Die gallischen Provinzen
Kapitel III
Wie Spanien, war auch das südliche Gallien bereits in republikanischer Zeit ein Teil des römischen Reiches geworden, jedoch weder so früh noch so vollständig wie jenes. Die beiden spanischen Provinzen sind in der hannibalischen, die Provinz Narbo in der gracchischen Zeit eingerichtet worden; und wenn dort Rom die ganze Halbinsel an sich nahm, so begnügte es sich hier nicht bloß bis in die letzte Zeit der Republik mit dem Besitz der Küste, sondern es nahm auch von dieser unmittelbar nur die kleinere und die entferntere Hälfte. Nicht mit Unrecht bezeichnete die Republik diesen ihren Besitz als das Stadtgebiet Narbo (Narbonne); der größere Teil der Küste, etwa von Montpellier bis Nizza, gehörte der Stadt Massalia. Diese Griechengemeinde war mehr ein Staat als eine Stadt, und das von alters her bestehende gleiche Bündnis mit Rom erhielt durch ihre Machtstellung eine reale Bedeutung, wie sie bei keiner zweiten Bundesstadt je vorgekommen ist. Freilich waren nichtsdestoweniger die Römer für diese benachbarten Griechen mehr noch als für die entfernteren des Ostens der Schild wie das Schwert. Die Massalioten hatten wohl das untere Rhonegebiet bis nach Avignon hinauf in ihrem Besitz; aber die ligurischen und die keltischen Gaue des Binnenlandes waren ihnen keineswegs botmäßig, und das römische Standlager bei Aquae Sextiae (Aix) einen Tagemarsch nordwärts von Massalia ist recht eigentlich zum dauernden Schutz der reichen griechischen Kaufstadt eingerichtet worden. Es war eine der schwerwiegendsten Konsequenzen des römischen Bürgerkrieges, daß mit der legitimen Republik zugleich ihre treueste Verbündete, die Stadt Massalia, politisch vernichtet, aus einem mitherrschenden Staat umgewandelt ward in eine auch ferner reichsfreie und griechische, aber ihre Selbständigkeit und ihren Hellenismus in den bescheidenen Verhältnissen einer provinzialen Mittelstadt bewahrende Gemeinde. In politischer Hinsicht ist nach der Einnahme im Bürgerkrieg nicht weiter von Massalia die Rede; die Stadt ist fortan nur für Gallien, was Neapolis für Italien, das Zentrum griechischer Bildung und griechischer Lehre. Insofern, als der größere Teil der späteren Provinz Narbo erst damals unter unmittelbare römische Verwaltung trat, gehört auch deren Einrichtung gewissermaßen erst dieser Epoche an.
Wie das übrige Gallien in römische Gewalt kam, ist auch bereits erzählt worden. Vor Cäsars gallischem Krieg erstreckte die Römerherrschaft sich ungefähr bis nach Toulouse, Vienne und Genf, nach demselben bis an den Rhein in seinem ganzen Lauf und an die Küsten des Atlantischen Meeres im Norden wie im Westen. Allerdings war diese Unterwerfung wahrscheinlich nicht vollständig, im Nordwesten vielleicht nicht viel weniger oberflächlich gewesen als diejenige Britanniens. Indes erfahren wir von Ergänzungskriegen hauptsächlich nur hinsichtlich der Distrikte iberischer Nationalität. Den Iberern gehörte nicht bloß der südliche, sondern auch der nördliche Abhang der Pyrenäen mit deren Vorland, Bearn, die Gascogne, das westliche Languedoc; und es ist schon erwähnt worden, daß, als das nordwestliche Spanien mit den Römern die letzten Kämpfe bestand, auch auf der nördlichen Seite der Pyrenäen, und ohne Zweifel in Zusammenhang damit, ernsthaft gestritten wurde, zuerst von Agrippa im J. 716 (38 v. Chr.), dann von Marcus Valerius Messalla, dem bekannten Patron der römischen Poeten, welcher im J. 726 oder 727 (28 oder 27 v. Chr.), also ungefähr gleichzeitig mit dem cantabrischen Krieg, in dem altrömischen Gebiet unweit Narbonne die Aquitaner in offener Feldschlacht überwand. In betreff der Kelten wird nichts weiter gemeldet, als daß kurz vor der actischen Schlacht die Moriner in der Picardie niedergeworfen wurden; und wenn auch während des zwanzigjährigen fast ununterbrochenen Bürgerkrieges unsere Berichterstatter die verhältnismäßig unbedeutenden gallischen Angelegenheiten aus den Augen verloren haben mögen, so beweist doch das Schweigen des hier vollständigen Verzeichnisses der Triumphe, daß keine weiteren militärischen Unternehmungen von Bedeutung im Keltenland während dieser Zeit stattgefunden haben. Auch nachher während der langen Regierung des Augustus und bei allen zum Teil recht bedenklichen Krisen der germanischen Kriege sind die gallischen Landschaften botmäßig geblieben. Freilich hat die römische Regierung sowohl wie die germanische Patriotenpartei, wie wir gesehen haben, beständig in Rechnung gezogen, daß ein entscheidender Erfolg der Deutschen und deren Einrücken in Gallien eine Erhebung der Gallier gegen Rom im Gefolge haben werde; sicher also kann die Fremdherrschaft damals noch keineswegs gestanden haben. Zu einer wirklichen Insurrektion kam es im J. 21 unter Tiberius. Es bildete sich unter dem keltischen Adel eine weitverzweigte Verschwörung zum Sturz des römischen Regiments. Sie kam vorzeitig zum Ausbruch in den wenig bedeutenden Gauen der Turoner und der Andecaven an der unteren Loire, und es wurde sogleich nicht bloß die kleine Lyoner Besatzung, sondern auch ein Teil der Rheinarmee gegen die Aufständischen in Marsch gesetzt. Dennoch schlossen die angesehensten Distrikte sich an; die Treverer unter Führung des Julius Florus warfen sich haufenweise in die Ardennen; in der unmittelbaren Nachbarschaft von Lyon erhoben sich unter Führung des Julius Sacrovir die Häduer und die Sequaner. Freilich wurden die geschlossenen Legionen ohne große Mühe der Rebellen Herr; allein der Aufstand, an dem die Germanen sich in keiner Weise beteiligten, zeigt doch den im Lande und namentlich bei dem Adel damals noch herrschenden Haß gegen die fremden Gebieter, welcher durch den Steuerdruck und die Finanznot, die als die Ursachen der Insurrektion bezeichnet werden, gewiß verstärkt, aber nicht erst erzeugt war. Eine größere Leistung der römischen Staatskunst, als daß sie Galliens Herr zu werden vermocht hat, ist es, daß sie verstanden hat, es zu bleiben, und daß Vercingetorix keinen Nachfolger gefunden hat, obwohl es, wie man sieht, nicht ganz an Männern fehlte, die gern den gleichen Weg gewandelt wären. Erreicht ward dies durch kluge Verbindung des Schreckens und des Gewinnens, man kann hinzusetzen des Teilens. Die Stärke und die Nähe der Rheinarmee ist ohne Frage das erste und das wirksamste Mittel gewesen, um die Gallier in der Furcht des Herrn zu erhalten. Wenn dieselbe durch das ganze Jahrhundert hindurch auf der gleichen Höhe geblieben ist, wie dies in dem folgenden Abschnitt dargelegt werden wird, so ist dies wahrscheinlich eben so sehr der eigenen Untertanen wegen geschehen, als wegen der späterhin keineswegs besonders furchtbaren Nachbarn. Daß schon die zeitweilige Entfernung dieser Truppen die Fortdauer der römischen Herrschaft in Frage stellte, nicht weil die Germanen dann den Rhein überschreiten, sondern weil die Gallier den Römern die Treue aufsagen konnten, lehrt die Erhebung nach Neros Tod trotz ihrer Haltlosigkeit: nachdem die Truppen nach Italien abgezogen waren, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, wurde in Trier das selbständige gallische Reich proklamiert und die übriggebliebenen römischen Soldaten auf dieses in Eid und Pflicht genommen. Aber wenn auch diese Fremdherrschaft, wie jede, auf der übermächtigen Gewalt, der Überlegenheit der geschlossenen und geschulten Truppe über die Menge zunächst und hauptsächlich beruhte, so beruhte sie doch darauf keineswegs ausschließlich. Die Kunst des Teilens ist auch hier erfolgreich angewandt worden. Gallien gehörte nicht den Kelten allein; nicht bloß die Iberer waren im Süden stark vertreten, sondern auch germanische Stämme am Rhein in beträchtlicher Zahl angesiedelt und durch ihre hervorragende kriegerische Tüchtigkeit mehr noch als durch ihre Zahl von Bedeutung. In geschickter Weise wußte die Regierung den Gegensatz zwischen den Kelten und den linksrheinischen Germanen zu nähren und auszunutzen. Aber mächtiger wirkte die Politik der Verschmelzung und der Versöhnung. Welche Maßregeln zu diesem Zwecke ergriffen wurden, wird weiterhin auseinandergesetzt werden; indem die Gauverfassung geschont und selbst eine Art nationaler Vertretung bewilligt, gegen das nationale Priestertum auch, aber allmählich vorgegangen ward, dagegen die lateinische Sprache von Anfang an obligatorisch und mit jener nationalen Vertretung die neue Kaiserreligion verschmolzen wurde, überhaupt indem die Romanisierung nicht in schroffer Weise angefaßt, aber vorsichtig und geduldig gefördert ward, hörte die römische Fremdherrschaft in dem Keltenland auf dies zu sein, da die Kelten selber Römer wurden und sein wollten. Wie weit die Arbeit bereits nach Ablauf des ersten Jahrhunderts der Römerherrschaft in Gallien gediehen war, zeigen die ebenerwähnten Vorgänge nach Neros Tod, die in ihrem Gesamtverlauf teils der Geschichte des römischen Gemeinwesens, teils den Beziehungen desselben zu den Germanen angehören, aber auch in diesem Zusammenhang wenigstens andeutungsweise erwähnt werden müssen. Der Sturz der julisch-claudischen Dynastie ging von einem keltischen Adligen aus und begann mit einer keltischen Insurrektion; aber es war dies keine Auflehnung gegen die Fremdherrschaft wie die des Vercingetorix oder noch des Sacrovir, ihr Ziel nicht die Beseitigung, sondern die Umgestaltung des römischen Regiments; daß ihr Führer seine Abstammung von einem Bastard Cäsars zu den Adelsbriefen seines Geschlechts zählte, drückt den halb nationalen, halb römischen Charakter dieser Bewegung deutlich aus. Einige Monate später proklamierten allerdings, nachdem die abgefallenen römischen Truppen germanischer Herkunft und die freien Germanen für den Augenblick die römische Rheinarmee überwältigt hatten, einige keltische Stämme die Unabhängigkeit ihrer Nation, aber dieser Versuch scheiterte kläglich, nicht erst durch das Einschreiten der Regierung, sondern schon an dem Widerspruch der großen Majorität der Keltengaue selbst, die den Abfall von Rom nicht wollen konnten und nicht wollten. Die römischen Namen der führenden Adligen, die lateinische Aufschrift der Insurrektionsmünzen, die durchgehende Travestie der römischen Ordnungen zeigen auf das deutlichste, daß die Befreiung der keltischen Nation von dem Joch der Fremden im J. 70 n. Chr. deshalb nicht mehr möglich war, weil es eine solche Nation nicht mehr gab und die römische Herrschaft nach Umständen als ein Joch, aber nicht mehr als Fremdherrschaft empfunden ward. Wäre eine solche Gelegenheit zur Zeit der Schlacht bei Philippi oder noch unter Tiberius den Kelten geboten worden, so wäre der Aufstand wohl auch nicht anders, aber in Strömen Bluts verlaufen; jetzt verlief er im Sande. Wenn einige Dezennien nach diesen schweren Krisen die Rheinarmee beträchtlich reduziert ward, so hatten eben sie den Beweis geliefert, daß die Gallier in ihrer großen Mehrzahl nicht mehr daran dachten, sich von den Italienern zu scheiden, und die vier Generationen, die seit der Eroberung sich gefolgt waren, ihr Werk getan hatten. Was später dort vorgeht, sind Krisen innerhalb der römischen Welt. Als diese auseinander zu brechen drohte, sonderte sich für einige Zeit wie der Osten so auch der Westen von dem Zentrum des Reiches ab; aber der Sonderstaat des Postumus war das Werk der Not, nicht der Wahl und auch die Sonderung nur eine faktische; die Imperatoren, die über Gallien, Britannien und Spanien geboten, haben gerade ebenso auf die Beherrschung des ganzen Reiches Anspruch gemacht wie ihre italischen Gegenkaiser. Gewiß blieben genug Spuren des alten keltischen Wesens und auch der alten keltischen Unbändigkeit. Wie der Bischof Hilarius von Poitiers, selbst ein Gallier, über das trotzige Wesen seiner Landsleute klagt, so heißen die Gallier auch in den späteren Kaiserbiographien störrisch und unregierlich und geneigt zur Widersetzlichkeit, so daß ihnen gegenüber Konsequenz und Strenge des Regiments besonders erforderlich erscheint. Aber an eine Trennung vom römischen Reich oder gar an eine Lossagung von der römischen Nationalität, soweit es überhaupt eine solche damals gab, ist in diesen späteren Jahrhunderten nirgends weniger gedacht worden als in Gallien; vielmehr füllt die Entwicklung der römisch-gallischen Kultur, zu welcher Cäsar und Augustus den Grund gelegt haben, die spätere römische Epoche ebenso aus wie das Mittelalter und die Neuzeit.
Die Regulierung Galliens ist das Werk des Augustus. Bei derjenigen der Reichsverwaltung nach dem Schluß der Bürgerkriege kam das gesamte Gallien, so wie es Cäsar übertragen oder von ihm hinzugewonnen worden war, nur mit Ausschluß des inzwischen mit Italien vereinigten Gebiets diesseit der Alpen, unter kaiserliche Verwaltung. Unmittelbar nachher begab Augustus sich nach Gallien und vollzog im J. 727 (27 v. Chr.) in der Hauptstadt Lugudunum die Schätzung der gallischen Provinz, wodurch die durch Cäsar zum Reiche gekommenen Landesteile zuerst einen geordneten Kataster erhielten und für sie die Steuerzahlung reguliert ward. Er verweilte damals nicht lange, da die spanischen Angelegenheiten seine Gegenwart erheischten. Aber die Durchführung der neuen Ordnung stieß auf große Schwierigkeiten und vielfach auf Widerstand; es sind nicht bloß militärische Angelegenheiten gewesen, welche Agrippas Aufenthalt in Gallien im J. 735 (19 v. Chr.) und den des Kaisers selbst während der J 738-741 (16-13 v. Chr.) veranlaßten; und die dem kaiserlichen Hause angehörigen Statthalter oder Kommandoführer am Rhein, Augustus‘ Stiefsohn Tiberius 738 (16 v.Chr.), dessen Bruder Drusus 742-745 (12-9 v. Chr.), wieder Tiberius 745-747 (9-7 v. Chr.), 757-759 (3-5 n.Chr.), 763-765 (9-11 n.Chr.), dessen Sohn Germanicus 766-769 (12-15 n. Chr.), hatten alle auch die Aufgabe die Organisation Galliens weiterzuführen. Das Friedenswerk war sicher nicht minder schwierig und nicht minder wichtig als die Waffengänge am Rhein; man erkennt dies darin, daß der Kaiser die Fundamentierung selbst in die Hand nahm und die Durchführung den nächst und höchst gestellten Männern des Reiches anvertraute. Die von Cäsar im Drange der Bürgerkriege getroffenen Festsetzungen haben erst in diesen Jahren diejenige Gestalt bekommen, welche sie dann im wesentlichen behielten. Sie erstreckten sich über die alte wie über die neue Provinz; indes gab Augustus das altrömische Gebiet nebst dem von Massalia vom Mittelmeere bis an die Cevennen schon im J. 732 (22 v. Chr.) an die senatorische Regierung ab und behielt nur Neugallien in eigener Verwaltung. Dieses immer noch sehr ausgedehnte Gebiet wurde dann in drei Verwaltungsbezirke aufgelöst, deren jedem ein selbständiger kaiserlicher Statthalter vorgesetzt wurde. Diese Einteilung knüpfte an die schon von dem Diktator Cäsar vorgefundene und auf den nationalen Gegensätzen beruhende Dreiteilung des Keltenlandes in das von Iberern bewohnte Aquitanien, das rein keltische Gallien und das keltisch-germanische Gebiet der Belgen; auch ist wohl beabsichtigt worden, diese den Ausbau der römischen Herrschaft fördernden Gegensätze einigermaßen in der administrativen Teilung zum Ausdruck zu bringen. Indes ist dies nur annähernd durchgeführt worden und konnte auch praktisch nicht anders realisiert werden. Das rein keltische Gebiet zwischen Garonne und Loire ward zu dem allzu kleinen iberischen Aquitanien hinzugelegt, das gesamte linksrheinische Ufer vom Lemansee bis zur Mosel mit der Belgica vereinigt, obwohl die meisten dieser Gaue keltisch waren; überhaupt überwog der Keltenstamm in dem Grade, daß die vereinigten Provinzen die »drei Gallien« heißen konnten. Von der Bildung der beiden sogenannten Germanien, nominell dem Ersatz für die verlorene oder nicht zustande gekommene wirklich germanische Provinz, der Sache nach der gallischen Militärgrenze, wird in dem folgenden Abschnitt die Rede sein.
Die rechtlichen Verhältnisse wurden in durchaus verschiedener Weise für die alte Provinz Gallien und für die drei neuen geordnet: jene wurde sofort und vollständig latinisiert, in dieser zunächst nur das bestehende nationale Verhältnis reguliert. Dieser Gegensatz der Verwaltung, welcher weit tiefer eingreift als die formale Verschiedenheit der senatorischen und der kaiserlichen Administration, hat wohl die noch heute nachwirkende Verschiedenheit der Länder der Langue d’oc und der Provence zu denen der Langue d’oui zunächst und hauptsächlich herbeigeführt.
So weit wie die Romanisierung Südspaniens war die des gallischen Südens in republikanischer Zeit nicht vorgeschritten. Die zwischen den beiden Eroberungen liegenden achtzig Jahre waren nicht rasch einzuholen; die Truppenlager in Spanien waren bei weitem stärker und stetiger als die gallischen, die Städte latinischer Art dort zahlreicher als hier. Wohl war auch hier in der Zeit der Gracchen und unter ihrem Einfluß Narbo gegründet worden, die erste eigentliche Bürgerkolonie jenseit des Meeres; aber sie blieb vereinzelt und im Handelsverkehr zwar Rivalin von Massalia, aber allem Anscheine nach an Bedeutung ihr keineswegs gleich. Aber als Cäsar anfing die Geschicke Roms zu leiten, wurde vor allem hier, in diesem Lande seiner Wahl und seines Sterns, das Versäumte nachgeholt. Die Kolonie Narbo wurde verstärkt und war unter Tiberius die volkreichste Stadt im gesamten Gallien. Dann wurden, hauptsächlich auf dem von Massalia abgetretenen Gebiet, vier neue Bürgergemeinden angelegt, darunter die bedeutendsten militärisch Forum Julii (Trejus), Hauptstation der neuen Reichsflotte, für den Verkehr Arelate (Arles) an der Rhonemündung, das bald, als Lyon sich hob und der Verkehr sich wieder mehr nach der Rhone zog, Narbo überflügelnd die rechte Erbin Massalias und das große Emporium des gallisch-italischen Handels ward. Was er selbst noch und was sein Sohn in diesem Sinne geschaffen hat, ist nicht bestimmt zu unterscheiden und geschichtlich kommt darauf auch wenig an; wenn irgendwo, war hier Augustus nichts als der Testamentsvollstrecker Cäsars. Überall weicht die keltische Gauverfassung der italischen Gemeinde. Der Gau der Volker im Küstengebiet, früher den Massalioten untertänig, empfing durch Cäsar latinische Gemeindeverfassung in der Weise, daß die »Prätoren« der Volker dem ganzen 24 Ortschaften umfassenden Bezirk vorstanden, bis dann bald darauf die alte Ordnung auch dem Namen nach verschwand und an die Stelle des Gaues der Volker die latinische Stadt Nemausus (Nîmes) trat. Ähnlich erhielt der ansehnlichste aller Gaue dieser Provinz, der der Allobrogen, welche das Land nördlich der Isère und östlich der mittleren Rhone von Valence und Lyon bis in die savoyischen Berge und an den Lemansee in Besitz hatten, wahrscheinlich bereits durch Cäsar eine gleiche städtische Organisation und italisches Recht, bis dann Kaiser Gaius der Stadt Vienna das römische Bürgerrecht gewährte. Ebenso wurden in der gesamten Provinz die größeren Zentren durch Cäsar oder in der ersten Kaiserzeit nach latinischem Recht organisiert, so Ruscino (Roussillon), Avennio (Avignon), Aquae Sextiae (Aix), Apta (Apt). Schon am Schluß der augustischen Zeit war die Landschaft an beiden Ufern der unteren Rhone in Sprache und Sitte vollständig romanisiert, die Gauverfassung wahrscheinlich in der gesammten Provinz bis auf geringe Überreste beseitigt. Die Bürger der Gemeinden, denen das Reichsbürgerrecht verliehen war, und nicht minder die Bürger derjenigen latinischen Rechts, welche durch den Eintritt in das Reichsheer oder durch Bekleidung von Ämtern in ihrer Heimatstadt für sich und ihre Nachkommen das Reichsbürgerrecht erworben hatten, standen rechtlich den Italienern vollständig gleich und gelangten gleich ihnen im Reichsdienst zu Ämtern und Ehren.
Dagegen in den drei Gallien gab es Städte römischen und latinischen Rechts nicht, oder vielmehr es gab dort nur eine solche, die eben darum auch zu keiner der drei Provinzen oder zu allen gehörte, die Stadt Lugudunum (Lyon). Am äußersten Südrand des kaiserlichen Gallien, unmittelbar an der Grenze der städtisch geordneten Provinz, am Zusammenfluß der Rhone und der Saone, an einer militärisch wie kommerziell gleich wohlgewählten Stelle war während der Bürgerkriege, zunächst infolge der Vertreibung einer Anzahl in Vienna ansässiger Italiener, im J. 711 (43 v. Chr.) diese Ansiedlung entstanden, nicht hervorgegangen aus einem Keltengau und daher auch immer mit eng beschränktem Gebiet, sondern von Haus aus von Italienern gebildet und im Besitz des vollen römischen Bürgerrechts, einzig in ihrer Art dastehend unter den Gemeinden der drei Gallien, den Rechtsverhältnissen nach einigermaßen wie Washington in dem nordamerikanischen Bundesstaat. Diese einzige Stadt der drei Gallien wurde zugleich die gallische Hauptstadt. Eine gemeinschaftliche Oberbehörde hatten die drei Provinzen nicht und von hohen Reichsbeamten hatte dort nur der Statthalter der mittleren oder der lugudunensischen Provinz seinen Sitz; aber wenn Kaiser oder Prinzen in Gallien verweilten, residierten sie regelmäßig in Lyon. Lyon war neben Karthago die einzige Stadt der lateinischen Reichshälfte, welche nach dem Muster der hauptstädtischen Garnison eine ständige Besatzung erhielt. Die einzige Münzstätte für Reichsgeld, die wir im Westen für die frühere Kaiserzeit mit Sicherheit nachweisen können, ist die von Lyon. Hier war die Zentralstelle des ganz Gallien umfassenden Grenzzolles, hier der Knotenpunkt des gallischen Straßennetzes. Aber nicht bloß alle Regierungsanstalten, welche Gallien gemeinschaftlich waren, hatten ihren geborenen Sitz in Lyon, sondern diese Römerstadt wurde auch, wie wir weiterhin sehen werden, der Sitz des keltischen Landtags der drei Provinzen und aller daran sich knüpfenden politischen und religiösen Institutionen, seiner Tempel und seiner Jahresfeste. Also blühte Lugudunum rasch empor, gefördert durch die mit der Metropolenstellung verbundene reiche Dotation und die für den Handel ungemein günstige Lage. Ein Schriftsteller aus Tiberius‘ Zeit bezeichnet sie als die zweite in Gallien nach Narbo; späterhin nimmt sie daselbst den Platz neben oder vor ihrer Rhoneschwester Arelate. Bei der Feuersbrunst, die im J. 64 einen großen Teil Roms in Asche legte, sandten die Lugudunenser den Abgebrannten eine Beihilfe von 4 Millionen Sesterzen (8 700 000 M.), und als ihre eigene Stadt im nächsten Jahr dasselbe Schicksal in noch härterer Weise traf, steuerte auch ihnen das ganze Reich seinen Beitrag, und der Kaiser sandte die gleiche Summe aus seiner Schatulle. Glänzender als zuvor erstand die Stadt aus ihren Ruinen, und sie ist fast durch zwei Jahrtausende unter allen Zeitläuften eine Großstadt geblieben bis auf den heutigen Tag. In der späteren Kaiserzeit freilich tritt sie zurück hinter Trier. Die Stadt der Treverer, Augusta genannt wahrscheinlich von dem ersten Kaiser, gewann bald in der Belgica den ersten Platz; wenn noch in Tiberius‘ Zeit Durocortorum der Remer (Reims) die volkreichste Ortschaft der Provinz und der Sitz der Statthalter genannt wird, so teilt bereits ein Schriftsteller aus der des Claudius den Primat daselbst dem Hauptort der Treverer zu. Aber die Hauptstadt Galliens, man darf vielleicht sagen des Okzidents, ist Trier erst geworden durch die Umgestaltung der Reichsverwaltung unter Diocletian. Seit Gallien, Britannien und Spanien unter einer Oberverwaltung stehen, hat diese ihren Sitz in Trier, und seitdem ist Trier auch, wenn die Kaiser in Gallien verweilen, deren regelmäßige Residenz und, wie ein Grieche des 5. Jahrh. sagt, die größte Stadt jenseit der Alpen. Indes die Epoche, wo dieses Rom des Nordens seine Mauern und seine Thermen empfing, die wohl genannt werden dürfen neben den Stadtmauern der römischen Könige und den Bädern der kaiserlichen Reichshauptstadt, liegt jenseits unserer Darstellung. Durch die ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit ist Lyon das römische Zentrum des Keltenlandes geblieben, und nicht bloß weil es an Volkszahl und Reichtum den ersten Platz einnahm, sondern weil es, wie keine andere des gallischen Nordens und nur wenige des Südens, eine von Italien aus gegründete und nicht nur dem Recht, sondern dem Ursprung und dem Wesen nach römische Stadt war.
Wie für die Organisation der Südprovinz die italische Stadt die Grundlage war, so für die nördliche der Gau, und zwar überwiegend derjenige der keltischen ehemaligen Staats-, jetzigen Gemeindeordnung. Die Bedeutung des Gegensatzes von Stadt und Gau ist nicht zunächst abhängig von seinem Inhalt; selbst wenn er ein bloß rechtlich formaler gewesen wäre, hätte er die Nationalitäten geschieden, auf der einen Seite das Gefühl der Zugehörigkeit zu Rom, auf der andern Seite das der Fremdartigkeit geweckt und geschärft. Hoch darf für diese Zeit die praktische Verschiedenheit der beiden Ordnungen nicht angeschlagen werden, da die Elemente der Gemeindeordnung, die Beamten, der Rat, die Bürgerversammlung dort wie hier dieselben waren und etwa früher vorhandene tiefer gehende Gegensätze von der römischen Oberherrschaft schwerlich lange geduldet wurden. Daher hat auch der Übergang von der Gauordnung zu der städtischen sich häufig und ohne Anstoß, man kann vielleicht sagen im Laufe der Entwicklung mit einer gewissen Notwendigkeit von selber vollzogen. Infolgedessen treten die qualitativen Unterschiede der beiden Rechtsformen in unserer Überlieferung wenig hervor. Dennoch war der Gegensatz sicher nicht ein bloß nomineller, sondern es bestanden in den Befugnissen der verschiedenen Gewalten, in Rechtspflege, Besteuerung, Aushebung Verschiedenheiten, die für die Administration, teils an sich, teils infolge der Gewöhnung, von Bedeutung waren oder doch bedeutend schienen. Bestimmt erkennbar ist der quantitative Gegensatz. Die Gaue, wenigstens wie sie bei den Kelten und den Germanen auftreten, sind durchgängig mehr Völkerschaften als Ortschaften; dieses sehr wesentliche Moment ist allen keltischen Gebieten eigentümlich und selbst durch die später eintretende Romanisierung oft mehr verdeckt als verwischt. Mediolanum und Brixia haben ihre weiten Grenzen und ihre dauernde Potenz wesentlich dem zu danken, daß sie eigentlich nichts sind als die Gaue der Insubrer und der Cenomanen. Daß das Territorium der Stadt Vienna die Dauphine und Westsavoyen umfaßt und die ebenso alten und fast ebenso ansehnlichen Ortschaften Cularo (Grenoble) und Genava (Genf) bis in die späte Kaiserzeit dem Rechte nach Dörfer der Kolonie Vienna sind, erklärt sich ebenfalls daraus, daß dieses der spätere Name der Völkerschaft der Allobrogen ist. In den meisten keltischen Gauen überwiegt eine Ortschaft so durchaus, daß es einerlei ist, ob man die Remer oder Durocortorum, die Bituriger oder Burdigala nennt; aber es kommt auch das Gegenteil vor, wie zum Beispiel bei den Vocontiern Vasio (Vaison) und Lucus, bei den Carnuten Autricum (Chartres) und Cenabum (Orleans) sich die Wage halten; und ob die Vorrechte, die nach italischer und griechischer Ordnung sich selbstverständlich der Flur gegenüber an den Mauerring knüpfen, bei den Kelten rechtlich oder auch nur tatsächlich in ähnlicher Weise geordnet waren, ist mehr als fraglich. Das Gegenbild für diesen Gau im griechisch-italischen Wesen ist viel weniger die Stadt als die Völkerschaft; die Carnuten hat man mit den Böotern zu gleichen, Autricum und Cenabum mit Tanagra und Thespiae. Die Besonderheit der Stellung der Kelten unter der römischen Herrschaft gegenüber anderen Nationen, den Iberern zum Beispiel und den Hellenen, beruht darauf, daß diese größeren Verbände dort als Gemeinden fortbestanden, hier diejenigen Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzten, die Gemeinden bildeten. Dabei mögen ältere der vorrömischen Zeit angehörige Verschiedenheiten der nationalen Entwickelung mitgewirkt haben; es mag wohl leichter ausführbar gewesen sein, den Böotern den gemeinschaftlichen Städtetag zu nehmen, als die Helvetier in ihre vier Distrikte aufzulösen; politische Verbände behaupten sich auch nach der Unterwerfung unter eine Zentralgewalt da, wo ihre Auflösung die Desorganisation herbeiführen würde. Dennoch ist, was in Gallien durch Augustus oder, wenn man will, durch Cäsar geschah, nicht durch den Zwang der Verhältnisse herbeigeführt worden, sondern hauptsächlich durch den freien Entschluß der Regierung, wie er auch allein zu der übrigens gegen die Kelten geübten Schonung paßt. Denn es gab in der Tat in der vorrömischen Zeit und noch zur Zeit der cäsarischen Eroberung eine bei weitem größere Anzahl von Gauen, als wir sie später finden; namentlich ist es bemerkenswert, daß die zahlreichen durch Klientel einem größeren Gau angeschlossenen kleineren in der Kaiserzeit nicht selbständig geworden, sondern verschwunden sind. Wenn späterhin das Keltenland geteilt erscheint in eine mäßige Anzahl bedeutender, zum Teil sogar sehr großer Gaudistrikte, innerhalb deren abhängige Gaue nirgends zum Vorschein kommen, so ist diese Ordnung freilich durch das vorrömische Klientelwesen angebahnt, aber erst durch die römische Reorganisation vollständig durchgeführt worden. Dieser Fortbestand und diese Steigerung der Gauverfassung wird für die weitere politische Entwicklung Galliens vor allem bestimmend gewesen sein. Wenn die tarraconensische Provinz in 293 selbständige Gemeinden zerfiel, so zählten die drei Gallien zusammen, wie wir sehen werden, deren nicht mehr als 64. Die Einheit und ihre Erinnerungen blieben ungebrochen; die eifrige Verehrung, die die ganze Kaiserzeit hindurch dem Quellgott Nemausus bei den Völkern gezollt wurde, zeigt, wie selbst hier, im Süden des Landes und in einem zur Stadt umgewandelten Gau die traditionelle Zusammengehörigkeit noch immer lebendig empfunden ward. In dieser Art innerlich fest zusammenhaltende Gemeinden mit weiten Grenzen waren eine Macht. Wie Cäsar die gallischen Gemeinden vorfand, mit einer in völliger politischer wie ökonomischer Abhängigkeit gehaltenen Volksmasse und einem übermächtigen Adel, so sind sie im wesentlichen auch unter römischer Herrschaft geblieben; genau wie in vorrömischer Zeit die großen Adligen mit ihrem nach Tausenden zählenden Gesinde von Hörigen und Schuldknechten ein jeder in seiner Heimat die Herren spielten, so schildert uns Tacitus in Tiberius‘ Zeit die Zustände bei den Treverern. Das römische Regiment gab der Gemeinde weitgehende Rechte, sogar eine gewisse Militärgewalt, so daß sie unter Umständen Festungen einzurichten und besetzt zu halten befugt war, wie dies bei den Helvetiern vorkommt, die Beamten die Bürgerwehr aufbieten konnten und in diesem Falle Offiziersrecht und Offiziersrang hatten. Diese Befugnis war nicht dieselbe in den Händen des Vorstehers einer kleinen Stadt Andalusiens und desjenigen eines Bezirkes an der Loire oder der Mosel vom Umfang einer kleinen Provinz. Die weitherzige Politik Cäsars des Vaters, auf den die Grundzüge dieses Systems notwendig zurückgeführt werden müssen, zeigt sich hier in ihrer ganzen großartigen Ausdehnung.
Aber die Regierung beschränkte sich nicht darauf, die Gauordnung den Kelten zu lassen; sie ließ oder gab ihnen vielmehr auch eine nationale Verfassung, soweit eine solche mit der römischen Oberherrschaft sich vereinbaren ließ. Wie der hellenischen Nation, so verlieh Augustus der gallischen eine organisierte Gesamtvertretung, welche dort wie hier in der Epoche der Freiheit und der Zerfahrenheit wohl erstrebt, aber nie erreicht worden war. Unter dem Hügel, den die Hauptstadt Galliens krönte, da wo die Saone ihr Wasser mit dem der Rhone mischt, weihte am 1. August des J. 742 (12 v. Chr.) der kaiserliche Prinz Drusus als Vertreter der Regierung in Gallien der Roma und dem Genius des Herrschers den Altar, an welchem fortan jedes Jahr an diesem Tage diesen Göttern von der Gemeinschaft der Gallier die Festfeier abgehalten werden sollte. Die Vertreter der sämtlichen Gaue wählten aus ihrer Mitte Jahr für Jahr den »Priester der drei Gallien«, und dieser brachte am Kaisertag das Kaiseropfer dar und leitete die dazu gehörigen Festspiele. Diese Landesvertretung hatte nicht bloß eine eigene Vermögensverwaltung mit Beamten, welche den vornehmen Kreisen des provinzialen Adels angehörten, sondern auch einen gewissen Anteil an den allgemeinen Landesangelegenheiten. Von unmittelbarem Eingreifen derselben in die Politik findet sich allerdings keine andere Spur, als daß bei der ernsten Krise des J. 70 der Landtag der drei Gallien, die Treverer von der Auflehnung gegen Rom abmahnte; aber er hatte und gebrauchte das Recht der Beschwerdeführung über die in Gallien fungierenden Reichs- und Hausbeamten und wirkte ferner mit wenn nicht bei der Auflegung, so doch bei der Repartition der Steuern, zumal da diese nicht nach den einzelnen Provinzen, sondern für Gallien insgemein angelegt wurden. Ähnliche Einrichtungen hat allerdings die Kaiserregierung in allen Provinzen ins Leben gerufen, in einer jeden nicht bloß die sakrale Zentralisierung eingeführt, sondern auch, was die Republik nicht getan hatte, einer jeden ein Organ verliehen, um Bitten und Klagen vor die Regierung zu bringen. Dennoch hat Gallien in dieser Hinsicht vor allen übrigen Reichsteilen wenigstens ein tatsächliches Privilegium, wie sich denn diese Institution auch allein hier voll entwickelt findet. Einmal steht der vereinigte Landtag der drei Provinzen den Legaten und Prokuratoren einer jeden notwendig unabhängiger gegenüber als zum Beispiel der Landtag von Thessalonike dem Statthalter von Makedonien. Sodann aber kommt es bei Institutionen dieser Art weit weniger auf das Maß der verliehenen Rechte an als auf das Gewicht der darin vertretenen Körperschaften; und die Stärke der einzelnen gallischen Gemeinden übertrug sich ebenso auf den Landtag von Lyon wie die Schwäche der einzelnen hellenischen auf den von Argos. In der Entwickelung Galliens unter den Kaisern hat der Landtag von Lyon allem Anschein nach diejenige allgemein gallische Homogeneität, welche daselbst mit der Latinisierung Hand in Hand geht, wesentlich gefördert.
Die Zusammensetzung des Landtags, welche uns ziemlich genau bekannt ist, zeigt, in welcher Weise die Nationalitätenfrage von der Regierung behandelt ward. Von den sechzig, später vierundsechzig auf dem Landtag vertretenen Gauen kommen nur vier auf die iberischen Bewohner Aquitaniens, obwohl dieses Gebiet zwischen der Garonne und den Pyrenäen unter eine sehr viel größere Zahl durchgängig kleiner Stämme geteilt war, sei es, daß die übrigen von der Vertretung überhaupt ausgeschlossen waren, sei es, daß jene vier vertretenen Gaue die Vororte von Gauverbänden sind. Späterhin, wahrscheinlich in traianischer Zeit, ist der iberische Bezirk von dem Lyoner Landtag abgetrennt und ihm eine selbständige Vertretung gegeben worden. Dagegen sind die keltischen Gaue in derjenigen Organisation, die wir früher kennengelernt haben, im wesentlichen alle auf dem Landtag vertreten und ebenso die halb oder ganz germanischen, soweit sie zur Zeit der Stiftung des Altars zum Reiche gehörten; daß für die Hauptstadt Galliens in dieser Gauvertretung kein Platz war, versteht sich von selbst. Außerdem erscheinen die Ubier nicht auf dem Landtag von Lyon, sondern opfern an ihrem eigenen Augustus-Altar – es ist dies, wie wir sahen, ein stehengebliebener Überrest der beabsichtigten Provinz Germanien.
Wurde die keltische Nation also in dem kaiserlichen Gallien in sich selbst konsolidiert, so wurde sie auch dem römischen Wesen gegenüber gewissermaßen garantiert durch das hinsichtlich der Erteilung des Reichsbürgerrechts für dieses Gebiet eingehaltene Verfahren. Die Hauptstadt Galliens freilich war und blieb eine römische Bürgerkolonie, und es gehört dies wesentlich mit zu der eigenartigen Stellung, die sie dem übrigen Gallien gegenüber einnahm und einnehmen sollte. Aber während die Südprovinz mit Kolonien bedeckt und durchaus nach italischem Gemeinderecht geordnet ward, hat Augustus in den drei Gallien nicht eine einzige Bürgerkolonie eingerichtet, und wahrscheinlich ist auch dasjenige Gemeinderecht, welches unter dem Namen des latinischen eine Zwischenstufe zwischen Bürgern und Nichtbürgern bildet und seinen angeseheneren Inhabern von Rechts wegen das Bürgerrecht für ihre Person und ihre Nachkommen gewährt, längere Zeit von Gallien ferngehalten worden. Die persönliche Verleihung des Bürgerrechts, teils nach allgemeinen Bestimmungen an den Soldaten bald bei dem Eintritt, bald bei dem Abschied, teils aus besonderer Gunst an einzelne Personen, konnte allerdings auch dem Gallier zuteil werden; so weit, wie die Republik gegangen war, dem Helvetier zum Beispiel den Gewinn des römischen Bürgerrechts ein für allemal zu untersagen, ging Augustus nicht und konnte es auch nicht, nachdem Cäsar das Bürgerrecht an geborene Gallier vielfach auf diese Weise vergeben hatte. Aber er nahm wenigstens den aus den drei Gallien stammenden Bürgern – mit Ausnahme immer der Lugudunenser – das Recht der Ämterbewerbung und schloß sie damit zugleich aus dem Reichssenat aus. Ob diese Bestimmung zunächst im Interesse Roms oder zunächst in dem der Gallier getroffen war, können wir nicht wissen; gewiß hat Augustus beides gewollt, einmal dem Eindringen des fremdartigen Elements in das Römertum wehren und damit dasselbe reinigen und heben, andererseits den Fortbestand der gallischen Eigenartigkeit in einer Weise verbürgen, die eben durch verständiges Zurückhalten die schließliche Verschmelzung mit dem römischen Wesen sicherer förderte als die schroffe Aufzwingung fremdländischer Institutionen getan haben würde.
Kaiser Claudius, selbst in Lyon geboren und, wie die Spötter von ihm sagten, ein richtiger Gallier, hat diese Schranken zum guten Teil beseitigt. Die erste Stadt in Gallien, welche sicher italisches Recht empfangen hat, ist die der Ubier, wo der Altar des römischen Germaniens angelegt war; dort im Feldlager ihres Vaters, des Germanicus, wurde die nachmalige Gemahlin des Claudius Agrippina geboren und sie hat im J. 50 ihrem Geburtsort das wahrscheinlich latinische Kolonialrecht erwirkt, dem heutigen Köln. Vielleicht gleichzeitig, vielleicht schon früher ist dasselbe für die Stadt der Treverer Augusta geschehen, das heutige Trier. Auch noch einige andere gallische Gaue sind in dieser Weise dem Römertum näher gerückt worden, so der der Helvetier durch Vespasian, ferner der der Sequaner (Besançon); große Ausdehnung aber scheint das latinische Recht in diesen Gegenden nicht gefunden zu haben. Noch weniger ist in der früheren Kaiserzeit in dem kaiserlichen Gallien ganzen Gemeinden das volle Bürgerrecht beigelegt worden. Wohl aber hat Claudius mit der Aufhebung der Rechtsbeschränkung den Anfang gemacht, welche die zum persönlichen Reichsbürgerrecht gelangten Gallier von der Reichsbeamtenlaufbahn ausschloß; es wurde zunächst für die ältesten Verbündeten Roms, die Häduer, bald wohl allgemein diese Schranke beseitigt. Damit war wesentlich die Gleichstellung erreicht. Denn nach den Verhältnissen dieser Epoche hatte das Reichsbürgerrecht für die durch ihre Lebensstellung von der Ämterlaufbahn ausgeschlossenen Kreise kaum einen besonderen praktischen Wert und war für vermögende Peregrinen guter Herkunft, die diese Laufbahn zu betreten wünschten und deshalb seiner bedurften, leicht zu erlangen; wohl aber war es eine empfindliche Zurücksetzung, wenn dem römischen Bürger aus Gallien und seinen Nachkommen von Rechts wegen die Ämterlaufbahn verschlossen blieb.
Wenn in der Organisation der Verwaltung das nationale Wesen der Kelten so weit geschont ward, als dies mit der Reichseinheit sich irgend vertrug, so ist dies hinsichtlich der Sprache nicht geschehen. Auch wenn es praktisch ausführbar gewesen wäre, den Gemeinden die Führung ihrer Verwaltung in einer Sprache zu gestatten, deren die kontrollierenden Reichsbeamten nur ausnahmsweise mächtig sein konnten, lag es unzweifelhaft nicht in den Absichten der römischen Regierung, diese Schranke zwischen den Herrschenden und Beherrschten aufzurichten. Dementsprechend ist unter den in Gallien unter römischer Herrschaft geschlagenen Münzen und von Gemeinde wegen gesetzten Denkmälern keine erweislich keltische Aufschrift gefunden worden. Der Gebrauch der Landessprache wurde übrigens nicht gehindert; wir finden sowohl in der Südprovinz wie in den nördlichen Denkmäler mit keltischer Aufschrift, dort immer mit griechischem, hier immer mit lateinischem Alphabet geschrieben, und wahrscheinlich gehören wenigstens manche von jenen, sicher diese sämtlich der Epoche der Römerherrschaft an. Daß in Gallien außerhalb der Städte italischen Rechts und der römischen Lager inschriftliche Denkmäler überhaupt nur in geringer Zahl auftreten, wird wahrscheinlich hauptsächlich dadurch herbeigeführt sein, daß die als Dialekt behandelte Landessprache ebenso für solche Verwendung ungeeignet erschien wie die ungeläufige Reichssprache und daher das Denksteinsetzen hier überhaupt nicht so wie in den latinisierten Gegenden in Aufnahme kam; das Lateinische mag in dem größten Teil Galliens damals ungefähr die Stellung gehabt haben wie nachher im früheren Mittelalter gegenüber der damaligen Volkssprache. Das energische Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die Wiedergabe der gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter Beibehaltung unlateinischer Lautformen. Daß Schreibungen wie Lousonna und Boudicca mit dem unlateinischen Diphthong ou selbst in die lateinische Literatur eingedrungen sind und für den aspirierten Dental, das englische th, sogar in römischer Schrift ein eigenes Zeichen (D) verwendet wird, ferner Epadatextorigus neben Epasnactus geschrieben wird, Dirona neben Sirona, machen es fast zur Gewißheit, daß die keltische Sprache, sei es im römischen Gebiet, sei es außerhalb desselben, in oder vor dieser Epoche einer gewissen schriftmäßigen Regulierung unterlegen hatte und schon damals so geschrieben werden konnte, wie sie noch heute geschrieben wird. Auch an Zeugnissen für ihren fortdauernden Gebrauch in Gallien fehlt es nicht. Als die Stadtnamen Augustodunum (Autun), Augustonemetum (Clermont), Augustobona (Troyes) und manche ähnliche aufkamen, sprach man notwendig auch im mittleren Gallien noch keltisch. Arrian unter Hadrian gibt in seiner Abhandlung über die Kavallerie für einzelne den Kelten entlehnte Manöver den keltischen Ausdruck an. Ein geborener Grieche Eirenäos, der gegen das Ende des 2. Jahrh. als Geistlicher in Lyon fungierte, entschuldigt die Mängel seines Stils damit, daß er im Lande der Kelten lebe und genötigt sei, stets in barbarischer Sprache zu reden. In einer juristischen Schrift aus dem Anfang des 3. Jahrh. wird im Gegensatz zu der Rechtsregel, daß die letztwilligen Verfügungen im allgemeinen lateinisch oder griechisch abzufassen sind, für Fideikommisse auch jede andere Sprache, zum Beispiel die punische und die gallische zugelassen. Dem Kaiser Alexander wurde sein Ende von einer gallischen Wahrsagerin in gallischer Sprache angekündigt. Noch der Kirchenvater Hieronymus, der selber in Ancyra wie in Trier gewesen ist, versichert, daß die kleinasiatischen Galater und die Treverer seinerzeit ungefähr die gleiche Sprache redeten, und vergleicht das verdorbene Gallisch der Asiaten mit dem verdorbenen Punisch der Afrikaner. Wenn die keltische Sprache sich in der Bretagne, ähnlich wie in Wales, bis auf den heutigen Tag behauptet hat, so hat die Landschaft zwar ihren heutigen Namen von den im 5. Jahrhundert dorthin vor den Sachsen flüchtenden Inselbritten erhalten, aber die Sprache ist schwerlich erst mit diesen eingewandert, sondern allem Anschein nach hier seit Jahrtausenden von einem Geschlecht dem andern überliefert. In dem übrigen Gallien hat natürlich im Laufe der Kaiserzeit das römische Wesen schrittweise Boden gewonnen; ein Ende gemacht hat aber dem keltischen Idiom hier wohl nicht so sehr die germanische Einwanderung als die Christianisierung, welche in Gallien nicht, wie in Syrien und Ägypten, die von der Regierung beiseite geschobene Landessprache aufnahm und zu ihrem Träger machte, sondern das Evangelium lateinisch verkündigte.
In dem Vorschreiten der Romanisierung, welche in Gallien, abgesehen von der Südprovinz, wesentlich der inneren Entwicklung überlassen blieb, zeigt sich eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen dem östlichen Gallien und dem Westen und Norden, die wohl mit, aber nicht allein auf dem Gegensatz der Germanen und der Gallier beruht. In den Vorgängen bei und nach Neros Sturz tritt diese Verschiedenheit selbst politisch bestimmend hervor. Die nahe Berührung der östlichen Gaue mit den Rheinlagern und die hier vorzugsweise stattfindende Rekrutierung der Rheinlegionen hat dem römischen Wesen hier früher und vollständiger Eingang verschafft als im Gebiet der Loire und der Seine. Bei jenen Zerwürfnissen gingen die rheinischen Gaue, die keltischen Lingonen und Treverer sowohl wie die germanischen Ubier oder vielmehr die Agrippinenser mit der Römerstadt Lugudunum und hielten fest zu der legitimen römischen Regierung, während die, wie bemerkt ward, wenigstens in gewissem Sinn nationale Insurrektion von den Sequanern, Häduern und Arvernern ausgeht. In einer späteren Phase desselben Kampfes finden wir unter veränderten Parteiverhältnissen dieselbe Spaltung, jene östlichen Gaue mit den Germanen im Bunde, während der Landtag von Reims den Anschluß an diese verweigert.
Wurde somit das gallische Land in betreff der Sprache im wesentlichen ebenso behandelt wie die übrigen Provinzen, so begegnet wiederum die Schonung seiner alten Institutionen bei den Bestimmungen über Maß und Gewicht. Allerdings haben neben der allgemeinen Reichsordnung, welche in dieser Hinsicht von Augustus erlassen ward, entsprechend dem toleranten oder vielmehr indifferenten Verhalten der Regierung in dergleichen Dingen, die örtlichen Bestimmungen vielerorts fortbestanden, aber nur in Gallien hat die örtliche Ordnung späterhin die des Reiches verdrängt. Die Straßen sind im ganzen römischen Reich gemessen und bezeichnet nach der Einheit der römischen Meile (1,48 Kilometer), und bis zum Ende des 2. Jahrhunderts trifft dies auch für diese Provinzen zu. Aber von Severus an tritt in den drei Gallien und den beiden Germanien an deren Stelle eine zwar der römischen angefügte, aber doch verschiedene und gallisch benannte Meile, die Leuga (2,22 Kilometer), gleich anderthalb römischen Meilen. Unmöglich kann Severus damit den Kelten eine nationale Konzession haben machen wollen; es paßt dies weder für die Epoche noch insbesondere für diesen Kaiser, der eben diesen Provinzen in ausgesprochener Feindseligkeit gegenüberstand; ihn müssen Zweckmäßigkeitsrücksichten bestimmt haben. Diese können nur darauf beruhen, daß das nationale Wegemaß, die Leuga oder auch die Doppelleuga, die germanische Rasta, welche letztere der französischen Lieue entspricht, in diesen Provinzen nach der Einführung des einheitlichen Wegemaßes in ausgedehnterem Umfang fortbestanden haben als dies in den übrigen Reichsländern der Fall war. Augustus wird die römische Meile formell auf Gallien erstreckt und die Postbücher und die Reichsstraßen darauf gestellt, aber der Sache nach dem Lande das alte Wegemaß gelassen haben; und so mag es gekommen sein, daß die spätere Verwaltung es weniger unbequem fand die zwiefache Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen, als noch länger sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemaßes zu bedienen.
Von weit größerer Bedeutung ist das Verhalten der römischen Regierung zu der Landesreligion; ohne Zweifel hat das gallische Volkstum seinen festesten Rückhalt an dieser gefunden. Selbst in der Südprovinz muß die Verehrung der nichtrömischen Gottheiten lange, viel länger als zum Beispiel in Andalusien sich behauptet haben. Die große Handelsstadt Arelate freilich hat keine anderen Weihungen aufzuweisen als an die auch in Italien verehrten Götter; aber in Frejus, Aix, Nimes und überhaupt der ganzen Küstenlandschaft sind die alten keltischen Gottheiten in der Kaiserepoche nicht viel weniger verehrt worden als im inneren Gallien. Auch in dem iberischen Teil Aquitaniens begegnen zahlreiche Spuren des einheimischen von dem keltischen durchaus verschiedenen Kultus. Indes tragen alle im Süden Galliens zum Vorschein gekommenen Götterbilder einen minder von dem gewöhnlichen abweichenden Stempel als die Denkmäler des Nordens, und vor allem war es leichter mit den nationalen Göttern auszukommen als mit dem nationalen Priestertum, das uns nur im kaiserlichen Gallien und auf den britannischen Inseln begegnet, den Druiden. Es würde vergebliche Mühe sein, von dem inneren Wesen der aus Spekulation und Imagination wunderbar zusammengestellten Druidenlehre eine Vorstellung geben zu wollen; nur die Fremdartigkeit und die Furchtbarkeit derselben sollen einige Beispiele erläutern. Die Macht der Rede wurde symbolisch dargestellt in einem kahlköpfigen runzligen, von der Sonne verbrannten Greis, der Keule und Bogen führt und von dessen durchbohrter Zunge zu den Ohren des ihm folgenden Menschen seine goldene Ketten laufen – das heißt es fliegen die Pfeile und schmettern die Schläge des redegewaltigen Alten und willig folgen ihm die Herzen der Menge. Das ist der Ogmius der Kelten; den Griechen erschien er wie ein als Herakles staffierter Charon. Ein in Paris gefundener Altar zeigt uns drei Götterbilder mit Beischrift, in der Mitte den Jovis, zu seiner Linken den Vulkan, ihm zur Rechten den Esus, »den Entsetzlichen mit seinen grausen Altären«, wie ihn ein römischer Dichter nennt, aber dennoch ein Gott des Handelsverkehrs und des friedlichen Schaffens; er ist zur Arbeit geschürzt wie Vulkan, und wie dieser Hammer und Zange führt, so behaut er mit dem Beil einen Weidenbaum. Eine öfter wiederkehrende Gottheit, wahrscheinlich Cernunnos genannt, wird kauernd mit untergeschlagenen Beinen dargestellt; auf dem Kopf trägt sie ein Hirschgeweih, an dem eine Halskette hängt, und hält auf dem Schoß den Geldsack; vor ihr stehen zuweilen Rinder und Hirsche – es scheint, als solle damit der Erdboden als die Quelle des Reichtums ausgedrückt werden. Die ungeheure Verschiedenheit dieses aller Reinheit und Schönheit baren, im barocken und phantastischen Mengen sehr irdischer Dinge sich gefallenden keltischen Olymp von den einfach menschlichen Formen der griechischen und den einfach menschlichen Begriffen der römischen Religion gibt eine Ahnung der Schranke, die zwischen diesen Besiegten und ihren Siegern stand. Daran hingen weiter sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: ein umfassender Geheimmittel- und Zauberkram, bei dem die Priester zugleich die Ärzte spielten und wo neben dem Besprechen und Besegnen auch Menschenopfer und Krankenheilung durch das Fleisch der also Geschlachteten vorkam. Daß direkte Opposition gegen die Fremdherrschaft in dem Druidentum dieser Zeit gewaltet hat, läßt sich wenigstens nicht erweisen; aber auch wenn dies nicht der Fall war, ist es wohl begreiflich, daß die römische Regierung, welche sonst alle örtlichen Besonderheiten der Gottesverehrung mit gleichgültiger Duldung gewähren ließ, diesem Druidenwesen nicht bloß in seinen Ausschreitungen, sondern überhaupt mit Apprehension gegenüber stand. Die Einrichtung des gallischen Jahrfestes in der rein römischen Landeshauptstadt und unter Ausschluß aller Anknüpfung an den nationalen Kultus ist offenbar ein Gegenzug der Regierung gegen die alte Landesreligion mit ihrem jährlichen Priesterkonzil in Chartres, dem Mittelpunkt des gallischen Landes. Unmittelbar aber ging Augustus gegen das Druidentum nicht weiter vor, als daß er jedem römischen Bürger die Beteiligung an dem gallischen Nationalkult untersagte. Tiberius in seiner energischeren Weise griff durch und verbot dieses Priestertum mit seinem Anhang von Lehrern und Heilkünstlern überhaupt; aber es spricht nicht gerade für den praktischen Erfolg dieser Verfügung, daß dasselbe Verbot abermals unter Claudius erging – von diesem wird erzählt, daß er einen vornehmen Gallier lediglich deshalb köpfen ließ, weil er überwiesen ward, für guten Erfolg bei Verhandlungen vor dem Kaiser das landübliche Zaubermittel in Anwendung gebracht zu haben. Daß die Besetzung Britanniens, welches von alters her der Hauptsitz dieses Priestertreibens gewesen war, zum guten Teil beschlossen ward, um damit dieses an der Wurzel zu fassen, wird weiterhin ausgeführt werden. Trotz alledem hat noch in dem Abfall, den die Gallier nach dem Sturz der claudischen Dynastie versuchten, dies Priestertum eine bedeutende Rolle gespielt; der Brand des Kapitols, so predigten die Druiden, verkünde den Umschwung der Dinge und den Beginn der Herrschaft des Nordens über den Süden. Indes wenn auch dies Orakel späterhin in Erfüllung ging, durch diese Nation und zugunsten ihrer Priester ist es nicht geschehen. Die Besonderheiten der gallischen Gottesverehrung haben wohl auch später noch ihre Wirkung geübt; als im 3. Jahrhundert für einige Zeit ein gallisch-römisches Sonderreich ins Leben trat, spielt auf dessen Münzen die erste Rolle der Herkules teils in seiner griechisch-römischen Gestalt, teils auch als gallischer Deusoniensis oder Magusanus. Von den Druiden aber ist nur noch etwa insofern die Rede, als die klugen Frauen in Gallien bis in die diocletianische Zeit unter dem Namen der Druidinnen gehen und orakeln, und daß die alten adligen Häuser noch lange nachher in ihrer Ahnenreihe sich druidischer Altvordern berühmen. Wohl rascher noch als die Landessprache ging die Landesreligion zurück und das eindringende Christentum hat kaum noch an dieser ernstlichen Widerstand gefunden.
Das südliche Gallien, mehr als irgendeine andere Provinz durch seine Lage jedem feindlichen Angriff entzogen und gleich Italien und Andalusien ein Land der Olive und der Feige, gedieh unter dem Kaiserregiment zu hohem Wohlstand und reicher städtischer Entwickelung. Das Amphitheater und das Sarkophagfeld von Arles, der »Mutter ganz Galliens«, das Theater von Orange, die in und bei Nîmes noch heute aufrecht stehenden Tempel und Brücken sind davon bis in die Gegenwart lebendige Zeugen. Auch in den nördlichen Provinzen stieg der alte Wohlstand des Landes weiter durch den dauernden Frieden, der, allerdings mit dem dauernden Steuerdruck, durch die Fremdherrschaft in das Land kam.
»In Gallien«, sagt ein Schriftsteller der vespasianischen Zeit, »sind die Quellen des Reichtums heimisch und ihre Fülle strömt über die ganze Erde«. Vielleicht nirgends sind gleich zahlreiche und gleich prächtige Landhäuser zum Vorschein gekommen, vor allen Dingen im Osten Galliens, am Rhein und seinen Zuflüssen; man erkennt deutlich den reichen gallischen Adel. Berühmt ist das Testament des vornehmen Lingonen, welcher anordnet, ihm das Grabdenkmal und die Bildsäule aus italischem Marmor oder bester Bronze zu errichten und unter anderem sein sämtliches Gerät für Jagd und Vogelfang mit ihm zu verbrennen – es erinnert dies an die anderweitig erwähnten meilenlangen eingefriedigten Jagdparke im Keltenland und an die hervorragende Rolle, welche die keltischen Jagdhunde und keltische Waidmannsart bei dem Xenophon der hadrianischen Zeit spielen, welcher nicht verfehlt hinzuzufügen, daß dem Xenophon, des Gryllos Sohn, das Jagdwesen der Kelten nicht habe bekannt sein können. Nicht minder gehört in diesen Zusammenhang die merkwürdige Tatsache, daß in dem römischen Heerwesen der Kaiserzeit die Kavallerie eigentlich keltisch ist, nicht bloß insofern diese vorzugsweise aus Gallien sich rekrutiert, sondern auch indem die Manöver und selbst die technischen Ausdrücke zum guten Teil den Kelten entlehnt sind; man erkennt hier, wie nach dem Hinschwinden der alten Bürgerreiterei unter der Republik die Kavallerie durch Cäsar und Augustus mit gallischen Mannschaften und in gallischer Weise reorganisiert worden ist. Die Grundlage dieses vornehmen Wohlstandes war der Ackerbau, auf dessen Hebung auch Augustus selbst energisch hinwirkte und der in ganz Gallien, etwa abgesehen von der Steppengegend an der aquitanischen Küste, reichen Ertrag gab. Einträglich war auch die Viehzucht, besonders im Norden, namentlich die Zucht von Schweinen und Schafen, welche bald für die Industrie und die Ausfuhr von Bedeutung wurden – die menapischen Schinken (aus Flandern) und die atrebatischen und nervischen Tuchmäntel (bei Arras und Tournay) gingen in späterer Zeit in das gesamte Reich. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung des Weinbaues. Weder das Klima noch die Regierung waren demselben günstig. Der »gallische Winter« blieb lange Zeit bei den Südländern sprichwörtlich; wie denn in der Tat das römische Reich nach dieser Seite hin am weitesten gegen Norden sich ausdehnt. Aber engere Schranken zog der gallischen Weinkultur die italische Handelskonkurrenz. Allerdings hat der Gott Dionysos seine Welteroberung überhaupt langsam vollbracht und nur Schritt vor Schritt ist der aus der Halmfrucht bereitete Trank dem Saft der Rebe gewichen; aber es beruht auf dem Prohibitivsystem, daß in Gallien das Bier sich wenigstens im Norden als das gewöhnliche geistige Getränk die ganze Kaiserzeit hindurch behauptete und noch Kaiser Julianus bei seinem Aufenthalt in Gallien mit diesem falschen Bacchus in Konflikt kam. So weit freilich, wie die Republik, welche dem Wein- und Ölbau an der gallischen Südküste polizeilich untersagte, ging das Kaiserregiment nicht; aber die Italiener dieser Zeit waren doch die rechten Söhne ihrer Väter. Die Blüte der beiden großen Rhoneemporien Arles und Lyon beruhte zu einem nicht geringen Teil auf dem Vertrieb des italienischen Weines nach Gallien; daran mag man ermessen, welche Bedeutung der Weinbau damals für Italien selbst gehabt haben muß. Wenn einer der sorgfältigsten Verwalter, die das Kaiseramt gehabt hat, Domitianus den Befehl erließ, in sämtlichen Provinzen mindestens die Hälfte der Rebstöcke zu vertilgen, was freilich so nicht zur Ausführung kam, so darf daraus geschlossen werden, daß die Ausbreitung des Weinbaues allerdings von Regierungs wegen ernstlich eingeschränkt ward. Noch in augustischer Zeit war er in dem nördlichen Teil der narbonensischen Provinz unbekannt, und wenn er auch hier bald in Aufnahme kam, scheint er doch durch Jahrhunderte auf die Narbonensis und das südliche Aquitanien beschränkt geblieben zu sein; von gallischen Weinen kennt die bessere Zeit nur den allobrogischen und den biturigischen, nach unserer Redeweise den Burgunder und den Bordeaux. Erst als die Zügel des Reiches den Händen der Italiener entfielen, im Laufe des 3. Jahrhunderts, änderte sich dies und Kaiser Probus (276–282) gab endlich den Provinzialen den Weinbau frei. Wahrscheinlich erst infolgedessen hat die Rebe festen Fuß gefaßt an der Seine wie an der Mosel. »Ich habe«, schreibt Kaiser Julianus, »einen Winter« (es war der von 357 auf 358) »in dem lieben Lutetia verlebt, denn so nennen die Gallier das Städtchen der Pariser, eine kleine Insel im Flusse gelegen und ringsummauert; das Wasser ist dort trefflich und rein zu schauen und zu trinken. Die Einwohner haben einen ziemlich milden Winter, und es wächst bei ihnen guter Wein; ja einige ziehen sogar auch Feigen, indem sie sie im Winter mit Weizenstroh wie mit einem Rocke zudecken.« Und nicht viel später schildert dann der Dichter von Bordeaux in der anmutigen Beschreibung der Mosel, wie die Weinberge diesen Fluß an beiden Ufern einfassen, »gleich wie die eigenen Reben mir kränzen die gelbe Garonne«.
Der innere Verkehr so wie der mit den Nachbarländern, besonders mit Italien, muß ein sehr reger gewesen sein und das Straßennetz entwickelt und gepflegt. Die große Reichsstraße von Rom nach der Mündung des Bätis, deren bei Spanien gedacht ward, war die Hauptader für den Landhandel der Südprovinz; die ganze Strecke, in republikanischer Zeit von den Alpen bis zur Rhone durch die Massalioten, von da bis zu den Pyrenäen durch die Römer instand gehalten, wurde von Augustus neu chaussiert. Im Norden führten die Reichsstraßen hauptsächlich teils nach der gallischen Hauptstadt, teils nach den großen Rheinlagern; doch scheint auch außerdem für die übrige Kommunikation in ausreichender Weise gesorgt gewesen zu sein.
Wenn die Südprovinz in der älteren Zeit auf dem geistigen Gebiet zu dem hellenischen Kreise gehörte, so hat der Rückgang von Massalia und das gewaltige Vordringen des Römertums im südlichen Gallien darin freilich eine Änderung herbeigeführt; dennoch aber ist dieser Teil Galliens immer, wie Campanien, ein Sitz hellenischen Wesens geblieben. Daß Nemausus, eine der Teilerben von Massalia, auf seinen Münzen aus augustischer Zeit alexandrinische Jahreszahlen und das Wappen Ägyptens zeigt, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit darauf bezogen worden, daß durch Augustus selbst in dieser dem Griechentum nicht fremd gegenüberstehenden Stadt Veteranen aus Alexandreia angesiedelt worden sind. Es darf wohl auch mit dem Einfluß Massalias in Verbindung gebracht werden, daß dieser Provinz, wenigstens der Abstammung nach, derjenige Historiker angehörte, welcher, es scheint im bewußten Gegensatz zu der national-römischen Geschichtschreibung und gelegentlich mit scharfen Ausfällen gegen deren namhafteste Vertreter, Sallustius und Livius, die hellenische vertrat, der Vocontier Pompeius Trogus, Verfasser einer von Alexander und den Diadochenreichen ausgehenden Weltgeschichte, in welcher die römischen Dinge nur innerhalb dieses Rahmens oder anhangsweise dargestellt werden. Ohne Zweifel gab er damit nur wieder, was eigentlich der literarischen Opposition des Hellenismus angehörte; immer bleibt es bemerkenswert, daß diese Tendenz ihren lateinischen Vertreter, und einen geschickten und sprachgewandten Vertreter, hier in augustischer Zeit fand. Aus späterer ist erwähnenswert Favorinus aus einem angesehenen Bürgerhaus von Arles, einer der Hauptträger der Polymathie der hadrianischen Zeit; Philosoph mit aristotelischer und skeptischer Tendenz, daneben Philolog und Kunstredner, Schüler des Dion von Prusa, Freund des Plutarchos und des Herodes Atticus, polemisch auf dem wissenschaftlichen Gebiet angegriffen von Galenus, feuilletonistisch von Lucian, überhaupt in lebhaften Beziehungen mit den namhaften Gelehrten des 2. Jahrhunderts und nicht minder mit Kaiser Hadrian. Seine mannigfaltigen Forschungen unter anderem über die Namen der Genossen des Odysseus, die die Scylla verschlang, und über den des ersten Menschen, der zugleich ein Gelehrter war, lassen ihn als den rechten Vertreter des damals beliebten gelehrten Kleinkrams erscheinen und seine Vorträge für ein gebildetes Publikum über Thersites und das Wechselfieber sowie seine zum Teil uns aufgezeichneten Unterhaltungen über alles und noch etwas mehr gewähren kein erfreuliches, aber ein charakteristisches Bild des damaligen Literatentreibens. Hier ist hervorzuheben, was er selbst unter die Merkwürdigkeiten seines Lebenslaufes rechnete, daß er geborener Gallier und zugleich griechischer Schriftsteller war. Obwohl die Literaten des Okzidents häufig nebenbei auch griechisch speziminierten, so haben doch nur wenige sich dieser als ihrer eigentlichen Schriftstellersprache bedient; hier wird dies mit durch die Heimat des Gelehrten bedingt sein. Im übrigen war Südgallien an der augustischen Literaturblüte insofern beteiligt, als einige der namhaftesten Gerichtsredner der späteren augustischen Zeit, Votienus Montanus († 27 n. Chr.) aus Narbo – der Ovid der Redner genannt – und Gnäus Domitius Afer (Konsul 39 n. Chr.) aus Nemausus, dieser Provinz angehörten. Überhaupt erstreckt die römische Literatur ihre Kreise natürlich auch über diese Landschaft; die Dichter der domitianischen Zeit sandten ihre Freiexemplare den Freunden in Tolosa und Vienna. Plinius unter Traian ist erfreut, daß seine kleinen Schriften auch in Lugudunum nicht bloß günstige Leser, sondern auch Buchhändler finden, die sie vertreiben. Einen besonderen Einfluß aber, wie ihn die Bätica in der früheren, das nördliche Gallien in der späteren Kaiserzeit auf die geistige und literarische Entwicklung Roms ausgeübt hat, vermögen wir für den Süden nicht nachzuweisen. Wein und Früchte gediehen in dem schönen Land; aber weder Soldaten noch Denker sind dem Reiche von dort her gekommen.
Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land des Lehrens und des Lernens; vermutlich geht dies zurück auf die eigentümliche Entwicklung und den mächtigen Einfluß des nationalen Priestertums. Das Druidentum war keineswegs ein naiver Volksglaube, sondern eine hochentwickelte und anspruchsvolle Theologie, die nach guter Kirchensitte alle Gebiete des menschlichen Denkens und Tuns, Physik und Metaphysik, Rechts- und Heilkunde bestrebt war zu erleuchten oder doch zu beherrschen, die von ihren Schülern unermüdliches, man sagt zwanzigjähriges Studium forderte und diese ihre Schüler vor allem in den adligen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrückung der Druiden durch Tiberius und seine Nachfolger muß in erster Reihe diese Priesterschulen betroffen und deren wenigstens öffentliche Beseitigung herbeigeführt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn der nationalen Jugendbildung die römisch-griechische ebenso gegenübergestellt ward wie dem carnutischen Druidenkonzil der Romatempel in Lyon. Wie früh dies, ohne Frage unter dem bestimmenden Einfluß der Regierung, in Gallien eingetreten ist, zeigt die merkwürdige Tatsache, daß bei dem früher erwähnten Aufstand unter Tiberius die Insurgenten vor allen Dingen versuchten, sich der Stadt Augustodunum (Autun) zu bemächtigen, um die dort studierende vornehme Jugend in ihre Gewalt zu bekommen und dadurch die großen Familien zu gewinnen oder zu schrecken. Zunächst mögen wohl diese gallischen Lyzeen trotz ihres keineswegs nationalen Bildungskursus dennoch ein Ferment des spezifisch gallischen Volkstums gewesen sein; schwerlich zufällig hat das damals bedeutendste derselben nicht in dem römischen Lyon seinen Sitz, sondern in der Hauptstadt der Häduer, des vornehmsten unter den gallischen Gauen. Aber die römisch-hellenische Bildung, wenn auch vielleicht der Nation aufgenötigt und zunächst mit Opposition aufgenommen, drang, wie allmählich der Gegensatz sich verschliff, in das keltische Wesen so sehr ein, daß mit der Zeit die Schüler sich ihr eifriger zuwandten als die Lehrmeister. Die Gentlemanbildung, etwa in der Art, wie sie heute in England besteht, ruhend auf dem Studium des Lateinischen und in zweiter Reihe des Griechischen und in der Entwicklung der Schulrede mit ihren Schnitzelpointen und Glanzphrasen lebhaft an neuere demselben Boden entstammende literarische Erscheinungen erinnernd, ward allmählich im Okzident eine Art Privilegium der Galloromanen. Besser bezahlt als in Italien wurden dort die Lehrer wohl von jeher, und vor allen Dingen auch besser behandelt. Schon Quintilianus nennt mit Achtung unter den hervorragenden Gerichtsrednern mehrere Gallier; und nicht ohne Absicht macht Tacitus in dem seinen Dialog über die Redekunst den gallischen Advokaten Marcus Aper zum Verteidiger der modernen Beredsamkeit gegen die Verehrer Ciceros und Cäsars. Den ersten Platz unter den gallischen Universitäten nahm späterhin Burdigala ein, wie denn überall Aquitanien hinsichtlich der Bildung dem mittleren und nördlichen Gallien weit voran war – in einem dort geschriebenen Dialog aus dem Anfang des 5. Jahrh. wagt einer der Mitsprechenden, ein Geistlicher aus Châlons-sur-Saone, kaum den Mund aufzutun vor dem gebildeten aquitanischen Kreise. Hier wirkte der früher erwähnte, von Kaiser Valentinianus zum Lehrer seines Sohnes Gratianus (geb. 359) berufene Professor Ausonius, ,der in seinen vermischten Gedichten einer großen Anzahl seiner Kollegen ein Denkmal gestiftet hat; und als sein Zeitgenosse Symmachus, der berühmteste Redner dieser Epoche, für seinen Sohn einen Hofmeister suchte, ließ er in Erinnerung an seinen alten an der Garonne heimischen Lehrer sich einen aus Gallien kommen. Daneben ist Augustodunum immer einer der großen Mittelpunkte der gallischen Studien geblieben; wir haben noch die Reden, welche wegen der Wiederherstellung dieser Lehranstalt bittend und dankend vor dem Kaiser Constantin gehalten worden sind. – Die literarische Vertretung dieser eifrigen Schultätigkeit ist untergeordneter Art und geringen Wertes: Prunkreden, die namentlich durch die spätere Umwandlung von Trier in eine kaiserliche Residenz und das häufige Verweilen des Hofes im gallischen Land gefördert worden sind, und Gelegenheitsgedichte mannigfaltiger Art. Wie die Redeleistung war das Versemachen ein notwendiges Attribut des Lehramtes und der öffentliche Lehrer der Literatur zugleich nicht gerade geborener, aber doch bestallter Dichter. Wenigstens die Geringschätzung der Poesie, welche der übrigens gleichartigen hellenischen Literatur der gleichen Epoche eigen ist, hat sich auf diese Okzidentalen nicht übertragen. In den Versen herrscht die Schulreminiszenz und das Pedantenkunststück vor und nur selten begegnen, wie in der Moselfahrt des Ausonius, lebendige und empfundene Schilderungen. Die Reden, die wir freilich nur nach einigen späten, am kaiserlichen Hoflager gehaltenen Vorträgen zu beurteilen in der Lage sind, sind Musterstücke in der Kunst mit vielen Worten wenig zu sagen und die unbedingte Loyalität in gleich unbedingter Gedankenlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine vermögende Mutter ihren Sohn, nachdem er die Fülle und den Schmuck der gallischen Rede sich angeeignet hat, weiter nach Italien schickt, um auch die römische Würde zu gewinnen, so war diesen gallischen Rhetoren allerdings diese schwieriger abzulernen als der Wortpomp. Für das frühe Mittelalter sind diese Leistungen bestimmend gewesen; durch sie ist in der ersten christlichen Zeit Gallien die eigentliche Stätte der frommen Verse und doch auch der letzte Zufluchtsort der Schulliteratur geworden, während die große geistige Bewegung innerhalb des Christentums ihre Hauptvertreter nicht hier gefunden hat.
In dem Kreise der bauenden und der bildenden Künste rief schon das Klima manche Erscheinung hervor, welche der eigentliche Süden nicht oder nur in den Anfängen kennt; so ist die in Italien nur bei Bädern gebräuchliche Luftheizung und der dort ebenfalls wenig verbreitete Gebrauch der Glasfenster in der gallischen Baukunst in umfassender Weise zur Anwendung gekommen. Aber auch von einer diesem Gebiet eigenen Kunstentwicklung darf vielleicht insofern gesprochen werden, als die Bildnisse und in weiterer Entwicklung die Darstellung der Szenen des täglichen Lebens in dem keltischen Gebiet relativ häufiger auftreten als in Italien und die abgenutzten mythologischen Darstellungen durch erfreulichere ersetzen. Wir können diese Richtung auf das Reale und das Genre allerdings fast nur an den Grabmonumenten erkennen, aber sie hat wohl in der Kunstübung überhaupt vorgeherrscht. Der Bogen von Arausio (Orange) aus der frühen Kaiserzeit mit seinen gallischen Waffen und Feldzeichen, die bei Vetera gefundene Bronzestatue des Berliner Museums, wie es scheint, den Ortgott mit Gerstenähren im Haar darstellend, das wahrscheinlich zum Teil aus gallischen Werkstätten hervorgegangene Hildesheimer Silbergerät beweisen eine gewisse Freiheit in der Aufnahme und Umbildung der italischen Motive. Das Juliergrabmal von St. Remy bei Avignon, ein Werk augustischer Zeit, ist ein merkwürdiges Zeugnis für die lebendige und geistreiche Rezeption der hellenischen Kunst im südlichen Gallien sowohl in seinem kühnen architektonischen Aufbau zweier quadratischer Stockwerke, welche ein Säulenkreis mit konischer Kuppel krönt, wie auch in seinen Reliefs, welche, im Stil den pergamenischen nächst verwandt, figurenreiche Kampf- und Jagdszenen, wie es scheint, dem Leben der Geehrten entnommen, in malerisch bewegter Ausführung darstellen. Merkwürdigerweise liegt der Höhepunkt dieser Entwicklung neben der Südprovinz in der Gegend der Mosel und der Maas; diese Landschaft, nicht so völlig unter römischem Einfluß stehend wie Lyon und die rheinischen Lagerstädte und wohlhabender und zivilisierter als die Gegenden an der Loire und der Seine, scheint diese Kunstübung einigermaßen aus sich selbst erzeugt zu haben. Das unter dem Namen der Igeler Säule bekannte Grabdenkmal eines vornehmen Trierers gibt ein deutliches Bild der hier einheimischen turmartigen, mit spitzem Dach gekrönten, auf allen Seiten mit Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen bedeckten Denkmäler. Häufig sehen wir auf denselben den Gutsherrn, dem seine Colonen Schafe, Fische, Geflügel, Eier darbringen. Ein Grabstein aus Arlon bei Luxemburg zeigt außer den Porträts der beiden Gatten auf der einen Seite einen Karren und eine Frau mit einem Fruchtkorb, auf der andern über zwei auf dem Boden hockenden Männern einen Äpfelverkauf. Ein anderer Grabstein aus Neumagen bei Trier hat die Form eines Schiffes: in diesem sitzen sechs Schiffer die Ruder führend; die Ladung besteht aus großen Fässern, neben denen der lustig blickende Steuermann, man möchte meinen, sich des darin geborgenen Weines zu freuen scheint. Wir dürfen sie wohl in Verbindung bringen mit dem heiteren Bilde, das der Poet von Bordeaux uns vom Moseltal bewahrt hat mit den prächtigen Schlössern, den lustigen Rebgeländen und dem regen Fischer- und Schiffertreiben, und den Beweis darin finden, daß in diesem schönen Lande bereits vor anderthalb Jahrtausenden friedliche Tätigkeit, heiterer Genuß und warmes Leben pulsiert hat.