In Damaskus lebte einst ein junger Kadi, der ebenso schön als gelehrt war. Eines Tages ritt er durch die Stadt. Als er am Palaste des Königs vorbeikam, gewahrte er auf dem Dache ein wunderschönes Mädchen, das ihn wohlgefällig zu betrachten schien. Das Mädchen war die Favoritin des Königs und verdiente diese Bevorzugung vollends. War sie doch selten schön und anmutig. Als sich die Blicke der beiden fanden, waren sie auch schon über alle Maßen ineinander verliebt. Um dem jungen Mann ein Zeichen ihrer Neigung zu geben, warf sie ihm eine goldene Orange in den Schoß, eben in dem Augenblick, als er an dem Dache ihres Hauses vorbeiritt. Der Kadi nahm das Geschenk freudig bewegt in die Hand, hielt sein Pferd für eine kurze Weile an und dankte der Spielerin mit einem empfindsamen Blick. Damit diese Begegnung nicht bemerkt werde, ritt er gleich weiter und verschwand in der Menge.

Von diesem Augenblick an hatte den Kadi die Unruhe der Liebe ergriffen. In vielen Wandlungen erschien ihm das Bild des jungen Mädchens, aber jede Wandlung ließ ihm das Mädchen schöner und schöner werden. Er sann nun nach, auf welche Weise er dem bezaubernden Geschöpf noch einmal begegnen könnte.

Mastur, so hieß das junge Mädchen, wurde sehr traurig, als der junge Kadi in der Menge verschwunden war. Es quälte sie, immer Träumen nachzuhängen, die ihr den jungen Kadi nur vorzauberten; auch sie sann über Mittel nach, die eine wirkliche Begegnung herbeiführen könnten.

Am nächsten Tage begab sie sich wieder auf das Dach ihres Hauses. Der Himmel schien ihren Wunsch erfüllen zu wollen, denn sie bemerkte den Kadi schon von weitem und sah, wie er wieder gegen den Palast hin seinen Weg nahm. Einen Augenblick hielt er wie gestern sein Pferd an der Stelle an und ritt dann weiter. Zehn Tage hintereinander sahen sie sich auf diese Weise, warfen sich nur Blicke zu und litten an einer quälenden Einsamkeit. Eines Tages kam eine von den Sklavinnen des Königs, die in seinem besonderen Vertrauen stand, auf das Dach und sah Mastur hier sitzen. Nachdem sie die Favoritin des Königs eine Weile beobachtet hatte, machte sie ihr Vorwürfe, daß sie sich auf einem Platze zeige, wo sie von allen Männern gesehen werden könne. Gerade als die Sklavin an Mastur näher herantrat, erblickte diese den schönen Kadi, der sich wieder unter dem Dache postiert hatte. Der Sklavin entging es nicht, welche Blicke die beiden Verliebten miteinander wechselten. Sie machte Mastur darob ernste Vorstellungen und sagte: »Glaubst du, daß der König es nicht erfahren wird, welches Spiel du mit dem Kadi der Stadt treibst?«

Ob dieser Reden wurde dem jungen Mädchen ganz bange und sie überließ sich dem Weinen. Endlich raffte sie sich doch auf, ergriff ein reich mit Edelsteinen geschmücktes Kästchen, reichte es der Sklavin und sagte: »Du hast gesehen, wie verliebt ich in den jungen Kadi bin. Kein Leugnen würde diese Wahrheit vertuschen können. Nur du kannst mir zu der Erfüllung meiner Wünsche verhelfen.«

Die Sklavin war freudig bewegt ob des schönen Geschenkes und sie antwortete: »Sei versichert, daß ich alles tun werde, um dir eine Zusammenkunft mit dem Kadi zu ermöglichen. Dein Herz soll nicht länger trauern. Morgen, wenn der König ausreitet, stell‘ dich krank und klage laut über deine Schmerzen, verbiete aber jedem den Zutritt in dein Gemach. Sage, daß du der Ruhe bedarfst und daß jede fremde Stimme dich schmerzt. Ob so oder so; der Kadi kommt zu dir.«

Am nächsten Tage tat Mastur alles, wie man es besprochen hatte. Sie verschloß sich in ihr Zimmer, um abzuwarten, ob der Sklavin der Plan gelingen werde. Diese ging nach dem Hause des schönen Kadi und, als sie vorgelassen wurde, sagte sie zu ihm: »Ich habe dir eine geheime Nachricht zu bringen!« Auf diese Anrede hin führte sie der Kadi in sein Privatgemach, und hier erst brachte sie ihre Botschaft vor:

»Ich bin zu dir gesandt von der Favoritin des Königs. Sie hat sich eingeschlossen und täuscht Krankheit vor. Ich bin unter dem Vorwande unterwegs, eine weise Frau zu bringen, welche sie heilen könnte. Ihr müßt Euch nun als Weib verkleiden, aber nehmt auch einen dichten Schleier, damit ich Euch, ohne weiteres Aufsehen zu machen, zu ihr führen kann.«

Der Kadi nahm mit Freuden diesen Vorschlag an. Die Sklavin griff gleich hurtig zu und half als Sachverständige, den Kadi umzukleiden. Sie ordnete sein Haar nach Frauenart und band ihm noch zum Schlüsse einen dichten Schleier vor das Gesicht. So verkleidet, führte sie ihn in den Palast. Dort fragte die Wache, wer das Weib sei, das sie da mitbringe. Und sie antwortete: »Das ist die weise Frau, die gekommen ist, die Krankheit Masturs zu heilen.« So erreichten sie das Gemach der Favoritin ohne Zwischenfall. Bevor die Sklavin die beiden allein ließ, sagte sie noch dem Kadi, daß sie ihn in der Nacht abholen werde.

Die beiden Liebenden hatten nun die Stunde gefunden, nach der sie sich so lange gesehnt. Mastur löste lächelnd Stück für Stück der Frauenkleidung von dem männlichen Körper ab und sie liebten einander …

Für die wachsame Umgebung aber machte die Heilung der Favoritin nur langsam Fortschritte. Die weise Frau mußte noch sehr oft kommen und der Kadi überließ sich unermüdlich dem Glück, das ihm diese Verkleidung eintrug. Unter dem Zeichen eines Weibes bewies er sehr männliche Tugenden.

Es schien, als wollte die Gunst des Schicksals die beiden unter ihre besondere Hut nehmen. Dennoch schlich sich eines Tages Gefahr ein. Der König erschien plötzlich unangesagt. Es gab keine Möglichkeit mehr, den Kadi unbemerkt aus dem Palast zu entfernen. Die Sklavin, die atemlos die Ankunft des Königs den beiden meldete, fand nur mehr Zeit, den Kadi im nächstgelegenen Raum zu verbergen, welcher die Schätze des Königs enthielt. Hier stand eine Reihe von kostbaren Truhen, manche davon waren bis an den Rand mit Kostbarkeiten gefüllt, andere hingegen standen wieder leer. In einer dieser letzteren versteckte die Sklavin den verkleideten Kadi, und verschloß sodann die Truhe. Wenige Augenblicke später betrat der König das Gemach seiner Favoritin. Diese lag auf ihrem Ruhebette und begrüßte ihren Herrn mit einem müden Lächeln, wozu sie manchen geheimen Grund hatte. Als er sie fragte, wie es um ihr Befinden stünde, antwortete sie: »Ich hatte Kopfschmerzen, aber eine weise Frau verfügte über so ausgezeichnete Arzneien, daß es mir schon besser geht. Sie war hier und hat mich auch etwas zur Ader gelassen.«

Der König nahm diese Nachricht mit besonderem Vergnügen auf, denn er hatte schon lange den Wunsch gehabt, sich wieder einmal der Liebe seiner Favoritin zu erfreuen. Er ließ sich neben sie nieder und Mastur war gezwungen, ihn gewähren zu lassen, wie sehr ihr Herz auch bei einem andern weilte.

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Einige kühne Räuber hatten für diese Nacht beschlossen, vom Schatz des Königs einige Reichtümer zu stehlen. Sie kletterten über eine Mauer auf das Dach des Palastes und gelangten von hier aus ungesehen in die Schatzkammer. Sie nahmen das erstbeste, was ihnen in die Hände fiel – die Truhe, in der der Kadi versteckt war. Sie versuchten, ohne viel Geräusch zu machen, die Truhe etwas vom Platz zu rücken, nur um sich zu überzeugen, ob sie auch schwer genug von Schätzen sei. Ihrer Begierde schien das Gewicht der Truhe genug zu tun. Schwitzend und keuchend brachten sie den Schatz auf das Dach und ließen ihn nun langsam, an ein festes Seil gebunden, auf die Straße hinuntergleiten. Hier nahmen zwei starke Männer die Truhe in Empfang, luden sie auf ihren Rücken und hatten nun vor, ihre Beute in ihren Schlupfwinkel zu bringen. Auf dem Wege dahin bemerkten sie, daß der Nachtwächter ihnen entgegenkam. Um nicht aufgegriffen zu werden, verbargen sie sich rasch in dem nächstliegenden dunklen Torweg. Dieser gehörte zum Hause eines Würdenträgers. Hier verhielten sie sich mäuschenstill, um den Nachtwächter vorübergehen zu lassen. Sie waren gerade dabei, wieder ihre Bürde aufzunehmen und ihren Weg fortzusetzen, als sich hinter ihnen eine Tür öffnete und ein Sklavenmädchen mit einer brennenden Lampe heraustrat. Das Mädchen hatte das Geräusch gehört und kam nun nachsehen, ob das Tor verschlossen sei. Bei ihrem Anblick ergriffen die Räuber die Flucht und ließen die Truhe zurück. Das Mädchen sah erstaunt auf die Truhe. Sie versuchte, den Deckel zu heben, fand aber die Truhe verschlossen. Nun schob sie sie ins Haus und holte ihre Herrin. Erst mit ihr zusammen hoffte sie das schwere Ding aus dem Wege zu bringen. Die beiden Frauen besahen nun die Truhe und wußten sich kaum vor Erstaunen zu fassen. Wo kam sie her und wie kostbar war sie in allen ihren Teilen! Doch ihre Neugierde war noch lange nicht befriedigt, denn sie hofften, in der Truhe selbst noch manchen Reichtum anzutreffen. Die beiden Frauen beschlossen, sie daher aufzubrechen. Vorerst schoben sie das schwere Ding vor die Türe, die zum Gemache der Frau führte. Hier machten sie sich daran, die Truhe zu öffnen. Nach vielen Mühen gelang es ihnen auch, den Deckel zu heben. Brennend vor Neugierde leuchteten sie mit ihrer Lampe in das Innere. Das erste, was sie im Lichtschein zu sehen bekamen, war das Gesicht des Kadi. Erst langsam wand sich dieser aus seinem engen Versteck, und als er in ganzer Figur herauskam, wollten die Weiber über die Frauenkleidung, die er trug, laut auflachen. Er gebot ihnen, leise zu sein, und es wurde ihm auch kichernd gehorcht. Die Frau nahm ihn gleich in ihr Gemach und stellte das Sklavenmädchen auf Posten, damit sie Nachricht habe, wenn ihr Mann zu kommen drohe. Die Frau war über den unvorhergesehenen Besuch gar nicht böse, denn auch sie hatte schon lange ein Auge auf den schönen Kadi geworfen. Nun er in ihrem Nest war, überließ sie sich ihm voll Freude. Dann erst fragte sie ihn, wieso er in diese Lage gekommen war. Er erfand Folgendes:

»Als ich friedlich bei mir zu Hause saß, drangen plötzlich drei Männer bei mir ein, erklärten sich als meine Feinde und raubten mir an Kostbarkeiten, was sie nur finden konnten. Mich zwangen sie, diese Frauenkleidung anzuziehen und in die Truhe zu steigen. So raubten sie mit meiner Habe auch mich, denn alles schleppten sie mit sich fort. Irgendein mir unbekannter Zufall aber wollte es, daß sie die Truhe bei Euch abladeten und davongingen. Dem Himmel sei Dank, der mich in deine gnadenvolle Nähe brachte!«

Nun kam die Sklavin gelaufen und meldete das Nahen des Gatten. »Versteckt Euch rasch in diesem leeren Weinbehälter! Dort bleibt so lange, bis mein Gatte eingeschlafen ist und dann sollt ihr befreit werden!« Der Kadi, der mittlerweile schon Übung hatte, handelte nach dieser Weisung.

Als der Würdenträger das Zimmer betrat, war er voll von Wein und aus diesem Grunde sehr streitsüchtig. Er beschimpfte laut sein Weib und beschuldigte sie der Nachlässigkeit im Haushalt, der Flatterhaftigkeit und noch mancher Dinge, wie es ihm eben im Rausche einfiel. »Ich werde schon ein Mittel finden, um dich empfindlich zu strafen!«

Die Frau war nicht verlegen und warf ihm vor: »Du gehst jede Nacht fort und betrinkst dich mit Wein und wenn du heimkommst, fällt dir nichts Besseres ein, als mich sinnlos zu beschimpfen. Es wäre klüger, du würdest dich nüchtern halten, damit du deine Pflichten am Tage besser erfüllen könntest. Wenn der Kadi um deine Nachlässigkeit wüßte, so würdest du bestraft werden und nicht ich.«

Als sie ihm dies vorwarf, wurde sein Zorn so heftig, daß er den erstbesten Gegenstand nahm, um ihn seiner Frau an den Kopf zu werfen. Aber in seiner Trunkenheit zielte er schlecht und traf, statt seiner Frau, den tönernen Weinbehälter, der auch gleich in Stücke auseinanderfiel. Die Frau übersah sofort die Situation, die nun sehr kritisch wurde, weil das Versteck des Kadi nicht mehr bestand. Um dem Gatten die Möglichkeit zu nehmen, auf das zerbrochene Gefäß zu blicken, warf sie sich rauflustig auf ihren Mann und kämpfte mit ihm so lange, bis die schlaue Sklavin, diese Gelegenheit benützend, den Kadi mit sich fortzog.

Als sie ihn in ihrer Kammer hatte, blieb auch jede Gefahr von dem gehetzten Kadi fern. Er atmete auf, und, weil diese Sklavin sehr schön war … blieb er auch bei ihr – bis in den Morgen.

Zu Hause und in seiner Männerkleidung fand der Kadi erst diejenige amtliche Würde, die an ihm so allgemein geachtet war. Mochte seine Weisheit auch manches lösen, die Aufgaben, die ihm seine Schönheit stellte, waren oft – viel schwieriger.
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