Vierzehntes Kapitel.

Wie man klein steuert, – wie man das Schiff durch den Handschuh laufen läßt; – wie man klar geht; – eine neumodische Werfte und gewisse Meilensteine.

Kapitain Poke war nicht länger zweifelhaft über die Richtung, wie wir zu steuern hatten. Mit seinem Kürbis als Charte, seinem Instinkt als Beobachtung, seiner Nase als Compas hielt der derbe Robbenjäger kühn nach Süden; oder wenigstens er lief vor einem stätigen Wind hin, der, wie er mehrmals versicherte, so gewiß ein nördlicher war, als wenn er in Kanada erzogen und geboren worden.

Nachdem er mit schrecklicher Schnelle einen Tag und eine Nacht über die Wellen hingejagt, erschien der Kapitain mit einem Gesicht von ungewöhnlichem Ausdruck und einem mit Gedanken überladnen Gemüth auf dem Verdeck. Man erkannte dieß an dem vielsagenden Nicken, so oft er einen Satz von sich gab; eine Gewohnheit, die er wahrscheinlich in früher Jugend zu Stonington angenommen, denn sie schien ganz eben so alt, als durch und durch ihm eigen.

»Wir werden bald sehen, Sir John,« bemerkte er, und schob sein Robbenfell in Ordnung, »ob’s heißt sinken oder schwimmen.« »Bitte, erklärt Euch, Herr Poke,« rief ich, etwas erschrocken. »Wenn etwas ernstliches vorfallen kann, müßt Ihr es zeitig mittheilen.«

»Der Tod ist immer jeder Creatur unzeitig, Sir John.«

»Wollt Ihr das Schiff aufgeben, Kapitain?

»Wenn ich’s hindern kann, Sir John, nein; aber ein Schiff zum Wrack bestimmt, wird ein Wrack werden, trotz Reffen und auf- und einziehen. Sieh da, du Löwen-Richard, da habt‘ ihrs.«

Und freilich hatten wir’s. – Ich kann die Scene, die sich jetzt meinen Augen darstellte, nur dem plötzlichen Anblick der Oberländischen Alpen vergleichen, wenn der Schauende unerwartet am Rand des Abgrunds des Weißensteins steht. Da sieht er denn vor sich eine unendliche Mauer glizzernden Eises, in glorreiche, phantastische Formen von Altanen, Mauern und Thälern gebrochen, während hier wir alles Erhabene eines solchen Anblicks hatten, das noch erhöht wurde durch das schreckliche Wirken des lärmenden Meeres, das auf die undurchdringliche Schranke mit ruhloser Gewalt zu schlug.

»Guter Gott!« rief ich, sobald ich einen Blick von der schrecklichen Gefahr erhielt, die uns drohte; »Ihr werdet doch nicht, hoffe ich, Kapitain, rasend zufahren, bei solch einer Warnung vor den Folgen klar vor Augen!«

»Was wollt Ihr machen, Sir John? Springhoch liegt auf der andern Seite dieser Eisinseln. Ihr braucht ja nicht das Schiff anlaufen zu lassen, – warum dann nicht daran herum?«

»Weil sie um die ganze Erde in dieser Breite gehn. Nun kommt die Zeit zu reden, Sir John. Wenn wir nach Springhoch wollen, haben wir die Wahl zwischen drei gar verzweifelten Fällen; durch, unter oder über das Eis da zu gehen. Wenn wir zurück wollen, ist kein Augenblick zu verlieren, denn es ist jetzt schon die Frage, ob das Schiff weg kann bei dieser sandenden See und dem schweren Nord.«

Ich glaube, ich hätte in diesem Augenblick gerne alle meine socialen Anhaltspunkte darum gegeben, um aus dem Abentheuer heraus zu sein. Doch hinderte mich der Stolz, jener Stellvertreter so vieler Tugenden, der größte und mächtigste aller Häupter, meinen Wunsch umzukehren, zu verrathen. Ich berathschlagte, während das Schiff dahin flog, und als ich mich endlich zum Kapitain wandte, um ihm zu verstehen zu geben, daß, wenn er es früher gesagt, dieß die ganze Sache vielleicht geändert hätte, erwiederte er geradezu, es wäre zu spät. Es wäre sichrer voran zu gehen, als umzuwenden, wenn umwenden anders bei diesen Wellen und Wind möglich. Aus der Noth eine Tugend machend, stählte ich meine Nerven, um der Crisis zu begegnen, und blieb ein ergebener, dem Anschein nach ruhiger Zuschauer dessen, was kommen würde.

Das Wallroß, so hieß unser gutes Schiff, war indeß ruhig unter den Segeln, und fuhr vom Wind getrieben, mit beunruhigender Schnelle jener Schranke von Schaum und Dampf zu, wo das schon gefrorne und noch flüssige Element sich den Kampf lieferte. Die Gipfel der Eiszacken schwammen in ihrer glizzernden Glorie, als wollten sie ihr Flottsein bezeugen, und ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß zu Zeiten, wenn ihr Grund geschmolzen, ganze Berge zusammen stürzten, und alles herum mit sich in den Abgrund rissen. Mir schien’s nur ein Augenblick, und das Schiff war gänzlich umschattet von diesen erglänzenden Klippen, die langsam hin und her wallend, ihre gefrornen Häupter an tausend Fuß in der Luft wiegten. Ich sah erschreckt auf Noah, denn er schien uns mit Vorsatz in’s Verderben stürzen zu wollen. Aber gerade als ich daran war, Vorstellungen zu machen, gab er ein Zeichen mit der Hand, und das Schiff bemeisterte den Wind. Doch war Rückkehr unmöglich, denn die Wuth der See schien zu mächtig, und der Wind zu stark, um uns hoffen zu lassen, das Wallroß lange zurückzuhalten, und sein Treiben auf die zackigen Spitzen zu verhindern, die zur Linken in eisiger Glorie erglänzten. Auch schien Kapitain Poke an so etwas gar nicht zu denken; denn statt den Wind zu stauchen, um vor der Gefahr zurück zu hufen, ließ er die Segel ganz viereckig legen, und wir rannen nun in großer Schnelle fast in einer Parallele mit der gefrornen Küste, obwohl wir uns ihr nach und nach näherten.

»Haltet ganz voll, fahrt gerade zu, du Tiger Jim,« sagte der alte Robbenjäger, dessen Amtseifer gehörig aufgeregt war; »nun, Sir John, wir sind gerade auf der unrechten Seite dieser Eisberge, aus dem einfachen Grund, weil Springhoch südlich liegt. Wir müssen uns also zusammen nehmen, denn kein Boot, das jemals vom Stapel gelassen, könnte länger als eine oder zwei Stunden, bei einem solchen Wind hinter sich, sich von diesen Spitzen fern halten. Unsere Hauptabsicht muß jetzt sein, nach einem Loch zu schauen, um hinein zu fahren.«

»Warum seid Ihr, bei Eurer Kenntniß von den Folgen, der Gefahr so nahe gegangen?«

»Die Wahrheit zu sagen, Sir, Natur ist Natur, und ich werde mit dem Alter ein wenig kurzsichtig; ausserdem weiß ich nicht, ob die Gefahr gefährlicher wird, wenn man ihr ein Mal standhaft in’s Gesicht sieht.«

Noah erhob seine Hand, als wolle er keine Antwort, und wir beide sahen alsbald unverwandt ängstlich zur Linken. Vor dem Schiff öffnete sich eben eine kleine Bucht im Eis, von etwa einer Tau-Länge in Tiefe und einer Viertelmeile in seinem äußersten und vorgestreckten Theil. Ihre Form war regelmäßig, ein Halbkreis, aber an ihrem Hintergrund war das Eis, statt wie alles übrige, an dem wir vorbeigekommen, eine zusammenhängende Schranke zu bilden, durch eine schmale Oeffnung geschieden, die auf jeder Seite durch finstre Abhänge begrenzt war. Die zwei Berge näherten sich offenbar einander, aber es fand sich noch eine Meerenge, ein Wasserschlund zwischen ihnen, zweihundert Fuß weit. Wie das Schiff vorwärts ging, eröffnete sich der Paß, und wir hatten einen Blick auf die ferne Aussicht zur Linken. Es war nur ein leichter Blick, das ungeduldige Wallroß erlaubte uns nur einen Augenblick Untersuchung, aber er schien hinreichend zu den Zwecken des alten Robbenjägers. Wir waren schon über die Mündung der Bucht hinaus, und wieder nur auf Tau-Länge vom Eis; denn als wir, was man das Kap nennen konnte, näher hatten, fanden wir uns wieder in größerer Nähe mit dem drohenden Berg. Es war ein Augenblick, wo alles auf Entschlossenheit ankam; und glücklicher Weise brauchte unser Robbenfänger, der so vorsichtig und zögernd in einem Handel war, in eiligen Fällen nie zwei Mal mit seinen Gedanken zu Rathe zu gehen. Als das Schiff östlich von der Bucht um das Vorgebirg fuhr, eröffnete sich uns wieder eine Eiskurve, welche links etwas mehr Wasser ließ. Reffen war unmöglich, und das Steuer wurde dem Wind gerade entgegen gekehrt. Der Bogen des Wallrosses kehrte, und als es auf der nächsten Welle in die Höhe stieg, glaubte ich, der Rückprall werde uns rettungslos auf den Berg werfen. Aber das gute Fahrzeug, dem Ruder gehorsam, sauste herum, als würdige es selbst die Gefahr, und in weniger Zeit, als ich je gedacht, daß es sich drehen könne, hatten wir den Wind von einer andern Seite. Unsre Katzen und Hunde beeilten sich, denn, den Kapitain etwa ausgenommen, war niemand, dessen Herz nicht schnell und voll schlug. In weit weniger Zeit als gewöhnlich, wurden die Segel an einer andern Seite entfaltet, und das Schiff pflügte sich schwer westlich durch die See. Es ist unmöglich, jemanden, der nie in ähnlicher Lage gewesen, einen rechten Begriff von der fieberhaften Ungeduld, dem Ebben und Fluthen der Hoffnung zu geben, wenn man die krabbengleiche Bewegung eines Schiffs beobachtet, das im Sturm gegen den Wind sich fortdrängt. Jetzt, während die See unergründlich war, waren wir der Gefahr so nahe gekommen, daß auch nicht der kleinste ihrer Schrecken sich dem Auge verbarg.

Während das Schiff sich fortarbeitete, sah ich die Wolken am Eisvorgebirg schnell im Wind dahin schießen, was zeigte, daß wir schnell fuhren, und bei unsrer Annäherung an den Punkt, ward unser Athmen mühsam und selbst hörbar. Hier nahm Noah einen Biß Tabak, ich glaube, um zum letzten Mal den köstlichen Saft zu genießen, sollten die Elemente sich verderblich erweisen, und dann ging er in eigner Person an das Rad.

»Laßt’s nach seinem Willen gehn,« sagte er, und gab mit dem Steuer etwas nach; »laßt’s ein wenig laufen, oder wir werden alle Herrschaft über es verlieren in diesem Teufelstopf.«

Das Fahrzeug fühlte die kleine Aendrung, und fuhr schneller durch die schäumende Brandung, uns in erhöhtem Lauf dem gefürchteten Punkt näher bringend. Als wir an’s Vorgebirg kamen, fiel das Wasser in Schaum zurück aufs Verdeck, und für einen Augenblick schien der Wind ganz auszubleiben. Glücklicher Weise war das Schiff so weit vorgekommen, daß man schon die gute Wirkung eines kleinen Wechsels in der Fluth bemerkte, was von der Luft herrührte, die schief in die Bucht drang; und da Noah, beim Wenden des Steuers, diese Veränderung voraus gesehn, die wir einen Augenblick vorher so widrig gefunden, während wir östlich vom Vorgebirg gesteuert waren, kamen wir nun schnell um das Eiskap, ließen aber, mit des Schiffes Spitze nach ihrem Grunde gerichtet, die Bucht sich erst recht öffnen.

Nur ein Augenblick blieb uns, um die Segel zum rechten Auffangen des Winds in der engen Straße zu richten. Indeß waren die beiden Berge immer näher an einander gerückt, so daß sie fast nur noch einen Bogen über die Tiefe bildeten, und auch den theilweise so nieder, daß es noch eine Frage war, ob hinlängliche Erhöhung sein würde, das Wallroß unten durch zu lassen. Aber Rückkehr war unmöglich, der Wind trieb das Schiff wild vorwärts. Die Weite des Durchgangs war jetzt wenig mehr als hundert Fuß, und es erforderte die sicherste Hand am Steuer, unsre Segelstangen von den gegenüber liegenden Abhängen fern zu halten, als das Schiff mit schäumenden Seiten in die Bucht stürzte. Der Wind trieb durch die Oeffnung mit schreckhafter Gewalt, heulend, als frohlocke er, einen Durchgang zu finden, durch den er seinen wilden Lauf fortsetzen könnte. Das Treiben von Wind und Wellen mag uns geholfen haben, beide wurden unaufhaltsam nach dem Engpaß gerissen, oder Kapitains Poke Geschicklichkeit that uns gute Dienste in dieser furchtbaren Lage; wie’s auch sei, durch das eine oder das andre, oder auch beides zusammen, das Wallroß schoß so genau in die Bucht, daß es beide Eisränder vermied. Doch die obern Segelstangen waren nicht ganz so glücklich; kaum war das Schiff unter dem Bogen, als eine Welle es hob, und sein Hauptmast wider das Kap stieß. Das Eis erdröhnte und krachte über unsern Häuptern, große Stücke fielen vor und hinter unser Schiff, einige kamen herunter auf unser Verdeck. Ein großes Stück fiel kaum einen Zoll von Dr. Raisono’s Schweif, der kaum der schrecklichen Noth entging, das Gehirn aus diesem Sitz aller Weisheit und Philosophie herausgeschlagen zu sehen. Dann war das Schiff durch den Engpaß, der sich alsbald nachher unter dem Donner eines Erdbebens vollständig schloß.

Immer vom Wind getrieben, flogen wir schnell nach Süden hin, auf einem Kanal, nicht eine Viertelmeile breit, die Berge augenscheinlich auf jeder Seite vor uns sich schließend, und das Schiff, gleichsam der Gefahr sich bewußt, mit Kapitain Poke am Rad, das Aeußerste aufbietend. In weniger als einer Stunde war das schlimmste vorüber; das Wallroß trat in ein offnes Becken, mehrere Meilen weit, jedoch vollständig von Eisbergen umgürtet. Hier warf Noah einen Blick auf den Kürbis und sagte dann ohne viel Umstände barsch zu Doktor Raisono, daß er sich bedeutend in Bestimmung der Lage von Gefangen-Insel geirrt; so nannte er selbst die Stelle, wo die liebenswürdigen Fremdlinge in die Hände der Menschen gefallen. Der Philosoph hielt etwas fest an seiner Meinung, aber was helfen Reden im Angesicht von Thatsachen. Hier war der Kürbis und da die blauen Wasser. Der Kapitain äusserte nun freimüthig seine Zweifel, ob es überhaupt einen solchen Ort gäbe, wie Springhoch, und da das Schiff auf einer herrlichen Stelle zu solchem Zweck läge, schlug er mir geradezu, jedoch insgeheim, vor, wir wollten all die Monikins über Bord werfen, das ganze Polarbecken auf seiner Charte als völlig frei von Inseln darstellen, und so auf den Robbenfang ausgehen. Ich verwarf den Vorschlag als zu frühzeitig, als unmenschlich, ungastlich, ungeziemend und unausführbar.

Es hätte über diesen Punkt ein sehr unangenehmer Streit zwischen uns entstehen können, denn Capitain Poke ward warm und schwur, ein guter Seehund mit dem rechten Fell sei hundert Affen werth, als zum Glück der Panther in dem Mastkorb ausrief, es trennten sich zwei von den Bergen südlich von uns, und er könne eine zweite Durchfahrt unterscheiden. Hierauf concentrirte Capitain Poke seine Flüche, und ließ sie wie eine Bombe herausfahren, steuerte aber alsbald nach der geeigneten Richtung hin.

Um drei Uhr Nachmittags waren wir zum zweiten Mal über den Handschuh zwischen die Berge durchgefahren, und befanden uns wenigstens einen Grad näher dem Pol in einem zweiten Becken.

Die Berge waren jetzt südlich ganz verschwunden, aber die See befand sich, weit wie das Auge reichte, mit Eisfeldern bedeckt. Noah fuhr ohne Besorgniß zu, denn das Wasser war seit unserm Eintritt in die erste Oeffnung ruhig gewesen; der Wind hatte nicht Kraft genug eine Welle zu erheben. Als wir nur noch eine Meile vom Rand der gefrornen und dem Anscheine nach unbegrenzten Ebene waren, ward das Schiff gestaucht und hielt.

Seit das Schiff die Werfte verlassen, hatten sechs Arten von Segelstangen von so seltsamer Form unter dem Holzwerk gelegen, daß sie oft der Gegenstand der Unterhaltung zwischen mir und den Steuermännern waren, da keiner ihren Gebrauch zu sagen vermochte. Diese Stangen waren nicht von bedeutender Länge, fünfzehn Fuß höchstens und von gesunder englischer Eiche. Zwei oder drei Paar waren gleich, sie waren in Paaren, und bei jedem Paar war die eine Seite ähnlich mit verschiednen Theilen des Schiffbodens, nur daß sie hauptsächlich concav waren, während dieser mehr convex ist. Am einen Ende war jedes Paar fest zusammengefügt durch ein kurzes, massives, eisernes Band, etwa zwei Fuß lang, und am entgegengesetzten Ende war eine große Schraube in jedes Stück eingefügt und gehörig vernietet. Als das Wallroß zum Stehen gebracht worden, lernten wir zum ersten Mal den Gebrauch dieser ungewöhnlichen Vorkehrungen. Ein Paar der Hölzer von großer Festigkeit und Stärke ward über das Hintertheil hinabgelassen, und als es unter den Kiel gekommen, wurden in die Schrauben andre Stangen eingefügt, diese dann vorwärts nach dem Bauche des Schiffs gezogen, wo sie mit Tauen so befestigt wurden, daß das Eisenband gerade unter den Kiel kam, und die Hölzer selbst fest an jeder Seite des Schiffs anlagen. Da man sehr sorgfältig Zeichen auf das Schiff und die Hölzer gemacht, so paßten sie vollkommen. Fünf Paare wurden so an und in die Nähe des Bauchs befestigt, und ebenso viele hinten und vornen, alles nach der, Beschaffenheit des Schiffbodens. Vor- und Hinterstücke, die von einer Bekleidung zur andern reichten, wurden dann zwischen die um den Bauch des Schiffs gesetzt, jedes mit einer gewissen Anzahl von Rippen, nach oben und unten, dadurch bekam das Schiff einen äußern Schutz gegen die Eisfelder, eine Art Netz von Holz, was auf der Werfte alles so genau angepaßt worden, daß es fest anlag. Diese Vorkehrungen wurden erst gegen zehen Uhr am folgenden Morgen vollendet, wo dann Noah gerade auf eine sich eben im Eis vor uns sich zeigende Oeffnung losfuhr.

»Mit unsrer Armirung werden wir nicht so schnell fortkommen,« bemerkte der vorsichtige alte Segler, »aber was uns an den Fersen abgeht, gewinnen wir am Boden.«

Diesen ganzen Tag arbeiteten wir uns mühsam weiter, immer nach Süden. Des Nachts befestigten wir das Wallroß an ein Eisstück und erwarteten so die Rückkehr der Sonne. Gerade jedoch als der Tag dämmerte, hörte ich ein furchtbar an die Seite des Schiffs anprallendes Getös, und fand auf’s Verdeck stürzend, daß wir gänzlich zwischen zwei ungeheure Eisfelder eingefangen waren, die sich einander zu keinem andern Zweck anzuziehen schienen, als um uns zu zermalmen. Hier zeigte Kapitain Poke’s Vorkehrung ihre ganze Vortrefflichkeit. Geschützt durch die massiven Hölzer und falschen Rippen, widerstand der Bau des Schiffs dem Drucke, und da unter solchen Umständen etwas nachgeben mußte, ward zum Glück nichts als die Gravitation aufgehoben. Die Stangen, wegen ihrer Neigung, wirkten als Wellbäume, und die Bänder drückten wider den Kiel, so daß in einer Stunde das Wallroß nach und nach durch den mächtigen Andrang der Eismassen mit Beibehaltung seiner aufrechten Stellung aus dem Wasser emporgehoben wurde. Dieß Experiment war nicht sobald glücklich vor sich gegangen, als Herr Poke auf’s Eis sprang und den Boden des Schiff’s zu untersuchen anfing.

»Hier ist eine trockne Werfte, Sir John,« rief der Seemann lachend; »ich werd‘ mir darauf ein Patent geben lassen, sobald ich nach Stonington komme.«

Ein Gefühl der ruhigen Sicherheit, das mir fremd gewesen, seit wir unter’s Eis gekommen, ward durch Noah’s Gleichmuth und Selbstglückwunsch über sein sogenanntes Projekt, den Boden des Wallrosses zu untersuchen, in mir rege. Indeß trotz all der schönen Redensarten von Freude und Erfolg, die er uns, die wir keine Seeleute waren, spendete, war ich sehr geneigt zu denken, daß gleich andern Leuten von ausserordentlichem Geist er den großen Zweck der Eiswerfte erreicht, ohne daß er vorhergesehen oder berechnet gewesen. Doch dem sei, wie ihm wolle, alle Hände waren bald auf dem Eisstück mit Besen, Bohrern, Hämmern und Nägeln beschäftigt und die Gelegenheit zum Ausbessern und Reinigen ward sehr benutzt.

Vier und zwanzig Stunden blieb das Schiff in derselben Stellung, fest wie eine Kirche, und einige von uns gaben schon der Furcht Raum, es möge auf den gefrornen Blöcken für immer bleiben. Dieß alles war nach Poke’s Berechnungen im 78° 13′ 26" der Breite vorgefallen, obwohl ich nie erfahren konnte, wie er sich diese genaue Kenntniß von unserm wirklichen Standpunkte verschaffte. In der Meinung, es möchte nicht übel sein, nach einem so langen und schwierigen Lauf einige genaure Begriffe über diesen Gegenstand zu bekommen, verschaffte ich mir den Quadranten vom Affen Bob, und brachte ihn auf das Eis, wo ich darauf, als auf einer besondern Gunst, bestand, unser Befehlshaber sollte, da das Wetter günstig und die geeignete Stunde nahe wäre, seinen natürlichen Instinkt durch einige Beobachtungen an der Sonne rektifiziren. Noah versicherte, ein alter Seemann, besonders ein Robbenjäger und ein Stoningtoner könne sich mit solchen geometrischen Operationen, wie er sie nannte, nicht abgeben; das passe noch und sei vielleicht nöthig für unsre Comptoir-Kapitaine mit seidnen Handschuhen, die zwischen New-York und Liverpool führen; die müßten wohl ihre Gläser abreiben und Sextanten putzen, denn sie wüßten kaum jemals, wo sie sich befänden, ausser dann; aber er brauche wenig den Sterngucker in seinem Leben herumzudrehen; er werde auch, wie er schon gesagt, kurzsichtig, und zweifle, ob er einen Gegenstand, wie die Sonne, die bekanntlich so viele tausend Millionen Meilen von der Erde entfernt wäre, noch recht unterscheiden könnte. Doch wurden diese Scrupel dadurch, daß ich die Gläser reinigte, gehoben; ich stellte für ihn ein Faß zurecht, damit er in der gewöhnlichen Erhöhung über seinem Horizont stünde und legte das Instrument in seine Hände. Die Steuerleute standen um ihn, bereit die Berechnung zu machen, wenn er die Abweichung der Sonne angäbe.

»Wir treiben südlich, das weiß ich,« sagte Herr Poke, ehe er seine Beobachtung begann; »ich fühl‘ es in meinen Beinen; wir sind in diesem Augenblick 79° 36′ 14", da wir seit gestern Mittag eine südliche Fahrt von mehr als achtzig Meilen gemacht haben. Nun gebt Acht auf meine Worte und seht, was die Sonne dazu sagen wird!«

Als die Berechnungen gemacht waren, fand sich unsre Breite 79° 35′ 47". Noah war etwas verblüfft über die Verschiedenheit, die er nicht annehmlich erklären konnte, da die Beobachtung ungewöhnlich gut und gewiß gewesen. Aber ein scharfsinniger Mann, der seine Ansicht hat, ist selten in Verlegenheit, hinlängliche Gründe zu finden, seine eigne Correktheit darzuthun, um die Mißgriffe andrer zu beweisen.

»Ah, ich sehe, wie’s ist,« sagte er nach ein wenig Nachdenken, »die Sonne ist falsch; es sollte mich nicht wundern, wenn die Sonne in diesen kalten Breitegraden ein wenig aus ihrem Lauf herauskäme. Ja, ja, die Sonne muß Unrecht haben!«

Ich war zu sehr erfreut zu wissen, daß wir auf dem rechten Weg wären, um den Punkt zu bestreiten, und das Licht der Welt blieb unter der Anklage, manchmal zu irren. Dr. Raisono lispelte mir gelegentlich ins Ohr, es wäre eine Philosophensekte in Springhoch, die lange der Genauheit des Planetensystems mißtraut, und die selbst zu verstehen gegeben, die Erde in ihrer jährlichen Umwälzung bewege sich in einer Richtung, der ganz entgegengesetzt, welche die Natur beabsichtigt hätte, als sie den ursprünglichen Polar-Impuls gab, aber er für seine Person halte sehr wenig von diesen Ansichten, da er häufig zu bemerken Gelegenheit gehabt, wie eine große Classe Monikins mit ihren Ideen immer gegen den Strom gingen.

Noch zwei Tage und Nächte ließen wir uns mit den Eisfeldern nach Süden treiben, oder so nah als möglich nach dem Hafen unsrer Wünsche. Am vierten Morgen war einiger Wechsel im Wetter; der Thermometer und Barometer stieg, die Luft ward mild und der größte Theil unsrer Hunde und Katzen, obwohl wir noch vom Eis umgeben waren, begann die Häute abzuwerfen. Dr. Raisono bemerkte diese Zeichen, und auf dem Eis hineilend, brachte er ein ziemliches Bruchstück davon mit; dieß ward in die Esse gethan, wo es, einige Zeit dem Feuer ausgesetzt, in einer gegebenen Anzahl Minuten, wie ich meinte sehr natürlich, zerschmolz. Dennoch ward der ganze Vorgang mit der größten Aengstlichkeit von der ganzen Monikins-Gesellschaft beobachtet, und als der Erfolg bekannt wurde, schlug die liebenswürdige und liebliche Chatterissa die kleinen Patschen vor Freude zusammen, und verrieth all die andern natürlichen Anzeichen des Entzückens, welche die Regungen des zarten Geschlechts andeuten, dessen so glänzender Schmuck sie war. Dr. Raisono ließ nicht lange auf eine Erklärung der Ursache einer so ungewöhnlichen Freude warten, denn bisher war ihr Benehmen durch die feine und ängstliche Rückhaltung ausgezeichnet gewesen, welche hohe Erziehung andeutet. Das Experiment hatte nach untrüglichen, wissenschaftlichen Beweisen der Monikinschen Chemie dargethan, daß wir schon unter dem Einfluß eines Dampfklimas wären, und ferner kein Zweifel über unsre endliche Ankunft im Polarbecken obwalten könnte.

Der Erfolg zeigte, daß der Philosoph Recht hatte. Gegen Mittag wichen die Eisfelder, die den ganzen Tag über, was man nennt, ein schlüpfriges Aussehen angenommen hatten, plötzlich, und das Wallroß ging wieder mit großem Gleichmuth und Anstand in sein eigentliches Element zurück. Kapitain Poke verlor keine Zeit, die Schiffswehren weg zu machen, und da ein frischer Wind schon sehr gesättigt mit Dampf im Westen sich erhob, segelten wir dahin. Unser Lauf war ganz südlich, ohne Rücksicht auf’s Eis, das vor unserm Bug wie dickes Wasser wich, und gerade als die Sonne unterging, kamen wir wieder in offne See, schwelgend im Genuß ihres herrlichen Climas.

Die ganze Nacht über blieben die Segel am Schiff, und gerade als es Tag wurde, kamen wir an den ersten Meilenstein – ein untrügliches Zeichen, daß wir jetzt wirklich im Monikins-Land waren. Dr. Raisono hatte die Güte, uns die Geschichte dieser Phänomene mit dem Wasser zu erklären. Es scheint, als die Erde barst, wurde ihre ganze Rinde in diesen Theilen so in die Höhe gehoben, daß sie der See eine sehr gleichförmige Tiefe gab, nie mehr als vier Faden. Daraus folgt, daß keine vorherrschende Nordwinde je die Eisberge über 78º südlicher Breite treiben können, da sie ohne Ausnahme auf den Boden aufstoßen, sobald sie den äussern Rand der Polarbank erreichen. Die dünnen Eisflächen schmelzen daher, und so wird durch diese wohlthätige Vorkehrung die Monikins-Welt ganz frei gerade von der Gefahr gehalten, der gewöhnliche Gemüther sie am meisten ausgesetzt glauben könnten.

Eine Zusammenkunft der Völker war vor ungefähr fünf Jahrhunderten gehalten worden; sie hieß die »Heilige Philo-Marine-Sicherheit-und-Find-Deinen-Weg-Allianz.« Auf diesem Congreß kamen die hohen contrahirenden Theile überein, eine Commission zur allgemeinen Sicherung der Seeschifffahrt zu ernennen. Eine der Hauptvorkehrungen derselben, die, beiläufig gesagt, aus sehr hohen Monikins bestand, war, massive Steinblöcke in gemessenen Entfernungen durch das ganze Bassin legen zu lassen, in die hernach andre aufrechte Steine eingefügt wurden. Die nöthigen Inschriften waren auf geeigneten Täfelchen geschrieben, und als wir dann einem schon genannten uns näherten, bemerkte ich, daß auf ihm ein Monikin auch in Stein ausgehauen war, den Schweif in einer geraden Linie ausgereckt, und wie Herr Poke versicherte, Süd gen West halb West zeigend. Ich hatte hinlängliche Fortschritte in der Monikins-Sprache gemacht, um beim Vorüberfahren »Nach Springhoch, 15 Meilen,« lesen zu können. Eine Monikins-Meile jedoch, erfuhren wir bald, ist gleich neun Englischen, und folglich waren wir unserm Hafen nicht ganz so nahe, als anfangs angenommen worden. Ich drückte jedoch meine große Freude aus, daß wir so recht auf dem Weg wären, und machte Dr. Raisono einige wohl verdiente Komplimente über den hohen Stand der Civilisation, den sein Geschlecht offenbar erreicht hatte. Der Tag wär‘ nicht fern, fügte ich hinzu, wo man vernünftiger Weise annehmen könnte, daß unsre Seen auch ihre schwimmenden Restaurants und Kaffeehäuser mit den nöthigen Schenken für die Matrosen haben würden; obwohl ich nicht recht sähe, was wir statt ihrer vortrefflichen Einrichtung mit den Meilensteinen wohl anordnen könnten. Der Doktor nahm mein Kompliment mit gehöriger Bescheidenheit an und sagte, ohne Zweifel würden die Menschen alle ihre Kräfte aufbieten, um gute Eß- und Trinkhäuser, wo sie nur immer errichtet werden könnten, zu haben; aber was See-Meilensteine beträfe, gab er mir recht, wäre wenig Hoffnung, bis erst die Erdrinde aufgetrieben würde, und nur noch vier Faden unter der Oberfläche der Wasser wäre. Andrer Seits hielt Kapitain Poke diese Verbesserung für sehr leicht. Er versicherte, es sei gar kein Zeichen von Civilisation, denn je weiter der Mensch käme, desto weniger brauche er Führer und Fingerzeige, und was Springhoch beträfe, könne jeder Schiffer leicht sagen, daß es Süd gen West halb West läge, immer eine Ablenkung von 135 engl. Meilen zugegeben.

Bei diesen Einwürfen war ich still, ich hatte häufig Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß die Menschen gewöhnlich einen Vortheil nicht gehörig würdigen, den sie der Vorsehung ohne ihr Zuthun verdanken.

Gerade als die Sonne im Meridian stand, schrie es von oben »Land vornen.« Die Monikins waren ganz Lächeln und Dankbarkeit, die Mannschaft voll Bewundrung und Staunen, und ich selbst buchstäblich daran, aus der Haut zu fahren, nicht allein vor Entzücken, sondern auch wegen der ausserordentlichen Hitze der Atmosphäre. Unsre Katzen und Hunde begannen sich zu häuten, Bob mußte seine am meisten ausgesetzte Seite durch Entfernung der Unionsjacke schwächen, und Noah selbst erschien auf dem Verdeck in Hemd und Nachtmütze. Die liebenswürdigen Fremdlinge waren zu sehr beschäftigt, um sich daran zu stoßen, und ich schlüpfte in mein Staatszimmer, mich in mein seidnes Gewand zu werfen, das so bemalt war, daß es dem Fell eines Polarbären glich, ein Widerspruch zwischen Schein und Sein, der bei uns zu häufig ist, um je aus der Mode zu kommen.

Wir näherten uns dem Lande mit großer Schnelle, da wir von einem Dampfzug getrieben wurden, und gerade als die Sonne am Horizont unterging, ließen wir die Anker in dem Aussenhafen der Stadt Aggregation fallen.