Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Sein Wort ist Bürgschaft und sein Eid Orakel;
Treu seine Liebe, mackellos sein Denken;
Des Herzens reine Boten seine Thränen;
Sein Herz so fern von Trug wie Himmel von Hölle.
Shakspeare.

Keines der Mädchen sprach, als Wildtödter allein vor ihnen stand, und sein Gesicht all die Besorgnisse verrieth, die er wegen des Schicksals der zwei abwesenden Glieder ihrer Gesellschaft empfand. »Vater!« rief endlich Judith, der durch eine verzweiflungsvolle Anstrengung das Vorbringen dieses Einen Wortes zu gelingen schien.

»Es ist ihm ein Unfall zugestoßen, und es wäre nutzlos, es verhehlen zu wollen,« antwortete Wildtödter in seiner geraden und einfachen Art. »Er und Hurry sind in den Händen der Mingos und nur der Himmel weiß, was der Ausgang seyn wird. Ich habe die Canoe’s in Sicherheit gebracht, und das ist ein Trost, weil die Vagabunden jetzt schwimmen oder Flöße bauen müssen, um sich diesem Haus zu nähern. Bis Sonnenuntergang werden wir durch Chingachgook verstärkt werden, wenn es mir gelingt, ihn in ein Canoe zu schaffen; und dann, denk‘ ich, können wir Zwei für die Arche und das Castell stehen, bis einige von den Officieren in den Garnisonen von diesem Kriegszug hören, was früher oder später der Fall seyn muß, wo wir dann auf Hülfe von dieser Seite, wenn nicht von einer andren – rechnen dürfen.«

»Die Officiere!« rief Judith ungeduldig, und ihre Farbe ward röther, und ihr Auge drückte eine lebhaftere, aber vorübergehende innere Bewegung aus. »Wer denkt jetzt an die herzlosen galanten Herrn, Wer spricht von ihnen?« – Wir sind allein genügend, das Castell zu vertheidigen; – aber was ist’s mit meinem Vater und mit dem armen Hurry Harry?«

»Es ist natürlich, daß Ihr solche Sorge empfindet für Euern Vater, Judith, und ich denke, Ihr solltet eben so gesinnt seyn in Betreff Hurry Harry’s.«

Jetzt begann Wildtödter eine gedrängte aber klare Erzählung alles dessen, was während der Nacht sich begeben hatte; keineswegs die Unfälle seiner beiden Begleiter verhehlend, noch auch seine eigne Meinung, was die Folgen seyn könnten. Die Mädchen hörten mit tiefer Aufmerksamkeit zu; aber keine verrieth jene weibliche Aengstlichkeit und Bestürzung, welche bei einer derartigen Mittheilung unausbleiblich sich geäußert hätte bei Solchen, die weniger an die Wechselfälle und Mißgeschicke eines Grenzerlebens gewohnt gewesen wären. Zum Erstaunen Wildtödters schien Judith die mehr Niedergeschlagene; Hetty horchte aufmerksam zu, schien aber über die vernommenen Thatsachen mehr in melancholischem Schweigen zu brüten, als daß sie ihre Gefühle äußerlich verrathen hätte. Die Unruhe der Erstern ermangelte der junge Mann nicht, ihrem Interesse für Hurry ebenso sehr, als ihrer kindlichen Liebe zuzuschreiben, während er sich Hetty’s anscheinende Gleichgültigkeit aus der geistigen Finsterniß erklärte, welche gewissermaßen ihren Verstand verdunkelte und sie vielleicht nicht alle Folgen voraussehen ließ. Beide jedoch sprachen Wenig; Judith und ihre Schwester machten sich mit den Vorbereitungen zur Morgenmahlzeit zu schaffen, wie denn Leute, die regelmäßig mit solchen Dingen sich zu beschäftigen haben, selbst mitten unter Leiden und Kummer mechanisch darin fortarbeiten. Das einfache aber nahrhafte Frühstück ward von allen Dreien in düsterm Schweigen eingenommen. Die Mädchen aßen Wenig, Wildtödter aber bewies, daß er Eine wesentliche Eigenschaft eines guten Soldaten besaß, die, daß er unter den beunruhigendsten und peinlichsten Umständen seinen guten Appetit behielt. Das Mahl ging beinahe zu Ende, ehe nur eine Sylbe gesprochen wurde; dann aber fing Judith an zu sprechen in jener hastigen und krampfhaften Weise; in welcher das Gefühl, den Zwang überwindend, ausbricht, nachdem dieser noch schmerzlicher und peinlicher geworden ist, als selbst die Aeußerung der innern Bewegung.

»Dem Vater würde dieser Fisch gemundet haben!« rief sie aus; »er sagt, der Salm der Seen sey beinahe so gut, wie der des Meeres.«

»Euer Vater ist mit dem Meer bekannt gewesen, so höre ich, Judith,« versetzte der junge Mann, der sich nicht enthalten konnte, einen forschenden Blick auf das Mädchen zu werfen; denn wie Alle, die Huttern kennen lernten, empfand er einige Neugier, seine frühere Geschichte zu erfahren. »Hurry Harry sagt mir, er sey einmal Matrose gewesen.«

Judith schien zuerst in einige Verlegenheit zu gerathen; dann unter dem Einfluß von Gefühlen, die ihr in mehr als Einer Hinsicht neu waren, wurde sie plötzlich mittheilsam und nahm, wie es schien, lebhaften Antheil an dem Gegenstand des Gesprächs.

»Wenn Hurry Etwas von Vaters Geschichte weiß, so wollte ich, er hätte es mir erzählt!« rief sie aus. »Manchmal glaube auch ich, er sey einmal Matrose gewesen und manchmal auch wieder nicht. Wenn dieser Schrank offen wäre, oder wenn er sprechen könnte, könnte er uns in seine ganze Geschichte einweihen. Aber seine Schlösser und Riegel sind zu stark, um aufgebrochen zu werden wie Packschnüre.«

Wildtödter wandte sich zu dem fraglichen Schranke und besichtigte ihn zum erstenmal genau. Obgleich er entfärbt war, und Spuren von häufiger übler Handhabung an sich trug, war er doch, wie er jetzt sah, von weit besserem Stoff und vorzüglicherer Arbeit, als alles Aehnliche, was er früher gesehen. Das Holz war dunkel, edel und war einmal trefflich polirt gewesen, obgleich die Behandlung, die er mußte erfahren haben, wenig Glanz mehr übrig gelassen, und verschiedne Schrammen und Rißen die herben Collisionen verriethen, in welche er mit noch härtern Gegenständen gerathen war. Die Ecken waren stark mit Stahl beschlagen, sorgfältig und reich gearbeitet, während die Schlösser, deren er nicht weniger als drei hatte, und die Bänder von einer Arbeit und Façon waren, welche selbst in einem Magazin von ausgezeichneten Meubles Aufmerksamkeit erregt haben würde. Der Schrank war auch groß; und als Wildtödter aufstand, und ihn von der einen Seite an seiner massiven Handhabe aufzuheben versuchte, fand er, daß die Schwere vollkommen der äußern Erscheinung entsprach.

»Habt Ihr je diesen Schrank geöffnet gesehen, Judith,« fragte der junge Mann mit der Freimüthigkeit des Grenzers, denn von Zartgefühl in solchen Dingen wußten die Leute auf der äußersten Grenzmarke der Civilisation in jenen Tagen Wenig, wie vielleicht auch jetzt noch.

»Nie. Vater hat ihn nie in meiner Gegenwart geöffnet, wenn er ihn überhaupt je öffnet. Kein Mensch hier hat je seinen Deckel gehoben gesehen, wenn nicht Vater, auch weiß ich von ihm nicht einmal, ob er ihn so gesehen.«

»Da irrst du dich, Judith,« versetzte Hetty ruhig, »Vater hat den Deckel aufgemacht, und ich habe es mit angesehen.«

Ein Gefühl männlichen Stolzes hielt Wildtödters Mund geschlossen; denn während er sich nicht bedacht hätte, in seinen Fragen an die ältere Schwester weit über die Grenzen der Schicklichkeit, nach unsern Begriffen, hinauszugehen, empfand er doch gerechte Bedenklichkeiten, den vielleicht nicht ganz ehrenhaften Vortheil zu benützen, welchen der schwache Verstand der jüngern ihm darbot. Judith indessen, die keine solche Rücksichten zu nehmen hatte, wandte sich rasch zu ihrer Schwester und verfolgte das Gespräch:

»Wann und wo hast du den Schrank offen gesehen, Hetty?«

»Hier – und zu wiederholten Malen; Vater öffnet ihn oft, wenn du weg bist, beachtet es aber gar nicht, wenn ich da bin, und Alles, was er thut, sehe, und Alles höre, was er sagt.«

»Und was thut er, und was sagt er?«

»Das kann ich dir nicht sagen, Judith,« »ersetzte die Andere mit leiser aber entschlossener Stimme, »Vaters Geheimnisse sind nicht meine Geheimnisse.«

»Geheimnisse! das ist noch seltsamer, Wildtödter, daß Vater sie Hetty sagen sollte, und mir nicht!«

»Dazu hat er guten Grund, Judith, obgleich du diesen nicht erfahren sollst. Vater ist nicht hier, um selbst zu antworten, und ich werde nicht Mehr davon sagen.«

Judith und Wildtödter waren überrascht, und etwa eine Minute lang schien die Erstere gekränkt und traurig. Plötzlich jedoch sich wieder fassend, wandte sie sich von ihrer Schwester weg, als fühlte sie Mitleid mit ihrer Schwäche, und sagte, zu dem jungen Mann sich wendend:

»Ihr habt mir Eure Geschichte erst halb erzählt, und da abgebrochen, wo Ihr in dem Canoe zu schlafen anfingt – oder vielmehr, wo Ihr aufstandet, um auf das Schreien des Wasservogels zu lauschen. Auch wir haben das Geschrei der Wasserhühner gehört, und gedacht, es möge wohl einen Sturm bedeuten, obgleich wir auf diesem See und zu dieser Jahrszeit wenig Gewitter zu haben pflegen.«

»Die Winde blasen und die Stürme heulen, wie es Gott gefällt, bald zu dieser, bald zu jener Jahrszeit,« versetzte Wildtödter, »und die Wasservögel lassen sich hören nach ihrer Natur. Besser wäre es, wenn die Menschen ebenso ehrlich und offen wären. Nachdem ich aufgestanden, um den Vögeln zu lauschen, und merkte, daß es nicht Hurry’s Signal seyn könne, legte ich mich nieder und schlief. Als der Tag anbrach, war ich auf und munter, wie gewöhnlich, und dann eilte ich den beiden Canoe’s nach, damit nicht die Mingo’s sich ihrer bemächtigten.«

»Ihr habt uns nicht Alles erzählt, Wildtödter,« sagte Judith ernst. »Wir haben Büchsen knallen gehört unter dem östlichen Berge; die Echo’s waren voll und lang, und folgten so bald auf den Knall, daß die Gewehre auf der Küste, oder ganz nahe dabei müssen abgefeuert worden seyn. Unser Ohr ist an diese Zeichen gewohnt und läßt sich nicht täuschen.«

»Es hat seine Pflicht gethan, Mädchen, dießmal; ja, es hat seine Pflicht gethan. – Es sind diesen Morgen Büchsen angelegt worden, ja, und auch abgedrückt, obwohl nicht so oft, als hätte geschehen können. Ein Krieger ist nach seinen glücklichen Jagdrevieren gegangen, und das ist das Ganze. Von einem Mann von weißem Blut und weißen Gaben ist nicht zu erwarten, daß er sich seiner Thaten rühme und mit Skalpen prange.«

Judith hörte beinahe athemlos zu; und als Wildtödter in seiner ruhigen, bescheidenen Weise geneigt schien, den Gegenstand zu verlassen, stand sie auf, schritt durch das Gemach, und setzte sich neben ihn. Das Benehmen des Mädchens hatte nichts Zudringliches und Keckes, obwohl es den lebhaften Instinkt weiblicher Neigung und das sympathisirende Wohlwollen weiblichen Interesses verrieth. Sie ergriff sogar die harte Hand des Jägers und drückte sie mit ihren beiden Händen, vielleicht halb unbewußt, während sie ihm ernst und sogar vorwurfsvoll in sein sonnverbranntes Antlitz schaute.

»Ihr habt mit den Wilden gekämpft, Wildtödter, einzeln, ganz allein!« sagte sie. »Vom Wunsch beseelt, uns zu beschützen – Hetty – mich vielleicht, habt Ihr tapfer mit dem Feind gekämpft, ohne daß ein Auge nahe war, Euch zu Thaten zu ermuthigen, oder Euern Fall mitanzusehen, hätte es der Vorsehung gefallen, ein so großes Unglück zuzugeben!«

»Ich habe gekämpft, Judith; ja, ich habe mit dem Feind gekämpft, und das zum erstenmal in meinem Leben. Diese Sachen müssen seyn, und sie geben Einem ein gemischtes Gefühl von Kummer und Triumph. Menschliche Natur ist eine kampfsüchtige Natur, glaub‘ ich, da alle Nationen in der Schlacht tödten, und wir müssen unsern Rechten und Gaben treu bleiben. Was bis jetzt geschehen, ist nicht Viel; aber sollte Chingachgook diesen Abend bei dem Felsen eintreffen, wie zwischen uns verabredet ist, und ich ihn, ohne daß die Wilden es merken, dort wegholen können, oder, wenn sie es auch merken, ihren Wünschen und Absichten zum Trotz: dann dürfen wir Alle wohl einer Art von Krieg entgegen sehen, ehe die Mingo’s sich des Castells, der Arche, oder Eurer bemächtigen sollen.«

»Wer ist dieser Chingachgook? woher kommt er? und warum kommt er hieher

»Diese Fragen sind natürlich und recht, denke ich, obgleich der Jüngling in seiner Gegend schon einen großen Namen hat, Chingachgook ist dem Blute nach ein Mohikan, nach alter Gewohnheit zu den Delawaren sich haltend, wie dieß bei den Meisten seines Stammes der Fall ist; denn dieser ist längst durch das Ueberhandnehmen unsrer Farbe gebrochen und zertrümmert worden. Er ist von der Familie der großen Häuptlinge: Uncas, sein Vater, ist der angesehenste Krieger und Rathgeber seines Volkes gewesen. Selbst der alte Tamenund ehrt Chingachgook, obgleich man ihn noch für zu jung hält, im Kriege anzuführen; und dann ist der Stamm so zerstreut und geschwächt, daß die Häuptlingschaft unter ihnen wenig Mehr, als ein bloßer Name ist. Nun, nachdem dieser Krieg ernstlich begonnen, verabredeten wir, ich und der Delaware, uns diesen Abend zur Stunde des Sonnenuntergangs an dem Bestellungs-Felsen, am Ende eben dieses See’s zu treffen, in der Absicht, unsern ersten Kriegszug gegen die Mingo’s zu unternehmen. Warum wir gerade diesen Weg eingeschlagen, ist unser Geheimniß; aber nachdenkliche junge Männer auf dem Kriegspfad thun, wie Ihr Euch wohl denken könnt, Nichts ohne Berechnung und Absicht.«

»Ein Delaware kann keine feindselige Absichten gegen uns haben,« sagte Judith nach augenblicklichem Bedenken; »und Euch kennen wir als einen Freund.«

»Verrath ist das letzte Verbrechen, hoffe ich, dessen man mich wird anklagen können,« versetzte Wildtödter, gekränkt durch den Schatten von Mißtrauen, der durch Judiths Seele geflogen war; »und am wenigsten Verrath gegen meine eigne Farbe!«

»Niemand hat Argwohn gegen Euch, Wildtödter,« rief das Mädchen mit Heftigkeit. »Nein – nein – Euer ehrliches Gesicht würde hinlängliche Bürgschaft für die Wahrheit von tausend Herzen seyn! Wenn alle Männer so redliche Jungen hätten, und nicht versprächen, was sie doch nicht zu erfüllen gemeint sind, würde weniger Unrecht in der Welt geschehen, und schöne Federn und Scharlachröcke würden nicht als Entschuldigungen für Niederträchtigkeit und Betrug gelten.«

Das Mädchen sprach mit heftigem, sogar krampfhaftem Gefühl, und ihre schönen Augen, gewöhnlich so sanft und anlockend, sprühten Feuer, als sie schloß. Wildtödter konnte nicht anders als diese außerordentliche Gemüthsbewegung bemerken; aber mit dem Takt eines Hofmanns vermied er nicht blos jede Anspielung darauf, sondern es gelang ihm auch, in seinem Benehmen den Eindruck, den jene Wahrnehmung auf ihn machte, zu verhehlen. Allmälig wurde Judith wieder ruhig; und da sie sich unverkennbar Mühe gab, sich dem Auge des jungen Mannes vortheilhaft darzustellen, war sie bald im Stande, das Gespräch mit solcher Fassung wieder aufzunehmen, als wenn nichts Störendes dazwischen gekommen wäre.

»Ich habe kein Recht, in Eure Geheimnisse, oder in die Eures Freundes einzudringen, Wildtödter,« fuhr sie fort, »und bin bereit, Alles was Ihr sagt, aufs Wort anzunehmen. Wenn es uns wirklich gelingt, in diesem gefährlichen Augenblicke noch einen Mann zum Genossen zu gewinnen, so wird uns das Viel nützen; und ich bin nicht ohne Hoffnung, daß die Wilden, wenn sie uns im Stande sehen, den See zu behaupten, uns die Rückgabe der Gefangenen anbieten werden gegen Häute, oder wenigstens gegen das Fäßchen Pulver, das wir im Hause haben.«

Der junge Mann hatte die Worte: ›Skalpe‹ und ›Preisgeld‹ auf der Zunge; aber ein Gefühl, das sich sträubte, die Töchter in größere Unruhe zu versetzen, hielt ihn zurück, die beabsichtigte Hindeutung auf das wahrscheinliche Schicksal ihres Vaters auszusprechen. Dennoch, so wenig war er erfahren in den Künsten der Täuschung, ward seine ausdrucksvolle Miene auch ohne Worte von der scharfblickenden Judith errathen, deren Verstand durch die Gewöhnungen und Gefahren ihrer Lebensweise noch geübt und geschärft worden war.

»Ich verstehe, was Ihr meint,« fuhr sie hastig fort, »und was Ihr ausgesprochen hättet ohne die Besorgniß, mir – ich will sagen uns – wehe zu thun; denn Hetty liebt ihren Vater ebenso sehr als ich. Aber so denken wir nicht von den Indianern. Sie skalpiren nie einen unverletzten Gefangnen, sondern schleppen ihn lieber lebendig mit sich fort, wenn nicht freilich etwa das heftige Verlangen ihn zu martern sie übermannt. Ich fürchte Nichts für meines Vaters Skalp und wenig für sein Leben. Könnten sie in der Nacht uns überfallen, so würde uns wahrscheinlich Alle dieß grausame Schicksal treffen; aber in offnem Kampf gefangnen Männern geschieht selten ein Leid; wenigstens nicht eher als bis die Zeit des Marterns kommt.«

»Das ist Ueberlieferung, ich geb‘ es zu, und ist Brauch – aber, Judith, kennt Ihr das Vorhaben, mit welchem Euer Vater und Hutter gegen die Wilden auszogen?«

»Ja; und ein grausames Vorhaben war es! Aber was wollt Ihr? Menschen bleiben Menschen; und Manche selbst, die in Gold und Silber einherstolziren, und des Königs Bestallung in der Tasche haben, sind nicht frei von der gleichen Grausamkeit.« Judiths Augen flammten wieder, aber mit gewaltsamer Anstrengung behauptete sie ihre Fassung. »Ich werde warm, wenn ich an all das Unrecht denke, das Menschen thun,« fuhr sie fort, und bemühte sich zu lächeln, ein Versuch, der nur mittelmäßig gelang. »Alles das ist einfältiges Zeug. Was geschehen ist, ist geschehen, und kann durch Klagen nicht gebessert werden. Aber die Indianer denken so wenig an’s Blutvergießen, und schätzen Männer so sehr wegen der Kühnheit ihrer Unternehmungen, daß, wüßten sie das Vorhaben, auf welches ihre Gefangenen ausgingen, sie sie eher deßhalb ehren, als ihnen ein Leid thun würden.«

»Eine Zeit lang, Judith; ja ich gebe das zu, eine Zeit lang. Aber wenn dieß Gefühl verschwindet, dann stellt sich die Rachsucht ein. Wir müssen versuchen, Chingachgook und ich, wir müssen versuchen und sehen, was wir thun können, Hurry und Euren Vater frei zu machen; denn die Mingo’s werden ohne Zweifel einige Tage um diesen See herumlungern, um so Viel als möglich zu erreichen.«

»Ihr glaubt, man kann sich auf diesen Delaware»verlassen, Wildtödter?« fragte das Mädchen nachdenklich.

»So sicher wie auf mich selbst. Ihr sagt, Ihr mißtraut mir nicht, Judith?«

»Euch!« rief sie, ergriff wieder seine Hand und drückte sie zwischen ihren Händen mit einer Wärme, welche die Eitelkeit eines minder unbefangnen, einfachen, von seinen eignen guten Eigenschaften mehr eingenommenen Mannes hätte entzünden müssen; »ebenso gut könnte ich einem Bruder mißtrauen! Ich kenne Euch nur seit einem Tag, Wildtödter, aber dieser hat in mir das Vertrauen einer jahrelangen Bekanntschaft erzeugt. Euer Name jedoch ist nur nicht unbekannt; denn die tapfern und galanten Herren von den Garnisonen sprechen häufig von der Anleitung, die Ihr ihnen im Jagen gegeben, und Alle rühmen Eure Redlichkeit.«

»Sprechen sie denn auch vom Schießen, Mädchen?« fragte der Andere lebhaft, nachdem er still, aber doch von Herzen gelacht, »sprechen sie denn auch vom Schießen? Ich will nichts von dem meinigen hören, denn wenn dieses nicht bis jetzt in all diesen Gegenden anerkannt ist, so nützt es wenig, ein geschickter und sichrer Schütze zu seyn; aber was sagen denn die Officiere von ihrem – ja was sagen sie von ihrem eignen Schießen? Waffen, wie sie es nennen, sind ihr Gewerbe, und doch gibt es Leute unter ihnen, die sich wenig auf ihren Gebrauch verstehen!«

»Das, hoffe ich, wird nicht der Fall seyn bei Eurem Freund Chingachgook, wie Ihr ihn nennt – was ist die englische Bedeutung dieses indianischen Namens?«

»Große Schlange – so genannt wegen seiner Klugheit und List. Uncas ist sein wirklicher Name – seine ganze Familie heißt Uncas, bis sich Jeder durch seine Thaten einen Titel gewinnt.« »Wenn er so viel Klugheit besitzt, können wir einen nützlichen Freund an ihm erwarten, falls nicht sein eignes Geschäft in dieser Gegend ihn hindert, uns zu dienen.«

»Ich sehe nicht, was es viel schaden könnte, wenn ich Euch sein Vorhaben sage, und da Ihr vielleicht Mittel findet, uns behülfich zu seyn, will ich Euch und Hetty in die ganze Sache einweihen, im Vertrauen, daß Ihr das Geheimniß wie Euer eignes bewahren werdet. Ihr müßt wissen, daß Chingachgook ein hübscher Indianer ist, sehr gerne gesehen und bewundert von den jungen Weibern seines Stammes, sowohl wegen seiner Familie, als wegen seiner selbst. Nun ist ein Häuptling, der eine Tochter hat, Wah-ta!-Wah genannt, was in unsrer Sprache Hist-oh!-Hist bedeutet, das rarste Mädchen unter den Delawaren, die von allen jungen Kriegern des Stammes am meisten zum Weib gewünscht und begehrt wird. Nun, unter den Andern fand auch Chingachgook Geschmack an Wah-ta!-Wah, und Wa-ta!-Wah fand Geschmack an ihm.« Hier hielt Wildtödter einen Augenblick inne; denn als er so weit in seiner Erzählung gekommen, stand Hetty Hutter auf, näherte sich ihm, und stellte sich aufmerksam an sein Knie hin, wie ein Kind näher rückt, um auf die Mährchen seiner Mutter zu horchen. »Ja, er fand Gefallen an ihr, und sie an ihm,« begann Hirschtödter wieder, nachdem er einen freundlichen beifälligen Blick auf das unschuldige, hörbegierige Mädchen geworfen, »und wenn das einmal so ist, und alle Aeltern sind einverstanden, so ist es nicht oft der Fall, daß das junge Paar so verborgen bleibt. Chingachgook konnte nicht wohl eine solche Beute davontragen, ohne sich Feinde zu machen unter denen, die sie ebenso begehrten wie er. Ein gewisser Briarthorn, wie wir ihn englisch nennen, oder Yokommen, wie er im Indianischen heißt, nahm es sich am meisten zu Herzen, und wir haben ihn im Verdacht, daß er bei Allem was nun folgte, eine Hand im Spiel hatte. Wa-ta!-Wah ging vor zwei Monaten mit Vater und Mutter nach den westlichen Flüßen, um Salmen zu fischen, denn dort gibt es nach der Ansicht aller Leute in unsern Gegenden die meisten Fische, und während dieser Beschäftigung verschwand das Mädchen. Einige Wochen konnten wir keine Nachricht von ihr erhalten; aber vor zehn Tagen brachte uns ein Eilbote, der durch das Delawarenland kam, eine Botschaft, woraus wir erfuhren, daß Wah-ta!-Wah den Ihrigen war gestohlen worden – wir glauben, wissen es aber nicht – durch Briarthorns Ränke – und daß sie sich nunmehr bei dem Feinde befand, der sie adoptirt hatte, und verlangte, sie sollte einen jungen Mingo heirathen. Die Botschaft besagte, die Truppe beabsichtige in dieser Gegend zu jagen und Vorräthe zu sammeln, einen Monat lang oder zwei, ehe sie nach Canada zurückkehre; und wenn wir sie in dieser Gegend aufzuspüren vermöchten, könnte sich wohl etwas ereignen, was uns zur Befreiung des Mädchens verhelfen könnte.«

»Und wie betrifft das Euch, Wildtödter?« fragte Judith etwas lebhaft.

»Es betrifft mich, wie Alles was einen Freund berührt den Freund betrifft. Ich bin hier als Chingachgook’s Beistand und Helfer, und wenn wir das junge Mädchen, das er liebt, wieder zurück bekommen, wird es mir beinahe so viel Freude machen, als hätte ich mein eignes Liebchen befreit.«

»Und wo ist denn Euer Liebchen, Wildtödter?«

»Sie ist im Walde, Judith – hängt an den Zweigen der Bäume in einem sanften Regen – im Thau auf dem offnen Gras – den Wolken, die am blauen Himmel schweben – den Vögeln, die in den Wäldern singen – den süßen Quellen, wo ich meinen Durst lösche – und in all den andern prächtigen Gaben, die von Gottes Vorsehung kommen!«

»Ihr wollt sagen, daß Ihr bis jetzt noch keine von meinem Geschlecht geliebt, sondern am meisten Euer Herumstreifen und Eure Lebensweise liebt?«

»Das ist’s – genau das ist’s. Ich bin weiß – habe ein weißes Herz, und kann billiger Weise nicht ein rothhäutiges Mädchen lieben, die einer Rothhaut Herz und Gefühle haben muß. Nein, nein, ich bin vernünftig genug in diesen Punkten, und hoffe es zu bleiben, wenigstens bis dieser Krieg vorüber ist. Ich sehe meine Zeit zu sehr in Anspruch genommen durch Chingachgook’s Angelegenheit, als daß ich wünschen sollte, ehe diese in’s Reine gebracht ist, selbst eine eigne auf dem Halse zu haben.«

»Das Mädchen, das Euch am Ende gewinnt, Wildtödter, gewinnt wenigstens ein redliches Herz, – eines ohne Verrath und Tücke; und das wird ein Sieg seyn, den die Meisten ihres Geschlechts beneiden müssen.«

Wie Judith dieß sagte, schwebte ein schmerzlicher Unmuth über ihr schönes Antlitz; während ein bittres Lächeln um einen Mund spielte, der durch keine Veränderung und Zuckung der Muskeln unschön werden konnte. Ihr Gesellschafter bemerkte diese Veränderung, und obgleich wenig vertraut mit den Regungen des weiblichen Herzens, besaß er doch natürliches Zartgefühl genug, um zu verstehen, daß es gerathen seyn möchte, diesen Gegenstand fallen zu lassen.

Da die Stunde, wo Chingachgook erwartet wurde, noch nicht so nahe war, hatte Wildtödter Zeit genug, den Stand der Vertheidigungsmittel genau zu besichtigen, und solche weitere Einrichtungen zu treffen, wie sie ihm möglich waren und durch das Bedürfniß des Augenblicks geboten schienen. Die Erfahrung und Vorsicht Hutter’s hatte in diesen Punkten Wenig zu thun übrig gelassen: doch drängten sich noch einige Vorkehrungen dem Geist des jungen Mannes auf, von dem man sagen konnte, er habe die Kunst des Grenzerkriegs mittelst der Ueberlieferungen und Sagen des Volkes studirt, unter dem er so lange gelebt hatte. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem nächsten Punkt der Küste beseitigte jede Besorgniß, es möchten etwa Büchsenkugeln vom Land herüberfliegen. Das Haus war zwar in gewissem Sinn im Bereich von Musketenschüssen, aber vom Zielen konnte ganz keine Rede seyn, und selbst Judith erklärte, daß sie von dieser Seite durchaus keiner Gefahr sich versehe. So lang also die Gesellschaft im Besitz des Forts blieb, war sie sicher, falls nicht anders die Angreifer Mittel fanden, heranzukommen, mit Feuer oder mit Sturm es wegzunehmen, oder durch irgend eine Erfindung indianischer Schlauheit und Verrätherei. Gegen die erste Art der Gefahr hatte Hutter reichliche Vorsorge getroffen, und das Gebäude selbst, das Rindendach ausgenommen, war nicht sehr leicht in Flammen zu setzen; der Boden war an mehreren Orten durchlöchert, und mit Stricken versehene Eimer waren in täglichem Gebrauch und für jeden solchen Fall bereit. Eins der Mädchen konnte leicht jedes Feuer löschen, das etwa ausbrach, vorausgesetzt, daß es nicht lange Zeit hatte, sich auszubreiten. Judith, welche alle Vertheidigungspläne ihres Vaters zu verstehen schien, und Geist und Muth genug hatte, an ihrer Ausführung einen nicht geringen Antheil zu nehmen, erklärte alle diese Einzelnheiten dem jungen Manne, dem so bei seinen Besichtigungen viel Zeit und Mühe erspart blieb. Den Tag über war Wenig zu befürchten. Nachdem sie im Besitz der Arche und der Canoe’s waren, fand sich kein weiteres Fahrzeug auf dem See. Dennoch wußte Wildtödter wohl, daß ein Floß bald gemacht war, und da sich gefallene Bäume im Ueberfluß in der Nähe des Wassers fanden, war es, wenn die Wilden ernstlich daran dachten, der Gefahr eines Angriffs zu trotzen, keine sehr schwierige Sache, die erforderlichen Mittel aufzutreiben. Die berühmte amerikanische Axt, ein Werkzeug, dem in seiner Art Nichts gleich kommt, war damals noch nicht in großem Umfange bekannt, und die Wilden waren keineswegs sehr erfahren in Handhabung des dessen Stelle vertretenden Werkzeugs; doch hatten sie Uebung genug darin, über Ströme in dieser Art zu setzen, daß man sicher seyn konnte, sie würden einen Floß bauen, falls sie es gerathen fänden, sich den Gefahren eines Angriffs bloßzustellen. Der Tod ihres Kriegers konnte ein hinreichender Sporn, jedoch auch eine Warnung seyn; Wildtödter aber hielt es für mehr als nur möglich, daß die nächste Nacht die Dinge, und zwar eben in solcher Weise, zur Entscheidung bringen würde. Diese Ahnung ließ ihn die Anwesenheit und den Beistand seines Mohikanischen Freundes sehnlichst wünschen, und war der Grund, daß er der Stunde des Sonnenuntergangs mit steigendem Verlangen entgegensah.

Als der Tag vorrückte, brachte die Gesellschaft im Castell ihre Plane zur Reife, und traf ihre Vorkehrungen. Judith war sehr thätig, und schien Freude daran zu finden, ihrem neuen Bekannten mit Rath und Auskunft an die Hand zu gehen; denn seine Gleichgültigkeit gegen Gefahr, seine männliche Hingebung für sie und ihre Schwester, sein redliches Wesen und seine innige Treuherzigkeit hatten schnell ihre Einbildungskraft und ihr Gemüth gewonnen. Obgleich die Stunden in gewisser Hinsicht Wildtödtern lang vorkamen, fand sie doch Judith nicht so, und als die Sonne sich gegen die tannenbekleideten Spitzen der westlichen Berge zu senken begann, äußerte sie unverhohlen die Ueberraschung, die sie empfand, den Tag so bald zu Ende gehen zu sehen. Hetty dagegen war trübnachdenklich und schweigsam. Sie war nie sehr redselig, oder wenn sie gelegentlich mittheilsam wurde, so war dieß nur die Folge einer vorübergehenden Aufregung, welche ihr argloses Gemüth in Spannung und Bewegung setzte; aber an diesem hochwichtigen Tage schien sie ganze Stunden lang den Gebrauch der Zunge gänzlich verloren zu haben. Besorgniß wegen ihres Vaters drückte sich im Wesen der beiden Töchter nicht auffallend aus. Keine schien ernstlich ein größeres Unheil zu befürchten, als Gefangenschaft, und ein oder zweimal ließ Hetty, wenn sie sprach, die Erwartung durchblicken, Hutter werde Mittel finden, sich selbst in Freiheit zu setzen. Obgleich Judith in diesem Punkt weniger sanguinisch war, äußerte doch auch sie die Hoffnung, es würden Vorschläge wegen eines Lösegeldes kommen, wenn die Indianer entdeckten, daß das Castell ihren Listen und Anschlägen trotze. Wildtödter jedoch behandelte diese flüchtigen Vermuthungen als die unverdauten Einbildungen und Träume von Mädchen, und traf seine Anordnungen so besonnen und brütete so ernst über der Zukunft, als wären sie nie über ihre Lippen gekommen.

Endlich kam die Stunde, wo es nothwendig wurde, sich an den mit dem Mohikan verabredeten Ort zu begeben, – oder mit dem Delawaren, wie Chingachgook häufiger genannt wurde. Da der Plan von Wildtödter reiflich entworfen und seinen Gesellschafterinnen umständlich mitgetheilt worden war, machten sich alle drei mit Einsicht und Uebereinstimmung an dessen Ausführung. Hetty trat in die Arche, band zwei von den Canoe’s zusammen, trat in eins, und ruderte bis zu einer Art von Durchfahrt in den Palisaden, welche das Gebäude umgaben, durch welche sie beide führte; dann legte sie sie unter dem Hause an Ketten, welche innen im Gebäude befestigt waren. Diese Palisaden waren fest in den Schlamm getriebene Baumstämme, und dienten dem gedoppelten Endzweck theils einer kleinen Einfriedigung, die eben zu diesem Behufe benutzt wurde, theils dem Zwecke, Feinde, die sich etwa in Booten näherten, in einer kleinen Entfernung sich vom Leibe zu halten. Canoe’s in solchen Dock’s waren gewissermaßen dem Anblick entzogen, und da die Durchfahrt gehörig verrammelt und befestigt war, wäre es eine nicht leichte Aufgabe gewesen, sie wegzubringen, wenn man sie auch gesehen hätte. Ehe jedoch die Durchfahrt geschlossen wurde, fuhr auch Judith mit dem dritten Boot in die Einfriedigung, wärend Wildtödter innen über ihren Häuptern geschäftig war, die Thüre und die Fenster innen zu verriegeln. Da Alles massiv und stark war, und kleine Bäume als Riegel gebraucht wurden, hätte es, nachdem Wildtödter fertig war, eine oder zwei Stunden erfordert, in das Haus zu brechen, wenn sich auch die Angreifer aller Werkzeuge außer der Art bedient, und ihnen Niemand Widerstand geleistet hätte. Diese Sorgfalt für Sicherstellung rührte daher, daß Hutter ein oder zweimal von den gesetzlosen Weißen der Grenze während seiner häufigen Abwesenheiten von Haus war beraubt worden.

Sobald innen Alles fest war im Hause, zeigte sich Wildtödter an einer Fallthüre, von wo er in das Canoe Judiths hinabstieg. Hierauf verschloß er die Thüre mit einer massiven Krampe und einem derben Vorhängeschloß. Dann ward Hetty in das Canoe aufgenommen, das vor die Palisaden hinausgeschoben wurde. Die nächste Vorsichtsmaßregel war, das Thor zu schließen, und die Schlüssel wurden in die Arche gebracht. Jetzt waren die drei von dem Hause ausgeschlossen, in das man nur mit Gewalt eindringen konnte, oder auf die Weise, die der junge Mann gewählt, als er es verließ.

Das Glas hatte man gleich zuerst mit herausgenommen, und Wildtödter besichtigte zunächst aufs sorgfältigste die ganze Küste des See’s, soweit seine Stellung es gestattete. Kein lebendiges Wesen war sichtbar, einige wenige Vögel ausgenommen, und auch diese flatterten in den Schatten der Bäume herum, als scheuten sie sich, der Hitze eines schwülen Nachmittags sich auszusetzen. Alle die nächsten Landvorsprunge insbesondere wurden einer scharfen Beobachtung unterworfen, um sich zu versichern, daß kein Floß angefertigt werde; das Ergebniß war überall dasselbe Bild ruhiger Einsamkeit. Wenige Worte werden die größte Verlegenheit in der Lage unserer Gesellschaft erklären. Selbst der Beobachtung jedes lauernden Auges ausgesetzt, sahen sie sich die Bewegungen ihrer Feinde durch den Schleier und Vorhang eines dichten Waldes entzogen. Während die Einbildungskraft sehr geneigt seyn mußte, den letztern mit mehr Kriegern zu bevölkern, als er in der That enthielt, mußte ihre Schwäche Allen, die etwa einen Blick in dieser Richtung auf den See warfen, zu sichtbar seyn. »Es rührt sich doch Nichts!« rief Wildtödter, als er endlich das Fernglas senkte, und sich anschickte in die Arche zu treten; »wenn die Vagabunden auf Unheil sinnen in ihren Gemüthern, so sind sie zu listig, es merken zu lassen; zwar mag ein Floß in den Wäldern zugerüstet werden, aber es ist noch nicht zum See herunter gebracht. Sie können nicht errathen, daß wir im Begriff stehen, das Castell zu verlassen, und wenn auch, so wissen sie doch nimmermehr, wohin wir wollen.«

»Das ist so wahr, Wildtödter,« erwiederte Judith, »daß jetzt, nachdem Alles bereit ist, wir uns sofort keck und ohne Furcht verfolgt zu werden, ans Werk machen dürfen – sonst versäumen wir unsre Zeit!«

»Nein, nein – die Sache will vorsichtig behandelt seyn – denn obgleich die Wilden im Dunkel sind, was Chingachgook und den Felsen betrifft, so haben sie doch ihre Augen und Beine, und sehen, in welcher Richtung wir steuern, und werden uns gewiß folgen. Ich will sie jedoch irre zu führen suchen, indem ich das Vordertheil der Fähre nach allen Richtungen hin wende, bald dahin bald dorthin, bis sie müde Füße bekommen, und es satt haben, uns nachzutraben.«

So weit es in seiner Macht stand, hielt Wildtödter getreulich Wort. In weniger als fünf Minuten nach jener Rede war die ganze Gesellschaft in der Arche und in Bewegung. Es wehte ein gelindes Lüftchen von Norden; und keck das Segel aufziehend, brachte der junge Mann die Spitze des ungefügen Fahrzeuges in eine solche Richtung, daß, mit einer reichlichen aber nothwendigen Einrechnung des Abfalls, es ein paar Meilen weiter unten am See, auf dessen östlicher Seite, an die Küste gelangen mußte. Das Segeln der Arche war nie sehr schnell, obgleich es bei ihrem geringen Tiefgang nicht schwer war, sie in Bewegung zu setzen, oder mit ihr drei oder vier Meilen in der Stunde zu machen. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem Fels betrug wenig Mehr als zwei Stunden. Bekannt mit der Pünktlichkeit der Indianer, hatte Wildtödter seine Berechnungen genau gemacht, und sich etwas mehr Zeit, als nothwendig war, um den Ort der Verabredung zu erreichen, gegeben, in der Absicht, seine Ankunft zu verzögern oder zu beschleunigen, wie es erforderlich wäre. Als er das Segel aufzog, stand die Sonne über den westlichen Bergen in einer Höhe, die noch etwas mehr als zwei Stunden Tag versprach, und wenige Minuten überzeugten ihn, daß die Bewegung der Fähre seinen Berechnungen und Erwartungen entspreche.

Es war ein prachtvoller Juniusabend, und nie glich der einsame Wasserspiegel weniger einem Schauplatz von Kampf und Blutvergießen. Der leise Wind drang kaum herab bis zu dem Bette des See’s, und schwebte nur darüber hin, als scheute er sich, seine tiefe Ruhe zu stören, oder seine spiegelglatte Fläche zu kräuseln. Selbst die Wälder erschienen wie schlummernd in der Sonne, und einige Lagen flockigter Wolken hatten Stunden lang am nördlichen Horizont sich gelagert, wie haftend in der Atmospäre, hier nur zur Verschönerung der Scene angebracht. Einige Wasserhühner streiften gelegentlich über das Wasser, und ein einziger Rabe war sichtbar, hoch über den Bäumen sich flügelnd, ein wachsames Auge auf den Wald unter ihm heftend, um jedes lebende Wesen zu entdecken, das ihm die geheimnißvollen Wälder als Beute darböten.

Der Leser hat wohl schon bemerkt, daß bei all der auffallenden Freimüthigkeit und Ungebundenheit des Benehmens, das Judith bei ihrem Grenzleben sich angeeignet, doch ihre Sprache edler war, als deren ihre männlichen Gesellschafter sich bedienten, ihren Vater mit eingeschlossen. Dieser Unterschied erstreckte sich ebenso auf die Aussprache, wie auf die Wahl der Worte und die Sätze. Nichts vielleicht verräth so bald die Erziehung und den Umgang, als die Art zu sprechen; und wenige Vorzüge erhöhen so den Reiz weiblicher Schönheit, wie eine anmuthige und fließende Sprache, während Nichts so bald jene Entzauberung bewirkt, welche die notwendige Folge einer Nichtzusammenstimmung von Erscheinung und Benehmen ist, als eine gemeine Betonung der Stimme oder der Gebrauch unedler Worte. Judith und ihre Schwester waren auffallende Ausnahmen unter allen Mädchen ihrer Classe, die ganze Grenze entlang; die Officiere der nächsten Garnison hatten der Erstern oft geschmeichelt mit der Versicherung, daß wenige Damen in den Städten sich besser als sie auf diesen wichtigen Punkt verständen. Dieß war zwar weit nicht buchstäblich wahr, aber doch so weit, daß das Compliment ihr füglicherweise konnte gemacht werden. Die Mädchen verdankten diesen Vorzug ihrer Mutter, denn sie hatten in der Kindheit schon von ihr diese vortheilhafte Eigenschaft angenommen, die kein späteres Studium und Arbeit ohne eine Schattenseite zu geben vermag, wenn man nicht in der frühern Lebensperiode darauf geachtet hat. Wer diese Mutter war, oder vielmehr gewesen war, wußte Niemand als Hutter. Sie war jetzt zwei Sommer todt, und wie Hurry erzählte, war sie im See versenkt worden; ob aus einem gewissen Vorurtheil, oder aus Widerwillen gegen die Mühe, ihr ein Grab zu graben, war oft Gegenstand der Erörterung unter den rohen Wesen jener Gegend gewesen. Judith hatte die Stelle nie besucht, Hetty aber war bei der Bestattung zugegen gewesen, und sie ruderte oft um Sonnenuntergang oder beim Mondschein ein Canoe an die Stelle, und starrte hinab in das durchsichtige Wasser, in der Hoffnung, doch einmal mit Einem flüchtigen Blick die Gestalt erschauen zu können, die sie von Kindheit an bis zu der traurigen Stunde des Scheidens so zärtlich geliebt hatte.

»Müssen wir den Felsen genau in dem Augenblick erreichen, wo die Sonne untergeht?« fragte Judith den jungen Mann, wie sie neben einander standen, Wildtödter das Steuerruder haltend, und sie mit der Nadel an einem feinen Kleidungsstück arbeitend, das weit über ihrer Stellung im Leben und eine völlige Neuheit in den Wäldern war. »Werden einige Minuten früher oder später die Sache vereiteln? es wird sehr gefährlich seyn, lang der Küste so nahe zu bleiben, wie der Fels ist.«

»Ja wohl, Judith; das ist eben die Schwierigkeit. Der Fels ist nur einen Flintenschuß vom Ufer entfernt, und es geht nicht an, zu lang und zu nahe da herum zu fahren. Wenn man mit einem Indianer zu thun hat, muß man rechnen und vorsichtig seyn, denn eine rothe Natur liebt sehr List und Tücke. Jetzt seht Ihr, Judith, daß ich gar nicht auf den Fels zu steure, sondern hier östlich davon, und jetzt werden die Wilden in dieser Richtung traben, und sich müde Füße machen, und Alles für Nichts.«

»Ihr glaubt also, sie sehen uns, und beobachten unsre Bewegungen, Wildtödter? Ich hoffte, sie würden in die Wälder zurückgegangen seyn, und uns einige Stunden ungestört lassen.«

»Das ist ganz die Einbildung eines Weibes. Es gibt keinen Nachlaß in der Wachsamkeit eines Indianers, wenn er auf dem Kriegspfad ist; und Augen sind in dieser Minute auf uns geheftet, obwohl der See uns schützt. Wir müssen dem Felsen mit Ueberlegung nahe kommen, und die Elenden auf eine falsche Spur zu bringen suchen. Die Mingo’s haben gute Nasen, höre ich; aber eines weißen Mannes Vernunft sollte es immer ihrem Instinkt gleich thun.«

Judith knüpfte jetzt ein rasch abwechselndes Gespräch mit Wildtödter an, worin das Mädchen ihr steigendes Interesse für den jungen Mann verrieth; ein Interesse, das sie bei seiner ehrlichen Unbefangenheit und bei ihrer Charakterentschiedenheit, unterstützt durch das Selbstgefühl, welches die ihren persönlichen Reizen so allgemein gezollte Schätzung in ihr geweckt hatte, weniger zu verhehlen bestrebt war, als unter andern Umständen wohl der Fall gewesen wäre. Sie war nicht eigentlich aufdringlich und keck in ihrem Benehmen, obgleich in ihren Blicken oft etwas so Freies war, daß es den ganzen Beistand ihrer ausnehmenden Schönheit brauchte, um nicht einen Verdacht gegen ihre Klugheit, wo nicht gegen ihre Sittlichkeit aufkommen zu lassen. Bei Wildtödter jedoch waren solche Blicke einer so ungünstigen Deutung weniger ausgesetzt; denn sie sah ihn selten an, ohne viel von der Aufrichtigkeit und Natur zu zeigen, welche die reinsten Gefühle des Weibes begleiten. Es war etwas auffallend, daß bei der längern Gefangenschaft ihres Vaters keines von den Mädchen eine große Unruhe um ihn an den Tag legte; aber wie schon gesagt, ihre Lebenserfahrungen und Gewohnheiten machten sie zuversichtlich und sie sahen seiner Befreiung mittelst eines Lösegelds mit einer Sicherheit entgegen, die großentheils ihre anscheinende Gleichgültigkeit erklären konnte. Schon früher einmal war Hutter in den Händen der Irokesen gewesen, und wenige Häute hatten leicht seine Befreiung erkauft. Dieser Vorfall jedoch hatte, was die Schwestern nicht wußten, zur Zeit des Friedens zwischen England und Frankreich statt gehabt, wo die Wilden durch die Politik der verschiednen Colonialregierungen im Zaum gehalten wurden, statt, wie jetzt, zu ihren Verbrechen und Grausamkeiten ermuthigt zu werden.

Während Judith in ihrer Weise redselig und zutraulich war, blieb Hetty nachdenklich und schweigsam. Einmal zwar trat sie nahe zu Wildtödter hin und befragte ihn etwas genauer über seine Absichten, so wie über die Art, wie er seinen Plan auszuführen gedenke; aber weiter ging ihr Verlangen, sich mit ihm zu unterhalten, nicht. Sobald ihre einfachen Fragen beantwortet waren – und das wurden sie alle aufs befriedigendste und wohlwollendste – entfernte sie sich wieder auf ihren Sitz, und fuhr fort, an einem groben Kleidungsstück zu arbeiten, das sie für ihren Vater fertigte, manchmal leise eine schwermüthige Weise vor sich hin summend, und oft seufzend.

So verstrich die Zeit; und als die Sonne anfing, hinter dem Saum des Fichtenwaldes zu glühen, der den westlichen Berg begrenzte, oder etwa zwanzig Minuten vor ihrem wirklichen Untergang, befand sich die Arche beinahe ganz unten bei dem Landvorsprung, wo Hutter und Hurry waren zu Gefangenen gemacht worden. Wildtödter hatte, indem er zuerst auf die eine Seite des See’s, dann auf die andere zusteuerte, seine eigentliche Absicht zu errathen erschwert; und ohne Zweifel kamen dadurch die Wilden, welche seine Bewegungen zuverlässig beobachteten, auf den Glauben, sein Zweck sey, mit ihnen zu verkehren, an dieser Stelle, oder in der Nähe derselben, und es war zu vermuthen, daß sie nach dieser Richtung hineilten, um bereit zu seyn, sich die Umstände zu Nutze zu machen. Diese List war wohl ausgesonnen, denn die Schwingung der Bai, die Krümmung des See’s und das zwischenliegende tiefe Marschland machten es, wie zu vermuthen war, möglich, daß die Arche den Fels erreichte, ehe die Verfolger, falls sie sich wirklich in der Nähe des Vorsprungs gesammelt hatten, Zeit bekamen, den Bogen, den sie hier beschreiben mußten, zu Land zu machen. Um tiefe Täuschung gelingen zu machen, hielt sich Wildtödter so nahe ans westliche Ufer, als nur immer der Vorsicht gemäß war; dann hieß er Judith und Hetty in das Haus oder die Cajüte gehen, kauerte sich selbst zusammen, so daß seine Person durch den Rand der Fähre versteckt wurde, gab dieser plötzlich die entgegengesetzte Richtung, und steuerte so rasch er konnte, der Ausströmung zu. Begünstigt durch einen verstärkten Wind bewegte sich die Arche dergestalt vorwärts, daß er sich das vollständige Gelingen seines Plans versprechen durfte, obwohl die krebsähnliche Bewegung des Fahrzeugs den Steuermann nöthigte, die Spitze nach einer ganz andern Richtung schauen zu lassen, als diejenige war, in welcher es sich wirklich bewegte.

Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Und nicht scheut in Furcht das schüchterne Reh,
Wenn zu seinem Gemach ich mich stehle;
Und theu’r ist die Maiviole mir.
Und den Bach besuch‘ ich, der rieselt hier,
Daß die Blume mir labe die Seele.
Bryant.

Die Arche, wie man die schwimmende Behausung der Hutter’s gemeinhin nannte, war ein sehr einfaches Werk. Eine große Fläche oder Fähre bildete den schwimmenden Theil des Fahrzeugs, und in dessen Mitte, die ganze Breite, und etwa zwei Dritttheile der Länge einnehmend, stand ein niedriges Gerüste, in seinem Bau dem Castell ähnlich, obwohl von so leichtem Material, daß es kaum einer Flintenkugel widerstand. Da die Seiten des platten Fahrzeuges etwas höher waren als gewöhnlich, und das Innere der Cajüte oder der Hütte nicht höher war, als die Bequemlichkeit durchaus erforderte; so nahm sich der ungewöhnliche Aufsatz weder 63

sehr plump aus, noch fiel er sehr ins Auge. Kurz das Ganze war nicht viel verschieden von einem modernen Kanalboot, obwohl roher gebaut, von größerer Breite als gewöhnlich, und an den mit Borke bedeckten Balken doch die Spuren der Wildniß an sich tragend. Die Fähre war jedoch mit einiger Geschicklichkeit zusammengesetzt, für ihre Stärke verhältnißmäßig leicht und gut zu handhaben. Die Cajüte war in zwei Gemächer getheilt, deren eines als Wohnzimmer und Schlafstätte für den Vater diente, das andere aber den Töchtern zur Benützung überlassen war. Eine sehr einfache Einrichtung diente als die Küche, die auf dem einen Ende der Fähre angebracht war, und von der Cajüte entfernt, frei und offen dastand; denn die Arche überhaupt war eine Sommerwohnung.

Das Versteck, in dem sie lag, läßt sich ebenso leicht erklären. An manchen Stellen des See’s und Flusses, wo die Ufer steil und hoch waren, überhingen die kleineren Bäume und die größeren Gebüsche, wie schon erwähnt, das Wasser gänzlich und ihre Zweige tauchten sich nicht selten ganz darein ein. Hin und wieder wuchsen sie in beinahe horizontalen Linien dreißig bis vierzig Fuß seitlich herein. Da das Wasser durchgehends am tiefsten war an den Küsten, wo die Ufer am höchsten und am meisten sich dem Senkrechten näherten, war es Huttern nicht schwer gefallen, die Arche unter ein solches versteckendes Obdach zu lenken, wo sie vor Anker lag, und wo man sie nicht sollte bemerken können; denn nach seiner Ansicht erforderte die Sicherheit solche Vorsichtsmaßregeln. Nachdem sie einmal unter den Bäumen und Gebüschen war, bewirkten einige an den Enden der Zweige befestigte Steine, daß sie sich tief genug in den Fluß hinunterbogen; und einige abgehauene Büsche, gehörig vertheilt, thaten das Uebrige. Der Leser hat schon gesehen, daß dieß Versteck vollständig genug war, um zwei an die Wälder gewöhnte Männer zu täuschen, die doch gerade auf die Entdeckung der verborgenen Arche aus waren, und dieß werden Solche leicht begreifen, welche bekannt sind mit der wuchernden Ueppigkeit und Dichtheit eines jungfräulichen amerikanischen Waldes, zumal auf reichem und gutem Boden.

Die Entdeckung der Arche machte sehr verschiedene Eindrücke auf unsre beiden Abenteurer. Sobald das Canoe an die geeignete Oeffnung hinangebracht werden konnte, sprang Hurry an Bord, und war nach einer Minute schon tief verwickelt in ein munteres, gewissermaßen scheltendes Gespräch mit Judith, allem Anschein nach das Daseyn der ganzen übrigen Welt vergessend. Nicht so Wildtödter. Er betrat die Arche mit langsamem, vorsichtigem Schritt und prüfte jede Einrichtung des Verstecks mit neugierigem, forschendem Auge. Allerdings warf er einen bewundernden Blick auf Judith, den ihm ihre glänzende und eigenthümliche Schönheit abgewann; aber selbst diese konnte ihn nur einen Augenblick abhalten, dem Interesse, das ihm Hutter’s schlaue Einrichtungen einflößten, nachzugeben. Schritt für Schritt besichtigte er die Konstruktion der eigenthümlichen Behausung, erforschte die Stärke und Festigkeit derselben, versicherte sich der Vertheidigungsmittel, und stellte alle die Untersuchungen an, die sich von selbst einem Mann darboten, dessen Gedanken hauptsächlich mit solchen Kunstgriffen und Hülfsmitteln sich beschäftigten. Auch das versteckende Obdach ward nicht außer Acht gelassen. Er untersuchte es genau nach seiner ganzen Beschaffenheit und mehr als einmal wurde sein Beifall in hörbaren Lobsprüchen laut. Da die Sitten der Grenzmänner eine solche Ungezwungenheit gestatteten, schritt er durch die Gemächer, wie früher im Castell, öffnete eine Thüre, und trat auf das Ende der Fähre, entgegengesetzt dem, wo er Hurry und Judith verlassen hatte. Hier traf er die andere Schwester mit einer groben Nadelarbeit beschäftigt, unter dem belaubten Baldachin des Schutzdachs sitzend.

Da Wildtödters Besichtigung und Prüfung nunmehr beendigt war, ließ er den Kolben seiner Büchse sinken und wandte sich, 65

mit beiden Händen auf den Lauf sich stützend, zu dem Mädchen mit einem Interesse, welches die ausgezeichnete Schönheit ihrer Schwester nicht in ihm geweckt hatte. Er hatte sich aus Hurry’s Aeußerungen so viel abgenommen, daß Hetty dafür galt, weniger Einsicht zu besitzen, als gewöhnlich menschlichen Wesen zugetheilt ist; und seine indianische Bildung hatte ihn gelehrt, diejenigen, die so von der Vorsehung heimgesucht waren, mit ungewöhnlicher Zartheit zu behandeln. Auch lag in der äußern Erscheinung bei Hetty Hutter Nichts, was, wie so oft der Fall ist, das Interesse hätte schwächen können, das ihr Zustand erregte. Blödsinnig konnte man sie nicht eigentlich nennen, denn ihr Geist war nur gerade so weit schwach, daß er die meisten jener Züge verlor, welche mit den Eigenschaften der berechnenden Schlauheit zusammenhängen, dagegen seine Aufrichtigkeit und Liebe zur Wahrheit behielt. Es war öfters in Bezug auf dieß Mädchen von den Wenigen, die sie gesehen, und welche genugsame Einsicht zum richtigen Unterscheiden besaßen, bemerkt worden, daß ihr Erkennen des Rechten beinahe instinktmäßig und intuitiv schien, während ihr Widerwillen gegen das Unrecht einen so auszeichnenden Zug ihres Gemüths ausmachte, daß sie gleichsam in einer Atmosphäre reiner Sittlichkeit sich bewegte; und diese Eigenthümlichkeiten trifft man nicht selten bei schwachsinnig genannten Menschen; gleich als hätte Gott den bösen Geistern gewehrt, in ein so schutzloses Gebiet einzudringen, mit der gnädigen Absicht, einen unmittelbaren Schutz denjenigen angedeihen zu lassen, welche ohne die gewöhnlichen Kräfte und Hülfsmittel der menschlichen Natur geblieben waren. Auch ihre Person war angenehm, da sie ihrer Schwester stark glich, von welcher sie ein gedämpftes und bescheidnes Nachbild zu seyn schien. Wenn sie Nichts von Judiths Glanz besaß, so verfehlte doch der ruhige, friedliche, beinahe heilige Ausdruck ihres sanften Gesichts selten, den Betrachter für sie einzunehmen; und Wenige sahen sie länger, ohne eine tiefere und bleibende Theilnahme für das Mädchen zu fühlen. Sie hatte für gewöhnlich keine Farbe, auch war ihr einfacher Geist nicht im Stand, Bilder aufzurufen, die ihre Wange hätten aufleuchten machen; aber sie behauptete eine ihr so angeborne Sittsamkeit, daß sie dadurch beinahe zu der arglosen Reinheit eines für menschliche Schwächen unzugänglichen Gemüthes erhoben wurde. Harmlos, unschuldig, ohne Mißtrauen sowohl von Natur als vermöge ihrer Lebensweise, hatte die Vorsehung sie dennoch gegen Anfechtungen beschirmt durch eine Art von sittlichem Heiligenschein, »den Wind zu sänftigen dem geschornen Lamme,« wie das Sprüchwort sagt.

»Ihr seyd Hetty Hutter,« sagte Wildtödter, in der Art, wie man sich selbst unbewußt eine Frage macht, und zwar mit einer sanften Güte in Ton und Wesen, die ganz geeignet war, ihm das Vertrauen der so Angeredeten zu gewinnen – »Harry Hurry hat mir von Euch gesagt, und ich weiß, Ihr müßt das Kind seyn.«

»Ja, ich bin Hetty Hutter,« versetzte das Mädchen mit leiser, süßer Stimme, welche durch die Natur und einige dazugekommene Erziehung vor Gemeinheit des Tons und des Ausdrucks bewahrt geblieben war; »ich bin Hetty, der Judith Hutter Schwester und Thomas Hutter’s jüngste Tochter.«

»So weiß ich denn Eure Geschichte, denn Hurry Harry plaudert tüchtig und er geht frei heraus mit seinen Reden, wenn er auf andrer Leute Angelegenheiten zu sprechen kommt. Ihr bringt den größten Theil Eures Lebens auf dem See zu, Hetty.«

»Ja wohl, Mutter ist todt; Vater ist aus auf’s Fallenstellen, und Judith und ich bleiben zu Hause. Was ist Euer Name?«

»Das ist eine Frage, die sich leichter thun als beantworten läßt, junges Weib; in Betracht, daß ich noch so jung bin, und doch schon mehr Namen getragen habe, als manche der größten Häuptlinge in ganz Amerika.«

»Aber Ihr habt doch einen Namen? Ihr werft doch nicht einen Namen weg, bevor Ihr auf ehrliche Weise zu einem andern gekommen?«

»Ich hoffe so, Mädchen, ich hoffe so. Meine Namen sind mir natürlich gekommen, und ich denke, derjenige, den ich jetzt trage, wird nicht von langer Dauer seyn, denn die Delawaren bestimmen selten den wahren Namen und Titel eines Mannes fest, bis zu der Zeit, wo er Gelegenheit gehabt, sein wahres Wesen im Rath oder auf dem Kriegspfad zu zeigen, was mir noch nie zu Theil geworden ist; angesehen, erstlich, daß ich, nicht als Rothhaut geboren, kein Recht habe, in ihren Versammlungen zu sitzen, und viel zu niedrig bin, als daß ich von den Vornehmen meiner Farbe sollte um meine Meinung befragt werden; und für’s Zweite, weil dieß der erste Krieg ist, der in meine Zeit gefallen, und noch kein Feind weit genug in die Colonie eingebrochen, der durch einen auch längeren Arm als der meinige zu erreichen gewesen wäre.«

»Sagt mir Eure Namen,« erwiederte Hetty, ihn arglos anschauend, »und vielleicht sage ich Euch dann Euren Charakter.«

»Darin liegt einige Wahrheit, ich will es nicht läugnen, obgleich es oft fehl trifft. Die Menschen täuschen sich im Charakter Andrer und geben ihnen häufig Namen, die sie in keiner Weise verdienen. Die Wahrheit hievon könnt Ihr sehen an den Mingo-Namen, die, in ihrer Sprache, dieselben Dinge bezeichnen, wie die Delawaren-Namen – so sagt man mir wenigstens, denn ich weiß Wenig von diesem Stamm, außer durchs Gerücht – und Niemand kann sagen, daß sie eine ebenso redliche und gerade Nation sind. Ich lege daher kein sehr großes Gewicht auf Namen.«

»Sagt mir alle Eure Namen,« wiederholte das Mädchen ernst, denn ihr Gemüth war zu einfältig, um die Dinge von den Namen zu scheiden, die sie tragen, und sie legte einem Namen große Wichtigkeit bei. »Ich möchte wissen, was ich von Euch zu denken habe.« 68

»Nun, gewiß; ich habe Nichts dagegen und Ihr sollt sie alle erfahren. Für’s Erste denn, bin ich ein Christ und weiß geboren, wie Ihr, und meine Eltern hatten einen Namen, der sich vom Vater auf den Sohn vererbte, als ein Theil ihrer Gaben und Ausstattung. Mein Vater hieß Bumppo; und ich ward natürlich genannt wie er, und der mir gegebene Name war Nathaniel, oder Natty, wie die meisten Leute ihn abzukürzen beliebten.«

«Ja, ja – Natty – und Hetty –« unterbrach ihn rasch das Mädchen, und schaute wieder mit einem Lächeln von ihrer Arbeit auf, »Ihr seyd Natty und ich bin Hetty – obgleich Ihr Bumppo heißt, und ich Hutter, Bumppo ist nicht so hübsch wie Hutter, oder doch?«

»Nun, das kommt auf der Leute Geschmack an. Bumppo klingt nicht erhaben, ich geb‘ es zu, und doch haben sich Menschen damit durch die Welt geschlagen. Ich lief jedoch nicht sehr lange unter diesem Namen; denn die Delawaren entdeckten bald, oder glaubten zu entdecken, daß ich dem Lügen nicht ergeben war, und sie nannten mich zuerst: ›Geradzunge‹.«

»Das ist ein guter Name« unterbrach ihn Hetty ernst und in bestimmtem Tone; »sagt mir doch nicht, es wohne in den Namen keine Kraft und Tugend!«

»Ich sage das nicht, denn vielleicht verdiente ich den Namen, da Lügen bei mir nicht, wie bei Manchen, in Gunst sind. Nach einiger Zeit entdeckten sie, daß ich rasch zu Fuß war, und da nannten sie mich: ‚die Taube‘; denn dieser Vogel hat, wie Ihr wißt, eine schnelle Schwinge und fliegt in gerader Richtung.«

»Das war ein hübscher Name!« rief Hetty: »Tauben sind hübsche Vögel.«

»Die meisten Dinge, die Gott geschaffen, sind hübsch, in ihrer Art, mein gutes Mädchen, obgleich sie dann von den Menschen entstellt und verkehrt werden, so daß sie ihre Natur wie ihre äußere Erscheinung ändern. Vom Botschafttragen und vom 69

Aufspüren blinder Fährten brachte ich es endlich dahin, den Jägern folgen zu dürfen, da man glaubte, ich sey rascher und sichrer in Auffindung des Wildes als die meisten jungen Burschen, und da nannten sie mich ›Schlappohr‹, weil ich, wie sie sagten, die Spürkraft eines Hundes besäße.«

»Der Name ist nicht so hübsch,« bemerkte Hetty. »Ich hoffe, den behieltet Ihr nicht lange.«

»Nicht länger, als bis ich reich genug war, eine Büchse zu kaufen,« erwiederte der Andere, und sein sonst so gelassenes und ruhiges Wesen verrieth doch einigen Stolz; »da zeigte sich’s, daß ich einen Wigwam mit Wildpret zu versehen vermochte; und bald bekam ich den Namen ›Wildtödter‹, den ich jetzt noch trage; – ein niedriger Name, nach der Ansicht von Manchen, die mehr Werth in den Skalp eines Mitmenschen setzen, als in das Geweih eines Hirsches.«

»Nun, Wildtödter, zu diesen gehöre ich nicht,« versetzte Hetty arglos. »Judith liebt sich Soldaten und schimmernde Kleider und schöne Federn; aber mir gelten alle die Nichts. Sie sagt, die Officiere seyen vornehm und munter, und führen eine so sanfte Sprache: aber mich machen sie schaudern, denn ihr Beruf ist, ihre Mitmenschen zu tödten. Euer Beruf gefällt mir besser; und Euer letzter Name ist ein recht guter: – besser als Natty Bumppo.«

»Das ist ganz Eurer Gemüthsart gemäß und natürlich, Hetty, und gerade so, wie ich es erwartet. Man sagt mir, Eure Schwester sey schön – ungemein schön für eine Sterbliche; und die Schönheit macht geneigt, Bewunderung zu suchen.«

»Habt Ihr Judith nie gesehen?« fragte das Mädchen mit raschem Ernst; »wenn dieß ist, so geht sogleich und beschaut sie. Selbst Hurry Harry ist nicht hübscher anzusehen, obgleich sie ein Weib ist, und er ein Mann.«

Wildtödter betrachtete einen Augenblick das Mädchen mit Theilnahme. Ihr blasses Gesicht hatte sich ein wenig geröthet, und ihr 70

gewöhnlich so mildes und sanftes Auge geflammt bei jenen Worten, die ihre innern Regungen verriethen.

»Ja, Hurry Harry,« murmelte er vor sich hin, indem er durch die Cajüte nach dem andern Ende der Arche schritt; »das kommt vom guten Aussehen, wenn nicht auch eine leichtfertige Zunge ihren Antheil daran hat. Es ist leicht zu sehen, wohin sich die Gefühle des armen Geschöpfes neigen, wie es nun auch mit der Judith stehen mag.«

Aber eine Unterbrechung erlitten die Galanterie Hurry’s – die Koketterie seiner Geliebten – das Nachdenken Wildtödters und die zärtlichen Gefühle Hetty’s durch das plötzliche Erscheinen des Canoe’s, das den Besitzer der Arche brachte, in der schmalen Oeffnung zwischen den Gebüschen, die als eine Art Wassergraben seiner festen Stellung diente. Es schien, daß Hutter, oder Floating Tom, wie ihn alle Jäger vertraulich nannten, welche mit seiner Lebensart bekannt waren, das Canoe Hurry’s erkannt hatte, denn er zeigte durchaus kein Erstaunen, ihn auf der Fähre zu finden. Im Gegentheil war seine Begrüßung der Art, daß sie nicht nur Zufriedenheit verrieth, sondern selbst Freude, gemischt mit etwas Verdruß darüber, daß er nicht einige Tage früher gekommen.

»Ich erwartete Euch vorige Woche,« sagte er in halb brummendem, halb freundlich begrüßendem Tone, »und war ungemein verdrießlich, daß Ihr nicht kamet. Es kam ein eilender Bote durch, um die Jäger aller Gattungen zu benachrichtigen, daß die Colonie und die Canada’s wieder in Unruhe und Hader seyen; und ich fühlte mich gar einsam in diesen Gebirgen, mit drei Skalpen, die ich zu bewachen habe, und nur zwei Armen, sie zu schützen.«

»Das ist natürlich,« versetzte March; »und es hieß dieß nur als Vater fühlen. Ohne Zweifel, wenn ich zwei Töchter hätte wie Judith und Hetty, wüßte ich aus eigner Erfahrung dieselbe Geschichte zu erzählen, obwohl ich in der Regel ebenso zufrieden 71

bin, wenn der nächste Nachbar fünfzig Meilen weit von mir entfernt, als wenn er innerhalb Rufesweite in meiner Nähe ist.«

»Trotzdem mochtet Ihr nicht allein in die Wildniß kommen, nachdem Ihr wußtet, daß die Wilden in Canada sich wahrscheinlich regen werden,« versetzte Hutter, einen halb mißtrauischen und zugleich forschenden Blick auf Wildtödter werfend.

»Warum sollte ich auch? Man sagt, ein schlechter Begleiter auf einer Reise hilft doch den Weg verkürzen, und diesen jungen Mann rechne ich für einen recht guten. Es ist Wildtödter, alter Tom, ein berufener Jäger unter den Delawaren, dazu als Christ geboren und erzogen wie Ihr und ich. Der Junge ist vielleicht nicht vollkommen, aber es gibt schlechtere Männer in dem Land, wo er herkommt, und wahrscheinlich findet er in dieser Gegend der Welt Manchen, der nicht besser ist. Sollten wir in den Fall kommen, unsre Fallen und unser Gebiet vertheidigen zu müssen, so wird er uns Dienste leisten und Nahrung anschaffen; denn er ist ein ganzer Wildpretschütze.«

»Junger Mann, Ihr seyd willkommen,« brummte Tom, eine harte knöcherne Hand dem Jüngling zum Pfand seiner Aufrichtigkeit hinstreckend; »in solchen Zeiten ist ein Bleichgesicht das Gesicht eines Freundes, und ich zähle auf Euch als einen Beistand. Kinder machen manchmal ein männliches Herz schwach, und diese meine zwei Töchter machen mir mehr Unruhe, als alle meine Fallen, Häute und Rechte im Land.«

»Das ist natürlich!« rief Hurry. »Ja, Wildtödter, Ihr und ich wissen das noch nicht aus Erfahrung; aber, Alles zusammengenommen, sehe ich das als natürlich an. Wenn wir Töchter hätten, ist es mehr als wahrscheinlich, daß wir auch solche Gefühle hätten; und ich schätze den Mann, der sie bekennt. Was Judith betrifft, Alter, so schreibe ich mich sofort als ihr Soldat ein, und hier ist Wildtödter, um Euch Hetty beschützen zu helfen.« »Großen Dank Euch, Meister March,« versetzte die Schöne 72

mit einer vollen, metallreichen Stimme, und mit einer Richtigkeit des Ausdrucks und der Betonung, die sie überhaupt mit ihrer Schwester theilte, und welche bewies, daß sie mehr Unterricht genossen, als ihres Vaters Lebensweise und äußere Erscheinung eigentlich vermuthen ließen: »großen Dank Euch; aber Judith Hutter besitzt so viel Einsicht und Erfahrung, daß sie sich mehr auf sich selbst verläßt, als auf gut aussehende Landstreicher wie Ihr. Sollte es nöthig werden, den Wilden entgegen zu treten, so landet Ihr mit meinem Vater, statt Euch in Hütten zu verschlupfen, unter dem Vorwand, uns Weiber zu vertheidigen, und –«

»Mädchen, Mädchen,« fiel ihr der Vater in’s Wort, »zügle Deine glatte, kecke Zunge und höre die Wahrheit an. Schon sind Wilde am Ufer des See’s und Niemand kann sagen, wie nahe sie uns in diesem Augenblick seyn mögen, oder wann wir Mehr von ihnen zu hören bekommen!«

»Wenn dieß wahr ist, Meister Hutter,« sagte Hurry, in dessen Mienen ein Wechsel eintrat, der verrieth, wie ernstlich er die Nachricht nahm, obgleich Nichts von unmännlicher Unruhe zeugte; »wenn dieß wahr ist, so befindet sich Eure Arche in der ungünstigsten Stellung; denn obschon das Schutzdach Wildtödter und mich täuschte, würde sie doch kaum übersehen werden von einem Vollblut-Indianer, der ernstlich auf die Jagd nach Skalpen ausginge.«

»Ich denke wie Ihr, Hurry, und wünsche von ganzem Herzen, wir lägen in diesem Augenblicke anderswo, als in diesem engen, krummen Fluß, der viele Vortheile für ein Versteck darbietet, aber den Entdeckten beinahe sicheres Verderben bringt. Zudem sind uns die Wilden nahe, und die Schwierigkeit ist, aus dem Fluß herauszukommen, ohne zusammengeschossen zu werden wie Wild, das am Trinkplatz steht!«

»Seyd Ihr gewiß, Meister Hutter, daß die Rothhäute, die Ihr fürchtet, wirkliche Kanadier sind?« fragte Wildtödter mit 73

bescheidenem aber ernstem Wesen. »Habt Ihr Einen gesehen? und könnt Ihr ihre Bemalung beschreiben?«

»Ich bin auf Anzeichen gestoßen, daß sie in der Nähe sind, habe aber Keinen gesehen. Ich war eine Meile oder so stromabwärts, um nach meinen Fallen zu sehen, als ich auf eine frische Spur stieß, welche über das Ende eines Morastes ging und nach Norden zu wies. Der Mann war noch nicht eine Stunde des Weges gekommen, und ich erkannte die Fußtapfe als die eines Indianers an der Gestalt des Fußes und der Zehen, selbst noch ehe ich einen vertragenen Moccasin fand, den der Eigenthümer als unbrauchbar weggeworfen. Und dann fand ich die Stelle, wo er Halt machte, um sich einen neuen zu verfertigen, nur ein paar Schritte von dem entfernt, wo er den alten weggeworfen.«

»Das sieht einer Rothhaut auf dem Kriegspfad nicht sonderlich gleich!« versetzte der Andere mit Kopfschütteln. »Ein erfahrner Krieger wenigstens hätte solche Anzeichen seiner Wanderung verbrannt, oder begraben, oder im Fluß versenkt; und Eure Fährte ist höchst wahrscheinlich eine ganz friedliche. Aber der Moccasin dürfte mich vielleicht sehr beruhigen, wenn Ihr daran gedacht habt, ihn mitzunehmen. Ich bin selbst hieher gekommen, um einen jungen Häuptling zu treffen; und sein Weg läge so ziemlich in der von Euch bezeichneten Richtung. Vielleicht waren die Fußtapfen von ihm.«

»Hurry Harry, Ihr seyd, hoff‘ ich, genau bekannt mit diesem jungen Manne, der Zusammenkünfte mit Wilden hat in einer Gegend des Landes, wo er nie früher gewesen?« fragte Hutter in einem Ton und mit einer Art, welche den Beweggrund seiner Frage deutlich verriethen, da solche rohe Menschen sich selten aus Zartgefühl bedenken, ihre Gedanken und Gefühle zu verrathen. »Verrath ist eine indianische Tugend: und die Weißen, die viel unter ihren Stämmen leben, nehmen bald ihre Gewohnheiten und Kniffe an.«

»Wahr – wahr wie das Evangelium, alter Tom; aber nicht 74

anwendbar auf Wildtödter, der ein junger Mann voll Wahrhaftigkeit ist, wenn er auch sonst keine Empfehlung hätte. Ich will für seine Redlichkeit bürgen, wenn ich auch von seiner Herzhaftigkeit im Gefecht nichts sagen kann.«

»Ich möchte wohl wissen, was er in dieser abgelegenen Gegend zu schaffen und zu bestellen hat?«

»Das ist bald erzählt, Meister Hutter,« sagte der junge Mann mit der ruhigen Fassung Dessen, der ein reines Gewissen hat; »ich glaube auch selbst, daß Ihr das Recht habt, darnach zu fragen. Der Vater von zwei solchen Töchtern, der einen See inne hat, so wie Ihr, hat das gleiche Recht, nach dem Thun und Treiben eines Fremden in seiner Nähe sich zu erkundigen, wie die Colonie befugt wäre, nach dem Grund zu fragen, warum die Franzmänner mehr Regimenter als gewöhnlich an den Grenzen aufstellten. Nein, nein, ich bestreite Euch das Recht nicht, zu wissen, warum ein Fremder in Eure Behausung oder in Eure Gegend kommt, in so ernsten Zeiten wie die jetzigen sind.«

»Wenn dieß Eure Gesinnung ist, Freund, so laßt mich Eure Geschichte hören ohne weitere Worte.«

»Sie ist bald erzählt, wie ich schon gesagt, und treulich werde ich sie Euch erzählen. Ich bin ein junger Mann und bis jetzt noch nie auf dem Kriegspfad gewesen, aber sobald die Nachricht bei den Delawaren eintraf, daß Wampum und eine Streitaxt dem Stamme übersandt werden würden, so wünschten sie, daß ich unter die Leute meiner Farbe ginge und mich für sie genau nach dem Stand der Sachen erkundigte. Das that ich; und als ich nach meiner Rückkehr meinen Bericht den Häuptlingen abgestattet, traf ich einen Officier der Krone am Schoharie, der an einige der befreundeten Stämme, die weiter westlich wohnen, Geld zu übermachen hatte. Dieß schien Chingachgook, einem jungen Häuptling, der noch nie einen Feind getroffen, und mir, eine gute Gelegenheit, in Gesellschaft auf unsern ersten Kriegspfad zu gehen; und ein alter 75

Delaware gab uns an, daß wir uns am Felsen in der Nähe des Ausgangs von diesem See treffen sollten. Ich will nicht läugnen, daß Chingachgook noch einen andern Zweck hatte, aber dieser betrifft Keinen der hier Anwesenden, und ist sein Geheimniß nicht das meinige; daher sage ich hierüber nichts weiter.«

»Es betrifft ein junges Weib,« fiel ihm Judith hastig in’s Wort; dann lachte sie über ihren eignen Ungestüm, und hatte sogar so viel Grazie, ein wenig zu erröthen über die Art, wie sie ihre Geneigtheit, ein solches Motiv zu vermuthen, verrathen hatte. »Wenn es weder Krieg noch Jagd ist, so muß es Liebe seyn.«

»Ja, es kommt den Jungen und Schönen, die so viel von diesen Gefühlen hören, leicht in den Sinn, zu glauben, sie müssen den meisten Handlungen und Schritten zu Grunde liegen; aber ich sage über diesen Punkt nichts. Chingachgook soll mich an diesem Felsen treffen, morgen Abend, eine Stunde vor Sonnenuntergang, worauf wir unsern Weg zusammen fortsetzen wollen, Niemand störend, als des Königs Feinde, die nach Recht und Gesetz auch die unsrigen sind. Da ich Hurry seit langem kannte, da er einst in unsern Jagdgebieten Fallen stellte, und ihm nun am Schoharie begegnete, als er gerade im Begriff stand, auf seine Sommerzüge aufzubrechen, verabredeten wir, mit einander zu reisen, nicht sowohl aus Furcht vor den Mingo’s, als aus guter Cameradschaft, und um uns, wie er sagt, den langen Weg zu verkürzen.«

»Und Ihr meint, die Spur, die ich gesehen, sey vielleicht die Eures Freundes gewesen, der vor seiner Zeit eingetroffen?« sagte Hutter.

»Das ist mein Gedanke, der irrig, aber auch richtig seyn kann. Wenn ich aber den Moccasin sähe, so wollte ich in einer Minute entscheiden, ob er nach der Art der Delawaren gefertigt ist, oder nicht.«

»Nun, da ist er,« sagte die schnell besonnene Judith, die schon nach dem Canoe gegangen war, ihn zu holen; »gebt uns an, was er sagt: Freund oder Feind, Ihr seht ehrlich aus; und ich glaube Alles was Ihr sagt, was auch Vater davon denken mag.«

»Das ist deine Art, Jude, immer Freunde da aufzufinden, wo ich Feinde argwohne,« brummte Tom; »aber sprecht nur, junger Mann, und sagt uns was Ihr von dem Moccasin denkt.«

»Der ist kein Delawaren-Machwerk,« versetzte Wildtödter, indem er mit umsichtigem Auge die abgetragene und weggeworfene Fußbedeckung prüfte; »ich bin zu jung auf dem Kriegspfade, um meine Ansicht ganz bestimmt auszusprechen, aber ich würde sagen: dieser Moccasin sieht nördlich aus, und kommt von jenseits der großen Seen.«

»Wenn dieß der Fall ist, sollten wir keine Minute länger als nothwendig ist, hier liegen bleiben,« sagte Hutter, indem er einen Blick durch das Laub des Schutzdaches warf, als besorgte er schon die Anwesenheit eines Feindes auf der andern Küste des engen und krumm fließenden Stromes. »Es fehlt nur noch eine Stunde oder so bis Nacht, und im Dunkel Bewegungen zu machen, ohne ein Geräusch, das uns verrathen müßte, wäre unmöglich. Habt Ihr nicht das Echo einer Feuerwaffe in den Bergen gehört, vor einer halben Stunde?«

»Ja, Alter, und die Feuerwaffe selbst,« versetzte Hurry, der jetzt die Unbesonnenheit fühlte, deren er sich schuldig gemacht; »diese ward auf meiner eignen Schulter abgefeuert.«

»Ich besorgte, es komme von den französischen Indianern her; immerhin kann es sie aufmerksam machen, und ein Mittel für sie seyn, uns zu entdecken. Ihr thatet übel, in Kriegszeiten zu feuern, wenn nicht der Fall dringend war.«

»So fange ich an selbst zu denken, Oheim Tom; und doch, wenn Einer sich nicht getrauen darf, seine Büchse abzuschießen in einer Wildniß von tausend Geviertmeilen, damit nicht irgend ein Feind es höre: was nützt es, eine zu tragen?«

Hutter hielt jetzt eine lange Berathung mit seinen beiden Gästen, worin die Betheiligten zu einem richtigen Begriff von ihrer Lage gelangten. Er erklärte, welche Schwierigkeit der Versuch 77

haben würde, die Arche im Dunkel aus einem so engen und raschen Fluß herauszubringen, ohne ein Geräusch, das unfehlbar das Ohr der Indianer erreichen und sie aufmerksam machen müßte. Die etwa in der Nachbarschaft Herumstreifenden würden sich in der Nähe des Flusses oder des See’s halten; aber jener hatte an vielen Stellen des Ufers morastige Stellen, und war so gekrümmt und so von Buschwerk eingefaßt, daß es bei Tag ganz wohl möglich war, Bewegungen darauf zu machen, ohne viel Gefahr, gesehen zu werden. Mehr war vielleicht vom Ohr zu besorgen, als vom Auge, zumal so lange sie sich in den kurzen, engen, überdachten Strecken des Flusses befanden.

»Ich begebe mich nie in diesen Versteck, der für meine Fallen sehr günstig gelegen, und vor neugierigen Augen sicherer ist als der See, ohne für Mittel zu sorgen, auch wieder heraus zu kommen,« fuhr der seltsame Mann in seiner Auseinandersetzung fort, »und das geschieht leichter durch Ziehen und Zucken, als durch Rudern und Rucken. Mein Anker liegt oberhalb der Ausströmung im offnen See; und hier ist, wie Ihr seht, ein Seil, uns dorthinauf zu ziehen. Ohne ein solches Mittel wäre es für Ein Paar Hände ein schweres Stück Arbeit, ein Fahrzeug wie dieses stromaufwärts zu bringen. Auch habe ich eine Art Hebebock, der gelegentlich das Ziehen erleichtert. Jude kann das Ruder am Hintertheil so gut handhaben wie ich selbst; und wenn wir keinen Feind fürchten, macht es uns wenig Mühe und Sorge, aus dem Fluß heraus zu kommen.«

»Was würden wir gewinnen, Meister Hutter, durch eine Aenderung unserer Stellung?« fragte Wildtödter mit großem Ernst; »dieß hier ist ein sichrer Versteck, und vom Innern dieser Cajüte aus ließe sich eine tüchtige Vertheidigung bewerkstelligen. Ich habe noch nie an einem Gefecht Theil genommen, außer in Ueberlieferungen; aber mir scheint, wir könnten mit solchen Palisaden vor uns, wie diese, zwanzig Mingo’s zurückschlagen.« »Ja, ja, Ihr habt nie an Gefechten Theil genommen, außer in Überlieferungen, das ist klar genug, junger Mann! Habt Ihr je eine so breite Wasserfläche wie die dort oben gesehen, ehe Ihr mit Hurry hieher kamet?«

»Das kann ich allerdings nicht behaupten,« antwortete Wildtödter bescheiden. »Die Jugend ist die Zeit zu lernen; und ich bin weit entfernt von dem Wunsche, meine Stimme im Rath zu erheben, ehe sie durch Erfahrung dazu berechtigt ist.«

»Gut denn, ich will Euch die Nachtheile des Fechtens in dieser Stellung erklären, und den Vortheil, den offnen See zu gewinnen. Hier, könnt Ihr sehen, wüßten die Wilden, wohin jeden Schuß zielen; und es wäre eine zu verwegene Hoffnung, daß nicht einige ihren Weg durch die Lücken der Dielen finden sollten. Und wir dagegen hätten auf Nichts zu zielen, als auf einen Wald. Dann sind wir auch hier nicht sicher vorm Feuer, und die Borke dieses Dachs ist nicht viel besser als eben so viel Kienholz. Auch könnte man in meiner Abwesenheit in das Castell eindringen und es plündern, und alle meine Besitzthümer überfallen und zerstören. Einmal auf dem See können wir nur in Booten oder auf Flößen angegriffen werden – haben alle Vortheile über den Feind – und können das Castell mit der Arche schützen. Versteht Ihr diese Gründe, mein Junge?«

»Es klingt gut; ja, es klingt vernünftig; und ich will nicht widersprechen.«

»Nun gut, alter Tom,« schrie Hurry, »wenn wir einmal von der Stelle wollen, je eher wir den Anfang machen, desto eher werden wir wissen, ob wir unsre Skalpe als Nachtmützen behalten, oder nicht.«

Da dieser Vorschlag für sich deutlich war, bestritt Niemand seine Richtigkeit. Nach einer kurzen vorgängigen Erörterung trafen jetzt die drei Männer allen Ernstes ihre Vorbereitungen, die Arche in Bewegung zu setzen. Die leichten Befestigungen waren rasch gelöst, und durch Ziehen an dem Taue ward die schwerfällige Masse langsam aus dem Versteck herausgewunden. Sobald sie von den Hemmungen durch die Zweige frei war, glitt sie in den Fluß, ganz dicht an dem westlichen Ufer hinstreifend, vermöge der Gewalt der Strömung. Keine Seele an Bord hörte das Prasseln der Zweige, als die Cajüte an den Büschen und Bäumen des westlichen Ufers anstieß, ohne ein Gefühl von Unbehagen; denn Niemand wußte, in welchem Augenblick oder an welcher Stelle ein versteckter, mörderischer Feind sich zeigen dürfte. Vielleicht trug das dämmernde Licht, das noch durch das Laubdach oben sich durchkämpfte, oder seinen Weg durch die schmale, bandartige Oeffnung fand, welche in der Luft oben den Lauf des unten strömenden Flusses zu bezeichnen schien, dazu bei, den Anschein von Gefahr zu vermehren; denn es war fast nur eben hinreichend, die Gegenstände sichtbar zu machen, ohne auf Einen Blick ihre Umrisse erkennen zu lassen. Obgleich die Sonne noch nicht ganz untergegangen war, hatte sie doch ihre unmittelbaren Strahlen vom Thal zurückgezogen; und die Tinten des Abends begannen schon die unbedeckt liegenden Gegenstände zu überschweben, während, was im Schatten der Wälder lag, dadurch noch trüber und düsterer wurde.

Keine Unterbrechung jedoch störte die Bewegung der Arche, und während die Männer fortwährend an dem Tau zogen, rückte sie stetig aufwärts; die große Breite der Fähre ließ sie nicht tief ins Wasser einsinken und machte, daß sie der Strömung des raschen Elements, das unter ihr hinfloß, keinen großen Widerstand entgegensetzte. Auch hatte Hutter eine Vorsichtsmaßregel angewendet, die ihn die Erfahrung gelehrt, die einem Seemann Ehre gemacht hätte, und gänzlich die Hindernisse und Widerwärtigkeiten beseitigte, welche ihnen sonst aus den kurzen Windungen des Flusses entstanden wären. Beim Hinabfahren der Arche wurden große Steine, an das Tau befestigt, mitten im Fluß versenkt, und bildeten Lokalanker, deren jeder vor dem Schleppen mittelst der weiter 80

oben befindlichen geschützt wurde, bis der alleroberste erreicht war, der seinen Halt an dem eigentlichen Anker hatte, welcher recht im See lag. Mittelst dieser Auskunft bewegte sich die Arche aufwärts, frei und unbelästigt von den Hemmnissen des Ufers, gegen das sie sonst bei jeder Windung unvermeidlich hingetrieben, und dadurch Verlegenheiten verursacht haben würde, die Hutter allein nur mit größter Mühe oder gar nicht hätte überwinden können.

Gefördert durch diese Vorsicht und gespornt durch die Furcht, entdeckt zu werden, zogen Floating Tom und seine beiden athletischen Genossen die Arche stromaufwärts mit so großer Geschwindigkeit, als nur immer die Stärke des Taues zuließ. Bei jeder Krümmung des Flusses wurde ein Stein aus der Tiefe emporgehoben, wo sich dann die Richtung der Fähre dem weiter oben liegenden Steine zu änderte. In solcher Weise, mit diesem eigens eingerichteten Fahrwasser oder Canal, wie ein Matrose es hätte nennen können, fuhr Hutter stromaufwärts, gelegentlich mit leiser und vorsichtiger Stimme seine Freunde ermahnend, ihre Anstrengung zu verdoppeln, und dann wieder im geeigneten Falle sie warnend vor Kraftäußerungen, welche in gewissen Augenblicken durch Uebermaß des Eifers Alles gefährden konnten. Trotz ihrer langen, vertrauten Bekanntschaft mit den Wäldern fühlten sie doch Alle durch den düstern Charakter des verschatteten Flusses ihr Unbehagen vermehrt; und als die Arche die erste Windung im Susquehannah erreichte, und das Auge der breiteren Ausdehnung des See’s ansichtig wurde, fühlten Alle eine Herzenserleichterung, die vielleicht Keiner gerne gestanden hätte. Hier ward der letzte Stein aus der Tiefe gehoben, und das Tau führte jetzt gerade auf den Anker zu, der, wie Hutter angegeben, über der Ausmündung des Flusses aus geworfen worden war.

»Gott sey Dank!« rief Hurry, »hier ist doch Tageslicht, und wir werden bald im Fall seyn, unsre Feinde zu sehen, wenn Wir etwas von ihnen spüren sollten.«

»Das ist Mehr, als Ihr oder irgend ein Mensch sagen kann,« brummte Hutter. »Es gibt keinen Platz, so geeignet eine Truppe zu verstecken, wie das Ufer um die Mündung; und der Augenblick, wo wir an jenen Bäumen vorbeifahren, und ins offne Wasser gelangen, wird der gefahrdrohendste Zeitpunkt seyn, weil da der Feind noch einen Versteck hat, während wir ihn verlieren. Judith, Mädchen, Du und Hetty überlaßt jetzt das Ruder sich selbst und geht in die Cajüte hinein, und hütet Euch, Eure Gesichter an einem Fenster zu zeigen; denn diejenigen, die sie erblickten, würden sich nicht dabei aufhalten, ihre Schönheit zu rühmen. Und jetzt, Hurry, wollen wir selbst in dieß äußere Gemach treten, und durch die Thüre an dem Tau ziehen, wo wir Alle wenigstens vor einem ersten Ueberfall sicher seyn werden. Freund Wildtödter, da die Strömung jetzt gelinder ist, und das Tau den erforderlichen Zug hat, so viel die Vorsicht gestattet, geht Ihr beständig von Fenster zu Fenster herum, hütet Euch aber, Euren Kopf sehen zu lassen, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Niemand weiß, wann oder wo wir von unsern Nachbarn hören werden.«

Wildtödter gehorchte mit einer Empfindung, die Nichts von Furcht an sich hatte, wohl aber das ganze Interesse einer neuen und höchst aufregenden Situation. Zum erstenmal in seinem Leben war er in der Nähe von Feinden, oder hatte doch guten Grund dieß zu glauben, und dazu noch unter Umständen, wo das Schauderhafte indianischer Ueberfälle und Listen ihm nahe gerückt war. Als er seine Stellung an einem Fenster einnahm, fuhr die Arche gerade durch die schmalste Stelle des Flusses – den Punkt, wo das Wasser erst in das eigentliche Strombett sich ergoß, und wo die oben dicht verschlungenen Bäume das Wasser in einen Bogen von Grün sich ergießen machten; – ein diesem Lande vielleicht so eigenthümlicher, auszeichnender Zug, als in der Schweiz der Umstand, daß die Flüsse im buchstäblichen Sinne aus Kammern von Eis hervorbrechen. 82

Die Arche ging eben an der letzten Krümmung dieser belaubten Pforte vorbei, als Wildtödter, nachdem er Alles untersucht, was vom östlichen Ufer des Flusses zu sehen war, durch das Gemach schritt, um vom gegenüber liegenden Fenster aus nach dem westlichen zu schauen. Seine Ankunft bei dieser Oeffnung war sehr zur rechten Zeit, denn kaum hatte er sein Auge einer Spalte genähert, als sich ihm ein Anblick darbot, der eine so junge und unerfahrene Schildwache wohl bestürzen konnte. Ein junger Baum beugte sich über das Wasser beinah in einem Halbzirkel, der zuerst zum Licht emporgewachsen, dann von der Wucht des Schnees diese gedrückte Stellung angenommen hatte, – ein Umstand, den man in den amerikanischen Wäldern häufig findet. Auf diesem Baum waren bereits nicht weniger als sechs Indianer erschienen, und Andre standen bereit, ihnen zu folgen, sobald Raum würde; Alle waren sichtlich gemeint, auf dem Stamm herauszulaufen und auf das Dach der Arche zu springen, so wie diese unten vorbeiführe. Dieß wäre nicht schwierig auszuführen gewesen, da die Beugung des Baumes das Schreiten darauf erleichterte, die Aeste in der Nähe den Händen Halt genug gaben, und der Fall zu unbedeutend war, um Besorgniß einzuflößen. Als Wildtödter zuerst diese Truppe erblickte, trat sie gerade aus dem Versteck hervor, und stieg an dem Baum empor, da, wo er der Erde am nächsten und bei weitem am schwierigsten zu übersteigen war; und seine Bekanntschaft mit den Sitten der Indianer zeigte ihm auf Einen Blick, daß sie Alle in ihrer Kriegsbemalung waren, und einem feindlichen Stamm angehörten.

»Zieht, Hurry,« schrie er, »zieht, so lieb Euch Euer Leben und Judith Hutter ist! Zieht, Mann! zieht!«

Dieser Aufruf erging an einen Mann, der, wie Wildtödter wußte, Riesenkräfte besaß. Er war so ernst und feierlich, daß Hutter und March Wohl fühlten, er sey nicht umsonst ergangen, und sie strengten in Einem Augenblick zugleich alle ihre Kräfte an 83

dem Tau an, und in einem höchst kritischen Zeitpunkt: die Fähre verdoppelte ihre Bewegung, und schien unter dem Baum weg zu gleiten, als wüßte sie, welche Gefahr über ihr schwebte. Die Indianer, bemerkend, daß sie entdeckt waren, stießen ihr fürchterliches Kriegsgeheul aus, eilten auf dem Baume vorwärts, und sprangen verzweifelten Muthes auf ihre sicher geglaubte Beute los. Es waren ihrer sechs auf dem Baum, und Alle machten den Versuch. Alle, außer dem Anführer, fielen in den Fluß, mehr oder minder entfernt von der Arche, je nachdem sie früher oder später an den Platz des Absprungs kamen. Der Häuptling, der den gefährlichen ersten Posten eingenommen, und so früher zum Sprung kam als die Uebrigen, erreichte noch die Fähre gerade am Hintertheil. Der Sprung wurde so ziemlich höher als er vermuthet hatte, er ward leicht betäubt, und blieb einen Augenblick halb gebeugt und seiner Lage nicht recht bewußt. In diesem Augenblick stürzte Judith aus der Cajüte hervor, ihre Schönheit noch erhöht durch die Aufregung dieses kecken Beginnens, wodurch ihre Wange von hohem Purpur überzogen wurde, und all ihre Kraft mit gewaltiger Anstrengung zusammenraffend, stieß sie den Eindringling über den Rand der Fähre hinaus, kopfüber in den Fluß. Nicht sobald hatte sie diese entschlossene That ausgeführt, als das Weib wieder sein Recht behauptete; Judith schaute über den Spiegel hinaus, um zu sehen, was aus dem Manne geworden, und der Ausdruck ihrer Augen milderte sich zur Theilnahme; dann flammte ihre Wange, halb vor Schaam, halb vor Ueberraschung über ihre eigne Verwegenheit; und dann lachte sie in ihrer lustigen und holdseligen Art. Alles dieß ging in weniger als einer Minute vor, als sich der Arm Wildtödters um ihren Leib schlang, und sie sich rasch unter den Schutz der Cajüte zurückgezogen sah. Dieser Rückzug geschah nicht zu bald. Kaum waren Beide in Sicherheit, als der Wald sich mit gellendem Geschrei erfüllte, und Kugeln an die Planken zu schlagen anfingen.

Da die Arche diese ganze Weile her sich rasch bewegt hatte, war sie, nachdem diese Ereignisse vorüber, schon der Gefahr der Verfolgung entgangen; und die Wilden hörten, sobald der erste Ausbruch ihres Zorns vorüber, auf, zu feuern, in der Ueberzeugung, daß sie ihre Munition vergeblich verschwendeten. Als die Arche an ihren Anker herankam, lichtete Hutter diesen so, daß er den Gang von jener nicht störte; und da sie jetzt außer dem Bereich der Strömung sich befanden, setzte das Fahrzeug seine Richtung fort, bis sie ganz im offenen See waren, obwohl noch dem Land so nahe, daß es gefährlich gewesen wäre, sich einer Büchsenkugel bloß zu stellen. Hutter und March holten zwei kleine Ruderschaufeln hervor, und unter dem Schutz der Cajüte drängten sie bald die Arche weit genug von dem Ufer weg, um ihren Feinden alle Lust zu einem weitern Versuch, ihnen ein Leid zuzufügen, zu benehmen.

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Laßt weinen das Thier, vom Pfeile wund,
Frischem Hirsch sey’s Spiel nicht vergällt;
Einer schläft, Einer wacht zur selben Stund‘;
Das ist der Lauf der Welt.
Shakspeare.

Wieder fand eine Berathung statt auf dem Vordertheil der Fähre, bei welcher Judith und Hetty anwesend waren. Da jetzt keinerlei Gefahr sich ungesehen nähern konnte, hatte die augenblickliche Unruhe der Besorgniß Platz gemacht, welche die Ueberzeugung begleitete, daß Feinde in ansehnlicher Anzahl sich am Ufer des See’s befanden, und daß sie darauf zählen konnten, es werde kein irgend thunliches Mittel, ihren Untergang herbeizuführen, von den Feinden außer Acht gelassen werden. Natürlich empfand Hutter diese Umstände am tiefsten, da seine Töchter gewohnt waren, sich immer unbedingt auf seine Klugheit und Maßregeln zu verlassen, und zu wenig Einsicht besaßen, um alle ihnen drohenden Gefahren in ihrem ganzen Umfang zu würdigen; während es seinen männlichen Genossen frei stand, ihn jeden Augenblick zu verlassen, wo es ihnen dienlich schien. Seine erste Aeußerung zeigte, daß er den letztern Umstand wohl in’s Auge faßte, und hätte einem scharfen Beobachter leicht verrathen, welche Besorgniß eben jetzt in seiner Seele die überwiegende war.

»Wir haben einen großen Vortheil über die Irokesen, oder Wer immer unsre Feinde sind, darin, daß wir uns auf dem See befinden,« sagte er. »Es ist kein Canoe um den See herum, von dem ich nicht wüßte, wo es verborgen ist; und nachdem das Eurige hier ist, Hurry, sind nur noch drei auf dem Land, und sie sind so hübsch versteckt in hohlen Stämmen, daß ich nicht glauben kann, die Indianer werden sie finden, versuchten sie es auch noch so lang.«

»Das läßt sich nicht ausmachen – Niemand kann das sagen,« versetzte Wildtödter; »ein Hund ist nicht sichrer auf der Spur einer Witterung als eine Rothhaut, wenn er Etwas dadurch zu erhaschen denkt. Laßt die Leute nur Skalpe vor sich sehen, oder Plünderung, oder Ehre, nach ihren Ideen von dem was Ehre ist, so müßte das ein dicker Baumstamm seyn, der ein Canoe ihren Augen verbärge.«

»Ihr habt Recht, Wildtödter,« rief Harry March; »Ihr sprecht wie ein Evangelium in dieser Sache, und ich bin froh, daß meine Nußschaale von Barke hier, im Bereich meines Armes, sicher genug ist. Ich kalkulire, sie werden alle übrigen Canoes noch vor morgen Nacht aufspüren, wenn es ihnen ein rechter Ernst ist, Euch fortzuräuchern, alter Tom, und wir dürfen wohl unsre Ruder recht brauchen, um vorwärts zu kommen.«

Hutter antwortete im Augenblicke nicht. Er sah sich eine Minute stillschweigend um; er betrachtete genau den Himmel, den See und den Gürtel Wald, der ihn gleichsam hermetisch einschloß, als zöge er ihre Zeichen zu Rathe. Auch fand er keine beunruhigenden Symptome. Die grenzenlosen Wälder schlummerten in der tiefen Ruhe der Natur, der Himmel war heiter, aber noch hell und glänzend von dem Licht der scheidenden Sonne, während der See lieblicher und freundlicher aussah, als den ganzen Tag über. Es war eine wahrhaft beruhigende Scene, geeignet, die leidenschaftlichen Gefühle in eine Art heiligen Friedens einzulullen. In wie weit sie jedoch diese Wirkung auf die Gesellschaft in der Arche ausübte, muß aus dem weitern Verlauf unserer Erzählung erhellen.

»Judith,« rief der Vater, nachdem er diesen kurzen aber genau prüfenden Blick auf die Vorbedeutungen der Umgebung geworfen, »die Nacht steht vor der Thüre; schaffe Speise für unsere Freunde her; ein weiter Marsch schärft den Hunger.«

»Wir sterben nicht Hungers, Meister Hutter,« bemerkte March, »denn wir haben uns gesättigt, gerade wie wir den See erreichten, und ich meines Theils ziehe die Gesellschaft Judiths selbst ihrem Abendbrod vor. Dieser ruhige Abend ist ganz lieblich, an ihrer Seite zu sitzen.«

»Natur ist Natur,« bemerkte dagegen Hutter, »und muß ihre Nahrung haben. Judith, besorge die Mahlzeit und nimm deine Schwester mit, dir zu helfen. Ich habe noch ein Wenig mit Euch zu sprechen, Freunde,« fuhr er fort, sobald seine Töchter außer Gehörweite waren, »und wünschte die Mädchen weg zu haben. Ihr seht meine Lage, und ich möchte gern Eure Ansichten hören, was Ihr zu thun für’s Beste haltet. Dreimal habe ich schon mein Haus niederbrennen sehen, aber das war auf dem Land; und ich habe mich ziemlich sicher geglaubt, seit ich das Castell gebaut und die Arche auf dem Wasser hatte. Meine andern Unfälle jedoch trugen sich in friedlichen Zeiten zu, und waren nichts weiter, als solche Ungelegenheiten, wie sie wohl einen Mann in den Wäldern von Zeit zu Zeit überraschen; aber diese Sache sieht ernst aus, und Eure Ideen würden meinem Gemüth eine große Last abnehmen.«

»Nach meinem Begriff von der Sache, alter Tom, seyd Ihr und Eure Hütten und Eure Fallen und alle Eure Besitzthümer hier herum in verzweifelter Gefahr,« versetzte der derbe Hurry, der Verheimlichung seiner Gedanken für unnöthig hielt. »Nach meinen Ideen von Werth sind sie heute nicht halb so viel werth als sie gestern waren, auch gäbe ich nicht Mehr dafür, die Bezahlung in Häuten geleistet.«

»Und dann habe ich Kinder!« fuhr der Vater fort, und brachte diese Erwähnung in einem Tone vor, welcher selbst einen unbefangenen Beobachter in Verlegenheit würde gesetzt haben, wenn er hätte sagen sollen, ob sie als Lockspeise gemeint, oder nur ein Ausruf natürlicher Besorgniß war; »Töchter, wie Ihr wißt, Hurry; und gute Mädchen, dazu, wie ich wohl sagen darf, obgleich ich ihr Vater bin.«

»Ein Mann darf Alles sagen, Meister Hutter, zumal wenn er von Zeit und Umständen gedrängt ist. Ihr habt Töchter, wie Ihr sagt, und Eine davon hat nicht Ihres gleichen auf den Grenzen, was das gute Aussehen betrifft, mag sie auch welche haben, was das gute Betragen anlangt. Und die arme Hetty – die ist eben Hetty Hutter; das ist Alles, was sich von dem armen Ding sagen läßt. Ich lobe mir Jude, wenn nur ihre Aufführung ihrem Aussehen gleich käme!«

»Ich sehe, Harry March, ich kann auf Euch nur als Schönwetterfreund zählen; und ich denke, Euer Begleiter hat dieselbe Denkweise,« versetzte der Andere mit einem leichten Anflug von Stolz, der nicht ohne Würde war; »nun gut, ich muß mich auf die Vorsehung verlassen, die vielleicht kein taubes Ohr haben wird für das Gebet eines Vaters.«

»Wenn Ihr den Hurry da so verstanden habt, als sey er gemeint, Euch im Stich zu lassen,« sagte Wildtödter mit ernster Einfachheit, welche doppelt für seine Wahrhaftigkeit bürgte, »so thut Ihr ihm, glaube ich, Unrecht; so wie ich weiß, daß Ihr mir Unrecht thut, wenn Ihr voraussetzt, ich würde ihm folgen, hätte er ein so treuloses Herz, daß er eine Familie von seiner eignen Farbe in einer solchen Bedrängniß verließe. Ich bin an diesen See gekommen, Meister Hutter, um nach einer Verabredung einen Freund zu treffen, und ich wünschte nur, er wäre selbst hier, wie er denn ohne allen Zweifel morgen um Sonnenuntergang hier seyn wird, in welchem Fall Ihr dann eine weitere Büchse zu Eurer Vertheidigung hättet; eine noch nicht erprobte, ich gesteh‘ es, wie auch meine eigene; aber eine, die sich so oft schon am Wild, großem und kleinem, bewährt hat, daß ich für ihre Dienste gegen Menschen bürgen will.«

»Kann ich also auf Euch zählen, Wildtödter, daß Ihr mir und meinen Töchtern beistehen wollt?« fragte der Alte mit der Besorgniß eines Vaters in seinen Gesichtszügen.

»Das könnt Ihr, Floating Tom, wenn das Euer Name ist; und wie ein Bruder seiner Schwester, ein Gatte seinem Weib, oder ein Freier seiner Geliebten beistehen würde. In dieser Bedrängnis könnt Ihr auf mich zählen unter allen Widerwärtigkeiten; und ich denke, Hurry müßte seine Natur und seine Wünsche verläugnen, wenn Ihr nicht auf ihn zählen könntet.«

»O nein!« rief Judith, ihr schönes Gesicht zur Thüre heraus streckend, »seine Natur ist hastig und eilfertig, wie sein Name anzeigt, und er wird davon eilen, sobald er sein sauberes Gesicht in Gefahr glaubt. Weder der ›alte Tom‹ noch seine ›Mädels‹ werden sich stark auf Meister March verlassen, nunmehr sie ihn kennen, aber auf Euch werden sie bauen, Wildtödter; denn Euer ehrliches Gesicht und ehrliches Herz bürgen uns dafür, daß Ihr leisten werdet, was Ihr versprecht.«

Sie sagte dieß vielleicht ebenso sehr in erheuchelter Verachtung gegen Hurry, als im Ernst. Jedenfalls aber sprach sie nicht ohne Empfindung. Diesen Umstand bewies hinlänglich Judiths schönes Gesicht; und wenn der schuldbewußte March glaubte, nie einen lebhafteren Ausdruck von Hohn und Verachtung darauf gesehen zu haben – Gefühle, denen sich die Schöne gern hingab – als während sie ihn anschaute, so hatte es gewiß auch selten mehr weibliche Sanftmuth und Rührung gezeigt, als da ihre sprechenden blauen Augen auf seinen Reisegenossen geheftet waren.

»Verlaß uns, Judith,« gebot Hutter streng, ehe noch Einer der jungen Männer antworten konnte, »laß uns; und kehre nicht eher zurück, als bis Du mit dem Wildpret und Fisch kommst. Das Mädchen ist verderbt worden durch die Schmeichelei der Offiziere, die manchmal ihren Weg hieher finden, Meister March, und Ihr werdet ihr einfältiges Geschwätz Euch nicht kränken lassen.«

»Ihr habt nie ein wahreres Wort geredet, alter Tom,« erwiederte Hurry, dem es siedend heiß ward bei Judiths Aeußerungen; »die teufelszüngigen Laffen von der Garnison haben sie ganz verderbt! Ich kenne Jude kaum mehr, und werde mich bald entschließen, ihre Schwester zu bewundern, die nachgerade viel mehr nach meinem Geschmack ist.«

»Es freut mich, das zu hören, Harry, ich sehe es als ein Zeichen an, daß Ihr allmählig zur rechten Besinnung kommt. Hetty würde eine viel zuverlässigere und vernünftigere Lebensgenossin abgeben als Jude und würde auch höchst wahrscheinlich am meisten Eurer Bewerbung Gehör geben, da die Offiziere, wie ich sehr fürchte, ihrer Schwester den Kopf verrückt haben.«

»Niemand kann sich ein zuverläßigeres Weib wünschen als Hetty,« sagte Hurry lachend, »obgleich ich nicht dafür stehen möchte, daß sie das vernünftigste wäre. Aber das thut Nichts; Wildtödter hat mich nicht falsch verstanden, wenn Er gesagt, ich würde mich auf meinem Posten finden lassen. Ich werde Euch nicht verlassen, Oheim Tom, im jetzigen Augenblick, was auch meine Gefühle und Absichten in Betreff Eurer ältesten Tochter seyn mögen.«

Hurry besaß unter seinen Genossen einen ansehnlichen Ruf wegen seiner Tapferkeit, und Hutter vernahm seine Versicherung mit unverhehlter Zufriedenheit. Schon die große körperliche Stärke eines solchen Bundesgenossen war von Wichtigkeit bei den Bewegungen der Arche, so wie bei der Art von Handgemenge, wie es nicht selten in den Wäldern vorkam, und kein hartbedrängter Feldherr konnte eine lebhaftere Freude empfinden bei der Nachricht von eingetroffnen Verstärkungen, als der Grenzmann fühlte bei der Versicherung dieses wichtigen Beistands, ihn nicht verlassen zu wollen. Eine Minute vorher wäre Hutter sehr wohl zufrieden gewesen, ein Abkommen mit seiner Gefahr zu treffen, in der Art, daß er sich verbindlich gemacht hätte, sich auf der Defensive zu halten; aber sobald er sich über jenen Punkt beruhigt fühlte, verlockte ihn auch schon die natürliche Rastlosigkeit des Menschen, auf Mittel zu denken, den Krieg in’s Land des Feindes zu tragen.

»Hohe Preise sind auf beiden Seiten auf Skalpe gesetzt,« bemerkte er mit grimmigem Lächeln, als fühlte er die Gewalt der Versuchung, während er doch zugleich die Miene anzunehmen suchte, als dünke er sich zu vornehm, Geld zu erwerben auf eine Weise, die das gewöhnliche Gefühl derer mißbilligte, welche auf den Namen civilisirter Menschen Anspruch machten, während man sich doch dazu entschloß. »Es ist vielleicht nicht recht, Gold für Menschenblut zu nehmen; und doch, wenn Menschen einmal darauf aus sind, einander zu tödten, so ist es wohl kein so arges Unrecht, wenn ein Stückchen Haut bei der Plünderung mit drein geht. Was sind Eure Ansichten, Hurry, über diese Punkte?«

»Da habt Ihr einen ungeheuern Fehler begangen, Alter, daß Ihr das Blut von Wilden überhaupt Menschenblut genannt habt. Ich mache mir so Wenig aus dem Skalp einer Rothhaut, als aus einem Paar Wolfsohren, und würde eben so gern Geld für jenen als für diese einstreichen. Bei weißen Menschen ist es ein Andres, denn die haben eine natürliche Aversion davor, skalpirt zu werden; während ein Indianer sich den Kopf abrasirt, damit das Messer bequem zu kann, und einen Busch Haar stehen läßt, noch oben ein, zur Prahlerei, daran man ihn fassen kann.«

»Nun, das ist männlich, und ich fühlte von Anfang an, daß wir Euch nur an unsrer Seite zu haben brauchten, um Euch zu haben mit Herz und Hand,« erwiederte Tom, der alle Zurückhaltung fahren ließ, da er jetzt erneutes Vertrauen zu der Gesinnung seines Genossen faßte. »Es kann etwas Mehr und Anderes herauskommen bei diesem Einfall der Rothhäute, als sie gerechnet haben. Wildtödter, ich bilde mir ein, Ihr seyd auch der Ansicht Hurry’s, und betrachtet Geld, das auf diese Weise gewonnen wird, als ebenso vollgültig, wie solches, das man mit Fallenstellen und Jagen erwirbt.«

»Ich habe keine solche Gesinnungen, wünsche mir auch keine, für meinen Theil,« erwiederte dieser. »Meine Gaben sind nicht die Gaben eines Skalpirers, sondern so, wie sie sich für meine Religion und Farbe gehören. Ich will bei Euch stehen, alter Mann, in der Arche oder im Castell, im Canoe oder in den Wäldern, aber ich will nicht meine Natur entmenschlichen, indem ich auf Sitten und Bräuche verfiele, die Gott für eine andere Race bestimmt hat. Wenn Ihr und Hurry Gedanken gefaßt habt, die sich nach dem Gold der Colonie hinneigen, so geht Ihr allein Eurem Gewerbe nach, und überlaßt die Weiber meiner Obhut. So sehr ich in meiner Ansicht von Euch Beiden abweichen muß in Betreff aller Gaben, die nicht eigentlich einem weißen Mann gehören, werden wir doch darin gleich denken, daß es Pflicht des Starken ist, sich der Schwachen anzunehmen, zumal wenn die Letztern zu denen gehören, welche der Mann nach dem Willen der Natur schützen und trösten soll durch seinen Edelmuth und seine Stärke.«

»Hurry Harry, das ist eine Lehre, die Ihr Euch merken und mit Vortheil ausüben dürftet,« sagte die süße aber lebhafte Stimme Judiths aus der Cajüte – ein Beweis, daß sie alles bisher Gesprochene gehört hatte.

»Nichts mehr davon, Jude!« rief der Vater zornig. »Geh weiter weg; wir haben von Sachen zu reden, die Weiber nicht hören dürfen.«

Hutter that jedoch keine Schritte, um sich zu vergewissern, ob ihm gehorcht werde oder nicht; er ließ nur seine Stimme etwas sinken und fuhr in seiner Unterredung fort.

»Der junge Mann hat Recht, Hurry,« sagte er, »und wir können die Kinder seiner Obhut überlassen. Meine Idee nun ist diese, und ich denke, Ihr werdet sie auch für vernünftig und richtig erklären. Es ist eine große Truppe dieser Wilden am Ufer; und, obgleich ich es nicht vor den Mädchen sagen mochte, denn sie sind weibermäßig und werden leicht unruhig und überlästig, wenn einmal rechte Arbeit zu thun ist – es sind Weiber darunter. Ich weiß das aus Moccasin-Spuren; und vermuthlich sind es am Ende eben Jäger, die so lang aus gewesen sind, daß sie noch Nichts von dem Kriege, noch von den ausgesetzten Preisen wissen.«

»Aber in diesem Fall, alter Tom, warum bestand denn ihr erster Gruß in dem Versuch, uns Allen die Kehlen abzuschneiden?«

»Wir wissen nicht, ob ihr Vorhaben wirklich so blutdürstig war. Es ist bei einem Indianer eine leichte und natürliche Sache, Hinterhalte und Ueberfälle zu machen; und ohne Zweifel war ihr Wunsch, erst an Bord der Arche zu kommen, und dann erst ihre Bedingungen zu machen. Daß ein in seiner Absicht getäuschter Wilder auf uns feuert, ist in der Ordnung, und ich denke daran gar nicht. Zudem, wie oft haben sie mir das Haus niedergebrannt und meine Fallen geplündert – ja, und auf mich geschossen, während der allerfriedlichsten Zeiten?«

»Die Lumpenkerls thun wohl solche Dinge, ich muß gestehen, und wir bezahlen sie hübsch in ihrer eignen Münze. Weiber würden nicht auf dem Kriegspfad mitziehen, das ist gewiß; und in so weit hat Eure Idee wohl Grund.«

»Aber ein Jäger würde nicht in seiner Kriegsbemalung erscheinen,« versetzte Wildtödter. »Ich habe die Mingo’s gesehen und weiß, daß sie auf der Fährte von sterblichen Menschen sind, und nicht von Bibern oder Wildpret.«

»Da habt Ihr’s wieder, alter Gesell,« sagte Hurry. »Ja, was das Auge betrifft, da würde ich mich auf diesen jungen Mann so gut verlassen, wie auf den ältesten Ansiedler in der Colonie; wenn er sagt: bemalt, so war es auch bemalt.«

»Dann sind eine Jagdgesellschaft und eine Kriegstruppe zusammengestoßen, denn Weiber müssen dabei gewesen seyn. Es ist erst wenige Tage her, daß der Eilbote durchkam mit der Zeitung von den Unruhen, und vielleicht diese Krieger sind gekommen, um ihre Weiber und Kinder nach Haus zu rufen und rasch einen Streich zu führen.«

»Das wird wohl die Probe bestehen und ist gewiß die Wahrheit,« rief Hurry; »jetzt habt Ihr es getroffen, alter Tom, und ich möchte gern wissen, was Ihr nun dabei im Sinn habt?«

»Den Preis;« versezte der Andere, seinen aufmerksamen Genossen mit kühler, trotziger Miene betrachtend, worin jedoch herzlose Habsucht und Gleichgültigkeit gegen jedes Mittel weit mehr sich aussprachen, als irgend ein Gefühl von Erbitterung oder Rachsucht. »Wenn Weiber dabei sind, so sind auch Kinder da; und Groß und Klein haben Skalpe: die Colonie zahlt für Alle gleich.«

»Um so schmählicher für sie, daß sie es thut,« unterbrach ihn Wildtödter; »um so schmählicher für sie, daß sie ihre Gaben nicht versteht, und nicht besser auf den Willen Gottes achtet.«

»Nehmt Vernunft an. Junge, und schreit nicht so laut, eh‘ Ihr einen Fall versteht,« erwiederte der unerschütterliche Hurry; »die Wilden skalpiren Eure Freunde, die Delawaren oder Mohikans, was sie nun seyen, mit den Uebrigen; und warum sollten wir nicht skalpiren? Ich gesteh‘ es, es wäre gegen das Recht für Euch und für mich, jetzt hinzugehen in die Ansiedlungen, und dort Skalpe zu holen, aber es ist ein ganz andres Ding mit Indianern. Ein Mann sollte keine Skalpe machen, wenn er nicht darauf gefaßt ist, selbst auch skalpirt zu werden bei vorkommender Gelegenheit. Ein guter Dienst ist den andern werth in der ganzen Welt. Das heißt Vernunft, und ich glaube es ist gute Religion.«

»Ja, Meister Hurry,« unterbrach wieder die klangreiche Stimme Judiths, »ist es auch Religion, zu sagen: ein böser Dienst ist den andern werth?«

»Ich will nimmermehr mit Euch streiten, Judy, denn Ihr schlagt mich mit Schönheit, wenn Ihr es mit Verstand nicht könnt. Da sind die Canadas, die bezahlen ihren Indianern die Skalpe, und warum sollten nicht wir bezahlen –«

»Unsre Indianer!« rief das Mädchen, und lachte in einer Art von melancholischer Lustigkeit. »Vater, Vater, denkt nicht mehr an diesen, und hört auf den Rath Wildtödters, der ein Gewissen hat; und das ist Mehr, als ich von Harry March sagen oder glauben kann.«

Jetzt stand Hutter auf, trat in die Cajüte, und nöthigte seine Töchter in das anstoßende Gemach zu gehen, wo er beide Thüren riegelte, und dann zurückkam. Dann erörterten er und Hurry den Gegenstand noch weiter; aber da das Wesentliche des Inhalts dieser Besprechung im Verlauf der Erzählung an den Tag kommen wird, braucht sie hier nicht ausführlich berichtet zu werden. Der Leser jedoch wird sich ohne Schwierigkeit denken können, welche Art von Sittlichkeit bei dieser Unterredung den Vorsitz führte. Es war in der That diejenige, die, in einer oder der andern Gestalt, die meisten Handlungen der Menschen beherrscht, und bei welcher der maßgebende Grundsatz der ist: ein Unrecht rechtfertige das andere. Ihre Feinde bezahlten für Skalpe; und das genügte, die Colonie zu rechtfertigen, wenn sie Gleiches mit Gleichem vergalt. Allerdings führten die Franzosen dasselbe Argument für sich an, ein Umstand, der, wie Hurry gegen eine Einwendung Wildtödters zu bemerken die Gelegenheit ergriff, dessen Wahrheit bewies, da Todfeinde wohl schwerlich auf denselben Grund sich berufen würden, wenn es nicht ein triftiger und guter wäre. Aber weder Hutter noch Harry waren Männer, die sich so leicht durch Kleinigkeiten irre machen ließen in Sachen, welche die Rechte der Ureinwohner betrafen; denn es ist einmal eine der Folgen des ungerechten Angriffs, daß er das Gewissen verhärtet – das einzige Mittel, es zu beschwichtigen. In dem friedlichsten Zustand des Landes hatte eine Art von Krieg fortgedauert zwischen den Indianern, besonders denen von Canada, und Leuten von ihrem Stamme; und sobald der wirkliche, anerkannte Krieg erklärt war, galt er auch als ein gesetzlich erlaubtes Mittel, tausend wirkliche oder eingebildete Unbilden zu rächen. Dann lag auch einige Wahrheit und sehr viel Bequemlichkeit in dem Grundsatz der Wiedervergeltung, auf den sich Beide ganz besonders beriefen, um die Einwürfe ihres rechtlicheren und gewissenhafteren Genossen zu beantworten.

»Ihr müßt einen Mann mit seinen eignen Waffen bekämpfen, Wildtödter,« schrie Hurry in seiner rauhen Sprache und in der absprechenden Art, womit er alle moralischen Sätze behandelte; »wenn er wild ist, müßt Ihr noch wilder seyn; ist er von mannhaftem Herzen, müßt Ihr noch mannhafter seyn. Das ist die Art, Christen oder Wilde unterzukriegen; wenn Ihr dieser Fährte folgt, werdet Ihr am ehesten zum Ziel Eurer Reise gelangen.«

»Das ist nicht die Lehre der Mährischen Brüder, welche vielmehr sagt, daß alle Menschen zu beurtheilen sind nach ihren Talenten, oder ihren Einsichten; der Indianer als Indianer – der weiße Mann als Weißer. Einige ihrer Lehrer sagen, wenn man auf den rechten Backen geschlagen werde, so sey es Pflicht, den andern auch hinzubieten, und noch einen Schlag zu dulden, statt daß man Rache suche, was ich so verstehe –« »Das ist genug!« brüllte Hurry; »das ist Alles, was ich verlange, um eines Mannes Lehre zu schätzen! Wie viel Zeit würde es erfordern, einen Mann mit Fußtritten durch die Colonie zu befördern – am einen Ende hinein, am andern hinaus – nach diesem Grundsatz?«

»Mißversteht mich nicht, March,« erwiederte der junge Jäger mit Würde; »ich verstehe dieß nicht anders als so, es sey dieß das Beste, wenn immer möglich. Rachsucht ist eine indianische Eigenschaft, und Versöhnlichkeit die eines Weißen. Das ist Alles. Uebersieh Alles, was du kannst, das ist gemeint; und räche nicht Alles, was du kannst. Was die Fußtritte betrifft, Meister Hurry,« und Wildtödters sonnverbrannte Wange flammte, wie er fortfuhr, »womit man Einen in die Colonie hinein oder aus ihr herausfördern sollte, so liegt das weder hier noch dort, da ja Niemand es in Vorschlag bringt, und vermuthlich Niemand sich damit würde befassen wollen. Was ich sagen wollte, ist: daß die Rothhäute skalpiren, rechtfertigt es nicht, daß auch die Bleichgesichter skalpiren.«

»Thut, was man Euch thut, Wildtödter, das ist immer des christlichen Pfaffen Lehre.«

»Nein, Hurry, ich habe darüber die Mährischen Brüder befragt, und es lautet ganz anders; ›thut, was Ihr wünscht, daß die Leute Euch thun‹! sagen sie mir, sey die rechte Lehre, während die Menschen nach der falschen handeln. Sie halten es für ein Unrecht bei allen Colonien, welche Preise für Skalpe anbieten, und meinen, es werde kein Segen herauskommen bei diesen Maßregeln. Vor allem verbieten sie die Rachsucht!«

»Geht mir mit Euren Mährischen Brüdern!« schrie March und schnippte mit den Fingern; »sie sind die Nächsten an den Quäckern; und wenn Ihr Alles glauben wolltet, was sie Euch sagen, so dürfte man aus Barmherzigkeit keiner Ratte das Fell abziehen. Wer hat je von Barmherzigkeit gehört gegen eine Bisamratte?« Der verächtliche Ton Hurry’s schnitt eine Erwiederung ab, und er und der Alte fuhren in der Besprechung ihrer Pläne fort in leiserem und vertraulicherem Tone. Diese Berathung dauerte, bis Judith erschien und das einfache aber wohlschmeckende Abendessen brachte. March bemerkte mit einiger Ueberraschung, daß sie Wildtödter die leckersten Bissen vorlegte, und daß sie durch die kleinen, namenlosen Aufmerksamkeiten, welche sie zu erweisen wohl verstand, ganz deutlich zu erkennen zu geben die Absicht hatte, daß sie ihn als den vorzugsweise geehrten Gast betrachtete. Gewöhnt jedoch an den Eigensinn und die Koketterie der Schönen, erfüllte ihn diese Entdeckung mit keiner sonderlichen Unruhe, und er aß mit einem Appetit, der sich keineswegs durch gemüthliche Rücksichten stören ließ. Da die leichtverdaute Nahrung der Wälder der Befriedigung des großen physischen Genusses gar wenig Hindernisse in den Weg legte, blieb Wildtödter, trotz der herzhaften Mahlzeit, welche Beide in den Wäldern gehalten, in keiner Weise hinter seinem Genossen zurück in thätlicher Anerkennung der Güte der Speisen. Eine Stunde später war die ganze Scene sehr verändert. Der See war noch friedlich und spiegelklar, aber die Dämmerung des spätern Abends war auf das sanfte Zwielicht eines Sommerabends gefolgt, und Alles innerhalb der dunkeln Einfassung der Wälder lag in der stillen Ruhe der Nacht. Die Forsten ließen keinen Gesang, keinen Schrei, nicht einmal ein Flüstern hören, sondern schauten von den Bergen auf das schöne Becken, das sie umgaben, in feierlicher Stille herunter; und der einzige Laut, den man hörte, war das regelmäßige Klatschen der Ruder, welche Hurry und Wildtödter bequem handhabten, die Arche nach dem Castell hin lenkend. Hutter hatte sich auf das Hintertheil der Fähre zurückgezogen, um zu steuern, aber da er fand, daß die jungen Männer ganz im Takt ruderten, und durch ihre eigne Geschicklichkeit ganz in der gewünschten Richtung blieben, hatte er das Steuerruder im Wasser nachschleppen lassen, sich einen Sitz am Ende der Fähre genommen, und seine Pfeife angezündet. Er saß so erst wenige Minuten, als Hetty verstohlen aus der Cajüte, oder dem Hause, wie sie gewöhnlich diesen Theil der Arche nannten, heranschlich, und sich auf einer kleinen Bank, die sie mitbrachte, zu seinen Füßen setzte. Da dieß Beginnen eben nichts Ungewöhnliches bei dem schwachsinnigen Kind war, beachtete es der Alte nicht weiter; er legte nur seine Hand in liebevoller, beifallgebender Weise auf ihr Haupt; eine Liebkosung, die das Mädchen in stummer Sanftmuth hinnahm.

Nach einer Pause von einigen Minuten fing Hetty an zu singen. Ihre Stimme war schwach und zitternd, aber ernst und feierlich. Die Worte und die Weise waren von der einfachsten Art; es war eine Hymne, die ihre Mutter sie gelehrt hatte, und eine jener natürlichen Melodien, die bei allen Klassen, zu allen Zeiten Beifall und Gunst finden, weil sie vom Herzen kommen und ans Herz sprechen. Hutter horchte nie diesem einfachen Gesang, ohne daß sein Herz und sein Benehmen milder wurde; dieß wußte seine Tochter wohl, und sie hatte es sich schon oft zu Nutze gemacht vermöge jenes geheimen, heiligen Instinkts, der oft die Geistesschwachen erleuchtet, zumal bei ihren guten Absichten und Bestrebungen.

Hetty’s leise, süße Töne drangen nur erst einige Augenblicke durch die Lüfte, als das Klatschen der Ruder aufhörte, und der heilige Gesang allein in der athmenden Stille der Wildniß zum Himmel emporstieg. Wie wenn sie im Verfolg der Hymne Muth gewänne, schien ihre Kraft, wie sie weiter sang, zu wachsen; und obgleich nichts Gemeines oder Schreiendes sich in ihre Melodie mischte, schwoll doch ihre Stärke und schwermüthige Zartheit hörbar an, bis die Luft erfüllt war von dieser einfachen Huldigung einer Seele, die beinahe fleckenlos erschien. Daß die Männer vorn nicht gleichgültig blieben gegen diese rührende Unterbrechung, ging aus ihrer Unthätigkeit deutlich hervor; auch klatschten nicht eher wieder ihre Ruder, als bis der letzte der süßen Töne wirklich erstorben war an den merkwürdigen Ufern, die in dieser bezaubernden Stunde selbst die leisesten Modulationen der menschlichen Stimme weiter als eine Meile fortpflanzten. Hutter selbst war gerührt; denn so roh er war vermöge seiner früh angenommenen Lebensweise, und so hartherzig sogar er geworden war durch seine lange Bekanntschaft mit den Sitten und Bräuchen der Wildniß, bestand doch seine Natur aus jener furchtbaren Mischung von Gut und Böse, welche man überhaupt bei der moralischen Organisation der Menschen so vielfach findet.

»Du bist heute Nacht traurig, Kind,« sagte der Vater, dessen Benehmen und Sprache gewöhnlich Etwas von der Feinheit und Erhebung des civilisirten Lebens annahm, das er in seiner Jugend geführt hatte, wenn er so mit diesem seltsamen Kind sich unterhielt, »wir sind eben erst Feinden glücklich entgangen, und sollten uns vielmehr freuen!«

»Ihr könnt es nimmermehr thun, Vater!« sagte Hetty im leisen Ton flehentlicher, abmahnender Bitte, indem sie, mit ihren beiden Händen seine harte, rauhe Hand ergriff; »Ihr habt lang mit Harry March gesprochen; aber Keiner von Euch wird das Herz haben, es zu thun.«

»Das geht über Deinen Kreis, närrisches Kind; Du bist wohl so garstig gewesen und hast gehorcht, sonst könntest Du Nichts wissen von unserm Gespräche.«

»Warum wolltet denn Ihr und Hurry Leute tödten – und gar Weiber und Kinder?«

»Still, Mädchen, still; wir leben im Krieg, und müssen unsern Feinden thun, was sie uns thun möchten.«

»Das ist nicht so, Vater! Ich habe Wildtödter sagen hören, wie es ist. Ihr sollt Euren Feinden thun, was Ihr wünscht, daß Eure Feinde Euch thun! Niemand wünscht, daß seine Feinde ihn tödten!«

»Wir tödten unsre Feinde im Krieg, Mädchen, damit sie nicht uns tödten. Eine Seite oder die andre muß anfangen; und die zuerst anfangen, tragen am ehesten den Sieg davon. Du verstehst Nichts von diesen Dingen, arme Hetty, und solltest am liebsten davon schweigen.«

»Judith sagt, es sey Unrecht, Vater; und Judith hat Verstand, wenn auch ich keinen habe.«

»Judith versteht es besser, als daß sie mir von diesen Dingen spräche; denn sie hat Verstand, wie Du sagst, und weiß, daß ich es nicht dulden würde. Was würdest Du vorziehen, Hetty: daß man Dir Deinen Skalp nähme, und an die Franzosen verkaufte, oder daß wir unsre Feinde tödteten, und sie hinderten, uns ein Leid zu thun?«

»Das ist es nicht, Vater! Tödtet sie nicht, und laßt auch uns nicht von ihnen tödten. Verkauft Eure Häute, und schafft neue herbei, wenn Ihr könnt; aber verkauft nicht Blut!«

»Komm, komm, Kind; reden wir von Dingen, die Du verstehst. Freut es Dich, unsern alten Freund March wieder zurückgekommen zu sehen? Du magst Hurry wohl leiden, und mußt wissen, daß er wohl eines Tages Dein Bruder werden kann – wo nicht noch etwas Näheres.«

»Das kann nicht seyn, Vater,« erwiederte das Mädchen nach einer langen Pause; »Hurry hat Einen Vater und Eine Mutter gehabt; und die Leute haben nie zwei.«

»Da sieht man Deinen schwachen Geist, Hetty. Wenn Jude heirathet, so wird ihres Mannes Vater ihr Vater, und ihres Mannes Schwester ihre Schwester. Wenn sie Hurry heirathen sollte, wird er Dein Bruder.«

»Judith wird nie den Hurry nehmen,« versetzte das Mädchen mild aber bestimmt. »Judith mag den Hurry nicht.«

»Das ist Mehr als Du wissen kannst, Hetty. Harry March ist der schönste und der stärkste und der kühnste junge Mann, der je den See besucht; und da Jude die größte Schönheit ist, sehe ich nicht ein, warum sie nicht zusammenkommen sollten. Er hat so gut als versprochen, daß er mit mir diesen Handel eingehen will, wenn ich meine Zustimmung gebe.«

Hetty fing an, sich unruhig hin und her zu bewegen, und sonst auch ihre geistige Unruhe und Aufregung auszudrücken; aber länger als eine Minute antwortete sie nicht. Ihr Vater, an ihr Wesen gewöhnt, und keine besondere Ursache ihrer Aufregung ahnend, fuhr fort zu rauchen mit jenem in die Augen fallenden Phlegma, welches gerade dieser Art von Genuß eigen zu seyn scheint.

»Hurry ist schön, Vater,« sagte Hetty mit einfacher Emphase, welche in ihren Ton zu legen sie sich wohl würde bedacht haben, wäre ihr Geist aufmerksamer gewesen auf die Gedanken und Beweggründe Anderer.

»Das habe ich dir gesagt, Kind,« brummte der alte Hutter, ohne die Pfeife aus den Zähnen zu nehmen; »er ist der hübscheste Junge in dieser Gegend; und Jude ist das hübscheste junge Weibsbild, das mir vorgekommen, seit den besten Zeiten ihrer armen Mutter.«

»Ist es schlimm, häßlich zu sehn, Vater?«

»Man kann sich Schlimmeres vorzuwerfen haben – aber du bist keineswegs häßlich; obwohl nicht so hübsch wie Jude.«

«Ist Judith deßwegen glücklicher, weil sie so schön ist?«

»Das kann seyn, Kind, aber vielleicht auch nicht. Reden wir aber jetzt von andern Dingen; denn das verstehst du schwerlich recht, arme Hetty. Wie gefällt dir unser neuer Bekannter, Wildtödter?«

»Er ist nicht schön, Vater. Hurry ist viel schöner als Wildtödter.«

»Das ist wahr, aber es heißt, er sey ein ausgezeichneter Jäger. Sein Ruf drang zu meinem Ohre, noch eh‘ ich ihn sah; und ich hoffte, er werde sich als ebenso herzhafter Krieger bewähren, wie er ein geschickter Wildpretschütz ist. Aber nicht alle Männer sind gleich, Kind, und es braucht Zeit, das weiß ich aus Erfahrung, einem Mann ein ächtes Wildnißherz zu geben.«

»Hab‘ ich schon ein Wildnißherz, Vater – und Hurry – ist sein Herz ein ächtes Wildnißherz?«

»Du machst manchmal sonderbare Fragen, Hetty! Dein Herz ist gut, Kind, und geeigneter für die Ansiedlungen als für die Wälder; während dein Verstand geeigneter ist für die Wälder als für die Ansiedlungen.«

»Warum hat Judith mehr Verstand als ich, Vater?«

»Der Himmel steh‘ dir bei, Kind! das ist Mehr als ich beantworten kann. Gott gibt Verstand und Aussehen und all‘ diese Dinge; und er theilt sie aus, wie es ihm gut dünkt. Wünschest du dir mehr Verstand?«

»Nein, das Wenige was ich habe, macht mir Unruhe, denn wenn ich am ärgsten denke, fühle ich mich am unglücklichsten. Ich glaube nicht, daß das Denken gut ist für mich, aber ich wünschte, ich wäre so schön wie Judith.«

»Warum das, armes Kind? deiner Schwester Schönheit kann ihr auch Unruhe machen, wie einst ihrer armen Mutter. Es ist kein Vortheil, Hetty, in irgend Etwas so ausgezeichnet zu seyn, daß man ein Gegenstand des Neids, oder vor Andern ausgesucht wird.«

»Mutter war gut, wenn sie schön war,« versetzte das Mädchen, und die Thränen schossen ihr in die Augen, wie gewöhnlich geschah, wenn sie der Verstorbenen gedachte.

Der alte Hutter war, wenn auch nicht ebenso ergriffen, doch nachdenklich und stumm bei dieser Erinnerung an sein Weib. Er rauchte fort, ohne daß er eine Geneigtheit zeigte, zu antworten, bis seine schwachsinnige Tochter ihre Bemerkung in einer Art wiederholte, welche verrieth, daß sie ein Unbehagen fühlte, er möchte geneigt seyn, ihre Behauptung zu läugnen. Dann klopfte er die Asche aus seiner Pfeife, legte mit einer Art derber Freundlichkeit seine Hand auf des Mädchens Kopf und versetzte:

»Deine Mutter war zu gut für diese Welt, obgleich Andre vielleicht nicht so dachten. Ihr gutes Aussehen war für sie kein Heil und Schutz; und du hast keinen Grund zu bedauern, daß du ihr nicht so gleichst wie deine Schwester; denke weniger an Schönheit, Kind, und desto mehr an deine Pflicht und du wirst so glücklich leben auf diesem See, als du nur immer in des Königs Palast seyn könntest.«

»Ich weiß es, Vater; aber Hurry sagt: Schönheit sey bei einem jungen Weib Alles!«

Hutter that einen Ausruf, der seine Unzufriedenheit ausdrückte und ging nach dem Vordertheil; dabei schritt er durch das Haus – Hetty’s unbefangene Kundgebung ihrer Schwachheit in Bezug auf March machte ihm Unruhe über einen Gegenstand, der ihn früher nie angefochten hatte, und er beschloß, sofort mit seinem Gaste sich klar auseinander zu setzen; denn Geradheit in seinen Worten und Entschiedenheit in seiner Handlungsweise waren zwei der vorzüglichsten Eigenschaften dieses rauhen Mannes, in welchem der Saamen einer bessern Erziehung beständig sich emporzuringen schien, um dann wieder erstickt zu werden durch die Frucht eines Lebens, wo harte Kämpfe um Unterhalt und Sicherheit seine Gefühle gestählt, seine Natur verhärtet hatten. Als er das vordere Ende der Fähre erreicht, gab er seine Absicht zu erkennen, Wildtödter am Ruder abzulösen, und hieß ihn dafür seinen Platz am Hintertheil einnehmen. In Folge dieses Tausches waren der alte Mann und Hurry wieder allein, während der junge Jäger an’s entgegengesetzte Ende der Arche entfernt wurde.

Hetty war verschwunden, als Wildtödter seinen neuen Posten erreichte, und eine kurze Zeit blieb er allein, während er den Lauf des langsam sich bewegenden Fahrzeugs lenkte. Nicht lange jedoch dauerte es, bis Judith aus der Cajüte heraustrat, bereit, wie es schien, die Honneurs des Fahrzeugs zu machen gegenüber einem Fremden, der sich dem Dienst ihrer Familie widmete. Das Sternenlicht war hell genug, um die Gegenstände in der Nähe deutlich unterscheiden zu lassen; und die glänzenden Augen des Mädchens hatten einen Ausdruck von Freundlichkeit, als sie denen des Jünglings begegneten, welchen dieser leicht wahrzunehmen vermochte. Ihr reiches Haar beschattete ihr lebhaftes und doch sanftes Gesicht, und erhöhte dadurch selbst in dieser Stunde dessen Schönheit; – wie die Rose am lieblichsten ist, wenn sie zwischen den Schatten und Contrasten ihres eignen Laubes ruht. Bei dem Verkehr der Wälder herrscht wenig Förmlichkeit; und Judith hatte sich in Folge der Bewunderung, welche sie so allgemein erregte, eine Zuversicht und Bequemlichkeit des Benehmens erworben, die, wenn sie auch nicht bis zur Keckheit ging, doch in keiner Weise ihren Reizen die Zuthat jener scheuen, zurückhaltenden Sittsamkeit verlieh, welche von Dichtern so gepriesen wird.

»Ich glaubte, ich müßte vor Lachen sterben, Wildtödter,« begann die Schöne plötzlich, aber in koketter Art, »als ich den Indianer so in den Fluß tauchen sah! Es war dazu ein ganz hübschaussehender Wilder,« das Mädchen hob immer körperliche Schönheit als eine Art von Verdienst hervor, »und doch konnte man nicht verweilen, um zu sehen, ob seine Bemalung im Wasser die Farbe halte.«

»Und ich glaubte, sie würden Euch tödten mit ihren Waffen, Judith,« versetzte Wildtödter; »es war ein arges Wagestück für ein Weib, sich so einem Dutzend Mingo’s auszusetzen.«

»Bewog Euch das, aus der Cajüte hervorzueilen, trotz ihren Büchsen?« fragte das Mädchen, mit mehr wirklichem Interesse, als sie vielleicht zu verrathen wünschte, obwohl mit einem gleichgültigen Wesen, welches die Frucht von vieler Uebung, verbunden mit natürlicher Geistesgewandtheit war. »Männer können nicht zusehen, wenn Frauen in Gefahr sind, ohne ihnen zu Hülfe zu eilen. Selbst ein Mingo weiß das.«

Diese Worte sprach er mit eben so viel Unbefangenheit des Benehmens als einfacher Treuherzigkeit des Gefühls, und Judith belohnte sie mit einem so süßen Lächeln, daß selbst Wildtödter, der ein Vorurtheil gegen das Mädchen gefaßt hatte, in Folge von Hurry’s argwöhnischen Aeußerungen über ihren Leichtsinn, seinen Zauber empfand, obwohl die Hälfte von seiner gewinnenden Macht in der schwachen Beleuchtung verloren ging. Es erzeugte sofort eine Art von Vertraulichkeit zwischen ihnen, und die Unterredung ward von Seite des Jägers fortgesetzt ohne das lebhafte Bewußtseyn von dem eigenthümlichen Charakter dieser Kokette der Wildniß, womit sie allerdings begonnen hatte.

»Ihr seyd ein Mann der Thaten, nicht der Worte, das sehe ich deutlich, Wildtödter,« fuhr die Schöne fort, nahe bei der Stelle sich setzend, wo der Andere stand, »und ich sehe voraus, wir werden recht gute Freunde werden. Hurry Harry hat eine Zunge, und so sehr er ein Riese ist, er schwatzt Mehr als er vollbringt.«

»March ist Euer Freund, Judith; und Freunde sollten gut von einander reden, wenn sie von einander sind.«

»Wir wissen Alle, auf was Hurry’s Freundschaft hinausläuft! Laßt ihm in allen Dingen seinen Willen, so ist er der beste Geselle in der ganzen Colonie, aber ›bringt ihn auf‹, wie Ihr vom Wild sagt, so ist er Herr und Meister aller Dinge um ihn her, nur nicht seiner selbst. Hurry gehört nicht zu meinen Lieblingen, Wildtödter; und ich glaube fast, wenn die Wahrheit bekannt, und sein Geschwätz über mich wiederholt würde, es würde sich zeigen, daß er nicht besser von mir denkt, als ich allerdings von ihm.«

Die letzten Worte wurden nicht ohne einige Unbehaglichkeit ausgesprochen. Wäre der Gesellschafter des Mädchens schlauer gewesen, so hätte er wohl das abgewendete Gesicht bemerkt, die Art, wie das hübsche Füßchen sich hin- und herbewegte, und noch andre Anzeichen davon, daß aus irgend einem unerklärten Grunde die gute oder schlimme Meinung March’s ihr nicht so ganz gleichgültig war, als sie zu behaupten für gut fand. Ob dieß nun nichts weiter war, als eine gewöhnliche Folge weiblicher Eitelkeit – eines Gefühls, das auch dann noch lebendig und empfindlich ist, wenn jeder Schein der Empfindlichkeit vermieden werden will, ober ob es hervorging aus jenem tiefliegenden Bewußtseyn von Recht und Unrecht, das Gott selbst in unsere Brust gepflanzt, damit wir Gutes und Böses unterscheiden, wird dem Leser im Verlauf unsrer Erzählung deutlicher werden. Wildtödter empfand einige Verlegenheit. Er erinnerte sich wohl der grausamen Anschuldigungen aus dem Munde des mißtrauischen March, und während er der Bewerbung seines Genossen keine Hindernisse in den Weg legen wollte durch Erregung bitterer Gefühle gegen ihn, war seine Zunge im buchstäblichen Sinn eine solche, die nichts von Lug und Falsch wußte. Antworten, ohne mehr oder weniger zu sagen, als er wünschte, war daher eine delikate Sache.

»March spricht auf seine Art von allen Dingen in der Welt, von Freund und Feind,« versetzte langsam und vorsichtig der Jäger. »Er ist Einer von den Menschen, die sprechen wie sie empfinden, so lang die Zunge eben im Gang ist, und das ist manchmal anders, als sie sprechen würden, wenn sie sich Zeit zum Ueberlegen nähmen. Da lob‘ ich mir einen Delawaren, Judith; der denkt über seine Ideen nach und wiederkäut sie! Feindschaft hat sie nachdenklich gemacht, und eine lose Zunge ist keine Empfehlung bei ihren Berathungsfeuern.«

»Ich glaube fast, March’s Zunge läuft frei genug, wenn sie auf Judith Hutter und ihre Schwester zu reden kommt,« sagte das Mädchen, aufstehend, wie in verachtender Gleichgültigkeit. »Der gute Name junger Frauenspersonen ist gar ein angenehmer Gegenstand für Manche, die den Mund nicht so weit aufzuthun wagen würden, wenn ein Bruder um den Weg wäre. Meister March mag es lustig finden, uns zu verschwätzen; aber früher oder später wird er es bereuen!«

»Nein, Judith, das heißt die Sache zu ernst nehmen. Hurry hat nie auch nur das leiseste Wort geredet gegen den guten Namen Hetty’s, um den Anfang zu machen mit –«

»Ich sehe wie es ist – ich sehe wie es ist« – unterbrach ihn Judith heftig. »Ich allein bin es, die er mit seiner giftigen Zunge zu brandmarken beliebt! – Hetty, wahrhaftig! – die arme Hetty!« fuhr sie fort, und ihre Stimme sank zu einem leisen, dumpfen Ton herab, der beinahe in ihrem Munde zu erstarren schien – »sie steht außer und über dem Bereich seiner verläumderischen Bosheit! die arme Hetty! Wenn Gott sie schwachsinnig geschaffen hat, so liegt die Schwäche ganz auf der Seite der Irrthümer, von welchen sie gar nichts zu wissen scheint. Die Erde trug nie ein reineres Wesen, als Hetty Hutter, Wildtödter!«

»Ich kann es glauben, – ja, ich kann das glauben, Judith, und ich hoffe, dasselbe kann auch gesagt werden von ihrer schönen Schwester.«

Es lag eine ansprechende und gutherzige Aufrichtigkeit in Wildtödters Ton, welche die Seele des Mädchens rührte; auch schwächte die Anspielung auf ihre Schönheit die Wirkung davon nicht bei ihr, welche die Macht ihrer persönlichen Reize nur zu gut kannte. Dennoch ward die leise, dünne Stimme des Gewissens nicht ganz zum Schweigen gebracht, und sie diktirte die Antwort, die sie nach einigem Nachdenken gab:

»Ich glaube, Hurry hat wieder von seinen elenden Anspielungen und Winken gegen die Leute von den Garnisonen fallen lassen,« sagte sie. »Er weiß, es sind Gentlemen, und kann nie Einem verzeihen, daß er ist, was er selbst, wie er wohl fühlt, nie werden kann.«

»Nicht in der Bedeutung eines Officiers des Königs, Judith, allerdings, denn dazu hat March gar keine Lust, aber in der wirklichen Bedeutung des Wortes – warum sollte nicht ein Biberjäger so achtbar seyn, als ein Gouverneur? Da Ihr selbst davon anfangt, so will ich nicht läugnen, daß er darüber klagte, daß ein Mädchen von Eurem bescheidenen Stande so viel in Gesellschaft von Scharlachröcken und seidenen Schärpen lebe. Aber es war Eifersucht, die da aus ihm sprach, und ich glaube, daß er über seine eignen Gedanken trauerte, wie eine Mutter trauern würde um ihr Kind.«

Vielleicht war sich Wildtödter nicht des ganzen, vollen Sinnes bewußt, den seine ernste Rede in sich schloß. Gewiß ist, daß er die Röthe nicht sah, welche Judiths ganzes schönes Antlitz flammend überzog, noch auch die unbezwingliche Bestürzung und Beängstigung, welche unmittelbar darauf die Röthe in Todesblässe verwandelte. Ein paar Minuten verstrichen in tiefer Stille; das Plätschern des Wassers schien gänzlich alle Zugänge des Ohres eingenommen zu haben, und dann stand Judith auf, und faßte die Hand des Jägers beinahe krampfhaft mit einer der ihrigen.

»Wildtödter,« sagte sie hastig, »ich bin froh, daß das Eis zwischen uns gebrochen ist. Man sagt, plötzliche Freundschaften führen zu langen Feindschaften; aber ich glaube nicht, daß es bei uns so gehen wird. Ich weiß nicht, wie es kommt – aber Ihr seyd der erste Mann, den ich kennen gelernt, der nicht beflissen scheint zu schmeicheln – nicht mein Verderben zu wünschen – kein Feind in einer Maske zu seyn scheint; – laßt es gut seyn; sagt Hurry nichts davon, und ein andermal wollen wir wieder mit einander sprechen.«

Dann ließ das Mädchen seine Hand fahren, verschwand in dem Hause, und ließ den erstaunten und verblüfften jungen Mann allein, der so bewegungslos an dem Steuerruder stand, wie eine der Tannen auf den Bergen. So sehr hatte er sich in seinen Gedanken vertieft und verloren, daß ihm Hutter zurufen mußte, er solle der Fähre die rechte Richtung geben, ehe er sich seiner gegenwärtigen Lage wieder bewußt wurde.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

So sprach der abgefallne Engel, Pein
Litt er, und prahlte laut doch, aber tief
In seinem Innern foltert‘ ihn Verzweiflung.
Milton.

Bald nach Judiths Entfernung erhob sich ein leiser Südwind, und Hutter zog ein großes Raasegel auf, das einst das flatternde Topsegel an einer Sloop von Albany gewesen, aber, mürbe geworden im Auffangen der Winde von Tappan, ausgemustert und verkauft worden war. Es hatte eine leichte, zähe Tamarindenstange, die er im geeigneten Falle aufrichten konnte, und mit geringer Arbeit ward sein Segel in ziemlich kunstgerechter Weise ausgebreitet und schwoll vom Winde. Die Wirkung auf die Bewegung der Arche war von der Art, daß das Rudern nunmehr entbehrlich wurde; und nach etwa zwei Stunden sah man das Castell in der Finsterniß aus dem Wasser emporragen, in einer Entfernung von etwa hundert Schritten. Jetzt ward das Segel herabgelassen, und langsam schwamm die Fähre dem Bau zu und ward angebunden.

Niemand hatte das Haus besucht, seit Hurry und sein Begleiter es verlassen. Man traf Alles in der Ruhe und Stille der Mitternacht, eine Art Typus von der Einsamkeit einer Wildniß. Da man Feinde in der Nähe wußte, wies Hutter seine Töchter an, sich keiner Lichter zu bedienen: diesen Luxusartikel versagten sie sich meist während der warmen Monate, damit sie nicht als Leuchtfeuer ihren Feinden ihren Aufenthaltsort verriethen.

»Bei klarem Tageslicht würde ich ein Heer von Wilden nicht fürchten hinter diesen stämmigen Blöcken, wenn sie kein Schutzmittel hätten, sich dahinter zu verkriechen,« setzte Hutter hinzu, nachdem er seinen Gästen die Gründe auseinandergesetzt, warum er den Gebrauch von Lichtern verbot; »denn ich habe drei oder vier zuverlässige Gewehre jederzeit geladen, und Killdeer namentlich ist eines, das nie versagt. Aber bei Nacht ist es eine andre Sache. Ein Canoe könnte im Dunkel ungesehen uns auf den Leib rücken; und die Wilden haben so viele Listen und Kniffe bei ihren Angriffen, daß ich es für schlimm genug halte, wenn ich auch beim hellsten Sonnenschein mit ihnen zu thun bekomme. Ich habe dieß Haus gebaut, um sie mir in einiger Entfernung vom Leibe zu halten, im Fall es je wieder zu Schlägen käme. Manche meinen, es sey zu offen und ausgesetzt, aber ich bin dafür, fern vom Gebüsch und Dickicht zu ankern, weil ich dieß für die sicherste Art halte.«

»Ihr seyd einst Matrose gewesen, sagt man mir, alter Tom?« sagte Hurry in seiner raschen Art, da ihm einige Ausdrücke des Andern aufgefallen waren, »und manche Leute glauben, Ihr könntet merkwürdige Dinge erzählen von Feinden und Schiffbrüchen, wenn Ihr mit Allem herausrücken wolltet, was Ihr wißt.«

»Es gibt Leute in dieser Welt, Hurry,« erwiederte der Andre ausweichend, »welche von andrer Menschen Gedanken leben; und dergleichen finden oft auch ihren Weg in die Wälder. Was ich in meiner Jugend gewesen bin, oder was ich gesehen habe, das ist jetzt weniger wichtig, als was die Wilden sind. Es ist von größerer Bedeutung, herauszubringen, was in den nächsten vier und zwanzig Stunden sich ereignen wird, als von dem zu plaudern, was sich vor vierundzwanzig Jahren begeben hat.«

»Das heißt Urtheil, Wildtödter; ja, das heißt gesundes Urtheil! da sind Judith und Hetty, für welche zu sorgen ist, zu schweigen von unsern eignen Kopfschleifen; und was mich betrifft, ich kann so gut im Dunkeln schlafen, als ich es könnte bei der hellsten Mittagssonne. Mir macht es wenig aus, ob Licht da ist oder nicht, und ob ich es sehe, wenn ich meine Augen schließe.«

Da Wildtödter es selten nöthig fand, auf seines Begleiters eigenthümliche humoristische Aeußerungen zu antworten, und Hutter sichtlich abgeneigt war, weiter über die Sache zu sprechen, hatte die Erörterung mit dieser Bemerkung ein Ende. Hutter hatte aber noch etwas mehr, als nur Erinnerungen auf dem Herzen. Sobald seine Töchter sie verlassen hatten, in der ausgesprochenen Absicht, sich zur Ruhe zu begeben, lud er seine beiden Genossen ein, ihm wieder auf die Arche zu folgen. Hier eröffnete ihnen der alte Mann seinen Plan, verschwieg aber den Theil davon noch, dessen Ausführung er sich selbst und Hurry vorbehalten hatte.

»Das Hauptabsehen von Leuten in unsrer Lage ist, Herrn des Wassers zu seyn,« begann er. »So lange kein anderes Fahrzeug auf dem See ist, ist ein Canoe von Borke so gut als ein Linienschiff; denn mit Schwimmen kann das Castell nicht wohl weggenommen werden. Nun sind nur noch fünf Canoe’s in dieser Gegend, von welchen zwei mir gehören und eines Hurry. Diese drei haben wir hier bei uns; eines in dem Canoe-Dock unter dem Hause befestigt, die beiden andern an der Fähre. Die andern Canoes sind am Land in hohlen Baumstämmen versteckt; und die Wilden, die so giftige Feinde sind, werden am nächsten Morgen keinen Ort, der irgend Etwas verspricht, ununtersucht lassen, wenn es ihnen ernstlich um die ausgesetzten Preise zu thun ist –«

»Ha, Freund Hutter,« unterbrach ihn Hurry, »der Indianer lebt nicht auf Erden, der im Stand ist, ein gehörig verstecktes Canoe aufzufinden. Ich habe früher schon Etwas in dieser Art von Handel geleistet, und Wildtödter weiß hier es, daß ich im Stand bin, ein Fahrzeug so zu verstecken, daß ich es selbst nicht mehr finden kann.«

»Sehr wahr, Hurry,« versetzte der zum Zeugniß Aufgerufene; »aber Ihr überseht den Umstand, daß, wenn auch Ihr die Spur des Mannes nicht entdecken konntet, der seine Sache so gut gemacht, dieß doch mir gelang. Ich bin der Ansicht, Meister Hutter, daß es viel klüger ist, der Einfalt und Aufrichtigkeit eines Wilden zu mißtrauen, als große Hoffnungen zu bauen auf seinen Mangel an Scharfblick. Wenn daher die beiden Canoes in das Castell gebracht werden können, so ist es um so besser, je eher es geschieht.«

»Wollt Ihr dabei seyn, wenn es aufgeführt wird?« fragte Hutter in einem Tone, welcher zeigte, daß der Vorschlag ihn ebenso überraschte als er ihm gefiel.

»Gewiß. Ich bin bereit, an jeder Unternehmung Theil zu nehmen, sofern sie nicht eines weißen Mannes rechtmäßigen Gaben zuwiderläuft. Die Natur gebietet uns, unser Leben zu vertheidigen und auch das Leben Andrer, wenn dazu Gelegenheit und Aufforderung vorhanden ist. Ich will Euch, Floating Tom, folgen in das Lager der Mingo bei jedem solchen Zug, und will mich bestreben, meine Pflicht zu thun, sollte es zum Treffen kommen: obwohl ich, da ich nie in einer Schlacht gewesen bin, nicht gern Mehr verspreche, als ich mir zu leisten getraue. Wir wissen Alle, was wir wünschen, aber keiner weiß, was er zu leisten vermag, als bis er die Probe bestanden.«

»Das ist bescheiden und vernünftig gesprochen, Junge!« rief Hurry. »Ihr habt noch nie den Knall einer feindlichgezielten Büchse gehört, und laßt mich Euch versichern, er ist so verschieden von den überredenden Tönen bei Euern Wildpretreden, wie das Lachen von Judith Hutter in ihrer besten Laune von dem Schelten einer holländischen Haushälterin am Mohawk. Ich erwarte nicht, daß Ihr ein ausgezeichneter Krieger werden werdet, Wildtödter, obgleich es nicht Eures Gleichen in diesen Gegenden gibt, was die Jagd auf Hirsche und Rehe betrifft. Aber im wirklichen Dienst, da werdet Ihr etwas weiter hinten zu stehen kommen, nach meiner Meinung.«

»Wir wollen sehen. Hurry, wir wollen sehen,« erwiederte der Andre sanft, und ganz und gar nicht, so viel ein menschliches Auge bemerken konnte, verletzt und irre gemacht durch die so eben ausgedrückten Zweifel hinsichtlich seiner Tüchtigkeit in einem Punkte, wo die Männer sonst sehr empfindlich sind, und zwar oft genau in dem Maß, als sie sich ihrer Schwächen bewußt sind; »da ich noch nie eine Probe bestanden, will ich diese abwarten, ehe ich mir selbst eine Meinung bilde; und dann hat man Gewißheit, statt unbestimmter Vermuthungen. Ich habe von Solchen gehört, die vor der Schlacht herzhaft waren und darin wenig leisteten; und auch von Solchen, die zuwarteten, um ihren Muth kennen zu lernen, und die bei der Probe fanden, daß sie nicht so übel waren, als Manche erwarteten.«

»In jedem Fall wissen wir, daß Ihr ein Ruder zu handhaben versteht, junger Mann,« sagte Hutter, »und das ist Alles, was wir heute Nacht von Euch verlangen. Laßt uns keine Zeit mehr verlieren, sondern in das Canoe treten und handeln, statt zu schwatzen.«

Hutter ging nun rasch daran, seinen Plan auszuführen, und bald war das Boot bereit, und Hurry und Wildtödter an den Rudern. Ehe jedoch der alte Mann selbst sich einschiffte, hielt er eine Besprechung von einigen Minuten mit Judith, zu welchem Behuf er in das Haus ging; dann zurückgekehrt, nahm er seinen Platz in dem Canoe ein, das im nächsten Augenblick von der Arche abstieß.

Wäre in der einsamen Wildniß ein Gott errichteter Tempel gewesen, so hätte seine Uhr die Mitternachtsstunde geschlagen, als die kleine Gesellschaft ihren Zug antrat. Das Dunkel hatte zugenommen, obwohl die Nacht noch klar war, und das Licht der Sterne reichte hin für alle Absichten der Abenteurer, Hutter allein wußte die Orte, wo die zwei Canoes versteckt waren, und er lenkte die Richtung des Bootes, während seine beiden athletischen Genossen ihre Ruderschaufeln mit gehöriger Vorsicht eintauchten und emporhoben, damit nicht die dadurch verursachten Laute in der Stille der tiefen Nacht über den friedlichen Wasserspiegel hin das Ohr ihrer Feinde erreichten. Aber die Barke war so leicht, daß keine außerordentlichen Anstrengungen nöthig waren, und da Geschicklichkeit die Stelle des Kraftaufwands vertrat, näherten sie sich, nach einer halben Stunde etwa, der Küste auf einem vorspringenden Punkte, beinahe eine Stunde von dem Castell entfernt.

»Laßt Eure Ruder ruhen, Freunde,« sagte Hutter mit leiser Stimme, »und sehen wir uns einen Augenblick um. Wir müssen jetzt ganz Aug und Ohr seyn, denn diese Schlangen haben Nasen wie Bluthunde.«

Die Ufer des See’s wurden genau geprüft, um irgend einen Funken Licht zu entdecken, der etwa in einem Lager möchte zurückgeblieben seyn; und die Männer strengten ihre Augen in der Dunkelheit an, um zu sehen, ob nicht vielleicht eine Zeile Rauch am Berg hinziehe, aus der ersterbenden Asche eines Feuers emporsteigend. Nichts Ungewöhnliches war zu erspähen, und da der Platz in einiger Entfernung von dem Ausfluß des See’s oder dem Orte war, wo sie auf die Wilden gestoßen, hielt man für gefahrlos, zu landen. Die Ruder wurden wieder in Bewegung gesetzt, und der Bug des Canoe’s schob sich auf dem kiesigen Ufer mit leiser Bewegung und einem kaum hörbaren Geräusch vor. Hutter und Hurry sprangen ohne Verzug ans Land, der Erstere seine und seines Begleiters Büchse tragend, und ließen Wildtödter zur Bewachung des Canoe’s zurück. Der hohle Baumstamm lag eine kleine Strecke entfernt bergaufwärts; der Alte ging dahin voran, mit solcher Vorsicht, daß er alle drei oder vier Schritte stehen blieb, um zu horchen, ob nicht ein Schritt die Nähe eines Feindes verrathe. Aber die gleiche todtenähnliche Stille herrschte in der ganzen mitternächtlichen Scene, und der gesuchte Platz ward ohne einen beunruhigenden Vorfall erreicht.

»Hier ist es,« flüsterte Hutter, den Fuß auf einen umgestürzten Lindenstamm setzend; »reicht mir zuerst die Ruder, und zieht dann das Boot vorsichtig heraus, denn die Elenden haben es am Ende doch vielleicht nur als Köder da gelassen,«

»Haltet mir meine Büchse bereit, den Kolben gegen mich gekehrt, alter Gesell,« antwortete March, »Wenn sie mich unter meiner Bürde angreifen, so will ich doch wenigstens das Gewehr auf sie abfeuern – und untersucht, ob Pulver auf der Pfanne ist.

»Alles ist in Ordnung,« murmelte der Andere; »geht nur langsam, wenn Ihr Eure Last aufgepackt habt, und laßt mich vorangehen.«

Das Canoe ward mit der äußersten Behutsamkeit aus dem Stamm hervorgezogen, von Hurry auf die Schulter geladen, und Beide traten ihren Rückweg an das Ufer an, nur Schritt für Schritt gehend, um nicht den steilen Abhang hinunter zu straucheln. Die Entfernung war nicht groß, aber der Weg abwärts äußerst schwierig, und gegen das Ende ihres kleinen Marsches mußte Wildtödter landen und zu ihnen stoßen, um ihnen zu helfen, das Canoe durch das Buschwerk zu schleppen. Mit seinem Beistand ward die Aufgabe glücklich gelöst, und das leichte Fahrzeug schwamm bald neben dem andern Canoe. Sobald dieß geschehen, wandten sich alle drei ängstlich gegen den Wald und den Berg hin, in der Erwartung, einen Feind aus jenem hervorbrechen oder von diesem herabeilen zu sehen. Aber die Stille wurde nicht unterbrochen, und Alle schifften sich mit derselben Vorsicht ein, mit welcher sie gelandet hatten.

Jetzt steuerte Hutter gerade auf die Mitte des See’s zu. Nachdem er eine hinreichende Strecke vom Ufer entfernt war, band er seine Beute los und überließ sie frei dem Wasser, wohl wissend, daß sie bei dem leisen Südwind langsam den See hinauf treiben werde, und in der Absicht, bei der Rückkehr sie wieder zu treffen. So seines Taues entledigt, fuhr der Alte den See hinab und steuerte dem vorspringenden Punkt zu, wo Hurry seinen vergeblichen Versuch gegen das Leben des Hirsches gemacht hatte. Da die Entfernung dieses Punktes bis zu der Ausströmung weniger als eine Meile betrug, hieß dieß gleichsam, das Land des Feindes betreten; und verdoppelte Vorsicht wurde nothwendig. Sie erreichten indessen die äußerste Spitze, und landeten ungestört auf dem schon erwähnten kleinen Kiesplatz am Ufer. Ganz anders als an dem Ort, wo sie zuvor gelandet, war hier keine Anhöhe zu erklimmen; die Berge waren in der Dunkelheit erst in der Entfernung einer vollen Viertelmeile weiter westlich sichtbar und ließen zwischen sich und dem Strand einen Strich ebenen Grundes frei. Der vorlaufende Punkt selbst, obgleich lang und mit hohen Bäumen bedeckt, war beinahe flach und hatte eine Strecke weit eine Breite von nur wenigen Schritten; Hutter und Hurry landeten wie zuvor, und ließen wieder ihren Begleiter zur Bewachung des Bootes zurück.

Hier lag der abgestorbne Baum, in dem das Canoe versteckt war, das sie zu suchen kamen, etwa halbwegs zwischen dem äußersten Ende der schmalen Landzunge und dem Punkt, wo sie an die eigentliche Küste sich anschloß; und der Alte, der sich hier das Wasser links so nahe wußte, schlug den Weg auf der östlichen Seite des Landstreifens mit ziemlicher Zuversicht ein, und schritt keck, obwohl mit Vorsicht dahin. Er hatte absichtlich an der Landzunge angelegt, um einen Blick in die Bucht werfen und sich versichern zu können, daß die Küste frei sey, sonst würde er gerade dem hohlen Baum gegenüber gelandet haben. Diesen zu finden hatte keine Schwierigkeit; das Canoe wurde herausgezogen, wie zuvor, und statt es dahin zu schleppen, wo Wildtödter mit dem Boote sich befand, wurde es am ersten günstigen Platz ins Wasser gelassen. Sobald es darin war, trat Hurry hinein, und ruderte zu der Spitze der Landzunge, wohin auch Hutter auf dem kiesigen Uferweg sich begab. Nachdem jetzt die drei Männer alle Boote des See’s in ihrem Besitz hatten, war ihre Zuversicht nicht wenig erhöht, und es war jetzt nicht mehr die vorige fieberhafte Ungeduld, die Küste zu verlassen, noch dieselbe Nothwendigkeit äußerster Vorsicht vorhanden. Ihre Lage am äußersten Ende der langen, schmalen Landzunge vermehrte noch ihr Gefühl von Sicherheit, da sie einem Feind nur in Einer Richtung sich ihnen zu nähern gestattete, von vorn nämlich und unter Umständen, die ihnen, bei ihrer gewohnten Wachsamkeit, die Wahrnehmung seiner Annäherung beinahe mit Gewißheit verbürgten. Jetzt traten alle drei miteinander ans Land und standen in berathender Gruppe auf dem Kiesplatz der Landspitze.

»Wir haben die Kerls hübsch aufs Trockne gesetzt!« sagte Hurry, vor Freude über den gelungenen Anschlag lachend; »wenn sie einen Besuch auf dem Castell machen wollen, mögen sie waten oder schwimmen! Alter Tom, diese Eure Idee, einen Versteck draußen auf dem See anzulegen, ist extrafein und von erster Sorte. Es gibt Leute, die das Land für sichrer halten würden als das Wasser; aber am Ende zeigt die Vernunft, daß dem nicht so ist; denn der Biber, und die Ratten, und andre kluge Creaturen halten sich ans letztere, wenn sie hart gedrängt sind. Ich nenne jetzt unsre Stellung eine wohl verschanzte und biete den Canada’s Trotz!«

»Laßt uns an dieser Südküste hinrudern,« sagte Hutter, »und sehen, ob keine Spur eines Lagers sich zeigt, – aber zuerst laßt mich noch einen genauern Blick in die Bai werfen, denn Keiner von uns ist noch weit genug auf der innern Seite der Landzunge vorgedrungen, um hinlänglich beruhigt zu seyn von dieser Seite her.«

Nachdem Hutter dieß gesagt, schritten alle drei in der von ihm bezeichneten Richtung vor. Kaum waren sie bis zu dem Punkte gekommen, wo sich die Bai recht ihrem Blick eröffnete, als ihr gleichzeitiges, stutzendes Haltmachen zeigte, daß ihre Blicke in demselben Moment auf Einen und denselben Gegenstand gefallen waren. Dieß war nichts weiter, als ein erlöschender Feuerbrand mit seinem hin und her zuckenden, ausgehenden Licht; aber zu dieser Stunde und an diesem Ort war er dem Auge so auffallend, wie »eine gute That in einer häßlichen Welt.« Es war nicht der Schatten eines Zweifels daran übrig, daß dieß Feuer bei einem Lager der Indianer war angezündet worden. Die Lage, der Beobachtung von allen Seiten außer von Einer entzogen, und auch von dieser her nur in einer ganz geringen Entfernung sichtbar, zeigte, daß man größere Sorge getragen, einen verborgnen Ort zu wählen, als man ohne besondere Zwecke würde gethan haben, und Hutter, der wußte, daß eine Quelle, sowie einer der günstigsten Fischplätze des See’s in der Nähe war, vermuthete sogleich, daß dieß Lager wohl die Weiber und Kinder der Truppe enthalten werde.

»Das ist kein Krieger-Lager,« brummte er Hurry zu; »und es schläft da gute Beute genug um das Feuer herum, so daß wir eine tüchtige Theilung von Kopfgeld werden zu machen haben. Schickt den Jungen zu den Canoe’s, denn hier nützt er uns nichts, bei einem solchen Unternehmen, und greifen wir sofort die Sache tüchtig an, als Männer.«

»Es ist Einsicht in Euern Gedanken, alter Tom, und sie gefallen mir durch und durch. Wildtödter, geht Ihr an das Canoe zurück. Junge, und rudert in den See hinaus mit dem kleinen, und laßt es frei treiben, wie wir mit dem andern gethan; dann könnt Ihr an die Küste hinrudern, so nah Ihr dem Anfang der Bai zu kommen vermögt, jedoch außerhalb der Landzunge und auch außerhalb der Gebüsche. Ihr könnt uns hören, wenn wir Eurer bedürfen; und wenn ein Verzug eintritt, so will ich schreien, wie eine Lomme; – da, das ist gut – das Schreien einer Lomme soll das Signal seyn. Wenn Ihr Büchsen knallen hört, und daß es so kriegerisch hergeht, nun dann könnt Ihr herbeikommen, und sehen, ob Ihr mit den Wilden auch so fertig werdet, wie mit dem Wild.«

»Wenn man meinen Wünschen folgen wollte, so unterbliebe diese Sache, Hurry –«

»Ganz wahr – Niemand läugnet das, Junge; aber Euren Wünschen kann man nicht folgen; und damit ist die Sache aus. So rudert Euch denn nur mitten in den See hinaus, und bis Ihr zurückkommt, wird es in diesem Lager lebhaft werden!« Der junge Mann schickte sich mit großem Widerstreben und mit schwerem Herzen an, zu gehorchen. Er kannte jedoch die Vorurtheile der Grenzmänner zu gut, um Gegenvorstellungen zu versuchen. Unter den gegenwärtigen Umständen konnte dieß allerdings gefährlich werden, wie es ganz gewiß nutzlos war. Er ruderte daher das Canoe still und mit der Vorsicht wie früher, nach einem Punkt nahe der Mitte des friedlichen Wasserspiegels, und ließ dann das so eben wieder erlangte Boot in dem leisen Südwind gegen das Castell hin treiben. Zu diesem Verfahren hatte man sich in beiden Fällen entschlossen, in der sichern Voraussetzung, daß die leichten Barken nicht mehr als eine oder zwei Stunden weit treiben würden vor Anbruch des Tages, wo man sie dann leicht wieder würde einholen können. Um zu verhüten, daß nicht ein herumschweifender Wilder sich ihrer bediene, der sich durch Schwimmen in Besitz setzte, ein möglicher, aber kaum zu vermutender Fall – hatte man alle Ruder zurückbehalten.

Sobald Wildtödter das wiedererlangte Canoe auf dem See hatte forttreiben lassen, richtete er den Bug des seinigen nach dem Punkt der Küste zurück, welchen ihm Hurry bezeichnet hatte. So leicht war die Bewegung des kleinen Fahrzeugs, und so stetig der Arm des es in Bewegung setzenden Fährmanns, daß kaum zehn Minuten verfloßen, bis es sich wieder dem Lande näherte, und in dieser kurzen Zeit hatte es eine Entfernung von einer vollen halben Meile zurückgelegt. Sobald Wildtödter’s Auge der Büsche ansichtig wurde, von denen manche wohl hundert Fuß weit von der Küste in’s Wasser hinausreichten, hemmte er die Bewegung des Canoe’s und ließ sein Boot ankern, indem er den dünnen aber zähen Stamm eines der herabhängenden Schilfbüsche mit fester Hand packte. So blieb er, mit einer Spannung, die man sich leicht vorstellen kann, das Ergebniß gewagten Unternehmens abwartend.

Es wäre schwer, dem Geist derjenigen, welche nicht selbst die Erfahrung gemacht haben, einen Begriff zu geben von der Erhabenheit der Stille in einer so tiefen Einsamkeit, wie jetzt über dem Glimmerglas herrschte. Im jetzigen Augenblick ward diese Erhabenheit noch gesteigert durch das Düster der Nacht, die ihre schattenhaften, phantastischen Formen ringsumher auf See, Wald und Berge warf. Es läßt sich in der That nicht leicht ein Ort denken, der geeigneter wäre, diese natürlichen Eindrücke zu erhöhen, als eben der war, wo sich Wildtödter jetzt befand. Der Umfang des See’s faßte Alles im Bereich der menschlichen Sinne zusammen, während er zugleich auf Einem Punkte so viel Imposantes von der umgebenden Scene enthüllte, daß jeder Blick genügte, die tiefsten Eindrücke der Seele zuzuführen. Wie schon gesagt, war dieß der erste See, den Wildtödter sah. Bisher hatte sich seine Erfahrung beschränkt auf den Lauf von Flüssen und kleinen Strömen, und noch nie zuvor hatte er eine solche Fülle der ihm so werthen Wildniß vor seinen Augen ausgebreitet gesehen. Gewöhnt jedoch an den Wald, war seine Seele im Stande, sich alle seine verborgenen Heimlichkeiten auszumalen, indem er seinen Blick auf dessen äußere Laubhülle richtete. Es war dieß auch das erstemal, daß er sich auf einem Streifzug befand, wo Menschenleben von dem Ausgang abhingen. Sein Ohr hatte sich oft berauscht in den Ueberlieferungen von Kriegführung der Grenzmänner, aber noch nie war er einem Feinde Stirn gegen Stirn gegenübergestanden.

Der Leser wird daher leicht begreifen, wie gespannt die Erwartung des jungen Mannes seyn mußte, als er in seinem einsamen Canoe dasaß, bestrebt, den geringsten Laut zu erlauschen, der den Verlauf der Dinge am Ufer andeuten möchte. Seine Bildung in diesem Stück war, so weit die Theorie reichen konnte, vollendet, und seine Selbstbeherrschung und Fassung, trotz der großen Aufregung, der natürlichen Folge von der Neuheit der Sache für ihn – würde einem Veteranen Ehre gemacht haben. Die sichtbaren Zeugnisse vom Vorhandenseyn des Lagers oder des Feuers waren nicht wahrzunehmen von der Stelle aus, wo das Canoe lag, und er sah sich in die Lage versetzt, einzig auf seinen Gehörsinn sich zu verlassen. Er gab keiner Ungeduld Raum, denn die Lehren, die man ihm eingeschärft, hatten ihn die Tugend der Geduld gelehrt, und ihm besonders die Notwendigkeit der Schlauheit bei irgend einem verdeckten Angriff auf die Indianer eingeprägt. Einmal meinte er das Krachen eines dürren Zweiges zu hören, aber seine Erwartung und Aufmerksamkeit war so lebhaft, daß sie ihn mochte getäuscht haben. In solcher Weise verstrich Minute auf Minute, bis die gesammte Zeit seit seiner Trennung von seinen Begleitern eine volle Stunde betrug. Wildtödter wußte nicht, ob er sich über diese vorsichtige Zögerung freuen oder betrüben sollte, denn wenn sie ihn das Beste für seine Genossen hoffen ließ, so verkündigte sie auch das drohende Verderben der Schwachen und Unschuldigen.

Anderthalb Stunden mochten jetzt seit der Trennung von seinen Gesellen verflossen seyn, als Wildtödter aufmerksam gemacht wurde durch einen Ton, der ihn eben so überraschte, als mit lebhafter Unruhe erfüllte: der zitternde Schrei einer Lomme erhob sich von der gegenüberliegenden Seite des See’s, allem Anschein nach nicht weit entfernt von seiner Ausströmung. Er täuschte sich nicht über die Töne dieses Vogels, die Allen so bekannt sind, welche die verschiedenen Töne in der Nähe der amerikanischen See’n kennen. Schrillend, tremulirend, laut und langgehalten scheinen sie der eigentliche Warnungsruf zu seyn. Man hört sie auch oft bei Nacht – eine Ausnahme von der Weise der meisten gefiederten Bewohner der Wildniß, und ein Umstand, welcher Hurry bewogen, gerade diesen Ruf zum Signal zu wählen. Allerdings hatten die beiden Abenteurer Zeit gehabt, zu Land von dem Punkt, wo sie sich getrennt hatten, bis dahin zu gelangen, woher der Ruf kam, aber doch war es nicht wahrscheinlich, daß sie einen solchen Weg sollten eingeschlagen haben. Wäre das Lager leer gewesen, so hätten sie wohl Wildtödter an die Küste berufen, fanden sich aber Bewohner darin, so ließ sich kein befriedigender Grund denken, warum sie es umgangen haben sollten, um in so großer Entfernung sich wieder einzuschiffen. Gehorchte er dem Signal und ließ sich von dem Landungsplatz weg locken, so konnte das Leben der Männer, die sich auf ihn verließen, darüber verloren gehen; und ließ er den Ruf unbeachtet, in der Annahme, daß er wirklich von einem Vogel herrühre, so konnten die Folgen eben so unglücklich seyn, obwohl aus andern Ursachen. In dieser Ungewißheit wartete er zu, in der sichern Hoffnung, der Ruf, nachgemacht oder natürlich, werde bald wiederholt werden. Auch täuschte er sich nicht. Nur wenige Minuten verstrichen, bis derselbe schrille, warnende Schrei wiederholt wurde, und zwar von derselben Seite des See’s. Dießmal, da er scharf aufmerkte, ließen sich seine Sinne nicht täuschen. Obgleich er oft schon bewundrungswerthe Nachahmungen des Rufs dieses Vogels gehört hatte, und selbst keineswegs Meister der Kunst war, seine Noten nachzuahmen, fühlte er sich doch überzeugt, daß Hurry, dessen Versuchen in dieser Kunst er schon zugehört, nimmermehr der Natur in so völliger Treue nahekommen könnte. Er beschloß daher, auf diesen Schrei nicht zu achten, und zu warten, bis ein minder vollkommner in größerer Nähe ertöne.

Kaum hatte Wildtödter diesen Entschluß gefaßt, als die tiefe Stille der Nacht und Einsamkeit unterbrochen ward durch einen so erschütternden Schrei, daß alle Erinnerungen an den mehr schwermüthigen Ruf der Lomme aus der Seele des Horchenden verdrängt ward. Es war ein Schrei des Entsetzens entweder aus dem Munde eines Weibes oder eines noch jungen Knaben, der noch nicht die männliche Stimme hatte. Dieser Schrei ließ sich nicht mißdeuten. Herzzereißende Angst, wenn nicht zermalmende Todesangst, lag in den Tönen, und der Schrecken oder Schmerz, der sie hervorgerufen, mußte eben so plötzlich als entsetzlich gewesen seyn. Der junge Mann ließ den Schilf fahren, und tauchte sein Ruder in das Wasser; aber was thun? er wußte es nicht; wohin steuern? er wußte es auch nicht. Wenige Augenblicke reichten hin, seiner Unentschiedenheit ein Ende zu machen. Das Brechen von Aesten, das Krachen dürrer Zweige und Fußtritte wurden ganz deutlich hörbar: die Töne schienen sich dem Wasser zu nähern, obwohl in einer Richtung, die sich der Küste schräg näherte, und etwas weiter nördlich als die Stelle, wo Wildtödter zu halten angewiesen worden war. Dieser Spur folgend fuhr der junge Mann mit seinem Canoe dorthin, wenig darum bekümmert, ob und wie er seine Gegenwart verrathe. Er hatte einen Punkt der Küste erreicht, wo das nächste Ufer ziemlich hoch und sehr steil war. Es war unverkennbar, daß Männer durch die Gebüsche und Bäume auf dem Gipfel dieser Uferhöhe, dem Strand zu, hindurch sich schlugen, als ob die Fliehenden einen günstigen Ort zum Herabsteigen suchten. Gerade in diesem Augenblicke blitzten fünf oder sechs Büchsen, und die Berge gegenüber wiederholten in langem, rollendem Echo, wie gewöhnlich, den Knall. Ein paar kreischende Ausrufe, denen ähnlich, wie sie auch den Muthigsten entschlüpfen, wenn sie plötzlich von unerwarteter Gefahr und Noth überrascht werden, folgten; und dann begann wieder das Gewühle in den Gebüschen, wie wenn Mann mit Mann handgemein wäre.

»Glatter Teufel!« brüllte Hurry mit der Wuth getäuschter Erwartung – »seine Haut ist eingeölt! Ich kann ihn nicht packen! Nimm das für deine List!«

Diesen Worten folgte der Fall eines schweren Körpers unter den kleinen Bäumen, welche die Uferhöhe einfaßten, und es kam Wildtödter vor, als habe sein gigantischer Genosse einen Feind in dieser unhöflichen Weise von sich weggeschleudert. Wieder begann die Flucht und die Verfolgung, und dann sah der junge Mann eine menschliche Gestalt die Anhöhe herunter eilen, und einige Schritte weit in’s Wasser sich stürzen. In diesem kritischen Augenblick war das Canoe gerade dem Platz nahe genug, daß dieß Beginnen, das von einem nicht kleinen Geräusch begleitet war, gesehen werden konnte; und Wildtödter, erkennend, daß er hier, wenn immer, seine Genossen in’s Schiff aufnehmen müsse, drängte das Canoe zu ihrer Rettung heran. Er hatte noch nicht zweimal sein Ruder erhoben, als man die Stimme Hurry’s die Luft mit Flüchen und Verwünschungen erfüllen hörte, und er auf dem schmalen Kiesufer niederrollte, im buchstäblichen Sinn von der Last seiner Feinde niedergezogen. Während er, beinahe erstickt von seinen Feinden, am Boden da lag, stieß der athletische Grenzmann seinen Lommenruf aus, in einer Weise, die unter minder furchtbaren Umständen hätte Lachen erregen müssen. Der Mann im Wasser schien plötzlich seine Flucht zu bereuen, und eilte an die Küste, seinem Genossen zu Hülfe, ward aber augenblicklich aufgehalten und übermannt von einem Halbdutzend neuer Verfolger, die so eben von der Uferhöhe herabsprangen.

»Laßt los, ihr bemaltes Wurmgezüchte – laßt los!« schrie Hurry, zu hart gedrängt, um noch besonders wählerisch in seinen Ausdrücken zu seyn; »ist es nicht genug, daß ich geklemmt bin wie ein Sägeklotz, daß Ihr mich auch noch erstickt?«

Diese Rede überzeugte Wildtödter, daß seine Freunde Gefangene waren, und daß landen so viel wäre, als ihr Schicksal theilen. Er hatte sich dem Ufer schon auf hundert Schuhe genähert, als einige zeitgemäße Ruderschläge nicht nur das Canoe in seinem Lauf aufhielten, sondern ihn auch um das Sechs- oder Achtfache von seinen Feinden entfernten. Zum Glück für ihn hatten alle Indianer bei der Verfolgung ihre Büchsen weggeworfen, sonst hätte er diesen Rückzug schwerlich ungefährdet bewerkstelligt; obgleich in der ersten Verwirrung des Handgemenges Keiner das Canoe bemerkt hatte.

»Bleibt weg vom Land, Junge!« schrie Hutter; »die Mädchen haben jetzt nur noch Euch zur Stütze: Ihr werdet all Eure Vorsicht brauchen können, diesen Wilden zu entgehen. Bleibt vom Lande weg, und Gott sey Euch gnädig, so wahr Ihr meinen Kindern beisteht!«

Es war im Ganzen wenig Uebereinstimmung der Gefühle zwischen Hutter und dem jungen Mann; aber die körperliche und Seelen-Pein, womit diese dringenden Worte gerufen wurden, machten für den Augenblick Wildtödter ganz die Fehler von jenem vergessen. Er sah nur den Vater in seiner Qual in ihm, und beschloß sofort, die Versicherung der Treue gegen seine Interessen zu geben, und sein Wort ehrlich zu halten.

»Beruhigt Euer Herz, Meister Hutter!« rief er; »für die Mädchen soll Sorge getragen werden, so wie für das Castell. Der Feind hat die Küste in Besitz genommen. Das kann man nicht leugnen, aber nicht das Wasser. Die Vorsehung hat Alles in ihrer Obhut, und Niemand kann sagen, was das Ende seyn wird, aber wenn guter Wille Euch und den Eurigen dienen kann, so verlaßt Euch darauf. Meine Erfahrung ist klein, aber mein Wille ist gut.«

»Ja, ja, Wildtödter,« rief Hurry zurück mit seiner Stentorstimme, die aber doch Etwas von ihrer Herzhaftigkeit verloren hatte.– »Ja, ja, Wildtödter, Ihr meint es gut in Allem, aber was könnt Ihr thun? Ihr seyd nichts Besonderes in den besten Zeiten, und eine solche Person wird schwerlich ein Wunderthäter in den schlimmsten Zeiten! Für Einen Wilden an der Küste dieses See’s sind hier ihrer vierzig, und das ist eine Armee, die zu überwältigen Ihr nicht der Mann seyd. Das Beste, nach meinem Urtheil, wird seyn, wenn Ihr Euch geraden Weges nach dem Castell aufmacht; nehmt die Mädchen mit einigen Nahrungsmitteln in das Canoe; dann fahret nach der Seite des See’s, wo wir her kamen, und schlagt den nächsten Weg nach dem Mohawk ein. Diese Teufel werden in den nächsten paar Stunden nicht wissen, wo Euch aufsuchen, und wenn sie’s auch wüßten, und Euch hitzig nachsetzten, müßten sie entweder oben oder unten um den See herum, Euch einzuholen. Das ist meine Ansicht in der Sache; und wenn der alte Tom da seinen letzten Willen und Testament zu Gunsten seiner Töchter zu machen Lust hat, so wird er dasselbe sagen.«

»Es wird Nichts helfen, junger Mann,« begann Hutter. – »Der Feind hat in diesem Augenblick schon Späher ausgesandt, die nach Canoe’s suchen, und man wird Euch sehen und einholen. Vertraut auf das Castell; und vor Allem, bleibt vom Lande weg. Haltet Euch eine Woche, so werden schon Truppen aus den Garnisonen die Wilden vertreiben.«

»Es wird nicht vierundzwanzig Stunden anstehen, alter Gesell, bis diese Füchse auf Flößen aufs Wasser gehen, Euer Castell zu stürmen,« unterbrach ihn Hurry mit lebhafterer Streitlust, als man bei einem Manne hätte erwarten sollen, der gebunden und ein Gefangner war, und an dem man Nichts frei nennen konnte, als seine Meinung und seine Zunge. »Euer Rath klingt tüchtig, aber er wird ein übles Ende haben. Wäret Ihr oder wäre ich in dem Hause, so könnten wir wohl einige Tage uns halten; aber bedenkt, daß dieser Junge vor dieser Nacht noch nie einen Feind gesehen, und das hat, was Ihr selbst ein Ansiedler-Gewissen nennt; obwohl ich für meinen Theil glaube, daß die Gewissen in den Ansiedlungen so ziemlich dieselben sind, wie die hier in den Wäldern. Diese Wilden machen mir Zeichen, Wildtödter, Euch aufzufordern, daß Ihr mit dem Canoe landet; aber das werde ich nimmermehr thun, da es gegen Vernunft und Natur ist. Was den alten Tom und mich betrifft, ob sie uns heute Nacht skalpiren, uns für die Tortur am Feuer aufbewahren, oder uns nach Canada führen werden, das ist Mehr als irgend Jemand weiß, außer dem Teufel, der sie bei ihrem Thun leitet und berathet. Ich habe einen so großen und buschigten Kopf, daß es mir ganz wahrscheinlich ist, sie werden versuchen, zwei Skalpe daraus zu machen, denn der Preis ist eine verführerische Sache, sonst wären der alte Tom und ich nicht in dieser Klemme. Ja – da machen sie immer wieder ihre Zeichen, aber wenn ich Euch rathe, ans Land zu kommen, so mögen sie mich nicht nur rösten, sondern auch fressen. Nein, nein, Wildtödter, bleibt, wo Ihr seyd, und nach Tagesanbruch nähert Euch in keinem Fall über zweihundert Schritte. –«

Dieser Ermahnung Hurry’s ward plötzlich ein Ende gemacht durch einen derben Schlag einer Hand auf seinen Mund – ein zuverlässiger Beweis, daß Einer in der Truppe genug Englisch verstand, um endlich die Absicht seiner Rede zu merken. Unmittelbar darauf verlor sich die ganze Gruppe in dem Wald, und allem Anschein nach sträubten sich Hutter und Hurry nicht gegen ihre Abführung. Eben jedoch, als das Geräusch der knisternden Büsche aufhörte, vernahm man noch einmal die Stimme des Vaters:

»Wie Ihr treu seyd gegen meine Kinder, so helfe Euch Gott, junger Mann!« dieß waren die Worte, welche Wildtödters Ohr erreichten; dann sah er sich ganz allein, und den Eingebungen seiner eignen Klugheit überlassen.

Einige Minuten verstrichen in Todesstille, nachdem die Bande an der Küste in den Wäldern verschwunden war. Vermöge der über zwei hundert Schritte betragenden Entfernung, und der Dunkelheit hatte Wildtödter nur die Gruppe unterscheiden und ihren Rückzug bemerken können; aber selbst diese dämmernde Berührung mit menschlichen Gestalten gab der Scene eine Belebtheit, welche einen starken Kontrast mit der jetzt wieder eintretenden Einsamkeit bildete. Obwohl sich der junge Mann horchend vorbeugte, den Athem anhielt, und alle seine Kräfte in den Einen Sinn des Hörens zu koncentriren sich bestrebte, erreichte doch kein weiterer Laut sein Ohr, der die Nähe menschlicher Wesen verrathen hätte. Es schien, als ob ein nie unterbrochnes Schweigen wieder über der Gegend waltete; und einen Augenblick wäre selbst der durchdringende Schrei, welcher vor Kurzem die Stille des Waldes unterbrochen hatte, oder einer der Flüche March’s, eine Erleichterung gewesen bei dem Gefühl von Verlassenheit, das sich dabei der Seele aufdrängte.

Eine solche körperliche und geistige Lähmung konnte jedoch nicht lange währen bei einem Manne von Wildtödters leiblicher und geistiger Organisation. Sein Ruder ins Wasser senkend, wandte er das Canoe um, und fuhr langsam, wie Einer, der im Gehen denkt, dem Mittelpunkt des See’s zu. Als er glaubte, einen Punkt erreicht zu haben in Einer Linie mit dem, wo er das letzte Canoe hatte hintreiben lassen, änderte er seine Richtung nördlich, und behielt den leichten Luftzug möglichst im Rücken. Nachdem er eine Viertelmeile in dieser Richtung gerudert, wurde ein dunkler Gegenstand auf dem See sichtbar, ein wenig rechts; und zu dem Behufe sich seitwärts haltend, hatte er bald seine verlorene Prise an seinem Boot befestigt. Jetzt untersuchte Wildtödter den Himmel, den Strich des Windes und die Stellung der beiden Canoe’s. Da er Nichts fand, was ihn zur Aenderung seines Plans hätte veranlassen können, legte er sich nieder, und schickte sich an, einige Stunden Schlafs zu genießen, damit ihn der morgende Tag tüchtig zur Erfüllung seiner Obliegenheiten finde.

Obwohl Abhärtung und Ermüdung gesunden Schlaf schaffen auch in der Nähe der Gefahr, dauerte es doch einige Zeit, bis Wildtödter seiner Erinnerungen los und ledig wurde. Sein Geist beschäftigte sich noch mit dem Vorgefallenen, und seine halbbewußten Geisteskräfte gestalteten immerfort die Ereignisse der Nacht zu einer Art von wachem Traum. Plötzlich war er aufgefahren und ganz munter, denn er hatte sich eingebildet, Hurry’s verabredetes Signal zu hören, das ihn ans Ufer rief. Aber Alles war wieder still wie das Grab, die Canoe’s trieben jetzt langsam nordwärts, die ernsten Sterne schimmerten in ihrer milden Glorie über seinem Haupt, und der waldumschlossene Wasserspiegel lag zwischen seinen Bergen gebettet, so friedlich und melancholisch, als ob ihn nie Stürme aufstörten, oder die Mittagssonne beglänzte. Noch einmal erhob die Lomme ihr zitterndes Geschrei, nahe am untern Ende des See’s, und das Geheimniß des beunruhigenden Tones war erklärt. Wildtödter machte sich sein hartes Kissen zurecht, streckte sich auf dem Boden des Canoe’s aus, und schlief.

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Du Gegenbild der wilden Welt, die ich
Bewohnt, o Leman! Deine Wasser schwellen
In süßer Ruh: Zu lauschen mahnt sie mich
Der Erde trübe Fluch für reinre Quellen,
Lautlos entführt der Kahn mich auf dem hellen,
Freundlichen See all meinem Leid! Wohl lang
liebt ich ein tobend Meer; doch deine Wellen,
Sie schmählen sanft, wie Schwesterstimmen Klang,
Daß je so rauhe Lust so mächtig mich bezwang.
Byron.

Der Tag war so ziemlich angebrochen, als der junge Mann, den wir in der im letzten Kapitel geschilderten Lage verließen, die Augen wieder öffnete. Sobald dieß geschehen, sprang er auf und sah sich um mit der Lebhaftigkeit eines Mannes, der plötzlich fühlte, wie wichtig es für ihn sey, sich eine genaue Anschauung von seiner Stellung zu verschaffen. Sein Schlaf war tief und ungestört gewesen; und jetzt wachte er auf mit einer Klarheit des Geistes und einer Entschlossenheit und Energie, die er in diesem Augenblick gerade wohl brauchen konnte. Die Sonne war zwar noch nicht aufgegangen, aber das Gewölbe des Himmels prangte in jener herzerfreuenden sanften Röthe, die ›den Tag anführt und schließt‹, während die ganze Luft erfüllt war von dem Gejauchze der Vögel, den Hymnen des gefiederten Geschlechts. Diese Töne verkündeten Wildtödter zuerst die Gefahren, denen er ausgesetzt war. Die Luft, denn Wind konnte man es kaum nennen, war zwar noch gelind, aber sie war doch im Laufe der Nacht etwas stärker geworden, und da die Canoe’s bloße Federn auf dem Wasser waren, waren sie doppelt so weit fortgetrieben worden, als man berechnet hatte; und was noch gefährlicher, sie hatten sich so sehr dem Fuß des Berges genähert, der hier steil von der östlichen Küste emporstieg, daß das Gejauchze und Schmettern der Vögel ganz deutlich gehört werden konnte. Und dieß war noch nicht das Schlimmste. Das dritte Canoe hatte dieselbe Richtung genommen und trieb langsam einem vorspringenden Punkt zu, wo es unvermeidlich anstoßen mußte, wenn es nicht durch einen entgegengesetzten Windstoß oder durch Menschenhände abgelenkt wurde. Sonst bot sich Nichts dar, was die Aufmerksamkeit anziehen oder Unruhe erwecken konnte. Das Castell stand auf seiner Untiefe, beinahe in gleicher Linie mit den Canoe’s, welche im Verlauf der Nacht Meilen weit waren fortgetrieben worden, und die Arche war an dessen Pfeilern befestigt, gerade wie man beide vor vielen Stunden verlassen hatte.

Natürlich richtete Wildtödter sein Augenmerk zuerst auf das vorangeschwommene Canoe. Es war dem Landvorsprung schon ganz nahe, und ein paar Ruderschläge schon überzeugten ihn, daß es denselben berühren müsse, ehe es ihm möglich wäre, dasselbe einzuholen. Gerade in diesem Augenblicke wehte auch, sehr ungelegen, der Wind frischer, und machte das Weitertreiben des leichten Fahrzeuges rascher und sichrer. Ueberzeugt von der Unmöglichkeit, die Berührung mit dem Lande zu hindern, entschloß sich der junge Mann klüglich, sich nicht durch unnöthige Anstrengungen zu erhitzen; sondern zuerst nach der Pfanne seines Gewehrs sehend, ruderte er dann langsam und vorsichtig auf den Vorsprung zu, und beschrieb absichtlich einen kleinen Bogen, um bei seiner Annäherung nur von Einer Seite her sich auszusetzen.

Das treibende, von keiner solchen intelligenten Kraft gelenkte Canoe verfolgte seinen eignen Weg, und fuhr auf einem kleinen versunkenen Fels drei oder vier Schritte von der Küste auf. Gerade in diesem Augenblicke kam Wildtödter in gleiche Linie mit dem Vorsprung, und wandte den Bug seines eignen Bootes gegen das Land: zuerst machte er sein Tau los, damit seine Bewegungen nicht gehemmt würden. Das Canoe hing einen Augenblick an dem Felsen! dann erhob es sich ein Haarbreit bei einem kaum merklichen Anschwellen des Wassers, drehte sich herum, wurde flott und erreichte den Strand. Alles dieß bemerkte der junge Mann, aber es beschleunigte weder seinen Pulsschlag noch trieb es seine Hand zur Eile. Hätte Jemand verborgen gewartet auf die Ankunft des führerlosen Fahrzeugs, so mußte er gesehen werden, und die äußerste Vorsicht bei der Annäherung ans Ufer war unerläßlich; lag aber Niemand da auf der Lauer, so war Eile überflüssig. Da der Vorsprung dem indianischen Lager beinahe schräg gegenüber lag, hoffte er das Letztere, obgleich das Erste nicht nur möglich, sondern, auch wahrscheinlich war; denn die Wilden waren gar rasch in Ergreifung aller, ihrer eigenthümlichen Weise der Kriegführung angehörigen Maßregeln, und sehr wahrscheinlich waren viele Späher von ihnen auf den Beinen, um die Küste nach Fahrzeugen zu durchsuchen, die sie nach dem Castell bringen könnten. Da ein Blick auf den See von jeder Höhe und jedem Vorsprung aus die kleinsten Gegenstände auf seiner Fläche zeigte, war wenig Hoffnung, daß eines von den Canoe’s ungesehen bleiben würde; und indianischer Scharfsinn brauchte keine Belehrung darüber, in welcher Linie ein Boot oder ein Baumstamm treiben müsse, wenn die Richtung des Windes einmal bekannt war. Je näher Wildtödter dem Lande kam, um so langsamer erfolgten die Schläge seiner Ruderschaufel, um so wachsamer sein Auge, und Ohr und Nase dehnten sich beinahe aus über dem angestrengten Bestreben, irgend eine lauernde Gefahr zu entdecken. Es war ein bedenklicher Augenblick für einen Neuling, auch fehlte die Aufmunterung, welche selbst Furchtsame manchmal finden in dem Bewußtseyn, beobachtet und beurtheilt zu werden. Er war ganz allein, ganz auf seine eigne Kraft und Eingebung angewiesen, von keinem Freundesauge angefeuert, von keinem ermuthigenden Zuruf angespornt. Trotz all diesen Umständen hätte doch der im Grenzmännerkrieg erfahrenste Veteran seine Sache nicht besser machen können. Gleich weit entfernt von Tollkühnheit und Aengstlichkeit bewerkstelligte er sein Vorrücken mit einer Art von philosophischer Klugheit, die ihn über alle andern Motive zu erheben schien, außer denjenigen, die zunächst die Ausführung seines Zweckes betrafen und förderten. Dieß war der Anfang einer Laufbahn des Waldheldenthums, die nachmals diesen Mann, in seiner Art, und innerhalb der Grenzen seiner Lebensart und seiner Thatensphäre so berühmt machte, wie manchen Helden, dessen Name die Blätter von Werken geschmückt hat, berühmter als solche einfache Erzählungen, wie diese je werden können.

Etwa noch hundert Schritte weit vom Ufer entfernt, erhob sich Wildtödter im Canoe, führte drei oder vier kräftige Ruderschläge, welche hinreichten, die Barke vollends ans Land treiben zu machen, legte dann rasch das Schifferinstrument bei Seite, und ergriff das des Krieges. Eben war er im Begriff, seine Büchse aufzuheben, als auf einen starken Knall das Zischen einer Kugel folgte, welche so nahe an ihm vorbeiflog, daß er unwillkührlich zurückfuhr. Im nächsten Augenblick taumelte Wildtödter und fiel seiner ganzen Länge nach auf den Boden des Canoe’s. Ein gellender Ruf – von einer einzelnen Stimme – folgte, und ein Indianer sprang aus dem Gebüsch auf den offenen Platz der Landspitze und dem Canoe zu. Das war der Augenblick, den der junge Mann gewünscht. Er erhob sich augenblicklich und legte seine Büchse auf seinen ungeschützten Feind an; aber sein Finger zögerte, abzudrücken auf einen Menschen, der in solchem Nachtheil ihm gegenüber stand. Dieser kleine Verzug wahrscheinlich rettete dem Indianer das Leben, der so rasch wieder in das Versteck zurück sprang als er herausgestürzt war. Inzwischen hatte sich Wildtödter rasch dem Lande genähert und sein eignes Canoe berührte den Vorsprung gerade in dem Augenblick, wo sein Feind verschwand. Da seine Bewegungen nicht gelenkt wurden, berührte es die Küste einige Schritte entfernt von dem andren Boot; und obgleich sein Feind erst seine Büchse zu laden hatte, hatte er doch keine Zeit, seiner Beute sich zu versichern und sie außer dem Bereich einer Gefahr wegzuführen, ohne sich noch einem Schuß auszusetzen. Unter solchen Umständen daher zögerte er nicht einen Augenblick, sondern stürzte sich in den Wald und suchte sich einen Schirm und Schild.

Gleich auf dem Vorsprung war ein kleiner offner Platz, theils mit Graswuchs bedeckt, theils Uferplatz, aber ein dichter Saum von Gebüschen umzog seine obere Seite. Wenn man an diesem schmalen Streif zwerghafter Vegetation vorüber war, gelangte man sogleich in die hohen, düstern Gewölbe des Waldes. Das Land war einige hundert Fuß weit ziemlich eben und dann stieg es steil bergan. Die Bäume waren hoch, groß und so frei von Unterholz, daß sie gewaltigen unregelmäßig zerstreuten Säulen glichen, die eine Kuppel von Laub trugen. Obwohl sie ziemlich dicht an einander standen für ihr Alter und ihre Größe, konnte doch das Auge in ansehnliche Entfernungen vordringen, und selbst Schaaren von Männern hätten unter ihrem Schutz mit Einsicht und Einverständniß ein Gefecht liefern können.

Wildtödter wußte, daß sein Gegner mit dem Laden beschäftigt seyn mußte, wenn er nicht geflohen war. Jenes war, wie sich zeigte, wirklich der Fall, denn kaum hatte sich der junge Mann hinter einen Baum gestellt, als er des Arms eines Indianers ansichtig ward, dessen Körper hinter einer Eiche sich versteckte, wie er eben die lederumwickelte Kugel in den Lauf stieß. Nichts wäre leichter gewesen, als vorspringen und die Sache entscheiden durch einen Angriff aus der Nähe auf seinen unvorbereiteten Feind; aber jedes Gefühl Wildtödters empörte sich gegen einen solchen Schritt, obgleich eben erst sein Leben durch einen ähnlichen Angriff aus gedecktem Hinterhalt bedroht gewesen war. Er war noch nicht geübt in den mitleidslosen Maßregeln der Kriegführung der Wilden, wovon er wenig wußte außer durch Ueberlieferung und Theorie, und es erschien ihm als ein unwürdiger Vortheil, einen unbewaffneten Feind anzugreifen. Seine Farbe war dunkler geworden, sein Auge sprühte grimmig, sein Mund war zusammengezogen und alle seine Kräfte gesammelt und gespannt; aber statt vorwärts zu gehen und zu feuern, ließ er seine Büchse sinken in der Art, wie ein Waidmann thut, der im Begriff ist, seinen Zielpunkt in’s Auge zu fassen, und murmelte vor sich hin, selbst nicht wissend, daß er sprach:

»Nein, nein – das mag Kriegführung der Rothhäute seyn, aber es ist gegen die Gaben eines Christen. Mag der Elende laden, und dann wollen wir es abmachen wie Männer; denn das Canoe darf er und soll er nicht haben. Nein, nein! Zeit soll er haben zum Laden, und Gott wird sich des Rechts annehmen!«

Während dieser ganzen Zeit war der Indianer so mit sich und seinen Bewegungen beschäftigt, daß er nicht einmal wußte, daß sein Feind im Walde sich befand. Seine einzige Befürchtung war die, das Canoe möchte in Besitz genommen und weggeführt werden, ehe er gefaßt wäre, dieß zu verhindern. Er hatte instinctmäßig den Schutz des Baumes gesucht, befand sich aber nur wenige Schritte von dem Saum von Buschwerk entfernt, und konnte in einem Augenblick am Rande des Waldes seyn, bereit zu feuern. Der Abstand zwischen ihm und seinem Feind betrug etwa fünfzig Schritte und die Bäume waren von der Natur so geordnet, daß der Blick durch kein Hinderniß unterbrochen wurde, außer durch eben die Bäume, hinter welchen die beiden Feinde sich bargen.

Sobald der Wilde seine Büchse geladen, sah er sich um, und schritt vor, unvorsichtig, in Betracht der wirklichen Stellung seines Feindes, aber verstohlen und behutsam in Bezug auf diejenige, worin er denselben fälschlich vermuthete, bis er ganz frei und unbeschützt dastand. Jetzt trat Wildtödter hinter seinem Versteck hervor und rief ihn an.

»Hierher, Rothhaut; hierher, wenn Ihr mich sucht,« rief er ihm zu. »Ich bin jung im Krieg, aber nicht so jung, daß ich auf einen freien, offenen Uferplatz träte, um mich wie eine Eule niederschießen zu lassen am hellen Tage. Es hängt von Euch ab, ob Friede oder Krieg zwischen uns ist; denn meine Gaben sind weiße Gaben, und ich gehöre nicht zu denen, die es für eine Heldenthat halten, menschliche Sterbliche einzeln in den Wäldern zu erschlagen,«

Der Wilde war nicht wenig betroffen bei dieser plötzlichen Entdeckung der Gefahr, worin er schwebte. Er verstand jedoch ein Wenig Englisch, und merkte, wohin ungefähr des Andern Rede zielte. Auch war er zu wohl geübt und geschult, um Schrecken zu verrathen, sondern er ließ den Kolben seiner Büchse auf den Boden sinken und machte, mit einem Wesen, das Zuversicht ausdrückte, eine Geberde stolzer Höflichkeit. Alles das geschah mit der Selbstbeherrschung und Sicherheit eines Mannes, der keinen Menschen als über sich stehend anzuerkennen gewohnt ist. Aber während er seine Rolle mit so vollendeter Kunst spielte, machte doch der in ihm tobende Vulkan seine Augen sprühen und seine Nüstern sich dehnen, wie bei einem wilden Thier, das plötzlich gehindert wird, den todbringenden Sprung auszuführen.

»Zwei Canoe,« sagte er, in den tiefen Gutturaltönen seiner Race, die gleiche Zahl Finger emporhaltend, um Mißverständnisse zu verhüten; »eins für Euch, eins für mich.«

»Nein, nein, Mingo, so geht es nicht. Euch gehört keins; und Ihr sollt auch keines haben, so lang ich es verhindern kann. Ich weiß, es ist Krieg zwischen Eurem Volk und dem meinigen, aber das ist kein Grund, warum menschliche Sterbliche einander umbringen sollten, wie wilde Creaturen, die sich in den Wäldern begegnen; geht denn Eures Wegs und laßt mich den meinigen gehen. Die Welt ist groß genug für uns Beide; und wenn wir uns in ehrlicher Schlacht begegnen, nun dann wird der Herr über unser Beider Schicksal verfügen!«

»Gut!« rief der Indianer; »mein Bruder ein Missionär – großer Redner; Alles von Manitou.« »Nicht so, nicht so, Krieger. Ich bin nicht gut genug für die Mährischen Brüder, und zu gut für die meisten andern Vagabunden, die in den Wäldern herumpredigen. Nein, nein, ich bin nur ein Jäger, bis jetzt, obgleich es wohl möglich, ehe wieder Friede ist, daß ich Gelegenheit haben werde, einen Schlag gegen diesen und jenen von Euren Leuten zu führen. Doch wünsche ich, daß das in ehrlichem Gefecht geschehe, und nicht bei einem Hader um den Besitz eines elenden Canoe.«

»Gut! – Mein Bruder sehr jung – aber sehr weise. Kleiner Krieger – großer Redner. Häuptling, manchmal im Rathe.«

»Ich weiß das nicht, sage das auch nicht, Indianer,« versetzte Wildtödter, etwas erröthend bei dem schlechtverhehlten Sarkasmus in dem Benehmen des Andern, »ich sehe einem Leben in den Wäldern entgegen, und ich hoffe nur, es werde ein friedliches seyn. Alle jungen Männer müssen den Kriegspfad betreten, wenn sich dazu Gelegenheit bietet, aber Krieg ist nicht nothwendig Metzelei. Von dieser habe ich in der letzten Nacht genug gesehen, um zu wissen, daß die Vorsehung sie mit Mißfallen ansieht; und ich fordre Euch jetzt auf, Eurer Wege zu gehen, wie ich der meinigen gehen will, und hoffe, daß wir als Freunde scheiden.«

»Gut! Mein Bruder hat zwei Skalpe – graues Haar unter dem andern. Alte Weisheit – junge Zunge.«

Hier trat der Wilde zuversichtlich näher, die Hand ausstreckend, sein Angesicht lächelnd, und seine ganze Haltung zeigte Freundschaft und Achtung. Wildtödter nahm die dargebotene Freundschaft in geeigneter Art an, und sie schüttelten sich herzlich die Hände, Jeder bestrebt, den Andern von seiner Aufrichtigkeit und Friedensliebe zu überzeugen.

»Jeder das Seinige haben!« sagte der Indianer; »mein Canoe mein; Euer Canoe Euer; geht zu sehen; wenn’s Euer, behaltet’s; wenn’s mein, ich behalten.«

»Das ist billig, Rothhaut; aber Ihr müßt im Irrthum seyn, wenn Ihr das Canoe für Euer Eigenthum haltet. Jedoch, sehen ist glauben, und wir wollen an den Strand hinunter gehen, wo Ihr mit eignen Augen schauen könnt; denn wahrscheinlich werdet Ihr Euch nicht entschließen, den meinigen nicht ganz zu vertrauen.«

Der Indianer ließ seinen Lieblingsausruf: »Gut!« vernehmen, und dann schritten sie neben einander der Küste zu. In dem Benehmen Beider war kein Mißtrauen sichtbar; der Indianer ging voran, als wollte er seinem Begleiter zeigen, daß er sich nicht fürchte, ihn in seinem Rücken zu haben. Als sie den freien Platz erreichten, deutete Jener auf Wildtödters Boot und sagte mit Nachdruck:

»Das nicht mein – Bleichgesichts Canoe; nicht rothen Mannes. Will nicht andrer Leute Canoe – will nur mein eignes.«

»Ihr seyd im Irrthum, Rothhaut, Ihr seyd ganz im Irrthum. Dieß Canoe war in des alten Hutters Verwahrung und ist sein, nach allen Gesetzen und Rechten, rothen oder weißen, bis der Eigenthümer kommt, es zu fordern. Da sind die Sitze und die Fugung der Barke, die für sich selbst sprechen. Kein Mensch hat je gesehen, daß ein Indianer solche Arbeit gemacht.«

»Gut. Mein Bruder wenig alt – dicke Weisheit. Indianer es nicht machen. Weißen Mannes Arbeit.«

»Ich bin froh, daß Ihr so denkt, denn die Behauptung des Gegentheils hätte böses Blut zwischen uns gemacht; denn freilich hat Jeder das Recht, von dem Seinigen Besitz zu nehmen. Ich will nur gleich das Canoe hinausschieben aus dem Bereich des Streites, als der kürzeste Weg, Schwierigkeiten ins Reine zu bringen.«

Unter diesen Worten setzte Wildtödter einen Fuß auf das Ende des leichten Bootes, gab ihm einen kräftigen Stoß, und trieb es damit hundert Fuß weit oder mehr in den See hinein, wo es in die rechte Richtung kommend, nothwendig an dem Landvorsprung vorbeischwimmen mußte, und nicht mehr in Gefahr kam, die Küste zu berühren. Der Wilde stutzte bei diesem entschiedenen und kurzangebundenen Verfahren, und sein Begleiter sah, daß er einen heftigen und trotzigen Blick auf sein eignes Canoe, oder dasjenige warf, das die Ruder enthielt. Die Veränderung in seiner Miene jedoch währte nur einen Augenblick, und dann nahm der Irokese wieder sein freundliches Wesen an, mit einem Lächeln der Zufriedenheit.

»Gut!« wiederholte er mit stärkerem Nachdruck als je. »Junges Haupt – alter Verstand. Wißt, wie einen Hader abmachen. Lebt wohl, Bruder. Er nach Hause gehen zu Wasser – Bisamratten-Haus – Indianer ins Lager gehen; Häuptling sagen, kein Canoe gefunden.«

Wildtödter war es nicht leid, diesen Vorschlag zu hören, denn es verlangte ihn sehr, zu den Mädchen zu kommen, und er nahm die dargebotene Hand des Indianers sehr willig an. Die Abschiedsworte waren freundschaftlich; und während der rothe Mann ruhig dem Walde zuschritt, mit der Büchse im hohlen Arm, ohne nur einmal unruhig und mißtrauisch sich umzusehen, wandte sich der Weiße zu dem zurückgebliebenen Canoe, sein Gewehr zwar in derselben friedlichen Weise tragend, aber sein Auge immer auf die Bewegungen des Andern geheftet. Dieß Mißtrauen jedoch schien ganz ungerechtfertigt, und als schäme er sich, es gehegt zu haben, wandte der junge Mann seine Blicke und schritt sorglos seinem Boote zu. Dann begann er das Canoe von der Küste weg zu stoßen, und machte seine übrigen Vorbereitungen zur Abfahrt. Er mochte etwa eine Minute so beschäftigt gewesen seyn, als, bei einer zufälligen Wendung seines Gesichts nach der Landseite hin, sein rasches und sichres Auge ihn auf einen Blick von der dringenden Gefahr belehrte, worin sein Leben schwebte. Das schwarze, trotzige Auge des Wilden blitzte durch eine kleine Oeffnung in den Büschen ihn an wie das eines zum Satz bereiten Tigers, und die Mündung seiner Büchse schien sich schon in einer Linie mit seinem Körper zu öffnen. Da leistete wirklich seine lange Uebung als Jäger dem Wildtödter gute Dienste. Gewohnt, auf das Wild im Satze zu feuern, und oft, wenn die genaue Stellung des Körpers des Thiers gewissermaaßen erst zu errathen war, benützte er hier eben diese Fertigkeit. Den Hahn spannen und seine Büchse anlegen war das Werk Eines Augenblicks und Einer Bewegung; dann beinahe blindlings zielend feuerte er in die Gebüsche, worin er eine menschliche Gestalt verborgen wußte, welcher das allein sichtbare, entsetzliche Gesicht angehörte. Es war keine Zeit, das Gewehr höher zu halten, oder mit mehr Ueberlegung zu zielen. So schnell waren seine Bewegungen, daß beide Gegner im gleichen Augenblick abfeuerten, und der Knall beider Gewehre in Eins sich vermischte. Die Berge warfen in der That nur Ein Echo zurück, Wildtödter ließ seine Büchse sinken, und stand mit aufgerichtetem Haupt, fest wie eine der Tannen in der Stille eines Juniusmorgens, das Ergebniß abwartend; während der Wilde den gellenden Schrei ausstieß, der wegen seines entsetzlichen Eindrucks historisch geworden ist, durch die Büsche sprang, und seinen Tomahawk schwingend, in Sätzen über den freien Platz daher kam. Noch immer rührte sich Wildtödter nicht, sondern stand da, seine entladene Büchse an seine Schulter gelehnt, während mit dem Instinkt des Jägers seine Hände mechanisch nach Pulverhorn und Ladstock griffen. Etwa vierzig Schritte von seinem Feinde entfernt, schleuderte der Wilde die gefährliche Waffe, aber mit so unsicherm Auge, mit so unsteter und schwacher Hand, daß der junge Mann sie an der Handhabe faßte, als sie an ihm vorbei flog. In diesem Augenblick taumelte der Indianer und fiel der Länge nach zu Boden.

»Ich wußte es – ich wußte es!« rief Wildtödter, der sich schon anschickte, eine frische Kugel in seine Büchse zu zwängen, »ich wußte, es mußte dahin kommen, sobald ich die Augen der Creatur zur Zielscheibe hatte. Ein Mann visirt plötzlich und feuert rasch, wenn sein eignes Leben in Gefahr ist; ja, ich wußte, es würde dazu kommen. Ich war etwa den hundertsten Theil einer Sekunde zu rasch für ihn, sonst hätte es vielleicht mich getroffen! Die Kugel des Wurms hat mich gerade an der Seite gestreift – aber, man sage was man will, für oder wider sie, eine Rothhaut ist in keiner Weise so sicher mit Pulver und Kugel wie ein Weißer. Ihre Gaben scheinen nicht dahin zu liegen. Selbst Chingachgook, so groß er ist in andern Dingen, ist kein tödtlicher Treffer mit der Büchse.«

Mittlerweile hatte er das Gewehr wieder geladen, und nachdem er den Tomahawk in das Canoe geworfen, trat er auf sein Opfer zu, und stand, auf seine Büchse gelehnt, in schwermüthiger Beobachtung vor ihm. Es war das erste Mal, daß er einen Menschen im Kampf hatte fallen sehen – das erste Wesen seiner eignen Gattung, gegen das er je feindselig seine Hand erhoben. Diese Empfindungen waren ihm neu; und bedauernde Reue, frisch, wie unsere bessern Gefühle es im Anfang sind, mischte sich in seinen Triumph. Der Indianer war nicht todt, obwohl gerade durch den Leib geschossen. Er lag regungslos auf dem Rücken, aber seine Augen, jetzt voll Bewußtseyn, bewachten jede Bewegung seines Siegers – wie der gefallene Vogel den Vogeljäger – eifersüchtig auf jeden seiner Schritte. Wahrscheinlich erwartete der Mann den tödtlichen Streich, welcher dem Verlust seines Skalps vorangehen sollte; oder vielleicht vermuthete er, daß diese letztere grausame Operation seinem Tode vorangehen werde: Wildtödter errieth seine Gedanken; und es war ihm eine schwermüthige Genugthuung, den hülflosen Wilden in Bezug auf diese Besorgniß beruhigen und trösten zu können.

»Nein, nein, Rothhaut,« sagte er, »Ihr habt nichts mehr von mir zu fürchten. Ich bin von christlichem Stamme, und Skalpiren liegt nicht in meinen Gaben. Ich will mich nur Eurer Büchse versichern, und dann zurückkommen und Euch dienen, in was ich kann; obgleich ich mich hier nicht mehr lange aufhalten darf, da der Knall von drei Büchsen wohl einige von Euren Teufeln mir auf den Hals ziehen wird.«

Die letzten Worte redete der junge Mann halb im Selbstgespräch, während er ging, die dem Wilden entfallene Büchse zu suchen. Diese fand sich da, wo ihr Eigenthümer sie weggeworfen, und ward sogleich in das Canoe gelegt. Seine eigne Büchse legte Wildtödter daneben hin, kehrte dann zurück und stellte sich wieder vor den Indianer hin.

»Alle Feindschaft zwischen Euch und mir ist zu Ende, Rothhaut,« sagte er, »und Ihr könnt Euer Herz beruhigen wegen des Skalps oder irgend eines weitern Leides. Meine Gaben sind die eines Weißen, wie ich Euch schon gesagt habe, und ich hoffe, meine Handlungsart wird auch weiß seyn!«

Wenn Blicke und Mienen Alles aussprächen, was sie bedeuten sollen, so hätte wahrscheinlich Wildtödters unschuldige Eitelkeit auf seine Farbe eine kleine Zurechtweisung im Gesicht des Wilden gelesen; aber er verstand nur die Dankbarkeit, die sich in den Augen des Sterbenden aussprach, ohne im Mindesten den bittern Hohn zu merken, der mit dem bessern Gefühle rang.

»Wasser!« stammelte das unglückliche, durstige Geschöpf; »gebt armem Indianer Wasser!«

»Ja, Wasser sollt Ihr haben, und wenn Ihr den See trocken trinkt. Ich will Euch nur hinuntertragen, damit Ihr Euren Durst recht löschen könnt, das ist so die Art, sagt man mir, bei allen Verwundeten – Wasser ist ihr größtes Labsal und Entzücken.«

Mit diesen Worten hob Wildtödter den Indianer in seinen Armen auf und trug ihn an den See. Hier half er ihm zuerst zu einer Lage, worin er seinen brennenden Durst stillen konnte; darauf setzte er ihn auf einen Stein, nahm das Haupt des verwundeten Gegners in seinen Schooß und suchte ihn in seinen Schmerzen so gut er konnte zu trösten.

»Es wäre sündhaft von mir, zu sagen, daß Eure Zeit nicht gekommen sey, Krieger,« begann er, und deßwegen will ich das nicht sagen. Ihr seyd schon über das mittlere Alter hinaus, und in Betracht des Lebens, das Ihr führt, habt Ihr das Maaß Eurer Tage so ziemlich erfüllt. Die Hauptsache ist jetzt, dem entgegenzusehen, was zunächst kommt. Weder Rothhaut noch Bleichgesicht rechnen im Ganzen genommen, darauf, immerfort zu schlafen, sondern Beide erwarten in einer andern Welt fortzuleben. Jeder hat seine Gaben, und wird darnach gerichtet werden, und ich hoffe, Ihr habt diese Dinge hinreichend überdacht, um keiner Predigten zu bedürfen, wenn es zum Spruch und Urtheil kommt. Ihr werdet Eure glücklichen Jagdreviere finden, wenn Ihr ein gerechter Indianer gewesen seyd; wenn aber ein ungerechter, erwarten Euch anderswo Eure Wüsten. Ich habe meine eignen Ideen über diese Sachen; aber Ihr seyd zu alt und zu erfahren, um von einem so Jungen, wie ich, Belehrungen zu bedürfen.«

»Gut!« stammelte der Indianer, dessen Stimme ihre Tiefe behielt, als schon das Leben dahinschwand, »junges Haupt – alte Weisheit!«

»Es ist manchmal ein Trost, wenn das Ende kommt, zu wissen, daß diejenigen, denen wir ein Leid gethan, oder zu thun gesucht, uns vergeben. Ich bilde mir ein, die Natur sucht diese Erleichterung, um einer Verzeihung auf Erden theilhaft zu werden; da wir nie wissen können, ob Er verzeiht, der Alles in Allem ist, bis das Gericht selbst kommt. Es ist tröstlich zu solcher Zeit zu wissen, daß Jemand verzeiht, und das, vermuthe ich, ist das Geheimniß. Nun, was mich betrifft, so übersehe ich ganz Eure Anschläge gegen mein Leben, erstlich weil kein Unheil daraus entsprang, sodann auch, weil Eure Gaben und Natur und Erziehung einmal so sind, und ich hätte Euch eben gar nicht trauen sollen; und endlich und hauptsächlich weil ich keinen bösen Willen hegen kann gegen einen Sterbenden, sey er ein Heide oder ein Christ. So beruhigt Euch denn in Eurem Herzen, was mich anlangt; Ihr müßt am besten wissen, was für andre Dinge Euch beunruhigen, oder was Euch zur Zufriedenheit gereichen würde in einem so wichtigen Augenblicke.«

Vermutlich hatte der Indianer auch zum Theil jene erschütternden Ahnungen von dem unbekannten Zustand des Seyns, welche Gott in seiner Barmherzigkeit zu Zeiten dem ganzen menschlichen Geschlecht zu vergönnen scheint; aber nothwendig standen sie im Einklang mit seinen Lebensgewohnheiten und Vorurtheilen. Wie die Meisten seines Volkes, und nur zu Viele unter uns, dachte er mehr daran, in einer Weise zu sterben, wodurch er sich Lob und Beifall bei den Zurückbleibenden gewann, als sich ein besseres Daseyn in einer künftigen Welt zu sichern. Während Wildtödter redete, war sein Geist etwas verstört, obwohl er die gute Absicht merkte; und als er fertig war, flog durch seine Seele ein Bedauern darüber, daß keine Genossen seines Stammes anwesend waren, um Zeugen zu seyn von seinem Stoizismus bei den äußersten physischen Schmerzen, und von der Festigkeit, womit er sein Ende erwartete. Vermöge der hochsinnigen, angebornen Höflichkeit, die so oft den indianischen Krieger auszeichnet, ehe er durch zu großen Verkehr mit der schlechtesten Classe der Weißen verdorben wird, suchte er seine Dankbarkeit für die guten Absichten des Andern auszudrücken, und ihm zu verstehen zu geben, daß er sie zu schätzen wisse.

»Gut!« wiederholte er, denn dieß Wort war bei den Wilden sehr gebräuchlich, – »gut, junges Haupt; auch junges Herz. Altes Herz zäh; keine Thränen vergießen. Indianer hören, wenn er stirbt, und nicht zu lügen braucht – wie sich nennt er?«

»Wildtödter ist der Name, den ich jetzt trage; doch haben die Delawaren gesagt, ich würde, wenn ich von diesem Kriegspfade zurückkäme, einen mannhaftern Titel bekommen, vorausgesetzt, daß ich einen erwürbe.«

»Das guter Name für Knaben – armer Name für Krieger, Wird bald ein besserer werden. Keine Furcht hier,« – der Wilde besaß in seiner lebhaften Aufregung noch Kraft genug, eine Hand zu erheben, und die Brust des jungen Mannes zu betasten – »Auge sicher, Finger ein Blick, – Ziel, Tod – großer Krieger bald. Kein Wildtödter – Falkenauge – Falkenauge – Falkenauge. Hände schütteln.«

Wildtödter – oder Falkenauge, wie der Jüngling jetzt zum erstenmal genannt wurde, denn in spätern Jahren trug er diesen Namen in der ganzen Gegend – Wildtödter ergriff die Hand des Wilden, der in dieser Lage seinen letzten Athemzug that, und starrte mit Bewunderung das Gesicht eines Unbekannten an, der in so schweren und neuen Verhältnissen so viel Entschlossenheit, Gewandtheit und Festigkeit gezeigt hatte. Wenn der Leser sich erinnert, daß es die höchste Genugthuung für einen Indianer ist, zu sehen, wie sein Feind Schwäche verräth, wird er noch richtiger die Handlungsweise würdigen, welche in einem solchen Augenblick ein solches Zugeständniß errungen hatte.

»Sein Geist ist entflohen!« sagte Wildtödter mit gedämpfter, melancholischer Stimme. »Ach, mir ist’s leid! Nun, dahin müssen wir Alle kommen, früher oder später; und der Glücklichste ist der, sey seine Haut von welcher Farbe sie wolle, der am bereitesten ist, diesen Weg zu gehen. Da liegt der Leichnam von einem ohne Zweifel tapfern Krieger, und die Seele fliegt schon ihrem Himmel oder ihrer Hölle zu, sey dieß nun ein glückliches Jagdrevier, oder eine Gegend ohne Wild; Gefilde der Herrlichkeit, nach der Mährischen Brüder Lehre, oder Feuerflammen! So trifft es sich auch oft in andern Dingen nach Zufall und wunderlich. Da haben der alte Hutter und Hurry sich in große Nöthen hineingerannt, wo nicht gar in Martern und Tod, und Alles einem Preise zu lieb, den mir das gute Glück darbietet in rechtmäßiger und anständiger Weise – wie es Viele bedünken würde. Aber nicht ein Pfennig von solchem Geld soll durch meine Hand gehen. Weiß bin ich geboren und weiß will ich sterben; an meiner Farbe festhalten, bis ans Ende, wenn auch des Königs Majestät, seine Gouverneurs und alle seine Räthe, im Mutterland und in den Colonien vergessen, woher sie stammen, und wohin sie zu kommen hoffen, und Alles einem kleinen Vortheil im Kriege zulieb. Nein, nein, Krieger! – meine Hand soll nie deinen Skalp gefährden, und so möge deine Seele im Frieden ruhen, was den Punkt betrifft, ob sie auch in geziemender Erscheinung sich darstellen kann, wenn der Körper wieder mit ihr sich vereinigt, in Eurem Lande der Geister!«

Nach diesen Worten stand Wildtödter sogleich auf. Dann brachte er den Leichnam des Todten in eine sitzende Stellung mit dem Rücken gegen den kleinen Fels, und traf mit aller Sorgfalt Vorkehrungen, daß er nicht falle, oder irgend in eine Lage gerathe, welche nach den sehr empfindlichen, obwohl rohen Begriffen eines Wilden unziemlich erscheinen könnte. Nach Erfüllung dieser Pflicht stand der junge Mann da, in einer Art schwermüthiger Zerstreutheit das grimmige Antlitz seines gefallenen Feindes betrachtend. Aber wie es seine Gewohnheit war – eine Gewohnheit, die er dadurch angenommen, daß er so viel allein in den Wäldern lebte, begann er jetzt wieder seine Gedanken und Empfindungen laut zu äußern.

»Ich wollte Dein Leben nicht haben, Rothhaut,« sagte er, »aber Du ließest mir keine Wahl als tödten oder mich tödten lassen. Jeder Theil handelte nach seinen Gaben, denk‘ ich, und Tadel kann Keinen treffen. Du warest verrätherisch, nach Deiner Natur im Kriege, und ich war ein wenig zu nachsichtig, da ich Andern zu leicht traue. Nun, das war mein erster Kampf mit einem menschlichen Sterblichen, obgleich es wohl nicht mein letzter gewesen seyn wird. Ich habe mit den meisten Creaturen des Waldes gekämpft, als da sind Wölfe, Bären, Unzen und Panther, aber das ist der Anfang mit den Rothhäuten. Wäre ich nun ein geborner Indianer, so könnte ich davon erzählen, oder den Skalp mitbringen, und mich der That rühmen vor dem ganzen Stamme; und wenn nun mein Feind auch nur ein Bär gewesen, so wäre es natürlich und passend, Jedermann das Vorgefallene wissen zu lassen; aber ich sehe nicht ab, wie ich auch nur Chingachgook dieß Geheimniß mittheilen soll, so lange dieß nur dadurch möglich ist, daß ich mit einer weißen Zunge davon prahle. Und warum sollte ich eigentlich auch damit zu prahlen wünschen? Es ist eben Tödtung eines Menschen, obgleich er ein Wilder war, und wie weiß ich, ob es ein gerechter Indianer gewesen, und ob er nicht ganz wo anders hin entrückt worden ist, als in glückliche Jagdreviere? Wenn es ungewiß bleibt, ob etwas Gutes oder Schlimmes ausgeführt worden, ist das Klügste, sich nicht zu rühmen – und doch wäre es mir lieb, Chingachgook wissen zu lassen, daß ich den Delawaren und meiner Erziehung keine Unehre gemacht habe!«

Dieß ward zum Theil laut gesprochen, zum Theil von dem Redenden nur zwischen den Zähnen gemurmelt: jenes war der Fall bei seinen zuversichtlicheren Gedanken, dieß dagegen bei seinen Zweifeln und Bedenklichkeiten. Sein Selbstgespräch jedoch und seine Betrachtungen erlitten eine gewaltsame Störung durch das plötzliche Erscheinen eines zweiten Indianers an der Küste, wenige hundert Schritte von der Landspitze. Dieser Mann, unverkennbar ein zweiter Späher, der wahrscheinlich durch den Knall der Büchsen an diesen Ort gelockt worden war, trat mit so wenig Vorsicht aus dem Walde hervor, daß Wildtödter seiner früher ansichtig, als selbst von Jenem bemerkt wurde. Als auch dieß letztere, und zwar gleich im nächsten Augenblick geschah, stieß der Wilde einen lauten, gellenden Schrei aus, den ein Dutzend Stimmen von verschiednen Seiten des Berges erwiederten. Jetzt war nicht länger zu zaudern, und nach einer Minute schon verließ das Boot die Küste unter langen und stetigen Ruderschlägen.

Sobald Wildtödter sich durch eine hinlängliche Entfernung gesichert glaubte, ließ er in seinem angestrengten Arbeiten nach, und die kleine Barke für sich forttreiben, während er sich gemächlich den Stand der Dinge betrachtete. Das zuerst dem Spiel der Wellen anvertraute Canoe schwamm, von dem leichten Wind getrieben, wohl eine Viertelmeile vor ihm her, und dem Ufer etwas näher, als ihm jetzt lieb war, da er wußte, daß noch mehr Wilde in der Nahe waren. Das von dem Landvorsprung abgestoßene Canoe war nur einige Schritte von ihm entfernt, da er, vom Land abstoßend, sein Boot gerade darauf zugelenkt hatte. Der todte Indianer lag in finstrer Ruhe da, wo er ihn gelassen, der Krieger, der sich vor dem Walde gezeigt, war bereits verschwunden, und die Wälder selbst waren so still und dem Anschein nach so verödet, wie an dem Tag, da sie frisch aus der Hand ihres großen Schöpfers kamen. Diese tiefe Stille jedoch währte nur einen Augenblick. Nachdem die Späher des Feinds sich Zeit genommen, ihre Rekognoscirung vorzunehmen, brachen sie aus dem Dickicht hervor auf die nackte Landspitze, und erfüllten bei Entdeckung des Todes ihres Genossen die Luft mit ihrem Wuthgeschrei. Auf dieß Geschrei folgte sogleich ein Freudengejauchze, als sie den Leichnam erreichten und sich darum her schaarten. Wildtödter war bekannt genug mit den Gebräuchen der Eingebornen, um den Grund dieses Uebergangs zu errathen. Der gellende Schrei war die übliche Klage beim Verlust eines Kriegers, das jauchzende Gebrülle ein Zeichen der Freude, daß der Sieger nicht im Stande gewesen, sich in den Besitz des Skalpes zu setzen – der Trophäe, ohne die ein Sieg nie als vollständig betrachtet wurde. Die Entfernung der Canoe’s vom Ufer verhinderte wahrscheinlich jeden Versuch, dem Sieger etwas anzuhaben, da der amerikanische Indianer, wie der Panther seiner Wälder, selten einen Angriff gegen seinen Feind versucht, wenn nicht die Umstände so sind, daß er mit ziemlicher Sicherheit auf die Wirksamkeit desselben rechnen kann.

Da der junge Mann keine Veranlassung hatte, noch länger in der Nähe des Landvorsprungs zu verweilen, machte er Anstalt, seine Canoe’s zu sammeln, um sie dann am Tau nach dem Castell zu schleppen. Das nächste war bald am Tau, worauf er weiter ruderte, das andre einzuholen, das diese ganze Zeit her den See aufwärts trieb. Sobald Wildtödters Auge auf dieß Boot sich heftete, fiel ihm sogleich auf, daß es der Küste näher sey, als es hätte seyn müssen, wenn es blos der Richtung des leichten Luftzuges folgte. Er begann die Wirkung einer unsichtbaren Strömung im Wasser zu vermuthen, und er verdoppelte seine Anstrengungen, um in den Besitz desselben zu kommen, ehe es sich den Wäldern auf einen gefahrdrohenden Abstand nähere. Als er näher herankam, glaubte er eine auffallendere Bewegung des Canoe’s durch das Wasser zu bemerken, die es, da es nach seiner Breite dem Winde ausgesetzt war, dem Lande zutrieb. Einige tüchtige Ruderschläge brachten ihn noch näher, wo sich ihm denn das Geheimniß löste. Sichtlich war etwas in Bewegung auf der von ihm abgekehrten und fernsten Seite des Canoe’s, und schärfere Beobachtung zeigte, daß es ein nackter menschlicher Arm sey. Ein Indianer lag auf dem Boden des Canoe’s, und trieb es langsam aber sicher, seine Hand als Ruder brauchend, der Küste zu. Wildtödter verstand auf Einen Blick die ganze List. Ein Wilder war nach dem Boote geschwommen, während er mit dem Feind auf der Landspitze beschäftigt gewesen, hatte davon Besitz genommen, und suchte es auf obengenannte Weise an das Land zu fördern.

Ueberzeugt, daß der Mann in dem Canoe keine Waffen haben könne, bedachte sich Wildtödter nicht, dicht an das sich zurückziehende Boot hinanzufahren und anzulegen, ohne daß er für nöthig erachtete, seine Büchse aufzuheben. Sobald das Rauschen des Wassers, das sein Boot im Herannahen verursachte, dem am Boden liegenden Wilden vernehmbar wurde, sprang er auf und stieß einen Schrei aus, welcher bewies, wie vollständig er überrascht worden war.

»Wenn Ihr Euch genug an diesem Canoe erlustigt habt, Rothhaut, bemerkte Wildtödter ganz kalt, indem er sein Boot noch frühe genug anhielt, um ein förmliches Zusammenstoßen der beiden Fahrzeuge zu verhüten, »wenn Ihr Euch genug in diesem Canoe erlustigt habt, werdet Ihr klug daran thun, Euch wieder in den See zu begeben. Ich bin vernünftig und billig in diesen Dingen und dürste nicht nach Eurem Blut, obgleich es Leute hier herum gibt, die Euch mehr wie einen Schein zu Erhebung des Preisgelds, denn wie einen menschlichen Sterblichen betrachten würden. Macht Euch in den See, im Augenblick, eh‘ es zu hitzigen Worten kommt.«

Der Wilde war Einer von denen, die nicht ein Wort Englisch verstanden, und er verdankte den Geberden Wildtödters und dem Ausdruck eines selten täuschenden Auges das freilich unvollkommne Verständniß seiner Meinung. Vielleicht auch der Anblick der Büchse, die dem weißen Manne so nahe zur Hand lag, beschleunigte seinen Entschluß. Jedenfalls duckte er sich zusammen, wie ein Tiger, der seinen Satz machen will, stieß einen gellenden Schrei aus und im nächsten Augenblick war sein nackter Körper im Wasser verschwunden. Als er auftauchte, Athem zu schöpfen, befand er sich in einer Entfernung von mehreren Schritten von dem Canoe, und der hastige Blick, den er rückwärts warf, verrieth, wie sehr er die Ankunft eines unheilvollen Boten aus der Büchse seines Feindes fürchtete. Der junge Mann aber gab durch kein Zeichen eine feindselige Absicht zu erkennen. Mit gutem Bedacht befestigte er das Canoe an dem andern, und fing dann an, von der Küste wegzurudern; und bis der Indianer das Land erreichte und sich wie ein Pudel schüttelte, als er das Wasser verließ, war sein gefürchteter Feind schon außer Schußweite auf seinem Weg dem Castell zu. Nach seiner Lieblingsgewohnheit ermangelte Wildtödter nicht, auch über diesen Vorfall in einem Selbstgespräch sich zu äußern, während er stetig dem Orte seiner Bestimmung zuruderte.

»Gut, gut,« begann er, »es wäre Unrecht gewesen, einen menschlichen Sterblichen zwecklos zu tödten. Skalpe gelten mir Nichts, und das Leben ist süß und soll Keinem erbarmungslos geraubt werden von Solchen, die weiße Gaben haben. Der Wilde war zwar ein Mingo; und ich zweifle nicht, er ist und wird seyn, so lange er lebt, ein rechtes Gewürm und ein Vagabund; aber das ist kein Grund, warum ich meine Gaben und Farbe vergessen sollte. Nein, nein, lass‘ ihn gehen; wenn wir uns je wieder treffen, die Büchse in der Hand, nun dann wird man sehen, Wer das muthigste Herz und das rascheste Auge hat. – Falkenauge! das ist kein übler Name für einen Krieger, und klingt viel mannhafter und tapferer als Wildtödter! Es wäre kein übler Titel für den Anfang, und ist ehrlich verdient worden! Wenn es Chingachgook begegnet wäre, so könnte der jetzt hingehen und sich seiner Thaten rühmen, und die Häuptlinge würden ihn in der Minute Falkenauge nennen; aber weißem Blut ziemt es nicht zu prahlen, und es ist nicht leicht abzusehen, wie die Sache wird bekannt werden, wenn nicht durch mich. Nun gut; alle Dinge sind in den Händen der Vorsehung: diese Sache so gut wie andre; auf sie will ich vertrauen, daß mir nach meinem Verdienste zu Theil wird.«

Nachdem der junge Mann so verrathen, was man seine schwache Seite nennen könnte, fuhr er schweigend in seinem Rudern fort, und fuhr rüstig und so schnell ihm nur seine Taue erlaubten, dem Castell zu. Mittlerweile war die Sonne nicht nur aufgegangen, sondern sie stand auch schon über den östlichen Bergen, und goß eine Fluth prächtigen Lichts auf den bis jetzt noch ungetrübten Wasserspiegel. Die ganze Scene strahlte von Schönheit; und Niemand, der mit der gewöhnlichen Geschichte der Wälder nicht bekannt gewesen, hätte geahnt, daß sie vor so kurzer Zeit erst Zeugin von so wildem und barbarischem Beginnen gewesen. Als Wildtödter sich dem Bau des alten Hutter näherte, dachte, oder vielmehr fühlte er, daß dessen äußere Erscheinung in eigenthümlichem Einklang mit der ganzen übrigen Scene stehe. Obgleich an Nichts als an Stärke und Sicherheit gedacht worden war, trugen doch die rohen, massiven Baumstämme, mit ihrer rauhen Rinde bedeckt, das vorspringende Dach, und die ganze Form dazu bei, das Gebäude zu einem, beinahe unter allen Verhältnissen malerischen zu machen, während seine wirkliche Lage dem sonstigen Anziehenden noch den Reiz des Neuen und Seltsamen hinzufügte.

Als jedoch Wildtödter dem Castell näher kam, drängten sich seiner Seele ernste Gedanken auf, die auf einmal alle Schönheiten, welche die Scenerie des See’s und die Lage dieses eigenthümlichen Gebäudes auszeichneten, ganz verdrängten und schwinden machten. Judith und Hetty standen auf der Plattform vor der Thüre, Hutters Thorhof, mit sichtbarer Aengstlichkeit seine Ankunft erwartend; die Erstere von Zeit zu Zeit seine Person und die Canoe’s durch das schon erwähnte alte Schiffsfernglas beobachtend. Nie erschien wohl dieß Mädchen in einem höhern Glanze der Schönheit als eben jetzt; die Nöthe der Unruhe und des gespannten Interesse erhöhte ihre Gesichtsfarbe zu den herrlichsten Tinten, während die Sanftheit ihrer Augen, ein Reiz, den selbst die arme Hetty mit ihr theilte, durch die Ergriffenheit ihrer Empfindung noch einen tiefern Ausdruck erhielt. So war wenigstens die Meinung des jungen Mannes, der jedoch nicht innehielt, nicht sich einfallen ließ, die Motive zu analysiren, oder irgend welche spitzfindige Unterscheidungen zwischen Ursache und Wirkung zu machen, als er mit seinen Canoe’s die Arche erreichte, an deren Seite er alle drei sorgfältig befestigte, ehe er den Fuß auf die Plattform setzte.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Doch Mutter, jetzt ein Schatten fällt
Auf meiner Träume goldnen Schein;
Und eine schwarze Wolke hüllt
Des Daseyns kurzen Rest mir ein!
Nicht Lied, nicht Echo tönt mir mehr;
Der funkelnde Quell im Innern leer!
Margaret Davidson.

Hist und Hetty erhoben sich mit dem wiederkehrenden Licht, und verließen Judith noch in Schlaf versunken. Die Erstere brauchte nur eine Minute, um ihre Toilette zu vollenden. Ihr langes, kohlschwarzes Haar war bald in einen einfachen Knoten geordnet, das Caliko-Gewand eng um ihren schlanken Leib gegürtet, und ihre kleinen Füße in ihren lustig gezierten Moccassins verborgen. Als sie angekleidet war, verließ sie ihre mit Haushaltungssachen beschäftigte Freundin, und ging selbst auf die Plattform, um die reine Morgenluft zu athmen. Hier traf sie Chingachgook, wie er die Küsten des See’s, die Berge und den Himmel mit dem Scharfblick eines Mannes der Wälder und mit dem Ernst eines Indianers studirte.

Die Begegnung der Liebenden war einfach aber liebevoll. Der Häuptling zeigte eine männliche Freundlichkeit, gleichweit entfernt von knabenhafter Weichheit wie von Hast, während das Mädchen in ihrem Lächeln und ihren halb abgewandten Blicken die verschämte Zärtlichkeit ihres Geschlechts verrieth. Keines sprach, außer mit den Augen, aber Beide verstanden einander so vollkommen, wie wenn sie ein Wörterbuch voll Phrasen und Betheurungen erschöpft hätten. Hist erschien selten vortheilhafter als in diesem Augenblick; denn da sie eben vom Schlaf und von den Abwaschungen herkam, zeigte ihre jugendliche Gestalt und ihr Antlitz eine Frische, welche selbst die Jungen und Hübschen unter den Mühsalen des Waldlebens sich nicht immer zu erhalten vermögen. Sodann hatte Judith nicht nur Einiges von ihrer Geschicklichkeit in der Toilette während ihrer kurzen Bekanntschaft ihr beigebracht, sondern ihr auch aus ihren Vorräthen einige gutgewählte Zierrathen geschenkt, welche die natürlichen Reize der jungen Indianerin nicht wenig heraushoben. Alles dieß sah und empfand der Liebhaber, denn einen Augenblick war sein Angesicht von einem Blick der Freude erleuchtet; aber bald war es wieder ernst, und dann wurde es traurig und ängstlich. Die in der vorigen Nacht gebrauchten Stühle standen noch auf der Plattform: er stellte zwei davon an die Wände der Hütte, setzte sich auf einen, und bedeutete mit einer Geberde seiner Genossin, den andern zu nehmen. Nach diesem blieb er noch eine volle Minute nachdenklich und stumm, die überlegende Würde eines Mannes behauptend, der dazu geboren ist, seinen Sitz am Berathungsfeuer einzunehmen, während Hist verstohlen den Ausdruck seines Gesichts beobachtete, geduldig und unterwürfig, wie einem Weib ihres Volkes geziemte. Dann streckte der junge Krieger den Arm vor sich aus, als wollte er auf die Herrlichkeit der Scene in dieser bezaubernden Stunde hindeuten, wo das ganze Panorama, wie gewöhnlich, in der weichen, milden Klarheit eines Frühmorgens prangte, und fuhr mit seiner Hand langsam dem See, den Bergen und dem Himmel entlang. Das Mädchen folgte dieser Bewegung mit vergnügter Bewunderung, lächelnd bei jeder neuen Schönheit, auf die ihr Auge fiel.

»Hugh!« rief der Häuptling in seiner Bewunderung einer selbst ihm so ungewohnten Scene, denn dieß war der erste See, den er sah. »Das ist das Land des Manitou! Es ist zu gut für Mingo’s, Hist; aber die Köter dieses Stammes heulen truppweis durch die Wälder. Sie meinen, die Delawaren schlafen über den Bergen.«

»Alle, bis auf Einen von ihnen, Chingachgook. Einer ist hier; und der ist vom Blute der Unkas!«

»Was ist Ein Krieger gegen einen Stamm? – Der Pfad zu unsern Dörfern ist sehr lang und krumm, und wir haben dahin zu wandern unter einem umwölkten Himmel. Auch fürchte ich, Gaißblattblüthe der Berge, wir werden allein dahin wandern.«

Hist verstand die Anspielung und sie ward traurig, obwohl es ihrem Ohre süß klang, von dem Krieger, den sie so liebte, mit der duftigsten und lieblichsten von allen wilden Blumen ihrer heimischen Berge verglichen zu werden. Doch blieb sie stumm, wie ihr geziemte, wenn auf eine ernste Angelegenheit angespielt wurde, welche Männer am besten beurtheilten, obgleich die Macht der Erziehung bei ihr nicht so viel vermochte, daß sie das Lächeln verhehlt hätte, welches in Folge des wohlthuenden Eindrucks von Chingachgooks Rede ihren hübschen Mund umschwebte.

»Wenn die Sonne so ist,« fuhr der Delaware fort, nach dem Zenith hinaufdeutend, einfach eine Hand und einen Finger durch eine Bewegung des Handgelenks aufwärts richtend, »wird der große Jäger unsers Stammes zurückkehren zu den Huronen, um behandelt zu werden wie ein Bär, den sie rösten und schinden, selbst bei vollem Magen.«

»Der Große Geist möge ihre Herzen besänftigen und nicht dulden, daß sie so blutdürstig seyen. Ich habe unter den Huronen gelebt, und kenne sie. Sie haben Herzen, und werden ihre eignen Kinder nicht vergessen, sollten sie in die Hände der Delawaren fallen.«

»Ein Wolf heult immer fort; ein Schwein hört nicht auf zu fressen. Sie haben Krieger verloren; selbst ihre Weiber werden nach Rache schreien. Das Bleichgesicht hat die Augen eines Adlers und kann hineinschauen in die Mingo-Herzen; er sieht nicht aus, als hoffte er Gnade. Es ist eine Wolke über seinem Geist, obgleich keine vor seinem Angesicht.«

Eine lange Pause des Nachsinnens trat nun ein, während welcher Hist leise die Hand des Häuptlings ergriff, als suchte sie seine Hülfe nach, obwohl sie kaum ihr Auge zu erheben wagte gegen ein Antlitz, das jetzt im buchstäblichen Sinne furchtbar ward unter dem Kampfe von streitenden Leidenschaften und finstrer Entschlossenheit in der Brust des Indianers.

»Was will der Sohn von Unkas thun?« fragte endlich schüchtern das Mädchen. »Er ist ein Häuptling, und ist schon berühmt im Rathe, obgleich noch so jung; was sagt ihm sein Herz, daß das Weiseste sey? spricht das Haupt auch dieselben Worte wie das Herz?«

»Was sagt Wah-ta!-Wah in einem Augenblick, wo mein liebster Freund in einer solchen Gefahr ist? Die kleinsten Vögel singen am süßesten; es ist immer angenehm, ihrem Gesang zu horchen. Ich wollte, ich hörte den Zaunkönig der Wälder in meiner Bedrängniß; seine Noten würden tiefer dringen als ins Ohr.«

Wieder empfand Hist die innige Zufriedenheit, welche die Sprache des Lobes im Munde derer, die man liebt, jederzeit gewährt. ›Gaißblattblüthe der Berge‹ war ein Ausdruck, den die jungen Delawaren oft von dem Mädchen gebrauchten, der aber nie so süß in ihr Ohr klang, als wenn er von Chingachgooks Lippen kam, der Letztere allein aber hatte sie Zaunkönig der Wälder genannt. Bei ihm indessen war es eine ganz vertraute Benennung geworden, und der Name klang dem Mädchen über alle Beschreibung süß, weil er in ihr die Idee erweckte, daß ihr Rath und ihre Gesinnungen ihrem künftigen Gatten ebenso werth, als der Ton ihrer Stimme, und die Art und Weise, jene auszusprechen, ihm angenehm seyen, und so die zwei Dinge vereinigte, die einem indianischen Mädchen bei ihrem Verlobten am Meisten gelten: Bewunderung eines schätzbaren physischen Vorzugs, und Achtung vor ihrer Meinung. Sie drückte die Hand, die sie zwischen den beiden ihrigen hielt, und antwortete:

»Wah-ta!-Wah sagt, weder sie noch die Große Schlange könnte je wieder lachen, oder auch nur schlafen, ohne zu träumen von den Huronen, sollte der Wildtödter sterben unter einem Mingo-Tomahawk, ohne daß sie Etwas gethan hätten, ihn zu retten. Lieber würde sie zurückkehren und ihren langen Pfad allein antreten, als solch eine dunkle Wolke vor ihr Glück treten lassen.«

»Gut! Der Gatte und das Weib werden nur Ein Herz haben; sie werden sehen mit denselben Augen, und fühlen mit denselben Gefühlen.«

Was weiter gesprochen wurde, braucht hier nicht erzählt zu werden. Daß das Gespräch Wildtödtern und seine Aussichten betraf, hat man schon gesehen, aber die Entscheidung, welche gefaßt wurde, wird man besser im weitern Verlauf der Erzählung erfahren. Das jugendliche Paar war noch in seiner Unterredung begriffen, als die Sonne über den Gipfeln der Fichten erschien, und das Licht eines glänzenden amerikanischen Tages über das Thal ausströmte, in ›tiefer Wonne‹ den See, die Wälder und die Bergabhänge badend. Gerade in diesem Augenblick trat Wildtödter aus der Cajüte der Arche, und kam auf die Plattform. Sein erster Blick war nach dem wolkenlosen Himmel, dann nahm sein rasches Auge das ganze Panorama von Land und Wasser in sich auf, wo er dann Muße hatte zu einem freundlichen Nicken gegen seine Freunde, und zu einem heitern Lächeln für Hist.

»Nun,« sagte er, in seiner gewohnten, gefaßten Art und mit seiner wohllautenden Stimme; »wer die Sonne im Westen untergehen sieht, und früh genug erwacht am Morgen, findet sie gewiß wieder kommend im Osten, wie einen Hirsch, der um sein Lager herum gejagt wird. Ich glaube fast, Hist, Ihr habt das oft und viel gesehen, und doch ist es Euch noch nie in Euren mädchenhaften Sinn gekommen, nach der Ursache davon zu fragen?«

Chingachgook und seine Verlobte schauten Beide zu dem Glanzgestirn empor mit einer Miene, welche plötzliches Staunen verrieth, und dann starrten sie einander an, als suchten sie nach der Lösung der Schwierigkeit. Gewohnheit tödtet die Empfänglichkeit selbst in Bezug auf die wichtigsten Naturerscheinungen; und nie bis jetzt hatten diese einfachen Geschöpfe daran gedacht, über eine Bewegung nachzusinnen, welche täglich ihnen vor Augen stand, wie befremdend sie auch bei näherer Forschung scheinen mochte. Als der Gegenstand so plötzlich auf die Bahn gebracht wurde, sprach er Beide, und in demselben Augenblick, etwa mit derselben Gewalt an, wie ein neuer und glänzender Satz in den Naturwissenschaften den Gelehrten ansprechen würde. Chingachgook allein erachtete für passend, zu antworten.

»Die Bleichgesichter wissen Alles,« sagte er; »können sie uns sagen, warum die Sonne ihr Angesicht verbirgt, wenn sie bei Nacht ihren Weg zurückgeht?«

»Ja, das ist ächte Rothhautgelehrsamkeit,« versetzte der Andere lachend, obwohl er nicht ganz gleichgültig war gegen den Genuß, die Ueberlegenheit seiner Race zu beweisen durch die Lösung des schwierigen Problems, woran er sich in seiner eigenthümlichen Weise machte. »Hört, Schlange,« fuhr er ernster fort, doch zu unbefangen zur Affektation, »das ist leichter erklärt, als ein indianisches Hirn sich vielleicht einbildet. Die Sonne, während sie die Reise am Himmel hin zu machen scheint, rührt sich nie, sondern die Erde ist es, die sich rund herum dreht; und Jeder kann begreifen, wenn er an ein Mühlrad zum Beispiel gebunden würde, während es in Bewegung ist, daß er zu Zeiten den Himmel sehen muß, während er zu andern Zeiten unter dem Wasser ist. Es ist kein großes Geheimniß darin, sondern einfache Natur; und die Schwierigkeit besteht nur darin, die Erde in Bewegung zu setzen.«

»Wie weiß mein Bruder, daß die Erde sich rund herumdreht?« fragte der Andere. »Kann er es sehen?«

»Nun, das war eine verwirrende Frage, ich gesteh‘ es, Delaware; denn ich habe es schon oft versucht, und konnte es nie recht herausbringen. Manchmal bildete ich mir ein, es zu können; und dann wieder sah ich mich genöthigt, die Unmöglichkeit zu gestehen. Aber, umdrehen thut sie sich, wie Alle von meinem Volke sagen, und Ihr müßt ihnen glauben, denn sie können Finsternisse und andere Wunder vorhersagen, welche die Stämme mit Schrecken zu erfüllen pflegen, nach Euren eignen Ueberlieferungen von solchen Dingen.«

»Gut. Das ist wahr, kein rother Mann wird es läugnen. Wenn ein Rad sich dreht, so können es meine Augen sehen – die Erde sehen sie nicht sich umdrehen.«

»Ja, das ist, was ich Sinnentrotz nenne! Sehen ist Glauben, sagen sie; und was sie nicht sehen können, dem wollen manche Menschen nicht den mindesten Glauben beimessen. Dennoch Häuptling, ist das nicht so ganz ausgemachte Vernunft, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ihr glaubt an den Großen Geist, das weiß ich; und doch, denke ich, würde es Euch in Verlegenheit setzen, anzugeben, wo Ihr ihn seht!«

»Chingachgook kann ihn sehen überall – überall in guten Dingen, den Bösen Geist in schlechten. Hier im See, dort im Wald, drüben in den Wolken; in Hist, in dem Sohne von Unkas, in Tamenund, in Wildtödter. Der Böse Geist ist in den Mingo’s, das weiß ich: die Erde sehe ich nicht sich umdrehen.«

»Es wundert mich nicht, daß man Euch die Schlange nennt, Delaware, nein, wahrhaftig nicht! Es ist immer eine Bedeutung in Euern Worten, und oft ist auch eine Bedeutung in Eurem Gesicht! Trotzdem passen Eure Antworten nicht ganz zu meiner Idee: daß Gott wahrzunehmen ist in allen natürlichen Gegenständen, kann man zugeben; aber er ist nicht darin wahrzunehmen in der Art, wie ich meine. Ihr wißt, daß ein Großer Geist ist, aus seinen Werken; und die Bleichgesichter wissen, daß die Erde sich umdreht, aus ihren Werken. Das ist der Grund der Sache, obwohl wie es zu erklären, Mehr ist, als ich Euch so genau sagen kann. Das weiß ich: alle von meinem Volk sind von der Sache überzeugt; und was alle Bleichgesichter glauben, wird doch wohl wahr seyn.«

»Wenn die Sonne über dem Wipfel dieser Fichte steht, wo wird mein Bruder Wildtödter dann seyn?«

Der Jäger fuhr auf und schaute seinen Freund scharf, obwohl ganz ohne Unruhe an. Dann winkte er ihm zu folgen, und ging ihm voran in die Arche, um dort den Gegenstand weiter zu besprechen, ungehört von Solchen, deren Gefühle, wie er besorgte, die Oberhand über die Vernunft gewinnen möchten. Hier blieb er stehen, und setzte das Gespräch im vertraulicheren Tone fort.

»Es war etwas unklug von Euch, Schlange,« sagte er, »einen solchen Gegenstand vor Hist aufzubringen, und wo das Mädchen von meiner Farbe Alles hätte hören können, was gesprochen wurde. Ja, es war ein wenig unkluger, als das Meiste, was Ihr thut. Einerlei; Hist verstand es nicht, und die Andre hörte es nicht. Indessen, die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Kein Sterblicher kann sagen, wo er morgen seyn wird, wenn die Sonne aufgeht. Ich will Euch dieselbe Frage vorlegen, Schlange, und wäre begierig zu hören, welche Antwort Ihr geben könnt?«

»Chingachgook wird bei seinem Freund Wildtödter seyn; wenn dieser im Lande der Geister ist, wird die Große Schlange an seine Seite sich schmiegen: wenn unter jener Sonne dort, wird ihre Wärme und ihr Licht auf Beide fallen.«

»Ich verstehe Euch, Delaware,« versetzte der Andere, gerührt von der einfachen Selbstaufopferung seines Freundes. »Eine solche Sprache ist so klar in einer Sprache wie in der andern; sie kommt vom Herzen und geht auch zum Herzen. Es ist gut, so zu denken und mag gut seyn, so zu sprechen auch, aber es wäre nicht gut, so zu handeln, Schlange. Ihr steht nicht mehr allein im Leben; denn obgleich Ihr noch die Hütten zu wechseln, und andre Ceremonien durchzumachen habt, ehe Hist Euer rechtmäßiges Weib wird, seyd Ihr doch schon so gut wie verheirathet, was Gefühle und Freude und Jammer betrifft. Nein, nein; Hist darf nicht verlassen werden, weil eine Wolke etwas unerwartet zwischen Euch und mir hinzieht, und etwas dunkler als wir vorausgesehen hatten.«

»Hist ist eine Tochter der Mohikans; sie weiß ihrem Gatten zu gehorchen. Wohin er geht, wird sie ihm folgen. Beide werden bei dem großen Jäger der Delawaren seyn, wenn die Sonne morgen über den Fichten steht.«

»Der Herr segne und schütze Euch, Häuptling; das ist baarer Wahnsinn! Kann Eines von Euch, oder könnt Ihr beide zusammen eine Mingonatur ändern? Werden Eure stolzen Mienen, oder Hists Thränen und Schönheit einen Wolf in ein Eichhorn verwandeln, oder einen Panther so unschuldig machen wie ein Reh? Nein, Schlange, Ihr werdet Euch diese Sache besser bedenken, und mich in der Hand Gottes lassen. Am Ende ist doch noch keineswegs gewiß, daß die Schurken die Martern im Sinn haben, denn sie können auch noch barmherzig seyn, und bedenken, wie sündhaft ein solches Beginnen wäre; obgleich es eine ziemlich hoffnungslose Aussicht ist, zu erwarten, daß ein Mingo sich abwende vom Uebel, und Barmherzigkeit die Oberhand gewinnen lasse in seinem Herzen. Demungeachtet, Niemand weiß gewiß, was sich begeben wird; und junge Creaturen wie Hist dürfen nicht auf Ungewißheiten hin auf’s Spiel gesetzt werden. Dieß Heirathen ist eine ganz andere Sache, als manche junge Leute sich einbilden. Ja, wenn Ihr ledig wäret, oder so gut als ledig, Delaware, dann würde ich erwarten, daß Ihr flink und rüstig wäret, und um das Lager der Vagabunden herumstrichet, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, mit Listen und Schlichen, so rastlos wie ein Hund auf der Fährte, und Alles versuchtet, um mir zu helfen und den Feind von mir abzuziehen; aber Zwei sind oft schwächer als Einer, und wir müssen die Dinge nehmen wie sie sind, und nicht wie wir sie wünschen.«

»Hört, Wildtödter,« erwiederte der Indianer mit einem so entschiedenen Nachdruck, daß man wohl sah, wie Ernst es ihm war: »Wenn Chingachgook in den Händen der Huronen wäre, was würde mein Bleichgesichtbruder thun? Nach den Delawarendörfern schleichen und den Häuptlingen, und alten Männern, und jungen Kriegern sagen: ›Seht, hier ist Wah-ta!-Wah; sie ist gerettet, und wohlbehalten, aber ein wenig ermüdet; und hier ist der Sohn von Unkas, nicht so ermüdet wie die Gaißblattblüthe, weil er stärker ist, aber ebenso wohlbehalten.‹ Würdet Ihr das thun?«

»Nun, das ist ungemein sinnreich; es ist schlau genug selbst für einen Mingo. Der Herr allein weiß, was Euch auf den Gedanken gebracht, eine solche Frage zu thun. Was ich thun würde? Ha, für’s Erste würde wohl Hist schwerlich überhaupt in meiner Gesellschaft seyn, denn sie würde Euch so nahe bleiben als möglich, und daher könnte Alles, was sie betraf, nicht gesprochen werden, ohne Unsinn zu sprechen. Das Ermüdetseyn, das würde auch wegfallen, wenn sie gar nicht mitkäme, und kein Theil Eurer Rede würde wohl in meinen Mund passen; so seht Ihr, Schlange, die Vernunft ist gegen Euch, und Ihr könnt es immerhin aufgeben; denn gegen die Vernunft Etwas behaupten, geziemt sich in keiner Weise für einen Häuptling von Eurem Charakter und Ruf.«

»Mein Bruder ist nicht er selbst; er vergißt, daß er zu Einem redet, der an den Berathungsfeuern seiner Nation gesessen ist,« versetzte der Andere mild. »Wenn Männer sprechen, sollten sie Nichts sagen, was auf der einen Seite des Kopfes hinein und auf der andern herausgeht. Ihre Worte sollten nicht Federn seyn, so leicht, daß ein Wind, der das Wasser nicht kräuselt, sie fortwehen kann. Er hat auf meine Frage nicht geantwortet; wenn ein Häuptling eine Frage stellt, sollte sein Freund nicht von andern Dingen plaudern.« »Ich versteh‘ Euch, Delaware; ich verstehe wohl, was Ihr meint, und die Wahrheit erlaubte mir nicht, es anders zu sagen. Dennoch ist es nicht so leicht, Euch zu antworten, wie Ihr zu glauben scheint, aus diesem einfachen Grunde: Ihr verlangt, ich solle sagen was ich thäte, wenn ich eine Verlobte hätte wie Ihr hier habt, auf dem See, und einen Freund drüben im Lager der Huronen, mit Martern bedroht. Das ist es, nicht so?«

Der Indianer nickte schweigend mit dem Kopf, immer mit unbeweglichem Ernst, obgleich sein Auge zwinkerte bei dem Anblick von des Andern Verlegenheit.

»Nun gut, ich hatte nie eine Verlobte, kannte nie die Art von Gefühlen gegen ein junges Weib, wie Ihr gegen Hist; obgleich der Herr weiß, daß meine Gefühle wohlwollend genug sind gegen Alle. Dennoch aber ist mein Herz, wie sie es nennen, in solchen Dingen nicht geübt, und daher kann ich nicht sagen, was ich thäte. Ein Freund zieht stark an Einem; das weiß ich aus Erfahrung, Schlange; aber nach Allem, was ich gesehen und gehört habe von der Liebe, bin ich geneigt zu glauben, daß eine Verlobte noch stärker zieht.«

»Wahr, aber die Verlobte Chingachgooks zieht nicht nach den Hütten der Delawaren hin; sie zieht hinüber nach dem Lager der Huronen.«

»Sie ist ein edles Mädchen, mit all ihren kleinen Füßen und Händen, die nicht größer sind als die eines Kindes, und einer Stimme, die so lieblich ist, wie die eines Spottvogels; sie ist ein edles Mädchen und ganz wie der Stamm ihrer Väter. Nun was ist es denn, Schlange? denn ich bilde mir ein, sie hat doch nicht ihren Sinn geändert, und will sich ausliefern, und ein Huronenweib werden? Was habt Ihr im Sinne?

»Wah-ta!-Wah will nimmermehr im Wigwam eines Irokesen leben,« antwortete der Delaware trocken. »Sie hat kleine Füße, aber sie können sie zu den Dörfern ihres Volkes tragen; sie hat auch kleine Hände, aber ihr Gemüth ist groß. Mein Bruder wird sehen, was wir thun können, wenn die Zeit kommt, ehe wir ihn unter den Martern der Mingo’s sterben lassen.«

»Unternehmt nichts Unvorsichtiges,« sagte der Andere ernst; »ich glaube wohl, Ihr werdet und müßt Euren Willen haben; und im Ganzen ist es recht, daß Ihr ihn habt; denn Ihr würdet Euch nicht glücklich fühlen, wenn nicht Etwas unternommen würde. Aber beginnt nichts Unvorsichtiges. Ich erwartete, daß Ihr den See nicht verlassen würdet, so lang meine Sache in Ungewißheit schwebte; aber bedenkt, Schlange, daß keine Martern, welche sinnreiche Grausamkeit der Mingo’s erdenken mag, keine Verspottungen und Schmähungen, kein Brennen und Rösten und Nägelausziehen, noch irgend welche unmenschliche Quälereien meinen Geist so leicht niederdrücken könnten, als wenn ich sehen müßte, daß Ihr und Hist, über dem Bestreben, Etwas zu meinen Gunsten zu thun, in die Hände des Feindes gefallen wäret.«

»Die Delawaren sind vorsichtig. Wildtödter wird sehen, daß sie nicht mit geschlossenen Augen in ein fremdes Lager hineinrennen.«

Hier endete die Unterredung. Hetty kündigte sofort an, daß das Frühstück bereit sey, und die ganze Gesellschaft saß bald um den einfachen Tisch in der gewöhnlichen, urzuständlichen Weise der Grenzleute herum. Judith nahm zuletzt ihren Sitz ein, bleich, schweigsam, und mit den Spuren einer bang und schmerzlich, wo nicht schlaflos, verbrachten Nacht in ihrem Angesicht. Keine Sylbe ward bei dieser Mahlzeit gesprochen, und alle Frauen zeigten Mangel an Appetit, während bei den Männern in diesem Punkt keine Veränderung zu bemerken war. Es war noch frühe, als die Gesellschaft aufstand, und noch blieben einige Stunden, bis der Gefangene seine Freunde verlassen mußte. Dieser wohl bekannte und bedachte Umstand, und die Theilnahme, die sie an seinem Schicksal fühlten, versammelte Alle wieder auf der Plattform, weil sie wünschten, in der Nähe des vermuthlichen Opfers zu weilen, seinen Reden zu horchen, und wo möglich durch Zuvorkommenheit gegen seine Wünsche ihm ihre Theilnahme zu bezeigen. Wildtödter selbst war, so viel menschliche Augen sehen konnten, ganz unerschüttert, er sprach heiter und natürlich, obwohl er jede unmittelbare Hindeutung auf das zu befürchtende, große Ereigniß des Tages vermied. Wenn man irgend ein Anzeichen davon entdecken konnte, daß seine Gedanken überhaupt auf diesen peinlichen Gegenstand sich richteten, so war es die Art, wie er vom Tod und von dem letzten großen Wechsel sprach.

»Grämt Euch nicht, Hetty,« sagte er; denn während er das schwachsinnige Mädchen über den Verlust ihrer Eltern tröstete, verrieth er seine Gefühle in der bezeichneten Weise, »sintemal Gott es so verhängt hat, daß Alle sterben müssen. Eure Eltern, oder die Ihr dafür gehalten, was auf Eins hinausläuft, sind vor Euch hingegangen; das ist nur in der Ordnung der Natur, mein gutes Mädchen, denn die Alten gehen zuerst, und die Jungen folgen. Aber Wer eine Mutter gehabt hat, wie die Eurige war, Hetty, kann nicht im Zweifel seyn, daß er das Beste hoffen dürfe über die Gestaltung der Dinge in einer andern Welt. Der Delaware hier, und Hist, glauben an glückliche Jagdreviere, und haben Ideen, wie sie für ihre Begriffe und Gaben als Rothhäute passen; aber wir, die wir von weißem Blute sind, halten an einer ganz andern Lehre fest. Doch vermuthe ich so ziemlich, unser Himmel ist ihr Land der Geister, und der Pfad, der dahin führt, wird von allen Farben gleicherweise betreten. Es ist für die Ruchlosen unmöglich, darein einzugehen, das will ich zugeben; aber Freunde können schwerlich getrennt werden, wenn sie auch nicht von derselben Race auf Erden sind. Richtet Euer Gemüth auf, arme Hetty, und sehet getrost dem Tag entgegen, wo Ihr Eure Mutter wieder sehen werdet, und das ohne Leid und Kummer.«

»Ich erwarte Mutter wieder zu sehen,« versetzte das wahrhafte und einfache Mädchen. »aber was wird aus Vater werden?«

»Das ist eine Frage zum Maulstopfen, Delaware,« sagte der Jäger in indianischer Sprache, »das ist gradezu eine Frage zum Maulstopfen! Die Bisamratze war kein Heiliger auf Erden, und es ist gut errathen, daß er drüben eben auch kein sonderlicher seyn wird! Indeß, Hetty,« und hier glitt er mit einem leichten Uebergang in’s Englische hinüber, »indeß, Hetty, wir müssen Alle das Beste hoffen; das ist das Klügste, und es ist bei Weitem das Wohlthätigste für das Gemüth, wenn man es nur thun kann. Ich empfehle Euch, auf Gott zu vertrauen, und alle Eure Besorgnisse und kleinmüthigen Gefühle fahren zu lassen. Es ist wunderbar, Judith, wie verschiedene Leute so verschiedene Begriffe von der Zukunft haben, und sich die Einen diesen, die andern jenen Wechsel vorstellen. Ich habe weiße Lehrer gekannt, die da glaubten, im andern Leben sey Alles Geist; und auch wieder solche, die meinten, der Leib werde in eine andre Welt versetzt, ungefähr wie die Rothhäute selbst sich’s einbilden, und daß wir dort wandeln werden im Fleisch, und einander kennen, und mit einander reden, und Freunde seyn, wie wir hier gewesen.«

»Welche von diesen Meinungen gefällt Euch am Besten, Wildtödter?« fragte das Mädchen, das gern auf seine schwermüthige Stimmung einging, und selbst keineswegs frei war von ihrem Einfluß. »Wäre es Euch unangenehm, zu denken, Ihr werdet Alle, die auf dieser Plattform jetzt stehen, in einer andern Welt wieder finden? Oder habt Ihr uns hier genug kennen gelernt, um froh zu seyn, wenn Ihr uns nicht wieder seht?«

»Das letztere würde den Tod zu etwas Bitterem machen, ja, das würde es. Es sind acht gute Jahre, seit Schlange und ich miteinander zu jagen anfingen, und der Gedanke, daß wir uns nie wieder sehen sollten, wäre für mich ein harter Gedanke. Er sieht der Zeit entgegen, wo wir miteinander eine Art von Geistwildpret jagen werden, auf Ebenen, wo keine Dornen, kein Gestrüppe, keine Sümpfe und andere Mühseligkeiten zu überwinden sind, während ich nicht all diesen Begriffen beifallen kann, angesehen daß sie gegen die Vernunft zu seyn scheinen. Geister können nicht essen, haben auch keine Kleider nöthig; und Wild kann man von Rechtswegen nur jagen, um es zu tödten, und nur tödten, des Wildprets oder der Häute wegen. Nun finde ich es schwierig, anzunehmen, daß selige Geister Wild jagen sollten, ohne einen rechten Zweck, und die einfältigen Thiere quälen, nur um ihrer eigenen Lustbarkeit und Ergötzung willen. Ich habe noch nie auf einen Hirsch oder ein Thier abgedrückt, Judith, als wenn ich Nahrung oder Kleider bedurfte.«

»Diese Erinnerung, Wildtödter, muß jetzt ein großer Trost für Euch sehn.«

»Der Gedanke an solche Dinge ist es, meine Freunde, was einen Mann fähig macht, seinen Urlaub zu halten. Es möchte auch ohne dieß geschehen, ich geb‘ es zu! denn die schlimmsten Rothhäute thun manchmal ihre Pflicht in diesem Stücke; aber es macht, was sonst schwer wäre, leicht, wenn auch nicht ganz nach unserem Geschmack. Nichts in Wahrheit gibt ein kühneres Herz, als ein leichtes Gewissen,«

Judith wurde blässer als je, aber sie rang, ihre Selbstbeherrschung zu behaupten, und es gelang ihr. Der Kampf jedoch war heftig gewesen, und sie war jetzt so wenig zum Sprechen aufgelegt, daß Hetty den Gegenstand weiter verfolgte. Sie that dieß in der ihr natürlichen, einfachen Weise.

»Es wäre grausam, das arme Wild zu tödten,« sagte sie, »in dieser Welt, oder in einer andern, wenn Ihr nicht des Fleisches oder der Häute bedürftet. Kein guter weißer, und kein guter rother Mann würde es thun. Aber es ist für einen Christen sündhaft, vom Jagen im Himmel zu reden. Solche Dinge geschehen nicht vor dem Angesicht Gottes, und der Missionär, welcher dergleichen lehrt, kann kein wahrer Missionär seyn. Er muß ein Wolf seyn in Schaafskleidern, Ich denke Ihr wißt, was ein Schaaf ist, Wildtödter?«

»Ja wohl, Mädchen; und eine nützliche Creatur ist es für Solche, welche Tuchkleider Häuten vorziehen, zum Winteranzug. Ich verstehe die Natur des Schaafs, obwohl ich noch wenig damit zu thun gehabt habe; und die Natur der Wölfe auch, und kann mir wohl die Idee bilden von einem Wolf im Pelz eines Schaafs, obwohl ich denke, es würde eine heiße Jacke für eine solche Bestie werden in den warmen Monaten!«

»Und Sünde und Heuchelei sind auch heiße Jacken, wie diejenigen finden werden, die sie anziehen,« versetzte Hetty mit bestimmtem Tone; »so würde der Wolf nicht schlimmer daran seyn als der Sünder. Geister jagen nicht, und stellen nicht Fallen, und fischen nicht, und thun Nichts, was nichtige Menschen beginnen, weil sie keine Gelüste dieser Welt zu befriedigen haben. Oh! Mutter sagte mir das Alles vor Jahren schon, und ich möchte es nicht gern bestreiten hören.«

»Nun, meine gute Hetty, in diesem Falle würdet Ihr gut thun, Eure Lehre nicht Hist mittheilen zu wollen, wenn Ihr allein seyd, und die junge Delawarin gerne von Religion spricht. Es ist ihre feststehende Idee, das weiß ich, daß die guten Krieger in der andern Welt Nichts thun als jagen und fischen, obgleich sie, glaube ich, sich nicht einbildet, daß je Einer sich zum Fallenstellen erniedrigt, was keine Beschäftigung für einen Tapfern ist. Aber des Jagens und Fischens haben sie, nach ihrem Begriffe, Genüge und das dazu auf den angenehmsten Jagdrevieren, und unter Wild, bei dem es immer die rechte Jahreszeit ist, und das gerade flink und klug genug ist, um dem Tödter einen Reiz zu geben. So möchte ich Euch denn nicht anrathen, Hist auf diese Idee zu bringen.«

»Hist kann nicht so sündhaft seyn, irgend dergleichen zu glauben,« erwiederte die Andere ernst, »Kein Indianer jagt mehr nach dem Tode.«

»Kein sündhafter Indianer, geb‘ ich Euch zu; kein sündhafter Indianer, allerdings. Der muß die Munition herbeitragen, und zusehen, ohne an der Kurzweil Theil zu haben, und kochen, und Feuer anzünden, und Alles thun, was nicht Mannesarbeit ist. Merkts Euch aber jetzt: das sind nicht meine Ideen, sondern es sind Hist’s Ideen, und daher, um des Friedens willen, je weniger Ihr darüber und dagegen zu Ihr redet, desto besser.«

»Und was sind Eure Ideen von dem Schicksal eines Indianers in der anderen Welt?« fragte Judith, die jetzt eben ihre Stimme wieder gefunden hatte.

»Ha, Mädchen, Alles eher als das! Ich bin ein zu guter Christ, um solche phantastische Dinge wie Jagen und Fischen nach dem Tod zu erwarten; auch glaube ich nicht, daß ein Manitou für die Rothhäute ist, und ein Andrer für die Bleichgesichter. Ihr findet verschiedene Farben auf der Erde, wie Jeder sehen kann; aber Ihr findet nicht verschiedene Naturen. Verschiedene Gaben, aber nur Eine Natur!«

»In was unterscheidet sich eine Gabe von einer Natur? Ist nicht die Natur selbst eine Gabe von Gott?«

»Gewiß; daß ist rasch gedacht und beifallswürdig, Judith, obwohl die Hauptidee falsch ist. Eine Natur ist die Creatur selbst; ihre Wünsche, Bedürfnisse, Ideen und Gefühle, wie das Alles mit ihr geboren ist. Diese Natur kann sich nie verändern in der Hauptsache, obgleich sie einige Zunahme oder Abnahme erleiden mag. Gaben aber kommen von den Umständen und Verhältnissen. So, wenn Ihr einen Mann in eine Stadt setzt, so bekommt er Stadt-Gaben; wenn in eine Ansiedlung, Ansiedlungsgaben; in einem Wald, Waldgaben. Ein Soldat hat Soldaten-Gaben und ein Missionär Predigers-Gaben. Diese alle wachsen und verstärken sich, bis sie so zu sagen die Natur befestigen, und tausend Handlungen und Ideen zur Entschuldigung dienen. Doch ist im Grunde die Creatur dieselbe; gerade wie ein Mann, der in Uniform gekleidet ist, derselbe ist wie der in Häute Gekleidete. Die Kleider machen einen Unterschied für’s Auge, und vielleicht auch eine Veränderung im Benehmen, aber keine im Menschen selbst. Darin liegt die Rechtfertigung der Gaben; angesehen, daß Ihr ein verschiedenes Benehmen erwartet von Einem in Seide und Atlaß, und von einem in grober Leinwand; obgleich der Herr, der nicht die Kleider gemacht hat, aber die Kreaturen selbst geschaffen hat, nur auf sein eignes Werk sieht. Das ist nicht eigentlich die Lehre der Missionäre, aber sie kommt ihr doch so nahe, als dieß bei einem Manne von weißer Farbe nöthig ist. Ach Himmel! wenig dachte ich daran, heute von solchen Sachen zu sprechen, aber es ist eine von unsern Schwachheiten, daß wir nie wissen, was geschehen wird. Tretet mit mir eine Minute in die Arche, Judith, Ich wünsche mit Euch zu sprechen.«

Judith gehorchte mit einer Bereitwilligkeit, die sie kaum verhehlen konnte. Sie folgte dem Jäger in die Cajüte, setzte sich auf einen Stuhl, während der junge Mann Killdeer, die Büchse, die sie ihm geschenkt, aus einer Ecke hervorholte, und sich, die Waffe auf seinen Knieen, auf einen andern setzte. Nachdem er das Gewehr um und um besehen, und Schloß und Schwanzschraube mit einer Art von zärtlicher Emsigkeit untersucht hatte, legte er es weg, und kam auf den Gegenstand zu sprechen, wegen dessen er die Besprechung begehrt hatte.

»Ich verstand Euch so, Judith, daß Ihr mir diese Büchse habt geben wollen. Ich willigte ein, sie zu nehmen, weil ein junges Weib mit Feuerwaffen nicht Viel anfangen kann. Die Waffe hat einen großen Namen, und sie verdient ihn, und sollte von Rechtswegen von einer bekannten und sichern Hand geführt werden, denn der beste Ruf kann verloren gehen durch nachlässige und achtlose Behandlung.«

»Kann sie in bessern Händen seyn, als worin sie jetzt ist, Wildtödter? Thomas Hutter fehlte selten damit; bei Euch wird sie gewiß –«

»Gewisser Tod!« unterbrach sie der Jäger lachend. »Ich kannte einmal einen Bibermann, der ein Gewehr hatte, das er ebenso nannte, aber es war lauter Prahlerei, denn ich habe Delawaren gekannt, die ebenso sicher waren mit Pfeilen auf eine kleine Schußweite. Indessen, ich will meine Gaben nicht läugnen – und dieß ist eine Gabe, Judith, und nicht Natur – und will daher zugeben, daß die Büchse nicht wohl in bessern Händen seyn könnte, als worin sie sich jetzt befindet. Aber wie lang wird sie wahrscheinlich darin bleiben? Unter uns mag die Wahrheit gesagt werden, obgleich ich sie vor Schlange und Hist nicht gerne kund werden ließe: aber Euch kann ich die Wahrheit sagen, sintemal Euer Gefühl wohl nicht so dadurch gemartert werden wird, als das von denjenigen, welche mich länger und genauer kennen! Wie lang werde ich muthmaßlich diese Büchse, oder irgend eine andere behalten? Das ist eine ernste Frage, bei der unsre Gedanken zu verweilen haben; und sollte das eintreten, was sogar wahrscheinlich ist, so wäre Killdeer ohne einen Eigenthümer.«

Judith hörte mit anscheinender Fassung zu, obwohl der innere Kampf sie beinahe überwältigte. Da sie jedoch den eigenthümlichen Charakter ihres Gesellschafters zu würdigen wußte, gelang es ihr, ruhig zu erscheinen, obwohl ein Mann von seiner scharfen Beobachtung wäre nicht seine Aufmerksamkeit ausschließlich von der Büchse in Anspruch genommen gewesen, fast unfehlbar die tödtlich-peinliche Stimmung hätte entdecken müssen, womit das Mädchen seinen Worten zuhörte. Aber ihre große Selbstbeherrschung machte es ihr doch noch möglich, den Gegenstand in der Weise zu verfolgen, daß sie ihn täuschte.

»Was wolltet Ihr, daß ich mit der Waffe anfinge,« fragte sie, »sollte der Fall eintreten, den Ihr zu erwarten scheint?«

»Das ist es gerade, worüber ich mit Euch zu sprechen wünschte, Judith – das ist es gerade. Da ist jetzt Chingachgook, obgleich weit entfernt davon, vollkommen sicher mit der Büchse zu seyn – denn dahin bringen es wenige Rothhäute jemals – obgleich weit entfernt, vollkommen sicher zu seyn, ist er doch ein respektabler Schütze und bringt es weiter. Demungeachtet, er ist mein Freund; und vielleicht mein um so besserer Freund, als nie Mißstimmungen zwischen uns eintreten können, unsere Gaben betreffend, da die seinigen nun einmal roth, und die meinigen ganz weiß sind. Nun würde ich gerne die Büchse Killdeer der Schlange hinterlassen, sollte Etwas eintreten, was mir verwehrte, Eurer kostbaren Gabe, Judith, ihr Recht und ihre Ehre anzuthun.«

»Hinterlaßt sie Wem Ihr wollt. Wildtödter; die Büchse ist Euer Eigenthum, thut damit nach Belieben; Chingachgook soll sie haben, falls Ihr nicht zurückkehrtet, sie anzusprechen, wenn das Euer Wunsch ist.«

»Ist Hetty über diese Sache auch befragt wurden? das Eigenthum geht von den Eltern auf die Kinder über, und nicht auf Ein Kind besonders.«

»Wenn Ihr Euer Recht auf das Gesetz gründen wollt, Wildtödter, so fürchte ich, Keiner von uns kann für den Eigenthümer gelten. Thomas Hutter war so wenig der Vater Esthers, als er der Vater Judith’s war. Judith und Esther sind wir in Wahrheit, da wir keinen andern Namen haben.« »Das mag Gesetzesrecht seyn, aber es ist nicht viel Vernunft darin, Mädchen. Nach dem Brauch der Familien sind die Güter Euer, und Niemand ist, der dem widersprechen könnte. Wenn Hetty nur sagen wollte, daß sie einwillige, wäre mein Gemüth vollkommen beruhigt über die Sache. Es ist wahr, Judith, daß Eure Schwester weder Eure Schönheit noch Euren Witz besitzt, aber wir sollten am zärtlichsten verfahren mit den Rechten und der Wohlfahrt der Geistesschwachen.«

Das Mädchen antwortete nicht, sondern sie ging an ein Fenster und rief ihre Schwester zu sich. Als die Frage Hetty vorgelegt ward, trat sie mit ihrem einfältigen und wohlwollenden Wesen freudig dem Vorschlag bei, Wildtödtern das volle Eigenthumsrecht auf die vielbegehrte Büchse zu übertragen. Dieser schien nun, für den Augenblick wenigstens, vollkommen glücklich; und nachdem er seine Beute hin und her besichtigt, sprach er seinen Entschluß aus, ehe er den Ort verließ, ihre Verdienste noch praktisch zu erproben. Kein Knabe kann begieriger seyn, die Eigenschaften seiner Trompete oder seiner Armbrust geltend zu machen, als der einfache Waldmann es war, die Tugenden seiner Büchse zu probiren. Auf die Plattform zurückkehrend, nahm er zuerst den Delawaren beiseite, und setzte ihn in Kenntniß, daß das berühmte Gewehr sein Eigenthum werden solle, falls ihm selbst etwas Ernstliches zustieße.

»Das ist ein Grund mehr, warum Ihr vorsichtig seyn solltet, Schlange, und nicht unbesonnen in eine Gefahr hineinrennen,« fuhr der Jäger fort, »denn es wird an sich schon ein Sieg für einen Stamm seyn, ein solches Gewehr wie dieses zu besitzen! Die Mingo’s werden grün werden vor Neid; und was Mehr ist, sie werden sich nicht leichtsinnig in die Nähe eines Dorfes wagen, wo sie dasselbe bewahrt wissen. So seht denn wohl zu, Delaware, und bedenkt, daß Ihr jetzt über ein Ding zu wachen habt, das allen Werth einer Creatur hat, ohne ihre Fehler. Hist mag und soll Euch kostbar seyn, aber Killdeer wird die Liebe und Verehrung Eures ganzen Volkes für sich haben.«

»Eine Büchse wie die andere, Wildtödter,« versetzte der Indianer auf Englisch, denn dieser Sprache bediente sich auch der Andere, ein wenig gekränkt darüber, daß sein Freund seine Verlobte einem Gewehr gleich setzte. »Alle tödten, alle Holz und Eisen. Weib theuer dem Herzen; Büchse gut zum Schießen.«

»Und was ist der Mann in den Wäldern, ohne Etwas, womit er schießen kann? ein erbärmlicher Fallensteller, oder ein Verlorener Besen- und Körbe-Macher auf’s Höchste. Ein solcher Mann mag Korn bauen, und Leib und Seele zusammenhalten, aber nimmermehr kann er die schmackhaftesten Stücke vom Wildpret kennen, oder einen Bärenschinken von dem eines Schweins unterscheiden. Kommt, mein Freund, eine solche Gelegenheit bietet sich vielleicht nie wieder dar, und ich empfinde ein starkes Gelüsten nach einer Probe mit diesem berühmten Gewehr. Ihr sollt Eure eigne Büchse holen, und ich will mit Killdeer nur so obenhin zielen, damit wir einige seiner geheimen Tugenden kennen lernen.«

Da dieser Vorschlag geeignet war, den trüben Gedanken der ganzen Gesellschaft eine neue Richtung zu geben, während er zugleich ein nicht unwillkommnes Ergebniß versprach, war Jedermann geneigt, darauf einzugehen; und die Mädchen brachten die Feuerwaffen mit einer an Munterkeit grenzenden Rührigkeit herbei. Hutter’s Waffenschrank war wohl versehen, denn er besaß mehrere Büchsen, welche gewöhnlich alle geladen waren, immer in Bereitschaft, wenn man ihrer plötzlich benöthigt wäre. Im jetzigen Falle durfte man nur das Pulver auf der Pfanne erneuern, so waren sämmtliche Gewehre zum augenblicklichen Dienst bereit. Dieß war bald geschehen, da Alle dabei behülflich, und die Frauen in diesem Punkt des Vertheidigungssystems so erfahren waren, wie ihre männlichen Genossen.

»Jetzt, Schlange, wollen wir ganz bescheiden anfangen, und zuerst des alten Tom gemeine Büchsen probiren, und mit Eurer Waffe und Killdeer als letzten Rednern, den Beschluß machen,« sagte Wildtödter, erfreut, wieder eine Waffe in der Hand zu haben, und bereit, seine Geschicklichkeit zu zeigen. »Hier sind Vögel im Ueberfluß, einige in, einige über dem See, und sie halten sich in einer guten Schußweite, wie sie so um die Hütte herum schweben. Sprecht aus, was Ihr denkt, Delaware, und bezeichnet die Creatur, die Ihr zu erschrecken gesonnen seyd. Da ist ein Taucher ganz in der Nähe nach Osten zu, und das ist eine Creatur, die sich beim Blitzen des Gewehrs sogleich versteckt, und Waffe und Pulver recht erproben kann.«

Chingachgook war ein Mann von wenig Worten. Sobald ihm der Vogel gezeigt worden war, zielte er und feuerte. Die Ente tauchte unter beim Blitzen des Schusses, und die Kugel tanzte ohne Schaden zu thun, über die Fläche des See’s hin, zuerst das Wasser berührend wenige Zolle von der Stelle, wo eben noch der Vogel geschwommen. Wildtödter lachte herzlich und natürlich; aber zu gleicher Zeit stellte er sich in die Positur des Schützen und stand da, scharf die ruhige Wasserfläche beobachtend. Alsbald zeigte sich ein dunkler Fleck, und dann tauchte die Ente auf, um Athem zu schöpfen, und schüttelte ihre Flügel. Während sie noch dieß that, ging ihr eine Kugel gerade durch die Brust, und warf sie wirklich leblos auf den Rücken. Im nächsten Augenblick stand Wildtödter, den Kolben seiner Büchse auf die Plattform gestützt, so ruhig da, als wäre nichts geschehen, obwohl er in seiner eigenthümlichen Art lachte.

»Das ist keine rechte Probe von der Güte der Gewehre!« sagte er, wie bestrebt, einer falschen Schätzung seines Verdienstes zuvorzukommen. »Nein, das beweist weder für noch gegen die Büchsen, angesehen daß Alles Schnelligkeit der Hand und des Auges war. Ich überraschte den Vogel in einem für ihn ungünstigen Augenblick, sonst wäre er wohl auch wieder untergetaucht, ehe die Kugel ihn erreichte. Aber die Schlange ist zu klug, um auf solche Schliche zu achten, da er lange schon daran gewohnt ist. Erinnert Ihr Euch der Zeit, Häuptling, wo Ihr Euch der wilden Gans sicher glaubtet, und ich nahm sie Euch aus den Augen gleichsam mit ein wenig Rauch! Indessen solche Dinge gelten für Nichts unter Freunden, und junge Leute wollen ihren Spaß haben, Judith. Ja, da ist gerade der Vogel, den wir brauchen, denn er ist so gut fürs Feuer, wie zum Ziel, und Nichts sollte unbenutzt bleiben, was irgend vorteilhaft verwendet werden kann. Dort, weiter nördlich, Delaware!« Der letztere schaute hinaus in der angedeuteten Richtung und bald sah er eine große schwarze Ente, in stattlicher Ruhe auf dem Wasser dahin schwimmend. In jenen frühen Tagen, wo so wenig Menschen da waren, die Harmonie der Wildniß zu stören, waren alle die kleinern Seen, an welchen das Innere von Neu-York so reich ist, Sammelplätze für die Wasserzugvögel; und dieser See, wie die übrigen, war einst sehr bevölkert von allen Gattungen der Ente, von der Gans, der Möve, der Lomme. Nach Hutter’s Ankunft ward der See vergleichungsweise mit andern, entfernteren und abgelegneren Seen, wohin die Vögel sich zogen, leer, doch verweilten noch immer einige von jeder Gattung daselbst, wie in der That noch bis auf die heutige Stunde. In diesem Augenblick waren wohl hundert Vögel vom Castell aus sichtbar, die auf dem Wasser schliefen, oder ihre Federn in dem klaren Element wuschen, obgleich kein andrer eine so günstige Zielscheibe darbot, wie der, auf welchen Wildtödter seinem Freunde deutete. Chingachgook sparte wie gewöhnlich seine Worte und schritt gleich zum Werke. Dießmal zielte er sorgfältiger als zuvor, und dem entsprach auch der Erfolg. Dem Vogel wurde ein Flügel gelähmt, und er flatterte kreischend über das Wasser dahin und entfernte sich so wesentlich von seinen Feinden.

»Dem Vogel muß man sein Leiden abkürzen,« rief Wildtödter im Augenblick, wo das Thier versuchte, aufzuflattern; »und dieß ist die Büchse und die Hand, es zu thun.«

Die Ente flatterte noch dahin, als die tödtliche Kugel sie ereilte, und den Kopf vom Halse trennte, so sauber, als wäre es mit dem Beil geschehen. Hist hatte sich bei dem Erfolge des jungen Indianers einen leisen Freudenschrei erlaubt! jetzt aber gab sie sich die Miene, die größere Geschicklichkeit seines Freundes mit Verdruß zu empfinden. Der Häuptling dagegen stieß den gewöhnlichen Ausruf des Vergnügens aus, und sein Lächeln zeigte, wie voll er von Bewunderung und wie entfernt vom Neid war.

»Laßt nur das Mädchen, Schlange; laßt nur Hist’s Gefühle, die weder ersticken, noch ertränken, weder tödten noch verschönern,« sagte Wildtödter lachend. »Es ist den Weibern natürlich, an ihrer Männer Siegen und Niederlagen Theil zu nehmen, und Ihr seyd so gut wie Mann und Frau, was Vorurtheil und Freundschaft anbelangt. Da ist ein Vogel über uns, der wird die Gewehre auf die Probe stellen ; ich fordre Euch heraus auf ein Ziel in der Höhe, mit fliegender Scheibe, das ist eine wahre Probe, und eine, die sichre Büchsen wie sichre Augen verlangt.«

Es war auf dem See auch die Art von Adlern, die das Wasser aufsuchen und von Fischen leben, und einer schwebte in beträchtlicher Höhe über der Hütte, begierig eine Gelegenheit zum Herabstoßen erwartend; und seine hungrigen Jungen streckten ihre Köpfe aus einem Nest, das man auf dem nackten Wipfel einer abgestorbenen Fichte sah. Chingachgook legte schweigend ein neues Gewehr auf den Vogel an, und nachdem er sich genau seine Zeit ersehen, feuerte er. Ein weiterer Kreis, als gewöhnlich, den der Vogel beschrieb, zeigte an, daß der bleierne Bote in einer nicht großen Entfernung von jenem die Luft durchschnitten, aber sein Ziel verfehlt hatte. Wildtödter, dessen Visiren ebenso rasch als sicher war, feuerte, sobald gewiß war, daß sein Freund gefehlt hatte, und das starke Herabstoßen des Adlers, welches man sogleich darauf bemerkte, ließ es für den Augenblick zweifelhaft, ob er getroffen war oder nicht. Der Schütze selbst jedoch erklärte, daß er nicht glücklich gewesen, und forderte seinen Freund auf, eine neue Büchse zu ergreifen, denn er bemerkte bei dem Vogel Anzeichen seiner Absicht, den Ort zu verlassen.

»Ich habe ihn blinzeln und stutzig gemacht; ich glaube, seine Federn wurden gezaust, aber noch ist sein Blut nicht geflossen und dieß alte Gewehr taugt auch nicht zu einem so genauen und raschen Visiren. Schnell, Delaware; Ihr habt jetzt eine bessre Büchse, und, Judith, bringt Killdeer heraus, denn dieß ist eine Gelegenheit, seine Verdienste zu erproben, wenn er welche hat!«

Eine allgemeine Bewegung trat nun ein, die beiden Nebenbuhler machten sich fertig, und die Mädchen standen in lebhafter Erwartung des Ergebnisses. Der Adler hatte nach seinem tiefern Herabstoßen einen weiten Bogen beschrieben, und jetzt wieder empor flügelnd, schwebte er von neuem so ziemlich über dem Gebäude, sogar in noch größerer Entfernung als zuvor. Chingachgook starrte hinauf, und sprach dann seine Ansicht aus, daß er es für unmöglich halte, einen Vogel in solcher Höhe, und während er beinahe scheitelrecht über dem Zielenden schwebe, zu treffen. Aber ein leises Murmeln Hist’s bewirkte einen plötzlichen Entschluß und er feuerte. Das Ergebniß zeigte, wie richtig er gerechnet, denn der Adler änderte seinen Flug gar nicht, beschrieb ruhig dahin segelnd runde Kreise in seiner luftigen Bahn, und schaute wie verachtend auf seine Feinde herunter.

»Jetzt, Judith,« rief Wildtödter lachend, mit glänzenden und freudigen Augen, »wollen wir sehen, ob die Büchse Wildtödter nicht auch Adlertödter ist! Gebt mir Platz, Schlange, und beobachtet die vernünftige Art des Zielens, denn durch Vernunft kann man Alles lernen.«

Ein sorgfältiges Visiren folgte jetzt, und ward mehreremale wiederholt, während der Vogel immer höher und höher stieg. Dann kam der Blitz und der Knall. Der rasche Bote flog hinauf, und im nächsten Augenblick drehte sich der Vogel auf die Seite, und stieß herunter, bald mit dem einen, bald mit dem andern Flügel schlagend und kämpfend, manchmal in einem Kreis sich umtreibend, dann verzweifelt flatternd, wie bewußt seiner Verletzung, bis er, nachdem er noch ein paar völlige Kreise um den Platz beschrieben, schwer auf das Ende der Arche herabstürzte. Als man den Körper untersuchte, fand man, daß die Kugel halb durch ihn durchgegangen war zwischen einem Flügel und dem Brustbein.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

    An zwei Steintafeln, vor ihr hingebreitet,
Lehnt ihre Brust sie, härter selbst als Stein;
Da schlief der Richter, der den Lohn bereitet
Dem Unrecht und dem Recht mit Trost und Pein;
Da hing all unsrer Schulden Buch und Schein,
Drauf Gut, Bös, Leben, Tod war angeschrieben;
So rein ist nie ein sterblich Herz geblieben,
Dem Lesung dieses Buchs nicht Angstschweiß ausgetrieben.
Giles Fletcher.

»Wir haben etwas Unbesonnenes gethan, Schlange – ja, Judith, wir haben Etwas Unbesonnenes gethan, daß wir ohne einen andern Zweck, als Eitelkeit, tödteten,« rief Wildtödter, als der Delaware den gewaltigen Vogel an den Flügeln emporhielt, während dieser die sterbenden Augen auf seine Feinde geheftet hielt mit jenem Blick, welchen die Hülflosen immer auf ihre Verderber werfen. »Es ziemte mehr zwei Knaben, ihr Gelüste in dieser unbesonnenen Weise zu büßen, als zwei Männern auf dem Kriegspfad, wenn es auch ihr erster ist. Ach Gott! nun, zur Strafe will ich Euch sogleich verlassen, und wenn ich mich allein bei den blutgierigen Mingo’s sehe, ist es mehr als wahrscheinlich, daß ich Gelegenheit finden werde, zu bedenken, daß das Leben süß ist, selbst den Thieren des Waldes und den Vögeln der Luft. Da, Judith, da ist Killdeer; nehmt ihn wieder zurück, und bewahrt ihn auf für eine Hand, die würdiger ist, ein solches Gewehr zu besitzen.«

»Ich weiß keine, die so würdig ist, als die Eurige, Wildtödter,« versetzte hastig das Mädchen; »keine als die Eurige soll die Büchse haben,«

»Wenn es auf die Geschicklichkeit ankäme, möchtet Ihr schon Recht haben, Mädchen, aber wir sollten wissen, wann Feuerwaffen gebrauchen und nicht blos wie. Ich habe das Erste noch nicht gelernt, wie es scheint, so behaltet die Büchse, bis ich es habe. Der Anblick eines sterbenden und gequälten Geschöpfes, wenn es auch nur ein Vogel ist, bringt einen Mann auf heilsame Gedanken, der nicht weiß, wie bald sein eignes Stündlein kommen mag, und der ziemlich sicher voraus sieht, daß es vor Sonnenuntergang kommen wird; ich wollte alle meine eiteln Empfindungen, und meinen Stolz auf Hand und Auge hingeben, wenn nur dieser arme Adler wieder auf seinem Horst bei seinen Jungen wäre, den Herrn preisend, wie wir Allem nach annehmen müssen, für seine Gesundheit und Stärke!«

Die Zuhörenden waren betroffen über diesen Ausbruch plötzlicher Reue bei dem Jäger, und dazu noch über eine so gewöhnliche, wenn schon unbesonnene und gewissermaßen muthwillige That, daß die Menschen sich selten dabei aufhalten, ihre Folgen zu erwägen, oder die physischen Leiden, welche sie dem hülflosen, verfolgten Geschöpf zuzieht. Der Delaware verstand, was Jener sagte, obwohl schwerlich die Gefühle, aus welchen jene Worte hervorgingen, und um die Bedenklichkeit zu beseitigen, zog er sein scharfes Messer und trennte den Kopf des armen Vogels vom Rumpfe.

»Was ist es doch um die Macht!« fuhr der Jäger fort, »und was ist es darum, sie zu haben, und nicht zu wissen, wie sie benützen! Es ist kein Wunder, Judith, daß die Mächtigen so oft ihren Pflichten untreu werden, wenn es selbst den Geringen und Niedrigen so hart ankommt, zu thun was Recht ist, und zu unterlassen, was Unrecht ist. Und dann, wie Eine üble Handlung andre nach sich zieht! Wäre jetzt nicht dieser mein Urlaub, der mich bald zu den Mingo’s zurückführt, so würde ich dieser Creatur Nest finden, wenn ich vierzehn Tage die Wälder durchstreifte – obgleich ein Adlernest bald gefunden ist von Solchen, welche des Vogels Natur verstehen – aber ich würde eher vierzehn Tage herumstreifen, als ablassen es zu suchen, nur um auch den Jungen ihr Leiden abzukürzen.«

»Es freut mich, das von Euch zu hören, Wildtödter,« bemerkte Hetty, »und Gott wird eher Eure Betrübniß über Eure That ansehen, als die Sünde selbst. Ich dachte, wie sündhaft es sey, harmlose Vögel zu tödten, gerade während Ihr schosset, und wollte es Euch sagen; aber ich weiß nicht, wie es kam – ich war so begierig, zu sehen, ob Ihr einen Adler in solcher Höhe treffen könntet, daß ich ganz vergaß zu sprechen, bis das Unheil geschehen war.«

»Das ist es; das ist es gerade, meine gute Hetty. Wir können Alle unsre Fehler und Verirrungen sehen, wenn es zu spät ist, sie ungeschehen zu machen! Indeß, ich bin froh, daß Ihr Nichts gesagt, denn ich glaube, in jenem Augenblick gerade hätten auch ein paar Worte mich nicht abgehalten; und so blieb die Sünde doch nur in ihrer einfachen Nacktheit, und nicht noch erschwert durch Nichtachtung von abmahnenden Warnungen. Nun, nun, bittere Gedanken sind immer eine schwere Last, aber zu gewissen Zeiten eine noch schwerere als sonst.«

Wenig ahnte Wildtödter, während er so Gefühlen sich hingab, die dem Manne so natürlich und so streng im Einklang mit seinen unverfälschten und richtigen Grundsätzen waren, daß nach dem Plane der unerforschlichen Vorsehung, welche so gleichmäßig und doch so geheimnißvoll alle Begebenheiten mit ihrem Mantel bedeckt, eben der Fehler, wegen dessen er sich zu streng zu tadeln geneigt war, das Mittel werden sollte, sein Schicksal auf Erden zu bestimmen. Die Art, wie, und den Augenblick, wo er die Wirkung dieses Vorfalls zu fühlen bekam, anzugeben, wäre hier zu frühe; man wird dieß im Laufe der folgenden Kapitel erfahren. Der junge Mann aber verließ jetzt langsam die Arche, wie Einer, der sich über seine Missethaten bekümmert, und setzte sich schweigend auf der Plattform nieder. Mittlerweile war die Sonne schon ziemlich hoch gestiegen, und ihre Erscheinung, zusammen genommen mit seinen dermaligen Empfindungen, bestimmte ihn, sich zum Weggehen anzuschicken. Der Delaware setzte das Canoe für seinen Freund in Bereitschaft, sobald er seine Absicht erfuhr, und Hist war geschäftig, die wenigen Vorkehrungen zu treffen, die man für seine Behaglichkeit nothwendig erachtete. Alles dieß geschah ohne Schaustellung von Gefühlen, aber in einer solchen Weise, daß Wildtödter die Beweggründe völlig erkannte und ebenso geneigt war, sie zu würdigen. Nachdem Alles fertig war, kehrten Beide zu Judith und Hetty zurück, deren Keine sich von der Stelle gerührt hatte, wo der junge Jäger saß.

»Die besten Freunde müssen sich oft trennen,« begann der Letztere, als er die ganze Gesellschaft um ihn her gruppirt sah. «Ja, Freundschaft kann Nichts ändern an den Wegen der Vorsehung; und mögen unsre Gefühle seyn welche sie wollen, wir müssen scheiden. Ich habe oft gedacht, es gebe Augenblicke, wo unsre Worte länger im Gemüthe haften als gewöhnlich, und wo man eines Rathes eingedenk bleibt, gerade weil der Mund, der ihn gibt, schwerlich ihn wieder geben wird. Niemand weiß, was in der Welt sich zutragen mag! und daher mag es gerathen seyn, wenn Freunde sich trennen in der wahrscheinlichen Aussicht, daß die Trennung lange währen kann – daß sie sich ein paar freundliche Worte sagen als eine Art von Angedenken. Wenn Alle bis auf Eines in die Arche treten wollen, will ich mit Jedem der Reihe nach sprechen, und was Mehr ist, auch anhören, was Ihr zur Erwiederung etwa zu sagen habt; denn das ist ein elender Rathgeber, der nicht ebenso auch nähme, wie gäbe.«

Da man die Absicht des Redenden verstand, entfernten sich sogleich nach seinem Wunsche die beiden Indianer, die beiden Schwestern aber blieben noch bei dem jungen Manne stehen. Ein Blick Wildtödters veranlaßte Judith, sich zu äußern.

»Ihr könnt Hetty Euern Rath ertheilen während Ihr landet,« sagte sie hastig; »ich habe den Plan, daß sie Euch an die Küste begleite.«

»Ist das klug, Judith? Es ist wahr, daß unter gewöhnlichen Umständen ein schwacher Geist ein großer Schirm und Schutz ist unter den Rothhäuten; aber wenn ihre Gefühle aufgeregt und sie auf Rache erpicht sind, ist schwer zu sagen, was geschehen mag. Zudem –«

»Was wollt Ihr sagen, Wildtödter?« fragte Judith, deren Weichheit in Benehmen und Stimme beinahe bis zur Rührung und Zärtlichkeit stieg, obgleich sie kräftig kämpfte, ihre Gemüthsbewegungen und Besorgnisse niederzuhalten.

»Nun, weiter Nichts, als daß es Anblicke und Thaten gibt, von welchen selbst eine so wenig mit Vernunft und Gedächtniß Begabte, wie Hetty hier, besser nicht Zeugin ist. So würdet Ihr wohl thun, Judith, mich allein landen zu lassen und Eure Schwester zurück zu behalten.«

»Seyd ohne Sorge um mich, Wildtödter,« fiel Hetty ein, welche genug von der Besprechung verstand, um ihre Abzweckung im Allgemeinen zu begreifen: »ich bin schwachsinnig, und das, sagen sie, ist ein Vorwand, überall hin zu gehen; und was dadurch nicht entschuldigt, das würde übersehen werden in Betracht der Bibel, die ich immer mit mir führe. Es ist wunderbar, Judith, wie alle Arten von Menschen, die Fallensteller wie die Jäger, Rothe wie Weiße, Mingo’s wie Delawaren, die Bibel fürchten und ihr Ehrfurcht beweisen.«

»Ich denke, Du hast nicht den mindesten Grund, eine Mißhandlung zu befürchten, Hetty,« versetzte die Schwester, »und daher werde ich darauf bestehen, daß Du mit unserm Freund ins Lager der Huronen gehst. Daß Du dorthin gehst, kann Dir selbst keinen Schaden bringen, und könnte für Wildtödter sehr nützlich seyn.«

»Dieß ist kein Augenblick zum Streiten, Judith; und so sollt Ihr in der Sache Euern Willen haben,« versetzte der junge Mann. »Macht Euch fertig, Hetty, und geht in das Canoe, denn ich habe Eurer Schwester ein paar Abschiedsworte zu sagen, die Euch Nichts helfen können.«

Judith und ihr Genosse blieben schweigend, bis Hetty gehorcht und sie allein gelassen hatte, worauf Wildtödter den Gegenstand aufnahm, als ob er durch ein gewöhnliches Begebniß wäre unterbrochen worden, und in sehr bündiger Weise.

»Worte, die man beim Abschied spricht, und die vielleicht die letzten sind, die man von einem Freunde hört, vergißt man nicht sobald,« wiederholte er, »und so, Judith, gedenke ich zu Euch zu sprechen wie ein Bruder, angesehen, daß ich nicht alt genug bin, Euer Vater zu seyn. Erstlich wünsche ich Euch zu warnen vor Euern Feinden, von welchen zwei, kann man sagen, sich an Eure Fersen heften und Euern Weg besetzt halten. Der erste ist: ungewöhnlich gutes Aussehen, was ein so gefährlicher Feind für manches junge Weib ist, als ein ganzer Schwarm Mingo’s, und große Wachsamkeit erheischt, nicht in Bezug auf Bewunderung und Preis, sondern auf Mißtrauen und Täuschung. Ja, gutes Aussehen kann durch Täuschung berückt und auch überlistet werden. Um dieß zu begreifen, dürft Ihr Euch nur erinnern, daß es schmilzt, wie der Schnee, und einmal dahin, kehrt es nie wieder. Die Jahrszeiten kommen und gehen, Judith, und wenn wir Winter haben, mit Sturm und Kälte, und Frühling, mit Frösten und entlaubten Bäumen, haben wir auch Sommer, mit seiner Sonne und prächtigem blauem Himmel, und Herbst mit seinen Früchten, und einem Gewand, über den Wald ausgebreitet, wie es keine Schönheit der Stadt in allen Läden Amerika’s zusammensuchen könnte. Die Erde ist in einem ewigen Kreislauf begriffen, und die Güte Gottes führt wieder das Angenehme zurück, wenn wir des Unangenehmen Genug gehabt haben. Aber nicht ebenso ist es mit dem guten Aussehen. Das ist nur für eine kurze Zeit in der Jugend verliehen, um benutzt und nicht mißbraucht zu werden: und da ich nie ein Mädchen sah, gegen das die Vorsehung so gütig gewesen wäre, wie gegen Euch, Judith, in diesem Punkte, warne ich Euch, gleichsam mit dem letzten Hauche meines Mundes, daß Ihr Euch hütet vor dem Feinde; Freund oder Feind, je nachdem wir mit der Gabe umgehen.«

Es war Judith so angenehm, diese unzweideutige Anerkennung ihrer persönlichen Reize zu vernehmen, daß sie dem Manne, aus dessen Munde sie kam, er hätte seyn mögen wer er wollte, Viel verziehen hätte. Aber in diesem Augenblick, und in Kraft eines weit edleren Gefühls von ihrer Seite, wäre es für Wildtödter sehr schwer gewesen, sie ernstlich zu beleidigen; und sie lieh ihm mit einer Geduld ihr Ohr, von welcher zu hören sie, wenn man ihr nur acht Tage zuvor dieß hätte vorhersagen wollen, mit Entrüstung sich würde gesträubt haben.

»Ich verstehe Eure Meinung, Wildtödter,« versetzte das Mädchen mit einer Milde und Demuth, welche den Andern ein Wenig überraschte, »und hoffe mir, was Ihr sagt, zu Nutze machen zu können. Aber Ihr habt nur Einen der Feinde genannt, die ich zu fürchten habe; Wer, oder Was, ist der andere.«

»Der andere entweicht vor Eurem guten Verstand und Urtheil, wie ich finde, Judith; ja, er ist nicht so gefährlich, wie ich dachte. Indeß, da ich einmal den Gegenstand berührt habe, ist es wohl das Beste, redlich Alles zu Ende zu sagen. Der erste Feind, gegen den Ihr wachsam seyn müßt, wie ich Euch schon gesagt, Judith, ist ein ungewöhnlich gutes Aussehen, und der zweite ist: ein ungewöhnliches Bewußtseyn dieses Umstands. Wenn das erste schlimm ist, so bessert das zweite die Sache in keiner Weise, was Wohlfahrt und Seelenfrieden betrifft.«

Wie lange der junge Mann in seiner einfachen und arglosen, aber wohlgemeinten Weise noch fortgefahren haben würde, ist schwer zu sagen, wäre er nicht dadurch unterbrochen worden, daß seine Zuhörerin in Thränen ausbrach, und sich einer Gefühlsaufwallung hingab, die nur um so gewaltsamer war, mit je größerer Anstrengung sie sie bisher unterdrückt hatte. Zuerst war ihr Schluchzen so heftig und unbändig, daß Wildtödter nicht wenig erschrack, und voll Reue ward von dem Augenblick an, wo er bemerkte, wie viel größer die Wirkung seiner Worte war, als er erwartet hatte. Selbst strenge und in ihren Anmuthungen weitgehende Menschen werden gewöhnlich begütigt und befriedigt durch die Zeichen der Zerknirschung, aber Wildtödters Gemüth bedurfte gar keiner so starken Beweise von Rührung, um zum lebhaften Mitgefühl der Betrübniß des Mädchens gestimmt zu werden. Er stand auf, als hätte ihn eine Natter gestochen, und die Töne der Mutter, die ihr Kind tröstet, sind kaum sanfter und begütigender als seine Stimme und seine Worte waren, wie er jetzt seine Reue darüber aussprach, so weit gegangen zu seyn.

»Es war gut gemeint, Judith,« sagte er, »aber es war nicht die Absicht, Euch so sehr wehe zu thun. Ich habe es mit meinem Rath übertrieben, wie ich sehe; ja, ich habe es übertrieben, und ich bitte Euch deßhalb dringend um Verzeihung. Freundschaft ist ein entsetzliches Ding! Manchmal schilt sie uns, daß wir nicht Genug gethan haben; und dann wieder macht sie uns Vorwürfe, daß wir zu Viel gethan. Wie dem sey, ich gestehe, daß ich zu weit gegangen bin, und da ich eine wirkliche und lebhafte Achtung für Euch habe, erkläre ich dieß mit Freuden, insofern es beweist, wie viel besser Ihr seyd, als Euch meine Eitelkeit und Einbildung dafür hielt.« Jetzt zog Judith die Hände von ihrem Angesicht zurück, ihre Thränen hatten aufgehört, und sie ließ eine so gewinnende Miene blicken mit dem Lächeln, das sie wahrhaft strahlend machte, daß der junge Mann sie einen Augenblick mit sprachlosem Entzücken anstarrte.

»Sagt Nichts weiter, Wildtödter,« entgegnete sie hastig, »es peinigt mich, wenn ich höre, wie Ihr Euch selbst tadelt. Ich erkenne meine Schwäche nur um so besser, nunmehr ich sehe, daß Ihr sie entdeckt habt; die Lehre, so bitter ich sie einen Augenblick empfunden habe, soll nicht vergessen werden. Wir wollen nicht länger von diesen Dingen sprechen, denn ich fühle mich nicht stark genug dazu, und ich möchte nicht, daß der Delaware, oder Hist, oder auch Hetty meine Schwäche bemerkten. Fahrt wohl, Wildtödter! möge Gott Euch segnen und schützen, wie Euer redliches Herz Segen und Schutz verdient, und wie ich es zuversichtlich hoffe!«

Judith hatte so weit wieder die Ueberlegenheit gewonnen, die eigentlich ihrer bessern Bildung, ihrem hochfliegenden Geiste und ihren ausnehmenden persönlichen Vorzügen zukam, daß sie die so zufällig erlangte Gewalt über den Andern behauptete, und wirklich jedes Zurückkommen auf einen Gesprächsgegenstand verhinderte, der eben so seltsam war unterbrochen, als seltsam eingeleitet worden. Der junge Mann ließ ihr ganz ihren Willen, und als sie seine harte Hand mit ihren beiden Händen drückte, widersetzte er sich nicht, sondern ergab sich in diese Huldigung so ruhig und mit einer Alles so in der Ordnung findenden Art, wie ein Fürst einen ähnlichen Tribut von einem Unterthan, oder die Geliebte von ihrem Anbeter würde hingenommen haben. Die Gefühlsaufwallung hatte das Angesicht des Mädchens geröthet und ihr ganzes Wesen erleuchtet, und ihre Schönheit war nie strahlender, als da sie dem Jüngling einen Abschiedsblick zuwarf. Dieser Blick war voll ängstlicher Besorgniß, Interesses, und zarten Mitleids. Im nächsten Augenblick flog sie in die Cajüte und ward nicht mehr gesehen; doch sprach sie von einem Fenster aus zu Hist, um ihr zu sagen, daß ihr Freund sie jetzt erwarte.

»Ihr kennt Rothhaut-Natur und Rothhaut-Bräuche hinlänglich, Wah-ta!-Wah, um die Lage zu verstehen, in der ich bin in Betreff dieses Urlaubs,« begann der Jäger in der Delawarensprache, sobald das geduldige und unterwürfige Mädchen aus diesem Volke still zu ihm herangetreten war; »Ihr werdet daher am besten begreifen, wie unwahrscheinlich es ist, daß ich je wieder mit Euch rede. Ich habe nur Wenig zu sagen; aber dieß Wenige gibt mir ein langer Aufenthalt unter Eurem Volke, und genaue Beobachtung und Erkundigung seiner Gebräuche ein. Das Leben eines Weibes ist hart und mühselig im besten Falle, aber ich muß gestehen, obgleich ich nicht zu Gunsten meiner Farbe eingenommen bin, daß es härter ist unter den rothen Männern, als unter den Bleichgesichtern. Das ist ein Punkt, dessen die Christen sich wohl rühmen dürfen, wenn Rühmen und Prahlen in irgend einer Form und Weise fürs Christenthum sich geziemt, was ich jedoch bezweifle. Wie dem sey, alle Weiber haben ihre Prüfungen. Rothe Weiber haben die ihrigen in der natürlichen Weise, wie ich es nennen möchte, während sie die weißen Weiber so zu sagen inokulirt bekommen. Tragt Eure Last wie sich’s geziemt, Hist, und bedenkt, wenn sie auch etwas beschwerlich seyn sollte, wie viel leichter sie doch ist als die der meisten Indianerinnen. Ich kenne Schlange wohl – was ich nennen darf: von Herzen, und er wird nie ein Tyrann seyn gegen Jemand, den er liebt, obwohl er erwarten wird, selbst als Mohikan’scher Häuptling behandelt zu werden. Es werden wolkige Tage über Eure Hütte kommen, denke ich mir, denn die treten ein bei allen Gebräuchen und unter allen Völkern; aber wenn man die Fenster des Herzens offen hält, wird immer Raum für den Sonnenschein bleiben, hineinzudringen. Ihr selbst seyd der Abkömmling eines großen Stammes, und so Chingachgook auch. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß je Eines diesen Umstand vergessen und Etwas, Eure Voreltern Entehrendes thun sollte. Aber dennoch, die Neigung ist eine zarte Pflanze, und gedeiht nie lange, wenn sie mit Thränen begossen wird. Laßt die Erde um Euer eheliches Glück herum von dem Thau der Freundlichkeit befeuchtet werden!«

»Mein bleicher Bruder ist sehr weise; Wah wird in ihrem Herzen Alles bewahren, was seine Weisheit ihr sagt.«

»Das ist einsichtig und weiblich gesprochen, Hist, Aufmerksamkeit beim Anhören eines guten Raths, und Kraft und Beharrlichkeit in der Befolgung, das ist der große Schutz eines Weibes. Und jetzt bittet Schlange, herzukommen und einen Augenblick mit mir zu sprechen, und nehmt mit Euch alle meine besten Wünsche und Gebete. Ich werde an Euch denken, Hist, und an Euern künftigen Gatten, geschehe was da wolle, und Euch Gutes gönnen hier und Jenseits, sey nun das letztere nach den Ideen der Indianer, oder nach der christlichen Lehre gestaltet.«

Hist vergoß keine Thränen beim Abschied. Sie ward aufrecht erhalten durch die hochsinnige Entschlossenheit eines über seine Handlungsweise entschiedenen Gemüthes; aber ihre dunkeln Augen leuchteten von den Gefühlen, die in ihrem Innern glühten, und ihr hübsches Gesicht strahlte in einem Ausdruck von Entschlossenheit, der in auffallendem und eigenthümlichem Contrast zu seiner gewöhnlichen Sanftheit stand. Es stand nur eine Minute an, bis der Delaware mit dem leichten, geräuschlosen Tritt eines Indianers zu seinem Freund herantrat.

»Kommt hieher, Schlange, hieher, mehr den Weibern aus dem Gesicht,« begann Wildtödter, »denn ich habe Euch Einiges zu sagen, was nicht einmal geargwohnt, viel weniger gehört werden darf. Ihr versteht die Natur der Urlaube und der Mingo’s zu gut, um darüber im Zweifel und in der Ungewißheit zu seyn, was geschehen wird, wenn ich in das Lager zurückkehre. Ueber die zwei Punkte daher werden wenige Worte weit ausreichen. Erstlich, Häuptling, wünsche ich Euch Etwas zu sagen über Hist, und über die Weise, wie Ihr rothen Männer Eure Weiber behandelt. Ich denke, es ist den Gaben Eures Volkes gemäß, daß die Weiber arbeiten und die Männer jagen; aber es gibt in allen Dingen ein Maß und Ziel. Was das Jagen betrifft, so sehe ich keinen Grund, warum dem sollten Grenzen gesteckt werden, aber Hist kommt von einem zu guten Stamme, als daß sie sich wie ein gemeines Weib placken sollte. Einem von Euern Mitteln und Euerm Stand kann es nie an Korn, oder Kartoffeln, oder irgend Etwas fehlen, was das Feld trägt; daher hoffe ich, wird nie Euer Weib die Hacke in die Hand nehmen müssen. Ihr wißt, ich bin nicht ganz ein Bettler, und Alles was ich habe, an Munition, Häuten, Waffen oder Caliko’s schenke ich an Hist, sollte ich nicht zu Ende des Sommers zurückkommen, um es anzusprechen. Das wird dem Mädchen auf lange Zeit zu Statten kommen und die Arbeit für sie abkaufen. Ich denke, ich brauche Euch nicht zu empfehlen, das Mädchen zu lieben, denn das thut Ihr schon, und Wen der Mann wahrhaft liebt, den wird er wohl auch gut halten und pflegen. Dennoch kann es Nichts schaden, wenn ich Euch erinnere, daß freundliche Worte nie im Herzen wurmen, wohl aber bittere. Ich weiß, Ihr seyd ein Mann, Schlange, der weniger dazu gemacht ist, in seiner Hütte zu schwatzen, als am Rathsfeuer zu sprechen; aber achtlose Augenblicke können uns Alle überraschen, und die Uebung in freundlicher Behandlung und freundlichen Worten ist ein wunderbar gutes Mittel, Frieden in einem Hause, wie auf einer Jagd zu erhalten.«

»Meine Ohren sind offen,« erwiederte der Delaware ernst; »die Worte meines Bruders sind so tief eingedrungen, daß sie nie mehr herausfallen können. Sie sind wie Ringe, die kein Ende haben, und nicht herausweichen können. Er spreche weiter; der Gesang des Zaunkönigs und die Stimme eines Freundes werden Einem nie zu Viel.«

»Ich will etwas länger sprechen, Häuptling, aber Ihr werdet es entschuldigen in Betracht alter Kameradschaft, falls ich jetzt von mir selbst rede. Wenn das Schlimmste zum Schlimmsten kommt, wird von mir schwerlich Viel mehr übrig bleiben, als Asche; somit wäre ein Grab überflüssig und eine Art Eitelkeit. Auf diesen Punkt bin ich nicht sonderlich versessen, obgleich es nicht übel wäre, die Ueberbleibsel von dem Holzstoß anzusehen, und sollten sich noch Knochen oder sonst Stücke finden, so wäre es anständiger, sie zu sammeln und zu begraben, als sie liegen zu lassen, daß die Wölfe daran nagten und darüber heulten. Diese Sachen machen am Ende keinen großen Unterschied, aber Männer von weißem Blut und christlichem Gefühl haben doch eher eine Gabe für Gräber.«

»Es soll geschehen, wie mein Bruder sagt,« versetzte der Indianer ernst. »Wenn sein Gemüth voll ist, leere er es aus in die Brust eines Freundes.«

»Dank Euch, Schlange; mein Gemüth ist leicht genug, ja, es ist ziemlich leicht. Ideen drängen sich Wohl auf, an die ich freilich gewöhnlich nicht denke, es ist wahr; aber wenn ich gegen die einen ankämpfe, und den andern Luft mache, wird am Ende Alles in Ordnung kommen. Ein Ding jedoch ist, Häuptling, das mir unvernünftig scheint, und gegen die Natur, obgleich die Missionäre es als wahr gelten lassen; und bei meiner Religion und Farbe fühle ich mich verpflichtet, ihnen zu glauben. Sie sagen, ein Indianer möge den Leib martern und peinigen nach Herzensgelüsten, und skalpiren und schneiden, und reißen und brennen, und alle seine Erfindungsgabe und Teufelei aufbieten, bis Nichts übrig bleibt als die Asche, und diese nach den vier Winden des Himmels verstreuen: dennoch, wenn die Posaune Gottes erschalle, werde sich Alles wieder zusammenfinden, und der Mensch werde wieder in seinem Fleisch dastehen, dieselbe Creatur im Aussehen, wenn auch nicht im Gefühl, wie zuvor, eh‘ er mißhandelt worden!«

»Die Missionäre sind gute Männer; sie meinen es gut,« versetzte der Delaware höflich; »sie sind keine großen Aerzte. Sie glauben Alles, was sie sagen, Wildtödter; das ist kein Grund, daß Krieger und Redner ganz Ohr seyn sollten. Wenn Chingachgook den Vater Tamenunds in seinem Skalp und Bemalung und Kriegslocke stehen sehen wird, dann wird er den Missionären glauben.«

»Sehen ist Glauben, gewiß. Ach ja! und Einer von uns sieht vielleicht dieß Alles eher als wir gedacht hätten. Ich verstehe Eure Meinung in Betreff von Tamenunds Vater, und die Idee ist eine bündige Idee. Tamenund ist jetzt ein alter Mann, wir wollen sagen achtzig, wohlgezählt; und sein Vater ward skalpirt und gemartert, als der jetzige Prophet ein junger Bursch war. Ja, wenn man das geschehen sähe, dann wäre es nicht mehr schwer, Allem Glauben zu schenken, was die Missionäre sagen. Indeß ich bin jetzt nicht gegen ihre Ansicht; denn Ihr müßt wissen, Schlange, daß der große Grundsatz des Christenthums ist: zu glauben ohne zu sehen; und ein Mann sollte immer nach seiner Religion und seinen Grundsätzen handeln, seyen sie welche sie wollen.«

»Das ist sonderbar für eine weise Nation.« sagte der Delaware mit Nachdruck. »Der rothe Mann schaut scharf hin, um zu sehen und zu verstehen.«

»Ja, das ist plausibel und dem menschlichen Stolz angenehm, aber es ist nicht so tief als es scheint. Wenn wir Alles verständen, was wir sehen, Schlange, so wäre es nicht nur klug, sondern auch sicher, jedem Ding unsern Glauben zu versagen, das wir unbegreiflich finden; aber wo es so viele Dinge gibt, von denen wir gar Nichts zu verstehen bekennen müssen, so nützt es Wenig und hat keinen vernünftigen Grund, bedenklich zu seyn gerade in Einem Punkt. Was mich betrifft, Delaware, meine Gedanken sind nicht alle bei der Jagd gewesen, wenn wir in unsrer Jugend auf Jagd und Kundschaft auszogen. Manche Stunde habe ich ganz angenehm zugebracht mit dem, was man bei meinem Volke Beschaulichkeit nennt. Bei solchen Gelegenheiten ist der Geist thätig, obschon der Körper träg und gleichgültig scheint. Ein offner Platz auf einem Berg, wo man Erde und Himmel weithin übersieht, ist ein höchst gutgewählter Ort für einen Mann, um eine richtige Idee von der Macht Manitou’s und von seiner eignen Kleinheit zu bekommen. Zu solchen Zeiten hat man keine große Neigung, sich an kleinen Schwierigkeiten im Begreifen zu stoßen, da so große da sind, sie zu verbergen. Zu solchen Zeiten kommt mich das Glauben leicht genug an; und wenn der Herr zuerst den Menschen aus Erde machte, wie sie mir sagen, daß in der Bibel geschrieben stehe, und dann im Tod ihn in Staub verwandelt, sehe ich keine große Schwierigkeit darin, daß er ihm wieder zu seinem Leibe verhilft, obgleich davon Nichts als Asche übrig geblieben. Diese Dinge liegen über unser Verständniß hinaus, wie nahe sie unsern Gefühlen liegen mögen, und wirklich liegen. Aber von allen Lehren, Schlange, ist, die mich am meisten stört und mein Gemüth in Unruhe versetzt, diejenige, welche uns glauben heißt: ein Bleichgesicht komme in einen Himmel, und eine Rothhaut in einen andern; sie möchte im Tod diejenigen trennen, die viel zusammen lebten, und einander im Leben herzlich liebten.«

»Lehren die Missionäre ihre weißen Brüder dieß glauben?« fragte der Indianer mit gemessenem Ernst. »Die Delawaren glauben, daß gute Männer und tapfere Krieger mit einander jagen werden in denselben luftigen Wäldern, welchem Stamme sie auch angehören mögen; daß alle ungerechten Indianer und Feigen mit den Hunden und Wölfen herumkriechen müssen, um Wildpret für ihre Hütten zu bekommen.«

»Es ist wunderbar, wie mancherlei Einbildungen die Menschen haben, Glück und Elend betreffend in einem andern Leben!« rief der Jäger aus, hingerissen von der Macht seiner eignen Gedanken. »Einige glauben an Feuer und Flammen, und Andere halten es für Strafe, mit den Wölfen und Hunden zu essen. Dann wieder bilden sich Einige ein, der Himmel sey nur die Befriedigung ihrer irdischen Wünsche, während Andere ihn sich ganz voll Gold und glänzender Lichter denken! Nun, ich habe meine eigne Idee in dieser Sache, Schlange, und zwar diese. So oft ich Unrecht gethan, habe ich in der Regel gefunden, daß es von einer Blindheit des Geistes herrührte, welche mich hinderte, das Rechte zu sehen und wenn das Gesicht wieder gekehrt war, dann kam Kummer und Reue. Nun bilde ich mir ein, daß nach dem Tod, wenn der Körper abgelegt, oder, wenn überhaupt noch gebraucht, gereinigt und von seinen Bedürfnissen und Wünschen befreit ist, der Geist alle Dinge in ihrem wahren Licht sieht, und nie gegen Wahrheit und Gerechtigkeit blind wird. Wenn dieß der Fall, schaut man Alles, was man im Leben gethan, so klar, wie die Sonne am Mittag; das Gute bringt Freude, und das Böse Kummer. Daran ist nichts Unvernünftiges, sondern es ist der Erfahrung jedes Menschen gemäß.«

»Ich glaubte, die Bleichgesichter hielten alle Menschen für Sünder, Wer soll dann je den Himmel der Weißen finden?«

»Das ist sinnreich, aber es trifft nicht mit den Lehren der Missionäre zusammen. Ihr werdet eines Tags, ich zweifle nicht, ein Christ werden, und dann wird Euch Alles klar einleuchten. Ihr müßt wissen, Schlange, daß eine große That der Rettung und Erlösung vollbracht worden ist, die mit Gottes Hülfe alle Menschen in Stand setzt, Vergebung zu finden für ihre Sündhaftigkeit, und das ist das Wesentliche der Religion der Weißen. Ich kann mich nicht aufhalten, weitläuftiger hierüber mit Euch zu sprechen, denn Hist wartet im Canoe, und der Urlaub ruft mich weg; aber die Zeit wird, hoffe ich, kommen, wo Ihr das fühlen werdet; denn gefühlt muß es am Ende doch werden, mehr als mit dem Verstande ergründet. Ach weh! nun, Delaware, da ist meine Hand. Ihr wißt, es ist die eines Freundes, und werdet sie als solche schütteln, obgleich sie Euch nicht halb so viel Gutes erwiesen, als ich gewünscht hätte!«

Der Indianer ergriff die dargebotene Hand, und erwiederte den Druck mit Wärme. Dann wieder seinen erworbenen Stoicismus annehmend, den man so häufig für angeborne Gleichgültigkeit hielt, stand er mit Fassung und Zurückhaltung auf, und schickte sich an, von seinem Freunde mit aller Würde sich zu trennen. Wildtödter jedoch war natürlicher; und er hätte sich wohl gar Nichts daraus gemacht, seinen Gefühlen ganz freien Lauf zu lassen, hätte ihn nicht das Benehmen und die Sprache Judiths vor einer kleinen Weile mit geheimer, obwohl unbestimmter Besorgniß vor einer Scene erfüllt. Er war zu bescheiden, um die Wahrheit hinsichtlich der wahren Gefühle dieses schönen Mädchens zu ahnen, während er zu gut beobachtete, als daß er nicht ihren innern Kampf hätte bemerken sollen, der sie so oft einer Entdeckung ihres Geheimnisses so nahe gebracht hatte. Daß etwas Außerordentliches in ihrer Brust sich verberge, war ihm augenfällig genug; und vermöge eines männlichen Zartgefühls, das der feinsten und höchsten Bildung Ehre gemacht haben würde, scheute er zurück vor einer Offenbarung dieses Geheimnisses, welche später das Mädchen selbst hätte reuen können. Daher beschloß er jetzt aufzubrechen, und das ohne weitere Kundgebung von Gefühlen von seiner Seite oder von Andern.

»Gott segne Euch! Schlange – Gott segne Euch!« rief der Jäger, als das Canoe von der Plattform abstieß, »Euer Manitou und mein Gott allein weiß, wann und wo wir uns wieder sehen; ich werde es für einen großen Segen und für eine reichliche Belohnung des wenigen Guten ansehen, das ich etwa auf Erden gethan, wenn es uns vergönnt seyn wird, im andern Leben einander zu erkennen und mit einander zu verkehren, wie wir in diesen lustigen Wäldern vor uns so lange gethan haben!«

Chingachgook winkte mit der Hand – das leichte Tuch, das er trug, über den Kopf ziehend, wie ein Römer seinen Schmerz in seinen Gewändern verbarg, entfernte er sich langsam in die Arche, um allein seinem Kummer und seinen Gedanken nachzuhängen. Wildtödter sprach nicht eher wieder, als bis das Canoe halbwegs am Lande war. Dann hörte er plötzlich auf zu rudern, hiezu veranlaßt durch Hetty, welche das Schweigen mit ihrer sanften, musikalischen Stimme unterbrach.

»Warum geht Ihr zu den Huronen zurück, Wildtödter?« fragte das Mädchen. »Sie sagen, ich sei schwachsinnig, und Solchen thun sie nie ein Leid; aber Ihr habt so viel Verstand als Hurry Harry, und noch mehr, meint Judith, obgleich ich nicht einsehe, wie das möglich ist.«

»Ach, Hetty, ehe wir landen, muß ich mich noch ein Wenig mit Euch besprechen, Kind; und das über Sachen, welche vornemlich Eure Wohlfahrt betreffen. Stellt Euer Rudern ein, oder vielmehr, damit nicht die Mingo’s meinen, wir machen Anschläge und Complotte, und uns darnach behandeln, taucht nur so ganz leicht Eure Schaufel ein, und gebt dem Canoe nur ganz wenig Bewegung und nicht mehr. Das ist gerade die Idee und die Bewegung. Ich sehe, Ihr seyd anstellig genug auf den Augenschein, und wäret wohl zu brauchen bei einer List und Täuschung, wenn das jetzt recht wäre, eine zu versuchen – das ist gerade die Idee und die Bewegung! Ach weh! Trug und eine falsche Zunge sind böse Sachen, und geziemen sich gar nicht für unsere Farbe, Hetty; aber es ist eine Lust und eine Genugthuung, die schlauen Ränke einer Rothhaut zu vereiteln in dem Kampf eines rechtmäßigen Kriegers. Meine Bahn ist kurz gewesen und wird wohl bald ein Ende haben; aber ich kann sehen, daß die Wanderungen eines Kriegers doch nicht ganz zwischen Gestrüppe und Schwierigkeiten hin gehen. Der Kriegspfad hat auch eine glänzende Seite, so gut wie die meisten andern Dinge, wenn wir nur die Weisheit haben, sie zu sehen, und die Großmuth, es zu gestehen.«

»Und warum sollte Euer Kriegspfad, wie Ihr es nennt, seinem Ende so nahe seyn, Wildtödter?«

»Weil, mein gutes Mädchen, mein Urlaub seinem Ende so nahe ist. Vermuthlich werden beide so ziemlich miteinander zu Ende gehen, was die Zeit betrifft – eines folgt dem andern ganz natürlich auf der Ferse.«

»Ich verstehe Eure Meinung nicht, Wildtödter,« versetzte das Mädchen, etwas verwirrt darein schauend. »Mutter sagte immer, die Leute sollten mit mir deutlicher sprechen, als mit den meisten Andern, weil ich schwachsinnig sey. Die Schwachsinnigen fassen nicht so leicht, wie die, die Verstand haben.«

»Nun denn, Hetty, die einfache Wahrheit ist diese. Ihr wißt, daß ich dermalen ein Gefangner von den Huronen bin, und Gefangene nicht in Allem nach ihrem Belieben thun können –«

»Aber wie könnt Ihr ein Gefangner seyn,« unterbrach ihn lebhaft das Mädchen, »da Ihr doch hier auf dem See seyd, in Vaters Rinden-Canoe, und die Indianer in den Wäldern, und gar kein Canoe haben? Das kann nicht wahr seyn, Wildtödter!«

»Ich wünschte von ganzem Herzen und ganzer Seele, Hetty, daß Ihr Recht hättet, und ich Unrecht, statt daß Ihr jetzt Unrecht habt, und ich der Wahrheit nur zu nahe bin. So frei ich Euren Augen scheine, Mädchen, bin ich doch in Wirklichkeit an Händen und Füßen gebunden.«

»Ha, es ist wirklich ein großes Unglück, keinen Verstand zu haben! Ich kann nun einmal nicht sehen noch verstehen, daß Ihr irgend wie ein Gefangner oder gebunden seyd. Wenn Ihr gebunden seyd, womit sind denn Eure Hände und Füße gefesselt?«

»Mit einem Urlaub, Mädchen; das ist ein Band, das fester bindet als irgend eine Kette, diese kann man brechen, aber jenen nicht. Bei Seilen und Ketten kann man sich mit Messern und Listen und Schlauheit helfen; aber ein Urlaub kann weder durchschnitten, noch durchfeilt, noch abgestreift werden.«

»Was für eine Art Ding ist denn ein Urlaub, wenn er stärker ist als Hanf oder Eisen? Ich habe noch nie einen Urlaub gesehen.«

»Ich hoffe, Ihr bekommt nie einen zu fühlen, Mädchen; das Bindende bei diesen Sachen liegt ganz in den Gefühlen, und muß daher gefühlt, nicht gesehen werden. Ihr versteht doch wohl, glaube ich, was es heißt, ein Versprechen zu geben, gute kleine Hetty?«

»Gewiß. Ein Versprechen heißt: Ihr wollet etwas thun, und das bindet Euch so gut als Euer Wort. Mutter hielt immer ihre Versprechen gegen mich und dann sagte sie, es wäre eine Sünde, wenn ich nicht meine Versprechen gegen sie und gegen Jedermann sonst hielte.«

»Ihr habt eine gute Mutter gehabt, in manchen Beziehungen, Kind, was sie auch in andern gewesen seyn mag. Ja, das ist ein Versprechen, und wie Ihr sagt, muß es gehalten werden. Nun bin ich vorige Nacht in die Hände der Mingo’s gefallen, und sie ließen mich los, um meine Freunde zu sehen, und Botschaften zu schicken zu den Leuten meiner Farbe, falls von ihnen an meinem Schicksal Theil nehmen, unter der Bedingung, daß ich zurück sey, wenn die Sonne heute mitten am Himmel steht, und erdulde, was ihr Haß und Rachsucht von Qualen ersinnen kann, zur Sühne für das Leben des Kriegers, der von meiner Büchse fiel, wie auch für das des jungen Weibes, das Hurry erschossen hat, und für andere Widerwärtigkeiten, die ihnen auf dem See und um ihn herum zugestoßen sind. Was man ein Versprechen nennt zwischen Mutter und Tochter, oder auch zwischen Fremden in den Ansiedlungen, wird ein Urlaub genannt, wenn ein Soldat gegen einen andern auf dem Kriegspfad sich dadurch bindet. Und jetzt, denke ich, begreift Ihr meine Lage, Hetty!«

Das Mädchen gab einige Zeit keine Antwort, aber sie hörte ganz auf zu rudern, als ob die neue Idee ihren Geist zu sehr angriffe, um ihr noch eine andere Beschäftigung zu gestatten. Dann setzte sie das Zwiegespräch ernstlich und mit Bekümmerniß fort.

»Meint Ihr, die Huronen werden das Herz haben, zu thun was Ihr sagt, Wildtödter?« fragte sie. »Ich habe sie freundlich und unschädlich gefunden.«

»Das ist schon wahr, was ein Wesen wie Euch anbelangt, Hetty; aber eine ganz andere Sache ist es, wenn es einem offenen Feind gilt, der noch dazu der Besitzer einer ziemlich sichern Büchse ist. Ich sage nicht, daß sie einen besondern Haß gegen mich tragen wegen gewisser Thaten, die ich schon verrichtet, denn das wäre gleichsam am Rande des Grabes geprahlt, aber es ist keine Eitelkeit, wenn ich glaube, daß sie wissen, wie einer ihrer tapfersten und schlausten Häuptlinge durch meine Hand fiel. Da dieß der Fall ist, würde sich der Stamm Vorwürfe machen, wenn er ermangelte, den Geist eines Bleichgesichts dem Geist ihres rothen Bruders zur Gesellschaft nachzuschicken; vorausgesetzt natürlich, daß er ihn einholen kann. Ich erwarte keine Gnade und Barmherzigkeit von ihnen, Hetty; und mein vornehmster Kummer ist, daß ein solches Unglück mir auf meinem ersten Kriegspfade zustoßen mußte; daß es früher oder später einmal komme, das erwartet jeder Soldat und ist darauf gefaßt.«

»Die Huronen sollen Euch kein Leid thun, Wildtödter!« rief das Mädchen in großer Aufregung. »Es ist sündhaft ebensowohl als grausam; ich habe hier die Bibel, ihnen das zu sagen. Meint Ihr ich würde dazu hinstehen und Euch martern sehen?« »Ich hoffe nicht, meine gute Hetty, ich hoffe nicht; und daher erwarte ich, Ihr werdet, wenn der Augenblick kommt. Euch entfernen; und nicht Zeugin seyn eines Schauspiels, wo Ihr doch nicht helfen könnt, und das Euch betrüben würde. Aber ich habe nicht darum das Rudern eingestellt, um von meinen Bekümmernissen und Nöthen zu schwatzen, sondern um ein wenig offen mit Euch von Euren Angelegenheiten zu reden, Mädchen.«

»Was könnt Ihr mir zu sagen haben, Wildtödter! Seit Mutter starb, reden Wenige mit mir von solchen Dingen!«

»Um so schlimmer, armes Mädchen: ja, es ist um so schlimmer, denn mit Einer von Eurem Gemüthszustand sollte man häufig sprechen, damit sie den Schlingen und Tücken dieser sündhaften Welt entgehe. Ihr habt den Hurry Harry nicht so bald vergessen, Mädchen, denke ich mir!«

»Ich! – Ich Henry March vergessen!« rief Hetty auffahrend. »Wie sollte ich ihn vergessen, Wildtödter, da er unser Freund ist; und uns erst vorige Nacht verließ. Der große, glänzende Stern, welchen Mutter so gern betrachtete, war gerade über dem Wipfel der großen Fichte dort, auf dem Berg, als Hurry in das Canoe stieg; und als Ihr ihn auf dem Vorsprung bei der östlichen Bucht ans Land setztet, stand er nicht um mehr als die Länge von Judith’s schönstem Band darüber.«

»Und wie könnt Ihr wissen, wie lang ich fort war, oder wie weit ich fuhr, um Hurry zu landen, da Ihr nicht bei uns waret, und die Entfernung so groß ist, der Nacht zu geschweigen?«

»Oh! ich wußte es doch ganz genau,« versetzte Hetty mit Bestimmtheit, »Es gibt mehr als Eine Weise, Zeit und Entfernung zu messen. Wenn das Gemüth recht bei einer Sache betheiligt ist, so ist es besser als jede Uhr. Meines ist schwach, aber es geht sicher genug in Allem, was den armen Hurry Harry betrifft. Judith wird nimmermehr den March heirathen, Wildtödter.«

»Das ist der Punkt, Hetty, das ist eben der Punkt auf den ich kommen möchte. Ihr wißt, denke ich, daß es bei jungen Leuten natürlich ist, daß sie wohlwollende Gefühle für einander haben, zumal wenn das Eine ein Jüngling, das Andere ein Mädchen ist. Nun muß Eine von Euren Jahren und Eurem Gemüth, Mädchen, die weder Vater noch Mutter hat, und in einer Wildniß lebt, wohin nur Jäger und Fallensteller kommen, auf ihrer Hut seyn gegen Uebel, von denen sie kaum träumt!«

»Was kann Arges daran seyn, gut zu denken von einem Mitgeschöpf,« versetzte Hetty einfach, obgleich das verrätherische Blut ihr in die Wangen stieg, trotz einer Reinheit des Geistes, bei der sie kaum wußte, woher dieß Erröthen kam; »die Bibel gebietet uns, die zu lieben, die uns verächtlich behandeln, und warum nicht diejenigen, die das nicht thun?«

»Ach, Hetty! Die Liebe der Missionäre ist nicht die Art von Wohlgefallen, die ich meine. Antwortet mir auf Eines, Kind: glaubt Ihr Geist und Verstand genug zu haben, Weib und Mutter zu werden?«

»Das ist keine Frage, die einem Mädchen vorzulegen geziemt, Wildtödter, und ich werde sie nicht beantworten,« versetzte das Mädchen im Ton des Vorwurfs – etwa wie ein Vater oder eine Mutter ein Kind tadelt wegen einer Unbescheidenheit. »Wenn Ihr Etwas über Hurry zu sagen habt, so will ich das hören; aber Ihr müßt nicht schlimm von ihm sprechen; er ist abwesend, und es ist nicht schön, schlimm von Abwesenden zu sprechen.«

»Eure Mutter hat Euch so viel gute Lehren gegeben, Hetty, daß meine Besorgnisse Eurethalben nicht mehr so groß sind wie früher. Dennoch muß ein Mädchen ohne Eltern, in Eurem Gemüthszustand, und nicht ohne Schönheit, immer in Gefahr seyn in einer so gesetzlosen Gegend wie diese. Ich möchte Nichts zum Nachtheil Hurry’s sagen, der in der Hauptsache kein übler Mann ist für Einen von seinem Beruf, aber Ihr solltet Eines wissen, was zu hören Euch vielleicht gar nicht angenehm ist, aber Euch doch gesagt werden muß. March hat eine desperate Neigung für Eure Schwester Judith.«

»Nun, und was weiter? Jedermann bewundert Judith, sie ist so schön, und Hurry hat mir oft und viel gesagt, wie sehr er wünsche sie zu heirathen. Aber das wird nie geschehen, denn Judith mag den Hurry nicht. Sie hat einen Andern gern, und spricht von dem im Schlafe; aber Ihr dürft mich nicht fragen, Wer es ist, denn alles Gold in König Georg’s Krone und alle Juwelen dazu, würden mich nicht versuchen, Euch seinen Namen zu sagen. Wenn Schwestern nicht Geheimnisse von einander bewahren können, Wer soll es dann?« »Gewiß; ich wünsche gar nicht, daß Ihr mir es sagt, Hetty, auch würde es einen Sterbenden Nichts nützen, es zu wissen. Was die Zunge spricht, wenn der Geist schläft, dafür ist weder Kopf noch Herz verantwortlich.«

»Ich wollte ich wüßte, warum Judith im Schlafe so viel von Officieren und redlichen Herzen und falschen Zungen redet; aber ich denke, sie sagt es mir nicht gern, weil ich schwachsinnig bin. Ist es nicht sonderbar, Wildtödter, daß Judith den Hurry nicht mag – der doch der tüchtigstaussehende Junge ist, der je an den See kommt, und so schön wie sie selbst. Vater sagte immer, sie würden das hübscheste Paar in der Gegend seyn, obgleich Mutter an March so wenig Gefallen hatte als Judith. Man kann nicht wissen, was kommen wird, sagt man, bis die Dinge wirklich geschehen.«

»Ach, weh! Nun, arme Hetty, es hilft nicht Viel, zu Solchen zu sprechen, die Einen nicht verstehen können, und so will ich Nichts weiter von dem sagen, wovon ich mit Euch reden wollte, obwohl es mir schwer auf der Seele liegt. Rührt die Ruder wieder, Mädchen, und wir wollen dem Lande zu steuern, denn die Sonne steht schon hoch und mein Urlaub ist beinahe zu Ende.«

Das Canoe glitt jetzt dahin, und steuerte dem Punkte zu, wo Wildtödter genau wußte, daß seine Feinde ihn erwarteten, und wo er schon zu fürchten anfing nicht mehr zur rechten Zeit einzutreffen, um das Pfand seines Wortes zu lösen. Hetty jedoch, die seine Ungeduld bemerkte, ohne ihren Grund sehr klar zu begreifen, unterstützte ihn so kräftig in seiner Anstrengung, daß ihre rechtzeitige Ankunft bald nicht mehr zweifelhaft war. Dann, und erst dann, ließ der junge Mann in seiner Arbeit am Ruder etwas nach, und Hetty fing wieder an in ihrer einfachen, zutraulichen Weise zu plaudern, obwohl Nichts weiter zur Sprache kam, was zu berichten sich der Mühe verlohnte.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Geschäftig warst du heute, Tod! doch halb
Ist erst dein Werk vollbracht! der Hölle Thore
Sind vollgedrängt, doch Geister rücken an
Zweimal zehntausend noch, die, keiner Scheidung
Von ihren warmen und gesunden Zellen
Gewärtig, ehe noch die Sonne sinkt,
Die Welt des Weh’s betreten müssen!
Southey.

Ein mit den Zeichen des Himmels Bekannter würde gesehen haben, daß die Sonne nur noch zwei oder drei Minuten vom Zenith entfernt war, als Wildtödter auf dem Landvorsprung, wo die Huronen jetzt lagerten, beinahe gegenüber von dem Castell, landete. Dieser Platz war dem schon beschriebenen ähnlich, mit der Ausnahme, daß der Boden weniger unterbrochen und weniger mit Bäumen besetzt war. Vermöge dieser beiden Umstände eignete er sich um so besser für den Zweck, wozu er gewählt worden war, und der Raum unter den Zweigen hatte einige Aehnlichkeit mit einem von dichtem Wald umgebenen Grasplatz. Begünstigt durch seine Lage und seine Quelle ward er häufig von Wilden und Jägern besucht und erkoren, und das natürliche Gras, das auf ihren Feuerplätzen nachgewachsen war, gab manchen Stellen das Ansehen von Rasen, eine sehr ungewöhnliche Zierde des jungfräulichen Urwaldes. Auch war der Rand des Wassers nicht mit Büschen eingefaßt, wie auf einem großen Theil der Küste, sondern das Auge drang unmittelbar, so wie man den Strand erreichte, in die Wälder hinein, und beherrschte beinahe die ganze Fläche des Vorsprungs.

War es ein Ehrenpunkt für den indianischen Krieger, sein Wort zu lösen, wenn er sich verpflichtet hatte, zurückzukehren und seinem Tode entgegenzugehen zu einer gegebenen Stunde, so war es auch ein Ehrenpunkt charakteristischen Stolzes, keine weibische Ungeduld zu zeigen, sondern so genau als möglich auf den festgesetzten Augenblick wieder einzutreffen. Es war gut, die von der Großmuth des Feindes bewilligte Gnadenfrist nicht zu überschreiten, aber es war noch besser, sie auf die Minute einzuhalten. Etwas von dieser dramatischen Effektsucht mischt sich in die meisten der ernsteren Gebräuche der amerikanischen Ureinwohner, und ohne Zweifel kann es, wie die Herrschaft eines ähnlichen Gefühls unter mehr verfeinerten und künstlich gebildeten Menschen auf ein natürliches Prinzip zurückgeführt werden. Wir lieben alle das Wunderbare, und wenn es auftritt, begleitet von ritterlicher Selbstaufopferung und strenger Beachtung der Ehre, so stellt es sich unsrer Bewunderung in doppelt anziehender Gestalt dar. Wildtödter nun, obgleich er seinen Stolz darein setzte, sein weißes Blut dadurch zu zeigen, daß er oft von den Sitten der rothen Männer abwich, verfiel doch auch häufig, sich selbst unbewußt, in ihre Gebräuche, und noch öfter in ihre Gefühle, in Folge davon, daß er sich nur an ihr Urtheil und ihren Geschmack als seine Richter und Autoritäten wenden konnte. Im gegenwärtigen Fall hätte er gern den Schein einer fieberischen Hast, die sich durch eine zu frühe Rückkehr verrathen hätte, vermieden, weil dieß ein stillschweigendes Zugeständniß gewesen wäre, daß die von ihm begehrte Zeit länger war als nöthig gewesen; aber andrerseits würde er, wenn es ihm eingefallen wäre, seine Bewegungen ein wenig beschleunigt haben, um den dramatischen Effekt zu vermeiden, genau in dem Augenblick zurückzukommen, der ihm als äußerste Grenze seines Ausbleibens gesetzt war. Doch hatte der Zufall das Seinige gethan, die letztere Absicht zu vereiteln, denn als der junge Mann den Fuß ans Land setzte, und mit stetem Schritt auf die Gruppe von Häuptlingen zuging, die in ernster Versammlung auf einem gefallnen Baum saßen, warf der Aelteste von ihnen einen Blick hinauf nach einer Oeffnung in den Bäumen, und machte seine Genossen auf den merkwürdigen Umstand aufmerksam, daß die Sonne gerade in eine Stelle eintrat, die, wie man wußte, das Zenith bezeichnete. Ein allgemeiner, aber leiser Ausruf der Ueberraschung und Bewunderung entfuhr jedem Mund, und die grimmigen Krieger schauten einander an; Einige mit Neid und Verdruß, andere mit Erstaunen über die pünktliche Genauigkeit ihres Opfers und noch Andere mit einem großmüthigeren und edleren Gefühl. Der amerikanische Indianer hielt immer seine moralischen Siege für die edelsten und schlug das Stöhnen und Erliegen seines Opfers unter Martern höher an, als die Trophäe seines Skalpes, und die Trophäe selbst höher als seinen Tod. Tödten, ohne das Zeichen des Siegs davonzutragen, galt in der That kaum für ehrenhaft; selbst diese rohen und wilden Bewohner des Waldes hatten sich, wie ihre feinen gebildeten Brüder vom Hof und Lager, eingebildete und willkührliche Ehrenpunkte festgesetzt, zur Beeinträchtigung der Ansprüche des Rechts und der Entscheidungen der Vernunft,

Die Huronen waren in ihren Meinungen, die Wahrscheinlichkeit der Zurückkehr ihres Gefangenen betreffend, getheilt gewesen. Die Meisten unter ihnen hatten es in der That nicht für möglich gehalten, daß ein Bleichgesicht freiwillig zurückkommen und sich den bekannten Qualen einer indianischen Marterung unterziehen werde; aber Einige von den Aelteren trauten Besseres einem Manne zu, der sich schon so ausnehmend kaltblütig, tapfer und geradsinnig gezeigt hatte. Die Truppe war jedoch zu ihrer Entscheidung gekommen, weniger in der Erwartung, daß das Pfand des gegebenen Wortes werde gelöst werden, als in der Hoffnung, die Delawaren herabwürdigen zu können, indem man ihnen das Unrecht und die Schmach eines in ihren Dörfern Aufgewachsenen vorrücke und aufbürde. Weit lieber hätten sie gesehen, daß Chingachgook ihr Gefangner gewesen wäre und sich als Verräther gezeigt hätte; aber der Bleichgesichtsprößling von dem verhaßten Stamm war kein übler Ersatzmann für ihre Zwecke, wenn einmal ihre Anschläge gegen den alten, eigentlichen Baum scheiterten. Um den Triumph so auffallend als möglich zu machen, für den Fall, daß die Stunde verstreiche, ohne daß der Jäger wieder erscheine, waren alle Krieger und Kundschafter der Truppe herbeiberufen worden; und die ganze Bande, Männer, Weiber und Kinder waren jetzt auf diesem Punkt versammelt, um Zeugen der erwarteten Scene zu seyn. Da das Castell ganz offen da lag, in gar nicht großer Entfernung, konnte man es bei Tag wohl beobachten; und da man annahm, daß die Insaßen nur aus Hurry, dem Delawaren und den beiden Mädchen beständen, befürchtete man nicht, sie könnten ungesehen entfliehen. Ein großer Floß, mit einer Brustwehr von Stämmen, war angefertigt worden, und wirklich schon ganz bereit gegen Arche oder Castell, wie es die Gelegenheit erfordere, verwendet zu werden, sobald Wildtödters Geschick entschieden wäre; denn die Aelteren unter der Truppe waren auf die Ansicht gekommen, daß es nachgerade gefährlich würde, ihren Aufbruch nach Canada länger als bis zur nächsten Nacht aufzuschieben. Kurz, die Bande wartete nur noch die Abmachung dieser einigen Angelegenheit ab, ehe sie die Sachen zur Entscheidung brachte, und bereitete sich, den Rückzug nach den fernen Gewässern des Ontario anzutreten.

Es war eine imposante Scene, in welche Wildtödter sich jetzt, wie er vorwärts schritt, versetzt sah. Alle ältern Krieger saßen auf dem Stamme des gefallenen Baumes, und erwarteten seine Annäherung mit ernstem Anstand. Rechts standen die jungen Männer, bewaffnet, während die linke Seite von den Weibern und Kindern eingenommen war. In der Mitte war ein freier Platz von ansehnlicher Ausdehnung, von Laub durchaus überwölbt, wo man aber das Unterholz, abgestorbne Bäume und andre Hindernisse sorgfältig weggeräumt hatte. Dieser offenere Platz war vermuthlich von früheren Gesellschaften oft benutzt worden, denn dieß war die Stelle, welche am entschiedensten den Eindruck eines Rasens machte. Die Bogen der Wälder warfen selbst am hohen Mittag ihren düstern Schatten auf den Platz, welchen die glänzenden, durch die Blätter sich durchkämpfenden Sonnenstrahlen mit einer milden, weichen Beleuchtung übergoßen. Vermuthlich von einer solchen Scene empfing der Geist des Menschen zuerst die Idee von den Wirkungen Gothischer Verzierungen und kirchlicher Farben; dieser Tempel der Natur machte ungefähr denselben Eindruck, was Licht und Schatten betrifft, wie das bekannte Produkt menschlichen Kunstsinnes.

Wie nicht selten bei den Stämmen und wandernden Banden der Ureinwohner, theilten zwei Häuptlinge, in beinahe gleichen Graden der Würde, die vornehmste patriarchalische Autorität, welche über diese Kinder des Waldes geübt wurde. Es waren Einige, welche die Auszeichnung von Häuptlingen ansprechen mochten, aber die zwei Erstgenannten gingen allen Uebrigen so sehr an Ansehen und Einfluß vor, daß, wenn sie einig waren, Niemand ihre Gebote bestritt; und wenn sie getheilter Ansicht waren, schwankte die Bande unschlüssig hin und her, wie Männer, die ihr leitendes Prinzip des Handelns verloren. Es war auch ganz der Erfahrung – wir dürften vielleicht hinzusetzen, der Natur gemäß, daß Eines der Häupter seinen Einfluß seinem Geist verdankte, während bei dem Andern seine Auszeichnung ganz auf physischen Eigenschaften und Vorzügen beruhte. Der Eine war ein älterer Mann, wohlbekannt durch seine Beredsamkeit in Erörterungen, seine Weisheit im Rathe, und seine Klugheit in der Wahl der Maßregeln, während sein großer Mitbewerber, wo nicht Nebenbuhler, ein tapfrer Mann war, ausgezeichnet im Krieg, bekannt durch seine Wildheit, und was die Intelligenz betrifft, hervorragend nur durch Schlauheit und Reichthum an Auskunftsmitteln auf dem Kriegspfade. Der Erstere war Rivenoak, der dem Leser schon bekannt ist, und der Letztere war der Panther genannt. Die Benennung des kampflustigen Häuptlings bezeichnete, der Annahme nach, die Eigenschaften des Kriegers nach den bei den rothen Männern üblichen Nomenklatur, denn Wildheit, Schlauheit und Verrätherei waren vielleicht die unterscheidenden Züge seines Charakters. Er hatte den Namen von den Franzosen erhalten und dieser wurde deßhalb um so höher geschätzt, da der Indianer in den meisten Dingen sich von ganzem Herzen der höhern Intelligenz seiner Verbündeten, der Bleichgesichter, unterwarf. Wie gut er dieß Sobriquet Le Panthère verdiente, wird man aus dem Spätern ersehen.

Rivenoak und der Panther saßen neben einander, die Annäherung ihres Gefangnen erwartend, als Wildtödter seinen Fuß mit dem Moccasin auf den Strand setzte; auch rührte sich keiner, oder sprach eine Sylbe, als bis der junge Mann in die Mitte des Platzes getreten war, und seine Anwesenheit durch Worte verkündigte. Er that dieß mit Festigkeit, obwohl in der einfachen Weise, die den Charakter des Mannes überhaupt bezeichnete.

»Hier bin ich, Mingo’s,« sagte er in der Sprache der Delawaren, welche die Meisten der Anwesenden verstanden; »hier bin ich, und dort steht die Sonne. Die Eine ist nicht treuer den Gesetzen der Natur als der Andere sich seinem Worte treu bewährt hat. Ich bin Euer Gefangener; verfahrt mit mir nach Eurem Belieben. Meine Geschäfte mit Menschen und mit der Erde sind in’s Reine gebracht; Nichts bleibt mir jetzt mehr übrig, als vor den Gott der weißen Männer zu treten, nach eines weißen Mannes Pflichten und Gaben.«

Ein beifälliges Murmeln entschlüpfte selbst den Weibern bei dieser Anrede, und einen Augenblick wurde ein lebhaftes und ziemlich allgemeines Verlangen rege, einen Mann von so muthigem Geist in den Stamm aufzunehmen. Doch gab es auch Solche, welche diesem Wunsch nicht beitraten, und unter den Wichtigsten von diesen ist zu nennen der Panther und seine Schwester le Sumach, so genannt von der Zahl ihrer Kinder, die Wittwe des Loup Cervier, von dem man wußte, daß er von der Hand des Gefangenen gefallen war. Natürliche Wildheit hielt den Einen umstrickt und gefesselt, während die nagende Leidenschaft der Rachgier die Andere hinderte, im Augenblick sanftere Gefühle aufkommen zu lassen. Nicht so Rivenoak. Dieser Häuptling stand auf, streckte seinen Arm vor sich aus, mit einer Bewegung der Höflichkeit, und machte dem Gefangnen sein Compliment mit einer Gewandtheit und Würde, um die ihn ein Fürst hätte beneiden dürfen. Da seine Weisheit und Beredsamkeit unter dieser Bande zugestandenermaßen keinen Nebenbuhler hatten, erkannte er, daß ihm schicklich die Pflicht zufiel, die Rede des Bleichgesichts zuerst zu beantworten.

»Bleichgesicht, Ihr seyd redlich,« sagte der Huronische Redner. »Mein Volk ist glücklich, daß es einen Mann gefangen hat, und nicht einen schleichenden Fuchs. Wir kennen Euch jetzt, wir werden Euch als einen Tapfern behandeln. Wenn Ihr Einen unsrer Krieger getödtet, und geholfen habt, Andere zu tödten, so seyd Ihr dafür Euer eignes Leben zum Ersatz zu geben bereit. Einige meiner jungen Männer dachten, das Blut eines Bleichgesichts würde zu dünn seyn, und sich weigern, unter dem Messer der Huronen zu fließen. Ihr wollt ihnen zeigen, daß dem nicht so ist, Euer Herz ist stark wie Euer Körper. Es ist eine Freude, einen solchen Gefangenen zu machen; sollten meine Krieger sagen, der Tod des Loup Cervier dürfe nicht vergessen werden, und er könne nicht allein wandern in’s Land der Geister, sein Feind müsse ihm nachgeschickt werden, um ihn einzuholen; so werden sie doch bedenken, daß er von der Hand eines Tapfern fiel, und Euch ihm nachschicken mit solchen Zeichen unsrer Freundschaft, daß er sich Eurer Gesellschaft nicht schämen wird. Ich habe gesprochen; Ihr wißt, was ich gesagt habe.«

»Wahr genug, Mingo, Alles wahr wie das Evangelium,« versetzte der unbefangene Jäger; »Ihr habt gesprochen, und ich weiß nicht nur, was Ihr gesagt habt, sondern was noch wichtiger ist, was Ihr meint. Ich glaube wohl, Euer Krieger, der Luchs, war ein Tapfrer von mannhaftem Herzen, und würdig Eurer Freundschaft und Achtung, aber ich fühle mich seiner Gesellschaft nicht unwerth, auch ohne einen Paßzettel von Eurer Hand. Dennoch bin ich hier, bereit mein Urtheil zu empfangen von Eurem Rathe, wenn nicht anders die Sache schon unter Euch entschieden war, noch eh‘ ich zurückkam.«

»Meine alten Männer wollten nicht zu Rathe sitzen über ein Bleichgesicht, ehe sie ihn unter sich sahen,« antwortete Rivenoak, etwas ironisch sich umsehend; »sie sagten, es wäre wie wenn man zu Rathe säße über die Winde, sie wehen, wohin sie wollen, und kommen wieder, wenn es ihnen beliebt, und sonst nicht. Eine Stimme war, die zu Euren Gunsten sprach, Wildtödter, aber sie war allein, wie der Gesang des Zaunkönigs, dessen Weibchen vom Falken zerrissen worden ist.«

»Ich danke dieser Stimme, Wessen sie immer gewesen sey, Mingo, und behaupte, sie ist eine so wahre Stimme gewesen, als die andern lügenhafte Stimmen waren. Ein Urlaub ist so bindend für ein Bleichgesicht, wenn es redlich ist, wie für eine Rothhaut, und wäre das auch nicht, so möchte ich doch nie Schmach über die Delawaren bringen, unter denen ich, kann ich wohl sagen, meine Erziehung erhalten habe. Aber Worte sind nutzlos, und führen zu prahlerischen Gefühlen; hier bin ich, verfahrt mit mir wie Ihr wollt.«

Rivenoak machte eine zustimmende Geberde, und dann hielten die Häuptlinge unter sich eine kurze, geheime Besprechung. Sobald diese zu Ende war, schieden drei oder vier junge Männer aus der bewaffneten Gruppe aus, und verschwanden. Dann ward dem Gefangenen bedeutet, daß es ihm freistehe, auf dem Vorsprung herumzugehen, bis über sein Schicksal Berathung gepflogen wäre. In dieser anscheinenden Großmuth war jedoch weniger wirkliches als scheinbares Vertrauen, sofern die obenerwähnten jungen Männer schon eine Linie von Schildwachen über die ganze Breite des Vorsprungs landeinwärts bildeten, und Flucht nach einer andern Seite hin nicht gedenkbar war. Selbst das Canoe ward auf die Seite gebracht, über diese Linie von Schildwachen hinaus, an einen Ort, wo man es als sicher vor jedem plötzlichen Versuch betrachtete. Diese Vorsichtsmaßregeln entsprangen nicht aus einem Mangel an Vertrauen, sondern aus dem Umstand, daß der Gefangene jetzt alle Bedingungen, zu denen er sich durch sein Wort verpflichtet, erfüllt hatte, und es jetzt für eine löbliche und ehrenhafte That gegolten hätte, wenn er seinen Feinden hätte entkommen können. So fein waren in der That die Unterscheidungen, welche die Wilden in Dingen dieser Art machten, daß sie oft ihren Opfern eine Aussicht eröffneten, den Martern zu entrinnen, weil sie es ebenso rühmlich für die Verfolger ansahen, einen Flüchtling einzuholen oder zu überlisten, dessen Anstrengungen, wie man annehmen durfte, durch die dringende Gefahr seiner Lage aufs äußerste gespornt und gestachelt wurden, als es für ihn rühmlich war, einer so außerordentlichen Wachsamkeit sich zu entziehen.

Auch war Wildtödter sich seiner Rechte nicht unbewußt, und gegen sie und etwa sich darbietende günstige Umstände nicht gleichgültig. Hätte er irgend einen Ausweg, wo Flucht möglich war, gesehen, so hätte er wohl nicht eine Minute mit dem Versuche gezögert. Aber der Fall schien verzweifelt. Er wußte von der Linie von Schildwachen, und erkannte die Schwierigkeit, sie mit heiler Haut zu durchbrechen. Der See bot keine Hülfe, da das Canoe seinen Feinden es ganz leicht machte, ihn einzuholen; sonst hätte er es nicht so schwierig gefunden, bis zu dem Castell hinüber zu schwimmen. Wie er auf dem Vorsprung herumwandelte, besichtigte er auch genau den Platz, um sich zu vergewissern, ob er nirgends einen Versteck darbiete: aber die Offenheit und die Gestalt des Punktes, und die hundert wachsamen Augen, die auf ihn sich richteten, während sie sich doch die Miene gaben, ihn gar nicht zu sehen, mußte dieß Rettungsmittel vereiteln. Die Furcht und Schande eines Mißlingens hatte keinen Einfluß auf Wildtödter, der es immer als einen Ehrenpunkt betrachtete, wie ein Weißer, vielmehr denn wie ein Indianer zu denken und zu empfinden, und der es als eine Art von Pflicht ansah, zur Rettung seines Lebens alles Mögliche zu versuchen, was nur keine Untreue gegen einen Grundsatz in sich schloß. Dennoch zögerte er, den Versuch zu machen, denn er fühlte auch, daß er die Möglichkeit des Gelingens vor sich sehen sollte, ehe er sich auf das Wagestück einließ.

Mittlerweile schien das Geschäft im Lager seinen regelmäßigen Gang zu gehen. Die Häuptlinge beriethen sich abgesondert und ließen nur die Sumach an ihrer Berathung Theil nehmen; denn diese, die Wittwe des gefallnen Kriegers, hatte ein ausschließliches Recht, bei einer solchen Gelegenheit gehört zu werden. Die jungen Männer schlenderten in träger Gleichgültigkeit herum, mit indianischer Geduld das Ergebniß abwartend, während die Frauen das Festmahl zubereiteten, welches den Beschluß der Angelegenheit verherrlichen sollte, mochte diese nun gut oder schlimm für unsern Helden endigen. Niemand verrieth irgend eine Empfindung; und ein gleichgültiger Beobachter hätte wohl, außer der ausnehmenden Wachsamkeit der Schildwachen, an keiner außerordentlichen Bewegung oder Aufregung den wahren Stand der Dinge errathen. Zwei oder drei alte Weiber steckten die Köpfe zusammen, und zwar, wie es schien, in einem für Wildtödters Aussichten ungünstigen Sinne, nach ihren scheelen Mienen und zornigen Geberden zu schließen; eine Gruppe indianischer Mädchen dagegen war sichtlich von andern Gesinnungen beseelt, wie man aus verstohlenen Blicken sah, welche Mitleid und Bedauern aussprachen. Unter solchen Verhältnissen und Zuständen im Lager verstrich eine Stunde.

Bange Ungewißheit ist vielleicht unter allen Empfindungen die unerträglichste. Als Wildtödter landete, war er völlig darauf gefaßt, binnen wenigen Minuten die Martern, von indianischer Rachgier ersonnen, zu erdulden, und bereit, seinem Schicksal männlich entgegenzutreten; aber der Aufschub wurde für ihn eine weit härtere Probe als das nahe Bevorstehen der Qualen, und das muthmaßliche Opfer begann alles Ernstes auf einen verzweifelten Fluchtversuch zu denken, gleichsam aus reiner Ungeduld, der Scene ein Ende zu machen, als er plötzlich wieder vor das Angesicht seiner Richter gefordert wurde, die schon die Bande wieder in der frühern Ordnung versammelt hatten, bereit ihn zu empfangen.

»Tödter des Wildes,« begann Rivenoak, sobald sein Gefangner vor ihm stand, »meine älteren Männer haben weisen Worten zugehört; sie sind bereit zu sprechen. Ihr seyd ein Mann, dessen Väter von jenseits der aufgehenden Sonne gekommen sind; wir sind Kinder der untergehenden Sonne; wir wenden unser Angesicht den großen süßen Seen zu, wenn wir nach unsern Dörfern schauen. Es mag ein weises Land seyn, und voll von Reichthümern, das nach Morgen zu liegt; aber das nach Abend zu ist ein sehr lustiges Land. Wir lieben am meisten nach dieser Richtung hin zu schauen. Wenn wir nach Osten schauen, empfinden wir Furcht, weil Canoe um Canoe Mehr und Mehr von Eurem Volk auf der Bahn der Sonne herüber bringt, als wäre ihr Land so voll, daß es überfließt. Die rothen Männer sind schon Wenige; sie bedürfen der Hülfe. Eine unsrer besten Hütten ist neulich leer geworden durch den Tod ihres Herrn; es wird lange Zeit anstehen, bis sein Sohn groß genug wird, an seinem Platze zu sitzen. Hier ist seine Wittwe; es wird ihr an Wildpret fehlen, sich und ihre Kinder zu sättigen, denn ihre Söhne sind noch wie die Jungen des Rothkehlchens, ehe sie aus dem Neste fliegen. Durch Eure Hand hat sie diese große Trübsal betroffen. Sie hat zwei Pflichten; eine gegen den Loup Cervier, und eine gegen ihre Kinder. Skalp um Skalp, Leben um Leben, Blut um Blut – ist Ein Gesetz; ihre Jungen zu füttern ein anderes. Wir kennen Euch, Tödter des Wildes. Ihr seyd ehrlich; wenn Ihr Etwas sagt, ist es so. Ihr habt nur Eine Zunge, und die ist nicht gabelförmig, wie die der Natter. Euer Kopf ist nie versteckt im Gras; Alle können ihn sehen. Was Ihr sagt, das thut Ihr auch. Ihr seyd gerecht. Wenn Ihr Unrecht gethan habt, so ist Euer Wunsch, wieder Recht zu thun, sobald Ihr könnt. Da ist die Sumach; sie ist allein in ihrem Wigwam, mit Kindern um sie her, die nach Brod schreien; dort ist eine Büchse, sie ist geladen und zum Abfeuern fertig. Nehmt das Gewehr! geht hinaus und schießt ein Wild; bringt das Wildpret und legt es vor die Wittwe des Loup Cervier hin; füttert ihre Kinder; nennt Euch ihren Gatten. Darnach wird Euer Herz nicht mehr Delawarisch, sondern Huronisch seyn; die Ohren der Sumach werden nicht mehr das Schreien ihrer Kinder hören; mein Volk wird die gehörige Anzahl von Kriegern zählen.«

»Ich fürchtete das, Rivenoak,« antwortete Wildtödter, als der Andere zu sprechen aufhörte; »ja, ich besorgte, daß es dazu kommen werde. Indeß, die Wahrheit ist bald gesagt, und sie wird allen Erwartungen in diesem Punkt ein Ende machen. Mingo, ich bin weiß und als Christ geboren; es würde mir übel anstehen, ein Weib mit Rothhautgebräuchen unter den Heiden zu nehmen. Was ich nicht in friedlichen Zeiten und unter einer glänzenden Sonne thäte, würde ich noch weniger thun hinter Wolken, um mein Leben zu retten. Ich heirathe wahrscheinlich nie; vermuthlich war es die Absicht der Vorsehung, als sie mich hier in die Wälder hinsetzte, daß ich ledig und ohne eigne Hütte bleiben sollte; aber sollte doch Jenes einmal geschehen, so soll mir nur ein Weib von meiner Farbe und meinen Gaben die Thüre meines Wigwam beschatten. Was das anlangt, die Jungen Eures todten Kriegers zu füttern, so würde ich das mit Freuden thun, könnte es ohne Unehre geschehen; aber das kann nicht seyn, sintemal ich nie in einem Huronischen Dorfe leben kann. Eure eignen jungen Männer müssen die Sumach mit Wildpret versorgen, und wenn sie das nächste Mal heirathet, laßt sie einen Mann nehmen, dessen Beine nicht so lang sind, daß sie in ein Gebiet hinüberspringen, das ihm nicht gehört. Wir haben einen ehrlichen Kampf gekämpft, und er fiel; daran ist Nichts, als was ein Tapfrer erwartet, und bereit ist zu erdulden. Und was das Mingo-Herz betrifft, ebenso gut mögt Ihr erwarten graue Haare auf dem Kopf eines Knaben, oder Brombeeren auf einer Fichte wachsen zu sehen. Nein, nein, Hurone; meine Gaben sind weiß, was Weiber betrifft; sie sind Delawarisch in allen Dingen, die mit Indianern zusammenhängen.«

Diese Worte waren kaum aus Wildtödters Munde, als ein allgemeines Murmeln die Unzufriedenheit verrieth, womit sie vernommen wurden. Die alten Weiber besonders legten in lauten Ausdrücken ihr Mißfallen an den Tag; und die holde Sumach selbst, ein Weib alt genug, um unsers Helden Mutter zu seyn, war nicht die Gelindeste in ihren Verwünschungen und Schmähungen. Aber alle andern Kundgebungen von Mißvergnügen und Verdruß wurden zurückgedrängt und überboten durch die wilde Erbitterung des Panthers. Dieser grimmige Häuptling hatte es als eine Herabwürdigung betrachtet, seine Schwester überhaupt das Weib eines Bleichgesichts von den Yengeese werden zu lassen, und nur mit Widerstreben seine Zustimmung zu der – bei den Indianern übrigens keineswegs ungewöhnlichen – Auskunft und Anordnung gegeben, auf das lebhafte Zureden der des Gatten beraubten Wittwe hin, und es wurmte ihm entsetzlich, seine Herablassung geringgeschätzt, die Ehre, die er zu bewilligen mit so großem Verdruß sich hatte bereden lassen, verachtet zu sehen. Das Thier, von welchem er seinen Namen hatte, stiert nicht mit fürchterlicherer Wildheit seine beabsichtigte Beute an, als seine Augen auf den Gefangenen funkelten; auch blieb sein Arm nicht zurück, die heftige Erbitterung und Wuth, die beinahe seine Brust verzehrte, zu bethätigen.

»Hund von einem Bleichgesicht!« lief er auf Irokesisch, »geh und belle unter den Kötern deiner schlimmen Jagdreviere!«

Die Verwünschung war von einer entsprechenden Thathandlung begleitet. Noch während er sprach, erhob er den Arm und der Tomahawk ward geschleudert. Zum Glück hatte der laute Ton des Redenden Wildtödters Auge auf ihn hingezogen, sonst hätte dieser Augenblick wahrscheinlich seiner Laufbahn ein Ende gemacht. So groß war die Gewandtheit, womit diese gefährliche Waffe geworfen ward, und so tödtlich die Absicht, daß sie den Schädel des Gefangenen gespalten haben würde, hätte er nicht einen Arm vorgestreckt und die Handhabe an einer ihrer Krümmungen gefaßt, mit einer eben so merkwürdigen Behendigkeit, als die Geschicklichkeit war, womit die Waffe war geschleudert worden. Dennoch war die Wurfkraft so groß, daß, als Wildtödters Arm nach der Waffe gegriffen, seine Hand rückwärts hinter seinen Kopf hinauf gerissen ward, gerade in der Stellung, die zur Erwiederung des Angriffs erforderlich. Es ist nicht gewiß, ob der Umstand, daß er sich so unerwartet, bewaffnet, in dieser drohenden Stellung fand, den jungen Mann versuchte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, oder ob plötzliche Erbitterung seine Geduld und Klugheit übermannte. Aber sein Auge funkelte und ein kleiner rother Fleck zeigte sich auf jeder Wange, während er all seine Kraft in der Anstrengung seines Armes aufbot, und die Waffe auf den Angreifer zurückschleuderte. Das Unerwartete dieses Wurfs trug zum Erfolg mit bei, da der Panther weder einen Arm aufhob, noch sich bückte, um ihm auszuweichen. Das scharfe, kleine Beil traf das Opfer in perpendikularer Linie mit der Nase, gerade zwischen den Augen, und schlug ihm im buchstäblichen Sinne das Hirn ein. Vorwärts stürzend, wie die Schlange im Augenblick noch, wo sie die Todeswunde empfängt, auf ihren Feind losschießt, fiel dieser Mann von gewaltiger Körperkraft der Länge nach auf den offenen Platz hin, den der Kreis bildete, im Todeskampf zuckend. Ein allgemeines Beispringen ihm zu Hülfe entledigte den Gefangenen, für einen Augenblick, des ganzen Haufens; und entschlossen, einen verzweifelten Versuch zur Rettung seines Lebens zu wagen, rannte er mit der Flüchtigkeit eines Hirsches davon. Es dauerte nur Einen athemlosen Augenblick, bis die ganze Bande, Alt und Jung, Weiber und Kinder, den entseelten Leichnam des Panthers liegen lassend, wo er lag, das Lärmgeschrei erhoben und ihm verfolgend nacheilten.

So plötzlich das Ereigniß gekommen, welches Wildtödter veranlaßte, diesen verzweiflungsvollen Versuch durch eilige Flucht zu machen, war doch sein Geist nicht gänzlich unvorbereitet für das fürchterliche Spiel um sein Leben. Während der verflossenen Stunde hatte er die Aussichten bei einem solchen Wagestück wohl erwogen, und alle einzelnen Punkte für Gelingen und Fehlschlagen schlau berechnet. Daher folgte gleich beim ersten Sprung sein Körper ganz der Leitung eines Verstandes, der alle Anstrengungen und Kräfte desselben auf’s beste zu nützen verstand, und in dem wichtigen Augenblick des Entspringens nicht das mindeste Besinnen, nicht die mindeste Unentschiedenheit aufkommen ließ; dem allein verdankte er den ersten großen Vortheil, den, daß er unverletzt durch die Linie der Schildwachen durchkam. Die Art und Weise, wie dieß geschah, obwohl einfach genug, verdient eine Beschreibung.

Obgleich die Küsten des Vorsprungs nicht mit Gebüsch besetzt waren, wie die meisten andern am See herum, rührte dieß doch ganz von dem Umstand her, daß der Platz so häufig von Jägern und Fischern benützt worden war. Dieser Saum begann dann mit dem eigentlichen Land, und war so dicht wie sonst überall, in langen Linien nach Norden und Süden sich erstreckend. In der letztern Richtung schlug denn Wildtödter seinen Weg ein; und da die Schildwachen etwas außerhalb des Anfangs dieses Dickichts standen, hatte der Fliehende seinen Versteck gewonnen, ehe sie den Alarm und seine Ursache recht wahrgenommen hatten. In dem Gebüsch jedoch weiter zu laufen, davon konnte nicht die Rede seyn, und Wildtödter setzte seine Flucht etwa vierzig bis fünfzig Schritte weit in dem Wasser fort, das nur knietief war, und der Eile seiner Verfolger ein eben so großes Hinderniß in den Weg legte, wie der seinigen. Sobald ein günstiger Platz sich zeigte, stürzte er sich durch die Linie des Gebüsches und eilte in die offenen Wälder.

Einige Büchsen wurden auf Wildtödter abgefeuert während er im Wasser war, und noch mehrere folgten, als er auf das vergleichungsweise ihn mehr bloßstellende Gebiet des eigentlichen Waldes kam. Aber die Richtung der Linie, in der er floh, welche theilweise die des Feuers kreuzte, die Hast, mit welcher gezielt wurde, und die allgemeine Verwirrung, welche im Lager herrschte, dieß Alles machte, daß er unversehrt blieb. Kugeln pfiffen an ihm vorbei, und manche rissen neben ihm Zweige von den Bäumen, aber keine streifte auch nur seine Kleider. Der durch diese fruchtlosen Versuche verursachte Verzug war von großem Nutzen für den Flüchtling, der selbst den Vordersten der Huronen mehr als hundert Schritte Vorsprung abgewonnen hatte, ehe irgend eine Ordnung und Uebereinstimmung in die Verfolgung kam. Ihn mit der Büchse in der Hand zu verfolgen, davon konnte keine Rede seyn, und die besten Läufer unter den Indianern, nachdem sie ihre Gewehre abgefeuert, in unbestimmter Hoffnung, den entlaufenen Gefangenen zu verwunden, warfen sie weg, und riefen den Weibern und Knaben zu, sie so schnell als möglich aufzunehmen und wieder zu laden.

Wildtödter erkannte das Verzweifelte des Kampfes, in dem er begriffen war, zu gut, um auch nur Einen der kostbaren Augenblicke zu verlieren. Er wußte auch, daß seine einzige Hoffnung darauf beruhte, daß er geradeaus lief, denn sobald er sich wandte, oder umbog, machte die überlegene Zahl der Verfolger sein Entkommen unmöglich. Er verfolgte daher seinen Weg in schräger Richtung die Anhöhe hinan, die weder sehr lang noch sehr steil war auf dieser Seite des Berges, aber doch mühsam genug für einen um sein Leben sich Wehrenden, um ihn entsetzlich zu erschöpfen. Hier aber ließ er in seiner Eile nach, um aufzuathmen, und legte die schwierigeren Theile des Weges in raschem Schritt oder in langsamerem Trab zurück. Die Huronen hinter ihm hüpften und sprangen, aber dieß beachtete er nicht, wohl wissend, daß sie auch die hinter ihm liegenden Schwierigkeiten überwinden mußten, ehe sie die von ihm schon gewonnene Höhe erreichten. Der Gipfel des ersten Hügels war jetzt ganz nahe, und er sah aus der Formation des Landes, daß eine tiefe Schlucht dazwischenlag, ehe man den Fuß des zweiten Hügels erreichen konnte. Bedächtlich den Gipfel hinansteigend, schaute er sich nach allen Richtungen begierig um, nach einem Versteck suchend. Keiner bot sich dar auf dem Boden; aber ein gefallner Baum lag in seiner Nähe, und verzweifelte Lagen erheischen verzweifelte Auskunftsmittel. Dieser Baum lag in einer Parallellinie mit der Schlucht; auf den Gipfel des Hügels hinaufspringen und dann seinen Körper so dicht als möglich unter dessen niedere Seite schmiegen und drängen, war das Werk eines Augenblicks. Ehe jedoch Wildtödter dem Auge seiner Verfolger entschwand, stellte er sich auf die Höhe hin, und stieß ein Triumphgeschrei aus, als juble er über den Anblick des vor ihm liegenden Abhangs. Im nächsten Augenblick lag er unter dem Baum hingestreckt.

Sobald der junge Mann diese List ausgeführt, so überzeugte er sich auch, wie verzweifelt seine Anstrengungen gewesen, durch die Heftigkeit, womit Alles in ihm pulsirte. Er hörte sein Herz klopfen, und sein Athem war wie das Arbeiten eines Blasebalgs in heftiger Bewegung. Indeß gewann er den Athem wieder, und das Herz hörte bald auf, so zu klopfen, wie wenn es seine Haft und Schranken durchbrechen wollte. Man hörte jetzt die Fußtritte derer, welche sich auf der andern Seite der Anhöhe herauf arbeiteten und bald kündigten Stimmen und Tritte die Ankunft der Verfolger an. Die Vordersten jauchzten, als sie die Höhe erreichten; dann fürchtend, ihr Feind werde ihnen, begünstigt durch den Abhang, entrinnen, sprang Jeder auf den gefallnen Baum und stürzte sich in die Schlucht, in der Hoffnung, des Verfolgten ansichtig zu werden, ehe er die Tiefe erreiche. So folgte Hurone auf Hurone, bis Natty anfing zu hoffen, es werden Alle an ihm vorbei seyn. Aber Andere folgten, bis wohl Vierzig über den Baum gesprungen waren, und dann zählte er sie, als sicherstes Mittel zu erfahren, wie Viele noch zurück seyn konnten. Bald waren Alle in der Tiefe der Schlucht, volle hundert Fuß unter ihm, und Einige hatten sogar schon einen Theil des gegenüberliegenden Hügels erstiegen, als deutlich ward, daß man eine Nachforschung wegen der von ihm eingeschlagnen Richtung anstellte. Das war der kritische Moment, und Einer von weniger festen Nerven, oder von minder sorgfältiger Schule und Zucht, würde ihn benutzt haben, um aufzustehen und zu fliehen. Nicht so Wildtödter. Er blieb noch immer ruhig liegen, beobachtete mit eifersüchtiger Wachsamkeit jede Bewegung drunten, und gewann schnell seinen Athem wieder.

Die Huronen glichen jetzt einer Meute von Hunden auf falscher Fährte. Wenig ward gesprochen, aber Jeder rannte umher und untersuchte die abgestorbnen Bäume, wie der Hund nach der verlornen Witterung spürt. Die große Menge von Moccasins, welche des Weges gekommen, machte die Untersuchung schwierig, obgleich die Spur eines indianischen Fußes leicht zu unterscheiden war von dem freiern und weitern Schritt eines weißen Mannes. Im Glauben, daß keine Verfolger mehr zurück seyen, und in der Hoffnung, sich ungesehen wegstehlen zu können, schwang sich Wildtödter plötzlich über den Baum hinüber, und fiel auf dessen höherliegende Seite. Dieß Manöuver schien glücklich ausgeführt worden zu seyn, und Hoffnung machte das Herz des Flüchtlings hoch klopfen. Auf Hände und Füße sich erhebend, nachdem er einen Augenblick den Tönen in der Schlucht gelauscht, um sich zu überzeugen, ob man ihn nicht gesehen, kletterte der junge Mann zunächst den höchsten Punkt des Hügels hinan, eine Strecke von nur zehn Schritten, in der Hoffnung, den Gipfel zwischen sich und seine Verfolger zu bekommen, und so gegen ihr Auge gedeckt zu seyn. Auch dieß ward ausgeführt, und er richtete sich jetzt auf, und lief rasch aber stet den höchsten Bergrücken entlang, in einer Richtung, entgegengesetzt der, in welcher er zuerst geflohen. Die Art und Weise der Rufe in der Schlucht jedoch machte ihn bald unruhig, und er sprang wieder auf den Gipfel, um zu rekognoscieren. Sobald er die Höhe erreicht hatte, ward er auch gesehen, und die Jagd begann von neuem. Da es auf dem ebnen Grund besser fortkommen war, vermied Wildtödter jetzt die Seite des Hügels und setzte seine Flucht dem Bergrücken entlang fort, während die Huronen, von der allgemeinen Formation des Landes schließend, erkannten, daß der Bergrücken bald in die Schlucht sich verlieren würde, und der letztern zueilten, als die leichteste Weise, dem Flüchtling vorzukommen. Zugleich wandten sich einige Wenige südlich, um ihm die Flucht nach dieser Richtung abzuschneiden, während andere ihm die Richtung dem Wasser zu abschnitten, um ihn zu hindern, am See hin seinen Rückzug zu nehmen, und auch nach Süden zu liefen.

Die Lage Wildtödters war jetzt kritischer als sie je gewesen. Er war in der That von drei Seiten eingeschlossen, und auf der vierten hatte er den See. Aber er hatte alle Aussichten wohl überlegt, und ergriff, selbst während der eiligsten Flucht, seine Maßregeln mit kaltem Blute. Wie gewöhnlich der Fall bei kräftigen Grenzmännern, konnte er es jedem einzelnen Indianer unter seinen Verfolgern im Laufen zuvorthun, und sie waren ihm hauptsächlich furchtbar wegen ihrer großen Zahl, und der Vortheile, die ihnen ihre Stellung verschaffte; und er würde sich nicht besonnen haben, in gerader Linie, auf jedem gegebenen Punkt, auf und davon zu rennen, hätte er nur erst wieder die ganze Bande ordentlich hinter sich gehabt. Aber eine solche Aussicht zeigte sich nicht und konnte sich nicht zeigen; und als er merkte, daß er durch die Senkung des Bergrückens gegen die Schlucht hinabkam, bog er rasch um, in einem rechten Winkel mit seiner bisherigen Bahn, und rannte mit fürchterlicher Geschwindigkeit den Abhang herunter, der Küste zu. Einige seiner Verfolger kamen in gerader Linie ihm nachjagend, keuchend den Hügel herauf, während die Meisten sich immer noch in der Schlucht hielten, bei deren Ausgang sie ihm vorzukommen gedachten.

Wildtödter hatte jetzt einen andern, obwohl verzweifelten Plan im Auge. Jeden Gedanken aufgebend, durch die Wälder zu entkommen, eilte er, was er konnte dem Canoe zu. Er wußte, wo es lag; konnte er es erreichen, so hatte er nur die Gefahr einiger Schüsse zu bestehen, und dann war der Erfolg sicher. Keiner von den Kriegern hatte die Waffen behalten, was ihre Schnelligkeit gehemmt haben würde, und die Gefahr kam entweder von den unsichern Händen der Weiber oder von denen eines halberwachsenen Knaben, obwohl von den letztern die meisten schon in heißer Verfolgung begriffen waren. Alles schien der Ausführung dieses Plans günstig, und da sein Weg jetzt fortwährend abwärts ging, flog der junge Mann mit einer Geschwindigkeit über den Boden hin, welche ein baldiges Ende seiner Drangsale hoffen ließ.

Als Wildtödter sich dem Vorsprung näherte, kam er an einigen Weibern und Kindern vorbei, aber obgleich Jene ihm dürre Zweige zwischen die Beine zu werfen versuchten, war doch der Schrecken, welchen seine kühne Wiedervergeltung an dem gefürchteten Panther verbreitet hatte, so groß, daß Niemand wagte, ihm so nahe zu kommen, um ihn ernstlich zu gefährden. Er lief an Allen triumphirend vorbei und erreichte den Saum von Gebüschen. Sich durch diese hindurchdrängend, sah sich unser Held wieder im See, und nur fünfzig Fuß vom Canoe entfernt. Hier hörte er auf zu laufen, denn er begriff wohl, daß jetzt sein Athem das Wichtigste für ihn war. Er bückte sich sogar im Weiterschreiten und kühlte seinen ausgetrockneten Mund, indem er in der Hand Wasser schöpfte zum Trinken. Doch drängten die Augenblicke, und bald stand er neben dem Canoe. Der erste Blick zeigte ihm, daß die Ruder waren weggebracht worden. Das war ein harter Schlag für seine Hoffnungen nach allen seinen Anstrengungen, und einen Augenblick dachte er daran, umzukehren, und seinen Feinden die Stirne zu bieten, indem er mit Würde wieder in die Mitte des Lagers schritte. Aber ein höllischer Schrei, wie allein die amerikanischen Wilden ihn ausstoßen können, verkündigte das rasche Herankommen seiner Verfolger, und der Instinkt des Lebens siegte. Sich gehörig anschickend, und dem Bug des Canoe’s die rechte Richtung gebend, sprang er in das Wasser, trieb das Canoe vor sich her, bot alle seine Kraft und Geschicklichkeit zu einer letzten Anstrengung auf, und ließ sich dann vorwärts auf den Boden des leichten Fahrzeugs fallen, so daß er seinem Lauf keinen wesentlichen Eintrag that. Hier blieb er auf dem Rücken liegen, sowohl um wieder zu Athem zu kommen, als auch um sich gegen die tödtlichen Büchsen zu decken. Die Leichtigkeit, welche beim Rudern der Canoe’s so vortheilhaft war, wirkte jetzt ungünstig. Das Material war so federleicht, daß das Boot keine Wucht hatte, sonst hätte es der Stoß auf diesem ruhigen und glatten Wasser in eine Entfernung von der Küste getrieben, bei der man sicher mit den Händen hätte rudern können. Hätte er es einmal so weit gebracht, so hoffte Wildtödter weit genug zu kommen, um die Aufmerksamkeit Chingachgooks und Judiths auf sich zu ziehen, die ihm unfehlbar mit andern Canoe’s zu Hülfe kommen würden, wo er sich dann alles Gute versprechen konnte. Wie der junge Mann auf dem Boden des Canoe’s lag, beobachtete er dessen Bewegungen, indem er die Wipfel der Bäume am Berg studirte, und aus der Zeit und dem Grad der Bewegung auf seine Entfernung vom Lande schloß. Die Stimmen an der Küste wurden jetzt zahlreich, und er hörte davon sprechen, das Floß zu bemannen, das zum Glück für den Flüchtling in ziemlicher Entfernung auf der andern Seite des Vorsprungs lag.

Vielleicht war Wildtödters Lage heute noch nie kritischer gewesen, als in diesem Augenblick, und gewiß nie halb so voll tantalischer Qual. Er lag zwei bis drei Minuten vollkommen ruhig, einzig auf sein Ohr sich verlassend, da er hoffte, das Geräusch im See zu vernehmen, falls Jemand heranzuschwimmen wagte. Ein paarmal bildete er sich ein, das Wasser werde aufgerührt durch die vorsichtige Bewegung eines Armes, bemerkte aber dann, daß es das Anspühlen des Wassers an den Kieseln des Strandes war; denn es ist selten, daß diese kleinen Seen, dem Ocean nachäffend, so gänzlich ruhig sind, daß sie nicht an ihren Küsten ein leises Sichheben und Senken des Wassers hätten. Plötzlich verstummten alle Stimmen, und eine Todesstille herrschte auf dem Platze; ein so tiefes Schweigen, als ob Alles in der Ruhe unbeseelten Lebens daläge. Mittlerweile war das Canoe so weit hinausgetrieben, daß Wildtödter, auf dem Rücken liegend, Nichts mehr sehen konnte, als den leeren, blauen Raum, und einige wenige jener helleren Strahlen, welche aus dem vollen Sonnenglanz hervorbrechen, bezeichneten ihre Nähe. Diese Ungewißheit lang auszuhalten war nicht möglich. Der junge Mann wußte wohl, daß die tiefe Stille Unheil weissagte, denn die Wilden sind nie so schweigsam, als wenn sie im Begriff stehen, einen Schlag zu führen – dem verstohlenen Schleichen des Panthers ähnlich, ehe er seinen Satz macht. Er zog ein Messer heraus, und war im Begriff ein Loch durch die Rinde zu schneiden, um einen Blick auf die Küste zu gewinnen, als er wieder inne hielt, aus Furcht, bei diesem Vornehmen gesehen zu werden, wodurch die Feinde ein Ziel für ihre Kugeln bekommen würden. In diesem Augenblick aber ward schon eine Büchse abgefeuert, und die Kugel schlug durch beide Seiten des Canoe’s, achtzehn Zoll von der Stelle, wo sein Kopf lag. Das war ein gefährlicher Handel, aber unser Held hatte zu kürzlich erst noch Gefährlicheres durchgemacht, um die Fassung zu verlieren. Er lag noch eine halbe Minute ruhig da, und dann sah er den Wipfel einer Eiche langsam in seinen engen Horizont kommen.

Wildtödter, der sich diese Veränderung nicht zu erklären vermochte, konnte jetzt seine Ungeduld nicht mehr zügeln. Mit der äußersten Vorsicht sich hinaufschiebend, hielt er sein Auge an das durch die Kugel geschlagene Loch, und bekam zum Glück eine leidliche Ansicht des Vorsprungs. Das Canoe hatte sich, in Folge einer jener unbemerklichen, als Zufall erscheinenden Fügungen, die so oft über das Schicksal der Menschen, wie über den Gang der Dinge entscheiden, südlich gewendet, und glitt langsam den See abwärts. Es war ein Glück, daß ihm Wildtödter einen hinlänglich kräftigen Stoß gegeben hatte, um es am Ende des Vorsprungs vorbei treiben zu machen, ehe es in diese Abweichung gerieth, sonst hätte es müssen wieder an die Küste kommen. Auch so noch trieb es so nahe vorüber, daß, wie schon erwähnt, die Gipfel von zwei oder drei Bäumen in den Horizont des jungen Mannes fielen, und kam der äußersten Spitze des Vorsprungs wirklich so nahe, daß es nicht mehr ganz außer Gefahr war. Die Entfernung konnte nicht viel über hundert Fuß betragen; doch begann zum Glück eine leise Luftströmung von Südwest es langsam von der Küste wegzutreiben.

Wildtödter empfand jetzt die dringende Nothwendigkeit, ein Mittel zu ersinnen, um sich von seinen Feinden zu entfernen, und wo möglich seine Freunde von seiner Lage in Kenntniß zu setzen. Die Entfernung machte Letzteres schwierig, während die Nähe des Vorsprungs jenes zur unerläßlichen Nothwendigkeit machte. Wie gewöhnlich in solchen Fahrzeugen, befand sich ein großer, runder, glatter Stein an beiden Enden des Canoe’s, zu dem doppelten Behufe, als Sitze und als Ballast zu dienen; einen von diesen konnte er mit den Füßen erreichen. Diesen Stein wußte er so weit zwischen seinen Beinen heraufzuarbeiten, daß er ihn mit den Händen fassen konnte, und dann gelang es ihm, denselben neben den andern im Bug hinzuwälzen, wo die beiden jetzt dienten, das Gleichgewicht des leichten Bootes zu erhalten, während er sich selbst so weit als möglich nach dem Hintertheil arbeitete. Ehe er die Küste verließ, und sobald er bemerkte, daß die Ruder fort waren, hatte Wildtödter ein Stück von einem abgestorbnen Zweig in das Canoe geworfen, und diesen konnte er mit dem Arm erreichen. Er nahm die Mütze, die er trug, ab, steckte sie auf diesen Stecken, und hob sie über den Rand des Canoe’s empor, so weit als möglich von sich entfernt. Diese List war kaum in Ausführung gebracht, als der junge Mann sich überzeugte, wie sehr er die Einsicht und Schlauheit seiner Feinde unterschätzt hatte. Dem so leicht zu durchschauenden und gewöhnlichen Kunstgriff zum Trotz ward durch einen andern Theil des Canoe’s eine Kugel geschossen, welche ihn wirklich an der Haut streifte. Er ließ die Mütze sinken, und hielt sie sich sofort zum Schutz über den Kopf. Es konnte scheinen, als ob dieser zweite Kunstgriff unbemerkt bleibe; wahrscheinlich aber war, daß die Huronen, überzeugt, ihres Gefangnen wieder habhaft zu werden, ihn lebendig in ihre Hände zu bekommen wünschten.

Wildtödter lag noch einige Minuten regungslos da, sein Auge jedoch an dem Kugelloch, und nicht wenig erfreut war er, zu sehen, daß er allmälig immer weiter und weiter von der Küste weg trieb. Als er emporschaute, waren die Baumwipfel verschwunden, aber er bemerkte bald, daß das Canoe sich langsam wandte, so daß er durch sein Guckloch Nichts mehr als nur die beiden Enden des Sees sehen konnte. Jetzt dachte er an den Stecken, welcher gekrümmt war, und sich nicht übel zum Rudern eignete, ohne daß er nöthig hatte aufzustehen. Das Experiment gelang beim Versuch besser selbst als er gehofft hatte, obwohl die große Verlegenheit jetzt die war, das Canoe in gerader Richtung zu erhalten. Daß dieß neue Manöuver gesehen worden, ward bald klar aus dem Geschrei auf der Küste, und eine am Hintertheil des Canoe’s eindringende Kugel fuhr der Länge nach hindurch, pfiff zwischen den Armen unsers Helden hin, und drang am Vordertheil hinaus. Dieß überzeugte den Flüchtling, daß er sich mit ziemlicher Geschwindigkeit entfernte, und spornte ihn an, seine Anstrengungen zu verdoppeln. Er ruderte noch kräftiger als zuvor, als ein neuer Bote von dem Vorsprung den Stecken außen zerschmetterte und ihn seines Ruders beraubte. Da aber der Ton der Stimmen immer ferner und ferner zu werden schien, beschloß Wildtödter, Alles dem Treiben des Wassers zu überlassen, bis er sich außer dem Bereich der Kugeln glaubte. Das war eine harte Nervenprobe, aber es war das klügste Auskunftsmittel, das sich darbot; und der junge Mann fühlte sich ermuthigt, dabei zu bleiben, durch den Umstand, daß er im Gesicht das Fächeln der Luft spürte, ein Beweis, daß der Wind etwas stärker wehte.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Nicht der Wittwe Thrän‘, nicht der Waisen Weh
Hält die wilden Stürmer auf;
Nicht dräuender Himmel, nicht schwellende See
Hemmt des Piraten Lauf;
Von Selbstsucht gestählt zu vermessenem Muth
Wandeln sie hin durch Raub und Blut;
An Leumund und Schande bange Gedanken
Machen im Frevel sie nimmer wanken;
Macht und Schätze durch Unthat zu häufen nicht laß,
Verlachen der Mitmenschen Furcht sie und Haß.
Congreve.

Wildtödter befand sich jetzt zwanzig Minuten in dem Canoe, und er harrte nachgerade mit einiger Ungeduld auf Zeichen des Beistands von seinen Freunden. Die Stellung des Bootes hinderte ihn noch immer, in einer andern Richtung, als den See auf- oder abwärts zu sehen; und obwohl er wußte, daß seine Gesichtslinie nur hundert Schritte von dem Castell ab lag, überschritt sie doch in der That diese Entfernung, von der westlichen Seite der Gebäude aus gerechnet. Die tiefe Stille beunruhigte ihn auch, denn er wußte nicht, ob er sie auf Rechnung des zunehmenden Abstandes von den Indianern, oder einer neuen List schreiben sollte. Endlich, ermüdet von dem fruchtlosen Harren, kehrte sich der junge Mann auf seinem Rücken um, schloß die Augen und erwartete das Weitere in gefaßter Ergebung und Ruhe. Wenn die Wilden ihren Rachedurst so völlig zu bemeistern vermochten, so war er entschlossen, sich ebenso ruhig zu verhalten wie sie, und sein Schicksal dem Einfluß der Strömungen und der Luft anzuvertrauen.

Etwa zehn weitere Minuten mochten verflossen seyn, während beide Theile sich so ruhig verhielten, als Wildtödter ein leises Geräusch zu hören glaubte, wie wenn Etwas an dem Boden des Canoe’s riebe. Er öffnete natürlich die Augen, in Erwartung das Gesicht oder den Arm eines Indianers aus dem Wasser sich erheben zu sehen, und fand, daß ein Laubdach gerade über seinem Kopf hing. Er sprang auf, und das Erste, was sein Auge erblickte, war Rivenoak, welcher dem langsamen Vorrücken des Bootes nachgeholfen und es an den Vorsprung herangezogen hatte; und das Anstreifen auf dem Strand war der Ton gewesen, welcher unsern Helden zuerst aufgeschreckt hatte. Der Wechsel in der Richtung des Canoe’s rührte ganz nur von der Unbeständigkeit der Luftströmungen und einigen Strudeln des Wassers her.

»Kommt,« sagte der Hurone mit einer ruhig gebietenden Geberde seinen Gefangenen auffordernd, an’s Land zu steigen; »mein junger Freund ist herumgesegelt, bis er müde geworden ist; er wird vergessen, wieder zu laufen, wenn er nicht seine Beine gebraucht.«

»Ihr habt den Vortheil davon, Hurone,« versetzte Wildtödter, ruhig aus dem Canoe tretend, und seinem Führer geduldig auf den offenen Platz des Vorsprungs folgend; »die Vorsehung hat Euch in unerwarteter Weise geholfen. Ich bin wieder Euer Gefangener, und Ihr werdet, hoff‘ ich, gestehen, daß ich ebenso tüchtig darin bin, aus der Haft zu brechen, als Urlaube zu halten.«

»Mein junger Freund ist ein Elenthier!« rief der Hurone. »Seine Beine sind sehr lang; sie haben meinen jungen Männern Mühe gemacht. Aber er ist kein Fisch; er kann seinen Weg im See nicht finden. Wir schossen ihn nicht; Fische fängt man in Netzen, und tödtet sie nicht mit Kugeln. Wenn er wieder ein Elenthier wird, wird er wie ein Elenthier behandelt werden.«

»Ja, schwatzt nur, Rivenoak; rühmt und benutzt Euren Vortheil. Es ist Euer Recht, denke ich, und ich weiß, es ist Eure Gabe. Ueber den Punkt werden wir nicht weiter Worte wechseln; denn alle Menschen dürfen und müssen ihren Gaben folgen. Indessen, wenn Eure Weiber anfangen, mich zu necken und zu schmähen, was, wie ich glaube, bald geschehen wird, so mögen sie bedenken, daß, wenn ein Bleichgesicht sich um sein Leben wehrt, so lang es recht und mannhaft ist, er auch mit Anstand es fahren zu lassen weiß, wenn er fühlt, daß die Zeit gekommen. Ich bin Euer Gefangner; thut Euren Willen an mir.«

»Mein Bruder hat einen langen Lauf gemacht auf den Bergen und eine angenehme Fahrt auf dem Wasser,« versetzte Rivenoak milder, und lächelte dabei in einer Art, die, wie der Andere wußte, friedliche Absichten verrieth. »Er hat die Wälder gesehen; er hat das Wasser gesehen; wo gefällt es ihm am besten? Vielleicht hat er genug gesehen, um seinen Sinn zu ändern und ihn geneigt zu machen, Vernunft zu hören.«

»Sprecht, Hurone, Ihr habt Etwas in Gedanken, und je eher es gesagt ist, um so eher habt Ihr meine Antwort.«

»Das ist gerade herausgesprochen! In den Reden meines Freundes, des Bleichgesichts, sind keine krummen Windungen, obwohl er ein Fuchs ist im Laufen. Ich will zu ihm sprechen! seine Ohren sind jetzt weiter offen als zuvor, und seine Augen sind nicht verschlossen. Die Sumach ist ärmer als je. Früher hatte sie einen Bruder und einen Gatten. Sie hatte auch Kinder. Die Zeit ging hin, und der Gatte brach auf nach den glücklichen Jagdrevieren, ohne Lebewohl zu sagen; er ließ sie allein mit seinen Kindern. Das konnte er nicht ändern, sonst hätte er es nicht gethan; der Loup Cervier war ein guter Gatte. Es war lustig, das Wildpret, und die wilden Enten und Gänse, und Bärenfleisch zu sehen, das Winters in seiner Hütte hing. Es ist jetzt dahin; es hält sich nicht bei warmem Wetter. Wer soll es wieder bringen? Manche dachten, der Bruder werde seiner Schwester nicht vergessen, und er würde im nächsten Winter sorgen, daß die Hütte nicht leer bleibe. Wir glaubten dieß; aber der Panther brüllte und folgte dem Gatten auf dem Pfade des Todes. Sie wetteifern jetzt Wer zuerst die glücklichen Jagdreviere erreiche. Einige meinen, der Luchs könne am schnellsten laufen, und Einige, der Panther können am weitesten springen. Die Sumach meint, Beide werden so schnell und so weit reisen, daß Keiner je zurückkomme. Wer soll sie und ihre Kinder ernähren? Der Mann, der ihren Gatten und ihren Bruder ihre Hütte verlassen hieß, damit für ihn Raum würde, hineinzugehen. Er ist ein großer Jäger, und wir wissen, daß das Weib nie Mangel leiden wird.«

»Ja, Hurone, das ist bald abgemacht nach Euren Begriffen; aber den Gefühlen eines weißen Mannes geht es leidig gegen den Strich. Ich habe von Männern gehört, welche ihr Leben auf diese Weise retteten, und ich habe Solche gekannt, die den Tod einer solchen Art von Gefangenschaft vorziehen würden. Was mich betrifft, ich suche mein Ende nicht, aber ich suche auch die Ehe nicht.«

»Das Bleichgesicht wird sich dieß bedenken, während meine Leute sich zur Berathung anschicken. Man wird ihm sagen, was geschehen wird. Er bedenke, wie hart es ist, einen Gatten und einen Bruder zu verlieren. Geht; wenn wir Euch vor uns sehen wollen, wird man den Namen Wildtödter rufen.«

Dieß Gespräch war ohne alle Zeugen in der Nähe der beiden Männer geführt worden. Von der ganzen Bande, von welcher vor Kurzem der Platz wimmelte, war nur Rivenoak sichtbar. Die Uebrigen schienen den Ort ganz verlassen zu haben. Selbst die Geräthe, Kleider, Waffen und sonstiges Zugehör des Lagers waren gänzlich verschwunden, und die Stelle wies keine andere Merkmale von dem Schwarm, der sich darauf vor einer Stunde noch umgetrieben, als die Spuren von den Feuern und Ruheplätzen, und die zerstampfte Erde, die noch ihre Fußtapfen zeigte. Eine so plötzliche und unerwartete Veränderung erregte in nicht geringem Grade Wildtödters Erstaunen und Unruhe, denn so Etwas war ihm während seiner ganzen Erfahrung unter den Delawaren nicht vorgekommen. Er vermuthete jedoch, und mit Recht, daß ein Wechsel des Lagers beabsichtigt werde, und daß man das Geheimnißvolle dieser Bewegung zu Hülfe nehme, um auf seine Seele durch Furcht zu wirken.

Rivenoak schritt den Gang zwischen den Bäumen dahin, sobald er gesprochen hatte, und ließ Wildtödter allein. Der Häuptling verschwand hinter dem Dickicht des Waldes, und ein Neuling in solchen Scenen hätte wähnen können, der Gefangene sey nunmehr ganz den Eingebungen seiner Klugheit überlassen gewesen. Aber der junge Mann kannte, während er einigermaßen betroffen war über den dramatischen Anstrich der Dinge, seine Feinde zu gut, um sich frei und in seinen Bewegungen ungehemmt zu glauben. Doch wußte er noch nicht, wie weit die Huronen ihre Täuschungen zu treiben beabsichtigten, und er beschloß, die Frage so bald als thunlich zur Entscheidung zu bringen. Eine Gleichgültigkeit zur Schau tragend, die er keineswegs fühlte, schlenderte er auf dem Platz herum, und kam allmälig immer näher zu der Stelle, wo er gelandet hatte, als er plötzlich seinen Schritt beschleunigte, obwohl er sorgfältig jeden Schein der Flucht vermied, und die Büsche auseinanderreißend, schritt er auf den Kiesplatz. Das Canoe war weg, und er sah auch keine Spuren davon, nachdem er zum nördlichen und südlichen Rand des Vorsprungs geschritten war und in beiden Richtungen die Küste besichtigt hatte. Es war offenbar an einen Ort gebracht worden, der ihm unbekannt und unzugänglich war, und unter Umständen, welche zeigten, daß dieß die Absicht der Wilden gewesen.

Wildtödter verstand jetzt seine wirkliche Lage besser. Er war ein Gefangner auf der schmalen Landzunge, ohne Zweifel sorgfältig bewacht, und ohne andere Mittel zu entkommen, als durch Schwimmen. Er dachte wieder an dieß letzte Auskunftsmittel, aber die Gewißheit, daß man ihm das Canoe zur Verfolgung nachschicken würde, und die geringe Aussicht dieses verzweifelten Versuchs auf Erfolg schreckten ihn davon ab. Am Strand stieß er auf eine Stelle, wo die Büsche waren abgeschnitten und auf einen kleinen Haufen zusammengeworfen worden. Als er einige der obern Zweige wegnahm, fand er darunter den Leichnam des Panthers. Er wußte, daß er aufbewahrt wurde, bis die Wilden einen Begräbnißplatz fänden, wo er außer dem Bereiche des Skalpirmessers wäre. Er blickte gedankenvoll nach dem Castell hinüber; aber dort schien Alles still und öde; und ein Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit überfiel ihn, das den düstern Ernst des Augenblicks noch erhöhte.

»Gottes Wille geschehe!« murmelte der junge Mann, indem er bekümmert von dem Strand sich entfernte, und wieder unter die Bogen des Waldes trat. »Gottes Wille geschehe auf Erden wie im Himmel! Ich hoffte, meine Tage würden nicht so bald gezählt seyn; aber es trägt am Ende Wenig aus. Einige Winter und einige Sommer mehr, so wäre es nach dem Lauf der Natur doch vorüber gewesen. Ach ja wohl! die Jungen und Rüstigen denken selten an die Möglichkeit des Todes, bis er ihnen in’s Angesicht grinst, und ihnen ankündigt, daß ihre Stunde gekommen ist!«

Während dieses Selbstgesprächs trat der Jäger auf den freien Platz, wo er zu seinem Erstaunen Hetty allein stehen sah, allem Anschein nach auf seine Zurückkunft wartend. Das Mädchen trug die Bibel unter dem Arm, und ihr Antlitz, über welchem gewöhnlich ein Schatten sanfter Schwermuth lag, schien jetzt traurig und niedergeschlagen. Wildtödter trat ihr näher und sprach zu ihr.

»Arme Hetty,« sagte er, »in dieser letzten Zeit ist es so unruhig zugegangen, daß ich Euch ganz vergessen hatte; wir treffen uns jetzt gleichsam, um zu trauern über das was kommen wird. Ich bin verlangend zu wissen, was aus Chingachgook und Wah! geworden ist!«

»Warum habt Ihr den Huronen getödtet, Wildtödter?« versetzte das Mädchen in vorwurfsvollem Tone. »Kennt Ihr Eure zehn Gebote nicht, welche sagen: du sollst nicht tödten? Sie sagen mir, Ihr habet jetzt des Weibes Gatten und Bruder erschlagen?«

»Es ist wahr, meine gute Hetty, – es ist wahr wie das Evangelium, und ich will nicht läugnen, was geschehen ist. Aber Ihr müßt bedenken, Mädchen, daß Manches erlaubt ist im Krieg, was unerlaubt wäre im Frieden. Der Gatte ward erschossen in offenem Kampfe; oder offen, so weit es mich betraf, während er einen ungewöhnlich guten Schutz und Versteck hatte; – und der Bruder zog sich selbst seinen Tod zu, indem er seinen Tomahawk nach einem unbewaffneten Gefangenen warf. Seyd Ihr Zeugin der That gewesen, Mädchen?«

»Ich sah sie, und es that mir leid, daß sie vorfiel, Wildtödter; denn ich hoffte, Ihr würdet nicht Schlag mit Schlag, sondern Böses mit Gutem vergelten.«

»Ach, Hetty, das mag angehen unter den Missionären, aber in den Wäldern würde das ein unsicheres Leben machen. Der Panther gelüstete nach meinem Blut, und war thöricht genug, mir Waffen in die Hände zu geben, in dem Augenblick, wo er darnach trachtete. Es wäre gegen die Natur gewesen, bei einer solchen Versuchung nicht eine Hand zu erheben, und es hätte meiner Erziehung und meinen Gaben Unehre gebracht. Nein, nein; ich bin so bereit als Einer, Jedem das Seinige zu lassen und zu geben; und dieß, hoffe ich, werdet Ihr bezeugen gegen diejenigen, die Euch etwa über das befragen, was Ihr heute gesehen habt.«

»Wildtödter, gedenkt Ihr Sumach zu heirathen, nunmehr sie weder Gatten noch Bruder mehr hat, sie zu ernähren?«

»Sind das Eure Ideen vom Ehestand, Hetty? Soll der Junge die Alte zum Weibe nehmen – das Bleichgesicht die Rothhaut – der Christ die Heidin? Es ist gegen Vernunft und Natur, und das werdet Ihr einsehen, wenn Ihr es einen Augenblick bedenkt.«

»Ich habe immer Mutter sagen hören,« erwiederte Hetty, ihr Gesicht wegwendend, mehr aus weiblichem Instinkt, als in irgend einem Bewußtseyn von Unrecht – »daß die Leute nie heirathen sollten, als wenn sie einander mehr liebten als Brüder und Schwestern; und ich denke das ist’s, was Ihr meint. Sumach ist alt, und Ihr seyd jung.«

»Ja, und sie ist roth und ich bin weiß. Zudem, Hetty, setzt den Fall, Ihr wäret jetzt ein Weib und hättet einen jungen Mann von Euren Jahren, Stand und Farbe geheirathet – Hurry Harry zum Beispiel« – Wildtödter wählte dieß Beispiel einfach deßwegen, weil er der einzige Beiden bekannte junge Mann war – »und er wäre gefallen auf einem Kriegspfad: würdet Ihr wünschen an Eure Brust als Gatten den Mann zu nehmen, der ihn erschlagen?«

»Oh! nein, nein, nein;« antwortete das Mädchen schaudernd. »Das wäre sündhaft, ebenso wie herzlos! Kein christliches Mädchen könnte oder wollte das thun. Ich werde nie Hurry’s Weib werden, das weiß ich; aber wäre er mein Gatte, kein Mann sollte es je wieder werden nach seinem Tode!«

»Ich dachte auf das würde es hinauskommen, Hetty, wenn Ihr erst die Umstände recht begriffen. Es ist eine moralische Unmöglichkeit, daß ich je Sumach heirathe; und obgleich bei indianischen Heirathen keine Priester sind, und wenig Religion, kann doch ein weißer Mann, der seine Gaben und Pflichten kennt, sich das nicht zu Nutze machen, und so im geeigneten Augenblick sich retten. Ich glaube, der Tod wäre natürlicher und willkommener, als Ehe mit diesem Weibe.«

»Sagt das nicht zu laut,« unterbrach ihn Hetty ungeduldig; »ich glaube sie würde das nicht gern hören. Ich bin gewiß, Hurry würde eher sogar mich heirathen, als Martern ausstehen, obwohl ich schwachsinnig bin; und es würde mich gewiß tödten, wenn ich denken müßte, er würde lieber den Tod wählen, als mein Gatte werden!«

»Ja, Mädchen, Ihr seyd nicht Sumach, sondern eine hübsche, junge Christin, mit einem guten Herzen, anmuthigem Lächeln und freundlichem Auge. Hurry dürfte stolz darauf seyn, Euch zu bekommen, und das nicht, wenn er im Elend und Kummer wäre, sondern in seinen besten und glücklichsten Tagen. Indeß nehmt meinen Rath, und sprecht mit Harry nie von diesen Dingen; er ist im besten Falle doch eben ein Grenzer.«

»Ich möchte es ihm um die Welt nicht sagen!« rief das Mädchen, und sah sich ganz entsetzt und erröthend um, sie wußte selbst nicht warum. »Mutter sagte immer, Mädchen sollen nicht keck und vorlaut seyn, und ihre Gesinnungen nicht aussprechen, ehe man sie frage; – oh! ich vergesse nie, was Mutter mir gesagt hat. Es ist Schade, daß Hurry so schön ist, Wildtödter; ich glaube, ohne das würden ihn wenigere Mädchen gern haben, und er würde eher sein eigenes Gemüth kennen lernen.«

»Armes Mädchen, armes Mädchen! es ist klar genug, wie es steht; aber der Herr wird ein Geschöpf von so einfältigem Herzen und so freundlichem Gemüth nicht außer Acht lassen! Wir wollen nicht weiter von diesen Dingen sprechen; wenn Ihr Vernunft hättet, würdet Ihr Euch bekümmern, Andre so Euer Geheimniß haben durchschauen zu lassen. Sagt mir, Hetty, was ist aus all‘ den Huronen geworden, und warum lassen sie Euch auf dem Vorsprung herum wandeln, als ob Ihr auch eine Gefangene wäret?«

«Ich bin keine Gefangene, Wildtödter, sondern ein freies Mädchen, und gehe wohin und wann es mir gefällt. Niemand darf mir ein Leid thun! Wenn sie es thäten, würde Gott zürnen, wie ich ihnen in der Bibel zeigen kann. Nein – nein – Hetty Hutter fürchtet sich nicht; sie ist in guten Händen. Die Huronen sind dort in den Wäldern drüben, und haben ein scharfes Auge auf uns Beide, dafür steh‘ ich, denn alle Weiber und Kinder halten Wache. Einige begraben den Leichnam des armen Mädchens, das in der vorigen Nacht erschossen wurde, damit der Feind und die wilden Thiere ihn nicht finden können. Ich sagte ihnen, Vater und Mutter lägen im See, aber ich ließ sie nicht wissen, in welcher Gegend, denn Judith und ich brauchen Niemand von ihrer heidnischen Gesellschaft auf unserem Begräbnißplatz.«

»Ach weh! Nun, es ist in der That eine grausame Aufgabe, hier zu stehen, lebend und zornig, mit aufgeregten, wüthenden Gefühlen, in der einen Stunde, und dann in der nächsten weggeführt, und in einer Grube in der Erde dem Anblick der Menschenkinder entrückt zu werden! Niemand weiß, was ihm auf einem Kriegspfad widerfahren mag, das ist gewiß!«

Hier unterbrach das Rauschen des Laubs und das Krachen von dürren Zweigen das Gespräch, und setzte Wildtödter in Kenntniß von der Annäherung seiner Feinde. Die Huronen schlossen um den Platz, der für die nun kommende Scene eingerichtet worden war, und in dessen Mitte das beabsichtigte Opfer jetzt stand, einen Kreis – und die bewaffneten Männer waren so unter die schwächern Glieder der Bande vertheilt, daß keine gefahrlose Lücke war, wo der Gefangene durchbrechen konnte. Aber er dachte jetzt nicht mehr an Flucht; der letzte Versuch hatte ihn von der Unmöglichkeit überzeugt, zu entkommen, wenn er von einer großen Menge so scharf verfolgt ward. Im Gegentheil hatte er alle seine Kräfte aufgeboten, um dem Schicksal, das er erwartete, mit einer Ruhe entgegenzugehen, welche seiner Farbe und Mannhaftigkeit Ehre machen sollte, – ebenso entfernt von feiger und schimpflicher Angst, wie von der Prahlerei der Wilden.

Als Rivenoak wieder in dem Kreis erschien, nahm er seinen alten Platz oben auf der Scene ein. Einige der ältern Krieger standen in seiner Nähe; aber jetzt, nachdem Sumach’s Bruder gefallen, war kein anerkannter Häuptling mehr anwesend, dessen Einfluß und Ansehen mit dem seinigen in eine gefährliche Nebenbuhlerschaft hätte treten können. Dennoch ist wohl bekannt, daß wenig Monarchisches oder Despotisches in irgend einem Sinne in der politischen Verfassung der nordamerikanischen Stämme sich fand, obgleich die ersten Colonisten, in diese Hemisphäre die Begriffe und Meinungen ihrer Länder mitbringend, die angesehensten Männer dieser dem Urzustand nahe stehenden Nationen häufig mit den stolzen Titeln von Königen und Fürsten bezeichneten. Erblicher Einfluß existirte allerdings; aber man hat allen Grund zu glauben, daß er eher als eine Folge von erblichem Verdienst und erworbnen Eigenschaften, denn als Geburtsrecht bestand. Rivenoak jedoch hatte nicht einmal diesen Anspruch – denn er war zu Ansehen emporgestiegen einzig durch die Macht von Talenten, Scharfsinn, und wie Bacon es ausspricht, im Hinblick auf alle ausgezeichneten Staatsmänner – »durch eine Vereinigung großer und gemeiner Eigenschaften;« eine Wahrheit, für welche die Laufbahn des tiefdenkenden Engländers selbst einen so einleuchtenden Beleg liefert.

Nächst den Waffen ebnet Beredsamkeit die große Bahn zur Volksgunst, sey es im civilisirten oder im wilden Leben; und Rivenoak hatte es so weit gebracht – wie so Manche vor ihm! – ebensosehr dadurch, daß er seinen Zuhörern falsche Sätze und Trugschlüsse einleuchtend zu machen wußte, als durch tiefe und gelehrte Auseinandersetzung der Wahrheit, oder durch die Schärfe seiner Logik. Dennoch besaß er Einfluß, und war auch gar nicht ohne gerechte Ansprüche darauf. Wie die meisten Menschen, welche mehr überlegen als fühlen, war der Hurone kein Freund davon, die blos wilden und trotzigen Leidenschaften seines Volks zu üben und zu hegen; man fand ihn gewöhnlich auf der Seite der Barmherzigkeit bei all den Scenen erbitterter Peinigung und Rachgier, die in seinem Stamme vorgekommen, seit er zur Macht gelangt war. Im jetzigen Falle sträubte er sich, es aufs Aeußerste kommen zu lassen, obwohl die Reizung und Herausforderung so groß war; aber doch ging es über seinen Scharfsinn, ein Mittel zu entdecken, diese Alternative glücklich zu vermeiden. Sumach empfand ihre Verschmähung bittrer, als den Tod von Gatten und Bruder, und es war wenig Wahrscheinlichkeit, daß das Weib dem Manne verzeihen werde, der so unumwunden den Tod ihren Umarmungen vorgezogen hatte. Ohne ihre Verzeihung war kaum zu hoffen, daß der Stamm sich bewegen lassen würde, seinen Verlust zu übersehen; und selbst dem zur Verzeihung so geneigten Rivenoak schien das Schicksal unsers Helden jetzt hoffnungslos besiegelt.

Als die ganze Bande versammelt war, erfüllte ein ernstes Schweigen, nur um so drohender bei seiner tiefen Ruhe, den Platz. Wildtödter bemerkte, daß die Weiber und Knaben Splitter von den fetten Fichtenwurzeln gefertigt hatten, die, wie er wohl wußte, ihm ins Fleisch gesteckt und angezündet werden sollten, während zwei oder drei der jungen Männer die Stricke von Bast hielten, womit er gebunden werden sollte. Der Rauch von einem fernen Feuer kündigte an, daß die Brände schon in Bereitschaft waren, und einige von den altern Kriegern fuhren mit den Fingern über die Schneide ihrer Tomahawks, um ihre Schärfe und Feinheit zu erproben. Selbst die Messer schienen schon gelockert in ihren Scheiden, ungeduldig der blutigen, unbarmherzigen Arbeit harrend, die beginnen sollte.

»Tödter des Wildes,« begann wieder Rivenoak, allerdings ohne alle Zeichen von Sympathie oder Mitleid in seinem Wesen, obwohl mit Ruhe und Würde; »Tödter des Wildes, es ist Zeit, daß meine Leute ihre Gesinnungen erkannten. Die Sonne steht nicht mehr über unsern Häuptern; müde über den Huronen zu weilen, hat sie angefangen, gegen die Fichten auf dieser Seite des Thales sich zu senken. Sie wandert schnell dem Lande unsrer französischen Väter zu – um zu warnen ihre Kinder, daß ihre Hütten leer stehen, und daß sie zu Hause seyn sollten. Der streifende Wolf hat seine Höhle, und er sucht sie auf, wenn er seine Jungen zu sehen wünscht. Die Irokesen sind nicht ärmer als die Wölfe. Sie haben Dörfer, und Wigwams, und Kornfelder; die guten Geister werden müde seyn, sie allein zu bewachen. Meine Leute müssen zurückgehen und nach ihren Angelegenheiten sehen. Es wird Freude herrschen in den Hütten, wenn sie unsern Ruf von dem Walde her hören! Es wird ein kummervoller Ruf seyn; wenn man ihn verstanden, wird Gram ihm folgen. Es wird Ein Skalpruf erschallen, aber nur Einer. Wir haben den Pelz der Bisamratze; sein Leichnam ist unter den Fischen. Wildtödter muß es sagen, ob noch ein Skalp auf unserm Pfahl seyn soll. Zwei Hütten sind leer; ein Skalp, lebendig oder todt, ist erforderlich für jede Thüre!«

»Dann nehmt ihn todt, Hurone,« erwiederte der Gefangne fest, aber ohne theatralische Prahlerei. »Meine Stunde ist gekommen, glaube ich, und was seyn muß, muß seyn. Wenn Ihr auf die Martern versessen seyd, so will ich mein Möglichstes thun, sie mannhaft zu ertragen, obgleich kein Mensch sagen kann, wie weit seine Natur Schmerzen aushalten kann, bis es zur Probe gekommen ist.«

»Der Bleichgesichthund fängt an den Schwanz zwischen die Beine zu nehmen!« schrie ein junger, geschwätziger Wilder, der den passenden Titel: Corbeau Rouge führte, ein sobriquet, das er von den Franzosen bekommen wegen seiner Fertigkeit, zur Unzeit Geräusch zu machen, und einer ungebührlichen Neigung, seine eigne Stimme zu hören; »er ist kein Krieger; er hat den Loup Cervier getödtet, hinter sich blickend, um nicht den Blitz seiner eignen Büchse zu sehen. Er grunzt schon wie ein Schwein; wenn die Huronen-Weiber anfangen, ihn zu quälen, wird er schreien wie das Junge der Pantherkatze. Er ist ein Delawarisches Weib, gekleidet in die Haut eines Yengeese!«

»Schwatzt wie Ihr wollt, junger Mann; schwatzt wie Ihr wollt,« versetzte Wildtödter unbeweglich; »Ihr versteht es nicht besser und ich kann es übersehen. Schwatzen mag Weiber belustigen, aber kann schwerlich Messer schärfer, Feuer heißer, oder Büchsen sichrer machen.«

Rivenoak legte sich jetzt dazwischen, verwies der Rothen Krähe ihre voreilige Einmischung, und wies dann die geeigneten Personen an, den Gefangnen zu binden. Diese Maßregel ward ergriffen nicht aus Besorgniß, er möchte entfliehen, oder sofern man jetzt schon die Notwendigkeit davon erkannt hatte, weil er nicht im Stande gewesen wäre, die Martern mit freien Gliedern auszuhalten, sondern mit der sinnreichen Absicht, ihm seine Hilflosigkeit recht fühlbar zu machen, und seine Entschlossenheit dadurch allmälig zu lähmen, daß man sie so zu sagen Schritt für Schritt untergrub. Wildtödter widersetzte sich nicht. Er bot seine Arme und Beine willig, wenn auch nicht freudig, den Bastseilen dar, welche auf Befehl des Häuptlings so darum gebunden wurden, daß sie möglichst wenig Schmerzen verursachten. Diese Anweisungen waren geheim und in der Hoffnung gegeben, der Gefangene würde sich am Ende jede ernste körperlich Marter ersparen, durch seine Einwilligung, die Sumach zum Weib zu nehmen. Sobald Wildtödter hinlänglich mit Bast gebunden war, um ein lebhaftes Gefühl von Hülflosigkeit in ihm zu erwecken, ward er an einen jungen Baum im buchstäblichen Sinne geschleppt und daran so angebunden, daß er sich in der That ebensowenig rühren als fallen konnte. Die Hände wurden flach an die Beine gelegt, und überall Seile darüber gezogen, dergestalt, daß der Gefangene mit dem Baume wie verwachsen schien. Dann ward ihm seine Mütze abgenommen, und er blieb dann in einer Lage – halb stehend, halb von seinen Banden gehalten, um der kommenden Scene so gut er konnte die Stirne zu bieten.

Ehe man irgend zum Aeußersten schritt, war es Rivenoaks Wunsch, seines Gefangnen Entschlossenheit auf die Probe zu stellen durch Erneuerung des Versuchs zu einem gütlichen Vergleich. Dieß konnte nur auf Eine Weise geschehen, da die Einwilligung der Sumach unerläßlich war, wenn es zu einem Vergleich über ihr Recht auf Rache kommen sollte. In dieser Absicht ward denn zunächst das Weib aufgefordert vorzutreten, und selbst ihr Interesse zu wahren; da man annehmen konnte, daß Niemand bei dieser Negotiation eine wirksamere Rolle würde spielen können, als die Hauptperson selbst. Die Indianerinnen sind als Mädchen gewöhnlich mild und unterwürfig, mit musikalischem Ton, angenehmen Stimmen und lustigem Lachen; aber Mühseligkeiten und Leiden berauben sie der meisten dieser Vorzüge, bis sie nur ein Alter erreichen, das die Sumach lange schon überschritten hatte. Ihre Stimmen rauh zu machen, erforderte es, so mochte es scheinen, lebhafte, bösartige Leidenschaften, obwohl in der Aufregung ihr Kreischen zu einem hinlänglichen Grade von gellendem Mißton sich erheben kann, um ihre Ansprüche auf den Besitz dieser unterscheidenden Eigenthümlichkeit des schönen Geschlechts sicher zu stellen. Die Sumach war jedoch nicht ganz ohne weibliche Reize, und hatte noch vor so kurzer Zeit unter ihrem Stamme für schön gegolten, daß sie noch nicht in ihrem ganzen Umfang die Wirkungen erkannt hatte, welche Zeit und Mühseligkeit bei Männern so gut wie bei Frauen hervorbringen. Auf Rivenoaks Veranstaltung hatten einige der Weiber um sie her die ganze Zeit über sich Mühe gegeben, die einsam stehende Wittwe zu bereden, es sey noch Hoffnung, den Wildtödter zu vermögen, lieber in ihren Wigwam, als in die Welt der Geister einzuziehen, und dieß mit einem Erfolg, den frühere Symptome kaum hätten erwarten lassen. Alles dieß war die Folge eines Entschlusses von Seiten des Häuptlings, kein geeignetes Mittel unversucht zu lassen, um den größten Jäger, der nach allgemeiner Annahme damals in der ganzen Gegend lebte, für seine Nation, so wie auch einen Gatten für ein Weib zu gewinnen, das, wie er wohl fühlte, sehr lästig und beschwerlich werden konnte, wenn man ihre Ansprüche an die Aufmerksamkeit und Vorsorge des Stammes irgend übersah.

Diesem Plan gemäß war die Sumach insgeheim angewiesen worden, in den Kreis vorzutreten, und den Gerechtigkeitssinn des Gefangenen anzusprechen, ehe die Bande zu dem letzten Versuch schritt. Das Weib willigte nicht faul ein; denn es lag ein ähnlicher Reiz darin, das Weib eines unter den Frauen der Stämme berühmten Jägers zu werden, wie etwa die Schönen in einem mehr verfeinerten Zustand empfinden, wenn sie ihre Hand reichen Männern geben. Da die Pflichten einer Mutter als alle andre Rücksichten aufwiegend galten, empfand die Wittwe nichts von der Verlegenheit bei dem Vortrag ihrer Ansprüche, deren selbst eine Glücksjägerin unter uns sich doch nicht erwehren würde. Wie sie daher vor der ganzen Truppe vortrat, rechtfertigten die Kinder, die sie an der Hand führte, Alles, was sie that, vollkommen.

»Ihr seht mich vor Euch, grausames Bleichgesicht,« begann das Weib; »Euer Geist muß Euch mein Anliegen sagen. Ich habe Euch gefunden: ich kann nicht finden den Loup Cervier noch den Panther. Ich habe sie gesucht im See, in den Wäldern, in den Wolken. Ich weiß nicht zu sagen, wohin sie gegangen sind.«

»Niemand weiß es, gute Sumach, Niemand weiß es,« fiel der Gefangne ein. »Wenn der Geist den Körper verläßt, geht er in eine Welt über, welche jenseits unsrer Erkenntniß liegt, und das Klügste für die Zurückgebliebenen ist: das Beste zu hoffen. Ohne Zweifel sind Eure beiden Krieger nach den glücklichen Jagdrevieren gegangen, und seiner Zeit werdet Ihr sie wieder sehen in ihrem bessern Zustand. Das Weib und die Schwester von Tapfern muß einem solchen oder ähnlichen Schluß ihrer Laufbahnen auf Erden entgegengesehen haben.« »Grausames Bleichgesicht, was hatten meine Krieger gethan, daß Ihr sie erschluget? Sie waren die besten Jäger und die kühnsten jungen Männer ihres Stammes; der Große Geist wollte, daß sie leben sollten bis sie verwitterten gleich den Zweigen der Tanne, und durch ihre eigne Wucht abfielen.«

»Nein, nein, gute Sumach,« unterbrach sie der Wildtödter, dessen Wahrheitsliebe zu unbezwinglich war, um geduldig solchen Hyperbeln zuzuhören, selbst wenn sie aus dem zerrissenen Herzen einer Wittwe kamen, – »Nein, nein, gute Sumach, das heißt die Vorrechte der Rothhäute etwas übertreiben. Ein junger Mann war Keiner, so wenig als Ihr eine junge Frau genannt werden könnt; und was des Großen Geistes Willen anlangt, daß sie hätten auf eine andere Weise fallen sollen, als sie fielen, so ist das ein trauriger Irrthum, sintemal, was der Große Geist will, ganz gewiß in Erfüllung geht. Und dann weiter ist es zwar ganz klar, daß keiner Eurer Freunde mir ein Leid that; ich erhob aber meine Hand gegen sie wegen dessen, was sie mir zu thun trachteten, und nicht, was sie mir thaten. Das ist natürliches Gesetz: seine Hand gebrauchen, damit man nicht der Hand des Andern erliege.«

»Es ist so. Sumach hat nur eine Zunge; sie kann nur eine Geschichte erzählen. Das Bleichgesicht erschlug die Huronen, damit nicht die Huronen ihn erschlügen. Die Huronen sind eine gerechte Nation, sie werden es vergessen, die Häuptlinge werden ihre Augen schließen und sich stellen, als hätten sie es nicht gesehen. Die jungen Männer werden glauben, der Panther und der Luchs seyen auf ferne Jagden gezogen; und die Sumach wird ihre Kinder bei der Hand nehmen, und in die Hütte des Bleichgesichts gehen, und sagen: Seht, das sind Eure Kinder – sie sind auch die meinigen; ernährt uns und wir wollen bei Euch wohnen.«

»Die Bedingungen sind nicht annehmbar, Weib; und so sehr ich Eure Verluste bedaure, welche hart zu tragen seyn müssen, können doch die Anträge nicht angenommen werden. Euch Wildpret zu schaffen, falls wir nahe genug bei einander wohnten, das wäre keine so große Aufgabe, aber Euer Mann zu werden, und der Vater von Euren Kindern, dazu fühle ich, ehrlich mit Euch gesprochen, keinen Beruf in mir.«

»Seht diesen Knaben an, grausames Bleichgesicht; er hat keinen Vater, der ihn lehren könnte, das Wild zu tödten, oder Skalpe zu nehmen. Seht dieß Mädchen; welcher junge Mann wird kommen, um sich ein Weib zu suchen in einer Hütte, die kein Haupt hat? Noch mehrere sind unter meinem Volke in den Canoe’s, und der Tödter des Wildes wird so viele Mäuler zu füttern finden, als sein Herz wünschen mag.«

»Ich sage Euch, Weib,« rief Wildtödter, dessen Phantasie keineswegs die Aufforderung der Wittwe unterstützte, und der bei den lebhaften Gemälden, welche sie entwarf, ungeduldig und städtisch zu werden anfing, »das Alles ist mir Nichts. Das Volk und die Verwandten müssen sich ihrer Vaterlosen annehmen, und die, die keine Kinder haben, ihrer Einsamkeit überlassen. Was mich betrifft, ich habe keine Sprößlinge und begehre kein Weib. Jetzt geht Eures Weges, Sumach laßt mich in den Händen Eurer Häuptlinge; denn meine Farbe und Gaben und meine Natur selbst schreien gegen die Idee, Euch zum Weib zu nehmen.«

Es ist unnöthig, weitläuftig zu seyn über die Wirkungen dieser unumwundnen Ablehnung der Vorschläge des Weibes. Wenn etwas wie Zärtlichkeit in ihrem Busen war – und kein Weib vielleicht entbehrte je ganz dieser weiblichen Eigenschaft – so verschwand dieß ganz bei dieser einfachen Erklärung. Rachsucht, Wuth, gekränkter Stolz und ein Vulkan von Zorn brachen in Einem Erguß los, und verwandelten sie wie mit einer Zauberruthe in eine Art Wahnsinnige. Ohne ihn einer Antwort in Worten zu würdigen, machte sie die Wölbungen des Waldes von ihrem Gekreische erdröhnen, und dann stürzte sie auf ihr Opfer los, und ergriff ihn bei den Haaren, die sie ihm mit den Wurzeln auszureißen entschlossen schien. Es dauerte einige Zeit, bis man ihn von ihr losmachen konnte. Zum Glück für den Gefangnen war ihre Wuth blind, denn seine gänzliche Hülflosigkeit hätte ihn ihr völlig preisgegeben: wäre sie besonnener gewesen, so hätte sie ihm den Tod bringen können, ehe zu Hülfe zu eilen möglich war. So aber gelang es ihr nur, ihm ein paar Hände voll Haare auszuraufen, ehe die jungen Männer sie von ihrem Opfer wegrissen.

Die der Sumach widerfahrene Beschimpfung galt als eine Beleidigung des ganzen Stammes, jedoch nicht sowohl wegen der Achtung, die man für das Weib hegte, als in Betracht der verletzten Ehre der Huronischen Nation. Sumach selbst galt allgemein für so herb und so sauer wie die Beere, von der sie ihren Namen hatte; und jetzt, nachdem ihre großen Beschützer, ihr Gatte und ihr Bruder beide dahin waren, gaben sich Wenige mehr Mühe, ihre Abneigung gegen sie zu verbergen. Doch aber war es ein Ehrenpunkt geworden, das Bleichgesicht zu strafen, das ein Huronisches Weib verschmähte, und zumal Einen, der ganz kaltblütig lieber sterben wollte, als dem Stamme die Last einer Wittwe und ihrer Kinder abnehmen. Die jungen Männer zeigten eine Ungeduld mit der Marter zu beginnen, welche Rivenoak verstand, und da seine ältern Genossen keine Neigung verriethen, einen längern Aufschub zu gestatten, sah er sich genöthigt, das Zeichen zu geben zum Anfang des höllischen Werkes.

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

Weg mußt vom See, dem grünen, du ziehn,
Und weg von des Jägers Herd;
Den Sommer hindurch, wo die Blumen glühn.
Ist zu bleiben dir, Tochter, verwehrt.«
Erinnerungen des Weibes.

Unsre zwei Abenteurer hatten nicht weit zu gehen. Hurry wußte die Richtung, sobald er den offnen Platz und die Quelle gefunden hatte, und er ging jetzt voran mit dem zuversichtlichen Schritt eines Mannes, der seiner Sache gewiß ist. Der Wald war, wie natürlich, dunkel, aber nicht mehr durch Buschwerk unwegsam, und der Boden war fest und trocken. Nachdem sie etwa eine Meile zurückgelegt, blieb March stehen, und begann forschende Blicke um sich zu werfen; indem er die verschiednen Gegenstände sorgfältig prüfte, und gelegentlich sein Auge auf die Stämme der gefallnen Bäume richtete, mit welchen der Boden ziemlich besäet war, wie dieß gewöhnlich der Fall ist in einem amerikanischen Wald, zumal in den Gegenden des Landes, wo das Bauholz noch keinen Werth hat.

»Das muß der Platz seyn, Wildtödter,« bemerkte endlich March; »hier ist eine Buche neben einer Schierlingstanne und drei Fichten in der Nähe, und dort ist eine weiße Birke mit gebrochenem Wipfel; und doch sehe ich keinen Felsen und keine herabgebognen Zweige, wie ich Euch gesagt, daß wir finden würden.«

»Gebrochene Zweige sind ungeschickte Merkzeichen, da der Unerfahrenste weiß, daß Zweige nicht oft von selbst brechen,« versetzte der Andere; »und sie führen auch leicht zu Argwohn und Entdeckung. Die Delawaren verlassen sich nie auf geknickte Zweige, außer in Friedenszeiten und auf offener Fährte. Was die Buchen und Fichten und Schierlingstannen betrifft, ha, die sind auf allen Seiten um uns her zu sehen, nicht blos zu zweien oder dreien, sondern zu vierzigen, fünfzigen und hunderten.«

»Sehr wahr, Wildtödter, aber Ihr erwägt nicht die Stellung. Hier ist eine Buche und eine Schierlingstanne –«

»Ja, und dort ist wieder eine Buche und eine Schierlingstanne, so liebevoll wie zwei Brüder, oder, was das betrifft, liebevoller als manche Brüder, und dort sind wieder welche, denn beide Bäume sind in diesen Wäldern keine Seltenheit, Ich fürchte, Hurry, Ihr versteht Euch besser darauf, Biber zu fangen und Bären zu schießen, als eine schwierige Fährte aufzuspüren. Ha! dort ist aber nun doch, was Ihr zu finden wünscht!«

»Ei, Wildtödter, das ist eine von Euern delawarischen Anmaßungen, denn ich will mich hängen lassen, wenn ich etwas Andres sehe, als diese Bäume, welche in der unerklärlichsten und verwirrendsten Weise um uns her emporragen.«

»Schaut dorthin, Hurry – so, in einer Linie mit der schwarzen Eiche – seht Ihr nicht das gekrümmte Bäumchen, das heraufgezogen ist zu den Zweigen der Linde daneben? Nun, dieß Bäumchen war einmal von Schnee bedeckt, und wurde von dessen Wucht niedergedrückt; aber es hat sich nicht selbst wieder aufgerichtet, und so wie Ihr es jetzt seht, an die Lindenzweige angelehnt. Die Hand eines Menschen hat ihm diesen Liebesdienst geleistet.«

»Das war meine Hand!« rief Hurry: »ich fand das schwache, junge Ding auf die Erde gedrückt, wie ein unglückliches Geschöpf vom Mißgeschick niedergebeugt, und richtete es so auf, wie Ihr seht. Am Ende, Wildtödter, muß ich doch gestehen, daß Ihr nachgerade ein ungemein gutes Auge für die Wälder bekommt.«

»Es bessert sich, Hurry – es bessert sich, muß ich gestehen; aber es ist erst das Auge eines Kindes, verglichen mit dem von Andern, die ich kenne. Da ist jetzt Tamenund, obwohl ein Mann so alt, daß Wenige sich seiner kräftigen Jahre erinnern. Tamenund läßt Nichts seiner Beobachtung entgehen, die mehr der Witterung eines Hundes als dem Blick eines Auges gleicht. Dann Unkas, der Vater von Chingachgook, und der rechtmäßige Häuptling der Mohikans, ist auch Einer, dessen Blick beinahe unmöglich etwas entgehen kann. Ich komme weiter, ich will es gestehen, ich komme weiter, aber bin bis jetzt noch weit von der Vollkommenheit entfernt.«

»Und wer ist denn dieser Chingachgook, von dem Ihr so Viel schwatzt, Wildtödter?« fragte Hurry, indem er in der Richtung auf das aufgerichtete Bäumchen zu weiter schritt; »eine schleichende Rothhaut, im besten Fall, nach der ich Nichts frage.«

»Nicht so, Hurry, sondern der Beste unter den schleichenden Rothhäuten, wie Ihr sie nennt. Wenn er seine Rechte hätte, so wäre er ein großer Häuptling; aber so ist er nur ein muthiger und redlicher Delaware; geachtet zwar, und dem man auch in manchen Dingen gehorcht, aber von einem gefallenen Geschlecht, und einem gefallenen Volke angehörend. Ach, Hurry March, es würde Euch das Herz im Leibe warm machen, in ihren Hütten zu sitzen in einer Winternacht, und den Erzählungen und Ueberlieferungen von der alten Größe und Macht der Mohikans zuzuhören.«

»Hört, Freund Nathaniel,« sagte Hurry, indem er stehen blieb und seinem Begleiter in’s Gesicht schaute, um seinen Worten desto mehr Nachdruck zu geben, »wenn ein Mann Alles glaubte, was andern Leuten zu ihren Gunsten zu sagen beliebt, so würde er wohl eine zu große Meinung von ihnen, und eine zu kleine Meinung von sich selbst bekommen. Diese Rothhäute sind merkwürdige Prahler, und ich behaupte, mehr als die Hälfte ihrer Überlieferungen sind reine Erdichtungen.«

»Es ist etwas Wahres in dem, was Ihr sagt, Hurry, ich will es nicht läugnen, denn ich habe es gesehen und glaube es. Ja, sie prahlen, aber das ist eben eine Gabe der Natur, und es ist sündhaft, natürliche Gaben zu unterdrücken. Seht, das ist der Platz, den Ihr gesucht.«

Diese Bemerkung schnitt das Gespräch ab, und beide Männer richteten jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit auf das unmittelbar vor ihnen Liegende. Wildtödter deutete seinem Begleiter auf den Stamm einer ungeheuern Linde, welche ihre Zeit erfüllt hatte, und unter ihrer eignen Wucht niedergestürzt war. Dieser Baum lag, wie Millionen seiner Brüder, wo er gefallen, und vermoderte unter dem langsam aber sicher wirkenden Einfluß der Jahreszeiten. Der Verfall hatte jedoch seinen Mittelpunkt angegriffen, als er noch aufrecht, in der Pracht seiner Vegetation dastand, und sein Herz ausgehöhlt, wie oft Krankheit die edelsten Organe des thierischen Lebens zerstört, während den Beobachter eine blühende Außenseite täuscht. Wie der Stamm so in einer Länge von etwa hundert Fuß am Boden lag, entdeckte das rasche Auge des Jägers diese Eigenthümlichkeit, und aus diesem und andern Umständen schloß er, daß es der Baum sey, den March suche.

»Ja, hier haben wir, was wir brauchen,« rief Hurry, an dem dickeren Ende der Linde hineinschauend; »Alles ist so säuberlich, als wäre es in eines alten Weibes Wandschrank aufbewahrt gewesen. Kommt, geht mir an die Hand, Wildtödter, und wir sind in einer halben Stunde auf dem Wasser.«

Auf diese Aufforderung kam der Jäger zu seinem Begleiter heran, und beide machten sich mit gutem Bedacht und nach allen Regeln an’s Werk, als Männer, welche an diese Art von Treiben und Geschäft gewohnt waren. Zuerst entfernte Hurry einige Stücke Rinde, welche vor der großen Oeffnung an dem Baum lagen, und von welchen der Andere behauptete, sie seyen so gelegt, daß sie eher die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als die Höhlung versteckt hätten, wenn ein Wanderer des Weges gekommen wäre. Dann zogen die Beiden ein Canoe heraus mit seinen Sitzen, Rudern und anderm Zugehör, bis auf Angelschnüre und Ruthen hinaus. Dieß Fahrzeug war gar nicht klein; aber so groß war seine verhältnißmäßige Leichtigkeit, und so riesenhaft Hurry’s Stärke, daß dieser es anscheinend ohne alle Mühe auf die Schulter nahm, und allen Beistand ablehnte, selbst während er es in die schwierigere Lage, in welcher er es zu tragen genöthigt war, emporhob.

»Geht voran, Wildtödter,« sagte March, »und öffnet das Gebüsch, das Uebrige kann ich allein thun.« Der Andre gehorchte, und die Männer verließen den Platz, indem Wildtödter den Weg für seinen Begleiter lichtete, und sich je nach dessen Anweisung bald rechts bald links wandte. Nach ungefähr zehn Minuten traten sie beide plötzlich in das glänzende Licht der Sonne, auf einen niedern Kiesplatz, der wohl zur Hälfte seines Saumes vom Wasser bespühlt wurde.

Ein Ausruf des Erstaunens entfuhr den Lippen Wildtödters – ein Ausruf, der jedoch leise und vorsichtig war, denn seine Weise war viel besonnener und geregelter als die des rücksichtslosen Hurry – als er, den Rand des See’s erreichend, das Schauspiel sah, das sich ganz unerwartet seinen Blicken darbot. Es war in der That so ergreifend, daß es wohl eine kurze Beschreibung verdient. In gleicher Linie mit dem Kiesplatz lag ein breiter Wasserspiegel, so friedlich und durchsichtig, daß er aussah wie ein Bett der reinen Gebirgsatmosphäre, eingefugt zwischen einer Einfassung von Hügeln und Wäldern, Seine Länge betrug etwa drei Stunden, in der Breite war er unregelmäßig, denn er erweiterte sich dem Platze gegenüber bis zu einer halben Meile oder mehr, und zog sich mehr südlich bis zur Hälfte dieser Ausdehnung und noch enger zusammen. Die Küste war natürlich unregelmäßig, unterbrochen durch Buchten, und durch vorspringende, niedere Landausläufer. Am nördlichen, nächsten Ende war er begrenzt durch einen einzelnen Berg, während östlich und westlich das Land minder steil abfiel, in gefällig abwechselndem Schwunge der Linien. Doch war der Charakter der Gegend gebirgig; hohe Hügel, oder niedere Berge stiegen auf neun Zehntheilen des Umkreises steil am Wasser hinan. Die Ausnahmen dienten in der That nur, der Scene einige Abwechslung zu geben; und auch über die vergleichungsweise niedrigen Theile des Ufers hinaus war der Hintergrund hoch, wenn auch entfernter.

Die auffallendsten Eigentümlichkeiten dieser Scene aber waren die feierliche Einsamkeit und die süße Ruhe. Nach allen Seiten, wohin das Auge sich wandte, fiel es auf nichts als die spiegelgleiche Fläche des See’s, die friedvolle Wölbung des Himmels und den dichten Kranz der Wälder. So reich und üppig waren die Umrisse des Waldes, daß man kaum eine Oeffnung gewahrte, und alles sichtbare Land, von dem runden Berggipfel bis an den Saum des Wassers bot Eine, sich gleich bleibende Farbe ununterbrochenen Grüns dar. Als wäre die Vegetation noch nicht zufrieden mit einem so vollständigen Triumph, bedeckten die Bäume auch noch den See selbst, und rangen sich von unten gegen das Licht hinaus; und meilenlange Strecken waren an seinem östlichen Ufer, wo ein Boot unter den Zweigen dunkler, an Rembrandt erinnernder Schierlingstannen, zitternder Espen und schwermüthiger Fichten hätte hingleiten können. Mit einem Wort, die Hand des Menschen hatte noch nie irgend etwas entstellt oder verunstaltet an dieser Urscene, die im Sonnenlicht schwamm, ein prachtvolles Bild überschwänglich großartiger Waldherrlichkeit, gedämpft durch den weichen Hauch des Junius, und gehoben durch die schöne Abwechslung vermöge der Nähe einer so weitgedehnten Wassermasse.

»Das ist groß! – das ist erhebend! – das ist eine Bildung der Seele, wenn man nur hinsieht!« rief Wildtödter, wie er auf seine Büchse gelehnt dastand, und rechts und links, nach Norden und Süden, aufwärts und abwärts schaute, in welcher Richtung nur immer sein Auge zu schweifen vermochte; »kein Baum zerstört auch nur durch eine Rothhauthand, so viel ich entdecken kann, sondern Alles treu geblieben der Ordnung des Herrn, um zu leben und zu sterben nach seinem Willen und Gesetz! Hurry, Eure Judith muß ein sittliches und wohlgeartetes junges Weib seyn, wenn sie nur die Hälfte der von Euch angegebenen Zeit im Mittelpunkt eines so begünstigten Platzes verlebt hat.«

»Das ist eine nackte Wahrheit, und doch hat das Mädchen so unstete Gedanken und Grillen. All ihre Zeit hat sie jedoch nicht hier verlebt, denn der alte Tom hatte, eh‘ ich ihn kannte, die Gewohnheit, die Winter in der Nachbarschaft der Ansiedler oder unter den Kanonen der Forts zuzubringen. Nein, nein, Judith hat mehr als ihr gut ist, von den Ansiedlern angenommen, und besonders von den galanten Officieren.«

»Wenn auch, wenn auch, Hurry, dieß ist eine Schule, ihr den Kopf wieder zurecht zu setzen. Aber was ist denn das, was ich dort, gerade uns gegenüber sehe, was zu klein scheint für eine Insel und zu groß für ein Boot, obgleich es mitten im Wasser steht?«

»Ha, das ist was die tapfern und galanten Herren von den Forts Muskrat Castell nennen; und der alte Tom selbst pflegt zu grinsen bei dem Namen, obgleich er seine Art und seinen Charakter hart antastet. Es ist das feststehende Haus; denn es sind zwei; dieses, das nicht von der Stelle rückt, und das andere, welches schwimmt, und bald in diesem bald in jenem Theile des See’s sich befindet. Das letzte ist bekannt unter dem Namen der Arche, obgleich es über mein Vermögen geht, zu sagen, was die Bedeutung des Wortes ist.«

»Es muß von den Missionären herkommen, Hurry, die ich von einem solchen Ding habe reden und lesen hören. Sie sagen, die Erde sey einmal mit Wasser bedeckt gewesen, und Noah sey mit seinen Kindern vom Ertrinken dadurch gerettet worden, daß er ein Fahrzeug erbaute, das man Arche hieß, worin er sich zu rechter Zeit einschiffte. Manche von den Delawaren glauben diese Überlieferung,, und manche läugnen sie; aber Euch und mir, als gebornen weißen Männern, ziemt es, an ihre Wahrheit zu glauben. Seht Ihr etwas von dieser Arche?«

»Sie ist weiter südlich, ohne Zweifel, oder liegt in einer der Buchten vor Anker. Aber das Canoe ist bereit, und fünfzehn Minuten werden genügen, zwei solche Ruderer wie Euch und mich nach dem Castell zu bringen.«

Auf diese Aufforderung half Wildtödter seinem Genossen die verschiedenen Sachen in das Canoe zu bringen, das schon auf dem Wasser schwamm. Sobald dieß geschehen, schifften sich die beiden Grenzmänner ein und trieben mit einem kraftvollen Stoß die leichte Barke acht oder zehn Ruthen weit von der Küste weg. Jetzt nahm Hurry den Sitz im Hintertheil ein, während Wildtödter sich vorn hinpflanzte, und unter gemächlichen aber stetigen Ruderschlägen glitt das Canoe über den friedlichen Wasserspiegel hin, dem ganz seltsam aussehenden Bau zu, welchen der Erstere Muskrat-Castell genannt hatte. Manchmal hielten die Männer im Rudern inne und beschauten sich die Scene, wenn sich auf den entfernteren Punkten neue Aussichten eröffneten, die sie weiter den See hinab schauen ließen, oder einen umfassenderen Anblick der bewaldeten Berge gewährten. Die einzigen Abwechslungen jedoch bestanden in neuen Formationen der Hügel, mannigfaltigen Krümmungen der Buchten und weiterer Ausdehnung des Thales nach Süden; alles Land war dem Anschein nach in höchste Laubgala gekleidet.

»Das ist ein Anblick, der das Herz erwärmt!« rief Wildtödter, als sie so zum vierten oder fünften Mal hielten; »der See scheint ganz gemacht, um uns recht in das Innere der edlen Waldungen hineinsehen zu lassen, und Land und Wasser stehen gleich herrlich da in der Schönheit der Vorsehung Gottes! Ihr behauptet, Hurry, es gebe keinen Mann, der sich rechtmäßigen Eigenthümer all dieser Herrlichkeit nenne?«

»Keinen, als den König, mein Junge. Er mag einiges Recht auf diese Natur geltend machen, aber er ist so weit entfernt, daß seine Ansprüche den alten Tom Hutter nie anfechten werden, der einmal Besitz genommen hat, und diesen wohl auch behaupten wird, so lange sein Leben dauert. Tom ist kein Squatter, da er nicht auf dem Land lebt, aber ich nenne ihn einen Floater

»Ich beneide diesen Mann! – Ich weiß, es ist Unrecht, und ich kämpfe gegen dieß Gefühl, aber ich beneide diesen Mann! denkt nicht, Hurry, ich brüte über einem Plan, mich in seine Schuhe zu stellen, denn ein solcher Gedanke hat keinen Raum in meiner Seele; aber ein wenig Neid kann ich nicht unterdrücken! Es ist ein natürliches Gefühl, und die Besten unter uns sind eben doch am Ende natürliche Menschen, und geben zu Zeiten solchen Empfindungen Raum.«

»Ihr dürft nur Hetty heirathen, um das halbe Besitzthum zu erben,« rief Hurry lachend; »das Mädchen ist hübsch; ja, wenn nicht ihrer Schwester Schönheit wäre, so wäre sie sogar schön; und dann ist ihr Witz so klein, daß Ihr sie leicht zu Eurer Denkweise in allen Dingen bekehren könnt. Nehmt Ihr Hetty aus des alten Burschen Händen, und ich stehe Euch dafür, er gibt Euch ein Recht auf jedes Thier, das Ihr fällen könnt auf fünf Meilen im Umkreis von seinem See.«

»Ist viel Wild da?« fragte plötzlich der Andere, der nur wenig auf Marchs Scherz achtete.

»Es hat die ganze Gegend für sich. Kaum wird je ein Gewehr darauf abgedrückt, und was die Fallensteller betrifft, so ist das keine Gegend, die sie stark besuchen. Ich selbst sollte nicht so viel hier seyn, aber Judith zieht mich hierhin, während der Biber dorthin zieht. Mehr als hundert spanische Dollars hat mich die Creatur die beiden letzten Jahre gekostet, und doch konnte ich dem Wunsch nicht entsagen, ihr Angesicht wieder zu sehen.«

»Besuchen die rothen Männer oft diesen See, Hurry?« fragte Wildtödter weiter, seine eigne Gedankenreihe verfolgend.

»Ha, sie kommen und gehen; manchmal in Truppen und manchmal einzeln. Der Strich scheint keinem eingebornen Stamm insbesondere zu gehören; und so ist er in die Hände des Hutter-Stammes gefallen. Der alte Mann erzählt mir, einige Schlauköpfe hätten den Mohawks eine indianische Urkunde abzuschwatzen und abzuschmeicheln gesucht, um bei der Kolonie einen Besitztitel auszuwirken; aber es ist nichts erfolgt, weil noch keiner, der einem solchen Handel gewachsen wäre, sich mit der Sache befaßt hat. Die Jäger haben zur Zeit noch ein gutes Freilehen an dieser Wildniß.«

»Um so besser – um so besser, Hurry. Wenn ich König von England wäre, der Mann, der einen von diesen Bäumen fällte, ohne eine gute Gelegenheit zur Benützung des Holzes, müßte mir in ein ödes und unwirthbares Land verbannt werden, das nie ein vierfüßiges Thier betrat. Recht froh bin ich, daß Chingachgook den Ort unsres Zusammentreffens bei diesem See bestimmte, denn bisher hat mein Auge noch kein so herrliches Schauspiel gesehen.«

»Und das deßwegen, weil Ihr Euch so viel unter den Delawaren umgetrieben, in deren Land es keine Seen gibt. Weiter nördlich und weiter westlich gibt es solche kleine Wasser genug; und Ihr seyd jung und erlebt es wohl noch, sie zu sehen. Aber wenn es auch andre Seen gibt, Wildtödter, so gibt es doch keine andre Judith Hutter!«

Auf diese Bemerkung lächelte sein Begleiter, und dann senkte er seine Ruderschaufel ins Wasser, als berücksichtigte er die Hast eines Liebenden. Beide ruderten jetzt kräftig, bis sie sich auf hundert Schritte dem »Castell« näherten, wie Hurry vertraulich das Haus Hutter’s nannte, wo sie wieder mit Rudern inne hielten; und der Anbeter Judith’s zügelte seine Ungeduld um so leichter, als er bemerkte, daß das Gebäude im Augenblick von Bewohnern leer war. Diese neue Pause sollte Wildtödter in Stand setzen, das sonderbare Gebäude zu betrachten, dessen Bauart so neu war, daß sie eine eigene Beschreibung verdient.

Muskrat-Castell, wie das Haus witzig benannt worden war von einem muthwilligen Officier, stand im offnen See, eine volle Viertelmeile vom nächsten Punkt des Ufers entfernt. Auf den beiden andern Seiten erstreckte sich das Wasser viel weiter, denn die Entfernung von dem nördlichen Ende des Sees betrug etwa zwei Meilen, und von dem östlichen Ufer beinahe, wo nicht ganz, eine Meile. Da nicht das Mindeste von einer Insel zu sehen war, sondern das Haus auf Pfeilern stand, das Wasser darunter durchfloß und Wildtödter schon entdeckt hatte, daß die Tiefe des See’s beträchtlich war, fragte er begierig nach einer Erklärung dieses sonderbaren Umstandes. Hurry löste ihm das Räthsel, indem er ihn belehrte, daß auf dieser Stelle allein eine lange schmale Sandbank, die sich nördlich und südlich einige hundert Schritte weit erstreckte, sich bis auf sechs oder acht Fuß unter dem Spiegel des See’s erhebe, und daß Hutter hier Pfähle eingeschlagen und darauf, der Sicherheit wegen, seine Wohnung sich erbaut habe.

»Der alte Bursche wurde dreimal durch Feuersbrünste verjagt im Kampf zwischen den Indianern und den Jägern; und in einem Gefecht mit den Rothhäuten verlor er seinen einzigen Sohn, und seit dieser Zeit hat er seine Sicherheit auf dem Wasser gesucht. Hier kann ihn Niemand angreifen, ohne in einem Boot zu kommen, und der Raub und die Scalpe verlohnten sich kaum der Mühe, Canoe’s auszuhöhlen. Und dann ist es in keiner Weise gewiß, wer bei einem solchen Strauß dem Andern heimleuchten würde, denn der alte Tom ist mit Waffen und Munition wohl versehen, und das Castell ist, wie Ihr wohl seht, eine feste Brustwehr gegen leichte Schüsse.«

Wildtödter hatte einige theoretische Kenntniß vom Kriegführen der Grenzmänner, obgleich er noch nie in den Fall gekommen war, seine Hand im Zorn gegen einen Mitmenschen erheben zu müssen. Er sah, daß Hurry die Stärke dieser Position vom militärischen Gesichtspunkt nicht überschätzte, da es nicht leicht gewesen wäre, sie anzugreifen, ohne daß die Bestürmer dem Feuer der Belagerten wären bloßgestellt gewesen. Nicht wenig Kunst war sichtlich aufgeboten bei der Zusammenfügung des Holzes, woraus das Gebäude bestand, und das weit mehr Schutz versprach, als bei den gewöhnlichen Blockhäusern der Grenzmänner der Fall war. Die Seiten und Ecken waren zusammengefügt aus den Stämmen großer Fichten, etwa neun Fuß lang gehauen und aufrecht gestellt, statt horizontal gelegt, wie der Gebrauch der Gegend war. Diese Klötze waren auf den Seiten nach dem Winkelmaaß behauen und hatten an jedem Ende große Zapfen. Massive Schwellen waren oben an den Grundpfählen angebracht und entsprechende Zangen an ihren obern Flächen eingeschnitten, die zu dem Behuf rechtwinklig behauen waren, und in diese Zangen waren die untern Zapfen der aufrechtstehenden Klötze eingefugt, wodurch sie unten einen sichern Halt hatten. An den obern Enden der aufrecht stehenden Klötze waren Platten angebracht und durch ähnliche Mittel befestigt; die verschiedenen Winkel des Gebäudes waren wohl zusammengehalten durch tüchtige Verbindung und Versplissung der Schwellen und Platten. Die Böden bestanden aus kleinen, ebenso bearbeiteten Stämmen, und das Dach aus leichten, fest verbundenen und mit Rinde wohl bedeckten Pfählen. Der Zweck dieser sinnreichen Einrichtung war, dem Besitzer ein Haus zu verschaffen, dem man nur auf dem Wasser beikommen konnte, dessen Seiten aus Blöcken bestanden, die dicht aneinander gefugt, am dünnsten Theile zwei Fuß dick, nur durch die überlegte Arbeit von Menschenhänden, oder durch den langsamen Einfluß der Zeit getrennt werden konnten. Die Außenseite des Gebäudes war roh und uneben, da die Holzblöcke von ungleicher Größe waren; aber die glattbehauenen Flächen nach innen gaben den Wänden und dem Boden ein so gleichförmiges Ansehen, als man nur zur Bequemlichkeit oder zur Befriedigung des Auges wünschen mochte. Das Kamin war nicht die geringste Eigenthümlichkeit des Castells, wie Hurry seinem Begleiter bemerklich machte, indem er ihm den Prozeß seiner Verfertigung erklärte. Das Material war ein zäher Lehm, gehörig verarbeitet, der in einer Form aus Knütteln aufgesetzt worden war, und den man, je einen oder zwei Fuß auf einmal, hart werden ließ, von unten angefangen. Als so das ganze Kamin aufgesetzt und von Außen gehörig mit Stützen und Halten versehen war, wurde ein gewaltiges Feuer angezündet und so lange unterhalten, bis es zu einer Art von rothem Backstein gebrannt war. Es war dieß keine leichte Operation gewesen und auch nicht vollständig gelungen; aber indem man die Spalten wieder mit frischem Lehm ausfüllte, hatte man am Ende doch einen sichern Feuerplatz und Kamin erhalten. Dieser Theil des Gebäudes stand auf dem Scheiterboden und war unten durch einen besondern Pfeiler gestützt. Noch einige andre Eigenthümlichkeiten hatte dieß Haus, welche im Verlauf der Erzählung sich deutlicher zeigen werden.

»Der alte Tom ist voll von Auskunftsmitteln,« fuhr Hurry fort, »und er hing sein Herz an das Gelingen dieses Kamins, das mehr als einmal drohte, ganz zusammenzubrechen, aber Beharrlichkeit überwindet auch den Rauch; und jetzt hat er ein behagliches Stübchen, obgleich es einmal drohte, ein gar spaltiger Rauchfang zu werden, wenig geeignet, Flammen und Rauch abzuführen.«

»Ihr scheint die ganze Geschichte des Castells zu kennen, Hurry, Kamin und Wände,« sagte Wildtödter lächelnd; »ist die Liebe so gewaltig und zwingend, daß sie einen Mann dahin bringt, die Geschichte von seines Liebchens Haus zu studieren?«

»Theils das, Junge, und theils eigne Anschauung,« versetzte lachend der gutmüthige Riese, »es war eine starke Bande von uns am See, als der alte Kerl baute, und da halfen wir ihm bei der Arbeit. Ich habe keinen kleinen Theil der aufrecht stehenden Blöcke auf meinen Schultern hinaufgeschleppt und gehoben, und die Aexte flogen, das kann ich Euch sagen, Meister Natty, so lange wir da bauten, unter den Bäumen an der Küste. Der alte Teufelskerl ist nicht geizig mit Essen und Trinken, und da wir oft an seinem Heerde gegessen, dachten wir, wir wollten ihm doch ein behagliches Haus herrichten, ehe wir mit unsern Häuten nach Albany gingen. Ja, gar manche Mahlzeit habe ich in Tom Hutter’s Stuben verzehrt; und Hetty, so schwach sie ist an Witz, hatte eine wundersame Geschicklichkeit, mit Pfannen, Kacheln und Rösten umzugehen,«

Während die Beiden sich so besprachen, schwamm das Canoe allmählig dem Castell immer näher, und war jetzt so nahe daran, daß ein Ruderschlag hinreichte, den Landungsplatz zu erreichen. Dieß war eine gedielte Plattform am Eingang, die einige zwanzig Quadratschuhe halten mochte.

»Der alte Tom nennt diese Art Kai seinen Thorhof,« bemerkte Hurry, indem er das Canoe anband, nachdem er es mit seinem Begleiter verlassen, »und die tapfern Herrn von den Forts haben es den Castellhof genannt, wiewohl ich nicht einsehen kann, was ein Hof hier zu schaffen hat, da es kein Gesetz und Recht gibt. Es ist wie ich mir gedacht; keine Seele drinnen, sondern die ganze Familie fort auf einer Entdeckungsreise.«

Während Hurry sich auf dem Thorhof zu schaffen machte, die Fischerspieße, Ruthen, Netze und andere ähnliche Geräthe eines Grenzmannshauses musternd, trat Wildtödter, dessen Art im Ganzen weit gesetzter und ruhiger war, in das Haus hinein, mit einer Neugier, die man bei einem so lang an indianische Sitten gewöhnten Manne nur selten bemerkte. Das Innere des »Castells« war ebenso tadellos sauber, als das Aeußere neu und überraschend. Der ganze Raum, etwa vierzig Fuß lang und zwanzig tief, war in verschiedene kleine Schlafzimmer getheilt; das Gemach, das er zuerst betrat, diente für die gewöhnlichen Beschäftigungen der Bewohner und zugleich als Küche. Die Einrichtung zeigte jene seltsame Mischung, die man nicht selten in den abgelegenen Blockhäusern des innern Landes findet. Das Meiste war roh und im höchsten Grade ländlich; aber in einer Ecke fand sich eine Uhr mit einem schönen Gehäuse von dunklem Holz, und zwei oder drei Sessel, sammt Tisch und Schreibtisch, die offenbar aus einem Hause von höhern Ansprüchen stammten. Die Uhr pickte fleißig und emsig, aber die bleiern aussehenden Zeiger entsprachen insofern ihrem schwerfälligen Aussehen, als sie auf elf Uhr wiesen, obwohl die Sonne deutlich zeigte, daß der Mittag schon lange vorüber war. Auch war da ein dunkler, massiver Schrank. Die Küchengeräthe waren von der einfachsten Art und keineswegs zahlreich, aber jedes Stück war an seinem Platz und zeigte in seiner Beschaffenheit alle mögliche Sauberkeit und Sorgfalt.

Nachdem Wildtödter in dem äußern Zimmer sich umgesehen, drückte er eine hölzerne Klinke auf, und trat in einen schmalen Gang, welcher das Innere des Hauses in zwei gleiche Hälften theilte. Da die Sitten der Grenzmänner keineswegs ängstlich und bedenklich sind und seine Neugier lebhaft erregt war, öffnete der junge Mann jetzt eine Thüre und befand sich in einem Schlafzimmer. Ein Blick genügte ihn zu belehren, daß es ein Gemach für Frauen war. Das Bett bestand aus den Federn von wilden Gänsen und war gefüllt fast zum Platzen; aber es lag auf einem rohen Gestell, nur etwa einen Fuß über dem Boden erhaben. Auf der einen Seite desselben hingen an Pflöcken verschiedene Kleidungsstücke von einer weit bessern Beschaffenheit, als man an einem solchen Ort hätte erwarten sollen, mit Bändern und andern entsprechenden Artikeln. Zierliche Schuhe, mit hübschen silbernen Schnallen, wie sie damals wohlhabende Frauen trugen, fehlten auch nicht; und nicht weniger als sechs Fächer von lebhaften Farben waren halb geöffnet, so daß sie das Auge durch ihre Figuren und Malereien auf sich zogen. Selbst das Kissen auf dieser Seite des Bettes war mit feinerem Linnen überzogen, als das entsprechende auf der andern Seite, und mit schmalen Spitzen besetzt. Eine Haube, mit Bändern kokett verziert, hing darüber, und ein paar langer Handschuhe, wie sie in jenen Zeiten Personen aus den arbeitenden Classen selten trugen, waren prahlerisch daran geheftet, wie in der ausdrücklichen Absicht sie hier zur Schau zu stellen, wenn sie nicht an den Armen der Besitzerin prangen könnten. Alles dieß sah und merkte sich Wildtödter mit einer Genauigkeit, welche der zur andern Natur gewordenen Beobachtungsgabe seiner Freunde, der Delawaren, Ehre gemacht haben würde. Auch entging ihm nicht der Unterschied zwischen den beiden Seiten des Bettes, dessen oberes Ende an der Wand stand. Auf der noch nicht beschriebenen Seite nemlich war Alles gering und uneinladend, abgesehen von der vollkommnen Sauberkeit. Die wenigen, an den Pflöcken hängenden Kleidungsstücke waren von den gröbsten Stoffen und vom gemeinsten Schnitte, während Nichts auf Schaustellung berechnet schien. Kein einziges Band war zu sehen, auch keine Haube und kein Tuch, außer solchen, wie sie Hutter’s Töchter ihrem Stande gemäß zu tragen befugt waren.

Es waren mehrere Jahre verflossen, seit Wildtödter nicht mehr in einem Gemache gewesen war, welches eigens zum Aufenthalt von weiblichen Wesen seines Stammes und seiner Farbe diente. Der Anblick weckte in seiner Seele eine Aufwallung von Erinnerungen aus der Kindheit, und er verweilte in dem Gemach mit einer Art Rührung, die ihm lange fremd geblieben. Er dachte an seine Mutter, deren geringe Kleider er sich erinnerte, an Pflöcken hängen gesehen zu haben, wie die, welche nach seiner unmittelbaren Ueberzeugung der Hetty Hutter gehörten, und dachte an eine Schwester, deren natürlicher und sich entwickelnder Geschmack für Putz sich ungefähr in ähnlicher Weise, wie der Judiths, obwohl natürlich in geringerem Grade, kund gegeben hatte. Diese kleinen Aehnlichkeiten öffneten eine lang verschlossene Quelle von Empfindungen und als er das Gemach verließ, war seine Miene trüb. Er sah sich nicht weiter um, sondern kehrte langsam und nachdenklich nach dem Thorhof zurück.

»Der alte Tom hat einen neuen Beruf ergriffen und seine Hand versucht im Fallen stellen,« rief Hurry, der die Habseligkeiten des Grenzlers kaltblütig untersucht hatte; »wenn das jetzt seine Laune ist, und Ihr geneigt seyd, in diesen Gegenden zu bleiben, können wir uns eine ungemein behagliche Sommerszeit bereiten; denn während der alte Mann und ich die Biber überlisten, könnt Ihr fischen und das Wild zusammenschießen, um Leib und Seele zusammen zu halten. Wir geben immer den armseligsten Jägern einen halben Antheil, aber ein so tüchtiger und sichrer Schütze wie Ihr darf wohl auf einen vollen rechnen.«

»Dank Euch, Hurry, dank Euch von ganzem Herzen; aber ich treibe auch das Biberfangen ein wenig, wenn die Gelegenheit sich darbietet. Es ist wahr, die Delawaren nennen mich Wildtödter, aber nicht sowohl, weil ich dem Wild ziemlich gefährlich bin, als weil ich, der ich so viele Böcke und Thiere tödte, noch keinem Mitmenschen das Leben genommen habe. Sie sagen, ihre Ueberlieferungen wissen von keinem Andern, der so viel Blut von Thieren, und doch noch nicht das Blut eines Menschen vergossen.«

»Ich will hoffen, sie halten Euch doch nicht für taubenherzig, Junge? Ein weichherziger Mann ist wie ein ungeschwänzter Biber.«

»Ich glaube nicht, Hurry, daß sie mich für außerordentlich furchtsam halten, obwohl sie mich wohl auch nicht für außerordentlich muthig halten mögen. Aber ich bin nicht streitsüchtig; und das trägt viel dazu bei, daß man die Hände von Blut rein erhält, unter den Jägern und Rothhäuten; und dann, Harry March, erhält es auch das Gewissen rein von Blut!«

»Gut; ich für meinen Theil achte Wild, eine Rothhaut und einen Franzmann für ungefähr das Gleiche; obgleich auch ich so wenig streitsüchtig bin, als nur irgend ein Mann in den Colonien. Ich verachte einen Zänker, wie einen kläffenden Hund; aber man braucht nicht übergewissenhaft zu seyn, wenn es die rechte Zeit ist, den Feuerstein zu zeigen,«

»Ich sehe den als den ächtesten und besten Mann an, der sich am meisten an das Recht hält, Hurry. Aber das ist ein herrlicher Platz, und mein Auge wird des Sehens nicht satt!«

»Das ist Eure erste Bekanntschaft mit einem See, und solche Ideen kommen über uns Alle in solchem Fall. Die Seen haben einen allgemeinen Charakter, wie ich sage, und sind eben recht viel Wasser und Land und Vorsprünge und Buchten.«

Da diese Definition keineswegs mit den Gefühlen zusammenstimmte, welche die Seele des jungen Jägers bewegten, so erwiederte er zunächst Nichts, sondern starrte in schweigendem Genusse nach den dunkeln Hügeln und dem krystallnen Wasser.

»Haben des Gouverneurs oder des Königs Leute diesem See einen Namen gegeben?« fragte er plötzlich, als ginge ihm auf einmal eine neue Idee auf. »Wenn sie nicht angefangen haben, ihre Stangen aufzustecken, und ihre Compasse aufzupflanzen, und ihre Karten aufzuziehen, so haben sie wohl auch nicht daran gedacht, die Natur mit einem Namen zu belästigen.«

»Sie sind noch nicht so weit gekommen; und das letzte Mal, als ich mit Rothhäuten hineinkam, fragte mich Einer von des Königs Feldmessern über Alles in der Gegend hier herum aus. Er hatte gehört, daß in der Gegend ein See sey, und hatte einige allgemeine Begriffe davon, z. B. daß Wasser und Hügel da seyen; aber wie viel von beidem, davon wußte er nicht Mehr als Ihr von der Mohawk-Sprache. Ich öffnete die Falle nicht weiter als nöthig war und gab ihm gar wenig Aufmunterung und Hoffnung, was Pachthöfe und Lichtungen betrifft. Kurz, ich ließ in seinem Geist eine solche Ansicht von dieser Gegend zurück, wie ein Mann sie bekommt von einer Quelle schmutzigen Wassers, zu der ein so kothiger Pfad führt, daß man voll Koth ist, ehe man recht aufbricht. Er sagte mir, sie hätten den Platz noch nicht auf ihren Karten; aber ich vermuthe, es ist ein Mißverständniß, denn er zeigte mir sein Pergament, und darauf ist ein See, wo in der Natur keiner ist, ungefähr fünfzig Meilen von dem Ort, wo er seyn sollte, wenn sie diesen meinten. Ich glaube nicht, daß ihn mein Bericht ermuthigen wird, einen andern anzumerken zur Verbesserung.«

Hier lachte Hurry herzlich, da solche Streiche ein ganz besonderes Ergötzen waren für eine Classe von Menschen, welche die Annäherung der Civilisation fürchteten, als eine Schmälerung ihrer eignen gesetzlosen Herrschaft. Die prächtigen Verstöße auf den damaligen Landkarten, die alle in Europa gefertigt wurden, war überdieß ein stehender Gegenstand des Spottes unter ihnen; denn wenn sie auch selbst nicht so viel Wissen besaßen, um bessere zu machen, so hatten sie doch Lokalkenntniß genug, um die plumpen Irrthümer auf den vorhandenen zu entdecken. Jeder, der sich die Mühe nehmen will, diese unwiderleglichen Zeugnisse von der topographischen Geschicklichkeit unsrer Väter vor hundert Jahren mit den genauern Zeichnungen unsrer Tage zu vergleichen, wird sogleich bemerken, daß die Männer der Wälder hinreichenden Grund zu allen ihren Kritiken hatten über diesen Zweig der Einsicht und Geschicklichkeit der Colonialregierung, welche sich nicht besann, einen Strom oder einen See um ein paar Grade zu versetzen, wenn sie auch nur einen Tagemarsch von den bewohnten Theilen des Landes entfernt waren.

»Ich bin froh, daß er keinen Namen hat,« begann Wildtödter wieder, »oder wenigstens keinen Bleichgesichtsnamen; denn ihre Taufen weissagen immer Verwüstung und Verderben. Ohne Zweifel jedoch haben die Rothhäute ihre Art ihn zu bezeichnen, und die Jäger und Fallensteller auch; vermuthlich benennen sie den Platz nach etwas Vernünftigem, nach einer Ähnlichkeit.«

»Was die Stämme betrifft, so hat jeder seine eigne Sprache, und seine eigne Weise, die Dinge zu benennen; und sie behandeln diesen Theil der Welt eben wie alles Andre. Unter uns sind wir übereingekommen, den Platz Glimmerglas zu nennen, in Betracht, daß das ganze Becken so reichlich mit Fichten besetzt ist, die aus seinem Spiegel empor streben, gerade als wollte es die Berge zurückwerfen, die darüber her hangen.«

»Es muß ein Abfluß da seyn, ich weiß, denn alle Seen haben Abflüsse, und der Fels, wo ich Chingachgook treffen soll, steht nahe bei einem Abfluß. Hat auch der noch keinen Colonie-Namen?«

»In diesem Punkte stehen sie im Vortheil gegen uns, da sie das eine Ende, und zwar das breiteste, in ihrem Besitz haben; sie haben ihm einen Namen gegeben, der sich Bahn gebrochen hat bis zur Quelle; denn Namen dringen natürlich flußaufwärts. Ihr habt ohne Zweifel schon den Susquehannah gesehen drunten im Land der Delawaren?«

»Das hab‘ ich, und hundertmal gejagt an seinen Ufern.« »Nun, beide sind in der That dieselben, und, glaub‘ ich, auch dieselben im Namen. Es freut mich, daß sie genöthigt gewesen sind, den Namen der rothen Männer beizubehalten, denn es wäre zu hart, sie des Lands und des Namens dazu zu berauben.«

Wildtödter antwortete Nichts; er stand auf seine Büchse gelehnt, in den Anblick versunken, der ihn so sehr entzückte. Der Leser darf jedoch nicht glauben, daß es das Malerische allein gewesen, was seine Aufmerksamkeit so lebhaft auf sich zog. Die Gegend war in Wahrheit höchst lieblich und sie stellte sich eben jetzt in einem der günstigsten Augenblicke dar; die Oberfläche des See’s war glatt wie Glas, und durchsichtig wie reine Luft; er warf auf seinem ganzen östlichen Saume das Bild der mit dunkeln Fichten bekleideten Berge zurück; die vorgeschobnen Punkte reihten ihre Bäume in beinahe horizontalen Linien aneinander, während man die Buchten gelegentlich durch einen Bogen durchschimmern sah, welchen ein Gewölbe von Aesten und Laub bildete. Es war der Stempel tiefer Ruhe – die Einsamkeit, die von Landschaften und Forsten zeugte, welche nie waren berührt worden von der Hand des Menschen – das Walten der herrschenden Natur mit Einem Wort, was einem Manne von seiner Lebensweise und Gemüthsart so viel reines Entzücken gewährte. Doch fühlte er auch, wenn schon unbewußt, als Dichter. Wenn er ein Vergnügen darin fand, diesen umfassenden und ihm ungewohnten Einblick in die Geheimnisse und Gestalten der Berge, der sich hier eröffnete, zu studieren, wie Jeder sich freut, wenn ihm größere Ansichten über einen Gegenstand aufgehen, der die Gedanken oft und viel beschäftigt hat, so war er doch auch nicht unempfindlich gegen die innerliche Lieblichkeit einer solchen Landschaft, sondern fühlte zum Theil jenen Frieden des Geistes, der Einem gewöhnlich bei dem Genuß einer so ganz von der heiligen Ruhe und Stille der Natur durchdrungenen Scene aufgeht.