Am Ende des Dorfes wandte sich Planchet links und hielt unter dem erleuchteten Fenster. Aramis sprang zu Boden und schlug dreimal in seine Hände. Sogleich öffnete sich das Fenster, und eine Strickleiter fiel herab.

Mein Lieber, sagte Aramis, wenn Ihr hinaufsteigen wollt, so wird es mich sehr freuen, Euch zu empfangen.

Ah, so tritt man bei Euch ein? sprach d’Artagnan.

Wenn es neun Uhr vorüber ist, muß man es bei Gott so machen, erwiderte Aramis. Die Klosterordnung ist äußerst streng. Aber Ihr steigt nicht hinauf?

Steigt voraus, ich folge Euch.

Wie der selige Kardinal zu dem seligen König sagte: Um Euch den Weg zu zeigen, Sire.

Und Aramis stieg leicht die Leiter hinauf und hatte in einem Augenblick das Fenster erreicht.

D’Artagnan folgte ihm, aber langsamer; er war offenbar mit solchen Wegen weniger vertraut als sein Freund.

Gnädiger Herr, rief Planchet, als er sah, daß d’Artagnan auf dem Punkte war, den Aufstieg zu vollenden, das geht gut für Herrn Aramis, das geht auch gut für Euch, es ginge wohl auch für mich, aber die Pferde können nicht wohl an der Strickleiter hinaufsteigen.

Führt sie unter jenen Schuppen, mein Freund, sagte Aramis und deutete auf eine Hütte, welche in der Ebene sichtbar war. Ihr findet dort Stroh und Hafer für sie.

Aber für mich?

Ihr kommt unter dieses Fenster, klatscht dreimal in Eure Hände, und wir lassen Euch Lebensmittel hinab. Mord und Tod! Seid unbesorgt, man verhungert hier nicht.

Aramis zog die Leiter zurück und schloß das Fenster.

D’Artagnan betrachtete das Zimmer. Nie hatte er eine zugleich kriegerischere und elegantere Stube gesehen. In jeder Ecke des Zimmers waren Waffentrophäen, welche dem Blicke und der Hand Schwerter aller Art boten, und vier große Gemälde stellten in ihren Schlachtrüstungen den Kardinal von Lothringen, den Kardinal von Richelieu, den Kardinal von Lavalette und den Erzbischof von Bordeaux dar. Die Tapeten waren von Damast, die Teppiche kamen aus Alençon, und das Bett glich mehr der Lagerstätte einer Favoritin, als der eines Mannes, der das Gelübde getan hatte, den Himmel durch Geißelung und Enthaltsamkeit zu gewinnen.

Ihr schaut mein Kämmerchen an? sagte Aramis. Ah, mein Lieber, entschuldigt, ich wohne wie ein Karthäuser. Aber was sucht Ihr denn mit Euren Augen? – Ich suche die Person, die Euch die Leiter zugeworfen hat; ich sehe niemand, und sie kann doch nicht ganz allein herabgekommen sein. – Nein, nein, Bazin hat es getan. – Ah, ah! rief d’Artagnan. – Mein Bazin ist ein guter, wohlabgerichteter Bursche, fuhr Aramis fort; da er sah, daß ich nicht allein kam, zog er sich aus Diskretion zurück. Bazin, mein Freund, komm her!

Die Türe öffnete sich, und Bazin erschien. Als er aber d’Artagnan gewahr wurde, gab er einen Ausruf von sich, der einem Schrei der Verzweiflung glich.

Mein lieber Bazin, sprach d’Artagnan, ich sehe mit Vergnügen, mit welcher bewunderungswürdigen Haltung Ihr selbst in der Kirche lügt.

Gnädiger Herr, erwiderte Bazin, ich habe von den würdigen Vätern Jesu gelernt, daß das Lügen erlaubt sei, wenn man in einer guten Absicht lüge.

Schon gut, Bazin, d’Artagnan hat großen Hunger, und ich auch. Trage uns ein Abendbrot auf, so gut du immer kannst, und bring uns vor allen Dingen vom besten Wein, der sich findet.

Bazin verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams, stieß einen schweren Seufzer aus und entfernte sich.

Jetzt, da wir allein sind, mein lieber Aramis, sagte d’Artagnan, seine Augen vom Zimmer auf den Eigentümer wendend, sagt mir, wo zum Teufel Ihr herkamt, als Ihr hinter Planchet auf sein Pferd spranget?

Ei, Ihr seht wohl, vom Himmel herab! erwiderte Aramis.

Vom Himmel? versetzte d’Artagnan, den Kopf schüttelnd. Ihr scheint ebensowenig von dort zu kommen, als dahin zu gehen.

Nun, sagte Aramis, wenn ich nicht vom Himmel kam, so kam ich wenigstens aus dem Paradies, was beinahe dasselbe besagen will.

Das Paradies, über dessen Lage sich die Gelehrten schon so viel gestritten haben, ist also in Noisy-le-Sec auf der Stelle, wo das Schloß des Herrn Erzbischofs von Paris liegt. Man verläßt es nicht durch die Türe, sondern durch das Fenster. Man steigt nicht auf den Marmorstufen eines Säulenganges, sondern an den Ästen einer Linde herab, und der Engel mit dem feurigen Schwerte, der es bewacht, hat ganz das Aussehen, als hätte er seinen himmlischen Namen Gabriel in den irdischeren des Prinzen von Marsillac verwandelt.

Aramis brach in ein schallendes Gelächter aus.

Ihr seid immer noch der lustige Kamerad, mein Lieber, sprach er, und Eure vortreffliche gascognische Laune hat Euch noch nicht verlassen. Es ist wohl etwas an dem, was Ihr da sagt. Nur wollt nicht glauben, ich sei in Frau von Longueville verliebt.

Den Teufel, ich werde mich wohl hüten, sagte d’Artagnan. Nachdem Ihr so lange in Frau von Chevreuse verliebt gewesen seid, werdet Ihr nicht versucht sein. Euer Herz ihrer tödlichsten Feindin darzubringen.

Ja, das ist wahr, sagte Aramis mit einer treuherzigen Miene. Ja, ich habe diese arme Herzogin einst sehr geliebt, und ich muß ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie ist uns äußerst nützlich gewesen. Aber was wollt Ihr? Sie wurde genötigt, Frankreich zu verlassen. Es war ein schlimmer Gegner, dieser verdammte Kardinal, fuhr Aramis fort und warf einen Blick auf das Bild des ehemaligen Ministers. Er hatte den Befehl gegeben, sie zu verhaften und nach dem Schlosse Loches zu führen. Aber sie flüchtete sich, als Mann verkleidet, mit ihrer Kammerfrau, der armen Ketty. Wie ich sagen hörte, ist ihr in irgend einem Dorf ein seltsames Abenteuer mit irgend einem Geistlichen begegnet, von dem sie Gastfreundschaft forderte, und der, da er nur ein Zimmer hatte und sie für einen Kavalier hielt, ihr das Anerbieten machte, dieses Zimmer mit ihr zu teilen. Sie trug mit unglaublicher Gewandtheit Männerkleider, diese arme Marie. Ich kenne nur eine einzige Frau, die sie ebensogut trägt. Man hat auch einen Vers auf sie gemacht.

Und Aramis stimmte das Lied an:

»Labboisière, sagt mir doch,
Geh‘ ich nicht wie ein Mann?

Bravo! rief d’Artagnan, Ihr singt immer noch vortrefflich, mein Lieber, und ich sehe, daß die Messe Eure Stimme nicht verdorben hat.

Mein Lieber, Ihr begreift wohl, zur Zeit, wo ich Musketier war, bezog ich die Wache so wenig, als ich nur konnte; heute, wo ich Abbé bin, lese ich so wenig Messen, als ich kann. Doch auf die arme Herzogin zurückzukommen …

Auf welche? Auf die Herzogin von Chevreuse oder auf die Herzogin von Longueville?

Mein Lieber, ich habe Euch bereits gesagt, daß zwischen mir und der Herzogin von Longueville kein Verhältnis stattfindet. Koketterien vielleicht, nicht mehr. Habt Ihr sie seit ihrer Rückkehr von Brüssel nach dem Tode des Königs gesehen?

Ja, gewiß, und sie war noch sehr schön.

Allerdings, sagte Aramis, ich habe sie zu dieser Zeit auch ein wenig gesehen und ihr vortreffliche Ratschläge gegeben. Ich schwor bei meinem Leben, Mazarin sei der Geliebte der Königin. Sie wollte mir nicht glauben und sagte, sie kenne Anna von Österreich, sie sei zu stolz, um einen solchen Schurken zu lieben. Mittlerweile stürzte sie sich in die Kabalen des Herzogs von Beaufort, der Schurke ließ den Herzog verhaften und verbannte Frau von Chevreuse.

Ihr wißt, sagte d’Artagnan, daß sie die Erlaubnis erhalten hat, zurückzukehren?

Ja und auch, daß sie zurückgekommen ist … Sie wird abermals dumme Streiche machen.

Oh, diesmal wird sie wohl Euern Rat befolgen.

Diesmal habe ich sie nicht wieder gesehen; sie hat sich gewaltig verändert.

Es ist nicht wie bei Euch, mein lieber Aramis, denn Ihr seid immer derselbe. Ihr habt immer noch Eure schönen schwarzen Haare, Eure zierliche Taille, Eure Frauenhände, die bewundernswürdige Prälatenhände geworden sind.

Ja, sagte Aramis, das ist wahr, ich pflege mich. Aber was macht denn das Vieh von Bazin? Bazin, tummle dich doch! Wir werden wütend vor Hunger und Durst.

Bazin, der in diesem Augenblick eintrat, hob seine Hände, von denen jede eine Flasche trug, zum Himmel empor.

Endlich, sagte Aramis, sind wir einmal fertig?

Ja, gnädiger Herr, sogleich, sagte Bazin. Aber ich brauchte Zeit um alle diese…

Weil du immer glaubst, du habest deine Mesnerkutte auf dem Rücken, unterbrach ihn Aramis, und weil du dein ganzes Leben damit hinbringst, dein Brevier zu lesen. Aber ich sage dir, daß ich, wenn du bei deinem fortwährenden Putzen der Gegenstände in den Kapellen meinen Degen zu putzen verlernst, aus allen deinen geweihten Bildern ein großes Feuer mache und dich darauf rösten lasse.

Voll frommen Ärgers machte Bazin das Zeichen des Kreuzes mit der Flasche, die er in der Hand hielt. Mehr als je erstaunt über den Ton und die Manieren des Abbé d’Herblay, die so sehr mit denen des Musketiers Aramis kontrastierten, blieb d’Artagnan mit aufgesperrten Augen seinem Freunde gegenüber sitzen.

Bazin bedeckte rasch den Tisch mit einem Damasttuch und legte darauf so viele vergoldete, duftende und leckere Dinge, daß d’Artagnan ganz verblüfft war.

Ihr wartet auf jemand? fragte der Offizier. – Ah! ich habe immer einigen Vorrat. Dann wußte ich auch, daß Ihr mich aufsuchen würdet. – Von wem? – Von Meister Bazin, der Euch für den Teufel hielt, mein Lieber, und herbeilief, um mich von der Gefahr zu benachrichtigen, die meine Seele bedrohte, wenn ich so schlechte Gesellschaft, wie die eines Musketieroffiziers, sehen würde. – Ach, gnädiger Herr! rief Bazin mit gefalteten Händen und flehender Miene. – Still, keine Heuchelei, du weißt, daß ich sie nicht liebe. Du wirst besser daran tun, ein Fenster zu öffnen und ein Brot, ein Huhn und eine Flasche Wein deinem Freunde Planchet hinabzulassen, der sich seit einer Stunde zu Tode klatscht.

Bazin gehorchte, band die drei genannten Gegenstände an einen Strick und ließ sie Planchet hinab, der sich ganz zufrieden unter seinen Schuppen zurückzog.

Nun wollen wir zu Nacht speisen, sagte Aramis.

Die zwei Freunde setzten sich zu Tische, und Aramis begann mit vollendeter gastronomischer Geschicklichkeit junge Feldhühner und Schinken zu zerlegen.

Teufel, sagte d’Artagnan, wie Ihr Euch füttert!

Ja, ziemlich gut. Ich habe für die Festtage Dispense von Rom, die mir der Herr Coadjutor meiner Gesundheit wegen verschafft hat. Dann habe ich zum Koch den Exkoch von Lafollone genommen, Ihr wißt, von dem ehemaligen Freunde des Kardinals, dem berühmten Gourmand, der statt jedes Gebetes nach seinem Mittagsmahle sagte: Mein Gott, habe die Gnade, mich gut verdauen zu lassen, was ich so gut gegessen habe. – Was ihn indessen nicht abhielt, an einer Unverdaulichkeit zu sterben. – Was wollt Ihr? versetzte Aramis mit ergebener Miene, man kann seinem Geschicke nicht entfliehen. – Mein Lieber, vergebt die Frage, die ich an Euch machen will, versetzte d’Artagnan. – Macht sie immerhin, Ihr wißt, unter Freunden gibt es keine Indiskretion. – Ihr seid also reich geworden? – Oh! mein Gott, nein; ich bringe es auf ein Dutzend tausend Livres jährlich, abgesehen von einer kleinen Rente von tausend Talern, die mir der Herr Prinz hat zukommen lassen. – Und womit verdient Ihr Euch diese 12000 Livres? sagte d’Artagnan. Mit Euren Gedichten? – Nein, ich habe auf die Poesie Verzicht geleistet, wenn ich nicht zuweilen einige Trinklieder, einige galante Sonette oder ein unschuldiges Epigramm dichte. Ich mache Predigten, mein Lieber. – Wie, Predigten? – Ja, aber vortreffliche Predigten, wenigstens scheint es so. – Die Ihr abhaltet? – Nein, die ich verkaufe. – An wen? – An die von meinen Kollegen, die durchaus große Redner sein wollen. – Wirklich! Und Ihr habt nicht nach diesem Ruhme gestrebt? – Allerdings, mein Lieber. Wer die Natur hat den Sieg davongetragen. Wenn ich auf der Kanzel stehe, und es schaut mich zufällig eine Frau an, so schaue ich sie auch an; wenn sie lächelt, lächle ich auch. Dann fange ich an zu faseln. Statt von den Qualen der Hölle zu reden, spreche ich von den Freuden des Paradieses. Dies ist mir eines Tages in der Kirche Saint Louis im Marais begegnet. Ein Kavalier lachte mir in das Gesicht, ich unterbrach mich, um ihm zu sagen, er sei ein alberner Tropf. Das Volk ging hinaus, um Steine zusammenzuraffen; aber während dieser Zeit bekehrte ich die Anwesenden, daß sie ihn nicht steinigten. Allerdings fand er sich am andern Tag bei mir ein; er glaubte, er habe es mit einem Abbé zu tun, wie alle andern Abbés sind. – Und was war der Erfolg seines Besuches? sprach d’Artagnan, sich vor Lachen die Hüften haltend. – Der Erfolg war, daß wir uns den andern Tag auf die Place Royale bestellten. Bei Gott, Ihr wißt davon. – Sollte ich zufällig gegen diesen Unverschämten Euch als Sekundant gedient haben? fragte d’Artagnan. – Allerdings, Ihr wißt, wie ich ihn zurichtete.

Bazin, fuhr er fort, du wirst jetzt so gut sein, uns spanischen Wein zu servieren und dich zurückzuziehen, denn mein Freund d’Artagnan hat mir etwas Geheimes mitzuteilen! Nicht wahr, d’Artagnan?

D’Artagnan machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen, und Bazin zog sich zurück, nachdem er den spanischen Wein auf den Tisch gestellt hatte.