So war denn Luise von Lavallière wieder am Hofe der Herzogin von Orléans. Außer den Eingeweihten wußte niemand etwas Genaues über ihre Zurückberufung zu sagen; ja man wußte nicht einmal bestimmt, ob sie wirklich verstoßen worden sei. Die Montalais, Malicorne, Saint-Aignan und der Kapitän der Musketiere hüteten sich wohl, mit ihrer Mitwissenschaft zu prahlen. Ebenso schwieg Madame über ihre Unterredung mit dem König und teilte niemand mit, auf welche Weise die Einigung zustande gekommen war. Die Erkenntnis, um welch gefährliches Geheimnis es sich hierbei handelte, ging bei den Höflingen und Hofdamen sogar so weit, daß sie nicht einmal Vermutungen anzustellen wagten. Man huldigte der Lavallière – aber man sah nichts von der Leidenschaft des Königs; man bemerkte den Zorn der Herzogin von Orléans, aber man wußte nichts über die Ursache.
Madame hatte nachgegeben, aber deshalb war Ludwig, der Liebende, seinem Ziele nicht um einen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil! denn Madame hatte es sich in den Kopf gesetzt, ihm alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen und ihm eine Zusammenkunft mit der Lavallière so gut wie unmöglich zu machen, sofern er es nicht auf einen offnen Affront ankommen lassen wollte. Ludwig war außer sich; er durchschaute alle ihre Machinationen und konnte doch nichts dagegen tun. Nach außenhin blieb sein Verhältnis zu seiner Schwägerin auf dem Boden der Höflichkeit, ja der Freundschaft, und doch gab es keine größere Feindschaft, als diese beiden Herzen, das eine in seiner Eifersucht, das andere in seinem Liebesdurst, gegeneinander hegten.
Aber zum Glück hatte Ludwig XIV. zwei Helfershelfer, die, ohne daß er sich durch die geringste Andeutung zu kompromittieren brauchte, das Verlangen seiner Seele erkannten und mit allen Mitteln zu befriedigen strebten. Malicorne, der ehrgeizige Freund der Montalais, wollte Karriere machen und erblickte in einem Kuppeldienst zwischen Ludwig und Luise das sicherste Sprungbrett. Da die Person des Königs ihm noch unerreichbar war, wandte er sich mit seinen Ratschlägen an Saint-Aignan, dem nichts mehr am Herzen lag, als seinen königlichen Herrn zufriedenzustellen. Der gute Hofmeister aber war von Natur ein wenig zaghaft und mußte ja in seiner Stellung auch scharf auf der Hut sein, um jede schiefe Situation zu vermeiden. Da kam ihm der findige Kopf Malicornes, der nie um Auskunftsmittel verlegen war, sehr zupaß, und ihren beiderseitigen Bemühungen konnte der glückliche Erfolg nicht lange fernbleiben, zumal Malicorne wiederum in der Montalais einen trefflichen Beistand hatte.
Madame ließ die Montalais und die Lavallière unmittelbar neben ihrem Schlafzimmer logieren, und nun begann die Montalais plötzlich im Traum zu sprechen, zu weinen, zu schreien, so daß Madame keine Nacht mehr ungestört schlafen konnte. Nervös wie sie war, schalt sie alle Morgen darüber, aber es half nichts; sie mußte die von ewigem Alpdrücken geplagte Montalais ausquartieren. Da es nun Vorschrift war, daß die Ehrenfräulein zu zweien in einem Zimmer schliefen, und die Montalais bisher stets die Lavallière zur Gefährtin gehabt hatte, so folgte Luise ihr nach. Man war in Verlegenheit um ein geeignetes Zimmer und fand schließlich eins unmittelbar über dem Gemach, das im Palast dem Herrn Grafen von Guiche eingeräumt war. Das war Madame aus gewissen Gründen sehr lieb; sie hatte in letzter Zeit begonnen, die Montalais zu ihrer Vertrauten zu machen, und hielt es für praktisch, diese Dame so nahe bei dem Grafen Guiche wohnen zu lassen. Allein der Graf war noch immer krank und konnte das Haus, in das man ihn als Verwundeten gebracht, noch nicht verlassen. Sein Zimmer, das zu ebner Erde lag, stand also leer.
Nachdem die beiden Ehrenfräulein in dem ersten Stockwerk einquartiert worden waren, stattete nun Saint-Aignan Herrn von Guiche einen Besuch ab, überbrachte ihm die Grüße des Königs und bat den Grafen, ihm einstweilen sein Palastzimmer einzuräumen. Graf Guiche hatte nichts dagegen, und der Hofmeister siedelte über und wohnte nun unter Fräulein von Lavallière. Das alles war auf Betreiben Malicornes geschehen, und Malicorne, der erfinderische, ging noch weiter. Er besprach sich mit einem Klempner und einem Tischler, die man mit verbundenen Augen in Saint-Aignans Zimmer führte. Während Madame mit ihren Damen einen Ausflug machte, gingen die beiden Handwerker an die Arbeit, stellten eine von dem unteren zum obern Zimmer führende Treppe her und brachten in der Decke eine Falltür an, deren Mündung im Parkett des oberen Fußbodens so sorgsam eingepaßt wurde, daß selbst ein mit solchen Geheimnissen vertrautes Auge nichts entdecken konnte. Vor die Falltür wurde noch ein Wandschirm gerückt, dessen Aufstellung niemand wundernehmen konnte, da es nur in der Ordnung war, daß sich die Damen einen kleinen Raum absonderten, der ihnen als Boudoir dienen konnte.
Die Falltür war auf beiden Seiten durch eine geräuschlos spielende Feder zu öffnen und zu schließen. Wenn nun auch das Zimmer der Lavallière stets der Kontrolle unterlag und niemals ein sicherer Aufenthalt für die Liebenden war, so konnten sie doch um so ungestörter zusammen sein, wenn die Lavallière sich in Saint-Aignans Zimmer begab. Der König war entzückt über die Anordnungen, die getroffen worden waren, die Bedenklichkeiten der Lavallière wurden leicht überwunden, und Ludwig sah sich am Ziel seiner heißesten Wünsche. Er konnte sich täglich mit ihr treffen, und seine beiden Helfershelfer waren diskret genug, ihn mit der Geliebten allein zu lassen.
Eines Tages ruhte sie wieder an der Brust ihres königlichen Geliebten. Eine süße Trunkenheit nahm beider Sinne gefangen, seliges Vergessen senkte sich über sie herab; für ihre Inbrunst war die Welt nicht mehr vorhanden, bis plötzlich die Lavallière erschrocken auffuhr. – »Sire, es klopft oben!« stammelte sie. »Ludwig, Ludwig, hören Sie nicht? man erwartet mich.« – »Wenn wir nur zusammen sind,« antwortete er, sie wieder an sich ziehend, »so mögen die andern warten.« – »Nein, nein,« rief sie und machte sich gewaltsam los, »ich höre die Stimme der Montalais.« Und sie eilte die Treppe hinauf, schlüpfte durch die Falltür und erschien hinter dem Wandschirm.
»Schnell, schnell!« rief die Montalais. »Er kommt herauf.« – »Wer denn?« – »Er! O, das habe ich vorausgesehen!« – »Aber wer denn?« stammelte Luise totenbleich. »Du marterst mich zu Tode.« – »Wer? fragst du noch?« antwortete ihre Freundin. »Bragelonne!« – Luise stieß einen furchtbaren Schrei aus. – Im selben Augenblick wurde die Tür aufgestoßen, und Rudolf erschien auf der Schwelle. »Ja, da bin ich, Luise!« rief er. »O, ich wußte es wohl, Sie lieben mich noch immer!«
Luise starrte ihn an, barg das Gesicht in den Händen und stammelte in wimmerndem Tone: »Nein, nein! kommen Sie mir nicht nahe!« – Rudolf blieb stehen, wie angewurzelt, wie erstarrt. – Die Montalais warf einen scheuen Seitenblick nach dem Wandschirm und flüsterte: »Die Unvorsichtige! Nicht einmal die Falltür hat sie hinter sich geschlossen.« – Sie wollte hinter den Schirm schlüpfen, da stürzte aus der Oeffnung der König hervor, kniete vor Luise nieder und schlang die Arme um ihre Knie. Er hatte Rudolf nicht gesehen – aber Rudolf sah und erkannte ihn, stob, wie vom Blitz getroffen, zurück und sprang die Treppe hinab. Nun hörte der König die Tritte und lief nach dem Korridor, allein Bragelonne verschwand, ehe Ludwig ihn sehen konnte.
Betäubt, erschreckt, wie von Sinnen, stürzte Rudolf davon. Er hatte den König zu den Füßen Luisens gesehen. Konnte er nun noch zweifeln? Nein! es war offenbar, alle Gerüchte, die ihn in Schrecken gesetzt hatten, beruhten auf Wahrheit. Luise war die Geliebte Ludwigs XIV. Obwohl nun eigentlich jede Frage überflüssig war, so begab er sich doch zu Herrn von Guiche, um ihn zu fragen, was er davon wisse. – »Guiche ist mein Freund,« sagte sich der Unglückliche, »er hat mir geschrieben, er muß mir etwas sagen können, und er wird mir nichts verheimlichen.« – Denn das eine war ihm ja noch ein Rätsel: wie der König so plötzlich im Zimmer Luisens hatte erscheinen können.
Graf Guiche trug noch den Verband, war aber bereits außer Bett. Er umarmte seinen Freund, er erzählte ihm, was ihm geschehen, er erging sich in allerlei Fragen nach Rudolfs Aufenthalt in London und war sichtlich beflissen, das Gespräch von dem Thema fernzuhalten, das Rudolf so sehr am Herzen lag. Endlich jedoch mußte er ihn die heikle Frage stellen lassen. »Sie haben mich hergerufen, Graf Guiche. Was haben Sie mir zu sagen?« – »Ich kann Ihnen nichts sagen,« antwortete der Graf. – »Mein Freund, wenn Sie etwas wissen, warum verhehlen Sie es mir?« versetzte Rudolf. »Wenn Sie nichts wissen, warum schrieben Sie mir?« Und er erzählte ihm ausführlich, was ihm soeben geschehen war. Aber Graf Guiche schüttelte nur traurig den Kopf. »Ich fühle mit Ihnen, Bragelonne,« sagte er, »ich kann mir denken, wie angstvoll Sie nach Aufklärung verlangen – doch ich kann sie Ihnen nicht geben. Fordern Sie nichts mehr von Ihrem unglücklichen Freunde.«
»Sie meinten, Guiche, wenn ich käme, würde ich sehen, nicht wahr? Nun, ich habe gesehen – ich sah Luise in Verwirrung – ich sah den König – nicht wahr, es ist der König?« – »Ich sage nichts darauf,« antwortete Guiche abermals. – »Guiche, Guiche, Sie bringen mich ins Grab!« stöhnte Bragelonne. »Reden Sie doch, Sie sehen ja, mein Herz verblutet.« – »Mein lieber Freund,« antwortete der Graf, »was ich Ihnen sagen könnte, erfahren Sie vom ersten Besten, den Sie fragen. Mehr kann, mehr darf auch ich nicht sagen. Wollen Sie, daß ich mich durch ein unbesonnenes Wort in die Bastille bringe? Meine Pflicht war, Ihnen Nachricht zu geben, das habe ich getan. Wachen Sie nun selbst über Ihre Angelegenheit!«
Ein Lakai trat ein. »Man erwartet den Herrn Grafen im Porzellankabinett.« Graf Guiches Antlitz leuchtete auf. – »O,« murmelte Rudolf, als der Graf gegangen war, »ich schalt Madame eine Kokette. Aber in ihren guten Stunden liebt sie doch wenigstens und macht Guiche zum glücklichsten der Menschen! – Ich gehe zu d’Artagnan! er ist mein Freund und war noch nie einer von denen, die hinterm Berge halten.«
Der Kapitän war außer Dienst und saß in seinem Zimmer. Er las einen Brief, den er von Athos erhalten und der sich mit derselben Person beschäftigte, die jetzt, aufgeregt, mit fiebernder Stirn und kochendem Blute, zu ihm hereintrat. – »Rudolf, mein Junge!« rief d’Artagnan und drückte ihn stürmisch an die Brust. »Wie schön, daß du ha bist! Hat der König dich zurückgerufen?« – »Nein, ich bin so gekommen!« erwiderte Rudolf dumpf. – »Was?« brummte der Gaskogner und sah Rudolf vielsagend an. »Zurück ohne Befehl des Königs? Das verstehe ich nicht. Und was machst du für eine Leichenbittermiene? Hat man dir in England die Laune verdorben? Potzblitz! auch ich war in England und kam lustig wie ein Fink zurück. Was hast du für Verdruß?«
»Mein Gott, das wissen Sie doch recht gut, Herr d’Artagnan!« rief Rudolf. – »Woher soll ich denn das wissen?« versetzte der Chevalier. – »O, Herr d’Artagnan,« sagte Bragelonne. »Ich bin kein witziger Kopf wie Sie, und jetzt überhaupt bin ich wie zerschlagen, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Helfen Sie mir.« – »Was fehlt dir denn aber?« – »Fräulein von Lavallière betrügt mich,« stieß Rudolf hervor. – »Wer hat dir das gesagt?« antwortete der Gaskogner trocken.
»Alle Welt.« – »Dann muß ja was Wahres dran sein,« brummte der Kapitän. »Wenn ich Rauch sehe, so glaube ich, daß es wo brennt. Allein ich menge mich nicht gern in solche Sachen, dafür kennst du mich.« – »Auch nicht für einen Freund, für einen Sohn?« rief Rudolf.– »Da du mein Freund bist, so will ich dir sagen,« antwortete d’Artagnan, aber er schlug sich auf den Mund und knurrte: »Nein, ich will dir nichts sagen. Wie geht es Porthos?«
»Herr d’Artagnan,« rief Rudolf, »im Namen der Freundschaft, die Sie mit meinem Vater verbindet –!«
»Teufel, die Neugierde plagt dich gewaltig.« – »Ich schwöre es Ihnen, es ist nicht Neugierde, es ist Liebe. Ich liebe Fräulein von Lavallière bis zum Wahnsinn.«
»Unmöglich! Du bist wie alle jungen Leute, du bist närrisch. Ein wirklich verständiger Mann läßt sich von seinem Herzen, ob es noch so gärte, nie vom rechten Wege abbringen. Potz Wetter! Wenn ich dir auch etwas sagte, du würdest mich nicht verstehen, und wenn du mich verständest, so würdest du mir doch nicht gehorchen.«
»O, probieren Sie es, Herr d’Artagnan!« flehte Bragelonne. – »Nun denn, so höre!« sprach der Gaskogner, »schnall die Sporen an und reite ein gutes Pferd müde.« – Rudolf wandte sich ab. »Man hat keine Freunde,« sagte er, »nur Spötter und Gleichgültige.« – »Und willst du etwa mein Freund sein, daß du mich zum Schwatzen zwingen möchtest!« rief der Chevalier. »Meinst du denn, wenn ich schon so unglücklich wäre, etwas zu wissen, ich würde so unklug sein, es dir mitzuteilen? Als ob ich nichts weiter zu tun hätte, als mich um Klempner und Tischler zu bekümmern.«
»Um was für einen Klempner? Um was für einen Tischler?« – »Ich weiß nicht. Man munkelt, ein Tischler hätte einen Zimmerboden durchlöchert und eine Treppe mit einer Falltür gemacht, und ein Klempner hätte sie eingesetzt.« – »Ha! im Zimmer der Lavallière, nicht wahr?« – »Du nennst immer wieder diese Person,« versetzte der Gaskogner. »Wer spricht von der Lavallière?«
»Nun, wenn es sie nicht betrifft, was geht es mich dann an?« rief Rudolf. – »Es soll dich ja auch gar nichts angehen. Du fragst nur, und ich gebe Antwort.«
»Das ist zum Sterben!« stöhnte der junge Mann. »Ich werde jemand aufsuchen, der mir die Wahrheit sagen wird.«
»Die Montalais? nicht wahr? Sprich nicht mit ihr, mein Junge. Du würdest nur ein Geheimnis preisgeben, das man zu deinem Schaden mißbrauchen könnte. Warte, wenn du kannst.« – »Ich kann nicht.«
Es klopfte an die Tür. Ein Musketier kam herein. »Ein Fräulein wünscht mit dem Herrn Kapitän zu sprechen.« – »Mit mir?« sprach d’Artagnan verwundert. »Sie trete ein.« Es war die Montalais. – »Ich suchte Herrn von Bragelonne,« sagte sie, »und man wies mich zu Ihnen. – »Ah, das trifft sich gut, Fräulein,« sagte der Chevalier, »er wollte eben zu Ihnen. Nun, so gehen Sie, Rudolf.« Er schob den jungen Mann zur Tür hinaus und flüsterte Aure zu: »Seien Sie gut und schonen Sie seiner!« – »Ah, ich will nicht mit ihm reden,« antwortete sie, »Madame läßt ihn holen.« – »O, das ist gut,« brummte der Kapitän. »Madame wird ihn kurieren.« – »Oder töten,« murmelte die Montalais. »Gott befohlen, Kapitän.«
Und sie lief Rudolf nach, der schon den Korridor entlangschritt. Er küßte ihr die Hand. – »Sie bringen Ihre Küsse da auf verlorenem Boden an,« sagte sie kalt. »Ich bürge Ihnen, sie werden Ihnen keine Zinsen tragen.« – »Aber Sie können mir doch sagen, Fräulein –«
»Madame wird Ihnen alles sagen,« antwortete sie. »Zu ihr führe ich Sie. Schleudern Sie nicht so wilde Blicke! Die Fenster haben hier Augen und die Mauern Ohren. Tun Sie mir den Gefallen und reden Sie mit mir recht laut vom Wetter oder vom Leben in England. Ich habe keine Lust, in die Bastille zu spazieren.«
Rudolf ballte die Fäuste, preßte die Zähne aufeinander und sprach kein Wort mehr, bis er vor Madame stand. Reizender als je ruhte Lady Henriette in einem Schlafsessel und spielte in dem seidenen Fell einer kleinen Katze. Sie schien in Träume versunken, die Montalais mußte sie anreden, dann erst sah sie auf und begrüßte Herrn von Bragelonne. – »Sieh da! Zurück aus England. Verlassen Sie uns, Montalais! Sie haben ein paar Minuten für mich übrig, Herr Graf?« – »Mein ganzes Leben gehört Ihrer Königlichen Hoheit,« antwortete Rudolf, der nichts davon erfahren hatte, daß Madame selbst es gewesen, die ihn hatte zurückkommen lassen.
»Herr von Bragelonne,« begann Madame nach kurzem Schweigen, »sind Sie gern zurückgekommen?« – »Und weshalb sollte ich ungern zurückgekommen sein, Hoheit?« antwortete er. – »Ein Mann Ihres Alters und ein so schöner Mann könnte dazu doch immer Ursache gehabt haben,« sagte sie lächelnd. »Oder sollte Gott Amor in England keine Stätte mehr haben?« – »Madame,« erwiderte Rudolf, »Sie wollen mir etwas sagen, und Ihr natürlicher Edelmut veranlaßt Sie, schonend vorzugehen. Nun, schonen Sie mich nicht, ich bin stark genug, alles zu hören – nur die Ungewißheit ist grausam.«
»Grausam auch die Gewißheit,« sagte die Herzogin leise. »Doch weil ich schon anfing – was hat Ihnen Herr von Guiche gesagt?« – »Nichts, Madame.« – »Nichts? Daran erkenne ich ihn; er wollte ohne Zweifel mich schonen. Aber d’Artagnan, von dem Sie eben kommen?« – »Sagte mir ebensowenig wie Guiche, Madame.« – Henriette machte eine Gebärde der Ungeduld. »Aber was der ganze Hof weiß, das wenigstens ist Ihnen bekannt?« – »Mir ist nichts bekannt.« – Henriette fühlte Rührung beim Anblick dieses Mannes, der so traurig und so tapfer war. – »Herr von Bragelonne,« sagte sie, »so will ich denn tun, was Ihre Freunde nicht zu tun wagten. Ich will als Ihre Freundin handeln. Sie tragen da den Kopf eines Ehrenmannes, und den sollen Sie nicht unter dem Spott jedes Witzlings beugen müssen. Hören Sie mich ruhig an!«
Und sie erzählte von jenem Gewitter, bei dem der König mit der Lavallière allein im Walde gewesen, von der Flucht Luisens nach Chaillot und von der Zurückberufung. – »Sie waren der Verlobte des Fräuleins,« schloß sie, »und als solchem teile ich Ihnen noch mit, daß ich heute oder morgen trotz dem König Fräulein von Lavallière fortjagen werde. Ich habe nicht länger Lust, auf die Tränen des Königs und seine verliebten Klagelieder Rücksicht zu nehmen. Mein Haus soll fürder nicht der Schauplatz solcher Umtriebe sein.«
Rudolf neigte den Kopf zur Erde; nur mit aller Kraft vermochte er sich aufrecht zu halten. – »Ich weiß, daß ich da schwere Beschuldigungen ausspreche,« sagte sie in sanfterem Tone, »doch werde ich nicht zaudern, sie Ihnen zu beweisen. Folgen Sie mir.« – Sie schritt mit ihm über den Hof auf die Wohnung der Lavallière zu. Das Schloß war um diese Stunde leer; der König war mit dem Hofstaate nach Saint-Germain gefahren. Madame hatte Unpäßlichkeit vorgeschützt, weil sie diese Gelegenheit benutzen wollte, um mit Bragelonne, um dessen Rückkunft zunächst sie allein wußte, zu sprechen. Sie konnte also sicher sein, die Zimmer der Lavallière und Saint-Aignans leer zu finden.
Mit einem Nachschlüssel öffnete sie die Zimmertür ihres Ehrenfräuleins. Sie traten ein und schlossen hinter sich zu. – »Sie wissen, wo Sie sind?« fragte Lady Henriette. – »Ich erkenne das Zimmer wieder,« antwortete er. »Es ist das des Fräuleins.« – Die Prinzessin schritt zu dem Wandschirm, rückte ihn beiseite und bückte sich zum Fußboden nieder. Ein Fingerdruck – und Rudolf sah eine Falltür aufspringen, die eine Treppe enthüllte. – »Sehr sinnreich, nicht wahr?« rief sie. »Der Druckknopf ist kaum zu erkennen. Beim vierten Blatt des Parketts, wo sich ein Knoten im Holz befindet. Die Feder spielt sehr leicht, damit auch eine kleine Damenhand sie in Tätigkeit setzen könne. Folgen Sie mir weiter!«
Und Rudolf stieg mit ihr die Treppe hinab und gelangte in das untere Zimmer, das selbst dem nüchternsten Auge als Treffpunkt eines Liebespaares erscheinen mußte. – »Es ist Herrn von Saint-Aignans Zimmer,« sagte Madame. »Es traf sich zufällig, daß es frei stand, und der Hofmeister des Königs zögerte nicht, hierhin überzusiedeln.«
Bragelonne glaubte, das Herz breche ihm. Er wankte und sank auf einen Stuhl. Sein letzter Zweifel war zerstört, die letzte schwache Hoffnung vernichtet. Das Luftschloß, in dem er seit vielen Jahren schon von Glück und Liebe träumte, stürzte in Trümmer und begrub ihn unter sich. – »Vergebung, Madame!« stammelte er. »Ich weiß, ich sollte in Ihrer Gegenwart mehr Herr über mich sein. Aber möge der Gott des Himmels und der Erde Sie nie mit einem solchen Schlage heimsuchen, wie mich in diesem Augenblick!« – »Herr von Bragelonne,« antwortete sie, »es wäre mir schmerzlich gewesen, Ihr ganzes Leben durch Treulosigkeit verbittert, durch Hohn befleckt zu sehen. Deshalb rief ich Sie aus London zurück – ja! ich selbst schrieb an meinen Bruder in dieser Sache. Hier habe ich Ihnen nun die Beweise geliefert die Sie heilen müssen, so schwer die Operation auch sein mag. Aber Sie werden sie bestehen, wenn sie ein Mann von Mut und kein weinerlicher Amadis 12 sind. Danken Sie mir nicht – denn ich tat es selbst nur sehr ungern – und dienen Sie um nichts weniger Ihrem König.«
»Ah, ich vergaß es fast,« murmelte Bragelonne düster, »es ist ja der König, mein Gebieter!« – »Und deshalb handelt es sich für Sie um Leben und Freiheit!« setzte Madame hinzu. – Ein flammender Blick Rudolfs verriet der Herzogin, daß der junge Mann nach beidem nicht mehr fragte. – »Seien Sie auf der Hut, Herr Graf,« sagte sie. »Wägen Sie Ihre Handlungen sorgsam ab, bringen Sie den König nicht in Zorn, Sie würden damit sich und die Ihrigen ins Unglück stürzen. Beugen Sie sich – heilen Sie sich!« – »Dank, Madame!« erwiderte der junge Mann. »Noch eine Frage! Wie haben Sie das Geheimnis dieser beiden Zimmer entdeckt?« – »Das war sehr einfach. Ich habe stets doppelte Schlüssel zu den Gemächern meiner Damen, um sie jederzeit überwachen zu können,« antwortete Lady Henriette. »Nun wunderte es mich, daß die Lavallière sich so oft auf ihr Zimmer zurückzog, daß Saint-Aignan eine andere Wohnung nahm, und zwar merkwürdigerweise gerade unter der Lavallière, und daß an der Tagesordnung bei Hofe manches auffallenderweise geändert wurde. Ich mag dem König nicht zum Spielball dienen; ich mag nicht den Deckmantel für seine Liebschaften hergeben; denn nach der weinerlichen Lavallière wird es die übermütige Tonnay-Charente sein, das sehe ich schon kommen. Das ist keine meiner würdige Rolle. Deshalb entdeckte ich das Geheimnis, indem ich die Handwerker bestach, die hier gearbeitet haben. Und nun entschuldigen Sie mich. Ich hatte eine Pflicht zu erfüllen und habe es getan. Sie sind gewarnt, bringen Sie sich nicht in Gefahr. Der Sturm steht über unsern Häuptern.«
»Erwarten Sie nicht, daß ich die Schmach, die man mir antut, ohne Widerrede hinnehmen werde!« versetzte Rudolf stolz. – »Sie sind Herr Ihrer Entschlüsse,« antwortete sie. »Nur nennen Sie die Quelle nicht, aus der Sie die Wahrheit schöpften.« – »Fürchten Sie nichts, Madame,« sagte Bragelonne mit bitterm Lächeln. Darauf riß er ein Blatt Papier aus seinem Notizbuch und schrieb darauf die folgenden Worte: »An den Grafen von Saint-Aignan. – Herr Graf! Sie werden den Besuch eines meiner Freunde erhalten. Rudolf Vicomte von Bragelonne.« – Er rollte den Zettel zusammen und schob ihn in den Spalt der zum Zimmer der beiden Liebenden führenden Tür. Auf dem Treppenabsatz verließ ihn Madame, und während sie in ihre Gemächer zurückeilte, sprach sie bei sich: »Hätte ich gewußt, wie nahe es ihm ginge, ich würde diesem armen Menschen die Wahrheit verschwiegen haben.«