Achtes Kapitel.

Sein Wort ist Bürgschaft und sein Eid Orakel;
Treu seine Liebe, mackellos sein Denken;
Des Herzens reine Boten seine Thränen;
Sein Herz so fern von Trug wie Himmel von Hölle.
Shakspeare.

Keines der Mädchen sprach, als Wildtödter allein vor ihnen stand, und sein Gesicht all die Besorgnisse verrieth, die er wegen des Schicksals der zwei abwesenden Glieder ihrer Gesellschaft empfand. »Vater!« rief endlich Judith, der durch eine verzweiflungsvolle Anstrengung das Vorbringen dieses Einen Wortes zu gelingen schien.

»Es ist ihm ein Unfall zugestoßen, und es wäre nutzlos, es verhehlen zu wollen,« antwortete Wildtödter in seiner geraden und einfachen Art. »Er und Hurry sind in den Händen der Mingos und nur der Himmel weiß, was der Ausgang seyn wird. Ich habe die Canoe’s in Sicherheit gebracht, und das ist ein Trost, weil die Vagabunden jetzt schwimmen oder Flöße bauen müssen, um sich diesem Haus zu nähern. Bis Sonnenuntergang werden wir durch Chingachgook verstärkt werden, wenn es mir gelingt, ihn in ein Canoe zu schaffen; und dann, denk‘ ich, können wir Zwei für die Arche und das Castell stehen, bis einige von den Officieren in den Garnisonen von diesem Kriegszug hören, was früher oder später der Fall seyn muß, wo wir dann auf Hülfe von dieser Seite, wenn nicht von einer andren – rechnen dürfen.«

»Die Officiere!« rief Judith ungeduldig, und ihre Farbe ward röther, und ihr Auge drückte eine lebhaftere, aber vorübergehende innere Bewegung aus. »Wer denkt jetzt an die herzlosen galanten Herrn, Wer spricht von ihnen?« – Wir sind allein genügend, das Castell zu vertheidigen; – aber was ist’s mit meinem Vater und mit dem armen Hurry Harry?«

»Es ist natürlich, daß Ihr solche Sorge empfindet für Euern Vater, Judith, und ich denke, Ihr solltet eben so gesinnt seyn in Betreff Hurry Harry’s.«

Jetzt begann Wildtödter eine gedrängte aber klare Erzählung alles dessen, was während der Nacht sich begeben hatte; keineswegs die Unfälle seiner beiden Begleiter verhehlend, noch auch seine eigne Meinung, was die Folgen seyn könnten. Die Mädchen hörten mit tiefer Aufmerksamkeit zu; aber keine verrieth jene weibliche Aengstlichkeit und Bestürzung, welche bei einer derartigen Mittheilung unausbleiblich sich geäußert hätte bei Solchen, die weniger an die Wechselfälle und Mißgeschicke eines Grenzerlebens gewohnt gewesen wären. Zum Erstaunen Wildtödters schien Judith die mehr Niedergeschlagene; Hetty horchte aufmerksam zu, schien aber über die vernommenen Thatsachen mehr in melancholischem Schweigen zu brüten, als daß sie ihre Gefühle äußerlich verrathen hätte. Die Unruhe der Erstern ermangelte der junge Mann nicht, ihrem Interesse für Hurry ebenso sehr, als ihrer kindlichen Liebe zuzuschreiben, während er sich Hetty’s anscheinende Gleichgültigkeit aus der geistigen Finsterniß erklärte, welche gewissermaßen ihren Verstand verdunkelte und sie vielleicht nicht alle Folgen voraussehen ließ. Beide jedoch sprachen Wenig; Judith und ihre Schwester machten sich mit den Vorbereitungen zur Morgenmahlzeit zu schaffen, wie denn Leute, die regelmäßig mit solchen Dingen sich zu beschäftigen haben, selbst mitten unter Leiden und Kummer mechanisch darin fortarbeiten. Das einfache aber nahrhafte Frühstück ward von allen Dreien in düsterm Schweigen eingenommen. Die Mädchen aßen Wenig, Wildtödter aber bewies, daß er Eine wesentliche Eigenschaft eines guten Soldaten besaß, die, daß er unter den beunruhigendsten und peinlichsten Umständen seinen guten Appetit behielt. Das Mahl ging beinahe zu Ende, ehe nur eine Sylbe gesprochen wurde; dann aber fing Judith an zu sprechen in jener hastigen und krampfhaften Weise; in welcher das Gefühl, den Zwang überwindend, ausbricht, nachdem dieser noch schmerzlicher und peinlicher geworden ist, als selbst die Aeußerung der innern Bewegung.

»Dem Vater würde dieser Fisch gemundet haben!« rief sie aus; »er sagt, der Salm der Seen sey beinahe so gut, wie der des Meeres.«

»Euer Vater ist mit dem Meer bekannt gewesen, so höre ich, Judith,« versetzte der junge Mann, der sich nicht enthalten konnte, einen forschenden Blick auf das Mädchen zu werfen; denn wie Alle, die Huttern kennen lernten, empfand er einige Neugier, seine frühere Geschichte zu erfahren. »Hurry Harry sagt mir, er sey einmal Matrose gewesen.«

Judith schien zuerst in einige Verlegenheit zu gerathen; dann unter dem Einfluß von Gefühlen, die ihr in mehr als Einer Hinsicht neu waren, wurde sie plötzlich mittheilsam und nahm, wie es schien, lebhaften Antheil an dem Gegenstand des Gesprächs.

»Wenn Hurry Etwas von Vaters Geschichte weiß, so wollte ich, er hätte es mir erzählt!« rief sie aus. »Manchmal glaube auch ich, er sey einmal Matrose gewesen und manchmal auch wieder nicht. Wenn dieser Schrank offen wäre, oder wenn er sprechen könnte, könnte er uns in seine ganze Geschichte einweihen. Aber seine Schlösser und Riegel sind zu stark, um aufgebrochen zu werden wie Packschnüre.«

Wildtödter wandte sich zu dem fraglichen Schranke und besichtigte ihn zum erstenmal genau. Obgleich er entfärbt war, und Spuren von häufiger übler Handhabung an sich trug, war er doch, wie er jetzt sah, von weit besserem Stoff und vorzüglicherer Arbeit, als alles Aehnliche, was er früher gesehen. Das Holz war dunkel, edel und war einmal trefflich polirt gewesen, obgleich die Behandlung, die er mußte erfahren haben, wenig Glanz mehr übrig gelassen, und verschiedne Schrammen und Rißen die herben Collisionen verriethen, in welche er mit noch härtern Gegenständen gerathen war. Die Ecken waren stark mit Stahl beschlagen, sorgfältig und reich gearbeitet, während die Schlösser, deren er nicht weniger als drei hatte, und die Bänder von einer Arbeit und Façon waren, welche selbst in einem Magazin von ausgezeichneten Meubles Aufmerksamkeit erregt haben würde. Der Schrank war auch groß; und als Wildtödter aufstand, und ihn von der einen Seite an seiner massiven Handhabe aufzuheben versuchte, fand er, daß die Schwere vollkommen der äußern Erscheinung entsprach.

»Habt Ihr je diesen Schrank geöffnet gesehen, Judith,« fragte der junge Mann mit der Freimüthigkeit des Grenzers, denn von Zartgefühl in solchen Dingen wußten die Leute auf der äußersten Grenzmarke der Civilisation in jenen Tagen Wenig, wie vielleicht auch jetzt noch.

»Nie. Vater hat ihn nie in meiner Gegenwart geöffnet, wenn er ihn überhaupt je öffnet. Kein Mensch hier hat je seinen Deckel gehoben gesehen, wenn nicht Vater, auch weiß ich von ihm nicht einmal, ob er ihn so gesehen.«

»Da irrst du dich, Judith,« versetzte Hetty ruhig, »Vater hat den Deckel aufgemacht, und ich habe es mit angesehen.«

Ein Gefühl männlichen Stolzes hielt Wildtödters Mund geschlossen; denn während er sich nicht bedacht hätte, in seinen Fragen an die ältere Schwester weit über die Grenzen der Schicklichkeit, nach unsern Begriffen, hinauszugehen, empfand er doch gerechte Bedenklichkeiten, den vielleicht nicht ganz ehrenhaften Vortheil zu benützen, welchen der schwache Verstand der jüngern ihm darbot. Judith indessen, die keine solche Rücksichten zu nehmen hatte, wandte sich rasch zu ihrer Schwester und verfolgte das Gespräch:

»Wann und wo hast du den Schrank offen gesehen, Hetty?«

»Hier – und zu wiederholten Malen; Vater öffnet ihn oft, wenn du weg bist, beachtet es aber gar nicht, wenn ich da bin, und Alles, was er thut, sehe, und Alles höre, was er sagt.«

»Und was thut er, und was sagt er?«

»Das kann ich dir nicht sagen, Judith,« »ersetzte die Andere mit leiser aber entschlossener Stimme, »Vaters Geheimnisse sind nicht meine Geheimnisse.«

»Geheimnisse! das ist noch seltsamer, Wildtödter, daß Vater sie Hetty sagen sollte, und mir nicht!«

»Dazu hat er guten Grund, Judith, obgleich du diesen nicht erfahren sollst. Vater ist nicht hier, um selbst zu antworten, und ich werde nicht Mehr davon sagen.«

Judith und Wildtödter waren überrascht, und etwa eine Minute lang schien die Erstere gekränkt und traurig. Plötzlich jedoch sich wieder fassend, wandte sie sich von ihrer Schwester weg, als fühlte sie Mitleid mit ihrer Schwäche, und sagte, zu dem jungen Mann sich wendend:

»Ihr habt mir Eure Geschichte erst halb erzählt, und da abgebrochen, wo Ihr in dem Canoe zu schlafen anfingt – oder vielmehr, wo Ihr aufstandet, um auf das Schreien des Wasservogels zu lauschen. Auch wir haben das Geschrei der Wasserhühner gehört, und gedacht, es möge wohl einen Sturm bedeuten, obgleich wir auf diesem See und zu dieser Jahrszeit wenig Gewitter zu haben pflegen.«

»Die Winde blasen und die Stürme heulen, wie es Gott gefällt, bald zu dieser, bald zu jener Jahrszeit,« versetzte Wildtödter, »und die Wasservögel lassen sich hören nach ihrer Natur. Besser wäre es, wenn die Menschen ebenso ehrlich und offen wären. Nachdem ich aufgestanden, um den Vögeln zu lauschen, und merkte, daß es nicht Hurry’s Signal seyn könne, legte ich mich nieder und schlief. Als der Tag anbrach, war ich auf und munter, wie gewöhnlich, und dann eilte ich den beiden Canoe’s nach, damit nicht die Mingo’s sich ihrer bemächtigten.«

»Ihr habt uns nicht Alles erzählt, Wildtödter,« sagte Judith ernst. »Wir haben Büchsen knallen gehört unter dem östlichen Berge; die Echo’s waren voll und lang, und folgten so bald auf den Knall, daß die Gewehre auf der Küste, oder ganz nahe dabei müssen abgefeuert worden seyn. Unser Ohr ist an diese Zeichen gewohnt und läßt sich nicht täuschen.«

»Es hat seine Pflicht gethan, Mädchen, dießmal; ja, es hat seine Pflicht gethan. – Es sind diesen Morgen Büchsen angelegt worden, ja, und auch abgedrückt, obwohl nicht so oft, als hätte geschehen können. Ein Krieger ist nach seinen glücklichen Jagdrevieren gegangen, und das ist das Ganze. Von einem Mann von weißem Blut und weißen Gaben ist nicht zu erwarten, daß er sich seiner Thaten rühme und mit Skalpen prange.«

Judith hörte beinahe athemlos zu; und als Wildtödter in seiner ruhigen, bescheidenen Weise geneigt schien, den Gegenstand zu verlassen, stand sie auf, schritt durch das Gemach, und setzte sich neben ihn. Das Benehmen des Mädchens hatte nichts Zudringliches und Keckes, obwohl es den lebhaften Instinkt weiblicher Neigung und das sympathisirende Wohlwollen weiblichen Interesses verrieth. Sie ergriff sogar die harte Hand des Jägers und drückte sie mit ihren beiden Händen, vielleicht halb unbewußt, während sie ihm ernst und sogar vorwurfsvoll in sein sonnverbranntes Antlitz schaute.

»Ihr habt mit den Wilden gekämpft, Wildtödter, einzeln, ganz allein!« sagte sie. »Vom Wunsch beseelt, uns zu beschützen – Hetty – mich vielleicht, habt Ihr tapfer mit dem Feind gekämpft, ohne daß ein Auge nahe war, Euch zu Thaten zu ermuthigen, oder Euern Fall mitanzusehen, hätte es der Vorsehung gefallen, ein so großes Unglück zuzugeben!«

»Ich habe gekämpft, Judith; ja, ich habe mit dem Feind gekämpft, und das zum erstenmal in meinem Leben. Diese Sachen müssen seyn, und sie geben Einem ein gemischtes Gefühl von Kummer und Triumph. Menschliche Natur ist eine kampfsüchtige Natur, glaub‘ ich, da alle Nationen in der Schlacht tödten, und wir müssen unsern Rechten und Gaben treu bleiben. Was bis jetzt geschehen, ist nicht Viel; aber sollte Chingachgook diesen Abend bei dem Felsen eintreffen, wie zwischen uns verabredet ist, und ich ihn, ohne daß die Wilden es merken, dort wegholen können, oder, wenn sie es auch merken, ihren Wünschen und Absichten zum Trotz: dann dürfen wir Alle wohl einer Art von Krieg entgegen sehen, ehe die Mingo’s sich des Castells, der Arche, oder Eurer bemächtigen sollen.«

»Wer ist dieser Chingachgook? woher kommt er? und warum kommt er hieher

»Diese Fragen sind natürlich und recht, denke ich, obgleich der Jüngling in seiner Gegend schon einen großen Namen hat, Chingachgook ist dem Blute nach ein Mohikan, nach alter Gewohnheit zu den Delawaren sich haltend, wie dieß bei den Meisten seines Stammes der Fall ist; denn dieser ist längst durch das Ueberhandnehmen unsrer Farbe gebrochen und zertrümmert worden. Er ist von der Familie der großen Häuptlinge: Uncas, sein Vater, ist der angesehenste Krieger und Rathgeber seines Volkes gewesen. Selbst der alte Tamenund ehrt Chingachgook, obgleich man ihn noch für zu jung hält, im Kriege anzuführen; und dann ist der Stamm so zerstreut und geschwächt, daß die Häuptlingschaft unter ihnen wenig Mehr, als ein bloßer Name ist. Nun, nachdem dieser Krieg ernstlich begonnen, verabredeten wir, ich und der Delaware, uns diesen Abend zur Stunde des Sonnenuntergangs an dem Bestellungs-Felsen, am Ende eben dieses See’s zu treffen, in der Absicht, unsern ersten Kriegszug gegen die Mingo’s zu unternehmen. Warum wir gerade diesen Weg eingeschlagen, ist unser Geheimniß; aber nachdenkliche junge Männer auf dem Kriegspfad thun, wie Ihr Euch wohl denken könnt, Nichts ohne Berechnung und Absicht.«

»Ein Delaware kann keine feindselige Absichten gegen uns haben,« sagte Judith nach augenblicklichem Bedenken; »und Euch kennen wir als einen Freund.«

»Verrath ist das letzte Verbrechen, hoffe ich, dessen man mich wird anklagen können,« versetzte Wildtödter, gekränkt durch den Schatten von Mißtrauen, der durch Judiths Seele geflogen war; »und am wenigsten Verrath gegen meine eigne Farbe!«

»Niemand hat Argwohn gegen Euch, Wildtödter,« rief das Mädchen mit Heftigkeit. »Nein – nein – Euer ehrliches Gesicht würde hinlängliche Bürgschaft für die Wahrheit von tausend Herzen seyn! Wenn alle Männer so redliche Jungen hätten, und nicht versprächen, was sie doch nicht zu erfüllen gemeint sind, würde weniger Unrecht in der Welt geschehen, und schöne Federn und Scharlachröcke würden nicht als Entschuldigungen für Niederträchtigkeit und Betrug gelten.«

Das Mädchen sprach mit heftigem, sogar krampfhaftem Gefühl, und ihre schönen Augen, gewöhnlich so sanft und anlockend, sprühten Feuer, als sie schloß. Wildtödter konnte nicht anders als diese außerordentliche Gemüthsbewegung bemerken; aber mit dem Takt eines Hofmanns vermied er nicht blos jede Anspielung darauf, sondern es gelang ihm auch, in seinem Benehmen den Eindruck, den jene Wahrnehmung auf ihn machte, zu verhehlen. Allmälig wurde Judith wieder ruhig; und da sie sich unverkennbar Mühe gab, sich dem Auge des jungen Mannes vortheilhaft darzustellen, war sie bald im Stande, das Gespräch mit solcher Fassung wieder aufzunehmen, als wenn nichts Störendes dazwischen gekommen wäre.

»Ich habe kein Recht, in Eure Geheimnisse, oder in die Eures Freundes einzudringen, Wildtödter,« fuhr sie fort, »und bin bereit, Alles was Ihr sagt, aufs Wort anzunehmen. Wenn es uns wirklich gelingt, in diesem gefährlichen Augenblicke noch einen Mann zum Genossen zu gewinnen, so wird uns das Viel nützen; und ich bin nicht ohne Hoffnung, daß die Wilden, wenn sie uns im Stande sehen, den See zu behaupten, uns die Rückgabe der Gefangenen anbieten werden gegen Häute, oder wenigstens gegen das Fäßchen Pulver, das wir im Hause haben.«

Der junge Mann hatte die Worte: ›Skalpe‹ und ›Preisgeld‹ auf der Zunge; aber ein Gefühl, das sich sträubte, die Töchter in größere Unruhe zu versetzen, hielt ihn zurück, die beabsichtigte Hindeutung auf das wahrscheinliche Schicksal ihres Vaters auszusprechen. Dennoch, so wenig war er erfahren in den Künsten der Täuschung, ward seine ausdrucksvolle Miene auch ohne Worte von der scharfblickenden Judith errathen, deren Verstand durch die Gewöhnungen und Gefahren ihrer Lebensweise noch geübt und geschärft worden war.

»Ich verstehe, was Ihr meint,« fuhr sie hastig fort, »und was Ihr ausgesprochen hättet ohne die Besorgniß, mir – ich will sagen uns – wehe zu thun; denn Hetty liebt ihren Vater ebenso sehr als ich. Aber so denken wir nicht von den Indianern. Sie skalpiren nie einen unverletzten Gefangnen, sondern schleppen ihn lieber lebendig mit sich fort, wenn nicht freilich etwa das heftige Verlangen ihn zu martern sie übermannt. Ich fürchte Nichts für meines Vaters Skalp und wenig für sein Leben. Könnten sie in der Nacht uns überfallen, so würde uns wahrscheinlich Alle dieß grausame Schicksal treffen; aber in offnem Kampf gefangnen Männern geschieht selten ein Leid; wenigstens nicht eher als bis die Zeit des Marterns kommt.«

»Das ist Ueberlieferung, ich geb‘ es zu, und ist Brauch – aber, Judith, kennt Ihr das Vorhaben, mit welchem Euer Vater und Hutter gegen die Wilden auszogen?«

»Ja; und ein grausames Vorhaben war es! Aber was wollt Ihr? Menschen bleiben Menschen; und Manche selbst, die in Gold und Silber einherstolziren, und des Königs Bestallung in der Tasche haben, sind nicht frei von der gleichen Grausamkeit.« Judiths Augen flammten wieder, aber mit gewaltsamer Anstrengung behauptete sie ihre Fassung. »Ich werde warm, wenn ich an all das Unrecht denke, das Menschen thun,« fuhr sie fort, und bemühte sich zu lächeln, ein Versuch, der nur mittelmäßig gelang. »Alles das ist einfältiges Zeug. Was geschehen ist, ist geschehen, und kann durch Klagen nicht gebessert werden. Aber die Indianer denken so wenig an’s Blutvergießen, und schätzen Männer so sehr wegen der Kühnheit ihrer Unternehmungen, daß, wüßten sie das Vorhaben, auf welches ihre Gefangenen ausgingen, sie sie eher deßhalb ehren, als ihnen ein Leid thun würden.«

»Eine Zeit lang, Judith; ja ich gebe das zu, eine Zeit lang. Aber wenn dieß Gefühl verschwindet, dann stellt sich die Rachsucht ein. Wir müssen versuchen, Chingachgook und ich, wir müssen versuchen und sehen, was wir thun können, Hurry und Euren Vater frei zu machen; denn die Mingo’s werden ohne Zweifel einige Tage um diesen See herumlungern, um so Viel als möglich zu erreichen.«

»Ihr glaubt, man kann sich auf diesen Delaware»verlassen, Wildtödter?« fragte das Mädchen nachdenklich.

»So sicher wie auf mich selbst. Ihr sagt, Ihr mißtraut mir nicht, Judith?«

»Euch!« rief sie, ergriff wieder seine Hand und drückte sie zwischen ihren Händen mit einer Wärme, welche die Eitelkeit eines minder unbefangnen, einfachen, von seinen eignen guten Eigenschaften mehr eingenommenen Mannes hätte entzünden müssen; »ebenso gut könnte ich einem Bruder mißtrauen! Ich kenne Euch nur seit einem Tag, Wildtödter, aber dieser hat in mir das Vertrauen einer jahrelangen Bekanntschaft erzeugt. Euer Name jedoch ist nur nicht unbekannt; denn die tapfern und galanten Herren von den Garnisonen sprechen häufig von der Anleitung, die Ihr ihnen im Jagen gegeben, und Alle rühmen Eure Redlichkeit.«

»Sprechen sie denn auch vom Schießen, Mädchen?« fragte der Andere lebhaft, nachdem er still, aber doch von Herzen gelacht, »sprechen sie denn auch vom Schießen? Ich will nichts von dem meinigen hören, denn wenn dieses nicht bis jetzt in all diesen Gegenden anerkannt ist, so nützt es wenig, ein geschickter und sichrer Schütze zu seyn; aber was sagen denn die Officiere von ihrem – ja was sagen sie von ihrem eignen Schießen? Waffen, wie sie es nennen, sind ihr Gewerbe, und doch gibt es Leute unter ihnen, die sich wenig auf ihren Gebrauch verstehen!«

»Das, hoffe ich, wird nicht der Fall seyn bei Eurem Freund Chingachgook, wie Ihr ihn nennt – was ist die englische Bedeutung dieses indianischen Namens?«

»Große Schlange – so genannt wegen seiner Klugheit und List. Uncas ist sein wirklicher Name – seine ganze Familie heißt Uncas, bis sich Jeder durch seine Thaten einen Titel gewinnt.« »Wenn er so viel Klugheit besitzt, können wir einen nützlichen Freund an ihm erwarten, falls nicht sein eignes Geschäft in dieser Gegend ihn hindert, uns zu dienen.«

»Ich sehe nicht, was es viel schaden könnte, wenn ich Euch sein Vorhaben sage, und da Ihr vielleicht Mittel findet, uns behülfich zu seyn, will ich Euch und Hetty in die ganze Sache einweihen, im Vertrauen, daß Ihr das Geheimniß wie Euer eignes bewahren werdet. Ihr müßt wissen, daß Chingachgook ein hübscher Indianer ist, sehr gerne gesehen und bewundert von den jungen Weibern seines Stammes, sowohl wegen seiner Familie, als wegen seiner selbst. Nun ist ein Häuptling, der eine Tochter hat, Wah-ta!-Wah genannt, was in unsrer Sprache Hist-oh!-Hist bedeutet, das rarste Mädchen unter den Delawaren, die von allen jungen Kriegern des Stammes am meisten zum Weib gewünscht und begehrt wird. Nun, unter den Andern fand auch Chingachgook Geschmack an Wah-ta!-Wah, und Wa-ta!-Wah fand Geschmack an ihm.« Hier hielt Wildtödter einen Augenblick inne; denn als er so weit in seiner Erzählung gekommen, stand Hetty Hutter auf, näherte sich ihm, und stellte sich aufmerksam an sein Knie hin, wie ein Kind näher rückt, um auf die Mährchen seiner Mutter zu horchen. »Ja, er fand Gefallen an ihr, und sie an ihm,« begann Hirschtödter wieder, nachdem er einen freundlichen beifälligen Blick auf das unschuldige, hörbegierige Mädchen geworfen, »und wenn das einmal so ist, und alle Aeltern sind einverstanden, so ist es nicht oft der Fall, daß das junge Paar so verborgen bleibt. Chingachgook konnte nicht wohl eine solche Beute davontragen, ohne sich Feinde zu machen unter denen, die sie ebenso begehrten wie er. Ein gewisser Briarthorn, wie wir ihn englisch nennen, oder Yokommen, wie er im Indianischen heißt, nahm es sich am meisten zu Herzen, und wir haben ihn im Verdacht, daß er bei Allem was nun folgte, eine Hand im Spiel hatte. Wa-ta!-Wah ging vor zwei Monaten mit Vater und Mutter nach den westlichen Flüßen, um Salmen zu fischen, denn dort gibt es nach der Ansicht aller Leute in unsern Gegenden die meisten Fische, und während dieser Beschäftigung verschwand das Mädchen. Einige Wochen konnten wir keine Nachricht von ihr erhalten; aber vor zehn Tagen brachte uns ein Eilbote, der durch das Delawarenland kam, eine Botschaft, woraus wir erfuhren, daß Wah-ta!-Wah den Ihrigen war gestohlen worden – wir glauben, wissen es aber nicht – durch Briarthorns Ränke – und daß sie sich nunmehr bei dem Feinde befand, der sie adoptirt hatte, und verlangte, sie sollte einen jungen Mingo heirathen. Die Botschaft besagte, die Truppe beabsichtige in dieser Gegend zu jagen und Vorräthe zu sammeln, einen Monat lang oder zwei, ehe sie nach Canada zurückkehre; und wenn wir sie in dieser Gegend aufzuspüren vermöchten, könnte sich wohl etwas ereignen, was uns zur Befreiung des Mädchens verhelfen könnte.«

»Und wie betrifft das Euch, Wildtödter?« fragte Judith etwas lebhaft.

»Es betrifft mich, wie Alles was einen Freund berührt den Freund betrifft. Ich bin hier als Chingachgook’s Beistand und Helfer, und wenn wir das junge Mädchen, das er liebt, wieder zurück bekommen, wird es mir beinahe so viel Freude machen, als hätte ich mein eignes Liebchen befreit.«

»Und wo ist denn Euer Liebchen, Wildtödter?«

»Sie ist im Walde, Judith – hängt an den Zweigen der Bäume in einem sanften Regen – im Thau auf dem offnen Gras – den Wolken, die am blauen Himmel schweben – den Vögeln, die in den Wäldern singen – den süßen Quellen, wo ich meinen Durst lösche – und in all den andern prächtigen Gaben, die von Gottes Vorsehung kommen!«

»Ihr wollt sagen, daß Ihr bis jetzt noch keine von meinem Geschlecht geliebt, sondern am meisten Euer Herumstreifen und Eure Lebensweise liebt?«

»Das ist’s – genau das ist’s. Ich bin weiß – habe ein weißes Herz, und kann billiger Weise nicht ein rothhäutiges Mädchen lieben, die einer Rothhaut Herz und Gefühle haben muß. Nein, nein, ich bin vernünftig genug in diesen Punkten, und hoffe es zu bleiben, wenigstens bis dieser Krieg vorüber ist. Ich sehe meine Zeit zu sehr in Anspruch genommen durch Chingachgook’s Angelegenheit, als daß ich wünschen sollte, ehe diese in’s Reine gebracht ist, selbst eine eigne auf dem Halse zu haben.«

»Das Mädchen, das Euch am Ende gewinnt, Wildtödter, gewinnt wenigstens ein redliches Herz, – eines ohne Verrath und Tücke; und das wird ein Sieg seyn, den die Meisten ihres Geschlechts beneiden müssen.«

Wie Judith dieß sagte, schwebte ein schmerzlicher Unmuth über ihr schönes Antlitz; während ein bittres Lächeln um einen Mund spielte, der durch keine Veränderung und Zuckung der Muskeln unschön werden konnte. Ihr Gesellschafter bemerkte diese Veränderung, und obgleich wenig vertraut mit den Regungen des weiblichen Herzens, besaß er doch natürliches Zartgefühl genug, um zu verstehen, daß es gerathen seyn möchte, diesen Gegenstand fallen zu lassen.

Da die Stunde, wo Chingachgook erwartet wurde, noch nicht so nahe war, hatte Wildtödter Zeit genug, den Stand der Vertheidigungsmittel genau zu besichtigen, und solche weitere Einrichtungen zu treffen, wie sie ihm möglich waren und durch das Bedürfniß des Augenblicks geboten schienen. Die Erfahrung und Vorsicht Hutter’s hatte in diesen Punkten Wenig zu thun übrig gelassen: doch drängten sich noch einige Vorkehrungen dem Geist des jungen Mannes auf, von dem man sagen konnte, er habe die Kunst des Grenzerkriegs mittelst der Ueberlieferungen und Sagen des Volkes studirt, unter dem er so lange gelebt hatte. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem nächsten Punkt der Küste beseitigte jede Besorgniß, es möchten etwa Büchsenkugeln vom Land herüberfliegen. Das Haus war zwar in gewissem Sinn im Bereich von Musketenschüssen, aber vom Zielen konnte ganz keine Rede seyn, und selbst Judith erklärte, daß sie von dieser Seite durchaus keiner Gefahr sich versehe. So lang also die Gesellschaft im Besitz des Forts blieb, war sie sicher, falls nicht anders die Angreifer Mittel fanden, heranzukommen, mit Feuer oder mit Sturm es wegzunehmen, oder durch irgend eine Erfindung indianischer Schlauheit und Verrätherei. Gegen die erste Art der Gefahr hatte Hutter reichliche Vorsorge getroffen, und das Gebäude selbst, das Rindendach ausgenommen, war nicht sehr leicht in Flammen zu setzen; der Boden war an mehreren Orten durchlöchert, und mit Stricken versehene Eimer waren in täglichem Gebrauch und für jeden solchen Fall bereit. Eins der Mädchen konnte leicht jedes Feuer löschen, das etwa ausbrach, vorausgesetzt, daß es nicht lange Zeit hatte, sich auszubreiten. Judith, welche alle Vertheidigungspläne ihres Vaters zu verstehen schien, und Geist und Muth genug hatte, an ihrer Ausführung einen nicht geringen Antheil zu nehmen, erklärte alle diese Einzelnheiten dem jungen Manne, dem so bei seinen Besichtigungen viel Zeit und Mühe erspart blieb. Den Tag über war Wenig zu befürchten. Nachdem sie im Besitz der Arche und der Canoe’s waren, fand sich kein weiteres Fahrzeug auf dem See. Dennoch wußte Wildtödter wohl, daß ein Floß bald gemacht war, und da sich gefallene Bäume im Ueberfluß in der Nähe des Wassers fanden, war es, wenn die Wilden ernstlich daran dachten, der Gefahr eines Angriffs zu trotzen, keine sehr schwierige Sache, die erforderlichen Mittel aufzutreiben. Die berühmte amerikanische Axt, ein Werkzeug, dem in seiner Art Nichts gleich kommt, war damals noch nicht in großem Umfange bekannt, und die Wilden waren keineswegs sehr erfahren in Handhabung des dessen Stelle vertretenden Werkzeugs; doch hatten sie Uebung genug darin, über Ströme in dieser Art zu setzen, daß man sicher seyn konnte, sie würden einen Floß bauen, falls sie es gerathen fänden, sich den Gefahren eines Angriffs bloßzustellen. Der Tod ihres Kriegers konnte ein hinreichender Sporn, jedoch auch eine Warnung seyn; Wildtödter aber hielt es für mehr als nur möglich, daß die nächste Nacht die Dinge, und zwar eben in solcher Weise, zur Entscheidung bringen würde. Diese Ahnung ließ ihn die Anwesenheit und den Beistand seines Mohikanischen Freundes sehnlichst wünschen, und war der Grund, daß er der Stunde des Sonnenuntergangs mit steigendem Verlangen entgegensah.

Als der Tag vorrückte, brachte die Gesellschaft im Castell ihre Plane zur Reife, und traf ihre Vorkehrungen. Judith war sehr thätig, und schien Freude daran zu finden, ihrem neuen Bekannten mit Rath und Auskunft an die Hand zu gehen; denn seine Gleichgültigkeit gegen Gefahr, seine männliche Hingebung für sie und ihre Schwester, sein redliches Wesen und seine innige Treuherzigkeit hatten schnell ihre Einbildungskraft und ihr Gemüth gewonnen. Obgleich die Stunden in gewisser Hinsicht Wildtödtern lang vorkamen, fand sie doch Judith nicht so, und als die Sonne sich gegen die tannenbekleideten Spitzen der westlichen Berge zu senken begann, äußerte sie unverhohlen die Ueberraschung, die sie empfand, den Tag so bald zu Ende gehen zu sehen. Hetty dagegen war trübnachdenklich und schweigsam. Sie war nie sehr redselig, oder wenn sie gelegentlich mittheilsam wurde, so war dieß nur die Folge einer vorübergehenden Aufregung, welche ihr argloses Gemüth in Spannung und Bewegung setzte; aber an diesem hochwichtigen Tage schien sie ganze Stunden lang den Gebrauch der Zunge gänzlich verloren zu haben. Besorgniß wegen ihres Vaters drückte sich im Wesen der beiden Töchter nicht auffallend aus. Keine schien ernstlich ein größeres Unheil zu befürchten, als Gefangenschaft, und ein oder zweimal ließ Hetty, wenn sie sprach, die Erwartung durchblicken, Hutter werde Mittel finden, sich selbst in Freiheit zu setzen. Obgleich Judith in diesem Punkt weniger sanguinisch war, äußerte doch auch sie die Hoffnung, es würden Vorschläge wegen eines Lösegeldes kommen, wenn die Indianer entdeckten, daß das Castell ihren Listen und Anschlägen trotze. Wildtödter jedoch behandelte diese flüchtigen Vermuthungen als die unverdauten Einbildungen und Träume von Mädchen, und traf seine Anordnungen so besonnen und brütete so ernst über der Zukunft, als wären sie nie über ihre Lippen gekommen.

Endlich kam die Stunde, wo es nothwendig wurde, sich an den mit dem Mohikan verabredeten Ort zu begeben, – oder mit dem Delawaren, wie Chingachgook häufiger genannt wurde. Da der Plan von Wildtödter reiflich entworfen und seinen Gesellschafterinnen umständlich mitgetheilt worden war, machten sich alle drei mit Einsicht und Uebereinstimmung an dessen Ausführung. Hetty trat in die Arche, band zwei von den Canoe’s zusammen, trat in eins, und ruderte bis zu einer Art von Durchfahrt in den Palisaden, welche das Gebäude umgaben, durch welche sie beide führte; dann legte sie sie unter dem Hause an Ketten, welche innen im Gebäude befestigt waren. Diese Palisaden waren fest in den Schlamm getriebene Baumstämme, und dienten dem gedoppelten Endzweck theils einer kleinen Einfriedigung, die eben zu diesem Behufe benutzt wurde, theils dem Zwecke, Feinde, die sich etwa in Booten näherten, in einer kleinen Entfernung sich vom Leibe zu halten. Canoe’s in solchen Dock’s waren gewissermaßen dem Anblick entzogen, und da die Durchfahrt gehörig verrammelt und befestigt war, wäre es eine nicht leichte Aufgabe gewesen, sie wegzubringen, wenn man sie auch gesehen hätte. Ehe jedoch die Durchfahrt geschlossen wurde, fuhr auch Judith mit dem dritten Boot in die Einfriedigung, wärend Wildtödter innen über ihren Häuptern geschäftig war, die Thüre und die Fenster innen zu verriegeln. Da Alles massiv und stark war, und kleine Bäume als Riegel gebraucht wurden, hätte es, nachdem Wildtödter fertig war, eine oder zwei Stunden erfordert, in das Haus zu brechen, wenn sich auch die Angreifer aller Werkzeuge außer der Art bedient, und ihnen Niemand Widerstand geleistet hätte. Diese Sorgfalt für Sicherstellung rührte daher, daß Hutter ein oder zweimal von den gesetzlosen Weißen der Grenze während seiner häufigen Abwesenheiten von Haus war beraubt worden.

Sobald innen Alles fest war im Hause, zeigte sich Wildtödter an einer Fallthüre, von wo er in das Canoe Judiths hinabstieg. Hierauf verschloß er die Thüre mit einer massiven Krampe und einem derben Vorhängeschloß. Dann ward Hetty in das Canoe aufgenommen, das vor die Palisaden hinausgeschoben wurde. Die nächste Vorsichtsmaßregel war, das Thor zu schließen, und die Schlüssel wurden in die Arche gebracht. Jetzt waren die drei von dem Hause ausgeschlossen, in das man nur mit Gewalt eindringen konnte, oder auf die Weise, die der junge Mann gewählt, als er es verließ.

Das Glas hatte man gleich zuerst mit herausgenommen, und Wildtödter besichtigte zunächst aufs sorgfältigste die ganze Küste des See’s, soweit seine Stellung es gestattete. Kein lebendiges Wesen war sichtbar, einige wenige Vögel ausgenommen, und auch diese flatterten in den Schatten der Bäume herum, als scheuten sie sich, der Hitze eines schwülen Nachmittags sich auszusetzen. Alle die nächsten Landvorsprunge insbesondere wurden einer scharfen Beobachtung unterworfen, um sich zu versichern, daß kein Floß angefertigt werde; das Ergebniß war überall dasselbe Bild ruhiger Einsamkeit. Wenige Worte werden die größte Verlegenheit in der Lage unserer Gesellschaft erklären. Selbst der Beobachtung jedes lauernden Auges ausgesetzt, sahen sie sich die Bewegungen ihrer Feinde durch den Schleier und Vorhang eines dichten Waldes entzogen. Während die Einbildungskraft sehr geneigt seyn mußte, den letztern mit mehr Kriegern zu bevölkern, als er in der That enthielt, mußte ihre Schwäche Allen, die etwa einen Blick in dieser Richtung auf den See warfen, zu sichtbar seyn. »Es rührt sich doch Nichts!« rief Wildtödter, als er endlich das Fernglas senkte, und sich anschickte in die Arche zu treten; »wenn die Vagabunden auf Unheil sinnen in ihren Gemüthern, so sind sie zu listig, es merken zu lassen; zwar mag ein Floß in den Wäldern zugerüstet werden, aber es ist noch nicht zum See herunter gebracht. Sie können nicht errathen, daß wir im Begriff stehen, das Castell zu verlassen, und wenn auch, so wissen sie doch nimmermehr, wohin wir wollen.«

»Das ist so wahr, Wildtödter,« erwiederte Judith, »daß jetzt, nachdem Alles bereit ist, wir uns sofort keck und ohne Furcht verfolgt zu werden, ans Werk machen dürfen – sonst versäumen wir unsre Zeit!«

»Nein, nein – die Sache will vorsichtig behandelt seyn – denn obgleich die Wilden im Dunkel sind, was Chingachgook und den Felsen betrifft, so haben sie doch ihre Augen und Beine, und sehen, in welcher Richtung wir steuern, und werden uns gewiß folgen. Ich will sie jedoch irre zu führen suchen, indem ich das Vordertheil der Fähre nach allen Richtungen hin wende, bald dahin bald dorthin, bis sie müde Füße bekommen, und es satt haben, uns nachzutraben.«

So weit es in seiner Macht stand, hielt Wildtödter getreulich Wort. In weniger als fünf Minuten nach jener Rede war die ganze Gesellschaft in der Arche und in Bewegung. Es wehte ein gelindes Lüftchen von Norden; und keck das Segel aufziehend, brachte der junge Mann die Spitze des ungefügen Fahrzeuges in eine solche Richtung, daß, mit einer reichlichen aber nothwendigen Einrechnung des Abfalls, es ein paar Meilen weiter unten am See, auf dessen östlicher Seite, an die Küste gelangen mußte. Das Segeln der Arche war nie sehr schnell, obgleich es bei ihrem geringen Tiefgang nicht schwer war, sie in Bewegung zu setzen, oder mit ihr drei oder vier Meilen in der Stunde zu machen. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem Fels betrug wenig Mehr als zwei Stunden. Bekannt mit der Pünktlichkeit der Indianer, hatte Wildtödter seine Berechnungen genau gemacht, und sich etwas mehr Zeit, als nothwendig war, um den Ort der Verabredung zu erreichen, gegeben, in der Absicht, seine Ankunft zu verzögern oder zu beschleunigen, wie es erforderlich wäre. Als er das Segel aufzog, stand die Sonne über den westlichen Bergen in einer Höhe, die noch etwas mehr als zwei Stunden Tag versprach, und wenige Minuten überzeugten ihn, daß die Bewegung der Fähre seinen Berechnungen und Erwartungen entspreche.

Es war ein prachtvoller Juniusabend, und nie glich der einsame Wasserspiegel weniger einem Schauplatz von Kampf und Blutvergießen. Der leise Wind drang kaum herab bis zu dem Bette des See’s, und schwebte nur darüber hin, als scheute er sich, seine tiefe Ruhe zu stören, oder seine spiegelglatte Fläche zu kräuseln. Selbst die Wälder erschienen wie schlummernd in der Sonne, und einige Lagen flockigter Wolken hatten Stunden lang am nördlichen Horizont sich gelagert, wie haftend in der Atmospäre, hier nur zur Verschönerung der Scene angebracht. Einige Wasserhühner streiften gelegentlich über das Wasser, und ein einziger Rabe war sichtbar, hoch über den Bäumen sich flügelnd, ein wachsames Auge auf den Wald unter ihm heftend, um jedes lebende Wesen zu entdecken, das ihm die geheimnißvollen Wälder als Beute darböten.

Der Leser hat wohl schon bemerkt, daß bei all der auffallenden Freimüthigkeit und Ungebundenheit des Benehmens, das Judith bei ihrem Grenzleben sich angeeignet, doch ihre Sprache edler war, als deren ihre männlichen Gesellschafter sich bedienten, ihren Vater mit eingeschlossen. Dieser Unterschied erstreckte sich ebenso auf die Aussprache, wie auf die Wahl der Worte und die Sätze. Nichts vielleicht verräth so bald die Erziehung und den Umgang, als die Art zu sprechen; und wenige Vorzüge erhöhen so den Reiz weiblicher Schönheit, wie eine anmuthige und fließende Sprache, während Nichts so bald jene Entzauberung bewirkt, welche die notwendige Folge einer Nichtzusammenstimmung von Erscheinung und Benehmen ist, als eine gemeine Betonung der Stimme oder der Gebrauch unedler Worte. Judith und ihre Schwester waren auffallende Ausnahmen unter allen Mädchen ihrer Classe, die ganze Grenze entlang; die Officiere der nächsten Garnison hatten der Erstern oft geschmeichelt mit der Versicherung, daß wenige Damen in den Städten sich besser als sie auf diesen wichtigen Punkt verständen. Dieß war zwar weit nicht buchstäblich wahr, aber doch so weit, daß das Compliment ihr füglicherweise konnte gemacht werden. Die Mädchen verdankten diesen Vorzug ihrer Mutter, denn sie hatten in der Kindheit schon von ihr diese vortheilhafte Eigenschaft angenommen, die kein späteres Studium und Arbeit ohne eine Schattenseite zu geben vermag, wenn man nicht in der frühern Lebensperiode darauf geachtet hat. Wer diese Mutter war, oder vielmehr gewesen war, wußte Niemand als Hutter. Sie war jetzt zwei Sommer todt, und wie Hurry erzählte, war sie im See versenkt worden; ob aus einem gewissen Vorurtheil, oder aus Widerwillen gegen die Mühe, ihr ein Grab zu graben, war oft Gegenstand der Erörterung unter den rohen Wesen jener Gegend gewesen. Judith hatte die Stelle nie besucht, Hetty aber war bei der Bestattung zugegen gewesen, und sie ruderte oft um Sonnenuntergang oder beim Mondschein ein Canoe an die Stelle, und starrte hinab in das durchsichtige Wasser, in der Hoffnung, doch einmal mit Einem flüchtigen Blick die Gestalt erschauen zu können, die sie von Kindheit an bis zu der traurigen Stunde des Scheidens so zärtlich geliebt hatte.

»Müssen wir den Felsen genau in dem Augenblick erreichen, wo die Sonne untergeht?« fragte Judith den jungen Mann, wie sie neben einander standen, Wildtödter das Steuerruder haltend, und sie mit der Nadel an einem feinen Kleidungsstück arbeitend, das weit über ihrer Stellung im Leben und eine völlige Neuheit in den Wäldern war. »Werden einige Minuten früher oder später die Sache vereiteln? es wird sehr gefährlich seyn, lang der Küste so nahe zu bleiben, wie der Fels ist.«

»Ja wohl, Judith; das ist eben die Schwierigkeit. Der Fels ist nur einen Flintenschuß vom Ufer entfernt, und es geht nicht an, zu lang und zu nahe da herum zu fahren. Wenn man mit einem Indianer zu thun hat, muß man rechnen und vorsichtig seyn, denn eine rothe Natur liebt sehr List und Tücke. Jetzt seht Ihr, Judith, daß ich gar nicht auf den Fels zu steure, sondern hier östlich davon, und jetzt werden die Wilden in dieser Richtung traben, und sich müde Füße machen, und Alles für Nichts.«

»Ihr glaubt also, sie sehen uns, und beobachten unsre Bewegungen, Wildtödter? Ich hoffte, sie würden in die Wälder zurückgegangen seyn, und uns einige Stunden ungestört lassen.«

»Das ist ganz die Einbildung eines Weibes. Es gibt keinen Nachlaß in der Wachsamkeit eines Indianers, wenn er auf dem Kriegspfad ist; und Augen sind in dieser Minute auf uns geheftet, obwohl der See uns schützt. Wir müssen dem Felsen mit Ueberlegung nahe kommen, und die Elenden auf eine falsche Spur zu bringen suchen. Die Mingo’s haben gute Nasen, höre ich; aber eines weißen Mannes Vernunft sollte es immer ihrem Instinkt gleich thun.«

Judith knüpfte jetzt ein rasch abwechselndes Gespräch mit Wildtödter an, worin das Mädchen ihr steigendes Interesse für den jungen Mann verrieth; ein Interesse, das sie bei seiner ehrlichen Unbefangenheit und bei ihrer Charakterentschiedenheit, unterstützt durch das Selbstgefühl, welches die ihren persönlichen Reizen so allgemein gezollte Schätzung in ihr geweckt hatte, weniger zu verhehlen bestrebt war, als unter andern Umständen wohl der Fall gewesen wäre. Sie war nicht eigentlich aufdringlich und keck in ihrem Benehmen, obgleich in ihren Blicken oft etwas so Freies war, daß es den ganzen Beistand ihrer ausnehmenden Schönheit brauchte, um nicht einen Verdacht gegen ihre Klugheit, wo nicht gegen ihre Sittlichkeit aufkommen zu lassen. Bei Wildtödter jedoch waren solche Blicke einer so ungünstigen Deutung weniger ausgesetzt; denn sie sah ihn selten an, ohne viel von der Aufrichtigkeit und Natur zu zeigen, welche die reinsten Gefühle des Weibes begleiten. Es war etwas auffallend, daß bei der längern Gefangenschaft ihres Vaters keines von den Mädchen eine große Unruhe um ihn an den Tag legte; aber wie schon gesagt, ihre Lebenserfahrungen und Gewohnheiten machten sie zuversichtlich und sie sahen seiner Befreiung mittelst eines Lösegelds mit einer Sicherheit entgegen, die großentheils ihre anscheinende Gleichgültigkeit erklären konnte. Schon früher einmal war Hutter in den Händen der Irokesen gewesen, und wenige Häute hatten leicht seine Befreiung erkauft. Dieser Vorfall jedoch hatte, was die Schwestern nicht wußten, zur Zeit des Friedens zwischen England und Frankreich statt gehabt, wo die Wilden durch die Politik der verschiednen Colonialregierungen im Zaum gehalten wurden, statt, wie jetzt, zu ihren Verbrechen und Grausamkeiten ermuthigt zu werden.

Während Judith in ihrer Weise redselig und zutraulich war, blieb Hetty nachdenklich und schweigsam. Einmal zwar trat sie nahe zu Wildtödter hin und befragte ihn etwas genauer über seine Absichten, so wie über die Art, wie er seinen Plan auszuführen gedenke; aber weiter ging ihr Verlangen, sich mit ihm zu unterhalten, nicht. Sobald ihre einfachen Fragen beantwortet waren – und das wurden sie alle aufs befriedigendste und wohlwollendste – entfernte sie sich wieder auf ihren Sitz, und fuhr fort, an einem groben Kleidungsstück zu arbeiten, das sie für ihren Vater fertigte, manchmal leise eine schwermüthige Weise vor sich hin summend, und oft seufzend.

So verstrich die Zeit; und als die Sonne anfing, hinter dem Saum des Fichtenwaldes zu glühen, der den westlichen Berg begrenzte, oder etwa zwanzig Minuten vor ihrem wirklichen Untergang, befand sich die Arche beinahe ganz unten bei dem Landvorsprung, wo Hutter und Hurry waren zu Gefangenen gemacht worden. Wildtödter hatte, indem er zuerst auf die eine Seite des See’s, dann auf die andere zusteuerte, seine eigentliche Absicht zu errathen erschwert; und ohne Zweifel kamen dadurch die Wilden, welche seine Bewegungen zuverlässig beobachteten, auf den Glauben, sein Zweck sey, mit ihnen zu verkehren, an dieser Stelle, oder in der Nähe derselben, und es war zu vermuthen, daß sie nach dieser Richtung hineilten, um bereit zu seyn, sich die Umstände zu Nutze zu machen. Diese List war wohl ausgesonnen, denn die Schwingung der Bai, die Krümmung des See’s und das zwischenliegende tiefe Marschland machten es, wie zu vermuthen war, möglich, daß die Arche den Fels erreichte, ehe die Verfolger, falls sie sich wirklich in der Nähe des Vorsprungs gesammelt hatten, Zeit bekamen, den Bogen, den sie hier beschreiben mußten, zu Land zu machen. Um tiefe Täuschung gelingen zu machen, hielt sich Wildtödter so nahe ans westliche Ufer, als nur immer der Vorsicht gemäß war; dann hieß er Judith und Hetty in das Haus oder die Cajüte gehen, kauerte sich selbst zusammen, so daß seine Person durch den Rand der Fähre versteckt wurde, gab dieser plötzlich die entgegengesetzte Richtung, und steuerte so rasch er konnte, der Ausströmung zu. Begünstigt durch einen verstärkten Wind bewegte sich die Arche dergestalt vorwärts, daß er sich das vollständige Gelingen seines Plans versprechen durfte, obwohl die krebsähnliche Bewegung des Fahrzeugs den Steuermann nöthigte, die Spitze nach einer ganz andern Richtung schauen zu lassen, als diejenige war, in welcher es sich wirklich bewegte.