Neuntes Kapitel.

Wilder war aus dem Felde geschlagen und nahm seinen Rückzug. Der Zufall oder wie er es selbst geneigt war zu nennen, die Speichelleckerei des alten Seefahrers, hatte seiner kleinen Kriegslist entgegengearbeitet, und ihm alle Hoffnung benommen, sich auf irgendeine Weise wieder in Vorteil zu setzen und seinen Plan auszuführen.

Der junge Seemann ging langsam und mürrisch zur Stadt zurück. Mehr als einmal stand er auf dem Abhange still und heftete seine Augen minutenlang auf die verschiedenen Schiffe im Hafen. So oft er haltmachte, fand er Gelegenheit, dem Interesse, das er an jedem fand, neue Nahrung zu geben. Doch schien es, als mache das für Karolina bestimmte Schiff einen längern und tiefern Eindruck auf ihn; nur daß sich sein Blick ab und zu, auch neugierig und sogar ängstlich über die andern Fahrzeuge erstreckte.

Die Stunde, die zur Morgenarbeit rief, hatte geschlagen; alles kam in Bewegung, in jedem Viertel der Stadt rührten sich fleißige Handwerker. Matrosenlieder schallten in die Morgenstille hinein und wechselten mit ihren gewohnten, langgedehnten, eigentümlichen Jodeltönen ab. Das Schiff im innern Hafen war eines der ersten, aus dem sich das Geräusch und die Laute der Tätigkeit hören ließen und dessen nahe Abfahrt ankündigten. Tiefe Bewegungen und Vorkehrungen trafen zugleich Wilders Auge und Ohr, weckten ihn aus seinen tiefen Gedanken und fesselten bald seine ganze Aufmerksamkeit. – Er richtete sie einzig auf das Schiff, sah die Matrosen die Takelage ebenso langsam und gemächlich hinaufklettern, als dies schnell und eilig geschieht, wenn Not oder Sturm vorhanden ist; er sah hier und da eine Menschengestalt auf den schwarzen, schweren Rahen reiten. Dann, nach einigen Minuten, sah er das fest zusammengerollte Vormarssegel sich von den Rahen lösen, in nachlässig lieblichen Festons hängen; dann, wieder nach einigen Minuten, sah er die unteren Ecken des ungeheuern Segels sich den Enden der damit in Verbindung gesetzten Spieren anschließen, und dann endlich die schwere Rahe langsam den Mast hinaufgewunden werden, die flatternden Falten des Segels nach sich ziehend, bis sich dieses, an allen Ecken angezogen, wie eine breite, schneeweiße Zeltfläche ausbreitete. Gleichzeitig spielten die leichten Luftströme mit ihnen, fielen ein, ließen nach; das Segel schien seinerseits mit dem schwachen Morgenwind zu spielen, blähte sich auf, schlug sich zusammen, als wolle es die Ohnmacht des Angriffs zugleich anzeigen und ihm nur leicht begegnen. Jetzt wurde mit den Vorkehrungen innegehalten: die Matrosen schienen die Kühlde gelockt zu haben und nun abzuwarten, inwiefern ihre Einladung von Erfolg sein würde.

Durch einen vielleicht nur zufälligen und natürlichen Übergang schweiften Wilders Augen von dem Schiffe, auf dem die Vorkehrungen der Abfahrt für ihn so interessant waren, zu dem über, das im äußern Hafen lag; vielleicht geschah es aber auch, um zu sehen, ob jede Bewegung dort Eindruck gemacht und irgendeine Wirkung hervorgebracht hätte. Doch die genaueste und strengste Untersuchung würde hier zu keinem Resultat geführt haben, woraus man irgendeine Verbindung zwischen den Interessen beider Schiffe hätte abnehmen können. Während im ersten Schiffe alles in der größten Tätigkeit war, lag im zweiten alles in der tiefsten Ruhe. Der Anker blieb ausgeworfen, das Schiff unbeweglich; und keine Spur gab zu erkennen, daß die schwarze, leblose Masse bewohnt sei. So still und regungslos schien sie, daß jemand, der in diesem Fache ganz unbewandert gewesen wäre, hätte glauben sollen, es sei ein Felsen im Meere oder irgendein ungeheures symmetrisches, von den Fluten herbeigewälztes Naturspiel, oder gar eines von den fabelhaften, phantastischen Seeungetümen, an deren Dasein das Schiffsvolk glaubt, und das der Boden des Ozeans unter Nebel und Stürmen ausgespien, nachdem es jahrhundertelang in seinem Schoß verborgen gelegen. Dem unterrichteten Auge Wilders gab diese schwarze Masse einen ganz andern Aufschluß. Er durchschaute die anscheinend schlafende Gestalt und fand in ihrer Unbeweglichkeit selbst Zeichen des nahen Aufbruchs. Anstatt in langer, gedehnter Linie ins Wasser zu laufen, war das Ankertau kurz, fast senkrecht, und hatte gerade nur so viel Spielraum außer Bord, als erforderlich war, der Flut zu widerstehen, die den Kiel unterhalb in Bewegung setzte. Alle Boote waren ausgesetzt und in Bereitschaft, so daß es Wildern deutlich war, ihre Bestimmung sei, in der schnellstmöglichen Zeit das Schiff zu bugsieren. Kein Segel, keine Rahe war aus der Stelle, wie es sonst immer zu sein pflegt, wenn ein Schiff im sichern Hafen still liegt, weil alsdann das Volk gewöhnlich mit Untersuchen und Ausbessern beschäftigt ist. Auch fehlte kein einziges Tau von den Hunderten, die sich in den obern Teilen des Schiffs kreuzen und der blauen Himmelsdecke zu Vorhängen dienen. Alles war an seinem Platz und schien auf den Augenblick zu warten, wo es selbst in Gang gebracht werden solle. So wenig sich das Schiff zur geringsten Bewegung anzuschicken schien, war es doch in solcher Lage, daß es augenblicklich die Anker lichten, oder sich, wenn es not täte, seiner Angriffs- und Verteidigungsmittel bedienen konnte. Die Finkenetten waren zwar wie tags vorher zwischen den Regelingen ausgespannt: dies ließ sich aber als reine Vorsicht erklären. Es war Krieg; französische Kreuzer konnten in der Nähe sein. Man wußte, daß sie von den westindischen Inseln aus, längs den Küsten des Festlandes, schwärmten. Das Schiff war im äußern Hafen ihrem Angriff ausgesetzt und mußte auf seiner Hut sein. Es glich in seiner Lage und bei seinen Anstalten einem wilden Tiere oder einem giftigen Reptil, in anscheinend tiefem Schlafe, und so das keine Gefahr ahnende Opfer in seine Nähe lockend, damit es sich desto sicherer darauf stürze und ihm den tödlichen Fang oder Stich versetze.

Wilder schüttelte sein Haupt auf eine Weise, die sattsam zu erkennen gab, wie sehr er die verräterische Ruhe durchschaue. Dann setzte er seinen Weg nach der Stadt fort. So ging’s eine Zeit weiter. Er schlenderte, vertiefte sich schon wieder in Gedanken, und würde sich noch mehr vertieft haben, hätte ihn nicht ein Schlag auf die Schulter geweckt. Er kehrte sich um und erblickte hinter sich den alten Seemann, der ihn eingeholt, und den er in jener Gesellschaft verlassen hatte, in die er selbst so gern aufgenommen worden wäre.

»Master,« redete jener ihn an. »Eure jungen Beine hätten Euch, wie mich dünkt, schneller vorwärts bringen sollen; Ihr segeltet ja dort ab, wie ein vorn scharf und voll gebauter Bermuder, und seht, jetzt hab‘ ich Euch mit meinen alten Knochen ein- und ausgeholt und praie Euch an.«

»Es mag Euch eine außerordentliche Freude machen,« erwiderte Wilder mit Hohnlächeln, »die Wellen mit Euerm Hackebord zu durchschneiden. Wer so segelt, kommt vorwärts, er weiß oft selbst nicht wie.«

»Bruder, ich merke, Ihr seid empfindlich, daß ich es gemacht habe wie Ihr; denn, unter uns gesagt, ich bin bloß Euerm Beispiel gefolgt. Wie konntet Ihr Euch einbilden, daß ein alter Seehund wie ich, der solange auf einem Flaggenschiffe gedient hat, in irgendeiner Sache, die das blaue Wasser betrifft, seine Unwissenheit kundgeben oder eingestehen würde? Wie, zum Henker! Konnte ich wissen, ob es unter den tausend Weisen, ein Schiff zu lenken, nicht auch eine gibt, es rückwärts segeln zu lassen, hätt‘ ich’s nicht von Euch gelernt? Man pflegt zu sagen, ein Schiff sei gebaut wie ein Fisch; und wenn dies der Fall ist, so kann es ja wohl auch ein Krebs, eine Auster sein, nicht wahr? Nenn‘ ich das Ding nicht beim rechten Namen?«

»Schon gut, Alter. Ihr habt Euern Lohn eingestrichen, wie ich vermute. Ein hübsches Präsent von der Admiralswitwe, so daß Ihr nun eine geraume Zeit ruhig beilegen könnt, ohne Euch um die Art und Weise zu bekümmern, wie man nach Eurer Zeit die Schiffe baut. Sagt mir nur, ob Euch Euer Weg den Hügel hinabführt?«

»Bis ganz unten.«

»Das ist mir lieb, Freund, denn meine Absicht ist, ihn wieder hinaufzugehen. Und da nun unser Gespräch ein Ende hat, so sag‘ ich Euch auf Schiffermanier: ›Schmuck Wetter auf die Fahrt!‹«

Der alte Schlaukopf lachte und schüttelte sich auf die gewohnte Weise, als er den jungen Mann linksum machen und die Höhe wieder hinanlaufen sah.

»Nein, Ihr seid mir nie mit einem Konteradmiral auf einem Schiffe gewesen«, sagte er, setzte seinen Stab weiter und schlich langsam fort, wie einer, der die Last der Jahre mit sich schleppt. »Nein, man wird mit den Seekniffen nicht eher fertig, bis man ein paar Kampagnen auf einem Flaggenschiffe gemacht hat, und das am Besanmast!« Dies murmelte er dem jungen Manne nach.

Der junge Mann murmelte seinerseits zwischen den Zähnen: »O des unleidlichen Heuchlers und Schmeichlers. Der Schurke hat sich ein gut Teil in der Welt umgesehen und benutzt nun seine Erfahrungen dazu, ein närrisches Weib zu seinem Vorteil zu ködern. Ich bin froh, daß ich den Kerl los bin, der sich aufs Lügen legt, weil er sieht, daß es mit der Arbeit nicht mehr fort will … Nun wieder zurück. Die Küste ist klar: wer weiß, was sich zutragen kann!«

Den Anfang der Rede hatte er, wie gesagt, unvernehmlich gemurmelt, das Ende dachte er jetzt mehr, als er sprach: da es ihm aber an Zuhörern fehlte, war es ebensogut, als wenn er sich eines Sprachrohrs bedient hätte. Nur sollte es ihm nicht gelingen, die Hoffnung, die er sich gemacht, so bald in Erfüllung gehen zu sehen. Er hatte schon den Hügel erstiegen und sich vorgenommen, wenn man ihn bemerken sollte, ein gleichgültiges, nachlässiges Wesen anzunehmen, um sich nicht zu verraten. Allein dies war nicht einmal nötig, denn obschon er eine ganze Weile nach den Fenstern der Frau von Lacey schielte, wollte es ihm nicht glücken, nur die Nasenspitze einer der Bewohnerinnen zu entdecken. Lärmen und Geräusch genug im Hause: es wurden Koffer und Gepäck von Bedienten nach der Stadt getragen, aber die Hauptpersonen mußten seiner Meinung nach im Innern verborgen sein, um die wenigen Augenblicke noch im häuslichen Gespräch zuzubringen und sich auf den langen Abschied vorzubereiten. Schon wollte er sich getäuscht und verdrießlich auf den Rückweg machen, schon schlich er sich traurig längs der Gartenmauer hin, als er dahinter weibliche Stimmen hörte. – Er lauschte; die Stimmen kamen näher, und bald erkannte sein horchendes Ohr die Musik der jungen Gertraud.

»Wir quälen uns selbst, liebste Madame,« sagte sie, als Wilder die Töne unterscheiden konnte, »wenn wir dem, was solch ein … Individuum gesagt hat, den geringsten Eindruck auf uns zu machen gestatten wollten.«

»Ich fühle vollkommen, liebstes Kind, daß Sie recht haben,« erwiderte die Gouvernante mit schwermütigem Tone, »und doch bin ich so schwach, daß ich eine Art von Aberglauben … von Ahnung … nicht überwinden kann. Liebe Gertraud, wünschten Sie nicht wie ich, den jungen Mann nochmals zu sprechen?«

»Ich, Madame?« rief die junge Person mit einiger Unruhe aus. »Wie können Sie, und wie sollte ich wünschen, den Fremden wiederzusehen? Aus einem so niedrigen … vielleicht auch nicht niedrigen Stande …, aber gewiß einen Menschen, der sich nicht für die Gesellschaft …«

»Wohlerzogener Ladys eignet, wollten Sie sagen. Und woraus schließen Sie, daß der junge Mann so tief unter uns steht?«

Wilder fand in der Stimme der jungen Lady so viel Melodie und Wohlklang, daß er das Persönliche, das ihre Antwort enthielt, verschmerzte oder wohl gar überhörte.

»Weit entfernt,« sagte sie lachend, »daß ich in meinen Begriffen von Stand und Geburt so ekel und vornehm sein sollte als Tante Lacey; müßte ich doch, liebe Wyllys, Ihre eigenen Lehren und Unterweisungen vergessen, wenn ich nicht fühlen sollte, daß Erziehung und Sitten auf Meinungen und Charaktere der Menschen einen starken Einfluß haben.«

»Sehr wahr, mein Kind. Aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich von dem jungen Manne nichts gesehen oder gehört habe, was mich glauben machen könnte, er sei ohne Erziehung und von gemeiner Abkunft. Im Gegenteil ist seine Sprache und sogar seine Aussprache die eines Gentleman, und sein Äußeres stimmt mit dem übrigen zusammen. Er hat die freien, einfachen Sitten seines Gewerbes; ich darf Ihnen aber nicht erst sagen, liebste Gertraud, daß junge Leute aus den besten Häusern hierzulande, in den Provinzen, sowie in England, oft unter der Marine dienen.«

»Als Offiziere, liebe Madame; dieser … Mensch trug aber Matrosenkleidung.«

»Nicht so ganz. Das Zeug war feiner, der Zuschnitt modischer als gewöhnlich. Ich habe Admirale gekannt, die in den Erholungsstunden ebenso einhergingen. Seefahrer von Rang lieben die Tracht ihres gewählten Standes, und verschmähen die läppischen Abzeichen.«

»Also sind Sie der Meinung, daß es ein Offizier war? Vielleicht in königlichen Diensten?«

»Kann wohl sein, obschon der Umstand, daß gegenwärtig kein Kreuzer im Hafen liegt, mit der Vermutung nicht übereinstimmt. Nicht aber diese Kleinigkeit ist es, die in mir das unaussprechliche Interesse rege macht, das mich zu ihm zieht. Nein, liebste Gertraud, es ist ganz was anders. Mein Verhängnis hat es gewollt, daß ich in früheren Jahren viel unter Seeleuten gelebt habe, so daß ich selten einen Mann von dieser Klasse in dem Alter und von dem geistreichen, männlichen Wesen sehe, wie diesen, ohne bedeutend aufgeregt zu werden. Doch ich mache Ihnen Langeweile; sprechen wir von etwas anderm.«

»Nicht im geringsten, liebste Madame«, unterbrach Gertraud. »Da Sie den Fremden für einen Gentleman halten, so hat’s nichts zu sagen … So ist es, dünkt mich, nicht so unschicklich, wenn wir von ihm reden. Ob er denn wirklich selbst glauben mag, was er uns glauben machen wollte, daß wir Gefahr liefen, wenn wir uns dem Schiffe anvertrauten, von dem man uns so viel Gutes gesagt hat?«

»Möglich! Wenigstens war ein unerklärbares Gemisch von seltsamer, ich möchte fast sagen, wilder Ironie und inniger Teilnahme in seinem Wesen bemerkbar! Überdies lag in einem Teile seiner Rede barer Unsinn; doch schien er ihn nicht ohne sichtbar ernsthafte Absicht zu sprechen. Liebe Gertraud, Sie sind mit der Seesprache nicht so vertraut als ich; vielleicht wissen Sie nicht mal, daß Ihre gute Tante, die eine so große Bewunderin des edlen Seehandwerks ist, das ihr in so vieler Hinsicht teuer sein muß, bisweilen Ausdrücke gebraucht, die …«

»O ja, gewiß, das weiß ich längst … wenigstens glaube ich es bemerkt zu haben«, unterbrach die junge Lady auf eine Weise, die zu erkennen gab, es werde hier eine für sie unangenehme Saite berührt, und sie wünsche davon abzubrechen. »Es war gewiß sehr anmaßend und unartig von dem Fremden, wenn er wirklich die Absicht hatte, mit einer so harmlosen und allgemeinen Schwäche, die wir überhaupt kaum eine Schwäche nennen können, seinen Scherz zu treiben.«

»Ganz gewiß,« fuhr Frau Wyllys mit einem bestimmteren Tone fort, »und doch schien er mir nicht zu der Klasse hirnloser Spötter zu gehören, die Vergnügen daran finden, die Torheiten anderer aufzudecken. Erinnern Sie sich noch, Gertraud, daß sich gestern, bei der Ruine, Ihre Tante gewisser Ausdrücke bediente, als sie ihre Bewunderung über ein Schiff mit vollen Segeln schildern wollte?«

»Ja doch, ja, ich entsinne mich«, sagte die Nichte mit etwas Ungeduld.

»Einer ihrer Ausdrücke war besonders unrichtig, so weit mich nämlich mein ehemaliger Umgang mit Seefahrern mit ihrer Sprache bekannt gemacht hat.«

»Ich dachte mir’s gleich«, unterbrach Gertraud, »und konnte es Ihren Augen ansehen, aber …«

»Merken Sie auf, Liebe! Es ist gar nichts Außerordentliches, daß eine Dame, wenn sie sich der Seesprache bedient, sich in den Redensarten vergreift und ein Wort fürs andere nimmt: daß aber ein Seekundiger, ein Seemann, in denselben Fehler fällt, ist allerdings merkwürdig. Und dies tat der junge Mann, von dem wir sprechen: und, was noch ausfallender ist, der alte Mann wiederholte den Mißgriff, gerade als wären die Benennungen richtig.«

»Vielleicht«, sagte Gertraud etwas leiser, »haben sie erfahren, daß Tante Lacey die kleine Schwäche hat, sich gern in Unterhaltungen dieser Art einzulassen. Soviel aber ist gewiß, liebste Madame, wenn wir dies genauer bedenken, können wir den Fremden nicht für einen wohlerzogenen Gentleman halten.«

»Ich würde gar nicht mehr an ihn denken, Liebe, wäre es nicht ein geheimes Gefühl, das mich zu ihm zieht, ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Ich wünschte, ihn noch einmal sprechen zu können.«

Ein leichter Schrei der jungen Lady unterbrach sie; es fiel etwas in den Garten, und im nächsten Augenblick sprang der Gegenstand ihres Gesprächs über die Mauer, anscheinend den Rohrstock wiederzuholen, womit er die junge Lady erschreckt hatte. Er stellte sich bestürzt, machte viele Entschuldigungen, einen fremden Grund betreten zu haben, hob den Stock auf und schien im Begriff, sich langsam zurückzubegeben. als sei alles das Werk des Zufalls gewesen. Er legte aber in den ganzen Auftritt soviel Artigkeit, Anstand und gute Sitte, daß man mit ziemlichem Grund daraus seine Absicht hätte erraten können, der jungen Dame einen bessern Begriff von seiner Erziehung beizubringen, und ihr den Irrtum zu benehmen, als gehöre er nicht zu einer gebildeten Klasse. Auch verfehlte er seinen Zweck nicht bei ihr. Frau Wyllys war ebenfalls, allein auf eine andere Art, ergriffen worden; sie erblaßte, ihre Lippen bebten, obschon was sie sprach und wie sie es sprach, bewies, daß sie nicht erschrocken war.

»Bleiben Sie noch einen Augenblick, Sir,« sagte sie hastig, »wenn es Ihnen die Zeit erlaubt, und Sie nicht anderswo erwartet werden. Ihre Erscheinung hat so etwas Außerordentliches, daß es mir lieb sein würde, sie zu benützen.«

Wilder verneigte sich und näherte sich den Damen wieder, von denen er sich nur insoweit entfernt hatte, als es nötig war, sie auf den Gedanken zu bringen, er habe nur das zufällig oder ungeschickterweise Verlorene wieder aufheben wollen. Als Frau Wyllys seine Bewegung bemerkte, und daß er sich so bereit zeigte, ihrem Wunsche zu willfahren, geriet sie in einige Verlegenheit, wie sie den Faden des Gesprächs anknüpfen sollte.

»Ich habe mir die Freiheit nehmen wollen,« stammelte sie mehr, als sie es sprach, »mich mit Ihnen wegen des segelfertigen Schiffes im Hafen, und der von Ihnen vorhin darüber geäußerten Meinung nochmals zu besprechen.«

»Die Royal Carolina?« fragte Wilder nachlässig.

»So heißt es, glaub‘ ich.«

»Ich will hoffen, Madame,« setzte er mit Feuer hinzu, »nichts von dem, was ich davon gesagt habe, werde Sie gegen das Schiff selbst einnehmen. Ich verbürge mich dafür, daß es vortrefflich gezimmert ist, und zweifle keineswegs, daß es einen geschickten Kommandeur hat.«

»Und doch haben Sie keinen Anstand genommen, zu behaupten, daß Sie eine Reise auf eben diesem Schiffe für gefährlicher hielten als auf jedem andern, was binnen einigen Monaten aus diesem oder sonst einem Hafen unserer Provinzen auslaufen möchte.«

»Ja, Madame, das habe ich gesagt und behauptet«, sagte Wilder, und legte den größten Nachdruck auf jedes Wort.

»Wollen Sie die Güte haben, Ihre Gründe anzugeben?«

»Irre ich nicht, so habe ich sie der Dame auseinandergesetzt, die ich die Ehre hatte, vor einer Stunde zu sehen.«

»Diese Dame, Sir, ist nicht mehr hier, und gehört überhaupt nicht zu denen, die absegeln sollen. Diese junge Lady und ich sind bestimmt, das Schiff als Passagiere zu besteigen.«

»So hatt‘ ich’s auch verstanden«, erwiderte Wilder, seinen nachdenkenden Blick aus die sprechende Miene der tief erregten Gertraud gerichtet.

»Und nun, da kein Irrtum vorwaltet, und Sie wissen, wer die beteiligten Personen sind, muß ich Sie ersuchen, mir nochmals die Gründe anzugeben, weswegen Sie es für gefährlich halten, sich auf die Carolina zu wagen?«

Wilder stockte, errötete, schwieg, als sein Blick dem ruhigen, aber forschenden Blick der Frau Wyllys begegnete: endlich stammelte er:

»Sie verlangen doch nicht, Madame, daß ich Ihnen wörtlich wiederhole, was ich schon gesagt habe?«

»Nein, das verlang‘ ich gewiß nicht: nur ein paar Worte zur Aufklärung der Sache, denn ich bin versichert, daß Sie … Ihre Ursachen gehabt haben, zu sprechen, wie Sie gesprochen.«

»Es ist für einen Seemann äußerst schwer, über ein Schiff zu reden, ohne sich dabei der ihm geläufigen Kunstsprache zu bedienen, und diese Sprache muß Personen Ihres Geschlechts und Ranges durchaus unverständlich sein. Sie waren nie zur See, Madame?«

»Ich? Sehr oft, Sir.«

»Dann will ich versuchen, und zugleich hoffen, mich Ihnen verständlich zu machen. Es wird Ihnen nicht unbewußt sein, daß die Hauptsache beim Schiff ist, daß es im Gleichgewicht bleibe; wir Segler nennen das ›gerade aufstehen‹. Nun darf ich einer so verständigen Dame nicht erst bedenken geben, daß wenn die Carolina von der Richtung des mittelsten Balkens abfällt, für alle an Bord augenscheinliche Gefahr ist.«

»Ich verstehe vollkommen; nur wünschte ich zu wissen, ob gleiche Gefahr nicht überhaupt jedem Schiffe droht?«

»Ohne Zweifel, wenn ein anderes anfährt. Doch ich habe schon manches Jahr mein Geschäft betrieben, ohne mehr als einmal dieses Unglück erlebt zu haben … Dann sind, zweitens, die Hältnisse des Bugspriets …«

»So gut, als sie aus der Hand des besten Takelmeisters kommen können«, ließ sich eine Stimme hinter ihnen vernehmen.

Das Kleeblatt drehte sich um und sah in einer kleinen Entfernung den alten Seefahrer draußen stehen und mit dem Kopf über die Mauer wegsehen.

»Ich bin«, sagte er, »auf den Wunsch der Frau von Lacey, der Witwe meines edeln Kommandeurs und Admirals, hingegangen und habe mir das Schiff angesehen. Mögen nun andere denken, was sie wollen, ich für meinen Teil bin bereit und erbötig, einen körperlichen Eid abzulegen, daß die Royal Carolina ihr Bugspriet auf eine ebenso gute Art befestigt hat, als das beste Schiff, das die britische Flagge führt. Und das ist noch nicht alles, was ich zum Vorteil der Carolina sagen kann; das Fahrzeug ist nett und leicht gespieret und weicht so wenig nach einer Seite hin, als jener Kirche der Einsturz droht. Ich bin ein alter Mann, und meine Rechnung steht auf dem letzten Blatt des Tagebuchs; auch hab‘ ich an jenem Schoner oder jener Brigg nicht das mindeste Interesse, kann auch keines daran haben, aber soviel sag‘ ich und werd‘ ich immer sagen, schändlich ist es, von einem wohlgebauten, gesunden Schiffe Böses zu sprechen, und ebenso unverzeihlich, als es von einem guten Christen zu tun.«

Der alte Mann sprach so nachdrücklich und zeigte dabei einen so natürlichen, ehrlichen Unwillen, daß seine Rede Eindruck aus die Damen machte und zugleich in Wilders Gewissen ein unangenehmes Gefühl erregte.

»Sie sehen, Sir,« sagte Frau Wyllys, nachdem sie vergebens aus des jungen Mannes Antwort geharrt hatte, »wie es möglich ist, daß zwei Männer, die dasselbe Gewerbe treiben, unter sonst gleichen Umständen und bei gleichen Kenntnissen, verschiedener Meinung sein können. Wem von beiden ist nun zu glauben?«

»Dem, den Ihr vortreffliches, untrügliches Gefühl für den Glaubhaftesten hält. Ich wiederhole es, und bei dieser meiner Beteuerung rufe ich den Himmel zum Zeugen meiner Aufrichtigkeit an – ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn sich Mutter oder Schwester in der Carolina einschiffen wollten.«

»Unbegreiflich!« sagte Frau Wyllys, sich zu Gertraud wendend, und leise, für sie allein verständlich, sprechend: »Meine Vernunft sagt mir, daß der junge Mann sein Spiel mit uns treibt; und doch ist es ihm mit seinen Beteuerungen so sehr Ernst, und er scheint es so aufrichtig zu meinen, daß ich mich nicht von ihm losmachen kann. Zu welchem von den beiden finden Sie sich, liebste Gertraud, am stärksten hingezogen? Wem glauben Sie am meisten Ihr Vertrauen schenken zu können?«

»Sie wissen, liebste Madame,« erwiderte Gertraud, einen welkenden Strauß zerpflückend und ihre Augen fest darauf heftend, »Sie wissen, meine Liebe, daß ich in dergleichen Dingen ganz unerfahren bin; nur so viel kommt mir vor, der alte Mann hat einen anmaßenden, widerwärtigen Blick.«

»Also scheint Ihnen der jüngere ehrlicher und glaubwürdiger?«

»Nun ja; haben Sie mir nicht selbst gesagt, daß Sie ihn für einen Gentleman halten?«

»Ich sehe nicht ab, wie ihm ein höherer Stand zu größerer Beglaubigung dienen kann. Wie mancher hat diese Vorzüge erhalten, um sie zu mißbrauchen! … Es tut mir leid, Sir,« sich zu Wildern wendend, »daß bei aller Veranlassung offenherziger zu sein, Sie uns einigermaßen zwingen, Mißtrauen in Sie zu setzen, so daß wir Ihrem Rate nicht folgen können, und bei unserm Entschluß verharren müssen, mit der Royal Carolina abzusegeln.«

»Aus dem Grunde meines Herzens, Madame, muß ich den Entschluß bedauern.«

»Es stände ja nur bei Ihnen, sich näher und deutlicher zu erklären.«

Wilder schwieg, dachte nach, stritt mit sich selbst; ein paarmal schienen seine Lippen sich zu bewegen, sich zum Sprechen öffnen zu wollen. Frau Wyllys und Gertraud harrten mit ängstlicher Ungeduld auf seine Antwort; aber nach einer langen und zögernden Pause, im innern Kampfe begriffen, täuschte er beider Erwartung, indem er sagte:

»Es tut mir unendlich leid, mich nicht verständlicher machen zu können; die Schuld liegt lediglich an mir und an meinem Ungeschick. Ich kann nichts weiter tun, als nochmals beteuern, daß in meinen Augen die Gefahr ebenso hell und klar ist, wie die Sonne am Himmel.«

»So bleibt uns nichts weiter übrig, als in unserer Blindheit zu verbleiben«, sagte Frau Wyllys mit einer kalten Verneigung. »Ich danke Ihnen für Ihre guten wohlwollenden Absichten; nur können Sie es uns nicht verdenken, wenn wir einem Rate nicht folgen, der sich in soviel Dunkelheit einhüllt. Schließlich müssen wir um Verzeihung bitten, daß wir so unhöflich sind, Sie auf unserem Grund und Boden zuerst zu verlassen. Die Stunde der Abreise hat für uns geschlagen.«

Wilder erwiderte den ernsten Gruß der Frau Wyllys mit einem ebenso förmlichen; dann verneigte er sich mit mehr Grazie und Herzlichkeit gegen die tiefe, aber kurze Verbeugung der Lady Gertraud Grayson. Er blieb auf derselben Stelle stehen, wo sie ihn verlassen hatten, bis er sie in das Haus eintreten sah; es kam ihm vor, als werfe noch in der Tür die junge Dame ihm, oder der Richtung, in der er stand, einen scheuen, ängstlichen Blick gerade in dem Augenblick zu, als ihre leichte, ätherische Gestalt verschwand. Er drückte nun die rechte Hand auf den Mauerrand und schwang sich mit einem Sprung hinüber. Sowie er den Boden jenseits berührt:, sah er zu seinem Befremden, daß er nur sechs Fuß von dem alten Seemann ab war, der sich zwischen ihm und dem Gegenstand, der ihm so sehr am Herzen lag, zweimal in den Weg gestellt hatte. Doch ließ ihm der Alte nicht Zeit, seinem Mißmut Luft zu machen: er kam ihm mit folgenden Worten zuvor:

»Bruder,« sagte er in vertraulichem, freundschaftlichem Tone, ihm die Hand schüttelnd wie einer, der seinem Gefährten zu erkennen geben wollte, ihm sei der Betrug nicht entgangen, den dieser im Sinne gehabt, »kommt, Bruder, Ihr habt lange genug am Geitau gestanden, es ist Zeit, eine andere Stellung einzunehmen. Ei, ich bin zu meiner Zeit auch jung gewesen, und weiß, was es bedeutet, dem Teufel mehr als nötig einzuräumen, wenn es einem Spaß macht, in seiner Gesellschaft zu segeln. Aber das Alter macht uns bedächtig, und wenn die Zeit kommt, wo man seine Rechnung abschließen soll, und ein armer Schelm bald am Ende seines Lebenstaues ist, so beginnt er mir seinen Schelmstückchen rätlicher umzugehen, gerade wie man aus dem Schiffe, wenn Windstille eintritt, mir dem Wasser haushält, und es nicht Wochen- und monatelang wie Regen über das Deck strömen läßt. Nachdenken kommt mit den Jahren, und der Mensch tut nicht übel, der sich ein wenig von diesem Proviant beizeiten zurücklegt.«

»Ich hoffte, als ich Euch am Fuße der Anhöhe verließ und den Hügel selbst wieder hinaufstieg,« erwiderte Wilder, ohne den unleidlichen Begleiter nur eines Blickes zu würdigen, »ich hoffte, wir würden uns nie wiedersehen. Da es aber das Ansehen hat, Ihr liebt die Höhe, so lasse ich Euch Euer Gelüste befriedigen und kehre in die Stadt zurück.«

Der alte Mann schusselte aber dem stark vorschreitenden Wilder so raschen Ganges nach, daß dieser sich hätte in Lauf setzen müssen, was er aber unter seiner Würde hielt. Einen Augenblick stand er mit sich an, ob er seinen Verfolger und Peiniger nicht gewaltsam von sich abhielte, aber auch diesen Gedanken verwarf er, und nun entschloß er sich, mir nichts dir nichts seinen Weg langsamer fortzusetzen, sich um den andern nicht zu bekümmern, und den Lästigen zu verachten.

Dieser folgte immer in der Entfernung von ein paar Schritten und rief ihm nach: »Master, vorhin setztet Ihr alle Eure Segel bei, so daß ich Mühe hatte, Euch nachzukommen; jetzt scheint Ihr vernünftiger, und ich kann schon eine freundschaftliche Unterhaltung mit Euch anknüpfen. Wart Ihr im Garten dort nicht nahe daran, der alten Lady aufzubinden, die Royal Carolina sei ebenso ’n Schiff wie der fliegende Holländer?«

»Und was brauchtet Ihr der Alten den Irrtum zu benehmen?« fragte stolz Wilder.

»Nicht wahr? Ihr hättet mir’s wohl zugemutet, nach fünfzigjährigen Seereisen zu dulden, daß man in meiner Gegenwart von Holz und Eisen auf eine so unehrbare Weise spreche! – Die Ehre eines Schiffes liegt einem alten Seehunde ebensosehr am Herzen, als die Ehre seines Weibes oder seiner Liebsten.«

»Hört mich an, Freund; Ihr lebt, denke ich, wie andere Euresgleichen, von Essen und Trinken?«

»Ein wenig von jenem, ein gut Teil von diesem«, erwiderte der Alte, sich vor Lachen ausschüttend.

»Und um Euch beides zu verschaffen, macht Ihr’s wie die meisten vom Seevolk: schwere Arbeit, saurer Schweiß und beständige Lebensgefahr?«

»Hm! Das Sprichwort sagt: ›Pferdearbeit, Eselskost‹; so geht’s uns allen!«

»Nu, so will ich Euch ein Mittel an die Hand geben, mal leichter davonzukommen, Geld zu verdienen ohne Müh‘, und es zu vertun nach Gefallen. Wollt Ihr Euch auf ein paar Stunden bei mir verdingen? Seht, da habt Ihr ein Handgeld, und für guten Lohn seid nicht besorgt, wofern Ihr’s ehrlich mit mir meint.«

Der alte Mann streckte die Hand aus und griff nach der Guinee, die ihm Wilder über die Schulter hinhielt, ohne es einmal für nötig zu halten, sich nach seinem Rekruten umzusehen.

»’s ist doch keine falsche?« sagte er, und klopfte damit auf einen Stein.

»Echt Gold, rein Gold, wie es nur aus der Münze kommen kann.«

Der Alte steckte das Stück ruhig ein und fragte dann mit roher, entschiedener Stimme, wie einer, der zu allem bereit wäre:

»Was für eine Hühnerlatte hab‘ ich für das Geld zu stehlen?«

»Nichts so Erbärmliches und Niedriges. Ihr habt nichts weiter zu tun, als was, wie mich dünkt, nichts Neues für Euch ist: Könnt Ihr ein falsches Log angeben?«

»Ja, und im Notfall darauf schwören. Ich versteh‘ Euch; Ihr seid es müde, an der Wahrheit wie an einem neuangesponnenen Seile zu drehen, und möchtet gern, daß ich Euch die Arbeit abnähme.«

»So was Ähnliches. Ihr sollt alles, was Ihr von dem Schiffe gesagt habt, zurücknehmen, und da Ihr verschmitzt genug gewesen seid, der Frau von Lacey die Windseite abzugewinnen, so sollt Ihr Euch dieses Vorteils bedienen und die Sache noch etwas schlimmer machen, als es von mir geschehen ist. Sagt mir aber vor allem, damit ich Euch ganz kennen lerne, seid Ihr jemals mit dem preiswürdigen Admiral gefahren?«

»So wahr ich ein frommer, ehrlicher Christ bin, habe ich von dem preiswürdigen Herrn vor gestern früh kein Sterbenswort gehört. O, Ihr müßt mich von dieser Seite erst recht kennen lernen. Ich bin der Mann nicht, der in einer Historie stecken bleibt, wenn es ihm an Tatsachen fehlt.«

»Das will ich glauben. Nun aber hört meinen Plan.«

»Halt, würdiger Kamerad!« unterbrach ihn jener. » Steine haben Ohren, pflegt man zu Lande zu sagen, weil es zu Lande Steine gibt. Wir Seeleute sagen: Schiffspumpen haben Ohren. Kennt Ihr in der Stadt eine gewisse Taverne, zum ›Unklaren Anker?‹«

»Ich bin dagewesen.«

»Ich will hoffen, Ihr habt sie gut genug befunden, um wieder hinzugehen, denn hier müssen wir uns trennen. Ihr braßt die Segel ein wenig, da Ihr von uns beiden der beste Segler seid, und geht ein paar Straßen auf und nieder, bis Ihr der Kirche dort windwärts gekommen seid. Von da aus steuert Ihr geradezu auf die Bucht des ehrlichen Joseph Joram; hier findet Ihr einen schmucken Ankerplatz, wie ihn sich kein Handelsmann besser in den Kolonien wünschen kann. Ich werde indessen den kürzern Weg nehmen, den Hügel vollends hinabgehen, und dann so ziemlich mit Euch zugleich einlaufen.«

»Wozu die vielen Manöver, das Lavieren, die Querzüge? Könnt Ihr denn kein vernünftig Wort vorbringen oder anhören, wenn die Rumflasche nicht ihre Dienste tut?«

»Keine Beleidigung, Bruder! Ich bin nicht der Mann, wofür Ihr mich anseht. Ihr sollt mich mit der Zeit besser kennen lernen. Einen so nüchternen Menschen wie ich, findet Ihr schwerlich zu Euerm Auftrag. Nein, Bruder, ich habe zu unserer Trennung hier ganz andere Gründe. Gesetzt, jemand merkte, daß wir die Straße zusammengehen und uns unterhalten, Ihr, der in keinem guten Rufe bei der Lady steht, und ich, der soviel bei ihr gelte – würde ich meine Glaubwürdigkeit nicht verlieren?«

»Ihr habt recht. Macht, daß Ihr fortkommt, und dann laßt mich Euch bald wieder treffen, denn da sie im Begriff sind, sich einzuschiffen, ist keine Minute zu verlieren.«

»Seid ohne Sorgen: mit dem Einschiffen hat’s so bald keine Not«, sagte der Alte, die flache Hand über den Kopf ausstreckend, um den Wind aufzufassen. »Da ist noch nicht mal Luft genug, die roten Wangen der jungen Lady dort oben abzukühlen. Ihr könnt gewiß sein, daß ihnen das Zeichen nicht eher gegeben wird, bis sich der Abfahrtwind eingefunden hat.«

Wilder winkte ihm zum Abschiede mit der Hand und trat den Weg an, den ihm jener vorgezeichnet hatte. Im Gehen dachte er dem Eindruck nach, den die frischen und jungen Reize Gertrauds sogar auf den alten herzlosen Mann gemacht, der sich in diesem Augenblick ihrer bildlich erinnert hatte, und sie in seine Windprobe dichterisch einwob. Der Eindruck war nicht tief, denn als er dem abgehenden Wilder eine kleine Weile mit pfiffigem Wesen und ironischem Blicke nachgesehen hatte, machte er sich auf, verdoppelte seine Schritte und eilte, um noch vor ihm den verabredeten Ort ihrer Bestimmung zu erreichen.