Neunundzwanzigstes Kapitel

Die Ereignisse der letzten Tage waren zu aufregend gewesen und hatten die Kräfte Mabels zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie sich der Hilflosigkeit des Grames hätte hingeben können. Sie trauerte um ihren Vater, und gelegentlich überlief sie ein Schauder, wenn sie sich Jennies plötzlichen Tod und all die schrecklichen Szenen, deren Zeuge sie gewesen, ins Gedächtnis zurückrief: Im ganzen aber war sie gefaßter und weniger niedergedrückt, als dies bei tiefem Schmerz gewöhnlich ist. Vielleicht half ihr das übermächtige, betäubende Seelenleiden, das die arme June beugte und sie beinahe vierundzwanzig Stunden besinnungslos niedergeworfen hatte, Mabel ihre eigenen Gefühle besiegen, da sie sich zur Trösterin des armen Indianerweibes berufen glaubte; auch erwies sie ihr diesen Dienst in der ruhigen, besänftigenden und einnehmenden Weise, mit der ihr Geschlecht bei solchen Gelegenheiten seinen Einfluß geltend macht.

Der Morgen des dritten Tages war für die Abfahrt des Scud bestimmt. Jasper hatte seine Vorbereitungen getroffen, die verschiedenen beweglichen Gegenstände waren eingeschifft, und Mabel hatte von June Abschied genommen – ein schmerzliches und zärtliches Lebewohl. Mit einem Wort, alles war bereit, und mit Ausnahme der Indianerin, Pfadfinders, Jaspers und Mabels hatte die ganze Gesellschaft die Insel verlassen. Junitau war ins Gebüsch gegangen, um zu weinen, und die drei letzteren näherten sich einer Stelle, wo drei Kähne lagen, von denen einer Junes Eigentum war, während die beiden übrigen die Bestimmung hatten, die Zurückgebliebenen dem Scud zuzuführen. Pfadfinder ging voraus; als er aber näher gegen das Ufer kam, forderte er, statt die Richtung nach den Booten einzuschlagen, seine Gefährten auf, ihm zu folgen, worauf er sie zu einem umgestürzten Baum führte, der am Rande der Lichtung und außer dem Gesichtskreis des Kutters lag. Hier ließ er sich nieder und hieß Mabel auf der einen und Jasper auf der anderen Seite neben ihm Platz nehmen.

»Setzen Sie sich hierher, Mabel – und Ihr, Eau-douce, dahin«, begann er, sobald er seinen Sitz eingenommen hatte. »Mir liegt was schwer auf der Seele, und es ist jetzt Zeit, es abzuschütteln, wenn’s anders möglich ist. Setzen Sie sich, Mabel, und lassen Sie mich mein Herz, wenn nicht mein Gewissen, erleichtern, solange ich noch die Kraft hab‘, es zu tun.«

Es folgte nun eine Pause von zwei oder drei Minuten, und beide jungen Leute harrten verwundert dessen, was kommen sollte. Der Gedanke, daß Pfadfinder eine Last auf seinem Gewissen haben könne, schien beiden gleich unwahrscheinlich.

»Mabel«, fuhr unser Held endlich fort, »wir müssen offen miteinander reden, ehe wir wieder mit Ihrem Onkel auf dem Scud zusammentreffen, wo Salzwasser seit dem letzten Spaß jede Nacht geschlafen hat, weil dieser, wie er sagt, der einzige Platz sei, wo ein Mann versichert sein dürfe, seine Haare auf dem Kopf zu behalten. – Aber ach, was kümmern mich jetzt diese Torheiten und albernen Worte! Ich versuch‘ es, heiter und leichten Sinnes zu sein; aber die Kraft des Menschen kann das Wasser nicht stromaufwärts fließen machen. Mabel, Sie wissen, daß der Sergeant vor seinem Scheiden die Bestimmung getroffen hat, daß wir uns heiraten, beieinander leben und uns gegenseitig lieben sollen, solang es dem Herrn gefällt, uns auf Erden zu lassen: ja, und auch nachher?«

Mabels Wangen hatten in der frischen Morgenluft wieder etwas von ihrem früheren rosigen Aussehen gewonnen; bei dieser unerwarteten Anrede aber erbleichten sie fast wieder wie zu der Stunde, wo der herbste Schmerz ihr Inneres erfaßt hatte. Doch blickte sie Pfadfinder mit freundlichem Ernst an und versuchte es, ein Lächeln zu erzwingen.

»Sehr wahr, mein ausgezeichneter Freund«, entgegnete sie; »das war der Wunsch meines armen Vaters, und ich fühle die tiefe Überzeugung, daß ein ganzes, Eurem Glück und Eurem Wohlbehagen geweihtes Leben kaum imstande ist, Euch für alles, was Ihr an uns getan habt, zu belohnen.«

»Ich fürchte, Mabel, daß Mann und Weib durch ein kräftigeres Band aneinandergeknüpft sein müssen als durch solche Gefühle. Sie haben nichts oder doch nichts von irgendeinem Belang für mich getan, und doch neigt sich mein ganzes Herz zu Ihnen; es dünkt mir daher wahrscheinlich, daß diese Zuneigung von was anderem herkommt als von dem Schutz der Skalpe und dem Geleit durch die Wälder.«

Mabels Wangen fingen wieder an zu glühen, und obgleich sie sich alle Mühe gab, zu lächeln, so war doch in ihrer Antwort ein leichtes Beben der Stimme nicht zu erkennen.

»Wär‘ es nicht besser, wenn wir diese Unterhaltung aufschöben, Pfadfinder?« sagte sie; »wir sind nicht allein, und es heißt, es sei nichts Unangenehmeres für einen Dritten, Familienangelegenheiten besprechen zu hören, die für ihn kein Interesse haben.«

»Gerade, weil wir nicht allein sind oder vielmehr, weil Jasper bei uns ist, Mabel, möcht‘ ich diese Sache zur Sprache bringen. Der Sergeant glaubte, daß ich ein geeigneter Lebensgefährte für Sie sein dürfte, und obgleich ich meine Bedenklichkeiten dabei hatte ja, ja, ich hatte viele Bedenklichkeiten – ließ ich mich doch zuletzt bereden, und die Dinge nahmen die Ihnen bekannte Wendung. Als sie aber Ihrem Vater versprachen, mich zu heiraten, Mabel, und Sie mir so bescheiden, so anmutig Ihre Hand gaben, war ein Umstand, wie es Ihr Onkel nennt, vorhanden, von dem Sie nichts wußten, und ich halt‘ es für billig, Ihnen den mitzuteilen, ehe die Sachen ganz ins reine gebracht sind. Ich hab‘ mich oft mit einem mageren Hirsch für meine Mahlzeit begnügt, wenn ich kein gutes Wildbret haben konnte, aber es ist natürlich, daß man nicht nach dem Schlechtesten greift, wenn das Beste zu finden ist.«

»Ihr sprecht in einer Weise, Pfadfinder, die ich nicht verstehen kann. Wenn diese Unterhaltung wirklich so notwendig ist, so hoff‘ ich doch, daß Ihr Euch deutlicher ausdrückt.«

»Gut also. – Mabel, ich habe mir Gedanken darüber gemacht, daß Sie, als Sie sich in die Wünsche des Sergeanten fügten, wahrscheinlich die Natur von Jasper Westerns Gefühlen gegen Sie nicht kannten?«

»Pfadfinder!«

Mabels Wangen erbleichten nun zur Blässe des Todes und erglühten wieder purpurn; ihr ganzer Körper bebte. Pfadfinder hatte jedoch zu sehr seinen Zweck im Auge, um diesen schnellen Wechsel zu bemerken, und Eau-douce bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

»Ich hab‘ mit dem Jungen gesprochen, und wenn ich seine Träume, seine Gefühle und seine Wünsche mit den meinigen vergleiche, so fürcht‘ ich, wir denken über Sie zu gleich, als daß wir beide glücklich sein könnten.«

»Pfadfinder, Ihr vergeßt – Ihr solltet Euch erinnern, daß wir verlobt sind«, sagte Mabel hastig und mit so leiser Stimme, daß von Seiten der Zuhörer große Aufmerksamkeit erfordert wurde, um ihre Worte zu verstehen. In der Tat waren auch die paar letzten Silben dem Kundschafter völlig entgangen, und er gab dies zu verstehen durch sein gewöhnliches:

»Wie?«

»Ihr vergeßt, daß wir uns heiraten sollen, und solche Anspielungen sind ebenso ungeeignet wie schmerzlich.«

»Alles, was recht ist, ist geeignet, Mabel; und alles ist recht, was zu einem billigen Ausgleich und zu einem offenen Verständnis führt, obgleich es, wie mir meine eigene Erfahrung sagt, schmerzlich genug ist, wie Sie sich ausdrücken. Nun, Mabel, wenn Sie gewußt hätten, daß Jasper in solcher Weise an Sie denkt, so hätten Sie vielleicht nie eingewilligt, einen so alten und unansehnlichen Mann, wie ich bin, zu heiraten?«

»Warum diese grausame Prüfung, Pfadfinder? Wozu kann das alles führen? Jasper denkt nicht an so was; er sagt nichts, er fühlt nichts.«

»Mabel!« entfuhr es den Lippen des Jünglings auf eine Weise, die die unbezwingliche Natur seiner Gefühle verriet, obgleich er keine Silbe weiter hinzufügte.

Mabel bedeckte ihr Antlitz mit den Händen, und die beiden saßen da wie ein paar Schuldige, die plötzlich bei einem Verbrechen ertappt wurden, bei dem es sich um das ganze Glück eines gemeinschaftlichen Gönners handelte. In diesem Augenblick war Jasper vielleicht selbst geneigt, seine Leidenschaft in Abrede zu stellen, da er weit entfernt war, seinem Freund einen Gram bereiten zu wollen, während für Mabel die unverhohlene Mitteilung einet Tatsache, die sie eher im stillen gehofft als geglaubt hatte, so unerwartet kam, daß sich auf einen Augenblick ihre Sinne verwirrten und sie nicht wußte, ob sie weinen oder sich freuen sollte. Doch mußte sie zuerst sprechen, da Jasper nicht imstande war, etwas hervorzubringen, was unredlich oder für seinen Freund schmerzlich erscheinen konnte.

»Pfadfinder«, sagte sie, »Ihr sprecht rauh. Weshalb erwähnt Ihr solche Dinge?«

»Nun, Mabel, wenn ich rauh spreche, so wissen Sie wohl, daß ich von Natur sowohl als auch, wie ich fürchte, aus Gewohnheit ein halber Wilder bin.« Als er dies sagte, suchte er in seiner gewöhnlichen lautlosen Weise zu lachen, aber es gelang nicht recht, und der Versuch gestaltete sich zu einem seltsamen Mißton, der ihn fast zu ersticken drohte. »Ja, ich muß wohl wild sein; ich will nicht versuchen, es zu leugnen.«

»Teuerster Pfadfinder! Mein bester, fast mein einziger Freund, Ihr könnt und werdet nicht glauben, daß ich etwas der Art zu sagen beabsichtigte!« unterbrach ihn Mabel, indem ihr die Eile, womit sie ihre unbeabsichtigte Kränkung wieder gutmachen wollte, fast den Atem versagte. »Wenn Mut, Treue, Adel der Seele und des Charakters, Festigkeit der Grundsätze und hundert andere ausgezeichnete Eigenschaften einem Mann Achtung, Verehrung und Liebe gewinnen können, so steht Ihr mit Euren Ansprüchen keinem anderen menschlichen Wesen nach.«

»Was für zarte und bezaubernde Stimmen die Frauen haben, Jasper!« nahm der Kundschafter nun mit einem offenen und natürlichen Lachen wieder das Wort. »Ja, die Natur scheint sie geschaffen zu haben, uns in die Ohren zu singen, wenn die Melodien der Wälder schweigen. Aber wir müssen zu einem vollen Verständnis kommen – ja, das müssen wir. Ich frage Sie noch mal, Mabel wenn Sie gewußt hätten, daß Jasper Western Sie ebensosehr liebt wie ich oder vielleicht noch mehr, obgleich dies kaum möglich ist – daß er mit Ihnen und von Ihnen in seinen Träumen spricht, daß er sich vorstellt, alles, was schön und gut und tugendhaft ist, gleiche Mabel Dunham, daß er glaubt, nie ein Glück gekannt zu haben, ehe er Sie gesehen, daß er den Boden küssen möchte, den Ihr Fuß betreten, daß er alle Freuden seines Berufes vergißt, um an Sie zu denken, mit Entzücken Ihre Schönheit zu bewundern und auf Ihre Stimme zu horchen – würden Sie dann eingewilligt haben, mich zu heiraten?«

Mabel hätte diese Frage nicht beantworten können, selbst wenn sie gewollt hätte; aber obgleich sie ihr Gesicht mit ihren Händen verhüllte, so war doch die Glut des Blutstromes zwischen ihren Fingern sichtbar, und selbst diese schienen an dem Rot teilzunehmen. Die Natur behauptete jedoch ihre Macht; denn einen Augenblick lang warf das bestürzte, fast erschreckte Mädchen einen verstohlenen Blick auf Jasper, als ob sie Pfadfinders Erzählung von der Art der Gefühle des jungen Mannes mißtraute, und dieser Blick schloß ihr die ganze Wahrheit auf; sie verbarg schnell das Gesicht wieder, als ob sie es für immer der Beobachtung entziehen wolle.

»Nehmen Sie sich Zeit, nachzudenken«, fuhr der Kundschafter fort, »denn es ist eine ernste Sache, einen Mann zum Gatten anzunehmen, wenn die Gedanken und Wünsche auf einen anderen gerichtet sind. Jasper und ich haben über diesen Gegenstand offen, wie zwei alte Freunde, gesprochen, und obgleich ich stets wußte, daß wir die meisten Dinge so ziemlich mit gleichem Auge betrachten, so wäre mir’s doch nie eingefallen, daß unsere Gedanken über einen Gegenstand sogar die gleichen wären, bis wir uns gegenseitig unsere Gefühle über Sie mitteilten. Jasper gesteht ein, daß er Sie von der Zeit an, als er Sie das erstemal erblickte, für das süßeste und gewinnendste Wesen hielt, das er je getroffen, daß der Ton Ihrer Stimme wie das Brausen der Wasser in seinen Ohren klinge, daß ihm seine Segel wie Ihre im Winde flatternden Gewänder vorkämen, daß er Ihr Lächeln in seinen Träumen sehe, und daß er wieder und wieder erschreckt aufführe, weil es ihm schiene, es wolle Sie jemand mit Gewalt dem Scud entführen, wohin seine Einbildungskraft Ihren Aufenthalt verlegt hatte. Ja, der Junge hat sogar zugestanden, daß ihm oft die Tränen ins Auge getreten seien, wenn er dachte, daß Sie Ihre Tage wahrscheinlich mit einem anderen und nicht mit ihm hinbringen würden.«

»Jasper?«

»Es ist feierliche Wahrheit, Mabel, und es ist recht, daß Sie sie erfahren. Nun stehen Sie auf und wählen Sie zwischen uns beiden. Ich glaube, Jasper liebt Sie ebensosehr wie ich. – Er wollte mich zwar bereden, daß seine Liebe heißer sei, ich kann dies aber nicht zugeben, weil es unmöglich ist; ich glaube aber, daß der Junge Sie von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt, und er hat daher das Recht, gehört zu werden. Der Sergeant hat mich zu Ihrem Beschützer, nicht zu Ihrem Tyrannen bestellt. Ich hab‘ ihm versprochen, daß ich Ihnen Vater und Gatte sein wolle, und es scheint mir, daß kein gefühlvoller Vater seinem Kind dies kleine Vorrecht versagen würde. Stehen Sie daher auf, Mabel, und sprechen Sie Ihre Gedanken so unverhohlen aus, als ob ich der Sergeant selbst wäre, der nichts anderes als Ihr Bestes beabsichtigt.«

Mabel ließ die Hände sinken, erhob sich und stand, Angesicht gegen Angesicht, ihren beiden Freiern gegenüber, obgleich eine fieberhafte Glut ihre Wangen bedeckte – eher eine Wirkung der Aufregung als der Scham.

»Was wollt Ihr von mir, Pfadfinder?« fragte sie; »hab‘ ich nicht bereits meinem armen Vater versprochen, ganz nach Euren Wünschen zu handeln?«

»Dann wünsch‘ ich folgendes: Hier steh‘ ich, ein Mann der Wälder und von wenig Wissen, obgleich ich fürchte, daß mein Ehrgeiz vielleicht meine Verdienste übersteigt, und ich will mir Mühe geben, beiden Teilen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Fürs erste ist es hinsichtlich unserer Gesinnungen für Sie zugestanden, daß wir beide Sie mit gleicher Innigkeit lieben; Jasper meint zwar, daß seine Gefühle die tieferen sein müßten, aber ich kann das als ehrlicher Mann nicht zugeben, weil es mir vorkommt, als könnt‘ es unmöglich wahr sein, sonst würde ich mich frei und offen drüber aussprechen. In dieser Beziehung, Mabel, wären also unsere beiderseitigen Verhältnisse die gleichen. Was mich anbelangt, so steht es mir als dem Ältesten zuerst zu, daß bißchen, was zu meinen Gunsten spricht, ebensogut wie das Gegenteil vorzubringen. An der ganzen Grenze, glaub‘ ich, gibt’s keinen, der mich als Jäger übertrifft. Wenn also Wildbret und Bärenfleisch oder selbst Vögel und Fische in unserer Hütte selten sein sollten, so müßte die Schuld davon wahrscheinlich eher der Natur und der Vorsehung zugeschrieben werden als mir. Kurz, es kommt mir vor, daß die Frau, die mir folgt, sich nie über Mangel an Nahrung zu beklagen haben wird. Aber ich bin schrecklich unwissend! Es ist zwar wahr, ich spreche mehrere Sprachen, wie sie eben sind, aber ich bin weit entfernt, auch nur in meiner eigenen gründlich bewandert zu sein. Dann bin ich älter als Sie, Mabel, und der Umstand, daß ich so lange der Kamerad Ihres Vaters gewesen bin, mag gerade kein großes Verdienst in Ihren Augen sein. Auch wollt‘ ich, ich wäre hübscher: Aber wir sind eben, wie uns die Natur gemacht hat und, besondere Anlässe ausgenommen, sollte sich der Mensch am allerletzten über sein Aussehen beklagen. Wenn ich nun alles, Alter, Aussehen, Kenntnisse und Gewohnheiten in Betracht ziehe, Mabel, so sagt mir mein Gewissen, daß ich durchaus nicht für Sie passe, wenn ich nicht etwa gar Ihrer ganz unwürdig bin, und ich würde zur Stunde meine Hoffnung schwinden lassen, wenn nicht etwas in meinem Herzen klopfte, was sich schwer loswerden läßt!«

»Pfadfinder! Edler, großmütiger Pfadfinder!« rief Mabel, indem sie seine Hand faßte und mit einer Art heiliger Verehrung küßte: »Ihr tut Euch selbst unrecht – Ihr vergeßt meinen armen Vater und Euer Versprechen – Ihr kennt mich nicht!«

»Nun – da ist Jasper«, fuhr der Kundschafter fort, ohne sich beirren zu lassen; »bei ihm ist der Fall anders. Hinsichtlich der Versorgung und der Liebe findet kein großer Unterschied zwischen uns statt, denn der Junge ist mäßig, fleißig und sorgsam. Auch ist er sehr unterrichtet, kann Französisch, liest viele Bücher, darunter auch einige, die Sie, wie ich weiß, selbst gerne lesen, und kann Sie allezeit verstehen, was vielleicht mehr ist, als ich von mir selbst sagen kann.«

»Wozu dies alles«, unterbrach ihn Mabel ungeduldig – »warum sprecht Ihr jetzt, warum sprecht Ihr überhaupt davon?«

»Dann hat der Junge eine Art, seine Gedanken auszudrücken, in der ich es ihm, wie ich fürchte, nie gleichtun kann. Wenn es was auf Erden gibt, was meine Zunge kühn und beredt machen kann, Mabel, so sind Sie’s, und doch hat mich Jasper bei unseren letzten Gesprächen auch in diesem Punkt übertreffen, so daß ich mich vor mir selbst schämen muß. Er sagte mir, wie einfach, wie redlich und gütig Sie wären und wie wenig Sie auf die Eitelkeiten der Welt achteten; denn obgleich Sie die Gattin von mehr als einem Offizier werden könnten, wie er meint, so hielten sie doch fest an ihrem Gefühl und zögen es vor, sich selbst und der Natur treu zu bleiben, als nach dem Rang einer Obristenfrau zu trachten. Er hat mir in der Tat das Blut ordentlich warm gemacht, als er von Ihrer Schönheit sprach, auf die Sie gar nicht einmal zu sehen schienen, und wie Sie so natürlich und anmutsvoll gleich einem jungen Reh dahinschritten, ohne es selbst zu wissen; dann von der Richtigkeit und Gerechtigkeit Ihrer Gedanken und der Wärme und dem Edelmut Ihres Herzens –«

»Jasper!« unterbrach ihn Mabel und ließ nun ihren Gefühlen, die um so unbezwinglicher zum Ausbruch kamen, je länger sie niedergedrückt worden waren, den Zügel schießen; sie fiel in die offenen Arme des jungen Mannes und weinte wie ein Kind und fast ebenso hilflos an seiner Brust. – »Jasper! Jasper! Warum habt Ihr mir das verborgen?«

Eau-douces Antwort war nicht sehr verständlich, und auch die nun folgende flüsternde Zwiesprache nicht besonders zusammenhängend; aber die Sprache der Liebe versteht sich leicht. Die nächste Stunde entschwand den beiden wie sonst einige Minuten, soweit nämlich die Berechnung der Zeit in Betracht kommt; und als Mabel sich wieder faßte und sich besann, daß es auch noch andere Leute gebe, maß bereits ihr Onkel das Deck des Schiffes mit ungeduldigen Schritten und wunderte sich, warum Jasper den günstigen Wind zu benützen säume. Zuerst gedachte sie jedoch des Mannes, der wahrscheinlich diese unerwartete Äußerung ihrer wahren Gefühle am schmerzlichsten empfand.

»O Jasper!« rief sie im Tone des plötzlich auftauchenden Schuldbewußtseins – »der Pfadfinder!«

Eau-douce zitterte – nicht aus unmännlicher Furcht, wohl aber in der schmerzlichen Überzeugung, seinen Freund tief gekränkt zu haben, und sah nach allen Richtungen aus, ihn zu erblicken. Aber Pfadfinder hatte sich mit einem Zartgefühl, das dem Takt und der Bildung eines Hofmanns Ehre gemacht hätte, zurückgezogen. Die beiden Liebenden saßen noch einige Minuten beisammen und harrten seiner Rückkehr, ohne zu wissen, was sie unter so bezeichnenden und eigentümlichen Umständen am geeignetsten tun könnten. Endlich sahen sie ihren Freund langsam und nachdenklich auf sie zukommen.

»Ich weiß nun, was Ihr unter dem Sprechen ohne Zunge und dem Hören ohne Ohren verstandet, Jasper«, sagte er, als er dem Baum nahe genug war, um verstanden zu werden. »Ja, ja, ich weiß es jetzt; und es ist eine sehr angenehme Art von Unterredung, wenn man sie mit Mabel Dunham halten kann. Ach! ich hab’s ja dem Sergeanten gesagt, daß ich nicht für sie passe – daß ich zu alt, zu unwissend und zu wild sei; aber er wollte es anders wissen.«

Jasper und Mabel saßen schweigend da. Sie sprachen nicht, sie bewegten sich nicht einmal, obgleich sich beide in diesem Augenblick einbildeten, sie könnten sich von ihrem eben erst gefundenen Glück trennen, um den Seelenfrieden ihres Freundes wiederherzustellen. Jasper war blaß wie der Tod; Mabel hatte aber die jungfräuliche Scham das Blut auf die Wangen getrieben, die in einem Rot strahlten, das sich kaum mit dem ihrer heitersten und glücklichsten Stunden vergleichen ließ. Pfadfinder blickte sie mit einer Innigkeit an, die er nicht zu verbergen suchte und brach dann mit einem wilden Entzücken in sein gewohntes Lachen aus, wie wohl Leute von geringer Bildung ihre Lustigkeit auszudrücken pflegen. Diese augenblickliche Heiterkeit erstarb aber schnell in dem Schmerz des Bewußtseins, daß ihm dieses herrliche junge Wesen für immer verloren sei. Es bedurfte einer vollen Minute, bis sich der einfache, edle Mann von dieser erschütternden Überzeugung erholte; dann gewann er seine frühere würdevolle Haltung wieder und sprach mit Ernst, ja beinahe mit Feierlichkeit:

»Es war mir immer bekannt, Mabel, daß die Menschen ihre Gaben haben, obschon ich vergaß, daß es nicht zu den meinigen gehörte, den Jungen, Schönen und Unterrichteten zu gefallen. Ich hoffe, daß der Mißgriff keine allzuschwere Sünde gewesen ist, und wenn er es war, so bin ich wahrlich schmerzlich genug dafür gestraft worden. Ich weiß, was Sie sagen wollen, Mabel, aber es ist nicht nötig. Ich fühle es ganz, und das ist so gut, als ob ich es ganz hörte. Ich habe eine bittere Stunde gehabt, Mabel; ich habe eine sehr bittere Stunde gehabt, Junge –«

»Eine Stunde?« wiederholte Mabel, als sich Pfadfinder dieses Wortes zum erstenmal bediente, und das verräterische Blut, das ihrem Herzen zuzuströmen angefangen hatte, flutete wieder ungestüm gegen ihre Schläfe; »gewiß, es kann keine Stunde gewesen sein, Pfadfinder.«

»Eine Stunde?« rief Jasper gleichzeitig; »nein, nein, mein würdiger Freund; es sind noch keine zehn Minuten, seit Ihr uns verlassen habt!«

»Nun, es mag so sein, obgleich mir’s wie ein Tag vorkam. Ich fange übrigens an zu glauben, daß der Glückliche seine Zeit nach Minuten und der Elende nach Monaten zählt. Doch, reden wir nichts mehr davon; es ist nun alles vorbei, und viele Worte darüber machen euch nicht glücklicher, während sie mir nur sagen, was ich verloren habe, und wahrscheinlich auch, wie sehr ich verdiente, es zu Verlierern. Nein, nein, Mabel, Sie brauchen mich nicht zu unterbrechen; ich gebe alles zu, und Ihre Gegenrede, so gut sie auch gemeint sein mag, wird meinen Sinn nicht ändern. Nun, Jasper, sie ist die Eure, und obgleich mir’s schwer ankommt, dran zu denken, so will ich doch glauben, daß Ihr sie glücklicher machen werdet, als ich es vermocht hätte. Ich hätte wohl besser getan, dem Sergeanten nicht zu glauben, und mich an das halten sollen, was mir Mabel am See sagte; denn Vernunft und Urteilskraft mußten mir sagen, daß sie recht hatte; aber es ist so angenehm, das zu denken, was wir wünschen, und man läßt sich so leicht beschwatzen, wenn man sich selbst gern überreden möchte. Aber ich hab’s schon gesagt, was nützt all das Gerede? Es ist zwar wahr, Mabel schien einzuwilligen, aber sie tat es ja nur ihrem Vater zu Gefallen – und weil sie sich wegen der Wilden fürchtete –«

»Pfadfinder!«

»Ich verstehe Sie, Mabel; aber ich hab‘ Sie nicht kränken wollen – gewiß nicht. Bisweilen ist mir’s, als möcht‘ ich gerne in eurer Nachbarschaft leben, damit ich euer Glück mitansehen könnte; es ist aber im Grunde doch besser, wenn ich das Fünfundfünfzigste ganz verlasse und zum Sechzigsten zurückkehre, das sozusagen mein angeborenes ist. Vielleicht wär’s auch besser gewesen, wenn ich es nie verlassen hätte, obgleich man meine Dienste in dieser Gegend nötiger hatte und ich einige vom Fünfundfünzigsten aus früheren Jahren kannte – den Sergeanten Dunham zum Beispiel, der ja vorher bei einem anderen Korps stand. Doch, Jasper, es reut mich nicht, Euch kennengelernt zu haben –«

»Und mich, Pfadfinder?« unterbrach ihn Mabel ungestüm: »Bereut Ihr es, mich gekannt zu haben? Wenn ich das glauben müßte, so könnte ich nie zum Frieden mit mir selbst kommen.«

»Sie, Mabel?« erwiderte der Kundschafter, indem er ihr Hand ergriff und dem Mädchen mit argloser Einfalt und inniger Liebe ins Antlitz blickte – »wie könnte mir’s leid tun, daß ein Strahl der Sonne das Dunkel eines freudlosen Tages einen Augenblick erleuchtete? Ich schmeichle mir nicht, daß ich in der nächsten Zeit so leichten Herzens dahinwandern oder so gesund schlafen kann, wie ich es sonst gewohnt war; aber ich werde mich stets erinnern, wie nahe mir ein unverdientes Glück stand. Weit entfernt, Ihnen Vorwürfe zu machen, Mabel, tadle ich vielmehr nur mich selbst, weil ich eitel genug war, auch nur einen Augenblick an die Möglichkeit zu denken, daß ich einem so holden Wesen gefallen könne; denn gewiß, Sie haben mir alles gesagt, als wir auf der Anhöhe am See darüber sprachen, und ich hätte Ihnen damals glauben sollen. Es ist ja auch ganz natürlich, daß junge Mädchen ihre Neigungen besser kennen als die Väter. Na, ’s ist jetzt im reinen – und mir bleibt nichts mehr übrig, als Euch Lebewohl zu sagen, damit Ihr abreisen könnt.«

»Lebewohl zu sagen?« rief Mabel.

»Lebewohl?« wiederholte Jasper – »es wird doch nicht Eure Absicht sein, uns zu verlassen?«

»Es ist das beste, Mabel; es ist gewiß das beste, Eau-douce, und auch das klügste. Wenn ich bloß meinen Gefühlen folgen wollte, so könnt‘ ich in eurer Gesellschaft leben und sterben; wenn ich aber der Vernunft Gehör gebe, so muß ich euch hier verlassen. Ihr geht nach Oswego zurück und laßt euch, sobald ihr dort ankommt, zusammengeben! denn alles das ist bereits mit Meister Cap abgemacht, der sich wieder nach dem Meer sehnt; er weiß, was geschehen muß. Ich für meinen Teil aber will wieder in meine Wälder und zu meinem Schöpfer zurückkehren. Kommen Sie, Mabel«, fuhr der Pfadfinder fort, indem er sich erhob und dem Mädchen ernst und fast feierlich nähertrat – »Küssen Sie mich; Jasper wird mir diesen Kuß nicht mißgönnen, denn es gilt den Abschied.«

»O Pfadfinder!« rief Mabel, warf sich in die Arme des Kundschafters und küßte seine Wangen wieder und wieder mit einer Unbefangenheit und Wärme, die sie nicht gezeigt hatte, als sie an Jaspers Brust ruhte. »Gott segne Euch, teuerster Pfadfinder. Ihr werdet uns später besuchen? Wir werden Euch wiedersehen? Wenn Ihr alt seid, so werdet Ihr zu unserer Wohnung kommen, und ich darf dann Eure Tochter sein?«

»Ja, das ist’s«, erwiderte Pfadfinder, nach Luft schnappend; »ich will es versuchen, die Sache in diesem Licht zu betrachten. Sie sind geeigneter, meine Tochter als mein Weib zu sein – ja, so ist es. Lebt wohl, Jasper! Wir wollen nun zu dem Kahn gehen; es ist Zeit, daß Ihr an Bord kommt, und Meister Cap wird längst ungeduldig sein!«

Pfadfinder ging ernst und ruhig voraus, dem Ufer zu. Sobald sie den Kahn erreicht hatten, faßte er noch einmal Mabels Hände, hielt sie auf Armeslänge von sich und blickte ihr aufmerksam ins Antlitz, bis die ungebetenen Tränen aus seinen Augen quollen und über seine rauhen Wangen niederflossen.

»Segnet mich, Pfadfinder«, sagte Mabel, indem sie sich ehrfurchtsvoll auf die Knie niederließ; »segnet mich wenigstens, ehe wir scheiden!«

Der einfache, hochherzige Mann tat, wie sie wünschte, half ihr in den Kahn und riß sich dann mit schwerem Herzen los. Ehe er sich jedoch zurückzog, nahm er noch Jasper ein wenig auf die Seite und sprach folgendes:

»Euer Herz ist gut, und Ihr seid von Natur edel, Jasper; aber wir sind beide rauh und wild im Vergleich mit diesem holden Geschöpf. Gebt auf sie acht, und laßt ihren zarten Charakter nie die Rauheit der männlichen Natur fühlen. Ihr werdet sie bald auskennen, und der Herr, der in gleicher Weise über dem See und den Wäldern thront, der mit Lächeln auf die Tugend und mit Zürnen auf das Laster blickt, erhalte Euch glücklich und des Glückes würdig!«

Pfadfinder winkte seinem Freund zum Abschied und blieb, auf seine Büchse gelehnt, stehen, bis der Kahn die Seite des Scud erreicht hatte. Mabel weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte, und verwendete kein Auge von der offenen Stelle des Baumgangs, wo die Gestalt des Pfadfinders sichtbar war, bis der Kutter um eine Spitze bog, die die Aussicht nach der Insel schloß. Bei diesem letzten Blick war die sehnige Figur dieses außerordentlichen Mannes so bewegungslos, als wäre eine Statue an diesem einsamen Orte als Denkstein der kürzlich hier vorgefallenen Ereignisse aufgestellt worden.