durch den ganzen Umgang der Kirche floß. Und wäre manchem Dichter lieber, sie gäben ihm solchen Wein beim Leben. Mehr als ein Denkmal ist Heinrich Frauenlob errichtet worden, und seine Sänge sind noch unvergessen.

Der Franken Furt

Zur Zeit Karls des Großen kriegten die Sachsen gegen die Franken und ihren mächtigen König. Einst waren die Sachsen siegreich und trieben die Feinde bis hinab zum Mainstrom. Wie nun die flüchtigen Franken an die Stelle kamen, wo jetzt Frankfurt liegt, und des Stromes Breite und Tiefe sie erschreckte, da sie weder Brücke noch Schiffe hatten, siehe, da zeigte ihnen eine Hirschkuh den Weg, indem sie ohne Gefahr durch den Strom schritt und also eine Furt anzeigte, wo die Franken ohne Gefahr über den Strom setzen konnten. Als nun später die nachfolgenden Feinde kamen und jene Furt nicht kannten und fanden, mußten sie die Franken unverfolgt lassen. Und Karl der Große soll gesprochen haben: »Besser, daß die Völker sagen, ich sei mit meinen Franken diesmal vor den Sachsen geflohen, als daß sie sagen, ich sei hier gefallen; denn weil ich lebe, kann und will ich meine Ehre retten!« Dort nun siedelten sich Franken an; denn es war ein lieblich und fruchtreich gelegener Gau. Und sie nannten den Ort die Furt der Franken, Frankfurt.

Manche sagen, gleich damals hätten die Sachsen den Ort Sachsenhausen, Frankfurt gegenüber, dicht am Mainstrom begründet; andere aber behaupten, dessen Gründung sei erst dann geschehen, als Karl der Große überwundene Sachsen aus ihrem Heimatlande hinweg und zur Ansiedelung im Frankenlande genötigt habe, wovon bis auf den heutigen Tag noch viele Ortsnamen zeugen. Später erbaute Kaiser Karl selbst eine kleine Pfalz zu Frankfurt und hielt sich Jagens halber gern dort auf, feierte Ostern da und hielt Reichskonvente30 . Auch Karls des Großen Sohn, König Ludwig, wohnte da, recht in seines weiten Reiches Mitte, und sein Sohn Karl, hernachmals der Kahle genannt, ward allda geboren. Noch immer wird die seichte Stelle im Main gezeigt, wo der Franken Furt war und Frankfurts erster Anbau und Name sich begründete. Und Kaiser Karls Pfalz stand da, wo jetzt die St. Leonhardskirche steht, und die neue Pfalz, welche Ludwig der Fromme erbaute und der Saal hieß, lag neben dem Fahrtor; davon hat noch bis heute die Saalgasse ihren Namen. Im Saalhof starben Ludwig der Deutsche, des frommen Ludwig jüngster Sohn, wie auch Hemma, dessen Gemahlin. Dieser König war es, der Frankfurt zu des ostfränkischen Reiches weltlicher Hauptstadt erhob, während Mainz die geistliche war.

  1. Zusammenkünfte

Vom Eschenheimer Turm

Zu Frankfurt steht noch ein gar alter Turm von der ehemaligen Stadtmauer, der heißt der Eschenheimer Turm.

Einst hatten die Frankfurter einen Wilddieb gefangen, des Name war Hänsel Winkelsee. Der saß schon neun Tage im finstern Loch, ehe Spruch und Urteil über ihn erging. Und er hörte allnächtlich die Wetterfahne kreischen und rasaunen über seinem luftigen Losament31 hoch oben im Eschenheimer Turme und sprach: »Wär‘ ich frei und dürft‘ ich schießen nach meinem Wohlgefallen, so schöss‘ ich dir, du lausige Fahn‘, so viel Löcher durchs Blech, als Nächt‘ ich hier gesessen hab‘!«

Diese Rede hörte der Kerkermeister und trug sie vor den Stadtschultheißen der freien Stadt, und dieser sagte: »Dem Kerl gehört keine Gnad‘ als der lichte Galgen; wenn er aber so ein gar guter Schütz sein will, so wollen wir ihn sein Glück probieren lassen.« Und da ward dem Winkelsee seine Büchse gegeben und gesagt, nun solle er tun, wes er sich vermessen; wenn er das könne, solle er frei von dannen gehen; wenn aber auch nur eine Kugel fehlgehe, so müsse er baumeln, und da krähe kein Hahn nach ihm.

Da hat der Wildschütz seine Büchse genommen und hat sie besprochen mit guten Weidmannssprüchlein, und hat Kugeln genommen, die auch nicht ohne waren, und hat angelegt und nach der Fahne gezielt und hat losgedrückt. Da saß ein Löchlein im Blech, und alles hat gelacht und »Bravo!« gerufen. Und nun noch achtmal so und jede Kugel an die richtige Stelle, und mit dem neunten Schuß war der Neuner fertig, der heute noch in der Fahne auf dem Eschenheimer Turm zu sehen ist, und war ein großes Hallo um den Schützen her.

Der Stadtrat aber dachte bei sich: »O weh, unsere armen Hirsche und sonstiges Wild, wenn dieser Scharfschütze und Gaudieb wieder hinaus in die Wälder kommt!« und beriet sich. Und der Stadtschultheiß sagte: »Höre, Hänsel, daß du gut schießen kannst, haben wir schon lange an unserer Stadt Wildstand verspürt und jetzt auch deine Kunst mit Augen gesehen. Bleibe bei uns; du sollst Schützenhauptmann bei unserer Bürgerwehr werden!« Aber der Hänsel sprach: »Mit Gunst, werte Herren, ins Blech hab‘ ich geschossen, und ich schieß‘ euch auch auf euern Schützenhauptmann! Eure Dachfahnen trillen mir zu sehr, und euer Hahn kräht mir zu wenig. Mich seht ihr nimmer, und mich fangt ihr nimmer! Dank für die Herberge!« Und er nahm seine Büchse und ging trutziglich von dannen. –

Mit dem Hahn aber hatte der Hänsel nur einen Spott ausgeredet. Er meinte das Frankfurter Wahrzeichen, den übergüldeten Hahn mitten auf der Sachsenhäuser Brücke, die der Teufel hatte fertigbauen helfen. Denn als sie der Baumeister nicht fertigbrachte, rief er den Teufel zu Hilfe und versprach ihm die erste Seele, die darüberlaufen werde, und jagte dann in der Frühe zuallererst einen Hahn über die Brücke. Da ergrimmte der Teufel, zerriß den Hahn und warf ihn durch die Brücke mitten hindurch. Davon wurden zwei Löcher, die können bis heute nicht zugebaut und zugemauert werden; denn bei Nacht fällt alles am Tage Gemauerte wieder ein. Auf der Brücke aber wurde der Hahn zum ewigen Wahrzeichen aufgestellt. Den meinte Hänsel Winkelsee, daß er zu wenig krähe, nämlich – gar nicht.

  1. Herberge

Not Gottes

Zu Rüdesheim am Rhein bewohnte das mannliche Geschlecht der Brömser von Rüdesheim ihre uralte graue Feste, deren Aufbau in die Römerzeit fällt, und weiter stromabwärts, an der Waldbergerhöhe, ist das Kloster gelegen, welches den wunderbarlichen Namen »Not Gottes« trägt.

Ein Brömser von Rüdesheim zog nach Palästina, tat allda viele mannliche Taten, bezwang viele Sarazenen und kämpfte mit einem Drachen, den er auch erlegte. Aber bald darauf fiel er in die Hände der Ungläubigen, die ihm schwere Ketten zu tragen auferlegten. Da gelobte er in seinem Kerker, seine Tochter, die er als ein junges Kind verlassen, dem Himmel zu weihen, wenn sie am Leben bleibe und er in die Heimat zurückkehre. Und siehe, des Ritters Ketten fielen von ihm ab, der Himmel nahm das dargebotene Opfer an, der Ritter entkam und eilte der Heimat zu.

Freudvoll empfing ihn seine schön erblühte Tochter, und er offenbarte ihr sein Gelübde. Da wurde die Tochter bleich wie der Tod; – sie war in Minne einem jungen Ritter zugetan, dessen Hand von ihrem Vater zugesprochen zu erhalten sie zuversichtlich gehofft hatte. Aber es halfen nicht Flehen, nicht Tränen: der Vater glaubte dem Himmel vor allem sein ritterliches Wort zu halten schuldig zu sein. Da enteilte die Tochter laut wehklagend der Brömserburg, erklomm den nächsten Felsen und stürzte sich in den Strom hinab.

Groß war des Vaters Schmerz, und da er nun sein Gelübde nicht halten konnte, so gelobte er statt dessen, er wollte ein Kloster erbauen. Es ging aber ein Mond nach dem andern hin, und der alte Brömser vergaß seines neuen Gelübdes. Es mochte wohl daher kommen, daß er durch alten Rüdesheimer seinen Schmerz hinwegbannte und darob sein Gedächtnis etwas schwach ward. Da hatte er einmal ein nächtliches Gesicht: der Drache, den er in Palästina erlegt hatte, war wieder bei ihm und fauchte ihn mit weitaufgesperrtem Rachen an und drohte ihn zu verschlingen mit Haut und Haar; – da sah er die Gestalt seiner Tochter, die winkte den Drachen hinweg und blickte gar wehmutsvoll auf den Vater und verschwand.

Am Morgen aber kam des Brömsers Ackerknecht und sagte an, wie er in aller Frühe mit dem Pflug und den Stieren zu Acker gezogen sei, da habe er eine klagende Stimme vernommen, die immerfort gerufen habe: »Not Gottes! Not Gottes!« Und die Stiere hätten nicht ziehen wollen, sondern immer am Boden gescharrt. Sogleich begab sich der Ritter Brömser selbst hinaus auf das Ackerfeld, und da vernahm er dieselbe wehklagende Stimme: »Not Gottes! Not Gottes!« die ganz in der Nähe von der Stelle drang, wo die Ochsen standen und scharrten, und zwar kam die Stimme aus einem hohlen Baume. Der Ritter rief und suchte, aber er entdeckte nichts. Da ließ er den Baum spalten, und da fand sich innen am Boden des hohlen Stammes eine Monstranz32 mit dem heiligen Leib und ein hölzernes Bild des Schmerzensmannes33 . Als diese Kleinode dem Baume entnommen waren, schwieg die Stimme, und die Stiere waren ruhig.

Das erinnerte nun den Brömser stark an die Erfüllung seines Gelübdes. Er gründete ein Kloster, ließ an des hohlen Baumes Stelle den Altar aufrichten und stellte das Christusbild darauf. Und das Kloster ward »Zur Not Gottes« genannt, und es geschahen zu dem Kloster und zu dem Bilde viele Wallfahrten rheinab und -auf, daß öfters an einem Tage 16 000 Waller da waren. Und das Bild tat vordem große Wunder.

  1. heiliges Gefäß
  2. Jesus am Kreuz

Der Binger Mäuseturm

Erzbischof Hatto von Mainz war, wie die Sage erzählt, ein gar strenger Herr, zornigen, treulosen Gemütes, ohne Furcht vor Gott und ohne Liebe zu den Menschen. Er soll es gewesen sein, der durch schändlichen Verrat den edlen Grafen Adalbert von Babenberg in das Lager König Ludwigs IV. lockte, der denselben enthaupten ließ. Wenn Bischof Hatto eine Rede bekräftigen wollte, so soll er immerdar das Wort im Munde geführt haben: »Sollen mich die Mäuse fressen, wenn’s nicht wahr ist!«

Nun trug sich’s zu, daß unter Hattos Regierung eine große Not und Teuerung entstand, so daß die Leute Hunde und Katzen aßen und viele Hungers starben. Und da war des Bettelns und Gabenheischens in dem Bischofsschloß zu Mainz kein Ende, und Hatto meinte, es sei am besten, das arme Volk käme eilend von der Welt, so hungere es nicht mehr und er bliebe ungeplagt. Er ließ daher alle Armen der Stadt in eine Scheune draußen vor dem Tore entbieten, als wolle er ihnen eine Mahlzeit zurichten lassen. Und als alle darinnen waren, ließ er das Scheunentor verschließen und die Scheune an allen vier Ecken anzünden. Da nun die Eingesperrten ein gar jämmerliches Geschrei erhoben, sagte der grausame Bischof: »Hört ihr, wie meine Kornmäuse pfeifen? Nun wird der Bettel wohl ein Ende haben! Sollen mich die Mäuse fressen, wenn’s nicht wahr ist!«

Und siehe, da sprang eine Schar Mäuse aus dem Brand der Scheune hervor und an den Bischof hinan; die bissen ihn, und ihm graute. Als er nach Hause kam und sich zur Tafel setzte, liefen Mäuse auf der Tafel herum, fraßen von seinen Speisen, fielen in seinen Becher und bissen ihn in die Hände. Über seiner Lagerstatt und unter ihr und in ihr waren Mäuse und quälten ihn mit wütenden Bissen. Da erkannte Hatto schaudernd das Gericht Gottes.

Nun stand bei Bingen im Rheinstrom eine Wasserburg, dahin enteilte der Bischof, um dort sicher zu sein; denn über das Wasser, meinte er, würden die Mäuse nicht kommen. Aber ehe er noch in das Schiff trat, waren schon die Mäuse drin, und da half kein Totschlagen; denn sie verkrochen sich, und ganze Scharen Wassermäuse kamen, die schwammen mit dem Schiff in die Wette nach der Turminsel bei Bingen. Auf einem großen Rheinfloß waren nicht soviel Menschen als Mäuse in und um Bischof Hattos Schiff. Und als er in dem Turme war, da fielen sie ihn an und bissen ihn und fraßen ihn bei lebendigem Leibe auf. Und wo an einer Wand oder auf einer Tafel der Name des Bischofs Hatto zu lesen war, da nagten es die Mäuse ab, um selbst sein Gedächtnis zu tilgen.

Seitdem heißt der Rest von Hattos Wasserburg im Rhein bei Bingen der Mäuseturm.

Das Pfaffenkäppchen

Zwischen schroff und steil überm Tal der Nahe zum Himmel sich aufgipfelnden Felskolossen werden noch jetzt die Trümmer der einst trotzigen Burgfeste Rheingrafenstein erblickt.

Auf der Kauzenburg saß ein junger Rheingraf, jagdlustig und mutig, der wünschte sich eine Burg auf diesen ungeheuren Felsen, stattlich wie die Ebernburg und der Landstuhl der Sickinger, unnahbar dem Feinde. Und mit solchen Wünschen weilte er einstens sehnend und sinnend in der Nähe der Felsriesen, deren Gipfel noch kein Mensch erstiegen hatte. Da gesellte sich einer zu ihm, den man nicht gern nennt, der las in des jungen Rheingrafen Seele den Wunsch und redete ihn an und sprach: »Eine Burg da droben, eine schöne, stattliche, feste, ja, die wär‘ Euch recht! Nicht so? Fehlt nur der Baumeister – ja! – Und wenn einer käme und baute sie über Nacht, dem verschriebet Ihr wohl einen stattlichen Lohn? Was gäbet Ihr solchem? Sagt an!« – »Ihr redet wunderlich,« erwiderte der Rheingraf; »seid Ihr der Mann, der das vermag, so fordert und bestimmt den Lohn!« – »Nur eine einzige Seele – die Seele dessen, der zuerst durchs Fenster der neuen Burg hinab ins Tal der Nahe und über alle Täler und Berge ausschaut; – das ist doch wohl wenig für eine stattliche Grafenburg!«

– »Kommt heute abend wieder her –; ich will es mir überlegen!« sagte der Rheingraf und verließ gedankenvoll den Ort. Eine Seele seinem Wunsche zu opfern, dünkte ihn sündlicher Frevel, und doch war sein Wunsch stark und groß.

Daheim ließ er seinen Burgkaplan kommen und offenbarte dem den Handel. Der Kaplan schlug viele Kreuze und riet ernstlich ab, warnte gar treu vor des bösen Feindes List und Tücken und rückte sein schwarzes Käppchen auf dem Scheitel wohl hin und her. Da trat des Rheingrafen junges Ehegemahl herein und hörte das Gespräch. Sie ließ erst den Kaplan hinausgehen; dann sagte sie: »Laß jenen nur gewähren! Versprich ihm, was er begehrt; das andere findet sich.«

Da ritt der Ritter wieder hinaus ins Nahetal und hielt ganz allein am Fuß der Felsen, und es dämmerte schon. Oben aber sprang eine schwarze Gestalt von Fels zu Felsen, einer Gemse gleich, und mit einem Male stand der Fremde auch unten im Tale. »Was machst du da droben?« fragte der Ritter. – »Ich nahm einstweilen die Maße,« antwortete jener und fragte: »Nun, soll ich?« Fast hätte der Rheingraf gesagt: »In Gottes Namen!« – da wäre es gleich aus gewesen – aber er besann sich und sagte bloß: »Ja – aber bis morgen früh fertig! Und daß nichts fehle: Bergfried34 , Palas35 , Luginsland, Mauern, Brücken – alles, was zu einer stattlichen Burg gehört!«

Rheinsagen

Am andern Morgen glänzte die Burg flammenrot ins Nahetal herab. Alle Welt war erstaunt; solch Wunder und Zauberwerk war noch nicht dagewesen. Der Rheingraf ritt nun hinauf, und der Baumeister der Nacht führte ihn in dem neuen herrlichen Eigentum umher, zeigte ihm Hallen und Säle, Brücken und Gänge, und öffnete im Palas ein hohes Bogenfenster, die herrliche Aussicht bewundern zu lassen. Aber der Ritter sah nicht hinaus; er sagte spöttisch: »Machet zu; hier zieht’s! Wir sind warm vom Steigen. Morgen wollen wir die Kauzenburg verlassen und hier heraufziehen. Ihr räumt wohl den Platz und nehmt ein Zimmer im Wächterturme? Nicht?« – Der Teufel zog ein schiefes Maul; er hatte sich schon unendlich darauf gefreut, dem Rheingrafen einen Stoß aus dem Fenster in die schwindelnde Tiefe zu geben und mit dessen Seele davonzufahren.

Am andern Morgen kamen der Rheingraf und die Gräfin, der Burgkaplan und das Hofgesinde, die Leibdiener, die Jäger, die Knappen, die Stalleute, die Wächter, die Hundejungen, die Hühnerwärter, die Schloßmägde, die Käsemutter, der Schloßzwerg, die Pferde, die Kühe, die Esel, die Rüden, der Meeraffe, die Katzen. Es war ein Zug, schier gleich dem des Erzvaters Noah, da er in den Kasten ging, zu Roß, zu Esel, zu Wagen – alles auf das neue Schloß.

Die junge Gräfin scherzte freundlich mit dem Burgkaplan, da droben werde es sehr zugig sein, sie wolle ihm ein wärmeres Käpplein nähen, er möge ihr das alte einmal zum Muster leihen. Und als sie oben angelangt war, ließ sie durch die Knappen auch ein Eselsfüllen hinauf in den Palas führen. Und sie hieß es halten und band ihm des Kaplans Käpplein auf den Kopf und ließ das Fenster öffnen und das Füllen daranstellen. Das schaute gar sanft und bedächtiglich zum Fenster hinaus und spitzte die Ohren und witterte die frische Morgenluft.

Der Teufel hatte lange schon still lauernd seitwärts gegenüber auf der Turmzinne gesessen. Jetzt sah er das Fenster sich öffnen, sah des Kaplans ihm wohlbekanntes Käppchen zum Vorschein kommen und fuhr im Nu hin und krallte seiner Meinung nach den Burgkaplan heraus und schmetterte ihn ins Tal und fing die Seele auf. Herr Gott, was der Teufel für einen Zorn hatte, als er sich überlistet sah und statt einer Menschenseele eine Eselsfüllenseele in den Klauen hielt! –

  1. Wartturm
  2. Wohnhaus (Teile der Ritterburg)