Ein Jüngling mit Namen Dschahis verliebte sich leidenschaftlich in eines der Weiber seines Vaters, die ebenso schön und töricht war, wie er klug und häßlich. Um ihrer aber in Liebe zu genießen, ersann er sich folgende List: Er brachte ihr ein Schreiben von der Hand ihres Vaters, der sie zu sich forderte, weil er auf den Tod darniederliege und sie noch einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen wünsche. Dschahis trug sich ihr nun als Reiseschutz an, und sein Vorschlag wurde gern angenommen. Während sie aber ihr Bündel schnürte, machte sich Dschahis fort, um auf dem Wege, den sie ziehen müßten, an bestimmten Stellen Lebensmittel zu verscharren. Am folgenden Morgen wurde die Reise angetreten. Schon waren sie lange Stunden in der größten Sonne dahingeritten, als das Weib nach Erfrischungen Verlangen trug. Da entschuldigte sich Dschahis, er habe vergessen, solche mitzunehmen, und sie müsse sich bis zum nächsten Dorf in Geduld fassen. In diesem Augenblick jedoch flog krächzend ein Rabe vorüber.

»O du großer Lügner!« schrie Dschahis.

»Wen schiltst du einen Lügner?« begehrte das Weib zu wissen.

»Den verwünschten Raben dort, der mir weismachen will, daß unter jenem Baume Fisch und Brot und Scherbett vergraben wären.«

»Wie kannst du ihn denn verstehen?«

»Oh, wiewohl ich noch jung an Jahren bin, habe ich schon viel gelernt und habe zufällig eine Grammatik und ein Wörterbuch der Vogelsprache gefunden, darum verstehe ich mich nun auf diese.«

Das Weib aber, das des Hungers Pein bitter verspürte, dachte, der Rabe könnte doch die Wahrheit verkündet haben und drang in ihren Weggefährten, haltzumachen und unter dem Baume nachzugraben.

Sie fanden nun Brot, Fisch und Scherbett, und das Weib hielt ihren Stiefsohn für einen großen Gelehrten.

Und als sie wieder eine Weile des Weges dahingezogen waren, strich ein anderer Rabe krächzend an ihnen vorüber.

»Ei, du Erzlügner!« schrie Dschahis wie erbost.

»O lieber Sohn meines Gatten,« hob das Weib an, »was krächzt er denn? Ehrlich ist doch das Rabenvolk und man darf es nicht der Lüge zeihen.« Darauf erwiderte Dschahis: »Wenn wir ihm Glauben schenken wollten, so müßten sich unter jener Steineiche dort ein Braten und mit Fleisch gefüllte Kuchen finden lassen.«

Das Weib drang darauf, abzusitzen, und sie fand richtig alles so, wie es der Rabe gesagt hatte. Und hielt ihres Mannes Sohn für einen großen Heiligen und küßte ihm voll Ehrerbietung und ganz demütiglich die Hände. Sie hatten wohl zu essen gehabt, aber nichts zu trinken, wo sie doch glaubten, vor Durst vergehen zu müssen. Bald hernach krächzte wieder ein Rabe.

»Spitzbube, du!« rief Dschahis.

»O du liebes Kind meines Gatten, tue dem ehrlichen Gesichte kein Unrecht; glaube mir nur, Raben sind Wahrheitskünder! Was will er denn?«

»Dort, unter jenem Baume, behauptet er, seien Flaschen voll köstlicher Weine und des herrlichsten Scherbetts vergraben.«

Das stimmte wiederum genau. Und sie tranken vom besten Weine und ruhten noch dahingelagert im dichten hohen Grase, als ein vierter Rabe über ihren Häuptern krächzte.

»O du gotteslästerlicher Lügner, o du schändlicher Betrüger!« schrie Dschahis ganz aufgebracht.

»Verleumde den guten Raben nicht so,« sagte das Weib, »wahr und richtig wie der Koran sind seine Worte. Was sagt er denn?«

»Scham verspüre ich, es nur zu wiederholen, obgleich ein großes Unglück damit verknüpft ist.«

Lange weigerte sich Dschahis und tat gar so, wie wenn er weine aus Scham und Trauer. Auf vieles Bitten hin sprach er endlich unter Stottern: »Wenn Ihr, o liebes Weib meines Vaters, Euch nicht auf der Stelle Liebe pflegend zu mir lagert, sagt der Rabe, werden Euer Vater und Euer Kind allsogleich des Todes sterben.«

Was war zu tun? Des Raben Glaubwürdigkeit konnte man unmöglich anzweifeln. Dschahis erklärte zwar, nie und nimmer dürfe solches geschehen, aber je mehr er sich weigerte, desto dringlicher ward das Weib und bat ihn flehentlich, ihres Vaters und ihres Kindes Leben zu retten. Hände und Füße küßte sie ihm und gab nicht nach mit Bitten, bis er sich ihrer – erbarmte.