Neunundzwanzigstes Kapitel.

Den zottigen Bär focht nicht an der Pfahl,
Und nicht daß Zerren der grausamen Meute;
Still lag der Hirsch in dem umbuschten Thal,
Der schäumende Eber nicht den Jagdspieß scheute;
Alles war still in Wildniß, Busch und Hag.
Lord Dorset.

Es war einer der gewöhnlichen Gebräuche der Wilden bei solchen Gelegenheiten, die Nerven ihrer Opfer auf die härtesten Proben zu stellen. Andrerseits war es ein Ehrenpunkt indianischen Stolzes, keine Anwandlung von Furcht und keine Schmerzempfindung zu verrathen: der Gefangene aber mußte seine Feinde zu solchen Mißhandlungen herauszufordern suchen, welche am ehesten den Tod zur Folge hatten. Man wußte von manchem Krieger, dem seine Qualen abzukürzen gelungen war durch höhnische Vorwürfe und eine beschimpfende Sprache, wenn er merkte, daß seine physische Organisation zu erliegen drohte unter dem Schmerz von Martern, ausgesonnen durch eine teuflische Erfindsamkeit, die wohl Alles verdunkeln mochte, was man von den höllischen Grausamkeiten religiösen Verfolgungseifers gesagt hat. Dieß glückliche Auskunftsmittel jedoch, gegen die Wildheit seiner Feinde ihre Leidenschaften selbst zu Hülfe zu rufen, war Wildtödtern versagt durch seine eigenthümlichen Begriffe von der Pflicht eines weißen Mannes; und er hatte den männlich festen Entschluß gefaßt, lieber Alles zu erdulden, als seiner Farbe Schande zu machen.

Sobald die jungen Männer merkten, daß ihnen frei stand, anzufangen, sprangen Einige der kühnsten und dreistesten unter ihnen auf den Platz vor, den Tomahawk in der Hand. Hier schickten sie sich an, diese gefährliche Waffe zu schleudern, wobei die Absicht war, den Baum so nahe als möglich am Kopf des Opfers zu treffen, ohne doch dieses selbst zu verletzen. Dieß war ein so gewagtes Experiment, daß nur die als die Erfahrensten in Handhabung dieser Waffe Anerkannten überhaupt auftreten durften, damit nicht ein früher Tod der erwarteten Unterhaltung ein vereitelndes Ende mache. Selten, selbst unter der sichersten Hand, entging der Gefangene bei diesen Prüfungen aller Verletzung; und oft war der Tod die Folge, wenn dieß gar nicht der Zweck der Schleudernden war. Im jetzigen Fall bei unserem Helden fürchteten Rivenoak und die älteren Krieger, das Beispiel von des Panthers Schicksal möchte für hitzige Geister ein Beweggrund werden, dessen Ueberwinder rasch zu opfern, jetzt, wo die Versuchung locken konnte, es gerade in derselben Weise, und vielleicht gar mit derselben Waffe, durch welche der Krieger gefallen war, zu thun. Dieser Umstand machte an sich schon die Probe mit dem Tomahawk doppelt bedenklich für Wildtödter.

Es schien jedoch, daß Alle, welche jetzt in die Schranken traten, wenn man so sagen kann, mehr darauf dachten, ihre eigne Geschicklichkeit zur Schau zu stellen, als den Tod ihrer Kameraden zu rächen. Alle schickten sich zu dem Versuche mehr mit den Gefühlen des Wetteifers, als mit Durst nach Rache an; und die ersten paar Minuten hatte die Sache für den Gefangenen nur so viel Bedeutung, als aus dem Interesse entsprang, welches eine lebendige Zielscheibe nothwendig erregte. Die jungen Männer waren lebhaft und munter, aber nicht erbittert, und Rivenoak glaubte noch aus einigen Anzeichen schließen und hoffen zu dürfen, er könne vielleicht noch das Leben des Gefangnen retten, wenn erst die Eitelkeit der jungen Männer befriedigt sey; vorausgesetzt natürlich, daß es nicht vorher bei den damit anzustellenden kitzlichen Experimenten geopfert wurde.

Der erste Jüngling, der sich zu dem Versuch stellte, hieß der Rabe, da er bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt, ein kriegerischer lautendes sobriquet zu erlangen. Er zeichnete sich mehr durch große Anmaßung, als durch Geschicklichkeit oder Thaten aus; und die seinen Charakter kannten, glaubten den Gefangnen in drohender Gefahr, als er seinen Stand einnahm und den Tomahawk schwang. Jedoch war der junge Mann gutmüthig, und in seiner Seele herrschte kein andrer Gedanke, als der Wunsch, einen bessern Wurf zu thun als irgend Einer seiner Genossen. Wildtödter bekam eine Ahnung von dem geringen Ruf dieses Kriegers dadurch, daß die Aelteren ihn dringend ermahnten und warnten; und sie würden sich in der That widersetzt haben, daß er überhaupt auf dem Plan auftrete, wäre nicht der Einfluß seines Vaters ihm zu Statten gekommen, eines bejahrten Kriegers von großem Verdienst, der damals in den Hütten des Stammes sich befand. Dennoch behauptete unser Held die Miene gefaßter Selbstbeherrschung. Er hatte sich darein ergeben, daß seine Stunde gekommen sey, und es wäre eine Wohlthat, nicht ein Unglück gewesen, durch die Unsicherheit der ersten Hand, die sich gegen ihn erhob, zu fallen. Nach einer ansehnlichen Menge von Schwenkungen und Gestikulationen, die weit Mehr versprachen, als er zu leisten vermochte, ließ der Rabe den Tomahawk seiner Hand entgleiten. Die Waffe schwirrte mit den gewöhnlichen Umdrehungen durch die Luft, schnitt einen Splitter von dem jungen Baum, woran der Gefangene gebunden war, einige Zoll von seiner Wange entfernt, und fuhr in eine große, einige Schritte weiter hinten stehende Eiche. Dieß war ein entschieden schlechter Wurf, und ein allgemeines Hohnlächeln erklärte es dafür, zur bittern Kränkung des jungen Mannes. Andrerseits erhob sich ein allgemeines, aber gedämpftes Murmeln der Bewunderung über die Standhaftigkeit, womit der Gefangene die Probe bestand. Der Kopf war das Einzige, was er bewegen konnte, und diesen hatte man absichtlich frei gelassen, damit die Peiniger die Belustigung, und der Gemarterte die Schande der Schwäche zu erdulden hätte, wenn er sich duckte, und sonst der Waffe auszuweichen suchte. Wildtödter vereitelte diese Hoffnungen durch eine Herrschaft über seine Nerven, die seinen ganzen Leib so unbeweglich machte, wie der Baum, an den er gebunden war. Nicht einmal die natürliche und gewöhnliche Erleichterung, die Augen zu schließen, benutzte er, und der älteste und kühnste Krieger unter den rothen Männern hatte niemals mit größerer Selbstverläugnung diese Wohlthat, unter ähnlichen Umständen, verschmäht.

Sobald der Rabe seinen unglücklichen und kindischen Versuch gemacht hatte, folgte ihm Le Daim-Mose, oder das Elenthier: ein Krieger von mittlerem Alter, der besonders geschickt war in der Handhabung des Tomahawk, und von dessen Auftreten die Zuschauer mit Zuversicht eine nicht geringe Befriedigung sich versprachen. Dieser Mann hatte Nichts von der Gutmüthigkeit des Raben, sondern er würde gern den Gefangnen seinem Haß gegen die Bleichgesichter überhaupt geopfert haben, hätte nicht das Interesse bei einem glücklichen Erfolg im Handhaben einer Waffe, in deren Gebrauch er besonders geschickt war, überwogen. Er nahm ruhig, aber mit zuversichtlichem Wesen, seinen Stand, schwang sein kleines Beil nur einen Augenblick, trat rasch einen Schritt vor und schleuderte. Wildtödter sah die scharfe Waffe gegen sich schwirren und glaubte, es sey jetzt aus mit ihm; aber er ward gar nicht verletzt. Der Tomahawk hatte in der That den Kopf des Gefangnen an den Baum gepreßt, indem er einen Busch seines Haars gefaßt hatte, und tief in die weiche Rinde eindrang. Ein allgemeiner gellender Ruf verkündigte die Freude der Zuschauer, und das Elenthier fühlte sein Herz sich etwas erweichen gegen den Gefangenen, dessen Nervenstärke allein ihm möglich gemacht hatte, diese Probe seiner vollendeten Geschicklichkeit abzulegen.

Auf das Elenthier folgte der Hüpfende Junge, oder Le Garcon qui bondit, der hüpfend in den Kreis kam, wie ein Hund oder eine spielende Ziege. Es war dieß Einer jener elastischen Jünglinge, deren Muskeln in immerwährender Bewegung zu seyn scheinen, und der sich, mochte es nun Affektation, oder wirkliche, fixirte Gewohnheit seyn, gar nicht mehr anders bewegte, als in der bezeichneten gauklerischen Weise. Trotzdem war er sowohl tapfer, als geschickt, und hatte sich die Achtung seines Volks sowohl durch Thaten im Krieg, als durch Glück auf der Jagd erworben. Ein weit edlerer Name hätte ihm längst zu Theil werden müssen, hätte ihm nicht ein Franzose von Rang dieses sobriquet unabsichtlich gegeben, das er nun gewissenhaft beibehielt, als von seinem Großen Vater kommend, der jenseits des großen Salzsee’s wohne. Der hüpfende Junge tanzte vor dem Gefangnen herum und drohte ihm jetzt von dieser, jetzt von jener Seite, dann wieder von vorn mit dem Tomahawk, in der eiteln Hoffnung, durch diese Gefahrvorspiegelung ihm ein Zeichen der Furcht abzupressen. Endlich wurde Wildtödters Geduld durch all diese Gaukelei erschöpft, und er sprach zum ersten Mal, seit die Prüfung wirklich angefangen hatte.

»Werft zu, Hurone!« rief er, »oder Euer Tomahawk vergißt seine Aufgabe. Warum tanzt Ihr denn immer so herum, wie ein Hirschkalb, das seiner Mutter zeigen will, wie gut es hüpfen kann, da Ihr doch selbst ein vollgewachsener Krieger seyd, und ein vollgewachsener Krieger Euch und all Euren läppischen Sprüngen Trotz bietet? Schleudert, oder die Huronischen Mädchen werden Euch in’s Gesicht lachen!«

Diese letzten Worte entflammten, so wenig der Redende eine solche Wirkung beabsichtigte, den ›Hüpfenden‹ Krieger zur Wuth. Dieselbe Nervenerregbarkeit, die ihn körperlich so beweglich machte, erschwerte es ihm, seine Empfindungen zurückzuhalten, und kaum waren jene Worte aus Wildtödters Mund, als der Tomahawk der Hand des Indianers entfuhr. Auch war er nicht ohne guten Willen und den grimmigen Vorsatz, zu tödten, geschleudert. Wäre die Absicht weniger tödtlich, so wäre die Gefahr vielleicht größer gewesen. Er zielte unsicher, und die Waffe zuckte an der Wange des Gefangenen vorbei und schnitt ihm bei ihren Umdrehungen leicht in die Schulter. Dieß war das erste Mal, daß eine andre Absicht, als die den Gefangnen zu ängstigen und die eigne Geschicklichkeit zu zeigen, an den Tag gelegt worden war; und der Hüpfende Junge ward sogleich von dem Platz weggeführt und mit Wärme gescholten wegen seiner ungezügelten Hitze, die beinahe alle Hoffnungen der Bande vereitelt hätte.

Auf diesen reizbaren Mann folgten einige andere junge Krieger, die nicht nur den Tomahawk, sondern auch das Messer – ein viel gefährlicheres Experiment – mit rücksichtsloser Gleichgültigkeit schleuderten; doch zeigten sie Alle eine Geschicklichkeit, welche den Gefangenen vor ernstlichen Verletzungen bewahrte. Einige Male zwar wurde Wildtödter geritzt, aber nie erhielt er eine eigentliche Wunde. Die unbeugsame, unerschütterliche Festigkeit, womit er seinen Angreifern die Stirne bot, zumal in der Art von Kurzweil, womit diese Prüfung endete, erregte bei den Zuschauern tiefe Achtung; und als die Häuptlinge erklärten, der Gefangene habe die Probe mit dem Messer und dem Tomahawk gut ausgehalten, da war nicht Eine Seele unter der Truppe, die wirklich eine feindselige Gesinnung gegen ihn gehegt hätte, mit Ausnahme der Sumach und des hüpfenden Jungen. Diese beiden mißvergnügten Geister thaten sich allerdings zusammen, gegenseitig ihren Zorn schürend, aber bis jetzt waren ihre boshaften Gefühle großentheils auf sie selbst beschränkt, obwohl zu befürchten stand, daß binnen Kurzem auch die Andern durch ihre Anstrengungen zu jenem dämonischen Zustand aufgeregt würden, der gewöhnlich alle solche Scenen unter den rothen Männern begleitete.

Rivenoak sagte jetzt seinen Leuten, das Bleichgesicht habe sich als ein Mann bewährt. Er möge unter den Delawaren leben, aber er sey nicht ein Weib geworden, mit diesem Stamme. Er wünschte zu wissen, ob es der Wille der Huronen sey, noch weiter zu gehen. Aber auch die Sanftesten unter den Weibern hatten bei den bisherigen Prüfungen zu viel Befriedigung empfunden, um ihren Aussichten auf ein ergötzliches Schauspiel zu entsagen, und daher wurde mit Einer Stimme verlangt, daß man fortfahre. Der politische Häuptling, der ein ähnliches Verlangen empfand, einen so berühmten Jäger in seinen Stamm aufzunehmen, wie ein europäischer Minister nach einem neuen, einträglichen Mittel der Besteurung, suchte alle irgend scheinbaren Gründe geltend zu machen, um der Sache noch zu rechter Zeit Einhalt zu thun; denn er wußte wohl, wenn man es einmal so weit kommen ließ, daß die wilderen Leidenschaften der Peiniger aufgeregt wurden, daß es dann eben so leicht wäre, die Wasser der großen Seen in seiner Heimath zu dämmen, als ihnen in ihrem blutigen Treiben Einhalt zu thun. Daher berief er vier oder fünf der besten Schützen zu sich, und gebot ihnen, den Gefangenen der Büchsenprobe zu unterwerfen, wobei er sie zugleich an die Notwendigkeit erinnerte, durch die gemessenste Aufmerksamkeit bei der Art, wie sie ihre Geschicklichkeit zeigten, ihren Ruf aufrecht zu erhalten.

Als Wildtödter die erlesenen Krieger, ihre Waffen in schußfertigem Stand, in den Kreis treten sah, empfand er eine Gemüthserleichterung, wie etwa ein Dulder, der lange die Qualen der Krankheit ertragen, bei dem sichern Herannahen des Todes empfinden mag. Beim Zielen mit dieser furchtbaren Waffe wurde leicht jede kleine Abweichung tödtlich; denn da der Kopf die Zielscheibe war, oder vielmehr der Punkt, den man ohne wirkliche Verletzung streifen sollte, mußte ein Zoll oder zwei Unterschied in der Schußlinie auf einmal die Frage über Leben und Tod entscheiden.

Bei der Tortur mit der Büchse war nicht einmal so viel Spielraum freigegeben, wie selbst in dem Fall mit Geßlers Apfel, denn ein Haar breit war in der That die äußerste Grenze, die sich ein erfahrener Schütze bei einer solchen Gelegenheit gestattete. Häufig wurde das Opfer von zu hitzigen oder ungeschickten Händen durch den Kopf geschossen; und oft geschah es auch, daß der Schütze, erbittert durch die Seelenstärke und die Herausforderungen der Gefangenen absichtlich in einem Augenblick unbändiger Aufregung ihm den Tod zusandte. Alles das wußte Wildtödter wohl, denn mit Erzählen von Ueberlieferungen solcher Scenen, wie von Schlachten und Siegen ihres Volkes, vertrieben sich die alten Männer die langen Winterabende in ihren Hütten. Er erwartete jetzt mit Bestimmtheit das Ende seiner Laufbahn, und empfand eine Art schwermüthige Freude bei dem Gedanken, daß er durch eine so geliebte Waffe, wie die Büchse, fallen sollte. Eine kleine Unterbrechung jedoch trat noch ein, ehe die Sache vor sich gehen konnte.

Hetty Hutter war Zeugin von Allem was vorging, und das Schauspiel hatte zuerst auf ihren schwachen Geist völlig lähmend gewirkt; jetzt aber hatte sie sich erholt, und ihr Gemüth empörte sich über die unverdienten Leiden, womit die Indianer ihren Freund quälten. Obwohl schüchtern und scheu wie das Junge der Hirschkuh bei manchen Gelegenheiten, war doch dieß Mädchen von richtigem Gefühl immer unerschrocken, wenn es die Sache der Menschlichkeit galt; die Lehren ihrer Mutter, und die Antriebe ihres eigenen Herzens – vielleicht dürften wir sagen: die Eingebungen jenes unsichtbaren, reinen Geistes, der immer ihre Handlungen zu bewachen und zu leiten schien – vereinigten sich, die weibliche Furchtsamkeit niederzuhalten, und sie zu kühner Entschlossenheit zu kräftigen. Sie erschien jetzt in dem Kreis, sanft, weiblich, sogar verschämt in ihrem Wesen, wie gewöhnlich, aber ernst in ihren Worten und Mienen, und redend wie Eine, die sich durch die Vollmacht Gottes unterstützt weiß.

»Warum martert Ihr den Wildtödter, rothe Männer?« fragte sie. »Was hat er gethan, daß Ihr mit seinem Leben spielt; Wer hat Euch das Recht gegeben, seine Richter zu seyn? Setzt den Fall, eins Eurer Messer oder ein Tomahawk hätte ihn getroffen: welcher Indianer unter Euch Allen könnte die Wunde heilen, die Ihr gemacht? Ueberdieß, wenn Ihr Wildtödter ein Leid thut, verletzt Ihr Euern Freund; als Vater und Hurry auf Eure Skalpe auszogen, weigerte er sich daran Theil zu nehmen, und blieb allein im Canoe. Ihr martert Euren Freund, wenn Ihr diesen jungen Mann martert!«

Die Huronen hörten sie mit ernster Aufmerksamkeit an, und Einer unter ihnen, der Englisch verstand, übersetzte das Gesagte in die Sprache ihrer Heimath. Sobald Rivenoak den Sinn ihrer Anrede vernommen, beantwortete er sie in seiner Sprache, und der Dollmetscher übersetzte es dem Mädchen ins Englische.

»Meiner Tochter steht es frei zu sprechen,« sagte der finstre, alte Redner, und gebrauchte so sanfte Töne und lächelte so freundlich, als spräche er mit einem Kind – »die Huronen hören gern ihre Stimme; sie lauschen Allem, was sie sagt. Der große Geist redet oft zu den Menschen mit solchen Zungen. Dießmal sind ihre Augen nicht weit genug offen gewesen, um Alles zu sehen, was vorgefallen ist. Wildtödter ist nicht gekommen unsere Skalpe zu nehmen, das ist wahr, warum kam er nicht? Hier sind sie, auf unsern Häuptern; die Kriegslocken sind bereit, daß man sie packen kann; ein kühner Feind soll seine Hand ausstrecken, sie zu fassen. Die Irokesen sind eine zu große Nation, um Männer zu strafen, welche Skalpe nehmen. Was sie selbst thun, das sehen sie gern auch an Andern. Meine Tochter möge sich umsehen und meine Krieger zählen. Hätte ich so viele Hände als vier Krieger, ihre Finger wären weniger als mein Volk war, als wir in Eure Jagdgründe kamen. Jetzt fehlt eine ganze Hand. Wo sind die Finger? Zwei sind abgeschnitten worden von diesem Bleichgesicht; meine Huronen wünschen zu sehen, ob er dieß gethan hat, in Kraft eines männlichen Herzens, oder durch Verrath; wie ein schleichender Fuchs, oder wie ein springender Panther.«

«Ihr wißt selbst, Huronen, wie Einer davon fiel. Ich habe es gesehen, und Ihr Alle auch. Es war zu blutig, um hinzuschauen; aber es war nicht Wildtödters Schuld. Euer Krieger trachtete nach seinem Leben, und er vertheidigte sich. Ich weiß nicht, ob das gute Buch sagt, daß dieß recht gewesen, aber alle Menschen werden es sagen. Kommt, wenn Ihr wissen wollt, Wer von Euch am besten schießen kann, gebt Wildtödtern eine Büchse, und dann werdet Ihr sehen, wie viel erfahrener er ist, als irgend Einer Eurer Krieger; ja als Alle zusammen!«

Hätte Jemand eine solche Scene unbefangen und gleichgültig beobachten können, so hätte er müssen belustigt werden durch den Ernst, womit die Wilden die Dollmetschung dieses ungewöhnlichen Verlangens anhörten. Kein Hohn, kein Lächeln mischte sich in ihr Erstaunen; denn Hettys Wesen hatte einen zu geheiligten Charakter, als daß ihre Schwäche der Gegenstand des Spottes der Trotzigen und Rohen hätte werden dürfen. Im Gegentheil, man antwortete ihr mit achtungsvoller Aufmerksamkeit.

»Meine Tochter redet nicht immer wie ein Häuptling am Berathungsfeuer,« erwiederte ihr Rivenoak, »sonst würde sie das nicht gesagt haben. Zwei meiner Krieger sind gefallen von der Hand unsers Gefangenen; ihr Grab ist zu klein, einen Dritten aufzunehmen. Die Huronen häufen nicht gern ihre Todten aufeinander. Wenn noch ein Geist im Begriff steht, nach der fernen Welt aufzubrechen, so darf es nicht der Geist eines Huronen seyn, es muß der Geist eines Bleichgesichts seyn. Geht, Tochter, und setzt Euch zu Sumach, die in Trauer ist; laßt die Huronenkrieger zeigen, wie gut sie schießen können; laßt das Bleichgesicht zeigen, wie wenig er sich um ihre Kugeln kümmert.«

Hettys Geist war der Fortführung einer Erörterung nicht gewachsen und gewohnt, sich den Anweisungen Weiterer zu unterwerfen, that sie wie ihr geboten, setzte sich willenlos auf einen Stamm neben die Sumach, und wandte ihr Antlitz ab von dem peinlichen Schauspiel, das innerhalb des Kreises aufgeführt wurde.

Die Krieger nahmen, sobald diese Unterbrechung beseitigt war, ihre Sitze ein, und schickten sich wieder an, ihre Geschicklichkeit glänzen zu lassen, wobei sie einen gedoppelten Zweck im Auge hatten; den, die Standhaftigkeit des Gefangenen auf die Probe zu stellen, und dann ferner zu zeigen, wie stet und sicher die Hand der Schützen unter aufregenden Umständen sey. Die Entfernung war klein, und in Einem Sinn, Sicherheit versprechend. Aber je kleiner der von den Peinigenden genommene Abstand war, um so mehr wurde die Probe für die Nerven des Gefangenen wesentlich gesteigert. Wildtödters Gesicht war in der That nur eben weit genug von dem Ende der Gewehre entfernt, um von der Explosion des Pulvers nicht gefährdet zu werden, und sein stetes Auge konnte gerade in die Mündungen ihrer Büchsen hineinsehen, gleichsam im Voraus schon den tödlichen Boten erschauend, der aus jeder hervorbrechen sollte. Die schlauen Huronen hatten diesen Umstand wohl berechnet; und kaum Einer erhob sein Gewehr, ohne es zuerst so scharf als möglich auf die Stirne des Gefangnen anzulegen, in der Hoffnung, seine Seelenstärke werde ihn verlassen und die Bande werde den Triumph genießen, ein Opfer unter ihrer sinnreichen Grausamkeit zucken und sich winden zu sehen. Dennoch hüteten sich sämmtliche Schützen wohl, ihn zu treffen, da die Schmach, ihn vor der Zeit zu tödten, nur der nachstand, das Ziel ganz zu verfehlen. Schuß um Schuß fiel; alle Kugeln schlugen ganz nahe bei Wildtödters Kopf ein, ohne ihn zu berühren. Aber noch konnte Niemand auch nur das Zucken eines Muskels von Seiten des Gefangenen, oder das leiseste Blinzeln seines Auges wahrnehmen. Diese unbezwingliche Entschlossenheit, welche so weit alles Aehnliche übertraf, was irgend ein Anwesender je zuvor gesehen, konnte von drei besondern Ursachen abgeleitet werde. Die erste war: Ergebung in sein Schicksal, verbunden mit natürlicher fester Haltung und Fassung; denn unser Held hatte es ruhig mit sich abgemacht, daß er sterben müsse und zog diese Todesart jeder andern vor; die zweite war seine vertraute Bekanntschaft gerade mit dieser Waffe, wodurch sie für ihn alles Schreckliche verlor, was sich gewöhnlich schon an die bloße Form der Gefahr knüpft; und die dritte war eben diese auch praktisch erprobte Bekanntschaft, die so weit und fein ausgebildet war, daß das beabsichtigte Opfer bis auf den Zoll den Fleck anzugeben wußte, wohin jede Kugel treffen müsse, denn er berechnete ihr Ziel, indem er gerade in’s Rohr hineinsah. So genau war Wildtödters Berechnung der Schußlinie, daß am Ende sein Stolz die Oberhand über seine Ergebung gewann, und er, nachdem Fünf oder Sechse ihre Kugeln in den Baum geschossen, sich nicht enthalten konnte, seine Verachtung über ihren Mangel an sichrer Hand und sichrem Auge auszusprechen.

»Ihr mögt dieß Schießen nennen, Mingos!« rief er, »aber wir haben Weiber unter den Delawaren, und ich habe holländische Mädchen gekannt am Mohawk, die Eure größten Kunststücke zu Schanden machen konnten. Macht diese meine Arme los, gebt mir eine Büchse in die Hand, und ich will die dünnste Kriegslocke in Eurer Truppe an jeden Baum nageln, den Ihr mir bezeichnet, und das auf hundert Schritte; ja, oder auf zweihundert, wenn man das Ziel sehen kann, neunzehn Schüsse unter zwanzig, oder meinetwegen zwanzig unter zwanzig, wenn das Gewehr preiswürdig und zuverlässig ist!«

Ein leises, drohendes Gemurmel folgte auf diesen kalten, herausfordernden Hohn; der Zorn der Krieger entzündete sich, als sie einen solchen Vorwurf hörten aus dem Mund eines Mannes, der ihr Beginnen so verächtlich ansah, daß er nicht einmal blinzelte, wenn man eine Büchse so nahe vor seinem Gesicht abschoß, als man konnte, ohne es ihm zu versengen, Rivenoak bemerkte, daß der Augenblick kritisch war, und noch immer die Hoffnung nicht aufgebend, einen so ausgezeichneten Jäger für seinen Stamm zu gewinnen, legte sich der schlaue, alte Häuptling, vermuthlich zur, rechten Zeit, in’s Mittel, um zu verhüten, daß man nicht augenblicklich zu dem Theil der Marter schritt, der nothwendig durch äußerste körperliche Qual, wenn nicht in andrer Weise, den Tod zur Folge haben mußte. Er trat mitten unter die gereizte Gruppe, redete sie mit seiner gewohnten schlauen Logik und seiner gefälligen, gewinnenden Art an, und unterdrückte sogleich die heftige Bewegung, die schon begonnen hatte.

»Ich sehe, wie es ist,« sagte er. »Wir sind gewesen wie die Bleichgesichter, wenn sie bei Nacht ihre Thüren schließen aus Furcht vor den rothen Männern. Sie brauchen so viele Riegel, daß das Feuer auskommt und sie verbrennen, ehe sie hinaus können. Wir haben den Wildtödter zu fest gebunden. Die Bande hindern seine Glieder zu zittern, und seine Augen, sich zu schließen. Lockert sie ihm: laßt uns sehen, aus welchem Stoffe sein eigner Körper wirklich besteht!«

Es ist oft der Fall, wenn wir in einem Lieblingsplan uns getäuscht sehen, daß wir gerne zu jedem Auskunftsmittel, mag es auch noch so wenig Aussicht auf Erfolg verbürgen, greifen, ehe wir unsern Zweck ganz aufgeben. So war es bei den Huronen. Der Vorschlag des Häuptlings fand augenblicklich Beifall; und mehrere Hände waren sofort geschäftig, die Bastseile vom Leib unsers Helden wegzureißen und zu schneiden. Nach einer halben Minute stand Wildtödter so frei von Banden da, wie er eine Stunde zuvor seine Flucht am Berg hin begonnen hatte. Ein wenig Zeit brauchte es, bis er den Gebrauch seiner Glieder wieder erlangte, denn der Umlauf des Blutes war durch die Festigkeit der Bande gehemmt worden; und diese ward ihm von Rivenoaks Politik bewilligt unter dem Vorwand, daß sein Körper für Furcht und Schrecken empfänglicher seyn würde, wenn er seine rechte Stimmung wieder gewonnen habe; eigentlich aber war seine Absicht, den heftigen wilden Leidenschaften, die in der Brust seiner jungen Männer rege geworden waren, Zeit zu lassen, sich wieder zu legen. Diese List gelang; und Wildtödter, indem er sich die Glieder rieb, mit den Füßen stampfte, und sich Bewegung machte, stellte bald den Umlauf des Blutes wieder her, und gewann wieder seine ganze physische Kraft so vollständig, als wenn gar Nichts sie gestört und geschwächt hätte. Selten denken die Menschen an den Tod in dem stolzen Gefühl ihrer Gesundheit und Stärke. So war es bei Wildtödter. Nachdem er hülflos gebunden, und, wie er allen Grund gehabt zu glauben, so ganz kürzlich erst am Rande der andern Welt gewesen war, wirkte jetzt das, daß er sich so unerwartet befreit, im Besitz seiner Kraft, und völlig Herr seiner Glieder sah, auf ihn wie eine plötzliche Wiederbelebung, und fachte in ihm wieder Hoffnungen an, die er zuvor schon ganz aufgegeben hatte. Von diesem Augenblicke an änderten sich alle seine Plane. Hierin gehorchte er einfach einem Gesetz der Natur; denn wenn wir unsern Helden als ergeben in sein Schicksal darzustellen wünschten, war es doch entfernt nicht unsere Absicht, ihn als verlangend nach dem Tode zu schildern. Von dem Augenblick an, wo sein Kraftgefühl frisch wieder auflebte, waren seine Gedanken lebhaft auf die verschiedenen Entwürfe gerichtet, die sich ihm darboten, um mittelst ihrer den Anschlägen seiner Feinde sich zu entziehen; und er wurde wieder der besonnene, sinnreiche und entschlossene Waldmann, der aller seiner Kräfte und Hülfsquellen sich bewußt und sie zu benützen bereit war. Der Wechsel war so groß, daß auch sein Geist wieder seine Spannkraft gewann; und nicht mehr an Unterwerfung denkend, verweilte er nur bei den Listen und Anschlägen der Art von Kriegführung, worin er jetzt verwickelt war.

Sobald Wildtödter losgebunden war, vertheilte sich die Bande in einen Kreis um ihn her, um ihn einzuhegen; und der Wunsch, seinen Muth und Geist zu brechen, wuchs in ihnen, je mehr sie Beweise von der Schwierigkeit sahen, ihn zu beugen. Die Ehre der Truppe stand jetzt bei dem Ausgang auf dem Spiel; und selbst das schöne Geschlecht verlor all‘ sein Mitgefühl mit menschlichem Leiden über dem Wunsch, die Ehre des Stammes gerettet zu sehen. Die Stimmen der Mädchen, sanft und melodisch wie die Natur sie geschaffen, hörte man mit den Drohungen der Männer sich mischen; und die der Sumach widerfahrenen Unbilden nahmen plötzlich den Charakter von kränkenden Leiden an, die jedes huronische Weib betroffen. Diesem sich erhebenden Tumult nachgebend, zogen sich die Männer ein Wenig zurück, den Weibern bedeutend, daß sie den Gefangenen eine Weile in ihren Händen ließen; denn es war bei solcher Gelegenheit ein gewöhnlicher Kunstgriff, daß die Weiber durch ihre Verhöhnungen und Schmähungen das Opfer in einen Zustand von Wuth zu versetzen suchten, und es dann plötzlich den Männern überlieferten, in einem Gemüthszustand, der wenig günstig war, den Qualen körperlicher Peinigung Widerstand zu leisten. Auch war diese Gesellschaft nicht ohne die geeigneten Werkzeuge, einen solchen Zweck zu erreichen. Sumach hatte einen großen Ruf als Keiferin und Schreierin; und ein paar alte Weiber, wie die Bärin, waren mit der Truppe ausgezogen, höchst wahrscheinlich als Wächterinnen des Anstands und der moralischen Disciplin; denn dergleichen kommt im wilden so gut wie im civilisirten Leben vor. Es ist unnöthig Alles zu wiederholen, was Wildheit und Unwissenheit zu diesem Behuf zu ersinnen vermochten; der einzige Unterschied zwischen diesem Ausbruch weiblichen Zorns und einer ähnlichen Scene unter uns bestand mir in den Redefiguren und den Prädikaten; – die huronischen Weiber benannten ihren Gefangenen mit den Namen der niedrigsten und verachtetsten Thiere, die ihnen bekannt waren.

Aber Wildtödters Geist war zu sehr beschäftigt, als daß er hätte durch das Schimpfen erbitterter Hexen sollen gestört werden; und da ihre Wuth nothwendig mit seiner Gleichgültigkeit stieg, so wie seine Gleichgültigkeit mit ihrer Wuth, wurden die Furien bald durch das Uebermaß unfähig, weiter fort zu machen. Die Krieger, als sie bemerkten, daß dieser Versuch gänzlich fehlgeschlagen, traten ins Mittel und machten der Scene ein Ende; und dieß um so mehr, da man jetzt ernstlich Vorbereitungen machte zu dem Anfang der wirklichen Martern, derjenigen, welche die Seelenstärke des Dulders auf die Probe heftiger, körperlicher Schmerzen stellen sollten. Eine plötzliche, unvorhergesehene Meldung jedoch, die Einer der ausgestellten Kundschafter, ein Knabe von zehn oder zwölf Jahren, brachte, hemmte für einen Augenblick das ganze Beginnen. Da diese Unterbrechung in engem Zusammenhang mit dem dénoucment unserer Geschichte steht, wollen wir sie in einem besondern Capitel berichten.