Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Und nicht scheut in Furcht das schüchterne Reh,
Wenn zu seinem Gemach ich mich stehle;
Und theu’r ist die Maiviole mir.
Und den Bach besuch‘ ich, der rieselt hier,
Daß die Blume mir labe die Seele.
Bryant.

Die Arche, wie man die schwimmende Behausung der Hutter’s gemeinhin nannte, war ein sehr einfaches Werk. Eine große Fläche oder Fähre bildete den schwimmenden Theil des Fahrzeugs, und in dessen Mitte, die ganze Breite, und etwa zwei Dritttheile der Länge einnehmend, stand ein niedriges Gerüste, in seinem Bau dem Castell ähnlich, obwohl von so leichtem Material, daß es kaum einer Flintenkugel widerstand. Da die Seiten des platten Fahrzeuges etwas höher waren als gewöhnlich, und das Innere der Cajüte oder der Hütte nicht höher war, als die Bequemlichkeit durchaus erforderte; so nahm sich der ungewöhnliche Aufsatz weder 63

sehr plump aus, noch fiel er sehr ins Auge. Kurz das Ganze war nicht viel verschieden von einem modernen Kanalboot, obwohl roher gebaut, von größerer Breite als gewöhnlich, und an den mit Borke bedeckten Balken doch die Spuren der Wildniß an sich tragend. Die Fähre war jedoch mit einiger Geschicklichkeit zusammengesetzt, für ihre Stärke verhältnißmäßig leicht und gut zu handhaben. Die Cajüte war in zwei Gemächer getheilt, deren eines als Wohnzimmer und Schlafstätte für den Vater diente, das andere aber den Töchtern zur Benützung überlassen war. Eine sehr einfache Einrichtung diente als die Küche, die auf dem einen Ende der Fähre angebracht war, und von der Cajüte entfernt, frei und offen dastand; denn die Arche überhaupt war eine Sommerwohnung.

Das Versteck, in dem sie lag, läßt sich ebenso leicht erklären. An manchen Stellen des See’s und Flusses, wo die Ufer steil und hoch waren, überhingen die kleineren Bäume und die größeren Gebüsche, wie schon erwähnt, das Wasser gänzlich und ihre Zweige tauchten sich nicht selten ganz darein ein. Hin und wieder wuchsen sie in beinahe horizontalen Linien dreißig bis vierzig Fuß seitlich herein. Da das Wasser durchgehends am tiefsten war an den Küsten, wo die Ufer am höchsten und am meisten sich dem Senkrechten näherten, war es Huttern nicht schwer gefallen, die Arche unter ein solches versteckendes Obdach zu lenken, wo sie vor Anker lag, und wo man sie nicht sollte bemerken können; denn nach seiner Ansicht erforderte die Sicherheit solche Vorsichtsmaßregeln. Nachdem sie einmal unter den Bäumen und Gebüschen war, bewirkten einige an den Enden der Zweige befestigte Steine, daß sie sich tief genug in den Fluß hinunterbogen; und einige abgehauene Büsche, gehörig vertheilt, thaten das Uebrige. Der Leser hat schon gesehen, daß dieß Versteck vollständig genug war, um zwei an die Wälder gewöhnte Männer zu täuschen, die doch gerade auf die Entdeckung der verborgenen Arche aus waren, und dieß werden Solche leicht begreifen, welche bekannt sind mit der wuchernden Ueppigkeit und Dichtheit eines jungfräulichen amerikanischen Waldes, zumal auf reichem und gutem Boden.

Die Entdeckung der Arche machte sehr verschiedene Eindrücke auf unsre beiden Abenteurer. Sobald das Canoe an die geeignete Oeffnung hinangebracht werden konnte, sprang Hurry an Bord, und war nach einer Minute schon tief verwickelt in ein munteres, gewissermaßen scheltendes Gespräch mit Judith, allem Anschein nach das Daseyn der ganzen übrigen Welt vergessend. Nicht so Wildtödter. Er betrat die Arche mit langsamem, vorsichtigem Schritt und prüfte jede Einrichtung des Verstecks mit neugierigem, forschendem Auge. Allerdings warf er einen bewundernden Blick auf Judith, den ihm ihre glänzende und eigenthümliche Schönheit abgewann; aber selbst diese konnte ihn nur einen Augenblick abhalten, dem Interesse, das ihm Hutter’s schlaue Einrichtungen einflößten, nachzugeben. Schritt für Schritt besichtigte er die Konstruktion der eigenthümlichen Behausung, erforschte die Stärke und Festigkeit derselben, versicherte sich der Vertheidigungsmittel, und stellte alle die Untersuchungen an, die sich von selbst einem Mann darboten, dessen Gedanken hauptsächlich mit solchen Kunstgriffen und Hülfsmitteln sich beschäftigten. Auch das versteckende Obdach ward nicht außer Acht gelassen. Er untersuchte es genau nach seiner ganzen Beschaffenheit und mehr als einmal wurde sein Beifall in hörbaren Lobsprüchen laut. Da die Sitten der Grenzmänner eine solche Ungezwungenheit gestatteten, schritt er durch die Gemächer, wie früher im Castell, öffnete eine Thüre, und trat auf das Ende der Fähre, entgegengesetzt dem, wo er Hurry und Judith verlassen hatte. Hier traf er die andere Schwester mit einer groben Nadelarbeit beschäftigt, unter dem belaubten Baldachin des Schutzdachs sitzend.

Da Wildtödters Besichtigung und Prüfung nunmehr beendigt war, ließ er den Kolben seiner Büchse sinken und wandte sich, 65

mit beiden Händen auf den Lauf sich stützend, zu dem Mädchen mit einem Interesse, welches die ausgezeichnete Schönheit ihrer Schwester nicht in ihm geweckt hatte. Er hatte sich aus Hurry’s Aeußerungen so viel abgenommen, daß Hetty dafür galt, weniger Einsicht zu besitzen, als gewöhnlich menschlichen Wesen zugetheilt ist; und seine indianische Bildung hatte ihn gelehrt, diejenigen, die so von der Vorsehung heimgesucht waren, mit ungewöhnlicher Zartheit zu behandeln. Auch lag in der äußern Erscheinung bei Hetty Hutter Nichts, was, wie so oft der Fall ist, das Interesse hätte schwächen können, das ihr Zustand erregte. Blödsinnig konnte man sie nicht eigentlich nennen, denn ihr Geist war nur gerade so weit schwach, daß er die meisten jener Züge verlor, welche mit den Eigenschaften der berechnenden Schlauheit zusammenhängen, dagegen seine Aufrichtigkeit und Liebe zur Wahrheit behielt. Es war öfters in Bezug auf dieß Mädchen von den Wenigen, die sie gesehen, und welche genugsame Einsicht zum richtigen Unterscheiden besaßen, bemerkt worden, daß ihr Erkennen des Rechten beinahe instinktmäßig und intuitiv schien, während ihr Widerwillen gegen das Unrecht einen so auszeichnenden Zug ihres Gemüths ausmachte, daß sie gleichsam in einer Atmosphäre reiner Sittlichkeit sich bewegte; und diese Eigenthümlichkeiten trifft man nicht selten bei schwachsinnig genannten Menschen; gleich als hätte Gott den bösen Geistern gewehrt, in ein so schutzloses Gebiet einzudringen, mit der gnädigen Absicht, einen unmittelbaren Schutz denjenigen angedeihen zu lassen, welche ohne die gewöhnlichen Kräfte und Hülfsmittel der menschlichen Natur geblieben waren. Auch ihre Person war angenehm, da sie ihrer Schwester stark glich, von welcher sie ein gedämpftes und bescheidnes Nachbild zu seyn schien. Wenn sie Nichts von Judiths Glanz besaß, so verfehlte doch der ruhige, friedliche, beinahe heilige Ausdruck ihres sanften Gesichts selten, den Betrachter für sie einzunehmen; und Wenige sahen sie länger, ohne eine tiefere und bleibende Theilnahme für das Mädchen zu fühlen. Sie hatte für gewöhnlich keine Farbe, auch war ihr einfacher Geist nicht im Stand, Bilder aufzurufen, die ihre Wange hätten aufleuchten machen; aber sie behauptete eine ihr so angeborne Sittsamkeit, daß sie dadurch beinahe zu der arglosen Reinheit eines für menschliche Schwächen unzugänglichen Gemüthes erhoben wurde. Harmlos, unschuldig, ohne Mißtrauen sowohl von Natur als vermöge ihrer Lebensweise, hatte die Vorsehung sie dennoch gegen Anfechtungen beschirmt durch eine Art von sittlichem Heiligenschein, »den Wind zu sänftigen dem geschornen Lamme,« wie das Sprüchwort sagt.

»Ihr seyd Hetty Hutter,« sagte Wildtödter, in der Art, wie man sich selbst unbewußt eine Frage macht, und zwar mit einer sanften Güte in Ton und Wesen, die ganz geeignet war, ihm das Vertrauen der so Angeredeten zu gewinnen – »Harry Hurry hat mir von Euch gesagt, und ich weiß, Ihr müßt das Kind seyn.«

»Ja, ich bin Hetty Hutter,« versetzte das Mädchen mit leiser, süßer Stimme, welche durch die Natur und einige dazugekommene Erziehung vor Gemeinheit des Tons und des Ausdrucks bewahrt geblieben war; »ich bin Hetty, der Judith Hutter Schwester und Thomas Hutter’s jüngste Tochter.«

»So weiß ich denn Eure Geschichte, denn Hurry Harry plaudert tüchtig und er geht frei heraus mit seinen Reden, wenn er auf andrer Leute Angelegenheiten zu sprechen kommt. Ihr bringt den größten Theil Eures Lebens auf dem See zu, Hetty.«

»Ja wohl, Mutter ist todt; Vater ist aus auf’s Fallenstellen, und Judith und ich bleiben zu Hause. Was ist Euer Name?«

»Das ist eine Frage, die sich leichter thun als beantworten läßt, junges Weib; in Betracht, daß ich noch so jung bin, und doch schon mehr Namen getragen habe, als manche der größten Häuptlinge in ganz Amerika.«

»Aber Ihr habt doch einen Namen? Ihr werft doch nicht einen Namen weg, bevor Ihr auf ehrliche Weise zu einem andern gekommen?«

»Ich hoffe so, Mädchen, ich hoffe so. Meine Namen sind mir natürlich gekommen, und ich denke, derjenige, den ich jetzt trage, wird nicht von langer Dauer seyn, denn die Delawaren bestimmen selten den wahren Namen und Titel eines Mannes fest, bis zu der Zeit, wo er Gelegenheit gehabt, sein wahres Wesen im Rath oder auf dem Kriegspfad zu zeigen, was mir noch nie zu Theil geworden ist; angesehen, erstlich, daß ich, nicht als Rothhaut geboren, kein Recht habe, in ihren Versammlungen zu sitzen, und viel zu niedrig bin, als daß ich von den Vornehmen meiner Farbe sollte um meine Meinung befragt werden; und für’s Zweite, weil dieß der erste Krieg ist, der in meine Zeit gefallen, und noch kein Feind weit genug in die Colonie eingebrochen, der durch einen auch längeren Arm als der meinige zu erreichen gewesen wäre.«

»Sagt mir Eure Namen,« erwiederte Hetty, ihn arglos anschauend, »und vielleicht sage ich Euch dann Euren Charakter.«

»Darin liegt einige Wahrheit, ich will es nicht läugnen, obgleich es oft fehl trifft. Die Menschen täuschen sich im Charakter Andrer und geben ihnen häufig Namen, die sie in keiner Weise verdienen. Die Wahrheit hievon könnt Ihr sehen an den Mingo-Namen, die, in ihrer Sprache, dieselben Dinge bezeichnen, wie die Delawaren-Namen – so sagt man mir wenigstens, denn ich weiß Wenig von diesem Stamm, außer durchs Gerücht – und Niemand kann sagen, daß sie eine ebenso redliche und gerade Nation sind. Ich lege daher kein sehr großes Gewicht auf Namen.«

»Sagt mir alle Eure Namen,« wiederholte das Mädchen ernst, denn ihr Gemüth war zu einfältig, um die Dinge von den Namen zu scheiden, die sie tragen, und sie legte einem Namen große Wichtigkeit bei. »Ich möchte wissen, was ich von Euch zu denken habe.« 68

»Nun, gewiß; ich habe Nichts dagegen und Ihr sollt sie alle erfahren. Für’s Erste denn, bin ich ein Christ und weiß geboren, wie Ihr, und meine Eltern hatten einen Namen, der sich vom Vater auf den Sohn vererbte, als ein Theil ihrer Gaben und Ausstattung. Mein Vater hieß Bumppo; und ich ward natürlich genannt wie er, und der mir gegebene Name war Nathaniel, oder Natty, wie die meisten Leute ihn abzukürzen beliebten.«

«Ja, ja – Natty – und Hetty –« unterbrach ihn rasch das Mädchen, und schaute wieder mit einem Lächeln von ihrer Arbeit auf, »Ihr seyd Natty und ich bin Hetty – obgleich Ihr Bumppo heißt, und ich Hutter, Bumppo ist nicht so hübsch wie Hutter, oder doch?«

»Nun, das kommt auf der Leute Geschmack an. Bumppo klingt nicht erhaben, ich geb‘ es zu, und doch haben sich Menschen damit durch die Welt geschlagen. Ich lief jedoch nicht sehr lange unter diesem Namen; denn die Delawaren entdeckten bald, oder glaubten zu entdecken, daß ich dem Lügen nicht ergeben war, und sie nannten mich zuerst: ›Geradzunge‹.«

»Das ist ein guter Name« unterbrach ihn Hetty ernst und in bestimmtem Tone; »sagt mir doch nicht, es wohne in den Namen keine Kraft und Tugend!«

»Ich sage das nicht, denn vielleicht verdiente ich den Namen, da Lügen bei mir nicht, wie bei Manchen, in Gunst sind. Nach einiger Zeit entdeckten sie, daß ich rasch zu Fuß war, und da nannten sie mich: ‚die Taube‘; denn dieser Vogel hat, wie Ihr wißt, eine schnelle Schwinge und fliegt in gerader Richtung.«

»Das war ein hübscher Name!« rief Hetty: »Tauben sind hübsche Vögel.«

»Die meisten Dinge, die Gott geschaffen, sind hübsch, in ihrer Art, mein gutes Mädchen, obgleich sie dann von den Menschen entstellt und verkehrt werden, so daß sie ihre Natur wie ihre äußere Erscheinung ändern. Vom Botschafttragen und vom 69

Aufspüren blinder Fährten brachte ich es endlich dahin, den Jägern folgen zu dürfen, da man glaubte, ich sey rascher und sichrer in Auffindung des Wildes als die meisten jungen Burschen, und da nannten sie mich ›Schlappohr‹, weil ich, wie sie sagten, die Spürkraft eines Hundes besäße.«

»Der Name ist nicht so hübsch,« bemerkte Hetty. »Ich hoffe, den behieltet Ihr nicht lange.«

»Nicht länger, als bis ich reich genug war, eine Büchse zu kaufen,« erwiederte der Andere, und sein sonst so gelassenes und ruhiges Wesen verrieth doch einigen Stolz; »da zeigte sich’s, daß ich einen Wigwam mit Wildpret zu versehen vermochte; und bald bekam ich den Namen ›Wildtödter‹, den ich jetzt noch trage; – ein niedriger Name, nach der Ansicht von Manchen, die mehr Werth in den Skalp eines Mitmenschen setzen, als in das Geweih eines Hirsches.«

»Nun, Wildtödter, zu diesen gehöre ich nicht,« versetzte Hetty arglos. »Judith liebt sich Soldaten und schimmernde Kleider und schöne Federn; aber mir gelten alle die Nichts. Sie sagt, die Officiere seyen vornehm und munter, und führen eine so sanfte Sprache: aber mich machen sie schaudern, denn ihr Beruf ist, ihre Mitmenschen zu tödten. Euer Beruf gefällt mir besser; und Euer letzter Name ist ein recht guter: – besser als Natty Bumppo.«

»Das ist ganz Eurer Gemüthsart gemäß und natürlich, Hetty, und gerade so, wie ich es erwartet. Man sagt mir, Eure Schwester sey schön – ungemein schön für eine Sterbliche; und die Schönheit macht geneigt, Bewunderung zu suchen.«

»Habt Ihr Judith nie gesehen?« fragte das Mädchen mit raschem Ernst; »wenn dieß ist, so geht sogleich und beschaut sie. Selbst Hurry Harry ist nicht hübscher anzusehen, obgleich sie ein Weib ist, und er ein Mann.«

Wildtödter betrachtete einen Augenblick das Mädchen mit Theilnahme. Ihr blasses Gesicht hatte sich ein wenig geröthet, und ihr 70

gewöhnlich so mildes und sanftes Auge geflammt bei jenen Worten, die ihre innern Regungen verriethen.

»Ja, Hurry Harry,« murmelte er vor sich hin, indem er durch die Cajüte nach dem andern Ende der Arche schritt; »das kommt vom guten Aussehen, wenn nicht auch eine leichtfertige Zunge ihren Antheil daran hat. Es ist leicht zu sehen, wohin sich die Gefühle des armen Geschöpfes neigen, wie es nun auch mit der Judith stehen mag.«

Aber eine Unterbrechung erlitten die Galanterie Hurry’s – die Koketterie seiner Geliebten – das Nachdenken Wildtödters und die zärtlichen Gefühle Hetty’s durch das plötzliche Erscheinen des Canoe’s, das den Besitzer der Arche brachte, in der schmalen Oeffnung zwischen den Gebüschen, die als eine Art Wassergraben seiner festen Stellung diente. Es schien, daß Hutter, oder Floating Tom, wie ihn alle Jäger vertraulich nannten, welche mit seiner Lebensart bekannt waren, das Canoe Hurry’s erkannt hatte, denn er zeigte durchaus kein Erstaunen, ihn auf der Fähre zu finden. Im Gegentheil war seine Begrüßung der Art, daß sie nicht nur Zufriedenheit verrieth, sondern selbst Freude, gemischt mit etwas Verdruß darüber, daß er nicht einige Tage früher gekommen.

»Ich erwartete Euch vorige Woche,« sagte er in halb brummendem, halb freundlich begrüßendem Tone, »und war ungemein verdrießlich, daß Ihr nicht kamet. Es kam ein eilender Bote durch, um die Jäger aller Gattungen zu benachrichtigen, daß die Colonie und die Canada’s wieder in Unruhe und Hader seyen; und ich fühlte mich gar einsam in diesen Gebirgen, mit drei Skalpen, die ich zu bewachen habe, und nur zwei Armen, sie zu schützen.«

»Das ist natürlich,« versetzte March; »und es hieß dieß nur als Vater fühlen. Ohne Zweifel, wenn ich zwei Töchter hätte wie Judith und Hetty, wüßte ich aus eigner Erfahrung dieselbe Geschichte zu erzählen, obwohl ich in der Regel ebenso zufrieden 71

bin, wenn der nächste Nachbar fünfzig Meilen weit von mir entfernt, als wenn er innerhalb Rufesweite in meiner Nähe ist.«

»Trotzdem mochtet Ihr nicht allein in die Wildniß kommen, nachdem Ihr wußtet, daß die Wilden in Canada sich wahrscheinlich regen werden,« versetzte Hutter, einen halb mißtrauischen und zugleich forschenden Blick auf Wildtödter werfend.

»Warum sollte ich auch? Man sagt, ein schlechter Begleiter auf einer Reise hilft doch den Weg verkürzen, und diesen jungen Mann rechne ich für einen recht guten. Es ist Wildtödter, alter Tom, ein berufener Jäger unter den Delawaren, dazu als Christ geboren und erzogen wie Ihr und ich. Der Junge ist vielleicht nicht vollkommen, aber es gibt schlechtere Männer in dem Land, wo er herkommt, und wahrscheinlich findet er in dieser Gegend der Welt Manchen, der nicht besser ist. Sollten wir in den Fall kommen, unsre Fallen und unser Gebiet vertheidigen zu müssen, so wird er uns Dienste leisten und Nahrung anschaffen; denn er ist ein ganzer Wildpretschütze.«

»Junger Mann, Ihr seyd willkommen,« brummte Tom, eine harte knöcherne Hand dem Jüngling zum Pfand seiner Aufrichtigkeit hinstreckend; »in solchen Zeiten ist ein Bleichgesicht das Gesicht eines Freundes, und ich zähle auf Euch als einen Beistand. Kinder machen manchmal ein männliches Herz schwach, und diese meine zwei Töchter machen mir mehr Unruhe, als alle meine Fallen, Häute und Rechte im Land.«

»Das ist natürlich!« rief Hurry. »Ja, Wildtödter, Ihr und ich wissen das noch nicht aus Erfahrung; aber, Alles zusammengenommen, sehe ich das als natürlich an. Wenn wir Töchter hätten, ist es mehr als wahrscheinlich, daß wir auch solche Gefühle hätten; und ich schätze den Mann, der sie bekennt. Was Judith betrifft, Alter, so schreibe ich mich sofort als ihr Soldat ein, und hier ist Wildtödter, um Euch Hetty beschützen zu helfen.« »Großen Dank Euch, Meister March,« versetzte die Schöne 72

mit einer vollen, metallreichen Stimme, und mit einer Richtigkeit des Ausdrucks und der Betonung, die sie überhaupt mit ihrer Schwester theilte, und welche bewies, daß sie mehr Unterricht genossen, als ihres Vaters Lebensweise und äußere Erscheinung eigentlich vermuthen ließen: »großen Dank Euch; aber Judith Hutter besitzt so viel Einsicht und Erfahrung, daß sie sich mehr auf sich selbst verläßt, als auf gut aussehende Landstreicher wie Ihr. Sollte es nöthig werden, den Wilden entgegen zu treten, so landet Ihr mit meinem Vater, statt Euch in Hütten zu verschlupfen, unter dem Vorwand, uns Weiber zu vertheidigen, und –«

»Mädchen, Mädchen,« fiel ihr der Vater in’s Wort, »zügle Deine glatte, kecke Zunge und höre die Wahrheit an. Schon sind Wilde am Ufer des See’s und Niemand kann sagen, wie nahe sie uns in diesem Augenblick seyn mögen, oder wann wir Mehr von ihnen zu hören bekommen!«

»Wenn dieß wahr ist, Meister Hutter,« sagte Hurry, in dessen Mienen ein Wechsel eintrat, der verrieth, wie ernstlich er die Nachricht nahm, obgleich Nichts von unmännlicher Unruhe zeugte; »wenn dieß wahr ist, so befindet sich Eure Arche in der ungünstigsten Stellung; denn obschon das Schutzdach Wildtödter und mich täuschte, würde sie doch kaum übersehen werden von einem Vollblut-Indianer, der ernstlich auf die Jagd nach Skalpen ausginge.«

»Ich denke wie Ihr, Hurry, und wünsche von ganzem Herzen, wir lägen in diesem Augenblicke anderswo, als in diesem engen, krummen Fluß, der viele Vortheile für ein Versteck darbietet, aber den Entdeckten beinahe sicheres Verderben bringt. Zudem sind uns die Wilden nahe, und die Schwierigkeit ist, aus dem Fluß herauszukommen, ohne zusammengeschossen zu werden wie Wild, das am Trinkplatz steht!«

»Seyd Ihr gewiß, Meister Hutter, daß die Rothhäute, die Ihr fürchtet, wirkliche Kanadier sind?« fragte Wildtödter mit 73

bescheidenem aber ernstem Wesen. »Habt Ihr Einen gesehen? und könnt Ihr ihre Bemalung beschreiben?«

»Ich bin auf Anzeichen gestoßen, daß sie in der Nähe sind, habe aber Keinen gesehen. Ich war eine Meile oder so stromabwärts, um nach meinen Fallen zu sehen, als ich auf eine frische Spur stieß, welche über das Ende eines Morastes ging und nach Norden zu wies. Der Mann war noch nicht eine Stunde des Weges gekommen, und ich erkannte die Fußtapfe als die eines Indianers an der Gestalt des Fußes und der Zehen, selbst noch ehe ich einen vertragenen Moccasin fand, den der Eigenthümer als unbrauchbar weggeworfen. Und dann fand ich die Stelle, wo er Halt machte, um sich einen neuen zu verfertigen, nur ein paar Schritte von dem entfernt, wo er den alten weggeworfen.«

»Das sieht einer Rothhaut auf dem Kriegspfad nicht sonderlich gleich!« versetzte der Andere mit Kopfschütteln. »Ein erfahrner Krieger wenigstens hätte solche Anzeichen seiner Wanderung verbrannt, oder begraben, oder im Fluß versenkt; und Eure Fährte ist höchst wahrscheinlich eine ganz friedliche. Aber der Moccasin dürfte mich vielleicht sehr beruhigen, wenn Ihr daran gedacht habt, ihn mitzunehmen. Ich bin selbst hieher gekommen, um einen jungen Häuptling zu treffen; und sein Weg läge so ziemlich in der von Euch bezeichneten Richtung. Vielleicht waren die Fußtapfen von ihm.«

»Hurry Harry, Ihr seyd, hoff‘ ich, genau bekannt mit diesem jungen Manne, der Zusammenkünfte mit Wilden hat in einer Gegend des Landes, wo er nie früher gewesen?« fragte Hutter in einem Ton und mit einer Art, welche den Beweggrund seiner Frage deutlich verriethen, da solche rohe Menschen sich selten aus Zartgefühl bedenken, ihre Gedanken und Gefühle zu verrathen. »Verrath ist eine indianische Tugend: und die Weißen, die viel unter ihren Stämmen leben, nehmen bald ihre Gewohnheiten und Kniffe an.«

»Wahr – wahr wie das Evangelium, alter Tom; aber nicht 74

anwendbar auf Wildtödter, der ein junger Mann voll Wahrhaftigkeit ist, wenn er auch sonst keine Empfehlung hätte. Ich will für seine Redlichkeit bürgen, wenn ich auch von seiner Herzhaftigkeit im Gefecht nichts sagen kann.«

»Ich möchte wohl wissen, was er in dieser abgelegenen Gegend zu schaffen und zu bestellen hat?«

»Das ist bald erzählt, Meister Hutter,« sagte der junge Mann mit der ruhigen Fassung Dessen, der ein reines Gewissen hat; »ich glaube auch selbst, daß Ihr das Recht habt, darnach zu fragen. Der Vater von zwei solchen Töchtern, der einen See inne hat, so wie Ihr, hat das gleiche Recht, nach dem Thun und Treiben eines Fremden in seiner Nähe sich zu erkundigen, wie die Colonie befugt wäre, nach dem Grund zu fragen, warum die Franzmänner mehr Regimenter als gewöhnlich an den Grenzen aufstellten. Nein, nein, ich bestreite Euch das Recht nicht, zu wissen, warum ein Fremder in Eure Behausung oder in Eure Gegend kommt, in so ernsten Zeiten wie die jetzigen sind.«

»Wenn dieß Eure Gesinnung ist, Freund, so laßt mich Eure Geschichte hören ohne weitere Worte.«

»Sie ist bald erzählt, wie ich schon gesagt, und treulich werde ich sie Euch erzählen. Ich bin ein junger Mann und bis jetzt noch nie auf dem Kriegspfad gewesen, aber sobald die Nachricht bei den Delawaren eintraf, daß Wampum und eine Streitaxt dem Stamme übersandt werden würden, so wünschten sie, daß ich unter die Leute meiner Farbe ginge und mich für sie genau nach dem Stand der Sachen erkundigte. Das that ich; und als ich nach meiner Rückkehr meinen Bericht den Häuptlingen abgestattet, traf ich einen Officier der Krone am Schoharie, der an einige der befreundeten Stämme, die weiter westlich wohnen, Geld zu übermachen hatte. Dieß schien Chingachgook, einem jungen Häuptling, der noch nie einen Feind getroffen, und mir, eine gute Gelegenheit, in Gesellschaft auf unsern ersten Kriegspfad zu gehen; und ein alter 75

Delaware gab uns an, daß wir uns am Felsen in der Nähe des Ausgangs von diesem See treffen sollten. Ich will nicht läugnen, daß Chingachgook noch einen andern Zweck hatte, aber dieser betrifft Keinen der hier Anwesenden, und ist sein Geheimniß nicht das meinige; daher sage ich hierüber nichts weiter.«

»Es betrifft ein junges Weib,« fiel ihm Judith hastig in’s Wort; dann lachte sie über ihren eignen Ungestüm, und hatte sogar so viel Grazie, ein wenig zu erröthen über die Art, wie sie ihre Geneigtheit, ein solches Motiv zu vermuthen, verrathen hatte. »Wenn es weder Krieg noch Jagd ist, so muß es Liebe seyn.«

»Ja, es kommt den Jungen und Schönen, die so viel von diesen Gefühlen hören, leicht in den Sinn, zu glauben, sie müssen den meisten Handlungen und Schritten zu Grunde liegen; aber ich sage über diesen Punkt nichts. Chingachgook soll mich an diesem Felsen treffen, morgen Abend, eine Stunde vor Sonnenuntergang, worauf wir unsern Weg zusammen fortsetzen wollen, Niemand störend, als des Königs Feinde, die nach Recht und Gesetz auch die unsrigen sind. Da ich Hurry seit langem kannte, da er einst in unsern Jagdgebieten Fallen stellte, und ihm nun am Schoharie begegnete, als er gerade im Begriff stand, auf seine Sommerzüge aufzubrechen, verabredeten wir, mit einander zu reisen, nicht sowohl aus Furcht vor den Mingo’s, als aus guter Cameradschaft, und um uns, wie er sagt, den langen Weg zu verkürzen.«

»Und Ihr meint, die Spur, die ich gesehen, sey vielleicht die Eures Freundes gewesen, der vor seiner Zeit eingetroffen?« sagte Hutter.

»Das ist mein Gedanke, der irrig, aber auch richtig seyn kann. Wenn ich aber den Moccasin sähe, so wollte ich in einer Minute entscheiden, ob er nach der Art der Delawaren gefertigt ist, oder nicht.«

»Nun, da ist er,« sagte die schnell besonnene Judith, die schon nach dem Canoe gegangen war, ihn zu holen; »gebt uns an, was er sagt: Freund oder Feind, Ihr seht ehrlich aus; und ich glaube Alles was Ihr sagt, was auch Vater davon denken mag.«

»Das ist deine Art, Jude, immer Freunde da aufzufinden, wo ich Feinde argwohne,« brummte Tom; »aber sprecht nur, junger Mann, und sagt uns was Ihr von dem Moccasin denkt.«

»Der ist kein Delawaren-Machwerk,« versetzte Wildtödter, indem er mit umsichtigem Auge die abgetragene und weggeworfene Fußbedeckung prüfte; »ich bin zu jung auf dem Kriegspfade, um meine Ansicht ganz bestimmt auszusprechen, aber ich würde sagen: dieser Moccasin sieht nördlich aus, und kommt von jenseits der großen Seen.«

»Wenn dieß der Fall ist, sollten wir keine Minute länger als nothwendig ist, hier liegen bleiben,« sagte Hutter, indem er einen Blick durch das Laub des Schutzdaches warf, als besorgte er schon die Anwesenheit eines Feindes auf der andern Küste des engen und krumm fließenden Stromes. »Es fehlt nur noch eine Stunde oder so bis Nacht, und im Dunkel Bewegungen zu machen, ohne ein Geräusch, das uns verrathen müßte, wäre unmöglich. Habt Ihr nicht das Echo einer Feuerwaffe in den Bergen gehört, vor einer halben Stunde?«

»Ja, Alter, und die Feuerwaffe selbst,« versetzte Hurry, der jetzt die Unbesonnenheit fühlte, deren er sich schuldig gemacht; »diese ward auf meiner eignen Schulter abgefeuert.«

»Ich besorgte, es komme von den französischen Indianern her; immerhin kann es sie aufmerksam machen, und ein Mittel für sie seyn, uns zu entdecken. Ihr thatet übel, in Kriegszeiten zu feuern, wenn nicht der Fall dringend war.«

»So fange ich an selbst zu denken, Oheim Tom; und doch, wenn Einer sich nicht getrauen darf, seine Büchse abzuschießen in einer Wildniß von tausend Geviertmeilen, damit nicht irgend ein Feind es höre: was nützt es, eine zu tragen?«

Hutter hielt jetzt eine lange Berathung mit seinen beiden Gästen, worin die Betheiligten zu einem richtigen Begriff von ihrer Lage gelangten. Er erklärte, welche Schwierigkeit der Versuch 77

haben würde, die Arche im Dunkel aus einem so engen und raschen Fluß herauszubringen, ohne ein Geräusch, das unfehlbar das Ohr der Indianer erreichen und sie aufmerksam machen müßte. Die etwa in der Nachbarschaft Herumstreifenden würden sich in der Nähe des Flusses oder des See’s halten; aber jener hatte an vielen Stellen des Ufers morastige Stellen, und war so gekrümmt und so von Buschwerk eingefaßt, daß es bei Tag ganz wohl möglich war, Bewegungen darauf zu machen, ohne viel Gefahr, gesehen zu werden. Mehr war vielleicht vom Ohr zu besorgen, als vom Auge, zumal so lange sie sich in den kurzen, engen, überdachten Strecken des Flusses befanden.

»Ich begebe mich nie in diesen Versteck, der für meine Fallen sehr günstig gelegen, und vor neugierigen Augen sicherer ist als der See, ohne für Mittel zu sorgen, auch wieder heraus zu kommen,« fuhr der seltsame Mann in seiner Auseinandersetzung fort, »und das geschieht leichter durch Ziehen und Zucken, als durch Rudern und Rucken. Mein Anker liegt oberhalb der Ausströmung im offnen See; und hier ist, wie Ihr seht, ein Seil, uns dorthinauf zu ziehen. Ohne ein solches Mittel wäre es für Ein Paar Hände ein schweres Stück Arbeit, ein Fahrzeug wie dieses stromaufwärts zu bringen. Auch habe ich eine Art Hebebock, der gelegentlich das Ziehen erleichtert. Jude kann das Ruder am Hintertheil so gut handhaben wie ich selbst; und wenn wir keinen Feind fürchten, macht es uns wenig Mühe und Sorge, aus dem Fluß heraus zu kommen.«

»Was würden wir gewinnen, Meister Hutter, durch eine Aenderung unserer Stellung?« fragte Wildtödter mit großem Ernst; »dieß hier ist ein sichrer Versteck, und vom Innern dieser Cajüte aus ließe sich eine tüchtige Vertheidigung bewerkstelligen. Ich habe noch nie an einem Gefecht Theil genommen, außer in Ueberlieferungen; aber mir scheint, wir könnten mit solchen Palisaden vor uns, wie diese, zwanzig Mingo’s zurückschlagen.« »Ja, ja, Ihr habt nie an Gefechten Theil genommen, außer in Überlieferungen, das ist klar genug, junger Mann! Habt Ihr je eine so breite Wasserfläche wie die dort oben gesehen, ehe Ihr mit Hurry hieher kamet?«

»Das kann ich allerdings nicht behaupten,« antwortete Wildtödter bescheiden. »Die Jugend ist die Zeit zu lernen; und ich bin weit entfernt von dem Wunsche, meine Stimme im Rath zu erheben, ehe sie durch Erfahrung dazu berechtigt ist.«

»Gut denn, ich will Euch die Nachtheile des Fechtens in dieser Stellung erklären, und den Vortheil, den offnen See zu gewinnen. Hier, könnt Ihr sehen, wüßten die Wilden, wohin jeden Schuß zielen; und es wäre eine zu verwegene Hoffnung, daß nicht einige ihren Weg durch die Lücken der Dielen finden sollten. Und wir dagegen hätten auf Nichts zu zielen, als auf einen Wald. Dann sind wir auch hier nicht sicher vorm Feuer, und die Borke dieses Dachs ist nicht viel besser als eben so viel Kienholz. Auch könnte man in meiner Abwesenheit in das Castell eindringen und es plündern, und alle meine Besitzthümer überfallen und zerstören. Einmal auf dem See können wir nur in Booten oder auf Flößen angegriffen werden – haben alle Vortheile über den Feind – und können das Castell mit der Arche schützen. Versteht Ihr diese Gründe, mein Junge?«

»Es klingt gut; ja, es klingt vernünftig; und ich will nicht widersprechen.«

»Nun gut, alter Tom,« schrie Hurry, »wenn wir einmal von der Stelle wollen, je eher wir den Anfang machen, desto eher werden wir wissen, ob wir unsre Skalpe als Nachtmützen behalten, oder nicht.«

Da dieser Vorschlag für sich deutlich war, bestritt Niemand seine Richtigkeit. Nach einer kurzen vorgängigen Erörterung trafen jetzt die drei Männer allen Ernstes ihre Vorbereitungen, die Arche in Bewegung zu setzen. Die leichten Befestigungen waren rasch gelöst, und durch Ziehen an dem Taue ward die schwerfällige Masse langsam aus dem Versteck herausgewunden. Sobald sie von den Hemmungen durch die Zweige frei war, glitt sie in den Fluß, ganz dicht an dem westlichen Ufer hinstreifend, vermöge der Gewalt der Strömung. Keine Seele an Bord hörte das Prasseln der Zweige, als die Cajüte an den Büschen und Bäumen des westlichen Ufers anstieß, ohne ein Gefühl von Unbehagen; denn Niemand wußte, in welchem Augenblick oder an welcher Stelle ein versteckter, mörderischer Feind sich zeigen dürfte. Vielleicht trug das dämmernde Licht, das noch durch das Laubdach oben sich durchkämpfte, oder seinen Weg durch die schmale, bandartige Oeffnung fand, welche in der Luft oben den Lauf des unten strömenden Flusses zu bezeichnen schien, dazu bei, den Anschein von Gefahr zu vermehren; denn es war fast nur eben hinreichend, die Gegenstände sichtbar zu machen, ohne auf Einen Blick ihre Umrisse erkennen zu lassen. Obgleich die Sonne noch nicht ganz untergegangen war, hatte sie doch ihre unmittelbaren Strahlen vom Thal zurückgezogen; und die Tinten des Abends begannen schon die unbedeckt liegenden Gegenstände zu überschweben, während, was im Schatten der Wälder lag, dadurch noch trüber und düsterer wurde.

Keine Unterbrechung jedoch störte die Bewegung der Arche, und während die Männer fortwährend an dem Tau zogen, rückte sie stetig aufwärts; die große Breite der Fähre ließ sie nicht tief ins Wasser einsinken und machte, daß sie der Strömung des raschen Elements, das unter ihr hinfloß, keinen großen Widerstand entgegensetzte. Auch hatte Hutter eine Vorsichtsmaßregel angewendet, die ihn die Erfahrung gelehrt, die einem Seemann Ehre gemacht hätte, und gänzlich die Hindernisse und Widerwärtigkeiten beseitigte, welche ihnen sonst aus den kurzen Windungen des Flusses entstanden wären. Beim Hinabfahren der Arche wurden große Steine, an das Tau befestigt, mitten im Fluß versenkt, und bildeten Lokalanker, deren jeder vor dem Schleppen mittelst der weiter 80

oben befindlichen geschützt wurde, bis der alleroberste erreicht war, der seinen Halt an dem eigentlichen Anker hatte, welcher recht im See lag. Mittelst dieser Auskunft bewegte sich die Arche aufwärts, frei und unbelästigt von den Hemmnissen des Ufers, gegen das sie sonst bei jeder Windung unvermeidlich hingetrieben, und dadurch Verlegenheiten verursacht haben würde, die Hutter allein nur mit größter Mühe oder gar nicht hätte überwinden können.

Gefördert durch diese Vorsicht und gespornt durch die Furcht, entdeckt zu werden, zogen Floating Tom und seine beiden athletischen Genossen die Arche stromaufwärts mit so großer Geschwindigkeit, als nur immer die Stärke des Taues zuließ. Bei jeder Krümmung des Flusses wurde ein Stein aus der Tiefe emporgehoben, wo sich dann die Richtung der Fähre dem weiter oben liegenden Steine zu änderte. In solcher Weise, mit diesem eigens eingerichteten Fahrwasser oder Canal, wie ein Matrose es hätte nennen können, fuhr Hutter stromaufwärts, gelegentlich mit leiser und vorsichtiger Stimme seine Freunde ermahnend, ihre Anstrengung zu verdoppeln, und dann wieder im geeigneten Falle sie warnend vor Kraftäußerungen, welche in gewissen Augenblicken durch Uebermaß des Eifers Alles gefährden konnten. Trotz ihrer langen, vertrauten Bekanntschaft mit den Wäldern fühlten sie doch Alle durch den düstern Charakter des verschatteten Flusses ihr Unbehagen vermehrt; und als die Arche die erste Windung im Susquehannah erreichte, und das Auge der breiteren Ausdehnung des See’s ansichtig wurde, fühlten Alle eine Herzenserleichterung, die vielleicht Keiner gerne gestanden hätte. Hier ward der letzte Stein aus der Tiefe gehoben, und das Tau führte jetzt gerade auf den Anker zu, der, wie Hutter angegeben, über der Ausmündung des Flusses aus geworfen worden war.

»Gott sey Dank!« rief Hurry, »hier ist doch Tageslicht, und wir werden bald im Fall seyn, unsre Feinde zu sehen, wenn Wir etwas von ihnen spüren sollten.«

»Das ist Mehr, als Ihr oder irgend ein Mensch sagen kann,« brummte Hutter. »Es gibt keinen Platz, so geeignet eine Truppe zu verstecken, wie das Ufer um die Mündung; und der Augenblick, wo wir an jenen Bäumen vorbeifahren, und ins offne Wasser gelangen, wird der gefahrdrohendste Zeitpunkt seyn, weil da der Feind noch einen Versteck hat, während wir ihn verlieren. Judith, Mädchen, Du und Hetty überlaßt jetzt das Ruder sich selbst und geht in die Cajüte hinein, und hütet Euch, Eure Gesichter an einem Fenster zu zeigen; denn diejenigen, die sie erblickten, würden sich nicht dabei aufhalten, ihre Schönheit zu rühmen. Und jetzt, Hurry, wollen wir selbst in dieß äußere Gemach treten, und durch die Thüre an dem Tau ziehen, wo wir Alle wenigstens vor einem ersten Ueberfall sicher seyn werden. Freund Wildtödter, da die Strömung jetzt gelinder ist, und das Tau den erforderlichen Zug hat, so viel die Vorsicht gestattet, geht Ihr beständig von Fenster zu Fenster herum, hütet Euch aber, Euren Kopf sehen zu lassen, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Niemand weiß, wann oder wo wir von unsern Nachbarn hören werden.«

Wildtödter gehorchte mit einer Empfindung, die Nichts von Furcht an sich hatte, wohl aber das ganze Interesse einer neuen und höchst aufregenden Situation. Zum erstenmal in seinem Leben war er in der Nähe von Feinden, oder hatte doch guten Grund dieß zu glauben, und dazu noch unter Umständen, wo das Schauderhafte indianischer Ueberfälle und Listen ihm nahe gerückt war. Als er seine Stellung an einem Fenster einnahm, fuhr die Arche gerade durch die schmalste Stelle des Flusses – den Punkt, wo das Wasser erst in das eigentliche Strombett sich ergoß, und wo die oben dicht verschlungenen Bäume das Wasser in einen Bogen von Grün sich ergießen machten; – ein diesem Lande vielleicht so eigenthümlicher, auszeichnender Zug, als in der Schweiz der Umstand, daß die Flüsse im buchstäblichen Sinne aus Kammern von Eis hervorbrechen. 82

Die Arche ging eben an der letzten Krümmung dieser belaubten Pforte vorbei, als Wildtödter, nachdem er Alles untersucht, was vom östlichen Ufer des Flusses zu sehen war, durch das Gemach schritt, um vom gegenüber liegenden Fenster aus nach dem westlichen zu schauen. Seine Ankunft bei dieser Oeffnung war sehr zur rechten Zeit, denn kaum hatte er sein Auge einer Spalte genähert, als sich ihm ein Anblick darbot, der eine so junge und unerfahrene Schildwache wohl bestürzen konnte. Ein junger Baum beugte sich über das Wasser beinah in einem Halbzirkel, der zuerst zum Licht emporgewachsen, dann von der Wucht des Schnees diese gedrückte Stellung angenommen hatte, – ein Umstand, den man in den amerikanischen Wäldern häufig findet. Auf diesem Baum waren bereits nicht weniger als sechs Indianer erschienen, und Andre standen bereit, ihnen zu folgen, sobald Raum würde; Alle waren sichtlich gemeint, auf dem Stamm herauszulaufen und auf das Dach der Arche zu springen, so wie diese unten vorbeiführe. Dieß wäre nicht schwierig auszuführen gewesen, da die Beugung des Baumes das Schreiten darauf erleichterte, die Aeste in der Nähe den Händen Halt genug gaben, und der Fall zu unbedeutend war, um Besorgniß einzuflößen. Als Wildtödter zuerst diese Truppe erblickte, trat sie gerade aus dem Versteck hervor, und stieg an dem Baum empor, da, wo er der Erde am nächsten und bei weitem am schwierigsten zu übersteigen war; und seine Bekanntschaft mit den Sitten der Indianer zeigte ihm auf Einen Blick, daß sie Alle in ihrer Kriegsbemalung waren, und einem feindlichen Stamm angehörten.

»Zieht, Hurry,« schrie er, »zieht, so lieb Euch Euer Leben und Judith Hutter ist! Zieht, Mann! zieht!«

Dieser Aufruf erging an einen Mann, der, wie Wildtödter wußte, Riesenkräfte besaß. Er war so ernst und feierlich, daß Hutter und March Wohl fühlten, er sey nicht umsonst ergangen, und sie strengten in Einem Augenblick zugleich alle ihre Kräfte an 83

dem Tau an, und in einem höchst kritischen Zeitpunkt: die Fähre verdoppelte ihre Bewegung, und schien unter dem Baum weg zu gleiten, als wüßte sie, welche Gefahr über ihr schwebte. Die Indianer, bemerkend, daß sie entdeckt waren, stießen ihr fürchterliches Kriegsgeheul aus, eilten auf dem Baume vorwärts, und sprangen verzweifelten Muthes auf ihre sicher geglaubte Beute los. Es waren ihrer sechs auf dem Baum, und Alle machten den Versuch. Alle, außer dem Anführer, fielen in den Fluß, mehr oder minder entfernt von der Arche, je nachdem sie früher oder später an den Platz des Absprungs kamen. Der Häuptling, der den gefährlichen ersten Posten eingenommen, und so früher zum Sprung kam als die Uebrigen, erreichte noch die Fähre gerade am Hintertheil. Der Sprung wurde so ziemlich höher als er vermuthet hatte, er ward leicht betäubt, und blieb einen Augenblick halb gebeugt und seiner Lage nicht recht bewußt. In diesem Augenblick stürzte Judith aus der Cajüte hervor, ihre Schönheit noch erhöht durch die Aufregung dieses kecken Beginnens, wodurch ihre Wange von hohem Purpur überzogen wurde, und all ihre Kraft mit gewaltiger Anstrengung zusammenraffend, stieß sie den Eindringling über den Rand der Fähre hinaus, kopfüber in den Fluß. Nicht sobald hatte sie diese entschlossene That ausgeführt, als das Weib wieder sein Recht behauptete; Judith schaute über den Spiegel hinaus, um zu sehen, was aus dem Manne geworden, und der Ausdruck ihrer Augen milderte sich zur Theilnahme; dann flammte ihre Wange, halb vor Schaam, halb vor Ueberraschung über ihre eigne Verwegenheit; und dann lachte sie in ihrer lustigen und holdseligen Art. Alles dieß ging in weniger als einer Minute vor, als sich der Arm Wildtödters um ihren Leib schlang, und sie sich rasch unter den Schutz der Cajüte zurückgezogen sah. Dieser Rückzug geschah nicht zu bald. Kaum waren Beide in Sicherheit, als der Wald sich mit gellendem Geschrei erfüllte, und Kugeln an die Planken zu schlagen anfingen.

Da die Arche diese ganze Weile her sich rasch bewegt hatte, war sie, nachdem diese Ereignisse vorüber, schon der Gefahr der Verfolgung entgangen; und die Wilden hörten, sobald der erste Ausbruch ihres Zorns vorüber, auf, zu feuern, in der Ueberzeugung, daß sie ihre Munition vergeblich verschwendeten. Als die Arche an ihren Anker herankam, lichtete Hutter diesen so, daß er den Gang von jener nicht störte; und da sie jetzt außer dem Bereich der Strömung sich befanden, setzte das Fahrzeug seine Richtung fort, bis sie ganz im offenen See waren, obwohl noch dem Land so nahe, daß es gefährlich gewesen wäre, sich einer Büchsenkugel bloß zu stellen. Hutter und March holten zwei kleine Ruderschaufeln hervor, und unter dem Schutz der Cajüte drängten sie bald die Arche weit genug von dem Ufer weg, um ihren Feinden alle Lust zu einem weitern Versuch, ihnen ein Leid zuzufügen, zu benehmen.

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Laßt weinen das Thier, vom Pfeile wund,
Frischem Hirsch sey’s Spiel nicht vergällt;
Einer schläft, Einer wacht zur selben Stund‘;
Das ist der Lauf der Welt.
Shakspeare.

Wieder fand eine Berathung statt auf dem Vordertheil der Fähre, bei welcher Judith und Hetty anwesend waren. Da jetzt keinerlei Gefahr sich ungesehen nähern konnte, hatte die augenblickliche Unruhe der Besorgniß Platz gemacht, welche die Ueberzeugung begleitete, daß Feinde in ansehnlicher Anzahl sich am Ufer des See’s befanden, und daß sie darauf zählen konnten, es werde kein irgend thunliches Mittel, ihren Untergang herbeizuführen, von den Feinden außer Acht gelassen werden. Natürlich empfand Hutter diese Umstände am tiefsten, da seine Töchter gewohnt waren, sich immer unbedingt auf seine Klugheit und Maßregeln zu verlassen, und zu wenig Einsicht besaßen, um alle ihnen drohenden Gefahren in ihrem ganzen Umfang zu würdigen; während es seinen männlichen Genossen frei stand, ihn jeden Augenblick zu verlassen, wo es ihnen dienlich schien. Seine erste Aeußerung zeigte, daß er den letztern Umstand wohl in’s Auge faßte, und hätte einem scharfen Beobachter leicht verrathen, welche Besorgniß eben jetzt in seiner Seele die überwiegende war.

»Wir haben einen großen Vortheil über die Irokesen, oder Wer immer unsre Feinde sind, darin, daß wir uns auf dem See befinden,« sagte er. »Es ist kein Canoe um den See herum, von dem ich nicht wüßte, wo es verborgen ist; und nachdem das Eurige hier ist, Hurry, sind nur noch drei auf dem Land, und sie sind so hübsch versteckt in hohlen Stämmen, daß ich nicht glauben kann, die Indianer werden sie finden, versuchten sie es auch noch so lang.«

»Das läßt sich nicht ausmachen – Niemand kann das sagen,« versetzte Wildtödter; »ein Hund ist nicht sichrer auf der Spur einer Witterung als eine Rothhaut, wenn er Etwas dadurch zu erhaschen denkt. Laßt die Leute nur Skalpe vor sich sehen, oder Plünderung, oder Ehre, nach ihren Ideen von dem was Ehre ist, so müßte das ein dicker Baumstamm seyn, der ein Canoe ihren Augen verbärge.«

»Ihr habt Recht, Wildtödter,« rief Harry March; »Ihr sprecht wie ein Evangelium in dieser Sache, und ich bin froh, daß meine Nußschaale von Barke hier, im Bereich meines Armes, sicher genug ist. Ich kalkulire, sie werden alle übrigen Canoes noch vor morgen Nacht aufspüren, wenn es ihnen ein rechter Ernst ist, Euch fortzuräuchern, alter Tom, und wir dürfen wohl unsre Ruder recht brauchen, um vorwärts zu kommen.«

Hutter antwortete im Augenblicke nicht. Er sah sich eine Minute stillschweigend um; er betrachtete genau den Himmel, den See und den Gürtel Wald, der ihn gleichsam hermetisch einschloß, als zöge er ihre Zeichen zu Rathe. Auch fand er keine beunruhigenden Symptome. Die grenzenlosen Wälder schlummerten in der tiefen Ruhe der Natur, der Himmel war heiter, aber noch hell und glänzend von dem Licht der scheidenden Sonne, während der See lieblicher und freundlicher aussah, als den ganzen Tag über. Es war eine wahrhaft beruhigende Scene, geeignet, die leidenschaftlichen Gefühle in eine Art heiligen Friedens einzulullen. In wie weit sie jedoch diese Wirkung auf die Gesellschaft in der Arche ausübte, muß aus dem weitern Verlauf unserer Erzählung erhellen.

»Judith,« rief der Vater, nachdem er diesen kurzen aber genau prüfenden Blick auf die Vorbedeutungen der Umgebung geworfen, »die Nacht steht vor der Thüre; schaffe Speise für unsere Freunde her; ein weiter Marsch schärft den Hunger.«

»Wir sterben nicht Hungers, Meister Hutter,« bemerkte March, »denn wir haben uns gesättigt, gerade wie wir den See erreichten, und ich meines Theils ziehe die Gesellschaft Judiths selbst ihrem Abendbrod vor. Dieser ruhige Abend ist ganz lieblich, an ihrer Seite zu sitzen.«

»Natur ist Natur,« bemerkte dagegen Hutter, »und muß ihre Nahrung haben. Judith, besorge die Mahlzeit und nimm deine Schwester mit, dir zu helfen. Ich habe noch ein Wenig mit Euch zu sprechen, Freunde,« fuhr er fort, sobald seine Töchter außer Gehörweite waren, »und wünschte die Mädchen weg zu haben. Ihr seht meine Lage, und ich möchte gern Eure Ansichten hören, was Ihr zu thun für’s Beste haltet. Dreimal habe ich schon mein Haus niederbrennen sehen, aber das war auf dem Land; und ich habe mich ziemlich sicher geglaubt, seit ich das Castell gebaut und die Arche auf dem Wasser hatte. Meine andern Unfälle jedoch trugen sich in friedlichen Zeiten zu, und waren nichts weiter, als solche Ungelegenheiten, wie sie wohl einen Mann in den Wäldern von Zeit zu Zeit überraschen; aber diese Sache sieht ernst aus, und Eure Ideen würden meinem Gemüth eine große Last abnehmen.«

»Nach meinem Begriff von der Sache, alter Tom, seyd Ihr und Eure Hütten und Eure Fallen und alle Eure Besitzthümer hier herum in verzweifelter Gefahr,« versetzte der derbe Hurry, der Verheimlichung seiner Gedanken für unnöthig hielt. »Nach meinen Ideen von Werth sind sie heute nicht halb so viel werth als sie gestern waren, auch gäbe ich nicht Mehr dafür, die Bezahlung in Häuten geleistet.«

»Und dann habe ich Kinder!« fuhr der Vater fort, und brachte diese Erwähnung in einem Tone vor, welcher selbst einen unbefangenen Beobachter in Verlegenheit würde gesetzt haben, wenn er hätte sagen sollen, ob sie als Lockspeise gemeint, oder nur ein Ausruf natürlicher Besorgniß war; »Töchter, wie Ihr wißt, Hurry; und gute Mädchen, dazu, wie ich wohl sagen darf, obgleich ich ihr Vater bin.«

»Ein Mann darf Alles sagen, Meister Hutter, zumal wenn er von Zeit und Umständen gedrängt ist. Ihr habt Töchter, wie Ihr sagt, und Eine davon hat nicht Ihres gleichen auf den Grenzen, was das gute Aussehen betrifft, mag sie auch welche haben, was das gute Betragen anlangt. Und die arme Hetty – die ist eben Hetty Hutter; das ist Alles, was sich von dem armen Ding sagen läßt. Ich lobe mir Jude, wenn nur ihre Aufführung ihrem Aussehen gleich käme!«

»Ich sehe, Harry March, ich kann auf Euch nur als Schönwetterfreund zählen; und ich denke, Euer Begleiter hat dieselbe Denkweise,« versetzte der Andere mit einem leichten Anflug von Stolz, der nicht ohne Würde war; »nun gut, ich muß mich auf die Vorsehung verlassen, die vielleicht kein taubes Ohr haben wird für das Gebet eines Vaters.«

»Wenn Ihr den Hurry da so verstanden habt, als sey er gemeint, Euch im Stich zu lassen,« sagte Wildtödter mit ernster Einfachheit, welche doppelt für seine Wahrhaftigkeit bürgte, »so thut Ihr ihm, glaube ich, Unrecht; so wie ich weiß, daß Ihr mir Unrecht thut, wenn Ihr voraussetzt, ich würde ihm folgen, hätte er ein so treuloses Herz, daß er eine Familie von seiner eignen Farbe in einer solchen Bedrängniß verließe. Ich bin an diesen See gekommen, Meister Hutter, um nach einer Verabredung einen Freund zu treffen, und ich wünschte nur, er wäre selbst hier, wie er denn ohne allen Zweifel morgen um Sonnenuntergang hier seyn wird, in welchem Fall Ihr dann eine weitere Büchse zu Eurer Vertheidigung hättet; eine noch nicht erprobte, ich gesteh‘ es, wie auch meine eigene; aber eine, die sich so oft schon am Wild, großem und kleinem, bewährt hat, daß ich für ihre Dienste gegen Menschen bürgen will.«

»Kann ich also auf Euch zählen, Wildtödter, daß Ihr mir und meinen Töchtern beistehen wollt?« fragte der Alte mit der Besorgniß eines Vaters in seinen Gesichtszügen.

»Das könnt Ihr, Floating Tom, wenn das Euer Name ist; und wie ein Bruder seiner Schwester, ein Gatte seinem Weib, oder ein Freier seiner Geliebten beistehen würde. In dieser Bedrängnis könnt Ihr auf mich zählen unter allen Widerwärtigkeiten; und ich denke, Hurry müßte seine Natur und seine Wünsche verläugnen, wenn Ihr nicht auf ihn zählen könntet.«

»O nein!« rief Judith, ihr schönes Gesicht zur Thüre heraus streckend, »seine Natur ist hastig und eilfertig, wie sein Name anzeigt, und er wird davon eilen, sobald er sein sauberes Gesicht in Gefahr glaubt. Weder der ›alte Tom‹ noch seine ›Mädels‹ werden sich stark auf Meister March verlassen, nunmehr sie ihn kennen, aber auf Euch werden sie bauen, Wildtödter; denn Euer ehrliches Gesicht und ehrliches Herz bürgen uns dafür, daß Ihr leisten werdet, was Ihr versprecht.«

Sie sagte dieß vielleicht ebenso sehr in erheuchelter Verachtung gegen Hurry, als im Ernst. Jedenfalls aber sprach sie nicht ohne Empfindung. Diesen Umstand bewies hinlänglich Judiths schönes Gesicht; und wenn der schuldbewußte March glaubte, nie einen lebhafteren Ausdruck von Hohn und Verachtung darauf gesehen zu haben – Gefühle, denen sich die Schöne gern hingab – als während sie ihn anschaute, so hatte es gewiß auch selten mehr weibliche Sanftmuth und Rührung gezeigt, als da ihre sprechenden blauen Augen auf seinen Reisegenossen geheftet waren.

»Verlaß uns, Judith,« gebot Hutter streng, ehe noch Einer der jungen Männer antworten konnte, »laß uns; und kehre nicht eher zurück, als bis Du mit dem Wildpret und Fisch kommst. Das Mädchen ist verderbt worden durch die Schmeichelei der Offiziere, die manchmal ihren Weg hieher finden, Meister March, und Ihr werdet ihr einfältiges Geschwätz Euch nicht kränken lassen.«

»Ihr habt nie ein wahreres Wort geredet, alter Tom,« erwiederte Hurry, dem es siedend heiß ward bei Judiths Aeußerungen; »die teufelszüngigen Laffen von der Garnison haben sie ganz verderbt! Ich kenne Jude kaum mehr, und werde mich bald entschließen, ihre Schwester zu bewundern, die nachgerade viel mehr nach meinem Geschmack ist.«

»Es freut mich, das zu hören, Harry, ich sehe es als ein Zeichen an, daß Ihr allmählig zur rechten Besinnung kommt. Hetty würde eine viel zuverlässigere und vernünftigere Lebensgenossin abgeben als Jude und würde auch höchst wahrscheinlich am meisten Eurer Bewerbung Gehör geben, da die Offiziere, wie ich sehr fürchte, ihrer Schwester den Kopf verrückt haben.«

»Niemand kann sich ein zuverläßigeres Weib wünschen als Hetty,« sagte Hurry lachend, »obgleich ich nicht dafür stehen möchte, daß sie das vernünftigste wäre. Aber das thut Nichts; Wildtödter hat mich nicht falsch verstanden, wenn Er gesagt, ich würde mich auf meinem Posten finden lassen. Ich werde Euch nicht verlassen, Oheim Tom, im jetzigen Augenblick, was auch meine Gefühle und Absichten in Betreff Eurer ältesten Tochter seyn mögen.«

Hurry besaß unter seinen Genossen einen ansehnlichen Ruf wegen seiner Tapferkeit, und Hutter vernahm seine Versicherung mit unverhehlter Zufriedenheit. Schon die große körperliche Stärke eines solchen Bundesgenossen war von Wichtigkeit bei den Bewegungen der Arche, so wie bei der Art von Handgemenge, wie es nicht selten in den Wäldern vorkam, und kein hartbedrängter Feldherr konnte eine lebhaftere Freude empfinden bei der Nachricht von eingetroffnen Verstärkungen, als der Grenzmann fühlte bei der Versicherung dieses wichtigen Beistands, ihn nicht verlassen zu wollen. Eine Minute vorher wäre Hutter sehr wohl zufrieden gewesen, ein Abkommen mit seiner Gefahr zu treffen, in der Art, daß er sich verbindlich gemacht hätte, sich auf der Defensive zu halten; aber sobald er sich über jenen Punkt beruhigt fühlte, verlockte ihn auch schon die natürliche Rastlosigkeit des Menschen, auf Mittel zu denken, den Krieg in’s Land des Feindes zu tragen.

»Hohe Preise sind auf beiden Seiten auf Skalpe gesetzt,« bemerkte er mit grimmigem Lächeln, als fühlte er die Gewalt der Versuchung, während er doch zugleich die Miene anzunehmen suchte, als dünke er sich zu vornehm, Geld zu erwerben auf eine Weise, die das gewöhnliche Gefühl derer mißbilligte, welche auf den Namen civilisirter Menschen Anspruch machten, während man sich doch dazu entschloß. »Es ist vielleicht nicht recht, Gold für Menschenblut zu nehmen; und doch, wenn Menschen einmal darauf aus sind, einander zu tödten, so ist es wohl kein so arges Unrecht, wenn ein Stückchen Haut bei der Plünderung mit drein geht. Was sind Eure Ansichten, Hurry, über diese Punkte?«

»Da habt Ihr einen ungeheuern Fehler begangen, Alter, daß Ihr das Blut von Wilden überhaupt Menschenblut genannt habt. Ich mache mir so Wenig aus dem Skalp einer Rothhaut, als aus einem Paar Wolfsohren, und würde eben so gern Geld für jenen als für diese einstreichen. Bei weißen Menschen ist es ein Andres, denn die haben eine natürliche Aversion davor, skalpirt zu werden; während ein Indianer sich den Kopf abrasirt, damit das Messer bequem zu kann, und einen Busch Haar stehen läßt, noch oben ein, zur Prahlerei, daran man ihn fassen kann.«

»Nun, das ist männlich, und ich fühlte von Anfang an, daß wir Euch nur an unsrer Seite zu haben brauchten, um Euch zu haben mit Herz und Hand,« erwiederte Tom, der alle Zurückhaltung fahren ließ, da er jetzt erneutes Vertrauen zu der Gesinnung seines Genossen faßte. »Es kann etwas Mehr und Anderes herauskommen bei diesem Einfall der Rothhäute, als sie gerechnet haben. Wildtödter, ich bilde mir ein, Ihr seyd auch der Ansicht Hurry’s, und betrachtet Geld, das auf diese Weise gewonnen wird, als ebenso vollgültig, wie solches, das man mit Fallenstellen und Jagen erwirbt.«

»Ich habe keine solche Gesinnungen, wünsche mir auch keine, für meinen Theil,« erwiederte dieser. »Meine Gaben sind nicht die Gaben eines Skalpirers, sondern so, wie sie sich für meine Religion und Farbe gehören. Ich will bei Euch stehen, alter Mann, in der Arche oder im Castell, im Canoe oder in den Wäldern, aber ich will nicht meine Natur entmenschlichen, indem ich auf Sitten und Bräuche verfiele, die Gott für eine andere Race bestimmt hat. Wenn Ihr und Hurry Gedanken gefaßt habt, die sich nach dem Gold der Colonie hinneigen, so geht Ihr allein Eurem Gewerbe nach, und überlaßt die Weiber meiner Obhut. So sehr ich in meiner Ansicht von Euch Beiden abweichen muß in Betreff aller Gaben, die nicht eigentlich einem weißen Mann gehören, werden wir doch darin gleich denken, daß es Pflicht des Starken ist, sich der Schwachen anzunehmen, zumal wenn die Letztern zu denen gehören, welche der Mann nach dem Willen der Natur schützen und trösten soll durch seinen Edelmuth und seine Stärke.«

»Hurry Harry, das ist eine Lehre, die Ihr Euch merken und mit Vortheil ausüben dürftet,« sagte die süße aber lebhafte Stimme Judiths aus der Cajüte – ein Beweis, daß sie alles bisher Gesprochene gehört hatte.

»Nichts mehr davon, Jude!« rief der Vater zornig. »Geh weiter weg; wir haben von Sachen zu reden, die Weiber nicht hören dürfen.«

Hutter that jedoch keine Schritte, um sich zu vergewissern, ob ihm gehorcht werde oder nicht; er ließ nur seine Stimme etwas sinken und fuhr in seiner Unterredung fort.

»Der junge Mann hat Recht, Hurry,« sagte er, »und wir können die Kinder seiner Obhut überlassen. Meine Idee nun ist diese, und ich denke, Ihr werdet sie auch für vernünftig und richtig erklären. Es ist eine große Truppe dieser Wilden am Ufer; und, obgleich ich es nicht vor den Mädchen sagen mochte, denn sie sind weibermäßig und werden leicht unruhig und überlästig, wenn einmal rechte Arbeit zu thun ist – es sind Weiber darunter. Ich weiß das aus Moccasin-Spuren; und vermuthlich sind es am Ende eben Jäger, die so lang aus gewesen sind, daß sie noch Nichts von dem Kriege, noch von den ausgesetzten Preisen wissen.«

»Aber in diesem Fall, alter Tom, warum bestand denn ihr erster Gruß in dem Versuch, uns Allen die Kehlen abzuschneiden?«

»Wir wissen nicht, ob ihr Vorhaben wirklich so blutdürstig war. Es ist bei einem Indianer eine leichte und natürliche Sache, Hinterhalte und Ueberfälle zu machen; und ohne Zweifel war ihr Wunsch, erst an Bord der Arche zu kommen, und dann erst ihre Bedingungen zu machen. Daß ein in seiner Absicht getäuschter Wilder auf uns feuert, ist in der Ordnung, und ich denke daran gar nicht. Zudem, wie oft haben sie mir das Haus niedergebrannt und meine Fallen geplündert – ja, und auf mich geschossen, während der allerfriedlichsten Zeiten?«

»Die Lumpenkerls thun wohl solche Dinge, ich muß gestehen, und wir bezahlen sie hübsch in ihrer eignen Münze. Weiber würden nicht auf dem Kriegspfad mitziehen, das ist gewiß; und in so weit hat Eure Idee wohl Grund.«

»Aber ein Jäger würde nicht in seiner Kriegsbemalung erscheinen,« versetzte Wildtödter. »Ich habe die Mingo’s gesehen und weiß, daß sie auf der Fährte von sterblichen Menschen sind, und nicht von Bibern oder Wildpret.«

»Da habt Ihr’s wieder, alter Gesell,« sagte Hurry. »Ja, was das Auge betrifft, da würde ich mich auf diesen jungen Mann so gut verlassen, wie auf den ältesten Ansiedler in der Colonie; wenn er sagt: bemalt, so war es auch bemalt.«

»Dann sind eine Jagdgesellschaft und eine Kriegstruppe zusammengestoßen, denn Weiber müssen dabei gewesen seyn. Es ist erst wenige Tage her, daß der Eilbote durchkam mit der Zeitung von den Unruhen, und vielleicht diese Krieger sind gekommen, um ihre Weiber und Kinder nach Haus zu rufen und rasch einen Streich zu führen.«

»Das wird wohl die Probe bestehen und ist gewiß die Wahrheit,« rief Hurry; »jetzt habt Ihr es getroffen, alter Tom, und ich möchte gern wissen, was Ihr nun dabei im Sinn habt?«

»Den Preis;« versezte der Andere, seinen aufmerksamen Genossen mit kühler, trotziger Miene betrachtend, worin jedoch herzlose Habsucht und Gleichgültigkeit gegen jedes Mittel weit mehr sich aussprachen, als irgend ein Gefühl von Erbitterung oder Rachsucht. »Wenn Weiber dabei sind, so sind auch Kinder da; und Groß und Klein haben Skalpe: die Colonie zahlt für Alle gleich.«

»Um so schmählicher für sie, daß sie es thut,« unterbrach ihn Wildtödter; »um so schmählicher für sie, daß sie ihre Gaben nicht versteht, und nicht besser auf den Willen Gottes achtet.«

»Nehmt Vernunft an. Junge, und schreit nicht so laut, eh‘ Ihr einen Fall versteht,« erwiederte der unerschütterliche Hurry; »die Wilden skalpiren Eure Freunde, die Delawaren oder Mohikans, was sie nun seyen, mit den Uebrigen; und warum sollten wir nicht skalpiren? Ich gesteh‘ es, es wäre gegen das Recht für Euch und für mich, jetzt hinzugehen in die Ansiedlungen, und dort Skalpe zu holen, aber es ist ein ganz andres Ding mit Indianern. Ein Mann sollte keine Skalpe machen, wenn er nicht darauf gefaßt ist, selbst auch skalpirt zu werden bei vorkommender Gelegenheit. Ein guter Dienst ist den andern werth in der ganzen Welt. Das heißt Vernunft, und ich glaube es ist gute Religion.«

»Ja, Meister Hurry,« unterbrach wieder die klangreiche Stimme Judiths, »ist es auch Religion, zu sagen: ein böser Dienst ist den andern werth?«

»Ich will nimmermehr mit Euch streiten, Judy, denn Ihr schlagt mich mit Schönheit, wenn Ihr es mit Verstand nicht könnt. Da sind die Canadas, die bezahlen ihren Indianern die Skalpe, und warum sollten nicht wir bezahlen –«

»Unsre Indianer!« rief das Mädchen, und lachte in einer Art von melancholischer Lustigkeit. »Vater, Vater, denkt nicht mehr an diesen, und hört auf den Rath Wildtödters, der ein Gewissen hat; und das ist Mehr, als ich von Harry March sagen oder glauben kann.«

Jetzt stand Hutter auf, trat in die Cajüte, und nöthigte seine Töchter in das anstoßende Gemach zu gehen, wo er beide Thüren riegelte, und dann zurückkam. Dann erörterten er und Hurry den Gegenstand noch weiter; aber da das Wesentliche des Inhalts dieser Besprechung im Verlauf der Erzählung an den Tag kommen wird, braucht sie hier nicht ausführlich berichtet zu werden. Der Leser jedoch wird sich ohne Schwierigkeit denken können, welche Art von Sittlichkeit bei dieser Unterredung den Vorsitz führte. Es war in der That diejenige, die, in einer oder der andern Gestalt, die meisten Handlungen der Menschen beherrscht, und bei welcher der maßgebende Grundsatz der ist: ein Unrecht rechtfertige das andere. Ihre Feinde bezahlten für Skalpe; und das genügte, die Colonie zu rechtfertigen, wenn sie Gleiches mit Gleichem vergalt. Allerdings führten die Franzosen dasselbe Argument für sich an, ein Umstand, der, wie Hurry gegen eine Einwendung Wildtödters zu bemerken die Gelegenheit ergriff, dessen Wahrheit bewies, da Todfeinde wohl schwerlich auf denselben Grund sich berufen würden, wenn es nicht ein triftiger und guter wäre. Aber weder Hutter noch Harry waren Männer, die sich so leicht durch Kleinigkeiten irre machen ließen in Sachen, welche die Rechte der Ureinwohner betrafen; denn es ist einmal eine der Folgen des ungerechten Angriffs, daß er das Gewissen verhärtet – das einzige Mittel, es zu beschwichtigen. In dem friedlichsten Zustand des Landes hatte eine Art von Krieg fortgedauert zwischen den Indianern, besonders denen von Canada, und Leuten von ihrem Stamme; und sobald der wirkliche, anerkannte Krieg erklärt war, galt er auch als ein gesetzlich erlaubtes Mittel, tausend wirkliche oder eingebildete Unbilden zu rächen. Dann lag auch einige Wahrheit und sehr viel Bequemlichkeit in dem Grundsatz der Wiedervergeltung, auf den sich Beide ganz besonders beriefen, um die Einwürfe ihres rechtlicheren und gewissenhafteren Genossen zu beantworten.

»Ihr müßt einen Mann mit seinen eignen Waffen bekämpfen, Wildtödter,« schrie Hurry in seiner rauhen Sprache und in der absprechenden Art, womit er alle moralischen Sätze behandelte; »wenn er wild ist, müßt Ihr noch wilder seyn; ist er von mannhaftem Herzen, müßt Ihr noch mannhafter seyn. Das ist die Art, Christen oder Wilde unterzukriegen; wenn Ihr dieser Fährte folgt, werdet Ihr am ehesten zum Ziel Eurer Reise gelangen.«

»Das ist nicht die Lehre der Mährischen Brüder, welche vielmehr sagt, daß alle Menschen zu beurtheilen sind nach ihren Talenten, oder ihren Einsichten; der Indianer als Indianer – der weiße Mann als Weißer. Einige ihrer Lehrer sagen, wenn man auf den rechten Backen geschlagen werde, so sey es Pflicht, den andern auch hinzubieten, und noch einen Schlag zu dulden, statt daß man Rache suche, was ich so verstehe –« »Das ist genug!« brüllte Hurry; »das ist Alles, was ich verlange, um eines Mannes Lehre zu schätzen! Wie viel Zeit würde es erfordern, einen Mann mit Fußtritten durch die Colonie zu befördern – am einen Ende hinein, am andern hinaus – nach diesem Grundsatz?«

»Mißversteht mich nicht, March,« erwiederte der junge Jäger mit Würde; »ich verstehe dieß nicht anders als so, es sey dieß das Beste, wenn immer möglich. Rachsucht ist eine indianische Eigenschaft, und Versöhnlichkeit die eines Weißen. Das ist Alles. Uebersieh Alles, was du kannst, das ist gemeint; und räche nicht Alles, was du kannst. Was die Fußtritte betrifft, Meister Hurry,« und Wildtödters sonnverbrannte Wange flammte, wie er fortfuhr, »womit man Einen in die Colonie hinein oder aus ihr herausfördern sollte, so liegt das weder hier noch dort, da ja Niemand es in Vorschlag bringt, und vermuthlich Niemand sich damit würde befassen wollen. Was ich sagen wollte, ist: daß die Rothhäute skalpiren, rechtfertigt es nicht, daß auch die Bleichgesichter skalpiren.«

»Thut, was man Euch thut, Wildtödter, das ist immer des christlichen Pfaffen Lehre.«

»Nein, Hurry, ich habe darüber die Mährischen Brüder befragt, und es lautet ganz anders; ›thut, was Ihr wünscht, daß die Leute Euch thun‹! sagen sie mir, sey die rechte Lehre, während die Menschen nach der falschen handeln. Sie halten es für ein Unrecht bei allen Colonien, welche Preise für Skalpe anbieten, und meinen, es werde kein Segen herauskommen bei diesen Maßregeln. Vor allem verbieten sie die Rachsucht!«

»Geht mir mit Euren Mährischen Brüdern!« schrie March und schnippte mit den Fingern; »sie sind die Nächsten an den Quäckern; und wenn Ihr Alles glauben wolltet, was sie Euch sagen, so dürfte man aus Barmherzigkeit keiner Ratte das Fell abziehen. Wer hat je von Barmherzigkeit gehört gegen eine Bisamratte?« Der verächtliche Ton Hurry’s schnitt eine Erwiederung ab, und er und der Alte fuhren in der Besprechung ihrer Pläne fort in leiserem und vertraulicherem Tone. Diese Berathung dauerte, bis Judith erschien und das einfache aber wohlschmeckende Abendessen brachte. March bemerkte mit einiger Ueberraschung, daß sie Wildtödter die leckersten Bissen vorlegte, und daß sie durch die kleinen, namenlosen Aufmerksamkeiten, welche sie zu erweisen wohl verstand, ganz deutlich zu erkennen zu geben die Absicht hatte, daß sie ihn als den vorzugsweise geehrten Gast betrachtete. Gewöhnt jedoch an den Eigensinn und die Koketterie der Schönen, erfüllte ihn diese Entdeckung mit keiner sonderlichen Unruhe, und er aß mit einem Appetit, der sich keineswegs durch gemüthliche Rücksichten stören ließ. Da die leichtverdaute Nahrung der Wälder der Befriedigung des großen physischen Genusses gar wenig Hindernisse in den Weg legte, blieb Wildtödter, trotz der herzhaften Mahlzeit, welche Beide in den Wäldern gehalten, in keiner Weise hinter seinem Genossen zurück in thätlicher Anerkennung der Güte der Speisen. Eine Stunde später war die ganze Scene sehr verändert. Der See war noch friedlich und spiegelklar, aber die Dämmerung des spätern Abends war auf das sanfte Zwielicht eines Sommerabends gefolgt, und Alles innerhalb der dunkeln Einfassung der Wälder lag in der stillen Ruhe der Nacht. Die Forsten ließen keinen Gesang, keinen Schrei, nicht einmal ein Flüstern hören, sondern schauten von den Bergen auf das schöne Becken, das sie umgaben, in feierlicher Stille herunter; und der einzige Laut, den man hörte, war das regelmäßige Klatschen der Ruder, welche Hurry und Wildtödter bequem handhabten, die Arche nach dem Castell hin lenkend. Hutter hatte sich auf das Hintertheil der Fähre zurückgezogen, um zu steuern, aber da er fand, daß die jungen Männer ganz im Takt ruderten, und durch ihre eigne Geschicklichkeit ganz in der gewünschten Richtung blieben, hatte er das Steuerruder im Wasser nachschleppen lassen, sich einen Sitz am Ende der Fähre genommen, und seine Pfeife angezündet. Er saß so erst wenige Minuten, als Hetty verstohlen aus der Cajüte, oder dem Hause, wie sie gewöhnlich diesen Theil der Arche nannten, heranschlich, und sich auf einer kleinen Bank, die sie mitbrachte, zu seinen Füßen setzte. Da dieß Beginnen eben nichts Ungewöhnliches bei dem schwachsinnigen Kind war, beachtete es der Alte nicht weiter; er legte nur seine Hand in liebevoller, beifallgebender Weise auf ihr Haupt; eine Liebkosung, die das Mädchen in stummer Sanftmuth hinnahm.

Nach einer Pause von einigen Minuten fing Hetty an zu singen. Ihre Stimme war schwach und zitternd, aber ernst und feierlich. Die Worte und die Weise waren von der einfachsten Art; es war eine Hymne, die ihre Mutter sie gelehrt hatte, und eine jener natürlichen Melodien, die bei allen Klassen, zu allen Zeiten Beifall und Gunst finden, weil sie vom Herzen kommen und ans Herz sprechen. Hutter horchte nie diesem einfachen Gesang, ohne daß sein Herz und sein Benehmen milder wurde; dieß wußte seine Tochter wohl, und sie hatte es sich schon oft zu Nutze gemacht vermöge jenes geheimen, heiligen Instinkts, der oft die Geistesschwachen erleuchtet, zumal bei ihren guten Absichten und Bestrebungen.

Hetty’s leise, süße Töne drangen nur erst einige Augenblicke durch die Lüfte, als das Klatschen der Ruder aufhörte, und der heilige Gesang allein in der athmenden Stille der Wildniß zum Himmel emporstieg. Wie wenn sie im Verfolg der Hymne Muth gewänne, schien ihre Kraft, wie sie weiter sang, zu wachsen; und obgleich nichts Gemeines oder Schreiendes sich in ihre Melodie mischte, schwoll doch ihre Stärke und schwermüthige Zartheit hörbar an, bis die Luft erfüllt war von dieser einfachen Huldigung einer Seele, die beinahe fleckenlos erschien. Daß die Männer vorn nicht gleichgültig blieben gegen diese rührende Unterbrechung, ging aus ihrer Unthätigkeit deutlich hervor; auch klatschten nicht eher wieder ihre Ruder, als bis der letzte der süßen Töne wirklich erstorben war an den merkwürdigen Ufern, die in dieser bezaubernden Stunde selbst die leisesten Modulationen der menschlichen Stimme weiter als eine Meile fortpflanzten. Hutter selbst war gerührt; denn so roh er war vermöge seiner früh angenommenen Lebensweise, und so hartherzig sogar er geworden war durch seine lange Bekanntschaft mit den Sitten und Bräuchen der Wildniß, bestand doch seine Natur aus jener furchtbaren Mischung von Gut und Böse, welche man überhaupt bei der moralischen Organisation der Menschen so vielfach findet.

»Du bist heute Nacht traurig, Kind,« sagte der Vater, dessen Benehmen und Sprache gewöhnlich Etwas von der Feinheit und Erhebung des civilisirten Lebens annahm, das er in seiner Jugend geführt hatte, wenn er so mit diesem seltsamen Kind sich unterhielt, »wir sind eben erst Feinden glücklich entgangen, und sollten uns vielmehr freuen!«

»Ihr könnt es nimmermehr thun, Vater!« sagte Hetty im leisen Ton flehentlicher, abmahnender Bitte, indem sie, mit ihren beiden Händen seine harte, rauhe Hand ergriff; »Ihr habt lang mit Harry March gesprochen; aber Keiner von Euch wird das Herz haben, es zu thun.«

»Das geht über Deinen Kreis, närrisches Kind; Du bist wohl so garstig gewesen und hast gehorcht, sonst könntest Du Nichts wissen von unserm Gespräche.«

»Warum wolltet denn Ihr und Hurry Leute tödten – und gar Weiber und Kinder?«

»Still, Mädchen, still; wir leben im Krieg, und müssen unsern Feinden thun, was sie uns thun möchten.«

»Das ist nicht so, Vater! Ich habe Wildtödter sagen hören, wie es ist. Ihr sollt Euren Feinden thun, was Ihr wünscht, daß Eure Feinde Euch thun! Niemand wünscht, daß seine Feinde ihn tödten!«

»Wir tödten unsre Feinde im Krieg, Mädchen, damit sie nicht uns tödten. Eine Seite oder die andre muß anfangen; und die zuerst anfangen, tragen am ehesten den Sieg davon. Du verstehst Nichts von diesen Dingen, arme Hetty, und solltest am liebsten davon schweigen.«

»Judith sagt, es sey Unrecht, Vater; und Judith hat Verstand, wenn auch ich keinen habe.«

»Judith versteht es besser, als daß sie mir von diesen Dingen spräche; denn sie hat Verstand, wie Du sagst, und weiß, daß ich es nicht dulden würde. Was würdest Du vorziehen, Hetty: daß man Dir Deinen Skalp nähme, und an die Franzosen verkaufte, oder daß wir unsre Feinde tödteten, und sie hinderten, uns ein Leid zu thun?«

»Das ist es nicht, Vater! Tödtet sie nicht, und laßt auch uns nicht von ihnen tödten. Verkauft Eure Häute, und schafft neue herbei, wenn Ihr könnt; aber verkauft nicht Blut!«

»Komm, komm, Kind; reden wir von Dingen, die Du verstehst. Freut es Dich, unsern alten Freund March wieder zurückgekommen zu sehen? Du magst Hurry wohl leiden, und mußt wissen, daß er wohl eines Tages Dein Bruder werden kann – wo nicht noch etwas Näheres.«

»Das kann nicht seyn, Vater,« erwiederte das Mädchen nach einer langen Pause; »Hurry hat Einen Vater und Eine Mutter gehabt; und die Leute haben nie zwei.«

»Da sieht man Deinen schwachen Geist, Hetty. Wenn Jude heirathet, so wird ihres Mannes Vater ihr Vater, und ihres Mannes Schwester ihre Schwester. Wenn sie Hurry heirathen sollte, wird er Dein Bruder.«

»Judith wird nie den Hurry nehmen,« versetzte das Mädchen mild aber bestimmt. »Judith mag den Hurry nicht.«

»Das ist Mehr als Du wissen kannst, Hetty. Harry March ist der schönste und der stärkste und der kühnste junge Mann, der je den See besucht; und da Jude die größte Schönheit ist, sehe ich nicht ein, warum sie nicht zusammenkommen sollten. Er hat so gut als versprochen, daß er mit mir diesen Handel eingehen will, wenn ich meine Zustimmung gebe.«

Hetty fing an, sich unruhig hin und her zu bewegen, und sonst auch ihre geistige Unruhe und Aufregung auszudrücken; aber länger als eine Minute antwortete sie nicht. Ihr Vater, an ihr Wesen gewöhnt, und keine besondere Ursache ihrer Aufregung ahnend, fuhr fort zu rauchen mit jenem in die Augen fallenden Phlegma, welches gerade dieser Art von Genuß eigen zu seyn scheint.

»Hurry ist schön, Vater,« sagte Hetty mit einfacher Emphase, welche in ihren Ton zu legen sie sich wohl würde bedacht haben, wäre ihr Geist aufmerksamer gewesen auf die Gedanken und Beweggründe Anderer.

»Das habe ich dir gesagt, Kind,« brummte der alte Hutter, ohne die Pfeife aus den Zähnen zu nehmen; »er ist der hübscheste Junge in dieser Gegend; und Jude ist das hübscheste junge Weibsbild, das mir vorgekommen, seit den besten Zeiten ihrer armen Mutter.«

»Ist es schlimm, häßlich zu sehn, Vater?«

»Man kann sich Schlimmeres vorzuwerfen haben – aber du bist keineswegs häßlich; obwohl nicht so hübsch wie Jude.«

«Ist Judith deßwegen glücklicher, weil sie so schön ist?«

»Das kann seyn, Kind, aber vielleicht auch nicht. Reden wir aber jetzt von andern Dingen; denn das verstehst du schwerlich recht, arme Hetty. Wie gefällt dir unser neuer Bekannter, Wildtödter?«

»Er ist nicht schön, Vater. Hurry ist viel schöner als Wildtödter.«

»Das ist wahr, aber es heißt, er sey ein ausgezeichneter Jäger. Sein Ruf drang zu meinem Ohre, noch eh‘ ich ihn sah; und ich hoffte, er werde sich als ebenso herzhafter Krieger bewähren, wie er ein geschickter Wildpretschütz ist. Aber nicht alle Männer sind gleich, Kind, und es braucht Zeit, das weiß ich aus Erfahrung, einem Mann ein ächtes Wildnißherz zu geben.«

»Hab‘ ich schon ein Wildnißherz, Vater – und Hurry – ist sein Herz ein ächtes Wildnißherz?«

»Du machst manchmal sonderbare Fragen, Hetty! Dein Herz ist gut, Kind, und geeigneter für die Ansiedlungen als für die Wälder; während dein Verstand geeigneter ist für die Wälder als für die Ansiedlungen.«

»Warum hat Judith mehr Verstand als ich, Vater?«

»Der Himmel steh‘ dir bei, Kind! das ist Mehr als ich beantworten kann. Gott gibt Verstand und Aussehen und all‘ diese Dinge; und er theilt sie aus, wie es ihm gut dünkt. Wünschest du dir mehr Verstand?«

»Nein, das Wenige was ich habe, macht mir Unruhe, denn wenn ich am ärgsten denke, fühle ich mich am unglücklichsten. Ich glaube nicht, daß das Denken gut ist für mich, aber ich wünschte, ich wäre so schön wie Judith.«

»Warum das, armes Kind? deiner Schwester Schönheit kann ihr auch Unruhe machen, wie einst ihrer armen Mutter. Es ist kein Vortheil, Hetty, in irgend Etwas so ausgezeichnet zu seyn, daß man ein Gegenstand des Neids, oder vor Andern ausgesucht wird.«

»Mutter war gut, wenn sie schön war,« versetzte das Mädchen, und die Thränen schossen ihr in die Augen, wie gewöhnlich geschah, wenn sie der Verstorbenen gedachte.

Der alte Hutter war, wenn auch nicht ebenso ergriffen, doch nachdenklich und stumm bei dieser Erinnerung an sein Weib. Er rauchte fort, ohne daß er eine Geneigtheit zeigte, zu antworten, bis seine schwachsinnige Tochter ihre Bemerkung in einer Art wiederholte, welche verrieth, daß sie ein Unbehagen fühlte, er möchte geneigt seyn, ihre Behauptung zu läugnen. Dann klopfte er die Asche aus seiner Pfeife, legte mit einer Art derber Freundlichkeit seine Hand auf des Mädchens Kopf und versetzte:

»Deine Mutter war zu gut für diese Welt, obgleich Andre vielleicht nicht so dachten. Ihr gutes Aussehen war für sie kein Heil und Schutz; und du hast keinen Grund zu bedauern, daß du ihr nicht so gleichst wie deine Schwester; denke weniger an Schönheit, Kind, und desto mehr an deine Pflicht und du wirst so glücklich leben auf diesem See, als du nur immer in des Königs Palast seyn könntest.«

»Ich weiß es, Vater; aber Hurry sagt: Schönheit sey bei einem jungen Weib Alles!«

Hutter that einen Ausruf, der seine Unzufriedenheit ausdrückte und ging nach dem Vordertheil; dabei schritt er durch das Haus – Hetty’s unbefangene Kundgebung ihrer Schwachheit in Bezug auf March machte ihm Unruhe über einen Gegenstand, der ihn früher nie angefochten hatte, und er beschloß, sofort mit seinem Gaste sich klar auseinander zu setzen; denn Geradheit in seinen Worten und Entschiedenheit in seiner Handlungsweise waren zwei der vorzüglichsten Eigenschaften dieses rauhen Mannes, in welchem der Saamen einer bessern Erziehung beständig sich emporzuringen schien, um dann wieder erstickt zu werden durch die Frucht eines Lebens, wo harte Kämpfe um Unterhalt und Sicherheit seine Gefühle gestählt, seine Natur verhärtet hatten. Als er das vordere Ende der Fähre erreicht, gab er seine Absicht zu erkennen, Wildtödter am Ruder abzulösen, und hieß ihn dafür seinen Platz am Hintertheil einnehmen. In Folge dieses Tausches waren der alte Mann und Hurry wieder allein, während der junge Jäger an’s entgegengesetzte Ende der Arche entfernt wurde.

Hetty war verschwunden, als Wildtödter seinen neuen Posten erreichte, und eine kurze Zeit blieb er allein, während er den Lauf des langsam sich bewegenden Fahrzeugs lenkte. Nicht lange jedoch dauerte es, bis Judith aus der Cajüte heraustrat, bereit, wie es schien, die Honneurs des Fahrzeugs zu machen gegenüber einem Fremden, der sich dem Dienst ihrer Familie widmete. Das Sternenlicht war hell genug, um die Gegenstände in der Nähe deutlich unterscheiden zu lassen; und die glänzenden Augen des Mädchens hatten einen Ausdruck von Freundlichkeit, als sie denen des Jünglings begegneten, welchen dieser leicht wahrzunehmen vermochte. Ihr reiches Haar beschattete ihr lebhaftes und doch sanftes Gesicht, und erhöhte dadurch selbst in dieser Stunde dessen Schönheit; – wie die Rose am lieblichsten ist, wenn sie zwischen den Schatten und Contrasten ihres eignen Laubes ruht. Bei dem Verkehr der Wälder herrscht wenig Förmlichkeit; und Judith hatte sich in Folge der Bewunderung, welche sie so allgemein erregte, eine Zuversicht und Bequemlichkeit des Benehmens erworben, die, wenn sie auch nicht bis zur Keckheit ging, doch in keiner Weise ihren Reizen die Zuthat jener scheuen, zurückhaltenden Sittsamkeit verlieh, welche von Dichtern so gepriesen wird.

»Ich glaubte, ich müßte vor Lachen sterben, Wildtödter,« begann die Schöne plötzlich, aber in koketter Art, »als ich den Indianer so in den Fluß tauchen sah! Es war dazu ein ganz hübschaussehender Wilder,« das Mädchen hob immer körperliche Schönheit als eine Art von Verdienst hervor, »und doch konnte man nicht verweilen, um zu sehen, ob seine Bemalung im Wasser die Farbe halte.«

»Und ich glaubte, sie würden Euch tödten mit ihren Waffen, Judith,« versetzte Wildtödter; »es war ein arges Wagestück für ein Weib, sich so einem Dutzend Mingo’s auszusetzen.«

»Bewog Euch das, aus der Cajüte hervorzueilen, trotz ihren Büchsen?« fragte das Mädchen, mit mehr wirklichem Interesse, als sie vielleicht zu verrathen wünschte, obwohl mit einem gleichgültigen Wesen, welches die Frucht von vieler Uebung, verbunden mit natürlicher Geistesgewandtheit war. »Männer können nicht zusehen, wenn Frauen in Gefahr sind, ohne ihnen zu Hülfe zu eilen. Selbst ein Mingo weiß das.«

Diese Worte sprach er mit eben so viel Unbefangenheit des Benehmens als einfacher Treuherzigkeit des Gefühls, und Judith belohnte sie mit einem so süßen Lächeln, daß selbst Wildtödter, der ein Vorurtheil gegen das Mädchen gefaßt hatte, in Folge von Hurry’s argwöhnischen Aeußerungen über ihren Leichtsinn, seinen Zauber empfand, obwohl die Hälfte von seiner gewinnenden Macht in der schwachen Beleuchtung verloren ging. Es erzeugte sofort eine Art von Vertraulichkeit zwischen ihnen, und die Unterredung ward von Seite des Jägers fortgesetzt ohne das lebhafte Bewußtseyn von dem eigenthümlichen Charakter dieser Kokette der Wildniß, womit sie allerdings begonnen hatte.

»Ihr seyd ein Mann der Thaten, nicht der Worte, das sehe ich deutlich, Wildtödter,« fuhr die Schöne fort, nahe bei der Stelle sich setzend, wo der Andere stand, »und ich sehe voraus, wir werden recht gute Freunde werden. Hurry Harry hat eine Zunge, und so sehr er ein Riese ist, er schwatzt Mehr als er vollbringt.«

»March ist Euer Freund, Judith; und Freunde sollten gut von einander reden, wenn sie von einander sind.«

»Wir wissen Alle, auf was Hurry’s Freundschaft hinausläuft! Laßt ihm in allen Dingen seinen Willen, so ist er der beste Geselle in der ganzen Colonie, aber ›bringt ihn auf‹, wie Ihr vom Wild sagt, so ist er Herr und Meister aller Dinge um ihn her, nur nicht seiner selbst. Hurry gehört nicht zu meinen Lieblingen, Wildtödter; und ich glaube fast, wenn die Wahrheit bekannt, und sein Geschwätz über mich wiederholt würde, es würde sich zeigen, daß er nicht besser von mir denkt, als ich allerdings von ihm.«

Die letzten Worte wurden nicht ohne einige Unbehaglichkeit ausgesprochen. Wäre der Gesellschafter des Mädchens schlauer gewesen, so hätte er wohl das abgewendete Gesicht bemerkt, die Art, wie das hübsche Füßchen sich hin- und herbewegte, und noch andre Anzeichen davon, daß aus irgend einem unerklärten Grunde die gute oder schlimme Meinung March’s ihr nicht so ganz gleichgültig war, als sie zu behaupten für gut fand. Ob dieß nun nichts weiter war, als eine gewöhnliche Folge weiblicher Eitelkeit – eines Gefühls, das auch dann noch lebendig und empfindlich ist, wenn jeder Schein der Empfindlichkeit vermieden werden will, ober ob es hervorging aus jenem tiefliegenden Bewußtseyn von Recht und Unrecht, das Gott selbst in unsere Brust gepflanzt, damit wir Gutes und Böses unterscheiden, wird dem Leser im Verlauf unsrer Erzählung deutlicher werden. Wildtödter empfand einige Verlegenheit. Er erinnerte sich wohl der grausamen Anschuldigungen aus dem Munde des mißtrauischen March, und während er der Bewerbung seines Genossen keine Hindernisse in den Weg legen wollte durch Erregung bitterer Gefühle gegen ihn, war seine Zunge im buchstäblichen Sinn eine solche, die nichts von Lug und Falsch wußte. Antworten, ohne mehr oder weniger zu sagen, als er wünschte, war daher eine delikate Sache.

»March spricht auf seine Art von allen Dingen in der Welt, von Freund und Feind,« versetzte langsam und vorsichtig der Jäger. »Er ist Einer von den Menschen, die sprechen wie sie empfinden, so lang die Zunge eben im Gang ist, und das ist manchmal anders, als sie sprechen würden, wenn sie sich Zeit zum Ueberlegen nähmen. Da lob‘ ich mir einen Delawaren, Judith; der denkt über seine Ideen nach und wiederkäut sie! Feindschaft hat sie nachdenklich gemacht, und eine lose Zunge ist keine Empfehlung bei ihren Berathungsfeuern.«

»Ich glaube fast, March’s Zunge läuft frei genug, wenn sie auf Judith Hutter und ihre Schwester zu reden kommt,« sagte das Mädchen, aufstehend, wie in verachtender Gleichgültigkeit. »Der gute Name junger Frauenspersonen ist gar ein angenehmer Gegenstand für Manche, die den Mund nicht so weit aufzuthun wagen würden, wenn ein Bruder um den Weg wäre. Meister March mag es lustig finden, uns zu verschwätzen; aber früher oder später wird er es bereuen!«

»Nein, Judith, das heißt die Sache zu ernst nehmen. Hurry hat nie auch nur das leiseste Wort geredet gegen den guten Namen Hetty’s, um den Anfang zu machen mit –«

»Ich sehe wie es ist – ich sehe wie es ist« – unterbrach ihn Judith heftig. »Ich allein bin es, die er mit seiner giftigen Zunge zu brandmarken beliebt! – Hetty, wahrhaftig! – die arme Hetty!« fuhr sie fort, und ihre Stimme sank zu einem leisen, dumpfen Ton herab, der beinahe in ihrem Munde zu erstarren schien – »sie steht außer und über dem Bereich seiner verläumderischen Bosheit! die arme Hetty! Wenn Gott sie schwachsinnig geschaffen hat, so liegt die Schwäche ganz auf der Seite der Irrthümer, von welchen sie gar nichts zu wissen scheint. Die Erde trug nie ein reineres Wesen, als Hetty Hutter, Wildtödter!«

»Ich kann es glauben, – ja, ich kann das glauben, Judith, und ich hoffe, dasselbe kann auch gesagt werden von ihrer schönen Schwester.«

Es lag eine ansprechende und gutherzige Aufrichtigkeit in Wildtödters Ton, welche die Seele des Mädchens rührte; auch schwächte die Anspielung auf ihre Schönheit die Wirkung davon nicht bei ihr, welche die Macht ihrer persönlichen Reize nur zu gut kannte. Dennoch ward die leise, dünne Stimme des Gewissens nicht ganz zum Schweigen gebracht, und sie diktirte die Antwort, die sie nach einigem Nachdenken gab:

»Ich glaube, Hurry hat wieder von seinen elenden Anspielungen und Winken gegen die Leute von den Garnisonen fallen lassen,« sagte sie. »Er weiß, es sind Gentlemen, und kann nie Einem verzeihen, daß er ist, was er selbst, wie er wohl fühlt, nie werden kann.«

»Nicht in der Bedeutung eines Officiers des Königs, Judith, allerdings, denn dazu hat March gar keine Lust, aber in der wirklichen Bedeutung des Wortes – warum sollte nicht ein Biberjäger so achtbar seyn, als ein Gouverneur? Da Ihr selbst davon anfangt, so will ich nicht läugnen, daß er darüber klagte, daß ein Mädchen von Eurem bescheidenen Stande so viel in Gesellschaft von Scharlachröcken und seidenen Schärpen lebe. Aber es war Eifersucht, die da aus ihm sprach, und ich glaube, daß er über seine eignen Gedanken trauerte, wie eine Mutter trauern würde um ihr Kind.«

Vielleicht war sich Wildtödter nicht des ganzen, vollen Sinnes bewußt, den seine ernste Rede in sich schloß. Gewiß ist, daß er die Röthe nicht sah, welche Judiths ganzes schönes Antlitz flammend überzog, noch auch die unbezwingliche Bestürzung und Beängstigung, welche unmittelbar darauf die Röthe in Todesblässe verwandelte. Ein paar Minuten verstrichen in tiefer Stille; das Plätschern des Wassers schien gänzlich alle Zugänge des Ohres eingenommen zu haben, und dann stand Judith auf, und faßte die Hand des Jägers beinahe krampfhaft mit einer der ihrigen.

»Wildtödter,« sagte sie hastig, »ich bin froh, daß das Eis zwischen uns gebrochen ist. Man sagt, plötzliche Freundschaften führen zu langen Feindschaften; aber ich glaube nicht, daß es bei uns so gehen wird. Ich weiß nicht, wie es kommt – aber Ihr seyd der erste Mann, den ich kennen gelernt, der nicht beflissen scheint zu schmeicheln – nicht mein Verderben zu wünschen – kein Feind in einer Maske zu seyn scheint; – laßt es gut seyn; sagt Hurry nichts davon, und ein andermal wollen wir wieder mit einander sprechen.«

Dann ließ das Mädchen seine Hand fahren, verschwand in dem Hause, und ließ den erstaunten und verblüfften jungen Mann allein, der so bewegungslos an dem Steuerruder stand, wie eine der Tannen auf den Bergen. So sehr hatte er sich in seinen Gedanken vertieft und verloren, daß ihm Hutter zurufen mußte, er solle der Fähre die rechte Richtung geben, ehe er sich seiner gegenwärtigen Lage wieder bewußt wurde.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

So sprach der abgefallne Engel, Pein
Litt er, und prahlte laut doch, aber tief
In seinem Innern foltert‘ ihn Verzweiflung.
Milton.

Bald nach Judiths Entfernung erhob sich ein leiser Südwind, und Hutter zog ein großes Raasegel auf, das einst das flatternde Topsegel an einer Sloop von Albany gewesen, aber, mürbe geworden im Auffangen der Winde von Tappan, ausgemustert und verkauft worden war. Es hatte eine leichte, zähe Tamarindenstange, die er im geeigneten Falle aufrichten konnte, und mit geringer Arbeit ward sein Segel in ziemlich kunstgerechter Weise ausgebreitet und schwoll vom Winde. Die Wirkung auf die Bewegung der Arche war von der Art, daß das Rudern nunmehr entbehrlich wurde; und nach etwa zwei Stunden sah man das Castell in der Finsterniß aus dem Wasser emporragen, in einer Entfernung von etwa hundert Schritten. Jetzt ward das Segel herabgelassen, und langsam schwamm die Fähre dem Bau zu und ward angebunden.

Niemand hatte das Haus besucht, seit Hurry und sein Begleiter es verlassen. Man traf Alles in der Ruhe und Stille der Mitternacht, eine Art Typus von der Einsamkeit einer Wildniß. Da man Feinde in der Nähe wußte, wies Hutter seine Töchter an, sich keiner Lichter zu bedienen: diesen Luxusartikel versagten sie sich meist während der warmen Monate, damit sie nicht als Leuchtfeuer ihren Feinden ihren Aufenthaltsort verriethen.

»Bei klarem Tageslicht würde ich ein Heer von Wilden nicht fürchten hinter diesen stämmigen Blöcken, wenn sie kein Schutzmittel hätten, sich dahinter zu verkriechen,« setzte Hutter hinzu, nachdem er seinen Gästen die Gründe auseinandergesetzt, warum er den Gebrauch von Lichtern verbot; »denn ich habe drei oder vier zuverlässige Gewehre jederzeit geladen, und Killdeer namentlich ist eines, das nie versagt. Aber bei Nacht ist es eine andre Sache. Ein Canoe könnte im Dunkel ungesehen uns auf den Leib rücken; und die Wilden haben so viele Listen und Kniffe bei ihren Angriffen, daß ich es für schlimm genug halte, wenn ich auch beim hellsten Sonnenschein mit ihnen zu thun bekomme. Ich habe dieß Haus gebaut, um sie mir in einiger Entfernung vom Leibe zu halten, im Fall es je wieder zu Schlägen käme. Manche meinen, es sey zu offen und ausgesetzt, aber ich bin dafür, fern vom Gebüsch und Dickicht zu ankern, weil ich dieß für die sicherste Art halte.«

»Ihr seyd einst Matrose gewesen, sagt man mir, alter Tom?« sagte Hurry in seiner raschen Art, da ihm einige Ausdrücke des Andern aufgefallen waren, »und manche Leute glauben, Ihr könntet merkwürdige Dinge erzählen von Feinden und Schiffbrüchen, wenn Ihr mit Allem herausrücken wolltet, was Ihr wißt.«

»Es gibt Leute in dieser Welt, Hurry,« erwiederte der Andre ausweichend, »welche von andrer Menschen Gedanken leben; und dergleichen finden oft auch ihren Weg in die Wälder. Was ich in meiner Jugend gewesen bin, oder was ich gesehen habe, das ist jetzt weniger wichtig, als was die Wilden sind. Es ist von größerer Bedeutung, herauszubringen, was in den nächsten vier und zwanzig Stunden sich ereignen wird, als von dem zu plaudern, was sich vor vierundzwanzig Jahren begeben hat.«

»Das heißt Urtheil, Wildtödter; ja, das heißt gesundes Urtheil! da sind Judith und Hetty, für welche zu sorgen ist, zu schweigen von unsern eignen Kopfschleifen; und was mich betrifft, ich kann so gut im Dunkeln schlafen, als ich es könnte bei der hellsten Mittagssonne. Mir macht es wenig aus, ob Licht da ist oder nicht, und ob ich es sehe, wenn ich meine Augen schließe.«

Da Wildtödter es selten nöthig fand, auf seines Begleiters eigenthümliche humoristische Aeußerungen zu antworten, und Hutter sichtlich abgeneigt war, weiter über die Sache zu sprechen, hatte die Erörterung mit dieser Bemerkung ein Ende. Hutter hatte aber noch etwas mehr, als nur Erinnerungen auf dem Herzen. Sobald seine Töchter sie verlassen hatten, in der ausgesprochenen Absicht, sich zur Ruhe zu begeben, lud er seine beiden Genossen ein, ihm wieder auf die Arche zu folgen. Hier eröffnete ihnen der alte Mann seinen Plan, verschwieg aber den Theil davon noch, dessen Ausführung er sich selbst und Hurry vorbehalten hatte.

»Das Hauptabsehen von Leuten in unsrer Lage ist, Herrn des Wassers zu seyn,« begann er. »So lange kein anderes Fahrzeug auf dem See ist, ist ein Canoe von Borke so gut als ein Linienschiff; denn mit Schwimmen kann das Castell nicht wohl weggenommen werden. Nun sind nur noch fünf Canoe’s in dieser Gegend, von welchen zwei mir gehören und eines Hurry. Diese drei haben wir hier bei uns; eines in dem Canoe-Dock unter dem Hause befestigt, die beiden andern an der Fähre. Die andern Canoes sind am Land in hohlen Baumstämmen versteckt; und die Wilden, die so giftige Feinde sind, werden am nächsten Morgen keinen Ort, der irgend Etwas verspricht, ununtersucht lassen, wenn es ihnen ernstlich um die ausgesetzten Preise zu thun ist –«

»Ha, Freund Hutter,« unterbrach ihn Hurry, »der Indianer lebt nicht auf Erden, der im Stand ist, ein gehörig verstecktes Canoe aufzufinden. Ich habe früher schon Etwas in dieser Art von Handel geleistet, und Wildtödter weiß hier es, daß ich im Stand bin, ein Fahrzeug so zu verstecken, daß ich es selbst nicht mehr finden kann.«

»Sehr wahr, Hurry,« versetzte der zum Zeugniß Aufgerufene; »aber Ihr überseht den Umstand, daß, wenn auch Ihr die Spur des Mannes nicht entdecken konntet, der seine Sache so gut gemacht, dieß doch mir gelang. Ich bin der Ansicht, Meister Hutter, daß es viel klüger ist, der Einfalt und Aufrichtigkeit eines Wilden zu mißtrauen, als große Hoffnungen zu bauen auf seinen Mangel an Scharfblick. Wenn daher die beiden Canoes in das Castell gebracht werden können, so ist es um so besser, je eher es geschieht.«

»Wollt Ihr dabei seyn, wenn es aufgeführt wird?« fragte Hutter in einem Tone, welcher zeigte, daß der Vorschlag ihn ebenso überraschte als er ihm gefiel.

»Gewiß. Ich bin bereit, an jeder Unternehmung Theil zu nehmen, sofern sie nicht eines weißen Mannes rechtmäßigen Gaben zuwiderläuft. Die Natur gebietet uns, unser Leben zu vertheidigen und auch das Leben Andrer, wenn dazu Gelegenheit und Aufforderung vorhanden ist. Ich will Euch, Floating Tom, folgen in das Lager der Mingo bei jedem solchen Zug, und will mich bestreben, meine Pflicht zu thun, sollte es zum Treffen kommen: obwohl ich, da ich nie in einer Schlacht gewesen bin, nicht gern Mehr verspreche, als ich mir zu leisten getraue. Wir wissen Alle, was wir wünschen, aber keiner weiß, was er zu leisten vermag, als bis er die Probe bestanden.«

»Das ist bescheiden und vernünftig gesprochen, Junge!« rief Hurry. »Ihr habt noch nie den Knall einer feindlichgezielten Büchse gehört, und laßt mich Euch versichern, er ist so verschieden von den überredenden Tönen bei Euern Wildpretreden, wie das Lachen von Judith Hutter in ihrer besten Laune von dem Schelten einer holländischen Haushälterin am Mohawk. Ich erwarte nicht, daß Ihr ein ausgezeichneter Krieger werden werdet, Wildtödter, obgleich es nicht Eures Gleichen in diesen Gegenden gibt, was die Jagd auf Hirsche und Rehe betrifft. Aber im wirklichen Dienst, da werdet Ihr etwas weiter hinten zu stehen kommen, nach meiner Meinung.«

»Wir wollen sehen. Hurry, wir wollen sehen,« erwiederte der Andre sanft, und ganz und gar nicht, so viel ein menschliches Auge bemerken konnte, verletzt und irre gemacht durch die so eben ausgedrückten Zweifel hinsichtlich seiner Tüchtigkeit in einem Punkte, wo die Männer sonst sehr empfindlich sind, und zwar oft genau in dem Maß, als sie sich ihrer Schwächen bewußt sind; »da ich noch nie eine Probe bestanden, will ich diese abwarten, ehe ich mir selbst eine Meinung bilde; und dann hat man Gewißheit, statt unbestimmter Vermuthungen. Ich habe von Solchen gehört, die vor der Schlacht herzhaft waren und darin wenig leisteten; und auch von Solchen, die zuwarteten, um ihren Muth kennen zu lernen, und die bei der Probe fanden, daß sie nicht so übel waren, als Manche erwarteten.«

»In jedem Fall wissen wir, daß Ihr ein Ruder zu handhaben versteht, junger Mann,« sagte Hutter, »und das ist Alles, was wir heute Nacht von Euch verlangen. Laßt uns keine Zeit mehr verlieren, sondern in das Canoe treten und handeln, statt zu schwatzen.«

Hutter ging nun rasch daran, seinen Plan auszuführen, und bald war das Boot bereit, und Hurry und Wildtödter an den Rudern. Ehe jedoch der alte Mann selbst sich einschiffte, hielt er eine Besprechung von einigen Minuten mit Judith, zu welchem Behuf er in das Haus ging; dann zurückgekehrt, nahm er seinen Platz in dem Canoe ein, das im nächsten Augenblick von der Arche abstieß.

Wäre in der einsamen Wildniß ein Gott errichteter Tempel gewesen, so hätte seine Uhr die Mitternachtsstunde geschlagen, als die kleine Gesellschaft ihren Zug antrat. Das Dunkel hatte zugenommen, obwohl die Nacht noch klar war, und das Licht der Sterne reichte hin für alle Absichten der Abenteurer, Hutter allein wußte die Orte, wo die zwei Canoes versteckt waren, und er lenkte die Richtung des Bootes, während seine beiden athletischen Genossen ihre Ruderschaufeln mit gehöriger Vorsicht eintauchten und emporhoben, damit nicht die dadurch verursachten Laute in der Stille der tiefen Nacht über den friedlichen Wasserspiegel hin das Ohr ihrer Feinde erreichten. Aber die Barke war so leicht, daß keine außerordentlichen Anstrengungen nöthig waren, und da Geschicklichkeit die Stelle des Kraftaufwands vertrat, näherten sie sich, nach einer halben Stunde etwa, der Küste auf einem vorspringenden Punkte, beinahe eine Stunde von dem Castell entfernt.

»Laßt Eure Ruder ruhen, Freunde,« sagte Hutter mit leiser Stimme, »und sehen wir uns einen Augenblick um. Wir müssen jetzt ganz Aug und Ohr seyn, denn diese Schlangen haben Nasen wie Bluthunde.«

Die Ufer des See’s wurden genau geprüft, um irgend einen Funken Licht zu entdecken, der etwa in einem Lager möchte zurückgeblieben seyn; und die Männer strengten ihre Augen in der Dunkelheit an, um zu sehen, ob nicht vielleicht eine Zeile Rauch am Berg hinziehe, aus der ersterbenden Asche eines Feuers emporsteigend. Nichts Ungewöhnliches war zu erspähen, und da der Platz in einiger Entfernung von dem Ausfluß des See’s oder dem Orte war, wo sie auf die Wilden gestoßen, hielt man für gefahrlos, zu landen. Die Ruder wurden wieder in Bewegung gesetzt, und der Bug des Canoe’s schob sich auf dem kiesigen Ufer mit leiser Bewegung und einem kaum hörbaren Geräusch vor. Hutter und Hurry sprangen ohne Verzug ans Land, der Erstere seine und seines Begleiters Büchse tragend, und ließen Wildtödter zur Bewachung des Canoe’s zurück. Der hohle Baumstamm lag eine kleine Strecke entfernt bergaufwärts; der Alte ging dahin voran, mit solcher Vorsicht, daß er alle drei oder vier Schritte stehen blieb, um zu horchen, ob nicht ein Schritt die Nähe eines Feindes verrathe. Aber die gleiche todtenähnliche Stille herrschte in der ganzen mitternächtlichen Scene, und der gesuchte Platz ward ohne einen beunruhigenden Vorfall erreicht.

»Hier ist es,« flüsterte Hutter, den Fuß auf einen umgestürzten Lindenstamm setzend; »reicht mir zuerst die Ruder, und zieht dann das Boot vorsichtig heraus, denn die Elenden haben es am Ende doch vielleicht nur als Köder da gelassen,«

»Haltet mir meine Büchse bereit, den Kolben gegen mich gekehrt, alter Gesell,« antwortete March, »Wenn sie mich unter meiner Bürde angreifen, so will ich doch wenigstens das Gewehr auf sie abfeuern – und untersucht, ob Pulver auf der Pfanne ist.

»Alles ist in Ordnung,« murmelte der Andere; »geht nur langsam, wenn Ihr Eure Last aufgepackt habt, und laßt mich vorangehen.«

Das Canoe ward mit der äußersten Behutsamkeit aus dem Stamm hervorgezogen, von Hurry auf die Schulter geladen, und Beide traten ihren Rückweg an das Ufer an, nur Schritt für Schritt gehend, um nicht den steilen Abhang hinunter zu straucheln. Die Entfernung war nicht groß, aber der Weg abwärts äußerst schwierig, und gegen das Ende ihres kleinen Marsches mußte Wildtödter landen und zu ihnen stoßen, um ihnen zu helfen, das Canoe durch das Buschwerk zu schleppen. Mit seinem Beistand ward die Aufgabe glücklich gelöst, und das leichte Fahrzeug schwamm bald neben dem andern Canoe. Sobald dieß geschehen, wandten sich alle drei ängstlich gegen den Wald und den Berg hin, in der Erwartung, einen Feind aus jenem hervorbrechen oder von diesem herabeilen zu sehen. Aber die Stille wurde nicht unterbrochen, und Alle schifften sich mit derselben Vorsicht ein, mit welcher sie gelandet hatten.

Jetzt steuerte Hutter gerade auf die Mitte des See’s zu. Nachdem er eine hinreichende Strecke vom Ufer entfernt war, band er seine Beute los und überließ sie frei dem Wasser, wohl wissend, daß sie bei dem leisen Südwind langsam den See hinauf treiben werde, und in der Absicht, bei der Rückkehr sie wieder zu treffen. So seines Taues entledigt, fuhr der Alte den See hinab und steuerte dem vorspringenden Punkt zu, wo Hurry seinen vergeblichen Versuch gegen das Leben des Hirsches gemacht hatte. Da die Entfernung dieses Punktes bis zu der Ausströmung weniger als eine Meile betrug, hieß dieß gleichsam, das Land des Feindes betreten; und verdoppelte Vorsicht wurde nothwendig. Sie erreichten indessen die äußerste Spitze, und landeten ungestört auf dem schon erwähnten kleinen Kiesplatz am Ufer. Ganz anders als an dem Ort, wo sie zuvor gelandet, war hier keine Anhöhe zu erklimmen; die Berge waren in der Dunkelheit erst in der Entfernung einer vollen Viertelmeile weiter westlich sichtbar und ließen zwischen sich und dem Strand einen Strich ebenen Grundes frei. Der vorlaufende Punkt selbst, obgleich lang und mit hohen Bäumen bedeckt, war beinahe flach und hatte eine Strecke weit eine Breite von nur wenigen Schritten; Hutter und Hurry landeten wie zuvor, und ließen wieder ihren Begleiter zur Bewachung des Bootes zurück.

Hier lag der abgestorbne Baum, in dem das Canoe versteckt war, das sie zu suchen kamen, etwa halbwegs zwischen dem äußersten Ende der schmalen Landzunge und dem Punkt, wo sie an die eigentliche Küste sich anschloß; und der Alte, der sich hier das Wasser links so nahe wußte, schlug den Weg auf der östlichen Seite des Landstreifens mit ziemlicher Zuversicht ein, und schritt keck, obwohl mit Vorsicht dahin. Er hatte absichtlich an der Landzunge angelegt, um einen Blick in die Bucht werfen und sich versichern zu können, daß die Küste frei sey, sonst würde er gerade dem hohlen Baum gegenüber gelandet haben. Diesen zu finden hatte keine Schwierigkeit; das Canoe wurde herausgezogen, wie zuvor, und statt es dahin zu schleppen, wo Wildtödter mit dem Boote sich befand, wurde es am ersten günstigen Platz ins Wasser gelassen. Sobald es darin war, trat Hurry hinein, und ruderte zu der Spitze der Landzunge, wohin auch Hutter auf dem kiesigen Uferweg sich begab. Nachdem jetzt die drei Männer alle Boote des See’s in ihrem Besitz hatten, war ihre Zuversicht nicht wenig erhöht, und es war jetzt nicht mehr die vorige fieberhafte Ungeduld, die Küste zu verlassen, noch dieselbe Nothwendigkeit äußerster Vorsicht vorhanden. Ihre Lage am äußersten Ende der langen, schmalen Landzunge vermehrte noch ihr Gefühl von Sicherheit, da sie einem Feind nur in Einer Richtung sich ihnen zu nähern gestattete, von vorn nämlich und unter Umständen, die ihnen, bei ihrer gewohnten Wachsamkeit, die Wahrnehmung seiner Annäherung beinahe mit Gewißheit verbürgten. Jetzt traten alle drei miteinander ans Land und standen in berathender Gruppe auf dem Kiesplatz der Landspitze.

»Wir haben die Kerls hübsch aufs Trockne gesetzt!« sagte Hurry, vor Freude über den gelungenen Anschlag lachend; »wenn sie einen Besuch auf dem Castell machen wollen, mögen sie waten oder schwimmen! Alter Tom, diese Eure Idee, einen Versteck draußen auf dem See anzulegen, ist extrafein und von erster Sorte. Es gibt Leute, die das Land für sichrer halten würden als das Wasser; aber am Ende zeigt die Vernunft, daß dem nicht so ist; denn der Biber, und die Ratten, und andre kluge Creaturen halten sich ans letztere, wenn sie hart gedrängt sind. Ich nenne jetzt unsre Stellung eine wohl verschanzte und biete den Canada’s Trotz!«

»Laßt uns an dieser Südküste hinrudern,« sagte Hutter, »und sehen, ob keine Spur eines Lagers sich zeigt, – aber zuerst laßt mich noch einen genauern Blick in die Bai werfen, denn Keiner von uns ist noch weit genug auf der innern Seite der Landzunge vorgedrungen, um hinlänglich beruhigt zu seyn von dieser Seite her.«

Nachdem Hutter dieß gesagt, schritten alle drei in der von ihm bezeichneten Richtung vor. Kaum waren sie bis zu dem Punkte gekommen, wo sich die Bai recht ihrem Blick eröffnete, als ihr gleichzeitiges, stutzendes Haltmachen zeigte, daß ihre Blicke in demselben Moment auf Einen und denselben Gegenstand gefallen waren. Dieß war nichts weiter, als ein erlöschender Feuerbrand mit seinem hin und her zuckenden, ausgehenden Licht; aber zu dieser Stunde und an diesem Ort war er dem Auge so auffallend, wie »eine gute That in einer häßlichen Welt.« Es war nicht der Schatten eines Zweifels daran übrig, daß dieß Feuer bei einem Lager der Indianer war angezündet worden. Die Lage, der Beobachtung von allen Seiten außer von Einer entzogen, und auch von dieser her nur in einer ganz geringen Entfernung sichtbar, zeigte, daß man größere Sorge getragen, einen verborgnen Ort zu wählen, als man ohne besondere Zwecke würde gethan haben, und Hutter, der wußte, daß eine Quelle, sowie einer der günstigsten Fischplätze des See’s in der Nähe war, vermuthete sogleich, daß dieß Lager wohl die Weiber und Kinder der Truppe enthalten werde.

»Das ist kein Krieger-Lager,« brummte er Hurry zu; »und es schläft da gute Beute genug um das Feuer herum, so daß wir eine tüchtige Theilung von Kopfgeld werden zu machen haben. Schickt den Jungen zu den Canoe’s, denn hier nützt er uns nichts, bei einem solchen Unternehmen, und greifen wir sofort die Sache tüchtig an, als Männer.«

»Es ist Einsicht in Euern Gedanken, alter Tom, und sie gefallen mir durch und durch. Wildtödter, geht Ihr an das Canoe zurück. Junge, und rudert in den See hinaus mit dem kleinen, und laßt es frei treiben, wie wir mit dem andern gethan; dann könnt Ihr an die Küste hinrudern, so nah Ihr dem Anfang der Bai zu kommen vermögt, jedoch außerhalb der Landzunge und auch außerhalb der Gebüsche. Ihr könnt uns hören, wenn wir Eurer bedürfen; und wenn ein Verzug eintritt, so will ich schreien, wie eine Lomme; – da, das ist gut – das Schreien einer Lomme soll das Signal seyn. Wenn Ihr Büchsen knallen hört, und daß es so kriegerisch hergeht, nun dann könnt Ihr herbeikommen, und sehen, ob Ihr mit den Wilden auch so fertig werdet, wie mit dem Wild.«

»Wenn man meinen Wünschen folgen wollte, so unterbliebe diese Sache, Hurry –«

»Ganz wahr – Niemand läugnet das, Junge; aber Euren Wünschen kann man nicht folgen; und damit ist die Sache aus. So rudert Euch denn nur mitten in den See hinaus, und bis Ihr zurückkommt, wird es in diesem Lager lebhaft werden!« Der junge Mann schickte sich mit großem Widerstreben und mit schwerem Herzen an, zu gehorchen. Er kannte jedoch die Vorurtheile der Grenzmänner zu gut, um Gegenvorstellungen zu versuchen. Unter den gegenwärtigen Umständen konnte dieß allerdings gefährlich werden, wie es ganz gewiß nutzlos war. Er ruderte daher das Canoe still und mit der Vorsicht wie früher, nach einem Punkt nahe der Mitte des friedlichen Wasserspiegels, und ließ dann das so eben wieder erlangte Boot in dem leisen Südwind gegen das Castell hin treiben. Zu diesem Verfahren hatte man sich in beiden Fällen entschlossen, in der sichern Voraussetzung, daß die leichten Barken nicht mehr als eine oder zwei Stunden weit treiben würden vor Anbruch des Tages, wo man sie dann leicht wieder würde einholen können. Um zu verhüten, daß nicht ein herumschweifender Wilder sich ihrer bediene, der sich durch Schwimmen in Besitz setzte, ein möglicher, aber kaum zu vermutender Fall – hatte man alle Ruder zurückbehalten.

Sobald Wildtödter das wiedererlangte Canoe auf dem See hatte forttreiben lassen, richtete er den Bug des seinigen nach dem Punkt der Küste zurück, welchen ihm Hurry bezeichnet hatte. So leicht war die Bewegung des kleinen Fahrzeugs, und so stetig der Arm des es in Bewegung setzenden Fährmanns, daß kaum zehn Minuten verfloßen, bis es sich wieder dem Lande näherte, und in dieser kurzen Zeit hatte es eine Entfernung von einer vollen halben Meile zurückgelegt. Sobald Wildtödter’s Auge der Büsche ansichtig wurde, von denen manche wohl hundert Fuß weit von der Küste in’s Wasser hinausreichten, hemmte er die Bewegung des Canoe’s und ließ sein Boot ankern, indem er den dünnen aber zähen Stamm eines der herabhängenden Schilfbüsche mit fester Hand packte. So blieb er, mit einer Spannung, die man sich leicht vorstellen kann, das Ergebniß gewagten Unternehmens abwartend.

Es wäre schwer, dem Geist derjenigen, welche nicht selbst die Erfahrung gemacht haben, einen Begriff zu geben von der Erhabenheit der Stille in einer so tiefen Einsamkeit, wie jetzt über dem Glimmerglas herrschte. Im jetzigen Augenblick ward diese Erhabenheit noch gesteigert durch das Düster der Nacht, die ihre schattenhaften, phantastischen Formen ringsumher auf See, Wald und Berge warf. Es läßt sich in der That nicht leicht ein Ort denken, der geeigneter wäre, diese natürlichen Eindrücke zu erhöhen, als eben der war, wo sich Wildtödter jetzt befand. Der Umfang des See’s faßte Alles im Bereich der menschlichen Sinne zusammen, während er zugleich auf Einem Punkte so viel Imposantes von der umgebenden Scene enthüllte, daß jeder Blick genügte, die tiefsten Eindrücke der Seele zuzuführen. Wie schon gesagt, war dieß der erste See, den Wildtödter sah. Bisher hatte sich seine Erfahrung beschränkt auf den Lauf von Flüssen und kleinen Strömen, und noch nie zuvor hatte er eine solche Fülle der ihm so werthen Wildniß vor seinen Augen ausgebreitet gesehen. Gewöhnt jedoch an den Wald, war seine Seele im Stande, sich alle seine verborgenen Heimlichkeiten auszumalen, indem er seinen Blick auf dessen äußere Laubhülle richtete. Es war dieß auch das erstemal, daß er sich auf einem Streifzug befand, wo Menschenleben von dem Ausgang abhingen. Sein Ohr hatte sich oft berauscht in den Ueberlieferungen von Kriegführung der Grenzmänner, aber noch nie war er einem Feinde Stirn gegen Stirn gegenübergestanden.

Der Leser wird daher leicht begreifen, wie gespannt die Erwartung des jungen Mannes seyn mußte, als er in seinem einsamen Canoe dasaß, bestrebt, den geringsten Laut zu erlauschen, der den Verlauf der Dinge am Ufer andeuten möchte. Seine Bildung in diesem Stück war, so weit die Theorie reichen konnte, vollendet, und seine Selbstbeherrschung und Fassung, trotz der großen Aufregung, der natürlichen Folge von der Neuheit der Sache für ihn – würde einem Veteranen Ehre gemacht haben. Die sichtbaren Zeugnisse vom Vorhandenseyn des Lagers oder des Feuers waren nicht wahrzunehmen von der Stelle aus, wo das Canoe lag, und er sah sich in die Lage versetzt, einzig auf seinen Gehörsinn sich zu verlassen. Er gab keiner Ungeduld Raum, denn die Lehren, die man ihm eingeschärft, hatten ihn die Tugend der Geduld gelehrt, und ihm besonders die Notwendigkeit der Schlauheit bei irgend einem verdeckten Angriff auf die Indianer eingeprägt. Einmal meinte er das Krachen eines dürren Zweiges zu hören, aber seine Erwartung und Aufmerksamkeit war so lebhaft, daß sie ihn mochte getäuscht haben. In solcher Weise verstrich Minute auf Minute, bis die gesammte Zeit seit seiner Trennung von seinen Begleitern eine volle Stunde betrug. Wildtödter wußte nicht, ob er sich über diese vorsichtige Zögerung freuen oder betrüben sollte, denn wenn sie ihn das Beste für seine Genossen hoffen ließ, so verkündigte sie auch das drohende Verderben der Schwachen und Unschuldigen.

Anderthalb Stunden mochten jetzt seit der Trennung von seinen Gesellen verflossen seyn, als Wildtödter aufmerksam gemacht wurde durch einen Ton, der ihn eben so überraschte, als mit lebhafter Unruhe erfüllte: der zitternde Schrei einer Lomme erhob sich von der gegenüberliegenden Seite des See’s, allem Anschein nach nicht weit entfernt von seiner Ausströmung. Er täuschte sich nicht über die Töne dieses Vogels, die Allen so bekannt sind, welche die verschiedenen Töne in der Nähe der amerikanischen See’n kennen. Schrillend, tremulirend, laut und langgehalten scheinen sie der eigentliche Warnungsruf zu seyn. Man hört sie auch oft bei Nacht – eine Ausnahme von der Weise der meisten gefiederten Bewohner der Wildniß, und ein Umstand, welcher Hurry bewogen, gerade diesen Ruf zum Signal zu wählen. Allerdings hatten die beiden Abenteurer Zeit gehabt, zu Land von dem Punkt, wo sie sich getrennt hatten, bis dahin zu gelangen, woher der Ruf kam, aber doch war es nicht wahrscheinlich, daß sie einen solchen Weg sollten eingeschlagen haben. Wäre das Lager leer gewesen, so hätten sie wohl Wildtödter an die Küste berufen, fanden sich aber Bewohner darin, so ließ sich kein befriedigender Grund denken, warum sie es umgangen haben sollten, um in so großer Entfernung sich wieder einzuschiffen. Gehorchte er dem Signal und ließ sich von dem Landungsplatz weg locken, so konnte das Leben der Männer, die sich auf ihn verließen, darüber verloren gehen; und ließ er den Ruf unbeachtet, in der Annahme, daß er wirklich von einem Vogel herrühre, so konnten die Folgen eben so unglücklich seyn, obwohl aus andern Ursachen. In dieser Ungewißheit wartete er zu, in der sichern Hoffnung, der Ruf, nachgemacht oder natürlich, werde bald wiederholt werden. Auch täuschte er sich nicht. Nur wenige Minuten verstrichen, bis derselbe schrille, warnende Schrei wiederholt wurde, und zwar von derselben Seite des See’s. Dießmal, da er scharf aufmerkte, ließen sich seine Sinne nicht täuschen. Obgleich er oft schon bewundrungswerthe Nachahmungen des Rufs dieses Vogels gehört hatte, und selbst keineswegs Meister der Kunst war, seine Noten nachzuahmen, fühlte er sich doch überzeugt, daß Hurry, dessen Versuchen in dieser Kunst er schon zugehört, nimmermehr der Natur in so völliger Treue nahekommen könnte. Er beschloß daher, auf diesen Schrei nicht zu achten, und zu warten, bis ein minder vollkommner in größerer Nähe ertöne.

Kaum hatte Wildtödter diesen Entschluß gefaßt, als die tiefe Stille der Nacht und Einsamkeit unterbrochen ward durch einen so erschütternden Schrei, daß alle Erinnerungen an den mehr schwermüthigen Ruf der Lomme aus der Seele des Horchenden verdrängt ward. Es war ein Schrei des Entsetzens entweder aus dem Munde eines Weibes oder eines noch jungen Knaben, der noch nicht die männliche Stimme hatte. Dieser Schrei ließ sich nicht mißdeuten. Herzzereißende Angst, wenn nicht zermalmende Todesangst, lag in den Tönen, und der Schrecken oder Schmerz, der sie hervorgerufen, mußte eben so plötzlich als entsetzlich gewesen seyn. Der junge Mann ließ den Schilf fahren, und tauchte sein Ruder in das Wasser; aber was thun? er wußte es nicht; wohin steuern? er wußte es auch nicht. Wenige Augenblicke reichten hin, seiner Unentschiedenheit ein Ende zu machen. Das Brechen von Aesten, das Krachen dürrer Zweige und Fußtritte wurden ganz deutlich hörbar: die Töne schienen sich dem Wasser zu nähern, obwohl in einer Richtung, die sich der Küste schräg näherte, und etwas weiter nördlich als die Stelle, wo Wildtödter zu halten angewiesen worden war. Dieser Spur folgend fuhr der junge Mann mit seinem Canoe dorthin, wenig darum bekümmert, ob und wie er seine Gegenwart verrathe. Er hatte einen Punkt der Küste erreicht, wo das nächste Ufer ziemlich hoch und sehr steil war. Es war unverkennbar, daß Männer durch die Gebüsche und Bäume auf dem Gipfel dieser Uferhöhe, dem Strand zu, hindurch sich schlugen, als ob die Fliehenden einen günstigen Ort zum Herabsteigen suchten. Gerade in diesem Augenblicke blitzten fünf oder sechs Büchsen, und die Berge gegenüber wiederholten in langem, rollendem Echo, wie gewöhnlich, den Knall. Ein paar kreischende Ausrufe, denen ähnlich, wie sie auch den Muthigsten entschlüpfen, wenn sie plötzlich von unerwarteter Gefahr und Noth überrascht werden, folgten; und dann begann wieder das Gewühle in den Gebüschen, wie wenn Mann mit Mann handgemein wäre.

»Glatter Teufel!« brüllte Hurry mit der Wuth getäuschter Erwartung – »seine Haut ist eingeölt! Ich kann ihn nicht packen! Nimm das für deine List!«

Diesen Worten folgte der Fall eines schweren Körpers unter den kleinen Bäumen, welche die Uferhöhe einfaßten, und es kam Wildtödter vor, als habe sein gigantischer Genosse einen Feind in dieser unhöflichen Weise von sich weggeschleudert. Wieder begann die Flucht und die Verfolgung, und dann sah der junge Mann eine menschliche Gestalt die Anhöhe herunter eilen, und einige Schritte weit in’s Wasser sich stürzen. In diesem kritischen Augenblick war das Canoe gerade dem Platz nahe genug, daß dieß Beginnen, das von einem nicht kleinen Geräusch begleitet war, gesehen werden konnte; und Wildtödter, erkennend, daß er hier, wenn immer, seine Genossen in’s Schiff aufnehmen müsse, drängte das Canoe zu ihrer Rettung heran. Er hatte noch nicht zweimal sein Ruder erhoben, als man die Stimme Hurry’s die Luft mit Flüchen und Verwünschungen erfüllen hörte, und er auf dem schmalen Kiesufer niederrollte, im buchstäblichen Sinn von der Last seiner Feinde niedergezogen. Während er, beinahe erstickt von seinen Feinden, am Boden da lag, stieß der athletische Grenzmann seinen Lommenruf aus, in einer Weise, die unter minder furchtbaren Umständen hätte Lachen erregen müssen. Der Mann im Wasser schien plötzlich seine Flucht zu bereuen, und eilte an die Küste, seinem Genossen zu Hülfe, ward aber augenblicklich aufgehalten und übermannt von einem Halbdutzend neuer Verfolger, die so eben von der Uferhöhe herabsprangen.

»Laßt los, ihr bemaltes Wurmgezüchte – laßt los!« schrie Hurry, zu hart gedrängt, um noch besonders wählerisch in seinen Ausdrücken zu seyn; »ist es nicht genug, daß ich geklemmt bin wie ein Sägeklotz, daß Ihr mich auch noch erstickt?«

Diese Rede überzeugte Wildtödter, daß seine Freunde Gefangene waren, und daß landen so viel wäre, als ihr Schicksal theilen. Er hatte sich dem Ufer schon auf hundert Schuhe genähert, als einige zeitgemäße Ruderschläge nicht nur das Canoe in seinem Lauf aufhielten, sondern ihn auch um das Sechs- oder Achtfache von seinen Feinden entfernten. Zum Glück für ihn hatten alle Indianer bei der Verfolgung ihre Büchsen weggeworfen, sonst hätte er diesen Rückzug schwerlich ungefährdet bewerkstelligt; obgleich in der ersten Verwirrung des Handgemenges Keiner das Canoe bemerkt hatte.

»Bleibt weg vom Land, Junge!« schrie Hutter; »die Mädchen haben jetzt nur noch Euch zur Stütze: Ihr werdet all Eure Vorsicht brauchen können, diesen Wilden zu entgehen. Bleibt vom Lande weg, und Gott sey Euch gnädig, so wahr Ihr meinen Kindern beisteht!«

Es war im Ganzen wenig Uebereinstimmung der Gefühle zwischen Hutter und dem jungen Mann; aber die körperliche und Seelen-Pein, womit diese dringenden Worte gerufen wurden, machten für den Augenblick Wildtödter ganz die Fehler von jenem vergessen. Er sah nur den Vater in seiner Qual in ihm, und beschloß sofort, die Versicherung der Treue gegen seine Interessen zu geben, und sein Wort ehrlich zu halten.

»Beruhigt Euer Herz, Meister Hutter!« rief er; »für die Mädchen soll Sorge getragen werden, so wie für das Castell. Der Feind hat die Küste in Besitz genommen. Das kann man nicht leugnen, aber nicht das Wasser. Die Vorsehung hat Alles in ihrer Obhut, und Niemand kann sagen, was das Ende seyn wird, aber wenn guter Wille Euch und den Eurigen dienen kann, so verlaßt Euch darauf. Meine Erfahrung ist klein, aber mein Wille ist gut.«

»Ja, ja, Wildtödter,« rief Hurry zurück mit seiner Stentorstimme, die aber doch Etwas von ihrer Herzhaftigkeit verloren hatte.– »Ja, ja, Wildtödter, Ihr meint es gut in Allem, aber was könnt Ihr thun? Ihr seyd nichts Besonderes in den besten Zeiten, und eine solche Person wird schwerlich ein Wunderthäter in den schlimmsten Zeiten! Für Einen Wilden an der Küste dieses See’s sind hier ihrer vierzig, und das ist eine Armee, die zu überwältigen Ihr nicht der Mann seyd. Das Beste, nach meinem Urtheil, wird seyn, wenn Ihr Euch geraden Weges nach dem Castell aufmacht; nehmt die Mädchen mit einigen Nahrungsmitteln in das Canoe; dann fahret nach der Seite des See’s, wo wir her kamen, und schlagt den nächsten Weg nach dem Mohawk ein. Diese Teufel werden in den nächsten paar Stunden nicht wissen, wo Euch aufsuchen, und wenn sie’s auch wüßten, und Euch hitzig nachsetzten, müßten sie entweder oben oder unten um den See herum, Euch einzuholen. Das ist meine Ansicht in der Sache; und wenn der alte Tom da seinen letzten Willen und Testament zu Gunsten seiner Töchter zu machen Lust hat, so wird er dasselbe sagen.«

»Es wird Nichts helfen, junger Mann,« begann Hutter. – »Der Feind hat in diesem Augenblick schon Späher ausgesandt, die nach Canoe’s suchen, und man wird Euch sehen und einholen. Vertraut auf das Castell; und vor Allem, bleibt vom Lande weg. Haltet Euch eine Woche, so werden schon Truppen aus den Garnisonen die Wilden vertreiben.«

»Es wird nicht vierundzwanzig Stunden anstehen, alter Gesell, bis diese Füchse auf Flößen aufs Wasser gehen, Euer Castell zu stürmen,« unterbrach ihn Hurry mit lebhafterer Streitlust, als man bei einem Manne hätte erwarten sollen, der gebunden und ein Gefangner war, und an dem man Nichts frei nennen konnte, als seine Meinung und seine Zunge. »Euer Rath klingt tüchtig, aber er wird ein übles Ende haben. Wäret Ihr oder wäre ich in dem Hause, so könnten wir wohl einige Tage uns halten; aber bedenkt, daß dieser Junge vor dieser Nacht noch nie einen Feind gesehen, und das hat, was Ihr selbst ein Ansiedler-Gewissen nennt; obwohl ich für meinen Theil glaube, daß die Gewissen in den Ansiedlungen so ziemlich dieselben sind, wie die hier in den Wäldern. Diese Wilden machen mir Zeichen, Wildtödter, Euch aufzufordern, daß Ihr mit dem Canoe landet; aber das werde ich nimmermehr thun, da es gegen Vernunft und Natur ist. Was den alten Tom und mich betrifft, ob sie uns heute Nacht skalpiren, uns für die Tortur am Feuer aufbewahren, oder uns nach Canada führen werden, das ist Mehr als irgend Jemand weiß, außer dem Teufel, der sie bei ihrem Thun leitet und berathet. Ich habe einen so großen und buschigten Kopf, daß es mir ganz wahrscheinlich ist, sie werden versuchen, zwei Skalpe daraus zu machen, denn der Preis ist eine verführerische Sache, sonst wären der alte Tom und ich nicht in dieser Klemme. Ja – da machen sie immer wieder ihre Zeichen, aber wenn ich Euch rathe, ans Land zu kommen, so mögen sie mich nicht nur rösten, sondern auch fressen. Nein, nein, Wildtödter, bleibt, wo Ihr seyd, und nach Tagesanbruch nähert Euch in keinem Fall über zweihundert Schritte. –«

Dieser Ermahnung Hurry’s ward plötzlich ein Ende gemacht durch einen derben Schlag einer Hand auf seinen Mund – ein zuverlässiger Beweis, daß Einer in der Truppe genug Englisch verstand, um endlich die Absicht seiner Rede zu merken. Unmittelbar darauf verlor sich die ganze Gruppe in dem Wald, und allem Anschein nach sträubten sich Hutter und Hurry nicht gegen ihre Abführung. Eben jedoch, als das Geräusch der knisternden Büsche aufhörte, vernahm man noch einmal die Stimme des Vaters:

»Wie Ihr treu seyd gegen meine Kinder, so helfe Euch Gott, junger Mann!« dieß waren die Worte, welche Wildtödters Ohr erreichten; dann sah er sich ganz allein, und den Eingebungen seiner eignen Klugheit überlassen.

Einige Minuten verstrichen in Todesstille, nachdem die Bande an der Küste in den Wäldern verschwunden war. Vermöge der über zwei hundert Schritte betragenden Entfernung, und der Dunkelheit hatte Wildtödter nur die Gruppe unterscheiden und ihren Rückzug bemerken können; aber selbst diese dämmernde Berührung mit menschlichen Gestalten gab der Scene eine Belebtheit, welche einen starken Kontrast mit der jetzt wieder eintretenden Einsamkeit bildete. Obwohl sich der junge Mann horchend vorbeugte, den Athem anhielt, und alle seine Kräfte in den Einen Sinn des Hörens zu koncentriren sich bestrebte, erreichte doch kein weiterer Laut sein Ohr, der die Nähe menschlicher Wesen verrathen hätte. Es schien, als ob ein nie unterbrochnes Schweigen wieder über der Gegend waltete; und einen Augenblick wäre selbst der durchdringende Schrei, welcher vor Kurzem die Stille des Waldes unterbrochen hatte, oder einer der Flüche March’s, eine Erleichterung gewesen bei dem Gefühl von Verlassenheit, das sich dabei der Seele aufdrängte.

Eine solche körperliche und geistige Lähmung konnte jedoch nicht lange währen bei einem Manne von Wildtödters leiblicher und geistiger Organisation. Sein Ruder ins Wasser senkend, wandte er das Canoe um, und fuhr langsam, wie Einer, der im Gehen denkt, dem Mittelpunkt des See’s zu. Als er glaubte, einen Punkt erreicht zu haben in Einer Linie mit dem, wo er das letzte Canoe hatte hintreiben lassen, änderte er seine Richtung nördlich, und behielt den leichten Luftzug möglichst im Rücken. Nachdem er eine Viertelmeile in dieser Richtung gerudert, wurde ein dunkler Gegenstand auf dem See sichtbar, ein wenig rechts; und zu dem Behufe sich seitwärts haltend, hatte er bald seine verlorene Prise an seinem Boot befestigt. Jetzt untersuchte Wildtödter den Himmel, den Strich des Windes und die Stellung der beiden Canoe’s. Da er Nichts fand, was ihn zur Aenderung seines Plans hätte veranlassen können, legte er sich nieder, und schickte sich an, einige Stunden Schlafs zu genießen, damit ihn der morgende Tag tüchtig zur Erfüllung seiner Obliegenheiten finde.

Obwohl Abhärtung und Ermüdung gesunden Schlaf schaffen auch in der Nähe der Gefahr, dauerte es doch einige Zeit, bis Wildtödter seiner Erinnerungen los und ledig wurde. Sein Geist beschäftigte sich noch mit dem Vorgefallenen, und seine halbbewußten Geisteskräfte gestalteten immerfort die Ereignisse der Nacht zu einer Art von wachem Traum. Plötzlich war er aufgefahren und ganz munter, denn er hatte sich eingebildet, Hurry’s verabredetes Signal zu hören, das ihn ans Ufer rief. Aber Alles war wieder still wie das Grab, die Canoe’s trieben jetzt langsam nordwärts, die ernsten Sterne schimmerten in ihrer milden Glorie über seinem Haupt, und der waldumschlossene Wasserspiegel lag zwischen seinen Bergen gebettet, so friedlich und melancholisch, als ob ihn nie Stürme aufstörten, oder die Mittagssonne beglänzte. Noch einmal erhob die Lomme ihr zitterndes Geschrei, nahe am untern Ende des See’s, und das Geheimniß des beunruhigenden Tones war erklärt. Wildtödter machte sich sein hartes Kissen zurecht, streckte sich auf dem Boden des Canoe’s aus, und schlief.

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Du Gegenbild der wilden Welt, die ich
Bewohnt, o Leman! Deine Wasser schwellen
In süßer Ruh: Zu lauschen mahnt sie mich
Der Erde trübe Fluch für reinre Quellen,
Lautlos entführt der Kahn mich auf dem hellen,
Freundlichen See all meinem Leid! Wohl lang
liebt ich ein tobend Meer; doch deine Wellen,
Sie schmählen sanft, wie Schwesterstimmen Klang,
Daß je so rauhe Lust so mächtig mich bezwang.
Byron.

Der Tag war so ziemlich angebrochen, als der junge Mann, den wir in der im letzten Kapitel geschilderten Lage verließen, die Augen wieder öffnete. Sobald dieß geschehen, sprang er auf und sah sich um mit der Lebhaftigkeit eines Mannes, der plötzlich fühlte, wie wichtig es für ihn sey, sich eine genaue Anschauung von seiner Stellung zu verschaffen. Sein Schlaf war tief und ungestört gewesen; und jetzt wachte er auf mit einer Klarheit des Geistes und einer Entschlossenheit und Energie, die er in diesem Augenblick gerade wohl brauchen konnte. Die Sonne war zwar noch nicht aufgegangen, aber das Gewölbe des Himmels prangte in jener herzerfreuenden sanften Röthe, die ›den Tag anführt und schließt‹, während die ganze Luft erfüllt war von dem Gejauchze der Vögel, den Hymnen des gefiederten Geschlechts. Diese Töne verkündeten Wildtödter zuerst die Gefahren, denen er ausgesetzt war. Die Luft, denn Wind konnte man es kaum nennen, war zwar noch gelind, aber sie war doch im Laufe der Nacht etwas stärker geworden, und da die Canoe’s bloße Federn auf dem Wasser waren, waren sie doppelt so weit fortgetrieben worden, als man berechnet hatte; und was noch gefährlicher, sie hatten sich so sehr dem Fuß des Berges genähert, der hier steil von der östlichen Küste emporstieg, daß das Gejauchze und Schmettern der Vögel ganz deutlich gehört werden konnte. Und dieß war noch nicht das Schlimmste. Das dritte Canoe hatte dieselbe Richtung genommen und trieb langsam einem vorspringenden Punkt zu, wo es unvermeidlich anstoßen mußte, wenn es nicht durch einen entgegengesetzten Windstoß oder durch Menschenhände abgelenkt wurde. Sonst bot sich Nichts dar, was die Aufmerksamkeit anziehen oder Unruhe erwecken konnte. Das Castell stand auf seiner Untiefe, beinahe in gleicher Linie mit den Canoe’s, welche im Verlauf der Nacht Meilen weit waren fortgetrieben worden, und die Arche war an dessen Pfeilern befestigt, gerade wie man beide vor vielen Stunden verlassen hatte.

Natürlich richtete Wildtödter sein Augenmerk zuerst auf das vorangeschwommene Canoe. Es war dem Landvorsprung schon ganz nahe, und ein paar Ruderschläge schon überzeugten ihn, daß es denselben berühren müsse, ehe es ihm möglich wäre, dasselbe einzuholen. Gerade in diesem Augenblicke wehte auch, sehr ungelegen, der Wind frischer, und machte das Weitertreiben des leichten Fahrzeuges rascher und sichrer. Ueberzeugt von der Unmöglichkeit, die Berührung mit dem Lande zu hindern, entschloß sich der junge Mann klüglich, sich nicht durch unnöthige Anstrengungen zu erhitzen; sondern zuerst nach der Pfanne seines Gewehrs sehend, ruderte er dann langsam und vorsichtig auf den Vorsprung zu, und beschrieb absichtlich einen kleinen Bogen, um bei seiner Annäherung nur von Einer Seite her sich auszusetzen.

Das treibende, von keiner solchen intelligenten Kraft gelenkte Canoe verfolgte seinen eignen Weg, und fuhr auf einem kleinen versunkenen Fels drei oder vier Schritte von der Küste auf. Gerade in diesem Augenblicke kam Wildtödter in gleiche Linie mit dem Vorsprung, und wandte den Bug seines eignen Bootes gegen das Land: zuerst machte er sein Tau los, damit seine Bewegungen nicht gehemmt würden. Das Canoe hing einen Augenblick an dem Felsen! dann erhob es sich ein Haarbreit bei einem kaum merklichen Anschwellen des Wassers, drehte sich herum, wurde flott und erreichte den Strand. Alles dieß bemerkte der junge Mann, aber es beschleunigte weder seinen Pulsschlag noch trieb es seine Hand zur Eile. Hätte Jemand verborgen gewartet auf die Ankunft des führerlosen Fahrzeugs, so mußte er gesehen werden, und die äußerste Vorsicht bei der Annäherung ans Ufer war unerläßlich; lag aber Niemand da auf der Lauer, so war Eile überflüssig. Da der Vorsprung dem indianischen Lager beinahe schräg gegenüber lag, hoffte er das Letztere, obgleich das Erste nicht nur möglich, sondern, auch wahrscheinlich war; denn die Wilden waren gar rasch in Ergreifung aller, ihrer eigenthümlichen Weise der Kriegführung angehörigen Maßregeln, und sehr wahrscheinlich waren viele Späher von ihnen auf den Beinen, um die Küste nach Fahrzeugen zu durchsuchen, die sie nach dem Castell bringen könnten. Da ein Blick auf den See von jeder Höhe und jedem Vorsprung aus die kleinsten Gegenstände auf seiner Fläche zeigte, war wenig Hoffnung, daß eines von den Canoe’s ungesehen bleiben würde; und indianischer Scharfsinn brauchte keine Belehrung darüber, in welcher Linie ein Boot oder ein Baumstamm treiben müsse, wenn die Richtung des Windes einmal bekannt war. Je näher Wildtödter dem Lande kam, um so langsamer erfolgten die Schläge seiner Ruderschaufel, um so wachsamer sein Auge, und Ohr und Nase dehnten sich beinahe aus über dem angestrengten Bestreben, irgend eine lauernde Gefahr zu entdecken. Es war ein bedenklicher Augenblick für einen Neuling, auch fehlte die Aufmunterung, welche selbst Furchtsame manchmal finden in dem Bewußtseyn, beobachtet und beurtheilt zu werden. Er war ganz allein, ganz auf seine eigne Kraft und Eingebung angewiesen, von keinem Freundesauge angefeuert, von keinem ermuthigenden Zuruf angespornt. Trotz all diesen Umständen hätte doch der im Grenzmännerkrieg erfahrenste Veteran seine Sache nicht besser machen können. Gleich weit entfernt von Tollkühnheit und Aengstlichkeit bewerkstelligte er sein Vorrücken mit einer Art von philosophischer Klugheit, die ihn über alle andern Motive zu erheben schien, außer denjenigen, die zunächst die Ausführung seines Zweckes betrafen und förderten. Dieß war der Anfang einer Laufbahn des Waldheldenthums, die nachmals diesen Mann, in seiner Art, und innerhalb der Grenzen seiner Lebensart und seiner Thatensphäre so berühmt machte, wie manchen Helden, dessen Name die Blätter von Werken geschmückt hat, berühmter als solche einfache Erzählungen, wie diese je werden können.

Etwa noch hundert Schritte weit vom Ufer entfernt, erhob sich Wildtödter im Canoe, führte drei oder vier kräftige Ruderschläge, welche hinreichten, die Barke vollends ans Land treiben zu machen, legte dann rasch das Schifferinstrument bei Seite, und ergriff das des Krieges. Eben war er im Begriff, seine Büchse aufzuheben, als auf einen starken Knall das Zischen einer Kugel folgte, welche so nahe an ihm vorbeiflog, daß er unwillkührlich zurückfuhr. Im nächsten Augenblick taumelte Wildtödter und fiel seiner ganzen Länge nach auf den Boden des Canoe’s. Ein gellender Ruf – von einer einzelnen Stimme – folgte, und ein Indianer sprang aus dem Gebüsch auf den offenen Platz der Landspitze und dem Canoe zu. Das war der Augenblick, den der junge Mann gewünscht. Er erhob sich augenblicklich und legte seine Büchse auf seinen ungeschützten Feind an; aber sein Finger zögerte, abzudrücken auf einen Menschen, der in solchem Nachtheil ihm gegenüber stand. Dieser kleine Verzug wahrscheinlich rettete dem Indianer das Leben, der so rasch wieder in das Versteck zurück sprang als er herausgestürzt war. Inzwischen hatte sich Wildtödter rasch dem Lande genähert und sein eignes Canoe berührte den Vorsprung gerade in dem Augenblick, wo sein Feind verschwand. Da seine Bewegungen nicht gelenkt wurden, berührte es die Küste einige Schritte entfernt von dem andren Boot; und obgleich sein Feind erst seine Büchse zu laden hatte, hatte er doch keine Zeit, seiner Beute sich zu versichern und sie außer dem Bereich einer Gefahr wegzuführen, ohne sich noch einem Schuß auszusetzen. Unter solchen Umständen daher zögerte er nicht einen Augenblick, sondern stürzte sich in den Wald und suchte sich einen Schirm und Schild.

Gleich auf dem Vorsprung war ein kleiner offner Platz, theils mit Graswuchs bedeckt, theils Uferplatz, aber ein dichter Saum von Gebüschen umzog seine obere Seite. Wenn man an diesem schmalen Streif zwerghafter Vegetation vorüber war, gelangte man sogleich in die hohen, düstern Gewölbe des Waldes. Das Land war einige hundert Fuß weit ziemlich eben und dann stieg es steil bergan. Die Bäume waren hoch, groß und so frei von Unterholz, daß sie gewaltigen unregelmäßig zerstreuten Säulen glichen, die eine Kuppel von Laub trugen. Obwohl sie ziemlich dicht an einander standen für ihr Alter und ihre Größe, konnte doch das Auge in ansehnliche Entfernungen vordringen, und selbst Schaaren von Männern hätten unter ihrem Schutz mit Einsicht und Einverständniß ein Gefecht liefern können.

Wildtödter wußte, daß sein Gegner mit dem Laden beschäftigt seyn mußte, wenn er nicht geflohen war. Jenes war, wie sich zeigte, wirklich der Fall, denn kaum hatte sich der junge Mann hinter einen Baum gestellt, als er des Arms eines Indianers ansichtig ward, dessen Körper hinter einer Eiche sich versteckte, wie er eben die lederumwickelte Kugel in den Lauf stieß. Nichts wäre leichter gewesen, als vorspringen und die Sache entscheiden durch einen Angriff aus der Nähe auf seinen unvorbereiteten Feind; aber jedes Gefühl Wildtödters empörte sich gegen einen solchen Schritt, obgleich eben erst sein Leben durch einen ähnlichen Angriff aus gedecktem Hinterhalt bedroht gewesen war. Er war noch nicht geübt in den mitleidslosen Maßregeln der Kriegführung der Wilden, wovon er wenig wußte außer durch Ueberlieferung und Theorie, und es erschien ihm als ein unwürdiger Vortheil, einen unbewaffneten Feind anzugreifen. Seine Farbe war dunkler geworden, sein Auge sprühte grimmig, sein Mund war zusammengezogen und alle seine Kräfte gesammelt und gespannt; aber statt vorwärts zu gehen und zu feuern, ließ er seine Büchse sinken in der Art, wie ein Waidmann thut, der im Begriff ist, seinen Zielpunkt in’s Auge zu fassen, und murmelte vor sich hin, selbst nicht wissend, daß er sprach:

»Nein, nein – das mag Kriegführung der Rothhäute seyn, aber es ist gegen die Gaben eines Christen. Mag der Elende laden, und dann wollen wir es abmachen wie Männer; denn das Canoe darf er und soll er nicht haben. Nein, nein! Zeit soll er haben zum Laden, und Gott wird sich des Rechts annehmen!«

Während dieser ganzen Zeit war der Indianer so mit sich und seinen Bewegungen beschäftigt, daß er nicht einmal wußte, daß sein Feind im Walde sich befand. Seine einzige Befürchtung war die, das Canoe möchte in Besitz genommen und weggeführt werden, ehe er gefaßt wäre, dieß zu verhindern. Er hatte instinctmäßig den Schutz des Baumes gesucht, befand sich aber nur wenige Schritte von dem Saum von Buschwerk entfernt, und konnte in einem Augenblick am Rande des Waldes seyn, bereit zu feuern. Der Abstand zwischen ihm und seinem Feind betrug etwa fünfzig Schritte und die Bäume waren von der Natur so geordnet, daß der Blick durch kein Hinderniß unterbrochen wurde, außer durch eben die Bäume, hinter welchen die beiden Feinde sich bargen.

Sobald der Wilde seine Büchse geladen, sah er sich um, und schritt vor, unvorsichtig, in Betracht der wirklichen Stellung seines Feindes, aber verstohlen und behutsam in Bezug auf diejenige, worin er denselben fälschlich vermuthete, bis er ganz frei und unbeschützt dastand. Jetzt trat Wildtödter hinter seinem Versteck hervor und rief ihn an.

»Hierher, Rothhaut; hierher, wenn Ihr mich sucht,« rief er ihm zu. »Ich bin jung im Krieg, aber nicht so jung, daß ich auf einen freien, offenen Uferplatz träte, um mich wie eine Eule niederschießen zu lassen am hellen Tage. Es hängt von Euch ab, ob Friede oder Krieg zwischen uns ist; denn meine Gaben sind weiße Gaben, und ich gehöre nicht zu denen, die es für eine Heldenthat halten, menschliche Sterbliche einzeln in den Wäldern zu erschlagen,«

Der Wilde war nicht wenig betroffen bei dieser plötzlichen Entdeckung der Gefahr, worin er schwebte. Er verstand jedoch ein Wenig Englisch, und merkte, wohin ungefähr des Andern Rede zielte. Auch war er zu wohl geübt und geschult, um Schrecken zu verrathen, sondern er ließ den Kolben seiner Büchse auf den Boden sinken und machte, mit einem Wesen, das Zuversicht ausdrückte, eine Geberde stolzer Höflichkeit. Alles das geschah mit der Selbstbeherrschung und Sicherheit eines Mannes, der keinen Menschen als über sich stehend anzuerkennen gewohnt ist. Aber während er seine Rolle mit so vollendeter Kunst spielte, machte doch der in ihm tobende Vulkan seine Augen sprühen und seine Nüstern sich dehnen, wie bei einem wilden Thier, das plötzlich gehindert wird, den todbringenden Sprung auszuführen.

»Zwei Canoe,« sagte er, in den tiefen Gutturaltönen seiner Race, die gleiche Zahl Finger emporhaltend, um Mißverständnisse zu verhüten; »eins für Euch, eins für mich.«

»Nein, nein, Mingo, so geht es nicht. Euch gehört keins; und Ihr sollt auch keines haben, so lang ich es verhindern kann. Ich weiß, es ist Krieg zwischen Eurem Volk und dem meinigen, aber das ist kein Grund, warum menschliche Sterbliche einander umbringen sollten, wie wilde Creaturen, die sich in den Wäldern begegnen; geht denn Eures Wegs und laßt mich den meinigen gehen. Die Welt ist groß genug für uns Beide; und wenn wir uns in ehrlicher Schlacht begegnen, nun dann wird der Herr über unser Beider Schicksal verfügen!«

»Gut!« rief der Indianer; »mein Bruder ein Missionär – großer Redner; Alles von Manitou.« »Nicht so, nicht so, Krieger. Ich bin nicht gut genug für die Mährischen Brüder, und zu gut für die meisten andern Vagabunden, die in den Wäldern herumpredigen. Nein, nein, ich bin nur ein Jäger, bis jetzt, obgleich es wohl möglich, ehe wieder Friede ist, daß ich Gelegenheit haben werde, einen Schlag gegen diesen und jenen von Euren Leuten zu führen. Doch wünsche ich, daß das in ehrlichem Gefecht geschehe, und nicht bei einem Hader um den Besitz eines elenden Canoe.«

»Gut! – Mein Bruder sehr jung – aber sehr weise. Kleiner Krieger – großer Redner. Häuptling, manchmal im Rathe.«

»Ich weiß das nicht, sage das auch nicht, Indianer,« versetzte Wildtödter, etwas erröthend bei dem schlechtverhehlten Sarkasmus in dem Benehmen des Andern, »ich sehe einem Leben in den Wäldern entgegen, und ich hoffe nur, es werde ein friedliches seyn. Alle jungen Männer müssen den Kriegspfad betreten, wenn sich dazu Gelegenheit bietet, aber Krieg ist nicht nothwendig Metzelei. Von dieser habe ich in der letzten Nacht genug gesehen, um zu wissen, daß die Vorsehung sie mit Mißfallen ansieht; und ich fordre Euch jetzt auf, Eurer Wege zu gehen, wie ich der meinigen gehen will, und hoffe, daß wir als Freunde scheiden.«

»Gut! Mein Bruder hat zwei Skalpe – graues Haar unter dem andern. Alte Weisheit – junge Zunge.«

Hier trat der Wilde zuversichtlich näher, die Hand ausstreckend, sein Angesicht lächelnd, und seine ganze Haltung zeigte Freundschaft und Achtung. Wildtödter nahm die dargebotene Freundschaft in geeigneter Art an, und sie schüttelten sich herzlich die Hände, Jeder bestrebt, den Andern von seiner Aufrichtigkeit und Friedensliebe zu überzeugen.

»Jeder das Seinige haben!« sagte der Indianer; »mein Canoe mein; Euer Canoe Euer; geht zu sehen; wenn’s Euer, behaltet’s; wenn’s mein, ich behalten.«

»Das ist billig, Rothhaut; aber Ihr müßt im Irrthum seyn, wenn Ihr das Canoe für Euer Eigenthum haltet. Jedoch, sehen ist glauben, und wir wollen an den Strand hinunter gehen, wo Ihr mit eignen Augen schauen könnt; denn wahrscheinlich werdet Ihr Euch nicht entschließen, den meinigen nicht ganz zu vertrauen.«

Der Indianer ließ seinen Lieblingsausruf: »Gut!« vernehmen, und dann schritten sie neben einander der Küste zu. In dem Benehmen Beider war kein Mißtrauen sichtbar; der Indianer ging voran, als wollte er seinem Begleiter zeigen, daß er sich nicht fürchte, ihn in seinem Rücken zu haben. Als sie den freien Platz erreichten, deutete Jener auf Wildtödters Boot und sagte mit Nachdruck:

»Das nicht mein – Bleichgesichts Canoe; nicht rothen Mannes. Will nicht andrer Leute Canoe – will nur mein eignes.«

»Ihr seyd im Irrthum, Rothhaut, Ihr seyd ganz im Irrthum. Dieß Canoe war in des alten Hutters Verwahrung und ist sein, nach allen Gesetzen und Rechten, rothen oder weißen, bis der Eigenthümer kommt, es zu fordern. Da sind die Sitze und die Fugung der Barke, die für sich selbst sprechen. Kein Mensch hat je gesehen, daß ein Indianer solche Arbeit gemacht.«

»Gut. Mein Bruder wenig alt – dicke Weisheit. Indianer es nicht machen. Weißen Mannes Arbeit.«

»Ich bin froh, daß Ihr so denkt, denn die Behauptung des Gegentheils hätte böses Blut zwischen uns gemacht; denn freilich hat Jeder das Recht, von dem Seinigen Besitz zu nehmen. Ich will nur gleich das Canoe hinausschieben aus dem Bereich des Streites, als der kürzeste Weg, Schwierigkeiten ins Reine zu bringen.«

Unter diesen Worten setzte Wildtödter einen Fuß auf das Ende des leichten Bootes, gab ihm einen kräftigen Stoß, und trieb es damit hundert Fuß weit oder mehr in den See hinein, wo es in die rechte Richtung kommend, nothwendig an dem Landvorsprung vorbeischwimmen mußte, und nicht mehr in Gefahr kam, die Küste zu berühren. Der Wilde stutzte bei diesem entschiedenen und kurzangebundenen Verfahren, und sein Begleiter sah, daß er einen heftigen und trotzigen Blick auf sein eignes Canoe, oder dasjenige warf, das die Ruder enthielt. Die Veränderung in seiner Miene jedoch währte nur einen Augenblick, und dann nahm der Irokese wieder sein freundliches Wesen an, mit einem Lächeln der Zufriedenheit.

»Gut!« wiederholte er mit stärkerem Nachdruck als je. »Junges Haupt – alter Verstand. Wißt, wie einen Hader abmachen. Lebt wohl, Bruder. Er nach Hause gehen zu Wasser – Bisamratten-Haus – Indianer ins Lager gehen; Häuptling sagen, kein Canoe gefunden.«

Wildtödter war es nicht leid, diesen Vorschlag zu hören, denn es verlangte ihn sehr, zu den Mädchen zu kommen, und er nahm die dargebotene Hand des Indianers sehr willig an. Die Abschiedsworte waren freundschaftlich; und während der rothe Mann ruhig dem Walde zuschritt, mit der Büchse im hohlen Arm, ohne nur einmal unruhig und mißtrauisch sich umzusehen, wandte sich der Weiße zu dem zurückgebliebenen Canoe, sein Gewehr zwar in derselben friedlichen Weise tragend, aber sein Auge immer auf die Bewegungen des Andern geheftet. Dieß Mißtrauen jedoch schien ganz ungerechtfertigt, und als schäme er sich, es gehegt zu haben, wandte der junge Mann seine Blicke und schritt sorglos seinem Boote zu. Dann begann er das Canoe von der Küste weg zu stoßen, und machte seine übrigen Vorbereitungen zur Abfahrt. Er mochte etwa eine Minute so beschäftigt gewesen seyn, als, bei einer zufälligen Wendung seines Gesichts nach der Landseite hin, sein rasches und sichres Auge ihn auf einen Blick von der dringenden Gefahr belehrte, worin sein Leben schwebte. Das schwarze, trotzige Auge des Wilden blitzte durch eine kleine Oeffnung in den Büschen ihn an wie das eines zum Satz bereiten Tigers, und die Mündung seiner Büchse schien sich schon in einer Linie mit seinem Körper zu öffnen. Da leistete wirklich seine lange Uebung als Jäger dem Wildtödter gute Dienste. Gewohnt, auf das Wild im Satze zu feuern, und oft, wenn die genaue Stellung des Körpers des Thiers gewissermaaßen erst zu errathen war, benützte er hier eben diese Fertigkeit. Den Hahn spannen und seine Büchse anlegen war das Werk Eines Augenblicks und Einer Bewegung; dann beinahe blindlings zielend feuerte er in die Gebüsche, worin er eine menschliche Gestalt verborgen wußte, welcher das allein sichtbare, entsetzliche Gesicht angehörte. Es war keine Zeit, das Gewehr höher zu halten, oder mit mehr Ueberlegung zu zielen. So schnell waren seine Bewegungen, daß beide Gegner im gleichen Augenblick abfeuerten, und der Knall beider Gewehre in Eins sich vermischte. Die Berge warfen in der That nur Ein Echo zurück, Wildtödter ließ seine Büchse sinken, und stand mit aufgerichtetem Haupt, fest wie eine der Tannen in der Stille eines Juniusmorgens, das Ergebniß abwartend; während der Wilde den gellenden Schrei ausstieß, der wegen seines entsetzlichen Eindrucks historisch geworden ist, durch die Büsche sprang, und seinen Tomahawk schwingend, in Sätzen über den freien Platz daher kam. Noch immer rührte sich Wildtödter nicht, sondern stand da, seine entladene Büchse an seine Schulter gelehnt, während mit dem Instinkt des Jägers seine Hände mechanisch nach Pulverhorn und Ladstock griffen. Etwa vierzig Schritte von seinem Feinde entfernt, schleuderte der Wilde die gefährliche Waffe, aber mit so unsicherm Auge, mit so unsteter und schwacher Hand, daß der junge Mann sie an der Handhabe faßte, als sie an ihm vorbei flog. In diesem Augenblick taumelte der Indianer und fiel der Länge nach zu Boden.

»Ich wußte es – ich wußte es!« rief Wildtödter, der sich schon anschickte, eine frische Kugel in seine Büchse zu zwängen, »ich wußte, es mußte dahin kommen, sobald ich die Augen der Creatur zur Zielscheibe hatte. Ein Mann visirt plötzlich und feuert rasch, wenn sein eignes Leben in Gefahr ist; ja, ich wußte, es würde dazu kommen. Ich war etwa den hundertsten Theil einer Sekunde zu rasch für ihn, sonst hätte es vielleicht mich getroffen! Die Kugel des Wurms hat mich gerade an der Seite gestreift – aber, man sage was man will, für oder wider sie, eine Rothhaut ist in keiner Weise so sicher mit Pulver und Kugel wie ein Weißer. Ihre Gaben scheinen nicht dahin zu liegen. Selbst Chingachgook, so groß er ist in andern Dingen, ist kein tödtlicher Treffer mit der Büchse.«

Mittlerweile hatte er das Gewehr wieder geladen, und nachdem er den Tomahawk in das Canoe geworfen, trat er auf sein Opfer zu, und stand, auf seine Büchse gelehnt, in schwermüthiger Beobachtung vor ihm. Es war das erste Mal, daß er einen Menschen im Kampf hatte fallen sehen – das erste Wesen seiner eignen Gattung, gegen das er je feindselig seine Hand erhoben. Diese Empfindungen waren ihm neu; und bedauernde Reue, frisch, wie unsere bessern Gefühle es im Anfang sind, mischte sich in seinen Triumph. Der Indianer war nicht todt, obwohl gerade durch den Leib geschossen. Er lag regungslos auf dem Rücken, aber seine Augen, jetzt voll Bewußtseyn, bewachten jede Bewegung seines Siegers – wie der gefallene Vogel den Vogeljäger – eifersüchtig auf jeden seiner Schritte. Wahrscheinlich erwartete der Mann den tödtlichen Streich, welcher dem Verlust seines Skalps vorangehen sollte; oder vielleicht vermuthete er, daß diese letztere grausame Operation seinem Tode vorangehen werde: Wildtödter errieth seine Gedanken; und es war ihm eine schwermüthige Genugthuung, den hülflosen Wilden in Bezug auf diese Besorgniß beruhigen und trösten zu können.

»Nein, nein, Rothhaut,« sagte er, »Ihr habt nichts mehr von mir zu fürchten. Ich bin von christlichem Stamme, und Skalpiren liegt nicht in meinen Gaben. Ich will mich nur Eurer Büchse versichern, und dann zurückkommen und Euch dienen, in was ich kann; obgleich ich mich hier nicht mehr lange aufhalten darf, da der Knall von drei Büchsen wohl einige von Euren Teufeln mir auf den Hals ziehen wird.«

Die letzten Worte redete der junge Mann halb im Selbstgespräch, während er ging, die dem Wilden entfallene Büchse zu suchen. Diese fand sich da, wo ihr Eigenthümer sie weggeworfen, und ward sogleich in das Canoe gelegt. Seine eigne Büchse legte Wildtödter daneben hin, kehrte dann zurück und stellte sich wieder vor den Indianer hin.

»Alle Feindschaft zwischen Euch und mir ist zu Ende, Rothhaut,« sagte er, »und Ihr könnt Euer Herz beruhigen wegen des Skalps oder irgend eines weitern Leides. Meine Gaben sind die eines Weißen, wie ich Euch schon gesagt habe, und ich hoffe, meine Handlungsart wird auch weiß seyn!«

Wenn Blicke und Mienen Alles aussprächen, was sie bedeuten sollen, so hätte wahrscheinlich Wildtödters unschuldige Eitelkeit auf seine Farbe eine kleine Zurechtweisung im Gesicht des Wilden gelesen; aber er verstand nur die Dankbarkeit, die sich in den Augen des Sterbenden aussprach, ohne im Mindesten den bittern Hohn zu merken, der mit dem bessern Gefühle rang.

»Wasser!« stammelte das unglückliche, durstige Geschöpf; »gebt armem Indianer Wasser!«

»Ja, Wasser sollt Ihr haben, und wenn Ihr den See trocken trinkt. Ich will Euch nur hinuntertragen, damit Ihr Euren Durst recht löschen könnt, das ist so die Art, sagt man mir, bei allen Verwundeten – Wasser ist ihr größtes Labsal und Entzücken.«

Mit diesen Worten hob Wildtödter den Indianer in seinen Armen auf und trug ihn an den See. Hier half er ihm zuerst zu einer Lage, worin er seinen brennenden Durst stillen konnte; darauf setzte er ihn auf einen Stein, nahm das Haupt des verwundeten Gegners in seinen Schooß und suchte ihn in seinen Schmerzen so gut er konnte zu trösten.

»Es wäre sündhaft von mir, zu sagen, daß Eure Zeit nicht gekommen sey, Krieger,« begann er, und deßwegen will ich das nicht sagen. Ihr seyd schon über das mittlere Alter hinaus, und in Betracht des Lebens, das Ihr führt, habt Ihr das Maaß Eurer Tage so ziemlich erfüllt. Die Hauptsache ist jetzt, dem entgegenzusehen, was zunächst kommt. Weder Rothhaut noch Bleichgesicht rechnen im Ganzen genommen, darauf, immerfort zu schlafen, sondern Beide erwarten in einer andern Welt fortzuleben. Jeder hat seine Gaben, und wird darnach gerichtet werden, und ich hoffe, Ihr habt diese Dinge hinreichend überdacht, um keiner Predigten zu bedürfen, wenn es zum Spruch und Urtheil kommt. Ihr werdet Eure glücklichen Jagdreviere finden, wenn Ihr ein gerechter Indianer gewesen seyd; wenn aber ein ungerechter, erwarten Euch anderswo Eure Wüsten. Ich habe meine eignen Ideen über diese Sachen; aber Ihr seyd zu alt und zu erfahren, um von einem so Jungen, wie ich, Belehrungen zu bedürfen.«

»Gut!« stammelte der Indianer, dessen Stimme ihre Tiefe behielt, als schon das Leben dahinschwand, »junges Haupt – alte Weisheit!«

»Es ist manchmal ein Trost, wenn das Ende kommt, zu wissen, daß diejenigen, denen wir ein Leid gethan, oder zu thun gesucht, uns vergeben. Ich bilde mir ein, die Natur sucht diese Erleichterung, um einer Verzeihung auf Erden theilhaft zu werden; da wir nie wissen können, ob Er verzeiht, der Alles in Allem ist, bis das Gericht selbst kommt. Es ist tröstlich zu solcher Zeit zu wissen, daß Jemand verzeiht, und das, vermuthe ich, ist das Geheimniß. Nun, was mich betrifft, so übersehe ich ganz Eure Anschläge gegen mein Leben, erstlich weil kein Unheil daraus entsprang, sodann auch, weil Eure Gaben und Natur und Erziehung einmal so sind, und ich hätte Euch eben gar nicht trauen sollen; und endlich und hauptsächlich weil ich keinen bösen Willen hegen kann gegen einen Sterbenden, sey er ein Heide oder ein Christ. So beruhigt Euch denn in Eurem Herzen, was mich anlangt; Ihr müßt am besten wissen, was für andre Dinge Euch beunruhigen, oder was Euch zur Zufriedenheit gereichen würde in einem so wichtigen Augenblicke.«

Vermutlich hatte der Indianer auch zum Theil jene erschütternden Ahnungen von dem unbekannten Zustand des Seyns, welche Gott in seiner Barmherzigkeit zu Zeiten dem ganzen menschlichen Geschlecht zu vergönnen scheint; aber nothwendig standen sie im Einklang mit seinen Lebensgewohnheiten und Vorurtheilen. Wie die Meisten seines Volkes, und nur zu Viele unter uns, dachte er mehr daran, in einer Weise zu sterben, wodurch er sich Lob und Beifall bei den Zurückbleibenden gewann, als sich ein besseres Daseyn in einer künftigen Welt zu sichern. Während Wildtödter redete, war sein Geist etwas verstört, obwohl er die gute Absicht merkte; und als er fertig war, flog durch seine Seele ein Bedauern darüber, daß keine Genossen seines Stammes anwesend waren, um Zeugen zu seyn von seinem Stoizismus bei den äußersten physischen Schmerzen, und von der Festigkeit, womit er sein Ende erwartete. Vermöge der hochsinnigen, angebornen Höflichkeit, die so oft den indianischen Krieger auszeichnet, ehe er durch zu großen Verkehr mit der schlechtesten Classe der Weißen verdorben wird, suchte er seine Dankbarkeit für die guten Absichten des Andern auszudrücken, und ihm zu verstehen zu geben, daß er sie zu schätzen wisse.

»Gut!« wiederholte er, denn dieß Wort war bei den Wilden sehr gebräuchlich, – »gut, junges Haupt; auch junges Herz. Altes Herz zäh; keine Thränen vergießen. Indianer hören, wenn er stirbt, und nicht zu lügen braucht – wie sich nennt er?«

»Wildtödter ist der Name, den ich jetzt trage; doch haben die Delawaren gesagt, ich würde, wenn ich von diesem Kriegspfade zurückkäme, einen mannhaftern Titel bekommen, vorausgesetzt, daß ich einen erwürbe.«

»Das guter Name für Knaben – armer Name für Krieger, Wird bald ein besserer werden. Keine Furcht hier,« – der Wilde besaß in seiner lebhaften Aufregung noch Kraft genug, eine Hand zu erheben, und die Brust des jungen Mannes zu betasten – »Auge sicher, Finger ein Blick, – Ziel, Tod – großer Krieger bald. Kein Wildtödter – Falkenauge – Falkenauge – Falkenauge. Hände schütteln.«

Wildtödter – oder Falkenauge, wie der Jüngling jetzt zum erstenmal genannt wurde, denn in spätern Jahren trug er diesen Namen in der ganzen Gegend – Wildtödter ergriff die Hand des Wilden, der in dieser Lage seinen letzten Athemzug that, und starrte mit Bewunderung das Gesicht eines Unbekannten an, der in so schweren und neuen Verhältnissen so viel Entschlossenheit, Gewandtheit und Festigkeit gezeigt hatte. Wenn der Leser sich erinnert, daß es die höchste Genugthuung für einen Indianer ist, zu sehen, wie sein Feind Schwäche verräth, wird er noch richtiger die Handlungsweise würdigen, welche in einem solchen Augenblick ein solches Zugeständniß errungen hatte.

»Sein Geist ist entflohen!« sagte Wildtödter mit gedämpfter, melancholischer Stimme. »Ach, mir ist’s leid! Nun, dahin müssen wir Alle kommen, früher oder später; und der Glücklichste ist der, sey seine Haut von welcher Farbe sie wolle, der am bereitesten ist, diesen Weg zu gehen. Da liegt der Leichnam von einem ohne Zweifel tapfern Krieger, und die Seele fliegt schon ihrem Himmel oder ihrer Hölle zu, sey dieß nun ein glückliches Jagdrevier, oder eine Gegend ohne Wild; Gefilde der Herrlichkeit, nach der Mährischen Brüder Lehre, oder Feuerflammen! So trifft es sich auch oft in andern Dingen nach Zufall und wunderlich. Da haben der alte Hutter und Hurry sich in große Nöthen hineingerannt, wo nicht gar in Martern und Tod, und Alles einem Preise zu lieb, den mir das gute Glück darbietet in rechtmäßiger und anständiger Weise – wie es Viele bedünken würde. Aber nicht ein Pfennig von solchem Geld soll durch meine Hand gehen. Weiß bin ich geboren und weiß will ich sterben; an meiner Farbe festhalten, bis ans Ende, wenn auch des Königs Majestät, seine Gouverneurs und alle seine Räthe, im Mutterland und in den Colonien vergessen, woher sie stammen, und wohin sie zu kommen hoffen, und Alles einem kleinen Vortheil im Kriege zulieb. Nein, nein, Krieger! – meine Hand soll nie deinen Skalp gefährden, und so möge deine Seele im Frieden ruhen, was den Punkt betrifft, ob sie auch in geziemender Erscheinung sich darstellen kann, wenn der Körper wieder mit ihr sich vereinigt, in Eurem Lande der Geister!«

Nach diesen Worten stand Wildtödter sogleich auf. Dann brachte er den Leichnam des Todten in eine sitzende Stellung mit dem Rücken gegen den kleinen Fels, und traf mit aller Sorgfalt Vorkehrungen, daß er nicht falle, oder irgend in eine Lage gerathe, welche nach den sehr empfindlichen, obwohl rohen Begriffen eines Wilden unziemlich erscheinen könnte. Nach Erfüllung dieser Pflicht stand der junge Mann da, in einer Art schwermüthiger Zerstreutheit das grimmige Antlitz seines gefallenen Feindes betrachtend. Aber wie es seine Gewohnheit war – eine Gewohnheit, die er dadurch angenommen, daß er so viel allein in den Wäldern lebte, begann er jetzt wieder seine Gedanken und Empfindungen laut zu äußern.

»Ich wollte Dein Leben nicht haben, Rothhaut,« sagte er, »aber Du ließest mir keine Wahl als tödten oder mich tödten lassen. Jeder Theil handelte nach seinen Gaben, denk‘ ich, und Tadel kann Keinen treffen. Du warest verrätherisch, nach Deiner Natur im Kriege, und ich war ein wenig zu nachsichtig, da ich Andern zu leicht traue. Nun, das war mein erster Kampf mit einem menschlichen Sterblichen, obgleich es wohl nicht mein letzter gewesen seyn wird. Ich habe mit den meisten Creaturen des Waldes gekämpft, als da sind Wölfe, Bären, Unzen und Panther, aber das ist der Anfang mit den Rothhäuten. Wäre ich nun ein geborner Indianer, so könnte ich davon erzählen, oder den Skalp mitbringen, und mich der That rühmen vor dem ganzen Stamme; und wenn nun mein Feind auch nur ein Bär gewesen, so wäre es natürlich und passend, Jedermann das Vorgefallene wissen zu lassen; aber ich sehe nicht ab, wie ich auch nur Chingachgook dieß Geheimniß mittheilen soll, so lange dieß nur dadurch möglich ist, daß ich mit einer weißen Zunge davon prahle. Und warum sollte ich eigentlich auch damit zu prahlen wünschen? Es ist eben Tödtung eines Menschen, obgleich er ein Wilder war, und wie weiß ich, ob es ein gerechter Indianer gewesen, und ob er nicht ganz wo anders hin entrückt worden ist, als in glückliche Jagdreviere? Wenn es ungewiß bleibt, ob etwas Gutes oder Schlimmes ausgeführt worden, ist das Klügste, sich nicht zu rühmen – und doch wäre es mir lieb, Chingachgook wissen zu lassen, daß ich den Delawaren und meiner Erziehung keine Unehre gemacht habe!«

Dieß ward zum Theil laut gesprochen, zum Theil von dem Redenden nur zwischen den Zähnen gemurmelt: jenes war der Fall bei seinen zuversichtlicheren Gedanken, dieß dagegen bei seinen Zweifeln und Bedenklichkeiten. Sein Selbstgespräch jedoch und seine Betrachtungen erlitten eine gewaltsame Störung durch das plötzliche Erscheinen eines zweiten Indianers an der Küste, wenige hundert Schritte von der Landspitze. Dieser Mann, unverkennbar ein zweiter Späher, der wahrscheinlich durch den Knall der Büchsen an diesen Ort gelockt worden war, trat mit so wenig Vorsicht aus dem Walde hervor, daß Wildtödter seiner früher ansichtig, als selbst von Jenem bemerkt wurde. Als auch dieß letztere, und zwar gleich im nächsten Augenblick geschah, stieß der Wilde einen lauten, gellenden Schrei aus, den ein Dutzend Stimmen von verschiednen Seiten des Berges erwiederten. Jetzt war nicht länger zu zaudern, und nach einer Minute schon verließ das Boot die Küste unter langen und stetigen Ruderschlägen.

Sobald Wildtödter sich durch eine hinlängliche Entfernung gesichert glaubte, ließ er in seinem angestrengten Arbeiten nach, und die kleine Barke für sich forttreiben, während er sich gemächlich den Stand der Dinge betrachtete. Das zuerst dem Spiel der Wellen anvertraute Canoe schwamm, von dem leichten Wind getrieben, wohl eine Viertelmeile vor ihm her, und dem Ufer etwas näher, als ihm jetzt lieb war, da er wußte, daß noch mehr Wilde in der Nahe waren. Das von dem Landvorsprung abgestoßene Canoe war nur einige Schritte von ihm entfernt, da er, vom Land abstoßend, sein Boot gerade darauf zugelenkt hatte. Der todte Indianer lag in finstrer Ruhe da, wo er ihn gelassen, der Krieger, der sich vor dem Walde gezeigt, war bereits verschwunden, und die Wälder selbst waren so still und dem Anschein nach so verödet, wie an dem Tag, da sie frisch aus der Hand ihres großen Schöpfers kamen. Diese tiefe Stille jedoch währte nur einen Augenblick. Nachdem die Späher des Feinds sich Zeit genommen, ihre Rekognoscirung vorzunehmen, brachen sie aus dem Dickicht hervor auf die nackte Landspitze, und erfüllten bei Entdeckung des Todes ihres Genossen die Luft mit ihrem Wuthgeschrei. Auf dieß Geschrei folgte sogleich ein Freudengejauchze, als sie den Leichnam erreichten und sich darum her schaarten. Wildtödter war bekannt genug mit den Gebräuchen der Eingebornen, um den Grund dieses Uebergangs zu errathen. Der gellende Schrei war die übliche Klage beim Verlust eines Kriegers, das jauchzende Gebrülle ein Zeichen der Freude, daß der Sieger nicht im Stande gewesen, sich in den Besitz des Skalpes zu setzen – der Trophäe, ohne die ein Sieg nie als vollständig betrachtet wurde. Die Entfernung der Canoe’s vom Ufer verhinderte wahrscheinlich jeden Versuch, dem Sieger etwas anzuhaben, da der amerikanische Indianer, wie der Panther seiner Wälder, selten einen Angriff gegen seinen Feind versucht, wenn nicht die Umstände so sind, daß er mit ziemlicher Sicherheit auf die Wirksamkeit desselben rechnen kann.

Da der junge Mann keine Veranlassung hatte, noch länger in der Nähe des Landvorsprungs zu verweilen, machte er Anstalt, seine Canoe’s zu sammeln, um sie dann am Tau nach dem Castell zu schleppen. Das nächste war bald am Tau, worauf er weiter ruderte, das andre einzuholen, das diese ganze Zeit her den See aufwärts trieb. Sobald Wildtödters Auge auf dieß Boot sich heftete, fiel ihm sogleich auf, daß es der Küste näher sey, als es hätte seyn müssen, wenn es blos der Richtung des leichten Luftzuges folgte. Er begann die Wirkung einer unsichtbaren Strömung im Wasser zu vermuthen, und er verdoppelte seine Anstrengungen, um in den Besitz desselben zu kommen, ehe es sich den Wäldern auf einen gefahrdrohenden Abstand nähere. Als er näher herankam, glaubte er eine auffallendere Bewegung des Canoe’s durch das Wasser zu bemerken, die es, da es nach seiner Breite dem Winde ausgesetzt war, dem Lande zutrieb. Einige tüchtige Ruderschläge brachten ihn noch näher, wo sich ihm denn das Geheimniß löste. Sichtlich war etwas in Bewegung auf der von ihm abgekehrten und fernsten Seite des Canoe’s, und schärfere Beobachtung zeigte, daß es ein nackter menschlicher Arm sey. Ein Indianer lag auf dem Boden des Canoe’s, und trieb es langsam aber sicher, seine Hand als Ruder brauchend, der Küste zu. Wildtödter verstand auf Einen Blick die ganze List. Ein Wilder war nach dem Boote geschwommen, während er mit dem Feind auf der Landspitze beschäftigt gewesen, hatte davon Besitz genommen, und suchte es auf obengenannte Weise an das Land zu fördern.

Ueberzeugt, daß der Mann in dem Canoe keine Waffen haben könne, bedachte sich Wildtödter nicht, dicht an das sich zurückziehende Boot hinanzufahren und anzulegen, ohne daß er für nöthig erachtete, seine Büchse aufzuheben. Sobald das Rauschen des Wassers, das sein Boot im Herannahen verursachte, dem am Boden liegenden Wilden vernehmbar wurde, sprang er auf und stieß einen Schrei aus, welcher bewies, wie vollständig er überrascht worden war.

»Wenn Ihr Euch genug an diesem Canoe erlustigt habt, Rothhaut, bemerkte Wildtödter ganz kalt, indem er sein Boot noch frühe genug anhielt, um ein förmliches Zusammenstoßen der beiden Fahrzeuge zu verhüten, »wenn Ihr Euch genug in diesem Canoe erlustigt habt, werdet Ihr klug daran thun, Euch wieder in den See zu begeben. Ich bin vernünftig und billig in diesen Dingen und dürste nicht nach Eurem Blut, obgleich es Leute hier herum gibt, die Euch mehr wie einen Schein zu Erhebung des Preisgelds, denn wie einen menschlichen Sterblichen betrachten würden. Macht Euch in den See, im Augenblick, eh‘ es zu hitzigen Worten kommt.«

Der Wilde war Einer von denen, die nicht ein Wort Englisch verstanden, und er verdankte den Geberden Wildtödters und dem Ausdruck eines selten täuschenden Auges das freilich unvollkommne Verständniß seiner Meinung. Vielleicht auch der Anblick der Büchse, die dem weißen Manne so nahe zur Hand lag, beschleunigte seinen Entschluß. Jedenfalls duckte er sich zusammen, wie ein Tiger, der seinen Satz machen will, stieß einen gellenden Schrei aus und im nächsten Augenblick war sein nackter Körper im Wasser verschwunden. Als er auftauchte, Athem zu schöpfen, befand er sich in einer Entfernung von mehreren Schritten von dem Canoe, und der hastige Blick, den er rückwärts warf, verrieth, wie sehr er die Ankunft eines unheilvollen Boten aus der Büchse seines Feindes fürchtete. Der junge Mann aber gab durch kein Zeichen eine feindselige Absicht zu erkennen. Mit gutem Bedacht befestigte er das Canoe an dem andern, und fing dann an, von der Küste wegzurudern; und bis der Indianer das Land erreichte und sich wie ein Pudel schüttelte, als er das Wasser verließ, war sein gefürchteter Feind schon außer Schußweite auf seinem Weg dem Castell zu. Nach seiner Lieblingsgewohnheit ermangelte Wildtödter nicht, auch über diesen Vorfall in einem Selbstgespräch sich zu äußern, während er stetig dem Orte seiner Bestimmung zuruderte.

»Gut, gut,« begann er, »es wäre Unrecht gewesen, einen menschlichen Sterblichen zwecklos zu tödten. Skalpe gelten mir Nichts, und das Leben ist süß und soll Keinem erbarmungslos geraubt werden von Solchen, die weiße Gaben haben. Der Wilde war zwar ein Mingo; und ich zweifle nicht, er ist und wird seyn, so lange er lebt, ein rechtes Gewürm und ein Vagabund; aber das ist kein Grund, warum ich meine Gaben und Farbe vergessen sollte. Nein, nein, lass‘ ihn gehen; wenn wir uns je wieder treffen, die Büchse in der Hand, nun dann wird man sehen, Wer das muthigste Herz und das rascheste Auge hat. – Falkenauge! das ist kein übler Name für einen Krieger, und klingt viel mannhafter und tapferer als Wildtödter! Es wäre kein übler Titel für den Anfang, und ist ehrlich verdient worden! Wenn es Chingachgook begegnet wäre, so könnte der jetzt hingehen und sich seiner Thaten rühmen, und die Häuptlinge würden ihn in der Minute Falkenauge nennen; aber weißem Blut ziemt es nicht zu prahlen, und es ist nicht leicht abzusehen, wie die Sache wird bekannt werden, wenn nicht durch mich. Nun gut; alle Dinge sind in den Händen der Vorsehung: diese Sache so gut wie andre; auf sie will ich vertrauen, daß mir nach meinem Verdienste zu Theil wird.«

Nachdem der junge Mann so verrathen, was man seine schwache Seite nennen könnte, fuhr er schweigend in seinem Rudern fort, und fuhr rüstig und so schnell ihm nur seine Taue erlaubten, dem Castell zu. Mittlerweile war die Sonne nicht nur aufgegangen, sondern sie stand auch schon über den östlichen Bergen, und goß eine Fluth prächtigen Lichts auf den bis jetzt noch ungetrübten Wasserspiegel. Die ganze Scene strahlte von Schönheit; und Niemand, der mit der gewöhnlichen Geschichte der Wälder nicht bekannt gewesen, hätte geahnt, daß sie vor so kurzer Zeit erst Zeugin von so wildem und barbarischem Beginnen gewesen. Als Wildtödter sich dem Bau des alten Hutter näherte, dachte, oder vielmehr fühlte er, daß dessen äußere Erscheinung in eigenthümlichem Einklang mit der ganzen übrigen Scene stehe. Obgleich an Nichts als an Stärke und Sicherheit gedacht worden war, trugen doch die rohen, massiven Baumstämme, mit ihrer rauhen Rinde bedeckt, das vorspringende Dach, und die ganze Form dazu bei, das Gebäude zu einem, beinahe unter allen Verhältnissen malerischen zu machen, während seine wirkliche Lage dem sonstigen Anziehenden noch den Reiz des Neuen und Seltsamen hinzufügte.

Als jedoch Wildtödter dem Castell näher kam, drängten sich seiner Seele ernste Gedanken auf, die auf einmal alle Schönheiten, welche die Scenerie des See’s und die Lage dieses eigenthümlichen Gebäudes auszeichneten, ganz verdrängten und schwinden machten. Judith und Hetty standen auf der Plattform vor der Thüre, Hutters Thorhof, mit sichtbarer Aengstlichkeit seine Ankunft erwartend; die Erstere von Zeit zu Zeit seine Person und die Canoe’s durch das schon erwähnte alte Schiffsfernglas beobachtend. Nie erschien wohl dieß Mädchen in einem höhern Glanze der Schönheit als eben jetzt; die Nöthe der Unruhe und des gespannten Interesse erhöhte ihre Gesichtsfarbe zu den herrlichsten Tinten, während die Sanftheit ihrer Augen, ein Reiz, den selbst die arme Hetty mit ihr theilte, durch die Ergriffenheit ihrer Empfindung noch einen tiefern Ausdruck erhielt. So war wenigstens die Meinung des jungen Mannes, der jedoch nicht innehielt, nicht sich einfallen ließ, die Motive zu analysiren, oder irgend welche spitzfindige Unterscheidungen zwischen Ursache und Wirkung zu machen, als er mit seinen Canoe’s die Arche erreichte, an deren Seite er alle drei sorgfältig befestigte, ehe er den Fuß auf die Plattform setzte.

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Sein Wort ist Bürgschaft und sein Eid Orakel;
Treu seine Liebe, mackellos sein Denken;
Des Herzens reine Boten seine Thränen;
Sein Herz so fern von Trug wie Himmel von Hölle.
Shakspeare.

Keines der Mädchen sprach, als Wildtödter allein vor ihnen stand, und sein Gesicht all die Besorgnisse verrieth, die er wegen des Schicksals der zwei abwesenden Glieder ihrer Gesellschaft empfand. »Vater!« rief endlich Judith, der durch eine verzweiflungsvolle Anstrengung das Vorbringen dieses Einen Wortes zu gelingen schien.

»Es ist ihm ein Unfall zugestoßen, und es wäre nutzlos, es verhehlen zu wollen,« antwortete Wildtödter in seiner geraden und einfachen Art. »Er und Hurry sind in den Händen der Mingos und nur der Himmel weiß, was der Ausgang seyn wird. Ich habe die Canoe’s in Sicherheit gebracht, und das ist ein Trost, weil die Vagabunden jetzt schwimmen oder Flöße bauen müssen, um sich diesem Haus zu nähern. Bis Sonnenuntergang werden wir durch Chingachgook verstärkt werden, wenn es mir gelingt, ihn in ein Canoe zu schaffen; und dann, denk‘ ich, können wir Zwei für die Arche und das Castell stehen, bis einige von den Officieren in den Garnisonen von diesem Kriegszug hören, was früher oder später der Fall seyn muß, wo wir dann auf Hülfe von dieser Seite, wenn nicht von einer andren – rechnen dürfen.«

»Die Officiere!« rief Judith ungeduldig, und ihre Farbe ward röther, und ihr Auge drückte eine lebhaftere, aber vorübergehende innere Bewegung aus. »Wer denkt jetzt an die herzlosen galanten Herrn, Wer spricht von ihnen?« – Wir sind allein genügend, das Castell zu vertheidigen; – aber was ist’s mit meinem Vater und mit dem armen Hurry Harry?«

»Es ist natürlich, daß Ihr solche Sorge empfindet für Euern Vater, Judith, und ich denke, Ihr solltet eben so gesinnt seyn in Betreff Hurry Harry’s.«

Jetzt begann Wildtödter eine gedrängte aber klare Erzählung alles dessen, was während der Nacht sich begeben hatte; keineswegs die Unfälle seiner beiden Begleiter verhehlend, noch auch seine eigne Meinung, was die Folgen seyn könnten. Die Mädchen hörten mit tiefer Aufmerksamkeit zu; aber keine verrieth jene weibliche Aengstlichkeit und Bestürzung, welche bei einer derartigen Mittheilung unausbleiblich sich geäußert hätte bei Solchen, die weniger an die Wechselfälle und Mißgeschicke eines Grenzerlebens gewohnt gewesen wären. Zum Erstaunen Wildtödters schien Judith die mehr Niedergeschlagene; Hetty horchte aufmerksam zu, schien aber über die vernommenen Thatsachen mehr in melancholischem Schweigen zu brüten, als daß sie ihre Gefühle äußerlich verrathen hätte. Die Unruhe der Erstern ermangelte der junge Mann nicht, ihrem Interesse für Hurry ebenso sehr, als ihrer kindlichen Liebe zuzuschreiben, während er sich Hetty’s anscheinende Gleichgültigkeit aus der geistigen Finsterniß erklärte, welche gewissermaßen ihren Verstand verdunkelte und sie vielleicht nicht alle Folgen voraussehen ließ. Beide jedoch sprachen Wenig; Judith und ihre Schwester machten sich mit den Vorbereitungen zur Morgenmahlzeit zu schaffen, wie denn Leute, die regelmäßig mit solchen Dingen sich zu beschäftigen haben, selbst mitten unter Leiden und Kummer mechanisch darin fortarbeiten. Das einfache aber nahrhafte Frühstück ward von allen Dreien in düsterm Schweigen eingenommen. Die Mädchen aßen Wenig, Wildtödter aber bewies, daß er Eine wesentliche Eigenschaft eines guten Soldaten besaß, die, daß er unter den beunruhigendsten und peinlichsten Umständen seinen guten Appetit behielt. Das Mahl ging beinahe zu Ende, ehe nur eine Sylbe gesprochen wurde; dann aber fing Judith an zu sprechen in jener hastigen und krampfhaften Weise; in welcher das Gefühl, den Zwang überwindend, ausbricht, nachdem dieser noch schmerzlicher und peinlicher geworden ist, als selbst die Aeußerung der innern Bewegung.

»Dem Vater würde dieser Fisch gemundet haben!« rief sie aus; »er sagt, der Salm der Seen sey beinahe so gut, wie der des Meeres.«

»Euer Vater ist mit dem Meer bekannt gewesen, so höre ich, Judith,« versetzte der junge Mann, der sich nicht enthalten konnte, einen forschenden Blick auf das Mädchen zu werfen; denn wie Alle, die Huttern kennen lernten, empfand er einige Neugier, seine frühere Geschichte zu erfahren. »Hurry Harry sagt mir, er sey einmal Matrose gewesen.«

Judith schien zuerst in einige Verlegenheit zu gerathen; dann unter dem Einfluß von Gefühlen, die ihr in mehr als Einer Hinsicht neu waren, wurde sie plötzlich mittheilsam und nahm, wie es schien, lebhaften Antheil an dem Gegenstand des Gesprächs.

»Wenn Hurry Etwas von Vaters Geschichte weiß, so wollte ich, er hätte es mir erzählt!« rief sie aus. »Manchmal glaube auch ich, er sey einmal Matrose gewesen und manchmal auch wieder nicht. Wenn dieser Schrank offen wäre, oder wenn er sprechen könnte, könnte er uns in seine ganze Geschichte einweihen. Aber seine Schlösser und Riegel sind zu stark, um aufgebrochen zu werden wie Packschnüre.«

Wildtödter wandte sich zu dem fraglichen Schranke und besichtigte ihn zum erstenmal genau. Obgleich er entfärbt war, und Spuren von häufiger übler Handhabung an sich trug, war er doch, wie er jetzt sah, von weit besserem Stoff und vorzüglicherer Arbeit, als alles Aehnliche, was er früher gesehen. Das Holz war dunkel, edel und war einmal trefflich polirt gewesen, obgleich die Behandlung, die er mußte erfahren haben, wenig Glanz mehr übrig gelassen, und verschiedne Schrammen und Rißen die herben Collisionen verriethen, in welche er mit noch härtern Gegenständen gerathen war. Die Ecken waren stark mit Stahl beschlagen, sorgfältig und reich gearbeitet, während die Schlösser, deren er nicht weniger als drei hatte, und die Bänder von einer Arbeit und Façon waren, welche selbst in einem Magazin von ausgezeichneten Meubles Aufmerksamkeit erregt haben würde. Der Schrank war auch groß; und als Wildtödter aufstand, und ihn von der einen Seite an seiner massiven Handhabe aufzuheben versuchte, fand er, daß die Schwere vollkommen der äußern Erscheinung entsprach.

»Habt Ihr je diesen Schrank geöffnet gesehen, Judith,« fragte der junge Mann mit der Freimüthigkeit des Grenzers, denn von Zartgefühl in solchen Dingen wußten die Leute auf der äußersten Grenzmarke der Civilisation in jenen Tagen Wenig, wie vielleicht auch jetzt noch.

»Nie. Vater hat ihn nie in meiner Gegenwart geöffnet, wenn er ihn überhaupt je öffnet. Kein Mensch hier hat je seinen Deckel gehoben gesehen, wenn nicht Vater, auch weiß ich von ihm nicht einmal, ob er ihn so gesehen.«

»Da irrst du dich, Judith,« versetzte Hetty ruhig, »Vater hat den Deckel aufgemacht, und ich habe es mit angesehen.«

Ein Gefühl männlichen Stolzes hielt Wildtödters Mund geschlossen; denn während er sich nicht bedacht hätte, in seinen Fragen an die ältere Schwester weit über die Grenzen der Schicklichkeit, nach unsern Begriffen, hinauszugehen, empfand er doch gerechte Bedenklichkeiten, den vielleicht nicht ganz ehrenhaften Vortheil zu benützen, welchen der schwache Verstand der jüngern ihm darbot. Judith indessen, die keine solche Rücksichten zu nehmen hatte, wandte sich rasch zu ihrer Schwester und verfolgte das Gespräch:

»Wann und wo hast du den Schrank offen gesehen, Hetty?«

»Hier – und zu wiederholten Malen; Vater öffnet ihn oft, wenn du weg bist, beachtet es aber gar nicht, wenn ich da bin, und Alles, was er thut, sehe, und Alles höre, was er sagt.«

»Und was thut er, und was sagt er?«

»Das kann ich dir nicht sagen, Judith,« »ersetzte die Andere mit leiser aber entschlossener Stimme, »Vaters Geheimnisse sind nicht meine Geheimnisse.«

»Geheimnisse! das ist noch seltsamer, Wildtödter, daß Vater sie Hetty sagen sollte, und mir nicht!«

»Dazu hat er guten Grund, Judith, obgleich du diesen nicht erfahren sollst. Vater ist nicht hier, um selbst zu antworten, und ich werde nicht Mehr davon sagen.«

Judith und Wildtödter waren überrascht, und etwa eine Minute lang schien die Erstere gekränkt und traurig. Plötzlich jedoch sich wieder fassend, wandte sie sich von ihrer Schwester weg, als fühlte sie Mitleid mit ihrer Schwäche, und sagte, zu dem jungen Mann sich wendend:

»Ihr habt mir Eure Geschichte erst halb erzählt, und da abgebrochen, wo Ihr in dem Canoe zu schlafen anfingt – oder vielmehr, wo Ihr aufstandet, um auf das Schreien des Wasservogels zu lauschen. Auch wir haben das Geschrei der Wasserhühner gehört, und gedacht, es möge wohl einen Sturm bedeuten, obgleich wir auf diesem See und zu dieser Jahrszeit wenig Gewitter zu haben pflegen.«

»Die Winde blasen und die Stürme heulen, wie es Gott gefällt, bald zu dieser, bald zu jener Jahrszeit,« versetzte Wildtödter, »und die Wasservögel lassen sich hören nach ihrer Natur. Besser wäre es, wenn die Menschen ebenso ehrlich und offen wären. Nachdem ich aufgestanden, um den Vögeln zu lauschen, und merkte, daß es nicht Hurry’s Signal seyn könne, legte ich mich nieder und schlief. Als der Tag anbrach, war ich auf und munter, wie gewöhnlich, und dann eilte ich den beiden Canoe’s nach, damit nicht die Mingo’s sich ihrer bemächtigten.«

»Ihr habt uns nicht Alles erzählt, Wildtödter,« sagte Judith ernst. »Wir haben Büchsen knallen gehört unter dem östlichen Berge; die Echo’s waren voll und lang, und folgten so bald auf den Knall, daß die Gewehre auf der Küste, oder ganz nahe dabei müssen abgefeuert worden seyn. Unser Ohr ist an diese Zeichen gewohnt und läßt sich nicht täuschen.«

»Es hat seine Pflicht gethan, Mädchen, dießmal; ja, es hat seine Pflicht gethan. – Es sind diesen Morgen Büchsen angelegt worden, ja, und auch abgedrückt, obwohl nicht so oft, als hätte geschehen können. Ein Krieger ist nach seinen glücklichen Jagdrevieren gegangen, und das ist das Ganze. Von einem Mann von weißem Blut und weißen Gaben ist nicht zu erwarten, daß er sich seiner Thaten rühme und mit Skalpen prange.«

Judith hörte beinahe athemlos zu; und als Wildtödter in seiner ruhigen, bescheidenen Weise geneigt schien, den Gegenstand zu verlassen, stand sie auf, schritt durch das Gemach, und setzte sich neben ihn. Das Benehmen des Mädchens hatte nichts Zudringliches und Keckes, obwohl es den lebhaften Instinkt weiblicher Neigung und das sympathisirende Wohlwollen weiblichen Interesses verrieth. Sie ergriff sogar die harte Hand des Jägers und drückte sie mit ihren beiden Händen, vielleicht halb unbewußt, während sie ihm ernst und sogar vorwurfsvoll in sein sonnverbranntes Antlitz schaute.

»Ihr habt mit den Wilden gekämpft, Wildtödter, einzeln, ganz allein!« sagte sie. »Vom Wunsch beseelt, uns zu beschützen – Hetty – mich vielleicht, habt Ihr tapfer mit dem Feind gekämpft, ohne daß ein Auge nahe war, Euch zu Thaten zu ermuthigen, oder Euern Fall mitanzusehen, hätte es der Vorsehung gefallen, ein so großes Unglück zuzugeben!«

»Ich habe gekämpft, Judith; ja, ich habe mit dem Feind gekämpft, und das zum erstenmal in meinem Leben. Diese Sachen müssen seyn, und sie geben Einem ein gemischtes Gefühl von Kummer und Triumph. Menschliche Natur ist eine kampfsüchtige Natur, glaub‘ ich, da alle Nationen in der Schlacht tödten, und wir müssen unsern Rechten und Gaben treu bleiben. Was bis jetzt geschehen, ist nicht Viel; aber sollte Chingachgook diesen Abend bei dem Felsen eintreffen, wie zwischen uns verabredet ist, und ich ihn, ohne daß die Wilden es merken, dort wegholen können, oder, wenn sie es auch merken, ihren Wünschen und Absichten zum Trotz: dann dürfen wir Alle wohl einer Art von Krieg entgegen sehen, ehe die Mingo’s sich des Castells, der Arche, oder Eurer bemächtigen sollen.«

»Wer ist dieser Chingachgook? woher kommt er? und warum kommt er hieher

»Diese Fragen sind natürlich und recht, denke ich, obgleich der Jüngling in seiner Gegend schon einen großen Namen hat, Chingachgook ist dem Blute nach ein Mohikan, nach alter Gewohnheit zu den Delawaren sich haltend, wie dieß bei den Meisten seines Stammes der Fall ist; denn dieser ist längst durch das Ueberhandnehmen unsrer Farbe gebrochen und zertrümmert worden. Er ist von der Familie der großen Häuptlinge: Uncas, sein Vater, ist der angesehenste Krieger und Rathgeber seines Volkes gewesen. Selbst der alte Tamenund ehrt Chingachgook, obgleich man ihn noch für zu jung hält, im Kriege anzuführen; und dann ist der Stamm so zerstreut und geschwächt, daß die Häuptlingschaft unter ihnen wenig Mehr, als ein bloßer Name ist. Nun, nachdem dieser Krieg ernstlich begonnen, verabredeten wir, ich und der Delaware, uns diesen Abend zur Stunde des Sonnenuntergangs an dem Bestellungs-Felsen, am Ende eben dieses See’s zu treffen, in der Absicht, unsern ersten Kriegszug gegen die Mingo’s zu unternehmen. Warum wir gerade diesen Weg eingeschlagen, ist unser Geheimniß; aber nachdenkliche junge Männer auf dem Kriegspfad thun, wie Ihr Euch wohl denken könnt, Nichts ohne Berechnung und Absicht.«

»Ein Delaware kann keine feindselige Absichten gegen uns haben,« sagte Judith nach augenblicklichem Bedenken; »und Euch kennen wir als einen Freund.«

»Verrath ist das letzte Verbrechen, hoffe ich, dessen man mich wird anklagen können,« versetzte Wildtödter, gekränkt durch den Schatten von Mißtrauen, der durch Judiths Seele geflogen war; »und am wenigsten Verrath gegen meine eigne Farbe!«

»Niemand hat Argwohn gegen Euch, Wildtödter,« rief das Mädchen mit Heftigkeit. »Nein – nein – Euer ehrliches Gesicht würde hinlängliche Bürgschaft für die Wahrheit von tausend Herzen seyn! Wenn alle Männer so redliche Jungen hätten, und nicht versprächen, was sie doch nicht zu erfüllen gemeint sind, würde weniger Unrecht in der Welt geschehen, und schöne Federn und Scharlachröcke würden nicht als Entschuldigungen für Niederträchtigkeit und Betrug gelten.«

Das Mädchen sprach mit heftigem, sogar krampfhaftem Gefühl, und ihre schönen Augen, gewöhnlich so sanft und anlockend, sprühten Feuer, als sie schloß. Wildtödter konnte nicht anders als diese außerordentliche Gemüthsbewegung bemerken; aber mit dem Takt eines Hofmanns vermied er nicht blos jede Anspielung darauf, sondern es gelang ihm auch, in seinem Benehmen den Eindruck, den jene Wahrnehmung auf ihn machte, zu verhehlen. Allmälig wurde Judith wieder ruhig; und da sie sich unverkennbar Mühe gab, sich dem Auge des jungen Mannes vortheilhaft darzustellen, war sie bald im Stande, das Gespräch mit solcher Fassung wieder aufzunehmen, als wenn nichts Störendes dazwischen gekommen wäre.

»Ich habe kein Recht, in Eure Geheimnisse, oder in die Eures Freundes einzudringen, Wildtödter,« fuhr sie fort, »und bin bereit, Alles was Ihr sagt, aufs Wort anzunehmen. Wenn es uns wirklich gelingt, in diesem gefährlichen Augenblicke noch einen Mann zum Genossen zu gewinnen, so wird uns das Viel nützen; und ich bin nicht ohne Hoffnung, daß die Wilden, wenn sie uns im Stande sehen, den See zu behaupten, uns die Rückgabe der Gefangenen anbieten werden gegen Häute, oder wenigstens gegen das Fäßchen Pulver, das wir im Hause haben.«

Der junge Mann hatte die Worte: ›Skalpe‹ und ›Preisgeld‹ auf der Zunge; aber ein Gefühl, das sich sträubte, die Töchter in größere Unruhe zu versetzen, hielt ihn zurück, die beabsichtigte Hindeutung auf das wahrscheinliche Schicksal ihres Vaters auszusprechen. Dennoch, so wenig war er erfahren in den Künsten der Täuschung, ward seine ausdrucksvolle Miene auch ohne Worte von der scharfblickenden Judith errathen, deren Verstand durch die Gewöhnungen und Gefahren ihrer Lebensweise noch geübt und geschärft worden war.

»Ich verstehe, was Ihr meint,« fuhr sie hastig fort, »und was Ihr ausgesprochen hättet ohne die Besorgniß, mir – ich will sagen uns – wehe zu thun; denn Hetty liebt ihren Vater ebenso sehr als ich. Aber so denken wir nicht von den Indianern. Sie skalpiren nie einen unverletzten Gefangnen, sondern schleppen ihn lieber lebendig mit sich fort, wenn nicht freilich etwa das heftige Verlangen ihn zu martern sie übermannt. Ich fürchte Nichts für meines Vaters Skalp und wenig für sein Leben. Könnten sie in der Nacht uns überfallen, so würde uns wahrscheinlich Alle dieß grausame Schicksal treffen; aber in offnem Kampf gefangnen Männern geschieht selten ein Leid; wenigstens nicht eher als bis die Zeit des Marterns kommt.«

»Das ist Ueberlieferung, ich geb‘ es zu, und ist Brauch – aber, Judith, kennt Ihr das Vorhaben, mit welchem Euer Vater und Hutter gegen die Wilden auszogen?«

»Ja; und ein grausames Vorhaben war es! Aber was wollt Ihr? Menschen bleiben Menschen; und Manche selbst, die in Gold und Silber einherstolziren, und des Königs Bestallung in der Tasche haben, sind nicht frei von der gleichen Grausamkeit.« Judiths Augen flammten wieder, aber mit gewaltsamer Anstrengung behauptete sie ihre Fassung. »Ich werde warm, wenn ich an all das Unrecht denke, das Menschen thun,« fuhr sie fort, und bemühte sich zu lächeln, ein Versuch, der nur mittelmäßig gelang. »Alles das ist einfältiges Zeug. Was geschehen ist, ist geschehen, und kann durch Klagen nicht gebessert werden. Aber die Indianer denken so wenig an’s Blutvergießen, und schätzen Männer so sehr wegen der Kühnheit ihrer Unternehmungen, daß, wüßten sie das Vorhaben, auf welches ihre Gefangenen ausgingen, sie sie eher deßhalb ehren, als ihnen ein Leid thun würden.«

»Eine Zeit lang, Judith; ja ich gebe das zu, eine Zeit lang. Aber wenn dieß Gefühl verschwindet, dann stellt sich die Rachsucht ein. Wir müssen versuchen, Chingachgook und ich, wir müssen versuchen und sehen, was wir thun können, Hurry und Euren Vater frei zu machen; denn die Mingo’s werden ohne Zweifel einige Tage um diesen See herumlungern, um so Viel als möglich zu erreichen.«

»Ihr glaubt, man kann sich auf diesen Delaware»verlassen, Wildtödter?« fragte das Mädchen nachdenklich.

»So sicher wie auf mich selbst. Ihr sagt, Ihr mißtraut mir nicht, Judith?«

»Euch!« rief sie, ergriff wieder seine Hand und drückte sie zwischen ihren Händen mit einer Wärme, welche die Eitelkeit eines minder unbefangnen, einfachen, von seinen eignen guten Eigenschaften mehr eingenommenen Mannes hätte entzünden müssen; »ebenso gut könnte ich einem Bruder mißtrauen! Ich kenne Euch nur seit einem Tag, Wildtödter, aber dieser hat in mir das Vertrauen einer jahrelangen Bekanntschaft erzeugt. Euer Name jedoch ist nur nicht unbekannt; denn die tapfern und galanten Herren von den Garnisonen sprechen häufig von der Anleitung, die Ihr ihnen im Jagen gegeben, und Alle rühmen Eure Redlichkeit.«

»Sprechen sie denn auch vom Schießen, Mädchen?« fragte der Andere lebhaft, nachdem er still, aber doch von Herzen gelacht, »sprechen sie denn auch vom Schießen? Ich will nichts von dem meinigen hören, denn wenn dieses nicht bis jetzt in all diesen Gegenden anerkannt ist, so nützt es wenig, ein geschickter und sichrer Schütze zu seyn; aber was sagen denn die Officiere von ihrem – ja was sagen sie von ihrem eignen Schießen? Waffen, wie sie es nennen, sind ihr Gewerbe, und doch gibt es Leute unter ihnen, die sich wenig auf ihren Gebrauch verstehen!«

»Das, hoffe ich, wird nicht der Fall seyn bei Eurem Freund Chingachgook, wie Ihr ihn nennt – was ist die englische Bedeutung dieses indianischen Namens?«

»Große Schlange – so genannt wegen seiner Klugheit und List. Uncas ist sein wirklicher Name – seine ganze Familie heißt Uncas, bis sich Jeder durch seine Thaten einen Titel gewinnt.« »Wenn er so viel Klugheit besitzt, können wir einen nützlichen Freund an ihm erwarten, falls nicht sein eignes Geschäft in dieser Gegend ihn hindert, uns zu dienen.«

»Ich sehe nicht, was es viel schaden könnte, wenn ich Euch sein Vorhaben sage, und da Ihr vielleicht Mittel findet, uns behülfich zu seyn, will ich Euch und Hetty in die ganze Sache einweihen, im Vertrauen, daß Ihr das Geheimniß wie Euer eignes bewahren werdet. Ihr müßt wissen, daß Chingachgook ein hübscher Indianer ist, sehr gerne gesehen und bewundert von den jungen Weibern seines Stammes, sowohl wegen seiner Familie, als wegen seiner selbst. Nun ist ein Häuptling, der eine Tochter hat, Wah-ta!-Wah genannt, was in unsrer Sprache Hist-oh!-Hist bedeutet, das rarste Mädchen unter den Delawaren, die von allen jungen Kriegern des Stammes am meisten zum Weib gewünscht und begehrt wird. Nun, unter den Andern fand auch Chingachgook Geschmack an Wah-ta!-Wah, und Wa-ta!-Wah fand Geschmack an ihm.« Hier hielt Wildtödter einen Augenblick inne; denn als er so weit in seiner Erzählung gekommen, stand Hetty Hutter auf, näherte sich ihm, und stellte sich aufmerksam an sein Knie hin, wie ein Kind näher rückt, um auf die Mährchen seiner Mutter zu horchen. »Ja, er fand Gefallen an ihr, und sie an ihm,« begann Hirschtödter wieder, nachdem er einen freundlichen beifälligen Blick auf das unschuldige, hörbegierige Mädchen geworfen, »und wenn das einmal so ist, und alle Aeltern sind einverstanden, so ist es nicht oft der Fall, daß das junge Paar so verborgen bleibt. Chingachgook konnte nicht wohl eine solche Beute davontragen, ohne sich Feinde zu machen unter denen, die sie ebenso begehrten wie er. Ein gewisser Briarthorn, wie wir ihn englisch nennen, oder Yokommen, wie er im Indianischen heißt, nahm es sich am meisten zu Herzen, und wir haben ihn im Verdacht, daß er bei Allem was nun folgte, eine Hand im Spiel hatte. Wa-ta!-Wah ging vor zwei Monaten mit Vater und Mutter nach den westlichen Flüßen, um Salmen zu fischen, denn dort gibt es nach der Ansicht aller Leute in unsern Gegenden die meisten Fische, und während dieser Beschäftigung verschwand das Mädchen. Einige Wochen konnten wir keine Nachricht von ihr erhalten; aber vor zehn Tagen brachte uns ein Eilbote, der durch das Delawarenland kam, eine Botschaft, woraus wir erfuhren, daß Wah-ta!-Wah den Ihrigen war gestohlen worden – wir glauben, wissen es aber nicht – durch Briarthorns Ränke – und daß sie sich nunmehr bei dem Feinde befand, der sie adoptirt hatte, und verlangte, sie sollte einen jungen Mingo heirathen. Die Botschaft besagte, die Truppe beabsichtige in dieser Gegend zu jagen und Vorräthe zu sammeln, einen Monat lang oder zwei, ehe sie nach Canada zurückkehre; und wenn wir sie in dieser Gegend aufzuspüren vermöchten, könnte sich wohl etwas ereignen, was uns zur Befreiung des Mädchens verhelfen könnte.«

»Und wie betrifft das Euch, Wildtödter?« fragte Judith etwas lebhaft.

»Es betrifft mich, wie Alles was einen Freund berührt den Freund betrifft. Ich bin hier als Chingachgook’s Beistand und Helfer, und wenn wir das junge Mädchen, das er liebt, wieder zurück bekommen, wird es mir beinahe so viel Freude machen, als hätte ich mein eignes Liebchen befreit.«

»Und wo ist denn Euer Liebchen, Wildtödter?«

»Sie ist im Walde, Judith – hängt an den Zweigen der Bäume in einem sanften Regen – im Thau auf dem offnen Gras – den Wolken, die am blauen Himmel schweben – den Vögeln, die in den Wäldern singen – den süßen Quellen, wo ich meinen Durst lösche – und in all den andern prächtigen Gaben, die von Gottes Vorsehung kommen!«

»Ihr wollt sagen, daß Ihr bis jetzt noch keine von meinem Geschlecht geliebt, sondern am meisten Euer Herumstreifen und Eure Lebensweise liebt?«

»Das ist’s – genau das ist’s. Ich bin weiß – habe ein weißes Herz, und kann billiger Weise nicht ein rothhäutiges Mädchen lieben, die einer Rothhaut Herz und Gefühle haben muß. Nein, nein, ich bin vernünftig genug in diesen Punkten, und hoffe es zu bleiben, wenigstens bis dieser Krieg vorüber ist. Ich sehe meine Zeit zu sehr in Anspruch genommen durch Chingachgook’s Angelegenheit, als daß ich wünschen sollte, ehe diese in’s Reine gebracht ist, selbst eine eigne auf dem Halse zu haben.«

»Das Mädchen, das Euch am Ende gewinnt, Wildtödter, gewinnt wenigstens ein redliches Herz, – eines ohne Verrath und Tücke; und das wird ein Sieg seyn, den die Meisten ihres Geschlechts beneiden müssen.«

Wie Judith dieß sagte, schwebte ein schmerzlicher Unmuth über ihr schönes Antlitz; während ein bittres Lächeln um einen Mund spielte, der durch keine Veränderung und Zuckung der Muskeln unschön werden konnte. Ihr Gesellschafter bemerkte diese Veränderung, und obgleich wenig vertraut mit den Regungen des weiblichen Herzens, besaß er doch natürliches Zartgefühl genug, um zu verstehen, daß es gerathen seyn möchte, diesen Gegenstand fallen zu lassen.

Da die Stunde, wo Chingachgook erwartet wurde, noch nicht so nahe war, hatte Wildtödter Zeit genug, den Stand der Vertheidigungsmittel genau zu besichtigen, und solche weitere Einrichtungen zu treffen, wie sie ihm möglich waren und durch das Bedürfniß des Augenblicks geboten schienen. Die Erfahrung und Vorsicht Hutter’s hatte in diesen Punkten Wenig zu thun übrig gelassen: doch drängten sich noch einige Vorkehrungen dem Geist des jungen Mannes auf, von dem man sagen konnte, er habe die Kunst des Grenzerkriegs mittelst der Ueberlieferungen und Sagen des Volkes studirt, unter dem er so lange gelebt hatte. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem nächsten Punkt der Küste beseitigte jede Besorgniß, es möchten etwa Büchsenkugeln vom Land herüberfliegen. Das Haus war zwar in gewissem Sinn im Bereich von Musketenschüssen, aber vom Zielen konnte ganz keine Rede seyn, und selbst Judith erklärte, daß sie von dieser Seite durchaus keiner Gefahr sich versehe. So lang also die Gesellschaft im Besitz des Forts blieb, war sie sicher, falls nicht anders die Angreifer Mittel fanden, heranzukommen, mit Feuer oder mit Sturm es wegzunehmen, oder durch irgend eine Erfindung indianischer Schlauheit und Verrätherei. Gegen die erste Art der Gefahr hatte Hutter reichliche Vorsorge getroffen, und das Gebäude selbst, das Rindendach ausgenommen, war nicht sehr leicht in Flammen zu setzen; der Boden war an mehreren Orten durchlöchert, und mit Stricken versehene Eimer waren in täglichem Gebrauch und für jeden solchen Fall bereit. Eins der Mädchen konnte leicht jedes Feuer löschen, das etwa ausbrach, vorausgesetzt, daß es nicht lange Zeit hatte, sich auszubreiten. Judith, welche alle Vertheidigungspläne ihres Vaters zu verstehen schien, und Geist und Muth genug hatte, an ihrer Ausführung einen nicht geringen Antheil zu nehmen, erklärte alle diese Einzelnheiten dem jungen Manne, dem so bei seinen Besichtigungen viel Zeit und Mühe erspart blieb. Den Tag über war Wenig zu befürchten. Nachdem sie im Besitz der Arche und der Canoe’s waren, fand sich kein weiteres Fahrzeug auf dem See. Dennoch wußte Wildtödter wohl, daß ein Floß bald gemacht war, und da sich gefallene Bäume im Ueberfluß in der Nähe des Wassers fanden, war es, wenn die Wilden ernstlich daran dachten, der Gefahr eines Angriffs zu trotzen, keine sehr schwierige Sache, die erforderlichen Mittel aufzutreiben. Die berühmte amerikanische Axt, ein Werkzeug, dem in seiner Art Nichts gleich kommt, war damals noch nicht in großem Umfange bekannt, und die Wilden waren keineswegs sehr erfahren in Handhabung des dessen Stelle vertretenden Werkzeugs; doch hatten sie Uebung genug darin, über Ströme in dieser Art zu setzen, daß man sicher seyn konnte, sie würden einen Floß bauen, falls sie es gerathen fänden, sich den Gefahren eines Angriffs bloßzustellen. Der Tod ihres Kriegers konnte ein hinreichender Sporn, jedoch auch eine Warnung seyn; Wildtödter aber hielt es für mehr als nur möglich, daß die nächste Nacht die Dinge, und zwar eben in solcher Weise, zur Entscheidung bringen würde. Diese Ahnung ließ ihn die Anwesenheit und den Beistand seines Mohikanischen Freundes sehnlichst wünschen, und war der Grund, daß er der Stunde des Sonnenuntergangs mit steigendem Verlangen entgegensah.

Als der Tag vorrückte, brachte die Gesellschaft im Castell ihre Plane zur Reife, und traf ihre Vorkehrungen. Judith war sehr thätig, und schien Freude daran zu finden, ihrem neuen Bekannten mit Rath und Auskunft an die Hand zu gehen; denn seine Gleichgültigkeit gegen Gefahr, seine männliche Hingebung für sie und ihre Schwester, sein redliches Wesen und seine innige Treuherzigkeit hatten schnell ihre Einbildungskraft und ihr Gemüth gewonnen. Obgleich die Stunden in gewisser Hinsicht Wildtödtern lang vorkamen, fand sie doch Judith nicht so, und als die Sonne sich gegen die tannenbekleideten Spitzen der westlichen Berge zu senken begann, äußerte sie unverhohlen die Ueberraschung, die sie empfand, den Tag so bald zu Ende gehen zu sehen. Hetty dagegen war trübnachdenklich und schweigsam. Sie war nie sehr redselig, oder wenn sie gelegentlich mittheilsam wurde, so war dieß nur die Folge einer vorübergehenden Aufregung, welche ihr argloses Gemüth in Spannung und Bewegung setzte; aber an diesem hochwichtigen Tage schien sie ganze Stunden lang den Gebrauch der Zunge gänzlich verloren zu haben. Besorgniß wegen ihres Vaters drückte sich im Wesen der beiden Töchter nicht auffallend aus. Keine schien ernstlich ein größeres Unheil zu befürchten, als Gefangenschaft, und ein oder zweimal ließ Hetty, wenn sie sprach, die Erwartung durchblicken, Hutter werde Mittel finden, sich selbst in Freiheit zu setzen. Obgleich Judith in diesem Punkt weniger sanguinisch war, äußerte doch auch sie die Hoffnung, es würden Vorschläge wegen eines Lösegeldes kommen, wenn die Indianer entdeckten, daß das Castell ihren Listen und Anschlägen trotze. Wildtödter jedoch behandelte diese flüchtigen Vermuthungen als die unverdauten Einbildungen und Träume von Mädchen, und traf seine Anordnungen so besonnen und brütete so ernst über der Zukunft, als wären sie nie über ihre Lippen gekommen.

Endlich kam die Stunde, wo es nothwendig wurde, sich an den mit dem Mohikan verabredeten Ort zu begeben, – oder mit dem Delawaren, wie Chingachgook häufiger genannt wurde. Da der Plan von Wildtödter reiflich entworfen und seinen Gesellschafterinnen umständlich mitgetheilt worden war, machten sich alle drei mit Einsicht und Uebereinstimmung an dessen Ausführung. Hetty trat in die Arche, band zwei von den Canoe’s zusammen, trat in eins, und ruderte bis zu einer Art von Durchfahrt in den Palisaden, welche das Gebäude umgaben, durch welche sie beide führte; dann legte sie sie unter dem Hause an Ketten, welche innen im Gebäude befestigt waren. Diese Palisaden waren fest in den Schlamm getriebene Baumstämme, und dienten dem gedoppelten Endzweck theils einer kleinen Einfriedigung, die eben zu diesem Behufe benutzt wurde, theils dem Zwecke, Feinde, die sich etwa in Booten näherten, in einer kleinen Entfernung sich vom Leibe zu halten. Canoe’s in solchen Dock’s waren gewissermaßen dem Anblick entzogen, und da die Durchfahrt gehörig verrammelt und befestigt war, wäre es eine nicht leichte Aufgabe gewesen, sie wegzubringen, wenn man sie auch gesehen hätte. Ehe jedoch die Durchfahrt geschlossen wurde, fuhr auch Judith mit dem dritten Boot in die Einfriedigung, wärend Wildtödter innen über ihren Häuptern geschäftig war, die Thüre und die Fenster innen zu verriegeln. Da Alles massiv und stark war, und kleine Bäume als Riegel gebraucht wurden, hätte es, nachdem Wildtödter fertig war, eine oder zwei Stunden erfordert, in das Haus zu brechen, wenn sich auch die Angreifer aller Werkzeuge außer der Art bedient, und ihnen Niemand Widerstand geleistet hätte. Diese Sorgfalt für Sicherstellung rührte daher, daß Hutter ein oder zweimal von den gesetzlosen Weißen der Grenze während seiner häufigen Abwesenheiten von Haus war beraubt worden.

Sobald innen Alles fest war im Hause, zeigte sich Wildtödter an einer Fallthüre, von wo er in das Canoe Judiths hinabstieg. Hierauf verschloß er die Thüre mit einer massiven Krampe und einem derben Vorhängeschloß. Dann ward Hetty in das Canoe aufgenommen, das vor die Palisaden hinausgeschoben wurde. Die nächste Vorsichtsmaßregel war, das Thor zu schließen, und die Schlüssel wurden in die Arche gebracht. Jetzt waren die drei von dem Hause ausgeschlossen, in das man nur mit Gewalt eindringen konnte, oder auf die Weise, die der junge Mann gewählt, als er es verließ.

Das Glas hatte man gleich zuerst mit herausgenommen, und Wildtödter besichtigte zunächst aufs sorgfältigste die ganze Küste des See’s, soweit seine Stellung es gestattete. Kein lebendiges Wesen war sichtbar, einige wenige Vögel ausgenommen, und auch diese flatterten in den Schatten der Bäume herum, als scheuten sie sich, der Hitze eines schwülen Nachmittags sich auszusetzen. Alle die nächsten Landvorsprunge insbesondere wurden einer scharfen Beobachtung unterworfen, um sich zu versichern, daß kein Floß angefertigt werde; das Ergebniß war überall dasselbe Bild ruhiger Einsamkeit. Wenige Worte werden die größte Verlegenheit in der Lage unserer Gesellschaft erklären. Selbst der Beobachtung jedes lauernden Auges ausgesetzt, sahen sie sich die Bewegungen ihrer Feinde durch den Schleier und Vorhang eines dichten Waldes entzogen. Während die Einbildungskraft sehr geneigt seyn mußte, den letztern mit mehr Kriegern zu bevölkern, als er in der That enthielt, mußte ihre Schwäche Allen, die etwa einen Blick in dieser Richtung auf den See warfen, zu sichtbar seyn. »Es rührt sich doch Nichts!« rief Wildtödter, als er endlich das Fernglas senkte, und sich anschickte in die Arche zu treten; »wenn die Vagabunden auf Unheil sinnen in ihren Gemüthern, so sind sie zu listig, es merken zu lassen; zwar mag ein Floß in den Wäldern zugerüstet werden, aber es ist noch nicht zum See herunter gebracht. Sie können nicht errathen, daß wir im Begriff stehen, das Castell zu verlassen, und wenn auch, so wissen sie doch nimmermehr, wohin wir wollen.«

»Das ist so wahr, Wildtödter,« erwiederte Judith, »daß jetzt, nachdem Alles bereit ist, wir uns sofort keck und ohne Furcht verfolgt zu werden, ans Werk machen dürfen – sonst versäumen wir unsre Zeit!«

»Nein, nein – die Sache will vorsichtig behandelt seyn – denn obgleich die Wilden im Dunkel sind, was Chingachgook und den Felsen betrifft, so haben sie doch ihre Augen und Beine, und sehen, in welcher Richtung wir steuern, und werden uns gewiß folgen. Ich will sie jedoch irre zu führen suchen, indem ich das Vordertheil der Fähre nach allen Richtungen hin wende, bald dahin bald dorthin, bis sie müde Füße bekommen, und es satt haben, uns nachzutraben.«

So weit es in seiner Macht stand, hielt Wildtödter getreulich Wort. In weniger als fünf Minuten nach jener Rede war die ganze Gesellschaft in der Arche und in Bewegung. Es wehte ein gelindes Lüftchen von Norden; und keck das Segel aufziehend, brachte der junge Mann die Spitze des ungefügen Fahrzeuges in eine solche Richtung, daß, mit einer reichlichen aber nothwendigen Einrechnung des Abfalls, es ein paar Meilen weiter unten am See, auf dessen östlicher Seite, an die Küste gelangen mußte. Das Segeln der Arche war nie sehr schnell, obgleich es bei ihrem geringen Tiefgang nicht schwer war, sie in Bewegung zu setzen, oder mit ihr drei oder vier Meilen in der Stunde zu machen. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem Fels betrug wenig Mehr als zwei Stunden. Bekannt mit der Pünktlichkeit der Indianer, hatte Wildtödter seine Berechnungen genau gemacht, und sich etwas mehr Zeit, als nothwendig war, um den Ort der Verabredung zu erreichen, gegeben, in der Absicht, seine Ankunft zu verzögern oder zu beschleunigen, wie es erforderlich wäre. Als er das Segel aufzog, stand die Sonne über den westlichen Bergen in einer Höhe, die noch etwas mehr als zwei Stunden Tag versprach, und wenige Minuten überzeugten ihn, daß die Bewegung der Fähre seinen Berechnungen und Erwartungen entspreche.

Es war ein prachtvoller Juniusabend, und nie glich der einsame Wasserspiegel weniger einem Schauplatz von Kampf und Blutvergießen. Der leise Wind drang kaum herab bis zu dem Bette des See’s, und schwebte nur darüber hin, als scheute er sich, seine tiefe Ruhe zu stören, oder seine spiegelglatte Fläche zu kräuseln. Selbst die Wälder erschienen wie schlummernd in der Sonne, und einige Lagen flockigter Wolken hatten Stunden lang am nördlichen Horizont sich gelagert, wie haftend in der Atmospäre, hier nur zur Verschönerung der Scene angebracht. Einige Wasserhühner streiften gelegentlich über das Wasser, und ein einziger Rabe war sichtbar, hoch über den Bäumen sich flügelnd, ein wachsames Auge auf den Wald unter ihm heftend, um jedes lebende Wesen zu entdecken, das ihm die geheimnißvollen Wälder als Beute darböten.

Der Leser hat wohl schon bemerkt, daß bei all der auffallenden Freimüthigkeit und Ungebundenheit des Benehmens, das Judith bei ihrem Grenzleben sich angeeignet, doch ihre Sprache edler war, als deren ihre männlichen Gesellschafter sich bedienten, ihren Vater mit eingeschlossen. Dieser Unterschied erstreckte sich ebenso auf die Aussprache, wie auf die Wahl der Worte und die Sätze. Nichts vielleicht verräth so bald die Erziehung und den Umgang, als die Art zu sprechen; und wenige Vorzüge erhöhen so den Reiz weiblicher Schönheit, wie eine anmuthige und fließende Sprache, während Nichts so bald jene Entzauberung bewirkt, welche die notwendige Folge einer Nichtzusammenstimmung von Erscheinung und Benehmen ist, als eine gemeine Betonung der Stimme oder der Gebrauch unedler Worte. Judith und ihre Schwester waren auffallende Ausnahmen unter allen Mädchen ihrer Classe, die ganze Grenze entlang; die Officiere der nächsten Garnison hatten der Erstern oft geschmeichelt mit der Versicherung, daß wenige Damen in den Städten sich besser als sie auf diesen wichtigen Punkt verständen. Dieß war zwar weit nicht buchstäblich wahr, aber doch so weit, daß das Compliment ihr füglicherweise konnte gemacht werden. Die Mädchen verdankten diesen Vorzug ihrer Mutter, denn sie hatten in der Kindheit schon von ihr diese vortheilhafte Eigenschaft angenommen, die kein späteres Studium und Arbeit ohne eine Schattenseite zu geben vermag, wenn man nicht in der frühern Lebensperiode darauf geachtet hat. Wer diese Mutter war, oder vielmehr gewesen war, wußte Niemand als Hutter. Sie war jetzt zwei Sommer todt, und wie Hurry erzählte, war sie im See versenkt worden; ob aus einem gewissen Vorurtheil, oder aus Widerwillen gegen die Mühe, ihr ein Grab zu graben, war oft Gegenstand der Erörterung unter den rohen Wesen jener Gegend gewesen. Judith hatte die Stelle nie besucht, Hetty aber war bei der Bestattung zugegen gewesen, und sie ruderte oft um Sonnenuntergang oder beim Mondschein ein Canoe an die Stelle, und starrte hinab in das durchsichtige Wasser, in der Hoffnung, doch einmal mit Einem flüchtigen Blick die Gestalt erschauen zu können, die sie von Kindheit an bis zu der traurigen Stunde des Scheidens so zärtlich geliebt hatte.

»Müssen wir den Felsen genau in dem Augenblick erreichen, wo die Sonne untergeht?« fragte Judith den jungen Mann, wie sie neben einander standen, Wildtödter das Steuerruder haltend, und sie mit der Nadel an einem feinen Kleidungsstück arbeitend, das weit über ihrer Stellung im Leben und eine völlige Neuheit in den Wäldern war. »Werden einige Minuten früher oder später die Sache vereiteln? es wird sehr gefährlich seyn, lang der Küste so nahe zu bleiben, wie der Fels ist.«

»Ja wohl, Judith; das ist eben die Schwierigkeit. Der Fels ist nur einen Flintenschuß vom Ufer entfernt, und es geht nicht an, zu lang und zu nahe da herum zu fahren. Wenn man mit einem Indianer zu thun hat, muß man rechnen und vorsichtig seyn, denn eine rothe Natur liebt sehr List und Tücke. Jetzt seht Ihr, Judith, daß ich gar nicht auf den Fels zu steure, sondern hier östlich davon, und jetzt werden die Wilden in dieser Richtung traben, und sich müde Füße machen, und Alles für Nichts.«

»Ihr glaubt also, sie sehen uns, und beobachten unsre Bewegungen, Wildtödter? Ich hoffte, sie würden in die Wälder zurückgegangen seyn, und uns einige Stunden ungestört lassen.«

»Das ist ganz die Einbildung eines Weibes. Es gibt keinen Nachlaß in der Wachsamkeit eines Indianers, wenn er auf dem Kriegspfad ist; und Augen sind in dieser Minute auf uns geheftet, obwohl der See uns schützt. Wir müssen dem Felsen mit Ueberlegung nahe kommen, und die Elenden auf eine falsche Spur zu bringen suchen. Die Mingo’s haben gute Nasen, höre ich; aber eines weißen Mannes Vernunft sollte es immer ihrem Instinkt gleich thun.«

Judith knüpfte jetzt ein rasch abwechselndes Gespräch mit Wildtödter an, worin das Mädchen ihr steigendes Interesse für den jungen Mann verrieth; ein Interesse, das sie bei seiner ehrlichen Unbefangenheit und bei ihrer Charakterentschiedenheit, unterstützt durch das Selbstgefühl, welches die ihren persönlichen Reizen so allgemein gezollte Schätzung in ihr geweckt hatte, weniger zu verhehlen bestrebt war, als unter andern Umständen wohl der Fall gewesen wäre. Sie war nicht eigentlich aufdringlich und keck in ihrem Benehmen, obgleich in ihren Blicken oft etwas so Freies war, daß es den ganzen Beistand ihrer ausnehmenden Schönheit brauchte, um nicht einen Verdacht gegen ihre Klugheit, wo nicht gegen ihre Sittlichkeit aufkommen zu lassen. Bei Wildtödter jedoch waren solche Blicke einer so ungünstigen Deutung weniger ausgesetzt; denn sie sah ihn selten an, ohne viel von der Aufrichtigkeit und Natur zu zeigen, welche die reinsten Gefühle des Weibes begleiten. Es war etwas auffallend, daß bei der längern Gefangenschaft ihres Vaters keines von den Mädchen eine große Unruhe um ihn an den Tag legte; aber wie schon gesagt, ihre Lebenserfahrungen und Gewohnheiten machten sie zuversichtlich und sie sahen seiner Befreiung mittelst eines Lösegelds mit einer Sicherheit entgegen, die großentheils ihre anscheinende Gleichgültigkeit erklären konnte. Schon früher einmal war Hutter in den Händen der Irokesen gewesen, und wenige Häute hatten leicht seine Befreiung erkauft. Dieser Vorfall jedoch hatte, was die Schwestern nicht wußten, zur Zeit des Friedens zwischen England und Frankreich statt gehabt, wo die Wilden durch die Politik der verschiednen Colonialregierungen im Zaum gehalten wurden, statt, wie jetzt, zu ihren Verbrechen und Grausamkeiten ermuthigt zu werden.

Während Judith in ihrer Weise redselig und zutraulich war, blieb Hetty nachdenklich und schweigsam. Einmal zwar trat sie nahe zu Wildtödter hin und befragte ihn etwas genauer über seine Absichten, so wie über die Art, wie er seinen Plan auszuführen gedenke; aber weiter ging ihr Verlangen, sich mit ihm zu unterhalten, nicht. Sobald ihre einfachen Fragen beantwortet waren – und das wurden sie alle aufs befriedigendste und wohlwollendste – entfernte sie sich wieder auf ihren Sitz, und fuhr fort, an einem groben Kleidungsstück zu arbeiten, das sie für ihren Vater fertigte, manchmal leise eine schwermüthige Weise vor sich hin summend, und oft seufzend.

So verstrich die Zeit; und als die Sonne anfing, hinter dem Saum des Fichtenwaldes zu glühen, der den westlichen Berg begrenzte, oder etwa zwanzig Minuten vor ihrem wirklichen Untergang, befand sich die Arche beinahe ganz unten bei dem Landvorsprung, wo Hutter und Hurry waren zu Gefangenen gemacht worden. Wildtödter hatte, indem er zuerst auf die eine Seite des See’s, dann auf die andere zusteuerte, seine eigentliche Absicht zu errathen erschwert; und ohne Zweifel kamen dadurch die Wilden, welche seine Bewegungen zuverlässig beobachteten, auf den Glauben, sein Zweck sey, mit ihnen zu verkehren, an dieser Stelle, oder in der Nähe derselben, und es war zu vermuthen, daß sie nach dieser Richtung hineilten, um bereit zu seyn, sich die Umstände zu Nutze zu machen. Diese List war wohl ausgesonnen, denn die Schwingung der Bai, die Krümmung des See’s und das zwischenliegende tiefe Marschland machten es, wie zu vermuthen war, möglich, daß die Arche den Fels erreichte, ehe die Verfolger, falls sie sich wirklich in der Nähe des Vorsprungs gesammelt hatten, Zeit bekamen, den Bogen, den sie hier beschreiben mußten, zu Land zu machen. Um tiefe Täuschung gelingen zu machen, hielt sich Wildtödter so nahe ans westliche Ufer, als nur immer der Vorsicht gemäß war; dann hieß er Judith und Hetty in das Haus oder die Cajüte gehen, kauerte sich selbst zusammen, so daß seine Person durch den Rand der Fähre versteckt wurde, gab dieser plötzlich die entgegengesetzte Richtung, und steuerte so rasch er konnte, der Ausströmung zu. Begünstigt durch einen verstärkten Wind bewegte sich die Arche dergestalt vorwärts, daß er sich das vollständige Gelingen seines Plans versprechen durfte, obwohl die krebsähnliche Bewegung des Fahrzeugs den Steuermann nöthigte, die Spitze nach einer ganz andern Richtung schauen zu lassen, als diejenige war, in welcher es sich wirklich bewegte.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Den zottigen Bär focht nicht an der Pfahl,
Und nicht daß Zerren der grausamen Meute;
Still lag der Hirsch in dem umbuschten Thal,
Der schäumende Eber nicht den Jagdspieß scheute;
Alles war still in Wildniß, Busch und Hag.
Lord Dorset.

Es war einer der gewöhnlichen Gebräuche der Wilden bei solchen Gelegenheiten, die Nerven ihrer Opfer auf die härtesten Proben zu stellen. Andrerseits war es ein Ehrenpunkt indianischen Stolzes, keine Anwandlung von Furcht und keine Schmerzempfindung zu verrathen: der Gefangene aber mußte seine Feinde zu solchen Mißhandlungen herauszufordern suchen, welche am ehesten den Tod zur Folge hatten. Man wußte von manchem Krieger, dem seine Qualen abzukürzen gelungen war durch höhnische Vorwürfe und eine beschimpfende Sprache, wenn er merkte, daß seine physische Organisation zu erliegen drohte unter dem Schmerz von Martern, ausgesonnen durch eine teuflische Erfindsamkeit, die wohl Alles verdunkeln mochte, was man von den höllischen Grausamkeiten religiösen Verfolgungseifers gesagt hat. Dieß glückliche Auskunftsmittel jedoch, gegen die Wildheit seiner Feinde ihre Leidenschaften selbst zu Hülfe zu rufen, war Wildtödtern versagt durch seine eigenthümlichen Begriffe von der Pflicht eines weißen Mannes; und er hatte den männlich festen Entschluß gefaßt, lieber Alles zu erdulden, als seiner Farbe Schande zu machen.

Sobald die jungen Männer merkten, daß ihnen frei stand, anzufangen, sprangen Einige der kühnsten und dreistesten unter ihnen auf den Platz vor, den Tomahawk in der Hand. Hier schickten sie sich an, diese gefährliche Waffe zu schleudern, wobei die Absicht war, den Baum so nahe als möglich am Kopf des Opfers zu treffen, ohne doch dieses selbst zu verletzen. Dieß war ein so gewagtes Experiment, daß nur die als die Erfahrensten in Handhabung dieser Waffe Anerkannten überhaupt auftreten durften, damit nicht ein früher Tod der erwarteten Unterhaltung ein vereitelndes Ende mache. Selten, selbst unter der sichersten Hand, entging der Gefangene bei diesen Prüfungen aller Verletzung; und oft war der Tod die Folge, wenn dieß gar nicht der Zweck der Schleudernden war. Im jetzigen Fall bei unserem Helden fürchteten Rivenoak und die älteren Krieger, das Beispiel von des Panthers Schicksal möchte für hitzige Geister ein Beweggrund werden, dessen Ueberwinder rasch zu opfern, jetzt, wo die Versuchung locken konnte, es gerade in derselben Weise, und vielleicht gar mit derselben Waffe, durch welche der Krieger gefallen war, zu thun. Dieser Umstand machte an sich schon die Probe mit dem Tomahawk doppelt bedenklich für Wildtödter.

Es schien jedoch, daß Alle, welche jetzt in die Schranken traten, wenn man so sagen kann, mehr darauf dachten, ihre eigne Geschicklichkeit zur Schau zu stellen, als den Tod ihrer Kameraden zu rächen. Alle schickten sich zu dem Versuche mehr mit den Gefühlen des Wetteifers, als mit Durst nach Rache an; und die ersten paar Minuten hatte die Sache für den Gefangenen nur so viel Bedeutung, als aus dem Interesse entsprang, welches eine lebendige Zielscheibe nothwendig erregte. Die jungen Männer waren lebhaft und munter, aber nicht erbittert, und Rivenoak glaubte noch aus einigen Anzeichen schließen und hoffen zu dürfen, er könne vielleicht noch das Leben des Gefangnen retten, wenn erst die Eitelkeit der jungen Männer befriedigt sey; vorausgesetzt natürlich, daß es nicht vorher bei den damit anzustellenden kitzlichen Experimenten geopfert wurde.

Der erste Jüngling, der sich zu dem Versuch stellte, hieß der Rabe, da er bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt, ein kriegerischer lautendes sobriquet zu erlangen. Er zeichnete sich mehr durch große Anmaßung, als durch Geschicklichkeit oder Thaten aus; und die seinen Charakter kannten, glaubten den Gefangnen in drohender Gefahr, als er seinen Stand einnahm und den Tomahawk schwang. Jedoch war der junge Mann gutmüthig, und in seiner Seele herrschte kein andrer Gedanke, als der Wunsch, einen bessern Wurf zu thun als irgend Einer seiner Genossen. Wildtödter bekam eine Ahnung von dem geringen Ruf dieses Kriegers dadurch, daß die Aelteren ihn dringend ermahnten und warnten; und sie würden sich in der That widersetzt haben, daß er überhaupt auf dem Plan auftrete, wäre nicht der Einfluß seines Vaters ihm zu Statten gekommen, eines bejahrten Kriegers von großem Verdienst, der damals in den Hütten des Stammes sich befand. Dennoch behauptete unser Held die Miene gefaßter Selbstbeherrschung. Er hatte sich darein ergeben, daß seine Stunde gekommen sey, und es wäre eine Wohlthat, nicht ein Unglück gewesen, durch die Unsicherheit der ersten Hand, die sich gegen ihn erhob, zu fallen. Nach einer ansehnlichen Menge von Schwenkungen und Gestikulationen, die weit Mehr versprachen, als er zu leisten vermochte, ließ der Rabe den Tomahawk seiner Hand entgleiten. Die Waffe schwirrte mit den gewöhnlichen Umdrehungen durch die Luft, schnitt einen Splitter von dem jungen Baum, woran der Gefangene gebunden war, einige Zoll von seiner Wange entfernt, und fuhr in eine große, einige Schritte weiter hinten stehende Eiche. Dieß war ein entschieden schlechter Wurf, und ein allgemeines Hohnlächeln erklärte es dafür, zur bittern Kränkung des jungen Mannes. Andrerseits erhob sich ein allgemeines, aber gedämpftes Murmeln der Bewunderung über die Standhaftigkeit, womit der Gefangene die Probe bestand. Der Kopf war das Einzige, was er bewegen konnte, und diesen hatte man absichtlich frei gelassen, damit die Peiniger die Belustigung, und der Gemarterte die Schande der Schwäche zu erdulden hätte, wenn er sich duckte, und sonst der Waffe auszuweichen suchte. Wildtödter vereitelte diese Hoffnungen durch eine Herrschaft über seine Nerven, die seinen ganzen Leib so unbeweglich machte, wie der Baum, an den er gebunden war. Nicht einmal die natürliche und gewöhnliche Erleichterung, die Augen zu schließen, benutzte er, und der älteste und kühnste Krieger unter den rothen Männern hatte niemals mit größerer Selbstverläugnung diese Wohlthat, unter ähnlichen Umständen, verschmäht.

Sobald der Rabe seinen unglücklichen und kindischen Versuch gemacht hatte, folgte ihm Le Daim-Mose, oder das Elenthier: ein Krieger von mittlerem Alter, der besonders geschickt war in der Handhabung des Tomahawk, und von dessen Auftreten die Zuschauer mit Zuversicht eine nicht geringe Befriedigung sich versprachen. Dieser Mann hatte Nichts von der Gutmüthigkeit des Raben, sondern er würde gern den Gefangnen seinem Haß gegen die Bleichgesichter überhaupt geopfert haben, hätte nicht das Interesse bei einem glücklichen Erfolg im Handhaben einer Waffe, in deren Gebrauch er besonders geschickt war, überwogen. Er nahm ruhig, aber mit zuversichtlichem Wesen, seinen Stand, schwang sein kleines Beil nur einen Augenblick, trat rasch einen Schritt vor und schleuderte. Wildtödter sah die scharfe Waffe gegen sich schwirren und glaubte, es sey jetzt aus mit ihm; aber er ward gar nicht verletzt. Der Tomahawk hatte in der That den Kopf des Gefangnen an den Baum gepreßt, indem er einen Busch seines Haars gefaßt hatte, und tief in die weiche Rinde eindrang. Ein allgemeiner gellender Ruf verkündigte die Freude der Zuschauer, und das Elenthier fühlte sein Herz sich etwas erweichen gegen den Gefangenen, dessen Nervenstärke allein ihm möglich gemacht hatte, diese Probe seiner vollendeten Geschicklichkeit abzulegen.

Auf das Elenthier folgte der Hüpfende Junge, oder Le Garcon qui bondit, der hüpfend in den Kreis kam, wie ein Hund oder eine spielende Ziege. Es war dieß Einer jener elastischen Jünglinge, deren Muskeln in immerwährender Bewegung zu seyn scheinen, und der sich, mochte es nun Affektation, oder wirkliche, fixirte Gewohnheit seyn, gar nicht mehr anders bewegte, als in der bezeichneten gauklerischen Weise. Trotzdem war er sowohl tapfer, als geschickt, und hatte sich die Achtung seines Volks sowohl durch Thaten im Krieg, als durch Glück auf der Jagd erworben. Ein weit edlerer Name hätte ihm längst zu Theil werden müssen, hätte ihm nicht ein Franzose von Rang dieses sobriquet unabsichtlich gegeben, das er nun gewissenhaft beibehielt, als von seinem Großen Vater kommend, der jenseits des großen Salzsee’s wohne. Der hüpfende Junge tanzte vor dem Gefangnen herum und drohte ihm jetzt von dieser, jetzt von jener Seite, dann wieder von vorn mit dem Tomahawk, in der eiteln Hoffnung, durch diese Gefahrvorspiegelung ihm ein Zeichen der Furcht abzupressen. Endlich wurde Wildtödters Geduld durch all diese Gaukelei erschöpft, und er sprach zum ersten Mal, seit die Prüfung wirklich angefangen hatte.

»Werft zu, Hurone!« rief er, »oder Euer Tomahawk vergißt seine Aufgabe. Warum tanzt Ihr denn immer so herum, wie ein Hirschkalb, das seiner Mutter zeigen will, wie gut es hüpfen kann, da Ihr doch selbst ein vollgewachsener Krieger seyd, und ein vollgewachsener Krieger Euch und all Euren läppischen Sprüngen Trotz bietet? Schleudert, oder die Huronischen Mädchen werden Euch in’s Gesicht lachen!«

Diese letzten Worte entflammten, so wenig der Redende eine solche Wirkung beabsichtigte, den ›Hüpfenden‹ Krieger zur Wuth. Dieselbe Nervenerregbarkeit, die ihn körperlich so beweglich machte, erschwerte es ihm, seine Empfindungen zurückzuhalten, und kaum waren jene Worte aus Wildtödters Mund, als der Tomahawk der Hand des Indianers entfuhr. Auch war er nicht ohne guten Willen und den grimmigen Vorsatz, zu tödten, geschleudert. Wäre die Absicht weniger tödtlich, so wäre die Gefahr vielleicht größer gewesen. Er zielte unsicher, und die Waffe zuckte an der Wange des Gefangenen vorbei und schnitt ihm bei ihren Umdrehungen leicht in die Schulter. Dieß war das erste Mal, daß eine andre Absicht, als die den Gefangnen zu ängstigen und die eigne Geschicklichkeit zu zeigen, an den Tag gelegt worden war; und der Hüpfende Junge ward sogleich von dem Platz weggeführt und mit Wärme gescholten wegen seiner ungezügelten Hitze, die beinahe alle Hoffnungen der Bande vereitelt hätte.

Auf diesen reizbaren Mann folgten einige andere junge Krieger, die nicht nur den Tomahawk, sondern auch das Messer – ein viel gefährlicheres Experiment – mit rücksichtsloser Gleichgültigkeit schleuderten; doch zeigten sie Alle eine Geschicklichkeit, welche den Gefangenen vor ernstlichen Verletzungen bewahrte. Einige Male zwar wurde Wildtödter geritzt, aber nie erhielt er eine eigentliche Wunde. Die unbeugsame, unerschütterliche Festigkeit, womit er seinen Angreifern die Stirne bot, zumal in der Art von Kurzweil, womit diese Prüfung endete, erregte bei den Zuschauern tiefe Achtung; und als die Häuptlinge erklärten, der Gefangene habe die Probe mit dem Messer und dem Tomahawk gut ausgehalten, da war nicht Eine Seele unter der Truppe, die wirklich eine feindselige Gesinnung gegen ihn gehegt hätte, mit Ausnahme der Sumach und des hüpfenden Jungen. Diese beiden mißvergnügten Geister thaten sich allerdings zusammen, gegenseitig ihren Zorn schürend, aber bis jetzt waren ihre boshaften Gefühle großentheils auf sie selbst beschränkt, obwohl zu befürchten stand, daß binnen Kurzem auch die Andern durch ihre Anstrengungen zu jenem dämonischen Zustand aufgeregt würden, der gewöhnlich alle solche Scenen unter den rothen Männern begleitete.

Rivenoak sagte jetzt seinen Leuten, das Bleichgesicht habe sich als ein Mann bewährt. Er möge unter den Delawaren leben, aber er sey nicht ein Weib geworden, mit diesem Stamme. Er wünschte zu wissen, ob es der Wille der Huronen sey, noch weiter zu gehen. Aber auch die Sanftesten unter den Weibern hatten bei den bisherigen Prüfungen zu viel Befriedigung empfunden, um ihren Aussichten auf ein ergötzliches Schauspiel zu entsagen, und daher wurde mit Einer Stimme verlangt, daß man fortfahre. Der politische Häuptling, der ein ähnliches Verlangen empfand, einen so berühmten Jäger in seinen Stamm aufzunehmen, wie ein europäischer Minister nach einem neuen, einträglichen Mittel der Besteurung, suchte alle irgend scheinbaren Gründe geltend zu machen, um der Sache noch zu rechter Zeit Einhalt zu thun; denn er wußte wohl, wenn man es einmal so weit kommen ließ, daß die wilderen Leidenschaften der Peiniger aufgeregt wurden, daß es dann eben so leicht wäre, die Wasser der großen Seen in seiner Heimath zu dämmen, als ihnen in ihrem blutigen Treiben Einhalt zu thun. Daher berief er vier oder fünf der besten Schützen zu sich, und gebot ihnen, den Gefangenen der Büchsenprobe zu unterwerfen, wobei er sie zugleich an die Notwendigkeit erinnerte, durch die gemessenste Aufmerksamkeit bei der Art, wie sie ihre Geschicklichkeit zeigten, ihren Ruf aufrecht zu erhalten.

Als Wildtödter die erlesenen Krieger, ihre Waffen in schußfertigem Stand, in den Kreis treten sah, empfand er eine Gemüthserleichterung, wie etwa ein Dulder, der lange die Qualen der Krankheit ertragen, bei dem sichern Herannahen des Todes empfinden mag. Beim Zielen mit dieser furchtbaren Waffe wurde leicht jede kleine Abweichung tödtlich; denn da der Kopf die Zielscheibe war, oder vielmehr der Punkt, den man ohne wirkliche Verletzung streifen sollte, mußte ein Zoll oder zwei Unterschied in der Schußlinie auf einmal die Frage über Leben und Tod entscheiden.

Bei der Tortur mit der Büchse war nicht einmal so viel Spielraum freigegeben, wie selbst in dem Fall mit Geßlers Apfel, denn ein Haar breit war in der That die äußerste Grenze, die sich ein erfahrener Schütze bei einer solchen Gelegenheit gestattete. Häufig wurde das Opfer von zu hitzigen oder ungeschickten Händen durch den Kopf geschossen; und oft geschah es auch, daß der Schütze, erbittert durch die Seelenstärke und die Herausforderungen der Gefangenen absichtlich in einem Augenblick unbändiger Aufregung ihm den Tod zusandte. Alles das wußte Wildtödter wohl, denn mit Erzählen von Ueberlieferungen solcher Scenen, wie von Schlachten und Siegen ihres Volkes, vertrieben sich die alten Männer die langen Winterabende in ihren Hütten. Er erwartete jetzt mit Bestimmtheit das Ende seiner Laufbahn, und empfand eine Art schwermüthige Freude bei dem Gedanken, daß er durch eine so geliebte Waffe, wie die Büchse, fallen sollte. Eine kleine Unterbrechung jedoch trat noch ein, ehe die Sache vor sich gehen konnte.

Hetty Hutter war Zeugin von Allem was vorging, und das Schauspiel hatte zuerst auf ihren schwachen Geist völlig lähmend gewirkt; jetzt aber hatte sie sich erholt, und ihr Gemüth empörte sich über die unverdienten Leiden, womit die Indianer ihren Freund quälten. Obwohl schüchtern und scheu wie das Junge der Hirschkuh bei manchen Gelegenheiten, war doch dieß Mädchen von richtigem Gefühl immer unerschrocken, wenn es die Sache der Menschlichkeit galt; die Lehren ihrer Mutter, und die Antriebe ihres eigenen Herzens – vielleicht dürften wir sagen: die Eingebungen jenes unsichtbaren, reinen Geistes, der immer ihre Handlungen zu bewachen und zu leiten schien – vereinigten sich, die weibliche Furchtsamkeit niederzuhalten, und sie zu kühner Entschlossenheit zu kräftigen. Sie erschien jetzt in dem Kreis, sanft, weiblich, sogar verschämt in ihrem Wesen, wie gewöhnlich, aber ernst in ihren Worten und Mienen, und redend wie Eine, die sich durch die Vollmacht Gottes unterstützt weiß.

»Warum martert Ihr den Wildtödter, rothe Männer?« fragte sie. »Was hat er gethan, daß Ihr mit seinem Leben spielt; Wer hat Euch das Recht gegeben, seine Richter zu seyn? Setzt den Fall, eins Eurer Messer oder ein Tomahawk hätte ihn getroffen: welcher Indianer unter Euch Allen könnte die Wunde heilen, die Ihr gemacht? Ueberdieß, wenn Ihr Wildtödter ein Leid thut, verletzt Ihr Euern Freund; als Vater und Hurry auf Eure Skalpe auszogen, weigerte er sich daran Theil zu nehmen, und blieb allein im Canoe. Ihr martert Euren Freund, wenn Ihr diesen jungen Mann martert!«

Die Huronen hörten sie mit ernster Aufmerksamkeit an, und Einer unter ihnen, der Englisch verstand, übersetzte das Gesagte in die Sprache ihrer Heimath. Sobald Rivenoak den Sinn ihrer Anrede vernommen, beantwortete er sie in seiner Sprache, und der Dollmetscher übersetzte es dem Mädchen ins Englische.

»Meiner Tochter steht es frei zu sprechen,« sagte der finstre, alte Redner, und gebrauchte so sanfte Töne und lächelte so freundlich, als spräche er mit einem Kind – »die Huronen hören gern ihre Stimme; sie lauschen Allem, was sie sagt. Der große Geist redet oft zu den Menschen mit solchen Zungen. Dießmal sind ihre Augen nicht weit genug offen gewesen, um Alles zu sehen, was vorgefallen ist. Wildtödter ist nicht gekommen unsere Skalpe zu nehmen, das ist wahr, warum kam er nicht? Hier sind sie, auf unsern Häuptern; die Kriegslocken sind bereit, daß man sie packen kann; ein kühner Feind soll seine Hand ausstrecken, sie zu fassen. Die Irokesen sind eine zu große Nation, um Männer zu strafen, welche Skalpe nehmen. Was sie selbst thun, das sehen sie gern auch an Andern. Meine Tochter möge sich umsehen und meine Krieger zählen. Hätte ich so viele Hände als vier Krieger, ihre Finger wären weniger als mein Volk war, als wir in Eure Jagdgründe kamen. Jetzt fehlt eine ganze Hand. Wo sind die Finger? Zwei sind abgeschnitten worden von diesem Bleichgesicht; meine Huronen wünschen zu sehen, ob er dieß gethan hat, in Kraft eines männlichen Herzens, oder durch Verrath; wie ein schleichender Fuchs, oder wie ein springender Panther.«

«Ihr wißt selbst, Huronen, wie Einer davon fiel. Ich habe es gesehen, und Ihr Alle auch. Es war zu blutig, um hinzuschauen; aber es war nicht Wildtödters Schuld. Euer Krieger trachtete nach seinem Leben, und er vertheidigte sich. Ich weiß nicht, ob das gute Buch sagt, daß dieß recht gewesen, aber alle Menschen werden es sagen. Kommt, wenn Ihr wissen wollt, Wer von Euch am besten schießen kann, gebt Wildtödtern eine Büchse, und dann werdet Ihr sehen, wie viel erfahrener er ist, als irgend Einer Eurer Krieger; ja als Alle zusammen!«

Hätte Jemand eine solche Scene unbefangen und gleichgültig beobachten können, so hätte er müssen belustigt werden durch den Ernst, womit die Wilden die Dollmetschung dieses ungewöhnlichen Verlangens anhörten. Kein Hohn, kein Lächeln mischte sich in ihr Erstaunen; denn Hettys Wesen hatte einen zu geheiligten Charakter, als daß ihre Schwäche der Gegenstand des Spottes der Trotzigen und Rohen hätte werden dürfen. Im Gegentheil, man antwortete ihr mit achtungsvoller Aufmerksamkeit.

»Meine Tochter redet nicht immer wie ein Häuptling am Berathungsfeuer,« erwiederte ihr Rivenoak, »sonst würde sie das nicht gesagt haben. Zwei meiner Krieger sind gefallen von der Hand unsers Gefangenen; ihr Grab ist zu klein, einen Dritten aufzunehmen. Die Huronen häufen nicht gern ihre Todten aufeinander. Wenn noch ein Geist im Begriff steht, nach der fernen Welt aufzubrechen, so darf es nicht der Geist eines Huronen seyn, es muß der Geist eines Bleichgesichts seyn. Geht, Tochter, und setzt Euch zu Sumach, die in Trauer ist; laßt die Huronenkrieger zeigen, wie gut sie schießen können; laßt das Bleichgesicht zeigen, wie wenig er sich um ihre Kugeln kümmert.«

Hettys Geist war der Fortführung einer Erörterung nicht gewachsen und gewohnt, sich den Anweisungen Weiterer zu unterwerfen, that sie wie ihr geboten, setzte sich willenlos auf einen Stamm neben die Sumach, und wandte ihr Antlitz ab von dem peinlichen Schauspiel, das innerhalb des Kreises aufgeführt wurde.

Die Krieger nahmen, sobald diese Unterbrechung beseitigt war, ihre Sitze ein, und schickten sich wieder an, ihre Geschicklichkeit glänzen zu lassen, wobei sie einen gedoppelten Zweck im Auge hatten; den, die Standhaftigkeit des Gefangenen auf die Probe zu stellen, und dann ferner zu zeigen, wie stet und sicher die Hand der Schützen unter aufregenden Umständen sey. Die Entfernung war klein, und in Einem Sinn, Sicherheit versprechend. Aber je kleiner der von den Peinigenden genommene Abstand war, um so mehr wurde die Probe für die Nerven des Gefangenen wesentlich gesteigert. Wildtödters Gesicht war in der That nur eben weit genug von dem Ende der Gewehre entfernt, um von der Explosion des Pulvers nicht gefährdet zu werden, und sein stetes Auge konnte gerade in die Mündungen ihrer Büchsen hineinsehen, gleichsam im Voraus schon den tödlichen Boten erschauend, der aus jeder hervorbrechen sollte. Die schlauen Huronen hatten diesen Umstand wohl berechnet; und kaum Einer erhob sein Gewehr, ohne es zuerst so scharf als möglich auf die Stirne des Gefangnen anzulegen, in der Hoffnung, seine Seelenstärke werde ihn verlassen und die Bande werde den Triumph genießen, ein Opfer unter ihrer sinnreichen Grausamkeit zucken und sich winden zu sehen. Dennoch hüteten sich sämmtliche Schützen wohl, ihn zu treffen, da die Schmach, ihn vor der Zeit zu tödten, nur der nachstand, das Ziel ganz zu verfehlen. Schuß um Schuß fiel; alle Kugeln schlugen ganz nahe bei Wildtödters Kopf ein, ohne ihn zu berühren. Aber noch konnte Niemand auch nur das Zucken eines Muskels von Seiten des Gefangenen, oder das leiseste Blinzeln seines Auges wahrnehmen. Diese unbezwingliche Entschlossenheit, welche so weit alles Aehnliche übertraf, was irgend ein Anwesender je zuvor gesehen, konnte von drei besondern Ursachen abgeleitet werde. Die erste war: Ergebung in sein Schicksal, verbunden mit natürlicher fester Haltung und Fassung; denn unser Held hatte es ruhig mit sich abgemacht, daß er sterben müsse und zog diese Todesart jeder andern vor; die zweite war seine vertraute Bekanntschaft gerade mit dieser Waffe, wodurch sie für ihn alles Schreckliche verlor, was sich gewöhnlich schon an die bloße Form der Gefahr knüpft; und die dritte war eben diese auch praktisch erprobte Bekanntschaft, die so weit und fein ausgebildet war, daß das beabsichtigte Opfer bis auf den Zoll den Fleck anzugeben wußte, wohin jede Kugel treffen müsse, denn er berechnete ihr Ziel, indem er gerade in’s Rohr hineinsah. So genau war Wildtödters Berechnung der Schußlinie, daß am Ende sein Stolz die Oberhand über seine Ergebung gewann, und er, nachdem Fünf oder Sechse ihre Kugeln in den Baum geschossen, sich nicht enthalten konnte, seine Verachtung über ihren Mangel an sichrer Hand und sichrem Auge auszusprechen.

»Ihr mögt dieß Schießen nennen, Mingos!« rief er, »aber wir haben Weiber unter den Delawaren, und ich habe holländische Mädchen gekannt am Mohawk, die Eure größten Kunststücke zu Schanden machen konnten. Macht diese meine Arme los, gebt mir eine Büchse in die Hand, und ich will die dünnste Kriegslocke in Eurer Truppe an jeden Baum nageln, den Ihr mir bezeichnet, und das auf hundert Schritte; ja, oder auf zweihundert, wenn man das Ziel sehen kann, neunzehn Schüsse unter zwanzig, oder meinetwegen zwanzig unter zwanzig, wenn das Gewehr preiswürdig und zuverlässig ist!«

Ein leises, drohendes Gemurmel folgte auf diesen kalten, herausfordernden Hohn; der Zorn der Krieger entzündete sich, als sie einen solchen Vorwurf hörten aus dem Mund eines Mannes, der ihr Beginnen so verächtlich ansah, daß er nicht einmal blinzelte, wenn man eine Büchse so nahe vor seinem Gesicht abschoß, als man konnte, ohne es ihm zu versengen, Rivenoak bemerkte, daß der Augenblick kritisch war, und noch immer die Hoffnung nicht aufgebend, einen so ausgezeichneten Jäger für seinen Stamm zu gewinnen, legte sich der schlaue, alte Häuptling, vermuthlich zur, rechten Zeit, in’s Mittel, um zu verhüten, daß man nicht augenblicklich zu dem Theil der Marter schritt, der nothwendig durch äußerste körperliche Qual, wenn nicht in andrer Weise, den Tod zur Folge haben mußte. Er trat mitten unter die gereizte Gruppe, redete sie mit seiner gewohnten schlauen Logik und seiner gefälligen, gewinnenden Art an, und unterdrückte sogleich die heftige Bewegung, die schon begonnen hatte.

»Ich sehe, wie es ist,« sagte er. »Wir sind gewesen wie die Bleichgesichter, wenn sie bei Nacht ihre Thüren schließen aus Furcht vor den rothen Männern. Sie brauchen so viele Riegel, daß das Feuer auskommt und sie verbrennen, ehe sie hinaus können. Wir haben den Wildtödter zu fest gebunden. Die Bande hindern seine Glieder zu zittern, und seine Augen, sich zu schließen. Lockert sie ihm: laßt uns sehen, aus welchem Stoffe sein eigner Körper wirklich besteht!«

Es ist oft der Fall, wenn wir in einem Lieblingsplan uns getäuscht sehen, daß wir gerne zu jedem Auskunftsmittel, mag es auch noch so wenig Aussicht auf Erfolg verbürgen, greifen, ehe wir unsern Zweck ganz aufgeben. So war es bei den Huronen. Der Vorschlag des Häuptlings fand augenblicklich Beifall; und mehrere Hände waren sofort geschäftig, die Bastseile vom Leib unsers Helden wegzureißen und zu schneiden. Nach einer halben Minute stand Wildtödter so frei von Banden da, wie er eine Stunde zuvor seine Flucht am Berg hin begonnen hatte. Ein wenig Zeit brauchte es, bis er den Gebrauch seiner Glieder wieder erlangte, denn der Umlauf des Blutes war durch die Festigkeit der Bande gehemmt worden; und diese ward ihm von Rivenoaks Politik bewilligt unter dem Vorwand, daß sein Körper für Furcht und Schrecken empfänglicher seyn würde, wenn er seine rechte Stimmung wieder gewonnen habe; eigentlich aber war seine Absicht, den heftigen wilden Leidenschaften, die in der Brust seiner jungen Männer rege geworden waren, Zeit zu lassen, sich wieder zu legen. Diese List gelang; und Wildtödter, indem er sich die Glieder rieb, mit den Füßen stampfte, und sich Bewegung machte, stellte bald den Umlauf des Blutes wieder her, und gewann wieder seine ganze physische Kraft so vollständig, als wenn gar Nichts sie gestört und geschwächt hätte. Selten denken die Menschen an den Tod in dem stolzen Gefühl ihrer Gesundheit und Stärke. So war es bei Wildtödter. Nachdem er hülflos gebunden, und, wie er allen Grund gehabt zu glauben, so ganz kürzlich erst am Rande der andern Welt gewesen war, wirkte jetzt das, daß er sich so unerwartet befreit, im Besitz seiner Kraft, und völlig Herr seiner Glieder sah, auf ihn wie eine plötzliche Wiederbelebung, und fachte in ihm wieder Hoffnungen an, die er zuvor schon ganz aufgegeben hatte. Von diesem Augenblicke an änderten sich alle seine Plane. Hierin gehorchte er einfach einem Gesetz der Natur; denn wenn wir unsern Helden als ergeben in sein Schicksal darzustellen wünschten, war es doch entfernt nicht unsere Absicht, ihn als verlangend nach dem Tode zu schildern. Von dem Augenblick an, wo sein Kraftgefühl frisch wieder auflebte, waren seine Gedanken lebhaft auf die verschiedenen Entwürfe gerichtet, die sich ihm darboten, um mittelst ihrer den Anschlägen seiner Feinde sich zu entziehen; und er wurde wieder der besonnene, sinnreiche und entschlossene Waldmann, der aller seiner Kräfte und Hülfsquellen sich bewußt und sie zu benützen bereit war. Der Wechsel war so groß, daß auch sein Geist wieder seine Spannkraft gewann; und nicht mehr an Unterwerfung denkend, verweilte er nur bei den Listen und Anschlägen der Art von Kriegführung, worin er jetzt verwickelt war.

Sobald Wildtödter losgebunden war, vertheilte sich die Bande in einen Kreis um ihn her, um ihn einzuhegen; und der Wunsch, seinen Muth und Geist zu brechen, wuchs in ihnen, je mehr sie Beweise von der Schwierigkeit sahen, ihn zu beugen. Die Ehre der Truppe stand jetzt bei dem Ausgang auf dem Spiel; und selbst das schöne Geschlecht verlor all‘ sein Mitgefühl mit menschlichem Leiden über dem Wunsch, die Ehre des Stammes gerettet zu sehen. Die Stimmen der Mädchen, sanft und melodisch wie die Natur sie geschaffen, hörte man mit den Drohungen der Männer sich mischen; und die der Sumach widerfahrenen Unbilden nahmen plötzlich den Charakter von kränkenden Leiden an, die jedes huronische Weib betroffen. Diesem sich erhebenden Tumult nachgebend, zogen sich die Männer ein Wenig zurück, den Weibern bedeutend, daß sie den Gefangenen eine Weile in ihren Händen ließen; denn es war bei solcher Gelegenheit ein gewöhnlicher Kunstgriff, daß die Weiber durch ihre Verhöhnungen und Schmähungen das Opfer in einen Zustand von Wuth zu versetzen suchten, und es dann plötzlich den Männern überlieferten, in einem Gemüthszustand, der wenig günstig war, den Qualen körperlicher Peinigung Widerstand zu leisten. Auch war diese Gesellschaft nicht ohne die geeigneten Werkzeuge, einen solchen Zweck zu erreichen. Sumach hatte einen großen Ruf als Keiferin und Schreierin; und ein paar alte Weiber, wie die Bärin, waren mit der Truppe ausgezogen, höchst wahrscheinlich als Wächterinnen des Anstands und der moralischen Disciplin; denn dergleichen kommt im wilden so gut wie im civilisirten Leben vor. Es ist unnöthig Alles zu wiederholen, was Wildheit und Unwissenheit zu diesem Behuf zu ersinnen vermochten; der einzige Unterschied zwischen diesem Ausbruch weiblichen Zorns und einer ähnlichen Scene unter uns bestand mir in den Redefiguren und den Prädikaten; – die huronischen Weiber benannten ihren Gefangenen mit den Namen der niedrigsten und verachtetsten Thiere, die ihnen bekannt waren.

Aber Wildtödters Geist war zu sehr beschäftigt, als daß er hätte durch das Schimpfen erbitterter Hexen sollen gestört werden; und da ihre Wuth nothwendig mit seiner Gleichgültigkeit stieg, so wie seine Gleichgültigkeit mit ihrer Wuth, wurden die Furien bald durch das Uebermaß unfähig, weiter fort zu machen. Die Krieger, als sie bemerkten, daß dieser Versuch gänzlich fehlgeschlagen, traten ins Mittel und machten der Scene ein Ende; und dieß um so mehr, da man jetzt ernstlich Vorbereitungen machte zu dem Anfang der wirklichen Martern, derjenigen, welche die Seelenstärke des Dulders auf die Probe heftiger, körperlicher Schmerzen stellen sollten. Eine plötzliche, unvorhergesehene Meldung jedoch, die Einer der ausgestellten Kundschafter, ein Knabe von zehn oder zwölf Jahren, brachte, hemmte für einen Augenblick das ganze Beginnen. Da diese Unterbrechung in engem Zusammenhang mit dem dénoucment unserer Geschichte steht, wollen wir sie in einem besondern Capitel berichten.

Dreißigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

So meinst Du – wie wohl Jeder meint
Das Gleiche, weil’s dem Aug‘ so scheint;
Doch andre Ernte sank,
Als die des Bauers Sichel fällt,
Vor härtrer Hand auf diesem Feld,
Durch Speer und Klingen blank.
Scott.

Es ging über Wildtödters Vermögen, zu erfahren, was den plötzlichen Stillstand in den Bewegungen seiner Feinde veranlaßt hatte, bis die Sache sich im ordentlichen Verlauf der Ereignisse offenbarte. Er bemerkte, daß große Unruhe besonders unter den Weibern herrschte, während die Krieger in einer Art würdevoller Erwartung auf ihre Waffen gelehnt blieben. Es war klar, daß kein Allarm entstanden, obwohl nicht eben so augenfällig war, daß ein erwünschtes Ereigniß die Verzögerung herbeiführte. Rivenoak war sichtlich von Allem unterrichtet, und durch eine Bewegung seines Arms schien er dem Kreise zu bedeuten, er solle unaufgelöst bleiben, und Jedes solle den Ausgang der Sache in der Stellung abwarten, in der es sich gerade befinde. Es bedurfte nur ein paar Minuten, um die Erklärung dieser sonderbaren und geheimvollen Pause zu bringen, welche bald dadurch ihr Ende erreichte, daß Judith hinter der Linie von Huronen erschien, und sofort in den Kreis eingelassen wurde. Wenn Wildtödter erstaunt war über diese unerwartete Ankunft, da er wohl wußte, daß das gescheute und geistesgegenwärtige Mädchen keineswegs Ansprüche hatte auf die Befreiung von den Leiden und Folgen der Gefangenschaft, die man ihrer schwachsinnigen Schwester so gerne bewilligte, so war er nicht minder betroffen über den Aufzug, worin sie erschien. Ihr ganzer gewöhnlicher Waldanzug, so sauber und passend dieser in der Regel war, war vertauscht worden mit dem schon erwähnten Brokatkleid, das schon einmal an ihrer Person eine so große und zauberhafte Wirkung hervorgebracht hatte. Dieß war noch nicht Alles. Gewohnt die Lady’s der Garnison in der förmlichen Galatracht des Tages zu sehen, und vertraut mit den feinern, genauern Zierlichkeiten in diesen Dingen, hatte das Mädchen ihren Anzug dergestalt zu vervollständigen gewußt, daß kein auffallender Mangel im Detail sichtbar wurde, und nicht einmal ein Mangel an Uebereinstimmung hervortrat, der einer in die Geheimnisse der Toilette Eingeweihten hätte auffallen müssen. Kopf, Füße, Arme, Hände, Büste und Faltenwurf – Alles war in Harmonie, – was man damals am weiblichen Anzug reizend und harmonisch fand; und das Vorhaben, auf das sie ausging, nemlich den ungelehrten, sinnlichen Wilden zu imponiren, indem sie sie glauben machte, ihr Besuch sey eine Frau von hohem Stand und Bedeutung, hätte ihr gar leicht gelingen können bei Solchen, die vermöge ihrer Lebensgewohnheiten zwischen den Personen derlei Unterschiede zu machen gelernt hatten. Neben ihrer seltenen, natürlichen Schönheit besaß Judith eine ausgezeichnete Grazie in ihrem Wesen, und ihre Mutter hatte ihr genug von ihrer Haltung und ihrem Anstand beigebracht, um aus ihrem Benehmen jeden anstößigen oder auffallenden Zug von Gemeinheit zu verbannen; so daß, die Wahrheit zu gestehen, der prächtige Anzug beinahe in jedem andern Falle übler an seinem Platze gewesen wäre. In einer Hauptstadt hätten ihn Tausend tragen können, ehe sich Eine gefunden, die den lebhaften Farben, dem schimmernden Atlaß, und den reichen Spitzen mehr Ehre gebracht hätten, als das schöne Wesen, deren Person er jetzt schmücken half.

Die Wirkung einer solchen Erscheinung war nicht übel berechnet. Im Augenblick, wo Judith sich innerhalb des Kreises befand, ward sie einigermaßen für die furchtbare persönliche Gefahr, der sie sich aussetzte, entschädigt durch den unzweideutigen Eindruck von Ueberraschung und Bewunderung, den ihre Erscheinung hervorbrachte. Die grimmigen alten Krieger ließen ihren Lieblingsruf: ›Hugh!‹ hören. Die jüngern Männer waren noch stärker hingenommen, und selbst die Weiber blieben nicht zurück, ihr Wohlgefallen durch offene Aeußerungen kund zu geben. Nur selten hatten diese rohen Kinder des Waldes andere weiße Frauen, als von der niedrigsten Classe, gesehen, und was Kleider betrifft, so hatte ihr Auge noch nie so viel Glanz und Schimmer erblickt. Die lustigsten Uniformen von Franzosen und Engländern erschienen matt, verglichen mit dem schillernden Brokat; und während die seltne körperliche Schönheit der Trägerin die Wirkungen der Farben noch erhöhte, verfehlte der Anzug nicht, diese Schönheit noch hervorzuheben in einer Art, welche selbst die Hoffnungen des Mädchens übertraf. Wildtödter selbst war ganz verblüfft, und dieß ebenso sehr über das glänzende Bild, welches das Mädchen darbot, als über die Gleichgültigkeit gegen die Folgen, womit sie der Gefahr des gethanen Schrittes trotzte. Unter solchen Umständen warteten Alle ab, bis der Besuch seine Absicht erklären würde, die den Meisten der Zuschauer ebenso unbegreiflich schien, wie dessen Erscheinung.

»Welcher von diesen Kriegern ist der vornehmste Häuptling?« fragte Judith den Wildtödter, sobald sie merkte, daß man von ihr die Eröffnung der Unterredung erwartete; »mein Auftrag ist zu wichtig, um an Einen von niedrigerem Rang bestellt zu werden. Zuerst erklärt den Huronen, was ich sage; dann gebt mir Antwort auf die Frage, die ich gethan.« Wildtödter gehorchte ruhig, und seine Zuhörer horchten begierig auf die Dollmetschung der ersten Worte aus dem Mund einer so außerordentlichen Erscheinung. Das Verlangen schien vollkommen im Charakter einer Person, die selbst allem Anschein nach einem hohen Stand angehörte. Rivenoak ertheilte eine geeignete Antwort, indem er sich seinem schönen Besuch in einer Art vorstellte, die keinen Zweifel übrig ließ, daß er zu all der Achtung berechtigt sey, die er in Anspruch nahm.

»Ich kann das glauben, Hurone,« begann Judith wieder, und spielte ihre angenommene Rolle mit einer Festigkeit und Würde, die ihrem Nachahmungstalent Ehre machte, denn sie war bemüht, ihrem Benehmen die herablassende Artigkeit zu verleihen, die sie einmal bei der Gattin eines Generals bei einer ähnlichen, obwohl friedlicheren Scene beobachtet hatte; »ich kann glauben, daß Ihr die wichtigste Person dieser Truppe seyd; ich sehe in Eurem Angesicht die Züge des Nachdenkens und der Besonnenheit. An Euch also muß ich meine Mittheilung richten.«

»Möge die Blume der Wälder sprechen,« erwiederte der alte Häuptling höflich, sobald ihre Anrede so gedollmetscht war, daß Alle sie verstehen mochten. »Wenn ihre Worte so lieblich sind wie ihr Aussehen, werden sie nie meine Ohren verlassen; ich werde sie noch hören, lange nachdem der Winter von Canada alle Blumen des Sommers getödtet und alle seine Reden erstarren gemacht hat.«

Diese Bewunderung schmeichelte Judith bei der ihr eignen Gemüthsart, und sie trug ebensoviel bei, ihr ihre Selbstbeherrschung zu erleichtern, als sie ihre Eitelkeit befriedigte. Sie lächelte unwillkürlich, oder trotz ihrem Vorsatz, zurückhaltend zu erscheinen, und fuhr nun weiter in ihrem Gewerbe fort.

»Nun, Hurone,« sprach sie, »hört meine Worte. Eure Augen sagen Euch, daß ich kein gewöhnliches Weib bin. Ich will nicht sagen, daß ich die Königin dieses Landes sey; die ist weit weg von hier, in einem fernen Lande; aber unter unsern großmächtigen Monarchen sind viele Abstufungen des Ranges, und eine davon nehme ich ein. Welches dieser Rang sey, ist unnöthig, so genau anzugeben, denn Ihr würdet es doch nicht verstehen. Euch darüber zu belehren müßt Ihr Euern sehenden Augen überlassen. Ihr schaut, was ich bin; Ihr müßt fühlen, indem Ihr meine Worte höret, daß Ihr Eine höret, die Eure Freundin oder Eure Feindin zu seyn vermag, je nachdem Ihr sie behandelt.«

Dieß ward ganz angemessen vorgetragen, mit gebührender Rücksicht auf ihr Benehmen und mit einer sichern Festigkeit des Tones, die in der That überraschend war, in Betracht aller Umstände des Falles. Auch ward diese Rede gut, obwohl einfach, in die indianische Sprache übersetzt, und mit einem Ernst und einer Achtung aufgenommen, die für den Erfolg des Mädchens nur Gutes weissagten. Aber die Gedanken der Indianer lassen sich nicht so leicht bis auf die innerste Quelle ergründen. Judith wartete mit ängstlicher Spannung auf die Antwort, ebenso sehr von Hoffnung als von Zweifel erfüllt. Rivenoak war ein fertiger Sprecher, und er antwortete so rasch, als sich mit den Begriffen von indianischem Wohlstand vertrug; denn dieß eigenthümliche Volk scheint eine kurze Verzögerung der Antwort für ein Zeichen der Achtung zu halten, sofern dadurch an den Tag gelegt wird, daß man die vernommenen Worte auch gebührend erwogen hat.

»Meine Tochter ist schöner als die wilden Rosen am Ontario; ihre Stimme ist lieblich für das Ohr wie der Gesang des Zaunkönigs,« antwortete der vorsichtige und schlaue Häuptling, der allein unter der ganzen Bande sich nicht ganz hinnehmen ließ von der prächtigen und ungewöhnlichen Erscheinung Judiths, und der bei seiner Verwunderung doch noch Mißtrauen hegte; »der Colibri ist nicht viel größer als die Biene, und doch sind seine Federn so glänzend wie der Schweif des Pfauen. Der Große Geist verleiht manchmal sehr prächtige Kleider sehr kleinen Thieren. Und doch bedeckt er das Elenthier auch mit groben Haaren. Diese Dinge gehen über das Verständniß von armen Indianern, die nur begreifen können, was sie sehen und hören. Ohne Zweifel hat meine Tochter einen sehr großen Wigwam irgendwo in der Nähe des See’s, die Huronen haben ihn nicht gefunden in ihrer Unwissenheit.«

»Ich habe Euch gesagt, Häuptling, es wäre unnütz, meinen Rang und meinen Aufenthaltsort zu nennen, da Ihr doch davon Nichts verstehen würdet. Ihr müßt Euern Augen glauben, was diese Kunde betrifft! welcher rothe Mann ist hier, der nicht sehen könnte? Dieß Tuch, das ich trage, ist nicht das Tuch einer gewöhnlichen Squaw; diese Schmucksachen sind von der Art, wie nur die Frauen und Töchter der Häuptlinge darin erscheinen. Jetzt horcht auf und vernehmt, warum ich allein unter Euer Volk gekommen bin, und achtet auf das Anliegen, das mich hieher geführt hat. Die Vengeese haben junge Männer, so gut wie die Huronen, und zwar haben sie deren genug; das wißt Ihr wohl!«

»Der Vengeese sind so viele, als Blätter auf den Bäumen! das weiß und fühlt jeder Hurone,«

»Ich verstehe Euch, Häuptling. Hätte ich eine Truppe mit mir genommen, so hätte Euch das in Unruhe setzen können. Meine jungen Männer und die Eurigen würden einander zornig angeschaut haben; zumal wenn meine jungen Männer dieß Bleichgesicht gesehen hätten, das Ihr zu Martern bestimmt habt. Er ist ein großer Jäger und sehr geliebt von allen Garnisonen in der Nähe und Ferne. Es hätte einen Kampf um ihn gegeben, und der Weg der Irokesen heim nach den Canada’s wäre mit Blut bezeichnet worden.«

»Es ist schon so viel Blut darauf,« versetzte der Häuptling finster, »daß es unsre Augen blendet. Meine jungen Männer sehen, daß es alles Blut der Huronen ist.«

»Ohne Zweifel; und noch mehr Huronenblut würde vergossen werden, wenn ich umgeben von Bleichgesichtern gekommen wäre. Ich habe von Rivenoak gehört, und habe gedacht, es würde besser seyn, ihn im Frieden in sein Dorf heimzuschicken, daß er seine Weiber und seine Kinder daheim ließe; wenn er dann Lust hätte, unsre Skalpe zu holen, würden wir ihm entgegen treten. Er liebt Thiere aus Elfenbein gemacht und kleine Büchsen. Seht; ich habe einige mitgebracht, sie ihm zu zeigen. Ich bin seine Freundin. Wenn er diese Dinge zu seinen Gütern gepackt hat, wird er nach seinem Dorfe aufbrechen, ehe Einer von meinen jungen Männern, ihn einholen kann; und dann wird er seinem Volke in Canada zeigen, welche Schätze sie hier suchen können, jetzt nachdem unsre großen Väter über dem Salzsee einander die Kriegsaxt zugeschickt haben. Ich will zurück mit dem großen Jäger, dessen ich bedarf, um mein Haus mit Wildpret zu versorgen.«

Judith, mit der indianischen Phraseologie hinlänglich vertraut, bemühte sich, ihre Gedanken in der diesem Volke eignen sententiösen Weise auszudrücken, und es gelang ihr sogar über ihre eigne Erwartung. Wildtödter ließ ihr in seiner Dollmetschung alle Gerechtigkeit widerfahren, und das um so bereitwilliger, als das Mädchen sich sorgfältig hütete, eine eigentliche Unwahrheit vorzubringen,– eine Huldigung, die sie der ihr bekannten Abneigung des jungen Mannes gegen Lügen zollte; denn diese hielt er für eine der Gaben eines weißen Mannes ganz unwürdige Niederträchtigkeit. Das Anbieten der zwei noch übrigen Elephanten und der früher erwähnten Pistolen, deren eine freilich durch den Unfall vor Kurzem ziemlich gelitten hatte, brachte eine lebhafte Aufregung unter den Huronen im Ganzen hervor; Rivenoak aber nahm es kalt auf, trotz des Entzückens, womit er zuerst die Wahrscheinlichkeit der Existenz einer Creatur mit zwei Schwänzen entdeckt hatte. Mit Einem Wort, dieser kühle und scharfsichtige Wilde ließ sich nicht so leicht imponiren wie seine Genossen; und mit einem Ehrgefühl, das die Hälfte der civilisirten Welt übertrieben gefunden haben würde, lehnte er die Annahme einer Bestechung ab, die er nicht gemeint war durch Erfüllung der Wünsche der Geberin zu verdienen.

»Behalte meine Tochter ihr zweischwänziges Schwein, es zu essen, wenn es an Wildpret fehlt,« antwortete er trocken, »und auch das kleine Gewehr mit zwei Mündungen. Die Huronen werden Wild tödten, wenn sie hungrig sind; und sie haben lange Büchsen, damit zu kämpfen. Dieser Jäger kann jetzt meine jungen Männer nicht verlassen: sie wünschen zu wissen, ob er so tapfern Herzens ist, als er prahlt.«

»Das läugne ich, Hurone,« unterbrach ihn Wildtödter mit Wärme; »ja, das läugne ich schnurstracks, da es gegen Wahrheit und Vernunft ist. Kein Mensch hat gehört, daß ich prahle, und soll es auch Keiner, und wenn Ihr mich auch lebendig schindet, und dann das zuckende Fleisch röstet, mit Euren höllischen Tücken und Grausamkeiten! Ich bin wohl niedrig und unglücklich, und Euer Gefangner; aber ich bin kein Prahler; schon vermöge meiner Gaben.«

»Mein junges Bleichgesicht prahlt, er sey kein Prahler,« versetzte der schlaue Häuptling; »er muß Recht haben. Ich höre einen seltsamen Vogel singen. Er hat sehr prächtige Federn. Kein Hurone hat je solche Federn gesehen! Sie werden sich schämen, zurückzukehren in ihr Dorf, und ihrem Volke zu sagen, sie haben ihren Gefangnen ziehen lassen wegen des Gesangs dieses fremden Vogels, ohne im Stande zu seyn, den Namen dieses Vogels anzugeben. Sie wissen nicht zu sagen, ob es ein Zaunkönig ist oder ein Katzenvogel. Das wäre eine große Schmach; man würde meine jungen Männer nicht in die Wälder ziehen lassen, ohne daß sie ihre Mütter mitnähmen, ihnen die Namen der Vögel zu sagen!«

»Ihr könnt Euren Gefangnen nach meinem Namen fragen,« versetzte das Mädchen. »Er ist Judith; und es steht viel von der Geschichte der Judith in der Bleichgesichter bestem Buch, der Bibel. Wenn ich ein Vogel mit schönen Federn bin, so habe ich auch meinen Namen.«

»Nein,« antwortete der schlaue Hurone, seine lange geübte List und Verstellung verrathend, indem er mit ziemlicher Richtigkeit Englisch sprach, »ich nicht Gefangnen fragen. Er ermüdet; der Ruhe bedürfen. Ich frage meine Tochter mit dem schwachen Geist. Sie die Wahrheit sprechen. Kommt her, Tochter; Ihr antworten. Euer Name Hetty?«

»Ja, so nennt man mich,« antwortete das Mädchen, »obwohl er in der Bibel Esther geschrieben ist.«

»Es ihn auch in die Bibel schreiben! Alles in die Bibel schreiben. Einerlei – was ihr Name?«

»Der ist Judith, und er ist so in der Bibel geschrieben, obgleich der Vater sie manchmal Jude nannte. Das ist meine Schwester Judith, Thomas Hutters Tochter – Thomas Hutter’s, den Ihr Bisamratze nanntet, obgleich er keine Bisamratze war, sondern ein Mensch wie Ihr – er wohnte in einem Haus auf dem Wasser, und das war genug für Euch

Ein triumphirendes Lächeln blitzte über das hartgefurchte Gesicht des Häuptlings, als er sah, wie vollständig ihm der Versuch gelungen, die wahrheitsliebende Hetty zum Sprechen zu bringen. Judith selbst, im Augenblick, wo ihre Schwester befragt wurde, erkannte, daß Alles verloren war, denn kein Winken, kein Bitten selbst, hätte das redlich gesinnte Mädchen vermocht, eine Lüge zu reden. Daß der Versuch, eine Tochter der Bisamratze den Wilden als eine Fürstin oder als eine vornehme Dame auszugeben, mißlingen mußte, wußte sie; und sie sah ihren kecken und sinnreichen Einfall zur Befreiung des Gefangnen durch eine der einfachsten und natürlichsten Ursachen, die man sich denken konnte, scheitern. Sie richtete daher ihr Auge auf Wildtödter, ihn gleichsam anflehend, sich der Sache anzunehmen, um sie Beide zu retten.

»Es wird nicht gehen, Judith,« sagte der junge Mann, auf diese stumme Aufforderung antwortend, die er wohl verstand, aber als fruchtlos erkannte; »es wird nicht gehen. Es war eine kecke Idee, und passend für eine Generalsfrau; aber der Mingo dort –« Rivenoak hatte sich in einige Entfernung zurückgezogen, so daß er ihn nicht verstehen konnte – »aber der Mingo dort ist kein gewöhnlicher Mann, und nicht zu täuschen durch unnatürliche Listen. Die Dinge müssen in ihrer rechten Ordnung vor ihn kommen, um eine Wolke vor seinem Auge zu verbreiten! Es war zu Viel, ihm vorspiegeln zu wollen, daß eine Königin oder vornehme Lady in diesen Bergen lebe, und ohne Zweifel denkt er, die schönen Kleider, die ihr tragt, seyen von dem Raube Eures Vaters – oder wenigstens dessen, der für Euren Vater galt; was auch gern wahrscheinlich ist, wenn Alles wahr ist, was man sagt.«

»In jedem Falle, Wildtödter, wird meine Anwesenheit hier Euch eine Zeit lang fristen. Sie werden schwerlich versuchen, Euch vor meinen Augen zu martern!«

»Warum nicht, Judith? Meint Ihr, sie werden mit einem Weib von den Bleichgesichtern zärtlicher verfahren, als mit ihren eignen? Es ist wahr, Euer Geschlecht wird Euch selbst höchst wahrscheinlich gegen die Martern schützen, aber Euch nicht Eure Freiheit und Euren Skalp sichern. Ich wollte, Ihr wäret nicht gekommen, meine gute Judith; es kann mir keinen Vortheil, aber Euch großes Unheil bringen!«

»Ich kann Euer Schicksal theilen,« antwortete das Mädchen mit großherzigem Enthusiasmus. »Sie sollen Euch kein Leid thun, so lange ich dabei bin, wenn es in meiner Macht steht, es zu verhindern – zudem –«

»Zudem, was, Judith? Welche Mittel habt Ihr, indianischer Grausamkeit Einhalt zu thun, oder indianische Teufeleien abzuwenden?«

»Vielleicht keine, Wildtödter,« versetzte das Mädchen mit Festigkeit, »aber ich kann mit meinen Freunden leiden – mit ihnen sterben, wenn’s nöthig ist.«

»Ach! Judith – leiden werdet Ihr vielleicht; aber sterben werdet Ihr nicht, als bis die vom Herrn bestimmte Stunde kommt. Es ist unwahrscheinlich, daß Eine von Eurem Geschlecht und Eurer Schönheit ein härteres Schicksal trifft, als daß sie das Weib eines Häuptlings wird, wenn anders Eure weißen Neigungen sich zur Ehe mit einem Indianer bequemen. Es wäre besser, Ihr wäret in der Arche oder im Castell geblieben; aber was geschehen ist, ist geschehen. Ihr wolltet Etwas sagen, als Ihr stocktet bei: zudem –?«

»Es möchte nicht gerathen seyn, es hier auszusprechen, Wildtödter!« antwortete das Mädchen hastig, wie nachlässig an ihm vorbeigehend, um leise reden zu können; »eine halbe Stunde gilt uns Alles. Keiner Eurer Freunde ist müssig.«

Der Jäger antwortete nur mit einem dankbaren Blick. Dann wandte er sich zu seinen Feinden, seine Bereitwilligkeit zeigend, den Martern wieder die Stirne zu bieten. Eine kurze Berathung war zwischen den Aeltern der Bande gepflogen worden, und mittlerweile waren sie mit ihrer Entscheidung gefaßt. Die milde Gesinnung Rivenoaks war durch Judiths List sehr geschwächt worden, welche statt ihren wahren Zweck zu erreichen, gerade die entgegengesetzten Ergebnisse von den beabsichtigten zu liefern drohte. Dieß war natürlich: denn zum Uebrigen kam noch die Erbitterung eines Indianers, der sah, wie nahe er daran gewesen, sich von einem unerfahrnen Mädchen überlisten zu lassen. Inzwischen hatte man Judiths wahre Verhältnisse vollkommen erkannt, und der weitverbreitete Ruf ihrer Schönheit trug zu der Entdeckung bei. Was den ungewöhnlichen Anzug betrifft, so wurde er mit dem tiefen Geheimniß der zweischwänzigen Thiere in Verbindung gebracht, und verlor für den Augenblick allen Einfluß.

Als daher Rivenoak den Gefangnen wieder in’s Auge faßte, war der Ausdruck seines Gesichts sehr verändert. Er hatte den Wunsch, ihn zu retten, aufgegeben, und war nicht mehr geneigt, die ernsten Martern noch länger zu verschieben. Diese veränderte Stimmung hatte sich in ihrer Wirkung den jungen Männern mitgetheilt, welche schon rüstig ihre Vorbereitungen für die beabsichtigte Scene trafen. Stücke trocknen Holzes wurden rasch um den jungen Baum her gesammelt – die Splitter, die man dem Opfer in’s Fleisch stoßen und dann anzünden wollte, waren alle gesammelt, und die Bastseile schon in Bereitschaft, um ihn wieder an den Baum zu binden. Dieß Alles geschah in tiefem Schweigen; Judith beobachtete jede Bewegung mit athemloser Erwartung, während Wildtödter selbst anscheinend so unbeweglich dastand, wie eine der Fichten auf den Bergen. Als jedoch die Krieger, um ihn zu binden, vortraten, warf der junge Mann Judith einen Blick zu, wie fragend, ob Widerstand oder Ergebung das Rathsamste sey. Durch eine bedeutungsvolle Geberde rieth sie zur letztern; und in einer Minute war er wieder an den Baum gebunden, eine hülflose Zielscheibe jeder Schmähung oder Mißhandlung, die man ihm bieten mochte. So eifrig waren jetzt Alle, zu handeln, daß kein Wort gesprochen wurde. Sofort ward der Scheiterhaufen angezündet, und mit gespannter Erwartung sah man dem Ende von Allem entgegen.

Es war nicht die Absicht der Huronen, ihrem Opfer mittelst des Feuers geradezu das Leben zu nehmen. Sie beabsichtigten nur, seine physische Kraft und Ausdauer auf die härteste Probe zu stellen, die sie, ohne ganz zu erliegen, ertragen könnte. Am Ende hatten sie den Plan, seinen Skalp mit sich in ihr Dorf zu nehmen, aber sie wünschten vorher seine Entschlossenheit zu brechen und ihn zum klagenden Dulder zu erniedrigen. Zu diesem Behufe war der Haufen von Zweigen und Gestrüppe in einer geeigneten Entfernung aufgethürmt worden, wo, wie man berechnete, die Hitze bald unerträglich werden würde, ohne geradezu auch schon gefährlich und tödtlich zu seyn. Aber wie es bei solchen Gelegenheiten oft geschah, die Entfernung war nicht richtig berechnet und die Flammen begannen schon dem Opfer so nahe in’s Gesicht zu züngeln, daß der nächste Augenblick den Tod hätte bringen können, wenn nicht Hetty durch den Haufen gedrungen wäre, mit einem Stecken bewaffnet, und den lodernden Scheiterhaufen nach allen Richtungen auseinander geschleudert hätte. Mehr als Eine Hand erhob sich, um die anmaßende Störerin zu Boden zu schlagen; aber die Häuptlinge verhinderten eine Mißhandlung und erinnerten ihre aufgebrachten Leute an ihren Geisteszustand. Hetty selbst war der Gefahr, die sie lief, sich nicht bewußt, und sobald sie diese kecke That vollbracht, stand sie da, und sah sich mit finsterm Mißfallen und Unwillen um, als wollte sie dem Schwarm der sie aufmerksam betrachtenden Wilden ihre Grausamkeit vorrücken.

»Gott segne dich; liebste Schwester, für diese muthige und besonnene That!« flüsterte Judith, selbst so abgespannt, daß sie zum Handeln unfähig war; «der Himmel selbst hat dich mit seiner heiligen Vollmacht gesandt!«

»Es war gut gemeint, Judith,« fiel das Opfer ein; »es war trefflich gemeint, und es kam zur rechten Zeit, obwohl es am Ende doch unzeitig gewesen seyn mag. Was eintreten soll, muß bald eintreten, sonst wird es in Kurzem zu spät seyn. Hätte ich beim Athmen einen Mundvoll von dieser Flamme eingesogen, so könnte keine menschliche Macht mein Leben retten; und Ihr seht, sie haben mir dießmal die Stirne so fest gebunden, daß mein Kopf nicht die mindeste Freiheit und Wahl hat. Es war gut gemeint; aber es wäre vielleicht eine größere Barmherzigkeit gewesen, die Flammen ihr Werk vollenden zu lassen.«

»Grausame, herzlose Huronen!« rief die noch immer empörte Hetty; »wolltet Ihr einen Mann, einen Christen verbrennen, wie ein Scheit Holz? Lest Ihr nie in Euern Bibeln, oder meint Ihr, Gott werde solche Dinge vergessen?«

Eine Geberde Rivenoaks gebot, die zerstreuten Brände wieder zu sammeln; frisches Holz ward gebracht, und selbst Weiber und Kinder waren eifrig und geschäftig, trockne Stecken herbeizuschaffen. Die Flamme loderte eben zum zweitenmal auf, als eine Indianerin durch den Kreis sich drängte, auf den Haufen zuschritt und mit dem Fuß noch zu rechter Zeit die brennenden Zweige bei Seite stieß, um das Aufflammen des Ganzen zu verhindern. Ein gellender Schrei folgte auf diese zweite Störung: aber als die Thäterin sich gegen den Kreis wandte, und Hist’s Angesicht erkannt wurde, erfolgte ein allgemeiner Ausruf der Freude und Ueberraschung. Eine Minute lang blieb jeder Gedanke, das vorliegende Geschäft fortzusetzen, vergessen, und Alt und Jung drängten sich hastig um das Mädchen, eine Erklärung ihrer plötzlichen, unerwarteten Zurückkunft begehrend. In diesem kritischen Augenblick sprach Hist mit leiser Stimme zu Judith, gab ihr einen kleinen Gegenstand ungesehen in die Hand, und wandte sich dann, um die Begrüßungen der Huronischen Mädchen zu erwiedern, bei denen sie persönlich sehr beliebt war. Judith gewann ihre Fassung wieder und handelte rasch. Das kleine, scharfschneidende Messer, das Hist ihr in die Hand gedrückt hatte, ward von Judith in die Hand Hettys befördert, als die sicherste und am wenigsten verdächtige Vermittlerin an Wildtödter. Aber der schwache Verstand der Letztern vereitelte die wohlbegründeten Hoffnungen von allen Dreien. Statt zuerst die Hände des Opfers loszumachen, und ihm dann heimlich das Messer in die Kleider zu stecken, damit er im günstigsten Augenblick sich desselben bedienen könnte, machte sie sich selbst mit Ernst und Einfalt an’s Wert, die Teile zu zerschneiden, welche seinen Kopf gebunden hielten, damit er nicht wieder in Gefahr komme, Flammen einzuathmen. Natürlich sah man dieß bedächtliche Beginnen, und that Hettys Händen Einhalt, ehe sie Mehr als den obern Theil von des Gefangnen Leib, die Arme unter den Ellbogen nicht miteingeschlossen, befreit hatte. Diese Entdeckung erweckte sofort Mißtrauen gegen Hist; und zu Judiths Erstaunen zeigte dieß kluge Mädchen, als man sie darüber zur Rede setzte, keine Neigung, ihre Theilnahme an dem, was vorgegangen war, zu läugnen.

»Warum sollte ich dem Wildtödter nicht helfen?« fragte das Mädchen im Ton eines Weibes von festem Willen und Gemüth. »Er ist der Bruder eines Delawarenhäuptlings; mein Herz ist ganz Delawarisch. Kommt hervor, erbärmlicher Briarthorn, und wascht die Irokesenbemalung von Euerm Angesicht; steht vor die Huronen hin, als die Krähe, die Ihr seyd; Ihr würdet eher das Aas Eurer eignen Todten essen, als Hunger leiden. Stellt ihn Wildtödter gegenüber, Stirn gegen Stirn, Häuptlinge und Krieger, ich will Euch zeigen, welch einen großen Schurken Ihr in Eurem Stamme geduldet habt.«

Diese kühne Rede, in ihrer eignen Sprache und mit dem zuversichtlichsten Benehmen vorgetragen, machte einen tiefen Eindruck unter den Huronen. Verrätherei zieht immer Mißtrauen nach sich; und obgleich der Ueberläufer Briarthorn dem Feinde gut zu dienen sich bestrebt hatte, hatten seine Bemühungen und sein Eifer ihm doch wenig mehr als Duldung gewonnen. Sein Wunsch, Hist zum Weibe zu bekommen, hatte ihn zuerst veranlaßt, sie und sein eignes Volk zu verrathen; aber ernste Nebenbuhler in Betreff seines ersten Zweckes waren unter seinen neuen Freunden erstanden, deren Sympathie für den Verräther nun noch geringer wurde. Mit einem Wort, man hatte Briarthorn nur noch im Huronenlager sich aufzuhalten gestattet, wo er so genau und eifersüchtig bewacht wurde, wie Hist selbst; er ließ sich selten vor den Häuptlingen blicken, und hielt sich geflissentlich ferne von Wildtödters Auge, der bis auf diesen Augenblick gar Nichts von seiner Anwesenheit gewußt hatte. So aufgefordert aber konnte er sich unmöglich mehr im Hintergrund halten. »Die Irokesenbemalung von seinem Gesicht abwaschen« – das that er nicht; denn als er inmitten des Kreises dastand, war er durch die neuen Farben so entstellt, daß ihn der Jäger anfänglich nicht erkannte. Er nahm aber doch eine trotzige, herausfordernde Miene an, und fragte hochmüthig: Wer irgend etwas gegen Briarthorn sagen könne.

»Das fragt Euch selbst,« fuhr Hist lebhaft fort, obwohl ihr Benehmen etwas minder gesammelt erschien; ein Anflug von Zerstreutheit oder Abwesenheit wurde dem Wildtödter und Judith, wo nicht auch andern, bemerklich. »Fragt das Euer eigenes Herz, kriechendes Wiesel der Delawaren; tretet nicht hier auf mit der Miene eines unschuldigen Mannes. Geht, schaut in die Quelle; seht die Farben Eurer Feinde auf Eurer lügenden Haut; dann kommt zurück und prahlt, wie Ihr Eurem Stamme entflohen seyd, und das Tuch der Franzosen zu Eurer Bekleidung machtet! Malt Euch immerhin so bunt an wie der Colibri, Ihr bleibt doch schwarz wie die Krähe!«

Hist war während ihres Aufenthalts unter den Huronen so gleichmäßig sanft gewesen, daß sie jetzt ihre Sprache mit Erstaunen anhörten. Dem Angeschuldigten selbst kochte das Blut in den Adern; und es war gut für die hübsche Sprecherin, daß es nicht in seiner Macht stand, die Rache auszuüben, die er, trotz seiner vorgeblichen Liebe, ihr anzuthun vor Begierde brannte.

»Wer will Etwas von Briarthorn?« fragte er finster. »Wenn das Bleichgesicht des Lebens überdrüssig ist; wenn es indianische Martern fürchtet, so sprecht, Rivenoak! ich will ihn den Kriegern nachsenden, die wir verloren haben.«

»Nein, Häuptling: nein, Rivenoak,« unterbrach ihn Hist lebhaft. »Wildtödter fürchtet Nichts; am allerwenigsten eine Krähe! Bindet ihn los – zerschneidet die Bastseile – stellt ihn Stirn gegen Stirn diesem krächzenden Vogel gegenüber; dann laßt uns sehen, wer des Lebens überdrüssig ist.«

Hist machte eine rasche Bewegung vorwärts, als wollte sie einem jungen Mann ein Messer aus der Hand nehmen, und in eigner Person dem Gefangnen jenen Dienst leisten; aber ein bejahrter Krieger verhinderte es auf einen Wink Rivenoaks. Dieser Häuptling beobachtete mit Mißtrauen Alles, was das Mädchen that; denn während sie mit der entschlossensten Haltung die prahlerischste Sprache führte, war in ihrem Wesen doch etwas Unsichres und Erwartungsvolles, was einem scharfen Beobachter nicht entgehen konnte. Sie spielte ihre Rolle gut; aber zwei oder drei von den ältern Männern waren gleicherweise überzeugt, daß es nur eine Rolle war. Daher ward ihr Vorschlag, Wildtödter loszubinden, verworfen; und die in ihren Erwartungen getäuschte Hist sah sich in dem Augenblick von dem Baume zurückgewiesen, wo sie schon ihr Vorhaben gelungen wähnte. Zur gleichen Zeit ward der Kreis, der nachgerade wirr und eng geworden, wieder erweitert und in Ordnung gebracht. Rivenoak verkündigte jetzt die Absicht der alten Männer, weiter im Werke zu schreiten, da die Verzögerung jetzt lange genug gedauert habe und zu keinem Ergebnis führe.

»Halt, Hurone! halt, Häuptlinge!« rief Judith, kaum wissend was sie sagte, oder warum sie sich dareinlegte, als etwa um Zeit zu gewinnen; »um Gottes Willen, nur noch eine Minute –«

Die Worte wurden ihr im Munde abgeschnitten durch eine neue und noch außerordentlichere Unterbrechung. Ein junger Indianer kam durch die Reihen der Huronen gesprungen, und hüpfte mitten in den Kreis hinein, in einer Weise, welche die höchste Zuversicht, oder eine an Tollkühnheit grenzende Verwegenheit bezeichnete. Fünf oder sechs Schildwachen standen noch am See an verschiedenen und entfernten Punkten; und es war der erste Gedanke Rivenoaks, Einer von diesen sey mit wichtigen Zeitungen angekommen. Aber die Bewegungen des Ankömmlings waren so hastig, und sein Anzug, der ihm kaum mehr Gewandung ließ als eine antike Statue hat, hatte so wenig Auszeichnendes, daß es auf den ersten Anblick unmöglich war, zu bestimmen, ob er ein Feind oder Freund sey. Drei Sprünge brachten diesen Krieger an Wildtödters Seite, dessen Seile in einem Nu zerschnitten waren, mit einer Sicherheit und Genauigkeit, welche den Gefangenen sogleich zum freien Herrn seiner Glieder machte. Ehe dieß vollbracht, warf der Ankömmling keinen Blick auf einen andern Gegenstand; dann wandte er sich, und zeigte den erstaunten Huronen die edle Stirne, die schöne Gestalt und das Adlerauge eines jungen Kriegers in der Bemalung und Waffenrüstung eines Delawaren. Er hielt in jeder Hand eine Büchse, die Kolben beider auf dem Boden aufstehend, während an der einen seine Tasche und sein Horn hing. Diese war Killdeer, den er, während er sich keck und mit herausforderndem Trotz im Kreise umsah, in die Hände seines wahren Herrn fallen ließ. Die Gegenwart zweier Bewaffneten, obwohl in ihrer Mitte, machte die Huronen betroffen. Ihre Büchsen standen ringsumher zerstreut an verschiedene Bäume gelehnt, und ihre einzigen Waffen waren ihre Messer und Tomahawks. Doch hatten sie zu viel Selbstbeherrschung, um Furcht zu verrathen. Es war wenig wahrscheinlich, daß eine so kleine Macht eine starke Bande angreifen würde, und Jeder erwartete, ein außerordentlicher Vorschlag werde auf einen so entschiedenen Schritt folgen. Der Fremde schien geneigt, ihrer Erwartung zu entsprechen. Er schickte sich an zu reden.

»Huronen,« sagte er, »diese Erde ist sehr groß, die großen Seen sind auch geräumig; jenseits derselben ist Platz für die Irokesen, diesseits ist Platz für die Delawaren. Ich bin Chingachgook, der Sohn des Unkas; der Vetter Tamenunds. Diese ist meine Verlobte; das Bleichgesicht ist mein Freund. Mein Herz war schwer, als ich ihn vermißte; ich folgte ihm in Euer Lager, zu sehen, daß ihm kein Leid geschehe. Alle Delawarenmädchen warten auf Wah! sie wundern sich, daß sie so lange ausbleibt. Kommt, laßt uns Lebewohl sagen, und unserer Wege gehen.«

»Huronen, das ist Euer Todfeind, die große Schlange von denen, die Ihr haßt!« schrie Briarthorn. »Wenn er entkommt, werden die Fußtapfen Eurer Moccasins blutig seyn von hier bis nach den Canada’s. Ich bin ganz Hurone!«

Wie er die letzten Worte sprach, schleuderte der Verräther sein Messer nach der nackten Brust des Delawaren. Eine rasche Bewegung Hists, die in der Nähe stand, mit dem Arm, lenkte den Wurf ab, und die gefährliche Waffe fuhr mit der Spitze in eine Fichte. Im nächsten Augenblick zuckte eine gleiche Waffe aus der Hand der Schlange, und zitterte im Herzen des Ueberläufers. Kaum eine Minute war verflossen von dem Augenblick an, wo Chingachgook in den Kreis gesprungen war, bis zu dem, wo Briarthorn todt wie ein Klotz auf dem Platze niederstürzte. Die Schnelligkeit der Ereignisse hatte die Huronen nicht zur That kommen lassen, aber diese Katastrophe erlaubte keinen längern Verzug. Ein allgemeiner Aufschrei folgte, und die ganze Bande war in Bewegung. In diesem Augenblick ward ein in den Wäldern nicht gewöhnlicher Ton vernommen, und alle Huronen, Männer und Weiber, standen horchend stille; mit angestrengtem Ohr und erwartungsvollen Gesichtern. Der Ton war regelmäßig und dumpf, wie wenn mit Klöppeln auf den Boden gestampft würde. Jetzt zeigten sich Gegenstände zwischen den Bäumen im Hintergrund, und man sah eine Schaar Truppen im Taktschritt anrücken. Sie zogen zum Angriff fertig daher, und der Scharlach der königlichen Uniformen glänzte durch das hellgrüne Laub des Waldes.

Die jetzt folgende Scene ist nicht leicht zu schildern. Wilde Verwirrung, Verzweiflung und wahnsinnige Anstrengungen waren dabei so durcheinander gemengt, daß alle Einheit und Klarheit des Handelns vernichtet wurde. Ein allgemeiner, gellender Ruf entfuhr den eingeschlossenen Huronen, darauf folgte das herzhafte freudige Jauchzen der Engländer. Doch ward noch keine Muskete oder Büchse abgefeuert, obgleich der stetige, taktmäßige Schritt fortwährend vernommen wurde, und man die Bajonette glänzen sah vor einer Linie, die etwa sechzig Mann zählte. Die Huronen wurden in entsetzlich ungünstiger Stellung überfallen. Auf drei Seiten war Wasser, während auf der vierten ihre furchtbaren, wohlgeübten Feinde ihnen die Flucht abschnitten. Jeder Krieger rannte nach seinen Waffen, und dann suchten alle auf dem Vorsprung Befindlichen, Männer, Weiber und Kinder hastig einen Versteck. In dieser Scene der Verwirrung und des Entsetzens jedoch ging Nichts über die Kaltblütigkeit und kluge Besonnenheit Wildtödters. Seine erste Sorge war, Judith und Hist hinter Bäume zu bringen, und er sah sich nach Hetty um; aber sie war von einem Schwarm Huronen-Weiber mit fort gerissen worden. Nach diesem warf er sich auf eine Flanke der zurückziehenden Huronen, welche nach dem südlichen Rande des Vorsprungs sich wandten, in der Hoffnung, durch das Wasser zu entkommen. Wildtödter wartete seine Gelegenheit ab, und als er zwei seiner bisherigen Peiniger in Schußweite vor sich fand, brach seine Büchse zuerst die Stille der schrecklichen Scene. Die Kugel streckte Beide auf Einmal nieder. Dieß veranlaßte ein allgemeines Feuern der Huronen, und man hörte die Büchse und das Kriegsgeschrei der Schlange in dem Getümmel. Noch aber erwiederten die disciplinirten Truppen mit keiner Salve, und man vernahm nur das Jauchzen und die Büchse Hurry’s, der neben ihnen herzog, und das kurze, rasche Befehlshaberwort, und die schweren, drohenden Taktschritte. Bald jedoch folgten die Verwünschungen und das Kreischen und Stöhnen, welche gewöhnlich die Anwendung des Bajonetts begleiten. Diese schreckliche, tödtliche Waffe schwelgte jetzt in Rache. Die nun folgende Scene war eine von denjenigen, die so häufig auch in unsern Zeiten vorkommen, wo weder Alter noch Geschlecht ein Ausnahme von dem Schicksal eines barbarischen wilden Kriegsgebrauchs begründet.

Einunddreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Die Blume, die heute lacht,
Ist morgen verblüht;
Was gern wir ewig gedacht,
Lockt uns und flieht.
Was ist die Lust der Welt?
Ein Blitz der spottend erhellt
Die Nacht, und glänzt, und fällt.
Shelley.

Das Bild, welches zunächst die von den unglücklichen Huronen zu ihrem letzten Lagerplatz gewählte Landspitze darbot, braucht kaum dem Auge des Lesers vorgeführt zu werden. Zum Glück für die Zarterfühlenden und Furchtsameren, hatten die Baumstämme, das Laub und der Pulverdampf Viel von dem, was vorging, verborgen, und bald darauf zog die Nacht ihren Schleier über den See und die ganze, dem Anschein nach grenzenlose Wildniß, die sich, kann man sagen, mit entfernten und unwesentlichen Unterbrechungen von den Ufern des Hudsons bis an die Küsten des stillen Oceans erstreckte. Unsere Aufgabe führt uns zu dem folgenden Tag, wo das Licht auf die Erde wiederkehrte, so sonnig und lächelnd, als wäre nichts Außerordentliches vorgefallen.

Als am nächsten Morgen die Sonne sich erhob, waren alle Anzeichen von Feindseligkeit und Kriegslärm von dem Becken des Glimmerglas verschwunden. Das entsetzliche Ereigniß des vorigen Abends hatte keine Spuren auf dem friedlichen Wasserspiegel zurückgelassen, und die unermüdlichen Stunden verfolgten ihren Lauf in der harmlosen Ordnung, die ihnen von der mächtigen Hand, welche sie in Bewegung setzte, vorgezeichnet war. Die Vögel schwammen wieder auf dem Wasser, oder schwebten von ihren Schwingen getragen hoch über den Wipfeln der höchsten Fichten der Berge, lustig ihre Bahnen auf und nieder beschreibend, gehorsam den unwiderstehlichen Gesetzen ihrer Natur. Mit Einem Wort, Nichts war verändert, als die Art und Weise des Treibens und Lebens, das in dem Castell und darum her herrschte. Hier war in der That ein Wechsel eingetreten, der dem mindest scharfen Auge auffallen mußte. Eine Schildwache, in der Uniform eines königlichen leichten Infanterie-Regiments schritt mit gemessenen Schritten auf der Plattform hin und her, und einige zwanzig Mann von demselben Corps lungerten in dem Gebäude herum, oder saßen in der Arche. Ihre Waffen waren unter dem Auge ihres wachhaltenden Cameraden aufgestellt. Zwei Officiere standen da und untersuchten die Küste mit dem ofterwähnten Schiffsglas. Ihre Blicke waren nach dem verhängnißvollen Landvorsprung gerichtet, wo man noch Scharlachröcke zwischen den Bäumen durchschlüpfen sah, und wo die Vergrößerungskraft des Instruments auch Spaten zeigte, womit gearbeitet und die traurige Pflicht der Beerdigung erfüllt wurde. Einige der Gemeinen trugen Zeichen an ihrem Leibe davon, daß ihre Feinde nicht ganz ohne Widerstand waren überwältigt worden; und der Jüngere von den zwei Officieren auf der Plattform trug einen Arm in der Schlinge. Sein Genosse, der die Truppe kommandirte, war glücklicher gewesen. Er war es, der das Glas handhabte bei den Rekognoscirungen, welche Beide anstellten.

Ein Sergeant näherte sich, um einen Rapport zu machen. Er redete den Aeltern der Officiere als Capitain Warley an, während der Andere als Mr. – gleichbedeutend mit Fähnrich – Thornton angesprochen wurde. Der Erstere war, wie der Leser sich erinnern wird, der Officier, welcher bei dem Abschiedsgespräch zwischen Judith und Hurry mit so großer Lebhaftigkeit und Aufregung genannt worden war. Es war in der That das Individium, mit welchem die lästernde Nachrede der Garnisonen den Namen dieses schönen aber unvorsichtigen Mädchens am freisten und kecksten in Verbindung gebracht hatte. Er war ein Mann von harten Zügen und rothem Gesicht, und etwa von fünfunddreißig Jahren, aber von militärischer Haltung und Benehmen, und mit einem Anstrich von vornehmer Lebensart, welcher der Phantasie eines mit der Welt so unbekannten Mädchens, wie Judith war, wohl imponiren konnte.

»Craig überhäuft uns mit Segenswünschen,« bemerkte dieser Mann gegen seinen jungen Fähnrich, mit einem gleichgültigen Wesen, indem er das Glas zumachte, und es seinem Diener einhändigte; »und die Wahrheit zu sagen, nicht ohne Grund; es ist gewiß angenehmer, hier der Miß Judith Hutter aufzuwarten, als Indianer auf einem Landvorsprung am See zu begraben, wie romantisch auch die Lage, und wie glänzend der Sieg seyn mag. Ei, beiläufig bemerkt, Wright, lebt Davis noch?«

»Er ist vor etwa zehn Minuten gestorben, Ew. Ehren,« versetzte der Sergeant, an den diese Frage gerichtet war, »Ich wußte, daß es so kommen würde, sobald ich fand, daß die Kugel den Magen berührt hatte. Ich habe nie von einem Mann gehört, der es lang ausgehalten, wenn er ein Loch im Magen hatte.«

»Nein; er ist dann gar zu ungeeignet, um etwas sehr Nahrhaftes fortzuschaffen,« bemerkte Warley gähnend. »Das Wachen und Aufseyn zwei Nächte hintereinander, Arthur, spielt den Kräften eines Mannes übel mit. Ich bin so dumm, wie Einer von den holländischen Pfaffen am Mohawk. Ich hoffe, Euer Arm schmerzt Euch nicht, mein guter Junge?«

»Er erpreßt mir einige Grimassen, Sir, wie Ihr wohl bemerken werdet,« antwortete der Jüngling, und lachte in demselben Augenblick, wo sich sein Gesicht vor Schmerz etwas verzog. »Aber, es ist schon zum ertragen. Ich denke, Graham kann bald ein paar Minuten erübrigen, um nach meiner Verletzung zu sehen.«

»Es ist eigentlich doch ein anmuthiges Geschöpf, diese Judith Hutter, Thornton; und es soll nicht mein Fehler seyn, wenn sie nicht in den Parks gesehen und bewundert wird!« begann Warley wieder, der sich wenig um seines Genossen Wunde kümmerte. – »Euer Arm, he? Ganz wahr! Geht in die Arche, Sergeant, und sagt Dr. Graham, ich wünsche, er möchte nach Mr. Thorntons Verletzung sehen, sobald er mit dem armen Kerl mit dem gebrochnen Bein fertig ist. Ein liebliches Geschöpf! und sie sah aus wie eine Königin in dem Brokatkleid, worin wir sie trafen. Ich finde hier Alles verändert; Vater und Mutter Beide todt, die Schwester sterbend, wo nicht todt, und Keines von der Familie übrig, als die Schöne! Das ist ein glücklicher Zug gewesen im Ganzen, und verspricht einen bessern Ausgang, als gewöhnlich Scharmützel mit Indianern.«

»Darf ich vermuthen, Sir, daß Ihr gesonnen seyd, Eure Fahnen in dem großen Corps der Junggesellen zu verlassen, und den Feldzug des Ehestandes anzutreten!«

»Ich, Tom Warley, ein Benedikt werden! Wahrlich, mein lieber Junge, Ihr kennt das Corps wenig, von dem Ihr sprecht, wenn Ihr Euch solche Dinge einbildet! Ich denke, es gibt Frauen in den Colonien, die ein Capitain von der leichten Infanterie nicht zu verschmähen braucht; aber sie sind nicht hier, auf einem Gebirgssee zu finden, oder auch drunten an dem holländischen Fluß, wo wir postirt sind. Es ist wahr, mein Oheim, der General, erwies mir einmal die Gunst, eine Frau für mich zu wählen, in Yorkshire; aber sie war ohne Schönheit – und ich würde nicht eine Fürstin heirathen, wenn sie nicht hübsch wäre.«

»Aber eine Bettlerin, wenn sie hübsch wäre?«

»Ja, das sind die Begriffe eines Fähnrichs! Liebe in einer Hütte – mit Thüren und Fenstern – die alte Geschichte zum hundertsten Mal! Das Zwanzigste heirathet nicht! Wir sind kein heirathendes Corps, mein lieber Junge. Da ist jetzt der Oberst, der alte Sir Edwin – –; obgleich ein kompleter General, hat er doch nie an ein Weib gedacht; und wenn ein Mann es zum Lieutenant-General bringt, ohne Ehestand, so ist er ganz sicher. Dann der Oberstlieutenant ist konfirmirt, wie ich meinem Vetter, dem Bischofe, zu sagen pflege. Der Major ist ein Wittwer, der es in seiner Jugend einmal zwölf Monate mit dem Ehestand versucht hat, und wir betrachten ihn jetzt als einen unsrer zuverlässigsten Männer. Unter den zehn Capitains ist nur Einer in dem bösen Dilemma, und er, der arme Teufel, wird immer beim Hauptquartier des Regiments zurückbehalten, als eine Art von memento mori für die jungen Leute, wenn sie eintreffen. Von den Subalternen hat noch nicht Einer die Keckheit gehabt, davon zu sprechen, ein Weib im Regiment einzuführen. Aber Euer Arm macht Euch Schmerzen, und wir wollen selbst gehen, und sehen, was aus Graham geworden ist.«

Der Wundarzt, der die Truppe begleitet hatte, war ganz anders beschäftigt, als der Capitain vermuthete. Als der Angriff vorüber war, und die Todten und Verwundeten zusammengesucht wurden, fand man unter den Letzteren die arme Hetty. Eine Büchsenkugel war ihr durch den Leib gegangen, und hatte ihr eine Verletzung beigebracht, die man auf den ersten Blick für tödtlich erkannte. Wie sie diese Wunde erhalten, wußte Niemand; wahrscheinlich war es einer jener Zufälle, wie sie immer Scenen von der Art der im letzten Kapitel geschilderten, begleiten. Die Sumach, alle älteren Weiber und Einige von den Huronen-Mädchen waren durch das Bajonett gefallen, entweder in der Verwirrung des Handgemenges oder wegen der Schwierigkeit, bei solcher Einfachheit des Anzugs, die Geschlechter zu unterscheiden. Bei weitem der größere Theil der Krieger war auf dem Platz geblieben; einige Wenige jedoch waren entkommen, und Zwei ober Drei waren unverletzt gefangen. Bei den Verwundeten ersparte das Bajonett dem Wundarzt viele Mühe. Rivenoak war mit dem Leben und ganzen Gliedern davongekommen, war aber verwundet und gefangen.

Als Capitain Warley und sein Fähnrich in die Arche traten, kamen sie an ihm vorbei, der in würdevollem Schweigen am einen Ende der Fähre saß, Kopf und Fuß verbunden, aber durch sein sichtbares Anzeichen Niedergeschlagenheit oder Verzweiflung verrathend. Daß er über den Verlust seines Stammes trauerte, ist gewiß, aber er that es in der Weise, die einem Krieger und Häuptling am besten geziemte.

Die beiden Soldaten fanden ihren Wundarzt in dem Hauptgemach der Arche. Er verließ eben das Bett Hettys mit einem Ausdruck kummervollen Bedauerns in seinen harten, pockennarbigen, schottischen Zügen, die hier zu sehen etwas Seltnes war. Alle seine Bemühungen waren fruchtlos gewesen, und er sah sich genöthigt, widerstrebend der Hoffnung zu entsagen, das Leben des Mädchens noch über einige Stunden gefristet zu sehen. Dr. Graham war gewohnt an Sterbe-Scenen, und gewöhnlich machten sie keinen großen Eindruck auf ihn. Er war in Allem, was die Religion betrifft, Einer von den Geistern, die in Folge davon, daß sie viel über materielle Dinge mit scharfer und bündiger Logik nachdenken und forschen, und den gänzlichen Mangel an sichern Voraussetzungen und Ausgangspunkten übersehen, der einer solchen Theorie jederzeit anhaften muß, weil es ihr immer an einer bewegenden und beseelenden Urkraft fehlt– skeptisch werden; es blieb ihm nur eine unbestimmte, schwankende Meinung über die Entstehung der Dinge, die bei hohen anmaßenden Ansprüchen, Philosophie zu seyn, im ersten aller philosophischen Prinzipien, in Grund und Ursache, im Dunkeln tappte. Ihm erschien religiöses Abhängigkeitsgefühl als eine Schwäche; aber als er ein so zartes und junges Wesen, wie Hetty, mit einem Geist, der nicht zu dem gewöhnlichen Maß ihrer Gattung sich erhob, in einem solchen Augenblick aufrecht erhalten sah durch diese frommen Gefühle, und zwar in einer Weise, daß mancher tapfere, derbe Krieger und gepriesene Held sie mit Neid hätte betrachten dürfen, da fühlte er sich von diesem Anblick gerührt in einem Grade, daß er es sich selbst zu gestehen, sich halb würde geschämt haben. Edinburgh und Aberdeen lieferten damals wie jetzt, dem Brittischen Dienst einen nicht geringen Theil seiner Aerzte; und Dr. Graham war, wie sein Name und Gesicht gleicherweise anzeigten, von Geburt ein Nordbritte.

»Das ist etwas Außerordentliches für eine in Wäldern Lebende und nur halb mit Vernunft Begabte,« bemerkte er mit entschieden schottischem Accent, als Warley und der Fähnrich eintraten; »Ich hoffe nur, Gentlemen, daß, wenn wir Drei abberufen werden vom Zwanzigsten, wir dann so darein ergeben seyen, zum Halbsold eines andern Daseyns überzugehen, wie dieß arme unkluge Mädchen!«

»Ist keine Hoffnung, daß sie davonkomme?« fragte Warley, sein Auge auf die blasse Judith richtend, auf deren Wangen jedoch, sobald er eingetreten war, zwei große rothe Flecken erschienen waren.

»So wenig als für Charlie Stuart! Tretet selbst näher und urtheilt, Gentlemen; Ihr werdet ein Beispiel von Glauben sehen in einer außerordentlichen und wunderbaren Weise. Es ist eine Art von arbitrium zwischen Leben und Tod in wirklichem Kampf in des armen Mädchens Gemüth, das sie zu einem interessanten Studium für einen Philosophen macht. Mr. Thornton, ich stehe jetzt zu Euern Diensten; wir können den Arm gleich im nächsten Gemach besichtigen, während wir so viel uns beliebt über die Operationen und die verschlungenen Eigenschaften des menschlichen Geistes speculiren.«

Der Wundarzt und der Fähnrich entfernten sich, und Warley hatte Gelegenheit, sich mit mehr Muße und mit besserem Verständniß der Eigenthümlichkeit und der Gefühle der in der Cajüte versammelten Gruppe umzusehen. Die arme Hetty war auf ihr eignes, einfaches Bett gebracht worden, und lag in halbsitzender Stellung da, die Zeichen des herannahenden Todes in ihrem Antlitz, jedoch eigenthümlich gemildert durch den Glanz eines Ausdrucks, in welchen alle Intelligenz ihres Wesens zusammengedrängt schien. Judith und Hist waren in ihrer Nähe; die Erstere saß da, in tiefer Betrübniß. Die Letztere stand, bereit ihr die zarte Aufmerksamkeit weiblicher Sorgfalt und Pflege zu widmen. Wildtödter stand zu Füßen des Lagers, auf Killdeer gelehnt; er war ganz unverletzt geblieben; all das schöne kriegerische Feuer, das vor Kurzem auf seinem Angesicht geglüht, hatte wieder der gewohnten ehrlichen und wohlwollenden Miene Platz gemacht, – ein Ausdruck, der jetzt mit männlicher Wehmuth und Mitgefühl sich sanft mischte. Die Schlange stand im Hintergrund der Scene, aufrecht und regungslos wie eine Statue; aber so aufmerksam und beobachtend, daß nicht ein Zucken des Auges seinem scharfen Blicke entging. Hurry vervollständigte die Gruppe; er saß auf einem Stuhl in der Nähe der Thüre, als fühlte er sich in einer solchen Scene nicht am Platze, und schämte sich doch, sich unaufgefordert zu entfernen.

»Wer ist der im Scharlach?« fragte Hetty, sobald ihr Auge auf die Uniform des Capitains fiel. »Sage mir, Judith, ist es der Freund Hurry’s?«

»Es ist der Officier der Truppen, die uns Alle aus den Händen der Huronen befreit haben,« war die leise Antwort der Schwester.

»Bin ich auch befreit? – Ich meinte, sie sagten, ich sey erschossen und dem Tode nahe. Mutter ist todt, und Vater auch; aber Du lebst, Judith, und so auch Hurry. Ich fürchtete, Hurry werde getödtet werden, als ich ihn unter den Soldaten schreien hörte.«

»Laß es gut seyn – laß es gut seyn – liebe Hetty,« unterbrach sie Judith, ängstlich besorgt um die Bewahrung von ihrer Schwester Geheimniß, und vielleicht in diesem Augenblick mehr als je sonst. »Hurry ist wohl, und Wildtödter ist wohl, und der Delaware auch.«

»Warum schossen sie ein armes Mädchen, wie ich bin, und ließen so viele Männer unverletzt durchkommen? Ich wußte nicht, daß die Hurouen so ruchlos seyen, Judith!«

»Es war ein Zufall, arme Hetty; ein trauriger Zufall war es! Niemand hätte Dir absichtlich ein Leid zugefügt!«

»Das freut mich. – Es kam mir sonderbar vor; ich bin schwachsinnig, und die rothen Männer haben mir nie zuvor ein Leid gethan. Es würde mich bekümmern, wenn ich denken müßte, sie hätten ihren Sinn geändert. Es freut mich auch, Judith, daß sie Hurry nicht verletzt haben. Wildtödtern, glaube ich, wird Gott von Niemand ein Leid widerfahren lassen. Es war ein großes Glück, daß die Soldaten gerade in dem Augenblick kamen, denn das Feuer muß brennen.«

»Es war in der That ein Glück, meine Schwester; Gottes heiliger Name sey immerdar gepriesen für diese Barmherzigkeit!«

»Ich glaube fast, Judith, Du kennst Einen oder den Andern von den Officieren; Du kanntest ja immer so Viele!« Judith antwortete nicht; sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und stöhnte. Hetty schaute sie verwundert an; aber natürlich voraussetzend, ihr eigner Zustand sey der Grund dieser Betrübniß, suchte sie ihre Schwester freundlich zu trösten.

»Sey wegen meiner unbekümmert,« sagte das gefühlvolle und herzensreine Geschöpf. »Mir widerfährt nichts Schlimmes, wenn ich sterbe; sind ja Vater und Mutter Beide todt, und was ihnen geschah, mag mir immerhin auch geschehen. Du weißt, es ist an mir weniger gelegen, als an Einem von der Familie; daher werden Wenige an mich denken, wenn ich einmal im See liege.«

»Nein, nein, nein – arme, liebe, liebe Hetty!« rief Judith in einem unbezähmbaren Ausbruch von Jammer, – »Ich wenigstens werde immer an dich denken; und freudig, oh! wie freudig würde ich mit Dir tauschen, um das reine, herrliche, sündenlose Geschöpf zu seyn, das Du bist!«

Bis jetzt war Capitain Warley an die Thüre der Cajüte gelehnt gestanden; als dieser Ausbruch von Schmerz, und vielleicht von Reue, das schöne Mädchen übermannte, schritt er langsam und nachdenklich weg, und ging selbst an dem Fähnrich, der eben die Behandlung des Wundarzts zu erdulden hatte, vorüber, ohne von ihm Kunde zu nehmen. »Ich habe meine Bibel hier, Judith !« erwiederte ihre Schwester mit triumphirender Stimme. »Es ist wahr, ich kann nicht mehr lesen; es ist Etwas vor meinen Augen; Du erscheinst mir fern und dämmernd – und so auch Hurry, wenn ich ihn jetzt anblicke; – ei, ich hätte nie geglaubt, daß Henry March so matt und grau aussehen könnte! Was mag der Grund seyn, Judith, daß ich heute so schlecht sehe? ich, Von der Mutter immer sagte, ich hätte die besten Augen in der ganzen Familie? Ja, das war es, mein Geist war schwach – was die Leute halbklug nennen – aber meine Augen waren so gut,«

Judith stöhnte wieder; dießmal war es kein auf sie selbst Bezug habendes Gefühl, kein Rückblick in die Vergangenheit, was sie schmerzlich ergriff. Es war der reine, herzinnige Jammer schwesterlicher Liebe, erhöht durch das Gefühl von der sanften Demuth und vollkommnen Wahrhaftigkeit des Wesens, das vor ihr lag. In diesem Augenblick hätte sie gern ihr eignes Leben hingegeben, um das Hettys zu retten. Da aber dieß außer dem Bereich menschlicher Macht lag, fühlte sie, daß ihr Nichts übrig bleibe, als Trauer und Kummer. In diesem Augenblick kam Warley wieder in die Cajüte zurück, gezogen von einem geheimen Antrieb, dem er nicht widerstehen konnte, obgleich es ihm eben jetzt zu Muthe war, als würde er gern den amerikanischen Continent für immer verlassen, wenn es thunlich wäre. Statt an der Thüre stehen zu bleiben, trat er jetzt so nahe an das Lager der Leidenden, daß er ihr deutlicher sichtbar wurde. Hetty konnte noch größere Gegenstände unterscheiden, und ihr Blick heftete sich bald auf ihn.

»Seyd Ihr der Officier, der mit Hurry kam?« fragte sie. »Wenn Ihr es seyd, so sind wir Euch alle Dank schuldig; denn wenn auch ich Verwundet bin, ist doch das Leben der Uebrigen gerettet. Hat Euch Harry March gesagt, wo wir zu finden und wie bedürftig wir Eurer Hülfe seyen?« »Die Nachricht von der Bande Huronen kam uns durch einen gutgesinnten Eilboten zu,« versetzte der Capitän, froh, seinen Gefühlen Luft machen zu können durch diesen Anschein von freundschaftlicher Mitteilung; »und ich ward augenblicklich abgeschickt, um sie abzuschneiden. Gewiß war es ein Glück, daß mir Hurry Harry begegnete, wie Ihr ihn nennt, denn er diente uns zum Führer, und nicht minder war es ein Glück, daß wir ein Feuern hörten, das, wie ich jetzt erfahren, blos ein Schießen nach dem Ziel war, denn es beschleunigte nicht nur unsern Marsch, sondern führte uns auch auf die rechte Seite des See’s. Der Delaware sah uns an der Küste durch das Fernglas, wie es scheint; und er und Hist, wie diese Squaw, so höre ich, heißt, thaten uns treffliche Dienste. Es war in der That ein ganz glückliches Zusammentreffen von Umständen, Judith.«

»Sprecht mir Nichts von Glück und glücklichen Umständen, Sir,« erwiederte das Mädchen mit dumpfer Stimme, und verbarg wieder ihr Antlitz. »Mir ist die Welt voll Elend und Jammer. Ich wünschte, nie wieder von Ziel, noch von Büchsen, noch Soldaten, noch Männern zu hören.«

»Kennt Ihr meine Schwester?« fragte Hetty, ehe der zurückgewiesene Soldat Zeit hatte, sich zu einer Erwiederung zu sammeln. »Woher wißt Ihr denn, daß ihr Name Judith ist? Ihr habt Recht, Judith ist ihr Name; und ich bin Hetty, – Thomas Hutter’s Töchter.«

»Ums Himmels willen, theuerste Schwester, um meinetwillen, geliebte Hetty,« fiel Judith stehend ein, »sprich nicht mehr hievon!«

Hetty schien erstaunt; aber an Gehorsam gewohnt, ließ sie von ihren ungelegenen und peinlichen Fragen an Warley ab, und richtete ihr Auge auf die Bibel, die sie noch in ihren Händen hielt, wie etwa Einer an ein Kästchen mit Edelsteinen bei einem Schiffbruch oder Brand sich anklammern würde. Ihr Geist kehrte jetzt zur Zukunft zurück, und verlor die Scenen der Vergangenheit zum größten Theil aus dem Gesicht. »Wir werden nicht lange getrennt bleiben, Judith,« sagte sie; »wenn Du stirbst, mußt Du auch im See neben der Mutter begraben werden.«

»Wollte Gott, Hetty, daß ich schon jetzt dort läge!«

»Nein, das kann nicht seyn, Judith; die Leute müssen sterben, ehe sie das Recht haben, begraben zu werden. Es wäre eine Sünde, dich zu begraben, oder gar wenn Du Dich selbst begraben wolltest, so lange Du noch lebst. Einmal dachte ich daran, mich selbst zu begraben; Gott bewahrte mich vor dieser Sünde.«

»Du! – Du, Hetty Hutter, an eine solche That denken!« rief Judith, in nicht zu bemeisterndem Erstaunen aufschauend, denn sie wußte wohl, daß kein Wort, das nicht gewissenhaft wahr gewesen wäre, über den Mund ihrer streng redlichen Schwester kam.

»Ja, ich, Judith, aber Gott hat es vergessen – nein, er vergißt Nichts, aber er hat es vergeben,« erwiederte das sterbende Mädchen, mit dem zerknirschten Wesen eines reuigen Kindes. »Es war nach der Mutter Tod; ich fühlte, daß ich die beste Freundin auf der Erde verloren hatte, wo nicht die einzige Freundin. Es ist wahr, du und Vater, Ihr wart freundlich gegen mich, Judith, aber ich war so schwachsinnig; ich wußte, ich würde Euch nur Unlust machen; und dann schämtet Ihr Euch so oft einer solchen Schwester und Tochter; und es ist hart, in einer Welt zu leben, wo Alle Einen ansehen als unter ihnen stehend. Ich dachte damals, wenn ich mich an der Mutter Seite begraben könnte, würde ich glücklicher seyn im See als in der Hütte.«

»Vergieb mir – verzeih mir, liebste Hetty, auf meinen Knieen liegend bitte ich Dich, mir zu verzeihen, süße Schwester, wenn irgend ein Wort oder eine Handlung von mir Dich zu einem so wahnsinnigen und grausamen Gedanken trieb!«

»Steh auf, Judith, kniee vor Gott – kniee nicht vor mir. Gerade so war mir zu Muth, als Mutter starb. Es fiel mir Alles ein, womit ich sie in Worten und Werken betrübt hatte, und ich hätte ihr die Füsse küssen können, ihre Vergebung zu erlangen. Ich glaube, es ist so bei allen Sterbenden; doch, wenn ich mich besinne, so erinnere ich mich nicht, solche Empfindungen bei Vater gehabt zu haben.«

Judith stand auf, verhüllte ihr Gesicht in ihrer Schürze, und weinte. Eine lange Pause – von mehr als zwei Stunden – trat nun ein, während welcher Warley verschiedene Male in der Cajüte aus- und einging; es war ihm sichtlich unbehaglich, wenn er weg war, und doch vermochte er nicht zu bleiben. Er ertheilte verschiedene Befehle, welche seine Leute sofort vollzogen; und es war eine unruhige Bewegung unter der Truppe, zumal da Mr. Craig, der Lieutenant, mit der unangenehmen Pflicht, die Todten zu beerdigen, fertig geworden war, und von der Küste um Instruktionen nachsuchte, und zu wissen verlangte, was er mit seinen Leuten thun solle. Während dieser Zeit schlief Hetty ein wenig; und Wildtödter und Chingachgook verließen die Arche, um sich mit einander zu besprechen. Aber nach Verfluß der genannten Frist trat der Wundarzt auf die Plattform; und mit einer Gemüthsbewegung, die seine Cameraden noch nie an einem Mann von seiner Art und seinem Beruf gesehen hatten, kündigte er an, daß die Leidende ihrer Auflösung rasch entgegen gehe. Auf diese Nachricht hin, versammelte sich die Gruppe wieder; die Neugier, Zeugen eines solchen Todes zu seyn, – dero auch ein edleres Gefühl, – zog Männer, die erst vor so kurzer Zeit handelnd aufgetreten bei einer Scene, welche dem Anschein nach von so unendlich wichtigerem Interesse war – nach jener Stelle. Judith hatte inzwischen vor Betrübniß jede Thätigkeit aufgegeben; und Hist allein besorgte die kleinen Dienste weiblicher Aufmerksamkeit, welche am Krankenbette so sehr am Platz sind. Bei Hetty selbst war keine andere sichtbare Veränderung eingetreten, als jene allgemeine Schwäche, welche das Herrannahen der Auflösung verkündigte. Was sie von Geisteskräften besaß, war so klar als nur je, und in mancher Hinsicht war vielleicht ihr Geist kräftiger als gewöhnlich.

»Betrübe dich nicht so sehr um mich, Judith,« sagte die sanfte Dulderin, nachdem sie eine Zeit lang nicht gesprochen; »ich werde bald Mutter sehen; ich glaube, ich sehe sie jetzt; ihr Angesicht ist gerade so hold und lächelnd, wie es immer war! Vielleicht wenn ich gestorben bin, gibt mir Gott meinen ganzen Verstand, und ich werde dann eine passendere Gesellschaft für Mutter, als ich ehemals war.«

»Du wirst ein Engel im Himmel seyn, Hetty,« schluchzte die Schwester; »kein Geist wird seines heiligen Aufenthalts würdiger seyn!«

»Ich verstehe es nicht ganz; doch weiß ich, es muß Alles wahr seyn; ich habe es in der Bibel gelesen. Wie dunkel es wird! Kann es so bald schon Nacht seyn? Ich kann dich kaum mehr sehen; wo ist Hist?«

»Ich hier, armes Mädchen; warum Ihr mich nicht sehen?«

»Ich sehe Euch; aber ich konnte nicht unterscheiden, ob Ihr es wäret oder Judith. Ich glaube, ich werde Euch nicht lange mehr sehen, Hist!«

»Mir leid thun das, arme Hetty. Bekümmert Euch nicht darüber; Bleichgesichter einen Himmel haben für Mädchen, wie für Krieger.«

»Wo ist Schlange? Laßt mich mit ihm sprechen – gebt mir seine Hand – so; ich fühle sie, Delaware, Ihr werdet diese junge Indianerin lieben und hegen; ich weiß, wie zärtlich sie Euch liebt, und Ihr müßt auch sie lieben. Behandelt sie nicht so, wie Manche von Eurem Volk ihre Weiber behandeln; seyd ihr ein rechter Gatte! Jetzt bringt Wildtödter zu mir her; gebt mir seine Hand!«

Dieß Verlangen ward erfüllt, und der Jäger stand neben dem ärmlichen Lager, mit der Willigkeit eines Kindes den Wünschen des Mädchens sich fügend.

»Ich fühle, Wildtödter,« begann sie wieder, »obgleich ich nicht angeben könnte warum – aber ich fühle, daß Ihr und ich nicht für immer scheiden. Es ist ein sonderbares Gefühl! Ich hatte es nie früher; ich möchte wissen, woher es kommt.«

»Es ist Gott, der Euch in der letzten Noth stärkt, Hetty; als solches muß es gehegt und geachtet werden. Ja, wir werden uns wieder sehen, obgleich noch lange Zeit vorher vergehen mag, und in einem weitentfernten Lande!«

»Denkt Ihr auch in dem See begraben zu werden? Wenn dieß ist, so könnte es dieß Gefühl erklären.«

»Das ist wenig wahrscheinlich, Mädchen, das ist nicht wahrscheinlich; aber es gibt ein Reich für christliche Seelen, wo es weder Seen noch Wälder gibt, wie sie sagen; wiewohl ich mir nicht erklären kann, warum die letztern nicht da seyn sollten; angesehen daß es doch um Friede und Lustsamkeit zu thun ist. Mein Grab wird im Walde seyn, höchst wahrscheinlich, aber ich hoffe, mein Geist wird nicht fern seyn von dem Eurigen!«

»So muß es also seyn. Ich bin zu schwachsinnig, um diese Sachen zu verstehen, aber ich fühle, daß Ihr und ich uns wiedersehen werden. Schwester, wo bist Du? Ich sehe jetzt Nichts mehr als Finsterniß. Es muß gewiß Nacht seyn!«

»Oh! Hetty, ich bin hier, an deiner Seite; das sind meine Arme, die Dich umschlingen,« schluchzte Judith. »Sprich, Theuerste; hast Du Etwas zu sagen, wünschest Du Etwas in diesem ernsten Augenblick?«

Inzwischen war Hettys Gesicht ganz vergangen. Dennoch nahte der Tod nicht mit seinen gewöhnlichen Schauern, als wollte er ein geistig nur halb begabtes Wesen zarter behandeln. Sie war bleich wie eine Leiche, aber ihr Athem war leicht und ununterbrochen, während ihre Stimme, obwohl fast zu einem Flüstern herabsinkend, klar und vernehmlich blieb. Als aber ihre Schwester diese Frage an sie that, ergoß sich eine Röthe über das Angesicht des sterbenden Mädchens, so zart jedoch, daß sie kaum wahrnehmbar war, – mehr jenem Rosenfarb ähnlich, das man für das Symbol der Bescheidenheit nimmt, als der Glut dieser Blume in ihrer üppigeren Blüthe. Niemand außer Judith bemerkte dieß Zeichen eines innern Gefühls – eine der leisen Offenbarungen weiblicher Erregbarkeit noch in der Nähe des Todes. Ihr aber blieb es nicht verborgen, und sie verhehlte sich auch den Grund davon nicht.

»Hurry ist hier, liebste Hetty,« flüsterte die Schwester, und beugte sich so nahe über das Gesicht der Leidenden hin, daß kein andres Ohr die Worte vernahm, »Soll ich ihm sagen, daß er herantrete, und deine Segenswünsche empfange?«

Ein leiser Druck der Hand beantwortete die Frage bejahend, und jetzt ward Hurry an das Lager gefühlt. Vermuthlich hatte sich dieser hübsche aber rohe Waldmann noch nie zuvor in einer so peinlichen Lage befunden, obwohl die Neigung, welche Hetty für ihn fühlte, (eine Art geheime Nachgiebigkeit gegen die Instinkte der Natur mehr als ein ungeziemender Trieb einer ungeordneten Einbildungskraft) zu rein und zurückhaltend war, als daß die geringste Ahnung davon in seiner Seele geweckt worden wäre. Er ließ Judith seine harte, kolossale Hand in Hetty’s Hände legen, und stand in verlegenem Stillschweigen, des Ergebnisses harrend da.

»Das ist Hurry, Theuerste,« flüsterte Judith, sich über ihre Schwester beugend, sich schämend die Worte nur so laut auszusprechen, daß sie selbst es hörte; »sprich zu ihm und entlaß ihn dann.«

»Was soll ich ihm sagen, Judith?«

»Ha, was dir immer dein reiner Geist eingibt, meine Liebe! Vertraue dem, so brauchst du Nichts zu fürchten.«

»Lebt wohl, Hurry,« flüsterte das Mädchen und drückte sanft seine Hand – »Ich wünschte, Ihr versuchtet es und würdet mehr Wildtödtern ähnlich.«

Diese Worte sprach sie mit Mühe; eine schwache Röthe folgte dann, die nur einen Augenblick währte; dann ließ sie die Hand fahren, und Hetty wandte ihr Angesicht ab, als sey sie mit der Welt fertig. Das geheimnißvolle Gefühl, das sie an den jungen Mann gebunden hatte, eine so leise Empfindung, daß sie sich ihrer selbst kaum bewußt geworden war, und die gar nicht hätte bestehen können, wenn ihre Vernunft mehr Herrschaft über ihre Sinne gehabt hätte, verlor sich für immer in Gedanken höherer, obwohl kaum reinerer Art.

»Was denkst du, meine süße Schwester?« flüsterte Judith, – »sag‘ es mir, damit ich dir beistehen kann in diesem Augenblick.«

»Mutter – ich sehe Mutter, jetzt, und glänzende Wesen um sie her im See. Warum ist nicht Vater dort? – Es ist seltsam, daß ich Mutter sehen kann, während ich dich nicht sehen kann! – Fahrewohl, Judith!«

Die letzten Worte wurden nach einer Pause gesprochen, und ihre Schwester hatte sich einige Zeit in angstvoller Beobachtung über sie hingebeugt, ehe sie bemerkte, daß der sanfte Geist entflohen war. So starb Hetty Hutter, – eines der rätselhaften Wesen, die Kettenglieder gleichsam zwischen der materiellen und immateriellen Welt, die – während sie so viel zu entbehren scheinen, was für diesen Zustand des Daseyns werthvoll und nothwendig ist, der Wahrheit, Reinheit und Einfalt eines andern so nahe kommen und ein so schönes Bild, eine so rührende Anschauung davon gewähren!

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

»Du kannst nicht mit! Hör‘ an, ich bitt‘,
Hör‘ an und laß es seyn.
Was ist der Wald für Aufenthalt
Für Dich, du Mädchen fein!
In Frost und Schnee, in Durst und Weh,
In Hunger, Furcht und Schmerz;
Nein, Mädchen, nein! es kann nicht seyn,
Bleib‘ hier und still‘ dein Herz.
Was wird die Stadt, die Zungen hat,
So scharf wie Spieß und Schwert,
Für bittre Schmach dir reden nach
Wenn sie die Flucht erfährt?«
Das nußbraune Mädchen
(nach Herder’s Bearbeitung.)

Der noch übrige Tag ward ein sehr melancholischer, obgleich es nicht an lebhafter Thätigkeit fehlte. Die Soldaten, welche vor Kurzem beschäftigt gewesen, ihre Opfer zu beerdigen, hatten jetzt die Aufgabe, ihre eigenen Todten zu bestatten. Die Scene des Morgens hatte einen trüben Eindruck bei all‘ den Gentlemen der Truppe zurückgelassen; und die Uebrigen empfanden den Einfluß einer ähnlichen Stimmung in verschiedener Weise, und in Folge verschiedener Ursachen. Stunde um Stunde schleppte sich hin bis der Abend anbrach, und dann kamen die letzten traurigen Pflichten zu Ehren der armen Hetty Hutter. Ihr Leichnam ward in den See versenkt, neben dem der Mutter, die sie so geliebt und geehrt hatte; und der Wundarzt, obwohl in der That ein völliger Ungläubiger, bequemte sich so weit dem hergebrachten Anstand und Brauch, daß er über ihrem Grabe das Leichengebet las, wie er früher schon über dem Grabe der andern gefallenen Christen gethan hatte. Es war gleichgültig, – das allsehende Auge, das in den Herzen liest, wußte dennoch wohl zu unterscheiden zwischen den Lebendigen und den Todten, und die sanfte Seele des unglücklichen Mädchens war schon weit erhaben und entrückt über die Irrthümer oder Täuschungen irgend eines menschlichen Rituals. Es fehlte jedoch diesen einfachen Bräuchen nicht ganz an geziemender Begleitung und Zuthat. Die Thränen Judiths und Hists flossen ungehemmt, und Wildtödter starrte in das klare Wasser, das jetzt über Einer wogte, deren Geist noch reiner sogar war, als seine eignen Gebirgsquellen, mit glänzenden Augen. Selbst der Delaware wandte sich ab, seine Rührung zu verbergen, während die gemeinen Soldaten der Ceremonie mit staunenden Augen und ernsteren Empfindungen zusahen.

Mit dieser frommen Pflichterfüllung schloß sich das Geschäft des Tages. Auf Befehl des kommandirenden Officiers begaben sich Alle früh zur Ruhe, denn es war der Plan, mit Tagesanbruch den Rückmarsch wieder anzutreten. Eine Abtheilung, welche die Verwundeten, die Gefangnen und die Trophäen mit sich führte, hatte wirklich schon im Laufe des Tags, unter Hurrys Führung, das Castell verlassen, mit der Absicht, in kürzern Märschen das Fort zu erreichen. Sie war auf dem oft erwähnten Vorsprung, den wir auf den ersten Blättern beschrieben haben, ans Land gesetzt worden; und als die Sonne unterging, lagerte sie schon auf der Höhe der langhingestreckten, unterbrochnen, unebnen Hügel, die gegen das Thal des Mohawk hin abfielen. Der Abmarsch dieser Abtheilung hatte die Pflichten des folgenden Tages sehr vereinfacht, indem er den Marsch um das Gepäck und die Verwundeten erleichterte, und überhaupt dem Befehlshaber größere Freiheit in seinen Bewegungen ließ.

Judith sprach nach dem Tode ihrer Schwester mit Niemand als mit Hist, bis sie sich für diese Nacht zur Ruhe begab. Man hatte ihren Kummer geachtet, und die beiden Mädchen mit dem Leichnam, bis auf den letzten Augenblick, ungestört allein gelassen. Das Rasseln der Trommeln unterbrach die Stille dieses friedlichen Wassers, und man vernahm sobald nach dem Schluß der Ceremonie das Echo des Zapfenstreichs in den Bergen, daß man keine Störung zu besorgen hatte. Der Stern, welcher Hists Führer gewesen war, stieg über einer so stillen Scene auf, als ob die Ruhe der Natur nie durch das Treiben oder die Leidenschaften der Menschen wäre gestört worden. Eine einfache Schildwache, zu Zeiten abgelöst, schritt die Nacht über auf der Plattform hin und her; und der Morgen ward, wie gewöhnlich, durch das kriegerische Schlagen der Reveille eingeleitet.

Militärische Genauigkeit war jetzt an die Stelle des unsteten, fahrigen Treibens der Grenzmänner getreten, und als ein hastiges und frugales Frühstück eingenommen war, begann die Truppe nach der Küste aufzubrechen mit einer Regelmäßigkeit und Ordnung, welche weder Lärm noch Verwirrung aufkommen ließ. Von allen Officieren blieb nur Warley. Craig führte die vorangegangne Abtheilung; Thornton war bei den Verwundeten, und Graham hatte natürlich seine Kranken begleitet. Auch Hutter’s Schrank, nebst allen seinen werthvolleren Habseligkeiten, war weggebracht worden, und Nichts zurückgeblieben, was sich der Mühe des Transports verlohnte. Judith war froh, zu bemerken, daß der Capitän ihre Gefühle achtete, und sich ganz mit den Pflichten seines Commando’s beschäftigte, während er sie ihren Empfindungen und ihrer eignen Einsicht und Klugheit überließ. Es war die allgemeine Voraussetzung, daß der Platz ganz verlassen werden solle; aber außer diesem wurden keine Aufklärungen weder verlangt noch gegeben.

Die Soldaten schifften sich auf der Arche ein, ihren Capitän an ihrer Spitze. Er hatte Judith befragt, in welcher Weise sie zu reisen wünschte, und als er ihren Wunsch vernahm, mit Hist bis zum letzten Augenblick zu bleiben, belästigte er sie weder mit Bitten, noch verletzte er sie durch Ertheilung von Rath. Es war nur Ein sichrer und bekannter Weg an den Mohawk; und dort zweifelte er nicht, daß sie sich zur geeigneten Stunde in guter Freundschaft, wo nicht in erneuertem vertrauterem Verkehr wieder begegnen würden.

Als Alle an Bord waren, wurden die Ruder besetzt, und die Arche bewegte sich in ihrer schwerfälligen Weise dem fernen Landvorsprung zu. Wildtödter und Chingachgook zogen jetzt zwei der Canoe’s aus dem Wasser und brachten sie in das Castell. Thüren und Fenster wurden dann verriegelt, und das Haus wurde mittelst der Fallthüre auf die schon beschriebene Weise verlassen. Beim Verlassen der Palisaden sah man Hist in dem übrigen Canoe, wo der Delaware alsbald sich zu ihr gesellte und fortruderte, so daß Judith allein auf der Plattform stehen blieb. In Folge dieser raschen Bewegungen fand sich Wildtödter allein mit der schönen, und noch immer weinenden Leidtragenden. Zu unbefangen, um irgend einen Verdacht zu hegen, ruderte der junge Mann sein leichtes Boot herum, und nahm darin seine Herrin auf, worauf er dieselbe Richtung wie sein Freund einschlug.

Die Fahrt nach dem Vorsprung führte schräg, und zwar in nicht großer Entfernung an den Gräbern der Todten vorbei. Als das Canoe dort vorüber glitt, redete Judith, zum ersten Mal diesen Morgen, mit ihrem Begleiter. Sie sprach nur Wenig, – sie that nur die einfache Bitte an ihn, ein paar Minuten zu halten, ehe er die Stelle verließe.

»Ich sehe diesen Platz vielleicht nie wieder, Wildtödter,« sagte sie, »und er enthält die Leichen meiner Mutter und meiner Schwester! Ist es nicht möglich, was meint Ihr, daß die Unschuld des Einen dieser beiden Wesen in den Augen Gottes für das Heil Beider gutspreche?«

»Ich verstehe es nicht so, Judith; aber ich bin kein Missionär und nur dürftig unterrichtet. Jeder Geist steht ein für seine eignen Fehltritte; obwohl eine herzliche Reue Gottes Gesetzen genügen kann.«

»Dann muß meine arme, arme Mutter im Himmel seyn! – Bitter – bitter hat sie ihre Sünden bereut; und gewiß, es sollten ihre Leiden in diesem Leben Etwas von ihren Leiden im andern abziehen!«

»Alles das geht über meine Einsicht, Judith, – Ich bestrebe mich, hier recht zu handeln, als das sicherste Mittel, im künftigen Leben Alles recht und tröstlich zu finden. Hetty war ein ungewöhnliches Wesen, wie Alle gestehen müssen, die sie kannten, und ihre Seele war in der Stunde, wo sie ihren Körper verließ, so geeignet mit Engeln zu verkehren, als die irgend eines Heiligen in der Bibel!«

»Ich glaube, Ihr laßt ihr nur Gerechtigkeit widerfahren! – Ach! ach ! daß es so große Unterschiede geben soll zwischen Solchen, die an derselben Brust genährt wurden, in demselben Bett schliefen, unter demselben Dache wohnten! Doch lassen wir das – führt das Canoe etwas weiter östlich, Wildtödter; die Sonne blendet meine Augen so, daß ich die Gräber nicht sehen kann. Das ist Hetty, zur rechten Seite meiner Mutter?«

»Gewiß – Ihr verlangtet das von uns; und Alle freuen sich, Eure Wünsche zu erfüllen, Judith, wenn Ihr wünscht was recht ist.«

Das Mädchen starrte ihn beinahe eine Minute in schweigender Aufmerksamkeit an, dann wandte sie ihre Augen rückwärts nach dem Castell.

»Dieser See wird bald ganz verlassen seyn,« sagte sie – »und das in einem Zeitpunkt, wo er ein sichrerer Aufenthaltsort seyn wird als je. Was ganz kürzlich vorgefallen ist, wird die Irokesen auf lange Zeit hinaus von einem neuen Besuch abschrecken!«

»Das wird es! – ja, das kann man als ausgemachte Sache behaupten. Ich gedenke nicht wieder des Weges zu kommen, so lange der Krieg dauert; denn nach meiner Meinung wird kein Huronen-Moccasin seine Spuren den Blättern dieses Waldes mehr eindrücken, bis ihre Ueberlieferungen vergessen haben, ihren jungen Männern von ihrer Schande und Vernichtung zu erzählen.«

»Und habt Ihr eine solche Freude an Gewaltthat und Blutvergießen? Ich hatte besser von Euch gedacht, Wildtödter – hatte Euch für einen Mann gehalten, der sein Glück finden könnte in einer ruhigen, heimlichen Häuslichkeit, mit einem ergebenen, liebenden Weib, das bereit wäre, auf alle Eure Wünsche zu achten, und gesunden, pflichtmäßigen Kindern, bestrebt in Eure Fußtapfen zu treten, und so redlich und gerecht wie Ihr selbst.«

»Herr Gott, Judith, was für eine Zunge wißt Ihr zu führen! Sprache und Schönheit gehen Hand in Hand, gleichsam; und was die eine nicht kann, das leistet desto gewisser die andere! Ein solches Mädchen könnte in einem Monat den mannhaftesten Krieger in der Colonie verderben!«

»Und irre ich mich denn so sehr? Liebt Ihr wirklich den Krieg mehr, Wildtödter, als den häuslichen Heerd und die zärtlichen Gefühle?«

»Ich verstehe Eure Meinung, Mädchen – ja, ich verstehe, glaube ich, was Ihr meint, obwohl Ihr mich, so denke ich, nicht ganz versteht. Einen Krieger darf ich mich jetzt nennen, denke ich, denn ich habe gekämpft nicht nur, sondern auch gesiegt, und das ist genug, um diesen Namen zu führen; auch will ich nicht läugnen, daß ich eine Neigung für den Beruf habe, der männlich sowohl als ehrenvoll ist, wenn man ihn übt nach natürlichen Gaben; aber ich habe kein Verlangen nach Blut. Indeß, Jugend ist Jugend, und ein Mingo ist ein Mingo. Wenn die jungen Männer dieser Gegend müssig ständen, und die Vagabunden das Land überschwemmen ließen, ha! so könnten wir eben so gut Alle auf einmal Franzmänner werden, und Land und Leute preisgeben. Ich bin kein Feueresser, Judith, oder Einer, der den Kampf um des Kampfs willen liebt; aber ich kann keinen großen Unterschied sehen zwischen dem, daß man das Land abtritt vor einem Krieg, aus Furcht vor einem Krieg, und dem, daß man es abtritt, nach einem Krieg, weil man nicht anders kann – wenn nicht der, daß letzteres das Mannhaftere und Ehrenhaftere ist.«

»Kein Weib würde je wünschen, zu sehen, daß ihr Gatte oder Bruder ruhig hinstände und sich Schimpf und Hohn gefallen ließe, Wildtödter, wie sehr sie auch darüber trauerte, wenn er in die Gefahren der Schlacht sich stürzte. Aber Ihr habt schon genug gethan, diese Gegend von den Huronen zu säubern; denn Euch vornämlich verdankt man den Ruhm unsers letzten Sieges. Jetzt hört mich geduldig an, und antwortet mir mit der angeborenen Redlichkeit, welche bei Einem von Eurem Geschlecht zu sehen eben so erfreulich als selten ist.«

Judith hielt inne; denn jetzt, wo sie gerade auf dem Punkte stand, sich zu erklären, behauptete natürliche Sittsamkeit ihre Macht, trotz der ermuthigenden Zuversicht, welche die große Unbefangenheit und Treuherzigkeit von ihres Gesellschafters Charakter ihr einflößte. Ihre Wangen, die erst noch so bleich gewesen, flammten, und ihre Augen leuchteten fast wieder mit ihrem frühern Glanze. Ihre Gemüthsbewegung gab ihrem Angesicht Ausdruck und ihrer Stimme Weichheit, und machte sie, die immer so schön war, dreifach einnehmend und verführerisch.

»Wildtödter,« begann sie wieder nach einer ansehnlichen Pause, »dieß ist nicht ein Augenblick für Verstellung, Täuschung oder Unoffenherzigkeit irgend einer Art. Hier, über meiner Mutter Grab, und über dem Grabe der wahrheitsliebenden, wahrheitredenden Hetty scheint alles versteckte, unredliche Verfahren nicht am Platze. Ich will daher ohne Zurückhaltung, und ohne alle Furcht, mißverstanden zu werden, zu Euch sprechen. Ihr seyd mir nicht ein Bekannter von einer Woche her, sondern es ist mir, als kennte ich Euch seit Jahren. So Viel, und so viel Wichtiges ist in dieser kurzen Zeit vorgefallen, daß die Bekümmernisse und Gefahren und Rettungen eines ganzen Lebens in wenige Tage sich zusammengedrängt haben; und die miteinander bei solchen Scenen gelitten und gehandelt haben, dürfen sich nicht als einander fremd fühlen. Ich weiß, daß, was ich zu sagen im Begriff bin, von den meisten Männern mißverstanden werden würde; aber von Euch hoffe ich eine großmüthige Auslegung meiner Handlungsweise. Wir befinden uns hier nicht inmitten der Künste und Täuschungen der Ansiedlungen, sondern wir sind junge Leute, welche keine Gelegenheit haben, einander in irgend einer Weise oder Form zu betrügen. Ich hoffe, ich rede verständlich.«

»Gewiß, Judith; Wenige konversiren besser als Ihr, und wohl Keine angenehmer. Eure Worte sind so gefällig wie Euer Aussehen.«

»Die Art und Weise, wie Ihr dieß Aussehen so oft gerühmt habt, ist es, was mir Muth gibt fortzufahren. Dennoch, Wildtödter, ist es nichts Leichtes für Eine von meinem Geschlecht und meinen Jahren, alle Lehren ihrer Kindheit, all‘ ihre Angewöhnungen und ihre natürliche Schüchternheit zu vergessen, und offen herauszusagen, was ihr Herz fühlt!«

»Warum nicht, Judith? Warum sollten nicht Frauen so gut wie ein Mann offen und redlich mit ihren Mitmenschen verkehren? Ich sehe keinen Grund, warum Ihr nicht so geradeheraus sprechen solltet, wie ich, wenn Ihr Etwas wirklich Wichtiges zu sagen habt.«

Die unüberwindliche Bescheidenheit, welche den jungen Mann noch immer die Wahrheit nicht ahnen ließ, würde das Mädchen ganz entmuthigt haben, wäre nicht ihre Seele, wie ihr ganzes Herz entschlossen und begierig gewesen, einen verzweifelten Versuch zu wagen, um sich vor einer Zukunft zu retten, welche sie mit einem Abscheu fürchtete, der nicht minder lebhaft war, als die deutliche Sicherheit, womit sie dieselbe vorherzusehen wähnte. Dieser Beweggrund nun erhob sie über alle gewöhnlichen Rücksichten, und sie blieb bei ihrem Vorhaben, zu ihrem eigenen Erstaunen, wo nicht zu ihrer großen Beschämung.

»Ich will – ich muß so offen mit Euch sprechen, wie ich es mit der armen, lieben Hetty thäte, wäre das süße Kind noch am Leben,« fuhr sie fort, und wurde blaß, statt roth. Denn die kühne Entschlossenheit, von der sie getrieben wurde, hielt die sichtbare Wirkung, welche ein solcher Schritt in der Regel bei Einer ihres Geschlechts hätte hervorbringen müssen, zurück, »ja, ich will alle anderen Gefühle in dem Einen ersticken, das jetzt das mächtigste in mir ist. Ihr liebt die Wälder und das Leben, das wir hier in der Wildniß führen, fern von den Wohnungen und Städten der Weißen?«

»Wie ich meine Eltern liebte, Judith, als sie noch lebten! Dieser Platz wäre mir wie die ganze Schöpfung, wäre nur einmal dieser Krieg ordentlich vorüber, und hielten sich die Ansiedler entfernt!«

»Warum dann ihn verlassen? Er hat keinen Eigentümer – wenigstens keinen, der ein besseres Recht als das meinige geltend machen kann, und das trete ich Euch freiwillig ab. Wäre es ein Königreich, Wildtödter, ich glaube, ich würde mit Freuden dasselbe sagen. Laßt uns dann dahin zurückkehren, nachdem wir erst den Priester im Fort aufgesucht haben, und ihn nie wieder verlassen, bis Gott uns abruft in jene Welt, wo wir die Geister meiner armen Mutter und Schwester finden werden.«

Eine lange nachdenkliche Pause trat nun ein; Judith hatte sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, nachdem sie sich gezwungen, einen so offenen Antrag auszusprechen, und Wildtödter sann eben so bekümmert als erstaunt nach über die Meinung der Sprache, die er so eben gehört. Endlich brach der Jäger das Schweigen, und sprach in einem Tone, der bis zur Zartheit gedämpft war durch seinen Wunsch nicht zu beleidigen.

»Ihr habt das nicht wohl bedacht, Judith,« sagte er – »nein, Eure Gefühle sind aufgeregt durch Alles was sich jüngst zugetragen, und weil Ihr Euch ohne Verwandte und Freunde in der Welt glaubt, seyd Ihr allzu hastig, Jemand zu finden, der die Stellen der Verlorenen ausfülle.«

»Lebte ich in einem ganzen Schwarm von Freunden und Verwandten, Wildtödter, ich würde dennoch denken wie ich jetzt denke – sagen was ich jetzt sage,« erwiederte Judith, die noch immer mit den Händen ihr liebliches Angesicht verhüllte.

»Dank Euch, Mädchen, Dank Euch von Grund meines Herzens. Indessen ich bin nicht der Mann, der den Vortheil eines schwachen Augenblicks benützen sollte, wo Ihr Eure eigenen großen Vorteile vergeht, und meint, die Erde mit Allem, was sie enthält, sey in diesem kleinen Canoe. Nein – nein – Judith, es wäre ungroßmüthig von mir; was Ihr mir angeboten habt, kann nie in Erfüllung gehen!«

»Es kann wohl, und das ohne daß Eines Ursache zur Reue hätte,« versetzte Judith mit einer Heftigkeit des Gefühls und Benehmens, die sie auf einmal die Hände von den Augen wegziehen machte. »Wir können die Soldaten veranlassen, unsere Habseligkeiten auf dem Weg zurückzulassen, bis wir zurückkehren, wo wir sie dann leicht in’s Haus schaffen können; der See wird nicht mehr vom Feind heimgesucht werden, während dieses Krieges wenigstens; alle Eure Häute könnt Ihr leicht bei der Garnison verkaufen. Dort könnt Ihr die wenigen uns nothwendigen Lebensbedürfnisse einkaufen, denn ich wünsche jenen Ort nie wieder zu betreten; und, Wildtödter,« fuhr das Mädchen fort, und lächelte mit einer Holdseligkeit und Natürlichkeit, daß es dem jungen Mann schwer wurde, ihr zu widerstehen, – »zum Beweis, wie gänzlich ich die Eurige bin und zu seyn wünsche, wie gänzlich ich wünsche, Nichts zu seyn als Euer Weib, soll gleich das erste Feuer, das wir nach unsrer Rückkehr aufmachen, angezündet werden mit dem Brokatkleid, und unterhalten werden mit allen Sachen, die ich besitze, und die Ihr für das Weib, mit dem Ihr zu leben wünscht, nicht passend findet!«

»Ach, weh! – Ihr seyd ein einnehmendes und liebliches Geschöpf, Judith; ja, das Alles seyd Ihr, und Niemand kann das läugnen, der Wahrheit unbeschadet. Diese Bilder sind den Gedanken gefällig, aber sie möchten nicht so glücklich ausfallen, als Ihr jetzt meint. Vergeßt daher Alles, und laßt uns Schlange und Hist nachrudern, als ob von der Sache gar nicht die Rede gewesen wäre.«

Judith war tief gekränkt, und was Mehr ist, tief betrübt. Es lag eine Ruhe und Festigkeit in Wildtödters Benehmen, welche ihre Hoffnungen gänzlich erstickte, und ihr zeigte, daß dießmal ihre außerordentliche Schönheit doch verfehlt hatte, die Bewunderung und Huldigung zu erwecken, die ihr sonst immer entgegenkamen. Man sagt, Frauen vergeben denen selten, die ihr Entgegenkommen mißachten; aber dieß hochsinnige und heftige Mädchen hegte nie, weder damals noch später, auch nur einen Schatten von Erbitterung gegen den offenen und freimüthigen Jäger. Im Augenblick war das vorwiegende Gefühl der Wunsch, sich zu vergewissern, ob kein Mißverständniß obwalte. Nach einer weitern, peinlichen Pause brachte sie daher die Sache zu einem Ende durch eine Frage, die zu einfach war, um eine Mißdeutung zuzulassen.

»Gott verhüte, daß wir uns für’s spätere Leben Reue bereiten durch einen Mangel an Offenheit jetzt,« sagte sie. »Ich hoffe, wir verstehen einander wenigstens. Ihr wollt mich nicht zum Weib nehmen, Wildtödter?«

»Es ist besser für Beide, wenn ich Eure unüberlegte Hast mir nicht zu Nutze mache, Judith. Wir können uns nimmermehr heirathen.«

»Ihr liebt mich nicht, – Euer Herz ist vielleicht nicht im Stande mich zu achten, Wildtödter!«

»Alles und Jedes in guter Freundschaft, Judith – Alles, meine Dienste und mein Leben selbst. Ja, ich wollte so Viel für Euch wagen, in diesem Augenblick, als für Hist selbst; und das ist so Viel gesagt, als ich nur zu Gunsten einer Tochter des Weibes sagen kann. Ich glaube, ich fühle mich gegen Keine von Beiden so gesinnt – merkt es, Judith, ich sage Keine! – als möchte ich Vater und Mutter verlassen – wenn Vater und Mutter noch lebten, was jedoch nicht der Fall ist – ober wenn Beide noch lebten, so fühle ich mich gegen kein Weib so gesinnt, daß ich Jene verlassen möchte, um ihr anzuhängen.«

»Das ist genug,« antwortete Judith mit beschämter und erstickter Stimme. »Ich verstehe ganz, was Ihr meint. Heirathen könnt Ihr nicht ohne Liebe; und diese Liebe fühlt Ihr für mich nicht. Antwortet nicht, wenn ich Recht habe, denn ich verstehe Euer Schweigen. Dieß schon für sich wird peinlich genug seyn.«

Wildtödter gehorchte und antwortete nicht. Länger als eine Minute hielt das Mädchen ihre glänzenden Augen auf ihn geheftet, als wollte sie in seiner Seele lesen; wählend er im Wasser spielend da saß, wie ein gestrafter Schulknabe. Dann senkte Judith selbst ihre Ruderschaufel in’s Wasser, und trieb das Canoe von der Stelle weg, mit einer so widerstrebenden Bewegung, als die Gefühle, welche sie dazu veranlaßten. Wildtödter jedoch unterstützte ruhig ihre Anstrengung und bald waren sie auf der spurlosen Bahn, die der Delaware eingeschlagen.

Auf der Fahrt nach dem Vorsprung ward kein Wort mehr zwischen Wildtödter und seiner schönen Begleiterin gewechselt. Da Judith im Vordertheil des Canoe’s saß, wandte sie ihm den Rücken zu, sonst hätte vermuthlich der Ausdruck ihres Gesichts ihn veranlaßt, einige begütigende, tröstende Worte der Freundschaft und Achtung gegen sie zu wagen. Was man kaum hatte erwarten sollen – sie empfand noch immer keine Bitterkeit gegen ihn, obwohl ihre Farbe häufig von der flammenden Röthe der kränkenden Beschämung zur Blässe der getäuschten Erwartung überging. Kummer, tiefer herzinniger Kummer jedoch war das vorwaltende Gefühl, und dieser verrieth sich auch in einer nicht zu mißdeutenden Weise.

Da Keines von Beiden sich sehr anstrengte mit Rudern, war die Arche schon angekommen und die Mannschaft ausgeschifft; ehe das Canoe mit den zwei Nachzüglern den Vorsprung erreichte. Chingachgook war ihr vorgekommen und befand sich schon in einiger Entfernung waldeinwärts auf einer Stelle, wo die beiden Pfade, der nach der Garnison und der zu den Dörfern der Delawaren führende, sich trennten. Auch die Soldaten hatten sich schon in Marschlinie gestellt, nachdem sie zuvor die Arche hatten wegtreiben lassen, gänzlich gleichgültig gegen ihr Schicksal. Alles das sah Judith, aber sie beachtete es nicht. Der Glimmerglas hatte keine Reize mehr für sie; und als sie den Fuß an’s Land gesetzt, schlug sie sogleich den Pfad der Soldaten ein, ohne einen einzigen Blick hinter sich zu werfen. Selbst an Hist ging sie vorbei, ohne von ihr Kunde zu nehmen; und dieß bescheidene junge Geschöpf scheute vor Judiths abgewandtem Gesicht zurück, wie wenn sie selbst eines Unrechts sich schuldig wüßte.

»Wartet Ihr hier, Schlange,« sagte Wildtödter, der dem Schatten der niedergeschlagenen Schönheit folgte, als er an seinem Freund vorbeikam. Ich will nur Judith zu ihrer Gesellschaft geleiten, und dann Euch wieder treffen.«

Hundert Schritte hatten das Paar dem Auge sowohl der Voranziehenden als der Nachkommenden entzogen, als Judith sich umwandte und sprach.

»Das wird genügen, Wildtödter,« sagte sie traurig. »Ich verstehe Eure Güte und Freundlichkeit, werde ihrer aber nicht bedürfen. In wenigen Minuten werde ich die Soldaten erreichen. Da Ihr nicht mit mir die Reise des Lebens antreten wollt, wünsche ich nicht, daß Ihr mich auf dieser weiter begleitet. Doch halt! ehe wir scheiden, möchte ich Euch noch Eine Frage vorlegen. Und ich verlange von Euch, wie Ihr Gott fürchtet und die Wahrheit ehrt, daß Ihr mich mit Eurer Antwort nicht täuschet. Ich weiß, Ihr liebt keine Andere: und ich sehe nur Einen Grund ab, warum Ihr mich nicht lieben könnt, nicht lieben wollt. Sagt mir den, Wildtödter,« das Mädchen stockte, und die Worte, die sie im Begriff war zu sagen, schienen sie ersticken zu wollen. Dann all ihre Entschlossenheit aufbietend, fuhr sie mit einem Angesicht, in welchem stammende Röthe und Blässe mit jedem Athemzuge wechselten, fort: »sagt mir denn, Wildtödter, ob nicht vielleicht etwas Leichtfertiges, was Henry March von mir gesagt, Einfluß aus Eure Gefühle gehabt haben mag?«

Die Wahrheit war Wildtödters Polarstern, den er immer im Auge behielt; und es war ihm beinahe unmöglich, das Aussprechen derselben zu vermeiden, selbst wenn die Klugheit Schweigen gebot. Judith las seine Antwort in seinem Angesicht; und mit einem Herzen, das beinahe brach durch das Bewußtseyn unverdienten Unrechts, winkte sie ihm ein Lebewohl zu, und begrub sich in den Wäldern. Einige Zeit war Wildtödter unschlüssig, was er thun solle, am Ende aber wandte er seine Schritte rückwärts, und schloß sich an die Delawaren wieder an. In dieser Nacht kampirten die drei an den obern Wassern ihres Stromes, und am folgenden Abend langten sie in dem Dorfe des Stammes an; Ghingachgook und seine Verlobte im Triumph, ihr Begleiter geehrt und bewundert, aber mit einem Kummer, welchen zu vertilgen es Monate der rüstigsten Thätigkeit brauchte.

Der Krieg, der damals begonnen, war heftig und blutig. Der Delawarenhäuptling stieg in seinem Volke so hoch empor, daß sein Name nie ohne Lob und Ruhm genannt wurde; während ein neuer Unkas, der letzte seines Stammes, der langen Linie von Kriegern sich anschloß, welche diesen ausgezeichneten Namen trugen. Wildtödter seinerseits, unter dem sobriquet »Falkenauge,« machte seinen Ruf weit und breit bekannt, bis das Krachen seiner Büchse den Ohren der Mingo’s so furchtbar wurde, wie die Donner Manitou’s. Seine Dienste wurden bald von den Officieren der Armee in Anspruch genommen und er schloß sich im Feld insbesondere an Einen an, mit dessen späterem Leben er in einem engen und wichtigen Verhältnis stand.

Fünfzehn Jahre waren verstrichen, ehe Wildtödter wieder Gelegenheit fand, den Glimmerglas zu besuchen. Friede hatte inzwischen geherrscht, und es war am Vorabend eines neuen, noch wichtigeren Krieges, als er und sein beständiger Freund Chingachgook nach den Forts eilten, um sich ihren Verbündeten anzuschließen. Ein junges Bürschchen begleitete sie, denn Hist schlummerte schon unter den Fichten der Delawaren, und die drei Ueberlebenden waren jetzt unzertrennlich geworden. Sie erreichten den See gerade als die Sonne unterging. Hier war Alles unverändert, der Fluß rauschte noch durch sein Gewölbe von Bäumen dahin; der kleine Fels verwitterte allmählig unter dem langsam wirkenden Einfluß des Wassers, das ihn seit Jahrhunderten bespülte; die Berge standen in ihrem natürlichen dunkeln, reichen und geheimnißvollen Gewande da, während der See in seiner Einsamkeit schimmerte, ein schöner Edelstein des Waldes.

Am folgenden Morgen entdeckte der Jüngling eines von den Canoe’s, das an’s Ufer getrieben und im Zustand des Verfalls war. Einige Arbeit stellte es in dienstfähigen Stand her, und Alle schifften sich ein, um den Platz in Augenschein zu nehmen. An allen Vorsprüngen fuhren sie vorbei, und Chingachgook bezeichnete seinem Sohn die Stelle, wo die Huronen zuerst sich gelagert hatten, und den Punkt, von wo es Ihm gelungen war, seine Braut wieder zu entführen. Hier landeten sie auch; aber alle Spuren des frühern Besuchs waren verschwunden. Sodann begaben sie sich nach dem Schauplatz der Schlacht, und hier fanden sie einige der Spuren, welche längere Zeit an solchen Lokalitäten zu treffen sind. Wilde Thiere hatten viele Leichname ausgewühlt, und Menschenknochen bleichten in den Sommerregen. Unkas betrachtete sich Alles mit Ehrfurcht und Rührung, obwohl schon die Ueberlieferungen seinen jungen Geist mit dem Ehrgeiz und Trotz des Kriegers aufregend erfüllten.

Von dem Vorsprung aus nahm das Canoe seinen Weg nach der Sandbank, wo die Ueberreste des Castells noch sichtbar waren, eine malerische Ruine. Die Winterstürme hatten längst das Haus seines Daches beraubt, und Fäulniß hatte die Stämme angefressen. Alle Bande und Riegel waren unversehrt, aber die Jahreszeiten trieben ihr Spiel in dem Hause, des Versuchs, sie auszuschließen, gleichsam spottend. Die Palisaden verfaulten, wie auch die Pfeiler; und es war augenscheinlich, daß noch ein paar Winter, noch einige Stürme und Gewitter Alles in den See fegen und das Gebäude von der Oberfläche dieser prächtigen Einsamkeit wegwischen würden. Die Gräber waren nicht zu finden. Entweder hatten die Elemente ihre Spuren verwischt, oder hatten die Suchenden die genauere Lage derselben in der langen Zeit vergessen.

Die Arche ward entdeckt, gestrandet an der östlichen Küste, wohin sie längst von den vorherrschenden Nordwestwinden getrieben war. Sie lag auf dem sandigen Endpunkte eines langen, niedern Landvorsprungs, etwa zwei Meilen von der Ausströmung gelegen, der selbst durch die Wirkung der Elemente rasch verschwindet. Die Fähre war mit Wasser angefüllt, die Kajüte ohne Dach, und das Holz in Verfall. Einiges von dem roheren Geräthe war noch vorhanden, und Wildtödters Herz pochte höher, als er ein Band Judiths an einem Holzblock flattern sah. Es erinnerte ihn an alle ihre Schönheit, und, dürfen wir hinzusetzen, an alle ihre Fehler, Obwohl das Mädchen sein Herz nie eigentlich gerührt hatte, war doch dem Falkenauge, denn so müssen wir ihn jetzt nennen, ein aufrichtiges und inniges Interesse an ihrem Schicksal geblieben. Er riß das Band weg und machte daraus eine Schleife am Schaft seiner Büchse, Killdeer, welche ihm das Mädchen selbst geschenkt hatte.

Einige Meilen weiter aufwärts am See entdeckten sie ein weiteres Canoe; und auf dem Ausläufer, wo die Gesellschaft am Ende landete, fand man die hier an der Küste zurückgelassenen. Das, in welchem die gegenwärtige Fahrt gemacht wurde, und das an der östlichen Küste gefundene waren durch den zerstörten Boden des Castells durchgebrochen, waren an den zusammenfallenden Palisaden vorbei getrieben und als herrenlose Sachen an den Strand geworfen worden.

Aus allen diesen Anzeichen wurde wahrscheinlich, daß der See seit den Vorfällen der letzten Scene unsrer Erzählung nicht mehr besucht worden war. Zufall oder Ueberlieferung hatten ihn wieder zu einem der Natur geheiligten Platz gemacht, und die häufigen Kriege und die schwache Bevölkerung der Colonieen beschränkten noch die Ansiedlungen auf enge Grenzen. Chingachgook und sein Freund verließen den Platz mit schwermüthigen Gefühlen. Es war die Gegend ihres ersten Kriegspfades gewesen, und rief den Seelen Beider das Bild zärtlicher rührender Scenen und Stunden des Triumphes zurück. Sie setzten jedoch schweigend ihren Weg nach dem Mohawk fort, um sich in neue Abenteuer zu stürzen, so merkwürdig und aufregend, wie diejenigen, welche den Anfang ihrer Laufbahn an diesem lieblichen See begleitet hatten.

Zeit und Umstände haben einen undurchdringlichen Schleier über Alles geworfen, was mit dem Schicksal der Familie Hutter zusammenhängt. Sie lebten, irrten, starben und sind vergessen. Keine der mit ihnen in Berührung Gekommenen haben so viel Antheil an den mit Unehre Bezeichneten genommen, um den Schleier zu lüften, und ein Jahrhundert verwischt bald das Gedächtniß selbst ihrer Namen. Die Geschichte des Verbrechens ist immer empörend, und es ist ein Glück, daß Wenige gerne bei ihren einzelnen Begebenheiten länger verweilen. Die Sünden der Familie sind längstens vor den Richterstuhl Gottes gezogen worden, oder sind eingetragen für die furchtbare Abrechnung des letzten großen Tages.

Dasselbe Schicksal erwartete Judith. Als Falkenauge die Garnison am Mohawk erreichte, erkundigte er sich angelegentlich nach diesem lieblichen aber irregeleiteten Geschöpf. Niemand wußte von ihr – selbst einer Person ihres Namens erinnerte man sich nicht mehr. Andere Officiere waren zu wiederholten Malen an die Stelle der Warley’s, Craigs und Grahams gerückt, aber ein alter Sergeant der Garnison, der kürzlich von England gekommen, war im Stand, unserm Helden die Nachricht zu geben, daß Sir Robert Warley auf seinen väterlichen Gütern lebe, und daß eine Dame von seltner Schönheit in dem Landhaus sich befinde, welche großen Einfluß auf ihn ausübe, obwohl sie nicht seinen Namen trage. Ob dieß Judith war, zurückgefallen in ihre frühere Verirrung, ober ein andres Opfer des Soldaten, erfuhr Falkenauge nie, auch wäre eine Nachforschung weder angenehm noch ersprießlich gewesen. Wir leben in einer Welt der Uebertretungen und der Selbstsucht, und keine Gemälde, die sie uns anders darstellen, sind wahr, obwohl zum Glück für die menschliche Natur, Strahlen jenes reinen Geistes, nach dessen Bilde der Mensch erschaffen ist, sichtbar sind, welche ihre Mißgestaltungen verhüllen und mindern, und ihre Verbrechen mildern, wenn nicht entschuldigen.

Drittes Kapitel.

Drittes Kapitel.

Kommt, soll’n wir gehen und uns Wildpret tödten?
Doch reut mich’s, daß wir den gefleckten Narr’n,
Die Bürger sind in dieser öden Stadt,
Auf eignem Grund mit hack’gen Spitzen blutig
Die runden Hüften reißen.
Shakespeare.

Hurry Harry dachte mehr an die Schönheiten der Judith Hutter als an die von Glimmerglas und der umgebenden Landschaft. Sobald er daher Floating Toms Habseligkeiten und Geräthschaften genau genug durchgemustert, lud er seinen Begleiter wieder in das Canoe, um den See hinab zu fahren und die Familie aufzusuchen. Ehe sie sich einschifften jedoch durchspähte Hurry sorgfältig die ganze nördliche Seite des See’s mit einem mittelmäßigen Schiffsfernrohr, das sich unter Hutter’s Sachen befand. Bei dieser Forschung ward kein Theil des Ufers übersehen; die Buchten und vorspringenden Punkte besonders wurden einer genauern Untersuchung unterworfen, als die übrige waldbewachsene Küste.

»Es ist wie ich gedacht,« sagte Hurry, das Glas weglegend; »der alte Kerl zieht bei diesem schönen Wetter auf dem südlichen Theil herum, und läßt das Castell sich selbst vertheidigen. Nun jetzt, da wir wissen, daß er nicht dorthinaus zu ist, ist es ein Kleines, abwärts zu rudern und ihn in seinem Versteck aufzustöbern.«

»Hält es der Meister Hutter für nöthig, sich zu verstecken auf diesem See?« fragte Wildtödter, indem er seinem Genossen in das Canoe folgte; »nach meiner Ansicht ist hier eine solche Einsamkeit, daß man seine ganze Seele aufschließen könnte, und nicht zu fürchten hätte, es möchte Jemand uns in unsern Gedanken oder unsrer Anbetung stören.«

»Dann vergeßt Ihr Eure Freunde, die Mingos, und all die französischen Wilden. Gibt es eine Stelle auf Erden, Wildtödter, wohin die unruhigen Spitzbuben nicht kämen? Wo ist der See, oder auch nur der Hirschteich, den die Lumpenhunde nicht aufspüren; und sobald sie ihn gefunden, so färben sie auch ganz gewiß früher oder später sein Wasser mit Blut.«

»Ich höre allerdings nirgends ihr gutes Lob, Freund Hurry, obgleich es bis jetzt noch nie mein Schicksal war, ihnen oder irgend einem andern Sterblichen auf dem Kriegspfad zu begegnen. Ich glaube gern, daß ein so anmuthiger Platz, wie dieser, von solchen Plünderern schwerlich würde übersehen werden: denn obschon ich selbst noch nicht im Falle gewesen, mit diesen Stämmen Streit zu haben, geben mir doch die Delawaren solche Berichte über sie, daß ich sie bei mir selbst so ziemlich als Nichtswürdige durch und durch ansehe.«

»Das könnt Ihr mit gutem Gewissen thun, oder, was das betrifft, jeden andern Wilden, dem Ihr etwa begegnet.«

Hiegegen verwahrte sich Wildtödter, und während sie den See entlang ruderten, entspann sich eine hitzige Erörterung über die beiderseitigen Verdienste der Bleichgesichter und der Rothhäute. Hurry hatte alle Vorurtheile und Antipathien eines weißen Jägers, der in der Regel den Indianer als eine Art von natürlichem Nebenbuhler, und nicht selten als einen natürlichen Feind betrachtet. Wie sich von selbst versteht, war er laut, schreiend, keck behauptend, ohne sich viel auf Beweise einzulassen. Wildtödter dagegen zeigte eine ganz andere Sinnes- und Gemüthsart; er bewies durch seine gemäßigte Sprache die Redlichkeit seiner Gesinnung, und durch die Einfachheit seiner Unterscheidungen zeigte er, daß er alle Geneigtheit besaß, Vernunft zu hören und anzunehmen, ein lebhaftes, angebornes Verlangen, gerecht zu seyn, und eine aufrichtige Redlichkeit, die es gänzlich verschmähte, zu Sophismen zu greifen, um eine Behauptung oder ein Vorurtheil zu vertheidigen. Doch war er nicht gänzlich frei von der Herrschaft des letztern. Dieser Tyrann des menschlichen Geistes, der auf tausend Zugängen sich auf seine Beute stürzt, beinahe sobald der Mensch anfängt zu fühlen und zu denken, und selten seinem eisernen Scepter entsagt, ehe beides bei ihm aufhört, hatte einigen Einfluß sich erobert selbst über den Rechtlichkeitssinn dieses Mannes, der doch sonst in diesen Punkten als ein schönes Muster gelten konnte, wozu Entfernung von bösem Beispiel, Mangel an Versuchung zum Fehltritt und natürliche Gutartigkeit einen Jüngling zu machen vermögen.

»Ihr werdet zugeben, Wildtödter, daß ein Mingo mehr als ein halber Teufel ist,« schrie Hurry, die Erörterung mit einer Lebhaftigkeit verfolgend, die nahe an Wildheit grenzte – »obgleich Ihr mich gern überreden möchtet, daß der Delawaren-Stamm nahezu aus Engeln besteht. Nun widerspreche ich diesem Satz sogar in Beziehung auf weiße Männer. Alle weißen Menschen sind nicht fehlerfrei, und daher können alle Indianer nicht fehlerfrei seyn. Und so ist Eure Behauptung nackt und lahm. Aber was ich Beweis nenne, ist dieß: drei Farben gibt es auf der Erde, Weiß, Schwarz und Roth. Weiß ist die vornehmste Farbe, und daher der Weiße der beste Mann; dann kommt Schwarz, und sind die Schwarzen bestimmt in der Nähe der Weißen zu leben, als erträglich und tauglich zu Dienst und Gebrauch; und Roth kommt zuletzt, was zeigt, daß derjenige, der sie geschaffen, nie erwartete, daß ein Indianer für mehr als halb menschlich gelten sollte.«

»Gott hat alle drei gleich erschaffen, Hurry.«

»Gleich! Sagt Ihr ein Neger sey gleich einem Weißen, oder ich einem Indianer?«

»Ihr geht immer zu früh los und hört mich nie aus. Gott hat uns Alle geschaffen, Weiße, Schwarze und Rothe, und ohne Zweifel hatte er seine weisen Absichten, daß er uns verschieden färbte. Doch hat er uns in der Hauptsache ziemlich mit den gleichen Gefühlen geschaffen, obgleich ich nicht läugnen will, daß er jeder Race ihre eignen Gaben verliehen. Eines weißen Mannes Gaben sind christlich eingerichtet, während die einer Rothhaut mehr für die Wildniß sind. So wäre es für einen Weißen eine große Sünde einen Todten zu skalpieren, während es bei einem Indianer eine hohe Tugend ist. Ferner, ein weißer Mann darf nicht Weiber und Kinder im Krieg meuchlings niedermachen; während eine Rothhaut es darf. Es ist grausame Arbeit, das geb‘ ich zu; aber für sie ist es eine erlaubte That, während es für uns eine schmähliche That wäre.«

»Das hängt von Eurem Feind ab. Was das betrifft, einen Wilden zu skalpiren, oder selbst ihm die Haut abzuziehen, so sehe ich das ungefähr ebenso an, wie wenn man einem Wolf die Ohren abschneidet, wegen des ausgesetzten Preises, oder einem Bären die Haut abstreift. Und dann seyd Ihr mächtig auf dem Holzweg, daß Ihr Euch der Rothhäute so annehmt, da doch die Colonie selbst einen Preis für den Handel geboten hat; ebenso wie sie für Wolfsohren und Krähenköpfe einen zahlt.«

»Ja, und eine schlechte Sache ist das, Hurry. Die Indianer selbst schreien Pfui darüber, weil es gegen der Weißen Gaben ist. Ich behaupte nicht, daß Alles, was weiße Männer thun, eigentlich christlich ist, und dem ihnen verliehenen Lichte gemäß, denn dann wären sie was sie seyn sollten, was sie, wie wir wissen, nicht sind; aber ich will behaupten, daß Ueberlieferung und Gebräuche und Farbe und Gesetze solch einen Unterschied bei den Racen machen, daß es auf die Gaben einwirkt. Ich läugne nicht, daß unter den Indianern Stämme sind, von Natur schon verkehrt und ruchlos, wie es solche Nationen gibt unter den Weißen. Die Mingo’s nun rechne ich zu Jenen, und die Franzmänner, in den Canada’s, zu Diesen. In einem rechtmäßigen Kriegszustand, wie wir seit Kurzem haben, ist es Pflicht, alle mitleidigen Gefühle niederzuhalten gegen Beide, was Leben und Tod betrifft; aber wenn es sich um Skalpiren handelt, ist es eine ganz andre Sache.«

»Nehmt doch nur Vernunft an, wenn’s Euch beliebt, Wildtödter, und sagt mir, ob die Colonie ein ungesetzliches Gesetz machen kann? Ist nicht ein ungesetzliches Gesetz mehr gegen die Natur als das Skalpiren eines Wilden? Ein Gesetz kann so wenig ungesetzlich seyn als Wahrheit Lüge seyn kann.«

»Das klingt vernünftig; aber ist höchst unbegründet, Hurry. Die Gesetze kommen nicht alle aus derselben Quelle. Gott hat uns das seinige gegeben, und einige gehen von der Colonie aus, und andre vom König und Parlament. Wenn die Gesetze der Colonie, oder auch die des Königs den Gesetzen Gottes zuwiderlaufen, so werden sie ungesetzlich und soll man ihnen nicht gehorchen. Ich halte daran fest, daß ein weißer Mann die weißen Gesetze achten soll, so lange sie nicht einem Gesetz in die Quere kommen, das von einer höhern Autorität ausgeht, und daß ein rother Mann den Gebräuchen der Rothhäute folge unter derselben Einschränkung. Aber es ist unnütz, hierüber zu schwatzen, da jeder Mensch für sich selbst denken kann, und seinen Gedanken gemäß spricht. Laßt uns tüchtig uns umschauen nach Eurem Freund, Floating Tom, damit wir nicht an ihm vorbeirudern, während er unter dieser buschigten Küste verborgen liegt.«

Wildtödter hatte die Ufer nicht unrichtig bezeichnet. Ihrer ganzen Ausdehnung entlang hingen die kleinen Bäume über das Wasser her, mit ihren Zweigen oft in das durchsichtige Element sich eintauchend. Die Ufer waren steil, weil der Strand so schmal war; und da die Pflanzenwelt unabänderlich dem Lichte zustrebt, war die Wirkung gerade die, nach welcher ein Liebhaber des Malerischen gestrebt haben würde, wenn man die Anordnung dieser prachtvollen Waldeinfassung seinem Geschmack überlassen hätte. Auch die Vorsprünge und Buchten waren zahlreich genug, um den Umrissen eine wechselnde Mannigfaltigkeit zu verleihen. Da das Canoe dicht an der westlichen Seite des See’s hinfuhr, zu dem Zweck, wie dieß Hurry seinem Genossen erklärt hatte, die etwaige Nähe von Feinden zu rekognosciren, ehe er sich ganz dem offenen Blick blosstellte, wurde die Aufmerksamkeit der beiden Abenteurer beständig in Spannung erhalten, da Keiner vorhersagen konnte, was die nächste Biegung eines Landvorsprungs offenbaren würde. Ihre Fahrt war rasch, da die gigantische Kraft Hurry’s ihn in Stand setzte, mit der leichten Barke zu spielen wie mit einer Feder, während die Geschicklichkeit seines Genossen beinahe ebenso nützlich war, trotz der Ungleichheit seiner Körperstärke.

Jedesmal wenn das Canoe an einem Punkt des Landes vorbei kam, warf Hurry einen Blick hinter sich, in Erwartung die ›Arche‹ vor Anker liegend oder in der Bucht eingelaufen zu sehen. Es war jedoch sein Schicksal, seine Erwartung getäuscht zusehen, und sie waren dem südlichen Ende des See’s bis auf eine Meile nahe gekommen, und volle zwei Stunden von dem ›Castell‹ entfernt, das nunmehr durch ein halb Dutzend Landvorsprünge dem Blick entzogen war, als er plötzlich zu rudern aufhörte, wie unsicher, in welcher Richtung zunächst weiter steuern.

»Es ist möglich, daß der alte Kauz in den Strom hinabgeschwommen ist,« sagte Hurry, nachdem er sorgfältig die ganze östliche Küste durchspäht hatte, die etwa eine halbe Meile entfernt und in mehr als ihrer halben Länge seinem forschenden Blick offen lag, »denn er hat sich in neuester Zeit tüchtig aufs Fallenstellen gelegt, und wenn das Floßholz nicht im Wege liegt, könnte er wohl eine Meile oder so hinabgleiten: obgleich er saure Stunden haben würde, wieder heraufzukommen!«

»Wo ist der Ausfluß?« fragte Wildtödter; »ich sehe keine Oeffnung an der Küste und den Bäumen, die so aussähe, als wollte sie einen Strom wie den Susquehannah durchlassen.«

»Ja, Wildtödter, die Flüsse sind wie menschliche Wesen, fangen klein und schmal an und endigen mit breiten Schultern und weiter Mündung. Ihr seht den Ausfluß nicht, weil er zwischen hohen, steilen Höhen hingeht; und die Fichten und Schierlingstannen und Linden darüberherhängen, wie ein Dach über ein Haus. Wenn der alte Tom nicht in dem »Rattenloch« ist, so muß er in 47

den Strom geschwommen seyn; wir wollen ihn zuerst in dem Loch suchen, und dann nach dem Ausfluß hin fahren.«

Im Weiterrudern erklärte Hurry, es sey hier eine seichte Bucht, gebildet durch einen langen, niedern Vorsprung, der den Namen Rattenloch bekommen, von dem Umstand, weil sie ein Lieblingsaufenthalt der Bisamratze war, und die eine so genügende Zuflucht für die Arche darbot, daß ihr Besitzer gar gern daselbst lag, so oft er es passend fand.

»Da ein Mann in diesem Theile des Landes nie weiß, was er für Besuche bekommen kann,« fuhr Harry fort, »so ist es ein großer Vortheil, wenn man sie recht besehen kann, ehe sie zu nahe kommen. Jetzt wo Krieg ist, ist eine solche Vorsicht noch nützlicher als in gewöhnlichen Zeiten, da ein Canadier oder ein Mingo in seine Hütte kommen könnte, ehe er sie einlüde. Aber Hutter ist ein ausbündiger Späher, und wittert Gefahren so prächtig, wie nur immer ein Hund das Wild.«

»Ich meine das Castell ist so offen, daß es gewiß Feinde anlocken müßte, wenn einmal solche den See auffänden; was freilich, wie ich zugebe, unwahrscheinlich genug ist, da er außer der Fährte des Forts und der Ansiedelungen liegt.«

»Ha, Wildtödter, ich bin auf die Ansicht gekommen, daß ein Mann leichter Feinden begegnet als Freunden. Es ist wunderlich zu denken, aus wie manchen Gründen man der Feind von Einem werden kann, und aus wie wenigen sein Freund. Manche heben die Streitaxt auf, weil Ihr nicht gerade so denkt wie sie, Andere weil Ihr ihnen in denselben Ideen voranlauft; und ich kannte einmal einen Vagabunden, der mit einem Freunde Händel anfing, weil dieser ihn nicht für schön hielt. Nun, Ihr seyd auch kein Wunderwerk, was die Schönheit anbetrifft, Wildtödter, aber doch würdet Ihr nicht so unvernünftig seyn und mein Feind werden, weil ich Euch das geradeheraus sage.«

»Ich bin wie mich Gott geschaffen hat, und ich wünsche nicht für besser noch für schlechter zu gelten. Ein schönes Aussehen mag mir fehlen, das heißt in dem Maße, wie es die Leichtsinnigen und Eiteln verlangen, aber ich hoffe, es fehlt mir nicht an Lob und Empfehlung, was guten Wandel betrifft. Es gibt wenig Männer, die stattlicher aussehen als Ihr, Hurry; und ich weiß, daß ich mir nicht Rechnung machen darf, es werde Jemand das Auge auf mich richten, wenn Einer wie Ihr daneben steht; aber ich wüßte nicht, daß ein Jäger darum weniger erfahren seyn sollte mit der Büchse, oder weniger zuverlässig in Herbeischaffung der Nahrung, weil er nicht bei jeder hellen Quelle, auf die er stößt, Halt zu machen verlangt, um sein Antlitz im Wasser zu studiren.«

Hier brach Hurry plötzlich in ein lautes Gelächter aus; denn während er zu gleichgültig war, um sich viel zu bekümmern um seine offenbaren, körperlichen Vorzüge, war er sich ihrer doch wohl bewußt, und wie die meisten Menschen, welche durch den Zufall der Geburt oder der Natur begünstigt sind, dachte er mit Wohlgefallen und Behagen daran, so oft ihm der Gegenstand vor die Seele trat.

»Nein, nein, Wildtödter, Ihr seyd keine Schönheit, wie Ihr selbst bekennen werdet, wenn Ihr nur über das Canoe hinausschauen wollt,« rief er; »Judith wird Euch das ins Gesicht sagen, wenn Ihr sie aufbringt, denn eine losere Zunge ist nicht zu finden in einem Mädchenkopf innerhalb oder außerhalb der Ansiedlungen, wenn Ihr sie reizt, sie zu brauchen. Mein Rath an Euch ist, Judith nie zu belästigen; aber der Hetty könnt Ihr Alles sagen, und sie wird es aufnehmen so sanft wie ein Lamm. Nein, Judith wird Euch vermuthlich ihre Meinung von Eurem Aussehen gar nicht sagen.«

»Und wenn sie es thut, Hurry, wird sie mir nicht Mehr sagen, als Ihr mir schon gesagt –«

»Ihr werdet doch nicht warm werden über eine kleine Bemerkung, Wildtödter, hoffe ich, wo gar keine Absicht war zu 49

kränken. Ihr seyd keine Schönheit, wie Ihr selbst wissen müßt, und warum sollten Freunde einander solche Kleinigkeiten nicht sagen? Wenn Ihr schön wäret, oder es je zu werden Aussicht hättet, so wäre ich Einer der Ersten, der es Euch sagte; und das sollte Euch zufrieden stellen. Wenn nun Jude mir sagte, ich sey so häßlich wie die Sünde, ich würde es als eine Art Compliment nehmen, und mich bestreben, ihr nicht zu glauben.«

»Es ist für Solche, welche die Natur begünstigt hat, leicht, über solche Dinge zu spaßen, Hurry, aber manchmal hart für Andere. Ich will nicht läugnen, daß auch ich den Wunsch gehabt habe, gut auszusehen, ja das habe ich; aber ich habe doch immer vermocht, den Wunsch zu unterdrücken durch die Erwägung, wie Viele ich gekannt habe mit schönen Außenseiten, die innerlich Nichts hatten, sich dessen zu rühmen. Ich will nicht läugnen, Hurry, daß ich oft wünsche, ich wäre ansprechender geschaffen für das Auge, mehr wie Einer Euresgleichen in diesen Punkten; aber dann überwinde ich diese Gefühle durch den Gedanken, wie viel besser ich dran bin in gar vielen Hinsichten, als manche meiner Mitgeschöpfe. Ich hätte ja können lahm geboren werden, und untüchtig selbst zur Eichhornjagd, oder blind, was mich mir selbst wie meinen Freunden zu einer Last gemacht hätte, oder des Gehörs entbehrend, was mich ganz unfähig gemacht haben würde, ins Feld und auf Kundschaft zu ziehen, worauf ich doch rechne, als einen Theil von des Mannes Pflichten in unruhigen Zeiten. Ja, ja; es ist nicht angenehm, ich will es gestehen, Leute zu sehen, die hübscher, und mehr gesucht und geehrt sind, als man selbst ist; aber es läßt sich Alles ertragen, wenn ein Mann dem Uebel ins Gesicht schaut, und seine Gaben und Verpflichtungen nicht mißkennt.«

Hurry war im Wesentlichen ein herzguter wie ein gutmüthiger Gesell, und die Selbsterniedrigung seines Genossen trug den vollständigen Sieg über das flüchtige Gefühl persönlicher Eitelkeit davon. Ihn reute die Anspielung, die er auf das Aeußere seines Freundes gemacht, und er suchte dieß auch auszusprechen, obwohl in der derben Weise, welche den Gewohnheiten und Ansichten des Grenzers entsprach.

»Ich wollte Euch nicht beleidigen, Wildtödter,« erwiederte er in begütigendem Tone, »und ich hoffe, Ihr werdet vergessen, was ich gesagt habe. Wenn Ihr nicht gerade schön seyd, so habt Ihr doch einen gewissen Zug, der deutlicher sagt als Worte, daß innen Alles richtig ist. Dann legt auch Ihr keinen Werth auf äußeres Aussehen, und werdet um so eher eine kleine Bemerkung über Eure leibliche Erscheinung vergeben. Ich will nicht sagen, daß Jude Euch sehr bewundern werde, denn das könnte Hoffnungen in Euch erwecken, die in getäuschter Erwartung endigen müßten; aber da ist Hetty, die wahrscheinlich Euch mit ebenso großer Genugthuung sehen würde, wie irgend einen andern Mann. Und dann seyd Ihr auch zu ernst und bedächtig, um Euch viel um Judith zu kümmern; denn, obgleich das Mädchen wirklich ganz besonder ist, ist sie doch so allgemein in ihrer Bewunderung, daß ein Mann sich Nichts darauf einbilden darf, wenn sie zufällig gegen ihn lächelt. Ich denke manchmal, die Hexe liebt sich selbst mehr, als irgend eine andre Creatur.«

»Wenn sie das thut, Hurry, würde sie nicht mehr thun, besorg‘ ich, als die meisten Königinnen auf ihren Thronen und Damen in den Städten,« erwiederte Wildtödter lächelnd, und wandte sich um gegen seinen Begleiter, jede Spur von Empfindlichkeit aus seinem ehrlichen und offenen Gesicht verschwunden. »Ich habe noch nie Jemand selbst unter den Delawaren kennen gelernt, von dem Ihr nicht das Gleiche sagen könntet. Aber hier ist das Ende des langen Vorsprungs, wovon Ihr spracht, und das »Rattenloch« kann nicht weit entfernt seyn.«

Diese Landspitze, statt wie alle andern sich hervorzuschieben, lief in Einer Linie hin mit dem Hauptufer des See’s, der hier in eine tiefe Bucht zurücktrat, südlich sich wieder umbiegend in der 51

Entfernung einer Viertelmeile, und durchschnitt das Thal, die südliche Grenze des Wassers bildend. In dieser Bucht war Hurry beinahe gewiß, die Arche zu finden, weil sie, hinter den Bäumen ankernd, welche den schmalen Streifen der Landspitze bedeckten, hier einen ganzen Sommer liegen konnte, allen Späheraugen verborgen. So vollständig war in der That dieß Versteck, daß ein Boot, dicht am Gestade, innerhalb der Landzunge und nahe am Busen der Bay hinfahrend, nur in Einer Richtung her zu sehen möglich war, nämlich von einem Punkt des dichtbewaldeten Ufers, der vom Wasser bespült wurde, wohin Fremde nicht leicht kommen konnten.

»Wir werden bald die Arche sehen,« sagte Hurry, als das Canoe um die äußerste Spitze des Landes herumfuhr, wo das Wasser so tief war, daß es wirklich schwarz schien; »er liebt es, sich im Buschwerk und Rohr zu verkriechen, und wir werden binnen fünf Minuten in seinem Nest seyn, obwohl der alte Kerl selbst vielleicht fort und bei den Fallen ist.«

March’s Prophezeihung ging nicht in Erfüllung. Das Canoe umfuhr die Landzunge ganz, so daß die beiden Reisenden im Stande waren, die ganze Bucht, oder Bai, denn das war es eigentlich, zu übersehen, aber kein Gegenstand, außer solchen, welche von Natur da waren, wurde sichtbar. Das friedliche Wasser dehnte sich in einer anmuthigen Krümmung, die Binsen beugten sich leise auf seinen Spiegel herab, und die Bäume hingen darüber hin wie gewöhnlich; aber Alles lag da in der wohlthuenden, erhabnen Einsamkeit einer Wildniß. Die Scene war so, daß ein Dichter oder Künstler darüber in Entzücken gerathen wäre, aber sie hatte keinen Reiz für Hurry Harry, der vor Ungeduld brannte, seiner leichtsinnigen Schönheit ansichtig zu werden.

Die Bewegung des Canoe’s hatte wenig oder kein Geräusch verursacht, da die Grenzmänner überhaupt die Gewohnheit annahmen, bei allem ihrem Thun und Treiben die größte Behutsamkeit 52

zu beobachten, und es lag jetzt auf dem spiegelklaren Wasser, wie in Luft schwebend, und nahm Theil an der athmenden Stille, welche die ganze Scene zu durchdringen schien. In diesem Augenblick hörte man einen Ton, wie das Krachen eines dürren Steckens auf dem dünnen Strich Land, welcher die Bucht von dem offnen See versteckend schied. Beide Abenteurer fuhren auf, und jeder streckte die Hand nach der Büchse aus, denn diese Waffe mußte immer in nächster Nähe zur Hand liegen.

»Es war zu schwer für eine leichte Creatur,« flüsterte Hurry, »und es tönte wie der Tritt eines Mannes.«

»Nicht so, nicht so,« versetzte Wildtödter, »es war, wie Ihr sagt, zu schwer für das eine, aber zu leicht für den andern. Aber senkt Eure Schaufel ins Wasser und treibt das Canoe hinein in das Loch; ich will landen und der Creatur den Rückweg auf der Landzunge abschneiden, sey es nun ein Mingo, oder nur eine Bisamratze.«

Da Hurry einwilligte, war Wildtödter bald am Land und drang in das Dickicht vor mit dem Moccasin an den Füßen und mit einer Vorsicht, die jedes Geräusch verhütete. In einer Minute war er in der Mitte des schmalen Landstreifens, und langsam schritt er dem Ende desselben zu, da die Gebüsche die äußerste Wachsamkeit nothwendig machten. Gerade als er die Mitte des Dickichts erreichte, krachten wieder dürre Zweige, und es wiederholte sich in kurzen Zwischenräumen das Geräusch, wie wenn eine lebendige Creatur langsam der äußersten Spitze zuwandelte. Hurry hörte diese Töne auch, und das Canoe in die Bai treibend, ergriff er seine Büchse, um die Folgen abzuwarten. Eine Minute athemloser Stille folgte, worauf ein prächtiger Damhirsch aus dem Dickicht heraus schritt, mit stattlichen Schritten bis an das sandige Ende der Landzunge hinwandelte und seinen Durst in dem Wasser des See’s zu löschen anfing. Hurry besann sich einen Augenblick, dann nahm er rasch seine Büchse auf die Schulter, zielte und 53

feuerte. Die Wirkung dieser plötzlichen Unterbrechung der feierlichen Stille einer solchen Scene gehörte mit zu deren auffallendsten Eigenthümlichkeiten. Der Knall der Feuerwaffe war das gewöhnliche, scharfe, kurze Krachen einer Büchse; aber als einige Augenblicke der Stille nach diesem plötzlichen Knall eingetreten waren, während welcher der Hall in der Luft über das Wasser hin sich fortbewegte, erreichte er die Felsen der gegenüber stehenden Berge, wo die Schwingungen sich häuften, von Höhle zu Höhle, Meilen weit an den Hügeln fortrollten und die schlafenden Donner der Wälder zu wecken schienen. Der Damhirsch schüttelte aber den Kopf bei dem Knall der Büchse und dem Pfeifen der Kugel, denn er war noch nie in Berührung mit Menschen gekommen; blos das Echo der Berge machte sein Mißtrauen rege, und seine vier Füße unter dem Leib zusammengezogen, stürzte er mit einem Sprung vorwärts auf einmal in’s tiefe Wasser und fing an, dem Ende des See’s zuzuschwimmen. Hurry jauchzte auf und eilte ihm nach, vorwärts, und ein paar Minuten schäumte das Wasser auf um den Verfolger und den Verfolgten. Jener stürmte eben an der Spitze vorbei, als der Wildtödter auf dem Sand erschien und ihm winkte, umzukehren.

»Es war unbesonnen einen Schuß abzufeuern, ehe wir die Küste ausgekundschaftet, und die Gewißheit hatten, daß kein Feind sich dort aufhalte,« sagte der Letztere, während sein Genosse langsam und widerstrebend seinem Rath folgte. »So viel hab ich schon von den Delawaren gelernt, durch Unterricht und Ueberlieferungen, obgleich ich noch nie auf dem Kriegspfad gewesen. Und zudem kann man jetzt kaum sagen, daß die Zeit für’s Wildpret da sey, und es mangelt uns nicht an Nahrung. Man nennt mich Wildtödter, ich gesteh‘ es, und vielleicht verdien‘ ich auch den Namen, sofern ich die Lebensweise und Art der Thiere kenne, ebenso sehr als wegen der Sicherheit meines Zielens: aber man kann mir nicht nachsagen, daß ich ein Thier tödte, wenn es nicht wegen einer Mahlzeit oder wegen der Haut ist. Ich bin wohl vielleicht ein Tödter, aber kein Schlächter.«

»Es war ein gräulicher Streich, daß ich den Damhirsch fehlte!« rief Hurry, indem er seine Mütze abnahm und sich mit den Fingern durch seine schönen aber verwirrten Locken fuhr, als wollte er durch diese Manipulation seine verworrenen Gedanken schlichten, »es ist mir nichts so Ungeschicktes geschehen seit meinem fünfzehnten Jahre.«

»Beklagt Euch nicht darüber; des Thieres Tod hätte Keinem von uns einen Vortheil, wohl aber leicht Schaden gebracht. Die Echo’s da sind entsetzlicher für mein Ohr, als Euer Mißgeschick, denn sie tönen mir wie die Stimme der Natur, die empört aufschreit über eine mörderische, unbesonnene That.«

»Ihr könnt genug solcher Schreie hören, wenn Ihr lang in dieser Gegend verweilt, Junge,« versetzte der Andere lachend. »Die Echos wiederholen so ziemlich Alles, was man auf dem Glimmerglas sagt oder thut, bei diesem heitern Sommerwetter. Wenn nur ein Ruder fällt, so hört Ihr es manchmal wieder und wiederhallen, wie wenn die Berge Eures täppischen Wesens spotteten, und ein Gelächter oder ein Pfeifen tönt von den Fichten dort, wenn sie gerade in der Laune sind zu schwatzen, dergestalt zurück, daß Ihr glauben solltet, sie können wirklich plaudern.«

»Um so mehr Grund, vorsichtig und still zu seyn. Ich glaube nicht, daß bis jetzt die Feinde den Weg in diese Berge gefunden haben können, denn ich wüßte nicht, was sie dabei zu gewinnen hätten; aber alle Delawaren sagen mir, wie Muth die erste Tugend eines Kriegers, so sey Klugheit seine zweite. Ein solcher Ruf von den Bergen wiederhallend ist genug, einen ganzen Stamm in das Geheimniß unsers Hierseyns einzuweihen.«

»Wenn es auch sonst keinen Nutzen hat, so wird es doch den alten Tom mahnen, den Topf übers Feuer zu setzen und ihm zu wissen thun, daß Besuch in der Nähe ist. Kommt, Junge; kommt in das Canoe, und wir wollen die Arche aufspüren, so lang es noch Tag ist.«

Wildtödter gehorchte und das Canoe verließ den Platz. Seine Spitze war in der Diagonale über den See hin gerichtet, und wies nach der südöstlichen Krümmung des Wassers hin. In dieser Richtung war die Entfernung bis an die Küste oder bis an das Ende des See’s, in der Linie, wie die Beiden jetzt steuerten, nicht ganz eine Meile, und da ihre Fahrt immer rasch ging, minderte sich diese Entfernung schnell unter den geschickten aber gemächlichen Ruderschlägen. Ungefähr auf der Hälfte des Wegs zog ein leichtes Geräusch die Blicke der Männer nach dem nächstliegenden Land und sie sahen, wie der Damhirsch eben aus dem See emportauchte und dem Gestade zuwatete. Nach einer Minute schüttelte sich das edle Thier das Wasser von den Seiten, schaute empor nach dem schützenden Dach der Bäume und stürzte sich, die Uferhöhe hinan springend, in den Wald.

»Dieses Geschöpf geht dahin voll Dankbarkeit in seinem Herzen,« sagte Wildtödter, »denn die Natur sagt ihm, daß es einer großen Gefahr entronnen ist. Ihr solltet auch Etwas von demselben Gefühl haben, Hurry, bei dem Gedanken, daß Euer Auge nicht sichrer, daß Eure Hand nicht fest genug war, da doch nichts Gutes herauskommen konnte bei einem Schuß, der mehr in Unbesonnenheit als mit gutem Bedacht abgefeuert wurde.« »Ich läugne, daß Auge und Hand fehlten,« schrie March mit einiger Hitze. »Ihr habt einigen Ruf erlangt unter den Delawaren drunten wegen Eurer Geschicklichkeit und Sicherheit bei der Jagd; aber ich möchte Euch wohl sehen hinter einer von den Fichten dort, und einen ganz übermalten Mingo hinter einer andern, Jeder mit gespanntem Hahn an der Büchse und um euer Leben wettend! Das sind Lagen, Nathaniel, das Auge und die Hand zu erproben, denn sie fangen damit an, die Nerven zu erproben. Ich sehe das Tödten eines Thiers nie als eine That an; aber einen Wilden tödten – das ist eine. Die Zeit wird kommen, wo Ihr Eure Hand erproben könnt, jetzt, da es wieder blutige Köpfe gegeben, und wir werden bald sehen, was eine Wildpretberühmtheit im Feld ausrichtet. Ich läugne, daß Hand oder Auge unsicher gewesen; es war nur eine falsche Verechnung der Bewegungen des Hirsches, der stille stand, als er noch sich hätte bewegen sollen, und so schoß ich über ihn weg.«

»Erklärt es wie Ihr wollt, Hurry, ich behaupte weiter Nichts, als daß es ein Glück gewesen. Ich glaube gern, daß ich auf einen sterblichen Menschen nicht so stet, noch mit so leichtem Herzen abdrücken werde, wie auf ein Wild.«

»Wer spricht denn auch von Sterblichen, oder von menschlichen Wesen, Wildtödter? Ich sehe bei Euch ja den Fall mit einem Indianer. Ich glaube gern, jeder Mann hätte wohl seine besondern Gefühle, wenn es Leben oder Tod gälte, einem andern menschlichen Geschöpf gegenüber; aber solche Bedenklichkeiten würden wegfallen bei einem Indianer; weiter Nichts, als die gefährliche Wette, ob er Euch trifft oder Ihr ihn.«

»Ich halte dafür, daß die rothen Männer vollkommen ebenso Menschen sind wie wir, Hurry. Sie haben ihre eignen Gaben und ihre eigne Religion, das ist wahr; aber das macht am Ende keinen Unterschied, wo Jeder wird gerichtet werden nach seinem Thun, und nicht nach seiner Haut.«

»Das ist gesprochen, wie ein Missionär, und wird wenig Gunst finden in dieser Gegend, wo die Mährischen Brüder keine Gemeinden haben. Die Haut macht einmal den Menschen. Das ist nach Wahrheit und Vernunft gesprochen; denn wie sollten sonst die Leute einander beurtheilen. Die Haut wird über Alles angezogen, damit wenn man eine Creatur oder einen Sterblichen recht und gehörig sieht, man sogleich weiß, was man aus ihn, zu machen hat; Ihr unterscheidet einen Bären von einem Schwein nach seiner Haut, und ein graues Eichhorn von einem schwarzen.« »Wahr, Hurry,« sagte der Andere, zurückschauend und lächelnd, »aber doch sind beides Eichhörnchen.«

»Wer läugnet das? Aber Ihr werdet doch nicht behaupten wollen, ein rother Mann und ein weißer Mann seyen beide Indianer?«

»Nein, aber ich behaupte, Beide sind Menschen. Menschen von verschiedener Race und Farbe, und mit verschiedenen Gaben und Ueberlieferungen, aber in den Hauptsachen von einer und derselben Natur. Beide haben Seelen, und Beide sind verantwortlich für ihre Thaten in diesem Leben.«

Hurry war einer jener Theoretiker, die an die geringere Natur aller menschlichen Stämme, die nicht weiß sind, glauben. Seine Begriffe von der Sache waren nicht sehr klar, und seine Definitionen auch nicht sehr feststehend, aber seine Ansichten waren darum nicht minder positiv und heftig. Sein Gewissen bezichtigte ihn verschiedentlicher, gesetzwidriger Thaten gegen die Indianer, und er hatte eine ausnehmend bequeme Auskunft zur Beruhigung desselben darin gefunden, daß er die gesammte Familie der rothen Männer rücksichtslos außerhalb der Categorie der Menschenrechte setzte. Nichts erbitterte ihn leichter, als wenn man seinen Satz läugnete, zumal wenn die Läugnung von einem Aufgebot einleuchtender Gründe unterstützt war; und so hörte er denn die Bemerkungen seines Genossen mit wenig innerer und äußerer Ruhe und Fassung an.

»Ihr seyd ein Kind, Wildtödter, irre geführt und berückt durch die List der Delawaren und durch die Unwissenheit der Missionäre,« rief er aus, mit seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit gegen die Formen des Gesprächs, wenn er einmal aufgeregt war. »Ihr mögt Euch immer als Bruder einer Rothhaut betrachten, aber ich halte sie alle für Thiere, die nichts Menschliches an sich haben, als Schlauheit; die haben sie, das gebe ich zu, aber die hat auch der Fuchs und sogar der Bär. Ich bin älter als Ihr und habe länger in den Wäldern gelebt – oder vielmehr, ich habe immer darin gelebt, und brauche mir nicht erst sagen zu lassen, was ein Indianer ist, oder was er nicht ist. Wenn Ihr für einen Wilden zu gelten wünscht, so dürft Ihr es nur sagen, so will ich Euch der Judith und dem alten Mann als einen solchen vorstellen, und dann wollen wir sehen, wie Euch der Willkomm behagt.«

Hier leistete Hurry’s Einbildungskraft seiner Aufregung einen nützlichen Dienst, denn in Folge davon, daß er sich den Empfang ausmalte, welcher seinem so eingeführten Freunde bei seinen halb im Wasser lebenden Bekannten würde zu Theil werden, brach er in ein herzliches Gelächter aus. Auch wußte Wildtödter zu gut, wie nutzlos der Versuch seyn würde, ein solches Wesen von irgend etwas zu überzeugen, das seinen Vorurtheilen zuwider lief, als daß er Lust getragen hätte, den Versuch zu wagen; und es that ihm nicht leid, daß die Annäherung des Canoe’s an die südöstliche Krümmung des See’s seinen Ideen eine neue Richtung gab. Sie waren jetzt wirklich dem Ort ganz nahe, den March als die Gegend des Ausflusses bezeichnet hatte, und beide begannen sich darnach umzusehen mit einer Neugierde, die noch gesteigert ward durch die Erwartung, die Arche zu finden.

Vielleicht überrascht es den Leser als etwas Seltsames, daß der Ort, wo ein Fluß von einiger Größe zwischen Ufern hinströmte, die einige und zwanzig Fuß hoch waren, Männern zweifelhaft seyn konnte, die nicht mehr als nur zweihundert Schritte noch von dieser Stelle entfernt waren. Man wird sich aber erinnern, daß die Bäume und Gebüsche hier, wie überall, das Wasser ganz überhingen, und einen solchen Saum um den See zogen, daß alle kleinen Abweichungen oder Unterbrechungen seiner Linie sich dem Auge entzogen.

»Ich bin seit zwei Sommern nicht an diesem Ende des See’s gewesen,« sagte Hurry, indem er sich im Canoe aufrichtete, um sich besser umsehen zu können. »Ja, das ist der Fels, und zeigt sein Kinn über dem Wasser, und ich weiß, daß in seiner Nähe der Fluß anfängt.«

Die Männer handhabten jetzt wieder die Ruder, und hatten sich bald dem Felsen bis auf wenige Schritte genähert; sie schwammen darauf zu, obgleich sie ihre Arbeit eingestellt hatten. Dieser Fels war nicht groß, nur etwa fünf oder sechs Fuß hoch, und nur etwa halb so viel erhob er sich über den See. Die unablässige Bespühlung des Wassers seit Jahrhunderten hatte seinen Gipfel so abgerundet, daß er seiner Gestalt nach, die ungewöhnlich regel- und ebenmäßig war, einem großen Bienenkorb glich. Hurry bemerkte, während sie langsam dahin glitten, daß dieser Fels allen Indianern in der Gegend wohl bekannt sey, und daß sie ihn als Merkzeichen gebrauchten, um den Sammelplatz zu bestimmen, wenn sie auf ihren Jagden und Märschen sich trennten.

»Und hier ist der Fluß, Wildtödter,« fuhr er fort, »obwohl so eingeschlossen von Bäumen und Büschen, daß er mehr einem Hinterhalt gleichsieht, als der Ausströmung eines solchen See’s wie der Glimmerglas.«

Hurry hatte die Scene nicht übel geschildert, denn in der That schien es ein Fluß, der im Hinterhalt liegt. Die hohen Ufer mochten etwa hundert Fuß aus einander liegen; aber auf der westlichen Seite dehnte sich ein kleines Stück Land so weit hervor, daß dadurch die Breite des Flusses um die Hälfte vermindert wurde. Da die Büsche in das Wasser herabhingen, und Fichten von der Höhe von Kirchtürmen in riesigen Säulen emporragten, sämmtlich dem Licht sich zusenkend, bis ihre Zweige sich vermengten, konnte das Auge selbst in einer kleinen Entfernung nicht leicht eine Lücke an der Küste entdecken, welche den Ausfluß des Wassers verrathen hätte. Im Wald oben sah man vom See aus keine Spuren von dieser Oeffnung, denn Alles bot den Anblick derselben zusammenhängenden und dem Anschein nach endlosen Laubtapete. Wie das Canoe langsam weiter glitt, von der Strömung eingesogen, kam es unter eine Wölbung von Bäumen, durch welche das Licht vom Himmel sich in einigen zufälligen Oeffnungen durchkämpfte, das Dunkel unten nur schwach unterbrechend. »Das ist ein natürlicher Hinterhalt,« flüsterte halb Hurry, als fühlte er, daß der Ort dem Geheimniß und der Wachsamkeit geweiht sey; »verlaßt Euch darauf, der alte Tom ist mit der Arche irgendwo hier untergekrochen. Wir wollen mit der Strömung noch eine kleine Strecke hinabtreiben und ihn aufstöbern.«

»Das scheint aber kein Wasser für ein Fahrzeug von einiger Größe,« versetzte der Andere; »mich dünkt, wir haben kaum Platz genug für das Canoe.«

Hurry lachte über diese Aeußerung, und wie sich bald zeigte, mit Grund; denn nicht sobald war man an dem Saum von Buschwerk unmittelbar an dem Ufer des See’s vorüber, als die zwei Abenteurer sich auf einem schmalen Fluß mit hinreichend tiefem und sehr klarem Wasser dabei von starkem Fall, und unter einem Laubdach befanden, von Bogen emporgehalten, die aus den Stämmen uralter Bäume bestanden. Buschwerk faßte, wie überall, die Küsten ein, aber es ließ Raum genug zwischen sich frei, um Alles durchpassiren lassen zu können, was nicht über zwanzig Schuh breit war, und einen Durchblick zu gestatten, der acht- oder zehnmal so viel betrug.

Keiner unsrer beiden Abenteurer bediente sich des Ruders, außer um die leichte Barke in der Mitte der Strömung zu erhalten, aber Beide beobachteten jede Windung des Flusses, deren auf einer Strecke von hundert Schritten zwei oder drei vorkamen, mit eifersüchtiger Wachsamkeit. Windung um Windung war jedoch zurückgelegt, und das Canoe war mit der Strömung eine Strecke hinabgeglitten, als Hurry ein Gebüsch erfaßte und dadurch seine Bewegung hemmte, – und das so plötzlich und still, daß man einen ganz besondern Beweggrund dieses Vornehmens vermuthen mußte. Wildtödter legte die Hand an den Kolben seiner Büchse, sobald er diese Bewegung sah; aber er that dieß eher nach alter Jägergewohnheit, als aus einer Anwandlung von Besorgniß.

»Dort ist der alte Kerl!« flüsterte Hurry, mit einem Finger 61

deutend und herzlich lachend, obgleich er sich sorgfältig hütete, ein Geräusch zu machen; »ist auf den Fang aus, wie ich mir gedacht; steht bis an die Knie im Koth und Wasser, um nach den Fallen und dem Köder zu sehen. Aber ich kann um’s Leben nichts von der Arche sehen; und doch will ich jedes Fell, das ich dieß Jahr erbeute, wetten: Judith traut sich mit ihren hübschen Füßchen nicht in die Nähe dieses schwarzen Kothes. Wahrscheinlich strählt sich das Mädchen die Haare vor einer Quelle, wo sie ihre eigene Schönheit betrachten und hochmüthige Gesinnungen gegen uns Männer sammeln kann.«

»Ihr urtheilt zu hart von jungen Weibern; ja, das thut Ihr, Hurry, denn sie denken ebenso oft an ihre Fehler als an ihre Vollkommenheiten. Ich denke fast, diese Judith ist keine so arge Bewundrerin von sich selbst, noch eine so arge Verächterin unseres Geschlechts, als Ihr zu glauben scheint; und es ist eben so wahrscheinlich, daß sie für ihren Vater arbeitet und sorgt im Hause, wo dieß nun auch seyn mag, wie er bei den Fallen für sie arbeitet.«

»Es ist eine Lust, die Wahrheit aus dem Munde eines Mannes zu hören, wenn es auch nur einmal im Leben eines Mädchens der Fall ist,« rief eine angenehme, volle und doch sanfte weibliche Stimme, dem Canoe so nahe, daß beide Hörer auffuhren. »Was Euch betrifft, Meister Hurry, rechtliche Worte ersticken Euch so leicht, daß ich sie nicht mehr aus Eurem Munde erwarte; das letzte, das Ihr spracht, blieb Euch in der Kehle stecken und brachte Euch dem Tode nahe. Aber es freut mich, zu sehen, daß Ihr bessere Gesellschaft habt als früher, und daß Solche, welche Frauen zu achten und zu behandeln wissen, sich nicht schämen, in Eurer Begleitung zu reisen.«

Als dieß gesprochen war, ward ein ausnehmend hübsches, jugendliches Mädchengesicht durch eine Oeffnung im Laub hervorgestreckt, im Bereich von Wildtödters Ruder. Die Eigenthümerin desselben lächelte den jungen Mann freundlich an, und der schmollende,

finstre Blick, den sie Hurry zuwarf, obwohl nur erheuchelt und schelmisch, diente ihre Schönheit noch mehr herauszuheben, indem er das Spiel einer ausdrucksvollen aber launenhaften Miene zeigte, eines Gesichts, das mit Leichtigkeit und ohne Anstrengung vom Sanften in’s Ernste, vom Fröhlichen in’s Zurückstoßende überzugehen schien.

Ein zweiter Blick erklärte die ganze Ueberraschung. Ohne es zu wissen, hatten die Männer neben der Arche Halt gemacht, welche mit gutem Bedacht war versteckt worden, in den zu diesem Behufe zurecht geschnittenen und geordneten Gebüschen; und Judith Hutter hatte nur das Laub, das ein Fenster bedeckte, weggeschoben, um ihr Gesicht zu zeigen und mit ihnen zu sprechen.