IV.

IV.

In dem der Verfasser infolge einer Bemerkung des Dieners Frycollin den Mond wieder zu Ehren zu bringen versucht.

Sicherlich schon mehr als einmal hatten die Mitglieder des Weldon-Instituts, wenn sie nach stürmischen Verhandlungen aus den Sitzungen kamen, Walnut-Street und die Nachbarstraßen noch streitend und lärmend durchzogen. Wiederholt waren von den Bewohnern dieses Stadttheiles Klagen eingegangen über die geräuschvollen Ausläufer solcher Verhandlungen, welche bis in ihre Wohnungen eindrangen, und mehr als einmal hatten Polizisten einschreiten müssen, um wenigstens Verkehrsstörungen zu beseitigen, da doch die meisten Leute sehr wenig oder gar kein Interesse an solchen, die Luftschifffahrt betreffenden Fragen nehmen. Doch vor diesem heutigen Abend hatte der Tumult noch nie so große Verhältnisse angenommen, niemals wären jene Klagen mehr begründet und niemals die Einmischung der Policemen nothwendiger gewesen.

Immerhin konnte man den Mitgliedern des Weldon-Instituts mildernde Umbände zubilligen, da sie sich eines Ueberfalles in den eigenen vier Pfählen, wie sie eben erlitten, gewiß nicht versehen hatten. Den übereifrigen Verfechtern des Grundgesetzes »leichter, als die Luft« hatte ein nicht minder energischer Vertreter des »schwerer, als die Luft« höchst unangenehme Dinge in’s Gesicht gesagt; und als ihm dafür die Behandlung zu Theil werden sollte, die er verdiente, war der Mann spurlos verschwunden.

Das schrie nach Rache! Um derartige Beleidigungen ungestraft zu lassen, hätten sie nicht amerikanisches Blut in ihren Adern haben müssen. Die Nachkommen Amerigo’s als solche eines Cabot zu behandeln! War das nicht eine Beschimpfung, die um so unverzeihlicher schien, weil sie eigentlich richtig, wenigstens historisch berechtigt war?

Die Mitglieder des Clubs stürzen sich also truppweise erst in die Walnut-Street, hierauf in die Nachbarstraßen und dann in das ganze Quartier, wo alle Bewohner aufgescheucht werden.

Sie zwingen dieselben, eine Durchsuchung ihrer Häuser vornehmen zu lassen, um sich später wegen des gewaltthätigen Angriffs in das Privatleben ihrer Mitbürger zu entschuldigen, was gerade bei den Völkern von angelsächsischem Stamme sonst ganz besonders respectirt wird. Vergebliches Aufgebot von Belästigungen und Nachforschungen. Robur wurde nirgends gefunden; er hatte nicht die leiseste Spur hinterlassen. Und wenn er mit dem »Go a head«, dem Ballon des Weldon-Instituts, davongefahren wäre, hätte er nicht mehr unauffindlich gewesen sein können. Nach einstündigen Haussuchungen mußten sie darauf verzichten, und die Collegen trennten sich, aber nicht ohne die eidliche Zusicherung, ihre Nachforschungen über das ganze Gebiet Nord- und Südamerikas, das die Neue Welt bildet, auszudehnen.

Gegen elf Uhr war die Ruhe in dem Quartier nahezu wieder hergestellt. Philadelphia konnte sich wieder in sanften Schlummer versenken, wozu die Städte, welche weniger Industrie haben, das beneidenswerthe Privilegium besitzen. Die verschiedenen Mitglieder des Clubs dachten jetzt an nichts Anderes, als an die Heimkehr an den eigenen häuslichen Herd. Um nur einige der hervorragendsten zu nennen, so begab sich William T. Forbes eiligst nach dem Tische, auf dem Miß Doll und Miß Mat ihm den Abendthee zubereitet und mit der selbstzubereiteten Glucose versüßt hatten; Truk Milnor schlug den Weg nach seiner Fabrik ein, deren Ventilator die ganze Nacht hindurch in einer der entfernteren Vorstädte sauste. Der Schatzmeister Jem Cip, dem öffentlich nachgesagt worden war, einen um einen Fuß längeren Darmcanal zu haben, als der Mensch ihn sonst mit sich herumträgt, begab sich nach seinem Eßzimmer, wo ihn ein vegetabilisches Abendbrot erwartete.

Zwei der bedeutendsten Ballonisten – aber nur zwei – schienen nicht daran zu denken, ihr Heim sogleich aufzusuchen. Sie hatten die Gelegenheit wahrgenommen, in hitzigster Weise weiter zu plaudern. Es waren das die beiden Unversöhnlichen, Onkel Prudent und Phil Evans, der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts.

An der Thür des Clubhauses erwartete Frycollin, der Diener des Onkel Prudent, wie gewöhnlich seinen Herrn.

Er folgte diesem auf Schritt und Tritt nach, ohne sich um den Gegenstand des Gesprächs zu kümmern, der die beiden Collegen schon in die Hitze gebracht hatte.

Wir gebrauchten auch nur euphemistisch das Zeitwort »plaudern« für die Thätigkeit, welcher der Vorsitzende und der Schriftführer des Clubs sich mit gleichem Eifer hingaben. In der That stritten und zankten sie sich mit einer Energie, deren Ursprung in ihrer alten Rivalität zu suchen war.

»Nein, und dreimal nein! wiederholte Phil Evans, hätte ich die Ehre gehabt, dem Weldon-Institut bei der heutigen Sitzung zu präsidiren, es wäre niemals zu einem solchen Scandal gekommen!

– Und was würden Sie gethan haben, wenn Sie diese Ehre gehabt hätten? fragte Onkel Prudent.

– Ich hätte jenem öffentlichen Beleidiger das Wort abgeschnitten, noch ehe er den Mund öffnete.

– Mir scheint, um Jemand das Wort abzuschneiden, müsse man ihm ein solches wenigstens erst aussprechen lassen.

– Nicht in Amerika, mein Herr, nicht in Amerika!«

Und während sie sich so mehr bittere als angenehme Redensarten in’s Gesicht warfen, schlenderten die beiden Männer mehrere Straßen dahin, die sie immer weiter von ihren Wohnungen entfernten; sie durchschritten Quartiere, deren Lage sie später zu großen Umwegen zwingen mußte.

Frycollin folgte noch immer nach, fühlte sich aber doch etwas beunruhigt, seinen Herrn sich nach so menschenleeren Oertlichkeiten hin verirren zu sehen. Er liebte diese Gegenden nicht, vorzüglich nicht so kurz vor Mitternacht. Dazu herrschte tiefe Dunkelheit, denn der zunehmende Mond war eben nur dabei, »seine achtundzwanzigtägige Rundreise« zu beginnen.

Frycollin sah sich scheu nach rechts und links um, ob sie nicht von verdächtigen Schatten belauscht würden, und wirklich, er glaubte fünf oder sechs große Teufel zu erkennen, die sie nicht aus den Augen zu verlieren schienen.

Instinctiv näherte sich Frycollin seinem Herrn, um Alles in der Welt hätte er jedoch nicht gewagt, ihn inmitten eines Gesprächs zu unterbrechen, von dem er zuweilen einzelne Brocken aufschnappte.

Der Zufall fügte es, daß der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts sich, ohne darauf zu achten, bis nach dem Fairmont-Park verirrten. Hier überschritten sie, in lebhaftem Wortwechsel begriffen, den Schuylkill-Strom auf der berühmten Eisenbrücke; sie begegneten nur sehr wenig Leuten und befanden sich endlich mitten in jenen weiten Terrains, die sich auf der einen Seite als ungeheure Wiesen ausdehnen, auf der anderen von herrlichem Baumbestand beschattet sind und in ihrer Gesammtheit eine vielleicht in der ganzen Welt einzig dastehende Anlage bilden.

Hier nahm der Schreck des Dieners Frycollin plötzlich noch mehr zu, und das mit um so größerer Berechtigung, da fünf bis sechs jener Schatten ihnen auch über die Strombrücke nachgefolgt waren. Die Pupille seiner Augen hatte sich dabei so erweitert, daß sie bis an den Rand der Iris reichte. Und gleichzeitig schrumpfte sein ganzer Körper zusammen und zog sich zurück, als besäße er jene eigenthümliche Zusammenziehbarkeit, welche den Mollusken und auch gewissen Wirbelthieren eigen ist.

Der Diener Frycollin war nämlich ein vollständiger Hasenfuß.

Ein richtiger Neger und Südcaroliner, mit vierschrötigem Kopfe auf einem mageren Rumpfe. Er zählte jetzt gerade 21 Jahre, war also nicht einmal mehr zur Zeit seiner Geburt Sclave gewesen, taugte deshalb aber nicht viel mehr, als ein solcher. Ein Grimassenschneider, Leckermaul und Faulpelz, aber vor Allem ein Prahlhans sondergleichen, stand er seit drei Jahren bei Onkel Prudent im Dienste. Hundert Mal war er schon nahe daran gewesen, vor die Thüre gesetzt zu werden, doch hatte man ihn behalten – um nicht aus dem Regen in die Traufe zu kommen. Und doch lief er hier bei einem Herrn, der jeden Augenblick zu den tollkühnsten Unternehmungen bereit war, so oft Gefahr, in Lagen zu kommen, in denen sein Hasenherz auf die härtesten Proben gestellt werden mußte. Dafür fand er auch gewisse Entschuldigungen. Niemand machte ihm besondere Vorwürfe wegen seiner Leckerhaftigkeit und noch weniger wegen seiner Trägheit. Ach, armer Frycollin, hättest Du in der Zukunft lesen können!

Warum war Frycollin auch nicht in Boston im Dienste einer gewissen Familie Sneffel geblieben, die im Begriffe, eine Reise nach der Schweiz anzutreten, darauf verzichtet hatte, weil daselbst Schneelawinen vorkamen? War für Frycollin nicht dieses Haus das geeignete, aber nicht das des Onkel Prudent, wo das kühne Wagen in Permanenz erklärt war?

Nun, er befand sich einmal hier und sein Herr hatte sich mit der Zeit an seine Fehler gewöhnt, übrigens besaß er doch eine gute Eigenschaft. Obwohl Neger von Abstammung, sprach er doch nicht, wie diese gewöhnlich – und das hat einigen Werth, denn nichts ist so widerlich, als der abscheuliche Jargon, in dem die Anwendung des besitzanzeigenden Fürwortes und des Infinitivs bis zum Mißbrauch getrieben wird.

Es steht also fest, daß der Diener Frycollin ein feiger Prahlhans war, und zwar nannte man ihn einen »Prahlhans gleich dem Monde«.

Es erscheint übrigens nur gerecht, gegen diesen für die blonde Phöbe beleidigenden Vergleich Einspruch zu erheben; warum sollte man die sanfte Selene, die keusche Schwester des strahlenden Apollo, der Prahlerei zeihen, das Gestirn, welches, so lange die Welt steht, stets der Erde gerade in’s Gesicht geblickt hat, ohne ihr jemals den Rücken zuzuwenden?

Doch wie dem auch sei, zu dieser Stunde – es war jetzt bald Mitternacht – begann die »blasse, verdächtige Scheibe« schon im Westen hinter den hohen Baumkronen des Parks zu verschwinden. Ihre durch das Gezweige hereindringenden Strahlen erhellten nur noch da und dort den Erdboden, so daß es unter den Bäumen noch etwas finsterer war.

Das gestattete Frycollin, einen forschenden Blick umherschweifen zu lassen.

»Brr, machte er, die Schurken sind wahrlich noch da! Offenbar kommen sie näher heran.«

Da hielt es ihn nicht mehr und er schritt auf seinen Herrn zu.

»Master Onkel!« redete er ihn an.

So nannte er ihn gewöhnlich und so wollte der Vorsitzende des Weldon-Instituts auch genannt sein.

Eben jetzt war der Streit der beiden Rivalen auf das Hitzigste entbrannt; und da sie einander spazieren führten, wurde Frycollin sehr grob angewiesen, diesen Spaziergang mitzumachen, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit sei.

Und während die Beiden ohne Unterbrechung weiterstritten, gerieth Onkel Prudent immer weiter hinaus nach den verödeten Grasgründen des Fairmont-Parkes und entfernte sich immer mehr vom Schuylkill und der Brücke, die sie zur Rückkehr nach der Stadt unbedingt überschreiten mußten.

Alle Drei befanden sich jetzt inmitten einer Gruppe hoher Bäume, in deren Gipfeln noch das letzte Licht des Mondes spielte. An den Saum derselben schloß sich eine größere Lichtung an, ein weiter, ovaler Wiesenplan, wie geschaffen für Wettrennen. Hier hätte nicht die kleinste Unebenheit des Bodens den Galopp eines Pferdes gestört und kein Busch oder Baum die Blicke der Zuschauer bei der Verfolgung der mehrere englische Meilen langen Bahnlinie gehindert.

Und doch, wären Onkel Prudent und Phil Evans in ihre Streitigkeiten nicht gar so sehr vertieft gewesen, hätten sie sich nur einigermaßen aufmerksam umgesehen, so hätte ihnen nicht entgehen können, daß der weite freie Platz heute einen ganz anderen Anblick darbot. War das ein Zauberspuk, der hier seit gestern entstanden war? Wahrlich, man hätte das Ganze mit seinen vielen Windmühlen für ein Zauberwerk erklären können, wenn man die Mühlenflügel sah, die, jetzt unbeweglich, im Halbdunkel Grimassen zu machen schienen.

Doch weder der Präsident, noch der Schriftführer des Weldon-Instituts bemerkte diese auffällige Veränderung der Ansicht des Fairmont-Parks; Frycollin sah sie ebenso wenig. Es schien ihm, als ob die unheimlichen Gestalten sich näherten und zusammenduckten, als rüsteten sie sich zu einem räuberischen Ueberfalle. Er zitterte aus Angst an allen Gliedern und war doch gleichzeitig wie gelähmt, so hatte ihn die Furcht vor den nächsten Minuten ergriffen.

Obwohl ihm die Kniee förmlich schlotterten, gewann er doch noch die Kraft, einmal zu rufen:

»Master Onkel! … Master Onkel!

– Nun, was giebt es denn?« antwortete Onkel Prudent.

Vielleicht wären er und Phil Evans nicht böse darüber gewesen, ihren Zorn dadurch abzukühlen, daß sie dem unglücklichen Diener eine tüchtige Tracht Prügel ertheilten; dazu fanden sie aber ebenso wenig Zeit, wie letzterer, ihnen eine weitere Antwort zu geben.

Unter den Bäumen gellte plötzlich ein lauter Pfiff. Gleichzeitig flammte inmitten der Lichtung ein heller elektrischer Stern auf.

Das war zweifelsohne ein Signal und im vorliegenden Falle die Mahnung, daß der Augenblick zu irgend einer Gewaltthätigkeit gekommen sei.

Schneller, als man es ausdenken kann, stürzten sich schon sechs Männer durch das Unterholz, zwei auf Onkel Prudent, zwei auf Phil Evans und zwei auf den Diener Frycollin. Die beiden Letzten ganz überflüssiger Weise, denn der Neger wäre ganz unfähig gewesen, sich zu wehren.

Obgleich überrascht durch diesen Ueberfall, wollten der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts doch versuchen, Widerstand zu leisten, hatten dazu aber weder Zeit, noch Kraft. Binnen wenigen Secunden waren sie schon stumm gemacht durch einen Knebel im Munde, blind durch eine Binde über die Augen, und wurden, überwältigt und gefesselt, schnell durch die Waldlichtung hin fortgeschleppt. Was konnten sie anders annehmen, als daß sie einer Rotte jener gewissenlosen Herumlungerer in die Hände gefallen seien, welche Jeden ausrauben, den sie noch zu später Stunde im Walde antrafen? Und doch täuschten sie sich. Man durchsuchte nicht einmal ihre Taschen, obwohl Onkel Prudent stets, seiner Gewohnheit nach und also auch heute, mehrere Tausend Dollars Papiergeld bei sich führte.

Kurz, eine Minute nach diesem Ueberfalle fühlten Onkel Prudent, Phil Evans und der Diener Frycollin, daß sie, ohne daß ein Wort zwischen den Angreifern gewechselt worden wäre, nicht auf den Rasen der Waldblöße, sondern auf eine Art Fußboden niedergelegt wurden, der unter ihrem Gewichte knarrte. Hier lehnte man sie dann Einen an den Anderen. Darauf hörte man das Klirren eines Riegels in seiner Klappe und dies belehrte die drei Männer, daß sie gefangen seien.

Nachher entstand ein seltsames, anhaltendes Geräusch, wie ein Schnarren, ein frrr, dessen rrr sich ohne Ende fortsetzten, ohne daß in der so ruhigen Nacht etwas Anderes hörbar geworden wäre.

*

Welche Unruhe herrschte am folgenden Tage in Philadelphia. Schon in den Morgenstunden erfuhr die ganze Stadt, was sich in der letzten Sitzung des Weldon-Instituts zugetragen: Die Erscheinung jenes räthselhaften Fremdlings, eines Ingenieurs, Namens Robur – Robur der Sieger! – die Streitigkeiten, welche er offenbar absichtlich unter den Ballonisten erregt, und endlich sein unerklärliches Verschwinden.

Es machte aber doch einen noch ganz anderen Eindruck, als man später davon hörte, daß auch der Vorsitzende und der Schriftführer des Clubs in der Nacht vom 12. zum 13. Juni verschwunden seien.

Welche Nachsuchungen wurden da nicht in der Stadt und deren Umgebungen angestellt! Vergeblich – alle vergeblich. Die Zeitungen von Philadelphia, nach ihnen die Journale von Pennsylvanien und endlich die von ganz Amerika bemächtigten sich eifrig dieses Vorfalls und erklärten ihn auf hunderterlei Weise, von denen keine die richtige war. Durch Annoncen und Maueranschläge wurden beträchtliche Preise ausgesetzt – nicht allein für Den, der die ehrenwerthen Verschwundenen wieder finden würde, sondern auch für Jeden, der nur auf eine Fährte hinweisen könnte, auf der man ihren Spuren folgen konnte. Nichts hatte Erfolg. Und hätte sich die Erde aufgethan gehabt, um sie zu verschlingen, so konnten der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts nicht vollständiger von der Oberfläche der Erdkugel verschwunden sein.

Die Regierungsblätter traten bei dieser Gelegenheit mit dem Verlangen hervor, das Personal der Polizei in beträchtlichem Maßstabe zu vermehren, weil ähnliche Attentate gegen die besten Bürger der Vereinigten Staaten sich wiederholen könnten – und sie hatten damit Recht.

Freilich verlangten die Blätter der Opposition, daß das Personal vollständig, und zwar als unnütz verabschiedet werde, da derartige Raubanfälle sich doch wiederholen könnten, ohne daß es möglich würde, die Urheber derselben zu entdecken – und vielleicht hatten sie damit nicht Unrecht.

Alles in Allem, die Polizei blieb, was sie war und immer sein wird in der besten der Welten, die nicht vollkommen ist und es niemals werden wird.

V.

V.

In dem die Einstellung der Feindseligkeiten zwischen dem Vorsitzenden und dem Schriftführer des Weldon-Instituts beschlossen wird.

Eine Binde über den Augen zu tragen, einen Knebel im Munde, einen Strick um die Handgelenke und einen solchen um die Knöchel zu haben, d. h. also jeder Möglichkeit zu sehen, zu sprechen und sich zu bewegen, beraubt zu sein, das war für den Onkel Prudent keine Lage, in der er sich hätte wohl fühlen können, und ebenso wenig für Phil Evans und den Diener Frycollin. Obendrein nicht einmal zu wissen, wer die Urheber dieser Entführung waren, nicht zu wissen, wo man sich befand und welches Loos man zu erwarten habe – das mußte gewiß auch das allergeduldigste Lamm in Wuth bringen, und bekanntlich gehörten die Mitglieder des Weldon-Instituts, was ihre Geduld betraf, nicht im geringsten zur Familie der Lämmer. Berücksichtigt man die natürliche Heftigkeit seines Charakters, so kann man sich leicht vorstellen, in welcher Gemüthsverfassung Onkel Prudent sich jetzt befinden mochte.

Jedenfalls mußten Phil Evans und er langsam einsehen, daß es für sie Schwierigkeiten haben werde, am nächsten Abend ihre Plätze im Bureau des Clubs einzunehmen.

Frycollin war es mit den verbundenen Augen und dem geschlossenen Munde überhaupt unmöglich, irgend etwas zu denken; er war schon mehr todt, als lebendig.

Während einer Stunde trat in der Lage der Gefangenen keine Aenderung ein. Kein Mensch ließ sich erblicken, sie zu besuchen oder ihnen wenigstens die Freiheit der Bewegung und der Sprache wieder zu geben, nach der sie doch so sehr verlangten. Jetzt sahen sie sich auf erstickte Seufzer, auf ein dumpfes, »Ach!« angewiesen, das sich kaum durch ihre Knebel preßte, und beschränkt auf schwache Bewegungen, wie sie etwa ein seinem natürlichen Element entrissener absterbender Karpfen ausführt, und man begreift leicht, welchen stummen Zorn, welch‘ verhaltene oder vielmehr eingeschnürte Wuth das in ihnen erzeugen mußte. Nach wiederholten vergeblichen Befreiungsversuchen verhielten sie sich eine Zeit lang ganz still. Da ihnen der Gesichtssinn augenblicklich abging, bemühten sie sich, vielleicht durch den Gehörsinn einige Aufklärung über diesen beunruhigenden Zustand der Dinge zu erlangen. Vergeblich aber strengten sie sich an, ein anderes Geräusch zu hören, als das ununterbrochene und unerklärliche »frrr«, das hier den ganzen Umkreis zu beherrschen schien.

Inzwischen gelang es Phil Evans, der hier mit mehr Ruhe ans Werk ging, den Strick locker zu machen, der um seine Handgelenke lag. Dann löste sich allmählig der fesselnde Knoten, er schmiegte die Finger dicht aneinander, und endlich erlangten seine Hände wieder die gewohnte Bewegungsfreiheit.

Durch kräftiges Reiben stellte er den in ihnen halb unterbrochenen Blutumlauf wieder her, und in der nächsten Minute schon hatte Phil Evans die Binde abgerissen, die ihm die Augen bedeckte, den Knebel aus seinem Munde gelöst und alle Stücke mit der feinen Klinge seines »Bowie-Messers« zerschnitten. Ein Amerikaner, der nicht stets sein Bowie-Messer in der Tasche hätte, wäre eben kein Amerikaner mehr.

Wenn Phil Evans aber hieraus die Möglichkeit, sich zu bewegen und zu sprechen, wieder erlangte, so war das doch eben Alles. Seine Augen fanden keine Gelegenheit zu nützlicher Thätigkeit – wenigstens jetzt nicht, denn in der Zelle, die sie einschloß, herrschte vollständige Finsterniß. Ein ganz schwacher Lichtschein drang nur durch eine Art Schießscharte herein, die in sechs bis sieben Fuß Höhe in der Wand angebracht war.

Es versteht sich von selbst, daß Phil Evans keinen Augenblick zögerte, auch seinen Rivalen zu befreien. Einige Züge mit dem Bowie-Messer genügten zur Durchschneidung der Stricke, welche dessen Füße und Hände fesselten. In heller Wuth riß sich Onkel Prudent, als er sich kaum auf den Füßen aufrichten konnte, die Binde herunter und den Knebel heraus und stammelte mit erstickter Stimme:

»Ich danke Ihnen!

– Nein! … Hier ist nichts zu danken, antwortete der Andere.

– Phil Evans?

– Onkel Prudent?

– Hier giebt es keinen Vorsitzenden und keinen Schriftführer des Weldon-Instituts, ich denke, auch keine Gegner mehr.

– Sie haben Recht, bestätigte Phil Evans. Hier sind wir nur zwei Männer, die sich zu rächen haben an einem Dritten, dessen Gewaltstreich die strengste Wiedervergeltung herausfordert.

– Und dieser Dritte …

– Ist jener Robur! …

– Ja, jener Robur!«

Hier fand sich also einmal ein Punkt, bezüglich dessen die beiden Ex-Concurrenten völlig übereinstimmten, ein Streit über diesen Gegenstand schien demnach ganz ausgeschlossen.

»Und Ihr Diener? bemerkte da Phil Evans mit einem Fingerzeig auf Frycollin, der wie ein Seehund schnaufte, wir müssen auch ihn befreien.

– Noch nicht, erwiderte Onkel Prudent, er würde uns mit seinen Klageliedern den Kopf warm machen, und wir haben jetzt Anderes zu thun, als auf sein Jammern zu achten.

– Und was denn, Onkel Prudent?

– Uns zu retten, wenn es möglich ist.

– Und selbst wenn es unmöglich ist!«

Ein Zweifel daran, daß diese Entführung jenem Fremdling, dem Robur, zuzuschreiben sei, konnte dem Präsidenten und seinem Collegen gar nicht in den Sinn kommen. In der That hätten ja einfache, ehrsame Räuber sie unzweifelhaft ihrer Uhren, Edelsteine, Brieftaschen und Portemonnaies entledigt und sie dann mit einem Schnitt durch den Hals in den Schuylkill-Strom geworfen, statt sie einschließen in … Ja, in was? – Das war eine ernste Frage, welche die schleunigste Lösung verdiente, ehe sie mit einiger Aussicht auf Erfolg an irgend welche Vorbereitungen zu ihrer Flucht denken konnten.

»Phil Evans, nahm Onkel Prudent wieder das Wort, wir hätten wahrlich besser daran gethan, wenn wir beim Weggehen aus der Sitzung, statt Liebenswürdigkeiten, auf welche wir hier nicht zurückkommen wollen, auszutauschen, lieber etwas weniger zerstreut gewesen wären. Verließen wir die Straßen von Philadelphia nicht, so wäre das Alles nicht geschehen. Offenbar hatte jener Robur schon eine Ahnung davon, was sein Auftreten im Club bewirken würde, er muthmaßte die Wuthausbrüche, welche seine Herausforderungen entfesseln mußten, und hatte vor der Thüre sicherlich einige seiner Banditen, ihm im schlimmsten Falle beizuspringen. Als wir dann die Walnut-Straße verließen, spürten uns seine Schergen auf, folgten unseren Spuren und als sie sahen, daß wir uns unkluger Weise in die Alleen des Fairmont-Parkes verirrten, da hatten sie ja leichtes Spiel.

– Einverstanden, antwortete Phil Evans. Ja, wir haben sehr Unrecht gethan, nicht unmittelbar unsere Wohnungen aufzusuchen.

– Man hat immer Unrecht, nicht Recht zu haben,« versetzte Onkel Prudent.

Da ertönte ein langgezogener Seufzer aus dem finsteren Winkel der Zelle.

»Was war das? fragte Phil Evans.

– O nichts … Frycollin träumt nur.«

Und Onkel Prudent fuhr ungestört fort:

»Zwischen dem Zeitpunkte, wo wir wenige Schritte vom Anfang der Lichtung ergriffen wurden, und dem, wo man uns in diesen Winkel warf, sind kaum zwei Minuten verflossen. Es liegt also auf der Hand, daß jene Leute uns nicht über den Fairmont-Park hinaus verschleppt haben.

– Denn wenn das geschehen wäre, hätten wir doch von der Fortschaffung etwas verspüren müssen.

– Einverstanden, erklärte Onkel Prudent. Es unterliegt also keinem Zweifel, daß wir in einer Abtheilung irgend eines Wagens eingesperrt sind, vielleicht in einem jener langen Prairie-Reisewagen oder in dem Gefährte von Seiltänzern.

– Ohne Zweifel. Befänden wir uns auf einem auf dem Schuylkill-Strom vertäuten Schiffe, so müßte sich das durch ein leichtes Schwanken von Bord zu Bord, veranlaßt durch die Strömung, zu erkennen geben.

– Einverstanden, völlig einverstanden, wiederholte Onkel Prudent, und ich meine, es ist, wo wir uns noch in der Parklichtung befinden, jetzt oder nie der geeignete Moment zur Flucht, um später jenen Robur wieder aufzuspüren …

– Und ihn diesen Angriff auf die Freiheit zweier Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika theuer bezahlen zu lassen!

– Theuer … sehr theuer!

– Doch, wer ist dieser Mann? … Woher kommt er? … Ist es ein Engländer, ein Deutscher, ein Franzose …

– Jedenfalls ein elender Wicht, das genügt, antwortete Onkel Prudent. Und nun an’s Werk!«

Mit ausgestreckten Händen und gespreizten Fingern tasteten Beide an der Wand des kleinen Raumes umher, um einen Riß oder eine Spalte zu entdecken. Vergeblich. Es fand sich hier ebenso wenig davon, wie an der Thür. Diese erwies sich fast hermetisch geschlossen, und es wäre unmöglich gewesen, das Schloß derselben zu sprengen. Man mußte also ein Loch herzustellen suchen, um durch dasselbe zu entkommen. Dabei trat nun die Frage hervor, ob die Bowie-Messer die Wand anzugreifen im Stande seien, ob ihre Klingen sich nicht verbiegen oder bei dem Vorhaben gar zerbrechen würden.

»Doch woher stammt jenes Zittern, das gar nicht aufhört? fragte Phil Evans, der sich über das immer fortdauernde frrr nicht beruhigen konnte.

– Es ist ohne Zweifel der Wind, meinte Onkel Prudent.

– Der Wind? … Bis Mitternacht schien mir, als ob die Luft ganz ruhig gewesen wäre …

– Gewiß, Phil Evans, doch, wenn es der Wind nicht sein soll, was halten Sie denn für die Ursache?«

Phil Evans versuchte, nachdem er die beste Klinge seines Messers aufgeklappt, in die Wand nahe der Thür einzuschneiden. Vielleicht genügte es hier, eine Oeffnung zu machen, um diese von außen zu öffnen. wenn sie nur durch einen Riegel versperrt oder der Schlüssel im Schlosse stecken geblieben war.

Wenige Minuten Arbeit reichten hin, die Klinge des Bowie-Messers zu verderben, die Spitze desselben abzubrechen und es in eine tausendzähnige Säge zu verwandeln.

»Es greift wohl nicht, Phil Evans?

– Nein.

– Sollten wir uns in einer Zelle aus Stahl befinden?

– Das nicht, Onkel Prudent; diese Wände geben angeschlagen keinen metallischen Ton.

– Also vielleicht aus Eisenholz?

– Nein, weder aus Eisen, noch aus Holz.

– Aus was bestände sie denn dann?

– Das ist unmöglich zu entscheiden; unbedingt aber ist es eine Substanz, welche der Stahl nicht angreift.«

Onkel Prudent loderte in hellem Zorn auf, er fluchte, stampfte den widerhallenden Boden mit den Füßen und seine Hände suchten einen eingebildeten Robur zu erwürgen.

»Ruhig, Onkel Prudent, ermahnte ihn Phil Evans, ruhig. Versuchen Sie einmal Ihr Glück.«

Onkel Prudent versuchte es, das Bowie-Messer konnte aber nicht in eine Wand einschneiden, die selbst dessen beste Klingen nicht zu ritzen vermochten, als ob diese aus Krystall wäre.

Eine Flucht erschien also ganz unausführbar, denn ohne Oeffnung der Thür war an eine solche doch gar nicht zu denken.

Es galt demnach, für jetzt darauf zu verzichten, was dem Yankee-Temperament nicht eben leicht zu werden pflegt, und Alles vom Zufall zu erwarten, was hervorragenden praktischen Geistern allemal zuwider ist. Natürlich geschah das nicht ohne Verwünschungen, furchtbare Drohungen und an die Adresse Robur’s gerichtete schwere persönliche Beleidigungen, während er doch gar nicht der Mann dazu schien, sich deshalb ein graues Haar wachsen zu lassen, wenn anders er sich im Privatleben ebenso zeigte, wie bei seinem Auftreten im Weldon-Institute.

Inzwischen gab Frycollin einige unzweifelhafte Zeichen seiner unbehaglichen Lage von sich. Ob er nun krampfhaftes Krümmen im Magen empfand oder die Einschnürung ihm einen Krampf der Glieder zugezogen hatte, jedenfalls begann er jämmerlich zu lamentiren.

Onkel Prudent glaubte seinen Qualen ein Ende machen zu müssen, indem er die Stricke, welche den Neger fesselten, durchschnitt.

Fast hätte er Ursache gehabt, diese Regung von Mitleid zu bedauern. Sofort begann Jener nämlich eine endlose Litanei, in der Ausbrüche des Entsetzens und – Klagen über Hunger die Hauptrolle spielten. Frycollin litt ebenso sehr im Kopfe, wie im Magen, so, es wäre schwierig gewesen, zu entscheiden, welchem dieser beiden Organe am meisten Schuld an dem Jammern des Negers beizumessen war.

»Frycollin!« rief Onkel Prudent.

»Master Onkel! Master Onkel!« antwortete der Neger mit kläglichem Geschrei.

»Es ist möglich, daß wir verdammt sind, in diesem Gefängnisse Hungers zu sterben. Wir sind aber entschlossen, Alles, was irgend verzehrbar erscheint, zu versuchen, um unser Leben zu verlängern.

– Und mich aufzuzehren? jammerte Frycollin.

– Wie man es unter solchen Umständen mit einem Neger stets macht! Sorge also, Frycollin, daß Du Dich uns nicht zu sehr bemerkbar machst …

– Oder Du wirst fri–cas–sirt!« setzte Phil Evans hinzu.

Frycollin bekam wirklich Angst, daß sein Leichnam in Anspruch genommen werden könnte, das Leben zweier Männer zu verlängern, das jedenfalls werthvoller war, als das seinige. Er begnügte sich also, nur noch im Stillen zu seufzen.

Inzwischen verstrich die Zeit und alle Versuche, die Thür oder die Wand gewaltsam zu öffnen, waren erfolglos geblieben. Woraus diese Wand bestand, ließ sich unmöglich feststellen. Metall war das nicht, Holz war es nicht und Stein war es auch nicht. Der Fußboden der Zelle schien übrigens aus demselben Material hergestellt zu sein. Stieß man mit dem Fuße auf denselben, so gab das einen ganz seltsamen Ton, den unter die bekannten Geräusche zu classificiren, Onkel Prudent gewiß viele Mühe gemacht hätte.

Dabei bemerkte man noch, daß der Fußboden entschieden hohl klang, so, als ob er nicht direct auf dem Boden der Lichtung ruhte; ja, er schien bei dem unerklärlichen frrr selbst leise zu erzittern. Alles das war nicht gerade beruhigender Natur.

»Onkel Prudent, begann Phil Evans.

– Phil Evans? antwortete der Gefragte.

– Meinen Sie, daß unsere Zelle ihre Lage verändert hat?

– Keineswegs.

– Und doch, als wir kaum eingesperrt waren, konnte ich deutlich den frischen Geruch des Grases und den harzigen Duft der Bäume des Parkes wahrnehmen. Jetzt kann ich Luft einfangen, so viel ich will, es erscheint mir, als ob davon nichts zu riechen wäre.

– Das ist freilich wahr.

– Doch, wie soll man das erklären?

– Erklären wir es auf ganz beliebige Weise, Phil Evans, nur nicht durch die Hypothese, daß unser Gefängniß eine Ortsveränderung erlitten habe. Ich wiederhole, daß wir es unbedingt hätten fühlen müssen, wenn wir uns auf einem in Gang befindlichen Wagen oder auf einem dahingleitenden Schiffe befänden.«

Frycollin ließ einen langgedehnten Seufzer hören, den man hätte für seinen letzten halten können, wenn ihm nicht mehrere andere nachgefolgt wären.

»Ich gab mich der Hoffnung hin, daß Robur uns bald veranlassen werde, vor ihn zu treten, fuhr Phil Evans fort.

– Ich nicht minder, rief Onkel Prudent, aber ich werde ihm in’s Gesicht sagen …

– Was?

– Daß er erst wie ein Unverschämter in unsere Verhandlungen eingegriffen hat, um schließlich gleich einem Schurken zu handeln!«

Eben jetzt bemerkte Phil Evans, daß der Tag zu grauen begann. Ein noch schwacher Lichtschein drang durch die enge, am oberen Theile der der Thür gegenüberliegenden Wand angebrachte Schießscharte herein. Es mochte also gegen vier Uhr Morgens sein, denn im Juni und unter dieser Breite färbt sich der Horizont von Philadelphia zu dieser Stunde mit den ersten Morgenstrahlen.

Und doch, als Onkel Prudent seine Repetiruhr schlagen ließ, ein Meisterwerk, das aus der Anstalt eines Collegen hervorgegangen war – meldete diese, daß es erst dreivierteldrei Uhr war, obwohl die Uhr inzwischen bestimmt nicht gestanden hatte.

»Seltsam! sagte Phil Evans. Um dreivierteldrei Uhr sollte es noch Nacht sein.

– Meine Uhr müßte dann bedeutend nachgeblieben sein, bemerkte Onkel Prudent.

– Eine Uhr der Waldon Watch Compagnie!« rief Phil Evans beleidigt.

Auf jeden Fall begann es jetzt Tag zu werden. Nach und nach hob sich die Schießscharte weiß von der tiefen Dunkelheit der Zelle ab. Und doch, wenn das Morgengrauen frühzeitiger auftrat, als es entsprechend dem 40. Breitengrade, unter dem Philadelphia liegt, zu erwarten war, so erschien es doch nicht mit der bekannten Schnelligkeit, wie in den niedrigen Breiten.

Onkel Prudent machte diese neue Beobachtung und erwähnte der fast unerklärlichen Erscheinung.

»Wir könnten vielleicht bis nach der Schießscharte hinaufklimmen«, bemerkte Phil Evans, um von da aus Rundschau zu halten, wo wir überhaupt sind.

– Das können wir,« stimmte Onkel Prudent zu.

Dann wandte er sich an Frycollin:

»Nun munter, Fry, auf die Füße!«

Der Neger erhob sich.

»Lehne Dich mit dem Rücken gegen diese Wand, fuhr Onkel Prudent fort, und Sie, Phil Evans, steigen gefälligst auf die Schultern dieses Burschen, während ich Sie von rückwärts halte.

– Recht gern,« antwortete Phil Evans.

Einen Augenblick später kletterte er schon auf Frycollin’s Schultern, so daß er zu der Schießscharte hinaussehen konnte.

Dieselbe war verschlossen, aber nicht durch ein Linsenglas, wie die Lichtpforte eines Schiffes, sondern durch eine gewöhnliche Planscheibe. Obwohl sie nicht sehr stark war, verhinderte sie doch den freien Ausblick Phil Evans‘, dessen Gesichtskreis dadurch ziemlich beschränkt wurde.

»So zerbrechen Sie doch die Scheibe, sagte Onkel Prudent, vielleicht können Sie dann besser sehen.«

Phil Evans führte einen heftigen Schlag mit dem Heft seines Bowie-Messers gegen die Scheibe, welche einen fast silbernen Ton gab, aber nicht zerbrach.

Ein zweiter, noch kräftigerer Schlag hatte nur dasselbe Resultat.

»Schön, rief Phil Evans, unzerbrechliches Glas!«

Wirklich mußte diese Scheibe aus dem nach der Methode des Erfinders Siemens gehärteten Glase bestehen, da sie trotz der wiederholten Schläge ganz blieb.

Uebrigens war es jetzt draußen hell genug, um ziemlich weit sehen zu können, wenigstens innerhalb des Gesichtsfeldes, das die Einfassung der Schießscharte frei ließ.

»Was sehen Sie? fragte Onkel Prudent.

– Nichts.

– Wie? Keinen Wald?

– Nein.

– Nicht einmal die Gipfel der Bäume?

– Auch diese nicht.

– Wir befinden uns also nicht mehr inmitten der Lichtung?

– Weder in der Lichtung, noch überhaupt im Park.

– Erkennen Sie denn auch nicht die Dächer der Häuser, die Spitzen der Denkmäler? sagte Onkel Prudent, dessen Enttäuschung schon in einem Grade zunahm, daß sie nahe an Wuth grenzte.

– Weder Dächer, noch Spitzen.

– Was? Auch nicht einen Mast mit Flagge, nicht einen einzigen Kirchthurm, nicht einmal einen Fabriksschornstein?

– Nichts – nichts als die leere Luft.«

Eben jetzt öffnete sich die Thür der Zelle, in der ein Mann sichtbar wurde. Das war Robur.

»Ehrenwerthe Ballonisten, sagte eine ernste Stimme. Sie sind nun frei, nach Belieben zu gehen, wohin Sie wollen …

– Frei! rief Onkel Prudent.

– Ja … das heißt innerhalb der Grenzen des »Albatros«!

Onkel Prudent und Phil Evans stürzten aus der Zelle.

Und was sahen sie da?

Zwölf- bis dreizehnhundert Meter unter ihnen die Oberfläche eines Landes, das sie vergeblich zu erkennen sich bemühten.

VI.

VI.

Welches Ingenieure, Mechaniker und andere Gelehrte vielleicht am besten überschlagen.

»Wann wird der Mensch einmal aufhören, in der Tiefe umherzukriechen, um im Azur und im Frieden des Himmels zu leben?«

Die Antwort auf diese Frage Camille Flammarion’s ist ziemlich leicht. Das wird dann geschehen, wenn die Fortschritte der Mechanik das Problem der Aviation, d. h. der Nachahmung des Vogelfluges, zu lösen gestatten, und vor Ablauf weniger Jahre – das sah man ja voraus – mußte eine praktische Verwerthung der Elektricität zur Lösung dieses Räthsels führen.

Schon im Jahre 1773, also ziemlich lange, bevor die Brüder Montgolfier ihre erste Montgolfière und der Physiker Charles seinen ersten Wasserstoffballon construirten, hatten einzelne abenteuerliche Köpfe davon geträumt, mittelst mechanischer Apparate die Luft so zu sagen zu erobern. Die ersten Erfinder hatten also keineswegs an Apparate gedacht, welche leichter als die Luft waren, was schon der Standpunkt der physikalischen Wissenschaft ihrer Zeit nicht erlaubte. Sie gingen darauf aus, die Fortbewegung durch die Luft durch specifisch schwerere Apparate, durch Flugmaschinen, welche die Bewegung des Vogels nachahmten, zu ermöglichen.

Ganz dasselbe hatte schon jener Thor, der Icarus, der Sohn des Daedalus, gethan, dessen mit Wachs angeheftete Flügel ihm bei der Annäherung an die Sonne abfielen.

Doch ohne bis auf mythologische Zeiten zurückzugehen, ohne eines Archytas von Tarent zu erwähnen, begegnet man schon in den Arbeiten eines Dante von Perousa, eines Leonard de Vinci und Guidotti der Idee von Maschinen, welche bestimmt waren, sich in der Atmosphäre zu bewegen. Zweieinhalb Jahrhunderte später traten weit zahlreichere Erfinder auf. Im Jahre 1742 construirt sich der Marquis de Baqueville ein System von Flügeln, versucht dasselbe über der Seine und bricht beim Herabfallen den Arm. 1768 entwirft Paucton den Plan zu einem Apparat mit zwei Schrauben zum Heben und zur Fortbewegung. 1781 baut Meerwein, der Architekt des Fürsten von Baden, eine Maschine zur Nachahmung des Vogelflugs und verwirft den Gedanken der Lenkbarkeit von Ballons, welche eben erfunden worden waren. 1784 lassen Launoy und Bienvenu eine Helicoptere aufsteigen, die von Federn bewegt wurde. 1808 Fliegversuch des Oesterreichers Jakob Degen. 1810 erscheint ein Schriftchen von Deniau aus Nantes, in dem der Grundsatz des »schwerer, als die Luft« beleuchtet ist. In den Zeitraum von 1811-40 fallen die Untersuchungn und Versuche von Berblinger, Vigual, Sarti, Dubochet und Cagniard de Latour. 1842 tritt der Engländer Henson mit seinem System der geneigten Ebene und durch Dampf bewegter Schraube auf; 1845 Cossus mit seinem Apparat mit Steigschrauben; 1847 meldet sich Camille Vert mit seiner Helicoptere aus Federbügeln; 1852 Letur mit seinem lenkbaren Fallschirm, dessen praktische Prüfung ihm das Leben kostete. In demselben Jahre tritt Michel Loup hervor mit seinem Vorschlage, bei dem die gleitende Bewegung in Verbindung mit vier sich drehenden Flügeln gebracht ist. 1853 Béléguic mit seinem durch Zugschrauben bewegten Aeroplan; Vaussin-Chardannes mit seinem lenkbaren Drachen; Georges Cauley mit seinen Fliegmaschinen, die ein Gasmotor treiben sollte. Zwischen 1854 und 1863 sind zu nennen: Josef Bline, der Patente auf verschiedene Systeme der Luftschifffahrt besitzt, Bréant, Carlingfort, Le Bris, Du Temple, Bright, dessen Steigschrauben sich in verkehrter Richtung bewegen; Smythies, Panafieu, Crosnier u. A. m. Endlich wird im Jahre 1863 auf Betreiben Nadar’s in Paris eine Gesellschaft »Schwerer, als die Luft« gegründet; hier führen die Erfinder ihre Maschinen vor, von denen schon verschiedene patentirt wurden, wie die von Ponton d’Amécourt und seine Dampf-Helicoptere; de la Landelle’s System einer Verbindung von Schrauben mit geneigten Ebenen und Fallschirmen; Louvrié’s Aeroscaph; Esterno’s mechanischer Vogel; Groof’s Apparat mit durch Hebel bewegten Flügeln. Jetzt, nachdem der Anstoß gegeben ist, erfinden die Erfinder, berechnen die Rechner Alles, was die willkürliche Fortbewegung durch die Luft ihrer praktischen Anwendung zuzuführen verspricht. Bourcart, Le Bris, Kaufmann, Smyth, Stringfellow, Prigent, Danjard, Pomès und de la Panze, Moy, Rénaud, Jobert, Hureau de Villeneuve, Achenbach, Garapon, Duchesne, Danduran, Parisel, Dieuaide, Melkisff, Forlanini, Brearey, Tatin, Dandrieux, Edison erdenken, construiren, erbauen und vervollkommnen – die Einen unter Anwendung von Flügeln oder Schrauben, die Anderen unter den von geneigten Ebenen – Maschinen, welche bereit sein werden, an dem Tage zu functioniren, wo ihnen ein glücklicher Erfinder einen Motor von hinreichender Kraft und außerordentlicher Leichtigkeit hinzufügt.

Wir bitten wegen dieses etwas langen Namensverzeichnisses um freundliche Entschuldigung, doch es schien uns nothwendig, die Einzelstufen jener Leiter der Luftschifffahrtserfolge, auf deren Gipfel jetzt Robur der Sieger erscheint, vorzuführen. Ohne die schwachen Versuche und die kühnen Experimente seiner Vorgänger, hätte der Ingenieur ja unmöglich einen so vollkommenen Apparat zu construiren vermocht. Und wenn er nur ein verächtliches Achselzucken für Diejenigen hatte, welche noch immer starrsinnig dabei verharrten, die Lenkbarkeit von Ballons erfinden zu wollen, so standen bei ihm die Anhänger des Grundsatzes »schwerer als die Luft« in hohem Ansehen, ob das nun Engländer, Amerikaner, Deutsche, Oesterreicher, Italiener oder Franzosen waren – vor Allem letztere, deren durch ihn vervollkommnete Arbeiten ihn in den Stand gesetzt hatten, seine Flugmaschine, den »Albatros«, zu ersinnen und auszuführen, jenes Ungeheuer, das jetzt das Luftmeer durchmaß.

»Die Taube fliegt! hatte einer der enthusiastischen Anhänger des »Albatros« gerufen.

– Man wird noch durch die Luft spazieren fahren, wie jetzt über die Erde! hatte darauf ein hochbegeisterter Vertheidiger derselben Theorie hinzugesetzt.

– Mit der Locomotive, der Aeromotive!« hatte der lustigste von Allen hinaustrompetet, der sich mit Vorliebe der Presse bediente, um die Alte und die Neue Welt für die Sache zu interessiren.

In der That steht es ja durch Rechnung und Erfahrung fest, daß die Luft ein sehr widerstandsfähiger Stützpunkt sein kann. Ein Kreis von einem Meter Durchmesser vermag als Fallschirm nicht allein das Eindringen in die Luft zu verlangsamen, sondern den Fall sogar isochronisch zu machen. Das war schon längst bekannt.

Ebenso wußte man, daß die Einwirkung der Schwerkraft, wenn die Fortbewegung eines Körpers eine sehr schnelle ist, etwa im umgekehrten Verhältnisse zum Quadrat der Schnelligkeit abnimmt und zuletzt ziemlich bedeutungslos werden kann.

Man wußte ferner, daß sich bei zunehmendem eigenen Gewichte eines fliegenden Thieres die zum Schwebenderhalten desselben nothwendige Oberfläche der Flügel nicht in gleichem Maße vergrößert, obwohl die Bewegungen, die es ausführt, etwas langsamer sein müssen.

Ein Aviations-Apparat muß demnach so construirt sein, daß er diesen Naturgesetzen entspricht und dem Vogel nachgebildet ist, »dem wunderbaren Typus der Fortbewegung in der Luft«, wie Doctor Marey im französischen Institut sich ausgedrückt hat.

Die Apparate nun, welche allein dieses Problem zu lösen vermögen, zerfallen in folgende drei Arten:

1. Die Helicopteren oder Spiraliferen, welche nur aus Schrauben mit verticalen Achsen bestehen.

2. Die Orthopteren, das sind Maschinen, welche ganz den natürlichen Flug der Vögel nachzuahmen bestimmt sind.

3. Die Aeroplanen, in Wirklichkeit geneigte Ebenen, wie die Papierdrachen der Knaben, aber von horizontalen Schrauben getrieben oder gezogen.

Jedes dieser Systeme hatte und hat selbst noch heute entschiedene Anhänger, welche ihre Ansichten unabänderlich als die richtigen hinstellen.

Aus mancherlei Gründen hatte Robur jedoch die beiden letzteren verworfen.

Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß die Orthoptere, der mechanische Vogel, gewisse Vorzüge aufweist. Die Arbeiten Renaud’s haben dafür 1884 den Beweis beigebracht. Doch man darf, wie dem Genannten auch eingeworfen wurde, die Natur niemals sclavisch nachahmen wollen. Die Locomotiven sind auch nicht nach dem Vorbilde der Hasen und die Dampfschiffe nicht nach dem der Fische gebaut. Den ersteren gab man Räder, welche doch keine Beine sind, dem letzteren Schrauben, welche gewiß nicht den Flossen entsprechen. Und wir meinen, Beide laufen doch recht gut. Uebrigens weiß man noch gar nicht genau, wie der Flug der Vögel, welche sehr complicirte Bewegungen ausführen, eigentlich zu Stande kommt. Doctor Marey z. B. hat die Vermuthung ausgesprochen, daß die Federn der Flügel sich beim Aufschlag öffnen, um die Luft durchzulassen – ein Vorgang, der durch eine künstliche Maschine schwerlich herzustellen sein möchte.

Andererseits ist es nicht zweifelhaft, daß auch die Aeroplane einige gute Erfolge aufzuweisen haben. Setzen die Schrauben den Luftschichten eine schiefe Ebene entgegen, so müßte daraus eine ansteigende Bewegung hervorgehen, und kleine Versuchs-Apparate haben bewiesen, daß das disponible Gewicht, dasjenige, über welches man noch über das Eigengewicht des Apparates hinaus verfügen könnte, mit dem Quadrate der Geschwindigkeit zunahm. Hierin liegt offenbar ein großer Vortheil, der die der Aerostaten, welche aufgetrieben werden sollen, weit übertrifft.

Nichtsdestoweniger glaubte Robur, daß, wenn es etwas noch Besseres gäbe, das auch noch einfacher sein müsse. Auch die Schrauben – die ihm im Weldon-Institut durch ein glückliches Wortspiel direct an den Kopf geworfen worden waren – konnten ja wohl allen Ansprüchen an seine Flugmaschine genügen. Die Einen sollten dieselbe in der Luft schwebend erhalten, die Anderen sie unter den besten Verhältnissen der Schnelligkeit und Sicherheit in der Horizontalen fortbewegen.

Theoretisch müßte man ja mittelst einer nur kurzen, aber in der Fläche großen Schraube, wie Victor Tatin es zuerst ausgesprochen hatte, dahin gelangen, »wenn man es auf das Aeußerste triebe, ein ungeheures Gewicht durch verschwindend kleine Kraft zu heben«.

Wenn die Orthoptere – durch Flügelschläge gleich einem Vogel – sich erhebt, indem sie sich in normaler Weise gegen die Luft stürzt, so steigt die Helioptere auf, indem sie mit ihren Schraubenflügeln schräg dagegen wirkt, als ob sie eine geneigte Ebene hinaufklimme. Im Grunde hat sie ja nur schraubenförmig gewundene, an Stelle der schaufelartigen Flügel. Die Schraube bewegt sich nothwendig in der Richtung ihrer Achse fort. Ist diese vertical, so bewegt sie sich vertical; ist sie horizontal angebracht, so treibt sie in horizontalem Sinne.

Der große Flugapparat des Ingenieur Robur beruhte nur auf diesen beiden Wirkungen.

Wir geben hier eine genaue Beschreibung desselben, welche füglich in drei Theile zerfallen kann, betreffend das Verdeck, die Schwebe- und Treibmaschinen und die äußere Maschinerie.

Verdeck. Das war ein dreißig Meter langes, vier Meter breites Bauwerk, ein wirkliches Schiffsdeck mit Vordersteven in Form eines Rammsporns. Darunter wölbte sich der festgefügte Rumpf, der die Apparate zur Erzeugung der mechanischen Kraft barg, ferner befanden sich da die Pulverkammer, die Werkzeuge, das allgemeine Magazin für Vorräthe aller Art, darunter auch die Wassergefäße des Fahrzeugs. Rund herum standen leichte Pfosten, die, mit Eisendraht unter einander verbunden, die Reeling bildeten. Darauf aber erhoben sich drei Ruffs, [Fußnote] deren Räumlichkeiten zur Wohnung für das Personal und für die Maschinerie bestimmt sind. Im mittleren Ruff arbeitet die Maschine, welche das Schwebewerk in Bewegung setzt; in dem vorderen die Maschine für die vordere Treibschraube, im hinteren die für die hintere Schraube, so daß diese drei von einander völlig unabhängig wirken. Nahe dem Vordertheile befindet sich der Ruff für die Werkstatt, die Küche und die Mannschaftswohnung. Nahe dem Heck, im letzten Ruff, finden sich mehrere Cabinen, unter anderen die des Ingenieurs, ein Speisezimmer und darüber ein kleiner verglaster Raum, in dem sich der Steuermann aufhält, der das Ganze mittelst eines gewaltigen Steuerrades lenkt und leitet. Alle diese Ruffs werden durch Lichtpforten erhellt, deren Scheiben aus Hartglas bestehen, das eine zehnfach größere Widerstandsfähigkeit als gewöhnliches Glas hat. Unterhalb des Rumpfes ist ein System von biegsamen Federn angebracht, dazu bestimmt, etwaige Stöße zu mildern, obwohl eine Landung ungemein sanft bewerkstelligt werden konnte, so sehr war der Ingenieur Herr seines Apparates.

Auftriebs- und Treibmaschinen. Auf dem Verdeck erhoben sich lothrecht siebenunddreißig Achsen, von denen je fünfzehn an Back- und Steuerbord und sieben höhere in der Mitte errichtet waren, so daß das Ganze einem Schiffe mit siebenunddreißig Masten ähnlich wurde; nur trugen diese Masten an Stelle der Segel jeder zwei horizontale Schrauben von kurzer Steigung und geringem Durchmesser, denen aber eine ungeheure Umdrehungsgeschwindigkeit ertheilt werden konnte. Jede dieser Achsen empfängt ihre Bewegung unabhängig von der anderen, und außerdem drehen sich je zwei und zwei in entgegengesetztem Sinne – eine nothwendige Maßregel, um den ganzen Apparat nicht in wellenförmige Bewegung kommen zu lassen. Auf diese Weise aber halten sich alle Schrauben, während sie eine wie die andere auf verticalen Luftsäulen emporzusteigen streben, gegenseitig das Gleichgewicht. Der Apparat ist demnach mit vierundsiebenzig Schwebeschrauben ausgerüstet, deren drei Arme äußerlich durch einen Metallring zusammengehalten werden, der, als Schwungrad wirkend, die motorische Kraft besser ausnützen hilft. Am Vorder- wie am Hintertheile drehen sich, auf horizontalen Achsen montirt, zwei Treibschrauben mit vier Armen jede, welche der Fortbewegung des Ganzen vorstehen. Diese Schrauben, welche an Durchmesser die Auftriebsschrauben übertreffen, können sich ebenfalls mit der größten Geschwindigkeit drehen.

Alles in Allem schließt sich dieser Apparat an die Systeme an, welche von Cossus, de la Landelle und de Ponton d’Amécourt aufgestellt und vom Ingenieur Robur verbessert wurden. Dagegen gebührt ihm bezüglich der Wahl und der Verwendung der motorischen Kraft unbedingt der Ruhm des Erfinders.

Maschinerie. Weder vom Dampf des Wassers oder anderer Flüssigkeiten, weder von der comprimirten Luft oder anderen elastischen Gasen und endlich ebenso wenig von explosiven Gemischen, welche fähig sind, eine mechanische Wirkung auszuüben, entlehnte Robur die notwendige Kraft, seinen Apparat schwebend zu erhalten und fortzubewegen, er nahm dazu die Elektrizität in Anspruch, jene Naturkraft, welche dereinst die Seele der industriellen Welt zu werden verspricht. Eine dynamo-elektrische Maschine verwendete er zur Erzeugung derselben jedoch nicht, sondern nur Batterien und Accumulatoren; nur war es Robur’s Geheimniß, welche Materialien er zur Zusammenstellung seiner Elemente und welche Säuren er zur Erregung derselben anwendete; dasselbe galt für die Accumulatoren. Niemand wußte, woraus deren positive und negative Platten bestanden. Der Ingenieur hatte sich aus gewissen Gründen wohl gehütet, darauf ein Patent zu nehmen. Unbestreitbar aber zeigten seine Batterien eine außerordentliche Ergiebigkeit, die Säuren eine fast vollständige Widerstandsfähigkeit gegen Verdunstung und Frieren, seine Accumulatoren eine unverkennbare Ueberlegenheit über die von Faure, Sellon, Volckmar, und endlich lieferten seine Ströme Ampères von bisher unerreichter Anzahl. Daraus aber ergab sich eine so zu sagen unendliche Menge elektrischer Pferdekräfte zur Bewegung der Schrauben, welche dem Apparate eine seinen Bedürfnissen weit überlegene Schwebe- und Triebkraft unter allen Umständen verliehen.

Wir wiederholen jedoch, das war die Sache des Ingenieur Robur und darüber bewahrte er ein unverbrüchliches Geheimniß, und wenn der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts nicht das Glück haben, dasselbe zu durchdringen, so dürfte es wahrscheinlich auf immer für die Menschheit verloren sein.

Es versteht sich von selbst, daß dieser Apparat infolge der glücklich gewählten Lage seines Schwerpunktes hinreichende Stabilität zeigte. Man brauchte also niemals zu fürchten, daß er mit der horizontalen bedenkliche Winkel bilden oder gar umschlagen könnte.

Es erübrigt noch mitzutheilen, aus welchem Material der Ingenieur Robur seinen Aeronef hergestellt hatte, ein Name, der für den »Albatros« besonders geeignet erscheint. Welches war der so harte Stoff, daß das Bowie-Messer Phil Evans‘ ihn nicht zu ritzen und dessen Natur Onkel Prudent nicht zu erkennen vermochte? Ganz einfach – Papier!

Schon eine Reihe von Jahren hatte die Fabrikation desselben große Ausdehnung gewonnen. Ungeleimtes Papier, dessen Blätter mit Dextrin und Stärkemehl imprägnirt wurden, bildet unter der Wirkung der hydraulischen Presse ein Material von der Härte des Stahls. Man erzeugt daraus Rollen, Schienen und Wagenräder, welche haltbarer und gleichzeitig leichter sind, als solche aus Metall. Diese große Haltbarkeit bei außerordentlicher Leichtigkeit eben hatte Robur bei der Erbauung seiner Luftlocomotive zu benützen gesucht. Alles, Rumpf, Rippen, Ruffs, Cabinen, bestand aus Strohpapier, das unter hohem Drucke metallähnlich geworden war und das sich – ein Umstand, bei einem in großer Höhe dahinschwebenden Apparate gewiß von Werth – auch als unverbrennlich erwies.

Für die verschiedenen Theile der Schwebe- und Treibmaschinerie, wie für die Flügel der Schrauben hatte gelatiniertes Fasergewebe als ebenso widerstandsfähiges, wie biegsames Material gedient und von diesem auch, da es sich allen Formen anpaßte, in den meisten Gasen und Flüssigkeiten, Säuren und Salzen unlöslich war – ohne von seinen isolirenden Eigenschaften zu sprechen – in der elektrischen Maschinerie des »Albatros« der ausgedehnteste Gebrauch gemacht worden.

Der Ingenieur Robur, sein Obersteuermann Tom Turner, ein Mechaniker mit zwei Gehilfen, zwei Bootsmänner und ein Koch – Alles in Allem acht Personen – bildeten die ganze Besatzung des »Albatros«, welche für die bei der Fahrt durch die Luft nöthigen Manöver übrig ausreichte. Jagd- und Kriegswaffen, Fischergeräthe, elektrische Lampen, Beobachtungsinstrumente, Boussolen und Sextanten zur Erkennung der Fahrtrichtung, Thermometer zur Messung der Temperatur; verschiedene Barometer, die einen, um die erreichte Höhe, die anderen, um die Veränderung des Luftdruckes zu messen, ein »Stormglas« zum Erkennen drohender Stürme, eine kleine Bibliothek, eine kleine tragbare Druckerei, ein Geschütz auf Zapfen, in der Mitte des Decks, das, von rückwärts geladen, ein Geschoß von sechs Centimeter Durchmesser schleuderte; der nöthige Vorrath an Pulver, Kugeln, Dynamitpatronen; eine Küche, in der die von Accumulatoren gelieferten Ströme zur Feuerung dienten, ein Vorrath von Conserven, Fleisch und Gemüse, die in einer Cambüse ad hoc neben Gefäßen mit Brandy, Whisky und Gin aufgestapelt waren, endlich Alles, was während einiger Monate gebraucht werden konnte, ohne landen zu müssen – das bildete das Material und die Vorräthe des »Albatros« – ohne die berühmte Trompete zu rechnen.

Außerdem befand sich ein leichtes, unversenkbares Kautschukboot an Bord, das acht Mann auf einem Flusse, einem See oder auch auf ruhigem Meer tragen konnte. Fallschirme in Voraussicht eines eintretenden Unglücks führte Robur nicht mit sich. Er glaubte nicht an Unfälle dieser Art. Die Achsen der Schrauben waren alle von einander unabhängig; der Stillstand der einen blieb auf die übrigen ohne Einfluß. Selbst wenn nur das halbe Triebwerk in Gang blieb, reichte es schon aus, den »Albatros« in seinem natürlichen Element zu erhalten.

»Und mit ihm, wie Robur der Sieger Gelegenheit fand gegen seine Passagiere – Passagiere wider Willen – zu äußern, mit ihm bin ich Herr jenes siebenten Welttheiles, der an Größe Australien und Afrika, Oceanien, Asien, Amerika und Europa übertrifft, jenes Icariens der Luft, das eines Tages noch Tausende von Icarussen bevölkern werden!«

VII.

VII.

In welchem der Onkel Prudent und Phil Evans sich noch immer nicht überzeugen lassen wollen.

Der Vorsitzende des Weldon-Instituts war höchst erstaunt, sein Gefährte geradezu verblüfft. Aber weder der Eine, noch der Andere wollte sich diese so natürliche Regung anmerken lassen. Der Diener Frycollin dagegen verheimlichte sein Entsetzen nicht, sich an Bord einer solchen Maschine in den Luftraum entführt zu sehen, im Gegentheil, er gab das offen zu erkennen.

Inzwischen drehten sich die Schwebe- oder Auftriebschrauben hastig über ihren Köpfen. So schnell diese Bewegung auch vor sich ging, hätte sie doch noch um das Dreifache gesteigert werden können, im Fall der »Albatros« höhere Zonen erreichen wollte.

Die beiden eigentlichen Propeller, die jetzt einen mittelmäßigen Gang zeigten, verliehen dem Apparate nur eine Fortbewegung von zwanzig Kilometern in der Stunde.

Sich über das Verdeck hinausbeugend, konnten die Passagiere des »Albatros« ein langes, gewundenes, flüssiges Band wahrnehmen, das sich gleich einem Bächlein durch wellenförmiges Land schlängelte, in dem auch einzelne kleinere Seen die Strahlen der Sonne glänzend widerspiegelten. Dieser Bach war übrigens ein Fluß, und zwar einer der bedeutendsten des betreffenden Gebiets. An seinem linken Ufer erhob sich eine Bergkette, deren Fortsetzung sich über Gesichtsweite hinaus verlor.

»Werden Sie uns wohl sagen, wo wir uns befinden? fragte Onkel Prudent mit einer vor Ingrimm zitternden Stimme.

– Ich habe dazu gar keine Veranlassung, antwortete Robur.

– Und werden Sie uns sagen, wohin wir fahren? setzte Phil Evans hinzu.

– Durch den Luftraum.

– Und das dauert, wie lange? …

– So lange es Zeit erfordert.

– Wollen Sie etwa eine Reise um die Erde mit uns machen? fragte Phil Evans ironisch.

– Noch mehr als das, erwiderte Robur.

– Und wenn eine solche Reise uns nicht paßt? … versetzte Onkel Prudent.

– So wird sie ihnen eben passen müssen!«

Das gab einen kleinen Vorgeschmack von den Beziehungen, die sich zwischen dem Herrn des »Albatros« und seinen Gästen, um nicht zu sagen, seinen Gefangenen, zu entwickeln versprachen. Offenbar wollte Jener ihnen jedoch erst Zeit gönnen, sich zu sammeln, den außerordentlichen Apparat zu bewundern, der sie durch die Lüfte trug, und ohne Zweifel auch, um dem Erfinder ihre Glückwünsche darbringen zu können. Dieser schlenderte scheinbar ziellos von einem Ende des Verdecks zum anderen; sie dagegen hatten vollständige Freiheit, die Anordnung der Maschinerie und die Gesammtausrüstung des »Aeronefs« zu betrachten, oder auch ihre Aufmerksamkeit ungetheilt der Landschaft zuzuwenden, deren Relief sich unter ihren Füßen so zu sagen aufrollte.

»Onkel Prudent, begann da Phil Evans, wenn ich mich nicht täusche, müssen wir über den mittleren Gebietstheilen von Canada hinschweben. Jener nach Nordwest verlaufende Fluß ist wahrscheinlich der St. Lorenz, und die Stadt, die wir da hinter uns lassen, ist Quebec.«

Es war in der That die alte Stadt Champlain’s, deren Weißblechdächer wie Reflectoren in der Sonne glänzten. Der »Albatros« hatte sich bis zum sechsundvierzigsten Grade der Breite erhoben – was den vorzeitigen Anbruch des Tages und die abnorme Verlängerung des Morgenrothes hinlänglich erklärte.

»Ja, fuhr Phil Evans fort, da liegt ja die Stadt in der Gestalt eines Amphitheaters, der Hügel, der ihre Citadelle trägt, dieses Gibraltar Nordamerikas! Dort erheben sich die englische und die französische Hauptkirche, und da wieder das Zollamt mit seiner Kuppel und der englischen Fahne darauf!«

Phil Evans hatte kaum ausgesprochen, als die Hauptstadt Canadas schon wieder in der Ferne zu verschwinden begann. Der Aeronef trat in eine Schicht kleinere Wolken ein, welche den Ausblick nach der Erde allmählich verhinderten.

Als Robur jetzt sah, daß der Vorsitzende und Schriftführer des Weldon-Instituts ihre Aufmerksamkeit der äußeren Construction des »Albatros« zuwendeten, trat er auf sie zu und sagte:

»Nun, meine Herren, glauben Sie endlich an die Möglichkeit einer Fortbewegung durch die Luft mittelst Apparaten, die schwerer sind als jene?«

Es wäre ja schwierig gewesen, sich dem augenscheinlichen Beweise zu widersetzen. Onkel Prudent und Phil Evans gaben jedoch keine Antwort.

»Sie schweigen? fuhr der Ingenieur fort. Aha, jedenfalls verhindert Sie der Hunger am Sprechen … doch, wenn ich es unternommen habe, Sie durch die Luft zu transportiren, so glauben Sie nicht, daß ich Sie auch mit diesem wenig nahrhaften Fluidum ernähren wollte. Ihr erstes Frühstück erwartet Sie.«

Da Onkel Prudent und Phil Evans einen schon recht quälenden Hunger verspürten, hatten sie hier keine Veranlassung, Umstände zu machen. Eine Mahlzeit verpflichtet ja noch zu nichts, und wenn Robur sie erst wieder auf der Erde abgesetzt hätte, rechneten sie nach wie vor darauf, ihm gegenüber auch ihre ganze Handlungsfreiheit wieder zu erhalten.

Beide wurden nach dem hinteren Ruff geleitet und nach einem kleinen »dining-room«, in dem sich ein sauber gedeckter Tisch befand, an welchem sie während der Fahrt speisen sollten. An Gerichten trug derselbe verschiedene Conserven und unter Anderem eine Art Brot aus gleichen Theilen Mehl und pulverisirtem Fleisch, untermischt mit ein wenig Speck, welches, in Wasser gekocht, eine vorzügliche nahrhafte Suppe liefert; ferner Schnitte von geräuchertem Schinken und als Getränk Thee.

Auch Frycollin war nicht vergessen worden. Auf dem Vordertheil erhielt er eine tüchtige Brotsuppe. Wahrlich, er mußte gewaltigen Hunger haben, um essen zu können, denn seine Kinnladen zitterten eigentlich aus Furcht und hätten ihm jeden anderen Dienst versagt.

»Wenn das entzwei ginge! Wenn das entzwei ginge!« wiederholte der unglückliche Neger. Das machte ihm fortwährend Angst. Aber man denke nur … ein Sturz von fünfzehnhundert Meter, der ihn in Pulver verwandelt hätte!

Nach Verlauf einer Stunde erschienen Onkel Prudent und Phil Evans wieder auf dem Verdeck. Robur war nicht mehr hier. Am Hintertheile folgte der Steuermann in seinem Glashäuschen, das Auge auf den Compaß gerichtet, unentwegt dem ihm vom Ingenieur vorgezeichneten Curse.

Die andere Mannschaft mochte wohl auch durch das Frühstück in ihrem Logis zurückgehalten werden. Nur ein Hilfsmechaniker, dem nun die Ueberwachung der Maschinen oblag, wanderte von einem Ruff zum anderen umher.

War die Geschwindigkeit des Apparats jetzt auch eine große, so konnten die beiden Collegen darüber doch nur unvollkommen urtheilen, obgleich der »Albatros« aus jener Wolkenschicht wieder hervorgetreten war und sich der Erdboden fünfzehnhundert Meter unter ihnen deutlich zeigte.

»Man kann eigentlich gar nicht daran glauben! bemerkte Phil Evans.

– So glauben wir nicht daran,« antwortete Onkel Prudent.

Sie begaben sich hiermit nach dem Vorderdeck und ließen die Blicke über den Horizont im Westen schweifen.

»Ah, eine andere Stadt! rief Phil Evans.

– Können Sie dieselbe erkennen?

– Ja, es scheint mir Montreal zu sein.

– Montreal? … Aber wir haben doch Quebec vor kaum zwei Stunden verlassen!

– Das beweist, daß diese Maschine sich mit einer Geschwindigkeit von mindestens fünfundzwanzig Lieues die Stunde bewegt.«

Das war in der That die Größe der Geschwindigkeit des »Albatros«, und wenn die Passagiere davon keine Belästigung verspürten, lag das daran, daß sie mit dem Winde forttrieben. Bei stillem Wetter hätte sie diese Schnelligkeit schon merkbar genirt, weil sie fast der eines Expreßzuges gleichkommt. Bei widrigem Winde wäre dieselbe ganz unerträglich gewesen.

Phil Evans täuschte sich nicht. Unter dem »Albatros« erschien Montreal, das an seiner Victoria-Brücke, einer Röhrenbrücke über den St. Lorenz gleich dem Bahnviaduct über die Lagunen von Venedig, leicht kenntlich war. Bald unterschied man auch seine breiten Straßen, die ungeheuren Magazine, die Paläste der Banken, die Kathedrale, eine neuerdings nach dem Vorbilde des St. Peters-Domes in Rom erbaute Basilica und endlich den Mont-Royal, der die ganze Stadt überragt und zu einem herrlichen Park umgeschaffen ist.

Es war ein Glück zu nennen, daß Phil Evans die Hauptstadt Canadas schon früher einmal besucht hatte. Er konnte so Mehreres erkennen, ohne Robur erst zu fragen. Nach Montreal kamen sie etwa einhalb zwei Uhr Nachmittags, über Ottawa hinweg, dessen Fälle, von oben gesehen, einem ungeheuren Siedekessel glichen, der durch sein furchtbares Ueberschäumen einen großartigen Effect hervorbrachte.

»Da ist der Parlaments-Palast,« sagte Phil Evans.

Er wies bei diesen Worten nach einer Art Nürnberger Spielzeug, das auf einem Hügel verloren war. Dieses Spielzeug mit seiner vielfarbigen Architektur glich dem Parlamenthaus zu London, wie die Kathedrale von Montreal der Peters-Kirche zu Rom. Doch nichtsdestoweniger war und blieb die in Sicht befindliche Stadt eben Ottawa.

Auch diese schien von dem Standpunkte der Beschauer aus schnell dem Horizonte zuzueilen und bildete bald nur einen etwas helleren Fleck auf der Erde.

Es mochte gegen zwei Uhr sein, als Robur wieder erschien. Sein Obersteuermann Tom Turner begleitete ihn. Er sagte zu diesem nur drei Worte. Letzter übermittelte dieselben den beiden Gehilfen im Vorder- und im Hinterruff. Auf ein Zeichen veränderte der Steuermann die Richtung des »Albatros«, so daß dieser um zwei Grade nach Südwesten abwich. Gleichzeitig konnten Onkel Prudent und Phil Evans wahrnehmen, daß den Treibschrauben des Aeronefs eine größere Schnelligkeit verliehen wurde.

Diese Schnelligkeit hätte in Wirklichkeit noch verdoppelt werden können, und man hätte damit eine Maschine erhalten, welche alle Erdmaschinen weit hinter sich lassen mußte.

Man urtheile selbst: Torpedoboote können zweiundzwanzig Knoten oder vierzig Kilometer in der Stunde zurücklegen. Die schnellsten Eisenbahnzüge bringen es wohl bis auf hundert; Schlittenboote auf den übereisten Seen der Vereinigten Staaten bis auf hundertfünfzehn; eine in der Werkstatt Patterson’s erbaute Maschine mit Zahnrädern hat über den Erie-See hinweg hundertdreißig erreicht und eine andere Locomotive zwischen Trenton und Jersey gar hundertsiebenunddreißig Kilometer.

Der »Albatros« aber konnte beim Maximum seiner Kraftäußerung mittelst seiner Treibschrauben sich zweihundert Kilometer in der Stunde, das heißt rund fünfzig Meter in der Secunde, fortbewegen.

Eine solche Schnelligkeit aber ist die des Orkans, der Bäume entwurzelt, die jenes Windstoßes, der bei dem Sturm vom 21. September 1881 in Cahors hundertvierundneunzig Kilometer in der Stunde dahinraste. Es ist die mittlere Geschwindigkeit der Brieftaube, welche nur noch von der gewöhnlichen Schwalbe (mit siebenundsechzig Metern in der Secunde) und von der Mauerschwalbe (mit neunundachtzig Metern) übertroffen wird.

Mit einem Worte, und wie Robur gesagt, der »Albatros« hätte bei Entwickelung der ganzen Kraft seiner Schrauben die Fahrt um die Erde binnen zweihundert Stunden, d. h. also in noch nicht acht Tagen zurücklegen können.

Wenn auch die Erde jener Zeit schon 450.000 Kilometer Eisenstraßen besaß, d. h. eine Länge, welche elfmal den Aequator umspannt hätte – so blieb das doch für diese fliegende Maschine ohne Bedeutung. Stand ihr nicht das ganze große Luftmeer offen?

Brauchen wir jetzt noch mehr hinzuzufügen? Jenes Phänomen, dessen Erscheinung die ganze Alte und Neue Welt in Aufruhr versetzt hatte, war der Aeronef des Ingenieurs. Jene Trompete, welche die schmetternden Fanfaren in den Lüften ertönen ließ, war die des Obersteuermanns Tom Turner. Die Flaggen, welche man auf den Hauptbauwerken Europas, Asiens und Amerikas aufgepflanzt gefunden hatte, war die Flagge Robur’s des Siegers und seines »Albatros«.

Und wenn der Ingenieur bisher einige Vorsicht beobachtet hatte, um nicht erkannt zu werden, wenn er mit Vorliebe nur in der Nacht gefahren war, die er zuweilen durch jene elektrischen Lichtströme erhellte, während er den Tag über jenseits der Wolken zu verschwinden trachtete, so schien er sein Geheimniß doch jetzt nicht mehr bewahren zu wollen. Denn als er nach Philadelphia gekommen war und sich in dem Sitzungssaale des Weldon-Instituts vorgestellt hatte, konnte er da etwas Anderes beabsichtigen, als die Bekanntgebung seiner wunderbaren Entdeckung, um selbst die Ungläubigsten ipso facto zu überzeugen?

Wir wissen, wie er hier aufgenommen wurde, und werden sehen, welche Repressalien er gegenüber dem Vorsitzenden und dem Schriftführer des bekannten Clubs zu ergreifen gedachte.

Inzwischen hatte sich Robur den beiden Männern genähert. Diese stellten sich noch immer, als erstaunten sie nicht im geringsten über das, was sie vor sich sahen: offenbar setzte sich allmählich unter diesen beiden angelsächsischen Schädeln ein Starrsinn fest, der nur schwierig auszurotten sein würde.

Robur seinerseits wollte sich auch nicht den Anschein geben, als fiele ihm das auf, und begann deshalb, als setze er nur ein Gespräch fort, das doch schon seit zwei Stunden unterbrochen war:

»Sie haben sich ohne Zweifel damit befaßt, meine Herren, ob dieser für die Bewegung durch die Luft ausgezeichnete Apparat auch eine noch größere Geschwindigkeit annehmen könne. Er wäre indeß nicht würdig, den Luftraum sozusagen besiegt zu haben, wenn er sich denselben nicht gänzlich unterwürfig machen könnte. Ich bin darauf ausgegangen, die Luft als festen Stütz- und Angriffspunkt zu benützen, und als solcher dient sie mir. Ich sah längst ein, daß man, um gegen den Wind anzukämpfen, stärker sein müsse, als dieser, und ich bin stärker. Ich bedarf keiner Segel, die mich ziehen, keiner Ruder oder Räder, die mich treiben, keiner Schienen, um schneller und leichter fortzukommen – nur Luft … nichts weiter! Luft, die mich ganz ebenso umgiebt, wie das Wasser jedes submarine Fahrzeug, und in der meine Propeller sich drehen, wie die Schrauben eines Dampfers. Das ist das ganze Geheimnis, wie ich das Problem der Aviation löste; da haben Sie, was weder ein Ballon, noch irgend ein Apparat, der leichter als die Luft ist, jemals leisten wird.«

Die beiden Collegen schwiegen still wie das Grab, ohne daß sich der Ingenieur dadurch aus der Fassung bringen ließ. Er begnügte sich, verstohlen zu lächeln, und fuhr in folgenden Fragesätzen fort:

»Sie fragen vielleicht, ob der »Albatros« mit dieser Kraft, die ihn horizontal treibt, auch eine gleich wirkungsvolle Kraft verbindet, um sich in verticaler Richtung zu bewegen, mit einem Worte, ob er, wenn es sich darum handelte, große Höhen zu erreichen, werde noch mit einem Aerostaten wetteifern können? Nun, ich würde Ihnen nicht rathen, den »Go a head« mit ihm um den Preis kämpfen zu lassen.«

Die beiden Collegen zuckten einfach mit den Achseln, das war vielleicht der wunde Punkt, an dem sie den Ingenieur fassen zu können glaubten.

Robur gab ein Zeichen. Die Treibschrauben standen sofort still, und nachdem der »Albatros« etwa noch eine Meile in gleicher Richtung dahin geschwebt war, blieb auch er unbeweglich.

Auf ein zweites Zeichen Robur’s setzten sich die Auftriebsschrauben in Bewegung, und zwar mit einer Geschwindigkeit, welche man füglich hätte mit den zu akustischen Experimenten benützten Sirenen vergleichen können. Ihr frrr erhob sich in der Tonleiter um fast eine ganze Octave, während dessen Intensität wegen der jetzt dünneren Luft abnahm, und der Apparat strebte lothrecht in die Höhe, wie eine Lerche, welche ihre hellen Töne durch die Lüfte schmettert.

»Herr! Bester Herr! … rief Frycollin wiederholt, wenn nur nicht Alles in Stücke geht!«

Ein verächtliches Lächeln war Robur’s ganze Antwort. Nach wenigen Minuten hatte der »Albatros« eine Höhe von zweitausendsiebenhundert Metern erreicht, was den Gesichtskreis auf siebenzig Meilen ausdehnte – dann eine solche von viertausend Metern, was der bis auf vierhundertachtzig Millimeter herabsinkende Barometer anzeigte.

Nach dieser gelungenen Vorführung sank der »Albatros« wieder herab. Die Verminderung des Drucks in den hohen Luftschichten bedingt bekanntlich eine starke Abnahme des Sauerstoffes in derselben und deshalb auch im Blute. Das ist die Ursache der ernsten Unfälle, welche schon Hunderten von Luftschiffern zugestoßen sind. Robur aber hielt es für nutzlos, sich einem solchen auszusetzen.

Der »Albatros« gelangte also nach derjenigen Höhe zurück, die er mit Vorliebe einzuhalten schien, und seine wieder in Thätigkeit gesetzten Treibschrauben führten ihn jetzt mit vermehrter Geschwindigkeit nach Südwesten hin.

»Jetzt, meine Herren, können Sie sich, wenn Sie nur darnach fragten, selbst Antwort geben.«

Hiermit neigte er sich über die Reeling hinaus und blieb so in Betrachtung versunken stehen.

Als er den Kopf wieder erhob, waren der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Institut vor ihn hingetreten.

»Ingenieur Robur, begann Onkel Prudent, der sich vergebens zu bemeistern suchte, das, was Sie zu glauben scheinen, haben wir uns keineswegs gefragt. Doch wollen wir Ihnen eine Frage stellen, auf welche wir jedenfalls Antwort erwarten.

– Reden Sie!

– Mit welchem Rechte haben Sie uns in Philadelphia, im Fairmont-Park überfallen? Mit welchem Rechte uns in jene Zelle eingeschlossen? Mit welchem Rechte entführen Sie uns wider Willen an Bord dieser fliegenden Maschine?

– Und mit welchem Rechte, meine Herren Ballonisten, entgegnete Robur, mit welchem Rechte haben Sie mich beleidigt, verspottet; in Ihrem Club bedroht, und zwar in einer Weise, daß ich mich selbst wundere, lebend davon gekommen zu sein.

– Fragen heißt nicht antworten, erwiderte Phil Evans, und ich wiederhole Ihnen, mit welchem Rechte handelten Sie?

– Sie wollen das wissen? …

– Wenn es Ihnen gefällig ist.

– Nun wohl, mit dem Rechte des Stärkeren!

– Das ist cynisch!

– Aber es ist so.

– Und wie lange, Bürger Ingenieur, fragte Onkel Prudent, dem nun die Geduld ausging, wie lange denken Sie, dieses Recht uns gegenüber auszunützen?

– Aber, meine Herren, antwortete Robur ironisch, wie können Sie nur eine solche Frage stellen, da Sie nur den Blick zu senken brauchen, um ein Schauspiel zu genießen, das in der Welt nicht seines Gleichen findet?«

Der »Albatros« spiegelte sich eben in der ungeheuren Fläche des Ontario-Sees, er war eben über das von Cooper so hoch poetisch besungene Land gekommen, dann folgte er der Südgrenze dieses weiten Wasserbeckens und wandte sich dem berühmten Flusse zu, der ihm die Gewässer des Erie-Sees, aber zerstäubt im seinen Katarakten, zuführt.

Einen Augenblick lang drang ein wahrhaft majestätisches Geräusch, gleich dem Rollen des Sturmes, bis zu ihm hinauf, und als ob sich ein feuchter Dunst in den Lüften verbreitete, wurde die Temperatur merklich kühler.

Tief unten donnerten die ungeheuren Wassermassen in Hufeisenbogen hinunter. Man glaubte wohl einen gewaltigen Strom von Krystall vor sich zu sehen, den tausend, durch Refraction aus der Zerlegung des Sonnenlichtes entstandene Regenbogen umglänzten. Es war ein wirklich erhebender Anblick.

Vor diesen Fällen verband eine, gleich einem Faden ausgespannte schmale Brücke ein Ufer mit dem anderen. Etwas weiter unten – etwa drei Meilen entfernt war eine Hängebrücke darüber geschlagen, über welche sich eben ein Bahnzug hinschlängelte, der von dem canadischen Ufer nach dem amerikanischen zu dampfte.

»Die Niagarafälle!« rief Phil Evans.

Und dieser Ausruf entfuhr ihm, während Onkel Prudent sich die erdenklichste Mühe gab, alle Wunder, die sich vor seinen Augen entrollten, scheinbar nicht zu beachten.

Eine Minute später hatte der »Albatros« den Strom überschritten, der die Vereinigten Staaten von der Colonie Canada scheidet, und er schwebte nun über den unendlich weiten Gebieten des nördlichen Amerika.

VIII.

VIII.

Worin man sehen wird, daß Robur sich entschließt, auf die ihm vorgelegte wichtige Frage zu antworten.

In einer der Cabinen des Ruffs auf dem Hinterdeck hatten Onkel Prudent und Phil Evans zwei vorzügliche Lagerstätten, Wäsche, eine hinreichende Menge Kleidungsstücke zum Wechseln, nebst Mänteln und Reisedecken vorgefunden. Kein transatlantischer Dampfer hätte ihnen mehr Bequemlichkeiten bieten können. Wenn sie nicht in einem fort schliefen, so lag das nur in ihrer Absicht, oder es hielten sie mindestens sehr beunruhigende Gedanken davon zurück. In welch‘ unberechenbares Abenteuer waren sie hier gerathen? Was zu erleben und zwar wider ihren Willen zu erleben stand ihnen Alles noch bevor? Wie würde die ganze Geschichte ablaufen und was beabsichtigte eigentlich der Ingenieur Robur? – Das war gewiß genug Material, unausgesetzt ihre Gedanken zu erfüllen.

Der Diener Frycollin war auf dem Verdeck in einer mit der des Kochs vom »Albatros« zusammenstoßenden Cabine untergebracht worden. Diese Nachbarschaft mißfiel ihm keineswegs – er liebte es, sich mit den Großen dieser Erde auf guten Fuß zu stellen. Doch wenn er endlich einschlief, so träumte der arme Teufel nur vom Herabstürzen durch die Luft, was seinen Schlummer zum fortwährenden Alpdrücken verunstaltete.

Und doch konnte es keine ruhigere Fahrt geben, als dieses Dahinschweben durch die Atmosphäre, deren Strömung sich am Spätabend ganz gelegt hatte. Außer dem Schwirren der Schraubenflügel drang kein Geräusch nach dieser Höhe, höchstens zuweilen der schrille Pfiff einer irdischen Locomotive, die auf ihrer Eisenstraße dahinrollte, oder kaum vernehmbare Laute von Hausthieren. – Ein eigenthümlicher Instinct schien diesen Erdengeschöpfen zu verrathen, daß die Flugmaschine über ihnen hinglitt, und das veranlaßte sie, einen Angstschrei von sich zu geben.

Am folgenden Tage, am 14. Juni, lustwandelten Onkel Prudent und Phil Evans schon früh fünf Uhr auf dem Verdeck des »Albatros«. Eine Veränderung gegen den Vortag zeigte sich nicht, der Ausguck stand am vorderen, der Steuermann am hinteren Theile desselben. Wozu diente aber hier ein Wachtposten? Fürchtete man auch mit der ersten Maschine dieser Art einen etwaigen Zusammenstoß? Nein, das gewiß nicht. Robur hatte ja noch keine Nachahmer gefunden. Die Möglichkeit, einem in den Lüften schwebenden Aerostaten zu begegnen, war eine so geringe, daß sie füglich außer Rechnung gelassen werden konnte. Jedenfalls wäre der Aerostat am schlimmsten daran gewesen – wie bei einem Zusammenstoß des eisernen Topfes mit dem irdenen. Der »Albatros« hatte von einer solchen Collision ja so gut wie nichts zu fürchten.

Doch konnte eine solche überhaupt vorkommen? Ja. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß der Aeronef unversehens auf eine Küste zusteuerte, wie ein Schiff, wenn ein Berg, den es eben nicht umsegeln kann, ihm den Weg versperrte. Ein solcher Berg wäre also eine Klippe in der Luft, und diese galt es zu vermeiden, wie das Schiff die Klippe des Meeres zu meiden hat.

Wohl hatte der Ingenieur, ganz wie ein Capitän die Fahrtrichtung angegeben unter Berücksichtigung der nothwendigen Höhe, in der sich der Apparat halten mußte, um auch die höchsten Berggipfel der betreffenden Gegenden zu übersegeln. Da der Aeronef sich aber eben im stark gebirgigem Lande befand, war es gewiß nur ein Gebot der Klugheit, sorgsam Ausguck zu halten, wenn er einmal aus irgend einem Grunde vom richtigen Laufe abwich.

Bei Betrachtung der unter ihnen liegenden Gegend bemerkten Onkel Prudent und Phil Evans einen großen Binnensee, dessen nach Süden gelegene Spitze der »Albatros« bald erreichen mußte. Sie schlossen daraus, daß sie während der Nacht über den Erie-See in seiner ganzen Länge weggekommen wären. Da der Aeronef nun direct nach Westen steuerte, so mußten sie später den äußersten Theil des Michigan-Sees erreichen.

»Hier ist kein Zweifel möglich, sagte Phil Evans, jenes Meer von Dächern am Horizonte ist Chicago!«

Er täuschte sich nicht, das war die genannte Stadt, in der siebzehn Eisenbahnlinien zusammenlaufen, die Königin des Westens, das ungeheure Magazin, in dem die Erzeugnisse von Indiana, Ohio, Wisconsin, Missouri und überhaupt die aus allen Provinzen zusammenströmen, welche den westlichen Theil der Union bilden.

Bewaffnet mit einem vortrefflichen Marinefernrohr, das er in seinem Ruff gefunden, erkannte Onkel Prudent leicht die Hauptgebäude jener Stadt. Sein College konnte ihm die Kirchen, die öffentlichen Bauten, die zahlreichen Elevatoren, ebenso wie das gewaltige Hôtel Sheeman zeigen, das einem großen Würfel, wie man solche zum Spielen gebraucht, glich, an dem freilich die Fenster als hundertfache Augen auf jeder Seite erschienen.

»Da das Chicago ist, bemerkte Onkel Prudent, so ist damit bewiesen, daß wir etwas gar zu weit nach Westen entführt worden sind, als es wünschenswert wäre, um nach unserem Abfahrtspunkt zurückzukehren.«

Der »Albatros« entfernte sich in der That in gerader Linie von der Hauptstadt Pennsylvaniens.

Hätte Onkel Prudent aber Robur auch darum angehen wollen, sie nun nach Osten zurückzuführen, so wäre das jetzt wenigstens unmöglich gewesen. Gerade an diesem Morgen schien der Ingenieur gar keine Eile zu haben, seine Cabine zu verlassen, mochte er darin nun mit irgend welchen Arbeiten beschäftigt sein oder vielleicht nur noch schlafen. Die beiden Collegen mußten also frühstücken, ohne ihn gesehen zu haben.

Die Fahrgeschwindigkeit war seit dem vorigen Tage nicht verändert. Bei der Richtung des eben wendenden Windes wurde dieselbe nicht lästig, und da der Thermometer sich nur um einen Grad bei der Erhebung um hundertsiebenzig Meter senkte, so war auch die Temperatur eine erträgliche. In Erwartung des Ingenieurs gingen Onkel Prudent und Phil Evans nachdenklich hin und her unter der Takelage der Schrauben – wenn der Ausdruck erlaubt ist – welche immerhin eine so schnelle Drehbewegung einhielten, daß die Strahlen ihrer Flügel zu einer halbdurchscheinenden Scheibe verschmolzen.

In weniger als zwei Stunden kamen sie auf diese Weise längs seiner Nordgrenze über den Staat Illinois hinweg, und dabei über den Vater der Gewässer, den Mississippi, dessen zweietagige Dampfer nicht größer als gewöhnliche Kähne erschienen. Dann wendete sich der »Albatros« nach Iova, nachdem Iova-City gegen elf Uhr Vormittags in Sicht gekommen war.

Einzelne Hügelketten, die »Bluffs«, schlängelten sich von Süden nach dem Nordwesten durch dieses Gebiet. Ihre mäßige Höhe machte keine besondere Aufsteigung des Aeronefs nöthig. Diese Bluffs mußten auch bald noch niedriger werden, um nachher den weiten Ebenen von Iova Platz zu machen, welche sich über dessen ganzen nördlichen Theil, wie über Nebraska ausdehnen – ungeheure Prairien, welche bis zum Fuß der Felsengebirge heranreichen. Da und dort glänzten zahlreiche Rios, Zuflüsse und Nebenflüsse des Missouri. An ihren Ufern lagen Städte und Dörfer, welche jedoch immer seltener wurden, je nachdem der »Albatros« schneller nach dem Far-West über sie hinwegglitt.

Im Laufe des Tages ereignete sich nichts Besonderes. Onkel Prudent und Phil Evans blieben sich gänzlich selbst überlassen. Kaum bemerkten sie einmal Frycollin, der auf dem Verdeck ausgestreckt lag und die Augen geschlossen hielt, um lieber gar nichts zu sehen. Uebrigens litt er nicht etwa an Schwindelzufällen, wie man hätte glauben können. Wegen Mangels an Vergleichsobjecten hätte sich dieser Schwindel überhaupt nicht in derselben Weise äußern können, wie etwa auf dem Dache eines hohen Gebäudes; der Abgrund verliert seine Anziehungskraft, wenn man in der Gondel eines Ballons oder auf dem Deck eines Aeronefs über ihm schwebt, oder vielmehr unter dem Aeronauten gähnt gar kein Abgrund, sondern der Horizont allein erhebt sich an allen Seiten und umringt denselben.

Um zwei Uhr glitt der »Albatros« über Omaha an der Grenze von Nebraska hin, über Omaha-City, den wirklichen Kopf der Pacific-Bahn, jenes fünfzehnhundert Lieues langen Schienenstranges, der New-York und San Francisco verbindet. Einen Augenblick lang sah man die gelblichen Fluthen des Missouri, nachher die Stadt mit ihren Holz- und Steinhäusern, inmitten dieses reichen Beckens gelegen gleich dem Schloß eines Gürtels, der Nordamerika in der Taille umspannt.

Zweifellos mußten, während die Passagiere des Aeronefs alle diese Einzelheiten betrachteten, auch die Bewohner von Omaha den seltsamen Apparat wahrgenommen haben.

Ihr Erstaunen aber, denselben in den Lüften hinschweben zu sehen, konnte gewiß nicht größer sein, als das des Vorsitzenden und des Schriftführers des Weldon-Instituts, sich an Bord desselben zu befinden.

Jedenfalls lag hier eine Thatsache vor, welche durch die Journale der Union besprochen wurde; eben diese lieferte eine Erklärung des Phänomens, mit dem sich seit einiger Zeit die ganze Welt beschäftigte.

Eine Stunde später war der »Albatros« schon über Omaha hinweg. Der »Albatros« steuerte jetzt constant nach Westen, indem er sich vom Platte-River entfernte, dessen Thal die Pacific-Railway durch die Prairie folgt. Den Onkel Prudent und Phil Evans konnte diese Wahrnehmung gerade nicht befriedigen.

»Die Sache wird ernsthaft mit diesem sinnlosen Project, uns zu den Antipoden zu bringen, sagte der Eine.

– Und noch dazu wider unseren Willen! bemerkte der Andere. O, dieser Robur soll sich nur in Acht nehmen, ich bin nicht der Mann dazu, mit mir spielen zu lassen!

– Ich auch nicht! versicherte Phil Evans. Doch, folgen Sie meinem Rathe, Onkel Prudent, versuchen Sie sich zu mäßigen …

– Mich mäßigen! …

– Und bemeistern Sie Ihre Wuth bis zu dem Augenblick, wo es an der Zeit ist, sie ausbrechen zu lassen.«

Gegen fünf Uhr und nach Ueberschreitung der mit Tannen und Cedern bedeckten schwarzen Berge flog der »Albatros« über jenen Gebieten hin, die man mit Recht das »schlimme Land« genannt hat – ein Chaos von ockerfarbigen Hügeln, gleichsam von Bergstücken, welche der Schöpfer hatte auf die Erde fallen lassen und die dabei in Trümmer gegangen waren. Von ferne gesehen, nahmen diese Blöcke die phantastischesten Formen an. Da und dort inmitten dieser ungeheuren Ansammlung von Bruchstücken erblickte man Ruinen von mittelalterlichen Städten mit Forts, Wartthürmen, Laufgräben und Schanzen. Heutzutage bildet dieses »schlimme oder böse Land« aber nichts als ein gewaltiges Beinhaus, in dem die Reste von Pachydermen, Chelonien und der Sage nach sogar von fossilen Menschen bleichen, welche durch eine unbekannte Erdrevolution in grauer Vorzeit hierher geworfen wurden.

Mit einbrechendem Abend war schon das große Becken des Platte-River übersegelt. Jetzt dehnte sich vor dem »Albatros« eine weite Ebene bis zu dem, durch dessen hohen Standpunkt sehr erweiterten Horizonte aus.

Während der Nacht waren es nicht mehr die scharfen Pfiffe der Locomotive oder die heulenden Töne von Dampfbooten, welche die Ruhe des gestirnten Firmaments störten. Lang anhaltendes Grunzen und Blöken drang manchmal bis zu dem, übrigens jetzt der Erde näheren Aeronef hinauf. Dasselbe rührte von den Bisonheerden her, welche bei Aufsuchung von Wasserläufen und Weideland durch die Prairie trotteten. Und wenn jene schwiegen, dann erzeugte das Rascheln des Grases unter ihren Hufen ein dumpfes Geräusch, ähnlich dem Rauschen einer Ueberschwemmung, und sehr verschieden von dem Schwirren und Sausen der Schrauben.

Von Zeit zu Zeit ließ sich wohl auch das Heulen von Wölfen, das Gebell und Geschrei von Füchsen und Wildkatzen hören oder das scharfe Bellen von Coyots, jenes »canis latrans«, dessen Name sich schon durch die gellenden Töne des Thieres rechtfertigt.

Daneben verbreitete sich ein durchdringender Duft von Minze, Salbei und Absinth, vermischt mit dem kräftigen Harzgeruch von Coniferen, in der reinen Nachtluft.

Endlich hörte man, um alle vom Erdboden kommenden Geräusche zu erwähnen, auch eine Art recht unheimlichen Bellens, das aber nicht von den Coyots herrührte; das war der Schrei einer Rothhaut, welchen kein Pionnier des fernen Westens mit dem Geschrei eines Raubthieres verwechseln könnte.

Phil Evans verließ seine Cabine. Vielleicht sollte er an diesem Tage den Ingenieur Robur endlich wiedersehen.

Begierig, zu erfahren, warum Jener sich am vergangenen Tage gar nicht gezeigt haben möge, wandte er sich an den Obersteuermann Tom Turner.

Tom Turner, von englischer Herkunft und etwa fünfundvierzig Jahre alt, breit in der Brust, untersetzt von Gestalt und mit Knochen von Eisen, hatte einen jener charakteristischen Köpfe à la Hogarth, wie sie dieser Maler der angelsächsischen Häßlichkeiten aus seinem Pinsel hervorgezaubert hat. Wer die Tafel IV von Harlots Progreß genauer betrachtet, der wird auf derselben den Kopf Tom Turner’s auf den Schultern des Gefängnißwärters wiederfinden und wird erkennen, daß dessen Physiognomie nicht eben viel Ermuthigendes hat.

»Werden wir heute den Ingenieur Robur sehen? fragte Phil Evans.

– Weiß nicht, antwortete Tom Turner.

– Ich frage Sie nicht, ob er etwa weggegangen ist.

– Vielleicht.

– Auch nicht, wann er zurückkehren könnte.

– Vermutlich, wenn er mit seiner Cursbestimmung fertig ist.«

Hiermit verschwand Tom Turner schon wieder in seinem Ruff.

Phil Evans mußte sich wohl oder übel mit dieser Antwort begnügen, welche umso weniger beruhigend erschien, als eine fortgesetzte Beobachtung des Compasses ihm lehrte, daß der »Albatros« noch immer nach Südwesten weiter steuerte. Welcher Unterschied aber zwischen dem seit der Nacht verlassenen Gebiete des schlimmen Landes und der Landschaft, die sich jetzt unten auf der Erde entrollte!

Nachdem der Aeronef tausend Kilometer von Omaha aus zurückgelegt, befand er sich über einer Gegend, welche Phil Evans aus dem Grunde nicht zu erkennen vermochte, weil er sie vorher noch niemals besucht hatte. Einige Forts, mit dem Zwecke, die Indianer im Schach zu halten, bekrönten die Bluffs mit ihren geometrischen Linien, welche mehr aus Palissaden, als aus Mauerwerk bestanden; Dörfer gab es nur wenige und ebenso wenig Bewohner in diesem von dem goldführenden, einige Grade südlicher liegenden Gebiete Colorados so auffallend verschiedenen Landstriche.

In der Ferne erhob sich, vorläufig nur in verschwindenden Umrissen, eine Reihe von Bergkämmen, welche die aufsteigende Sonne mit feurig leuchtendem Kranze schmückte.

Das waren die Felsengebirge.

Zum ersten Male an diesem Morgen beobachteten Onkel Prudent und Phil Evans eine empfindliche Kälte. Die Erniedrigung der Temperatur war aber nicht etwa einem Witterungsumschlage zuzuschreiben, denn die Sonne leuchtete fortwährend in hellem Glanze.

»Das wird von der Erhebung des »Albatros« in der Atmosphäre herkommen,« meinte Phil Evans.

In der That war der an der äußeren Seite der Thür des mittleren Ruffs angebrachte Barometer bis auf fünfhundertvierzig Millimeter gesunken – was einer Erhebung von etwa dreitausend Metern entspricht. Der Aeronef hielt sich also in einer bedeutenden, übrigens durch die gebirgige Bodenbeschaffenheit bedingten Höhe.

Eine Stunde vorher hatte er sogar eine Höhe von viertausend Metern übersteigen müssen, denn hinter ihm erhoben sich viele, mit ewigem Schnee bedeckte Berghäupter.

Weder Onkel Prudent noch sein Gefährte konnten sich erinnern, welches Land das wohl wäre. Im Laufe der Nacht hatte der »Albatros« ja einen anderen Weg nach Norden oder Süden einhalten können, und bei seiner übermäßigen Schnelligkeit genügte das, sie schon sehr weit zu verschlagen.

Nachdem sie verschiedene mehr oder weniger annehmbare Hypothesen besprochen, einigten sie sich darüber, daß das vorliegende, von einem kreisförmigen Bergwall umrahmte Gebiet dasselbe sein werde, welches durch Congreßacte vom März 1872 zum Nationalpark der Vereinigten Staaten erklärt worden war.

Sie hatten hiermit Recht, und jenes Gebiet verdient vollständig den Namen eines Parks, aber eines solchen mit Bergen statt der Hügel, mit Seen statt der Teiche, mit Strömen statt der Bäche, mit tiefen Wäldern statt künstlich angelegter Labyrinthe, und als Springbrunnen schmückten denselben wirkliche Geyser von erstaunlicher Mächtigkeit.

Nach wenig Minuten glitt der »Albatros«, den Stevensonberg rechts liegen lassend, über den Yellowstone-Fluß hin und gelangte nach dem großen See, der den Namen jenes Flusses trägt. Welch‘ reiche Abwechslung im Zuge der Ufer dieses Wasserbeckens, deren flachere, mit Obsidianen und kleinen Krystallen besäete Ränder die Sonnenstrahlen in unzähligen Facetten widerspiegelten! Wie launenhaft liegen die Inseln über seine Oberfläche zerstreut! Wie wunderbar blau wirft dieser Riesenspiegel die Farbe des Himmels zurück! Und rings um diesen See – übrigens einer der höchstgelegenen der ganzen Erde – schwammen und flatterten ganze Wolken verschiedener Vögel, wie Pelikane, Schwäne, Möven, Gänse, Rothgänse und Tauchervögel. Einige der Strecken des steiler abfallenden Uferlandes trugen ein immergrünes Gewand von Fichten- und Lärchenbäumen, während am Fuße seiner Böschungen unzählige weiße Dampfquellen emporwirbelten. Dieser Dampf entsteigt dem Erdboden wie aus einem ungeheuren Kessel, in dem das Wasser durch das Feuer des Erdinneren in fortwährendem Sieden erhalten wird.

Für den Koch wäre jetzt oder niemals eine günstige Gelegenheit gewesen, sich mit reichlichem Vorrathe von Forellen zu versorgen, welche Fischart die einzige ist, die der Yellow-See, aber auch zu Myriaden, ernährt. Der »Albatros« hielt sich jedoch stets in einer solchen Höhe, daß ein Fischzug, der unzweifelhaft von einträglichem Erfolge gewesen wäre, sich nicht hätte ausführen lassen.

Uebrigens wurde der See schon binnen dreiviertel Stunden und wenig später das Gebiet der Geyser, die mit den schönsten in Island wetteifern, überschritten. Ueber das Verdeck hinaus gebeugt, beobachteten Onkel Prudent und Phil Evans die flüssigen Säulen, die hoch aufstiegen, als sollten sie dem Aeronef noch ein neues Kraftelement zuführen. Es waren das »der Fächer«, dessen Dämpfe sich kreisförmig ausbreiten; »das befestigte Schloß«, das sich gleichsam durch Trombenschüsse zu vertheidigen scheint; »der alte Treue« mit seiner von Regenbogen begrenzten Flüssigkeitssäule, und »der Riese«, durch den der innere Druck einen lothrechten Strom von fünfundzwanzig Fuß Umfang auf mehr als zweihundert Fuß Höhe emporschleudert.

Robur schien die Wunder dieses unvergleichlichen Schauspiels, das gewiß in der Welt einzig dasteht, schon zur Genüge zu kennen, denn er erschien nicht auf dem Verdeck.

Sollte er den Aeronef nur zum Vergnügen seiner Gäste über dieses National-Eigenthum hingeführt haben? Wenn diese Voraussetzung auch vielleicht zutraf, so entzog er sich doch ihren Dankesbezeugungen. Er ließ sich nicht einmal durch die kühne Fahrt quer durch die Felsengebirge, welche der »Albatros« gegen sieben Uhr Morgens erreichte, aus seiner Ruhe stören.

Es ist bekannt, daß dieses orographische System sich gleich einem gewaltigen Rückgrat von den Lenden Nordamerikas bis zu dessen Halse hin ausdehnt, indem es eine Fortsetzung der mexikanischen Anden bildet. Das Ganze erreicht eine Länge von dreitausendfünfhundert Kilometern und hat seinen höchsten Punkt im Pic-James, der bis fast zwölftausend Fuß hoch aufragt.

Gewiß hätte der »Albatros« durch Vermehrung seiner Flügelschläge, gleich einem im Aether dahineilenden Vogel, auch die höchsten Gipfel dieser Ketten überfliegen können, um dann wie mit Riesenschwingen nach Oregon und Utah hinabzusteigen. Dieses Manöver war aber nicht einmal nothwendig, da es hier Pässe giebt, um durch die Bergkette zu gelangen, ohne deren Kamm zu übersteigen. Man findet verschiedene solcher »Cañons«, eine Art mehr oder weniger enger Schluchten, durch welche man nur schwer gelangen kann – die einen, wie der Bridger-Paß, dem auch die Pacific-Bahn folgt, um in das Mormonengebiet einzudringen, die anderen etwas weiter im Norden oder im Süden.

In einen dieser Cañons lenkte der »Albatros« ein, nachdem er seine Geschwindigkeit vermindert hatte, um jedenfalls ein Anstoßen an die Wände der Schlucht zu vermeiden. Der Steuermann, dessen ungemein sichere Hand die vorzügliche Wirksamkeit des Steuerruders in besonders helles Licht setzte, lenkte denselben, wie er es mit einem Boote ersten Ranges beim Wettfahren des Royal Thames Club gethan hätte. Es war in der That bewunderungswürdig anzusehen. Und trotz des Widerwillens, den die beiden Feinde des »Schwerer, als die Luft« noch immer empfanden, mußten sie doch entzückt sein über die Vollkommenheit dieser sich durch den Luftraum bewegenden Maschine.

Binnen weniger als zweiundeinerhalben Stunde wurde die gewaltige Bergkette durchfahren und der »Albatros« nahm seine gewöhnliche Geschwindigkeit von hundert Kilometer (in der Stunde) wieder an. Er steuerte jetzt auf’s Neue dem Südwesten zu, um nicht gar zu hoch über dem Erdboden das Gebiet von Utah schräg zu durchschneiden. Dabei war er bis auf wenige hundert Meter gesunken, als die Töne einer Pfeife die Aufmerksamkeit des Onkel Prudent und Phil Evans‘ erregten.

Diese kamen von einem Zuge der Pacific-Bahn her, welcher der Stadt am großen Salzsee zudampfte.

In diesem Augenblick senkte sich auf geheimen Befehl der »Albatros« noch weiter, um dem mit voller Dampfkraft dahinfahrenden Zuge zu folgen. Er wurde sofort bemerkt. Einige Köpfe erschienen an den Thüren der Waggons. Dann drängten sich bald zahlreiche Passagiere auf den kleinen Laufbrücken, welche die amerikanischen »Cars« mit einander verbinden. Einzelne wagten es sogar, die Doppelwagen des Trains zu erklettern, um die Flugmaschine besser sehen zu können. Laute Hipps und Hurrahs dröhnten durch die Luft, hatten aber nicht den Erfolg, Robur erscheinen zu lassen.

Das Spiel seiner Schrauben weiter verlangsamend, stieg der »Albatros« noch immer tiefer hinunter und verminderte auch seine horizontale Schnelligkeit, um den Bahnzug, den er bequem hätte überholen können, nicht hinter sich zu lassen. So flog er über diesen hin, wie ein ungeheurer Käfer, während er doch hätte einem riesenhaften Raubvogel gleichen können. Jetzt schwenkte er wie spielend nach rechts und nach links ab, schoß einmal vorwärts und kehrte auf demselben Wege wieder zurück, auch hatte er stolz die schwarze Flagge mit der goldenen Sonne gehißt, worauf der Zugführer als Antwort das Banner mit den siebenunddreißig Sternen der amerikanischen Union schwenkte.

Vergeblich versuchten die beiden Gefangenen, die sich jetzt darbietende Gelegenheit zu benützen, um Kunde davon zu geben, was aus ihnen geworden wäre. Vergebens rief der Vorsitzende des Weldon-Instituts mit Stentorstimme:

»Ich bin Onkel Prudent aus Philadelphia!«

Und der Schriftführer:

»Ich bin Phil Evans, sein College!«

Ihre Rufe verhallten in den tausend Hurrahs, mit denen die Passagiere des Zugs die merkwürdige Erscheinung des Luftschiffes begrüßten.

Inzwischen waren drei bis vier Mann vom Aeronef auf dem Verdeck desselben erschienen und Einer von ihnen ließ – wie es Seeleute zu thun pflegen, wenn sie ein langsamer fahrendes Schiff überholen – nach dem Zuge ein Stück Tau hinab – ein ironisches Angebot, ihn in’s Schlepptau zu nehmen.

Dann nahm der »Albatros« sofort seinen gewöhnlichen Gang wieder an und nach einer halben Stunde hatte er jenen Expreßzug, dessen letzte Dampfwölkchen bald aus dem Gesichtskreise verschwanden, schon weit hinter sich gelassen.

Gegen ein Uhr Mittags wurde eine sehr große Scheibe sichtbar, welche die Sonnenstrahlen gleich einem ungeheuren Reflector zurückwarf.

»Das muß die Hauptstadt der Mormonen, Salt-Lake-City, sein!« sagte Onkel Prudent.

In der That war es die große Salzsee-Stadt und jene convexe Scheibe war das Dach des Tabernakels, das bequem zehntausend Heilige aufnehmen kann. Wie ein erhabener Spiegel zerstreute derselbe die Strahlen der Sonne nach allen Richtungen hin.

Hier dehnte sich die große Stadt aus am Fuße der Wasatsh-Berge, welche bis zur halben Höhe mit Cedern und Fichten bedeckt sind, und am Ufer jenes Jordan, der die Gewässer von Utah in den großen Salzsee ergießt. Unter dem Aeronef breitete sich das Damenbrett aus, welches die meisten amerikanischen Städte bilden – hier ein Damenbrett mit »mehr Damen als Feldern«, da die Polygamie bei den Mormonen in so hoher Blüthe steht. Die Landschaft im Umkreise zeigte sich jedoch gut bestellt und cultivirt, auch reich an Spinnfaserpflanzen, während sich Schafheerden von mehr als tausend Köpfen vielfach umhertummelten.

Aber das Ganze verblaßte wie ein Schatten, und der »Albatros« flog jetzt nach Südwest mit gesteigerter Geschwindigkeit, welche ziemlich fühlbar wurde, weil sie die des Windes übertraf.

Bald darauf schwebte der Aeronef über dem Staate Nevada und seinen silberführenden Gebieten, die nur die Sierra von den goldführenden Ländereien Kaliforniens trennt.

»Wir können auf jeden Fall erwarten, San Francisco noch vor dem Abend zu sehen, sagte Phil Evans.

– Und dann? …« antwortete Onkel Prudent.

Es war jetzt um sechs Uhr Nachmittags, als die Sierra Nevada durch denselben Einschnitt von Truckie überschritten wurde, der auch der Bahn als Bergpaß dient. Von hier aus hatte man nur noch dreihundert Kilometer zurückzulegen, um, wenn nicht San Francisco, so doch mindestens Sacramento, die Hauptstadt von Californien, zu erreichen.

Die dem »Albatros« jetzt verliehene Geschwindigkeit war eine so große, daß noch vor acht Uhr die Kuppel des Capitols am westlichen Horizonte auftauchte, nur um bald wieder am entgegengesetzten zu verschwinden.

Eben jetzt zeigte sich Robur auf dem Verdeck. Die beiden Collegen gingen auf ihn zu.

»Ingenieur Robur, begann Onkel Prudent, wir befinden uns nun an den Grenzen Amerikas. Wir meinen, dieser Scherz könnte nun sein Ende finden.

– Ich scherze nie,« antwortete Robur.

Er gab ein Zeichen; der »Albatros« senkte sich schnell abwärts, doch gleichzeitig nahm er eine solche Schnelligkeit an, daß sich Alle in die Ruffs flüchten mußten.

Kaum hatte sich die Thür der Cabine hinter den beiden Collegen geschlossen, als Onkel Prudent rief:

»Nur noch etwas mehr und ich erwürge ihn!

– Wir müssen versuchen, zu entfliehen, rieth Phil Evans.

– Ja … es koste, was es wolle!«

Da klang ein langes Gemurmel bis zu ihnen herein.

Das war das Grollen des Meeres, das gegen die Küstenfelsen brandete. Es war der Pacifische Ocean.

IX.

IX.

In dem der »Albatros« fast zehntausend Kilometer zurücklegt und das mit einem merkwürdigen Sprunge endigt.

Onkel Prudent und Phil Evans waren fest entschlossen, zu fliehen. Hätten sie es nur zu dreien mit den acht, allerdings sehr kräftigen Männern zu thun gehabt, welche die Besatzung des Aeronefs bildeten, so würden sie den Kampf vielleicht gewagt haben. Ein kühner Handstreich hätte sie zu Herren an Bord gemacht und ihnen die Möglichkeit gegeben, an einem beliebigen Punkte der Vereinigten Staaten niederzugehen. Zu Zweien aber – denn Frycollin konnte ja nur als verschwindende Größe gezählt werden – war daran nicht wohl zu denken; da jede Gewaltanwendung also ausgeschlossen blieb, mußten sie, sobald der »Albatros« einmal zur Erde hinabging, zur List ihre Zuflucht nehmen. Das bemühte sich auch Phil Evans seinem wuthschnaubenden Collegen beizubringen, da er von diesem immer noch eine gewaltthätige Uebereilung fürchtete, welche ihre Lage nur verschlimmern konnte.

Jedenfalls war jetzt kein günstiger Augenblick. Der Aeronef glitt in schnellster Gangart eben über den Nordpacifischen Ocean hin. Schon am nächsten Morgen, dem des 16. Juni, sah man nichts von der Küste, und da diese von der Vancouver-Insel bis zur Gruppe der Alëuten – das ist der früheren russischen Besitzung in Amerika, welche 1867 an die Vereinigten Staaten abgetreten wurde – in einem großen Bogen verläuft, so hatte es den Anschein, als ob der »Albatros« letztere an dem vorspringendsten Bogentheile kreuzen sollte, wenigstens wenn die jetzt eingehaltene Fahrtrichtung nicht verändert wurde.

Wie lang erschienen die Nächte jetzt den beiden Collegen! Sie beeilten sich auch jeden Morgen, ihre Cabine zu verlassen. Als sie heute nach dem Deck kamen, war der Horizont im Osten schon vollständig hell. Man näherte sich ja der Sommersonnenwende, dem längsten Tage auf der nördlichen Halbkugel, an dem es unter dem 60. Breitengrade eigentlich kaum Nacht wird.

Der Ingenieur Robur dagegen schien – ob aus Gewohnheit oder mit Absicht – keine besondere Eile zu haben, seinen Ruff zu verlassen; und als das heute endlich geschah, begnügte er sich, seine beiden Gäste zu begrüßen, als er auf dem Hintertheile des Aeronef ihren Weg kreuzte.

Inzwischen hatte sich auch Frycollin mit vor Schlaflosigkeit gerötheten Augen, glanzlosem Blicke und schlotternden Beinen aus seiner Cabine gewagt. Er ging dahin wie Einer, dessen Fuß es empfindet, daß dem Boden darunter nicht recht zu trauen ist. Sein erster Blick richtete sich nach der Auftriebsmaschinerie, die, ohne sich zu beeilen, mit beruhigender Regelmäßigkeit arbeitete.

Danach begab sich der immerfort schwankende Neger nach der Reeling und ergriff diese mit beiden Händen, um sich, mehr Gleichgewicht zu sichern. Offenbar wünschte er einen Ueberblick über das Land zu gewinnen, das der »Albatros« jetzt in der Höhe von höchstens zweihundert Metern überflog.

Frycollin hatte sich tüchtig zusammennehmen müssen, um einen solchen Versuch zu wagen. Es bedurfte ja, seiner Meinung nach, einer gewissen Kühnheit, seine werthe Person einer solchen Gefahr auszusetzen.

Vor der Reeling stehend, hielt Frycollin erst den Körper nach rückwärts geneigt, dann schüttelte er an derselben, um ihre Haltbarkeit zu prüfen; nachher richtete er sich auf, beugte sich etwas nach vorwärts und steckte endlich den Kopf ein wenig hinaus. Wir brauchen wohl nicht zu bemerken, daß er während der Dauer dieses Experimentes beide Augen fest geschlossen hielt. Endlich öffnete er dieselben.

Hei, wie schrie er da laut, wie flog er eiligst zurück und wie verkroch sich sein Kopf zwischen den Schultern!

Unter dem Abgrunde hatte er den ungeheuren Ocean erblickt. Wären seine Haare nicht gar zu kraus gewesen, sie hätten sich gewiß über der Stirn gesträubt.

»Das Meer! Das Meer! …« schrie er auf.

Frycollin wäre lang auf das Verdeck hingestürzt, wenn der Koch nicht die Arme ausgebreitet hätte, ihn aufzufangen.

Dieser Koch war ein Franzose, vielleicht ein Gascogner, obwohl er sich François Tapage nannte [Fußnote]. Wenn er nicht Gascogner war, so mußte er während seiner Kindheit die sanften Winde der Garonne eingeatmet haben. Wie dieser François Tapage aber in die Dienste des Ingenieurs gekommen, durch welche Reihe von Zufälligkeiten er unter die Mannschaft des »Albatros« gerathen war, das wußte kein Mensch. Jedenfalls sprach dieser Schlaukopf englisch wie ein Yankee.

»Heda, aufrecht, zum Teufel, herauf! rief er, den Neger mit kräftigem Handgriffe aufrichtend.

– Master Tapage! … antwortete der arme Teufel, einen verzweiflungsvollen Blick nach den Schrauben werfend.

– Was willst Du denn, Frycollin?

– Geht das manchmal entzwei?

– Manchmal nicht, aber es wird einmal entzwei gehen.

– Warum? … Warum denn? …

– Weil zuletzt Alles einmal zum Kuckuk geht, wie man bei mir zu Hause sagt.

– Ja, aber da ist ja das Meer darunter? …

– Im Fall eines Sturzes ist das viel besser.

– Doch da muß man ertrinken!

– Man ertrinkt freilich, aber man behält seine Knochen«, erwiderte François Tapage zuversichtlich.

Wie eine Schlange dahinkriechend, war Frycollin gleich darauf tief hinein in seine Cabine geschlichen.

Im Laufe des 16. Juni hielt der Aeronef nur eine mittlere Geschwindigkeit ein. Er schien an der Oberfläche dieses so ruhigen Meeres, das im vollen Sonnenschein glänzte, fast hinzustreichen, da er sich kaum hundert Fuß über demselben hielt. Heute nun waren Onkel Prudent und sein Gefährte in ihrer Cabine zurückgeblieben, um Robur nicht zu begegnen, der rauchend, bald allein, bald mit seinem Obersteuermann Tom Turner, auf dem Deck umherging. Nur die halbe Anzahl Schrauben war in Thätigkeit, doch das genügte schon, den Apparat in den niedrigeren Zonen der Atmosphäre zu erhalten.

Unter diesen Verhältnissen hätte die Mannschaft außer dem Vergnügen eines Fischzugs sich noch die Befriedigung bereiten können, in ihren gewohnten Speisezettel eine Abwechslung zu bringen, wenn das Wasser des Stillen Oceans fischreich genug wäre. Auf dessen Oberfläche zeigten sich aber nur einzelne Walfische, von der Art mit gelbem Bauche, welche gegen fünfundzwanzig Meter in der Länge mißt. Gerade diese kennt man als die furchtbarsten Cetaceer der nördlichen Meere. Die Fischer von Beruf hüten sich weislich, dieselben anzugreifen, so gefährlich können die Thiere werden.

Immerhin konnte man wohl die Harpunirung eines jener Walfische entweder mit der Flechter’schen Rakete oder mit der Wurfbombe versuchen, und von beiden hatte man eine Auswahl an Bord.

Wozu aber diese unnütze Schlächterei? Wahrscheinlich wollte Robur nur den beiden Mitgliedern des Weldon-Instituts zeigen, wozu er seinen Aeronef Alles verwenden könne, und deshalb sollte auf einen der gewaltigen Cetaceer Jagd gemacht werden.

Auf den Ruf: »Walfische! Walfische!« eilten Onkel Prudent und Phil Evans aus ihren Cabinen. Vielleicht war ein Schiff, ein sogenannter Walfischfahrer, in Sicht. In diesem Falle wären Beide, um ihrem Gefängnisse zu entfliehen, entschlossen gewesen, sich in’s Meer zu stürzen, auf die schwache Hoffnung hin, von einem Fahrzeug aufgenommen zu werden.

Schon stand die ganze Mannschaft des »Albatros« geordnet und jedes Befehls gewärtig auf dem Verdeck und wartete.

»Wir wollen’s also versuchen, Master Robur? fragte der Obersteuermann Tom Turner.

– Ja, Tom,« antwortete der Ingenieur.

In den Ruffs für die Maschinerie standen der Mechaniker und seine Gehilfen auf Posten, um jedes Manöver auszuführen, das ihnen durch Zeichen anbefohlen wurde. Der »Albatros« senkte sich sofort nach dem Meere zu und hielt etwa fünfzig Fuß darüber an.

Wie die beiden Collegen sich überzeugen konnten, war hier kein Schiff in Sicht, so wenig wie eine Küste, welche sie hätten schwimmend erreichen können, vorausgesetzt, daß Robur sie nicht wieder ergreifen ließ.

Mehrere Dunst- und Wasserstrahlen, welche sie durch die Nasenlöcher austrieben, verkündeten die Anwesenheit von Walfischen, welche, um zu athmen, einmal auf die Oberfläche kamen.

Tom Turner hatte sich, unterstützt von einem seiner Kameraden, am Vordertheil aufgestellt. Ihm nahe zur Hand lag eine jener Wurfbomben californischen Fabrikats, welche mit einer Art Büchse abgeschossen werden. Jene besteht aus einem Metallcylinder, der mit einer ebenso geformten Bombe endigt, welche in eine Stange mit widerhakigen Spitzen ausläuft. Von dem Vordercastell aus, das er eben bestieg, gab Robur mit der rechten Hand dem Mechaniker und mit der linken Hand dem Steuermann die nöthigen Zeichen, wie sie manövriren sollten; so beherrschte er den Aeronef sowohl in wagrechter, wie in senkrechter Richtung.

»Ein Walfisch! … Ein Walfisch!« rief Tom Turner noch einmal.

Eben tauchte wirklich der Rücken eines solchen Cetaceers etwa vier Kabellängen vor dem »Albatros« auf.

Der Aeronef stürzte gleichsam auf ihn zu und hielt, als er sich kaum noch sechzig Fuß über dem Thiere befand, schnell an.

Tom Turner hatte seine, in einer an der Reeling befestigten Gabel liegende Büchse angeschlagen. Der Schuß krachte und das Geschoß, das eine lange, mit ihrem Ende am Verdeck angebundene Leine mit sich riß, schlug in den Körper des Walfisches ein. Die mit leicht entzündlichen Stoffen gefüllte Bombe explodirte und schleuderte dabei eine Art kleinere, zweiarmige Harpune, die sich in das Fleisch des Thieres einkrallte.

»Achtung!« rief Tom Turner. Trotz ihrer herzlich schlechten Laune betrachteten Onkel Prudent und Phil Evans dieses Schauspiel doch mit aufrichtigem Interesse.

Der schwer verwundete Walfisch hatte das Meer mit dem Schwanze so furchtbar gepeitscht, daß das Wasser bis zum Vordertheil des Aeronefs hinaufspritzte; dann tauchte derselbe bis zu großer Tiefe hinab, während man die Leine schnell nachgleiten ließ; letztere war übrigens in einem mit Wasser gefüllten Fasse zusammengelegt, um durch die Reibung nicht Feuer zu fangen. Als der Walfisch wieder an die Oberfläche kam, suchte er so schnell als möglich in der Richtung nach Norden zu entfliehen.

Der Leser kann sich leicht vorstellen, mit welch‘ rasender Schnelligkeit der »Albatros« dabei geschleppt wurde, denn die Triebschrauben waren vorher angehalten worden. Man überließ das Thier ganz sich selbst und hielt sich nur auf gleicher Höhe mit ihm. Tom Turner stand bereit, die Leine zu kappen, wenn ein erneutes Tauchen dieses Schleppen gefährlich machte.

So wurde der »Albatros« etwa eine halbe Stunde lang und vielleicht eine Entfernung von sechs Meilen weit hingezerrt; dann merkte man aber, daß der Cetaceer zu erlahmen anfing.

Jetzt ließen die Hilfsmaschinisten das Triebwerk nach rückwärts arbeiten und die Triebschrauben setzten dem Walfisch, der sich dem Bord mehr und mehr näherte einen gewissen Widerstand entgegen.

Bald schwebte der Aeronef nur noch fünfundzwanzig Fuß über demselben; noch immer peitschte sein Schweif das Wasser mit fast unglaublicher Gewalt, und wenn er sich vom Bauch auf den Rücken drehte, wühlte das Thier eine wirkliche Brandung auf.

Plötzlich richtete es sich, so zu sagen, gerade in die Höhe und tauchte mit solcher Schnelligkeit unter, daß Tom Turner kaum Zeit hatte, ihm die Leine gehörig nachschießen zu lassen.

Mit einem Male wurde der Aeronef bis zur Wasserfläche herabgezerrt; an der Stelle, wo das Thier verschwunden war, hatte sich ein vollständiger Wirbel gebildet, und über die Reeling hinein schlug das Wasser, wie es über den Bug eines Schiffes geht, gegen Wind und Wellen läuft.

Glücklicher Weise trennte Tom Turner noch rechtzeitig mit einem Axthiebe die Leine, und der nun befreite »Albatros« stieg unter dem Drucke seiner Auftriebschrauben zweihundert Meter empor.

Auch während dieses aufregenden Zwischenfalls hatte Robur den Apparat geleitet, ohne daß ihn seine Kaltblütigkeit nur einen Augenblick verlassen hätte.

Einige Minuten später kam der Walfisch wieder an die Oberfläche – diesmal aber todt.

Von allen Seiten flatterten die Seevögel herzu, um sich des Cadavers zu bemächtigen, und stießen Schreie aus, welche einen sich zankenden Congreß taub gemacht hätten.

Der »Albatros«, der mit der todten Beute doch nichts beginnen konnte, setzte seinen Weg nach Westen fort.

Am folgenden Tage, am 17. Juni, Morgens um 6 Uhr, erstreckte sich am Horizonte Land hin. Es war die Halbinsel Alaska und die lange Klippenreihe der Alëuten.

Der »Albatros« zog über dieser Barrière hin, an der es von Pelzseehunden wimmelte, welche die Alëutier für Rechnung der russisch-amerikanischen Gesellschaft jagen. Der Fang dieser sechs bis sieben Fuß langen, fast rosenrothen und zwei-, drei- bis fünfhundert Pfund wiegenden Amphibien ist für sie ein sehr gutes Geschäft. Dieselben lagen hier in endloser Reihe wie in Schlachtordnung und in Abertausenden von Exemplaren.

Wenn sie sich durch das Vorüberkommen des »Albatros« nicht in ihrer phlegmatischen Ruhe stören ließen, so war das nicht der Fall mit den Tauchervögeln, Polarenten und Eistauchern, deren heiseres Geschrei die Luft erfüllte und welche unter dem Wasser verschwanden, als ob ein entsetzliches Luftungeheuer sie bedrohte.

Die zweitausend Kilometer des Bering-Meeres von den ersten Alëuten bis zur äußersten Spitze von Kamtschatka wurden während der vierundzwanzig Stunden dieses Tages und der folgenden Nacht zurückgelegt. Um ihren Fluchtplan in’s Werk zu setzen, befanden sich Onkel Prudent und Phil Evans nicht gerade in günstigen Verhältnissen, denn weder an dem öden Strande des nördlichsten Asiens, noch über dem Ochotskischen Meere hätten sie mit auch nur einiger Aussicht auf glücklichen Erfolg entweichen können.

Allem Anscheine nach wandte sich der »Albatros« nach der Gegend von Japan oder China zu. Wenn es auch nicht sehr weise sein mochte, sich auf die Unterstützung von Chinesen oder Japanesen zu verlassen, waren die beiden Collegen doch fest entschlossen, zu fliehen, wenn der Aeronef an irgend einem Punkte dieser Länder anhalten sollte.

Doch würde er denn Halt machen? Es lag ja bei ihm nicht so, wie bei einem Vogel, der durch langen Flug endlich ermüdet, oder wie bei einem Ballon, der wegen Gasmangel genöthigt wird, einmal niederzugehen. Der Aeronef besaß noch für mehrere Wochen aushaltende Vorräte aller Art, und seine Organe von wunderbarer Solidität straften jede Erwartung auf Schwäche oder Trägheit Lügen.

Nach scharfer Fahrt über die Halbinsel Kamtschatka, von der man kaum die Niederlassung von Petropaulowsk und den Vulcan von Klutschew sah, und nach der weiteren, über das Ochotskische Meer, nahezu in der Höhe der Kurilen, welche darin einen von Hunderten von Canälen unterbrochenen Damm bilden, erreichte der »Albatros« am 19. Juni die La Pérouse-Straße zwischen der Nordspitze von Japan und der Insel Sachalien an dem kleinen Einschnitt, in welchen sich der große sibirische Strom, der Amur, ergießt.

Nachher erhob sich ein dichter Nebel, den der Aeronef unter sich lassen wollte, wenn er auch nicht gezwungen war, denselben zu meiden, um weiter zu fahren, denn in der von ihm jetzt eingenommenen Höhe hatte er kein Hinderniß zu fürchten, weder höhere Bauwerke, an welche er hätte anstoßen können, noch Berge, an welchen er sich im Fluge zu zertrümmern Gefahr gelaufen wäre. Das Land war kaum wellenförmiger Natur. Die Dünste machten sich aber doch zu unangenehm fühlbar, da sie Alles an Bord durchnäßten.

Es bedurfte ja nichts weiter, als sich über diese Nebelschicht, welche drei- bis vierhundert Meter stark sein mochte, zu erheben. Die Schrauben wurden also in schnelle Umdrehung versetzt, und oberhalb des Nebels fand der »Albatros« wieder den reinen, vom Sonnenlicht gebadeten Himmel.

Unter diesen Verhältnissen hätten Onkel Prudent und Phil Evans Mühe gehabt, ihren Fluchtversuch auszuführen, selbst wenn sie den Aeronef hätten verlassen können.

An diesem Tage blieb Robur, als er einmal an ihnen vorüberkam, wie zufällig stehen und sagte, ohne äußerlich seinen Worten besondere Bedeutung beizulegen:

»Meine Herren, ein Segel- oder Dampfschiff, das in einen Nebel gerieth, dem es nicht entrinnen kann, ist immer sehr genirt, es fährt nur unter fortwährendem Pfeifen oder unter den Tönen des Nebelhorns weiter. Es muß seine Fortbewegung verlangsamen und hat trotz aller Vorsicht jeden Augenblick eine Collision zu befürchten. Der »Albatros« kennt solche Sorgen nicht. Was kümmern ihn die Nebel, da er sich ihnen entziehen kann? Ihm gehört das Luftmeer, die ganze weite Atmosphäre!«

Nach diesen Worten ging Robur ruhig weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, die er auch gar nicht verlangte, und die blauen Wölkchen seiner Pfeife zerflossen im Azur.

»Onkel Prudent, begann da Phil Evans, es scheint, als ob dieser merkwürdige »Albatros« ganz und gar nichts zu fürchten habe.

– Das werden wir noch sehen!« antwortete der Vorsitzende des Weldon-Instituts.

Der Nebel hielt drei Tage lang, den 19., 20. und 21. Juni, mit beklagenswerther Zähigkeit an. Man hatte hoch steigen müssen, um die japanesischen Gebirge von Fuji-Yama zu vermeiden. Als dieser Nebelvorhang aber zerrissen war, gewahrte man eine ungeheure Stadt mit Palästen, Villen, Thürmchen, Gärten und Parks. Selbst ohne dieselben zu sehen, hätte Robur sie schon erkannt an dem Gebell der Tausende von Hunden, an dem Schreien der Raubvögel und vor Allem an dem Leichengeruch, den die Körper von Hingerichteten in weitem Umkreise verbreiteten.

Die beiden Collegen befanden sich auf dem Deck, als der Ingenieur eben das Besteck machte, für den Fall, daß er seine Fahrt wieder im Nebel fortzusetzen gezwungen wäre.

»Meine Herren, begann er, ich habe keinen Grund, Ihnen zu verheimlichen, daß diese Stadt Yeddo, die Hauptstadt von Japan ist.«

Onkel Prudent antwortete nicht. In Gegenwart des Ingenieurs keuchte er nur, als wenn es seinen Lungen an Luft fehlte.

»Dieser Anblick Yeddos ist wirklich recht merkwürdig.

– So merkwürdig er auch sein mag … versetzte Phil Evans.

– So bleibt er doch hinter dem von Peking zurück, unterbrach ihn der Ingenieur. Das ist meine Meinung auch, – und Sie werden binnen Kurzem selbst darüber urtheilen können.«

Unmöglich hätte der Mann liebenswürdiger sein können.

Der »Albatros«, der bisher auf Südost zuhielt, veränderte jetzt seine Richtung um vier Compaßstriche, um im Osten eine neue Route aufzusuchen.

Während der Nacht zerstreute sich der Nebel, dagegen erschienen Anzeichen eines nicht weit entfernten Taifuns, denn der Barometer fiel sehr rasch, alle Dunstmassen verschwanden, am fast kupferfarbenen Grunde des Himmels ballten sich große elliptische Wolken zusammen und am entgegensetzten Horizont glühten lange, carminrothe Streifen, die sich vom schieferblauen Hintergrunde abhoben, im Norden aber war ein Theil des Himmels völlig klar. Das Meer lag zwar still; sein Wasser nahm jedoch mit Sonnenuntergang eine dunkle Scharlachfarbe an.

Zum Glück entfesselte sich dieser Taifun mehr im Süden und hatte hier keine weiteren Folgen, als daß er die seit drei Tagen angehäuften Nebelmassen zertheilte.

Binnen einer Stunde hatte man die zweihundert Kilometer der Meerenge von Korea und nachher die vorspringendste Spitze dieser Halbinsel überschritten; während der Taifun an den Südostküsten von China wüthete, wiegte sich der »Albatros« über dem Gelben Meere, und während des 22. und 23. über dem Golf von Petscheli; am 24. glitt er das Thal des Pei-Ho hinauf und gelangte endlich über die Hauptstadt des Himmlischen Reiches.

Ueber die Reling hinausgebeugt, konnten die beiden Collegen – wie es der Ingenieur vorausgesagt – sehr deutlich die ungeheure Stadt sehen, die Mauer, welche sie in zwei ungleiche Hälften, die Mandschu- und die Chinesenstadt, theilt, ebenso wie die zwölf sie umgebenden Vorstädte, die breiten, nach dem Mittelpunkte zu verlaufenden Alleestraßen, die Tempel, deren gelbe oder grüne Dächer in der aufgehenden Sonne erglänzten, die Parks, welche sich um die Paläste der Mandarinen ausdehnen; ferner, inmitten der Mandschustadt, die sechshundertachtundsechzig Hektar große Gelbe Stadt mit ihren Pagoden, ihren kaiserlichen Gärten, künstlichen Seen, dem die ganze Stadt überragenden Kohlenberge, und endlich unterschieden sie in der Mitte der Gelben Stadt, gleich einer jener wunderbaren chinesischen in einander geschachtelten Arbeiten, die Rothe Stadt, d. i. den eigentlichen Kaiserpalast, mit allen Phantasien seiner fast unglaublichen Architektur.

Eben jetzt ertönte die Luft unter dem »Albatros« von einer seltsamen Harmonie; man hätte ein Concert von Aeolsharfen zu hören vermeint. In der Luft schwankten nämlich gegen hundert verschieden geformte Drachen aus Palmen- oder Pandanuspapier umher, deren oberen Theil eine Art leichten hölzernen Bogens bildete, welcher durch ein ganz dünnes Bambusstäbchen gespannt erhalten wurde. Unter dem schwachen Windhauche erzeugten alle diese saitenartigen, verschiedene, denen einer Harmonika ähnliche Töne gebenden Stäbchen ein leises Gesumme von höchst melancholischer Wirkung. Es machte den Eindruck, als ob man hier in der Höhe – musikalischen Sauerstoff einathme.

Da fiel es Robur ein, sich diesem Luftorchester zu nähern, und langsam tauchte der »Albatros« in die tönenden Wellen herab, welche die Drachen nach der Atmosphäre entsandten.

Plötzlich entstand in der fast zahllosen Bevölkerung tief unten eine außerordentliche Aufregung. Tamtamschläge und andere entsetzliche Instrumente des chinesischen Orchesters erschallten, Flintenschüsse krachten und hundertfach hämmerten die Leute auf großen Mörsern herum, Alles in der Absicht, den Aeronef zu verjagen. Wenn die Sternkundigen des chinesischen Reiches an diesem Tage vielleicht erkannten, daß diese Flugmaschine die veranlassende Ursache zu so vielen Streitigkeiten der ganzen gelehrten Welt gewesen sein möchte, so hielten die Millionen Chinesen vom niedrigsten Manne bis zum vielknöpfigen Mandarin sie jedenfalls für ein apokalyptisches Ungeheuer, das am Himmel Buddhas erschien.

In dem unnahbaren »Albatros« kümmerte sich natürlich Niemand um jene lärmenden Kundgebungen. Die Bindfäden aber, welche die Drachen an kleinen in den kaiserlichen Gärten eingerahmten Pfählen festhielten, wurden entweder zerschnitten oder schnell eingezogen. Die leichten »Spielzeuge«, wie wir sagen würden, kamen dadurch, einen nur noch lauteren Ton gebend, entweder rasch zur Erde, oder sie fielen herab, gleich flügellahm geschossenen Vögeln, deren Gesang mit dem letzten Athemzuge verstummt.

Da dröhnte eine gewaltige Fanfare aus der Trompete Tom Turner’s über der Hauptstadt und übertäubte die letzten Klänge jenes Lufttonwerks, doch das machte dem Gewehrfeuer unten kein Ende. Als aber eine Sprengkugel nur einige zwanzig Fuß vom Verdeck des »Albatros« platzte, stieg dieser nach den unerreichbaren Zonen des Himmels empor.

Im Laufe der nächstfolgenden Tage ereignete sich kein Zwischenfall, den sich die Gefangenen hätten zu nutze machen können. Die Richtung des Aeronefs blieb unabänderlich eine südwestliche, was darauf hindeutete, daß er sich Hindostan nähern sollte. Uebrigens bemerkte man, daß der fortwährend höher aufsteigende Erdboden den »Albatros« nöthigte, sich nach den Linien seines Profils zu richten. Etwa zehn Stunden nach der Weiterfahrt von Peking konnten Onkel Prudent und Phil Evans an der Grenze von Chen-Si einen Theil der Großen Mauer erkennen. Dann kamen sie, unter Umgehung der Bung-Berge, über und durch das Thal von Wany-Ho und überschritten die Grenze des chinesischen Kaiserreichs, da, wo diese mit Tibet zusammenstößt.

Tibet bildet eine vegetationslose Hochebene, da und dort mit schneebedeckten Gipfeln, trockenen Schluchten oder von Gletschern genährten Bergströmen, mit Abgründen, aus welchen mächtige Salzlager heraufschimmern, und mit vielen, von grünenden Forsten eingerahmten Seebecken.

Das auf 450 Millimeter gesunkene Wetterglas zeigte jetzt eine Höhe von viertausend Metern über dem Meere an. In dieser Höhe überschritt die Temperatur, obgleich man sich jetzt in den wärmsten Monaten der nördlichen Halbkugel befand, nicht den Gefrierpunkt. Diese starke Abkühlung im Verein mit der Schnelligkeit des »Albatros« machte die Situation fast unerträglich, und obwohl die beiden Collegen warme Reisedecken zur Verfügung hatten, zogen sie es doch vor, in ihre Ruffs zurückzukehren.

Selbstverständlich mußte den Auftriebsschrauben eine außerordentliche Schnelligkeit ertheilt werden, um den Aeronef in der hier schon recht verdünnten Luft zu erhalten. Diese arbeiteten jedoch in vorzüglichstem Zusammenwirken, und es schien, als ob die Insassen des Apparats durch das Schwirren ihrer Flügel gewiegt würden.

An diesem Tage sah Garlok, eine Stadt des nördlichen Tibet und der Hauptort der Provinz Gavi-Khorsum, den »Albatros« etwa in der Größe einer Brieftaube vorüberschweben.

Am 27. Juni bemerkten Onkel Prudent und Phil Evans einen gewaltigen Damm mit verschiedenen, in ewigem Schnee verlorenen Spitzen, der den Horizont begrenzte.

An das Ruff auf dem Vordertheil gelehnt, um dem Luftdruck bei der so schnellen Fortbewegung widerstehen zu können, sahen Beide die colossalen Bergmassen, welche dem Aeronef vorauszulaufen schienen.

»Jedenfalls der Himalaya, sagte Phil Evans, wahrscheinlich wird Robur nur den unteren Theil desselben umkreisen, ohne nach Indien einzudringen.

– Desto schlimmer, antwortete Onkel Prudent, auf diesem ungeheuren Gebiete hätten wir vielleicht Gelegenheit –

– Wenigstens, wenn er um die Bergkette nicht über Birma im Osten oder über Nepal im Westen fährt.

– Ich möchte darauf wetten, daß er über dieselben gehen wird.

– Jedenfalls!« ließ sich da eine Stimme vernehmen.

Am folgenden Tage, am 28. Juni, befand sich der »Albatros« über der Provinz Zyang gegenüber jenen gewaltigen Bergmassen. An der anderen Seite des Himalaya lag das Gebiet von Nepal.

Wenn man von Norden kommt, schneiden nacheinander drei Gebirgsketten den Weg nach Indien. Die beiden nördlichen, zwischen denen der »Albatros« wie ein Schiff zwischen ungeheuren Klippen dahinglitt, sind die ersten Stufen des Grenzwalles im Süden von Central-Asien. Der Kuen-Lün, und nach diesem der Karakorum bezeichnen zuerst dieses längliche und mit dem Himalaya parallel verlaufende Thal, ungefähr in jener Höhenlage, in welcher sich die Stromgebiete des Indus im Westen und des Brahmaputra im Osten abgabeln.

Welch‘ wunderbares orographisches System! Hier ragen über zweihundert schon gemessene Gipfel auf, von denen siebzehn fünfundzwanzigtausend Fuß übersteigen! Vor dem »Albatros« erhob sich der Mount Everest auf achttausendachthundertvierzig Meter Höhe; ihm zur Rechten der Dawalaghiri, achttausendzweihundert Meter hoch; zur Linken der Kinahanjunga, achttausendfünfhundertzweiundneunzig Meter, der also seit den letzten genaueren Messungen des Mount Everest nur noch die zweite Stelle einnimmt.

Offenbar hatte Robur nicht die Absicht, über jene Gipfel hinwegzugehen, sondern er kannte zweifelsohne schon die verschiedenen Pässe des Himalaya, unter Anderen den Ibi-Yamin-Paß, den die Gebrüder Schlagintweit 1856 in einer Höhe von sechstausendachthundert Metern überschritten haben; wenigstens hielt er entschlossen auf diesen zu.

Jetzt kamen einige ängstliche, selbst sehr beschwerliche Stunden, und wenn die Verdünnung der Luft auch nicht einen solchen Grad erreichte, daß man zu eigens dafür construirten Apparaten hätte greifen müssen, den Sauerstoff in den Cabinen zu erneuern, so wurde die Kälte doch höchst beschwerlich.

Auf dem Vordertheile stehend und die kräftige Gestalt in einen Mantel gehüllt, leitete Robur alle Manöver. Tom Turner hielt die Barre des Steuerruders fest in der Hand. Der Maschinist überwachte aufmerksam seine Batterien, von deren Säuren glücklicher Weise ein Einfrieren nicht zu fürchten war. Die zur allergrößten Umdrehungsgeschwindigkeit angetriebenen Schrauben gaben einen immer schärfer werdenden Ton, der trotz der höchst dünnen Luft laut vernehmbar blieb. Der Barometer fiel auf zweihundertneunzig Millimeter, was eine Höhe von siebentausend Metern anzeigte.

Wie prachtvoll lag dieses Chaos von Bergriesen hier vor dem erstaunten Blicke ausgebreitet! Ueberall weißglänzende Gipfel, keine Seen, aber gewaltige schimmernde Gletscher, die bis auf zehntausend Fuß Höhe hinabreichen. Kein Gras, außer einigen dürftigen Kryptogamen an der Grenze des vegetabilischen Lebens, nichts von jenen wunderschönen Fichten und Cedern, die sich an den unteren Abhängen der Kette in herrlichen Wäldern vorfinden; nichts von gigantischen Farren und endlosen Schmarotzerpflanzen, die sich, wie im Unterholz der Dschungeln, von Baum zu Baum hinziehen. Kein Thier, weder wilde Pferde, noch Yaks oder tibetanische Rinder; dann und wann nur eine Gazelle, die sich bis nach diesen Oeden hinein verirrt hatte; keine Vögel, außer einzelnen jener Pärchen Raben, welche sich bis zu den letzten Schichten der athembaren Luft erheben.

Nachdem er diesen Paß durchschritten, begann der »Albatros« wieder hinabzusteigen. Als sie dessen Ausgang passirten, hatten die Reisenden, jenseits der Region der Bergwaldung, eine grenzenlose Landschaft vor sich, die sich in weitem Umkreise vor ihnen ausdehnte.

Jetzt trat Robur an seine Gäste heran und sagte mit liebenswürdigem Tone:

»Da haben Sie Indien, meine Herren!«

XIII.

XIII.

In dem Onkel Prudent und Phil Evans einen ganzen Ocean durchfahren, ohne die Seekrankheit zu bekommen.

Ja, das Atlantische Meer! Die Befürchtungen der beiden Collegen hatten sich bewahrheitet. Es schien übrigens nicht, als ob Robur hier über dem unendlichen Ocean irgend welche Unruhe empfände. Das kümmerte ihn so wenig wie seine Leute, welche an derartigen Fahrten gewöhnt sein mochten. Dieselben waren schon wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt. Kein Alpdrücken sollte ihren Schlummer stören.

Wohin steuerte nun der »Albatros«? Sollte er wirklich noch mehr als eine Reise um die Erde ausführen? Auf jeden Fall mußte diese Fahrt doch irgendwo ein Ende nehmen. Daß Robur sein ganzes Leben in den Lüften, an Bord des Aeronefs zubringen sollte, ohne jemals zur Erde hinunter zu gehen, war doch nicht wohl annehmbar, denn wie hätte er seine Vorräthe an Munition und Lebensmitteln erneuern sollen, ohne das für die Functionirung der Maschine nothwendige Material zu erwähnen? Unbedingt mußte er also einen Zufluchtsort, eine Art Nothhafen haben, und wahrscheinlich auf einen unbekannten und schwer erreichbaren Punkt der Erde, wo der »Albatros« sich mit allen Bedürfnissen frisch versehen konnte. Mit den Bewohnern der Erde mochte er jeden Verkehr abgebrochen haben, mit der Erde als solcher aber gewiß nicht.

Doch wenn das der Fall war, wo lag dieser Punkt? Wie mochte der Ingenieur dazu gelangt sein, ihn zu erwählen? Erwartete ihn eine kleine Colonie etwa als ihren Herrn? Konnte er von da neue Mannschaften erhalten? Und zunächst, wie war er überhaupt dazu gekommen, seine, aus den verschiedensten Ländern stammenden Leute an sein Schicksal zu binden? Ueber welche Mittel verfügte er ferner, um einen so kostspieligen Apparat erbauen zu können, dessen ganze Construction so geheim gehalten worden war? Seine Unterhaltung freilich schien nicht besonders viel zu beanspruchen. An Bord führte man fast ein gemeinsames Leben, wie in einer Familie oder wie glückliche Leute, die kein Geheimniß vor einander haben. Doch, wer war eigentlich jener Robur? Woher kam er? Welcher Art war seine Vergangenheit? Das waren ebenso viele unlösbare Räthsel, und der, auf den sie Bezug hatten, würde gewiß der Letzte sein, eine Erklärung darüber abzugeben.

Es ist gewiß nicht zu verwundern, wenn diese Situation voller unenthüllbarer Probleme die beiden Collegen mehr und mehr erregte. Sich so in’s Unbekannte hinaus entführt und den endlichen Ausgang eines solchen Abenteuers nicht im geringsten vorauszusehen, selbst daran zu zweifeln, daß dasselbe überhaupt jemals ein Ende nehme, zum ewigen Umherfliegen verurtheilt zu sein – mußte das den Vorsitzenden und den Schriftführer des Weldon-Instituts nicht auf’s Aeußerste treiben?

Inzwischen schwebte der »Albatros« am Abend des elften Juli über den Atlantischen Ocean hin. Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, erhob sie sich über die kreisförmige Linie, in der Himmel und Wasser zusammen zu treffen scheinen. Trotz des weit ausgedehnten Gesichtsfeldes war doch nirgends ein Land in Sicht und Afrika schon vollständig hinter dem nördlichen Horizont verschwunden.

Als Frycollin sich einmal aus seiner Cabine wagte und das weite Meer unter sich sah, wurde er sofort von der grimmigsten Angst gepackt. Unter sich ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, es wäre besser zu sagen, »um sich«, denn für einen auf sehr hohem Punkte befindlichen Beobachter erscheint es, als ob der Abgrund ihn von allen Seiten umgäbe, und der Horizont weicht dabei gleichsam zurück, ohne daß man je seine Grenzen erreichen könnte.

Physikalisch erklärte sich Frycollin diese Erscheinung sicherlich nicht, aber er fühlte sie moralisch. Das genügte aber schon, um in ihm die »Angst vor der Leere« zu erzeugen, deren sich manche, sonst ganz muthige Naturen nicht entziehen können.

Jedenfalls erging sich der Neger aus Klugheit nicht in den gewohnten Klagen. Mit geschlossenen Augen tastete er sich nach seiner Cabine zurück, entschlossen, diese auf lange Zeit nicht wieder zu verlassen.

Von den 374,057,912 Quadratkilometern, [Fußnote] welche die Oberfläche der Meere einnehmen, fällt über ein Viertel auf den Atlantischen Ocean. Es schien aber gar nicht, als ob der Ingenieur jetzt besondere Eile habe, wenigstens hatte er nicht Befehl gegeben, den Aeronef mit voller Geschwindigkeit arbeiten zu lassen. Uebrigens hätte dieser auch die Fahrtschnelligkeit wie über Europa hin nicht erreichen können. In den Gegenden, in denen der Südwestwind vorherrscht, lief er diesem fast entgegen, und obwohl derselbe nur schwach zu nennen war, so bot der Apparat ihm doch eine große Angriffsfläche.

Die neuesten und auf eine große Anzahl von Beobachtungen gestützten meteorologischen Arbeiten haben eine gewisse Convergenz der Passate, entweder nach der Sahara oder nach dem Golf von Mexiko, erkennen lassen. Außerhalb der Region der Calmen kommen sie entweder von Westen und strömen nach Afrika zu, oder sie kommen von Osten her und ziehen nach der Neuen Welt zu – wenigstens während der wärmeren Jahreszeit.

Der »Albatros« versuchte also gar nicht, gegen den ihm widrigen Wind mit der ganzen Kraft seiner Treibschrauben anzukämpfen. Er begnügte sich mit einer gemäßigten Gangart, welche übrigens die der transatlantischen Dampfer immer noch überholte.

Am 13. Juli überschritt der Aeronef den Aequator, was der ganzen Mannschaft besonders angemeldet wurde.

Onkel Prudent und Phil Evans erfuhren also dabei auch, daß sie nun die nördliche Halbkugel verlassen hatten und nach der südlichen gekommen waren. Diese Passirung der Linie wurde jedoch nicht durch die tollen Ceremonien gefeiert, welche auf vielen Kriegs- und Handelsschiffen gebräuchlich sind.

Nur François Tapage ließ es sich nicht nehmen, Frycollin eine große Pinte Wasser über den Kopf zu gießen, da dieser Taufe aber einige Gläser Gin nachfolgten, erklärte der Neger sich bereit, die Linie so oft passiren zu wollen, wie man wünschte, vorausgesetzt, daß das nicht auf dem Rücken eines mechanischen Vogels zu geschehen brauche, der ihm nun einmal kein Vertrauen einflößte.

Am Morgen des 15. schwebte der »Albatros« über den Inseln Ascension und St. Helena, aber näher der letzteren hin, deren höhere Theile sich einige Stunden lang am Horizonte zeigten.

Hätte zur Zeit, als Napoleon sich in der Gewalt der Engländer befand, ein Apparat, ähnlich dem des Ingenieurs Robur, existirt, gewiß würde Hudson Lowe trotz seiner oft geradezu beleidigenden Vorsichtsmaßregeln seinen berühmten Gefangenen auf dem Wege durch die Lüfte haben entweichen sehen.

Während der beiden Abende des 16. und 17. Juli zeigten sich mit Abnahme des Tageslichtes höchst eigenthümliche Dämmerungserscheinungen. Unter höherer Breite hätte man bei ihrem Anblick an ein Nordlicht denken können. Die Sonne warf nämlich bei ihrem Niedergang über den Himmel vielfarbige Strahlen, von denen einige in leuchtendem Grün erschienen.

War das eine Wolke kosmischen Staubes, welche an der Erde vorüber zog und jetzt den letzten Schimmer des Tages wiederstrahlte? Einige Beobachter haben solche Dämmerungserscheinungen in dieser Weise allerdings erklärt; sie wären aber gewiß zu anderer Anschauung gekommen, wenn sie sich an Bord des Aeronefs befunden hätten.

Eine aufmerksame Prüfung ergab nämlich, daß in der Luft feine Pyroxen-Krystalle schwebten, glasartige Kügelchen, nämlich zarte Theilchen magnetischen Eisens, ganz entsprechend den Stoffen, welche feuerspeiende Berge auswerfen. Es schwand damit also jeder Zweifel, daß diese Wolke von einer vulcanischen Eruption herrührte, deren krystallinische Auswurfsstoffe die beobachtete Erscheinung erzeugten – eine Wolke, welche die Luftströmungen auch noch über dem Atlantischen Ocean schwebend erhielten.

Während dieses Theiles der Reise wurden übrigens auch noch andere Erscheinungen wahrgenommen. Wiederholt verliehen gewisse Wolken dem Himmel eine weißgraue Färbung von eigenthümlichem Aussehen; gelangte man dann durch einen solchen Dunstvorhang, so erschien dessen Oberfläche ganz übersäet von glänzend weißen Körperchen, zwischen denen einzelne größere besonders hervorleuchteten, was sich unter dieser Breite durch nichts Anderes, als durch eine Hagelbildung erklären ließ.

In der Nacht vom 17. zum 18. bildete sich ein grünlichgelber Mondregenbogen infolge der Stellung des Aeronefs zwischen dem Vollmonde und einem Netz von fernem Regen, der schon in Dunst überging, ehe er das Meer erreichte. Vielleicht ließ sich aus diesen verschiedenen Erscheinungen schon auf einen bevorstehenden Witterungsumschlag schließen. Jedenfalls hatte der Wind, der seit der Abfahrt von der afrikanischen Küste stets aus Südwesten wehte, sich in der Nähe des Aequators ganz gelegt. Hier in der Tropenzone herrschte dazu eine fast unerträgliche Hitze. Robur suchte daher Kühlung in höheren Luftschichten, und doch mußte man sich auch noch hier vor den directen Sonnenstrahlen schützen, welche Niemand hätte aushalten können.

Dieser Wechsel in den Luftströmungen ließ schon ahnen, daß jenseits des Aequatorialgebiets auch andere klimatische Verhältnisse herrschen würden; es darf hierbei auch nicht vergessen werden, daß der Monat Juli der südlichen Halbkugel der Januar der nördlichen ist, also dem tiefsten Winter entspricht. Wenn der »Albatros« noch weiter nach Süden vordrang, mußte er die Folgen davon bald spüren.

Das Meer aber »empfand das«, wie die Seeleute sagen. Am 18. Juli zeigte sich jenseits des Wendekreises des Steinbocks ein anderes Phänomen, welches gewiß jeden Schiffer erschreckt hätte.

Mit einer auf mindestens sechzig Meilen in der Stunde zu schätzenden Geschwindigkeit zog über das Meer weg eine merkwürdige Reihe von leuchtenden Wellen, die einander in der Entfernung von etwa achtzig Fuß folgten und lang schimmernde Streifen zurückließen. Mit einbrechender Nacht strahlte der Widerschein davon sogar bis zum »Albatros« hinauf, so daß dieser jetzt wirklich hätte für einen glühenden kleinen Himmelskörper angesehen werden können. Noch nie war es Robur vorgekommen, über ein Meer in Flammen hinwegzusteuern – über Flammen ohne Hitze, denen zu entfliehen er nicht nöthig hatte.

Die Elektricität mußte offenbar die Ursache dieser Erscheinung sein, denn etwa einer Fischlaichbank oder einem von jenen kleinen Geschöpfen gebildeten Zuge, welche zuweilen die Fläche des Meeres bedecken, konnte man dieselbe nicht zuschreiben.

Das ließ vermuthen, daß die elektrische Spannung der Luft jetzt eine sehr hohe sein müsse.

Am folgenden Tage, am 19. Juli wäre ein Schiff auf diesem Meere wohl dem Untergang geweiht gewesen. Der »Albatros« dagegen spielte mit Wind und Wellen, wie der gewaltige Vogel, dessen Namen er trug. Wenn es ihm nicht beliebte, wie ein Sturmvogel über der Meeresfläche hinzugleiten, so konnte er wie der Adler in höheren Schichten Ruhe und Sonnenschein aufsuchen.

Man hatte jetzt den 47. Grad südlicher Breite überschritten. Der Tag dauerte nur noch sieben bis acht Stunden, und er mußte mit der Annäherung an die antarktischen Gegenden noch immer kürzer werden.

Gegen ein Uhr Nachmittags hatte sich der »Albatros«, um eine günstige Luftströmung aufzufinden, sehr tief gesenkt. Er schwebte höchstens noch hundert Fuß über der Oberfläche des Meeres.

Das Wetter war still. An einzelnen Stellen des Himmels zogen dicke, dunkle Wolken mit ausgezackten Rändern auf, welche oben eine genau horizontale Linie bildeten. Aus diesen Wolken quollen langgezogene Protuberanzen hervor, deren Ende das Wasser anzuziehen schien, das darunter in Form eines flüssigen Straußes aufbrodelte.

Plötzlich stieg das Wasser in Form einer ungeheuren Sanduhr hoch empor.

In einem Augenblick wurde der »Albatros« in den Wirbel einer riesigen Trombe hineingezogen, der bald zwanzig andere von Tintenschwärze das Geleite gaben. Zum Glück vollzog sich die Drehung dieser Trombe entgegen der der Auftriebsschrauben, sonst hätten diese ihre Wirkung ganz eingebüßt und der Aeronef wäre in’s Meer gefallen; jetzt wurde er nur mit erschreckender Schnelligkeit um sich selbst gedreht.

Immerhin war die Gefahr groß und schien unmöglich abwendbar, da der Aeronef sich nicht aus der Trombe los machen konnte, deren Anziehung ihn trotz der Treibschrauben zurückhielt. Durch die Centrifugalkraft wurde die Mannschaft nach beiden Enden des Verdecks geschleudert, und mußte sich hier an den Schraubenmasten anhalten, um nicht über Bord zu fallen.

»Ruhig Blut!« rief Robur.

Und das brauchten sie wirklich, und Geduld obendrein.

Onkel Prudent und Phil Evans, die aus ihrer Cabine heraustraten, wurden nach dem Hintertheil getrieben und hatten die größte Mühe, sich noch fest zu klammern.

Und während sich der »Albatros« in dieser Weise um sich selbst drehte, folgte er auch der Lageveränderung der Tromben, die mit einer Schnelligkeit, auf welche die Schrauben desselben hätten eifersüchtig werden können, sich weiterhin wanden. Sobald er der einen entgangen, wurde er von einer anderen gepackt und war stets in Gefahr, in Stücke zerrissen zu werden.

»Einen Kanonenschuß!« rief der Ingenieur.

Der Obersteuermann Tom Turner verstand völlig diesen an ihn gerichteten Befehl; er lehnte eben an dem kleinen Bordgeschütz mittschiffs, wo die Centrifugalkraft minder wirksam war. Schneller, als wir es beschreiben können, hatte er die Schwanzschraube des Rohrs geöffnet und führte in diese eine scharfe Patrone ein, von denen ein kleiner Vorrath in einem an der Lafette befestigten Kasten vorhanden war. Der Schuß krachte und sofort sanken einige Tromben zusammen.

Die Lufterschütterung hatte hingereicht, das Meteor zu zerreißen und die ungeheure Dunstmasse löste sich in einen Sturzregen auf, der den Himmel mit dicken Wasserstreifen überzog, die Meer und Himmel verbanden.

Endlich befreit, beeilte sich der »Albatros«, um einige hundert Meter aufzusteigen.

»Nichts zerbrochen an Bord?« fragte der Ingenieur.

– Nein, antwortete Tom Turner; aber das war denn doch ein etwas gar zu tolles Kreiseln, das wir uns nicht zum zweiten Male wünschen möchten.«

In der That, in der Zeit von zehn Minuten war der »Albatros« in größter Gefahr gewesen, und ohne seine solide Bauart dürfte er dem Wirbeln der Tromben schwerlich widerstanden haben.

Wie lang wurden die Stunden bei dieser Fahrt über den Ocean, wenn nichts die Eintönigkeit derselben unterbrach. Die Tage nahmen immer mehr ab und die Kälte wurde allmählich fühlbar. Onkel Prudent und Phil Evans sahen Robur nur wenig. In seine Cabine eingeschlossen, beschäftigte er sich damit, den Curs zu bestimmen, auf seinen Karten die zurückgelegten Strecken einzutragen und sich, wenn es irgend anging, Gewißheit zu verschaffen, wo sie sich eben befanden, ferner die Barometer, Thermometer und Chronometer zu beobachten und endlich alle Zwischenfälle der Reise in das Schiffsbuch einzutragen.

Sorgsam verhüllt, bemühten sich die beiden Collegen unablässig, im Süden Land zu entdecken.

Frycollin seinerseits versuchte, gemäß einem besonderen Auftrage des Onkel Prudent, den Koch bezüglich des Ingenieurs auszuforschen. Wie hätte aber Jemand aus dem, was der Gascogner François Tapage zur Antwort gab, klug werden können? Nach ihm war Robur bald ein ehemaliger Minister der Republik Argentina, ein Chef der Admiralität, ein abgetretener Präsident der Vereinigten Staaten, ein auf Wartegeld gesetzter spanischer General, oder auch ein Vicekönig von Indien, der in den Lüften eine noch höhere Stellung gesucht hatte. Bald besaß er, Dank der mit Hilfe seiner Maschine ausgeführten Razzias, Millionen und war er allgemein in die Acht erklärt; bald hatte er sich wieder durch die Herstellung dieses Apparats ruinirt und gezwungen gesehen, öffentlich aufzusteigen, um sein Geld wieder zu gewinnen. Auf die Frage nach einem Ruheplatz desselben war keine Auskunft zu erhalten, außer der, daß er nach dem Mond zu gehen beabsichtige, um dort zu bleiben, wenn er eine ihm passende Oertlichkeit anträfe.

»He, Fry … mein Kamerad! … Nicht wahr, es würde Dir Vergnügen machen, zu sehen, wie es da oben zugeht?

– Ich gehe nicht mit! Ich weigere mich! … erwiderte der Schwachkopf, der alle diese Faseleien für Ernst nahm.

– Und weshalb, Fry, weshalb? Wir verheiraten Dich dort mit einer hübschen, jungen Mondbewohnerin … Du wirst da der Stammvater der Neger!«

Als Frycollin das, was er gehört, seinem Herrn hinterbrachte, erkannte dieser wohl, daß über Robur keine Auskunft zu erlangen sei. Er dachte also nur noch daran, sich zu rächen.

»Phil, begann er eines Tages zu seinem Collegen, es liegt nun auf der Hand, daß eine Flucht für uns unmöglich ist.

– Unmöglich, Onkel Prudent! – Zugegeben, ein Mann ist aber stets sein eigener Herr, und wenn es sein muß, indem er sein Leben opfert …

– Wenn ein solches Opfer nothwendig ist, dann wird es so schnell als möglich gebracht! antwortete Phil Evans, dessen sonst so kühles Temperament nun doch die Grenze des Erträglichen erreicht hatte. Ja, es ist Zeit, ein Ende zu machen! … Wohin geht der »Albatros«? … Jetzt fliegt er schräg über den Atlantischen Ocean, und wenn er diese Richtung beibehält, muß er nach den Küsten von Patagonien, dann nach denen des Feuerlandes kommen … Aber nachher? … Wird er auch noch über den Stillen Ocean hinausschweben? Oder steuert er dann nach dem Südpolarlande? … Diesem Robur ist Alles zuzutrauen! … Dann wären wir verloren! … Wir befinden uns also in der Zwangslage berechtigter Nothwehr, und wenn wir einmal zu Grunde gehen müssen …

– So geschehe es nicht, fiel Onkel Prudent ein, ohne daß wir uns gerächt, ohne daß wir diesen Apparat mit Allen, die er trägt, zerstört haben!«

Bis zu solchen Anschauungen hatte der ohnmächtige Zorn, die in ihnen aufgehäufte Wuth die beiden Collegen schon gebracht! Ja, weil es nicht anders ging, wollten sie sich opfern, um den Erfinder sammt seinem Geheimniß zu vernichten. Nur wenige Monate hätte dann dieser wunderbare Aeronef erlebt, dessen unbestreitbare Ueberlegenheit bezüglich der Fortbewegung durch die Luft sie anzuerkennen sich gezwungen sahen.

Diese Vorstellung hatte in ihren Köpfen so fest Wurzel geschlagen, daß sie an gar nichts Anderes mehr dachten. Doch wie sollten sie zu Werke gehen? O, sie wollten sich nur einer der an Bord vorhandenen Explosionsmaschinen bemächtigen, um damit den ganzen Apparat in tausend Stücke zu zersprengen; freilich mußten sie dazu erst Gelegenheit finden, in die Munitionskammer einzudringen.

Glücklicher Weise ahnte Frycollin nichts von ihren Absichten. Bei dem Gedanken, daß der »Albatros« in die Luft gesprengt werden sollte, würde er sich nicht entblödet haben, seinen eigenen Herrn zu verrathen.

Am 23. Juli war es, wo in Südwesten wieder Land sichtbar wurde, und zwar nahe dem Cap der Jungfrauen am Eingange der Magellan-Straße. Jenseits des 54. Breitengrades währte die Nacht in dieser Jahreszeit fast neunzehn Stunden und die Mitteltemperatur der Luft blieb fortwährend unter 0 Grad zurück.

Statt jetzt noch weiter nach Süden vorzudringen, folgte der »Albatros« zunächst den Windungen jener Meerenge, als ob er dem Stillen Ocean zutriebe. Nachdem er über die Bai von Lomas hinweggekommen, den Gregory-Berg im Norden und die Brecknocks-Berge im Westen hinter sich gelassen, kam er in Sicht von Punta Arena, einem kleinen chilenischen Dörfchen, gerade als daselbst das volle Kirchengeläute erklang, und einige Stunden später in die Nähe der alten Niederlassung im sogenannten Hungerhafen.

Wenn die Patagonier, deren Feuer man da und dort aufleuchten sah, wirklich eine das mittlere Menschenmaß übertreffende Körpergröße haben, so konnten doch die Passagiere des Aeronefs darüber nicht urtheilen, da sie ihnen, von dieser Höhe gesehen, als Zwerge erschienen.

Doch welch‘ Schauspiel bot sich hier während der kurzen Stunden des südlichen Tages! Steile, zerklüftete Berge, mit ewigem Schnee bedeckte Spitzen, deren Seiten mit dichten Wäldern bedeckt waren; Binnenseen, Buchten zwischen den Vorgebirgen und Inseln dieses Archipels; daneben Clarence-, Dawson- und Desolationsland, Canäle und Furthen, unzählige Caps und Halbinseln – all‘ dieses undurchdringliche Gewirr, und jetzt durch das Eis zu einer festen Masse verschmolzen, vom Cap Forward, am Ende des amerikanischen Festlandes, bis zum Cap Horn am letzten Ausläufer der Neuen Welt!

Nachdem er jedoch den Hungerhafen erreicht, nahm der »Albatros« wieder eine völlig südliche Richtung an. Zwischen dem Tarnberge der Halbinsel Brunswick und dem Grawes-Berge hindurchsteuernd, wandte er sich in gerader Linie nach dem Sarmiento-Berge, einem gewaltigen, dick übereisten Spitzberge, welcher die Meerenge der Magellan-Straße in einer Höhe von zweitausend Metern beherrscht.

Hier zeigte sich den Blicken der Reisenden das Land der Pescheräs oder Fuegier, jener Ureinwohner, welche noch im Feuerland siedeln.

Wie herrlich und fruchtbar hätten sich diese Gebiete – vorzüglich deren mittlerer Theil – im Sommer gezeigt, wo die Tage fünfzehn bis sechzehn Stunden lang dauern! Ueberall bieten sie nämlich Thäler und Weideplätze, welche Abertausende von Thieren ernähren könnten, nebst jungfräulichen Wäldern mit riesenhaften Bäumen, mit Weiden, Buchen, Eschen, Cypressen und blühenden Farrenkräutern; dann wieder Ebenen, welche große Heerden von Guanaquen, Vigogneschafen und Straußen bewohnen. Als der »Albatros« seine elektrischen Lichter erglühen ließ, flatterten auch Papageientaucher, Enten und Gänse – hundertmal mehr, als François Tapage’s Speisekammer fassen konnte, an Bord.

Der Koch, welcher dieses Federwild so vortrefflich zuzurichten verstand, daß es seinen thranigen Geschmack ganz verlor, erhielt dadurch plötzlich weit mehr Arbeit, als gewöhnlich; mehr Arbeit machte das aber auch Frycollin, der es nicht abschlagen konnte, von diesem interessanten Geflügel ein Dutzend nach dem anderen wenigstens zu rupfen.

Am nämlichen Tage zeigte sich, als die Sonne eben versinken wollte, auch noch ein ziemlich großer, von prächtigen Waldungen eingerahmter See. Jetzt lagerte über dem See eine feste Eisdecke und einige Eingeborene glitten auf ihren langen Schneeschuhen pfeilschnell über dessen Oberfläche hin.

Beim Erblicken der Flugmaschine entflohen diese Fuegier nämlich nach allen Seiten, und wenn sie nicht fliehen konnten, so versteckten sie sich doch und gruben sich wie Thiere in die Erde ein.

Der »Albatros« steuerte noch immer nach Süden über dem Beagle-Canal hinaus und weiter fort, als die Insel Navarin, deren griechischer Name unter den gewöhnlichen Bezeichnungen dieser entlegenen Landstrecken etwas auffällig erscheint, weiter, als die Insel Wollaston, die sich schon in den Wogen des Stillen Oceans badet. Endlich, nachdem er von Dahomeys Küste aus über siebentausendfünfhundert Kilometer zurückgelegt, schwebte er über die letzten Inseln des Magellan-Archipels hinweg und endlich ganz im Süden über das schreckliche Cap Horn, an das eine unaufhörliche wilde Brandung donnert.

XIV.

XIV.

In dem der »Albatros« etwas ausführt, was man vielleicht niemals dürfte ausführen können.

Der nächstfolgende Tag war der 24. Juli. Der 24. Juli der südlichen Halbkugel entspricht bekanntlich aber dem 24. Januar der nördlichen Hemisphäre; außerdem war jetzt auch schon der 56. Breitegrad überschritten, der im Norden Europas Schottland in der Höhe von Edinburgh und Südschweden in der von Helsingborg durchschneidet.

Der Thermometer hielt sich auch fortwährend unter 0 Grad, so daß es sich nöthig machte, die Ruffs durch künstliche Wärme etwas wohnlicher zu machen.

Es versteht sich von selbst, daß der Tag, wenn er seit dem 21. Juni des südlichen Winters auch schon zunahm, doch immer noch merklich kürzer wurde, da der »Albatros« einen Curs nach den Polarregionen einhielt.

Die Folge davon war eine sehr geringe Helligkeit über jenem Theile des Stillen Oceans, der an das antarktische Eismeer grenzt. Man hatte also nur wenig Aussicht und während der Nacht recht empfindliche Kälte. Um ihr zu widerstehen, mußte man sich nach Art der Eskimos und Fuegier kleiden; doch da es an Bord an warmen Ueberkleidern nicht fehlte, konnten die beiden, wohl eingepackten Collegen doch auf dem Verdeck ausharren, wobei sie freilich immer nur an ihr Vorhaben dachten und eine dazu günstige Gelegenheit zu erspähen suchten. Uebrigens sahen sie Robur setzt sehr wenig, und seit jenem Wortwechsel mit beiderseitigen Drohungen, der über Timbuctu stattfand, sprachen der Ingenieur und sie nicht mit einander.

Frycollin kam jetzt kaum noch aus der Küche François Tapage’s heraus, der ihm hier wohlwollende Gastfreundschaft gewährte – unter der Bedingung, daß er sich als Hilfskoch nützlich machte. Da das nicht ohne Vortheil für ihn abging, hatte der Neger sich mit Erlaubniß seines Herrn gern dazu verpflichtet. So eingeschlossen, sah er ja auch nicht, was draußen vorging, und konnte sich gegen jede Gefahr geschützt glauben. Glich er nicht völlig dem thörichten Strauße, nicht allein physisch durch seinen vortrefflichen Magen, sondern auch geistig durch seine kindische Beschränktheit?

Doch nach welchem Punkte der Erde sollte der »Albatros« sich nun wenden? Konnte man wohl annehmen, daß er sich im tiefen Winter über diese südlichen Meere oder über das Festland des Pols hinauswage? Selbst wenn die Chemikalien in den Batterien nicht durch die furchtbare Kälte erstarrten, drohte in dieser eisigen Atmosphäre doch Allen der Tod – der schreckliche Tod des Erfrierens. Daß Robur es unternommen hätte, in der warmen Jahreszeit über den Pol zu fahren, möchte wohl angehen; inmitten der ewigen Nacht des antarktischen Winters erschien dies dagegen wie der Streich eines Tollhäuslers.

Diesen Gedankengang hatten der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts, als sie sich jetzt nach dem äußersten Ende der Neuen Welt entführt sahen, nach Gegenden, welche zwar zu Amerika, aber freilich nicht zu den Vereinigten Staaten gehören.

Ja, was hatte dieser unergründliche Robur noch Alles vor? War jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, die Reise durch Zerstörung des fliegenden Apparats zu beendigen?

Fiel hierüber die Antwort auch noch unbestimmt aus, so stand dagegen fest, daß der Ingenieur im Laufe des 24. Juli wiederholt mit seinem Obersteuermann verhandelte. Mehrere Male beobachteten auch Tom Turner und er selbst den Barometer, diesmal aber nicht zur Abschätzung der Höhe, sondern um verschiedene Anzeichen eines drohenden Wetterumschlags zu erkennen.

Onkel Prudent glaubte auch zu bemerken, daß Robur in Erfahrung zu bringen suchte, wie viel er noch an Vorräthen aller Art, ebenso derjenigen zur Unterhaltung der Treib- und Auftriebsmaschinen des Aeronefs, wie derjenigen für die menschlichen Maschinen besaß, da es darauf ankam, auch diese und ihre Arbeitskraft in bestem Zustand zu erhalten.

Alles das schien auf eine geplante Umkehr hinzudeuten.

»Umkehr? … sagte Phil Evans, aber wohin?

– Dahin, wo sich Robur frisch verproviantiren kann, antwortete Onkel Prudent.

– Das müßte irgend eine im Stillen Ocean verlorene Insel sein, mit einer, ihres Chefs ganz würdigen Colonie von Verbrechern.

– Das ist auch meine Ansicht, Phil Evans. Ich glaube wirklich, er wird nach Westen zu wenden lassen, und bei der Schnelligkeit, über die er verfügt, dürfte er sein Ziel bald genug erreicht haben.

– Wir würden jedoch unseren Plan nicht mehr zur Ausführung bringen können … wenn er daselbst ankommt …

– Er wird nicht ankommen, Phil Evans!«

Wie sich zeigte, hatten die beiden Collegen die Absichten des Ingenieurs wenigstens zum Theil errathen. Im Laufe des Tages noch schwand jeder Zweifel, daß der »Albatros«, nachdem er die Grenzen des südlichen Eismeeres gestreift, entschieden wieder rückwärts steuerte.

Wenn die Eisschollen auf dem Wasser bis zum Cap Horn hintrieben, mußten sich die südlicheren Theile des Stillen Weltmeeres ganz mit Eisfeldern und Eisbergen bedecken, und das Packeis bildete dann einen undurchdringlichen Wall für die festesten Schiffe, wie für die tollkühnsten Reisenden.

Gewiß hätte der »Albatros«, wenn er seinen Flügelschlag beschleunigte, diese über den Ocean aufgethürmten Eisberge ebenso überfliegen können, wie die auf dem Festlande des Polarkreises aufragenden Gebirge – wenn es überhaupt ein Festland ist, was das Südende der Erdachse überdeckt. Doch entschieden würde er nicht gewagt haben, inmitten der finsteren Polarnacht auch einer Polarluft Trotz zu bieten, welche sich zuweilen bis 60 Grad unter Null abkühlen kann.

Nachdem er also etwa hundert Kilometer nach Süden vorgedrungen, wandte sich der »Albatros« nach Westen, so, als ob er die Richtung nach einer unbekannten Insel des Archipels des Stillen Oceans einschlüge.

Unter ihm breitete sich die flüssige Ebene aus, welche zwischen die Ländermasse Amerikas und Asiens geworfen ist. Jetzt hatten die Fluthen derselben jene eigenthümliche Färbung angenommen, die zum Theil dem Ocean den Namen des »Milchmeeres« erworben haben. In dem Halbdunkel, welches die matten Sonnenstrahlen niemals wirklich durchdrangen, erschien die ganze Oberfläche des Stillen Weltmeeres wirklich milchig weiß. Man hätte ein ungeheures Schneefeld zu erblicken geglaubt, dessen Bodensenkungen und Erhebungen aus dieser Höhe nicht zu erkennen wären. Wäre auch dieser ganze Meerestheil durch die Kälte zu einem einzigen Eisfeld erstarrt gewesen, der Anblick desselben hätte kaum ein anderer sein können.

Jetzt weiß man, daß es Myriaden leuchtender Theilchen, phosphorescirende Körperchen sind, welche diese Erscheinung erzeugen. Merkwürdig blieb nur der Umstand, diesen opalisirenden Massen außerhalb des indischen Oceans zu begegnen.

Nachdem der Barometer sich in den ersten Stunden des Tages ziemlich hoch gehalten hatte, fiel er plötzlich sehr rasch, ein Anzeichen, das für jedes Schiff von ernster Bedeutung gewesen wäre, während der Aeronef es außer Acht lassen konnte. Jedenfalls ließ dasselbe aber erkennen, daß in letzter Zeit ein furchtbarer Sturm die Gewässer des Pacifischen Oceans aufgewirbelt haben mochte.

Es war gegen zwei Uhr Mittags, als Tom Turner auf den Ingenieur zutrat.

»Master Robur, begann er, sehen Sie da den schwarzen Punkt am Horizont? … Dort, gerade im Norden vor uns … ein Felsen kann das nicht sein?

– Nein, Tom, nach dieser Seite zu liegt kein Land.

– Dann muß es ein Schiff sein, oder doch irgend ein Fahrzeug.«

Onkel Prudent und Phil Evans blickten nach dem von Tom Turner bezeichneten Punkt hinaus.

Robur ließ sich sein Seefernrohr reichen und betrachtete scharf den fraglichen Gegenstand.

»Es ist ein Boot, sagte er, und ich möchte behaupten, daß sich Menschen in demselben befinden.

– Schiffbrüchige? rief Tom.

– Ja, Schiffbrüchige, welche gezwungen gewesen sein werden, ihr Schiff zu verlassen, erklärte Robur; Unglückliche, welche nicht wissen, wo sie Land finden sollen und die vielleicht vor Hunger und Durst umkommen. Wohlan, es soll Niemand sagen können, der »Albatros« hätte nicht den Versuch gemacht, ihnen Hilfe zu bringen!«

Der Maschinist und der Gehilfe erhielten dem entsprechend Befehl und der Aeronef begann langsam hinabzusinken. In hundert Meter Höhe hielt er damit ein und seine Propeller trieben ihn rasch nach Norden.

Es war in der That ein Boot, an dessen Mast ein Segel schlaff herabhing und das wegen Mangels an Wind nicht vorwärts kommen konnte. Die an Bord befindlichen Leute hatten offenbar nicht mehr Kraft genug, ein Ruder zu handhaben.

Auf dem Boden desselben lagen fünf Menschen, die eingeschlafen oder vor Entkräftung regungslos geworden waren, wenn nicht gar der Tod sie schon ereilt hatte.

Ueber ihnen angekommen, ging der »Albatros« langsam nach unten. Am Heck des Bootes konnte man noch den Namen des Schiffes lesen, zu dem es gehört hatte; es war die »Jeannette« von Nantes gewesen, ein französisches Schiff, das seine Besatzung hatte aufgeben müssen.

»Aoh!« rief Tom Turner.

Die Leute mußten ihn wohl hören, denn sie befanden sich kaum achtzig Fuß unter ihm.

Keine Antwort.

»Schießt ein Gewehr ab!« sagte Robur.

Der Befehl wurde ausgeführt und der Knall des Schusses verbreitete sich weithin über die Oberfläche des Wassers.

Da sah man einen der Schiffbrüchigen sich mühsam aufrichten, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, so daß das Gesicht mehr dem eines Skelets ähnelte.

Als er den »Albatros« bemerkte, malte sich in seinen Zügen erst der helle Schrecken.

»Fürchtet nichts! rief Robur ihm französisch zu. Wir kommen Euch zu retten. Wer seid Ihr?«

– Matrosen von der »Jeannette«, einer Dreimastbark, deren zweiter Officier ich war, antwortete der Mann. Vor nun vierzehn Tagen … mußten wir dieselbe verlassen … weil sie schon im Sinken war … Wir haben weder Wasser, noch Lebensmittel mehr! …«

Die vier übrigen Schiffbrüchigen hatten sich nach und nach etwas erhoben. Elend, kraftlos und entsetzlich abgemagert, streckten sie die Hände nach dem Aeronef empor.

»Achtung!« rief Robur.

Vom Verdeck aus sank ein Tau hernieder und ein Eimer mit Süßwasser wurde zu dem Boote hinabgesendet.

Die Unglücklichen stürzten darüber her und tranken mit einer Hast, welche fast widerlich mit anzusehen war.

»Brot! … Brot!« … riefen sie.

Sofort stieg auch ein Korb mit einigen Lebensmitteln, mit Conserven, einem Fläschchen Brandy und mehreren Pinten Kaffee zu ihnen herunter. Der zweite Officier hatte alle Mühe, die Leute bei der Stillung ihres Hungers nur einigermaßen im Zaum zu halten.

»Wo sind wir denn? fragte er dann.

– Fünfzig Meilen von der Küste von Chili und dem Chonas-Archipel, antwortete Robur.

– Ich danke, doch wir haben keinen Wind, und …

– Wir werden Sie in’s Schlepptau nehmen.

– Wer sind Sie?

– Leute, die sich glücklich schätzen, daß sie im Stande waren, Euch Hilfe zu bringen,« erwiderte einfach Robur.

Der Mann begriff, daß er hier ein Incognito zu respectiren habe. Doch war es wirklich möglich, daß diese Maschine Kraft genug besaß, sie zu schleppen?

Ja; durch Vermittlung eines hundert Fuß langen Kabels wurde das Boot von dem mächtigen Apparat nach Osten hingezogen.

Um zehn Uhr Abends war Land in Sicht, oder man sah wenigstens die Leuchtfeuer, welche dessen Lage bezeichneten. Sie war wirklich zur rechten Zeit gekommen, diese Hilfe vom Himmel für die Schiffbrüchigen der »Jeannette«, und sie hatten gewiß einiges Recht, ihre Rettung für ein Wunder zu halten.

Als sie dann bis zum Eingang der Wasserstraße zwischen den Chonas-Inseln gebracht worden waren, rief ihnen Robur zu, das Tau schießen zu lassen, was sie denn auch, ihre Retter segnend, thaten, und der »Albatros« steuerte wieder auf die offene See hinaus.

Entschieden besaß er doch gute Eigenschaften, dieser Aeronef, der auf diese Weise im weiten Weltmeer verirrten Seeleuten Beistand leisten konnte. Welcher noch so vervollkommnete Ballon wäre im Stande gewesen, es ihm nachzuthun? Unter sich mußten auch Onkel Prudent und Phil Evans das anerkennen, obwohl sie mehr in der Laune waren, die Wahrheit des ganzen Zwischenfalls zu leugnen.

Das Meer blieb immer aufgeregt und es traten weitere beunruhigende Vorzeichen auf. Der Barometer sank noch um einige Millimeter, dann und wann brausten sehr heftige Böen daher, welche in den helikopterischen Maschinen des »Albatros« ein lautes Pfeifen verursachten und diesen merkbar aufhielten. Unter solchen Umständen hätte ein Segelschiff schon die Marssegel zweimal und das Focksegel einmal reefen müssen. Alles deutete darauf, daß der Wind nach Nordwesten umschlagen werde. Das Rohr des Sturmglases fing an, sich beunruhigend zu trüben. Um ein Uhr Morgens erlangte der Wind eine ungewöhnliche Heftigkeit. Obgleich der Aeronef denselben ganz von vorne hatte, so konnten seine Propeller ihn doch noch forttreiben, so daß er etwa vier bis fünf Meilen in der Stunde zurücklegte. Mehr konnte man jedoch nicht von ihm verlangen.

Ganz entschieden war jetzt ein Cyclon im Anzuge, was unter diesen Breiten sehr selten vorkommt. Ob man diesen nun Hurracan im Atlantischen, Taifun im Chinesischen Meere, Samum in der Sahara und Tornado an der Westküste nennt, immer ist es ein Wirbelsturm, der große Gefahren mit sich bringt. Ja, Gefahren für jedes Fahrzeug, das von seiner drehenden Bewegung gepackt wird, die nach dem Centrum hin zunimmt und nur eine Stelle ruhig läßt, den innersten Mittelpunkt dieses Maelstromes der Lüfte.

Robur wußte das. Er wußte auch, daß es rathsam war, einem Cyclon zu entfliehen, indem er aus dem Bereiche seiner Anziehung nach höheren Luftschichten aufstieg. Bisher hatte er das immer vermocht. Aber es war keine Stunde, vielleicht keine Minute mehr zu verlieren.

In der That wuchs die Gewalt des Sturmes zusehends. Die an ihren Kämmen zerrissenen Wellen trugen einen weißlichen Staub über die Meeresfläche hin. Es war auch zu erkennen, daß der Cyclon beim Fortschreiten mit rasender Schnelligkeit sich den Polargebieten nähern mußte.

»Hinauf! befahl Robur.

– Hinauf!« wiederholte Tom Turner.

Dem Aeronef wurde die äußerste Auftriebskraft ertheilt und er erhob sich in schiefer Richtung, als steige er eine schiefe Ebene empor, die sich nach Südwesten hin senkte.

Da fiel der Barometer noch weiter – die Quecksilbersäule sank schnell um acht, dann um zwölf Millimeter. Plötzlich hörte die aufsteigende Bewegung des »Albatros« vollständig auf.

Was veranlaßte diesen Halt? Offenbar war es der Druck der Luft infolge einer sehr starken Strömung, die von oben nach unten zu stattfand und den Widerstand seines Angriffspunktes herabsetzte.

Wenn ein Dampfer einem Strome entgegenfährt, erzeugt seine Schraube eine um so weniger wirksame Arbeit, je schneller das strömende Wasser zwischen ihren Flügeln hindurchfließt. Dann bleibt er zurück und das kann so weit gehen, daß er mit der Strömung zurückgeht. In dieser Lage befand sich jetzt der »Albatros«.

Robur gab seine Sache aber damit noch nicht auf. Seine mit erstaunlichster Uebereinstimmung arbeitenden Schrauben wurden in die schnellstmögliche Umdrehung versetzt; doch unwiderstehlich von dem Cyclon angezogen, konnte der Apparat ihm nicht entgehen. Während kurzer Stillen stieg er wieder etwas in die Höhe. Dann zog ihn der schwerere Luftdruck auf’s Neue hernieder und er sank, wie ein Schiff im Untergehen. Und konnte man das nicht ein Untergehen im Luftmeere nennen, inmitten einer Nacht, welche die Blendlichter des »Albatros« nur in geringem Umfange unterbrachen?

Wenn die Kraft des Cyclons immer zunahm, wurde der »Albatros« gewiß bald zum unlenkbaren Strohhalm, der von den Wirbeln hinweggetragen wurde, welche Bäume entwurzeln, Dächer abdecken und oft ganze Mauern umwerfen.

Robur und Tom konnten sich nur noch durch Zeichen verständlich machen. An die Reeling geklammert, fragten sich Onkel Prudent und Phil Evans, ob das schauerliche Meteor nicht für sie eintreten und den Aeronef mit seinem Erfinder, und mit dem Erfinder das ganze Geheimniß der Erfindung vernichten würde.

Da es nun dem »Albatros« nicht gelang, sich in lothrechter Richtung diesem Cyclon zu entziehen, blieb ihm nur noch der eine Ausweg, den verhältnißmäßig stilleren Mittelpunkt desselben aufzusuchen, wo er mehr Herr seiner Manöver war. Gewiß; doch um zu jenem vorzudringen, mußte er die Kreisströme überwinden, die ihn an ihren Peripherien mit fortzerrten. Besaß er wirklich genug mechanische Kräfte, sich diesen zu entreißen?

Plötzlich barsten jetzt die Wolken über ihm; die Dünste verdichteten sich zu einem furchtbaren Platzregen.

Es war um zwei Uhr Morgens. Der um zwölf Millimeter auf- und abschwankende Barometer war bis auf 709 gefallen, wobei allerdings die Höhe, welche der Aeronef über dem Meere einnahm, in Rechnung zu ziehen ist.

Seltsamer Weise hatte sich dieser Cyclon außerhalb der Zonen, die er sonst durchzieht, gebildet, d. h. zwischen dem 30. Grade nördlicher und dem 27. Grade südlicher Breite. Vielleicht erklärt sich hierdurch, warum dieser Wirbelsturm sehr bald in einen gewöhnlichen, ziemlich geradlinig verlaufenden überging. Doch welcher Orkan wüthete dafür! Der Windstoß von Connecticut am 22. März 1882 hätte ihm etwa verglichen werden können, dessen Geschwindigkeit hundertsechzehn Meter in der Secunde, d. h. über hundert Meilen in der Stunde, erreichte.

Es blieb jetzt also nichts übrig, als nach rückwärts zu entfliehen, wie ein Schiff vor dem Sturm, oder sich vielmehr von dieser Strömung mit forttragen zu lassen, die der »Albatros« nicht überwinden und aus der er sich nicht befreien konnte. Doch wenn er dieser ihm aufgezwungenen Straße folgte, floh er nach dem Süden hin und wurde nach den Polargebieten verschlagen, welche Robur hatte vermeiden wollen. Doch da er nicht mehr Herr seiner Bewegungen war, mußte er ja hingehen, wohin der Orkan ihn trug.

Tom Turner hielt noch immer getreulich am Steuerruder aus. Es bedurfte aller seiner Gewandtheit, um nicht immer von einem Bord zum anderen geschleudert zu werden.

Mit den ersten Stunden des Tages – wenn man den schwachen Schein, der den Horizont färbte, so nennen konnte – hatte der »Albatros« vom Cap Horn her fünfzehn Breitengrade hinter sich gelassen, d. h. über vierhundert Meilen, und er überschritt nun den Polarkreis.

Hier dauert die Nacht im Monat Juli noch neunzehn Stunden lang, die kalte Sonnenscheibe erscheint nur schwach leuchtend am Horizont, um fast sogleich wieder zu verschwinden. Am Pole selbst verlängert sich diese Nacht bis auf hundertneunundsiebzig volle Tage. Alles deutete darauf hin, daß sich der »Albatros« wie in einen Abgrund in dieselbe stürzen müsse.

An diesem Tage hätte eine Beobachtung, wenn eine solche möglich gewesen wäre, die südliche Breite von 66 Grad 40 Minuten ergeben. Der Aeronaut befand sich also nun vierzehnhundert Meilen vom antarktischen Pol.

Unwiderstehlich nach diesem sonst unerreichbaren Punkt der Erdkugel hingezogen, »verzehrte« seine Geschwindigkeit so zu sagen seine ganze Schwere, obwohl diese infolge der Abplattung der Erde am Pol hier eine noch größere war. Seine Auftriebsschrauben konnten sich das ja wohl gefallen lassen. Bald wurde die Gewalt des Sturmes eine so ungeheure, daß Robur die Umdrehungszahl der Propeller auf ein Minimum zu reduciren beschloß, um diese vor ernsten Beschädigungen zu schützen und doch ein wenig bei der geringsten möglichen eigenen Geschwindigkeit durch das Steuerruder wirken zu können.

Inmitten dieser Gefahren ertheilte der Ingenieur seine Befehle mit größter Kaltblütigkeit, und die Mannschaft gehorchte ihm, als ob die Seele des Chefs auch in ihr lebte.

Onkel Prudent und Phil Evans hatten das Verdeck, wo sie übrigens ohne alle Schwierigkeit verweilen konnten, nicht einen Augenblick verlassen. Die Luft bot ja keinen oder nur sehr schwachen Widerstand. Der Aeronef befand sich eben in derselben Lage, wie jeder Aerostat, der sich mit dem Fluidum, in dem er ganz eintaucht, fortbewegt.

Das südliche Polargebiet umfaßt der gewöhnlichen Angabe nach eine Fläche von viereinhalb Millionen (englische) Quadratmeilen, doch weiß man nicht, ob dasselbe ein Festland, einen Archipel oder nur ein Meer enthält, dessen Eis selbst während der langen Sommerszeit nicht zum Schmelzen kommt. Bekannt ist dagegen, daß der Südpol noch kälter ist, als der Nordpol, eine Erscheinung, welche von der Stellung der Erde in ihrer Bahn während des Winters der antarktischen Region abgeleitet wird.

Während des Tages trat kein Anzeichen ein, daß der Sturm abnehmen werde. Der »Albatros« gelangte unter den 75. Grad westlicher Länge nach dem Polargebiete. Wer hätte wissen können, unter welchem Meridian er wieder aus demselben heraustreten sollte?

Je mehr er nach Süden hinabkam, desto mehr verminderte sich die Tageslänge. Binnen Kurzem mußte er sich in der fortwährenden Nacht befinden, welche nur vom Mondschein oder von dem schwachen Leuchten der Südlichter erhellt wird. Jetzt war aber Neumond, und die Gefährten Robur’s liefen Gefahr, gar nichts von jenen Gegenden zu sehen, deren Geheimniß der Mensch noch nicht zu entschleiern vermocht hat.

Höchst wahrscheinlich kam der »Albatros« nahe dem Polarkreise über einzelne schon bekannte Punkte hinweg, so im Westen über das Graham-Land, welches Biscoë 1832 entdeckt hat, und über das Louis Philipp-Land, das Dumont d’Urville als äußersten Ausläufer des unbekannten Festlandes 1838 entdeckte.

An Bord litt man zwar nicht besonders von der Kälte, welche nicht so arg war, als man eigentlich fürchten mußte. Der Orkan schien eine Art Golfstrom der Luft zu bilden, der eine gewisse Menge Wärme mit sich führte.

Wie bedauerlich war es, daß diese ganze Gegend in Finsterniß lag! Hierzu kommt noch, daß selbst bei vollem Mondschein jede Beobachtung sehr beschränkt war, denn zu dieser Jahreszeit bedeckt eine ungeheure Schneelage und ein dicker Eispanzer die ganze Oberfläche des Polargebietes. Man gewahrt dann nicht einmal jenen »Blink« der Eismassen, den weißlichen Schein, der sich an dem dunklen Horizonte nicht widerspiegeln kann. Wie hätte Jemand unter diesen Umständen die Gestalt von Ländern, die Ausdehnung der Meere oder die Vertheilung von Inseln zu erkennen vermocht? Wie hätte man sich über das hydrographische Netz des Landes unterrichten, oder selbst dessen orographische Anordnung aufnehmen können, da jetzt alle Hügel, alle Berge mit den Eisbergen und dem Packeise zu einer einzigen Masse verschmolzen?

Kurz vor Mitternacht erhellte ein Südpolarlicht einmal die tiefe Finsterniß. Mit seinen silbernen Ausläufern, seinen weit hinausreichenden Strahlen, bildete das Meteor die Gestalt eines ungeheuren Fächers, der etwa die Hälfte des Himmels einnahm. Die letzten elektrischen Effluvien desselben verloren sich am südlichen Kreuz, dessen vier Sterne im Zenith brannten. Diese Erscheinung war von wirklich unvergleichlicher Großartigkeit und ihre Helligkeit reichte hin, einen Ueberblick über diese in grenzenloses Weiß verhüllte Gegend zu gewähren.

Es versteht sich von selbst, daß der Compaß in diesen, dem magnetischen Südpol so nahe gelegenen Gebieten gänzlich gestört erschien und über die eingehaltene Richtung keinerlei Aufklärung geben konnte. Die Inclination der Nadel wurde aber gelegentlich eine so bedeutende, daß Robur annehmen mußte, über diesen magnetischen Pol, der ziemlich genau im achtundsiebenzigsten Meridian zu suchen ist, hinweggekommen zu sein.

Und später, gegen ein Uhr des Morgens, rief er nach Beobachtung des Winkels, den die Nadel mit der Verticalen machte, laut:

»Jetzt ist der Südpol unter unseren Füßen!«

Wohl sah man eine ganz weiße Fläche, aber nichts verrieth, was sie unter ihrem Eispanzer bergen mochte.

Das Südpolarlicht erlosch bald nachher, und jener ideale Punkt, in dem sich alle Meridiane kreuzen, ist noch immer erst zu entdecken.

Hatten Onkel Prudent und Phil Evans die Absicht, den Aeronef und Alle, die er trug, in der geheimnißvollsten Einöde zu begraben, so war jetzt die beste Gelegenheit dazu. Wenn sie es doch nicht thaten, so lag es daran, daß ihnen die dazu nothwendige Sprengmaschine mangelte.

Indessen raste der Orkan mit einer solchen Wuth weiter, daß der »Albatros«, wenn er auf seinem Wege einen Berg getroffen hätte, daran unbedingt ebenso zerschellt wäre, wie ein Schiff, das auf eine felsige Küste geworfen wird.

Augenblicklich vermochte er sich nämlich ebenso wenig horizontal fortzubewegen, wie er Herr über sein Auf- und Absteigen war.

Einzelne Gipfel aber erheben sich bekanntlich auch in den antarktischen Gebieten. Jeden Augenblick war ein Zusammenstoß möglich, der die Vernichtung des ganzen Apparates hätte herbeiführen müssen.

Eine solche Katastrophe schien um so mehr zu fürchten, als der Wind, der nach dem Meridian 0 mehr zurückging, weiter nach Osten umschlug. Schon zeigten sich auch, etwa hundert Kilometer vom »Albatros« entfernt, zwei leuchtende Punkte.

Es waren das die beiden Vulcane, welche zu dem gewaltigen Gebiete der Roß-, Erebus- und Terrorberge gehören.

Sollte der »Albatros« in den Flammen gleich einem riesigen Schmetterling verbrennen?

Es war eine Stunde voll entsetzlicher Angst; der eine der Vulcane, der Erebus, schien ordentlich auf den Aeronef, der sich aus der Umarmung des Orkans nicht befreien konnte, loszustürzen … Sein Flammenbüschel wuchs zusehends, ein Feuernetz versperrte den Weg, das die Luft weithin erleuchtete. Die an Bord jetzt deutlich sichtbaren Gestalten nahmen ein halb teuflisches Aussehen an. Alle erwarteten regungslos, ohne einen Schrei, ohne mit den Muskeln zu zucken, die entsetzliche Minute, in der dieser Hochofen sie mit seinen Flammen umhüllen würde.

Der Orkan aber, der den »Albatros« mit sich fortriß, rettete ihn auch vor dieser schrecklichen Katastrophe. Die von dem Sturm niedergedrückten Flammen des Erebus gaben ihm den gefährlichen Weg frei, und inmitten eines Hagels von Lavastücken, welche durch die centrifugale Bewegung der Auftriebsschrauben glücklicher Weise weggeschleudert wurden, kam er glücklich über diesen in voller Eruption begriffenen Krater hinweg.

Eine Stunde später verdeckte schon der Horizont die beiden colossalen Flammen, welche das Ende der Welt während der langen Polarnacht erleuchten.

Um zwei Uhr Morgens kam man an der Insel Ballery und zwar am Rande der Küste der Entdeckung vorüber, ohne diese jedoch erkennen zu können, da auch sie mit den Polarländern durch festes Eis verkettet war.

Mit dem Austritt aus dem Polarkreise, den der »Albatros« unter dem fünfundsiebenzigsten Meridian durchschnitten, trug ihn der Orkan über die Packeismassen und die Eisberge hinweg, an welchen er sich hundertmal zu zertrümmern drohte. Er war eben nicht mehr in der Hand seines Steuermannes, sondern nur in der Hand Gottes, und Gott ist ja der beste Pilot.

Der Aeronef folgte nun wieder dem Meridian von Paris, der mit dem, unter welchem er die antarktische Welt betreten, einen Winkel von 105 Grad bildet.

Endlich, jenseits des 60. Breitengrades, schien die Kraft des Orkans zu erlahmen. Seine Schnelligkeit nahm merklich ab. Der »Albatros« wurde wieder mehr seiner selbst Herr. Ferner kam er jetzt, was eine große Erleichterung gewährte, wieder in die erleuchteten Theile der Erdkugel, und um acht Uhr Morgens brach der Tag an.

Nachdem Robur und die Seinen dem Wirbelsturm des Cap Horn glücklich entgangen waren, hatten sie nun auch diesen Orkan überstanden. Sie waren über das ganze Südpolargebiet weg, nachdem sie binnen neunzehn Stunden gegen siebentausend Kilometer zurückgelegt, wieder nach dem Stillen Ocean getrieben worden, und da sie zu einer Meile nur eine Minute gebraucht hatten, war ihre Schnelligkeit doppelt so groß gewesen, als sie der »Albatros« unter gewöhnlichen Umständen hätte entwickeln können.

Infolge der Störung des Magnetismus seiner Compaßnadel im Polargebiete, wußte Robur nun aber nicht mehr, wo er sich befand. Er mußte also warten, bis die Sonne unter hinreichend günstigen Verhältnissen schien, um eine directe Beobachtung zu gestatten. Unglücklicher Weise bedeckten dichte Wolken an diesem Tage den Himmel und die Sonne wurde überhaupt nicht sichtbar.

Das war für Alle desto betrübender, weil die beiden Treibschrauben während des Sturmes einige Beschädigungen erlitten hatten.

Sehr verstimmt durch diesen Unfall, konnte Robur während des ganzen Tages nur mit stark verminderter Geschwindigkeit weiterfahren. Als er über den Antipoden von Paris schwebte, legte er nur sechs Meilen in der Stunde zurück, denn er mußte sich wohl hüten, die Beschädigungen zu verschlimmern. Versagten seine beiden Treibschrauben etwa ganz vollständig den Dienst, so wurde die Lage des Aeronefs über dem ungeheuren Stillen Ocean eine sehr mißliche. Der Ingenieur fragte sich auch schon, ob er die nöthigen Ausbesserungen nicht sollte an Ort und Stelle vornehmen lassen, um die Fortsetzung der Reise zu sichern.

Am Morgen des 27. Juli wurde da ein Land im Norden gemeldet.

Man erkannte bald, daß das eine Insel war; doch welche von den Tausenden, die im Pacifischen Ocean verstreut liegen? Nichtsdestoweniger beschloß Robur hier Halt zu machen, doch ohne auf die Erde selbst zu gehen. Seiner Ansicht nach mußte ein Tag hinreichen, die Havarien auszubessern, und er meinte dann denselben Abend wieder weiter fahren zu können.

Der Wind hatte sich – ein günstiger Umstand zur Ausführung jenes Vorhabens – fast vollständig gelegt. Da er nun anhalten sollte, konnte der »Albatros« wenigstens nicht nach unbekannten Gegenden verschlagen werden.

Man ließ also ein mit einem Anker versehenes hundertfünfzig Fuß langes Kabel von dem Luftschiff herunter. Als der Aeronef an den Rand der Insel kam, faßte der Anker an den ersten Klippen desselben und legte sich schnell zwischen zwei Felsen fest. Das Kabel spannte sich unter der Wirkung der Auftriebsschrauben straff an und der »Albatros« blieb unbeweglich, wie ein Schiff, das am Strande festgelegt wurde.

Es war das erste Mal, daß er seit der Abfahrt aus Philadelphia überhaupt mit der Erde in Berührung kam.

XV.

XV.

Worin Dinge vorgehen, deren Schilderung sich gewiß der Mühe lohnt.

Als der »Albatros« noch in genügend hoher Luftschicht schwebte, konnte man erkennen, daß diese Insel von mittlerer Größe war. Doch welcher Breitengrad durchschnitt wohl dieselbe? Bis zu welcher Mittagslinie war man gelangt? War jene eine Insel des Stillen Oceans, Austral-Asiens (Neu-Hollands) oder des Indischen Meeres? Das blieb so lange unbestimmt, bis Robur sein Besteck gemacht hatte. Obgleich dieser nun nicht im Stande gewesen war, Compaßangaben zu Rathe zu ziehen, hatte er doch Ursache, zu glauben, daß er sich über dem Stillen Ocean befinde. Sobald nur die Sonne erschien, mußten die Umstände zu einer genauen Beobachtung höchst günstige sein.

Von dieser Höhe – von etwa fünfhundert Fuß – aus zeigte sich die, gegen fünfzehn (englische) Meilen im Durchmesser haltende Insel in der Form eines dreispitzigen Seesterns.

Vor deren Südspitze tauchte noch ein Eiland auf, an das sich ein Felsengewirr anschloß. Am Strande verrieth sich kein von Ebbe und Fluth zurückgebliebenes Merkmal, was die Ansicht Robur’s bezüglich seiner augenblicklichen Lage zu bestärken schien, da die Gezeiten im Stillen Ocean fast gleich Null sind.

An der Nordweste erhob sich ein nahezu kegelförmiger Berg, dessen Höhe auf zwölfhundert Fuß zu schätzen war.

Von einem Eingeborenen sah man nichts; vielleicht wohnten solche jedoch am entgegengesetzten Ufer. Jedenfalls hätte der Aeronef, wenn sie diesen überhaupt bemerkten, sie erschreckt und veranlaßt, sich zu verbergen oder zu entfliehen.

Der »Albatros« hatte die Südostspitze der Insel berührt. Unfern derselben schlängelte sich in beschränkter Bucht ein Flüßchen durch die Felsen. Weiterhin zeigten sich gewundene Thäler mit verschiedenen Baumarten und zahlreichem wilden Geflügel, vorzüglich Rebhühner und Trappen. Wenn die Insel nicht bewohnt war, so erschien sie danach also mindestens bewohnbar. Unzweifelhaft hätte Robur hier an’s Land gehen können, und wenn er es doch nicht that, so kam das nur daher, daß der sehr unebene Boden ihm keinen geeigneten Platz zur Auflagerung des Aeronefs zu bieten schien.

Vor dem Wiederaufsteigen ließ der Ingenieur die nothwendigsten Ausbesserungen vornehmen, welche er im Laufe des Tages beendet zu sehen hoffte. Die in vollkommen gutem Zustande befindlichen Schwebeschrauben hatten selbst gegenüber der größten Heftigkeit des Orkans vortrefflich functionirt, da letzterer, wie es sich zeigte, die Arbeit derselben sogar erleichterte. Augenblicklich war nur die Hälfte des Auftriebsmechanismus in Thätigkeit, doch hinreichend viel, um das lothrecht am Ufer befestigte Tau gespannt zu erhalten.

Dagegen hatten die beiden eigentlichen Propeller gelitten, und zwar mehr, als Robur selbst voraussetzte. Mindestens mußten deren Schaufeln wieder aufgerichtet und das Zahngetriebe, durch welches sie die Drehbewegung erhielten, ausgebessert werden.

Die Mannschaft beschäftigte sich unter der Leitung Robur’s und Tom Turner’s mit der vorderen Schraube. Es erschien das vortheilhafter für den Fall, daß der »Albatros« aus irgend welchem Grunde genöthigt sein könnte, vor völliger Vollendung der Arbeit wieder weiter zu treiben und man schon mit diesem Propeller allein nöthigenfalls eine genügende Fahrgeschwindigkeit erreichen konnte.

Inzwischen hatten sich Onkel Prudent und sein College, die vorher auf der Plattform umherspaziert waren, auf dem Hinterdeck niedergelassen.

Frycollin zeigte sich jetzt merkwürdig beruhigt. Welcher Unterschied, nur noch hundertfünfzig Fuß über dem Erdboden zu schweben!

Die Arbeiten wurden nur unterbrochen, als die Erhebung der Sonne über dem Horizonte zunächst einen Stundenwinkel zu messen und dann zur Zeit ihrer Culmination die Mittagslinie des Orts zu bestimmen gestattete.

Als Resultat der mit größter Sorgfalt ausgeführten Beobachtung ergab sich da eine

Länge von 176° 17′ westlich von Greenwich,
Breite von 43° 37′ südlich vom Aequator.

Dieser Punkt auf der Karte entsprach der Insel Chatam und dem Eilande Viff, welche Gruppe gewöhnlich mit dem Namen der Brougthon-Inseln bezeichnet wird. Dieselbe findet sich etwa fünfzehn Grade östlich von Tawai-Pomanu, der südlich gelegenen Inselhälfte Neuseelands im Süden des Stillen Oceans.

»Das stimmt nahezu mit meiner Voraussetzung überein, sagte Robur zu Tom Turner.

– Und wir befinden uns demnach …?

– Sechsundvierzig Grade südlich der Insel X, das heißt gegen zweitausendachthundert Seemeilen von dieser entfernt.

– Ein Grund mehr, unsere Propeller wieder in Ordnung zu bringen, antwortete der Obersteuermann. Bei der Fahrt dahin könnten wir leicht widrige Winde antreffen, und mit Rücksicht auf unsere jetzt nur geringen Proviantvorräthe ist es von Wichtigkeit, die Insel X so schnell als möglich wieder anzulaufen.

– Gewiß, Tom, und ich hoffe auch, schon in der Nacht wieder aufzubrechen, schlimmsten Falls mit einer einzigen Triebschraube, während die zweite dann unterwegs wieder in Ordnung gebracht würde.

– Master Robur, fragte da Tom Turner, aber die beiden Herren und deren Diener …?

– Nun, Tom Turner, erwiderte der Ingenieur, hätten sie darüber sich zu beklagen, Colonisten der Insel X zu werden?«

Was war denn eigentlich diese Insel X? – Eine in dem grenzenlosen Stillen Ocean verlorene Insel zwischen dem Aequator und dem Wendekreis des Krebses; eine Insel, welche das algebraische Zeichen, das Robur zu ihrem Namen erwählt hatte, vollkommen rechtfertigte. Sie entstieg dem weiten Meere der Marquisen außerhalb aller Wege des interoceanischen Verkehrs. Da hatte Robur seine kleine Colonie begründet, da rastete der »Albatros«, wenn er von seinem Fluge ermüdet war, und da versah er sich auch mit allem Nothwendigen für seine fast unaufhörlichen Reisen. Auf dieser Insel X hatte Robur, der über reichliche Hilfsmittel verfügte, eine Werft errichten und seinen Aeronef erbauen können. Hier konnte er denselben ausbessern, selbst ganz neu wiederherstellen. Seine Magazine strotzten von Materialien, Nahrungsmitteln und Vorräthen aller Art, welche hier mit Unterstützung der gegen fünfzig Köpfe zählenden Einwohnerschaft aufgehäuft wurden.

Als Robur vor wenig Tagen das Cap Horn umschiffte, war es seine Absicht gewesen, sich schräg über den Stillen Ocean nach der Insel X zu begeben. Da hatte aber die Cyklone den »Albatros« in ihren Wirbel gerissen und nachher der wilde Orkan ihn nach südlicheren Zonen verschlagen. Kurz, er war dadurch wieder mehr in seine ursprüngliche Fahrtrichtung gedrängt worden, und abgesehen von den Beschädigungen seiner Triebschrauben, wäre dieser Verzögerung keine besondere Bedeutung beizumessen gewesen.

Jetzt wollte man sich also nach der Insel X zurückbegeben, doch war, wie der Obersteuermann Tom Turner vorhergesagt hatte, der Weg dahin ein recht weiter, und höchst wahrscheinlich hatte man dabei auch noch gegen widrige Winde anzukämpfen. Jedenfalls bedurfte es des Aufwandes aller mechanischen Kraft des »Albatros«, um jenes Ziel zur bestimmten Zeit zu erreichen. Bei einigermaßen guter Witterung und bei der gewöhnlichen Fahrtgeschwindigkeit hätte das sonst nur drei bis vier Tage beansprucht.

Deshalb hatte sich Robur auch zum Anlegen an der Insel Chatam entschlossen, wo er wenigstens die vordere Triebschraube unter günstigeren Verhältnissen wieder ausbessern konnte. Er fürchtete dann nicht mehr, selbst im Fall sich eine ganz entgegengesetzte Brise erhob, nach Süden hin verschlagen zu werden, wenn er nach Norden zu fahren wollte. Mit Einbruch der Nacht war diese Reparatur vollendet. Er traf also Anstalt, seinen Anker zu lichten. Sollte dieser zwischen den Uferfelsen gar zu fest eingegriffen haben, so war er entschlossen, einfach das Ankertau zu kappen und den Flug gegen den Aequator zu beginnen.

Es liegt auf der Hand, daß das die einfachste Methode war und entschieden auch die beste, um schnell fortzukommen, und sie wurde denn auch sogleich verfolgt.

Im Bewußtsein, daß jetzt keine Zeit mehr zu verlieren sei, ging die Mannschaft des »Albatros« entschlossen an diese Arbeit.

Und während die Anderen am Vordertheil des Aeronef beschäftigt waren, führten Onkel Prudent und Phil Evans eine Unterhaltung, deren Folgen von ganz außerordentlicher Bedeutung sein sollten.

»Phil Evans, sagte Onkel Prudent, sind Sie gleich mir entschlossen, das Leben zum Opfer zu bringen?

– Ja, gleich Ihnen!

– Und noch einmal, es liegt auf der Hand, daß wir von diesem Robur nichts zu hoffen haben.

– Nichts!

– Nun wohl, Phil Evans, mein Entschluß ist gefaßt. Da der »Albatros« noch heute spät Abends abfahren soll, wird die Nacht nicht vergehen, ohne daß unser Werk vollbracht wäre. Wir werden dem Vogel des Ingenieur Robur die Flügel zerbrechen. Diese Nacht wird er mitten in der Luft zersprengt!

– Haben Sie auch alles dazu Nöthige in Bereitschaft?

– Gewiß. Letztvergangene Nacht, als sich Robur und seine Leute nur um die Rettung des Aeronefs bemühten, gelang es mir, in die Munitionskammer zu schleichen und eine Dynamitpatrone mitzunehmen.

– So lassen Sie uns unverzüglich an’s Werk gehen, Onkel Prudent …

– Nein, erst heute am Spätabend. Wenn es dunkel geworden ist, ziehen wir uns nach unserer Wohnung zurück und Sie übernehmen die Wache, daß mich bei den Vorbereitungen Niemand überrascht.«

Gegen sechs Uhr speisten die beiden Genossen in hergebrachter Weise. Zwei Stunden später hatten sie sich nach ihrer Cabine zurückgezogen, als wollten sie sich für die letzte schlaflose Nacht schadlos halten.

Weder Robur, noch irgend einer seiner Leute konnte im entferntesten ahnen, welche Katastrophe den »Albatros« bedrohte.

Onkel Prudent aber dachte nach folgender Art zur Ausführung zu schreiten:

Wie schon erwähnt, war es ihm gelungen in die Munitionskammer einzudringen, welche in einer der unteren Rumpfabtheilungen des Aeronefs angelegt war. Dort hatte er sich einer gewissen Menge Pulvers und einer Patrone bemächtigt, die ganz mit denen übereinstimmte, deren sich der Ingenieur früher in Dahomey bediente. Nach seiner Cabine zurückgekehrt, hatte er die Patrone sorgfältig versteckt, mit der der »Albatros«, wenn er in der Nacht seinen Flug durch die Lüfte wieder begonnen, gesprengt werden sollte.

Eben jetzt besichtigte Phil Evans den von seinem Genossen geraubten Explosionskörper.

Dieser bestand aus einer längeren Hülse, deren metallene Wand etwa ein Kilogramm des explosiven Stoffes enthielt, also voraussichtlich eine hinreichende Menge, um den Aeronef auseinander zu reißen und sein vielfältiges Steigschrauben-Getriebe zu zerstören. Vernichtete ihn die Explosion aber nicht mit einem Schlage, so mußte der Sturz in die Tiefe das Zerstörungswerk vollenden. Die Form und Größe der Patrone begünstigten es übrigens außerordentlich, diese in einer Ecke der Cabine so anzubringen, daß sie die Plattform unbedingt durchschlug und ihre Wirkung auch das Rippenwerk des Rumpfes erreichte. Die Explosion konnte nun aber nur durch das Zündhütchen, mit dem die Patrone ausgerüstet war, bewerkstelligt werden, das war der heiklichste Theil des ganzen Vorhabens, denn dieses Zündhütchen sollte nur nach vorausberechneter Zeit in Brand gesetzt werden.

Onkel Prudent hatte sich den Verlauf folgendermaßen gedacht: Gleich nach Vollendung der Reparaturarbeiten in der Vordertriebschraube sollte der Aeronef den Weg nach Norden wieder aufnehmen: wenn Obiges aber geschehen war, lag die Wahrscheinlichkeit nahe, daß Robur mit seinen Leuten nach dem Hinterdeck kommen würde, um auch die hintere Triebschraube wieder in guten Stand zu setzen. Die Anwesenheit der gesammten Mannschaft an der Nähe der Cabine aber konnte Onkel Prudent leicht bei seiner Thätigkeit stören. Deshalb hatte er sich zur Verwendung einer Lunte entschlossen, um mittelst derselben die Explosion zu einer bestimmten Zeit eintreten zu lassen.

Er sprach sich darüber gegen Phil Evans mit folgenden Worten aus:

»Als ich mir die Patrone holte, habe ich gleichzeitig auch etwas Pulver mitgenommen. Mit diesem Pulver denke ich eine Lunte herzustellen, deren Länge mit ihrer gewünschten Brenndauer in Uebereinstimmung zu bringen sein wird und deren Ende ich in dem Zündhütchen zu befestigen gedenke. Meine Absicht geht nun dahin, dieselbe um Mitternacht anzuzünden und die Explosion zwischen drei und vier Uhr früh erfolgen zu lassen.

– Gut ausgedacht!« antwortete Phil Evans.

Die beiden Collegen waren, wie man hieraus ersieht, schon dahin gelangt, mit größter Kaltblütigkeit das schreckliche Vernichtungswerk zu besprechen, durch das auch sie mit untergehen sollten. Sie trugen eben eine solche Summe von Haß gegen Robur und seine Leute in sich, daß ihnen selbst die Aufopferung des eigenen Lebens nicht zu groß erschien, nur um den »Albatros« und Alle, die er mit durch die Lüfte führte, mit einem Schlage zu vernichten. Zugegeben, daß diese That ein sinnloses, ein verruchtes Unterfangen war; nach vollen fünf Wochen eines nie zum Ausbruch gekommenen Zornes, einer nie besänftigten stillen Wuth ließen sie sich durch eine solche Kleinigkeit nicht mehr abhalten.

»Und Frycollin? warf Phil Evans noch ein; steht uns das Recht zu, ohne ihn zu fragen, auch über sein Leben zu verfügen?

– Wir opfern ja auch das unsrige,« entgegnete Onkel Prudent.

Es dürfte zweifelhaft sein, daß Frycollin das als stichhaltigen Grund angesehen hätte.

Onkel Prudent ging also sofort an’s Werk, während Phil Evans vor dem Ruff Wache hielt.

Die Mannschaft war noch immer am Vordertheil beschäftigt und eine Ueberraschung vorläufig also kaum zu fürchten.

Onkel Prudent begann damit, eine geringe Menge Pulver zu Mehl zu verreiben. Nachdem er dasselbe leicht angefeuchtet, füllte er es, um eine Lunte zu erhalten, in einen engen, aus Leinwand herstellten Schlauch. Durch eine vorläufige Probe überzeugte er sich, daß diese binnen zehn Minuten fünf Centimeter weit verglimmte, bei der Länge von einem Meter also drei und einhalb Stunden ausreichen mußte. Er löschte die Lunte nun wieder aus, umwand sie fest mit Bindfaden und führte das Ende derselben in das Zündhütchen ein.

Alles das war, ohne den geringen Argwohn Anderer zu erwecken, um zehn Uhr Abends vollendet.

Da trat Phil Evans wieder zu seinem Collegen in die Cabine.

Während derselben Zeit war die Ausbesserung der vorderen Triebschraube eifrig gefördert worden; man hatte diese aber ganz hereinnehmen müssen, um die jetzt falsch gebogenen Flügel abheben zu können.

Weder Batterien, noch Accumulatoren, überhaupt nichts, was zur Erzeugung der mechanischen Kraft des »Albatros« gehörte, hatte durch die Wuth der Cyklone Schaden gelitten, und jedenfalls war noch für vier bis fünf Tage hinreichender Kraftvorrath vorhanden.

Es war schon Nacht geworden, als Robur und seine Leute ihre Arbeit unterbrachen, ohne die vordere Triebschraube bisher wieder an richtiger Stelle eingesetzt zu haben, da es noch einer etwa dreistündigen Reparatur bedurfte, ehe dieselbe wieder functioniren konnte. Nach kurzer Rücksprache mit Tom Turner entschied sich der Ingenieur dafür, seinen von der gehabten Anstrengung erschöpften Leuten einige Erholung zu gönnen und auf den folgenden Morgen zu verschieben, was noch zu thun übrig blieb. Uebrigens brauchte man zu dieser, die peinlichste Sorgfalt erfordernden Arbeit die volle Tageshelle, während die Positionslaternen dazu nur ungenügendes Licht hätten liefern können.

Hiervon wußten nun Onkel Prudent und Phil Evans freilich nichts. Nach den ihnen zu Ohren gekommenen Aeußerungen Robur’s mußten sie voraussetzen, daß die vordere Triebschraube vor Einbruch der Nacht schon wieder völlig in Stand gesetzt sei und der »Albatros« seine Fahrt nach Norden unverzüglich angetreten habe. Sie hielten diesen also für losgelöst von der Insel, an der sein Anker ihn doch noch festhielt. Dieser Umstand aber sollte der ganzen Angelegenheit eine von ihnen gar nicht geahnte Wendung geben.

Es war eine dunkle, mondeslose Nacht, deren Finsterniß schwere Wolken nur noch tiefer machten. Von Südwesten her wehte dann und wann ein leichter Lufthauch; dieser bewegte aber den »Albatros« nicht von der Stelle, sondern letzterer hielt sich an seinem Anker still, dessen senkrecht gespanntes Tau ihn an die Erde fesselte.

In ihre Cabine eingeschlossen, wechselten Onkel Prudent und sein College nur wenige Worte; sie lauschten auf das Schwirren der Auftriebsschrauben, das jedes andere Geräusch an Bord übertönte, und erwarteten nun den Augenblick zum Handeln.

Kurz vor Mitternacht begann Onkel Prudent:

»Es ist nun Zeit!«

Unter den Lagerstätten der Cabine befand sich ein schubladenartiger Koffer, in den Onkel Prudent die mit der Lunte versehene Dynamitpatrone gelegt hatte, damit die Lunte verglimmen konnte, ohne sich durch auffälligen Geruch oder etwaiges Knistern zu verrathen. Onkel Prudent zündete das freie Ende derselben an und schob den Koffer wieder unter das Bett zurück.

»Nun nach dem Hinterdeck, sagte er, dort wollen wir warten.«

Beide traten heraus und verwunderten sich nicht wenig, den Steuermann nicht an seinem gewohnten Platze zu sehen.

Da bog sich Phil Evans über das Deck hinaus.

»Der »Albatros« schwebt noch am nämlichen Orte, sagte er leise. Die Arbeiten sind offenbar noch unvollendet. Er hat nicht abfahren können.«

Ueber Onkel Prudent’s Gesicht lief ein Zug der Enttäuschung.

»So müssen wir die Lunte löschen, sagte er.

– Nein … aber uns retten! erwiderte Phil Evans.

– Uns retten?

– Ja, mittelst des Ankertaues, da es jetzt finster ist. Hundertfünfzig Fuß hinabzuklettern hat ja nichts zu bedeuten.

– Nichts, bestätigte Onkel Prudent, und wir wären reine Thoren, eine so unerwartet günstige Gelegenheit unbenützt zu lassen.«

Vorher kehrten sie jedoch noch einmal nach der Cabine zurück und versahen sich mit Allem, was sie in Voraussicht eines kürzeren oder längeren Verweilens auf der Insel Chatam glaubten bedürfen zu können. Nachdem sie die Thür wieder geschlossen, schlichen sie möglichst geräuschlos nach dem Vorderdeck.

Sie wollten auch Frycollin wecken und diesen zur gleichzeitigen Flucht mit ihnen veranlassen.

Rings herrschte tiefes Dunkel. Die Wolkenströmung von Südwesten wurde etwas schneller. Der Aeronef schlingerte ein wenig vor seinem Anker, indem er, so weit es das gespannte Kabel zuließ, leicht in verticaler Richtung schwankte. Der Abstieg drohte also etwas mehr Schwierigkeiten zu bieten. Das war aber nicht dazu angethan, zwei Männer abzuschrecken, die eben noch entschlossen gewesen waren, ihr Leben geradezu wegzuwerfen.

Beide schlichen also über das Deck hin und standen zuweilen, geschützt durch die Bauten darauf, still, um zu lauschen, ob irgend ein Geräusch vernehmbar werde. Nein … Alles still. Kein Schein zitterte durch die Lichtpforten. Der Aeronef lag nicht allein schweigend da, er war vielmehr in Schlaf versunken.

Onkel Prudent und sein Begleiter näherten sich schon der Cabine Frycollin’s, als Phil Evans plötzlich stehen blieb.

»Der Wachtposten!« sagte er.

Wirklich lag ein Mann in der Nähe eines der Ruffs. Offenbar konnte derselbe, wie man zu sagen pflegt, kaum eingenickt sein. Wenn dieser Lärm schlug, mußte die Flucht unmöglich werden.

Nahe hierbei lagen einige Stricke, Leinwandstücke und Werg, was Alles bei Ausbesserung der Schraube gebraucht worden war.

Eine Minute später war der Mann geknebelt, über und über eingewickelt und an einen Pfosten des Vordercastells gebunden, so daß er weder einen Laut von sich geben, noch eine Bewegung machen konnte.

Alles das vollzog sich fast ohne jedes Geräusch.

Onkel Prudent und Phil Evans horchten gespannt … Selbst im Inneren der Ruffs ließ sich kein Laut hören. Was an Bord war, lag in festem Schlafe.

Die beiden Flüchtlinge – denn diesen Namen darf man ihnen wohl geben – kamen nach der von Frycollin eingenommenen Cabine. François Tapage ließ ein höchst beruhigendes Schnarchen vernehmen.

Zur größten Ueberraschung brauchte Onkel Prudent die Thür Frycollin’s nicht einmal aufzuklinken, denn diese stand offen. Er trat einen Schritt in die Cabine ein, zog sich aber gleich wieder zurück.

»Da ist Niemand d’rin, flüsterte er.

– Niemand … Wo könnte er sein?« murmelte Phil Evans.

Beide begaben sich nun weiter nach vorn, in der Meinung, Frycollin möchte in irgend einem Winkel eingeschlafen sein.

Auch hier fand sich Niemand.

»Sollte der Spitzbube uns schon vorausgegangen sein? … fragte Onkel Prudent.

– Mag das der Fall sein oder nicht, antwortete Phil Evans, wir können unbedingt nicht länger warten. Vorwärts!«

Ohne Zögern packten die Flüchtlinge einer nach dem anderen das Tau mit den Händen und hielten sich auch mit den Füßen daran fest, dann glitten sie daran herab und kamen heil und gesund zur Erde nieder.

Welches Entzücken für sie, den Erdboden zu betreten, der ihnen so lange gefehlt hatte, auf fester Grundlage dahin zu gehen und nicht mehr ein Spielball der Luft zu sein!

Sie suchten eben, längs des kleinen Wasserlaufs hinwandernd, nach dem Inneren der Insel zu gelangen, als sich plötzlich vor ihnen ein Schatten erhob.

Das war Frycollin.

Ja, der Neger hatte denselben Gedanken gehabt, der seinem Herrn gekommen war, und sogar die Kühnheit, denselben ohne jede Meldung vorher zur Ausführung zu bringen.

Jetzt war freilich keine Zeit zu Auseinandersetzungen, und Onkel Prudent drängte es weit mehr, einen Zufluchtsort in entfernteren Theilen der Insel zu finden, als Phil Evans stehen blieb.

»Hören Sie mich an, Onkel Prudent, begann er. Wir sind jetzt außer dem Machtbereich jenes Robur. Er und seine Begleiter sind einem schrecklichen Tode geweiht, und ich gebe zu, daß er ihn verdient hat. Wenn er aber nun bei seiner Ehre schwören wollte, von jedem Versuche, uns wieder mit sich zu schleppen, abzugehen …

– Die Ehre eines solchen Mannes …«

Onkel Prudent konnte den Satz nicht vollenden. An Bord des »Albatros« entstand eine auffällige Bewegung.

Allem Anscheine nach war Alarm geschlagen und die Flucht entdeckt worden.

»Hierher, hierher,« rief eine Stimme.

Diese kam von dem Wachthabenden, der seine Umhüllung doch hatte abstreifen können. Fast gleichzeitig warfen die Bordlichter ihre elektrischen Strahlen über einen weiten Umkreis.

»Da sind sie! Da unten!« rief Tom Turner.

Die Flüchtlinge waren erkannt worden.

Gleichzeitig wurde auf einen laut ertheilten Befehl Robur’s hin die Bewegung der Auftriebsschrauben verlangsamt und durch Einziehung des Ankertaues begann der »Albatros« sich der Erde zu nähern.

In diesem Augenblick ließ sich deutlich die Stimme Phil Evans‘ vernehmen:

»Ingenieur Robur! rief er, verpflichten Sie sich auf Ehre, uns hier auf dieser Insel frei zu lassen?

– Niemals!« entgegnen Robur bestimmt.

Diese Antwort begleitete überdies der Knall eines Gewehres, dessen Geschoß die Schulter Phil Evans‘ streifte.

»Ah, diese Schurken!« rief Onkel Prudent.

Sein Messer in der Hand, stürzte er damit schon nach dem Felsen, zwischen denen der Anker eingegriffen hatte. Der Aeronef befand sich nur noch fünfzig Fuß über der Erde.

Binnen wenigen Secunden war das Tau durchschnitten, und die inzwischen merklich aufgefrischte Brise, die den »Albatros« in schiefer Richtung traf, führte diesen nach Nordosten über das Meer hinaus.

XVI.

XVI.

Welches den Leser in einer vielleicht beklagenswerthen Ungewißheit läßt.

Es war jetzt zwanzig Minuten nach Mitternacht. Noch fünf bis sechs Flintenschüsse krachten von dem Aeronef herunter. Phil Evans unterstützend, hatten sich Onkel Prudent und Frycollin unter den Schutz der Felsen geflüchtet, ohne von einer Kugel verletzt zu werden. Für den Augenblick hatten sie nichts mehr zu fürchten.

Zunächst wurde der »Albatros«, während er sich gleichzeitig von der Insel Chatam entfernte, zu einer Höhe von neunhundert Metern emporgetrieben. Er hatte seine Aufstiegsschnelligkeit vergrößern müssen, um nicht in’s Meer zu fallen.

In dem Augenblick, als der von seiner Emballage befreite Wachtposten den ersten Ausruf ausgestoßen hatte, waren Robur und Tom Turner auf ihn zugeeilt und hatten ihn vollends von der den Kopf umschließenden Leinwandhülle befreit und seine Fesseln gelöst. Darauf stürzte der Obersteuermann gleich nach der Cabine des Onkel Prudent und Phil Evans, fand diese aber leer.

François Tapage hatte inzwischen die Cabine Frycollin’s durchsucht; auch in dieser war Niemand mehr.

Als Robur die Ueberzeugung gewann, daß seine Gefangenen ihm entronnen waren, ergriff ihn der heftigste Zorn. Mit dem Entweichen des Onkel Prudent und Phil Evans‘ war sein Geheimniß und seine Persönlichkeit aller Welt offenbart. Wegen jenes bei der Fahrt über Europa herabgeworfenen Schriftstückes hatte er sich deshalb weit weniger Sorge gemacht, weil er annehmen durfte, daß dasselbe beim Niederfallen überhaupt verloren gegangen sei … Jetzt lag die Sache aber ganz anders.

Dann suchte er sich wieder zu beruhigen.

»Sie sind vorläufig zwar entflohen, sagte er sich; da sie von der Insel Chatam aber vor Ablauf einiger Tage nicht wegkommen können, so werde ich dahin zurückkehren. Ich werde sie suchen … sie wieder einfangen … und dann …«

In der That konnten sich die drei Flüchtlinge noch keineswegs als gerettet betrachten. Erlangte der »Albatros« erst seine Manövrirfähigkeit wieder, so erschien er sicherlich wieder bei der Insel Chatam, von der Jene schwerlich zeitig genug zu entkommen vermochten. Schon vor Verlauf von zwölf Stunden konnten sie ungünstigen Falles dem Ingenieur wieder in die Hände gerathen sein.

Vor Verlauf von zwölf Stunden? Aber binnen zwei Stunden sollte der »Albatros« ja vernichtet sein! Glich jene Dynamitpatrone nicht einem an seiner Wand befestigten Torpedo, der das Zerstörungswerk mitten in der Luft vollführen sollte?

Inzwischen wurde der Aeronef von der noch mehr sich versteifenden Brise weiter nach Nordost hin getrieben und mußte mit Sonnenaufgang die Insel Chatam unbedingt aus dem Gesichte verloren haben.

Um gegen den Wind aufkommen zu können, hätten seine Triebschrauben, mindestens die eine am Vordertheil, zu functioniren im Stande sein müssen.

»Tom, rief der Ingenieur, laßt die Signallaternen so hell als möglich leuchten.

– Sogleich, Master Robur.

– Und dann Alle an die Arbeit!

– Alle!« wiederholte der Obersteuermann.

Jetzt konnte nicht mehr davon die Rede sein, die Vollendung der nöthigen Reparaturen bis zum anderen Morgen aufzuschieben. Auf dem »Albatros« gab es keinen Mann, der nicht den Eifer seines Chefs getheilt, keinen einzigen, der nicht das Verlangen gehabt hätte, die Flüchtlinge wieder zu ergreifen. Sobald die vordere Triebschraube richtig eingesetzt war, wollte man nach Chatam umkehren, sich daselbst vor Anker legen und die Spur der Entflohenen verfolgen. Erst nachher sollte die Ausbesserung der hinteren Schraube vorgenommen werden, damit der Aeronef dann mit aller Sicherheit seine Reise über den Stillen Ocean und nach der Insel X ausführen könne. Jedenfalls erschien es von Bedeutung, daß der »Albatros« nicht allzu weit nach Nordost verschlagen würde. Leider wurde der Wind aber immer stärker und er konnte gegen denselben jetzt nicht aufkommen, ja, sich nicht einmal an ein und derselben Stelle erhalten. Seiner Triebschrauben beraubt, war er eben zum unlenkbaren Aerostaten geworden. Die noch an der Küste weilenden Flüchtlinge konnten sich noch überzeugen, daß er vollständig außer Sicht gekommen war, ehe die vorbereitete Explosion ihn in Stücke riß.

Der jetzige Zustand der Dinge flößte Robur doch einige Beunruhigung ein, da er nur mit ziemlich bedeutender Verzögerung nach der Insel Chatam zurückzukehren hoffen durfte. Er entschloß sich deshalb, während alle Hände mit der so nothwendigen Ausbesserung beschäftigt waren, sich tiefer niederzulassen, in der Erwartung, damit eine schwächere Luftströmung anzutreffen. Vielleicht konnte sich der »Albatros« in diesen Schichten wenigstens an der Stelle erhalten, bis er wieder eigene Kraft genug zu äußern vermochte, um gegen die Brise mit Erfolg anzukämpfen.

Dieses Manöver wurde auch sogleich ausgeführt. Wenn jetzt ein Schiff in der Nähe gewesen wäre, wie würde dessen Mannschaft erschrocken sein beim Anblick der Evolutionen dieses gewaltigen Apparates?

Als der »Albatros« nur noch wenige hundert Fuß über der Meeresfläche schwebte, wurde sein Niedergang aufgehalten.

Leider mußte sich Robur überzeugen, daß der Wind in diesen niederen Zonen nur noch heftiger wehte und der Aeronef also mit noch größerer Schnelligkeit dahin getrieben wurde. Er lief hiermit natürlich Gefahr, sehr weit nach Nordost verschlagen zu werden, was die Rückkehr nach der Insel Chatam noch mehr verzögern mußte.

Nach diesen vergeblichen Versuchen wurde daher wieder beschlossen, sich mehr in den oberen Lagen der Atmosphäre zu erhalten, wo das Luftmeer in besserem Gleichgewicht und deshalb weniger bewegt war. Der »Albatros« stieg also wieder zu einer mittleren Höhe von dreitausend Meter empor. Blieb er hier auch nicht stationär, so trieb er doch wenigstens nur langsam weiter. Der Ingenieur konnte also hoffen, daß er bei Tagesanbruch und von dieser Höhe aus die Insel, deren geographische Lage er übrigens mit vollkommener Sicherheit aufgenommen hatte, noch werde sehen können.

Darum, ob die Flüchtlinge Seitens der Eingeborenen – im Fall die Insel bewohnt war – einen freundlichen Empfang gefunden hatten, oder nicht, machte Robur sich keine weitere Sorge. Ob ihnen die Inselbewohner hilfreich beistanden, war für ihn ziemlich belanglos. Durch die Angriffswaffen, über die der »Albatros« verfügte, würden sie sicherlich erschreckt und schnell zerstreut werden. Die Wiedererlangung der Gefangenen war also eine leichte Aufgabe, und einmal ergriffen …

»Nun, von der Insel X entflieht Niemand!« sagte Robur.

Eine Stunde nach Mitternacht war die vordere Triebschraube wieder in Stand gesetzt. Es erübrigte nun bloß noch die Montirung derselben, d. h. die gehörige Anbringung derselben an der Welle, was eine weitere Stunde Arbeit erforderte. Nachher sollte der »Albatros«, den Bug nach Südwest gerichtet, sogleich abfahren und die Reparatur der hinteren Triebschraube in Angriff genommen werden.

Aber die Lunte, welche in der verlassenen Cabine glimmte, diese Lunte, von der schon der dritte Theil aufgezehrt war! … Und jener Funken, der sich mehr und mehr der Dynamitpatrone näherte! …

Wäre die Mannschaft des Aeronefs nicht gar so dringlich beschäftigt gewesen, so hätte doch vielleicht Einer das schwache Knistern wahrgenommen, welches jetzt dann und wann in dem Ruff entstand; vielleicht hätte er auch den Geruch verbrannten Pulvers bemerkt. Das hätte ihn sicherlich so beunruhigt, daß er dem Ingenieur davon Mittheilung machte. Bei genauer Nachforschung konnte dann der Kasten, in dem der explodirende Körper verborgen war, nicht unentdeckt bleiben. Es wäre also noch Zeit gewesen, den wunderbaren »Albatros« und Alle, die er trug, zu retten.

Die Leute arbeiteten aber auf dem Vorderdeck und wenigstens zwanzig Meter entfernt von dem Ruff der Entflohenen. Noch rief sie nichts nach diesem Theile des Decks, sowie nichts sie von einer Beschäftigung ablenken konnte, die ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Robur legte als geschickter Mechaniker persönlich Hand mit an. Er betrieb die Arbeit, ohne doch irgendwie zu vernachlässigen, daß Alles mit größter Sorgfalt ausgeführt wurde, da es ihm ja darauf ankam, seines Apparates vollständig Herr zu werden. Gelang es ihm nicht, die Gefangenen bald wieder in seine Gewalt zu bringen, so fanden diese voraussichtlich Gelegenheit, in ihr Vaterland zurückzukehren. Dann wurden jedenfalls Nachforschungen angestellt und die Insel X konnte dabei möglicher Weise aufgefunden werden; damit aber wäre das Ende der Existenz gekommen, welche sich die Leute, die der »Albatros« trug, geschaffen hatten – das Ende dieser übermenschlichen, so zu sagen hocherhabenen Lebensweise.

Eben jetzt trat Tom Turner an den Ingenieur heran. Es war ein Viertel nach ein Uhr.

»Master Robur, begann er, mir scheint, die Brise hat Neigung abzuflauen und mehr nach Westen umzuschlagen.

– Und was zeigt der Barometer? fragte Robur, nachdem er den Himmel flüchtig betrachtet.

– Er hält sich ziemlich genau auf demselben Punkte, antwortete der Obersteuermann. Außerdem kommt es mir vor, als ob die Wolkenlagen unter dem »Albatros« sich senkten.

– Ganz recht, Tom Turner, und in diesem Falle wäre es nicht unwahrscheinlich, daß über dem Meere jetzt Regen fiele. Bleiben wir jedoch über der Regenzone schweben, so kümmert uns das ja nicht, und wir werden an der Vollendung unserer Arbeiten dadurch nicht gestört werden.

– Wenn jetzt Regen fällt, meinte Tom Turner, so kann es nur ein ganz feiner sein – die Form der Wolken läßt das wenigstens muthmaßen – und höchst wahrscheinlich legt sich tiefer unten der Wind bald gänzlich.

– Ohne Zweifel, Tom, antwortete Robur. Immerhin scheint es mir zweckmäßiger, noch nicht hinunter zu gehen. Beeilen wir uns erst, alle erlittenen Beschädigungen auszubessern, dann können wir ja nach Belieben manövriren, und das ist die Hauptsache.«

Wenige Minuten nach zwei Uhr war der erste Theil der Arbeit vollendet. Nach Wiedereinsetzung der vorderen Triebschraube wurden die jene treibenden Batterien in Thätigkeit gesetzt. Nach und nach beschleunigte sich die Bewegung des »Albatros«, und, den Bug nach Südwest gerichtet, kehrte er mit mittlerer Geschwindigkeit in der Richtung nach der Insel Chatam zurück.

»Tom, sagte Robur, es mögen etwa zweieinhalb Stunden verflossen sein, seit wir nach Nordost hin getrieben wurden. Die Windrichtung hat sich, wie mir Compaßbeobachtungen lehrten, seitdem nicht geändert. Ich schätze also, daß wir binnen höchstens einer Stunde die Gestade der Insel wieder gefunden haben können.

– Ich glaub‘ es auch, Master Robur, antwortete der Obersteuermann, denn wir bewegen uns jetzt mit einer Schnelligkeit von zwölf Meter in der Secunde vorwärts. Zwischen drei und vier Uhr Morgens müßte der »Albatros« seinen Ausgangspunkt demnach wieder erreichen.

– Das wäre desto besser, Tom, erwiderte der Ingenieur. Wir haben ein Interesse daran, noch während der Nacht einzutreffen und ungesehen an’s Land zu kommen. Die Flüchtlinge halten uns für weit nach Norden verschlagen und sind jetzt gewiß nicht auf ihrer Hut. Wenn der »Albatros« ganz nahe der Erde hingleitet, werden wir versuchen, uns hinter einigen hohen Felsen der Insel zu verbergen. Müßten wir dann selbst mehrere Tage bei Chatam verweilen …

– So bleiben wir eben da, Master Robur, und hätten wir auch gegen eine ganze Armee von Eingeborenen zu kämpfen …

– So kämpfen wir, Tom, kämpfen wir für unseren »Albatros«!«

Der Ingenieur wandte sich zu seinen neue Anordnungen erwartenden Leuten zurück.

»Liebe Freunde, sagte er, noch ist die Stunde der Ruhe nicht gekommen, wir müssen bis zum Anbruch des Tages thätig sein.«

Alle erklärten sich bereit.

Jetzt galt es, an der hinteren Triebschraube dieselben Reparaturen vorzunehmen, welche an der vorderen schon ausgeführt waren. Es handelte sich dabei um die gleichen Beschädigungen, die auch die nämliche Ursache, jener Orkan bei der Fahrt über den antarktischen Continent, veranlaßt hatte.

Um diese Schraube hereinzuholen, erschien es rathsam, die Fahrt des Aeronefs während einiger Minuten zu unterbrechen oder ihm selbst eine Rückwärtsbewegung zu ertheilen. Auf ein Zeichen Robur’s legte der Hilfsmechaniker die Maschine um, indem er die vordere Schraube sich in entgegengesetztem Sinne drehen ließ, so daß der Aeronef – um den seetechnischen Ausdruck zu gebrauchen – »über Steuer zu gehen« anfing.

Schon wollten sich Alle nach dem Hinterdeck begeben, als Tom Turner ein eigenthümlicher Geruch auffiel.

Es waren die in dem Kasten jetzt angehäuften Gase der Lunte, welche aus der Cabine der Flüchtlinge hervordrangen.

»Hm …? machte der Obersteuermann.

– Was giebt es? fragte Robur.

– Riechen Sie nichts? Man könnte sagen, es müsse Pulver brennen.

– Ihr habt Recht, Tom!

– Und dieser Geruch dringt aus dem letzten Ruff.

– Ja … sogar aus derselben Cabine …

– Sollten die Elenden auch noch Feuer angelegt haben?

– Und wenn es nicht nur Feuer wäre? … rief Robur. Stoßt die Thür ein, Tom, stoßt sie ein!«

Der Obersteuermann ging aber kaum daran, diesem Befehle nachzukommen, als eine furchtbare Explosion den »Albatros« erschütterte. Die Ruffs flogen in Stücke. Die elektrischen Lampen verlöschten, da ihnen der Strom plötzlich fehlte, und es ward vollständig finster. Doch wenn auch gleichzeitig die meisten Auftriebsschrauben verbogen oder theilweise zertrümmert und dadurch wirkungslos geworden waren, so drehten sich wenigstens noch mehrere nahe dem Bug ungestört weiter.

Pötzlich öffnete sich auch der Aeronef ein wenig hinter dem ersten Ruff, dessen Accumulatoren noch immer die vordere Triebschraube in Thätigkeit erhielten, und der hintere Theil des Decks senkte sich ebenso schnell nach abwärts. Fast gleichzeitig standen die hinteren Auftriebsschrauben still und der »Albatros« stürzte in die Tiefe hinab.

Das bedeutete für die acht Männer, welche sich gleich Schiffbrüchigen an dieses Wrack klammerten, einen Sturz von dreitausend Metern.

Derselbe mußte obendrein noch um so schneller erfolgen, als die vordere Triebschraube, deren Achse jetzt senkrecht stand, noch immer arbeitete.

Da ließ sich Robur, der in dieser verzweifelten Lage eine ganz außerordentliche Kaltblütigkeit an den Tag legte, bis zu dem halb weggesprengten Ruff gleiten, ergriff den Steuerungshebel und veränderte sofort die Drehungsrichtung der Schraube, welche nun statt vorwärts nach aufwärts trieb.

Der Absturz wurde dadurch zwar nicht aufgehalten, aber doch wenigstens verlangsamt; das Wrack fiel nicht mehr mit der zunehmenden Geschwindigkeit nieder, welche alle nur der Wirkung der Schwerkraft unterworfenen Körper zeigen. Und wenn auch allen lebenden Wesen auf dem »Albatros« noch immer der Tod drohte, weil sie rettungslos in’s Meer stürzen mußten, so war es doch nicht mehr der Tod durch Erstickung inmitten der wegen rasender Schnelligkeit des Falles unathembar werdenden Luft.

Vierundzwanzig Secunden nach der Explosion war, was vom »Albatros« noch übrig war, in den Fluthen versunken.