1. Novelle

(Übersetzung von Karl Witte)

Herr Chapelet täuscht einen frommen Pater durch eine falsche Beichte und stirbt. Trotz des schlechten Lebenswandels, den er geführt, kommt er nach seinem Tode in den Ruf der Heiligkeit und wird Sankt Chapelet genannt.

Es ziemt sich, ihr liebwerten Damen, ein jedes Ding, das der Mensch unternimmt, mit dem heiligen und wunderbaren Namen dessen zu beginnen, der alle Dinge geschaffen hat. Darum denke ich denn, der ich als erster bei unseren Erzählungen den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren Fügungen zu beginnen, deren Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren bestärken und uns lehren wird, seinen Namen immerdar zu preisen. Es ist offenbar, daß die weltlichen Dinge insgesamt vergänglich und sterblich sowie nach innen und nach außen reich an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren unterliegen, welchen wir, die wir mitten unter ihnen leben und selbst ein Teil von ihnen sind, weder widerstehen noch uns ihrer erwehren könnten, wenn uns Gottes besondere Gnade nicht die nötige Kraft und Fürsorge verliehe. Was diese Gnade anbetrifft, so haben wir uns keineswegs einzubilden, daß sie um irgendeines Verdienstes willen, das wir hätten, über uns komme, vielmehr geht sie nur von seiner eigenen Huld aus und wird den Bitten derer gewährt, die einst wie wir sterblich waren, jetzt aber, weil sie während ihres Erdenwallens seinem Willen folgten, mit ihm im Himmel der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. An sie, als an Fürsprecher, die unsere Schwäche und Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung kennen, richten wir vor allem jene Bitten, die wir vielleicht nicht wagten, unserem höchsten Richter gegenüber laut werden zu lassen. Um so überschwenglichere Gnade haben wir aber in ihm zu erkennen, wenn wir, deren sterbliches Auge auf keine Weise in das Geheimnis des göttlichen Willens eindringen kann, durch falschen Wahn betrogen, einen zu unserem Fürsprecher vor der Majestät Gottes erwählen, den er von seinem Angesicht verbannt hat, und wenn er, vor dem nichts verborgen ist, dessen ungeachtet mehr auf die reine Gesinnung des Bittenden als auf dessen Unwissenheit oder auf des Angerufenen Verdammung sieht und das Gebet ebenso erhört, als ob der vermeintliche Fürsprecher die Seligkeit, ihn zu schauen, genösse. Daß es sich so verhält, wird aus der Geschichte offenbar werden, die ich euch erzählen will. Offenbar nach menschlichem Dafürhalten, sage ich, da Gottes Ratschlüsse uns verborgen bleiben.

Es wird nämlich berichtet, daß Musciatto Franzesi, als er von einem reichen und angesehenen Kaufherrn zum Edelmanne geworden war und nun mit dem Bruder des Königs von Frankreich, dem vom Papst Bonifaz herbeigerufenen und unterstützten Karl ohne Land, nach Toskana ziehen sollte, sich entschloß, seine Geschäfte, welche, wie es bei Kaufleuten der Fall zu sein pflegt, äußerst verwickelt waren, mehreren Bevollmächtigten zu übertragen. Für alles fand er Rat, nur blieb ungewiß, wo er jemanden auftreiben wollte, der geschickt wäre, jene Schulden einzutreiben, die er bei einigen Burgundern ausstehen hatte. Der Grund seines Bedenkens lag darin, daß ihm wohlbekannt war, was für ein wortbrüchiges, händelsüchtiges und abscheuliches Volk die Burgunder sind und daß er sich auf niemand besinnen konnte, der abgefeimt genug gewesen wäre, um ihrer Bösartigkeit mit Erfolg Widerpart zu leisten. Als er in solchem Zweifel lange hin und her überlegt hatte, fiel ihm ein gewisser Ciapperello von Prato ein, der sein Haus in Paris oft zu besuchen pflegte. Die Franzosen, die den Namen Ciapperello nicht verstanden und der Meinung waren, er wolle so viel sagen wie chapeau, was in ihrer Landessprache Kranz bedeutet, nannten diesen Mann, der klein von Gestalt und sehr geschniegelt war, seiner Kleinheit halber nicht Chapeau, sondern Chapelet, unter welchem Namen er denn überall bekannt war, während nur wenige wußten, daß er Ciapperello hieß.

Das Leben, das dieser Chapelet führte, war folgendermaßen beschaffen: In seinem Beruf als Notar hätte er es für eine große Schande gehalten, wenn eine der von ihm ausgestellten Urkunden, obgleich er deren wenige ausstellte, anders als gefälscht befunden worden wäre. Solcher falschen Urkunden aber machte er, soviel man nur wollte, und dergleichen lieber umsonst als rechtmäßige für schwere Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er auf Verlangen und aus freien Stücken besonders gern ab, und da in Frankreich Eidschwüre um jene Zeit in höchstem Ansehen standen, gewann er, da er sich nicht um einen Meineid scherte, auf unrechtmäßige Weise alle Prozesse, in denen er die Wahrheit nach seinem Gewissen zu beschwören berufen ward. Ausnehmendes Wohlgefallen fand er daran, und großen Fleiß verwandte er darauf, unter Freunden, Verwandten und was sonst immer für Leuten Unfrieden und Feindschaft anzuzetteln, und je größeres Unglück daraus entstand, desto mehr freute er sich. Wurde er aufgefordert, jemand umbringen zu helfen oder an einer anderen Schandtat teilzunehmen, so weigerte er sich niemals und war der erste auf dem Platz. Oft war er auch bereit, mit eigenen Händen zu ermorden und zu verwunden. In seiner beispiellosen Jähheit lästerte er Gott und alle Heiligen um jeder Kleinigkeit willen auf das gräßlichste. In der Kirche ließ er sich niemals antreffen und verspottete alle christlichen Sakramente mit den verruchtesten Worten. Um so mehr war er dafür in den Schenken und anderen Sündenhäusern. Aus Rauben und Stehlen hätte er sich ebensowenig ein Gewissen gemacht, als ein Heiliger daraus, Almosen zu geben. Er fraß und soff in solchem Übermaß, daß er mehrmals knapp mit dem Leben davonkam. Spielen und im Spiel betrügen betrieb er wie ein Handwerk. Doch wozu so viele Worte! Genug, er war der schändlichste Mensch, der vielleicht je geboren ward, und schon seit langer Zeit konnten nur die Macht und das Ansehen des Herrn Musciatto ihm bei seinen Verbrechen durchhelfen, so daß weder Einzelpersonen, die er häufig, noch die Gerichte, die er fortwährend beleidigte, Hand an ihn legten.

Dieser Ciapperello war es, den Herr Musciatto, welcher seinen Lebenswandel sehr genau kannte, jetzt als den rechten Mann auserkor, um der burgundischen Bosheit die Spitze zu bieten. So ließ er ihn denn rufen und sprach zu ihm: »Chapelet, ich stehe, wie du weißt, im Begriff, ganz von hier wegzuziehen, und da ich unter anderm noch mit einer Anzahl von Burgundern zu tun habe, so kenne ich niemand, dem ich mich besser als dir anvertrauen könnte, um von so betrügerischem Volk mein Geld einzutreiben. Du hast jetzt nichts zu tun, und wenn du diese Angelegenheit übernehmen willst, so verspreche ich dir, dich mit den Gerichten auszusöhnen und dir an dem, was du für mich eintreibst, einen Anteil zu lassen, daß du zufrieden sein kannst.« Herr Chapelet, der müßig ging, auch an irdischen Gütern keinen Überfluß hatte und nun den verlieren sollte, der lange Zeit sein Stecken und Stab gewesen war, sagte ohne langes Besinnen und gewissermaßen notgedrungen, ja, er sei gern bereit.

Nach gehöriger Verabredung und nach Empfang der Vollmacht des Herrn Musciatto und der Gnadenbriefe des Königs reiste Chapelet, als Herr Musciatto Paris verlassen, nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte. Hier fing er, wider seine Natur, ganz freundlich und sanftmütig an, seinen Auftrag auszuführen und die Schulden einzufordern, gleichsam als wollte er sich die Bosheit bis zuletzt aufsparen.

Inzwischen war Chapelet ins Haus zweier Brüder aus Florenz gezogen, die Geld auf Wucherzinsen liehen und ihm, Herrn Musciatto zuliebe, viel Ehre erwiesen. In deren Hause erkrankte er jetzt, und obgleich die beiden Brüder ihm sogleich geschickte Ärzte rufen, ihn durch ihre Diener pflegen ließen und überhaupt alles taten, was zu seiner Heilung förderlich sein konnte, so war doch jede Hilfe vergeblich. Dem guten Mann, der nachgerade alt geworden war und liederlich gelebt hatte, ging es nach der Aussage der Ärzte täglich schlechter und schlechter, und es zeigte sich zum großen Leidwesen der Brüder gar bald, daß Chapelet an keiner anderen Krankheit als der des nahen Todes leide.

Diese beiden Brüder nun fingen eines Tages nicht weit von dem Zimmer, wo Chapelet krank lag, folgendermaßen zu reden an: »Was sollen wir mit dem Menschen anfangen«, sagte der eine zum andern. »Wir sind auf jeden Fall seinetwegen in einer sehr verdrießlichen Lage. Ihn jetzt, krank wie er ist, aus dem Hause zu weisen, wäre gewiß unserem Ruf ebenso nachteilig wie unüberlegt von unserer Seite; denn die Leute, die gesehen haben, wie wir ihn erst aufgenommen und für seine Pflege und Heilung gesorgt, wären überzeugt, daß er uns keinen Grund gegeben haben könne, ihn nun als einen Todkranken aus dem Hause zu tun. Auf der anderen Seite aber ist er ein so gottloser Mensch gewesen, daß er weder wird beichten, noch das Abendmahl oder die letzte Ölung wird annehmen wollen, und stirbt er, ohne gebeichtet zu haben, so nimmt keine Kirche den Leichnam auf, und er wird wie ein toter Hund in die Grube geworfen. Sollte er aber auch beichten, so sind seine Sünden so zahlreich und so verrucht, daß nichts dadurch gebessert wird; denn es wird sich weder Mönch noch Pfaffe finden, der ihn lossprechen könnte oder wollte, und stirbt er ohne Absolution, so schmeißen sie ihn auch in die Grube. Kommt es aber so oder so, immer wird das ganze Volk, das ohnehin wegen unseres von ihm verabscheuten Gewerbes äußerst schlecht auf uns zu sprechen ist und Lust genug haben mag, uns auszuplündern, offen gegen uns aufstehen und sagen: ‚Diese Hunde von Italienern, die man in der Kirche abweist, wollen wir nicht mehr unter uns dulden.‘ Sie werden unser Haus stürmen und sich kein Gewissen daraus machen, uns nicht nur Hab und Gut zu nehmen, sondern gar leicht sich an unserem Leib und Leben vergreifen. So sind wir denn auf alle Fälle bei Chapelets Tod übel daran.«

Herr Chapelet, der, wie gesagt, ganz nahe bei dem Orte lag, wo die beiden redeten, und wie man es oft bei Kranken findet, ein feines Gehör hatte, verstand alles, was sie über ihn sagten. Er ließ sie zu sich rufen und sprach: »Ich wünsche nicht, daß ihr euch meinetwegen Gedanken macht oder in Furcht seid, daß euch jemand um meinetwillen kränken möchte. Ich habe gehört, was ihr über mich gesprochen habt, und ich bin wohl überzeugt, daß es so käme, wir ihr sagt, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; aber es soll schon anders gehen. Ich habe zu meinen Lebzeiten unserem Herrgott so viel zuleide getan, daß jetzt, wo ich sterbe, ein Streich mehr auch keinen Unterschied machen wird. Darum schafft mir nur den erfahrensten und frömmsten Mönch herbei, den ihr zu finden wißt, und habt ihr den, so laßt mich nur machen. Ich werde eure und meine Angelegenheit schon so besorgen, daß alles gut sein wird und ihr Ursache habt, zufrieden zu sein.«

Obgleich die beiden Brüder daraus noch keine besondere Hoffnung schöpften, gingen sie doch in ein Mönchskloster und verlangten nach einem frommen und verständigen Manne, der einem Italiener, welcher bei ihnen krank liege, die Beichte hören könnte. Man gab ihnen einen bejahrten Mönch mit, der ein heiliges, makelloses Leben führte, ein großer Schriftgelehrter und gar ehrwürdiger Mann war und bei allen Bürgern im besonderen und hohen Ansehen der Heiligkeit stand. Diesen brachten sie zu dem Kranken.

Als er in die Kammer eingetreten war, wo Chapelet lag, und sich an sein Bett gesetzt hatte, hub er freundlich an, ihm Mut zuzusprechen; und dann erst fragte er ihn, wie lange es her sei, daß er zum letzten Male gebeichtet habe. Chapelet, der sein Leben lang nicht gebeichtet hatte, antwortete ihm: »Ehrwürdiger Vater, sonst ist es meine Gewohnheit, alle Woche wenigstens einmal zur Beichte zu gehen, die vielen Male ungerechnet, wo ich öfter gehe; aber ich muß gestehen, jetzt, wo ich krank geworden bin, sind schon acht Tage vergangen, ohne daß ich gebeichtet hätte, soviel Schmerzen hat die Krankheit mir bereitet.«

»Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »daran hast du wohlgetan, und also magst du auch in Zukunft tun. Doch da du so oft beichtest, so sehe ich wohl, ich werde wenig Mühe haben, dich zu fragen und deine Antworten anzuhören.« Chapelet sprach: »Herr Pater, sagt das nicht; wie oft und wie vielmals ich auch zur Beichte gegangen bin, so habe ich mich doch nie entschließen können, anders zu verfahren, als eine Generalbeichte aller meiner Sünden vom Tage meiner Geburt an bis zum Beichttag abzulegen. Darum bitte ich Euch, bester Vater, daß Ihr mich ebenso genau über alles ausfragt, als ob ich nie gebeichtet hätte. Und schont mich nur ja nicht etwa, weil ich krank bin; denn ich will viel lieber dieses mein Fleisch plagen, als aus Schonung dafür irgend etwas tun, was meiner unsterblichen Seele, die mein Heiland mit seinem kostbaren Blute losgekauft hat, zum Verderben gereichen könnte.« Diese Worte hatten den ganzen Beifall des heiligen Mannes und schienen ihm von einem gesammelten Gemüt Zeugnis zu geben.

Nachdem er also diese Gewohnheit Chapelet gegenüber sehr gelobt hatte, fing er an, ihn zu befragen, ob er sich je mit Weibern in Wollust versündigt habe. Chapelet antwortete ihm mit einem Seufzer: »Mein Vater, was das anbetrifft, so schäme ich mich, Euch die Wahrheit zu sagen, denn ich fürchte, sie könnte als eitles Selbstlob ausgelegt werden.« Der heilige Pater entgegnete: »Rede nur ruhig; denn wer die Wahrheit spricht, sei es in der Beichte oder bei anderer Gelegenheit, der sündigt niemals.« »Nun denn«, erwiderte Chapelet, »weil Ihr mich darüber beruhigt, so will ich Euch nur sagen, ich bin noch ebenso rein und unbefleckt, wie ich aus dem Schoße meiner Mutter hervorkam.« »Des möge Gott dich segnen«, sagte der Mönch, »Wie wohl hast du daran getan! Und um so verdienstlicher ist deine Keuschheit, da du, wenn du gewollt hättest, weit eher das Gegenteil tun konntest als wir und alle andern, die durch eine Ordensregel gebunden sind.«

Hierauf fragte er ihn, ob er sich je durch Völlerei Gottes Mißfallen zugezogen habe. Mit einem lauten Seufzer antwortete Chapelet: »Allerdings und oftmals.« Denn weil er sich daran gewöhnt habe, außer den vierzigtägigen Fasten, welche fromme Leute jährlich halten, auch allwöchentlich wenigstens drei Tage lang mit Wasser und Brot zu fasten, so habe er das Wasser, vor allem wenn er von Gebeten oder Wallfahrten besonders angestrengt gewesen sei, mit derselben Lust und demselben Wohlgefallen getrunken wie der größte Säufer den Wein. Manchmal habe es ihn auch nach Kräutersalat gelüstet, wie ihn die Bäuerinnen machen, wenn sie aufs Feld gehen, und das Essen habe ihm besser geschmeckt, als es seiner Ansicht nach einem schmecken dürfe, der aus Gottesfurcht faste, wie er es doch getan habe. »Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »das sind Sünden, welche die Natur mit sich bringt; die haben wenig zu bedeuten, und um ihretwillen möchte ich nicht, daß du dein Gewissen mehr als not tut beschwertest. Es geschieht jedem Menschen, wenn er auch noch so heilig ist, daß ihm nach langem Fasten das Essen gut schmeckt und nach großer Anstrengung das Trinken.« »Ach, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »Ihr sprecht so, um mich zu beruhigen. Das solltet Ihr nicht tun. Euch ist ja bekannt, daß ich wohl weiß, wie alles, was man tut, um Gott zu dienen, in ganz reiner Gesinnung, frei von jeder befleckenden Lust getan werden muß und daß, wer dem zuwiderhandelt, sündigt.«

Höchlich zufrieden sagte der Mönch: »Nun, so freut es mich, daß du es so ansiehst, und ich lobe in diesem Stück dein ängstliches und sorgsames Gewissen. Aber sage mir: Hast du dich durch Geiz vergangen und mehr verlangt, als du verlangen solltest, oder behalten, was du nicht behalten durftest?« »Ehrwürdiger Vater«, erwiderte ihm Chapelet, »es sollte mir leid tun, wenn Ihr eine falsche Meinung von mir hättet, weil ich bei den Wucherern hier wohne. Ich habe keinen Teil an ihrem Handwerk; vielmehr bin ich zu ihnen gekommen, um ihnen ins Gewissen zu reden und sie von diesem abscheulichen Erwerbe abzubringen. Auch wäre mir das, wie ich glaube, gelungen, hätte mich Gott nicht so heimgesucht. Ich kann Euch aber sagen, daß mein Vater mir ein schönes Vermögen hinterließ, von dem ich nach seinem Tode den größeren Teil als Almosen weggab. Dann habe ich, um mich zu ernähren und den Armen Gottes beistehen zu können, meinen kleinen Handel getrieben und dabei allerdings den Erwerb im Auge gehabt; was ich aber erworben habe, das habe ich immer mit den Armen gleichmäßig geteilt und meine Hälfte zu meiner Notdurft verbraucht, die andere aber jenen geschenkt. Dafür hat mir aber auch mein Schöpfer beigestanden, so daß meine Geschäfte täglich besser und besser gegangen sind.«

»Daran hast du wohlgetan«, sagte der Mönch. »Aber hast du dich etwa häufig erzürnt?« »Ja«, sagte Herr Chapelet, »das habe ich freilich gar oft getan. Und wer könnte sich wohl dessen enthalten, wenn er die Menschen alle Tage die abscheulichsten Dinge treiben sieht, wenn er beobachtet, wie sie Gottes Gebote nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wohl zehnmal des Tages habe ich lieber tot als lebendig sein wollen, wenn ich sah, wie die jungen Leute den Eitelkeiten der Welt nachliefen, schworen und sich verschworen, in die Schenken, aber um die Kirche herumgingen und weit mehr auf den Wegen der Welt als auf dem Pfade Gottes wandelten.« Darauf erwiderte der Mönch: »Mein Sohn, das ist ein edler Zorn, um dessentwillen ich für mein Teil dir keine Buße aufzuerlegen wüßte. Sage nur aber, wäre es vielleicht möglich, daß du dich irgendeinmal vom Zorn zu einem Mord, zu Schlägereien oder zu Schimpfworten hättest verleiten lassen?« »Ach du meine Güte, Herr Pater«, sagte Chapelet, »ich halte Euch für einen Mann Gottes; wie könnt Ihr doch solche Reden führen. Glaubt Ihr denn, ich bildete mir ein, daß Gott mich so lange am Leben erhalten hätte, wenn mir nur der entfernteste Gedanke gekommen wäre, etwas von dem zu tun, was Ihr da genannt habt? Dergleichen können ja nur Mörder und Straßenräuber tun; sooft ich dergleichen gesehen, habe ich immer gesagt: Geh, und Gott bessere dich.«

»Gott segne dich, mein Sohn«, sprach der Pater. »So sage mir denn, ob du jemals gegen irgendwen falsches Zeugnis abgelegt oder von andern schlecht gesprochen oder wider Willen des Eigentümers dich an fremdem Gute bereichert hast.« »Ach ja, Herr Pater«, sagte Chapelet, »was die üble Nachrede betrifft, freilich ja. Denn einmal hatte ich einen Nachbarn, der seine Frau in einem fort prügelte, ohne den geringsten Anlaß zu haben. Da hat mich denn das Mitleid mit dem armen Weibe, das er, sooft er sich betrunken hatte, jämmerlich zurichtete, einmal so gepackt, daß ich gegen ihre Verwandten recht auf ihn gescholten habe.« »Wohl denn«, antwortete der Mönch, »nun sage mir aber, wie ich höre, so bist du ein Kaufmann gewesen; hast du niemals jemand nach Art der Kaufleute betrogen?« »Ja, wahrhaftig, Herr Pater«, sagte Herr Chapelet, »Wie er hieß, das weiß ich aber nicht. Es war einer, der mir Geld brachte, was er für ein Stück Tuch schuldig war, das ich ihm verkauft hatte. Nun tat ich das Geld, ohne es zu zählen, in einen Kasten, und reichlich einen Monat später fand ich, daß es vier Heller mehr waren, als mir zukamen. Wohl ein ganzes Jahr lang habe ich sie aufgehoben; weil ich aber den, dem sie gehörten, in der ganzen Zeit nicht mehr wiedersah, habe ich sie am Ende als Almosen verschenkt.« »Das war eine Kleinigkeit«, sagte der Mönch, »und du hast recht daran getan, so damit zu verfahren.«

Der fromme Mönch fragte ihn noch mancherlei, worauf er immer in dieser Weise antwortete. So wollte denn jener schon zur Absolution schreiten, als Chapelet sprach: »Herr Pater, noch eine Sünde habe ich auf dem Gewissen, die ich Euch nicht gebeichtet.« »Und die wäre?« sagte der Mönch. »Ich entsinne mich«, antwortete jener, »daß ich an einem Samstag gegen Abend von meinem Diener das Haus kehren ließ und also die schuldige Ehrfurcht vor dem Tage des Herrn vergessen habe.« »Mein Sohn«, erwiderte der Geistliche, »das hat weiter nichts zu bedeuten.« »Sagt nicht, das habe nichts zu bedeuten«, entgegnete Chapelet. »Den Sonntag soll man ehren; denn an diesem Tag war es, daß unser Heiland von den Toten auferstand.« Darauf sagte der Mönch: »Und hast du sonst noch etwas zu beichten?« »Ja, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »einmal habe ich in Gedanken in der Kirche ausgespuckt.« Der Mönch fing an zu lächeln und sagte: »Mein Sohn, das sind Dinge, die man sich nicht zu Herzen nehmen soll; wir sind Geistliche und spucken alle Tage in der Kirche aus.« »Und tut daran sehr übel«, sprach Herr Chapelet; »denn nichts auf der Welt soll man so rein halten wie den Tempel des Herrn, in dem man dem Höchsten opfert.«

Um es kurz zu machen, Sünden von dieser Art beichtete er ihm noch eine Menge. Dann fing er an zu seufzen und brach in einen Strom von Tränen aus, deren ihm, wenn er wollte, immer reichlich zu Gebote standen. »Was ist dir, mein Sohn?« sagte der Geistliche. »Ach, Herr Pater«, erwiderte Chapelet, »eine Sünde habe ich noch auf dem Herzen, die habe ich nie gebeichtet, so schäme ich mich, sie zu bekennen; wenn ich nur daran denke, so weine ich, wie Ihr mich jetzt weinen seht, und um dieser Sünde willen kann ich nur auch nicht denken, daß Gott Erbarmen mit mir haben wird.« »Schäme dich, mein Sohn«, entgegnete der Mönch, »was redest du da? Wären alle Sünden, die von allen Menschen jemals zusammen begangen worden sind oder, solange die Welt stehen wird, noch von den Menschen begangen werden, in einem einzigen Menschen vereinigt, und der wäre reuig und zerknirscht, wie ich sehe, daß du es bist, so ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit so groß, daß er sie alle, sobald sie gebeichtet wären, ihm freudig vergeben würde; und so sage denn zuversichtlich, was du getan hast.« Darauf sprach Herr Chapelet, ohne vom Weinen abzulassen: »Ach, ehrwürdiger Vater, es ist eine gar zu schwere Sünde, und wenn es nicht auf Eure Fürbitte hin geschieht, so kann ich kaum glauben, daß Gott sie mir jemals vergeben sollte.« Der Mönch antwortete ihm: »Sage sie nur ruhig, denn ich verspreche dir, daß ich für dich zu Gott beten werde.« Herr Chapelet weinte noch in einem fort und schwieg; der Mönch aber ermunterte ihn erneut, zu reden. Als nun Chapelet den Geistlichen so mit Weinen eine lange Weile hingehalten hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ehrwürdiger Vater, weil Ihr mir denn versprochen habt, Gott für mich zu bitten, so will ich’s Euch sagen. Wißt denn, wie ich noch klein war, habe ich einmal meine Mutter geschmäht.« Und kaum hatte er so gesprochen, so hub er von neuem bitterlich zu weinen an. »Mein Sohn«, antwortete der Mönch, »dünkt dich denn das wirklich solch eine schwere Sünde? Lästern die Leute nicht etwa täglich ihren Herrgott? Und doch vergibt er gern einem jeden, der bereut, ihn gelästert zu haben. Und du verzweifelst, für diesen Fehltritt Vergebung zu finden? Fasse Mut und weine nicht; denn wahrlich, wärest du einer von denen gewesen, die unsern Herrn ans Kreuz geschlagen haben, und wärest du so zerknirscht, wie ich es jetzt an dir sehe, so vergäbe er dir.« Darauf sagte Chapelet: »Um Himmels willen, Herr Pater, was sprecht Ihr da? Allzusehr habe ich mich vergangen, und allzu große Sünde war es, daß ich meine Herzensmutter schmähte, die mich neun Monate lang Tag und Nacht im Leibe getragen hat und mich mehr als hundertmal auf den Armen hielt; und wenn Ihr nicht für mich betet, so wird mir’s auch nicht verziehen werden.«

Als der Mönch inneward, daß Chapelet weiter nichts zu sagen hatte, sprach er ihn los und gab ihm in der festen Überzeugung, Chapelet, dessen Reden er für lautere Wahrheit nahm, sei ein frommer, gottseliger Mensch, den Segen. Und wer möchte wohl zweifeln, wenn er jemand auf dem Totenbette also reden hörte? Nach dem allen sagte er: »Herr Chapelet, Ihr werdet mit Gottes Hilfe bald wieder gesund sein; sollte es aber dennoch geschehen, daß Gott Eure gesegnete und zum Abschied von dieser Welt bereite Seele zu sich riefe, hättet Ihr alsdann etwas dawider, daß Euer Körper in unserem Kloster beerdigt würde?« »Durchaus nicht«, entgegnete Chapelet; »vielmehr möchte ich sonst nirgends liegen als eben bei Euch. Ihr habt mir ja versprochen, für mich zu beten, und auch ohne das habe ich von jeher besondere Ehrfurcht für Euren Orden gehabt. Und so bitte ich Euch, daß Ihr Christi wahrhaftigen Leib, den Ihr diesen Morgen auf dem Altare eingesegnet habt, mir zusendet, sobald Ihr in Euer Kloster zurückgekommen seid. Denn ich denke ihn, wenn Ihr es gestattet, obgleich unwürdig, zu genießen und dann die letzte heilige Ölung zu empfangen, damit ich, wenn ich als Sünder gelebt habe, wenigstens als Christ sterben möge.« Der heilige Mann sagte, das sei wohl gesprochen und er sei alles zufrieden. Das Sakrament solle dem Kranken sogleich gebracht werden. Und so geschah es.

Die beiden Brüder hatten sehr gefürchtet, Chapelet werde sie täuschen, und sich deshalb der Bretterwand nahe gesetzt, welche die Kammer, in welcher der Kranke lag, von der anstoßenden trennte. Hier hatten sie die ganze Beichte belauscht und bequem verstanden, was Chapelet dem Mönche gesagt. Mehr als einmal reizten die Geschichten, die sie ihn beichten hörten, sie so sehr zum Lachen, daß wenig daran fehlte, so wären sie damit herausgeplatzt. Dann aber sagten sie wieder zueinander: »Himmel, welch ein Mensch ist das, den weder Alter noch Krankheit, noch Furcht vor dem Tode, dem er sich nahe sieht, oder vor Gott, vor dessen Richterstuhl er in wenigen Stunden zu stehen vermuten muß, von seiner Verruchtheit haben abbringen und zu dem Entschluß führen können, anders zu sterben, als er gelebt hat.« Indes, sie hatten gehört, seine Leiche solle in der Kirche aufgenommen werden, und um das Übrige kümmerten sie sich nicht. — Herr Chapelet empfing bald darauf das Abendmahl, dann, als sein Befinden sich über die Maßen verschlechterte, die letzte Ölung und starb noch am Tage seiner musterhaften Beichte, bald nach der Vesper.

Die beiden Brüder besorgten aus dem Nachlaß des Verstorbenen ein anständiges Begräbnis und meldeten den Todesfall im Kloster, damit die Mönche, wie es der Brauch ist, die Nachtwache bei der Leiche halten und sie am andern Morgen abholen sollten.

Der fromme Mönch, der sein Beichtiger gewesen war, besprach sich, als er seinen Tod vernahm, mit dem Prior des Klosters. Er ließ zum Kapitel läuten und schilderte den versammelten Mönchen, welch ein frommer Mann Chapelet, seiner Beichte zufolge, gewesen war. In der Hoffnung, daß Gott durch ihn noch große Wunder verrichten werde, überredete er sie, man müsse diese Leiche notwendig mit besonderer Auszeichnung und Ehrfurcht empfangen. Der Prior und die übrigen Mönche pflichteten in ihrer Leichtgläubigkeit dieser Meinung bei, und so gingen sie denn sämtlich noch spät am Abend in das Haus, wo Chapelets Leichnam lag, und hielten über diesem eine große und feierliche Vigilie.

Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und Mäntelchen angetan, die Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den Leichnam mit Gesang zu holen. Dann trugen sie ihn unter Gepränge und großer Feierlichkeit in ihre Kirche, und fast die ganze Einwohnerschaft des Städtchens, Männer und Frauen, schloß sich dem Zuge an. Als die Leiche in der Kirche niedergesetzt worden war, stieg der Geistliche, dem Chapelet gebeichtet hatte, auf die Kanzel und berichtete von des Verstorbenen frommem Leben, von seinem Fasten, seiner Keuschheit, seiner Einfalt, Unschuld und Heiligkeit die wunderbarsten Dinge. Unter anderm erzählte er, was Herr Chapelet ihm unter Tränen als seine größte Sünde gebeichtet und wie er ihn kaum zu überzeugen vermocht habe, daß Gott ihm auch diese vergeben werde. Dann begann er die Zuhörer zu schelten und sagte: »Ihr aber, ihr von Gott Verdammten, ihr lästert um jedes Strohhalmes willen, der euch zwischen die Füße kommt, Gott, seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese.« Außerdem sagte er noch viel von seiner Herzensgüte und Lauterkeit.

Mit einem Wort, seine Reden, denen die Gemeinde vollkommenen Glauben schenkte, bemächtigten sich in solchem Maße der frommen Herzen der Versammlung, daß alle, sobald der Gottesdienst zu Ende war, sich untereinander stießen und drängten, um dem Toten Hände und Füße zu küssen. Die Kleider wurden ihm auf dem Leibe zerrissen; denn jeder hielt sich für glücklich, wenn er einen Fetzen davon haben konnte. In der Tat mußten die Mönche den Körper den ganzen Tag über ausstellen, daß ihn jedweder nach Gefallen beschauen konnte. In der folgenden Nacht wurde er in einer Kapelle ehrenvoll in einem Marmorsarge bestattet, und schon am Tage darauf fingen die Leute an, den Toten zu besuchen, zu verehren und Lichter anzuzünden. Mit der Zeit gelobten sie ihm Opfergaben und begannen dann, ihrem Versprechen gemäß, Wachsbilder aufzuhängen. Der Ruf seiner Heiligkeit und seine Verehrung wuchsen so sehr, daß nicht leicht jemand in irgendeiner Gefahr einen anderen Heiligen anrief als Sankt Chapelet, wie sie ihn nannten und noch heute nennen, und allgemein wird versichert, daß Gott durch ihn gar viele Wunder getan habe und deren noch täglich an jedem tue, der die Fürsprache dieses Heiligen andächtig erbitte.

So lebte und starb Herr Ciapperello von Prato und wurde ein Heiliger, wie ihr gehört habt. Daß es möglich ist, dieser Mensch sei wirklich im Anschauen Gottes selig, will ich allerdings nicht leugnen, denn so ruchlos und abscheulich sein Leben war, so kann er doch in den letzten Augenblicken seines Lebens so viel Reue empfunden haben, daß Gott sich vielleicht seiner erbarmt und ihn in sein Reich aufgenommen hat. Weil uns dies aber verborgen bleibt, so spreche ich nach dem, was uns offenbar ist, und sage, daß er vielmehr in den Krallen des Teufels verdammt als im Paradiese zu sein verdient. Verhält es sich aber so, dann können wir deutlich erkennen, wie unermeßlich Gottes Gnade gegen uns ist, die nicht unseren Irrtum, sondern die Lauterkeit unseres Glaubens betrachtet, wenn wir einen seiner Feinde in der Meinung, er sei sein Freund, zum Mittler zwischen ihm und uns machen und er uns erhört, als hätten wir uns einen wahren Heiligen zu unserem Fürsprecher bei seiner Gnade erwählt. Und so empfehlen wir uns ihm denn mit allem, was uns not ist, in der festen Überzeugung, erhört zu werden, damit er uns in diesem allgemeinen Elend und in dieser so heiteren Gesellschaft im Lobe seines Namens, in dem wir sie begonnen, gesund und unversehrt erhalten möge. Und damit schwieg Panfilo.

Diebserlebnis

Eines Nachts brachen Diebe, in der Hoffnung Beute zu machen, geräuschlos in ein Haus ein und durchwühlten es von oben bis unten, fanden aber nur ein Weib, ihren Gatten und eine Kuh. Weiter enthielt es auch gar nichts und alle Zimmer gähnten sie in Leere an. So waren sie denn in ihren Hoffnungen getäuscht, darum sehr mißvergnügt über ihr Unternehmen und berieten sich untereinander.

»Wenn ihr nur auf mich hören wollt,« sagte einer von ihnen, »können wir es leichtlich bewirken, daß unser Einbruch hier nicht vergeblich vonstatten geht; beginnen wir damit, den Mann totzuschlagen, dann wollen wir die Kuh schlachten und am Spieß braten, aus ihrer Haut aber einen Schlauch machen, der unsere Getränke in sich fassen soll. Und hier wollen wir bleiben bis zum Morgen und essen und trinken und uns umschichtig mit dem Weibe vergnügen. Und so werden wir auf einmal uns aller Freuden erfreuen.

Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.

Die beiden Eheleute, die, ohne sich irgend etwas gewärtig zu sein, friedlich schlummerten, waren während der Unterhaltung wach geworden.

»Hast du gehört?« fragte der Mann sein Weib.

»Wahrlich,« entgegnete die Lüsterne, »aber wir können zu nichts anderem unsere Zuflucht nehmen, als in Geduld der Dinge harren.«

»Saubere Geduld das,« begehrte der Mann auf, »ich soll ruhig zusehen, daß sie die Kuh schlachten und mich umbringen, um dir Freude zu machen?«

Die Diebe, die alles mit angehört hatten, huben an zu lachen, gaben ihren Vorsatz auf und machten sich davon.

 

Des Weibes Aufführung in diesem Fall zeigt deutlich, daß, wie viele Ehejahre man auch hinter sich hat, wenn die Nacht der Fährde naht, das Weib, um sich zu retten, in des Mannes Tod einwilligt. Also darf man kein Vertrauen zu ihrem Geschlecht haben. Daher das Sprichwort:

Baue nimmer auf ein Weib,
Stütz‘ auf Wasser nie den Leib.

Legende

Ein junges Mädchen war damit beschäftigt, von der Höhe des wunderbaren Baumes, auf dem sie wohnte, nach allen Richtungen hin zu schauen. Als sie ihre Blicke nach unten lenkte, bemerkte sie einen jungen Mann, der schlief. Das war für sie ein völlig überraschender Anblick, denn sie hatte noch nie einen Menschen gesehen. Auch glaubte sie, daß es keinen anderen Ort auf der Welt gäbe, als diesen Baum mit seinem Ausblick auf das Gebirge und das Meer, kein anderes Wesen als Sîmurg, der allein für sie sorgte. Als ihr Blick das Bild eines so schönen Prinzen zu schauen lernte, da fehlte nicht viel und sie wäre in ihrem Eifer gleich zu ihm hinuntergestürzt. Zum Glück öffnete der junge Mann gerade die Augen, sah, aus dem Schlaf erwachend, um sich, ohne jede Vermutung, daß in seiner Nähe noch ein anderes Wesen atmete. Da warf das junge Mädchen einen Apfel nach ihm, er blickte auf und sah, von dem Geäst des Baumes umrahmt, ein Wesen, schön wie der Mond. Gleich verliebte er sich in sie auf eine überirdische Weise.

»O holdes Wesen, wer bist du? Wie kommt es, daß du auf diesem hohen Baum nistest?«

»Ich bin die Tochter Sîmurgs.«

»Du?! Aber du bist doch das Kind eines Menschen, und Sîmurg ist doch ein Tier. Ein Wunder, wie du es bist, hat freilich eine geheimnisvolle Herkunft!«

»Aber du, wer kannst du sein?«

»Ich bin ein Mensch.«

»Was ist ein Mensch?!«

»Ein Wesen, das dir und mir gleicht. Sîmurg hingegen ist ein Tier: er hat Federn und Flügel. Worin solltest du ihm ähnlich sein und welche Verwandtschaft wäre da zwischen euch möglich?«

Die Prinzessin erschrak, als sie diese, sie so befremdende Auskunft bekam. »Welch sonderbare Meinung von dir! Ich weiß, daß ich die Tochter Sîmurgs bin. Ich habe ja noch nie einen Menschen sehen können!«

Aber der Prinz beharrte bei seiner Meinung. »Wenn du haben willst, daß es dir sichtbar werde, ohne daß du dann je zweifeln könntest, wessen Tochter du bist, so verlange von deinem vermeintlichen Vater einen Spiegel. Das Spiegelbild wird dir dann sagen, daß niemals er es sein kann, dem du dein Leben verdankst. Könnte ich zu dir hinauf, so würde dein Bild in meinen Augen dir sagen, daß auch du ein menschliches Wesen bist wie ich!«

»Auch ich wünsche nichts sehnlicher. Aber wir müssen uns jetzt bescheiden, denn nun ist die Zeit, wo Sîmurg bald kommen muß. Versteck dich in einem Winkel. Gib acht, daß er dich nicht sieht, sonst würde er dich vernichten wollen.« Das junge Mädchen warf dem Prinzen ihr ganzes Naschwerk zu. Er sammelte es und suchte als Versteck die Haut eines getöteten Pferdes auf.

Als Sîmurg kam, fand er seinen Schützling in sehr verdrießlicher Laune. »Warum bist du so niedergeschlagen?«

»Ach, ich langweile mich in dieser Abgeschiedenheit. Willst du mir eine Freude bereiten, so verschaff mir einen Spiegel. Wenn ich mich erst darin betrachten kann, so weiß ich mir die Langeweile zu vertreiben.«

Sîmurg flog davon, einen Spiegel zu beschaffen. Er kam bald zurück und überreichte ihr einen kostbaren Spiegel. Als sie ihr Bild darin erblickte, sah sie, wie recht ihr junger Freund hatte. Denn kein Teil ihres Körpers wies eine Ähnlichkeit mit Sîmurg auf. Als sie lachte, freute sich ihr Nährvater. »Wie schön, nun bist du wieder so heiter wie vorher!«

Nach diesem Tag, der ihr ihr eigenes und das Bild des Prinzen sehen ließ, fand die Prinzessin nicht mehr den ruhigen Schlaf von ehedem.

Als die ersten Strahlen der Morgensonne kamen, verabschiedete sich der Vogel und flog dem Aufgang des Lichtes entgegen. Das junge Mädchen blickte ihm ungeduldig nach. Endlich durfte der Prinz sein Versteck verlassen. Gleich rief sie ihn an. »Sieh, ich habe einen Spiegel!«

»Nun, und was hast du darin gesehen?«

»Ich konnte mich von der Wahrheit deiner Worte überzeugen. Mein Körper ist nicht anders als der deine. Wenn wir uns nur mehr aus der Nähe unterhalten könnten! Sinn‘ dir doch ein Mittel aus, um solches bewirken zu können!«

»Wenn Sîmurg kommt, so bitte ihn, daß er dich tagsüber am Fuße des Baumes verweilen lasse und dich erst wieder bei Anbruch der Nacht in das Geäst bringe. Wünsche dies unter dem Vorwand, daß du dich in dieser Höhe sehr langweilst, daß du unten das Meer mit Muße betrachten könntest, und daß dies zur Erholung deines Herzens notwendig sei!«

Als der Vogel zurückkam, fand er das Mädchen in düsterer und ganz niedergeschlagener Stimmung. Er ließ sich auf einen Zweig neben ihr nieder und fragte sie: »Warum so kummervoll, mein Schützling?«

»Ich bin verzweifelt, daß ich den ganzen Tag über, an dem du dich ergehen darfst, so allein bleiben muß.«

»Sag mir nur, was du wünschest, und ich werde es dir erfüllen!«

»Setz‘ mich jeden Tag am Fuße des Baumes ab, damit ich unten bleiben kann, bis du wiederkommst.«

Als der Tag aufging, setzte Sîmurg das Mädchen am Fuße des Baumes ab und flog wie gewöhnlich davon. Der Prinz hatte von seinem Versteck aus den Vorgang beobachtet, und kaum war Sîmurg verschwunden, als er auch gleich zum Baum eilte, um dort seine Herzensfreundin endlich aus der Nähe begrüßen zu können.

Sie verbrachten die Zeit wie sorglose Götter, einer an des anderen Hals, dem Kusse hingegeben. Die Lippen des jungen Mädchens begannen das Studium über die Ähnlichkeit unter Menschen und nichts blieb übrig, – das nicht Verständnis gefunden hätte … Manchmal aßen sie Früchte, die aus dem Vorrat der Prinzessin stammten. Als Sîmurg zurückkam, war der Prinz schon in seinem sicheren Versteck. Der Vogel freute sich über die zufriedene Miene seiner Pflegetochter; er umarmte sie väterlich und trug sie zurück auf den Gipfel des Baumes.

Am Morgen des nächsten Tages setzte der Vogel die Prinzessin wieder getreulich am Fuße des Baumes ab. »Oh, könnte ich nicht stets unten wohnen, es war so schön, als ich gestern lustwandeln durfte. Könntest du mir nicht eine Wohnstätte bauen, die hier unten liegt? Denn nun fehlt mir hier alle Bequemlichkeit.«

»Gedulde dich, bis ich einen Ort in der Nähe des Meeres gefunden habe, von dem ich annehmen kann, daß er dir gefallen wird. Ich werde dich dann sogleich hintragen.«

Sîmurg kreiste über der Gegend, blickte nach allen Richtungen, konnte aber keinen besseren Platz finden als den, wo sich der junge Prinz versteckt hielt. Dort baute er eine bequeme Unterkunft, vor Wind und Wetter geschützt und auch so dicht im Gefüge, daß die heißen Sonnenstrahlen nicht durchdringen konnten. Der Vogel, der bei dieser Gelegenheit ein Pferd treiben sah, fing es ein und brachte es dem jungen Mädchen als Spielkameraden. »Mein Kind, das Tier, das ich dir da bringe, heißt Tier des Meeres, unterhalte dich mit ihm, es ist gutmütig und wird dir nichts tun.«

Die Prinzessin, die noch nie ein Pferd gesehen hatte, betrachtete es mit großer Neugierde. Wie immer verabschiedete sich Sîmurg und flog davon.

Die beiden Liebenden waren nun ganz ungestört. Um die Freuden der Liebe auszukosten, lag ein ganzer Tag vor ihnen. Erst als Sîmurg zurückkam, mußte sich der Prinz in die Haut seines toten Pferdes passen. Der besorgte Vogel fand das Mädchen eingeschlafen und es schien ihm auch gar nicht verwunderlich, sie so ermüdet vorzufinden. Er nahm sie auf und legte sie wieder an ihre alte Stelle im Gipfel des Baumes. Als sie erwachte, fragte er sie: »Nun mein Kind, hast du heute genug Zerstreuung gefunden?«

»O mein Behüter, dieser Tag war der schönste, den ich erleben durfte. An keinem Tage empfing ich so viel Freude und wußte mich selbst so zu vergnügen. Ach, es war sehr unterhaltend, dem Pferdchen zuzusehen!«

»Nun gut,« antwortete Sîmurg, »auch morgen werde ich dich in die Behausung bringen, damit du nicht wieder in die Betrübnis der Einsamkeit verfällst!«

Vom Morgen bis zum Abend blieben die beiden Liebenden in der kleinen Behausung, in der es still war und nur hie und da ein geflüstertes Wort aufflatterte.

Eines Tages hatte der Prinz wieder einen neuen Wunsch, den die Prinzessin ihrem Schutzherrn vorbringen sollte. »Oben, im Gipfel des Baumes, bist du stets allein. Überrede ihn doch, die Behausung nach oben zu bringen, damit wir auch die ganze Nacht beisammen sein können.« Um diesen Wunsch verständlich zu machen, jagte der Prinz das Pferd in das Meer.

Als Sîmurg wieder zurückkam, brachte sie ihren neuen Wunsch vor. »O Herr der Vögel, bring doch meine Behausung auf den Gipfel dieses Baumes.« Und weinend fuhr sie fort: »Ein wildes Tier hat mir das Pferd zerrissen, das ich so liebgewonnen hatte. Bring mir doch seine Haut, damit ich ein Andenken von ihm habe.« Der Vogel, beflissen, keinen der unschuldigen Wünsche unerfüllt zu lassen, packte das Fell auf und brachte es mit der Behausung auf den Gipfel des Baumes.

Als der Vogel wieder ausgeflogen war, gingen die beiden an die Einrichtung. Die Schlafstätte der Prinzessin wurde in die Behausung gebracht und die Ausstattung, die bis nun nicht beachtet worden war, wurde ausgebreitet. Da gab es Polster und Decken in bunten Farben und reich mit Gold bestickt. Man versuchte und fand bald die Einteilung, wie das Vorgefundene am besten zu verwenden sei. Die Enge des Raumes, der doch nur von einem Wesen bewohnt gelten sollte, konnte tagsüber die Liegestatt der beiden bequem bergen, und nachtsüber mußte diese sogar als Versteck für beide genügen. Auf diese Weise hatte die Liebe der beiden jedenfalls eine Tagundnachtgleiche erreicht.

Als Sîmurg wie gewöhnlich erschien, hatte die Prinzessin ihren Gast unter Decken gut verborgen. »Nun, mein Augapfel, wie ist dir der Tag vergangen?«

»Ich bin so glücklich, den Gipfel meines Baumes zu sehen, daß ich nicht mehr herabsteigen will.« Der Pflegevater hatte viele süße Früchte mitgebracht, von denen die Prinzessin einen guten Rest aufbewahrte. Als die Nacht genügend dunkel wurde, hob die Prinzessin die Decken und schlüpfte zu ihrem Geliebten.

Am nächsten Tage fragte Sîmurg die Prinzessin mit einigem Erstaunen: »Warum bleibst du jetzt Tag und Nacht in dem Nestchen? Früher schliefst du doch immer unter dem Schutz meines Flügels?«

»O Sîmurg, du hast mich bis nun so verwöhnt, daß ich dich nicht mit dieser Unbequemlichkeit belästigen will. Und weißt du, dadurch, daß ich tagsüber immer in meiner kleinen Behausung bin, ist es so warm, daß es bis in die Nacht vorhält!«

Ein Jahr lang dauerte nun schon das sorglose Leben dieses liebenden Paares. Bald kam aber doch die Sorge und das Überlegen: wie dem Vogel die Geburt und das Dasein eines Kindes verbergen? Der Prinz sagte sich: das Geschrei des neugebornen Kindes wird seine Gegenwart verraten. Nach dieser Entdeckung wird der Vogel nicht zögern, Mutter und Kind zu töten. Er wandte sich an seine junge Frau: »Wenn Sîmurg zurückkommt, so bitte ihn um ein Betäubungsmittel, nur so können wir ein Unglück verhüten.«

Als Sîmurg zurückkam, sprach sie ihn gleich an: »O Herr der Vögel, bitte, gib mir ein Schlafmittel. Du bist erstaunt? Alle meine Bemühungen versagen. Ich kann kein Auge schließen, um einzuschlafen.« Sîmurg willfahrte ihrem Wunsch und brachte ihr ein Schlafmittel.

Alsbald gebar die Prinzessin einen sehr schönen Knaben. Sie hüllte ihn sorgfältig in abgetrennte Teile einer Decke und stillte ihn selbst. In dieser völligen Einsamkeit lebten nun drei Menschen. Nur die Prinzessin allein war für den Vogel sichtbar, von den beiden anderen Wesen, und wie alles zusammenhing, das sollte erst auf eine besondere Weise Aufklärung finden.

Als wieder ein Jahr vergangen war, sandte Gott zu Gabriel, um von Salomon Rechenschaft zu fordern. »Salomon, frage doch Sîmurg, ob er das Quazà o quador durchkreuzen konnte, das göttliche Gesetz der Bestimmung.« Am selben Tage glaubte auch Sîmurg seiner Sache sicher zu sein und mit triumphierender Haltung warf er sich in die Brust. »Ja, ich habe die Bestimmung des göttlichen Gesetzes durchkreuzt. Vernimm, o Prophet Salomon, daß die Quazà o quador nur ein eitles Wort ist, und daß mein Gedanke siegte!«

»Nun gut,« sagte Salomon, »bringe das junge Mädchen in seinem Nest hierher.«

Sîmurg erhob sich siegesgewiß in die Lüfte und flog an die Stelle, wo er das Mädchen aufbewahrt hatte. Salomon versammelte indessen um sich seine ihm untergebenen Geister, außerdem die Vögel und Vierfüßler. Als Sîmurg erschien, fragte er ihn: »Nun, hast du – ja oder nein – dem Sinn einer göttlichen Bestimmung trotzen können? Du weißt, sie besagte die Vereinigung des Königssohnes des Occidents mit der Königstochter des Orients. Sprich und weise vor, denn der Zeitraum, der dir zugebilligt wurde, ist verflossen!«

»Du weißt von dem Raub der Königstochter des Orients, weißt, daß ich es getan habe, um das Mädchen, auf dem Gipfel des hohen Berges, abgeschlossen von aller Welt aufzuziehen. Nie hat sie ein menschliches Wesen gesehen!«

Als man aber die Decke von dem Nest aufhob,, da sah man, zum großen Erstaunen aller Anwesenden, zwei junge schöne Menschen, eine Frau und einen Mann, und auf dem Schoße der Frau ihr Kind, welches sich nun erhob, um den König Salomon zu begrüßen.

»O seht! Auf diese Weise glaubtest du den Sinn des göttlichen Gesetzes vernichtet, daß nun dieser junge Prinz zwei Jahre mit der Prinzessin leben konnte, ja, daß sie ein Kind bekamen, ohne daß du je etwas von diesem Abenteuer erfahren hast! Ich sehe in diesem Vorfall das Walten der göttlichen Weisheit, welche dein Unterfangen auf diese Weise bestrafte und uns ein Beispiel ihrer Größe gab.«

0106

Der schöne Kadi

In Damaskus lebte einst ein junger Kadi, der ebenso schön als gelehrt war. Eines Tages ritt er durch die Stadt. Als er am Palaste des Königs vorbeikam, gewahrte er auf dem Dache ein wunderschönes Mädchen, das ihn wohlgefällig zu betrachten schien. Das Mädchen war die Favoritin des Königs und verdiente diese Bevorzugung vollends. War sie doch selten schön und anmutig. Als sich die Blicke der beiden fanden, waren sie auch schon über alle Maßen ineinander verliebt. Um dem jungen Mann ein Zeichen ihrer Neigung zu geben, warf sie ihm eine goldene Orange in den Schoß, eben in dem Augenblick, als er an dem Dache ihres Hauses vorbeiritt. Der Kadi nahm das Geschenk freudig bewegt in die Hand, hielt sein Pferd für eine kurze Weile an und dankte der Spielerin mit einem empfindsamen Blick. Damit diese Begegnung nicht bemerkt werde, ritt er gleich weiter und verschwand in der Menge.

Von diesem Augenblick an hatte den Kadi die Unruhe der Liebe ergriffen. In vielen Wandlungen erschien ihm das Bild des jungen Mädchens, aber jede Wandlung ließ ihm das Mädchen schöner und schöner werden. Er sann nun nach, auf welche Weise er dem bezaubernden Geschöpf noch einmal begegnen könnte.

Mastur, so hieß das junge Mädchen, wurde sehr traurig, als der junge Kadi in der Menge verschwunden war. Es quälte sie, immer Träumen nachzuhängen, die ihr den jungen Kadi nur vorzauberten; auch sie sann über Mittel nach, die eine wirkliche Begegnung herbeiführen könnten.

Am nächsten Tage begab sie sich wieder auf das Dach ihres Hauses. Der Himmel schien ihren Wunsch erfüllen zu wollen, denn sie bemerkte den Kadi schon von weitem und sah, wie er wieder gegen den Palast hin seinen Weg nahm. Einen Augenblick hielt er wie gestern sein Pferd an der Stelle an und ritt dann weiter. Zehn Tage hintereinander sahen sie sich auf diese Weise, warfen sich nur Blicke zu und litten an einer quälenden Einsamkeit. Eines Tages kam eine von den Sklavinnen des Königs, die in seinem besonderen Vertrauen stand, auf das Dach und sah Mastur hier sitzen. Nachdem sie die Favoritin des Königs eine Weile beobachtet hatte, machte sie ihr Vorwürfe, daß sie sich auf einem Platze zeige, wo sie von allen Männern gesehen werden könne. Gerade als die Sklavin an Mastur näher herantrat, erblickte diese den schönen Kadi, der sich wieder unter dem Dache postiert hatte. Der Sklavin entging es nicht, welche Blicke die beiden Verliebten miteinander wechselten. Sie machte Mastur darob ernste Vorstellungen und sagte: »Glaubst du, daß der König es nicht erfahren wird, welches Spiel du mit dem Kadi der Stadt treibst?«

Ob dieser Reden wurde dem jungen Mädchen ganz bange und sie überließ sich dem Weinen. Endlich raffte sie sich doch auf, ergriff ein reich mit Edelsteinen geschmücktes Kästchen, reichte es der Sklavin und sagte: »Du hast gesehen, wie verliebt ich in den jungen Kadi bin. Kein Leugnen würde diese Wahrheit vertuschen können. Nur du kannst mir zu der Erfüllung meiner Wünsche verhelfen.«

Die Sklavin war freudig bewegt ob des schönen Geschenkes und sie antwortete: »Sei versichert, daß ich alles tun werde, um dir eine Zusammenkunft mit dem Kadi zu ermöglichen. Dein Herz soll nicht länger trauern. Morgen, wenn der König ausreitet, stell‘ dich krank und klage laut über deine Schmerzen, verbiete aber jedem den Zutritt in dein Gemach. Sage, daß du der Ruhe bedarfst und daß jede fremde Stimme dich schmerzt. Ob so oder so; der Kadi kommt zu dir.«

Am nächsten Tage tat Mastur alles, wie man es besprochen hatte. Sie verschloß sich in ihr Zimmer, um abzuwarten, ob der Sklavin der Plan gelingen werde. Diese ging nach dem Hause des schönen Kadi und, als sie vorgelassen wurde, sagte sie zu ihm: »Ich habe dir eine geheime Nachricht zu bringen!« Auf diese Anrede hin führte sie der Kadi in sein Privatgemach, und hier erst brachte sie ihre Botschaft vor:

»Ich bin zu dir gesandt von der Favoritin des Königs. Sie hat sich eingeschlossen und täuscht Krankheit vor. Ich bin unter dem Vorwande unterwegs, eine weise Frau zu bringen, welche sie heilen könnte. Ihr müßt Euch nun als Weib verkleiden, aber nehmt auch einen dichten Schleier, damit ich Euch, ohne weiteres Aufsehen zu machen, zu ihr führen kann.«

Der Kadi nahm mit Freuden diesen Vorschlag an. Die Sklavin griff gleich hurtig zu und half als Sachverständige, den Kadi umzukleiden. Sie ordnete sein Haar nach Frauenart und band ihm noch zum Schlüsse einen dichten Schleier vor das Gesicht. So verkleidet, führte sie ihn in den Palast. Dort fragte die Wache, wer das Weib sei, das sie da mitbringe. Und sie antwortete: »Das ist die weise Frau, die gekommen ist, die Krankheit Masturs zu heilen.« So erreichten sie das Gemach der Favoritin ohne Zwischenfall. Bevor die Sklavin die beiden allein ließ, sagte sie noch dem Kadi, daß sie ihn in der Nacht abholen werde.

Die beiden Liebenden hatten nun die Stunde gefunden, nach der sie sich so lange gesehnt. Mastur löste lächelnd Stück für Stück der Frauenkleidung von dem männlichen Körper ab und sie liebten einander …

Für die wachsame Umgebung aber machte die Heilung der Favoritin nur langsam Fortschritte. Die weise Frau mußte noch sehr oft kommen und der Kadi überließ sich unermüdlich dem Glück, das ihm diese Verkleidung eintrug. Unter dem Zeichen eines Weibes bewies er sehr männliche Tugenden.

Es schien, als wollte die Gunst des Schicksals die beiden unter ihre besondere Hut nehmen. Dennoch schlich sich eines Tages Gefahr ein. Der König erschien plötzlich unangesagt. Es gab keine Möglichkeit mehr, den Kadi unbemerkt aus dem Palast zu entfernen. Die Sklavin, die atemlos die Ankunft des Königs den beiden meldete, fand nur mehr Zeit, den Kadi im nächstgelegenen Raum zu verbergen, welcher die Schätze des Königs enthielt. Hier stand eine Reihe von kostbaren Truhen, manche davon waren bis an den Rand mit Kostbarkeiten gefüllt, andere hingegen standen wieder leer. In einer dieser letzteren versteckte die Sklavin den verkleideten Kadi, und verschloß sodann die Truhe. Wenige Augenblicke später betrat der König das Gemach seiner Favoritin. Diese lag auf ihrem Ruhebette und begrüßte ihren Herrn mit einem müden Lächeln, wozu sie manchen geheimen Grund hatte. Als er sie fragte, wie es um ihr Befinden stünde, antwortete sie: »Ich hatte Kopfschmerzen, aber eine weise Frau verfügte über so ausgezeichnete Arzneien, daß es mir schon besser geht. Sie war hier und hat mich auch etwas zur Ader gelassen.«

Der König nahm diese Nachricht mit besonderem Vergnügen auf, denn er hatte schon lange den Wunsch gehabt, sich wieder einmal der Liebe seiner Favoritin zu erfreuen. Er ließ sich neben sie nieder und Mastur war gezwungen, ihn gewähren zu lassen, wie sehr ihr Herz auch bei einem andern weilte.

a0199

Einige kühne Räuber hatten für diese Nacht beschlossen, vom Schatz des Königs einige Reichtümer zu stehlen. Sie kletterten über eine Mauer auf das Dach des Palastes und gelangten von hier aus ungesehen in die Schatzkammer. Sie nahmen das erstbeste, was ihnen in die Hände fiel – die Truhe, in der der Kadi versteckt war. Sie versuchten, ohne viel Geräusch zu machen, die Truhe etwas vom Platz zu rücken, nur um sich zu überzeugen, ob sie auch schwer genug von Schätzen sei. Ihrer Begierde schien das Gewicht der Truhe genug zu tun. Schwitzend und keuchend brachten sie den Schatz auf das Dach und ließen ihn nun langsam, an ein festes Seil gebunden, auf die Straße hinuntergleiten. Hier nahmen zwei starke Männer die Truhe in Empfang, luden sie auf ihren Rücken und hatten nun vor, ihre Beute in ihren Schlupfwinkel zu bringen. Auf dem Wege dahin bemerkten sie, daß der Nachtwächter ihnen entgegenkam. Um nicht aufgegriffen zu werden, verbargen sie sich rasch in dem nächstliegenden dunklen Torweg. Dieser gehörte zum Hause eines Würdenträgers. Hier verhielten sie sich mäuschenstill, um den Nachtwächter vorübergehen zu lassen. Sie waren gerade dabei, wieder ihre Bürde aufzunehmen und ihren Weg fortzusetzen, als sich hinter ihnen eine Tür öffnete und ein Sklavenmädchen mit einer brennenden Lampe heraustrat. Das Mädchen hatte das Geräusch gehört und kam nun nachsehen, ob das Tor verschlossen sei. Bei ihrem Anblick ergriffen die Räuber die Flucht und ließen die Truhe zurück. Das Mädchen sah erstaunt auf die Truhe. Sie versuchte, den Deckel zu heben, fand aber die Truhe verschlossen. Nun schob sie sie ins Haus und holte ihre Herrin. Erst mit ihr zusammen hoffte sie das schwere Ding aus dem Wege zu bringen. Die beiden Frauen besahen nun die Truhe und wußten sich kaum vor Erstaunen zu fassen. Wo kam sie her und wie kostbar war sie in allen ihren Teilen! Doch ihre Neugierde war noch lange nicht befriedigt, denn sie hofften, in der Truhe selbst noch manchen Reichtum anzutreffen. Die beiden Frauen beschlossen, sie daher aufzubrechen. Vorerst schoben sie das schwere Ding vor die Türe, die zum Gemache der Frau führte. Hier machten sie sich daran, die Truhe zu öffnen. Nach vielen Mühen gelang es ihnen auch, den Deckel zu heben. Brennend vor Neugierde leuchteten sie mit ihrer Lampe in das Innere. Das erste, was sie im Lichtschein zu sehen bekamen, war das Gesicht des Kadi. Erst langsam wand sich dieser aus seinem engen Versteck, und als er in ganzer Figur herauskam, wollten die Weiber über die Frauenkleidung, die er trug, laut auflachen. Er gebot ihnen, leise zu sein, und es wurde ihm auch kichernd gehorcht. Die Frau nahm ihn gleich in ihr Gemach und stellte das Sklavenmädchen auf Posten, damit sie Nachricht habe, wenn ihr Mann zu kommen drohe. Die Frau war über den unvorhergesehenen Besuch gar nicht böse, denn auch sie hatte schon lange ein Auge auf den schönen Kadi geworfen. Nun er in ihrem Nest war, überließ sie sich ihm voll Freude. Dann erst fragte sie ihn, wieso er in diese Lage gekommen war. Er erfand Folgendes:

»Als ich friedlich bei mir zu Hause saß, drangen plötzlich drei Männer bei mir ein, erklärten sich als meine Feinde und raubten mir an Kostbarkeiten, was sie nur finden konnten. Mich zwangen sie, diese Frauenkleidung anzuziehen und in die Truhe zu steigen. So raubten sie mit meiner Habe auch mich, denn alles schleppten sie mit sich fort. Irgendein mir unbekannter Zufall aber wollte es, daß sie die Truhe bei Euch abladeten und davongingen. Dem Himmel sei Dank, der mich in deine gnadenvolle Nähe brachte!«

Nun kam die Sklavin gelaufen und meldete das Nahen des Gatten. »Versteckt Euch rasch in diesem leeren Weinbehälter! Dort bleibt so lange, bis mein Gatte eingeschlafen ist und dann sollt ihr befreit werden!« Der Kadi, der mittlerweile schon Übung hatte, handelte nach dieser Weisung.

Als der Würdenträger das Zimmer betrat, war er voll von Wein und aus diesem Grunde sehr streitsüchtig. Er beschimpfte laut sein Weib und beschuldigte sie der Nachlässigkeit im Haushalt, der Flatterhaftigkeit und noch mancher Dinge, wie es ihm eben im Rausche einfiel. »Ich werde schon ein Mittel finden, um dich empfindlich zu strafen!«

Die Frau war nicht verlegen und warf ihm vor: »Du gehst jede Nacht fort und betrinkst dich mit Wein und wenn du heimkommst, fällt dir nichts Besseres ein, als mich sinnlos zu beschimpfen. Es wäre klüger, du würdest dich nüchtern halten, damit du deine Pflichten am Tage besser erfüllen könntest. Wenn der Kadi um deine Nachlässigkeit wüßte, so würdest du bestraft werden und nicht ich.«

Als sie ihm dies vorwarf, wurde sein Zorn so heftig, daß er den erstbesten Gegenstand nahm, um ihn seiner Frau an den Kopf zu werfen. Aber in seiner Trunkenheit zielte er schlecht und traf, statt seiner Frau, den tönernen Weinbehälter, der auch gleich in Stücke auseinanderfiel. Die Frau übersah sofort die Situation, die nun sehr kritisch wurde, weil das Versteck des Kadi nicht mehr bestand. Um dem Gatten die Möglichkeit zu nehmen, auf das zerbrochene Gefäß zu blicken, warf sie sich rauflustig auf ihren Mann und kämpfte mit ihm so lange, bis die schlaue Sklavin, diese Gelegenheit benützend, den Kadi mit sich fortzog.

Als sie ihn in ihrer Kammer hatte, blieb auch jede Gefahr von dem gehetzten Kadi fern. Er atmete auf, und, weil diese Sklavin sehr schön war … blieb er auch bei ihr – bis in den Morgen.

Zu Hause und in seiner Männerkleidung fand der Kadi erst diejenige amtliche Würde, die an ihm so allgemein geachtet war. Mochte seine Weisheit auch manches lösen, die Aufgaben, die ihm seine Schönheit stellte, waren oft – viel schwieriger.
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Der listige Dschahis

Ein Jüngling mit Namen Dschahis verliebte sich leidenschaftlich in eines der Weiber seines Vaters, die ebenso schön und töricht war, wie er klug und häßlich. Um ihrer aber in Liebe zu genießen, ersann er sich folgende List: Er brachte ihr ein Schreiben von der Hand ihres Vaters, der sie zu sich forderte, weil er auf den Tod darniederliege und sie noch einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen wünsche. Dschahis trug sich ihr nun als Reiseschutz an, und sein Vorschlag wurde gern angenommen. Während sie aber ihr Bündel schnürte, machte sich Dschahis fort, um auf dem Wege, den sie ziehen müßten, an bestimmten Stellen Lebensmittel zu verscharren. Am folgenden Morgen wurde die Reise angetreten. Schon waren sie lange Stunden in der größten Sonne dahingeritten, als das Weib nach Erfrischungen Verlangen trug. Da entschuldigte sich Dschahis, er habe vergessen, solche mitzunehmen, und sie müsse sich bis zum nächsten Dorf in Geduld fassen. In diesem Augenblick jedoch flog krächzend ein Rabe vorüber.

»O du großer Lügner!« schrie Dschahis.

»Wen schiltst du einen Lügner?« begehrte das Weib zu wissen.

»Den verwünschten Raben dort, der mir weismachen will, daß unter jenem Baume Fisch und Brot und Scherbett vergraben wären.«

»Wie kannst du ihn denn verstehen?«

»Oh, wiewohl ich noch jung an Jahren bin, habe ich schon viel gelernt und habe zufällig eine Grammatik und ein Wörterbuch der Vogelsprache gefunden, darum verstehe ich mich nun auf diese.«

Das Weib aber, das des Hungers Pein bitter verspürte, dachte, der Rabe könnte doch die Wahrheit verkündet haben und drang in ihren Weggefährten, haltzumachen und unter dem Baume nachzugraben.

Sie fanden nun Brot, Fisch und Scherbett, und das Weib hielt ihren Stiefsohn für einen großen Gelehrten.

Und als sie wieder eine Weile des Weges dahingezogen waren, strich ein anderer Rabe krächzend an ihnen vorüber.

»Ei, du Erzlügner!« schrie Dschahis wie erbost.

»O lieber Sohn meines Gatten,« hob das Weib an, »was krächzt er denn? Ehrlich ist doch das Rabenvolk und man darf es nicht der Lüge zeihen.« Darauf erwiderte Dschahis: »Wenn wir ihm Glauben schenken wollten, so müßten sich unter jener Steineiche dort ein Braten und mit Fleisch gefüllte Kuchen finden lassen.«

Das Weib drang darauf, abzusitzen, und sie fand richtig alles so, wie es der Rabe gesagt hatte. Und hielt ihres Mannes Sohn für einen großen Heiligen und küßte ihm voll Ehrerbietung und ganz demütiglich die Hände. Sie hatten wohl zu essen gehabt, aber nichts zu trinken, wo sie doch glaubten, vor Durst vergehen zu müssen. Bald hernach krächzte wieder ein Rabe.

»Spitzbube, du!« rief Dschahis.

»O du liebes Kind meines Gatten, tue dem ehrlichen Gesichte kein Unrecht; glaube mir nur, Raben sind Wahrheitskünder! Was will er denn?«

»Dort, unter jenem Baume, behauptet er, seien Flaschen voll köstlicher Weine und des herrlichsten Scherbetts vergraben.«

Das stimmte wiederum genau. Und sie tranken vom besten Weine und ruhten noch dahingelagert im dichten hohen Grase, als ein vierter Rabe über ihren Häuptern krächzte.

»O du gotteslästerlicher Lügner, o du schändlicher Betrüger!« schrie Dschahis ganz aufgebracht.

»Verleumde den guten Raben nicht so,« sagte das Weib, »wahr und richtig wie der Koran sind seine Worte. Was sagt er denn?«

»Scham verspüre ich, es nur zu wiederholen, obgleich ein großes Unglück damit verknüpft ist.«

Lange weigerte sich Dschahis und tat gar so, wie wenn er weine aus Scham und Trauer. Auf vieles Bitten hin sprach er endlich unter Stottern: »Wenn Ihr, o liebes Weib meines Vaters, Euch nicht auf der Stelle Liebe pflegend zu mir lagert, sagt der Rabe, werden Euer Vater und Euer Kind allsogleich des Todes sterben.«

Was war zu tun? Des Raben Glaubwürdigkeit konnte man unmöglich anzweifeln. Dschahis erklärte zwar, nie und nimmer dürfe solches geschehen, aber je mehr er sich weigerte, desto dringlicher ward das Weib und bat ihn flehentlich, ihres Vaters und ihres Kindes Leben zu retten. Hände und Füße küßte sie ihm und gab nicht nach mit Bitten, bis er sich ihrer – erbarmte.

Verratenes Vertrauen

Unter der Herrschaft des Hadjdjâdj ibn Jussuf erlebte ein junger Mann eine Geschichte, die, von ihm selbst erzählt, den Reiz der Unmittelbarkeit wohl am besten bewahrt.

»Meine Wangen zierte noch der erste Flaum meines Bartes, als ich schon die Tätigkeit eines Geldwechslers ausübte. Auch hatte ich zu dieser Zeit bereits hundert Liebschaften, wenn nicht sogar mehr. Hadjdjâdj besaß eine Favoritin, in die er solchermaßen verliebt war, daß er sie stets um sich haben wollte. Es war keine Übertreibung, wenn man von ihr sagte, daß er sie bis zum Irrsinn liebe. Als ich einmal auf dem Weg zum Bade war, traf mich ein verliebter Blick dieser Auserwählten.

Gleich am nächsten Tag sandte sie einen Boten nach mir. »Du sollst zur Favoritin des Hadjdjâdj kommen, sie will bei dir Gold einwechseln!« Von ihm wurde ich in den Harem des Hadjdjâdj geleitet. Das junge Mädchen, das mich erwartete, war so schön wie ein Traumbild. Es fehlte nicht viel und ich hätte bei solchem Anblick auch den Verstand verloren.

Wir suchten die Einsamkeit des Parkes auf. Hier zog uns das Liebesspiel immer enger aneinander und wir tauschten alles aus, was wir uns an Köstlichem geben konnten.

Wir verplauderten gerade eine Pause, als einer der Emire des Hadjdjâdj erschien. Er überreichte dem jungen Mädchen drei Vögel, die ihr hoher Herr für ihre Tafel bestimmt hatte. Aber meine Schöne, die wohl dachte, daß ich eine gute Mahlzeit verdient habe, schenkte sie mir.

Mit dieser Gabe kehrte ich in den Bazar zurück und lud meinen Geschäftsfreund ein, mit mir die Vögel zu verspeisen. Als wir die Tiere aufschnitten, fanden wir sie im Innern mit kostbaren Steinen gefüllt. Erstaunt über diese Entdeckung fragte mich mein Geschäftsfreund, wie ich in den Besitz dieser Vögel gekommen war. Ohne Bedenken erzählte ich ihm mein wunderbares Abenteuer, schenkte ihm einen Teil der Steine und behielt den Rest für mich. Der Schurke ging zu Hadjdjâdj und berichtete ihm, was er von mir erfahren hatte.

Wir wurden alle vor den Fürsten geladen, das junge Mädchen, mein Geschäftsfreund, der Emir und ich. Zuerst verhörte er den Emir. »Wie kommt es, daß du die Vögel, statt mit gehacktem Fleisch, mit Edelsteinen fülltest?« Darauf der Emir: »Ich tat es, um deinen Auftrag in einer Form zu erledigen, die deiner würdig ist. Ich sagte mir, in der Küche meines Herrn ist an leckeren Speisen kein Mangel. Mein Ehrgeiz aber ging dahin, ein außergewöhnliches Gericht herzustellen. Um den Ruhm deiner Küche zu erhöhen, ließ ich die Vögel nicht, wie üblich, mit gehacktem Fleisch, sondern mit Edelsteinen füllen.«

Nun wandte sich der Fürst an das junge Mädchen. »Warum hast du das Gericht, das ich dir zur Mahlzeit bestimmt hatte, nicht selbst gegessen? Warum verschenktest du es an diesen Jüngling?«

»Mein Gebieter«, antwortete sie, »in welcher Absicht sandtest du mir die Vögel? Du hättest sie doch selbst essen können?«

»Aus Liebe zu dir ließ ich sie unberührt und es war im Sinne dieser Liebe, sie ausschließlich dir anzubieten.«

»Nun gut. Mit denselben Gefühlen der Liebe, wie du sie für mich hast, schenkte ich die Vögel diesem Jüngling. Ich wollte sie lieber von ihm allein verspeist wissen, als selbst davon genießen.«

Hierauf fragte mich der Fürst: »Wie konntest du so verwegen sein, dir im Harem deines Fürsten alle Freiheiten zu erlauben, die nur mir zustehen?«

»O Fürst,« antwortete ich, »warum die Wahrheit entstellen?! Was wäre das wohl für ein Mann, der die Aufmunterung einer schönen Frau, sie zu lieben, unerwidert ließe!«

Der Fürst mußte lachen. »Aber du hättest ein so zartes Geheimnis nicht preisgeben sollen, auch deinem besten Freunde nicht. Sind dir die Worte des Dichters unbekannt:

»Vertraue dein Geheimnis auch nicht deinem besten Freunde an, denn dieser hat wieder beste Freunde.«

»O Fürst! ich hielt ihn nicht für so unwürdig. Ich vertraute ihm wie einem Bruder, und dennoch hat er mich verraten.«

Der Fürst wandte sich mit erhobener Stimme an meinen Freund: »Warum hast du so an ihm gehandelt?«

Dieser senkte sein Haupt und wußte kein Wort zu sagen.

»Der Teufel hat dich geritten. Ich werde dich, wie du es verdienst, bestrafen!« Nach diesen Worten machte mir Hadjdjâdj das schöne Mädchen zum Geschenk und sprach zu uns: »Weil ihr so freimütig die Wahrheit gesprochen habt, will ich euch verzeihen!«

Mein Freund wurde zum Tode verurteilt und sein Kopf als abschreckendes Beispiel für Verräter dem Volke gezeigt.

 

Die Moral dieser Geschichte: Verrate nicht die Geheimnisse desjenigen, der dir voll vertraut, handle nicht unwürdig an ihm, sondern denke daran, daß du selber das Opfer einer solchen schmählichen Handlung werden könntest.

0025

Das Geheimnis

Eines Abends, da ich beim Brunnen Azmeh saß, belauschte ich die Unterhaltung zweier junger Mädchen. Die eine sagte zur andern:

»Ich kann mir wirklich nicht erklären, weshalb mir meine Mutter immer rät, mich von den Männern fernzuhalten, die mich anschauen. Kannst du mir sagen, was ich eigentlich von denen zu fürchten habe?«

Ihre Freundin gab zur Antwort:

»Meine Mutter rät mir Gleiches. Nur sagt sie, ich soll die Männer vermeiden, die mich nicht anschauen. So wenig wie du weiß ich einen Grund dafür.«

Ich erhob mich und sagte zu den jungen Mädchen:

»Ich hatte mich entschlossen, euch nicht näher zu kommen … Nun ist’s aber doch nötig, daß ich mich euch nähere, denn der Schmetterling gräbt sich in den Kelch der Rose ein, wenn er ihr von der Liebe sprechen will.«

»Wir hören dich«, sagten die beiden und lachten.

Die eine hatte kleine, sehr schöne Brüste, und die andere allzuvollendete Beine, und zum ersten Male zauderte mein Wort. Aber da die Nacht herannahte und eines der beiden Mädchen sich anschickte, die heiligen Waschungen vorzunehmen, zog ich die andere auf mein Knie und sagte:

»Deine Mutter hat dir nur empfohlen, dich von den Männern fernzuhalten, die dich anschauen … Dir das Warum zu erklären, wäre eine lange Geschichte. Der weiseste Weise und der am wenigsten Geschwätzige würde damit nicht fertig, bevor deine Freundin aus dem Wasser steigt. Aber du mußt doch zugeben, daß es mir nicht möglich ist, dein Gesicht zu sehen, und daß du daher deiner Mutter gehorchst.«

»Das gebe ich zu«, sagte das Kind.

Darauf war ein süßes Schweigen. Bloß des Mädchens leises Seufzen war hörbar in der stillen Nacht der Liebe …

Als sie sich meinen Armen entwand, rief sie ihrer Freundin zu:

»Du kannst bedauern, daß deine Mutter dir befohlen hat, die Männer zu meiden, die dich nicht anschauen! Die Nacht ist dunkel heute abend, und morgen früh wird Saadi nicht mehr hier am Brunnen sein …«

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Die unerbittliche Kurtisane

In einer afghanischen Stadt herrschte ein junger Fürst so gerecht, daß keiner seiner Untertanen die geringste Unbill erfuhr und sein Staat der blühendste war wegen der Freigebigkeit seines Beherrschers. Eines Tages bekam er Lust, ein anderes Reich zu besuchen, eine Zeit auf Reisen zu verbringen, um das Vergnügen des Wechsels zu haben und Erfahrungen zu gewinnen.

Er ließ also seinen ersten Vezier kommen und sagte ihm seine Absicht. »Ich übergebe dir mein Reich, sieh, daß du gut und rechtlich herrschest. In einem Jahre kehre ich zurück, aber sollte ich zu dieser Zeit noch nicht da sein, so übergibst du die Regierung meinem zweiten Vezier und gehst mich suchen.«

So ward es abgemacht zwischen dem König und seinem ersten Vezier.

Beim Morgenrot des nächsten Tages erhob sich der König, schritt in den Thronsaal, rief seinen Vezier und übergab ihm feierlich die Regierung. Er nahm nur einige edle Steine mit und machte sich auf die Reise. Nachdem er an sieben Orten gewesen war, kam er in einen Wald, in dem ein viereckiger Teich war. Am Ufer traf er vier Diebe, die sich darüber stritten, wem jedes der vier Dinge, die sie gerade gestohlen hatten, gehören solle. Das erste war ein Schwert, das zweite eine Schale aus chinesischem Porzellan, das dritte ein Teppich und das vierte ein edelsteinbesetzter Thronsessel. Kaum hatten die Diebe den König bemerkt, als sie, ohne seine Würde zu erkennen und bloß von seinem Aussehen bestimmt, ihn baten, er möge zwischen ihnen den Richter machen, indem sie ihm auch sagten, was sie seien. Sie sagten ihm ferner, worin der Wert der Gegenstände bestünde, die sie sich streitig machten.

»Das Schwert vermag einen oder auch mehrere Feinde zu erreichen und ihnen den Kopf zu spalten, seien sie auch viele Meilen weit entfernt. Die Schale füllt sich mit Früchten und erlesenen Speisen, so oft man nur den Wunsch danach ausspricht. Aus dem Teppich kann man Geld ausschütteln, soviel man will. Und der Thronsessel bringt einen überallhin, wohin man mag.«

Der verwunderte König beschloß sofort, diese vier Gegenstände sich anzueignen und selber zu gebrauchen. So sagte er also den vier Dieben, sie möchten sich in den Weiher stürzen, und das Kostbarste der vier Dinge stünde dem zur Wahl, der am längsten unter Wasser bliebe, die weniger kostbaren denen, die weniger lang blieben. Die Diebe nahmen den Vorschlag an, hatten aber noch kaum die Köpfe unterm Wasser, als der König Schwert, Schale und Teppich nahm und sich auf den Thronsessel setzte. Er sprach gleichzeitig den Wunsch aus, in einer ferngelegenen Stadt zu sein, und schon war er dort. Er sah zuerst einen Kiosk und stieg da ab. Er ließ den Thronsessel, der ihm als fliegender Wagen gedient hatte, da und ebenso die anderen Gegenstände, und ging, um ein Haus zu mieten, durch die Stadt.

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Wie die Herrlichkeiten dieser Stadt beschreiben, und wie die Schönheit ihrer Frauen, die nie vergißt, wer sie einmal gesehen hat! Die Stadt schien von Engeln gebaut und glich wohl deshalb dem Paradiese.

Der König kam vor einen prächtigen Palast, dessen halbmondförmige Zinnen den Augenbrauen der Frauen glichen und dessen Bemalung an ihr gemaltes Antlitz erinnerte. Der König war entzückt und fragte einen, der vorüberging, wem dieses Haus gehöre. Er erfuhr, daß darin eine berühmte Kurtisane wohne. An der Pforte war eine eherne Trommel, und die mußte der schlagen, der Einlaß begehrte, und darauf hunderttausend Goldstücke legen. Dem König gelüstete es nach dem Abenteuer; er schlug die Trommel und legte die Summe Geldes darauf. Kaum daß der Schall verklungen war, gab die Kurtisane ihren Mädchen Auftrag, den vornehmen Herrn hereinzuführen. Der König fand die Herrin des Hauses auf einem herrlichen Lager liegend, das war mit Perlen auf ägyptischem Seidenstoff reich geziert. Ihr Antlitz war wie der Mond um Mitternacht; die schwarzen Locken ihres Haares glichen einem Pelz aus Ebenholz. So groß war ihre Schönheit, daß, wer sie sah, in Ohnmacht fiel. So ging es auch dem jungen Fürsten. Sogleich erhob sie sich, schritt auf ihn zu und ließ ihn Rosenöl riechen. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, nahm sie ihn bei der Hand, ließ ihn neben sich setzen und ihm einen Becher Wein bringen, der seinen Liebesrausch noch erhöhte. Hierauf entkleidete sie ihn halb und entkleidete sich selbst. Endlich ließ sie ihn an dem Honig ihrer Reize kosten und zog ihn zu sich, in zärtlich kosender Umarmung. Nun weihte sie ihn in alle Geheimnisse der Liebe ein. Zum Schlusse führte sie ihn in ein Bad aus Jaspis und Onyx, rieb ihn ein und drückte ihn da zum Klang der Musik und ließ ihn in solcher Erregung, daß er alle seine Absichten vergaß und drei Monate bei dieser außerordentlichen Frau blieb. Aus seinem Wunderteppich beschenkte er sie reichlich.

Die schlaue Kurtisane merkte schließlich, daß die Freigebigkeit des Fürsten eine übernatürliche Ursache haben müsse. Sie ließ ihn durch ihre Kammerzofe ausspionieren. Die ging ihm nach, bis dorthin, wo er die vier Wunderlinge verwahrte, und sah, wie er aus dem Teppich die hunderttausend Goldstücke schüttelte, welche ihre Herrin jeden Tag verlangte und bekam. Dies meldete sie.

Die Kurtisane ergriff sofort das Verlangen, sich dieser kostbaren Gegenstände zu bemächtigen. Am nächsten Morgen fragte sie den Fürsten, wie es komme, daß er den König dieses Reiches nicht besuche und ihn nicht zu sich einlade. Er antwortete, er wolle es tun. Da sagte die durchtriebene Kurtisane, sie fürchte, sein Reichtum würde sich erschöpfen, und daß sie ihm dann nicht mehr zu Diensten sein könne. Er beruhigte sie darüber, indem er ihr versicherte, sie brauche nur einen Wunsch auszusprechen, um ihn sofort erfüllt zu bekommen.

Diese Mitteilung machte die Kurtisane kühn, und sie bat den Fürsten inständig, er möge ihr dieses Geheimnis mitteilen. Und am nächsten Morgen war er schwach genug, die Wunderdinge mitzubringen und ihr zu erklären. Hierauf nahm der Fürst eine Menge Trabanten und Reiter und Schützen in Dienst; er versah sich mit einem eines Königs würdigen Palankin und allem, was zu einem fürstlichen Gefolge nötig ist, und verständigte die Schöne, daß er den König besuchen und eine Jagd abhalten wolle, um alle seine Herrlichkeiten zu zeigen.

Kaum war er fort, als die schöne Ungetreue die Wunderdinge nahm, an einen sicheren Ort brachte und hierauf Feuer an ihr eigenes Haus legte; um an einen zufälligen Brand glauben zu machen, heuchelte sie die heftigste Verzweiflung. Der Fürst eilte herbei und fand die, die er liebte, mit aufgelöstem Haar. Gerührt hob er sie auf und sagte: »Was liegt daran, daß die Flammen alles verzehrt haben, wenn nur du gerettet bist.« Und er suchte sein Unglück neben seiner unwürdigen Geliebten zu vergessen.

Zwanzig Tage vergingen so, als die Kurtisane durch ihre Kammerfrau vom Prinzen zwanzigmal hunderttausend Goldstücke verlangte. Es waren ihm an Geschmeiden noch fünfzigmal hunderttausend Goldstücke geblieben. Er ließ sie durch seinen Diener bei einem Juwelier verkaufen und schickte den ganzen Erlös der Kammerfrau für ihre Herrin. Aber nach wenigen Tagen verlangte sie wieder Geld, und der liebesblinde Fürst verkaufte seine Waffen, Elefanten, Pferde und Kamele, um seine habgierige Geliebte zufriedenzustellen. Das reichte für ein paar Tage und dann besaß er nichts mehr. Als ihn die herzlose Schöne arm sah, gab sie ihren Leuten den Auftrag, den Fürsten nicht mehr vorzulassen. Er bat und flehte, aber sie blieb unerbittlich.

Zwei Monate verlebte der Fürst in größtem Elend, ohne andere Zuflucht, als die äußere Torhalle derjenigen, die ihn zugrunde gerichtet hatte. Er ward schwach und zum Sterben krank, aber hielt seine Augen dorthin gerichtet, wo er die unerbittliche Kurtisane wußte.

Als das zwischen dem Fürsten und seinem Vezier beschlossene Jahr herum war, machte sich dieser auf den Weg, seinen Herrn zu suchen. Durch manche Länder war er schon gewandert, als er in einen Bambuswald kam. Inmitten dieses Waldes waren zwei Quellen; das Wasser der einen war schwarz und brausend, das der anderen aber weiß und dieses sprang hoch in die Höhe. Zu der schwarzen Quelle kam ein Schakal um zu trinken. Aber kaum hatte er seine Zunge ins Wasser gesteckt, als es ihm mit aller Anstrengung nicht möglich war, sie wieder herauszuziehen, bis der Wind von dem weißen Wasser einige Tropfen auf ihn hinübertrug – da wurde er wieder frei und lief davon. Der erstaunte Vezier verstand die Eigenschaft dieser zwei wunderbaren Quellen und füllte je eine Flasche mit ihren Wassern.

Endlich kam er, zehn Monate nachdem er sein Land verlassen hatte, in die Stadt, wo die Kurtisane wohnte. Auf seine Frage nach dem Fürsten erfuhr er, daß er aus Liebe und Elend an der Tür einer Kurtisane liege. Kaum hatte der Vezier das vernommen, als er dahin eilte und den Fürsten fand. Der umarmte gerührt seinen Vezier, der sich beeilte, seinen Herrn zu geschickten Ärzten zu bringen, die ihm seine frühere Gesundheit und Schönheit bald wiedergaben. Er erzählte dem Vezier, was ihm begegnet war, und der bewunderte die Treue seiner Liebe und versprach ihm, die übermütige Schöne zu seiner Sklavin zu machen. »Hier sind,« sagte er, »dreihunderttausend Goldstücke; geht noch einmal in das Haus dieser Habsüchtigen und verlangt bloß von ihr, daß ich mit Euch gehen und bei Euch bleiben darf; sagt, ich sei Euer Diener.«

Also geschah es. Die Kurtisane empfing aus Neugierde ihren alten Geliebten, als sie erstaunt hörte, daß er Geld habe. Der König begegnete ihr ohne Zorn, glücklich, sie wiederzusehen. So ließen sie sich auf einem Lager nieder und unterhielten sich. Als der Fürst ganz eng mit ihr umschlungen war, fragte er, ob sie nicht seinen Diener rufen wolle, daß er Waschwasser bringe. Sie tat es, und sofort besprengte der Vezier das Paar mit einigen Tropfen des schwarzen Wassers, und die Kurtisane konnte sich nicht mehr rühren, sie mochte sich drehen und wenden, wie sie wollte. Ihre Dienerinnen waren erstaunt und erschrocken, als sie das sahen, warfen sich vor dem Vezier nieder, den sie als den Urheber dieses Wunders vermuteten, und baten ihn, er möge ihre Herrin befreien. »Ich kann es nicht eher,« sagte er ihnen, »bevor ihr mir nicht eine chinesische Schale, ein Schwert, einen Teppich und einen Thronsessel verschafft habt. Ich will in die Schale ein Medikament geben, eure Herrin und den Jüngling mit dem Teppich bedecken und so auf den Thron setzen; ich will das Schwert über sie halten und lasse sie die Medizin trinken, die ihnen wieder die Freiheit gibt.«

Die Dienerinnen beeilten sich, das Verlangte herbeizuschaffen und, nachdem er dann das unlösliche Paar auf den Thron gesetzt hatte, stellte er sich rasch selber darauf und in einer Stunde waren sie alle drei im Reiche des Fürsten. Auf dem Wege dahin besprengte er seinen Herrn mit ein paar Tropfen aus der weißen Quelle, die ihm erlaubten, sich aus den Umschlingungen seiner Schönen zu lösen. Hierauf ergriff der Fürst wieder die Regierung und erfreute sich neuerdings seiner Wunderdinge, der beiden kostbaren Wasser und seiner Geliebten, die nun eine ergebene Sklavin war.

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Die Frau des Krämers

Eines Tages, da die Frau eines Krämers auf dem Dache ihres Hauses saß, erblickte sie ein junger Mann und verliebte sich in sie. Da die Frau dies alsbald bemerkte, rief sie ihn an und sagte: »Komm nach Mitternacht zu mir und setze dich unter einen Baum, der in meinem Hofe steht.« Nach Mitternacht begab sich der junge Mann nach ihrem Hause; die Frau erhob sich vom Bette, ging zu dem Jüngling und legte sich neben ihn unter den Baum.

Es begab sich, daß der Vater des Krämers um die nämliche Zeit, eines Geschäftes wegen, aufstand und auf den Hof ging. Da sah er die Frau seines Sohnes sich mit einem fremden Manne erfreuen. Unbemerkt nahm er der Frau die Ringe von den Füßen, steckte sie zu sich und dachte: am Morgen will ich das Weib bestrafen.

Nach einer Weile schickte die Frau den Jüngling wieder fort, ging zu ihrem Manne, weckte ihn und sagte: »Im Hause ist es sehr schwül, komm, laß uns unter dem Baume im Hofe schlafen.« Also lagerte sich die Frau mit ihrem Manne auf demselben Platze, wo vordem sie und der junge Mann in inniger Umschlingung gelegen waren. Als der Mann fest schlief, weckte ihn die Frau plötzlich und sprach: »Dein Vater kam soeben vorbei, nahm mir die Ringe von den Fußgelenken und trug sie weg. Dieser alte Mann, den ich als meinen Vater ansehe, wie konnte er sich doch mir nähern, als ich neben meinem Manne schlief, die Ringe von meinen Knöcheln nehmen und sie wegtragen?«

Am Morgen war der Gatte auf seinen Vater böse, der ihm nun den Umstand entdeckte, wie er seine Schwiegertochter in der Nacht mit einem fremden Manne getroffen hätte. Der Sohn sprach barsch zu seinem Vater: »In der Nacht, als meine Frau und ich, der Hitze wegen, unter dem Baume schliefen, kamst du her, nahmst meiner Frau die Ringe fort und trugst sie weg. Um dieselbe Zeit weckte mich meine Frau und zeigte mir den Umstand an.« Darauf war der Vater sehr beschämt und die Frau kam durch ihre Schlauheit ungestraft davon.

Der Berg der Freuden

Alfuran hatte durch die Heiligkeit seines Lebens und durch seine Enthaltsamkeit die Herzen der ganzen Provinz Irak gewonnen. Aber keiner war mehr von diesem heiligen Derwisch bezaubert als Sanballat, der Sohn des Samis, eines Kaufmannes in Balsora, der ihn für den Stand, worin er lebte, bestimmt hatte.

Alfurans Einsiedelei lag im Walde, nahe bei den Vorwerken der Stadt. Sie war aus einem ungeheuren Felsen in der Seite eines Berges gebildet und enthielt zwei Zellen, wovon die äußere für die gewöhnlichen Verrichtungen des Lebens diente, die innere für die Andacht und die religiösen Übungen des Derwisches.

Zu der Einsiedelei Alfurans strömten beim Aufgang der Sonne Tausende, um die Lehren aus seinem Munde zu hören. Selbst die ärmsten Untertanen von Balsora versäumten nicht, dem weisen Alfuran zu lauschen, obgleich das Werk ihrer Hände dadurch vernachlässigt ward und ungetan blieb. Der fromme Sanballad lieh diesen bezaubernden Lehren beständig ein aufmerksames Ohr und schlürfte tief die weisen Worte des Derwisches von Balsora. Eines Tages, als der Derwisch seine Zuhörer ermahnt hatte, sich nicht länger mit den irdischen Angelegenheiten oder mit den gewöhnlichen Sterblichen zu befassen, trat Sanballad vor ihn hin und bat Alfuran, ihn in die Mysterien seines glücklichen Lebens einzuführen.

»Kannst du, o Jüngling,« sprach der Derwisch, »die Eitelkeiten dieses Lebens verlassen, um in der Einsamkeit und Enthaltsamkeit deine Jugend zu vergessen? Kannst du alle irdischen Verbindungen, deine Freunde, deine Geliebte und ihre Vergnügungen der beständigen Gesellschaft eines alten Derwirsches aufopfern? Wenn du zu allem diesen entschlossen bist, so laß mich zuvor deinen Glauben und deine Unterwürfigkeit auf die Probe stellen. Steige diesen schroffen Felsen auf den Stufen hinan, welche ich in seinen Seitenwänden ausgehauen habe, und setze dich auf den Stein, der mit seiner Fläche dem stärksten Sonnenfeuer ausgesetzt ist. Dort bleibe, während die Sonne dich bei Tage zerschmilzt und der feuchte ungesunde Tau dich des Nachts überfällt. Nach drei Tagen will ich dir von den auserlesensten Speisen bringen, die mir die reichen Einwohner von Balsora täglich schicken, um meinen Appetit zu reizen. Wenn du von ihnen kostest oder nur Lust nach ihnen bezeugst, so wird sich der Fluch des Feuergottes auf dich herablassen.«

Sanballad bestieg, wie ihm befohlen ward, den heiligen Berg.

Den ersten Tag brachte er in einer feierlichen Stimmung zu: er vereinigte sich mit der Stille. Er wagte nicht aufzublicken oder seine Stellung zu verändern; hielt seine Augen beständig auf den Boden geheftet.

Am zweiten Tage setzte Alfuran eine mit köstlichen Speisen reich besetzte Tafel vor seinen Schüler hin. Sanballad blickte nicht eher nach den verlockenden Speisen, als bis Alfuran es ihm befohlen hatte, und beharrte standhaft und gewissenhaft bei seinem Entschluß. Als dieses der Derwisch sah, lobte er seinen Glauben und ermahnte ihn, sich auch fernerhin den Lehren folgsam zu beweisen.

Am dritten Tage war der arme Jüngling vom Wachen und von der Strenge der Einsamkeit ganz erschöpft. Alfuran jedoch bemühte sich, den Jüngling mit Versuchungen von seinem Vorhaben abzubringen. Der fromme Sanballad aber blieb standhaft und erfüllte zuletzt alle Befehle seines Meisters. So eingeweiht, führte ihn der Derwisch von dem Berg in die Zelle herab und überließ ihn hier eine Zeitlang der Ruhe und der Erquickung. Dann kehrte Alfuran auf den Berg zurück, um hier seine täglichen Opfer auf dem Altar des Feuers zu verrichten. Mit dieser Handlung brachte er den übrigen Teil des Tages zu, während welcher Zeit Sanballad die entzückendste Musik hörte, die durch die Wand des Berges zu dringen schien und die Zelle mit ihren Harmonien erfüllte.

Alfuran und sein Zögling widmeten ihre Zeit den unüberwindlichen Mächten des Feuers. Die ganze Stadt Balsora ließ sich zu der Religion des Derwisches bekehren, und alle, ihr Gewerbe vernachlässigend, strömten sie herbei, um die Lehren von seinen Lippen einzusaugen.

Aber was mitten in seiner Heiligkeit einen ganz seltsamen Eindruck auf Sanballad machte, war, daß sein Meister ihm niemals gestattete, auf den Berg zu steigen. Wenn er den Derwisch nach dem Grunde fragte, warum er diesen heiligen Dienst nicht auch verrichten dürfe, wurde er mit ausweichenden Antworten abgefertigt.

Einmal, um die Stunde der Mitternacht, als Sanballad seinen Lieblingswünschen nachträumte, erschien an der Tür seiner Zelle die Gestalt eines kleinen alten Mannes. Sanballad wollte bei diesem Anblick laut um Hilfe rufen, aber er vermochte es nicht, denn seine Zunge klebte ihm fest am Gaumen. Die kleine Figur näherte sich und stand vor dem erstaunten und versteinerten Schüler.

»Ich bin,« sprach das Phantom, »der gute Genius, der über dein seltsames Schicksal wacht. Alfuran hat in dieser Nacht deinen Tod beschlossen und ist gesonnen, dich seinem barbarischen Gotte zu opfern. Ich kann dir nicht weiter beistehen, denn Alfuran besitzt das Siegel Nadocs, welches er seinem Brahminen entwendet hat. Aber wenn du beherzt bist, so gehe mutig in seine Zelle, taste mit deiner Hand an seinen Busen, wo es verborgen liegt. In dem Augenblick, wo du es in der Hand hältst, bist du auch außerhalb aller Gefahr. Wenn du es hast, so werden seine Kräfte dir, seinem neuen Besitzer, untertan sein. Sei daher ohne Furcht und vergiß nicht, sobald du das Siegel in der Hand hältst, einen zweckmäßigen Gebrauch davon zu machen.«

Sanballad schlich sogleich in die Zelle des verräterischen Alfuran. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß der Derwisch schlief, führte er seine Hand ganz leise an die Brust des Schlafenden, griff unter die Kleidung und zog kühn das Siegel des Nadoc hervor. Da wachte durch die Kraft des Geistes der Derwisch auf. Als dies Sanballad bemerkte, wünschte er seinen Vorsatz ausgeführt – und Alfuran sank wieder in einen tiefen Schlaf. Der junge Mann, der nun die Macht des Siegels erprobt hatte, pries Mohammed und eilte aus der Zelle. Vor der Tür erwartete den Jüngling der Genius Mamluk.

»Nach diesem Sieg wollen wir den Berg ersteigen und du sollst dich von der Nichtigkeit deines Gottesdienstes überzeugen!«

Als sie den Altar auf der Fläche des Berges erstiegen hatten, rückten sie den Stein von seiner Stelle. Da entdeckten sie eine schwarze Treppe, die in das Innere des Berges führte. Der Jüngling stieg nun mit seinem Führer immer tiefer in das Innere des Berges, durchschritt mehrere dunkle Gänge, bis sie an einen gelangten, aus dem melancholische Klänge vieler Instrumente ihnen entgegenrauschten. An dem niederen Ende des Ganges gewahrten sie eine Menge dicht verhüllter Matronen, die mit feierlichen Schritten längs der Öffnung des hohlen Ganges auf- und niederschritten.

»Ich wünsche, o Mamluk,« sprach Sanballad, »daß diese mich aufnehmen, wie sie Alfuran aufzunehmen pflegten.«

Als er so sprach, versammelten sich alle Matronen um ihn, einige küßten seine Hände, andere seine Füße und wieder andere warfen sich auf ihre Knie und berührten unter der Bezeugung ihrer tiefsten Ehrfurcht den Saum seines Gewandes.

Von dieser Schar umgeben, ging der erdichtete Derwisch zu dem entlegeneren Ende des Ganges, wo ein geräumiges Tor einen dunklen Tempel aufschloß. In der Mitte dieses Tempels befand sich ein Altar, hoch über den Boden emporragend, auf dem ein starkes Feuer, mit Ölen und aromatischen Hölzern genährt, ununterbrochen Tag und Nacht brannte und von den Spezereien Nahrung erhielt, die Alfuran von den betörten Einwohnern Balsoras gespendet bekam.

In dem Augenblick, als Sanballad an das Feuer herangetreten war, setzten die Orgien ein. Die weiblichen Adepten gebärdeten sich, von den Anfällen einer wilden Raserei ergriffen, wie Unsinnige, seufzten, weinten, peitschten sich, fielen in Ekstase und sanken zuletzt, von ihren ausschweifenden Bräuchen entkräftet, rings um das Feuer, welches sie verehrten, in einen matten Schlummer.

»Nun mußt du, Sanballad, mutig und beherzt sein: kannst du der Versuchung widerstehen?«

»Ach,« antwortete Sanballad, »ich glaubte es, aber es war eine törichte Einbildung, die aus dem Stolz einer falschen Religion entsprang.«

»Dein Mißtrauen ist klug und verrät ein demütiges Herz; aber da für deinen jungen Glauben an den Propheten die Versuchung zu stark sein könnte, so hat er mir erlaubt, die Stelle Alfurans zu vertreten und dich unsichtbar durch diese Labyrinthe eines betörenden Irrtums zu führen.« Mamluk nahm nun die Gestalt Alfurans an und Sanballad stand, nachdem er sich unsichtbar gemacht hatte, neben dem verwandelten Genius. Mamluk hob seine Hände in die Höhe und schlug sie in der Luft zusammen. Durch dieses Klatschen wachten die Matronen auf und er befahl, den Becher der Liebe zu bringen.

Vier alte Matronen brachten alsbald einen großen Trinkbecher, aus dem der Genius und alle Frauen tranken.

Kaum hatten sie von dem Trank genommen, fingen sie an, obszöne Lieder zu singen. Mit unzweideutigen Bewegungen begleiteten sie die Worte und blieben im Rhythmus des Liebesspiels. Bald aber steigerten sie das Tempo zur Raserei, warfen ihre Kleider ab, und in dieser völligen Nacktheit wurde ihr Tanz im höchsten Grade schamlos und unzüchtig.

Nach dem Anblick dieses seltsamen Tanzes verließen beide den Berg, gingen den Hügel hinab und standen vor der Zelle des Derwisches. Die Menge drängte sich um den Genius, weil er noch immer die Person des Alfuran vorstellte, einige segneten ihn mit Tränen in den Augen, andere beteten ihn an. Da erhob Mamluk plötzlich seine Stimme und sprach zu den Einwohnern von Balsora: »O ihr verblendeten Götzendiener, warum habt ihr die Verehrung eures Propheten verlassen und seid den Lügen und Fabeln des Zauberers Alfuran gefolgt?«

Als er diese Worte sprach, legte der Genius die Hülle des Derwisches ab und erschien ihnen in der Schönheit seines himmlischen Ursprungs.

»Ich bin Mamluk, der Schutzgeist eurer Stadt. Und nun sollt ihr die Eingeweide dieses Berges sehen.«

Als er diese Worte sprach, schaute das Volk nach dem Berge hin, der zu bersten begann und bald seine inneren Höhlen sehen ließ. Aus diesem geheimen Aufenthalt der Lust und der Unmäßigkeit traten nun die Frauen hervor. Wie groß war das Erstaunen der Männer von Balsora, als sie unter der geheimen Rotte des wollüstigen Derwisches ihre eigenen Frauen und Töchter erkannten, die es verstanden hatten, zur Zeit der Mitternacht ihren Wächtern zu entschlüpfen! Denn alle Ausreden waren glaubhaft, sobald sie nur irgendwie mit dem Derwisch zusammenhingen.

Nach dieser Erkenntnis fielen die Betrogenen über den Derwisch her und der war am glücklichsten, der die meisten Merkmale seiner Rache an dem Unzüchtigen aufweisen konnte.

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