Der Bürger Marsilius

Zu den Heidenzeiten geschah es, daß ein römischer Kaiser Köln belagerte und es in große Not brachte. Es begann in der Stadt an allem zu mangeln, am meisten aber an Holz. Da war ein edler Bürger und Hauptmann in der Stadt gesessen, der hieß Marsilius, der ersann einen listigen Anschlag und gab guten Rat. Eine Schar Frauen, als Männer verkleidet, mußte mit Karren und Holzwagen zu dem einen Tor hinaus und nach dem Walde ziehen, dort Holz zu fällen oder auch nur so zu tun; die Bürger aber unter ihrem Führer Marsilius zogen zu einem andern Tore hinaus, um dem Feinde, sobald er sich gegen die Schar der Frauen wenden würde, in den Rücken zu fallen.

Und es geschah alles so, wie es vorgesehen war. Die Bürger drangen mit großer Macht auf den Feind, und auch die Frauen trugen ihre Wehren nicht zum Schein. Und die Kölner gewannen einen vollständigen Sieg, erwarben viele Beute und machten eine große Schar von Gefangenen, darunter den Kaiser selbst, der ihre Stadt belagert. Der ward in einen tiefen Turm gelegt und sollte dann auf offenem Markte enthauptet werden.

Schon war ein köstlicher Teppich bereitet, der des Römerkaisers Blut trinken sollte, und schon mußte der Kaiser auf ihn niederknien. Da sprach er: »Ließet ihr mich leben, ihr Bürger von Colonia, so sollte euch mein Leben viel nützlicher sein denn mein Tod!« Da wurde dem Henker geboten, noch zu harren, und es wurde noch einmal Rat gehalten. Und Marsilius riet, dem Kaiser das Leben zu schenken, aber von ihm stattliche Gerechtsame zu begehren. Der Rat war den Kölnern abermals genehm, und Marsilius und die Senatoren entwarfen die Gerechtsame, welche sie fordern wollten, und schrieben sie auf eine glatte Tierhaut. Und der Kaiser mußte sie besiegeln und seinen großen Ring in ein dickes Stück Wachs auf dem pergamentnen Brief drücken und seinen Namenszug daneben schreiben nach alter Sitte.

Solches geschah an einem Donnerstage im Monat Junius, und hernachmals haben die Bürger zu Köln fort und fort am Donnerstag nach dem heiligen Pfingstfest diesen Tag begangen und ihn Holzfahrttag geheißen und sind mit Gesang und Spiel und Festlust nach dem Walde gezogen. Marsilius aber ward ob seines guten Rates hoch geehrt und der Stadt vornehmster Bürger und Hauptmann. Und als er gestorben war, wurde sein Sarg in der Stadtmauer beigesetzt, da, wo man es nachher zu St. Aposteln genannt hat, und ihm dort ein steinern Denkmal aufgerichtet. Auch ist seine Bildsäule noch am Gürzenich zu sehen, dem alten Kauf- und Ballhaus der Stadt Köln, neben ihrem Begründer Marcus Agrippa, zu ewigem Gedächtnis.

Die Kölner Dom-Sage

Da man begann, den Kölner Dom zu bauen, verdroß es den Teufel mächtig, daß in der heiligen Stadt Köln, welche schon so viele Kirchen und Kapellen hatte, darinnen die Frommen Gott dienten, dem Herrn auch noch so ein übergroßes Haus erbaut werden solle. Der Teufel nahm daher Menschengestalt an, trat mit List zu dem Baumeister und sprach zu ihm: »Du übernimmst ein unausführbar schweres Werk! Was wettest du, daß ich eher einen Kanal lege von Trier bis nach Köln, ehe du deinen Bau vollendest? Einen Kanal, mittels dessen dieser guten Stadt reines Trinkwasser nicht minder als edler Moselwein zufließen kann. Und ich meine fast, solcher Kanal wäre der Stadt nützlicher als noch eine Kirche zu den vielen, die Köln schon hat.« – »Was soll ich wetten?« fragte der Baumeister. »Wir wetten, daß der von uns sein begonnenes Werk alsbald einstelle, es sei vollendet, so weit es wolle, wenn das des andern als vollendet erscheint: ich das meine, wenn du die höchsten Kronen auf die Spitzen deiner Domtürme setzest, du das deine, wenn von Trier das Wasser in meinem Bau geflossen kommt und in deinen ausmündet.« Der Dombaumeister ging den Vertrag ein, und beide begannen ihr Werk. –

Rheinsagen

Hoch und höher wuchs der Dombau, nah und näher rückten von Trier aus die Säulen einer gewaltigen Wasserleitung, ein stolzes Werk, wie es nur die Kunst der alten Römer auszuführen vermocht hätte. Da – als die Domtürme die Höhe des Krans erreicht hatten, da stand der Baumeister oben auf dem Gerüst und blickte hinab. Da sah er zu seinem Schrecken das Werk vollendet: der Kanal war bis an den Dom herangerückt. Noch war er wasserleer; da schien in der Ferne ein weißer Punkt sich zu bewegen, näher und immer näher –, und da kam das Wasser brausend geschossen, und auf dem Wasser schwamm eine weiße Ente. Als der Baumeister sich überwunden sah, stürzte er sich von der Höhe des Turmes und des Baugerüstes in die Tiefe hinab, und sein treuer Hund, der ihm auf das Gerüst gefolgt war, sprang ihm nach.

Nimmer konnte der Dom vollendet werden. Aber auch jene Wasserleitung brach die mächtige Hand der Zeit. Das Volk nennt ihre Trümmer die Teufelskralle. Zum Überfluß und als Siegeszeichen warf der Teufel noch einen Stein durch das Dach im Chor über der Heiligen-Dreikönigs-Kapelle, davon ein drei bis vier Fuß weites Loch blieb. Der Stein aber liegt noch auf dem Pflaster bei der Kapelle; die Leute nennen ihn den Teufelsstein. Man sieht auf ihm ein Zeichen wie eine Hahnenkralle, die von der Teufelskralle eingebrannt ward.

Herr Gryn und der Löwe

Zu Köln saß auf dem geistlichen Herrscherstuhle Erzbischof Engelbert; der hatte viel Streitens mit der Bürgerschaft, das bis zum blutigen Kampf gedieh. Der Erzbischof hatte einen Löwen, den hatten ihm zwei Domherren aufgezogen. Gegen den Erzbischof stand in stetem Streite der Bürgermeister der Stadt, Herr Hermann Gryn, und hielt zur Gemeinde und verteidigte deren Rechte; doch war er mit den Domherren gleichwohl persönlich nicht verfeindet.

So luden die zwei, welche des Erzbischofs enge Freunde waren, eines Tages – es soll im Jahre 1266 sich zugetragen haben – den Bürgermeister zu sich ein zu einem Gastmahl. Sie brachten das Gespräch auf den Löwen, den sie heimlich hatten fasten und sehr hungrig werden lassen, und erboten sich, vor dem Essen ihn den Löwen sehen zu lassen. Sie führten Hermann Gryn an die Pforte des Löwenzwingers, öffneten diese und stießen ihn unversehens hinein, worauf sie die Türe zuschlugen und vermeinten, der Löwe werde ihn alsobald zerreißen.

Als der Löwe den Mann sah, riß er den Rachen mit den scharfen Zähnen weit auf, schlug einen Schweifring und legte sich nach Katzenart zum Sprunge. Herr Hermann Gryn aber, wie er sah, was ihm drohte, schlang rasch seinen Mantel um den linken Arm und zog sein Schwert und wartete nicht, bis der Löwe sprang, sondern stürzte sich auf ihn mit gezücktem Schwerte, fuhr ihm mit dem linken Arm in den Rachen hinein und durchstieß ihm das Herz mit dem Schwerte. Dann gewann er einen Ausgang und eilte, ohne gegessen zu haben, seinem Hause zu.

Dieses Mittagessen bekam aber den beiden Domherren gar übel; denn der Bürgermeister sandte seine Häscher unversehens und ließ sie greifen und aufhenken an einen Balken gleich am Tore des Chorherrenhauses neben dem Dom, das nannte man seitdem das Pfaffentor. Darauf wurde zum Andenken solchen Mutes das Bild Gryns mit noch drei andern Löwenbändigern in Gesellschaft in Stein ausgeführt und zur Zier über dem Pfeilerbogengang am Rathaus angebracht. Da sieht man die Mär von Herzog Heinrich dem Löwen, Simsons Löwenkampf und Daniel in der Löwengrube dem Kölner Löwensieger beigesellt. –

Die letzte Saat

Bei Mülheim, nahe dem Rhein, lag vorzeiten ein Kloster, namens Dünnwald. Das war in Streit geraten über hundert Morgen Ackerlandes mit einem nachbarlichen Edeln, Junker Hall von Schleebusch. Das Kloster wie der Junker sprachen das große Grundstück als Eigentum an. Zwar hatte es der Junker im Besitz, aber alle Nutzung verzehrten die Kosten des vor Gericht geführten Rechtsstreites.

Da bot endlich der Junker Hall von Schleebusch den frommen Vätern des Klosters Dünnwald gütlichen Vergleich an und sprach zu ihnen: »Fromme Väter, ich bin des langen Haders müde, der uns beiderseits nicht frommt. Die hundert Morgen sollen fürder und künftig für alle Zeiten des Klosters eigen sein; nur eins bedinge ich: noch einmal eine, und zwar die letzte Aussaat. Ist die zur Ernte reif und eingebracht, so begebe ich mich jedes Anspruchs auf die hundert Morgen.« – »Der Himmel stärke Euch, edler Junker, in solch frommem Entschluß,« sprach der Abt; »doch seiet Ihr wohl so gnädig, uns dieses Versprechen schriftlich zu geben!« Darauf wurde ein Brief auf Pergament doppelt geschrieben und ausgefertigt, und der Junker hing sein Siegel in Wachs daran und der Abt des Klosters das seine, und das große Konventsiegel kam auch noch hinzu und das des Priors und noch zwölf Siegel erbetener ritterlicher Zeugen, und es war ein sehr schöner Brief, diese Schenkungsurkunde auf ewige Zeiten nach der Ernte der letzten Aussaat, die noch des Junkers sein sollte.

Junker Hall von Schleebusch ließ nun seinen Acker bestellen und die hundert Morgen besäen. Das geschah im Herbst, und im Frühjahr ging die Saat auf, wollte aber gar nicht recht in die Höhe schießen wie andere Saat. Da nun das Fest der Hagelfeier kam, wo man mit Prozessionen und Fahnen die Felder umgeht und für sie betet, da sahen die Mönche nach der Saat auf dem künftigen Klostererbe. Aber was sahen sie? – Eine Saat von Eicheln. »Betrug! Betrug!« schrien Abt und Prior und Konvent. Aber es half nichts; denn im Briefe stand: »Vnde bewilligen ihme deme edeln junkherrn Hall vom Sleehenbosche die letzte Vssaat sinder Widerrede vnde sinder alle geferde usw.44

Lange noch freute Junker Hall von Schleebusch sich seines schönen, herrlich gedeihenden jungen Eichenwaldes. Er jagte noch Hasen und Hühner darin. Die Bäume wuchsen, und Abt und Prior und der ganze damalige Konvent gingen einer nach dem andern zur ewigen Ruhe. Und immer noch wuchsen die Eichen, und der schöne Brief wurde grau, und die Siegel wurden voll Staub, und es dachte niemand mehr an ihn. Und immer noch wuchsen die Eichen, und das Kloster versank in Schutt und Trümmer, und das neue Geschlecht, das gekommen war, konnte die Schrift des alten Briefes nicht mehr lesen.

  1. »Und bewilligen ihm, dem edlen Junker Hall von Schleebusch, die letzte Aussaat sonder Widerrede und sonder alle Gefährde.«

Nibelung von Hardenberg und der Zwerg Goldemar

Im Jülicher Lande saß ein Edler, namens Nibelung von Hardenberg, dem gehörten die Schlösser Hardenberg, Hardenstein und Rhauental. Und bei ihm wohnte ein Zwergenkönig oder Elbe, der hieß Goldemar, der war dem Nibelung von Hardenberg und nicht minder dessen schöner Tochter gar sehr zugetan, gab Ratschläge und war hilfreich in allen Sachen. Und obschon der Elb Goldemar sich nicht sehen ließ, vielmehr stets unsichtbar blieb, so ließ er sich doch deutlich wahrnehmen. Er trank Wein mit dem Ritter, spielte mit ihm und seiner Schwester Brett und selbst mit Würfeln und spielte auch die Harfe gar wundersam, daß kein Mensch auf Erden ihr solche Töne entlocken konnte. Wollte Nibelung sich überzeugen, ob der Elbe wirklich bei ihm sei, so fühlte er nach dessen Hand, und die war sehr klein, zart, weich und warm.

Der Elb trieb es also drei Jahre lang auf Hardenbergs Schlössern und beleidigte niemand. Da geschah es, daß er beleidigt wurde; denn die Hausgenossen, denen seine Anwesenheit unverborgen war, wurden von Neugierde geplagt, ihn zu sehen oder doch zu erfahren, wie der Elb aussähe. Da streuten sie heimlich Asche auf den Fußboden und Erbsen. Goldemar, der Zwerg, kam, sich nichts versehend, in den Saal und trat auf die Erbsen und glitt aus und fiel, und seine Gestalt drückte sich in der Asche ab. Sie war aber wie eines jungen Kindes Gestalt, und die Füße waren ungestaltet. Da kam der Elbe Goldemar nimmer wieder auf des Hardenbergs Schlösser.

Er wandte sich anderswohin und entführte eine Königstochter, die hieß Hertlin. Die Mutter dieser Königstochter starb vor Leid über der Tochter Verlust. Die Tochter aber ward durch den sieghaften Helden Dietrich von Bern befreit und geehelicht. – Manche sagen, daß das Bern, wovon der Held Dietrich den Namen geführt, nicht das Bern in der Schweiz, auch nicht das welsche Verona gewesen, sondern das rechte Dietrichs-Bern sei Bonn gewesen. Der älteste Teil dieser Stadt habe auch Verona oder Bern geheißen, und da in dieses rheinische Gefilde so viele Taten Dietrichs von Bern fallen, von denen in alten Heldenbüchern zu lesen ist, so dürfte wohl etwas Wahres an der Sage sein. –

Der Zwerg Goldemar aber hatte, nachdem ihm Dietrich die Beute abgedrungen, die Riesen zu Hilfe gerufen und Berge und Wälder ringsum schrecklich verwüstet. Die Stadt Elberfeld soll ihren Namen von nichts anderm tragen als von den Elben, auf deren Felde sie begründet ward.

Die Weingötter am Rhein

Zu Bacharach am Rhein, wo nach altem deutschen Reimspruch der besten Weine einer wächst, soll vor Zeiten ein Altar des Bacchus, des Weingottes, gestanden haben, und des Ortes Name soll von diesem Altar: Bacchi ara39 herrühren. Diesen Altarstein nannten die Winzer auch den Elterstein. Dort ist ein Fels im Rhein, der wird nur bei großem Wassermangel und heißem, dürrem Sommerwetter sichtbar. Er gilt stets für eine dem Weinjahr günstige Prophezeiung; denn es geht ein Sprüchlein, das lautet: »Kleiner Rhein gibt guten Wein.« Viele meinen, daß dieser Fels der Altar des Bacchus sei. Und wenn der Elterstein sich zeigt, so putzen die Schiffsleute eine Strohpuppe als Bacchus auf und befestigen sie auf dem Stein.

Zu Kaub, nahe der alten Burg Pfalzgrafenstein, mitten im Rheinstrom, lebt noch eine Sage von einem wunderlichen Heiligen, Theonest, dessen Name wie eine Verstümmelung des griechischen Wortes Dionysos (Bacchus) klingt. Dieser Theonest soll aber nicht ein heidnischer Weingott gewesen sein, sondern ein christlicher Märtyrer, der in Mainz bis auf den Tod gequält wurde und dem es gelang, in einer Weinkufe statt Nachens auf dem Rheinstrom zu entkommen und sich abwärts tragen zu lassen. Je weiter Theonest fuhr, um so wohler wurde ihm zumute, und bei Kaub landete er in seiner Kufe an, predigte das Christentum und pflanzte Weinreben, und zwar solche mit süßen Trauben, die kelterte er zuerst in seiner Kufe. Davon erhielt der Ort, den er hier am Strome gründete, den Namen Kaub, und in das Stadtsiegel nahmen hernach dankbar die Kauber das Bild des heiligen Theonest, in seiner Kufe sitzend, als ihr Stadtwappen auf. Auch ist Kaub hernachmals ein wichtiger Ort geworden durch Rheinzoll und Stromreederei40 .

  1. d. h. des Bacchus Altar
  2. Schiffsbau

Lurlei

Rheinsagen

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Wo das Stromtal des Rheins unterhalb Kaub am engsten sich zusammendrängt, starren schroff und steil zu beiden Seiten echoreiche Felsenwände von Schiefergestein schwarz und unheimlich hoch empor. Schneller fließt dort die Stromflut, lauter brausen die Wogen, prallen ab am Fels und bilden schäumende Wirbel. Nicht geheuer ist es in dieser Schlucht; die schöne Nixe des Rheins, die gefährliche Lurlei oder Lorelei, ist in den Felsen gebannt. Doch erscheint sie oft den Schiffern, strählt mit goldenem Kamme ihr langes, flachsenes Haar und singt dazu ein süß betörendes Lied. Mancher, der davon sich locken ließ und den Fels erklimmen wollte, fand seinen Tod in den Wellenwirbeln. Rheinab, rheinauf ist keine Sage so in aller Mund, als die von der Lurlei; aber sie gleicht dem Echo der Uferfelsen, das sich mannigfach rollend bricht und wiederholt. Viele Dichter haben sie ausgeschmückt – fast bis zur Unkenntlichkeit.

Lurlei ist die Rhein-Undine42 . Wer sie sieht oder wer ihr Lied hört, dem wird das Herz aus dem Busen gezogen. Hoch oben auf ihres Felsens höchster Spitze steht sie, im weißen Kleide, mit fliegendem Schleier, mit wehendem Haar, mit winkenden Armen. Keiner aber kommt ihr nahe, wenn auch einer den Felsgipfel erstiege. Sie weicht vor ihm, sie schwebt zurück, sie lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit bis an des Abgrunds jähen Rand. Er sieht nur sie, er glaubt sie vor sich auf festem Boden, schreitet vor und stürzt zerschmettert in die Tiefe.

  1. Eine ausführlichere Fassung dieser bekannten Sage findet sich in Bl. 13.
  2. Nixe

Die Brüder

Rheinsagen

Auf den nachbarlichen Burgen Sterrenberg und Liebenstein am Rhein wohnten zwei Brüder, die waren sehr reich und hatten die Burgen stattlich von ihres Vaters Erbe erbaut. Als ihre Mutter starb, wurden sie noch reicher. Beide hatten aber eine Schwester, die war blind, mit der sollten nun die Brüder der Mutter Erbe teilen. Sie teilten aber, da man das Geld in Scheffeln maß, daß jedes ein volles Maß nach dem andern nahm, und die blinde Schwester fühlte bei jedem, daß eins so voll war wie das andere. Die arglistigen Brüder drehten aber jedesmal, wenn es ans Maß der Schwester ging, das Maß um und deckten nur den von schmalem Rand umgebenen Boden mit Geld zu; die Blinde fühlte oben darauf und war zufrieden, daß sie ein volles Maß empfing, wie sie nicht anders glaubte. Sie war aber gottlos betrogen. Dennoch war mit ihrem Gelde Gottes Segen, und sie konnte reiche Andachten stiften in drei Klöstern, zu Bornhofen, zu Kiedrich und zur Not Gottes.

Aber mit dem Gelde der Brüder war der Unsegen für und für. Ihre Habe verringerte sich, ihre Herden starben, ihre Felder verwüstete der Hagel, ihre Burgen begannen zu verfallen, und sie wurden aus Freunden Feinde und bauten zwischen ihren nahe gelegenen Burgen eine dicke Mauer als Scheidewand, deren Reste noch heute zu sehen sind. Als all ihr Erbe zu Ende gegangen war, versöhnten sich die feindlichen Brüder und wurden wieder Freunde, aber auch ohne Glück und Segen. Beide bestellten einander zu einem gemeinschaftlichen Jagdritt; wer zuerst munter sei, solle den andern Bruder frühmorgens durch einen Pfeilschuß an den Fensterladen wecken. Der Zufall wollte, daß beide gleichzeitig erwachten und im gleichen Augenblick die Laden aufstießen und schossen, und daß der Pfeil jedes von ihnen dem andern ins Herz fuhr. Das war der Lohn ihrer untreuen Tat an ihrer blinden Schwester.

Triers Alter

Trier und Solothurn sollen die ältesten Städte in Europa sein; 1300 Jahre vor Christus habe Trier schon gestanden, wie alte Rheinverse aussagen. Ja, Trier war lange die zweitgrößte Stadt in der alten Welt, Rom die größte. Die Alten nannten es das reiche Trier – und dies schon zur Römerzeit. Zur Zeit des Mittelalters war Trier des Christentums Wiege, das deutsche Rom. Triers frühe Blüte brachen zuerst die Gallier durch eine dreimalige Verheerung und schufen aus der Stadt einen großen Totenhof.

Das schönste unter den vielen Baudenkmälern uralter Zeit ist der Dom zu Trier. Lange zeigte man in ihm ein Horn, das die Einwohner die Teufelskralle nannten, und sie erzählten, der Erbauer des Doms habe allein nicht zustande kommen können und den Teufel zu Hilfe gerufen und diesen überlistet. Da habe der Teufel in seiner Wut die Altäre umreißen wollen; es sei ihm aber nicht gelungen, und er habe noch dazu eine Kralle lassen müssen.

Im Dom zu Trier wird auch der ungenähte heilige Rock aufbewahrt, den Christus der Herr getragen haben soll und um den die Kriegsknechte gewürfelt, weil er zu schön war, als daß sie ihn hätten zerschneiden mögen. Es ist ein Mannsrock mit langen Ärmeln, aus zartem Linnenstoff, aus feinen Fäden buntfarbig gewirkt. Die heilige Helena war es, welche diesen Rock mit einem Stücke des heiligen Kreuzes und einem Nagel, mit welchem Christus an das Kreuz geheftet war, nach Trier schenkte. Dieser Rock genießt der andächtigsten Verehrung von vielen Millionen Gläubigen, die an seiner Echtheit nicht zweifeln, obschon an vielen Orten ein ähnlicher Rock für echt gezeigt wird.

Sankt Arnulfs Ring

Von besonders hohem Alter ist zu Trier die Moselbrücke, ein dauerbares Gebäu von Steinen ungeheurer und ungewöhnlicher Größe, jedenfalls ein Bauwerk aus der Römerzeit; der Kaiser Nero soll schon über die Brücke gezogen sein, um alles Land bis Köln zu erobern. Wo sich die Bogen der Brücke miteinander schließen, stehen Säulen, welche über die Brustwehr der Brücke emporragen, darauf sollen heidnische Götterbilder gestanden haben.

Einst fühlte der heilige Arnulf zu Trier sein Gewissen belastet. Und da er von ohngefähr über die Moselbrücke ging, sah er in des Wassers Tiefe nieder, zog einen kostbaren Ring vom Finger und warf ihn voll Vertrauen auf Gottes Allmacht und Barmherzigkeit hinab in die Mosel und rief: »Wenn ich hoffen darf, daß meine Sünden mir verziehen werden, so werde ich diesen Ring wiederbekommen.«

Es vergingen wenige Jahre, und der heilige Arnulf wurde unterdes Bischof zu Metz. Da lieferte eines Tages ein Fischer einen großen Fisch in die bischöfliche Küche, und da der Koch ihn zubereitete für die Tafel seines Herrn, fand er voller Verwunderung im Eingeweide des Fisches einen schönen Ring und brachte ihn zum Bischof. Da sah dieser, daß es sein Ring war, den der Fisch, ihn wohl für Speise haltend, beim Fallen hinabgeschlungen und einige Jahre bei sich behalten hatte. Und Sankt Arnulf pries Gott in Demut für dieses Gnadenzeichen und tat sich aller sündigen Gedanken ab, um dieser Gnade sich wert zu erzeigen.