Dreizehntes Capitel

An Bord der »Syphanta«.

Am folgenden Tage, dem 3. September, versuchte die »Syphanta«, nachdem sie gegen zehn Uhr Morgens die Anker gelichtet, dicht am Winde segelnd aus der engen Wasserstraße des Hafens von Scarpanto herauszukommen.

Die von Henry d’Albaret freigekauften Gefangenen hatten es sich, die Einen im Zwischendeck, die Andern in der Batterie, so bequem wie möglich gemacht. Obwohl die Fahrt über den Archipel nur wenige Tage in Anspruch nehmen konnte, hatten es Officiere und Matrosen sich doch angelegen sein lassen, die armen Leute an Bord so gut unterzubringen, wie das die Raumverhältnisse nur gestatteten.

Schon am Vorabende hatte der Commandant Henry d’Albaret Alles geordnet, um unverzüglich absegeln zu können. Zur Regulirung seines Gebotes von dreizehntausend Pfund hatte er Sicherheit gestellt, mit der der Kadi sich befriedigt erklärte. Die Einschiffung der Gefangenen war also ohne Schwierigkeiten vor sich gegangen, und vor Ablauf von drei Tagen sollten alle diese Unglücklichen, denen vorher das schrecklichste Loos in den Bagnos der Barbareskenstaaten harrte, an irgend einem Punkte des nördlichen Griechenlands, wo sie für ihre persönliche Freiheit nichts mehr zu fürchten hatten, abgesetzt werden.

Ihre Einlösung aber verdankten sie einzig und allein Dem, der sie ohne Ansehung des Opfers, das er dabei brachte, den Händen Nicolas Starkos‘ entriß. Ihre Dankbarkeit fand auch, sobald sie den Fuß auf das Deck der Corvette gesetzt, in einer wahrhaft rührenden Handlung sprechenden Ausdruck.

Unter ihnen befand sich nämlich ein »Papa«, ein bejahrter Geistlicher aus Leondaris. Begleitet von seinen Unglücksgefährten, begab sich dieser nach dem Oberdeck, wo sich Hadjine Elizundo mit Henry d’Albaret und einigen Officieren aufhielt. Hier knieten Alle, der Greis an der Spitze, vor Jenen nieder, und die Hände gegen den Commandanten erhebend, begann der Greis:

»Gesegnet seien Sie, Henry d’Albaret, von Allen, die Ihr Edelmuth der Freiheit zurückgegeben hat!

– Liebe Freunde, antwortete der Commandant der »Syphanta« bewegt, ich habe ja nicht mehr als meine Pflicht gethan.

– Ja, gesegnet von Allen… von Allen… auch von mir, Henry!« fügte Hadjine, sich ebenfalls vor ihm verneigend, hinzu.

Henry d’Albaret hatte sie, fast verwirrt von dieser unerwarteten Huldigung, schnell wieder aufgehoben, und nun erschallte ein »Hoch Henry d’Albaret!« und »Hoch lebe Hadjine Elizundo!« vom Oberdeck bis nach dem Vordercastell, aus den Tiefen der Batterie bis hinauf nach den Marsraaen, wo etwa fünfzig Mann von der Besatzung Platz genommen hatten und den Vorgang mit donnernden Hurrahs begleiteten.

Eine einzige Gefangene – die, welche sich auch am Vortage im Batistan möglichst versteckt hielt – hatte an dieser Kundgebung nicht theilgenommen. Auch bei der Einschiffung ging ihr Hauptbestreben dahin, unter den Gefangenen unbemerkt zu bleiben. Das war ihr gelungen, und Niemand ahnte ihre Gegenwart an Bord, als sie sich nach der dunkelsten Ecke des Zwischendecks zurückgezogen hatte. Sie hoffte jedenfalls auch ebenso ungesehen wieder an’s Land gehen zu können. Warum sie so vorsichtig verfuhr und ob sie vielleicht einem Officier oder Matrosen der Corvette bekannt war, das hätte Niemand sagen können; gewiß aber mußte sie wichtige Gründe haben, dieses Incognito während der drei bis vier Tage, welche die Fahrt durch den Archipel dauern konnte, so streng zu bewahren.

Wenn aber Henry d’Albaret die volle Dankbarkeit der zufälligen Passagiere der Corvette verdiente, was verdiente dann Hadjine Elizundo für alle die großmüthigen Opfer, die sie seit ihrer Abreise von Korfu aus eigenem Antriebe gebracht hatte?

»Henry, hatte sie am vorhergehenden Tage gesagt, Hadjine Elizundo ist jetzt arm, aber sie ist nun Deiner würdig!«

Arm?… Das war sie in der That. – Des jungen Officiers würdig?… Das wird sich im weiteren Verlaufe zeigen.

Und wenn Henry d’Albaret Hadjine schon liebte, als so erschütternde Vorkommnisse sie von einander trennten, wie mußte diese Liebe erst wachsen, als er erfuhr, welcher Aufgabe sich das junge Mädchen während dieses langen Jahres bitterer Trennung gewidmet hatte.

Sobald Hadjine Elizundo erkannte, woher das von ihrem Vater hinterlassene große Vermögen stammte, hatte sie sofort beschlossen, dasselbe zum Rückkauf von Gefangenen zu verwenden, von deren Fortschaffung und Verkauf er soviel Vortheil gezogen hatte. Von jenen so unehrenhaft gewonnenen zwanzig Millionen wollte sie nichts für sich behalten und theilte Xaris dieses Vorhaben mit; Xaris stimmte demselben gern zu, und so wurden alle Vermögensbestandtheile des Bankhauses schnellstens flüssig gemacht.

Henry d’Albaret erhielt damals jenen Brief, in welchem das junge Mädchen ihn um Verzeihung bat und ihm Lebewohl sagte. Darauf verließ Hadjine unter dem Schutze des muthigen und ergebenen Xaris heimlich Korfu, um sich nach dem Peloponnes zu begeben.

Zu jener Zeit wütheten die Soldaten Ibrahim’s im Kampfe gegen die Bevölkerung des mittleren Morea, welche schon seit langer Zeit unendlich zu leiden gehabt hatte. Die Unglücklichen, die dabei nicht hingemordet wurden, schickten sie nach den Haupthäfen von Messenien, nach Patras oder Navarin. Von hier aus beförderten sie die entweder von der türkischen Regierung gestellten oder von den Seeräubern des Archipels bemannten Schiffe zu Tausenden entweder nach Scarpanto oder nach Smyrna, wo ein unausgesetzter Sclavenhandel stattfand.

Während der zwei ersten Monate nach ihrem Verschwinden gelang es Hadjine und Xaris, welche niemals vor einem noch so hohen Preise zurückschreckten, mehrere Hundert Gefangene von denen zurückzukaufen, welche die messenische Küste noch nicht verlassen hatten. Darauf ließen sie es sich angelegen sein, dieselben entweder auf den Ionischen Inseln oder in den schon von den Türken befreiten Theilen des nördlichen Griechenlands in Sicherheit zu bringen.

Nachdem das vollbracht, begaben sich Beide nach Kleinasien, nach Smyrna, wo sehr beträchtlicher Sclavenhandel betrieben wurde Hierher kamen in starken Transporten große Mengen jener griechischen Gefangenen, deren Befreiung Hadjine Elizundo vor Allem am Herzen lag Sie that dabei so hohe Gebote – welche die der Händler aus der Berberei oder von der asiatischen Küste ungeheuer überstiegen – daß die türkischen Beamten nur ihren Vortheil darin finden konnten, mit ihr zu handeln. Daß ihre edelmüthige Leidenschaft gelegentlich von gewissenlosen Agenten gemißbraucht wurde, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung; mehrere Tausende von Gefangenen verdankten es aber jedenfalls ihr allein, den Bagnos der afrikanischen Beys entgangen zu sein.

Noch immer blieb ihr jedoch viel zu thun übrig, und deshalb kam Hadjine Elizundo der Gedanke, auf zwei verschiedenen Wegen dem Ziele, welches sie zu erreichen strebte, näher zu kommen. Es genügte offenbar nicht, die auf den öffentlichen Märkten zum Verkauf gestellten Gefangenen zurückzukaufen oder um hohen Preis Diejenigen, welche schon das Sclavenjoch trugen, aus den Bagnos zu befreien; es kam ihr vielmehr auch darauf an, die Seeräuber, welche in den Gewässern des Archipels so viele Schiffe wegfingen und vernichteten, unschädlich zu machen.

Hadjine Elizundo befand sich eben in Smyrna, als sie hörte, was mit der »Syphanta« nach den ersten Monaten ihrer Kreuzfahrt vorgegangen war. Sie wußte zwar, daß diese Corvette für Rechnung korslötischer Rheder, und auch zu welchem Zwecke dieselbe ausgerüstet worden war. Ebenso blieb ihr nicht unbekannt, daß der Anfang ihrer Fahrt recht gute Erfolge aufzuweisen hatte; jener Zeit traf aber die betrübende Nachricht ein, daß die »Syphanta« ihren Capitän, mehrere Officiere und einen Theil der Mannschaft eingebüßt hatte im Kampfe gegen eine Piratenflottille, welche, der allgemeinen Annahme nach, von Sacratif selbst geführt und befehligt wurde.

Hadjine Elizundo setzte sich sofort in Korfu mit dem Agenten in Verbindung, der die Interessen der Rheder der »Syphanta« vertrat. Sie ließ den Letztgenannten einen so hohen Preis für das Schiff anbieten, daß diese nicht zauderten, ihr dasselbe zu verkaufen. Die Corvette wurde also unter dem Namen eines Banquiers von Ragusa erworben, sie gehörte jedoch niemand Anderem als der Erbin Elizundo’s, welche damit nur die Bobolina’s, die Modena’s, die Zacharia’s und verschiedene andere opferfreudige Patriotinnen nachahmte, deren schon zu Anfang des Unabhängigkeitskrieges auf eigene Kosten ausgestattete Schiffe den Geschwadern der ottomanischen Marine so vielen Schaden zufügten.

Bei diesem Ankauf hatte Hadjine von vornherein den Gedanken gehabt, den Oberbefehl über die »Syphanta« dem Capitän Henry d’Albaret anzubieten. Ein ihr gerne dienender junger Mann, ein Neffe Xaris‘ und Seemann von griechischer Abkunft gleich seinem Onkel, war dem jungen Officier von jeher heimlich nachgefolgt, sowohl in Korfu, als dieser sich so vergeblich bemühte, das junge Mädchen wieder aufzufinden, wie in Scio, als er sich dahin begab, um unter dem Obersten Fabvier zu kämpfen.

Auf ihren Wunsch schiffte sich dieser Mann als Matrose mit auf der Corvette ein, als diese nach dem Gefechte bei Lemnos die Lücken in ihrer Mannschaft wieder ausfüllte. Er war es auch gewesen, der Henry d’Albaret die beiden, übrigens von Xaris‘ Hand herrührenden Briefe in die Hände spielte. Den ersten in Scio, wo Jener die Nachricht erhielt, daß im Stabe der »Syphanta« für ihn ein Platz frei sei, und den zweiten, den er auf den Tisch der Cajüte des Befehlshabers legte, als er vor derselben als Posten stand, und durch welchen dieser ersucht wurde, sich mit der Corvette in den ersten Tagen des Monats September im Gewässer der Insel Scarpanto einzufinden.

Hier beabsichtigte nämlich Hadjine Elizundo zu gleicher Zeit einzutreffen, nachdem sie ihre Fahrt als rettender Liebesengel beendigt. Sie wollte die »Syphanta« benützen, um den letzten Gefangenentransport, den sie mit dem Reste ihres Vermögens zu kaufen gedachte, nach dem Vaterlande zurückzuführen.

Während der nachfolgenden sechs Monate hatte sie freilich noch viel Ungemach zu erleiden und viel Gefahren zu bestehen.

Selbst bis tief in die Berberei, in jene von Piraten wimmelnden Häfen an der afrikanischen Küste, in denen die schlimmsten Banditen bis zur Eroberung Algiers die Herren spielten, hatte sich das junge Mädchen in Begleitung ihres Xaris hineingewagt, um ihren edlen Trieben genug zu thun. Dieser selbstgewählten Aufgabe zu Liebe setzte sie ihre Freiheit, ja, ihr Leben auf’s Spiel und trotzte ohne Zögern allen Gefahren, welchen ihre Jugend und Schönheit sie preisgaben.

Nichts vermochte sie aufzuhalten, sie reiste ab.

So erschien sie zuerst wie ein Engel der Gnade in Tripolis, in Algier, in Tunis und auf allen Märkten der Barbareskenküste. Ueberall, wo griechische Gefangene verkauft worden waren, erstand sie dieselben zum großen Vortheile ihrer zeitweiligen Besitzer zurück. Ueberall, wo die Händler solche Heerden menschlicher Wesen zur Versteigerung brachten, war sie bei der Hand und achtete niemals des Geldes. Bei solchen Gelegenheiten lernte sie auch, hier in Ländern, wo die niedrigsten Leidenschaften durch keine Rücksicht im Zügel gehalten wurden, das ganze Elend schamloser Sclaverei aus eigener Anschauung kennen.

Algier stand zu jener Zeit noch unter der Gewalt einer aus Muselmännern und Renegaten bestehenden Miliz, die sich aus dem Ausschuß der drei Continente, welche die Gestade des Mittelmeeres bilden, recrutirte und die von nichts Anderem lebte, als vom Ankauf der durch Piraten herbeigeschafften Gefangenen, sowie durch deren Verkauf an die Christen.

Im siebzehnten Jahrhundert zählten die nördlichen Länder Afrikas schon nahe an vierzigtausend Sclaven beiderlei Geschlechts, die aus Frankreich, Italien, England und Deutschland, aus Flandern, Holland, Griechenland, Ungarn, Rußland, Polen und Spanien und aus allen Meeren Europas abgefangen worden waren.

In Algier, in den Bagnos des Paschas Ali-Mami, der Kulughi’s und Siddi Hassan’s, in Tunis, in denen Yussis-Dey’s, Galere-Patrone’s und Cicalais‘, wie in denen von Tripolis, sachte Hadjine Elizundo vorzüglich die Aermsten auf, welche der hellenische Krieg zu Sclaven gemacht hatte. So, als werde sie durch einen Talisman beschützt, wanderte sie ruhig inmitten aller Gefahren und erleichterte das namenlose Elend, wo sie nur konnte. Den tausendfältigen Gefahren, welche die Natur der Dinge rings um sie mit sich brachte, entging sie wie durch ein Wunder. Sechs Monate hindurch besuchte sie an Bord leichter Küstenschiffe die entlegensten Punkte der Grenzländer des Mittelmeeres, von der Regentschaft von Tripolis an bis zu den äußersten Grenzen Marokkos – bis nach Tetuan, früher eine vollständig organisirte Republik von Piraten – bis Tanger, dessen Bai den Seeräubern als Ueberwinterungsort diente – bis Sale, an der Westküste Afrikas, wo die unglücklichen Gefangenen in zwölf bis fünfzehn Fuß tief in die Erde gegrabenen Löchern und Höhlen ein wahrhaft erbärmliches Da sein fristen mußten.

Nachdem sie dann ihr Liebeswerk vollendet und von den, von ihrem Vater hinterlassenen Millionen nichts mehr besaß, gedachte Hadjine Elizundo mit Xaris nach Europa zurückzukehren. Sie schiffte sich deshalb auf einem griechischen Fahrzeuge ein, auf dem auch die letzten von ihr zurückgekauften Gefangenen untergebracht worden waren, und ging nach Scarpanto unter Segel. Hier hoffte sie Henry d’Albaret wieder zu finden, und von hier aus hatte sie an Bord der »Syphanta« nach Griechenland heimkehren wollen. Drei Tage nach der Abfahrt von Tunis wurde aber das Schiff, welches sie trug, von einem türkischen Kreuzer aufgebracht und sie selbst nach Arkassa geschafft, wo sie mit Allen, die sie eben befreit, als Sclavin verkauft werden sollte.

Der Gesammterfolg des von Hadjine Elizundo vollbrachten Liebeswerkes hatte darin bestanden, mehrere Tausend Gefangene mit dem Gelde zurückzukaufen, welches ihr Vater durch den Verkauf derselben gewonnen hatte. Das junge, jetzt selbst vermögenslose Mädchen hatte, so weit es ihr möglich war, also das Unrecht wieder gut zu machen gesucht, das ihr Vater vorher begangen hatte.

Alles das erfuhr nun auch Henry d’Albaret. Ja, Hadjine war jetzt zwar arm, aber seiner würdig, und um sie den Händen Nicolas Starkos‘ zu entreißen, hatte er sich ebenso arm gemacht, wie sie selbst.

Inzwischen bekam die »Syphanta« am nächsten Tage schon das Land von Kreta in Sicht. Sie schlug nun einen Curs ein, um nach dem Nordwesten des Archipels zu gelangen. Die Absicht des Commandanten Henry d’Albaret ging dahin, längs der Ostküste Griechenlands bis zur Höhe von Euböa hinauszusegeln. Hier konnten die Gefangenen entweder in Negropont oder in Aegina an sicherem Orte ausgeschifft werden, denn damit waren sie vor den, jetzt bis tief in den Peloponnes zurückgedrängten Türken geschützt. Jener Zeit befand sich nämlich kein einziger Soldat Ibrahim’s mehr auf der hellenischen Halbinsel.

Die an Bord der »Syphanta« so gut als möglich versorgten armen Leute singen schon an, sich von den furchtbaren Leiden, die sie zu überstehen gehabt, langsam zu erholen. Im Laufe des Tages sah man sie gruppenweise auf dem Verdeck, wo sie die erquickende Seeluft schlürften – Kinder, Mütter und Gatten, welche vorher bedroht waren, für immer getrennt zu werden, und die nun wieder vereinigt waren, um sich nicht mehr zu verlassen.

Sie wußten ja auch, was Hadjine Elizundo gethan, und wenn sie auf den Arm Henry d’Albaret’s gestützt vorüber kam, begegneten ihr Alle mit besonderer Hochachtung, der sie oft in rührendster Art und Weise Ausdruck gaben.

Mit den ersten Morgenstunden des 4. September verlor die »Syphanta die Gipfel von Kreta aus dem Gesicht; da der Wind aber sehr schwach geworden war, kam sie im Laufe des Tages nur sehr wenig vorwärts, obwohl man alle Segel beigesetzt hatte. Eine Verzögerung von vierundzwanzig und selbst achtundvierzig Stunden konnte aber von keiner besonderen Bedeutung sein.

Das Meer war ruhig, der Himmel wunderschön. Nichts deutete auf eine nahe bevorstehende Witterungsveränderung hin. Man mußte die Sache eben »gehen lassen, wie’s Gott gefällt«, wie die Seeleute gern sagen, und abwarten, bis die Verhältnisse sich änderten.

Diese friedliche und ruhige Seefahrt gab hinreichend Gelegenheit, an Bord ungestört zu plaudern, da mit Segelmanövern nichts zu thun war. Nur die wachthabenden Officiere und die Ausluger am Vordertheil hatten ihre Aufmerksamkeit auf etwa sichtbar werdendes Land oder auf sich zeigende Schiffe zu richten.

Hadjine Elizundo und Henry d’Albaret pflegten dann auf einer ihnen ausschließlich reservirten Bank des Oberdecks bei einander zu sitzen. Hier plauderten sie in der Hauptsache nicht von der Vergangenheit, sondern von der schönen Zukunft, die sie nun mit Sicherheit vor sich zu sehen glaubten. Sie entwarfen verschiedene bald auszuführende Projecte, ohne daß sie dabei vergaßen, diese auch dem wackern Xaris vorzulegen, der ja gewissermaßen zur Familie gehörte.

So wurde unter anderem verabredet, daß die Vermählung sofort nach der Ankunft auf griechischem Boden gefeiert werden sollte. Die endgiltige Ordnung der Verhältnisse Hadjine Elizundo’s konnte weder Schwierigkeiten noch Verzögerungen herbeiführen. Die Mission, welche sie seit fast einem Jahre erfüllte, hatte das bedeutend vereinfacht. Nach der Hochzeit sollte Henry d’Albaret dem Capitän Todros das Commando der Corvette abtreten, und er selbst wollte seine junge Frau einmal mit nach Frankreich führen, von dort aber bald nach deren Heimat zurückkehren.

Gerade am heutigen Abend unterhielten sie sich über diese Dinge.

Der leichte Wind reichte kaum hin, die hohen Segel der »Syphanta« zu schwellen. Ein herrlicher Sonnenuntergang beleuchtete den Horizont, und einzelne goldene Strahlen desselben schossen weit über die Nebelbank im Westen am Himmel hinaus. An der entgegengesetzten Seite glänzten die ersten Sterne des Morgenlandes. Das Meer zitterte unter einer Unzahl phosphorescirender Fünkchen, und die Nacht versprach eine herrliche zu werden.

Henry d’Albaret und Hadjine Elizundo gaben sich vollständig dem Genusse des prächtigen Abends hin. Sie schauten nach dem Kielwasser hinab, das sich kaum durch einige weißliche Streifen, welche die Corvette hinter sich zurückließ, abzeichnete. Nichts störte das tiefe Schweigen, als höchstens einmal ein leises Rauschen in den Segeln, wenn diese mehr erschlafften oder sich ein wenig anspannten. Die beiden jungen Leute sahen nichts mehr als sich selbst. Endlich wurden sie aus ihren schönen Träumen zur Wirklichkeit zurückgeführt, als Henry d’Albaret seinen Namen wiederholt rufen hörte.

Xaris stand vor ihm.

»Herr Commandant!… sagte Xaris schon zum dritten Male.

– Was wünscht Ihr, guter Freund? antwortete Henry d’Albaret, dem es vorkam, als zauderte Xaris etwas, mit der Sprache heraus zu gehen.

– Was willst Du, lieber Xaris? fragte Hadjine Elizundo.

– Ich hätte etwas mit Ihnen zu sprechen, Herr Commandant.

– Nun, und das wäre?

– So hören Sie. Die Passagiere der Corvette – die braven Leute, welche Sie nach deren Vaterlande zurückführen – haben einen Gedanken gehabt und mich beauftragt, Ihnen denselben mitzutheilen.

– Nun also, ich bin ganz Ohr, Xaris.

– O, Herr Commandant, Jene wissen ja, daß Sie sich mit Hadjine Elizundo vermählen werden…

– Ja freilich, erwiderte Henry d’Albaret lachend, das ist ja für Niemand ein Geheimniß!

– Nun ja, die guten Leute würden sich aber sehr glücklich schätzen, Zeugen Ihrer Hochzeit sein zu können.

– Das werden sie auch, Xaris, das sollen sie, und niemals wird eine Braut eine ehrenvollere Begleitung gehabt haben, als wenn man alle Diejenigen dazu versammeln könnte, die sie der Sclaverei entrissen hat.

– Henry!… sagte das junge Mädchen, die ihn abhalten wollte, in dieser Weise fortzufahren.

– Der Herr Commandant hat vollkommen Recht, erklärte Xaris. Auf jeden Fall müssen die Passagiere der Corvette dabei sein, und…

– Bei unserem Eintreffen auf griechischem Boden werde ich sie Alle zur Beiwohnung der Feierlichkeit einladen.

– Schön, Herr Commandant, fuhr Xaris fort. Aber nachdem den guten Leuten einmal jener Gedanke gekommen war, folgte diesem auch noch ein zweiter.

– Ein ebenso guter?

– Ein noch besserer. Sie lassen Sie bitten, die Trauung noch hier an Bord der »Syphanta« stattfinden zu lassen. Gleicht die Corvette, welche sie nach Griechenland zurückbringt, nicht gewissermaßen ihrem Vaterlande?

– Ich habe nichts dagegen, Xaris, antwortete Henry d’Albaret. Du stimmst doch auch mit ein, Hadjine!«

Statt jeder Antwort drückte Hadjine ihm zärtlich die Hand.

»O, das ist herrlich! rief Xaris.

– Ihr könnt den Passagieren der »Syphanta« die Meldung bringen, daß ihrem Wunsche entsprochen werden soll.

– Also abgemacht, Herr Commandant, aber… fuhr Xaris zögernd fort, das ist noch immer nicht Alles!

– So rede doch, Xaris, sagte das junge Mädchen.

– Nun die guten Leute haben, nachdem sie einen guten Gedanken, dann noch einen besseren ausgesprochen, auch noch einen dritten gehabt, den sie für den allerbesten halten.

– Wirklich, noch einen dritten? erwiderte Henry d’Albaret, und wie lautet dieser dritte Gedanke?

– Sie bitten darum, daß die Trauung nicht nur an Bord der Corvette, sondern auch hier auf offenem Meere und schon morgen stattfinden möchte. Unter ihnen befindet sich ein alter Geistlicher…«

Da wurde Xaris plötzlich durch die Stimme eines Mastwächters unterbrochen, der von der Großraa des Fockmastes herabrief:

»Schiffe vor dem Winde!«

Sofort erhob sich Henry d’Albaret und trat zu dem Capitän Todros, der schon in der bezeichneten Richtung hinaus blickte.

Wenigstens sechs Meilen nach Osten zu zeigte sich eine, aus etwa einem Dutzend Fahrzeugen von verschiedenem Tonnengehalt bestehende Flottille. Wenn die bei der hier herrschenden Windstille jetzt fast unbewegliche »Syphanta« kaum von der Stelle kam, so wurde jene durch die letzten Windstöße einer leichten Brise, welche bis zur Corvette nicht heranreichten, begünstigt, so daß sie diese endlich erreichen mußten.

Henry d’Albaret hatte sich ein Fernrohr bringen lassen und beobachtete aufmerksam die Bewegung jener Schiffe.

»Capitän Todros, sagte er, sich an den zweiten Officier wendend, jene Flottille ist noch zu entfernt, ebenso um ihre Absichten, wie um ihre Stärke erkennen zu lassen.

– Leider, Herr Capitän, antwortete dieser, und bei der mondlosen Nacht, welche voraussichtlich sehr dunkel wird, läßt sich darüber nichts entscheiden. Wir werden schon den morgenden Tag abwarten müssen.

– Ja, gewiß, sagte Henry d’Albaret; da diese Gegenden jedoch ziemlich unsicher sind, so geben Sie Befehl, möglichst aufmerksam Wache zu halten Gleichzeitig sollen alle unumgänglichen Maßregeln getroffen werden für den Fall, daß jene Fahrzeuge sich der »Syphanta« weiter nähern.«

Der Capitän Todros folgte dem erhaltenen Befehl und ordnete Alles in dieser Weise an. An Bord der Corvette wurden doppelte Wachen ausgestellt, welche bis Tagesanbruch auf dem Ausguck bleiben sollten.

Selbstverständlich wurde gegenüber den Vorkommnissen, welche immerhin eintreten konnten, die letzte Entscheidung über die Feier der Vermählung, welche Xaris so dringend beschleunigt wünschte, vorläufig verschoben. Hadjine Elizundo hatte sich auf die Bitte Henry d’Albaret’s wieder nach ihrer Cabine begeben.

Während der Nacht kam nicht viel Schlaf in die Augen der Seeleute; die fortwährende Gegenwart der in einiger Entfernung signalisirten Flottille erweckte eine leicht erklärliche Unruhe. So weit es möglich war, wurden alle Bewegungen derselben scharf beobachtet. Gegen neun Uhr Abends lagerte sich jedoch dichter Nebel auf das Meer, und jene verschwand vollständig hinter diesem Vorhange.

Am folgenden Morgen verbargen noch immer wallende Dunstmassen den östlichen Horizont bei Aufgang der Sonne, und da es gleichzeitig vollkommen windstill blieb, zerstreuten sich diese auch nicht vor zehn Uhr. Bisher hatte man übrigens noch nichts Verdächtiges wahrnehmen können. Als sich der Nebel aber vollständig auflöste, zeigte sich die Flottille in der Entfernung von kaum vier Meilen. Sie hatte sich der »Syphanta« also seit dem Vorabend um zwei Meilen genähert und wenn sie noch so weit von dieser war, kam es nur daher, daß der herrschende Nebel sie am Manövriren gehindert hatte. Da zeigten sich nun ein Dutzend Fahrzeuge, welche, mit einander Schritt haltend, unter dem Drucke langer Galeerenruder langsam vorwärts drangen. Die Corvette dagegen, auf welche solche ihrer Größe wegen ohne Wirkung gewesen wären, lag noch immer unbewegt auf derselben Stelle. Sie war also genöthigt zu warten, ohne selbst irgend eine Bewegung machen zu können.

Allmählich konnte über die Absichten der herannahenden Flottille ein Zweifel nicht mehr aufkommen.

»Das ist ja ein ganzer Haufen ziemlich verdächtiger Fahrzeuge! sagte Capitän Todros.

– Gewiß, und zwar desto verdächtiger, antwortete Henry d’Albaret, da ich unter denselben auch die Brigg wieder erkenne, auf die wir in den Gewässern von Kreta vergeblich Jagd gemacht haben.«

Der Commandant der »Syphanta« täuschte sich nicht. Die Brigg, welche auf fast wunderbare Weise jenseits der Spitze von Scarpanto verschwunden war, fuhr den anderen Schiffen voraus und hielt offenbar darauf, sich von den anderen unter ihrer Leitung stehenden Fahrzeugen nicht zu trennen.

Inzwischen hatte sich ein leichter Ostwind erhoben. Er begünstigte zwar die Fortbewegung jener Flottille, die einzelnen Windstöße aber, welche die Oberfläche des Meeres leicht kräuselten, erstarben etwa ein oder zwei Kabellängen vor der Corvette.

Plötzlich setzte Henry d’Albaret das Fernrohr ab, das er bisher immer vor die Augen gehalten hatte:

»Klar zum Gefecht!« rief er.

Er hatte eben eine lange weiße Dampfwolke aus dem Vordertheil der Brigg hervorquellen sehen, während gleichzeitig eine Flagge auf den Topp eines Mastes stieg und der rollende Donner eines Geschützes bis zur Corvette herüberschallte.

Diese Flagge war von schwarzer Farbe und in derselben zeigte sich nur ein großes, feuerrothes »S«.

Es war die Flagge des Seeräubers Sacratif.