XIII.

In dem Onkel Prudent und Phil Evans einen ganzen Ocean durchfahren, ohne die Seekrankheit zu bekommen.

Ja, das Atlantische Meer! Die Befürchtungen der beiden Collegen hatten sich bewahrheitet. Es schien übrigens nicht, als ob Robur hier über dem unendlichen Ocean irgend welche Unruhe empfände. Das kümmerte ihn so wenig wie seine Leute, welche an derartigen Fahrten gewöhnt sein mochten. Dieselben waren schon wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt. Kein Alpdrücken sollte ihren Schlummer stören.

Wohin steuerte nun der »Albatros«? Sollte er wirklich noch mehr als eine Reise um die Erde ausführen? Auf jeden Fall mußte diese Fahrt doch irgendwo ein Ende nehmen. Daß Robur sein ganzes Leben in den Lüften, an Bord des Aeronefs zubringen sollte, ohne jemals zur Erde hinunter zu gehen, war doch nicht wohl annehmbar, denn wie hätte er seine Vorräthe an Munition und Lebensmitteln erneuern sollen, ohne das für die Functionirung der Maschine nothwendige Material zu erwähnen? Unbedingt mußte er also einen Zufluchtsort, eine Art Nothhafen haben, und wahrscheinlich auf einen unbekannten und schwer erreichbaren Punkt der Erde, wo der »Albatros« sich mit allen Bedürfnissen frisch versehen konnte. Mit den Bewohnern der Erde mochte er jeden Verkehr abgebrochen haben, mit der Erde als solcher aber gewiß nicht.

Doch wenn das der Fall war, wo lag dieser Punkt? Wie mochte der Ingenieur dazu gelangt sein, ihn zu erwählen? Erwartete ihn eine kleine Colonie etwa als ihren Herrn? Konnte er von da neue Mannschaften erhalten? Und zunächst, wie war er überhaupt dazu gekommen, seine, aus den verschiedensten Ländern stammenden Leute an sein Schicksal zu binden? Ueber welche Mittel verfügte er ferner, um einen so kostspieligen Apparat erbauen zu können, dessen ganze Construction so geheim gehalten worden war? Seine Unterhaltung freilich schien nicht besonders viel zu beanspruchen. An Bord führte man fast ein gemeinsames Leben, wie in einer Familie oder wie glückliche Leute, die kein Geheimniß vor einander haben. Doch, wer war eigentlich jener Robur? Woher kam er? Welcher Art war seine Vergangenheit? Das waren ebenso viele unlösbare Räthsel, und der, auf den sie Bezug hatten, würde gewiß der Letzte sein, eine Erklärung darüber abzugeben.

Es ist gewiß nicht zu verwundern, wenn diese Situation voller unenthüllbarer Probleme die beiden Collegen mehr und mehr erregte. Sich so in’s Unbekannte hinaus entführt und den endlichen Ausgang eines solchen Abenteuers nicht im geringsten vorauszusehen, selbst daran zu zweifeln, daß dasselbe überhaupt jemals ein Ende nehme, zum ewigen Umherfliegen verurtheilt zu sein – mußte das den Vorsitzenden und den Schriftführer des Weldon-Instituts nicht auf’s Aeußerste treiben?

Inzwischen schwebte der »Albatros« am Abend des elften Juli über den Atlantischen Ocean hin. Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, erhob sie sich über die kreisförmige Linie, in der Himmel und Wasser zusammen zu treffen scheinen. Trotz des weit ausgedehnten Gesichtsfeldes war doch nirgends ein Land in Sicht und Afrika schon vollständig hinter dem nördlichen Horizont verschwunden.

Als Frycollin sich einmal aus seiner Cabine wagte und das weite Meer unter sich sah, wurde er sofort von der grimmigsten Angst gepackt. Unter sich ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, es wäre besser zu sagen, »um sich«, denn für einen auf sehr hohem Punkte befindlichen Beobachter erscheint es, als ob der Abgrund ihn von allen Seiten umgäbe, und der Horizont weicht dabei gleichsam zurück, ohne daß man je seine Grenzen erreichen könnte.

Physikalisch erklärte sich Frycollin diese Erscheinung sicherlich nicht, aber er fühlte sie moralisch. Das genügte aber schon, um in ihm die »Angst vor der Leere« zu erzeugen, deren sich manche, sonst ganz muthige Naturen nicht entziehen können.

Jedenfalls erging sich der Neger aus Klugheit nicht in den gewohnten Klagen. Mit geschlossenen Augen tastete er sich nach seiner Cabine zurück, entschlossen, diese auf lange Zeit nicht wieder zu verlassen.

Von den 374,057,912 Quadratkilometern, [Fußnote] welche die Oberfläche der Meere einnehmen, fällt über ein Viertel auf den Atlantischen Ocean. Es schien aber gar nicht, als ob der Ingenieur jetzt besondere Eile habe, wenigstens hatte er nicht Befehl gegeben, den Aeronef mit voller Geschwindigkeit arbeiten zu lassen. Uebrigens hätte dieser auch die Fahrtschnelligkeit wie über Europa hin nicht erreichen können. In den Gegenden, in denen der Südwestwind vorherrscht, lief er diesem fast entgegen, und obwohl derselbe nur schwach zu nennen war, so bot der Apparat ihm doch eine große Angriffsfläche.

Die neuesten und auf eine große Anzahl von Beobachtungen gestützten meteorologischen Arbeiten haben eine gewisse Convergenz der Passate, entweder nach der Sahara oder nach dem Golf von Mexiko, erkennen lassen. Außerhalb der Region der Calmen kommen sie entweder von Westen und strömen nach Afrika zu, oder sie kommen von Osten her und ziehen nach der Neuen Welt zu – wenigstens während der wärmeren Jahreszeit.

Der »Albatros« versuchte also gar nicht, gegen den ihm widrigen Wind mit der ganzen Kraft seiner Treibschrauben anzukämpfen. Er begnügte sich mit einer gemäßigten Gangart, welche übrigens die der transatlantischen Dampfer immer noch überholte.

Am 13. Juli überschritt der Aeronef den Aequator, was der ganzen Mannschaft besonders angemeldet wurde.

Onkel Prudent und Phil Evans erfuhren also dabei auch, daß sie nun die nördliche Halbkugel verlassen hatten und nach der südlichen gekommen waren. Diese Passirung der Linie wurde jedoch nicht durch die tollen Ceremonien gefeiert, welche auf vielen Kriegs- und Handelsschiffen gebräuchlich sind.

Nur François Tapage ließ es sich nicht nehmen, Frycollin eine große Pinte Wasser über den Kopf zu gießen, da dieser Taufe aber einige Gläser Gin nachfolgten, erklärte der Neger sich bereit, die Linie so oft passiren zu wollen, wie man wünschte, vorausgesetzt, daß das nicht auf dem Rücken eines mechanischen Vogels zu geschehen brauche, der ihm nun einmal kein Vertrauen einflößte.

Am Morgen des 15. schwebte der »Albatros« über den Inseln Ascension und St. Helena, aber näher der letzteren hin, deren höhere Theile sich einige Stunden lang am Horizonte zeigten.

Hätte zur Zeit, als Napoleon sich in der Gewalt der Engländer befand, ein Apparat, ähnlich dem des Ingenieurs Robur, existirt, gewiß würde Hudson Lowe trotz seiner oft geradezu beleidigenden Vorsichtsmaßregeln seinen berühmten Gefangenen auf dem Wege durch die Lüfte haben entweichen sehen.

Während der beiden Abende des 16. und 17. Juli zeigten sich mit Abnahme des Tageslichtes höchst eigenthümliche Dämmerungserscheinungen. Unter höherer Breite hätte man bei ihrem Anblick an ein Nordlicht denken können. Die Sonne warf nämlich bei ihrem Niedergang über den Himmel vielfarbige Strahlen, von denen einige in leuchtendem Grün erschienen.

War das eine Wolke kosmischen Staubes, welche an der Erde vorüber zog und jetzt den letzten Schimmer des Tages wiederstrahlte? Einige Beobachter haben solche Dämmerungserscheinungen in dieser Weise allerdings erklärt; sie wären aber gewiß zu anderer Anschauung gekommen, wenn sie sich an Bord des Aeronefs befunden hätten.

Eine aufmerksame Prüfung ergab nämlich, daß in der Luft feine Pyroxen-Krystalle schwebten, glasartige Kügelchen, nämlich zarte Theilchen magnetischen Eisens, ganz entsprechend den Stoffen, welche feuerspeiende Berge auswerfen. Es schwand damit also jeder Zweifel, daß diese Wolke von einer vulcanischen Eruption herrührte, deren krystallinische Auswurfsstoffe die beobachtete Erscheinung erzeugten – eine Wolke, welche die Luftströmungen auch noch über dem Atlantischen Ocean schwebend erhielten.

Während dieses Theiles der Reise wurden übrigens auch noch andere Erscheinungen wahrgenommen. Wiederholt verliehen gewisse Wolken dem Himmel eine weißgraue Färbung von eigenthümlichem Aussehen; gelangte man dann durch einen solchen Dunstvorhang, so erschien dessen Oberfläche ganz übersäet von glänzend weißen Körperchen, zwischen denen einzelne größere besonders hervorleuchteten, was sich unter dieser Breite durch nichts Anderes, als durch eine Hagelbildung erklären ließ.

In der Nacht vom 17. zum 18. bildete sich ein grünlichgelber Mondregenbogen infolge der Stellung des Aeronefs zwischen dem Vollmonde und einem Netz von fernem Regen, der schon in Dunst überging, ehe er das Meer erreichte. Vielleicht ließ sich aus diesen verschiedenen Erscheinungen schon auf einen bevorstehenden Witterungsumschlag schließen. Jedenfalls hatte der Wind, der seit der Abfahrt von der afrikanischen Küste stets aus Südwesten wehte, sich in der Nähe des Aequators ganz gelegt. Hier in der Tropenzone herrschte dazu eine fast unerträgliche Hitze. Robur suchte daher Kühlung in höheren Luftschichten, und doch mußte man sich auch noch hier vor den directen Sonnenstrahlen schützen, welche Niemand hätte aushalten können.

Dieser Wechsel in den Luftströmungen ließ schon ahnen, daß jenseits des Aequatorialgebiets auch andere klimatische Verhältnisse herrschen würden; es darf hierbei auch nicht vergessen werden, daß der Monat Juli der südlichen Halbkugel der Januar der nördlichen ist, also dem tiefsten Winter entspricht. Wenn der »Albatros« noch weiter nach Süden vordrang, mußte er die Folgen davon bald spüren.

Das Meer aber »empfand das«, wie die Seeleute sagen. Am 18. Juli zeigte sich jenseits des Wendekreises des Steinbocks ein anderes Phänomen, welches gewiß jeden Schiffer erschreckt hätte.

Mit einer auf mindestens sechzig Meilen in der Stunde zu schätzenden Geschwindigkeit zog über das Meer weg eine merkwürdige Reihe von leuchtenden Wellen, die einander in der Entfernung von etwa achtzig Fuß folgten und lang schimmernde Streifen zurückließen. Mit einbrechender Nacht strahlte der Widerschein davon sogar bis zum »Albatros« hinauf, so daß dieser jetzt wirklich hätte für einen glühenden kleinen Himmelskörper angesehen werden können. Noch nie war es Robur vorgekommen, über ein Meer in Flammen hinwegzusteuern – über Flammen ohne Hitze, denen zu entfliehen er nicht nöthig hatte.

Die Elektricität mußte offenbar die Ursache dieser Erscheinung sein, denn etwa einer Fischlaichbank oder einem von jenen kleinen Geschöpfen gebildeten Zuge, welche zuweilen die Fläche des Meeres bedecken, konnte man dieselbe nicht zuschreiben.

Das ließ vermuthen, daß die elektrische Spannung der Luft jetzt eine sehr hohe sein müsse.

Am folgenden Tage, am 19. Juli wäre ein Schiff auf diesem Meere wohl dem Untergang geweiht gewesen. Der »Albatros« dagegen spielte mit Wind und Wellen, wie der gewaltige Vogel, dessen Namen er trug. Wenn es ihm nicht beliebte, wie ein Sturmvogel über der Meeresfläche hinzugleiten, so konnte er wie der Adler in höheren Schichten Ruhe und Sonnenschein aufsuchen.

Man hatte jetzt den 47. Grad südlicher Breite überschritten. Der Tag dauerte nur noch sieben bis acht Stunden, und er mußte mit der Annäherung an die antarktischen Gegenden noch immer kürzer werden.

Gegen ein Uhr Nachmittags hatte sich der »Albatros«, um eine günstige Luftströmung aufzufinden, sehr tief gesenkt. Er schwebte höchstens noch hundert Fuß über der Oberfläche des Meeres.

Das Wetter war still. An einzelnen Stellen des Himmels zogen dicke, dunkle Wolken mit ausgezackten Rändern auf, welche oben eine genau horizontale Linie bildeten. Aus diesen Wolken quollen langgezogene Protuberanzen hervor, deren Ende das Wasser anzuziehen schien, das darunter in Form eines flüssigen Straußes aufbrodelte.

Plötzlich stieg das Wasser in Form einer ungeheuren Sanduhr hoch empor.

In einem Augenblick wurde der »Albatros« in den Wirbel einer riesigen Trombe hineingezogen, der bald zwanzig andere von Tintenschwärze das Geleite gaben. Zum Glück vollzog sich die Drehung dieser Trombe entgegen der der Auftriebsschrauben, sonst hätten diese ihre Wirkung ganz eingebüßt und der Aeronef wäre in’s Meer gefallen; jetzt wurde er nur mit erschreckender Schnelligkeit um sich selbst gedreht.

Immerhin war die Gefahr groß und schien unmöglich abwendbar, da der Aeronef sich nicht aus der Trombe los machen konnte, deren Anziehung ihn trotz der Treibschrauben zurückhielt. Durch die Centrifugalkraft wurde die Mannschaft nach beiden Enden des Verdecks geschleudert, und mußte sich hier an den Schraubenmasten anhalten, um nicht über Bord zu fallen.

»Ruhig Blut!« rief Robur.

Und das brauchten sie wirklich, und Geduld obendrein.

Onkel Prudent und Phil Evans, die aus ihrer Cabine heraustraten, wurden nach dem Hintertheil getrieben und hatten die größte Mühe, sich noch fest zu klammern.

Und während sich der »Albatros« in dieser Weise um sich selbst drehte, folgte er auch der Lageveränderung der Tromben, die mit einer Schnelligkeit, auf welche die Schrauben desselben hätten eifersüchtig werden können, sich weiterhin wanden. Sobald er der einen entgangen, wurde er von einer anderen gepackt und war stets in Gefahr, in Stücke zerrissen zu werden.

»Einen Kanonenschuß!« rief der Ingenieur.

Der Obersteuermann Tom Turner verstand völlig diesen an ihn gerichteten Befehl; er lehnte eben an dem kleinen Bordgeschütz mittschiffs, wo die Centrifugalkraft minder wirksam war. Schneller, als wir es beschreiben können, hatte er die Schwanzschraube des Rohrs geöffnet und führte in diese eine scharfe Patrone ein, von denen ein kleiner Vorrath in einem an der Lafette befestigten Kasten vorhanden war. Der Schuß krachte und sofort sanken einige Tromben zusammen.

Die Lufterschütterung hatte hingereicht, das Meteor zu zerreißen und die ungeheure Dunstmasse löste sich in einen Sturzregen auf, der den Himmel mit dicken Wasserstreifen überzog, die Meer und Himmel verbanden.

Endlich befreit, beeilte sich der »Albatros«, um einige hundert Meter aufzusteigen.

»Nichts zerbrochen an Bord?« fragte der Ingenieur.

– Nein, antwortete Tom Turner; aber das war denn doch ein etwas gar zu tolles Kreiseln, das wir uns nicht zum zweiten Male wünschen möchten.«

In der That, in der Zeit von zehn Minuten war der »Albatros« in größter Gefahr gewesen, und ohne seine solide Bauart dürfte er dem Wirbeln der Tromben schwerlich widerstanden haben.

Wie lang wurden die Stunden bei dieser Fahrt über den Ocean, wenn nichts die Eintönigkeit derselben unterbrach. Die Tage nahmen immer mehr ab und die Kälte wurde allmählich fühlbar. Onkel Prudent und Phil Evans sahen Robur nur wenig. In seine Cabine eingeschlossen, beschäftigte er sich damit, den Curs zu bestimmen, auf seinen Karten die zurückgelegten Strecken einzutragen und sich, wenn es irgend anging, Gewißheit zu verschaffen, wo sie sich eben befanden, ferner die Barometer, Thermometer und Chronometer zu beobachten und endlich alle Zwischenfälle der Reise in das Schiffsbuch einzutragen.

Sorgsam verhüllt, bemühten sich die beiden Collegen unablässig, im Süden Land zu entdecken.

Frycollin seinerseits versuchte, gemäß einem besonderen Auftrage des Onkel Prudent, den Koch bezüglich des Ingenieurs auszuforschen. Wie hätte aber Jemand aus dem, was der Gascogner François Tapage zur Antwort gab, klug werden können? Nach ihm war Robur bald ein ehemaliger Minister der Republik Argentina, ein Chef der Admiralität, ein abgetretener Präsident der Vereinigten Staaten, ein auf Wartegeld gesetzter spanischer General, oder auch ein Vicekönig von Indien, der in den Lüften eine noch höhere Stellung gesucht hatte. Bald besaß er, Dank der mit Hilfe seiner Maschine ausgeführten Razzias, Millionen und war er allgemein in die Acht erklärt; bald hatte er sich wieder durch die Herstellung dieses Apparats ruinirt und gezwungen gesehen, öffentlich aufzusteigen, um sein Geld wieder zu gewinnen. Auf die Frage nach einem Ruheplatz desselben war keine Auskunft zu erhalten, außer der, daß er nach dem Mond zu gehen beabsichtige, um dort zu bleiben, wenn er eine ihm passende Oertlichkeit anträfe.

»He, Fry … mein Kamerad! … Nicht wahr, es würde Dir Vergnügen machen, zu sehen, wie es da oben zugeht?

– Ich gehe nicht mit! Ich weigere mich! … erwiderte der Schwachkopf, der alle diese Faseleien für Ernst nahm.

– Und weshalb, Fry, weshalb? Wir verheiraten Dich dort mit einer hübschen, jungen Mondbewohnerin … Du wirst da der Stammvater der Neger!«

Als Frycollin das, was er gehört, seinem Herrn hinterbrachte, erkannte dieser wohl, daß über Robur keine Auskunft zu erlangen sei. Er dachte also nur noch daran, sich zu rächen.

»Phil, begann er eines Tages zu seinem Collegen, es liegt nun auf der Hand, daß eine Flucht für uns unmöglich ist.

– Unmöglich, Onkel Prudent! – Zugegeben, ein Mann ist aber stets sein eigener Herr, und wenn es sein muß, indem er sein Leben opfert …

– Wenn ein solches Opfer nothwendig ist, dann wird es so schnell als möglich gebracht! antwortete Phil Evans, dessen sonst so kühles Temperament nun doch die Grenze des Erträglichen erreicht hatte. Ja, es ist Zeit, ein Ende zu machen! … Wohin geht der »Albatros«? … Jetzt fliegt er schräg über den Atlantischen Ocean, und wenn er diese Richtung beibehält, muß er nach den Küsten von Patagonien, dann nach denen des Feuerlandes kommen … Aber nachher? … Wird er auch noch über den Stillen Ocean hinausschweben? Oder steuert er dann nach dem Südpolarlande? … Diesem Robur ist Alles zuzutrauen! … Dann wären wir verloren! … Wir befinden uns also in der Zwangslage berechtigter Nothwehr, und wenn wir einmal zu Grunde gehen müssen …

– So geschehe es nicht, fiel Onkel Prudent ein, ohne daß wir uns gerächt, ohne daß wir diesen Apparat mit Allen, die er trägt, zerstört haben!«

Bis zu solchen Anschauungen hatte der ohnmächtige Zorn, die in ihnen aufgehäufte Wuth die beiden Collegen schon gebracht! Ja, weil es nicht anders ging, wollten sie sich opfern, um den Erfinder sammt seinem Geheimniß zu vernichten. Nur wenige Monate hätte dann dieser wunderbare Aeronef erlebt, dessen unbestreitbare Ueberlegenheit bezüglich der Fortbewegung durch die Luft sie anzuerkennen sich gezwungen sahen.

Diese Vorstellung hatte in ihren Köpfen so fest Wurzel geschlagen, daß sie an gar nichts Anderes mehr dachten. Doch wie sollten sie zu Werke gehen? O, sie wollten sich nur einer der an Bord vorhandenen Explosionsmaschinen bemächtigen, um damit den ganzen Apparat in tausend Stücke zu zersprengen; freilich mußten sie dazu erst Gelegenheit finden, in die Munitionskammer einzudringen.

Glücklicher Weise ahnte Frycollin nichts von ihren Absichten. Bei dem Gedanken, daß der »Albatros« in die Luft gesprengt werden sollte, würde er sich nicht entblödet haben, seinen eigenen Herrn zu verrathen.

Am 23. Juli war es, wo in Südwesten wieder Land sichtbar wurde, und zwar nahe dem Cap der Jungfrauen am Eingange der Magellan-Straße. Jenseits des 54. Breitengrades währte die Nacht in dieser Jahreszeit fast neunzehn Stunden und die Mitteltemperatur der Luft blieb fortwährend unter 0 Grad zurück.

Statt jetzt noch weiter nach Süden vorzudringen, folgte der »Albatros« zunächst den Windungen jener Meerenge, als ob er dem Stillen Ocean zutriebe. Nachdem er über die Bai von Lomas hinweggekommen, den Gregory-Berg im Norden und die Brecknocks-Berge im Westen hinter sich gelassen, kam er in Sicht von Punta Arena, einem kleinen chilenischen Dörfchen, gerade als daselbst das volle Kirchengeläute erklang, und einige Stunden später in die Nähe der alten Niederlassung im sogenannten Hungerhafen.

Wenn die Patagonier, deren Feuer man da und dort aufleuchten sah, wirklich eine das mittlere Menschenmaß übertreffende Körpergröße haben, so konnten doch die Passagiere des Aeronefs darüber nicht urtheilen, da sie ihnen, von dieser Höhe gesehen, als Zwerge erschienen.

Doch welch‘ Schauspiel bot sich hier während der kurzen Stunden des südlichen Tages! Steile, zerklüftete Berge, mit ewigem Schnee bedeckte Spitzen, deren Seiten mit dichten Wäldern bedeckt waren; Binnenseen, Buchten zwischen den Vorgebirgen und Inseln dieses Archipels; daneben Clarence-, Dawson- und Desolationsland, Canäle und Furthen, unzählige Caps und Halbinseln – all‘ dieses undurchdringliche Gewirr, und jetzt durch das Eis zu einer festen Masse verschmolzen, vom Cap Forward, am Ende des amerikanischen Festlandes, bis zum Cap Horn am letzten Ausläufer der Neuen Welt!

Nachdem er jedoch den Hungerhafen erreicht, nahm der »Albatros« wieder eine völlig südliche Richtung an. Zwischen dem Tarnberge der Halbinsel Brunswick und dem Grawes-Berge hindurchsteuernd, wandte er sich in gerader Linie nach dem Sarmiento-Berge, einem gewaltigen, dick übereisten Spitzberge, welcher die Meerenge der Magellan-Straße in einer Höhe von zweitausend Metern beherrscht.

Hier zeigte sich den Blicken der Reisenden das Land der Pescheräs oder Fuegier, jener Ureinwohner, welche noch im Feuerland siedeln.

Wie herrlich und fruchtbar hätten sich diese Gebiete – vorzüglich deren mittlerer Theil – im Sommer gezeigt, wo die Tage fünfzehn bis sechzehn Stunden lang dauern! Ueberall bieten sie nämlich Thäler und Weideplätze, welche Abertausende von Thieren ernähren könnten, nebst jungfräulichen Wäldern mit riesenhaften Bäumen, mit Weiden, Buchen, Eschen, Cypressen und blühenden Farrenkräutern; dann wieder Ebenen, welche große Heerden von Guanaquen, Vigogneschafen und Straußen bewohnen. Als der »Albatros« seine elektrischen Lichter erglühen ließ, flatterten auch Papageientaucher, Enten und Gänse – hundertmal mehr, als François Tapage’s Speisekammer fassen konnte, an Bord.

Der Koch, welcher dieses Federwild so vortrefflich zuzurichten verstand, daß es seinen thranigen Geschmack ganz verlor, erhielt dadurch plötzlich weit mehr Arbeit, als gewöhnlich; mehr Arbeit machte das aber auch Frycollin, der es nicht abschlagen konnte, von diesem interessanten Geflügel ein Dutzend nach dem anderen wenigstens zu rupfen.

Am nämlichen Tage zeigte sich, als die Sonne eben versinken wollte, auch noch ein ziemlich großer, von prächtigen Waldungen eingerahmter See. Jetzt lagerte über dem See eine feste Eisdecke und einige Eingeborene glitten auf ihren langen Schneeschuhen pfeilschnell über dessen Oberfläche hin.

Beim Erblicken der Flugmaschine entflohen diese Fuegier nämlich nach allen Seiten, und wenn sie nicht fliehen konnten, so versteckten sie sich doch und gruben sich wie Thiere in die Erde ein.

Der »Albatros« steuerte noch immer nach Süden über dem Beagle-Canal hinaus und weiter fort, als die Insel Navarin, deren griechischer Name unter den gewöhnlichen Bezeichnungen dieser entlegenen Landstrecken etwas auffällig erscheint, weiter, als die Insel Wollaston, die sich schon in den Wogen des Stillen Oceans badet. Endlich, nachdem er von Dahomeys Küste aus über siebentausendfünfhundert Kilometer zurückgelegt, schwebte er über die letzten Inseln des Magellan-Archipels hinweg und endlich ganz im Süden über das schreckliche Cap Horn, an das eine unaufhörliche wilde Brandung donnert.