Eilftes Kapitel.

Der große König aller Könige
Gebot in seiner Tafel der Gesetze:
Daß du nicht tödten sollst und Mord begehn.
Gib Acht! denn in der Hand hat er die Rache,
Deß Haupt zu treffen, der bricht sein Gesetz.
Shakspeare

Daß die Truppe, der Hist im Augenblick wider ihren Willen angehörte, keine solche war, die einen regelmäßigen Kriegszug unternommen, erhellte deutlich aus der Anwesenheit von Weibern. Es war ein kleiner Theil eines Stammes, der innerhalb der englischen Grenzen gejagt und gefischt hatte, wo er von dem Anfang der Feindseligkeiten überrascht wurde; und nachdem er den Winter und Frühling über von dem gelebt, was streng genommen das Eigenthum seiner Feinde war, beschloß er, vor dem Rückzug noch einen feindlichen Streich zu führen. Es lag auch tiefer amerikanischer Scharfblick und Schlauheit in dem Manöver, das sie so weit in das Territorium ihrer Feinde hineingeführt. Als der Eilbote ankam, der den Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen den Engländern und Franzosen meldete – ein Kampf, in den unfehlbar alle unter dem Einfluß der kriegführenden Parteien stehenden Stämme verwickelt werden mußten – war gerade diese Truppe der Irokesen an den Küsten des Oneida postirt, eines See’s, der ihrer eignen Grenze etwa fünfzig Meilen näher liegt als derjenige, welcher den Schauplatz unsrer Erzählung bildet. In gerader Linie nach Canada fliehen – dieß würde sie den Gefahren einer unmittelbaren Verfolgung ausgesetzt haben; und die Häuptlinge hatten beschlossen, die Kriegslist zu brauchen, tiefer in eine Gegend einzudringen, die jetzt gefährlich geworden war, in der Hoffnung, im Stande zu seyn, sich im Rücken ihrer Feinde zurückzuziehen, statt sie auf der Ferse zu haben. Die Anwesenheit der Weiber hatte veranlaßt, diese List zu versuchen, da die Kraft dieser schwächern Glieder der Truppe den Anstrengungen einer Flucht vor verfolgenden Kriegern nicht gewachsen war. Wenn der Leser die ungeheure Ausdehnung der amerikanischen Wildniß in jenen frühen Zeiten bedenkt, wird er einsehen, daß es selbst für einen Stamm möglich war, Monate lang unentdeckt in einzelnen Theilen derselben zu bleiben; auch war, bei Beobachtung der üblichen Vorsichtsmaßregeln, die Gefahr auf einen Feind zu stoßen, in den Wäldern nicht so groß, als sie es ist auf der See zur Zeit eines lebhaft geführten Krieges.

Da das Lager nur für einige Zeit dienen sollte, bot es dem Auge Nichts weiter, als den rohen Schutz eines Bivouac’s, einigermaßen noch unterstützt durch die sinnreichen Auskunftsmittel, welche sich dem Scharfsinn von Solchen aufdrängten, die ihr Leben unter derlei Scenen hinbrachten. Ein Feuer, das an den Wurzeln einer frischgrünenden Eiche angezündet war, genügte für die ganze Truppe, da das Wetter so mild war, daß man seiner zu Nichts als zum Kochen bedurfte. Um diesen Mittelpunkt der Anziehung herum zerstreut lagen etwa fünfzehn bis zwanzig niedrige Hütten – vielleicht glichen sie mehr Hundelöchern – in welche die verschiednen Eigner bei Nacht krochen, und die auch bei Gewittern den nöthigen Schutz und Schirm gewähren sollten. Diese kleinen Hütten waren gemacht aus Baumzweigen, auf sinnreiche Art zusammengesetzt und geflochten, und sie waren gleichförmig bedeckt mit Rinde, die von gefallenen Bäumen geschält war; denn von solchen besitzt jeder jungfräuliche Wald Hunderte in allen Stadien des Zerfalls und Verwitterns. Meubles hatten sie so gut wie keine. Küchengeräthschaften der einfachsten Art lagen in der Nähe des Feuers; wenige Kleidungsstücke waren in den Hütten oder darum her zu sehen; Büchsen, Hörner und Taschen lehnten an den Bäumen oder hingen an den niedrigsten Zweigen; und die Leichname von zwei oder drei Hirschen lagen ausgestreckt auf ebenso kunstlosen Fleischbänken.

Da das Lager mitten in einem dichten Wald sich befand, konnte das Auge auf Einen Blick es nicht ganz übersehen, sondern Hütte um Hütte trat aus dem düstern Gemälde hervor, so wie man sich um Gegenstände umsah. Es war da kein Mittelpunkt, wenn man nicht das Feuer dafür ansprechen wollte, kein freier Platz, wo die Besitzer dieses rohen Dorfes sich versammeln konnten; sondern Alles war dunkel, versteckt und voll schlauer Heimlichkeit, wie die Eigner selbst. Einige wenige Kinder strichen von Hütte zu Hütte, und gaben dem Platz einigen Anstrich von häuslichem Leben; und das gedämpfte Lachen und die leisen Stimmen der Weiber unterbrachen zu Zeiten die tiefe Stille des düstern Forstes, Die Männer aßen entweder, oder schliefen oder prüften ihre Waffen. Sie besprachen sich nur wenig, und dann gewöhnlich bei Seite, oder in Gruppen, von den Weibern gesondert; und ein Anstrich unermüdeter, angeborner Lauersamkeit und Gefahrsahnung schien selbst ihrem Schlummer nicht zu fehlen.

Als die zwei Mädchen sich dem Lager näherten, stieß Hetty einen leisen Schrei aus, sobald sie ihres Vaters ansichtig ward. Er saß auf der Erde, den Rücken an einen Baum gelehnt, und Hurry stand neben ihm, in gedankenloser Muße an einem Zweig schnitzelnd. Dem Anschein nach waren sie so frei, wie jeder Andre im Lager oder darum her, und Wer nicht mit indianischem Brauch bekannt gewesen, hätte sie wohl fälschlich für Gäste, statt für Gefangene, angesehen. Wah-ta!-Wah führte ihre neue Freundin ganz nahe zu ihnen hin, und zog sich dann bescheiden zurück, damit ihre Gegenwart den Gefühlen Jener keinen Zwang auferlege. Aber Hetty war nicht so vertraut mit Liebkosungen oder äußern Kundgebungen der Zärtlichkeit, daß sie sich irgend einem Ausbruch ihres Gefühls hätte hingeben sollen. Sie näherte sich nur und trat neben ihren Vater hin, ohne zu sprechen, einer stummen Statue töchterlicher Liebe ähnlich. Der alte Mann legte weder Unruhe noch Staunen über ihr plötzliches Erscheinen an den Tag. In diesen Punkten hatte er den Stoicismus der Indianer angenommen, wohl wissend, daß er durch Nichts sichrer ihre Achtung sich erwerben könne, als durch Nachahmung ihrer Selbstbeherrschung. Auch verriethen die Wilden selbst nicht durch das geringste Zeichen eine Aufregung über dieß plötzliche Erscheinen einer Fremden unter ihnen. Mit Einem Wort, die Ankunft Hetty’s verursachte, obgleich sie unter so eigenthümlichen Umständen erfolgte, weit weniger sichtbares Aufsehen, als der Fall seyn würde in einem Dorf von viel höhern Ansprüchen auf Gesittung, wenn ein gewöhnlicher Fremder vor die Thüre des Hauptgasthofs anführe. Doch sammelten sich einige wenige Krieger, und aus der Art, wie sie während ihrer Unterredung auf Hetty blickten, erhellte deutlich, daß sie der Gegenstand ihres Gesprächs war, und vermuthlich die Ursachen ihres unerwarteten Erscheinens von ihnen erörtert wurden. Dieß phlegmatische Wesen ist charakteristisch bei dem nordamerikanischen Indianer – Manche behaupten auch bei seinem weißen Nachfolger – aber in diesem Falle mußte Viel auf Rechnung der eigenthümlichen Lage geschrieben werden, worin die Truppe sich befand. Die Streitmacht auf der Arche, ausgenommen die Anwesenheit Chingachgook’s, war wohl bekannt; kein Stamm, keine Truppenabtheilung war, wie man glaubte, in der Nähe, und wachsame Augen waren rings um den ganzen See aufgestellt, welche Tag und Nacht die leiseste Bewegung der Belagerten – denn so darf man sie jetzt ohne Übertreibung nennen – beobachteten.

Hutter war innerlich sehr bewegt über Hetty’s Thun, so viel Gleichgültigkeit er äußerlich erheuchelte. Er erinnerte sich ihrer sanften Warnung an ihn, ehe er die Arche verließ, und das Unglück machte gewichtig, was im Triumph eines glücklichen Ausgangs wohl vergessen worden wäre. Dann kannte er die einfältige, rücksichtslose Treue dieses Kindes, und verstand, warum sie gekommen, und die gänzliche Selbstvergessenheit, die in allem ihrem Thun waltete.

»Das ist nicht wohlgethan, Hetty,« sagte er, mehr die Folgen für das Mädchen selbst als irgend ein andres Unheil besorgend. »Das sind trotzige Irokesen, und so wenig geneigt, eine erfahrene Unbild als eine Gunst zu vergessen,«

»Sagt mir, Vater,« erwiederte das Mädchen, sich verstohlen umschauend, als fürchtete sie belauscht zu werden, »hat Euch Gott das grausame Vorhaben zugelassen, dessen wegen Ihr hieher kamet? Ich muß dieß durchaus wissen, damit ich mit den Indianern frei sprechen kann, wenn er es nicht gethan.«

»Du hättest nicht hieher kommen sollen, Hetty; diese Bestien werden Dein Wesen und Deine Absichten nicht verstehen.«

»Wie war es, Vater? weder Ihr noch Hurry scheint Etwas zu haben, das wie Skalpe aussieht?«

»Wenn Dich das beruhigen kann, Kind, so kann ich Dir antworten: Nein! Ich hatte die junge Creatur gefaßt, die mit Dir hieher kam, aber ihr Gekreisch zog mir alsbald einen Schwarm jener wilden Katzen auf den Hals, dem zu widerstehen für einen einzelnen Christenmenschen zu Viel war. Wenn Dir das Etwas helfen kann, so wisse, wir sind so unschuldig in der Beziehung, dieß Mal einen Skalp erbeutet zu haben, als, wie ich nicht zweifle, unsre Hand rein bleiben wird von dem Preisgeld,«

»Dank Euch für dieß, Vater! Jetzt kann ich kühnlich mit den Irokesen sprechen, und mit leichtem Gewissen. Ich hoffe, auch Harry ist nicht im Stande gewesen, Jemand von den Indianern ein Leid zu thun?«

»Nun, was das betrifft, Hetty,« versetzte das fragliche Individuum, »Ihr habt die Sache gar trefflich mit dem rechten Namen genannt, Hurry war nicht im Stande, und das ist das Ende vom Liede. Ich habe manchen Sturm und Strudel erlebt, alter Gesell, zu Land und zu Wasser, aber nie sah ich einen so gewaltsamen und unwirschen, wie der war, der in der vorletzten Nacht in Gestalt indianischer Hurrahbuben uns überfiel. Ha! Hetty, Ihr seyd nicht viel nutz für ein Argument oder eine Idee, die etwas tiefer liegen als der gemeine Verstand; aber Ihr seyd menschlich, und habt einige menschliche Begriffe; – nun will ich Euch nur bitten, diese Umstände Euch recht zu besehen. Da war der alte Tom, Euer Vater, und ich in einem rechtmäßigen Unternehmen begriffen, wie aus den Worten des Gesetzes und der Proklamation zu ersehen, an nichts Arges denkend, als wir überfallen wurden von Creaturen, die mehr hungrigen Wölfen als selbst sterblichen Wilden glichen, und da hatten sie uns wie zwei Schaafe gebunden in weniger Zeit als ich brauchte, Euch die Geschichte zu erzählen.«

»Ihr seyd jetzt frei, Hurry,« versetzte Hetty mit schüchternem Blick auf die stattlichen, ungefesselten Glieder des jungen Riesen. »Eure Arme und Beine werden von keinen Stricken oder Weiden gepeinigt.«

»Nein, Hetty. Natur ist Natur, und Freiheit ist auch Natur. Meine Glieder sehen aus wie frei, aber das ist auch so ziemlich Alles, denn ich kann sie nicht gebrauchen in der Art wie ich möchte. Selbst diese Bäume haben Augen: ja und auch Zungen; denn wollte der alte Mann hier oder ich nur eine Ruthe weit über unsere Kerkergrenzen hinausschreiten, so würde man von uns Bürgschaft verlangen, ehe wir unsre Lenden gürten könnten zu einem Wettrennen; und zehn gegen eins, würden vier oder fünf Büchsenkugeln uns nachreisen, als eben so viele Einladungen, unsre Ungeduld zu zügeln. Es ist kein Gefängniß in der Kolonie so fest, als das, worin wir jetzt sind: denn ich habe die Tugend von zwei oder drei davon erprobt, und kenne das Material, woraus sie gemacht sind, so gut, wie die Männer, die sie gemacht haben, selbst; da Abbrechen der nächste Schritt ist zum Erlernen des Aufbauens bei allen solchen Gebäuden.«

Damit der Leser nicht eine übertriebene Vorstellung von Hurry’s schlimmen Streichen aus dieser prahlerischen und unklugen Offenbarung sich bilde, ist zu sagen, daß seine Frevel sich auf thätliche Injurien und Schlägereien beschränkten, deren einige ihm Gefangenschaft zugezogen, wo er denn, wie er eben gesagt, mehrmals entkam und die Gebrechlichkeit der Bauten, in welchen er in Gewahrsam gebracht worden, dadurch zeigte, daß er sich selbst Thüren öffnete an Stellen, wo die Baumeister solche anzubringen außer Acht gelassen hatten. Aber Hetty wußte gar nichts von Gefängnissen und Wenig von dem Wesen des Verbrechens, außer was ihre unverfälschten, beinahe instinktmäßigen Begriffe von Recht und Unrecht ihr sagten, und der Witz des rohen Menschen, der so zu ihr gesprochen, war daher für sie verloren. Sie verstand jedoch in der Hauptsache seine Meinung, und nur darauf antwortete sie ihm.

»Es ist am besten so, Hurry,« sagte sie. »Es ist das Beste, wenn Vater und Ihr ruhig und im Frieden verharret, bis ich mit den Irokesen geredet, wo dann Alles gut und glücklich ablaufen wird. Ich wünsche nicht, daß mir Einer von Euch folgt, sondern daß Ihr mich allein gehen laßt. Sobald Alles in’s Reine gebracht ist, und Ihr Freiheit habt, in das Castell zurückzukehren, werde ich kommen und es Euch zu wissen thun.«

Hetty sprach mit so unbefangenem Ernst, schien ihres Erfolgs so sicher, und hatte in ihrem Wesen so sehr das Gepräge des sittlichen Gefühls und der Wahrheit, daß die beiden, die sie gehört, sich geneigter fühlten ihrer Vermittlung einiges Gewicht beizulegen, als sonst wohl der Fall gewesen wäre. Als sie daher die Absicht zeigte, sie zu verlassen, legten sie ihr Nichts in den Weg, obgleich sie sie im Begriff sahen, sich der Gruppe von Häuptlingen zu nähern, welche sich bei Seite, und wie es schien, über die Art und den Beweggrund ihres plötzlichen Erscheinens besprachen.

Als Hist – denn so wollen wir sie nennen – ihre Begleiterin allein gelassen, schlenderte sie in die Nähe von ein paar älteren Kriegern, die ihr während ihrer Gefangenschaft am meisten Wohlwollen bezeigt, und von welchen der Angesehenere ihr sogar angeboten, sie an Kindesstatt anzunehmen, falls sie einwilligte, eine Huronin zu werden. Diese Richtung schlug das schlaue Mädchen ausdrücklich in der Absicht ein, zu Fragen herauszufordern. Sie war mit den Gewohnheiten ihres Volkes zu gut bekannt, als daß sie mit den Ansichten und Meinungen ihres Geschlechts und ihrer Jahre sich Männern und Kriegern aufzudrängen hätte versuchen mögen; aber die Natur hatte sie mit einem Takt und einer Einsicht begabt, welche sie in Stand setzte, die gewünschte Aufmerksamkeit rege zu machen, ohne den Stolz derer zu verletzen, welchen Unterwürfigkeit und Ehrfurcht zu bezeigen ihre Pflicht war. Selbst die von ihr angenommene Gleichgültigkeit spornte die Neugier und Hetty war kaum an der Seite ihres Vaters angelangt, als das Delawarische Mädchen durch eine geheime aber bedeutsame Geberde in den Kreis der Krieger gerufen ward. Hier ward sie befragt über die Anwesenheit ihrer Begleiterin, und die Beweggründe, die sie in das Lager geführt. Das war es eben, was Hist wünschte. Sie erzählte die Art und Weise, wie sie die Geistesschwäche Hetty’s entdeckt, wobei sie die Mangelhaftigkeit ihres Verstandes eher übertrieb als verkleinerte; und dann berichtete sie in allgemeinen Ausdrücken die Absicht des Mädchens, warum sie unter ihre Feinde sich gewagt. Die Wirkung war ganz die, welche die Erzählerin erwartete; ihre Nachrichten verliehen der Person und dem Charakter des Gastes eine Art ehrfurchtgebietender Weihe, die, wie sie wohl wußte, ihr als Schutz dienen mußte. Sobald dieser ihr Zweck erreicht war, zog sich Hist in eine Entfernung zurück, wo sie mit weiblicher Aufmerksamkeit und schwesterlicher Zärtlichkeit sich daran machte, ein Mahl zu bereiten, welches ihrer neuen Freundin geboten werden sollte, sobald es ihr gestattet wäre, daran Theil zu nehmen. Während dieser Beschäftigung jedoch ließ das verständige Mädchen in ihrer Wachsamkeit nicht nach; sie bemerkte sich jeden Wechsel in den Gesichtern der Häuptlinge, jede Bewegung Hetty’s und alle die kleinen Vorfälle, welche möglicherweise auf ihre oder ihrer neuen Freundin Interessen Einfluß haben konnten.

Als Hetty sich den Häuptlingen näherte, öffneten sie ihren kleinen Kreis mit einer entgegenkommenden Achtung, welche Männern von mehr höfischer Herkunft Ehre gemacht hätte. Ein gefallener Baum lag in der Nähe, und der älteste der Krieger bedeutete dem Mädchen mit einem stummen Zeichen, sich darauf zu sehen, und setzte sich selbst neben sie mit der Milde und Freundlichkeit eines Vaters. Die Andern gruppirten sich mit ernster Würde um die Beiden her; und dann begann das Mädchen, das genug Beobachtungsgabe besaß, um zu merken, daß man dieß von ihr erwarte, den Zweck ihres Besuchs kund zu thun. Im Augenblick jedoch, wo sie den Mund zum Sprechen öffnete, gab ihr der alte Häuptling einen leisen Wink, sich noch zu gedulden, sagte einem jüngeren Krieger einige Worte, und wartete dann in schweigender Geduld, bis dieser Hist zu der Versammlung gefordert hatte. Diese Unterbrechung rührte daher, daß der Häuptling bemerkt hatte, man bedürfe durchaus eines Dolmetschers; denn Wenige von den anwesenden Huronen und auch sie nur mangelhaft, verstanden Englisch.

Wah-ta!-Wah war es nicht leid, auch zu der Besprechung gerufen zu werden, zumal in der Eigenschaft, in der man sie jetzt verlangte. Sie wußte wohl, welche Gefahren sie lief, wenn sie einen oder zwei von der Gesellschaft zu täuschen suchte; aber war nichts desto weniger entschlossen, aller ihr zu Gebote stehender Mittel sich zu bedienen, und alle Listen in Anwendung zu bringen, welche eine indianische Erziehung ihr an die Hand gab, um sowohl die Nähe ihres Verlobten, als auch das Vorhaben, dessen halben er gekommen, zu verhehlen. Wer nicht bekannt gewesen mit den Hülfsmitteln und Ansichten des Lebens der Wilden, hätte schwerlich die Raschheit der Erfindung, die Schlauheit im Handeln, die hohe Entschlossenheit, die edeln Gefühle, die tiefe Selbstaufopferung und die weibliche Selbstvergessenheit da, wo die Liebe ins Spiel kam, geahnt, welche verborgen lagen unter der sanftmüthigen Miene, dem milden Auge und dem sonnigen Lächeln dieser jungen indianischen Schönheit, Als sie sich näherte, betrachtete sie der grimmig aussehende alte Krieger mit Wohlgefallen; denn sie fühlten einen geheimen Stolz bei der Hoffnung, einen so herrlichen Schößling dem Stamm ihres Volkes aufzupfropfen; denn die Adoption ward so regelmäßig in Anwendung gebracht und so ausdrücklich anerkannt unter den Stämmen Amerika’s, als nur je unter den Nationen, welche dem Scepter des Civilgesetzes huldigen.

Sobald Hist neben Hetty saß, hieß sie der alte Häuptling »das schöne junge Bleichgesicht« fragen, was sie unter die Irokesen geführt, und was sie ihr zu Gefallen thun könnten.

»Sagt ihnen, Hist, Wer ich bin – Thomas Hutter’s jüngste Tochter; Thomas Hutter’s, des Aelteren von ihren zwei Gefangnen; dessen, dem das Castell und die Arche gehört, und der das beste Recht hat, als Eigenthümer dieser Berge und dieses See’s zu gelten, dieweil er so lange Zeit da gewohnt, und Fallen gestellt und gefischt hat. Sie werden wissen, Wen Ihr unter Thomas Hutter versteht, wenn Ihr ihnen das sagt. Und dann sagt ihnen, ich sey hieher gekommen, sie zu bereden, daß sie Vater und Hurry kein Leid thun, sondern sie im Frieden ziehen lassen, und sie eher als Brüder denn als Feinde behandeln. Jetzt sagt ihnen das Alles geradezu, Hist, und fürchtet Nichts für Euch oder für mich; Gott wird uns schützen.«

Wah-ta!-Wah that wie die Andere verlangte, und bestrebte sich, die Worte ihrer Freundin so buchstäblich als möglich in’s Irokesische zu übersetzen, eine Sprache, die sie beinahe mit gleicher Geläufigkeit wie ihre eigne sprach. Die Häuptlinge hörten diese eröffnende Mittheilung mit ernstem Anstand an; die Zwei, welche ein wenig Englisch verstanden, deuteten ihre Zufriedenheit mit der Dollmetscherin durch heimliches aber ausdrucksvolles Winken mit den Augen an. »Und jetzt, Hist,« fuhr Hetty fort, sobald man ihr andeutete dieß zu thun, »und jetzt, Hist, wünsche ich, daß Ihr diesen rothen Männern Wort für Wort dollmetscht, was ich sagen will. Sagt ihnen zuerst, daß Vater und Hurry hieher kamen mit der Absicht, so viele Skalpe als möglich zu erbeuten; denn der sündhafte Gouverneur und die Provinz haben Geld für Skalpe geboten von Kriegern oder Weibern, von Männern oder Kindern; und die Liebe zum Gold war ihrem Herzen zu stark, um zu widerstehen. Sagt ihnen dieß, liebe Hist, gerade so wie Ihr es von mir gehört, Wort für Wort.«

Wah-ta!-Wah zauderte, diese Rede so buchstäblich, wie Jene verlangt, wiederzugeben; aber da sie das Verständniß derer, die etwas Englisch wußten, bemerkt hatte, und selbst eine genauere Kenntniß dieser Sprache, als sie wirklich besaßen, bei ihnen als möglich voraussetzte, sah sie sich genöthigt zu gehorchen. Im Widerspruch mit dem, was ein Civilisirter als Folge hievon hätte erwarten mögen, brachte das Zugeständniß der Beweggründe und des Vorhabens der Gefangnen keinen sichtbaren Eindruck auf die Mienen noch auch auf die Gefühle der Zuhörer hervor. Vermuthlich sahen sie die That als einträglich an, und was Keiner von ihnen selbst auszuüben irgend Anstand genommen hätte, das war er auch nicht gemeint an einem Andern zu tadeln,

»Und jetzt, Hist,« begann Hetty von neuem, sobald sie bemerkte, daß ihre bisherigen Reden von den Häuptlingen begriffen worden; »könnt Ihr ihnen Mehr sagen. Sie wissen, daß Vater und Hurrry nicht glücklich waren; und daher können sie ihnen nicht grollen wegen eines ihnen widerfahrenen Leides. Wenn sie ihre Weiber und Kinder erschlagen hätten, so würde das an der Sache Nichts ändern; und ich weiß nicht, ob das, was ich ihnen zu sagen im Begriff stehe, nicht noch mehr Gewicht hätte, wenn das Unheil wirklich geschehen wäre. Aber fragt sie zuerst, Hist, ob sie wissen, daß ein Gott ist, der über die ganze Erde regiert und Herr und Häuptling Aller ist, die da leben, seyn sie roth oder weiß, oder von welcher Farbe sie wollen?«

Wah-ta!-Wah schien etwas erstaunt über diese Frage; denn der Begriff des großen Geistes bleibt selten dem Gemüth eines indianischen Mädchens lange fremd. Sie stellte jedoch die Frage, so buchstäblich als möglich übersetzt, und erhielt eine ernste, bejahende Antwort.

»Das ist recht,« fuhr Hetty fort, »und meine Pflicht wird jetzt leicht zu erfüllen seyn. Dieser große Geist, wie Ihr unsern Gott nennt, hat ein Buch schreiben lassen, das wir die Bibel nennen; und in diesem Buch sind alle seine Gebote aufgezeichnet, und sein heiliger Wille und Wohlgefallen, und die Vorschriften, nach welchen alle Menschen leben sollen, und Anweisungen, wie man selbst die Gedanken beherrschen soll und die Wünsche und den Willen. Hier, dieß ist eines von jenen heiligen Büchern, und Ihr müßt den Häuptlingen erklären, was ich ihnen aus seinen heiligen Blättern lesen will.«

Nachdem Hetty dieß gesprochen, zog sie eine kleine englische Bibel aus einem Futteral von grobem Caliko, und handhabte das Buch mit jener Art von äußerlicher Ehrfurchtsbezeugung, die etwa ein Römischkatholischer einer Reliquie erweisen könnte. Während sie langsam in ihrem Beginnen fortfuhr, beobachteten die grimmig aussehenden Krieger jede ihrer Bewegungen mit unverwandten Augen; und als sie das kleine Buch erscheinen sahen, entschlüpfte Einem oder Zweien von ihnen ein leiser Ausruf des Erstaunens. Aber Hetty hielt es ihnen im Triumph entgegen, als erwartete sie, daß schon der Anblick ein sichtbares Wunder thun solle; und dann, ohne Ueberraschung oder Kränkung bei dem Stoicismus der Indianer blicken zu lassen, wandte sie sich lebhaft zu ihrer neuen Freundin, um ihre Rede fortzusetzen.

»Dieß ist das heilige Buch, Hist,« sagte sie, »und diese Worte, und Zeilen, und Verse und Kapitel kommen alle von Gott!« »Warum der Große Geist nicht auch den Indianern Buch schicken?« fragte Hist mit der Unbefangenheit eines gänzlich unverfälschten Gemüthes.

»Warum nicht?« erwiederte Hetty, ein wenig betroffen über diese so unerwartete Frage. »Warum nicht? Ha! Ihr wißt ja, die Indianer können nicht lesen.«

Wenn auch Hist mit dieser Erklärung nicht ganz befriedigt war, hielt sie doch den Gegenstand nicht für erheblich genug, ihn weiter zu verfolgen. Sie neigte nur ihren Leib einfach vor, bescheiden und sanft die Wahrheit des Vernommenen gelten lassend, und saß da, geduldig die weitern Argumente der Bleichgesichtschwärmerin erwartend.

»Ihr könnt diesen Häuptlingen sagen, daß überall in diesem Buche den Menschen geboten ist, ihren Feinden zu verzeihen, sie wie Brüder zu behandeln, und nie ihren Mitmenschen ein Leid zuzufügen, namentlich auch nicht aus Rachsucht oder sonst einer bösen Leidenschaft. Meint Ihr ihnen dieß so sagen zu können, daß sie es wohl verstehen werden, Hist?«

»Es ihnen sagen können wohl, aber sie es nicht leicht verstehen werden.«

Dann erklärte Hist die Ideen Hetty’s, so gut und deutlich sie nur immer konnte, den aufmerksamen Indianern, welche ihre Worte ungefähr mit dem Erstaunen vernahmen, wie es etwa ein Amerikaner unsrer Zeiten an den Tag legen würde bei der Behauptung, daß die große aber schwankende Beherrscherin der menschlichen Dinge der modernen Zeit, die öffentliche Meinung, Unrecht haben könnte. Ein Paar von ihnen jedoch, die schon mit Missionären zusammengetroffen, sagten einige erläuternde Worte, und jetzt widmete die Gruppe alle Aufmerksamkeit den Mittheilungen, die nun folgen sollten. Ehe Hetty wieder begann, erkundigte sie sich ernstlich bei Hist, ob die Häuptlinge sie verstanden, und war mit einer ausweichenden Antwort leicht zu befriedigen. »Jetzt will ich den Kriegern einige von den Versen lesen, welche kennen zu lernen ihnen gut ist,« fuhr das Mädchen fort, dessen Benehmen im weitern Verlauf immer ernster und feierlicher wurde; »und sie werden bedenken, daß es die eignen Worte des großen Geistes sind. Für’s erste denn wird Euch geboten: › liebe deinen Nächsten wie dich selbst!‹ Erklärt ihnen das, liebe Hist.«

»Nächster für Indianer kein Bleichgesicht,« antwortete das Delawarische Mädchen mit größerer Bestimmtheit, als sie bisher zu zeigen für gut befunden. »Nächster heißt Irokese für Irokesen, Mohikan für Mohikan, Bleichgesicht für Bleichgesicht. Häuptlinge sonst Nichts nöthig zu sagen.«

»Ihr vergeßt, Hist, das sind die Worte des großen Geistes, und die Häuptlinge müssen ihnen gehorchen so gut als Andere. Hier ist ein andres Gebot: › So dich Jemand schlägt auf den rechten Backen, dem biete den andern auch dar.‹«

»Was das bedeuten?« fragte Hist mit Blitzesschnelle.

Hetty erklärte, daß es ein Gebot sey, Beleidigungen nicht zu rächen, sondern lieber der Erduldung neuer Unbilden von dem Beleidiger sich auszusetzen.

»Und höre auch dieß, Hist,« fuhr sie fort: »Liebet Eure Feinde, segnet die Euch fluchen, thut Wohl denen die Euch hassen, und betet für die, so Euch verachten und verfolgen

Jetzt war Hetty ganz aufgeregt worden; ihre Augen leuchteten vermöge der Lebhaftigkeit ihrer Gefühle, ihre Wangen flammten, und ihre Stimme, gewöhnlich so leise und zitternd, wurde stärker und nachdrücklicher. Mit der Bibel war sie frühe schon durch ihre Mutter bekannt gemacht worden; und sie ging jetzt von Stelle zu Stelle über mit überraschender Schnelligkeit, und las sorgfältig solche Verse heraus, welche die erhabnen Lehren christlicher Liebe und Versöhnlichkeit predigen. Auch nur die Hälfte dessen, was sie in ihrem frommen Ernst vorbrachte, zu übersetzen, würde Wah-ta!-Wah unmöglich gefunden haben, hätte sie auch den Versuch gemacht; aber Staunen hielt ihre Zunge gebunden, wie die der Häuptlinge; und die junge, treuherzige Schwärmerin war durch ihre Anstrengung ganz erschöpft worden, ehe die Andre nur den Mund öffnete, um eine Sylbe vorzubringen. Und dann gab wirklich das Delawarische Mädchen eine kurze Uebersetzung von dem Wesentlichen des Gesprochenen und Gelesenen, beschränkte sich aber auf ein paar der ergreifendsten von den Versen, diejenigen, die ihrer Einbildungskraft als die paradoxesten aufgefallen waren, und die auf den Fall freilich am anwendbarsten gewesen wären, hätten die ungebildeten Gemüther der Zuhörer die großen moralischen Wahrheiten fassen können, die sie enthielten.

Es wird kaum nöthig seyn, unsern Lesern die Wirkung zu schildern, die eine solche neue Pflichtenlehre aller Wahrscheinlichkeit nach unter einer Gruppe indianischer Krieger hervorbringen mußte, bei denen es eine Art von religiösem Grundsatz war, nie eine Wohlthat zu vergessen und nie ein Unrecht zu verzeihen. Zum Glück hatten die vorangegangnen Erklärungen Hist’s die Gemüther der Huronen auf etwas Absonderliches vorbereitet; und das Meiste von dem, was ihnen unvernünftig und paradox erschien, ward durch den Umstand erklärt, daß die Sprecherin einen von den meisten andern Sterblichen ganz abweichend organisirten Geist besitze. Doch waren ein Paar alte Männer da, welche ähnliche Lehren schon von den Missionären gehört hatten, und sie fühlten ein Verlangen, einen müssigen Augenblick mit weiterer Verfolgung eines Gegenstandes, den sie so merkwürdig fanden, auszufüllen.

»Das ist das Gute Buch der Bleichgesichter,« bemerkte Einer von diesen Häuptlingen, das Buch aus der Hand der keinen Widerstand leistenden Hetty nehmend, welche ihm ängstlichgespannt ins Gesicht starrte, während er die Blätter umwandte, als erwartete sie von dieser Thatsache sichtbare Ergebnisse. »Das ist das Gesetz, wornach meine weißen Brüder zu leben behaupten?« Hist, an welche diese Frage gerichtet war, wenn man überhaupt sagen kann, daß sie an eine bestimmte Person gerichtet gewesen, antwortete einfach bejahend, und fügte bei, daß sowohl die Franzosen der Canada’s, als die Dengeese der britischen Provinzen sein Ansehen gleichermaßen anerkennten, und seine Grundsätze zu ehren behaupteten.

»Erklärt meiner jungen Schwester,« sagte der Hurone, Hist scharf anblickend, »daß ich meinen Mund öffnen, und einige wenige Worte sprechen will.«

»Der Irokesenhäuptling sprechen wollen – meine Bleichgesichtfreundin zuhören,« dollmetschte Hist.

»Ich freue mich, das zu hören!« rief Hetty. »Gott hat sein Herz gerührt, und er wird jetzt Vater und Hurry ziehen lassen!«

»Das ist des Bleichgesichts Gesetz,« begann der Häuptling. »Es gebietet ihm Gutes zu thun dem, der ihn verletzt; und wenn sein Bruder von ihm seine Büchse verlangt, ihm das Pulverhorn dazu zu geben. Das ist das Bleichgesichtsgesetz?«

»Nicht so – nicht so,« antwortete Hetty ernst, nachdem diese Worte waren gedollmetscht worden. »Es steht kein Wort von Büchsen in dem ganzen Buch; und Pulver und Kugeln sind dem heiligen Geist ein Aergerniß.«

»Nun dann, warum gebraucht sie denn das Bleichgesicht? Wenn ihm geboten ist, dem doppelt zu geben, der nur Eines verlangt, warum nimmt er doppelt den armen Indianern, die Nichts verlangen? Er kommt vom Lande der aufgehenden Sonne mit seinem Buch in der Hand, und lehrt den Rothmann es lesen; aber warum vergißt er selbst Alles, was es sagt? Wenn der Indianer gibt, ist er nie zufrieden; und jetzt bietet er Gold für die Skalpe unsrer Weiber und Kinder, obgleich er uns Bestien nennt, wenn wir den Skalp eines Kriegers nehmen, der im offenen Krieg getödtet worden. Mein Name ist Rivenoak.« Als Hetty diese furchtbare Frage ihrer Seele in der Uebersetzung recht veranschaulicht hatte – und Hist that bei dieser Gelegenheit ihre Pflicht mit ungewöhnlicher Bereitwilligkeit – war sie, wie kaum zu sagen nöthig, in bittrer Verlegenheit. Gescheutere Köpfe als der dieses armen Mädchens sind häufig durch Fragen von ähnlicher Richtung in Verwirrung gebracht worden; und es kann nicht befremden, daß sie mit all ihrem Ernst und ihrer Aufrichtigkeit nicht wußte, welche Antwort geben.

»Was soll ich ihnen sagen, Hist?« fragte sie flehentlich; »ich weiß, daß Alles, was ich aus dem Buche gelesen, wahr ist; und doch könnte es als nicht wahr erscheinen nach der Handlungsweise derer, denen dieß Buch gegeben ist, oder nicht?«

»Gebt ihnen Bleichgesichtsgründe,« versetzte Hist ironisch; »die immer gut für Eine Seite, obgleich schlecht für die andere.«

»Nein, nein, Hist, es gibt keine zwei Seiten für die Wahrheit – und doch erscheint es so seltsam! Gewiß habe ich die Verse recht gelesen, und Niemand würde so ruchlos seyn, das Wort Gottes falsch zu drucken. Das kann nie seyn, Hist.«

»Nun, armem indianischem Mädchen scheinen, es kann Alles seyn bei Bleichgesichtern,« versetzte die Andere kühl, »Ein Mal sagen sie weiß, und das andre Mal schwarz. Warum denn es nie seyn kann?«

Hetty wurde immer verwirrter, bis sie endlich, überwältigt von der Angst, sie habe ihren Zweck verfehlt, und das Leben ihres Vaters und Hurry’s werde durch einen Mißgriff von ihrer Seite aufgeopfert werden, in Thränen ausbrach. Von diesem Augenblick an verschwand im Benehmen Hist’s alle Ironie und kühle Gleichgültigkeit, und sie wurde wieder die zärtliche, liebkosende Freundin. Ihre Arme um das betrübte Mädchen schlingend, suchte sie ihren Kummer zu beschwichtigen durch das kaum je seine Wirkung verfehlende Mittel weiblichen Mitgefühls.

»Aufhören weinen – nicht weinen!« sagte sie, die Thränen aus Hetty’s Angesicht wischend, wie sie denselben Dienst einem Kinde würde geleistet haben, und beugte sich herab, um sie gelegentlich mit der Zärtlichkeit einer Schwester an ihr warmes Herz zu drücken; »warum Euch so beunruhigen? Ihr nicht das Buch machen, wenn es falsch seyn, und Ihr nicht Bleichgesicht machen, wenn er ruchlos. Es böse rothe Männer geben und böse weiße Männer – keine Farbe ganz gut – keine Farbe ganz böse, Häuptlinge das gut genug wissen.«

Hetty erholte sich bald von diesem plötzlichen Ausbruch des Jammers, und dann wendete sich ihr Gemüth wieder mit all seinem treuherzigen Ernst zu dem Zweck ihres Besuchs. Sie bemerkte, daß die grimmig aussehenden Häuptlinge noch in ernster Aufmerksamkeit um sie her standen, und hoffte, ein neuer Versuch, sie vom Rechten zu überzeugen, werde besser gelingen.

»Hört, Hist,« sagte sie, ringend ihr Schluchzen zu unterdrücken und vernehmlich zu sprechen; »sagt den Häuptlingen, es frage sich nicht, was die Ruchlosen thun – Recht ist Recht – die Worte des Großen Geistes sind die Worte des Großen Geistes – und Niemand kann ungestraft eine böse That thun, weil ein Andrer vor ihm sie gethan hat! Vergeltet Böses mit Gutem! sagt dieß Buch; und das ist das Gesetz für die rothen Männer wie für die Weißen.«

»Nie hören von solchem Gesetz unter Delawaren oder Irokesen,« antwortete Hist begütigend. »Nicht gut, den Häuptlingen von solchem Gesetz sagen. Sagt ihnen Etwas, das sie glauben.«

Hist wollte demungeachtet in ihrem Dollmetschen fortfahren, als eine Berührung von dem Finger des ältesten Häuptlings auf ihrer Schulter sie aufschauen machte, da bemerkte sie, daß Einer von den Kriegern die Gruppe verlassen hatte, und schon mit Hutter und Hurry wieder zurückkam. Begreifend, daß die beiden Letztern auch in die Untersuchung hineingezogen werden sollten, verstummte sie, mit dem nie zögernden Gehorsam eines indianischen Weibes. Nach wenigen Sekunden standen die Gefangenen den Vornehmsten der sie gefangen haltenden Truppe Angesicht gegen Angesicht gegenüber.

»Tochter,« sagte der älteste Häuptling zu der jungen Delawarin, »fragt diesen Graubart, warum er in unser Lager gekommen?«

Die Frage ward von Hist in ihrem unvollkommnen Englisch gestellt, aber in einer Art, die nicht schwer zu verstehen war. Hutter war von Natur zu trotzig und verstockt, um vor den Folgen irgend einer seiner Handlungen zurückzubeben, und er war auch zu genau vertraut mit Ansichten der Wilden, um nicht einzusehen, daß Nichts zu gewinnen stehe durch Zweideutigkeiten oder eine unmännliche Scheue vor ihrem Zorn. Ohne Bedenken gestand er daher die Absicht, in welcher er gelandet, und rechtfertigte sie nur mit dem Umstand, daß die Regierung der Provinz hohe Preise für Skalpe geboten. Dieß offene Geständniß ward von den Irokesen mit sichtlicher Zufriedenheit aufgenommen, nicht sowohl jedoch in Betracht des Vortheils, den es ihnen, vom moralischen Gesichtspunkt angesehen, gewährte, als so fern es ein Beweis war, daß sie einen Mann gefangen, werth, ihre Gedanken zu beschäftigen und Gegenstand ihrer Rache zu werden. Hurry, befragt, gestand ebenfalls die Wahrheit, obwohl er zur Verheimlichung geneigter, als sein trotziger Genosse gewesen wäre, hätten die Umstände diese Handlungsweise besser begünstigt. Aber er besaß Takt genug, um einzusehen, daß Zweizüngelei in diesem Augenblick nutzlos seyn würde, und er machte aus der Noth eine Tugend, indem er eine Freimüthigkeit nachahmte, die bei Hutter das Ergebniß einer ihm zur andern Natur gewordnen Gleichgültigkeit war, indem er nur einer jederzeit rauhen, schroffen und um Folgen für seine Person unbekümmerten Gemüthsart folgte.

Sobald die Häuptlinge die Antworten auf ihre Fragen erhalten, schritten sie schweigend weg, wie Männer, die die Sache als abgethan betrachteten, und alle Dogmen Hetty’s waren weggeworfen bei Wesen, die von der Kindheit bis zum Mannesalter in der Schule der Gewaltthat herangewachsen waren. Hetty und Hist blieben jetzt allein mit Hutter und Hurry, und den Schritten und Bewegungen von Keinem schien irgend ein Zwang auferlegt, obwohl in der That alle Vier unablässig und aufmerksam bewacht wurden. Was die Männer betrifft, so ward sorgfältig darauf geachtet, sie zu verhindern, von einer der Büchsen Besitz zu ergreifen, welche ringsum zerstreut lagen, ihre eigenen mit eingeschlossen; aber hierauf war alle offenkundige Bewachung beschränkt. Aber sie, die so erfahren waren in indianischen Bräuchen und Listen, wußten zu gut, wie groß der Abstand war zwischen Schein und Wirklichkeit, um sich durch diese anscheinende Sorglosigkeit täuschen zu lassen. Obgleich beide unaufhörlich auf Mittel zur Flucht dachten, und zwar ohne Verabredung, erkannte doch jeder die Fruchtlosigkeit, einen Plan der Art zu versuchen, der nicht tief angelegt und rasch ausgeführt würde. Sie waren lang genug in dem Lager, und hinlänglich scharfe Beobachter, um sich vergewissert zu haben, daß auch Hist eine Art Gefangene war; und auf diesen Umstand bauend sprach Hutter in ihrer Gegenwart offener, als er vielleicht sonst räthlich gefunden hätte, und veranlaßte durch sein Beispiel Hurry zu gleicher Sorglosigkeit.

»Ich will dich nicht tadeln, Hetty, daß du mit diesem Vorhaben hieher kamst, das gut gemeint, wenn auch nicht sehr klug angelegt war,« begann der Vater, indem er sich neben seine Tochter setzte und ihre Hand ergriff; ein Zeichen der Zärtlichkeit, das dieser rauhe Mann gerade diesem Kind zu geben pflegte – »aber Predigen und die Bibel sind nicht die Mittel, einen Indianer von seinem Wege abzubringen. Hat Wildtödter eine Botschaft geschickt; oder hat er einen Anschlag, durch den er uns in Freiheit zu setzen denkt?«

»Ja, das ist die Hauptsache vom Ganzen,« fiel Hurry ein; «wenn Ihr uns zu einer halben Meile Freiheit verhelfen könnt, Mädchen, oder auch nur zu einem guten Vorsprung von einer Viertelmeile, so will ich für das Uebrige stehen. Vielleicht der alte Mann bedarf etwas Mehr, aber für Einen von meiner Größe und meinen Jahren würde das alle Anstände beseitigen.«

Hetty sah bekümmert aus und wandte ihre Augen von Einem zum Andern; aber sie hatte keine Antwort zu geben auf die Frage des brutalen Hurry.

»Vater,« sagte sie, »weder Wildtödter noch Judith wußten von meinem Plan zu gehen, bis ich die Arche verlassen hatte. Sie fürchten, die Irokesen möchten einen Floß machen und versuchen, sich der Hütte zu bemächtigen, und denken mehr daran, die zu vertheidigen, als Euch zu Hülfe zu kommen.«

»Nein – nein – nein,« sagte Hist hastig, obwohl mit leiser Stimme und das Angesicht zu Boden gesenkt, um diejenigen, von denen sie sich wohl bewacht wußte, gar nicht sehen zu lassen, daß sie überhaupt sprach. »Nein, nein, nein, Wildtödter ganz andrer Mann. Er nicht daran denken, sich selbst zu vertheidigen, wenn ein Freund in Gefahr. Einer dem Andern helfen, und Alle zur Hütte gelangen.«

»Das klingt gut, alter Tom,« sagte Hurry winkend und lachend, – obgleich auch er die Vorsicht gebrauchte, leise zu sprechen. »Gebt mir nur eine Indianerin von schnellem Witz zur Freundin, und ich will, denke ich, den Teufel zu Schanden machen. Wenn auch nicht gerade einen Irokesen.«

»Sprecht nicht laut,« sagte Hist; »einige Irokesen die Yengeese Sprache gelernt und alle Yengeese Ohr haben.« –

»Haben wir eine Freundin an Euch, junges Weib?« fragte Hutter mit steigendem Interesse an der Unterredung. »Wenn dieß, so könnt Ihr auf eine tüchtige Belohnung rechnen, und nichts wird leichter seyn, als Euch zu Eurem eignen Stamme zu senden, wenn wir Euch nur einmal mit uns sicher in’s Castell gebracht haben. Gebt uns die Arche und die Canoes, so beherrschen wir den See, trotz allen Wilden in den Canada’s. Nur Artillerie könnte uns aus dem Castell vertreiben, wären wir nur einmal wieder darin.«

»Gesetzt sie ans Land kommen, Skalpe zu holen?« versetzte Hist mit kühler Ironie, worin das Mädchen erfahrener schien, als bei ihrem Geschlecht gewöhnlich ist.

»Ja, ja – das war ein Mißgriff; aber Wehklagen helfen wenig, und noch weniger, junges Weib, Stichelreden!«

»Vater,« sagte Hetty, »Judith denkt daran, den großen Schrank aufzubrechen, in der Hoffnung, darin etwas zu finden, womit sie Eure Freiheit von den Wilden erkaufen könnte.«

Eine finstre Wolke überzog Hutter’s Gesicht bei der Nachricht von diesem Umstand, und er murmelte seine Mißbilligung so laut, daß alle Anwesenden es hörten.

»Warum nicht aufbrechen großen Schrank?« warf Hist ein. »Leben lieber als alter Schrank. Skalp lieber als alter Schrank. Wenn nicht Tochter erlauben ihn aufzubrechen, Wah-ta!-Wah ihm nicht helfen davonzulaufen!«

»Ihr wißt nicht, was Ihr verlangt – Ihr seyd einfältige Mädchen, und das Klügste für Euch beide ist, zu sprechen, von was Ihr versteht, und sonst von Nichts. Diese kalte Vernachlässigung der Wilden gefällt mir nicht sehr, Hurry, es ist ein Beweis, daß sie an etwas Ernstes denken, und wenn wir etwas thun wollen, müssen wir es bald thun. Können wir auf dieß junge Weib zählen, meint Ihr?«

»Hört,« sagte Hist rasch und mit einem Ernst, der bewies, wie lebhaft ihr Gefühl betheiligt war – »Wah-ta!-Wah keine Irokesin – ganz und gar Delawarin – Delawarenherz – Delawarengefühl haben. Sie auch Gefangene. Ein Gefangner andern Gefangnen helfen. Nicht gut jetzt Mehr schwatzen. Tochter bei Vater bleiben – Wah-ta!-Wah kommen und Freund sehen – Alles gut aussehen – dann sagen, was thun.«

Dies ward mit leiser Stimme, aber deutlich gesprochen, und in einer Art, um Eindruck zu machen. Sobald sie sich so geäußert, stand das Mädchen auf und verließ die Gruppe, langsam nach der Hütte zurückkehrend, die sie bewohnte, als nähme sie kein weiteres Interesse an dem, was zwischen den drei Bleichgesichtern verhandelt werden mochte.