Drittes Kapitel.

Sobald sich der grüne Fremde vom leichtgläubigen Schneider getrennt hatte, verlor er sein angenommenes Wesen, und gewann ein natürlicheres und gesetzteres. Doch schien es bald, als sei auch dieses eine zweite Maske, wenigstens ein ungewohntes, lästiges Joch, das er abzuschütteln suchte, denn nach einer Minute klopfte er schon wieder mit der Reitgerte gegen den Stiefel und trat in die Hauptstraße des Orts mit leichtem Gange und umherschweifenden Blicken ein. Seinem Schnellblick, so sehr er von einem Gegenstande auf den andern übersprang, entgingen wenige der Vorübergehenden; und selbst die Eile, womit er um sich schaute und alles zu umfassen schien, ließ erkennen, daß sein Geist ebenso tätig und regsam war als sein Auge. Ein Fremder in diesem Aufzuge, und dem man es auf den ersten Blick ansehen mußte, daß er ein Fremder war, konnte der Aufmerksamkeit der wachsamen Gastwirte unmöglich entgehen. Allein er entzog sich den Scharrfüßen und Höflichkeiten der beiden Vornehmsten, und ließ sich – seltsam genug! – vom dritten in sein Haus komplimentieren, das die gewöhnliche Herberge des Hafengesindels war.

Als er in die Gaststube dieser Taverne eintrat (denn sie führte diesen edleren Namen, obschon sie im Mutterlande kaum auf den einer Bierschenke hätte Anspruch machen dürfen), fand er das Zimmer mit den gewöhnlichen Trinkkunden vollgepfropft. Das Erscheinen eines Gastes, der sich an Gestalt und Kleidung über die Klasse der täglichen Besucher des Hauses erhob, brachte eine augenblickliche Unterbrechung hervor; doch hörte die Pause bald auf, als sich der Neueingetretene auf eine Bank geworfen und den Wirt mit seinen Wünschen und Bedürfnissen bekannt gemacht hatte. Dieser holte das Verlangte, setzte es dem Fremden vor, und machte ihm, und zugleich denen, die ihm zunächst saßen, eine Art von Entschuldigung, daß ein Mann, am andern äußersten Ende des langen, schmalen Tisches, nicht allein das Monopol der Rede, sondern auch die Aufmerksamkeit aller Gäste durch das Versprechen an sich gerissen, ihnen etwas ganz Ungeheures erzählen zu wollen.

Der würdige Zögling und Aufwärter des Bacchus setzte hinzu, sich besonders an den Grünen wendend: »Squire, der Mann dort im Winkel ist der Bootsmann des Sklavenschiffes im äußern Hafen, ein Mann, der sich den Seewind manches Jahr um die Nase wehen ließ, und soviel Gefechte und Wunder erlebt hat, daß er einen dicken Quartanten damit anfüllen könnte. Man nennt ihn hier nur den alten Boreas; sein wahrer Name ist aber Jack Nightingale Ist der Toddy nach des Squires Geschmack?«

Der Fremde beantwortete die zweite Frage mit einer schmatzenden Lippenbewegung, einer leichten Verneigung und dem Absetzen des kaum berührten Glases auf den Tisch. Zugleich drehte er den Kopf nach der soeben beschriebenen Person hin, die, nach der Art, wie sie deklamierte, zu urteilen, für einen zweiten »Redner des Tages« gelten konnte.

Eine Gestalt, weit über sechs Fuß hoch: Ein fürchterlicher Backenbart, der die gute Halbscheid seines grimmigen Aussehens versteckte; eine Schmarre, die als Zeuge eines schlecht geheilten Hiebes auftrat, der einst diese Halbscheid in zwei Vierteile zu spalten gedroht hatte; der Gliederbau im Verhältnis, das Ganze gehoben durch die Seemannstracht und durch eine lange, schmutzige, silberne Kette und eine kleine Pfeife von demselben Metall. Ohne durch das Eintreten eines Mannes aus einer anscheinend höhern Klasse im geringsten aus der Fassung gekommen zu sein, fuhr dieser Sohn des Ozeans in seiner angefangenen Erzählung fort, mit einer Stimme, die ihm die Natur als Gegensatz und Verspottung seines musikalischen Namens gegeben zu haben schien; denn wirklich hatten seine Laute eine so schlagende Ähnlichkeit mit dem tiefen Gebrülle eines Stiers, daß ein gewohntes Ohr erfordert wurde, sie in Worte zu übersetzen. Seinen gebräunten Arm mit der geschlossenen Faust ausstreckend, und den Norden des Seekompasses mit dem Daumen bezeichnend, fuhr er fort:

»Wohl! Angenommen, die Guineaküste liege hier: toter Wind von der Küste, seht ihr, nichts als Bö und gebrochener Wind, wie wenn eine Katze prustet, oder wenn der alte Graubart, der ihn in seinem Schlauche für uns aufbewahrt, bisweilen den Pfropfen durch die Finger fahren läßt, und dann gleich wieder die Schnur doppelt um die Öffnung des Sacks herumschlägt – Ihr wißt doch, was ein Sack ist, Bruder?«

Mit dieser abgebrochenen Frage wandte er sich an den schafsköpfigen Landmann, der dem Leser schon bekannt ist, und, sein neues Kleidungsstück unter dem Arme, mit offenem Munde dasaß, die Wundererzählung verschlingend, um sie, zusammen mit den Brocken, die ihm der Schneider mitgeteilt hatte, seinen Freunden und Gevattern vom Lande brühheiß zu hinterbringen. Ein allgemeines lautes Gelächter erfolgte auf Kosten des horchenden Pardon. Nightingale warf einen vielsagenden Blick auf zwei oder drei von seiner Bekanntschaft, und die Gelegenheit benutzend, »einen hinter die Halsbinde zu gießen« – wie er sich witzig ausdrückte – goß er ein Nösel Rum mit Wasser hinunter und fuhr im Predigthon in seiner Erzählung fort:

»Und die Zeit wird kommen, Bruder, wo Ihr lernen werdet, was eine Rundschnur ist, wenn Ihr nicht ehrlich bleibt. Eines Menschen Hals ist dazu gemacht, daß er den Kopf über Wasser halte, nicht daß er wie eine alte, windschiefe Luke aus den Fugen gereckt wird. Deswegen macht Eure Rechnung beizeiten und folgt dem Bleilot des Gewissens, auf daß Ihr nicht auf die Untiefen der Versuchung geratet.« – Hierauf seinen Tabak im Munde rollend, blickte er um sich wie einer, der sich einer moralischen Verbindlichkeit entledigt hatte, und fuhr fort: »Nu weiter. Dort liegt das Land, und wie gesagt, von hier kam der Wind Ost zu Süd, vielleicht auch Ost zu Süd Halbsüd. Bisweilen blies er stark, bisweilen ließ er nach, daß sich die Segel an der Takelage und den Spieren zerrieben, als wäre ein Segelholz nicht mehr wert wie eines reichen Mannes Segen. Mir waren die Ansichten des Wetters gar nicht angenehm; ich sah voraus, es wird was anders geben als eine ruhige Wache. Ich blieb also auf den Beinen, um mich instand zu setzen, meine Meinung von mir zu geben, wenn etwa danach gefragt würde. Ihr müßt aber wissen, Brüder, daß infolge meiner Begriffe von Religion und Lebensverhalten ein Mensch zu nichts gut ist, wenn es ihm am gehörigen Maß der Sittlichkeit fehlt; deswegen wird man nie von mir sagen können, daß ich an des Kapitäns Back den Löffel eintunke, wenn ich nicht von ihm eingeladen werde, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil mein Tischlein vorne und das seinige hinten steht. Ich will nicht entscheiden, an welchem Schiffsende sich der bessere Mann befindet; dieses ist ein Punkt, worüber verschiedene Leute verschiedener Meinungen sind, obschon die meisten, denen ein Urteil in der Sache zusteht, in ihren Ansichten so ziemlich einig sind. Nu, wie gesagt, ich blieb auf den Beinen, um mich in den Stand zu setzen, meine Meinung von mir zu geben, wenn ich danach gefragt würde. Und siehe da, alles ereignete sich, wie ich es vorhersah. ›Mister Nightingale,‹ sagte unser Kapitän, denn er ist ein Gentleman und vergißt sich nie im Punkte der Schicklichkeit am Deck, oder wenn jemand von der Mannschaft zugegen ist; › Mister Nightingale,‹ sagte er, ›was haltet Ihr von jenem Wolkenlappen dort in Nordwest‹, sagte er. – ›Wohl, Sir‹, antwortete ich dreist, denn ich bleibe niemand ’ne Antwort schuldig, wenn man mich anredet, wie sich’s schickt. ›Wohl, Sir!‹ sagte ich. ›Mit Ew. Gnaden Erlaubnis‹ – eine bloße Redensart, eine Schnurre, denn der Kapitän war gegen mich, an Erfahrungen und Jahren ein Kiekindiewelt; aber ich streue nie heiße Asche oder sonst was Warmes gegen den Wind, ›mit Ew. Gnaden Erlaubnis, meine Meinung wäre, die drei Toppsegel zu beschlagen und den Klüver zu stauchen. Wir haben keine Eile, aus dem einfachen Grunde: Wo Guinea heute abend liegt, wird es morgen früh auch liegen. Und um das Schiff bei gebrochenem Winde im Schick zu halten, haben wir das Schönfahrsegel …‹

»Euer Schönfahrsegel hättet Ihr ebenfalls beschlagen sollen«, ließ sich von hinten her eine Stimme vernehmen, ebenso entscheidend, nur etwas weniger brüllend, als die des wortführenden Bootsmannes.

»Was für ein Ignorant sagt das?« fragte Nightingale im stolzen Ton, als wenn eine so grobe und dreiste Unterbrechung seinen ganzen innern Zorn rege gemacht hätte.

»Kein Ignorant; ein Mann, der Afrika vom Kap Bon bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung, und das mehr als einmal beschifft hat, und eine weiße Bö von einem bunten Regenbogen zu unterscheiden versteht.« – Also sprach Dick Fid der Weiße, der mit seinem Begleiter, dem Neger Scipio, eingetreten war, und seine kleine, untersetzte Person dem wütenden Bootsmann, der sich durch den dichten Haufen, der ihn umgab, kraft seiner massiven Schultern Platz gemacht hatte, stämmig entgegenstellte und hinzusetzte: »Ja, ja, Bruder, ein Mann bin ich, unwissend oder vielwissend, gleichviel, der es nie seinem Kapitän raten würde, soviel Hintersegel auf dem Schiffe zu behalten, wenn Gefahr wäre, daß es backwärts vom Winde gepackt würde.«

Auf die kühne Aufstellung einer Meinung, die allen Umstehenden so verwegen vorkam, erfolgte ein allgemeines lautes Gemurmel. Aufgemuntert durch dieses unverdächtige Zeugnis seiner größern Popularität, blieb Nightingales derbe ausfallende Antwort nicht aus. Zugleich fiel ein schreiendes Konzert aus den höheren und kreischenden Stimmen der Gesellschaft ein, das mit dem tieferen Baß abwechselte, in die die – Hauptsänger ihre beiderseitigen Meinungen durch Gründe und Gegengründe verfochten.

Eine Zeitlang war es unmöglich, nur einen Teil der Streiterörterung aufzufassen, so groß war die Verwirrung der Stimmen; zugleich fehlte es nicht an Symptomen von beiden Seiten, den Wortstreit in einen handgreiflichen zu verwandeln. Schon hatte Fid seinen starken Gliederbau der kolossalen Gestalt seines Gegners, des Bootsmannes, entgegengestemmt; schon fielen vier athletische Arme dies- und jenseits gegeneinander aus, gleich indianischen Knotenstöcken, aus Massen von Knochen, Gelenken und Sehnen bestehend, die alles, was ihnen entgegen zu kommen wagen würde, zu zerschmettern drohten. Jedoch, als das allgemeine Geschrei allmählich abnahm, fing man an, die Hauptgegner anzuhören; und diese, damit zufrieden, daß man ihren rhetorischen Kräften Aufmerksamkeit schenken wollte, ließen von der feindlichen Stellung ab und verließen sich auf ein noch siegreicheres aber weniger furchtbares Glied als ihre braungebrannten Arme.

»Ihr seid ein verwegener Seemann, Bruder,« fing Nightingale an, als er seinen Sitz wieder eingenommen hatte, »und wenn Reden soviel wäre als Handeln, so würdet Ihr bald dem Schiffe eine Zunge leihen. Ich aber, der ich Flotten von Zwei- oder Dreideckern gesehen habe, und das von allen Nationen – jedoch mit Ausnahme Eurer Mohawks, deren Kreuzern ich nie begegnet zu sein gestehen muß – ich, der diese Flotten habe liegen sehen, schnigge wie die Seemöwen mit ihren eingereisten Schönfahrsegeln, ich verstehe mich auf den Lauf des Schiffes und auf jede Wendung.«

»Ich werde Euch in alle Ewigkeit nicht zugeben, daß man ein Boot mit Hilfe der Hinterrahesegel halten muß«, erwiderte Dick. »Ich will zugeben, daß Ihr ihm die Stagsegel gebt, ohne daß es unrecht sei; aber kein echter Seemann, der sein Handwerk versteht, wird nur einen Sack voll Wind zwischen den großen Mast und die Borgwandtaue durchlassen. Aber Worte sind wie der Donner, der oberhalb rollt, ohne je eine Barkuse hinabzugleiten; laßt uns daher die Frage einem Dritten vorlegen, der das Wasser kennt, und was vom Schiff und Schiffsleben versteht.«

»Wäre der älteste Flottenadmiral Sr. Majestät hier zugegen, er würde bald entschieden haben, wer von uns beiden recht und wer unrecht hat. Hört, Brüder, wenn es einen unter euch allen gibt, der auf der See erzogen ist, so stehe er auf und spreche, damit die Sache mal zum Spruch komme, und nicht wie ein Splitzeisen zwischen einem Brassenblock und einer beschmierten Rahe festsitzt.«

»Hier denn,« rief Fid, »hier ist der Mann.« Zugleich streckte er den Arm aus, ergriff Scipio beim Kragen, zog und schob ihn ohne viele Umstände mitten in den Kreis, der sich um die beiden Streiter gebildet hatte. – »Hier ist ein Mann für Euch, der noch eine Reise mehr zwischen Amerika und Afrika gemacht hat als ich, und zwar aus dem Grunde, weil er daselbst geboren ist. Nu paß auf, Sip, und antworte wie einer, der vom Tauwerk herabruft: Unter welches Segel würdest du, an deines Landes Küste, ein Schiff bringen, wenn es Gefahr liefe, einen Windstoß aushalten zu müssen?« »Unter gar keins; ich würde es lenzen.«

»Aber hör‘ mich doch an; wenn du sicher gehen wolltest, würdest du das Schiff unter ein Schönfahrsegel bringen, oder bloß das Vorsegel gebrauchen?«

»Darauf weiß ja jeder Narr die Antwort«, brummte Seipio verdrießlich, weil ihm die Katechismusfragen lästig zu werden anfingen. »Wenn Ihr die Vorsegel weglaßt, wie wollt Ihr es mit dem großen Segel machen? Gebt mir Antwort, Mister Dick!«

»Meine Herren,« sagte Nightingale, mit Gravität rund um sich blickend, »ich überlasse es Ihnen zu entscheiden, ob es sich schickt, einen Neger auf eine so ganz ungewöhnliche Weise auftreten zu lassen, damit er einem Weißen seine Meinung in die Zähne werfe?«

Dieses Appellieren an die verletzte Würde der Gesellschaft wurde mit allgemeinem Gemurmel beantwortet. Scipio, der sich bereit hielt, seine auf Erfahrung gestützte Meinung zu behaupten, und sie ohne Zweifel gegen jedermann durchgesetzt haben würde, hatte nicht das Herz, sich der Äußerung zu widersetzen, daß es ihm nicht zukomme, mitzusprechen. Ohne ein Wort zu seinen Gunsten oder zu seiner Entschuldigung zu sprechen, schlug er die Arme übereinander und verließ das Haus mit der Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit eines Menschen, der an Unterdrückung gewöhnt, sich zum Widerstand zu schwach und demütig fühlt. Nicht so sein Gefährte Fid, der sich mit einem Male von ihm verlassen und seines Zeugnisses beraubt sah. Er schwieg zu diesem unerwarteten Abzug nicht, remonstrierte und protestierte laut dagegen; als er aber fand, daß es zu nichts half, tat er einen herzhaften Fluch, stopfte sich ein paar Zoll Tabak in den Mund und folgte dem Kompagnon, nachdem er seinen Gegner nochmals fest ins Auge gefaßt und ihm zugerufen hatte: »Wenn sein Kamerad nur eine schmucke Haut hätte, würde er von beiden der Weiseste sein!«

Der Triumph des Bootsmannes war nun vollständig und seine Freude darüber unmäßig.

»Gentlemen,« sagte er hierauf, mit zunehmender Selbstzufriedenheit die bunte Gesellschaft anredend, die um ihn stand, »ihr seht, daß Vernunft einem Schiffe gleicht, das aus beiden Seiten von Leesegeln niedergehalten wird, dem geraden Kielwasser folgend und den Mast schonend. Aber ich mag mich nicht rühmen, weiß auch nicht, wer der Mensch ist, der sich eben davongemacht hat, um seine Ehre in Zeiten zu wahren – nur soviel sag‘ ich, daß der Mann zwischen Boston und Westindien noch zu finden ist, der sich besser als ich drauf versteht, ein Schiff gehen oder stehen zu machen, vorausgesetzt, daß …«

Hier stockte mit einem Male der tiefe Baß Nightingales, sein Auge starrte, er stand wie bezaubert da, weil ihn der Blitzblick des grünen Mannes traf, dessen Gestalt und Züge plötzlich unter den gemeinen Gesichtern der Menge hervorragten.

»Mag sein,« fuhr jetzt der Bootsmann fort, die Worte halb verschluckend aus Bestürzung, daß er sich einem so niederschmetternden Auge gegenübersah, »mag sein, daß dieser Herr einige Seekenntnis hat und den vorliegenden Streit entscheiden kann.«

»Wir studieren auf der Universität nicht die Seetaktik,« erwiderte der andere kurz abgebrochen, »obschon ich nach meiner geringen Kenntnis gestehe, daß ich für das Lenzen bin.«

Er sprach dieses letzte Wort mit einem Nachdruck aus, der auf den Gedanken bringen konnte, er wolle einen Scherz, ein Wortspiel machen; um so mehr, da er gleich darauf seine Zeche auf den Tisch warf, sich lenzte und Nightingalen das Feld räumte. Nach einer kurzen Pause setzte dieser seine Erzählung fort; nur, sei’s aus Ermüdung, sei’s aus einer andern Ursache, weniger entschieden als vorher und auffallend abgekürzt. Kaum war sie zu Ende und sein Grogkrug leer, als er dem Ufer zuwankte, wo bald nachher ein Boot anlegte, um ihn nach dem Schiffe zu bringen, das, wie wir gesehen, das beständige Augenmerk des guten Homespun geblieben war.

Unterdessen hatte der grüne Fremdling seinen Gang durch die Hauptstraße des Ortes fortgesetzt. Fid war seinem beschämten Begleiter Scipio nachgeeilt, nicht ohne verächtliche Bemerkungen über des Bootsmanns Seekenntnisse vor sich in den Bart zu murmeln. Als er den Schwarzen eingeholt hatte, änderte er den Angriff und fiel mit Vorwürfen über ihn her. »Wie konntest du einen so einfachen Punkt fahren lassen?« fuhr er ihn an. »Es ist ja so klar wie die Sonne am Himmel, daß der Schoner doch schneller fortkommen würde, mit dem Wind von beiden Seiten, als vom Winde geklemmt.«

Der grüne Mann folgte dem vor ihm herschlendernden Paare; es mochte ihm nun ihr Betragen in der Schenke aufgefallen sein oder aus bloßer Laune. Sie schlugen sich um das Wasser hin, bestiegen eine Anhöhe, die beiden eine Strecke voraus, der Grüne in einiger Entfernung von ihnen, bis dieser sie, beim Umbiegen um eine Straßen- oder vielmehr Feldstraßenecke aus dem Gesicht verlor, denn schon war man aus Stadt und Vorstadt herausgekommen. Jetzt verdoppelte der Rechtsgelehrte (wofür er sich ausgegeben hatte) seine Schritte, und war froh, als er nach einigen Minuten beide Ehrenmänner an einem Zaune sitzend wiederfand. Hier hielten sie ein frugales Mahl aus dem Inhalt eines kleinen Kobers, den der Weiße bisher unter dem Arm getragen hatte, und wovon er seinem Kompagnon freigebig zukommen ließ. – Scipio hatte seine Stelle nahe genug eingenommen, zum Beweise, daß der Friede gemacht war, doch etwas mehr im Hintergrund aus Anerkenntnis des höhern Ranges, den der andere seiner weißen Farbe verdankte. Der Fremde näherte sich ihnen und sprach:

»Da ihr mit dem Kober so gastfrei umgeht, so möchte vielleicht euer dritter Mann ohne Abendessen zu Bette gehen müssen.«

»Wer prait?« rief Dick, von seinem Knochen mit einem Ausdrucke aufsehend, der dem Blicke eines Bullenbeißers glich, wenn man ihn bei einer ähnlichen Beschäftigung stören würde.

»Ich wünschte nur,« erwiderte jener im Kavaliertone, »Euch freundschaftlich zu erinnern, daß sich noch ein dritter Speisekandidat vorfindet.«

»Wollt Ihr eine Schnitte? Da nehmt, Bruder«, sagte der Seemann, mit Matrosenfreigebigkeit den Kober hinreichend, sobald er zu merken glaubte, daß es darauf abgesehen sei.

»Nicht doch, Ihr versteht mich unrecht; hattet Ihr nicht auf der Kaje einen dritten Kompagnon?«

»Ja, so! Der ist dort in der Abfahrt, wo Ihr das Stück von einer Feuerbake seht, die schlecht genug verteiet ist, man müßte denn gewollt haben, daß sie den Ochsengespannen und inländischen Händlern den Kanal zeigen solle. Dort, dort, Gentleman, wo Ihr den Steinhaufen seht, der alle Augenblicke, scheint’s, runterrollen will.«

Der Fremde sah in die angegebene Richtung hin und sah den jungen Seemann, nach dem er sich erkundigt hatte, nicht weit am Fuße eines alten verfallenen Turmes stehen, dem, vom Zahne der Zeit zerfressen, alle Augenblick der Einsturz drohte. Den beiden Schiffern eine Handvoll Münze zuwerfend, wünschte er ihnen eine gesegnete Mahlzeit und sprang über den Zaun, in der Absicht, ebenfalls die Ruine zu betrachten.

»Der Bursche,« sagte Dick, indem er mit seiner Kinnladenbewegung innehielt und dem Abgehenden einen freundlicheren Blick nachschickte, als der beim ersten Empfang gewesen war: »Der Bursche ist freigebig mit seinen Kupferpfennigen; da sie aber da, wo er sie gesät, nicht wurzeln würden, so heb‘ sie auf, Sip, und stecke sie mir in die Tasche. Das nenn‘ ich, traun! einen raschen, freien Handel, Afrika; so sind sie aber alle, die Gesetzhändler. Ihre Pence werfen sie dem Teufel in den Rachen; dafür wissen sie auch mehr zu bekommen, wenn Ebbe in ihrer Lade ist.«

An der Ruine selbst war nicht viel, was das Beschauen einem Manne lohnen konnte, der seinen Versicherungen zufolge, Gelegenheit gehabt hatte, weit imposantere Überbleibsel der alten Zeit, jenseits des Ozeans, in Augenschein zu nehmen. Es war ein kleiner, runder Turm; er stand auf rohen Pfeilern, die durch Bogen unter sich verbunden waren, und mag in der Kindheit des Landes zu einer Schutzwehr erbaut worden sein, obschon es weit wahrscheinlicher ist, daß er zu anderm als kriegerischem Gebrauch gedient habe. Dieses kleine Gebäude mit seiner sonderbaren Gestalt, seinem verfallenen Zustand und Baumaterial ist auf einmal, fünfzig Jahre und darüber seit jener Zeit ein Gegenstand der Untersuchungen einer sehr gelehrten Klasse von Männern – der amerikanischen Altertumsforscher – geworden.

Als der grüne Mann den Ort erreicht hatte, gab er seinem Stiefel mit der Reitgerte einen kräftigen Schlag, um die Aufmerksamkeit des vertieften Seemanns auf sich zu ziehen, und bemerkte dann mit freiem, leichten Wesen:

»Wie malerisch liegt diese Ruine? Wie schön würde sie sich im Prospekt ausnehmen, wenn man sie, mit Efeu bewachsen, durch eine Waldöffnung erblickte? Doch ich muß um Verzeihung bitten; Herren von Ihrem Gewerbe haben mit Wäldern und verwitterten Steinen wenig zu tun. Dort (mit dem Finger auf die hohen Masten des Schiffes im äußern Hafen zeigend), dort ist der Turm, den Sie lieben; ein Wrack ist Ihre Ruine!«

»Sie scheinen, Sir,« antwortete jener kalt, »mit unserem Geschmack vertraut.«

»So ist es aus Instinkt; denn gewiß, ich habe bis jetzt wenig Gelegenheit gehabt, durch Umgang mit Männern vom … Gewerbe in diesem Fach Kenntnisse zu sammeln, und ich darf nicht hoffen, daß ich in gegenwärtigem Augenblicke glücklicher sein werde. Doch lassen Sie uns frei sein, Freunde werden und ein freundliches Wort miteinander reden. Was für ein Vergnügen finden Sie an diesem Steinklumpen? Wie kann er Sie nur einen Augenblick von der Betrachtung jenes schönen, netten, wohlausstaffierten Schiffes abhalten?«

»Nu, wenn ich, ein Seemann ohne Anstellung, ein Schiff betrachten wollte, das mir gefiele, selbst in der Absicht, Dienste darauf zu nehmen, würde Sie das so befremden?«

»Der Kapitän müßte ein ganzer Narr sein, der einen Mann wie Sie abwiese! Aber Sie scheinen für eine der niedrigen Berths zu gebildet und wohlerzogen.«

»Berths?« wiederholte der andere stutzend und die Augen scharf auf den Grünen richtend.

»Berths oder Births. Dies ist ja wohl in der Schiffersprache das Wort für Stelle, Lage, Stellung? Ist’s nicht so? Wir Rechtsgelehrte verstehen uns wenig aufs Seewörterbuch; aber ich sollte meinen, ich hätte den dorischen Dialekt getroffen. Sind Sie auch der Meinung?«

»Das Wort ist in der Tat noch nicht obsolet, und als Figur ist es in dem Sinne, worin Sie es nehmen, korrekt.«

» Obsolet?« wiederholte der Mann in Grün mit eben der Miene, womit jener sein Berths aufgefaßt hatte; »das ist wohl der Name eines Schiffteils? Sie verstehen vielleicht unter Figur die Figur am Spiegel, und unter Obsolet das lange Boot?«

Der junge Seemann lachte, und als hätte dieser Scherz die Schranke seiner Zurückhaltung durchbrochen, schien es, als verliere sein Benehmen von nun an und im übrigen Teile der Unterredung viel von dem anfänglichen kalten Zwange.

»Es ist geradeso klar,« sagte er, »daß Sie die Schiffsplanken, als daß ich die Schulbänke gedrückt habe. Da wir nun beide so glücklich gewesen sind, so lassen Sie uns ehrlich zu Werke gehen und aufhören, in Parabeln zu reden. Und, um den Anfang zu machen, frage ich Sie, was Sie von dieser Ruine halten, der Absicht und dem Gebrauche nach, als sie noch in gutem Stande war.«

»Um dieses besser zu beurteilen und beantworten zu können,« erwiderte der Grüne, »ist es notwendig, sie genauer zu untersuchen, und vor allem, sie zu besteigen.«

Zugleich kletterte er auf einer vorgefundenen morschen Leiter bis zum Fußboden über dem Bogengewölbe, durch das eine offene Falltür führte. Sein Kompagnon nahm Anstand, zu folgen; als er aber sah, daß jener oben auf der Leiter auf ihn wartete, ihm zuwinkte und ihm die Öffnung zeigte, sprang er nach und erreichte die Höhe mit einer Behendigkeit und Schnelle, die ihm bei seiner Lebensart geläufig war.

»Hier sind wir!« rief der grüne Mann, sich nach den nackten Wänden umsehend, die aus so kleinen, ungleichen Steinen aufgebaut waren, daß sie dem Gebäude ein hinfälliges, gefährliches Ansehen gaben. »Wir haben gute eichene Planken zum Deck, wie Ihr sagen würdet, und den Himmel zum Roof … so nennen wir aus der Universität den Oberteil des Hauses. Nu laßt uns aber sprechen von Dingen der niedern Welt. Hm! Hm! … Hab‘ ich doch vergessen, wie Ihr Euch gewöhnlich nennt.«

»Das hängt von Verhältnissen ab. So wie die Lagen und Umstände verschieden waren, war es auch meine Benennung. Wollt Ihr mich aber Wilder nennen, so werde ich auf den Namen hören und antworten.«

» Wilder! Ein guter Name; doch dünkt mich, würdet Ihr nichts dabei verlieren, wenn Ihr Euch Wildfang nenntet. Ihr jungen Schiffsburschen steht im Rufe, zuweilen in euern Launen wild umherzuschweifen. Wie manches zärtliche Herz habt ihr in schattigen Lauben über euern Flattersinn seufzen und brechen lassen, während ihr das salzige Wasser des Ozeans durchpflügtet … Ist das nicht der Ausdruck, durchpflügen?«

Nachdenkend, dabei aber sichtbar empfindlich über die Art von Katechismusexamen, erwiderte der junge Mann: »Nur wenige haben über mich geseufzt … Doch laßt uns die Untersuchung des alten Turmes fortsetzen. Was dünkt Euch seine Bestimmung gewesen zu sein?«

»Wozu er jetzt dient, ist deutlich; wozu er früher gedient hat, ist auch nicht schwer zu erraten. Gegenwärtig schließt er, wie wir sehen, zwei leichte Herzen ein, und, wo ich nicht irre, zugleich zwei leichte Köpfe, die nicht schwer an Weisheit geladen haben. Früherhin waren dieses hier Kornböden und die Bewohner kleine Tierchen, ebenso leichtfüßig, als wir leichtsinnig an Kopf und Herz‘ mit einem Wort und auf gut Englisch: Es war eine Mühle.«

»Andere wollen behaupten, es sei eine Feste gewesen.«

»Hm! Zur Notdurft hätte man den Ort dazu gebrauchen können,« versetzte der Grüne, ihn schnell und aufmerksam betrachtend, »aber soviel ist gewiß, eine Mühle ist es gewesen, so gern man ihm einen edleren Ursprung beilegen möchte. Die dem Winde günstige Lage, die Pfeiler, die das Ungeziefer von unten abhalten sollen, Gestalt, luftiger Bau, innere Einrichtung, alles dient zum Beweise. Whirr… irr… irr, Klatter … atter … atter … atter: mich dünkt, ich höre noch den alten Lärm der Flügel und Räder … St! Still! Ich höre noch jetzt eine Art von Geklapper!«

Mit diesen Worten sprang er an eine der Öffnungen hinan, die dem Gebäude ehedem zu Luftlöchern oder Fenstern gedient hatten, und steckte den Kopf durch, zog ihn nach einer halben Minute zurück und winkte seinem Gefährten, sich still zu verhalten. Dieser verstand und befolgte das Zeichen, und bald vernahmen sie in kleiner Entfernung weibliche Stimmen. Sowie die Redenden näher kamen, stiegen die Laute von unten den Turm gerade hinauf zu den Ohren der beiden, die sich, alles Geräusch vermeidend, ein Plätzchen aufsuchten, wo sie, selbst ungesehen, sehen und horchen und sich am Horchen belustigen konnten.