3. Brief

Frau Saville, London

7. Juli 18..

Liebe Schwester! Ich schreibe Dir in aller Eile, um Dich wissen zu lassen, daß ich wohlauf bin und daß ich schon ein Stück meiner Reise hinter mir habe. Diesen Brief wird ein Kaufmann von Archangel aus nach England mitbringen. Der Glückliche! Er kann wieder Heimatluft atmen, was mir vielleicht auf Jahre hinaus nicht vergönnt sein wird. Trotzdem bin ich bester Laune. Meine Leute sind kühn und offenbar zu allem willig; auch die schwimmenden Eisberge, die unaufhörlich an uns vorbeiziehen und uns die Gefahren vorausahnen lassen, denen wir entgegengehen, scheinen ihnen keine Sorge einzuflößen. Wir haben schon eine hohe nördliche Breite erreicht, aber es ist Hochsommer, und wenn es auch nicht ganz so warm ist wie in England, so tragen uns doch die Südwinde, indem sie uns dem heißersehnten Ziele näherbringen, eine wohltuende Wärme zu, wie ich sie nicht erwartet hätte.

Bisher hat sich noch nichts ereignet, was der Mitteilung wert wäre. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen Reise nichts Unangenehmeres passiert.

Lebe Wohl, teure Margarete. Sei überzeugt, daß ich um Deinet- wie um meinetwillen mich nicht allzu kühn der Gefahr aussetzen werde. Ich will kaltblütig, überlegt und vernünftig sein.

Aber der Erfolg muß mein Werk krönen. Warum auch nicht? So weit bin ich nun gekommen über die pfadlose See; nur die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. Warum soll ich nicht noch weiter fortschreiten auf dem ungezähmten, aber doch zähmbaren Element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem mutigen, willensstarken Manne entgegenzustellen?

Mein Herz ist zu voll, als daß es nicht überlaufen sollte. Aber ich muß schließen. Gott sei mit Dir, liebe Schwester!

Robert Walton.

4. Brief

An Frau Saville, London

5. August 18..

Etwas sehr Merkwürdiges hat sich ereignet und ich muß es Dir berichten, wenn ich auch wahrscheinlich eher bei Dir bin, als diese Zeilen Dich erreichen.

Letzten Montag (31. Juli) waren wir fast ganz von Eis eingeschlossen, so daß das Schiff kaum mehr den zum Vorwärtskommen nötigen Platz hatte. Unsere Lage war einigermaßen gefährlich, besonders deswegen, weil ein dichter Nebel uns einhüllte. Wir drehten deshalb bei, in der Hoffnung, daß die Witterung endlich anders werde.

Gegen zwei Uhr lichtete sich der Nebel und wir erblickten, wohin wir sahen, weite, fast unermeßlich scheinende Eisflächen. Einige meiner Leute wurden unruhig und auch mich beschlichen trübe, ängstliche Gedanken, als plötzlich etwas Seltsames unsere Aufmerksamkeit auf sich zog und uns unsere gefährliche Situation vergessen ließ. Wir bemerkten einen niedrigen Wagen, der auf Schlittenkufen befestigt war, von Hunden gezogen wurde und sich in einer Entfernung von etwa einer halben Meile nordwärts bewegte. Im Schlitten saß eine Gestalt, die einem Menschen, aber einem solchen von außergewöhnlicher Größe glich und die Tiere lenkte. Wir verfolgten mit unseren Fernrohren den Reisenden, der blitzschnell dahinflog und bald durch Unebenheiten des Eises unseren Blicken entzogen wurde.

Diese Erscheinung erregte begreiflicherweise unsere Neugierde in hohem Maße. Wir hatten geglaubt, uns Hunderte von Meilen vom festen Lande entfernt zu befinden, diese Erscheinung aber schien uns das Gegenteil zu beweisen. Da wir vom Eise völlig eingeschlossen waren, war es uns unmöglich, die Spuren des rätselhaften Wesens zu verfolgen.

Etwa zwei Stunden danach hörten wir die Grunddünung, und ehe es Nacht wurde, löste sich das Eis und das Schiff wurde frei. Trotzdem aber blieben wir bis zum Morgen liegen, da wir fürchten mußten, in der Dunkelheit mit den treibenden Eismassen zusammenzustoßen. Ich benützte diese Zeit, um mich etwas auszuruhen.

Als es Tag wurde, ging ich an Deck und fand alle Matrosen auf einer Seite des Schiffes stehen, sich mit jemand unterhaltend, der scheinbar unten auf dem Wasser war. Es war in der Tat ein Schlitten, ähnlich dem, den wir gestern gesehen hatten; er war in der Nacht auf einem schwimmenden Stück Eis zu uns herangetrieben worden. Nur ein Hund war noch vorgespannt, und im Schlitten saß ein Mensch, den die Matrosen veranlassen wollten, an Bord zu kommen. Er war nicht, wie uns der Fremde von gestern geschienen hatte, ein wilder Eingeborener irgend eines unentdeckten Eilandes, sondern ein Europäer. Als ich an Deck kam, sagte der Maat: »Da kommt unser Kapitän, der wird nicht zugeben, daß Sie auf offener See zugrunde gehen.«

Der Fremde gewahrte mich und sprach mich dann englisch, allerdings mit etwas eigentümlichem Dialekt, an. »Ehe ich an Bord Ihres Schiffes gehe,« sagte er, »bitte ich Sie mir zu sagen, wohin Sie zu fahren gedenken.«

Du wirst begreifen, daß ich momentan sehr erstaunt war, diese Frage von einem Menschen zu hören, der eben knapp dem Untergang entronnen zu sein schien und von dem man annehmen mußte, daß ihm mein Schiff ein Zufluchtsort sei, den er nicht gegen alle Reichtümer der Erde mehr vertauscht haben würde. Ich erklärte ihm, daß ich mich mit meinem Schiffe auf einer Entdeckungsreise nach dem Nordpol befände.

Dies schien ihn zufriedenzustellen und er nahm meine Einladung an. Großer Gott! Margarete, wenn Du den Mann gesehen hättest, der sich nur so schwer retten ließ, Dein Erstaunen hätte keine Grenzen gehabt. Seine Glieder waren fast völlig erfroren und sein Leib war förmlich gebrochen von Müdigkeit und Krankheit. Ich habe noch nie einen Menschen in einer so kläglichen Verfassung gesehen. Wir versuchten ihn in die Kajüte zu tragen, aber kaum hatten wir ihn unter Deck, da wurde er schon ohnmächtig. Wir brachten ihn also wieder an Deck zurück und suchten durch Reiben mit Branntwein und Einflößen von kleinen Schlucken ihn ins Leben zurückzurufen. Als er Lebenszeichen von sich zu geben begann, wickelten wir ihn in Leinentücher und legten ihn in der Nähe des Küchenofens nieder. Allmählich erholte er sich und aß ein paar Löffel Suppe, die ihm sehr wohl taten.

Zwei Tage vergingen, ehe es ihm möglich war zu sprechen, und mir kam es zuweilen vor, als hätten ihm all die Leiden den Verstand geraubt. Als er einigermaßen hergestellt war, ließ ich ihn in meine Kajüte bringen und pflegte ihn, soweit es sich mit meinen Pflichten vereinbaren ließ. Ich habe nie in meinem Leben einen interessanteren Menschen kennen gelernt. Seine Augen haben meist den Ausdruck der Wildheit, ich möchte fast sagen des Irrsinnes; aber in manchen Momenten, besonders wenn ihm jemand etwas Liebes erweist oder ihm einen, wenn auch noch so kleinen Dienst leistet, leuchtet sein ganzes Wesen auf und wird durchstrahlt von einem Schimmer von Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, wie man ihn selten findet. Sonst ist er aber melancholisch und verzweifelt und knirscht zuweilen mit den Zähnen, als könne er das Übermaß der Qualen, die er leidet, nimmer tragen.

Als mein Gast einigermaßen wieder gesund war, hatte ich große Mühe, meine Leute zu verhindern, daß sie ihn mit allen möglichen Fragen belästigten. Ich konnte es doch nicht gestatten, daß durch ihre müßige Neugierde die geistige und körperliche Genesung des Fremden, die offenbar nur durch ungestörteste Ruhe bewirkt werden konnte, aufgehalten werden sollte. Einmal jedoch gelang es meinem Leutnant dennoch, die Frage an ihn zu richten, wo er denn in seinem seltsamen Vehikel so weit über das Eis herkäme.

Ein Schatten tiefster Betrübnis huschte über sein Gesicht, dann sagte er: »Um einen zu suchen, der mich floh.«

»Und reiste der Mann, den Sie suchten, in derselben Weise, wie Sie?«

»Ja.«

»Dann, glaube ich, haben wir ihn gesehen. Denn am Tage, ehe wir Sie fanden, sahen wir einen Mann auf einem von Hunden gezogenen Schlitten über das Eis hinwegfahren.«

Dies erregte die Aufmerksamkeit des Fremden und er stellte eine Reihe dringender Fragen, die sich darauf bezogen, welche Richtung der Dämon – so nannte er den anderen – genommen habe. Als er kurz nachher mit mir allein war, sagte er: »Ich habe ohne Zweifel Ihre Neugierde erregt, ebenso wie die dieser guten Leute, aber Sie selbst sind ja zu rücksichtsvoll, um mich auszufragen.«

»Gewiß; ich würde es für aufdringlich und unmenschlich halten, Sie mit irgendwelchen Fragen zu belästigen.«

»Und das, trotzdem Sie mich aus einer seltsamen, verzweifelten Situation gerettet und mich zum Leben zurückgebracht haben!«

Einige Zeit danach fragte er mich, ob ich glaube, daß der Eisgang den Schlitten des »Anderen« zerstört habe. Ich antwortete ihm, daß ich hierüber mit Bestimmtheit nichts aussagen könne, denn der Eisgang habe erst gegen Mitternacht eingesetzt und der Reisende könne bis dahin recht wohl sich in Sicherheit gebracht haben.

Seit dieser Auskunft schien neuer Lebensmut den gebrechlichen Körper des Fremden zu durchströmen. Er wollte absolut an Deck bleiben, um nach dem Schlitten auszuspähen, von dem wir ihm gesprochen hatten. Aber ich habe ihn überredet, sich in der Kabine aufzuhalten, da er für die rauhe Temperatur da oben doch noch nicht stark genug sei. Ich habe ihm aber versprochen, daß jemand an seiner Stelle Ausschau halten und ihn sofort benachrichtigen werde, wenn sich irgend etwas sehen lassen sollte.

Bis zum heutigen Tage habe ich Dir nun alles über das seltsame Ereignis berichtet. Der Fremde scheint sich nach und nach zu kräftigen, aber er ist still und in sich gekehrt und ist ärgerlich, wenn ein anderer als ich seine Kajüte betritt. Aber er ist trotzdem so freundlich und liebenswürdig, daß die Matrosen ihn alle gern haben, wenn sie auch nur sehr wenig mit ihm in Berührung kommen. Ich aber gewinne ihn allmählich lieb wie einen Bruder und sein ständiger, tiefer Gram flößt mir tiefes Mitleid mit ihm ein. Er muß in seinen guten Tagen ein prächtiger Mensch gewesen sein, er, der noch als Wrack so anziehend und liebenswert ist.

Ich habe schon einmal in einem meiner Briefe gesagt, liebe Margarete, daß es mir wohl nicht vergönnt sein werde, auf dem weiten Ozean einen Freund zu finden. Aber ich habe wenigstens einen Mann kennen gelernt, der mir wirklich, wäre sein Geist nicht so tief verstört, ein Herzensfreund hätte werden können.

Ich werde Dir von Zeit zu Zeit von dem Fremden berichten, vorausgesetzt, daß es etwas zu berichten gibt.

*

13. August 18..

Meine Zuneigung zu dem unglücklichen Gaste wächst von Tag zu Tag. Ich bewundere und bemitleide ihn zugleich. Wie wäre es möglich, ein so edles Geschöpf von Gram verzehrt zu sehen, ohne selbst den tiefsten Schmerz mitzuempfinden? Er ist so gut und dabei klug, auch ist er außerordentlich gebildet und spricht wohlgesetzt und gewandt.

Er hat sich jetzt von seiner Krankheit ziemlich erholt und hält sich unausgesetzt auf Deck auf, offenbar um den Schlitten nicht zu übersehen, auf den er immer noch wartet. Er ist unglücklich, aber in all seinem Elend hat er doch immer noch Interesse für die Pläne der andern. Er hat viel mit mir über den meinigen gesprochen, den ich ihm rückhaltlos dargelegt habe. Aufmerksam folgte er allem, was ich im Sinne eines glücklichen Ausganges meines Unternehmens vorzubringen wußte, und vertiefte sich mit mir bis in die Details der Maßnahmen, die ich getroffen. Er hatte mir so viel Sympathie eingeflößt, daß ich offen mit ihm reden mußte. Ich ließ ihn in meine leidenschaftliche Seele blicken und sagte ihm auch, daß ich gern mein ganzes Vermögen, meine Existenz, meine Zukunft aufs Spiel setze, um mein Unternehmen zu einem guten Ausgange zu führen. Leben oder Tod eines Mannes seien ja gar nichts im Vergleich zu dem, was der Wissenschaft durch mein Unternehmen genützt werde. Während ich sprach, überzog eine dunkle Glut das Antlitz meines Zuhörers. Ich bemerkte, daß er anfänglich sich bemühte, seine Bewegung zu meistern. Er hielt die Hände vor das Gesicht, und meine Stimme bebte und stockte, als ich sah, daß Tränen zwischen seinen Fingern niederrannen, als ich hörte, wie ein wehes Stöhnen sich seiner Brust entrang. Ich hielt inne, da sagte er mit gebrochener Stimme: »Unglücklicher! Hat Sie derselbe Wahnsinn erfaßt wie mich? Haben auch Sie von dem Gifte getrunken? Hören Sie mich an, lassen Sie mich meine Geschichte berichten und Sie werden den Becher mit dem unheilvollen Trank von Ihren Lippen wegstoßen.«

Du kannst Dir denken, daß diese Worte meine ganze Neugier erregten. Aber das Übermaß des Schmerzes hatte die schwachen Kräfte des Fremden übermannt und es bedurfte vieler Stunden der Ruhe und sanfter Überredung, um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Nachdem er seiner heftigen Gefühle Meister geworden war, schämte er sich, daß seine Leidenschaft ihn so überwältigt hatte. Er unterdrückte mit Gewalt seine Verzweiflung und veranlaßte mich, über mich selbst zu sprechen. Er frug nach meiner Kindheit. Diese war rasch erzählt, aber dennoch gab sie verschiedene Anknüpfungspunkte. Ich sprach von meinem Wunsche, einen Freund zu finden, von meiner Sehnsucht nach einer gleichgestimmten Seele, die ich nie mein eigen nennen durfte, und gab meiner Überzeugung Ausdruck, daß niemand wahres Glück genossen habe, der sich nicht echter Freundschaft rühmen könne.

»Ich bin ganz Ihrer Ansicht,« entgegnete der Fremde. »Wir sind nur halbe Geschöpfe, wenn uns nicht ein Weiserer, Besserer – und das muß ja ein Freund sein – zur Seite steht, um unsere schwache, fehlerhafte Natur zu verbessern. Ich hatte einmal einen Freund, den edelsten Menschen, den man sich denken kann, und habe deshalb ein gewisses Recht mitzusprechen, wenn von Freundschaft die Rede ist. Sie sind noch voller Hoffnung und haben die Welt vor sich und deshalb keinen Grund zu verzweifeln. Aber ich – ich habe alles verloren und keinen Mut mehr, von vorn anzufangen.«

Als er das sagte, nahm sein Gesicht einen gramvollen Ausdruck an, der mir bis ins Herz hinein weh tat. Aber er sprach nicht weiter und zog sich in seine Kajüte zurück.

Trotz seines Leides hegt er eine tiefe, innige Liebe zur Natur. Der sternenbesäte Himmel, das Meer und alle Wunder dieser herrlichen Regionen schienen erhebend auf seine Seele zu wirken. Ein solcher Mensch hat eigentlich eine doppelte Existenz: er mag leiden und sich grämen, aber wenn er sich in sich selbst zurückzieht, dann ist er wie ein himmlischer Geist, den ein Heiligenschein umgibt, den Leid und Schmerz nicht zu verdunkeln vermögen.

Lächle nur über den Enthusiasmus, mit dem ich von diesem prächtigen Menschen erzähle. Wenn Du ihn kenntest, würdest Du nicht lächeln. Ich weiß, Deine feine Erziehung und die Zurückgezogenheit Deines Lebens haben Dich wählerisch gemacht; aber gerade das würde Dich besonders geeignet machen, das Außerordentliche an diesem Menschen zu erkennen und zu schätzen. Ich habe mich schon öfter bemüht, mir klar zu werden, was es ist, das ihn so himmelhoch über alle anderen Menschen erhebt. Ich glaube, vor allem ist es sein mehr als natürlicher Scharfsinn, eine nie fehlende Urteilskraft, eine Erkenntnis der Ursachen aller Dinge. Stelle Dir nun noch vor, daß er die Gabe besitzt, sich glänzend, dabei klar und präzis auszudrücken und daß seine Stimme eine außergewöhnliche Modulationsfähigkeit hat, so wirst Du begreifen, daß dieser Mann imstande ist, jemand zu bestricken.

*

19. August 18..

Gestern sagte der Fremde zu mir: »Sie haben sicherlich erkannt, Kapitän Walton, daß mich großes, unsagbares Leid betroffen hat. Ich hatte schon beschlossen, daß die Erinnerung daran mit mir ins Grab steigen solle; aber Sie haben mich so weit gebracht, daß ich meinem Entschluß untreu geworden bin. Sie suchen, wie ich einst, nach Wissen und Weisheit und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, daß dieses Streben Ihnen nicht, wie mir, zum fürchterlichsten Fluche werde. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Erzählung meiner Leiden von Nutzen sein wird; wenn ich aber bedenke, daß Sie denselben Weg gehen wie ich, sich denselben Gefahren aussetzen, die mich zu dem machten, was ich jetzt bin, so kommt mir die Überzeugung, daß Sie aus meiner Erzählung doch eine Moral zu ziehen vermögen; eine Moral für den Fall, daß Sie Erfolg mit Ihren Bestrebungen haben, wie auch für den Fall, daß Sie enttäuscht werden. Bereiten Sie sich darauf vor Dinge zu hören, die Sie als unglaublich bezeichnen möchten. Wären wir in kultivierteren Zonen der Erde, ich würde mich besinnen zu erzählen, weil ich fürchten müßte, daß Sie mir nicht glauben oder mich gar verlachen könnten; aber in diesen wilden, geheimnisvollen Regionen wird Ihnen manches möglich erscheinen, was solche, die mit den immer wechselnden Kräften der Natur nicht vertraut sind, zum Spotte reizen würde.« – Du kannst Dir denken, daß ich dankbar und erfreut das Angebot annahm, wenn ich mir auch sagen mußte, daß durch die Erzählung sein Leid wieder lebendiger, die Wunden nur wieder aufgerissen würden. Ich war ungeheuer gespannt auf das, was ich hören sollte, teils aus wirklicher Neugierde, teilweise aber auch, weil ich hoffte, vielleicht dadurch einen Fingerzeig zu bekommen, wie ich, wenn es überhaupt möglich wäre, ihm helfen könnte.

»Ich danke Ihnen,« sagte er, »für Ihre Teilnahme, aber sie ist unnütz; mein Schicksal ist nahezu erfüllt. Ich warte nur eines ab; wenn dies eintrifft, werde ich zur Ruhe gehen. Ich verstehe Ihre Gefühle,« fuhr er fort, nachdem ich vergebens versucht hatte, ihn zu unterbrechen, »aber Sie sind im Irrtum, mein Freund – wenn ich mir erlauben darf Sie so zu nennen – wenn Sie meinen, irgend etwas wäre imstande, mein Geschick zu ändern. Hören Sie erst meine Geschichte und Sie werden verstehen, wie unabänderlich es feststeht.«

Er sagte mir noch, daß er am nächsten Tage mit seiner Erzählung beginnen wolle, wenn es meine Zeit erlaube. Dieses Versprechen verpflichtete mich zu aufrichtigem Danke. Ich habe beschlossen, immer nachts, wenn mich nicht gerade mein Dienst abhält, möglichst wörtlich alles niederzuschreiben, was ich am Tage erfahren haben werde. Zum mindesten aber werde ich mir kurze Notizen machen. Diese Aufzeichnungen werden Dir sicher interessant sein, und mit welcher Teilnahme werde erst ich, der ich doch alles von seinen eigenen Lippen höre, in späteren Zeiten die Zeilen lesen. Während ich daran denke, wie ich meiner Aufgabe gerecht werden soll, tönt in meinen Ohren noch seine volle, melodische Stimme; ich sehe seine warmen, melancholischen Augen auf mir ruhen, seine feinen, schmalen Hände sich lebhaft bewegen, während sich in den Zügen seines Antlitzes seine Seele widerspiegelt. Seltsam und schrecklich muß seine Geschichte, furchtbar der Sturm gewesen sein, der das schöne Lebensschiff zerbrach.

1. Kapitel

Ich bin in Genf geboren. Meine Familie ist eine der vornehmsten dieser Stadt. Mein Vater war angesehen bei allen, die ihn kannten, wegen seiner unbestechlichen Rechtschaffenheit und der unermüdlichen Hingabe an seine Pflichten. In jüngeren Jahren schon hatte er im Dienste seiner Vaterstadt gestanden und verschiedene Umstände hatten es mit sich gebracht, daß er lange nicht zur Gründung eines eigenen Herdes gekommen war. Erst später hatte er geheiratet, als er die Mittaghöhe des Lebens schon überschritten.

Da die Vorgeschichte seiner Ehe für seinen ganzen Charakter bezeichnend ist, kann ich nicht umhin, ihrer Erwähnung zu tun. Einer seiner intimsten Freunde war ein Kaufmann, der infolge mißgünstiger Schicksale von der Höhe des Glückes herab in die tiefste Armut geriet. Dieser Mann, er hieß Beaufort, war stolz und unbeugsam und konnte es nicht ertragen, jetzt an der gleichen Stätte arm und vergessen zu leben, wo man ihn einst wegen seines Reichtums und seines glänzenden Auftretens besonders geehrt hatte. Er zahlte als ehrlicher Mann noch seine Schulden und zog sich dann mit seiner Tochter nach Luzern zurück, wo er unerkannt und armselig sein Leben fristete. Mein Vater war ihm in aufrichtiger Freundschaft zugetan und fühlte tiefes Erbarmen mit dem unglücklichen Manne. Auch bedauerte er sehr den falschen Stolz, der den Freund hinderte, seine Hilfe anzunehmen; hatte er doch gehofft, ihm mit seinem Rat und seinem Kredit wieder auf die Beine helfen zu können.

Tatsächlich hielt sich Beaufort dermaßen sorgfältig verborgen, daß es meinem Vater erst nach Verlauf von zehn Monaten gelang, ihn ausfindig zu machen. Überwältigt von der Freude, die ihm diese Entdeckung bereitet hatte, eilte er nach dem Hause, das in einer schmalen Gasse in der Nähe der Reuß lag. Aber schon bei seinem Eintritt wurde ihm klar, daß er eine Stätte der Not und des Elendes vor sich sah. Beaufort hatte aus seinem Zusammenbruch nur eine ganz unbedeutende Summe gerettet, aber sie hätte wenigstens genügt, ihn einige Monate zu erhalten. In dieser Zeit hoffte er in einem Kaufhause eine Stellung zu finden. Die erzwungene Untätigkeit gab ihm Zeit, noch mehr über das nachzudenken, was aus ihm geworden, und vertiefte seinen Gram, so daß er schließlich nach drei Monaten aufs Krankenbett sank.

Seine Tochter pflegte ihn mit der äußersten Hingabe, aber sie konnte es sich nicht verhehlen, daß ihr kleines Kapital rapid dahinschwand und daß dann keine Hoffnung auf irgend eine Unterstützung bestand. Aber Karoline Beaufort besaß eine ungewöhnliche Spannkraft und ihr Mut wuchs in diesen Widerwärtigkeiten. Sie versah die ganze Arbeit und vermochte durch Strohflechtereien wenigstens so viel zu verdienen, daß sie beide gerade noch notdürftig ihr Leben zu fristen imstande waren.

Einige Monate vergingen in dieser Weise. Ihr Vater wurde immer elender, so daß sie von seiner Pflege ausschließlich in Anspruch genommen wurde. Die letzten Notpfennige waren bald ausgegeben und im zehnten Monat starb ihr Vater in ihren Armen, sie als bettelarme Waise zurücklassend. Dieser letzte Schlag war der härteste für sie; sie kniete gerade bitterlich weinend am Sarge Beauforts, als mein Vater eintrat. Er kam wie ein rettender Engel zu dem armen Mädchen und vertrauensvoll legte sie ihr Geschick in seine helfenden Hände. Nach der Beerdigung seines Freundes brachte er Karoline nach Genf und gab sie dort Verwandten zur Obhut. Zwei Jahre später war sie seine Frau.

Der Altersunterschied meiner beiden Eltern war zwar sehr bedeutend, aber gerade das schien die Liebe, die sie zu einander hegten, nur zu vertiefen. Mein Vater besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, das ihn nur da wirklich lieben ließ, wo er auch seine Achtung geben konnte. Vielleicht hatte er in seinen früheren Jahren irgend eine Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht und legte deshalb so viel Wert auf den inneren Wert. Er zeigte für meine Mutter eine Verehrung, die sich von der schwächlichen Liebe älterer Leute wohl unterschied und die aus wirklicher Hochachtung vor ihr entsprang und vielleicht auch aus dem Wunsche, sie für all das Leid zu entschädigen, das ihr ihre Jugend gebracht. Alles drehte sich um sie, um ihr Wohlergehen. Er hielt sie, wie ein Gärtner eine wertvolle exotische Blume hält und sie vor jedem rauhen Windzug behütet. Allerdings hatte ihre Gesundheit und auch ihr starker, mutiger Geist unter den schweren Erschütterungen gelitten. Während der zwei Jahre, die seiner Verehelichung vorausgingen, hatte mein Vater allmählich alle seine Ämter abgegeben, und sofort nach der Hochzeit begab sich das Paar nach Italien, wo das milde Klima und eine Reise durch das wundervolle Land die Gesundheit der jungen Frau wiederherstellen sollten.

Von Italien aus ging dann die Reise nach Deutschland und Frankreich. Ich, das älteste Kind, kam in Neapel zur Welt und begleitete als kleiner Bursche schon meine Eltern auf ihren Streifzügen. Mehrere Jahre blieb ich ihr einziges Kind. Aus ihrer unerschöpflichen Liebe zueinander entsprang eine reiche Quelle von Liebe für mich. Die Liebkosungen meiner Mutter und das wohlwollende Lächeln meines Vaters sind meine ersten Erinnerungen. Ich war ihnen zugleich Spielzeug und Idol und, was das Beste ist, ihr Kind, das kleine, hilflose Wesen, das ihnen Gott geschenkt hatte, um es aufzuziehen, dessen Wohl und Wehe in ihren Händen lag. Es ist nicht verwunderlich, daß bei dem hohen Pflichtgefühl, das meine Eltern beseelte, und bei dem Geiste wahrer Zärtlichkeit, der in unserem Hause waltete, mein Leben einer Reihe von Freuden glich.

Lange Zeit war ich ihre einzige Sorge. Meine Mutter hatte sich noch ein Töchterchen ersehnt, aber ich blieb das einzige Reis am Baume. Als ich etwa fünf Jahre alt war, machten wir eine Reise nach der italienischen Grenze und verbrachten auch eine Woche an den Gestaden des Comersees. Ihr wohltätiger Sinn führte sie oftmals in die Hütten der Armen. Meine Mutter empfand das nicht nur als eine Pflicht, es war ihr ein Bedürfnis, eine Leidenschaft, den Armen in ihrem Elend ein Engel zu sein, denn sie hatte selbst viel gelitten und wußte, wie weh das tut. Bei einem ihrer Spaziergänge erregte eine kleine Hütte ihre Aufmerksamkeit, die wie verschämt sich in einem Seitentale barg und die, von der Schar armselig gekleideter Kinder zu schließen, die vor der Türe saßen, ein gut Teil Not und Elend zu bergen schien. Als mein Vater eines Tages nach Mailand verreist war, besuchte meine Mutter diese Hütte und ich durfte sie begleiten. Wir trafen ein bäuerisches Ehepaar, von Sorge und harter Arbeit niedergebeugt, das gerade ein karges Mahl an die fünf hungernden Kinder verteilte. Unter diesen war eines, das meiner Mutter besonders auffiel, denn es schien von ganz anderem Schlage. Während die übrigen Kinder schwarzäugige, derbe Kerle waren, sah die schlanke Kleine sehr hübsch aus. Sie hatte glänzendes Goldhaar und trotz der Armut ihrer Kleidung breitete sich ein unverkennbarer Adel über sie aus. Ihre Stirn war breit und hoch, ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr ganzes Antlitz war so lieblich, daß man sie nicht ansehen konnte, ohne sofort das Gefühl zu haben, daß sie etwas Besonderes, ein gottbegnadetes Geschöpf sei. Die Bäuerin hatte gleich bemerkt, daß meine Mutter mit Interesse und Bewunderung ihre Augen auf der Kleinen ruhen ließ, und erzählte sofort deren Lebensgeschichte. Sie war nicht ihr Kind, sondern das Töchterchen eines Edelmannes aus Mailand. Ihre Mutter, eine Deutsche, war gestorben, als sie dem Kinde das Leben gegeben hatte. Man hatte ihnen das kleine Wesen zur Pflege übergeben, sie waren damals noch nicht so arm gewesen. Sie waren noch nicht lange verheiratet und ihr erstes Kind war damals gerade zur Welt gekommen. Der Vater ihres Pflegekindes war einer jener Italiener gewesen, die in der Erinnerung an die glorreiche Geschichte ihrer Heimat aufgewachsen waren; einer jener Männer, die sich selbst opferten, um ihrem Vaterlande die Freiheit zu verschaffen. Auch er fiel seiner Leidenschaft zum Opfer. Ob er starb oder ob er noch in einem der Gefängnisse Österreichs schmachtete, wußte man nicht. Jedenfalls waren seine Güter konfisziert worden und sein Kind war ein Bettelkind geworden. Es blieb bei seinen Pflegeeltern und blühte in der rauhen Umgebung schöner wie eine Rose zwischen dunkelfarbigem Unkraut.

Als mein Vater von Mailand zurückkehrte, fand er mich auf dem Vorplatze unserer Villa mit der Kleinen spielend, die schön war wie ein Cherub; ein Wesen, aus dessen Augen wundervolle Strahlen leuchteten und das schlank und beweglich war wie eine Gemse. Die Angelegenheit war bald geregelt. Mit Erlaubnis meines Vaters vermochte die Mutter die armen Leute rasch zu bewegen, ihr die Obhut über das Kind zu überlassen. Sie konnten die arme, süße Waise gut leiden und sie war ihnen immer wie ein Sonnenschein im Hause gewesen; deshalb hätten sie es nicht übers Herz gebracht, sie in Not und Elend zurückzuhalten, während ihr die Vorsehung ein solches Glück bescherte. Sie fragten noch den Priester des Ortes um Rat, und das Resultat dieser Unterredung war, daß Elisabeth Lavenza ihren Einzug in das Haus meiner Eltern hielt. Sie wurde mir lieber als eine Schwester – die liebliche, angebetete Gefährtin meines Schaffens und meiner Erholung.

Jeder hatte Elisabeth gern. Die Liebe und Verehrung, mit der sie alle bedachten, die ihr näher traten, war mein Stolz und meine Freude. Am Vorabend des Tages, an dem Elisabeth zu uns kam, sagte meine Mutter zu mir: »Ich habe ein reizendes Geschenk für meinen Viktor, morgen sollst du es haben.« Und als sie am Morgen das Kind mir als die versprochene Gabe zeigte, faßte ich voll kindlichen Ernstes ihre Worte so auf, daß Elisabeth mein sei, um sie zu schützen, zu lieben und zu verhätscheln. Jedes Lob, das der Kleinen galt, nahm ich so auf, als sei es ein Lob meines Eigentums. Wir nannten einander beim Vornamen. Kein Wort ist imstande zu schildern, was wir uns waren, um so mehr als sie bis zu ihrem Tode meine einzige Schwester sein sollte.

19. Kapitel

Unser nächstes Reiseziel war London. Wir hatten uns vorgenommen, einige Monate dort zu verbringen. Clerval war es sehr darum zu tun, mit all den Männern von Ruf zusammenzukommen; für mich allerdings standen andere Dinge im Vordergrunde. Ich wollte mir vor allem die nötigen Informationen holen, um dann unverzüglich ans Werk gehen zu können. Ich beeilte mich deshalb, von den Empfehlungsbriefen an die namhaftesten Naturphilosophen, die man mir mitgegeben, Gebrauch zu machen.

Hätte ich diese Reise zur Zeit meiner ersten Studien, wo ich noch glücklich war, unternommen, sie wäre mir sicherlich zu einer reich sprudelnden Quelle der Freude geworden. Aber nun lag ein düsterer Schatten auf meinem Leben und ich besuchte die Leute nur deshalb, um möglichst viel von dem zu erfahren, war mir für die rasche Ausführung meines Planes not tat. Fremde Gesichter waren mir eine Qual. Zwischen mir und meinen Nebenmenschen sah ich eine unübersteigliche Schranke aufgerichtet, und diese Schranke war vom Blute Wilhelms und Justines befleckt. Die Erinnerung an die mit diesen Namen verknüpften Ereignisse erfüllten meine Seele mit namenloser Angst. Nur Henrys Stimme vermochte beruhigend auf mich einzuwirken und mir vorübergehend Frieden zu verschaffen.

Das kam daher, daß ich in Clerval ein Abbild dessen sah, was ich früher gewesen; er war wißbegierig und unermüdlich in seinem Streben nach Erfahrung und Belehrung. Auch er hatte einen Plan, er wollte nämlich Indien kennen lernen, weil er glaubte, daß er mit seinen Kenntnissen der Sprache und Kultur jenes Landes der europäischen Kolonisation und dem europäischen Handel nützlich sein könne. Nur in England, meinte er, sei es ihm möglich, diesen Plan seiner Verwirklichung zuzuführen. Er war viel beschäftigt, und das Einzige, was ihn störte, war mein bekümmertes und trauriges Wesen. Ich versuchte allerdings, es möglichst vor ihm zu verbergen, um ihm nicht den Lebensgenuß zu verbittern, der ja so natürlich ist für einen Mann, der in neue Verhältnisse kommt und den keine Sorgen und trüben Gedanken quälen. Ich vermied es öfter ihn zu begleiten, indem ich andere Verabredungen vorschützte, um allein sein zu können. Ich begann allmählich das notwendige Material für meine neue Schöpfung zu sammeln und jede einzelne Tätigkeit in dieser Richtung bereitete mir Torturen, wie einzelne Wassertropfen, die unaufhörlich auf jemandes Kopf herabfallen. Jeder Gedanke an mein Vorhaben erregte mein Grauen und jedes Wort, das ich darüber zu sprechen hatte, kam nur zögernd von den zitternden Lippen, während mein Herz ängstlich klopfte.

Nachdem wir schon mehrer Monate in London geweilt hatten, erhielten wir einen Brief von einem Herrn aus Schottland, den wir früher einmal in Genf kennen gelernt hatten. Er pries die Schönheiten seines Heimatlandes und frug an, ob diese nicht imstande seien, uns zu einer Ausdehnung unserer Reise in nördlicher Richtung zu veranlassen, bis Perth, wo er seinen Wohnsitz hatte. Clerval redete mir eifrig zu, dieser Einladung Folge zu leisten, und ich selbst sehnte mich danach, wieder einmal Berge und Wasserfälle und all das Schöne zu sehen, mit dem Mutter Natur ihre Lieblingsplätze zu schmücken pflegt. So packte ich meine chemischen Apparate und das angesammelte Material zusammen, um meine Arbeiten dann in irgend einem entlegenen Winkel im Norden des schottischen Hochlandes zu vollenden.

Eine Woche später verließen wir London. Mir tat der Aufbruch nicht leid. Hatte ich doch mein Vorhaben so lange hinausgeschoben, daß ich die Rache des enttäuschten Dämons zu fürchten begann. Er konnte ja in der Schweiz zurückgeblieben sein und nun seine Wut an den Meinen auslassen, die meines Schutzes entbehrten. Diese Vorstellung marterte mich und raubte mir Ruhe und Frieden. Mit fiebernder Ungeduld erwartete ich die Nachrichten von zu Hause. Wenn sie länger auf sich warten ließen, ergriff mich entsetzliche Angst und ich malte mir alles in den schwärzesten Farben aus. Und wenn dann wirklich ein Brief kam, wagte ich es kaum ihn zu öffnen, weil ich fürchtete, meine düsteren Ahnungen bestätigt zu finden. Öfter kam mir auch der Gedanke, daß mein Todfeind vielleicht in meiner nächsten Nähe sein könne und nur auf eine Gelegenheit wartete, meinen Freund zu ermorden, um sich für meine Säumigkeit zu rächen. Deshalb wollte ich auch Henry keinen Augenblick allein lassen, sondern folgte ihm wie sein Schatten, um ihm helfen zu können, wenn der Dämon sich auf ihn stürzte. Mir war, als hätte ich ein furchtbares Verbrechen begangen, denn wenn ich auch tatsächlich unschuldig war, so hatte ich mir doch einen Fluch auf mein Haupt herabbeschworen, der vielleicht ebenso schwer auf mir lastete wie ein Verbrechen.

In Perth erwartete uns unser Gastfreund schon. Ich war nicht in der Laune, mit Fremden zu lachen und zu plaudern und brachte nicht den guten Humor mit, den man von seinen Gästen wohl erwarten darf. Ich bat deshalb Clerval, mich noch die Tour durch Schottland machen zu lassen, selbst aber hier zu bleiben, wo wir uns nach einem oder zwei Monaten wieder treffen würden. »Sei vergnügt und lasse mich allein mit meinen Gefühlen, ich bitte dich darum. Nur kurze Zeit bedarf ich der Ruhe und der Einsamkeit; und wenn ich dann, wie ich hoffe, mit leichterem Herzen zurückkehre, werde ich besser zu dir passen.«

Henry versuchte mir meinen Plan auszureden; als er aber sah, daß ich fest blieb, gab er es auf. Er bat mich nur, ihm recht oft Nachricht zu geben. »Lieber ginge ich mir dir, mein Freund, und begleitete dich auf deinen einsamen Spaziergängen, als daß ich hier mit Leuten zusammenbleibe, die ich gar nicht kenne. Also beschleunige deine Rückkehr, damit ich mich einigermaßen zu Hause fühle, was ich ja ohne dich nicht kann.«

Nachdem ich mich von meinem Freunde verabschiedet hatte, nahm ich mir vor, mich in irgend einen versteckten Winkel des schottischen Hochlandes zurückzuziehen und dort in der Einsamkeit mein Werk zu vollenden. Ich rechnete bestimmt darauf, daß mein böser Dämon sich stets in meiner Nähe hielt, um den Fortgang meiner Arbeit zu überwachen und seine Genossin schließlich aus meinen Händen in Empfang zu nehmen.

Ich durchwanderte die nördlichen Teile des Hochlandes und wählte mir endlich eine der äußersten Orkneyinseln als Schauplatz meiner kommenden Tätigkeit aus. Dieses Stück Erde war für meinen Zweck wie geschaffen, denn die Insel war nur ein Stück Fels, aus dessen Rändern ewig brandende Wogen emporschlugen. Die Scholle war mager und kaum das Futter für ein paar dürftige Kühe und das Mehl für die fünf Bewohner, deren schlotternde, dünne Glieder einen Schluß auf ihr armseliges Dasein zuließen. Gemüse und Brot – falls einmal Bedarf nach solchen Luxusgegenständen vorhanden war – und selbst frisches Wasser mußten auf dem fünf Meilen entfernten Festland geholt werden.

Drei armselige Hütten standen auf der Insel, von denen die eine unbewohnt war. Diese mietete ich. Sie enthielt nur zwei Zimmer, die verwahrlost und schmutzig waren. Das Dach war eingefallen, die Wände waren nicht verputzt und die Tür hing aus den Angeln. Ich ließ alles reparieren, sorgte für einige Einrichtungsgegenstände und bezog mein neues Heim; ein Ereignis, das sicherlich einiges Aufsehen hätte erregen müssen, wären diese armen Menschen nicht vor Elend und Schmutz völlig verdummt gewesen. Jedenfalls konnte ich auf diese Weise unbeobachtet und ungestört leben, kaum daß man mir für die Almosen, die ich an Nahrungsmitteln und Kleidern gab, dankte.

In diesem meinen Versteck widmete ich den Morgen der Arbeit, den Abend verbrachte ich, wenn es das Wetter zuließ, mit einem Spaziergang an der steinigen Küste, um dem Brüllen und Tosen der Wogen zu meinen Füßen zuzuhören. Die Szenerie war monoton, aber immer anziehend. Ich gedachte meiner Schweizer Heimat, die sich so sehr von dieser öden, trostlosen Landschaft unterschied. Dort waren die Hügel mit Wein bewachsen, und dichtbevölkert sind die Täler. Die schönen Seen spiegeln einen reinen, blauen Himmel wieder, und wenn Stürme sie aufwühlen, so ist das wie ein Kinderspiel gegen das Rasen des riesigen Ozeans.

In dieser Weise beschäftigte ich mich, nachdem ich mich auf der Insel häuslich niedergelassen hatte. Aber je weiter meine Arbeit fortschritt, desto schrecklicher und ekelhafter wurde sie mir. Tagelang war ich oft nicht imstande mein Laboratorium zu betreten, und dann arbeitete ich manchmal wieder Tage und Nächte unausgesetzt, um mein Werk zu Ende zu bringen. Als ich das Experiment zum ersten Male ausführte, hatte mich ein fanatischer Eifer über all das Häßliche hinweggetäuscht; mein Geist war erfüllt von dem brennenden Wunsche, etwas Großes zu schaffen, und das Auge übersah dabei die schrecklichen Dinge. Nun aber, als ich mit klarem Verstände und vorurteilsfrei ans Werk ging, glaubte ich oft des Ekels nicht mehr Herr werden zu können.

Es ist nicht zu verwundern, daß ich in dieser Lage, gefesselt an eine verhaßte Aufgabe, in der entsetzlichen Einöde, die mich nicht zu zerstreuen vermochte, nervös und unruhig wurde. Jeden Augenblick meinte ich mit meinem Dämon zusammentreffen zu müssen. Manchmal saß ich da, und heftete den Blick auf den Boden, in steter Angst, daß ich beim Erheben der Augen die gefürchtete Kreatur vor mir auftauchen sehen werde. Ich hielt mich immer möglichst in der Nähe der Menschen, weil ich hoffte, daß er sich dann nicht heranwagen werde, um seine Genossin von mir zu fordern.

Unterdessen arbeitete ich weiter und mein Werk war schon ziemlich gediehen. Ich sah seiner Vollendung voll zitternder Hoffnung entgegen, die aber untermischt war mit einer Vorahnung kommenden Leides, so daß mir das Blut im Herzen stockte.

20. Kapitel

Eines Abends saß ich in meinem Laboratorium. Die Sonne war untergegangen und der Mond stieg aus der See empor. Ich hatte nicht mehr genügend Licht, um weiter zu arbeiten, und saß da, die Hände im Schoß, indem ich darüber nachdachte, ob ich mein Werk für heute liegen lassen oder noch einen Anlauf nehmen und es vollenden sollte. Dabei gingen mir allerlei seltsame Gedanken durch den Kopf und ich ward mir eigentlich zum ersten Male bewußt, welche Folgen mein Beginnen haben könnte. Drei Jahre früher hatte ich mich ja schon in der gleichen Weise beschäftigt und ein Wesen geschaffen, dessen barbarische Grausamkeit mich tief unglücklich gemacht und mein Gewissen für immer aufs Furchtbarste belastet hatte. Ich war nun daran, ein zweites Geschöpf zu bilden, von dessen Eigenschaften ich im voraus ja auch nichts wissen konnte. Es konnte noch viel tausendmal schlimmer werden als sein Vorgänger und ebenfalls an Mord und Grausamkeit seine Freude haben. Jener hatte ja geschworen, daß er sich aus dem Angesicht der Menschheit zurückziehen und sich in irgend einer Wüste verbergen werde. Aber wer bürgte mir dafür, daß die neue Kreatur sich dem Pakt, der vor ihrer Entstehung geschlossen ward, fügen würde? Es war auch nicht unmöglich, daß die beiden Ungeheuer sich gegenseitig mißfielen, denn mein Dämon hatte schon seinen eigenen Anblick hassen gelernt und war vielleicht enttäuscht, wenn ihm seine Häßlichkeit in weiblicher Gestalt gegenübertrat. Auch das neugeschaffene Weib konnte sich vielleicht entsetzt von der Mißgestalt seines Genossen abwenden und an der menschlichen Schönheit Gefallen finden. Mein Dämon war dann wieder allein, nur daß ihn das Bewußtsein, sogar von seinesgleichen verabscheut zu werden, noch rasender machte.

Und wenn sie nun wirklich aneinander Gefallen fanden und zusammen Europa verließen, war es da nicht selbstverständlich, daß ihrer Verbindung Nachkommenschaft entsprang? Und war dieses Geschlecht von Teufeln nicht ganz geeignet, die Existenz des Menschengeschlechts zu gefährden, sie zumindest aber zu einer schreckensvollen zu machen? Durfte ich um meinetwillen einen solchen Fluch auf die kommenden Generationen laden? Ich hatte mich durch die Sophismen des Dämons bestimmen lassen und seine fürchterlichen Drohungen hatten meinen Widerstand gebrochen. Nun kam mir zum ersten Male die ganze Verruchtheit meines Versprechens zum Bewußtsein. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß man in späteren Zeiten meinem Andenken fluchen werde, als dem eines Mannes, der um seines eigenen Friedens willen die ganze Existenz der Menschheit verkauft hatte.

Ich zitterte und mein Herzschlag stockte, und als ich aufsah, stand am Fenster – mein Dämon! Ein teuflisches Grinsen verzerrte sein Antlitz, wie er mich an der Arbeit sah, die er mir aufgezwungen. Also war er mit tatsächlich gefolgt. Er hatte sich in Wäldern und Höhlen versteckt gehalten und auf den weiten, trostlosen Haiden Zuflucht gesucht. Und nun war er da, um zu sehen, wie weit ich war, und um mich an die Erfüllung meines Gelübdes zu erinnern.

Als ich dieses Gesicht voll Bosheit und Grausamkeit erblickte, ergriff mich bei dem Gedanken, daß ich mich verpflichtet hatte, ein ihm ähnliches Wesen zu schaffen, eine furchtbare Raserei und ich zertrümmerte das Werk meiner Hände. Der Dämon sah, wie ich das vernichtete, auf dessen künftige Existenz er seine ganzen Glückshoffnungen aufgebaut hatte, und verschwand mit einem Geheul satanischer Rachsucht vom Fenster. Ich verließ das Laboratorium, verschloß dessen Tür und legte mir selbst das Gelübde ab, diese Arbeit nie wieder aufzunehmen. Dann suchte ich mit schwankenden Schritten mein Schlafgemach auf. Ich war allein. Niemand in meiner Nähe, der sich bemüht hätte, das Dunkel zu lichten, das meine Seele umgab, und mir die quälenden Gesichte zu verscheuchen.

Einige Stunden stand ich so am Fenster und starrte auf die See hinaus. Sie war fast regungslos, denn unter dem sanften Schein des Mondes hatte sich der Wind wie die ganze übrige Natur schlafen gelegt. Auf der dunklen Wasserfläche lagen, noch um eine Nuance dunkler, einige Fischerboote, und zuweilen tönten aus der Ferne die Rufe der Fischer herüber. Die tiefe Stille tat mir wohl, wenn ich mir dessen vielleicht auch nicht ganz bewußt wurde. Plötzlich hörte ich Ruderschläge am Ufer und Jemand landete in der Nähe meines Hauses.

Wenige Augenblicke später hörte ich ein Geräusch an meiner Tür, als wenn man versuchte sie leise zu öffnen. Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich hatte schon eine Ahnung, wer da Einlaß begehrte, und hätte am liebsten einen der Landleute gerufen, die nicht weit von mir wohnten. Aber ich hatte ein Gefühl der Ohnmacht, das man zuweilen in schweren Träumen empfindet. Man möchte gern einem unheimlichen Verfolger entfliehen, kann aber nicht von der Stelle, als sei man festgewurzelt.

Dann hörte ich schwere Tritte auf dem Flur. Die Tür öffnete sich und herein trat der Gefürchtete. Er schloß hinter sich ab, kam auf mich zu und sagte mit sanfter Stimme:

»Warum hast du dein begonnenes Werk zerstört; was soll das bedeuten? Hast du im Sinne, dein Wort zu brechen? Ich habe Not und Elend erduldet. Ich bin mit dir von der Schweiz fortgegangen; ich wanderte verstohlen an den Ufern des Rheines entlang und überkletterte mühsam die steilen Hügel. Ich habe mich monatelang auf den Haiden Englands und den schottischen Steinwüsten verborgen gehalten. Ich habe keine Mühsal, keinen Hunger, keine Kälte gescheut, um in deiner Nähe zu bleiben. Darfst du da meine ganzen Hoffnungen vernichten?«

»Verfluchter! Natürlich breche ich mein Wort. Niemals werde ich mich dazu hergeben, ein Wesen zu schaffen, das dir an Häßlichkeit und Verruchtheit gleicht!«

»Elender Sklave! Darum also habe ich mich herbeigelassen, mit dir zu verhandeln? Aber vergiß nicht, daß ich dich in der Gewalt habe. Du meinst wirklich, du seist schon elend? Ich kann dich so unglücklich machen, daß du den Tag verfluchst, an dem du das erste Mal das Licht der Welt sähest. Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Gebieter. Du hast zu gehorchen!«

»Die Zeit meiner Unentschlossenheit ist nun vorüber und du kannst tun, was du willst. Deine Drohungen helfen gar nichts. Ich werde das Verbrechen nicht begehen, das du von mir forderst. Im Gegenteil, je mehr du drohst, desto fester bin ich entschlossen, dir keine Genossin zu schaffen. Soll ich kalten Blutes einen Dämon mehr auf die arme Welt loslassen, dessen Dasein Mord und Verderben bedeutet? Geh! Ich bleibe fest und deine Worte können höchstens mich noch zornig machen!«

Das Ungeheuer sah, daß ich festen Willens war, und knirschte in hilfloser Wut mit den Zähnen. »Soll denn jeder Mensch,« schrie er, »ein Weib finden, das er in die Arme schließen kann, und jedes Tier sein Weibchen haben? Und soll ich allein bleiben? Ich hatte das Beste gewollt und das vergilt man mir mit Haß und Abscheu. Meinetwegen hasse mich; aber sei auf der Hut! Dein Leben soll in Gram und Leid dahinfließen, und bald wird der Riegel fallen, der dich von aller Freude abschließen soll. Du sollst nicht glücklich sein, während ich nach einem bißchen Licht und Freude schmachte. Du kannst alle meine Wünsche unterdrücken, aber nicht meine Rache; die Rache soll mir heilig sein und mir vorgehen vor Sonne und Nahrung. Und wenn ich untergehe, dann mußt vorher du, mein Tyrann, mein Quäler, dem Lichte geflucht haben, das deinem Elend geleuchtet. Hüte dich! Ich fürchte nichts und deshalb bin ich stark. Ich will listig wie eine Schlange warten, bis ich dir den Giftzahn ins Fleisch schlagen kann. Du sollst das Unrecht bereuen, das du an mir getan!«

»Geh, Satan, und vergifte nicht weiter die Luft mit dem Atem deiner Bosheit! Ich habe dir gesagt, was mein Wille ist, und nichts soll mich mehr zu einem Schurken machen, der an seinem Worte rütteln läßt. Geh! Ich bin unerbittlich!«

»Nun gut; ich gehe. Aber verlasse dich darauf: in deiner Brautnacht werde ich bei dir sein.«

Ich sprang auf ihn zu und schrie: »Elender! Ehe du mein Todesurteil sprichst, sieh zu, daß du selbst heil bist!«

Ich wollte ihn ergreifen. Aber er entwand sich leicht meinen Händen und stürzte eilig aus dem Hause. Ich sah ihn einige Augenblicke später in seinem Boote, das pfeilschnell durch die Wellen dahinschoß und sich bald im Dunkel verlor.

Nun war es wieder still um mich her, aber in meinen Ohren klangen seine Worte. Ich brannte vor Begierde, den Räuber meines Friedens zu verfolgen und ihn ins Meer zu stürzen. In größter Erregung eilte ich in meinem Zimmer auf und nieder und allerlei Gedanken fuhren mir wirr durch den Kopf. Warum war ich ihm nicht gleich nachgelaufen, um mich mit ihm im Kampfe auf Leben und Tod zu messen? Aber nun war es geschehen; er war mir entkommen und hatte sein Schiff dem Festland zugesteuert. Dann fielen mir wieder seine Worte ein: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein.« Das also war der Tag, an dem sich mein Geschick entscheiden mußte. Dann sollte ich sterben, ein Opfer seines Hasses. Ich empfand nicht die geringste Furcht; aber als ich daran dachte, wie meine arme Elisabeth leiden mußte, wenn ihr der Geliebte von grausamer Hand hinweggerafft wurde, da flossen die Tränen – die ersten, die ich seit langer Zeit wieder geweint – über meine Wangen und ich schwor mir, nicht ohne erbitterten Kampf zu fallen.

Auch diese Nacht ging vorüber und leuchtend stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ich wurde wieder ruhiger, wenn man den Zustand als Ruhe bezeichnen kann, in dem rasende Erregung der tiefsten Verzweiflung Platz macht. Ich verließ das Haus, in dem sich die schreckliche Unterredung mit meinem Dämon abgespielt hatte, und begab mich an den Strand. Ich hatte den Wunsch, daß ich mein weiteres Leben auf dieser öden Steinklippe hinbringen dürfte; ein hartes Leben, das ist wahr, aber frei von jedem unerwarteten Schicksalsschlag. Wenn ich in meine Heimat zurückkehrte, dann geschah es nur, um meinem Ende entgegenzugehen oder die meinen unter den grausamen Fingern des Dämons, dem ich selbst das Dasein gegeben, verbluten zu sehen.

Rastlos eilte ich am Ufer hin und her. Als es Mittag wurde und die Sonne schon hoch stand, warf ich mich ins Gras und verfiel in einen tiefen Schlaf. Ich hatte die ganze vorige Nacht gewacht; meine Nerven schmerzten und meine Augen waren entzündet. Doch der Schlaf erquickte mich, und als ich wach wurde, fühlte ich wieder, dass ich ein Mensch war wie die anderen. Das gab mir meine Fassung wieder, wenn auch die Worte meines Todfeindes noch in meinen Ohren klangen wie Grabgeläute, fern aber deutlich.

Die Sonne stand bereits tief am Horizont. Ich stillte eben meinen rasenden Hunger mit einigen Brötchen, als ich ein Boot herankommen sah. Ein Mann der Besatzung sprang ans Land und übergab mir ein Paket. Es enthielt Briefe von Genf und einen weiteren von Clerval, der mich bat, zu ihm zu kommen. Er schrieb mir unter anderem auch, daß die Zeit, die er an seinem jetzigen Aufenthaltsort verbringe, für ihn nutzlos sei und daß die Freunde, die er in London gewonnen, ihm nahelegten, zurückzukehren und die Vorbereitungen für die Reise nach Indien zu treffen. Er könne seine Abfahrt nicht länger hinausschieben; und da er seine große Reise möglichst rasch nach seiner Ankunft in London antreten wolle, möchte ich mich beeilen, damit er noch recht viel mit mir zusammen sein könne. Er schlug mir vor, meinen Aufenthalt auf der Felseninsel sofort zu unterbrechen und in Perth mit ihm zusammenzutreffen, von wo aus wir dann die Fahrt nach London gemeinschaftlich machen würden. Dieser Brief erweckte meine Lebensgeister wieder vollständig und ich beschloß, spätestens in zwei Tagen der einsamen Insel Valet zu sagen.

Eine Aufgabe stand mir allerdings bevor, an die ich nur mit Schaudern denken konnte, nämlich die Verpackung meiner chemischen Utensilien. Zu diesem Zwecke war ich gezwungen, das Zimmer zu betreten und all die schauerlichen Dinge nochmals zu berühren, deren Anblick mich schon krank machen würde. Am nächsten Morgen kurz nach Tagesanbruch raffte ich mich auf und öffnete die Tür meines Laboratoriums. Die Reste des fast fertigen Geschöpfes, das ich zerstört hatte, lagen zerstreut auf der Diele umher und ich hatte das Gefühl, als hätte ich ein lebendes Wesen zerstückelt. Ich mußte einen Augenblick innehalten, um Mut zu fassen, und trat dann ein. Mit zitternden Händen trug ich die Instrumente aus dem Zimmer. Ich durfte aber auch die Überbleibsel meines Werkes nicht liegen lassen, um nicht den Schrecken und den Argwohn der Inselbewohner zu erregen. Ich legte deshalb alles in einen Korb und einige schwere Steine darauf, weil ich beabsichtigte, in der Nacht das Ganze ins Meer zu versenken. Dann setzte ich mich an den Strand, wo ich meine Instrumente reinigte und verpackte.

In meinem Inneren hatte sich, seit der Dämon mich heimgesucht, ein vollkommener Wandel vollzogen. Vorher hatte ich in düsterer Resignation das Versprechen, das ich gegeben, als etwas angesehen, das unbedingt gehalten werden müsse. Nun aber war es wie ein Schleier von meinen Augen gefallen und ich meinte, seit langer Zeit zum ersten Male wieder ganz klar zu sehen. Der Gedanke, mein Werk nochmals von vorn zu beginnen, war mir dabei gar nicht gekommen. Die Drohungen des Dämons lasteten zwar auf meinem Gemüt, aber es fiel mir gar nicht ein, daß es in meiner Macht lag, diese gegenstandslos zu machen. Es stand in mir unerschütterlich fest, daß ich mit der Schöpfung eines zweiten Wesens mir eine durchaus egoistische und grausame Handlungsweise hätte zuschulden kommen lassen, und ich wies jeden, auch den leisesten Gedanken zurück, der mich in meiner Überzeugung hätte wankend machen können.

Morgens zwischen zwei und drei Uhr ging der Mond auf. Ich bestieg mit meinem Korbe ein kleines Boot und fuhr etwa vier Meilen weit in die See hinaus. Es war totenstill. Einige Schiffe segelten landwärts, aber ich hielt mich möglichst weit von ihnen entfernt. Ich mied so ängstlich das Antlitz meiner Mitmenschen, als sei ich daran, ein schweres Verbrechen zu begehen. Als der Mond einige Zeit hinter einer dicken, schwarzen Wolke verschwand, hielt ich den richtigen Augenblick für gekommen und schleuderte den Korb mit seinem unheimlichen Inhalt in das dunkle Wasser. Gurgelnd sank er in die Tiefe und ich ruderte dann eilends davon. Der Himmel hatte sich unterdessen überzogen, aber die Luft war rein und kalt, da sich eine steife Nordostbrise erhob. Die Frische tat mir wohl und erfüllte mich mit Behagen, so daß ich beschloß, noch einige Zeit auf dem Wasser zu bleiben. Ich zog die Ruder ein und legte mich auf den Boden des Schiffes. Es war ganz finster geworden und das Plätschern der Wellen am Kiel tönte beruhigend an mein Ohr, sodaß ich bald in tiefen Schlaf versank.

Wie lange ich mich da draußen hatte treiben lassen, weiß ich nicht. Jedenfalls stand die Sonne schon hoch am Himmel, als ich die Augen öffnete. Der Wind war stärker geworden und schwere Wellen mit weißen Kämmen drohten mein kleines Boot zum Kentern zu bringen. Ich orientierte mich nach der Sonne und stellte fest, daß der Nordost noch anhielt und mich weit von der Küste abgetrieben zu haben schien. Zuerst beabsichtigte ich meinen Kurs zu ändern, erkannte aber, daß das unmöglich sei, weil bei diesem Versuch sofort mein Boot vollaufen mußte. Ich mußte mich also vor dem Winde treiben lassen. Ich muß gestehen, daß mir ziemlich unbehaglich zu Mute war. Ich hatte keinen Kompaß bei mir, und da ich mit der Geographie jener Landstriche nicht sehr vertraut war, bildete die Orientierung nach der Sonne nur einen sehr unzuverlässigen Notbehelf. Wenn es mich hinaustrieb auf den Atlantischen Ozean, dann war mir der Hungertod sicher, wenn nicht vorher schon die Wogen, die sich rings um mich auftürmten und an mein Boot klatschten, mich verschlangen. Ich war bereits ziemlich lange unterwegs und ein brennender Durst quälte mich. Ich starrte zum Himmel, über den in fliegender Hast Wolke auf Wolke dahineilte; ich starrte auf die Wasserwüste, die über kurz oder lang mein Grab werden mußte. »Nun bleibst du doch Sieger, du, mein Feind!« rief ich in die Öde hinaus. Ich dachte an Elisabeth, an meinen Vater, an Clerval, die ich schutzlos zurückließ und an denen der Dämon seinen Blutdurst und seine unerbittliche Rachsucht stillen würde. Der Gedanke erfüllte mich mit so furchtbarer Angst und mit solchem Entsetzen, daß noch jetzt, da sich schon der Vorhang über meiner Tragödie zu senken beginnt, mein Blut erstarrt.

Stunde um Stunde kroch so in tödlicher Langeweile dahin. Die Sonne näherte sich dem Horizont; der Wind flaute ab und die See begann sich zu glätten. Aber an die Stelle der rollenden Wogen trat eine starke Dünung. Mir ward so übel, daß ich nicht mehr imstande war die Ruder zu führen. Plötzlich tauchte vor meinen Augen eine hohe Steilküste auf.

Trotz meiner tiefen Erschöpfung rann mir bei dem Bewußtsein meiner nahen Rettung frischer Lebensmut durch die Adern und Freudentränen flossen über meine Wangen herab.

Wie rasch sich doch unsere Gefühle ändern und wie seltsam es ist, daß wir selbst im äußersten Elend so sehr am Leben hängen! Aus meinem Mantel konstruierte ich mir ein Segel und steuerte auf das Land zu. Es war eine wilde Felsenküste, die da vor mir lag; aber als ich näher kam, erkannte ich, daß ich in der Nähe menschlicher Wohnstätten war. Boote lagen am Ufer. Aufmerksam suchte ich mit den Augen die Küste ab und stieß einen Freudenschrei aus, als ich hinter einer felsigen Landzunge die Spitze eines Kirchturmes emporragen sah. Ich beschloß, direkt auf die Ansiedelung loszufahren, da ich hoffen konnte, dort am ehesten Speise und Trank zu erhalten. Glücklicherweise hatte ich genug Geld bei mir. Als ich die Landzunge umfahren hatte, lag ein kleines, hübsches Städtchen vor mir, und innige Freude zog durch mein Herz, wie ich in dem geschützten Hafen landete.

Ich war damit beschäftigt, mein Boot festzumachen und das Notsegel abzunehmen, als ich bemerkte, daß sich eine Anzahl Menschen herandrängte. Sie schienen sehr erstaunt über meine Ankunft. Aber anstatt mir behülflich zu sein, flüsterten sie einander zu und machten Geberden, die mich unter anderen Umständen ernstlich beunruhigt hätten. Immerhin bemerkte ich, daß sie sich englisch unterhielten, und rief ihnen deshalb in dieser Sprache zu: »Halloh, meine Freunde, wollt ihr so gut sein und mir sagen, wie die Stadt hier heißt?«

»Das werdet Ihr noch bald genug erfahren,« entgegnete mir ein Mann mit rauher Stimme. »Es kann recht gut sein, daß ihr an einem Platze gelandet seid, der nicht nach eurem Geschmack ist. Und man wird euch sicherlich nicht fragen, wo ihr wohnen wollt!«

Ich war aufs äußerste überrascht, so ungastlich aufgenommen zu werden, und die düsteren, wilden Gesichter der umherstehenden Menschen brachten mich aus der Fassung. »Warum gebt ihr mir eine so grobe Antwort?« fragte ich. »Es ist doch sonst keine Gewohnheit der Engländer, Fremde in dieser Weise zu empfangen.«

»Ich weiß nicht, was die Engländer für Gewohnheiten haben,« sagte der unfreundliche Mann wieder. »Aber die Iren haben die Gewohnheit, jeden Fremden zu hassen!«

Während dieser unerquicklichen Auseinandersetzung bemerkte ich, daß sich immer mehr Leute ansammelten. Ihre Gesichter zeigten ein Gemisch von Neugierde und Wut, was mich unangenehm berührte und mich mit Sorge erfüllte. Ich fragte nach dem Gasthause, erhielt aber keine Antwort. Ich ging deshalb auf die Stadt zu, um mich allein zurechtzufinden, und die Menge schloß sich mir murmelnd und grollend an. Plötzlich kam ein unheimlich aussehender Kerl auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Kommen Sie mit, Herr, zu Herrn Kirwin; Sie müssen sich über Ihre Person ausweisen.«

»Wer ist Herr Kirwin? Warum habe ich mich über meine Person auszuweisen? Ist das nicht ein freies Land?«

»Ja, Herr, frei für ehrliche Leute. Herr Kirwin ist Bürgermeister, und Sie werden sich wegen des Todes eines Mannes zu verantworten haben, den man heute Nacht ermordet hier vorfand.«

Diese Antwort erschreckte mich, aber ich faßte mich rasch. Ich war unschuldig, das konnte ich mühelos beweisen. Deshalb folgte ich der Aufforderung ohne weiteres und wurde nach einem der schönsten Häuser der Stadt gebracht. Ich war am Umsinken vor Schwäche und Hunger. Aber in Anbetracht der Menge, die mich umgab, hielt ich es für geraten, meine ganze Kraft aufzubieten, damit mir nicht die Schwäche als ein Beweis der Schuld ausgelegt werde. Ich hatte ja keine Ahnung von dem Entsetzlichen, das mir die nächsten Augenblicke bringen mußten und gegen das alle Schande und der Tod selbst ein Kinderspiel sind.

Ich muß einen Moment aussetzen, denn ich bedarf all meiner Kraft, um die schrecklichen Ereignisse, die nun folgten, geordnet erzählen zu können.

21. Kapitel

Man führte mich vor den Bürgermeister, einen alten, wohlwollenden Mann, dem Ruhe und Milde auf dem Gesicht geschrieben standen. Er sah mich zuerst streng an und fragte dann, wer sich als Zeuge in der Angelegenheit melden wolle.

Etwa ein Dutzend Männer traten vor. Der Bürgermeister befahl einem von ihnen, zu beginnen. Er erzählte, daß er in der vergangenen Nacht mit seinem Sohne und seinem Schwager Daniel Nugent etwa um zehn Uhr vor einer drohenden Nordbrise Schutz im Hafen gesucht habe. Es sei sehr dunkel gewesen, da der Mond noch nicht am Himmel stand. Sie seien nicht im Hafen selbst an Land gegangen, sondern, wie es ihre Gewohnheit war, in einer kleinen Bucht etwa zwei Meilen davon entfernt. Sie seien dann mit den Fischereigeräten ausgestiegen und am Strande entlang gegangen. Plötzlich sei er mit dem Fuße an etwas angestoßen und der Länge nach in den Sand gefallen. Seine Begleiter wären dann mit den Laternen herbeigeeilt, um ihm zu helfen. Bei näherem Zusehen hätten sie dann entdeckt, daß ein Leichnam am Boden lag. Sie hätten zuerst vermutet, daß es ein Ertrunkener sei, den das Meer hier angeschwemmt; aber nach einer kurzen Untersuchung hätten sie festgestellt, daß die Kleider des Mannes gar nicht naß und der Körper noch warm sei. Sie hätten ihn dann in die nahe gelegene Hütte einer alten Frau getragen und dort, allerdings vergebens, versucht, ihn ins Leben zurückzurufen. Der Tote sei ein hübscher Mann von etwa 25 Jahren gewesen. Er sei offenbar erwürgt worden, denn außer schwarzen Fingereindrücken am Halse habe er kein Zeichen einer geschehenen Gewalttat finden können.

Der erste Teil der Darstellung interessierte mich keineswegs; als aber der Fingereindrücke Erwähnung getan wurde, dachte ich an die Ermordung meines Bruders und wurde außerordentlich erregt. Meine Kniee schwankten und vor den Augen wurde mir schwarz, so daß ich mich an einem Stuhle festhalten mußte. Der Bürgermeister beobachtete mich sehr scharf und zog jedenfalls ungünstige Schlüsse aus meinem Verhalten.

Der Sohn des Fischers bestätigte die Aussage des Alten. Als David Nugent aufgerufen ward, fügte er hinzu, daß er beschwören könne, gerade ehe sein Schwager zu Boden fiel, ein einzelnes Boot, nur mit einem Mann besetzt, nahe der Küste gesehen zu haben. Das karge Licht hätte ja die Gegenstände nicht genau erkennen lassen, aber er müsse sich sehr täuschen, wenn es nicht das gleiche Boot gewesen sei, mit dem ich vor kurzem angekommen war.

Eine Frau, die in der Nähe der Küste wohnte, gab an, daß sie etwa eine Stunde, ehe sie von der Auffindung des Leichnams hörte, unter der Tür ihres Hauses gestanden sei, um nach den Fischern Ausschau zu halten, und daß sie ein Boot mit nur einem Mann Besatzung von dem gleichen Punkt der Küste hätte abstoßen sehen, wo man später den Toten fand.

Eine andere Frau bestätigte die Angabe der Fischer, daß der Körper, den man ihr ins Haus gebracht, noch nicht kalt gewesen sei. Sie hätten ihn in ein Bett gelegt und abgerieben, und Daniel sei nach der Stadt zu einem Arzt gelaufen. Aber es sei zu spät gewesen.

Einige Leute wurden wegen meiner Landung vernommen. Sie sagten übereinstimmend aus, daß der heftige Nordwind mich recht gut wieder an die Stelle hätte zurücktreiben können, von wo ich in See gestochen sei. Außerdem gaben sie an, sie hätten den Eindruck gehabt, als sei der Leichnam von einer anderen Stelle aus herbeigebracht worden, und daß ich wahrscheinlich, weil ich die Küste nicht kannte, keine Ahnung hatte, daß die Stadt so nahe am Tatort liege, und deshalb unbedenklich im Hafen gelandet sei.

Nachdem Kirwin das Verhör beendet hatte, ordnete er an, daß ich in den Raum geführt würde, wo der Leichnam aufgebahrt lag, um zu sehen, welchen Eindruck dieser Anblick auf mich machen würde. Wahrscheinlich war er auf diese Idee gekommen, weil er bemerkt hatte, wie sehr mich die Schilderung der Ereignisse angriff. Ich konnte nicht umhin zu fühlen, daß sich die Beweiskette mühelos schließen ließ. Aber da ich ja an dem Abend, an dem man die Leiche gefunden hatte, noch mit mehreren Bewohnern meiner Insel gesprochen hatte, konnte ich verhältnismäßig ruhig den Ereignissen ins Auge sehen.

Ich trat in das Zimmer, wo der Tote lag, und begab mich an den Sarg. Wie könnte ich die Gefühle schildern, die mich da ergriffen? Noch heute denke ich mit Entsetzen und Verzweiflung an diesen Augenblick. Das Verhör, die Anwesenheit des Bürgermeisters und der Zeugen war mir wie ein Traum, als ich da vor mir den leblosen Körper Clervals liegen sah. Ich rang nach Atem und warf mich schluchzend über den Leichnam. »Hat mein Wahnwitz nun auch dir das Leben gekostet, mein liebster Henry? Zwei fielen dem Würger schon zum Opfer und der anderen wartet noch ihr grauenhaftes Schicksal; aber du, mein Freund, mein Wohltäter …«

Ich konnte das Leid nicht mehr ertragen und brach zusammen.

Ein heftiges Fieber war die Folge dieser tiefen Erregung. Zwei Monate lag ich zwischen Leben und Tod, und meine Fieberrasereien waren, wie man mir nachher erzählte, schrecklich. Ich beschuldigte mich selbst, Wilhelm und Justine und Clerval hingemordet zu haben. Ich flehte meine Wärter an, mir bei der Vernichtung des Dämons, der mich verfolgte, behülflich zu sein. Dann fühlte ich wieder den harten Griff des Ungeheuers an meinem Halse und brüllte in wahnsinniger Todesangst. Herr Kirwin war der einzige, der meine Muttersprache und damit auch das verstand, was ich in meinen Fieberphantasien sprach; die anderen mochten schon an meinen Krämpfen und meinem Geschrei genug haben.

Warum konnte ich nicht sterben? Elender als ich war nie ein Menschenkind gewesen. Warum ward mir nicht Vergessenheit und Ruhe zuteil? Welche ungeheure Widerstandskraft mußte ich haben, um all das ertragen zu können, mit dem mich das Schicksal bedachte?

Aber ich war verdammt weiterzuleben und zwei Monate später erwachte ich zum Bewußtsein. Ich fand mich auf einem schlechten Bett liegend; das Fenster war stark vergittert, die Türen doppelt und dreifach verriegelt und um mich brütete das trostlose Halbdunkel einer Kerkerzelle. Es war Morgen, wenn ich mich recht erinnere. Ich hatte all die traurigen Ereignisse vergessen; aber als ich mich umsah, kam mir alles wieder ins Gedächtnis und ich weinte bitterlich.

Das Geräusch weckte eine alte Frau, die neben meinem Bette in einem Schaukelstuhl geschlafen hatte. Es war eine Wärterin, die Frau eines der Aufseher, und ihr Gesicht wies unverkennbar die charakteristischen Züge dieser Menschenklasse auf. Es war hart und roh, wie abgestumpft von dem immerwährenden Anblick des Elendes. In gleichgültigem Tone sprach sie mich auf englisch an, und mir war, als hätte ich diese Stimme während meiner Krankheit schon öfter gehört.

»Sind Sie wieder gesund, Herr?«

Ich antwortete mit schwacher Stimme: »Ich glaube, ich bin es. Aber wenn das, was mich umgibt, Wirklichkeit ist und kein böser Traum, dann wäre es mir bei Gott lieber, ich wäre nicht mehr zum Dasein erwacht.«

»Allerdings,« sagte die Alte, »glaube ich auch, daß es besser wäre, Sie wären abgefahren; denn es wird Ihnen nicht gut gehen. Aber das geht mich ja nichts an. Ich bin als Pflegerin Ihnen zugewiesen und habe mein Möglichstes für Sie getan. Ich habe ein gutes Gewissen. Wenn nur Jeder ein solches hätte.«

Ich wandte mich empört von der Frau ab, die mit einem kaum dem Tode entronnenen Menschen so herzlos sprechen konnte. Ich fühlte mich schwach und niedergeschlagen und konnte mich nicht aufraffen, über das Geschehene nachzudenken. Mein ganzes Leben war wie mit einem Schleier bedeckt, so daß ich nicht glauben konnte, es sei Wirklichkeit.

Als ich dann imstande war, mir Rechenschaft abzulegen, wurde ich unruhig. Die Dunkelheit bedrückte mich. Niemand war da, der mir die Hand gedrückt oder ein liebevolles Wort mit mir gesprochen hätte. Der Arzt kam und verschrieb mir etwas, das die Wärterin zubereitete. Jener trug die äußerste Gleichgültigkeit gegen mich zur Schau, während das brutale Gesicht der letzteren Verachtung zum Ausdruck brachte. Wer konnte auch ein Interesse am Leben eines Mörders haben als der Henker, der seines Lohnes nicht verlustig gehen wollte?

Das waren meine Gedanken. Aber bald bemerkte ich, daß Herr Kirwin wirklich gütig, fast väterlich für mich gesorgt hatte. Er hatte den besten Raum im ganzen Gefängnis – er war ja auch noch armselig genug – für mich herrichten lassen und mich in die Obhut eines Arztes und einer Wärterin gegeben. Er kam allerdings selten zu mir; denn wenn es auch sein Bestreben war, die Leiden der Menschen zu lindern, so scheute er sich doch, den Rasereien eines wahnsinnigen Mörders zuzuhören. Er sah ja oft nach, ob ich nicht vernachlässigt würde; aber mich selbst besuchte er nur kurz und in langen Zwischenräumen.

Es war unterdessen etwas besser mit mir geworden. Ich saß in einem Lehnstuhl, die Augen halb geschlossen und mit totenfarbenem Gesicht. Tiefste Niedergeschlagenheit hatte sich meiner bemächtigt und ich überlegte mir öfter, ob es nicht besser sei, den Tod zu suchen, als sich an ein Leben anzuklammern, das mir doch nur mehr unermeßliches Leid zu geben hatte. Ich hatte weiter nichts zu tun, als mich schuldig zu bekennen, um, unschuldiger noch als damals Justine, dem Gesetz zu verfallen. Das waren meine Gedanken, als sich die Türe meiner Zelle öffnete und Herr Kirwin eintrat. Sein Gesicht drückte Mitleid und Güte aus. Er zog einen Stuhl neben den meinen und begann auf Französisch:

»Ich glaube, Ihr Aufenthalt schadet Ihnen. Kann ich etwas für Ihre Bequemlichkeit tun?«

»Ich danke Ihnen. Aber es hat ja doch keinen Zweck für mich, wie sollte ich mich auf Erden je noch wohl fühlen können?«

»Ich weiß, daß das Mitleid eines anderen Ihnen nur wenig Erleichterung bringen kann, nachdem Sie ein seltsames Geschick so tief niedergebeugt hat. Aber ich hoffe, daß Ihr Gemüt bald wieder froher sein wird, denn es liegen unzweideutige Anzeichen vor, daß Sie von der Schuld freigesprochen werden müssen.«

»Das ist meine geringste Sorge! Ich bin einmal durch eine Reihe ungewöhnlicher, schrecklicher Ereignisse zum elendesten Menschen geworden. Wem das Leben so mitgespielt, dem kann der Tod nichts Fürchterliches mehr bedeuten.«

»Ich gebe zu, daß es nichts Schlimmeres geben kann als dieses seltsame Zusammentreffen von allerlei Umständen, die Sie aufregen und betrüben mußten. Erst trägt Sie ein merkwürdiger Zufall an eine Küste, deren Bewohner sonst weit und breit wegen ihrer Gastfreundlichkeit bekannt sind; man ergreift Sie und legt Ihnen einen Mord zur Last. Der erste Anblick, der sich Ihnen bietet, ist der Leichnam Ihres Freundes, der in so unbegreiflicher Weise ermordet wurde und den eine unbekannte Hand gerade dahingelegt haben muß, wo Sie landeten.«

Bei all der Erregung, die ich empfand, als mir Herr Kirwin nochmals das Geschehene aufführte, fiel es mir doch auf, daß er so genau über mich informiert war. Er mochte mir diesen Gedanken vielleicht vom Gesicht abgelesen haben, denn er fügte eilig hinzu:

»Kurz nachdem Sie erkrankt waren, brachte man mir Ihre Papiere. Ich suchte darin nach Angaben über Ihre Familie, damit ich diese von Ihrem Mißgeschick und Ihrer Erkrankung benachrichtigen könnte. Ich fand auch einige Briefe, aus deren Anrede ich entnahm, daß sie von Ihrem Vater geschrieben waren. Ich schrieb sofort nach Genf – es sind nun fast zwei Monate. Aber Sie sind noch krank und zittern; ich darf Ihnen also keine Aufregung bereiten.«

»Die Ungewißheit ist viel schlimmer als die grausamste Wirklichkeit. Erzählen Sie mir, wer ermordet wurde, wessen Tod ich nun zu beweinen habe.«

»Ihre ganze Familie ist wohlauf,« sagte Herr Kirwin gütig, »und es ist jemand da, Sie zu besuchen.«

Ich weiß nicht wie es kam, aber ich glaubte, daß mein Dämon da sei, um sich über mein Unglück zu freuen und mir Clervals Tod vorzuhalten; vielleicht in der Hoffnung, daß ich seinen satanischem Wünschen nun entsprechen werde. Ich legte deshalb die Hand vor die Augen und schrie in furchtbarer Todesangst:

»O schaffen Sie ihn fort! Ich kann ihn nicht sehen; um Gottes willen lassen Sie ihn nicht herein!«

Herr Kirwin sah mich bekümmert an. Er schien diesen Gefühlsausbruch für einen Beweis meiner Schuld zu halten und sagte in ernstem Tone:

»Ich hätte gedacht, junger Mann, daß Ihnen Ihr Vater sehr willkommen sein müßte; Sie aber weigern sich so heftig, ihn zu sehen?«

»Mein Vater?« rief ich, indem sich meine Angst in hohe Freude verwandelte. »Wirklich, mein Vater? Wie gut von ihm, daß er kommt. Aber wo ist er, warum läßt man ihn nicht ein?«

Der Bürgermeister wurde nun wieder freundlicher und erhob sich, indem er der Wärterin einen Wink gab, die Zelle zu verlassen. Während sie beide hinausgingen, trat mein Vater ein.

Wie glücklich war ich, das alte, liebe Gesicht zu sehen! Ich streckte meinem Vater die Hand entgegen und sagte:

»Also bist du gesund? Und wie geht es Elisabeth? Wie geht es Ernst?«

Die Antwort meines Vaters beruhigte mich und ein schwacher Schimmer von Freude zog in mein gequältes Herz. »Wo muß ich dich antreffen, mein armes Kind!« sagte mein Vater, indem er traurig auf das vergitterte Fenster und die armselige Einrichtung blickte. »Du hast uns verlassen, um dein Glück zu suchen, aber es scheint kein Glücksstern über dir zu leuchten. Und der arme Clerval!«

Schwach, wie ich noch war, wurde ich vom Schmerz überwältigt, als ich diesen Namen hörte, und aus meinen Augen floß ein heißer Tränenstrom.

»Es ist leider wahr, lieber Vater,« entgegnete ich, »daß ein Unstern über mir schwebt, und ich scheine für ein ganz besonderes Schicksal bestimmt zu sein, sonst wäre ich am Sarge Henrys sicherlich gestorben.«

Allzulange war es uns nicht vergönnt beisammen zu bleiben, denn meine noch sehr schwache Gesundheit gebot äußerste Vorsicht. Herr Kirwin trat ein und riet mir, mich nicht allzusehr anzustrengen. Aber mein Vater war mein guter Engel gewesen und seiner Anwesenheit hatte ich meine Genesung zu verdanken.

Wenn auch meine Krankheit gewichen war, so konnte ich doch einer tiefen Melancholie nicht Herr werden. Ich sah immer noch Clerval vor mir, tot und bleich. Oftmals erregte mich die Erinnerung so stark, daß meine Freunde einen Rückfall befürchteten. Warum auch sorgten sie so für mein zerstörtes, elendes Dasein? Sicherlich nur deswegen, daß ich meinem Schicksal nicht entgehen konnte, das sich nun seiner Erfüllung näherte. Bald, sehr bald wird der Tod kommen und mich von der Qual befreien, die mich zu Boden drückt. Damals war die Aussicht zu sterben sehr gering, und oft sehnte ich mich nach einem elementaren Ereignis, das mich und meinen Feind zu Staub zermalmte.

Unterdessen kam der Tag der Verhandlung näher. Ich war schon drei Monate im Gefängnis, und wenn ich mich auch vor Schwäche kaum auf den Beinen halten konnte, so mußte ich doch eine Reise von nahezu hundert Meilen unternehmen, um die Hauptstadt der Grafschaft zu erreichen, wo der Gerichtshof tagte. Herr Kirwin hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, Entlastungszeugen für mich beizubringen und mir einen tüchtigen Verteidiger zu besorgen. Allerdings blieb es mir erspart, als Angeklagter vor dem Gericht zu erscheinen, das über Leben und Tod entschied. Die vorsitzenden Richter hatten die Anklage fallen lassen, da erwiesen war, daß ich zu der Zeit, als der Leichnam meines Freundes gefunden ward, mich auf einer der Orkneyinseln aufhielt. Vierzehn Tage später war ich frei.

Mein Vater war überglücklich, daß ich den Qualen eines Verhörs entgangen war, daß ich wieder frische Luft atmen und bald in mein Heimatland zurückkehren durfte. Ich konnte mich nicht in gleichem Maße freuen, denn in meinem Gemütszustande war mir das Leben verhaßt, ob mich die Mauern eines Gefängnisses oder eines Palastes umgaben. Mein Dasein war auf ewig vergiftet; und wenn mir auch die Sonne leuchtete, wie all den frohen, glücklichen Menschen um mich her, so umgab mich doch ein undurchdringliches Dunkel, durch das mir zwei Augen entgegenstarrten. Einmal waren es Henrys ausdrucksvolle Augen mit den langen, dunklen Wimpern, die im Tode gebrochen waren, ein andermal meinte ich die wässerigen Augen meines bösen Dämons zu erkennen.

Mein Vater suchte mich auf jede Weise zu zerstreuen. Er erzählte mir von Genf, das ich nun bald wiedersehen sollte, von Elisabeth und von Ernst. Aber meine einzige Antwort waren tiefe, bange Seufzer. Zuweilen empfand ich wieder etwas wie Sehnsucht nach Glück und dachte in schmerzlicher Freude an meine Geliebte; oder ich verlangte in furchtbarem Heimweh den blauen See und den reißenden Rhon wiederzusehen, die mir von meiner Kinderzeit her lieb und vertraut waren. Meistens aber befand ich mich in einem Zustande starrer Gleichgültigkeit, der nur selten mit Ausbrüchen wilder Verzweiflung abwechselte. Oftmals faßte ich in solchen Augenblicken den Entschluß, meinem verhaßten Dasein ein Ende zu machen, und es bedurfte fortgesetzter Überwachung, um mich von dem letzten Schritt abzuhalten.

Nur das Bewußtsein einer Pflicht hielt mich schließlich davon ab, in meinem Egoismus den Qualen mich zu entziehen. Ich mußte unverweilt nach Genf zurückkehren, um über das Leben derer zu wachen, die mir lieber waren als alles auf der Welt. Ich mußte dem Mörder auflauern, denn ich wollte unbedingt das häßliche Gebilde, dem ich eine noch häßlichere Seele eingehaucht, zerstören, wenn es mir gelang, seinen Aufenthalt ausfindig zu machen oder wenn es wagte, mir noch einmal gegenüber zu treten. Mein Vater allerdings wünschte mit der Abreise noch zu warten, weil er fürchtete, daß ich den Anstrengungen der Reise nicht gewachsen sei. Denn ich war tatsächlich ein Wrack, nur ein Schatten meiner selbst, ein Skelett. Und heftige Fieber rüttelten immer wieder an meinem schwachen Körper.

Da ich aber so sehr drängte, Irland zu verlassen, hielt es mein Vater schließlich doch für das beste, nachzugeben. Wir machten die Reise an Bord eines Seglers, der nach Havre gehen sollte, und gingen vor einer frischen Brise in See, fort von der irischen Küste. Es war Mitternacht. Ich lag auf Deck, sah in die Sterne über mir und lauschte dem Plätschern der Wellen an den Schiffsplanken. Ich war froh, daß das Dunkel bald die Gestade Irlands meinen Blicken entzog, und mein Herz pochte stürmisch, wenn ich daran dachte, daß die Heimat vor mir lag. Das Vergangene erschien mir dann wie ein düsterer Traum; aber das Schiff, auf dem ich mich befand, der Wind, der von dem verwünschten Irland her wehte, die Wasser rings um mich erzählten mir mit zwingender Sprache, daß alles Wahrheit sei, daß mein geliebter Clerval, mein treuester Freund, meiner wahnwitzigen Schöpfung und damit mir zum Opfer gefallen war. Mein ganzes Leben ließ ich in meinen Gedanken vor mir vorüberziehen: mein stilles Glück, als ich noch im Schoße meiner Familie in Genf weilte; den Tod meiner Mutter und meine Abreise nach Ingolstadt. Ich erinnerte mich mit Schrecken des übernatürlichen Eifers, der mich immer wieder anstachelte, meinen schlimmsten Feind zu schaffen, und der Nacht, in der das Ungetüm Leben gewann. Weiter vermochte ich nicht mehr zu denken, sondern ich weinte bittere Tränen.

Seit ich von meinem Fieber einigermaßen wiederhergestellt war, hatte ich mir angewöhnt, jeden Abend eine Dosis Laudanum zu mir zu nehmen, um auf diese Weise den zur Erhaltung meines Lebens nötigen Schlaf zu ermöglichen. Da ich durch die Erinnerung an das Vergangene besonders erregt war, hatte ich an jenem Abend die doppelte Dosis eingenommen und schlief einen tiefen, bleiernen Schlaf. Von meinen Gedanken und Ängsten vermochte er mich ja nicht ganz zu befreien, denn auch im Traume quälten mich alle erdenklichen Dinge. Gegen Morgen legte es sich auf mich wie ein Alb. Ich fühlte den harten Griff meines Dämons an der Kehle und hatte nicht die Kraft, mich loszumachen; Weinen und Seufzen klang in meinen Ohren. Mein Vater, der mich bewachte, hatte gemerkt, daß ich unruhig war, und weckte mich. Eintönig schlugen die Wogen an den hölzernen Leib des Schiffes; der Himmel über uns war bedeckt. Mein Dämon war nicht hier. Das Bewußtsein, daß jetzt in meinen Schicksalen eine Ruhepause eingetreten sei, gab mir ein Gefühl der Sicherheit, das ich schon lange nicht mehr kannte. Auf meine Seele senkte sich der Zustand friedlichen Vergessens hernieder, dem der Mensch ja besonders zugänglich ist.

22. Kapitel

Als wir gelandet waren, setzten wir die Reise nach Paris fort. Doch bald merkte ich, daß ich meine Kräfte doch überschätzt hatte und daß ich einige Tage Ruhe haben müßte, ehe ich imstande war weiterzufahren. Unermüdlich war mein Vater für mich besorgt; aber er wußte ja nicht, wo das Leiden herrührte, und versuchte es deshalb mit ganz ungeeigneten Heilmethoden. Er meinte, daß ich vielleicht in Gesellschaft mich zerstreuen würde, aber ich scheute die Menschen. Nicht daß ich sie verabscheut hätte, nein. Ich wußte, sie alle seien meine Brüder, und selbst für die Elendsten und Verworfensten unter ihnen hegte ich warme Liebe. Aber ich wußte, daß ich nicht wert war, unter ihnen zu weilen. Ich hatte einen Feind auf sie losgelassen, dessen Freude es war, ihr Blut zu vergießen und sich an ihren Schmerzen und Leiden zu ergötzen. Entsetzt und empört müßten sie mich alle von sich stoßen, wenn sie wüßten, welches Verbrechen ich begangen und welche Greuel ich verursacht hatte.

Mein Vater gab schließlich nach, als er sah, daß mir auf diese Weise auch nicht zu helfen war, und besann sich auf andere Mittel, um meine verzweifelte Stimmung zu vertreiben. Einmal fragte er mich, ob ich denn darunter so leide, daß man mich eines Mordes für schuldig gehalten habe, und suchte mich zu überzeugen, daß das eine übergroße Empfindlichkeit sei.

»Ach Gott, Vater,« sagte ich, »wie wenig kennst du mich doch. Die ganze Menschheit wäre nichts mehr wert, wenn ein Verruchter, wie ich, empfindlich wäre. Justine, die arme, unglückliche Justine war ebenso unschuldig wie ich und hatte dasselbe zu erleiden; und sie mußte dafür sogar auf das Blutgerüst steigen. Daran bin ich schuld! Ich habe sie so weit gebracht. Wilhelm, Justine und Henry – sie alle fielen durch meine Hand!«

Schon während meiner Gefangenschaft hatte mein Vater dieses Geständnis öfter gehört und hielt diese Selbstbeschuldigungen für eine Ausgeburt meiner immer noch kranken Phantasie. Ich vermied es, eine Erklärung zu geben, um nichts von dem Ungeheuer erwähnen zu müssen, das ich geschaffen. Man hätte mich sicher für irrsinnig erklärt, und diese Aussicht allein band mir die Zunge. Außerdem wollte ich mein Geheimnis nicht offenbaren, das die Meinen mit ewiger Angst und tiefstem Grauen erfüllen mußte. Ich unterdrückte deshalb meine Sehnsucht nach Mitgefühl und schwieg, wenn ich am meisten das Bedürfnis fühlte, das in die Welt hinauszuschreien, was mich so unglücklich machte. Manchmal konnte ich nicht widerstehen, Worte, wie die erwähnten, auszusprechen und mir dadurch etwas Erleichterung zu verschaffen; aber ich hütete mich, Erklärungen dazu zu geben.

Bei einer solchen Gelegenheit sagte mein Vater, aufs äußerste erstaunt: »Mein Junge, was sind das für Einbildungen? Ich bitte dich, lieber Viktor, sage doch so etwas nicht mehr.«

»Ich bin nicht wahnsinnig,« rief ich energisch, »der Himmel und die Sonne haben gesehen, was ich tat, und sind dessen Zeugen. Ich bin der Mörder der armen Opfer; durch meine Hand fielen sie. Tausendmal lieber hätte ich mein Blut Tropfen um Tropfen hergegeben, wenn ich damit ihr Leben hätte retten können. Aber ich konnte nicht, Vater, ich konnte nicht, wenn ich nicht das ganze menschliche Geschlecht verderben wollte.«

Mein Vater konnte sich der Überzeugung nicht verschließen, daß ich doch geistesgestört sein mußte, und wechselte rasch das Gesprächsthema, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er versuchte die Erinnerung an die Ereignisse, die sich in Irland abgespielt hatten, in meiner Erinnerung zu verwischen, indem er selbst nie davon sprach und auch nicht erlaubte, daß ich ihrer Erwähnung tat.

Mit der Zeit aber wurde ich doch etwas ruhiger. Nicht, als ob meine Seele von dem schweren Druck befreit gewesen wäre, aber ich vermochte mich so weit zu beherrschen, daß ich nicht mehr in so leidenschaftlicher Weise von meinem Verbrechen sprach. Ich hatte schon genug darunter zu leiden, daß ich mir seiner völlig bewußt war. Mit dem Aufgebot äußerster Willenskraft unterdrückte ich die Stimme in mir, die forderte, daß ich alles der ganzen Welt verkündete, und ich war ruhiger und gefaßter als je einmal seit dem Augenblick, der mich inmitten des öden Eismeeres mit meinem Dämon zusammenführte.

Wenige Tage, ehe wir Paris verließen, um unsere Reise nach der Schweiz fortzusetzen, erhielt ich folgenden Brief von Elisabeth:

Genf, den 18. Mai 17..

Mein lieber Viktor! Mit der größten Freude erfüllte mich Deines Vaters Brief aus Paris; denn nun weiß ich, daß Du nicht mehr allzuweit entfernt bist und in weniger als vierzehn Tagen bei mir sein wirst. Mein Geliebter, was mußt Du gelitten haben! Jedenfalls siehst Du noch viel elender aus als damals, da Du Genf verließest. Ich habe einen schlechten Winter hinter mir; denn Du kannst Dir denken, daß ich in der schrecklichsten Sorge um Dich war. Aber ich hoffe wenigstens, daß jetzt Friede und Ruhe in Deinem Herzen Einkehr gehalten haben.

Allerdings befürchte ich, daß die Gefühle, die Dich schon vor einem Jahre so niederdrückten, immer noch vorhanden sind, vielleicht noch vergrößert. Ich möchte Dich nicht aufregen, da so viel Unheil auf Dir lastet. Aber eine Unterredung, die ich kurz vor Deiner Abreise mit Deinem Vater hatte, zwingt mich, Dich um eine Erklärung zu bitten, ehe wir uns wieder in die Augen sehen.

Erklärung, wirst Du sagen; was kann Elisabeth für eine Erklärung meinen? Nun, wenn Du so sagst, ist meine Frage ohnehin schon beantwortet, und meine Zweifel sind gelöst. Aber trotzdem muß auch ich Dir eine Erklärung geben, die sich nicht länger mehr hinausschieben läßt. Nur hatte ich bisher nicht den Mut dazu.

Du weißt, geliebter Viktor, daß unsere Verbindung eine Lieblingsidee Deiner Eltern war, schon als wir noch in den Kinderschuhen steckten. Wir wußten es von Anfang nicht anders und lernten es als etwas Selbstverständliches betrachten. Wir waren treue Spielkameraden und gute Freunde, als wir älter wurden, wie oft Bruder und Schwester sich innig lieb haben, ohne je an eine Vereinigung zu denken, könnte dies nicht auch zwischen uns der Fall sein? Sage mir, lieber Viktor, antworte mir, ich beschwöre Dich bei unserem Glück, offen und ehrlich – liebst Du nicht eine andere?

Du bist weit in der Welt herumgekommen, Du bist mehrere Jahre in Ingolstadt gewesen, und ich gestehe Dir, mein Freund, als ich Dich im letzten Herbst so unglücklich, so menschenscheu sah, da drängte sich mir der Gedanke auf, Du könntest unsere Verbindung doch nicht als etwas Wünschenswertes betrachten und fügtest Dich gegen Deine Meinung nur dem Willen Deines Vater. Aber ich weiß, es ist anders. Ich habe Dich ja so lieb und in meinen Träumen bist stets Du der Mittelpunkt gewesen, mein ständiger Begleiter. Da ich aber um Dein Glück ebenso besorgt bin wie um mein eigenes, erkläre ich Dir unumwunden, daß unsere Ehe mich auf ewig unglücklich machen müßte, wenn ich nicht der Überzeugung sein könnte, daß der Entschluß dazu Deinem freien Willen entsprang. Ich muß weinen, wenn ich daran denke, daß Du, nur um einer Pflicht zu genügen, aller Hoffnung auf Liebe und Glück entsagst, die Dir so bitter not tun. Ich, die ich Dich doch so uneigennützig liebe, würde mir mein Leben lang Vorwürfe machen, wenn ich mir sagen müßte, daß ich Deinen Plänen im Wege stand. Sei überzeugt, Viktor, daß Deine Freundin und Spielgenossin eine zu tiefe Liebe zu Dir im Herzen trägt, als daß sie nicht bei dieser Vorstellung leiden müßte. Sei glücklich, mein Geliebter; und wenn ich weiß, daß Du es bist, dann soll nichts auf Erden meine Ruhe mehr stören.

Dieser Brief soll Dir keine unangenehmen Verpflichtungen auferlegen. Antworte nicht, weder morgen noch in den nächsten Tagen, sondern erst, wenn Du hier bist. Über Dein Befinden hält mich Dein Vater auf dem Laufenden. Und wenn ich nur ein schwaches Lächeln um Deinen Mund sehe, wenn wir uns wieder gegenübertreten, will ich zufrieden sein,

Deine Elisabeth Lavenza.

*

Dieser Brief erweckte in mir wieder den Gedanken an die Drohung meines Dämons: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein!« Das war mein Todesurteil; in jener Nacht würde er sicherlich alle Mittel anwenden, um mich zu vernichten und mir so die Möglichkeit zu nehmen, in den Armen des Glücks wieder zu genesen. In jener Nacht also wollte er mit meiner Ermordung seinen Greueltaten die Krone aufsetzen. Nun gut, sollte es so sein! Aber ohne ein verzweifeltes Ringen sollte es nicht abgehen. Blieb er Sieger, nun, dann hatte ich Frieden für immer und seine Macht über mich war zu Ende. Würde er aber besiegt, dann war ich ein freier Mann. Allerdings was für eine Freiheit? Eine Freiheit, deren sich der Landmann erfreut, nachdem er gesehen hat, wie seine Familie hingeschlachtet, seine Hütte verbrannt, seine Felder verwüstet werden, und dann heimatlos, verarmt und allein, aber frei seines Weges zieht. Solcher Art würde dann meine Freiheit sein, nur daß ich an Elisabeth noch einen Schatz besaß, dessen Wert vielleicht in all den Gewissensbissen, in all dem Schuldbewußtsein, das mich bis zu meinem Ende bedrückte, gar nicht zur Geltung kam.

Süße, heißgeliebte Elisabeth! Ich las ihren Brief, und las ihn immer wieder, und einige sanftere, frohere Gefühle schlichen sich in mein verarmtes Herz und gaukelten mir paradiesische Träume von Glück und Liebe vor. Aber der Apfel war bereits gegessen und der Engel stand mit dem flammenden Schwert vor der Pforte. Gern hätte ich mein Leben hingegeben, um sie glücklich zu machen. Wenn der Dämon seine Drohung ausführte, so bedeutete das für mich, menschlichem Ermessen nach, den Tod, und meine Verheiratung mußte also die Erfüllung meines Schicksals beschleunigen. Meine Vernichtung mochte meinetwegen ein paar Monate früher kommen; denn wenn mein Peiniger merkte, daß ich, erschreckt durch seine Drohungen, meine Hochzeit hinausschob, fand er sicher bis dahin andere Mittel, um sich an mir zu rächen, viel grausamere vielleicht noch. Er hatte mir geschworen, in meiner Brautnacht bei mir zu sein, aber das verpflichtete ihn keineswegs, bis dahin sich untätig zu verhalten. Denn vielleicht um mir zu zeigen, daß sein Blutdurst noch lange nicht gesättigt sei, hatte er kurze Zeit, nachdem er die Drohung ausgestoßen, meinen Freund Clerval erwürgt. Ich war also fest entschlossen, daß die Anschläge meines Feindes auf mein Leben meine Vereinigung mit Elisabeth keine Stunde lang aufhalten durften, wenn diese oder mein Vater sie wünschten.

In dieser Verfassung schrieb ich an Elisabeth. Mein Brief war ruhig und liebevoll. »Ich fürchte, meine Geliebte,« schrieb ich, »daß für uns nur wenig Glück mehr auf Erden blüht. Dennoch aber ist all mein Sehnen und Hoffen auf Dich gerichtet. Deine Befürchtungen sind grundlos. Du allein bist es, die mein Leben heiligt und meine Hoffnung auf Frieden zu erfüllen vermag. Ich habe ein Geheimnis, Elisabeth, ein entsetzliches Geheimnis! Wenn ich es Dir anvertrauen dürfte, es würde Dich eiskalt überlaufen, und, statt über mein Elend überrascht zu sein, Dich nur wundern, daß ich das alles ertragen habe. An unserem Hochzeitsmorgen will ich Dir das Geheimnis anvertrauen, denn es soll vollkommene Klarheit zwischen uns herrschen. Und bis dahin, Geliebte, bitte ich Dich, weder darüber zu sprechen, noch auch irgend eine Andeutung zu machen. Darum bitte ich Dich ernstlich, und ich weiß, daß ich Dich nicht vergebens gebeten habe.

Eine Woche, nachdem Elisabeths Brief mich erreicht hatte, kamen wir in Genf an. Das teuere Mädchen begrüßte mich mit heißer Freude. Aber Tränen standen in ihren Augen, als sie meine abgemagerten Hände drückte und mich auf die fieberheißen Wangen küßte. Auch sie war etwas verändert. Sie war schmaler geworden und hatte viel von der Lebhaftigkeit eingebüßt, die ihr vordem so gut gestanden hatte. Aber ihre Milde und ihr sanftes Mitleid machten sie zu einer geeigneten Genossin für einen Mann, der elend und gebrochen ist.

Die Ruhe, deren ich damals genoß, war nicht von langer Dauer. Die Erinnerungen tauchten wieder in aller Frische auf und machten mich fast wahnsinnig. Manchmal raste ich, manchmal war ich still und nachdenklich. Ich sprach mit niemand und sah auch niemand an, sondern saß regungslos in einer Ecke, erdrückt von den Qualen, die auf mich einstürmten.

Nur Elisabeth vermochte mich einigermaßen aufzuheitern. Ihre sanfte Stimme milderte meine Rasereien und flößte mir Lebensmut ein, wenn ich in trostloses Grübeln verfiel. Sie weinte mit mir und um mich. Wenn ich dann wieder vernünftig geworden war, bemühte sie sich, mir Mut zu machen. Ja, dem Unglücklichen kann man wohl Mut zusprechen, aber nicht dem Schuldigen.

Bald nach unserer Heimkehr sprach mein Vater mit mir über die bevorstehende Hochzeit. Ich verhielt mich schweigend.

»Du hast also keine andere Verpflichtung?«

»Keine! Ich liebe Elisabeth und sehe unserer Vereinigung mit Freuden entgegen. Bestimme den Tag, und dieser Tag soll es sein, an dem ich mich für Leben und Tod dem Glück der Geliebten weihe!«

»Lieber Viktor, so darfst du nicht sprechen! Wir haben sehr viel Schweres zu tragen gehabt, das ist wahr; aber wir wollen fest zusammenhalten, wir, die noch übrig geblieben sind, und unseren Lebenden die Liebe schenken, die wir für die Toten hatten. Unser Kreis wird nur mehr ein kleiner sein, aber die Gefühle treuer Liebe und das gemeinsam erlebte Mißgeschick wird uns unlöslich aneinander ketten. Und bis die Zeit dein Leid gemildert hat, werden wieder neue Wesen da sein, die die ersetzen sollen, die uns auf so grauenhafte Weise genommen worden sind.«

Aber die Trostworte meines Vaters waren doch nicht imstande, mich die Drohungen des Dämons vergessen zu machen, denn ich hielt diesen nach all den blutigen Siegen, die er bisher über mich errungen, für unüberwindlich. Und nachdem er einmal die Worte ausgesprochen: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein,« hielt ich auch mein Schicksal für unabwendbar. Aber der Tod war kein Übel für mich, wenn ich daran dachte, daß er mir ja auch meine Elisabeth hätte wegnehmen können. Ich gab deshalb fast freudig meine Zustimmung, daß die Hochzeit in zehn Tagen gefeiert werden sollte, wenn auch damit mein Geschick besiegelt war.

Großer Gott, wenn mir auch nur einmal eine Ahnung gekommen wäre, welche Absichten mein tückischer Feind hatte, ich hätte mich lieber in die wildesten Landstriche geflüchtet und wäre als ruheloser Wanderer auf Erden umhergezogen, als daß ich zu dieser unseligen Heirat mein Einverständnis erteilt hätte. Aber es war, als hätte mich das Ungeheuer mittels magischer Einflüsse über seine wahren Absichten im Dunkeln gehalten, und indem ich mich auf mein eigenes Ende gefaßt machte, beschleunigte ich nur den Tod des über alles geliebten Weibes.

Je näher der Tag kam, desto mutloser wurde ich; entweder weil ich feig war oder weil mich trübe Ahnungen erfaßten. Ich heuchelte aber eine gewisse Heiterkeit, die ein glückliches Lächeln auf das Gesicht meines Vaters zauberte, während die schärfer blickende Elisabeth sich nicht täuschen ließ. Sie sah hoffnungsvoll unserer Vereinigung entgegen. In diese Hoffnung aber mischte sich eine leise Furcht, daß das, was uns jetzt wirkliches, greifbares Glück bedeutete, bald in Schaum zerfließen könne.

Alle Vorbereitungen für das Fest waren getroffen und wir hatten mit freudigen Gesichtern die Gratulationsbesuche empfangen. Ich verbarg, so gut ich konnte, die quälende Angst und ging scheinbar mit Interesse auf die Pläne meines Vaters ein. Den Bemühungen meines Vaters war es gelungen, bei der österreichischen Regierung durchzusetzen, daß Elisabeth ein Teil ihres väterlichen Erbteiles wieder zurückerstattet wurde. Ein kleines Besitztum am Ufer des Comersees gehörte hierzu. Es wurde bestimmt, daß wir unsere Flitterwochen in der direkt am Ufer des herrlichen Sees gelegenen Villa Lavenza verbringen sollten.

Unterdessen hatte ich alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um mich gegen einen offenen Angriff meines Dämons zu schützen. Ich trug ständig zwei Pistolen und einen Degen bei mir, was mir das Gefühl einer gewissen Sicherheit verlieh. Je näher der Tag der Trauung kam und je öfter man von dieser sprach, wie von einer Sache, die sicher kommen mußte, desto mehr war ich geneigt, die Drohung des Dämons leichter zu nehmen.

Elisabeth sah sehr glücklich aus, wozu meine Ruhe ein gut Teil beitragen mochte. Nur an dem Tage, der uns vereinigen sollte, war sie traurig und düstere Vorahnungen quälten sie. Vielleicht lastete auch der Gedanke auf ihr, daß der kommende Tag ihr die Enthüllung meines furchtbaren Geheimnisses bringen würde. Mein Vater war überglücklich und sah in der Traurigkeit Elisabeths nichts anderes als die erwartungsvolle Unruhe der Braut.

Nachdem die Zeremonie vorüber war, versammelte sich eine große Gesellschaft im Hause meines Vaters. Elisabeth und ich sollten zu Schiffe nach Evian fahren, wo wir die Nacht verbringen und die Reise am nächsten Tage fortsetzen wollten. Es war ein herrlicher Tag und der Himmel lächelte auf unser junges Glück herab.

Das waren die Augenblicke meines Lebens, in denen ich zum letztenmal das Gefühl des Glückes hatte. Rasch ging die Reise von statten. Die Sonne brannte heiß auf uns hernieder, aber wir waren durch eine Art Sonnendach vor ihren Strahlen geschützt und freuten uns der wundervollen Landschaftsbilder, die an uns vorüberzogen.

Ich hielt Elisabeths Hand: »Du bist sorgenvoll, Geliebte? O wenn du wüßtest, was ich alles zu tragen hatte, und was ich noch zu ertragen haben werde, du ließest mich die Ruhe und den Frieden genießen, die ich nur diesen einen Tag zu genießen imstande sein werde.«

»Sei unbesorgt, lieber Viktor,« antwortete sie, »ich wüßte nicht, was dich traurig stimmten sollte; und sei überzeugt, wenn ich auch äußerlich mein Glück noch nicht so ganz zur Schau tragen kann, so fühle ich es doch tief im innersten Herzen. Irgend etwas raunt mir jedoch geheimnisvoll zu, mich nicht allzufreudig auf das Kommende zu verlassen, aber ich will mich bemühen, dieser düsteren Stimme kein Gehör zu geben. Sieh, wie rasch wir dahinfliegen und wie die Wolken, die um das Haupt des Montblanc wehen, das Landschaftsbild beleben. Und sieh die unzähligen Fische, die sich in der klaren Flut tummeln, in der wir jedes Steinchen am Boden unterscheiden können. Welch herrlicher Tag! Wie glücklich und heiter die ganze Natur aussieht!«

In dieser Weise versuchte Elisabeth meine und ihre düsteren Gedanken zu verscheuchen. Aber ihre Stimmung wechselte immer wieder; eine Zeit lang leuchteten ihre Augen freudig, allmählich aber nahmen sie wieder einen traurigen Ausdruck an.

Tiefer und tiefer sank die Sonne. Wir passierten die Mündung des Drance, der sich seinen Weg durch die Schluchten und Klüfte des Gebirges bahnt. Die Alpen treten hier nahe an den See heran und wir näherten uns dem mächtigen Amphitheater, das den östlichen Abschluß des Sees bildet. Schon sahen wir die Kirchturmspitze leuchtend über die Baumwipfel emporragen, die sich deutlich von den schwarzen Bergwänden abhob.

Der Wind, der uns bisher mit beträchtlicher Schnelligkeit über den See dahingetragen, legte sich und nur mehr eine leichte Brise kräuselte das Wasser zu zierlichen Wellen. In den Uferbäumen flüsterte es leise und vom Lande her schwebte ein feiner Duft von Blumen und frischem Heu herüber. Als wir landeten, versank gerade die Sonne hinter den Bergen, und in dem Augenblick, da mein Fuß den festen Boden betrat, stürmten Sorge und Angst wieder auf mich ein und ich meinte den kalten Griff des Schicksals zu fühlen.

23. Kapitel

Eben hatte es acht Uhr geschlagen. Wir gingen noch kurze Zeit am Ufer spazieren und freuten uns des warmen Abendscheines. Dann begaben wir uns in das Gasthaus, von wo aus wir noch beobachteten, wie die Nacht leise über Wasser, Wälder und Berge herankroch.

Unterdessen hatte sich ein starker Westwind erhoben. Der Mond stand hoch am Himmel und schickte sich zum Niedergang an. Die Nachtvögel strebten eilends Wolken dahin und verhüllten zeitweise sein Licht, und unter dem belebenden Hauch des Windes hob und senkte sich das Wasser des Sees. Nicht lange währte es, dann strömte Regen reichlich hernieder.

Den Tag über war ich ja ruhig gewesen, nun aber, da die Nacht die Umrisse aller Dinge verwischte, stieg eine unbestimmte Angst in mir auf, so daß ich bei jedem Geräusch zusammenfuhr. Meine rechte Hand hielt unter dem Anzug den Kolben einer Pistole umspannt, denn ich beabsichtigte nicht, mein Leben so leichten Kaufes hinzugeben, sondern ich wollte kämpfen, bis mein Leben oder das meines Feindes erlosch.

Elisabeth hatte schon einige Zeit in ängstlichem Schweigen mich beobachtet. In meinem Blicke mochte etwas liegen, das sie mit Schrecken erfüllte, und sie fragte zitternd: »Was ist dir, Viktor? Was regt dich so auf? Und warum fürchtest du dich?«

»Friede, Liebste, Friede – nur diese eine Nacht, dann kann alles noch gut werden. Aber heute noch ist es schrecklich, wir müssen auf der Hut sein.«

Eine Stunde blieben wir noch so beisammen. Dann kam mir der Gedanke, wie gefährlich unter Umständen der Kampf für mein geliebtes Weib werden könne, und bat sie sich zur Ruhe zu begeben, fest entschlossen, erst dann zu ihr zu kommen, wenn ich sicher sein konnte, daß der Feind fern war.

Sie ging. Ich suchte alle Ecken und Winkel des Hauses ab, in denen sich das Ungeheuer hätte verbergen können. Aber keine Spur von ihm, und ich wagte zu hoffen, daß irgend ein unerwarteter Zwischenfall ihn an der Ausführung seiner Drohung verhindert haben könne. Plötzlich hörte ich einen schrillen, angsterfüllten Schrei. Er kam aus dem Zimmer, in das sich Elisabeth zurückgezogen hatte. Kaum hatte ich diesen Schrei vernommen, als mir auch schon das Furchtbare zum Bewußtsein kam. Meine Arme sanken schlaff herab. Das Blut trat aus meinem Herzen zurück; ich fühlte, wie es in meinen Adern zu stocken begann und wie es in all meinen Gliedern prickelte. Nur einen Moment währte dieser Zustand. Ich stürzte nach der Richtung, aus der der Schrei zum zweitenmale ertönte.

Großer Gott im Himmel, warum ließest du mich damals nicht tot zusammenbrechen; warum zerstörtest du mir meine einzige Hoffnung, warum vernichtetest du das beste Geschöpf, das auf Erden wandelte? Dort lag sie, quer über das Bett, leblos und bleich. Ihr Haupt hing herab und ihr Haar bedeckte zum Teil ihr verzerrtes Antlitz. Wohin ich mich auch wende, überall verfolgt mich dieses Bild. Konnte ich das ansehen und doch noch weiterleben? Ja, das Leben ist zäh und klammert sich gerade da am hartnäckigsten an, wo man es am meisten haßt. Nur einen Augenblick verlor ich die Besinnung und sank zu Boden.

Als ich die Augen aufschlug, umstanden mich Gäste und Personen des Gasthofes. Die Gesichter drückten Entsetzen aus. Ich flüchtete vor ihnen in das Zimmer, wo Elisabeth lag, meine Geliebte, mein Weib. Man hatte sie anders gelegt; ihr Kopf ruhte auf einem Arm und über Gesicht und Hals hatte man ein Tuch geworfen. Man hätte meinen können, sie schliefe. Ich eilte auf sie zu und schlang meine Arme um den Leichnam. Aber die Schlaffheit und Kälte der Glieder ließ mich fühlen, daß das, was ich in den Armen hielt, nicht mehr die Elisabeth war, die ich geliebt und angebetet hatte. An ihrem Halse waren die Fingerabdrücke des Mörders zu erkennen und kein Atem kam mehr von den weißen Lippen.

Während ich sie so umklammert hielt, sah ich zufällig auf. Die Fenstervorhänge waren zurückgezogen und das Mondlicht flutete herein, und am Fenster sah ich, starr vor Entsetzen, die gräuliche Gestalt meines Feindes. Ein höhnisches Grinsen verzerrte sein Gesicht. Er schien zu triumphieren, denn er deutete mit dem Finger auf den Leichnam meines Weibes. Ich sprang ans Fenster, riß meine Pistole aus dem Gürtel und feuerte; aber er entkam und stürzte sich blitzschnell in den See.

Auf den Knall der Pistole kamen mehrere Leute in mein Zimmer. Ich zeigte ihnen die Stelle, wo das Gespenst verschwunden war, und wir machten uns sofort in Booten auf die Suche. Sogar Netze ließ ich auswerfen, aber vergebens. Nach einigen Stunden kehrten wir enttäuscht zurück, und einige meiner Begleiter mochten sich wohl im stillen denken, daß das Ganze vielleicht nur eine Ausgeburt meiner Phantasie sei. Nachdem wir wieder an Land waren, begaben sich die meisten auf den Weg in die Waldungen und Weinberge, um dort nach dem Dämon zu fahnden.

Auch ich wollte mich anschließen und ging ein Stück weit mit; aber in meinem Kopf wirbelte es und ich wankte wie ein Trunkener hin und her. Schließlich verfiel ich in einen Zustand völliger Erschöpfung; vor den Augen ward es mir dunkel und meine Haut bedeckte sich mit Fieberschweiß. Man brachte mich in den Gasthof zurück und legte mich zu Bett. Meine Augen wanderten ruhelos umher, als suchten sie etwas.

Nach einiger Zeit erhob ich mich wieder, fast instinktiv, und schleppte mich in das Zimmer, wo man mein Weib aufgebahrt hatte. Eine Anzahl weinender Frauen stand herum und ich vereinigte meine Klagen mit den ihren, indem ich den Leib der geliebten Toten umschlungen hielt. Rastlos irrten meine Gedanken umher. Vom Tode Wilhelms zur Hinrichtung Justines, von der Ermordung Clervals zu der meines Weibes, und selbst in diesem Zustande kam mir der Gedanke, daß die mir noch gebliebenen Lieben der Bosheit meines Feindes ausgesetzt waren. Vielleicht röchelte mein Vater gerade unter dem grausamen Griff des Ungeheuers, während Ernst schon tot am Boden lag. Ich schauderte und raffte mich auf. Unter allen Umständen mußte ich unverzüglich nach Genf zurück.

Pferde konnte ich nicht bekommen und es blieb mir also nur der Wasserweg. Allerdings war der Wind ungünstig und der Regen fiel in Strömen. Ich mietete mir Ruderer und ergriff auch selbst ein Ruder. Denn ich hatte mir bei seelischer Depression stets mit körperlicher Betätigung wieder aufgeholfen. Aber die furchtbaren Leiden, die ich erduldet, hatten mir dermaßen zugesetzt, daß ich meine Absicht nicht auszuführen vermochte. Ich warf das Ruder von mir und legte weinend das Gesicht auf den Arm. Wenn ich einen Augenblick um mich sah, erblickte ich Naturszenen, die mir von Jugend an lieb und vertraut waren und die ich noch Tags vorher mit der betrachtet hatte, die nun nur mehr ein Schatten, eine Erinnerung war. Ich wehrte meinen Tränen nicht. Der Regen hatte aufgehört und ich sah die Fische in der Flut spielen, wie ich es wenige Stunden vorher auch gesehen, und auch Elisabeths Augen hatten noch auf ihren geruht.

Aber warum soll ich noch lange bei den Ereignissen verweilen, die nach diesem letzten, schwersten Schlag eintraten. Ich habe Ihnen eine grausige Geschichte erzählt und der Höhepunkt ist erreicht. Das, was noch nachkommt, könnte sie höchstens langweilen. Nur das eine möchte ich noch sagen, daß auch alle meine noch übrig gebliebenen Angehörigen hinweggerafft wurden, so daß ich jetzt ganz allein stand. Ich bin mit meiner Kraft ziemlich am Ende und ich kann Ihnen nur mehr in kurzen Worten den Rest meiner entsetzlichen Geschichte berichten.

Ich kam in Genf an. Mein Vater und Ernst waren noch am Leben; aber der erstere brach unter dem Eindruck dessen zusammen, was ich ihm zu berichten hatte. Ich sehe ihn noch vor mir, den schönen, ehrwürdigen Greis, wie seine Augen ins Leere starrten, denn er hatte seinen Stolz, sein Glück, seine Elisabeth verloren, die ihm mehr war als eine Tochter, an der er mit seiner ganzen Liebe hing. Tausendmal verflucht sei der Dämon, der so viel Leid auf das graue Haupt meines Vaters häufte und ihm alles Glück nahm. Er mußte sich niederlegen, und das Erlebte drückte ihn so schwer, daß er sich nimmer erhob. Einige Tage später starb er in meinen Armen.

Was dann mit mir geschah? Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte die Besinnung verloren, und wenn ich hier und da wieder etwas empfand, so waren es Dunkelheit und Ketten. Oftmals träumte mir, ich wandere auf grünen Wiesen mit den Gespielen meiner Kindheit; aber wenn ich erwachte, merkte ich, daß ich in einem Gefängnis war. Es trat zunächst ein Zustand tiefster Melancholie ein und dann ward ich mir nach und nach meiner ganzen Situation bewußt. Man hatte mich für wahnsinnig erklärt und mich mehrere Monate, wie ich nachher erfuhr, in einer engen Zelle gefangen gehalten. Nun aber fielen meine Ketten.

Die Freiheit hätte für mich freilich nicht viel Wert gehabt, wäre nicht zugleich mit meinem Bewußtsein der glühende Wunsch nach Rache erwacht. Niemand anderes war schuld an all dem Leid und Unglück, das über mich hereingebrochen war, als der Dämon, den ich selbst geschaffen, den ich mutwillig auf die Welt gehetzt hatte. Rasender Zorn packte mich bei dem Gedanken an ihn und ich wünschte, ja ich betete darum, daß es mir vergönnt sein möge, an dem verruchten Ungeheuer eine furchtbare, unerhörte Rache zu nehmen.

Aber nicht lange gab ich mich nur mit fruchtlosen Wünschen ab. Ich begann sofort auf Mittel und Wege zu sinnen, wie ich den Erfolg auf meine Seite zu bringen vermöchte. Kaum ein Monat, nach dem ich wieder genesen war, stand auch mein Entschluß fertig da. Ich begab mich zu einem der Richter der Stadt und erhob Anklage gegen den Mörder meiner Familie; ich gab an, ihn zu kennen und forderte, daß mit aller Strenge gegen den Täter vorgegangen werde.

Aufmerksam und freundlich hörte mir der Richter zu. »Seien Sie überzeugt, Herr Frankenstein,« sagte er, »daß ich keine Mühe und Arbeit scheuen werde, um des Schurken habhaft zu werden.«

»Ich bin Ihnen sehr zu Dank verbunden,« entgegnete ich, »und bitte Sie, gleich jetzt meine Aussagen machen zu dürfen. Es ist allerdings eine so merkwürdige Geschichte, daß Sie nicht daran glauben würden, wenn nicht einige fest bestimmbare Daten vorlägen. Für einen Traum ist zu viel Zusammenhang darin, und außerdem habe ich ja gar keinen Grund, Unwahres vorzubringen.« Ich sprach eindringlich, aber vollkommen ruhig. Ich hatte mir fest vorgenommen, meinen Peiniger zu Tode zu hetzen. Diese Absicht gab mir Ruhe und machte mir das Leben noch lebenswert. Ich erzählte ihm also meine ganze Geschichte, kurz aber bestimmt und klar, indem ich auch die Daten zweifellos angab und es vermied, in Klagen auszubrechen oder von dem einfachen Gang der Erzählung abzuweichen.

Anfangs schien der Richter meinen Aussagen wenig Glauben beizumessen, im weiteren Verlaufe aber wurde er aufmerksam. Ich konnte sogar bemerken, wie ihn manchmal das Grauen packte; zuweilen drückte sein Gesicht Erstaunen und Überraschung aus.

Als ich geendet hatte, fügte ich hinzu: »Dies also ist das Wesen, das ich des Mordes anklage und zu dessen Ergreifung ich Sie bitte Ihren ganzen Einfluß aufzuwenden. Es ist Ihre Pflicht als Richter, und ich hoffe und glaube, daß Sie als Mensch meinen Wunsch begreifen und nicht vor der Aufgabe zurückschrecken.«

Diese Aufforderung rief eine gewaltige Änderung im Verhalten des Beamten hervor. Er hatte mir zugehört mit dem halb gutmütigen Glauben, den man solchen Geschichten von Gespenstern und übernatürlichen Vorgängen zu schenken pflegt. Als er aber sich in dieser Weise aufgefordert sah offiziell einzuschreiten, wurde es wesentlich anders. »Ich möchte ja,« sagte er milde, »Ihnen gern in jeder Hinsicht behülflich sein, aber das Wesen, von dem Sie sprachen, scheint mit Kräften und Eigenschaften ausgestattet zu sein, die alle meine Bemühungen vereiteln würden. Wer könnte diese Bestie fangen, die mühelos Gletscher überquert und sich in Höhlen und Schluchten versteckt, die kein Mensch zu betreten wagen darf? Außerdem sind ja Monate verflossen, seit sich das alles ereignet hat, und wer könnte sagen, wohin er sich gewendet hat, wo er sich jetzt aufhält?«

»Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß er sich in allernächster Nähe aufhält; und wenn er tatsächlich sich in den Gebirgsschluchten verbirgt, so muß man ihn eben verfolgen wie eine Gemse und ihn zur Strecke bringen. Aber ich errate Ihre Gedanken; Sie schenken mir nicht vollen Glauben und haben nicht die Absicht, meinen Feind der Strafe zuzuführen, die er verdient hat.«

Während ich so sprach, mochte es in meinen Augen zornig geblitzt haben, denn der Richter sagte eingeschüchtert: »Sie irren sich. Ich werde bestrebt sein, so weit es in meiner Macht steht, das Ungeheuer zu fangen und es nach seinen Verbrechen zu bestrafen. Aber nach allem, was Sie mir berichtet haben, glaube ich nicht, daß es sich wird ermöglichen lassen, und Sie werden enttäuscht sein.«

»Das ist undenkbar; aber mein brennender Rachedurst läßt Sie ja kalt. Jetzt kann ich es Ihnen ja eingestehen: es ist mein einziger, leidenschaftlicher Wunsch, meinen Feind zu vernichten. In mir empört sich alles, wenn ich daran denke, daß der Mörder, den ich schuf, noch unter uns Menschen weilt. Sie verweigern mir also die Erfüllung meiner Bitte? Gut, ich werde mir dann auch allein zu helfen wissen und mich mit Leib und Seele meiner Aufgabe widmen.«

Ich zitterte vor Erregung. Leidenschaftlich wallte mein Blut und in meinem Verhalten mag etwas von der fanatischen Wildheit gelegen haben, das vor Zeiten den Märtyrern innegewohnt haben soll. Aber für einen Genfer Richter, dessen Seele ja so unendlich weit von dem entfernt ist, was mit Heroismus zusammenhängt, hatte mein Verhalten nichts anderes bedeutet als die Wutausbrüche eines Irren. Er gab sich Mühe, mich zu beruhigen und sprach sanft auf mich ein, wie eine Wärterin auf ein Kind.

»Mensch,« schrie ich, »Ihr seid töricht in eurer eingebildeten Weisheit. – »Schweigen Sie, Sie wissen ja nicht, was Sie reden!« antwortete er.

Wütend stürmte ich aus dem Hause und zog mich in die Einsamkeit zurück, um über mein weiteres Vorgehen nachzudenken.

17. Kapitel

Der Dämon schwieg und heftete seine furchtbaren Augen auf mich, meine Antwort erwartend. Ich war so erstaunt und erschreckt, daß ich zuerst gar nicht imstande war, die Tragweite seines Wunsches zu ermessen. Er fuhr fort:

»Du mußt mir ein Weib schaffen, mit dem ich zusammen leben kann. Du allein kannst das und ich fordere es von dir; es ist mein Recht, das du mir nicht versagen darfst.«

Der letzte Teil seiner Erzählung hatte in mir wieder den Haß gegen ihn erweckt, der bei der Schilderung seiner Erlebnisse mit der Familie de Lacey etwas eingeschlummert war und sogar einem gewissen Gefühl der Teilnahme Platz gemacht hatte, dann aber brach ich wütend los:

»Das werde ich nicht, und keine Qual wird je ein Zugeständnis aus mir herauspressen. Du kannst mich verstümmeln und töten, du kannst mich zum elendesten der Menschen machen, aber du wirst es nie so weit bringen, daß ich in meinen eigenen Augen wie ein Schurke dastehe. Ich soll ein solches Wesen schaffen, damit ihr vereint eure verruchte Bosheit auf die Welt loslassen könnt? Aus meinen Augen! Meine Antwort hast du. Martere mich, aber glaube nicht, daß ich deinen Wunsch erfülle.«

»Du bist im Irrtum«, erwiderte der Dämon. »Und anstatt dir zu drohen, bitte ich dich, meinen Vernunftgründen dein Ohr zu leihen. Ich bin nur schlecht, weil ich elend bin. Verfolgen und hassen mich nicht alle, die mich erblicken? Du, mein Schöpfer, du würdest mich frohlockend in Stücke reißen. Sage mir, warum soll ich mit den Menschen mehr Mitleid haben als sie mit mir? Du würdest dich keines Mordes schuldig fühlen, wenn du mich, das Werk deiner Hände, in eine dieser Eisspalten werfen und zerschmettern könntest. Soll ich jemand achten, der mich verachtet? Glaube mir, wenn jemand sich entschließen könnte, gut gegen mich zu sein, ich würde es ihm mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen danken und ihm alles Gute tun, was in meiner Macht stünde. Aber das wird ja nie geschehen; die menschlichen Sinne bilden unüberwindliche Hindernisse. Doch gedenke ich nicht, mich ohne weiteres zu fügen. Ich will mich für das Erlittene rächen. Wenn ich nicht Liebe einflößen kann, dann will ich Furcht und Entsetzen verbreiten. Und ganz besonders dir, meinem Schöpfer, meinem Erzfeind, schwöre ich unauslöschlichen Haß. Hüte dich! Ich will an deinem Verderben arbeiten und nicht enden, ehe ich dich so unglücklich gemacht, daß du der Stunde deiner Geburt fluchst.«

Teuflische Wut leuchtete aus seinen Augen, als er dies sagte. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer unbeschreiblich schrecklichen Grimasse; aber rasch beherrschte er sich und fuhr ruhiger fort:

»Doch ich hatte ja die Absicht, vernünftig mit dir zu reden. Diese Leidenschaftlichkeit hat keinen Zweck, denn du bist dir ja doch nicht im klaren, daß du alles verschuldet hast. Ein einziger Mensch nur sollte mir sein Wohlwollen beweisen, und um dieses Einen willen würde ich Frieden schließen mit seinem ganzen Geschlecht. Aber ich will nicht in Träumen schwelgen, die doch nie zur Wirklichkeit werden. Was ich von dir fordere ist gerechtfertigt und bescheiden. Ich verlange ein Wesen, das von mir geschlechtlich verschieden, aber ebenso häßlich ist wie ich. Es ist nur wenig, was ich von dir erbitte, aber es ist mir genug. Wahr ist ja, daß wir Ungeheuer sind, die mit der Welt nichts zu schaffen haben; aber umso lieber werden wir einander sein. Wir werden kein glückliches Leben führen, aber wir werden niemand etwas zu Leide tun. O mein Schöpfer, tu mir das zu Liebe; ich will dir für diese eine Wohltat unbegrenzt dankbar sein. Laß mich sehen, daß wenigstens ein lebendes Wesen Mitleid mit mir hat und schlage mir meine Bitte nicht ab.«

Ich war erschüttert; dabei graute mir vor dem Gedanken an die etwaigen Folgen meiner Zustimmung. Aber ich fühlte, daß in seinen Worten eine gewisse Logik lag. Aus seiner Erzählung und aus den Gefühlen, die er mir geoffenbart, konnte ich entnehmen, daß er ursprünglich ein zartes Innenleben besaß. Schuldete ich ihm nicht, nachdem ich ihn einmal geschaffen, auch all das Glück, das ich ihm bescheren konnte? Er merkte, daß ich schwankte, und fuhr fort:

»Wenn du tust, um was ich dich bitte, sollst weder du noch irgend ein anderes menschliches Wesen fürderhin noch etwas von mir hören. Ich will in die weiten Urwälder Südamerikas gehen. Meine Nahrung ist nicht die blutige der Menschen. Ich vernichte nicht Lämmer und Ziegen, um meinen Hunger zu stillen; Nüsse und Beeren genügen mir. Da meine Genossin ebenso beschaffen sein wird wie ich, wird auch sie mit der gleichen Nahrung vorlieb nehmen. Wir werden uns unser Lager aus trockenen Blättern bereiten und die Sonne wird uns ebenso warm scheinen wie den Menschen. Das Bild, das ich dir von unserem künftigen Leben entwarf, ist gewiß ein friedliches und harmloses, und nur in verbohrter Grausamkeit und starrem Eigensinn kannst du mir die Gewährung meiner Bitte versagen. Erbarmungslos warst du bisher gegen mich, aber nun sehe ich deine Augen in einem Schimmer von Mitgefühl leuchten. Laß diesen Augenblick nicht vorübergehen, ohne mir zu versprechen, daß du das tun wirst, um was ich dich bat.«

»Du hast mir ja allerdings versprochen, mit deiner Genossin die Wohnstätten der Menschen zu fliehen und dich in jenen Gegenden niederzulassen, wo nur die Tiere der Wildnis deine Wege kreuzen. Aber wer gibt mir Gewißheit, daß du, der du dich doch so sehr nach der Liebe der Menschen sehnst, es in deinem Asyl aushalten wirst? Du wirst zurückkehren und dich wieder den Menschen zu nähern versuchen und wieder auf ihre Abneigung stoßen. Dein Haß wird von neuem auflodern und du wirst dann nicht mehr allein sein bei deinem Zerstörungswerke. Und das darf nicht sein; gib dir keine Mühe mehr, ich darf nicht ja sagen.«

»Wie unverlässig sind doch eure Gefühle! Eben noch warst du fast gewonnen und nun verschließest du dich plötzlich wieder meinen Bitten. Ich schwöre dir bei der Erde die mich trägt, bei dir selbst, mein Schöpfer, daß ich mit meiner Genossin weit, weit fortgehen werde von den Plätzen, wo Menschen wohnen. Mein Haß wird dann verlöschen, wenn ich einmal nur Wohlwollen gegen mich sehe. Mein Leben wird in Ruhe dahinfließen, und wenn ich sterben muß, dann kann ich dankbar dessen gedenken, der mich geschaffen.«

Seine Worte hatten eine merkwürdige Wirkung. Er tat mir leid und ich hatte das Bedürfnis ihm zu helfen. Aber wenn ich ihn ansah, diese sprechende und wandelnde Fleischmasse, dann ergriff Ekel und Entsetzen mein Herz. Ich versuchte diese Gefühle der Abneigung zu unterdrücken. Dann sagte ich mir, daß ich ihn ja nicht zu lieben brauchte, aber die Verpflichtung hätte, ihn nach meinen Kräften glücklich zu machen. Und es war ja wenig genug, was er forderte.

»Du hast geschworen, niemand mehr etwas zu Leide zu tun,« sagte ich. »Aber hast du denn nicht schon so viel Bosheit gezeigt, daß ich dir mit Recht mißtrauen darf? Kann das nicht eine Vorspiegelung sein, um deine Grausamkeiten nur noch in erhöhtem Maße ausüben zu können?«

»Was soll das heißen? Ich will nicht mit mir scherzen lassen, sondern ich verlange eine strikte Antwort. Wenn ich nicht Liebe finde, ist Haß und Verbrechen mein gutes Recht. Liebe allein vermag das Schlimme, das in mir lauert, zu verhüten, und ich werde ein Geschöpf werden, von dessen Existenz niemand eine Ahnung hat. Meine Verbrechen sind nur Früchte der verhaßten Einsamkeit und meine Tugenden werden dann zur vollen Geltung kommen, wenn ich mit einem Anderen mein Leben teilen kann. Ich werde mit einem fühlenden Wesen zusammen sein und meine Existenz wird ein Glied bilden in der Kette der Existenzen und Ereignisse, wie ich es mir erhofft.«

Ich dachte noch eine Zeitlang über alles nach, was er mir erzählt hatte, und erwog das Für und Wider. Ich war mir klar, daß sein ursprünglich gutmütiges Wesen durch die schlechte Behandlung von Seiten aller, die ihm begegneten, verdorben worden war. Und in meinen Erwägungen spielten seine außergewöhnliche Kraft und die Drohungen, die er ausgestoßen, eine bestimmende Rolle. Ein Wesen, das, wie er, in den Eishöhlen der Gletscher wohnen und sich vor allen Verfolgungen in die unzugänglichsten Schroffen der Gebirge flüchten konnte, durfte nicht unterschätzt werden. Nach längerem Zögern stand dann mein Entschluß fest, mit Rücksicht auf ihn selbst und besonders meine Mitmenschen seinen Wunsch zu erfüllen. Ich wandte mich zu ihm und sagte:

»Ich werde also deinen Willen tun. Aber du mußt mir feierlich versprechen, daß du Europa und überhaupt jede von Menschen bewohnte Gegend sofort verläßt, sobald ich dir das Weib übergebe, das dir in die Verbannung folgen soll.«

»Ich schwöre es dir bei der Sonne, bei dem blauen Himmel und bei der heißen Glut, die in meinem Herzen lodert, daß du mich nimmer sehen sollst, wenn du mein Flehen erhört hast. Geh heim und beginne mit der Arbeit. Ich werde mit Sehnsucht ihren Fortschritt beobachten und erst dann mich wieder bei dir sehen lassen, wenn das Werk vollendet ist.«

Nachdem er das gesagt, eilte er davon, so rasch er konnte, weil er vielleicht eine Sinnesänderung bei mir befürchtete. Er sprang in großen Sätzen zu Tal und verschwand bald in den Schrunden des Eismeeres.

Seine Erzählung hatte den ganzen Tag in Anspruch genommen und die Sonne näherte sich schon dem Horizont, als er mich verließ. Ich wußte, daß ich mich sehr zu beeilen hatte, wenn ich noch vor Einbruch völliger Dunkelheit das Tal erreichen wollte. Aber mein Herz war schwer und meine Schritte langsam. Meine Kniee schmerzten beim Hinuntersteigen auf dem schmalen, gewundenen Gebirgspfad und meine Gedanken beschäftigten sich unaufhörlich mit den seltsamen Ereignissen des Tages. Es war schon Nacht geworden, als ich zu einer Ruhebank neben einer Quelle kam. Ich ließ ich dort nieder, um ein wenig zu rasten. Die Wolken zogen eilends am Himmel dahin und zwischen ihnen blickten freundlich die Sterne. Dunkle Fichten, zwischen denen da und dort zerbrochene Stämme am Boden lagen, erhoben sich vor mir in die klare Nachtluft. Eine feierliche Ruhe herrschte rings um mich und ich fieberte fast vor Erregung. Bitterlich weinend rang ich die Hände und rief aus: »O, ihr Sterne und Wolken und Winde, ihr seid nur da, um mich zu verhöhnen. Wenn ihr wirklich Mitleid mit mir habt, dann raubt mir Gefühl und Gedächtnis; laßt mich zu Nichts werden. Aber wenn ihr das nicht könnt, dann laßt mich allein, ganz allein!«

Wilde Gedanken waren es, die mir mein Elend eingab. Ich kann es gar nicht sagen, wie das Glitzern der ewigen Sterne auf mich einwirkte, und auf jedes leise Säuseln des Windes lauschte ich angstvoll und gespannt, als sei es das Brausen eines glühenden Sirocco, der mich hinwegfegen wollte.

Der Morgen dämmerte herauf, als ich Chamounix erreichte. Ich hielt mich nicht mehr auf, sondern setzte gleich meinen Weg nach Genf fort. Meine Gefühle lasteten mit furchtbarer Schwere auf mir. So kehrte ich heim und begrüßte meine Familie. Mein verstörtes und wildes Aussehen erschreckte sie. Aber ich gab auf alle Fragen keine Antwort; ich konnte nicht sprechen, denn ich stand wie unter einem unheimlichen Banne. Mir war, als hätte ich kein Recht mehr auf ihre Liebe, als dürfte ich nimmer ihrer Gesellschaft froh werden. Und ich liebte sie doch so sehr; nur um sie zu retten hatte ich beschlossen, mich der abstoßenden Arbeit noch einmal hinzugeben. Alles andere war mir wie ein Traum, und nur der Gedanke an das Grauenvolle, was mir bevorstand, starrte mich an wie ein Medusenhaupt.

18. Kapitel

Tag um Tag, Woche um Woche verflossen nach meiner Ankunft in Genf, und immer fand ich den Mut nicht, an mein Werk zu gehen. Ich fürchtete mich vor dem verhaßten Dämon, war aber nicht imstande, das Grauen zu überwinden, das ich gegen die mir aufgezwungene Arbeit empfand. Ich hatte unterdessen erfahren, daß ein englischer Philosoph Studien gemacht hatte, deren Kenntnis für das Gelingen meines Werkes wesentlich war, und hoffte ich von meinem Vater die Erlaubnis zu erhalten, zu diesem Zwecke England zu besuchen. Ich klammerte mich an jede Gelegenheit, die Sache hinauszuschieben, und zögerte den ersten Schritt zur Erfüllung meines Versprechens zu tun. An mir selbst hatte sich eine wesentliche Änderung vollzogen. Mein Gesundheitszustand, der bisher nicht der beste gewesen war, war bedeutend günstiger und mein Gemüt war wieder heiterer geworden, wenn mich nicht gerade die Erinnerung an mein unseliges Vorhaben quälte. Mein Vater schien diese Veränderung mit Freuden zu bemerken und sann auf Mittel, meine trüben Gedanken, die hier und da wiederkehrten und wie düstere Schatten sich vor mein kommendes Glück stellten, gänzlich zu vertreiben. In diesen Augenblicken der Niedergeschlagenheit suchte ich in vollkommenster Einsamkeit meine Zuflucht. Ich verbrachte ganze Tage allein in einem Boote auf dem See, sah dem Fluge der Wolken zu und lauschte dem leisen Plätschern der Wellen am Kiel. Die frische Luft und der warme Sonnenschein verfehlten auch nie ihre Wirkung auf mein Gemüt und ich konnte dann bei meiner Heimkehr die Begrüßung der Meinen immer mit leichterem Herzen und mit froherem Sinne entgegennehmen.

Als ich wieder einmal von einem solchen Ausflug zurückkehrte, nahm mich mein Vater auf die Seite und sagte:

»Ich habe mit großer Freude gemerkt, mein lieber Sohn, daß dein früherer Frohsinn zurückkehrt und du wieder der wirst, der du einst warst. Und dennoch bist du noch immer nicht ganz glücklich und meidest unsere Gesellschaft. Längere Zeit konnte ich mir keinen Grund dafür denken. Gestern aber kam mir eine Idee, und wenn etwas daran ist, so beschwöre ich dich, es mir zu gestehen. Rücksichtnahme in dieser Sache ist gar nicht angebracht, sondern würde nur noch mehr Unheil über uns bringen.«

Ich zitterte bei dieser Einleitung, und mein Vater fuhr fort:

»Ich muß dir ja gestehen, lieber Viktor, daß ich deine Verbindung mit unserer lieben Elisabeth stets als die Krönung unseres Glücks anzusehen pflegte, als die Freude meines herannahenden Alters. Ihr habt einander von frühester Jugend an gern gehabt, habt mit einander gelernt und scheint nach Anlagen und Geschmack wie für einander bestimmt. Aber so blind sind wir Menschen. Das, was ich für das beste hielt, um meine Zukunftspläne zu fördern, war vielleicht am meisten geeignet ihnen entgegenzuarbeiten. Du hast sie jedenfalls nur als Schwester lieben gelernt und hegst gar nicht den Wunsch, sie als deine Frau zu besitzen. Ich glaube eher, daß du eine andere liebgewonnen hast und daß dich der Kampf deiner Liebe gegen die von dir bereits übernommene Pflicht so elend macht.«

»Du befindest dich im Irrtum, lieber Vater. Ich liebe Elisabeth herzlich und aufrichtig. Ich habe nie ein Weib kennen gelernt, das meine Bewunderung und Zuneigung so erregt hätte, wie es Elisabeth tut. Der Gedanke an meine Zukunft hängt eng mit dem an meine Verbindung mit ihr zusammen.«

»Das, was du mir sagst, macht mir mehr Freude, als ich sie seit langem empfunden. Wenn es so ist, dann werden wir sicherlich glücklich werden, wenn auch über der Gegenwart noch die düsteren Schatten der jüngsten Ereignisse lagern. Der Kummer hat uns alle so in seinen Bann gezogen, daß ich mit allen Mitteln ihn zu zerstreuen suchen muß. Sage mir also, ob du gegen die baldige Hochzeit etwas einzuwenden hast. Die unseligen Ereignisse lassen mich vorzeitig alt und schwach werden; und wenn ich das Glück noch erleben soll, darfst du nicht mehr lange zögern, es sei denn, daß irgendwelche Dispositionen bestehen, die dir zunächst die Heirat noch unerwünscht erscheinen lassen. Nicht als ob ich dich drängen wollte. Nimm meine Worte so auf, wie sie gemeint sind, und antworte mir frei und offen.«

Ich hatte meinem Vater schweigend zugehört und war lange nicht imstande, irgendetwas zu erwidern. In rasender Eile schossen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf und ich war unfähig, zu einem endgültigen Entschluß zu kommen. Die Idee meiner sofortigen Verbindung mit Elisabeth mußte mir unter den obwaltenden Verhältnissen natürlich Sorge und Unbehagen einflößen. Ich war durch ein feierliches Versprechen gebunden, das noch nicht eingelöst war, aber auch nicht gebrochen werden durfte. Oder wenn ich dies dennoch wagte, was stand alles mir und meinen Lieben bevor? Konnte ich das Freudenfest begehen mit der furchtbaren Last, die mir den Nacken beugte und mich zu Boden drückte? Ich mußte zuerst meiner Verpflichtung nachkommen und den Dämon mit seiner Genossin weit in die Welt hinausgesandt haben, ehe ich daran denken konnte, in der ersehnten Verbindung den lang entbehrten Frieden zu finden.

Ich überlegte, ob es notwendig sei, selbst nach England zu reisen, oder ob es genüge, brieflich mit jenem Philosophen in Verbindung zu treten, dessen Entdeckungen für das Gelingen meines Werkes von Bedeutung war. Die letztere Art, mir die gewünschten Aufschlüsse zu verschaffen, erschien mir ungenügend und langwierig; außerdem hatte ich eine unüberwindliche Scheu davor, die gräßliche Arbeit in meines Vaters Hause vorzunehmen, wo ich tagtäglich mit meinen Lieben zusammen war. Ich wußte, daß tausend kleine Zufälligkeiten mein Geheimnis aufdecken konnten und daß meinen Angehörigen all die Erregungen und Gemütsbewegungen nicht entgehen würden, die meine grauenerregende Beschäftigung unbedingt im Gefolge haben mußte. Es war also unumgänglich nötig fortzugehen, um mein Versprechen zu erfüllen. Wenn ich einmal angefangen hatte, dann ging es ja rasch vorwärts und ich konnte ruhig und zufrieden in den Schoß meiner Familie zurückkehren. Denn dann war auch der unheimliche Dämon über alle Berge oder aber – das wäre mir das Liebste gewesen – er war durch irgend einen Zufall vernichtet worden und ich meiner Sklaverei für immer ledig.

Das waren die Gesichtspunkte, die mir die Antwort an meinen Vater diktierten. Ich äußerte den Wunsch, vorher noch England besuchen zu dürfen. Ich verbarg ja meine wahren Beweggründe sorgfältig, wußte aber mein Anliegen doch so dringend vorzubringen, daß mein Vater sich einverstanden erklärte. Er freute sich, daß ich nach einer so langen Periode tiefster Schwermut, die bereits an Irrsinn grenzte, wieder die Kraft gefunden hatte, eine solche Reise zu planen, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die immer wechselnden Bilder und die mannigfachen Zerstreuungen imstande sein würden, mich gänzlich wiederherzustellen.

Wie lange ich fortbleiben wollte, blieb vollkommen mir überlassen; man hielt einige Monate, höchstens aber ein Jahr für ausreichend. In seiner großen Güte hatte mein Vater auch schon für einen Reisegenossen gesorgt. Ohne mich vorher zu benachrichtigen, hatte er in Übereinstimmung mit Elisabeth es so eingerichtet, daß Clerval in Straßburg mit mir zusammentraf. Allerdings störte das insofern meine Pläne, als ich mir zur Erfüllung meiner Aufgabe vollkommene Ungestörtheit gewünscht hätte. Jedenfalls konnte im Anfang meiner Reise die Anwesenheit meines Freundes keine Störung bedeuten und hatte das Gute, daß mir über manche Stunde trüben Nachgrübelns hinweggeholfen wurde. Und dann war ja Henry ein Schutz gegen Einmischung meines Feindes. Würde dieser nicht mein Alleinsein öfters benützt haben, um mir seine verhaßte Gesellschaft aufzudrängen, um mich anzuspornen und die Fortschritte meiner Arbeit zu kontrollieren?

Es stand also fest, daß ich nach England reisen sollte, und ebenso fest stand es, daß ich sofort nach meiner Rückkehr Elisabeth heimführte. Mein Vater war nicht mehr so jung, um Verzögerungen gleichmütig hinzunehmen. Es wartete meiner die Entschädigung für all das Unbeschreibliche, was ich erlitten, und in den Armen meines Weibes durfte ich dann meiner drückenden Sklaverei vergessen.

Während ich meine Reisevorbereitungen traf, erfüllte mich der Gedanke mit Angst und Sorge, daß ich meine Lieben den Angriffen des unbekannten Feindes überließ, der vielleicht durch meine Abreise gereizt, deren Gründe er nicht wußte, sich an mir würde rächen wollen. Andererseits hatte er mir versprochen, mir überallhin zu folgen. Sollte er vor einer Reise nach England zurückschrecken? Der Gedanke daran war an sich schrecklich, aber es lag für mich eine gewisse Beruhigung darin, da ich ihn aus der Nähe der Meinen gerückt wußte. Ich mochte gar nicht daran denken, daß das Gegenteil meiner Kombinationen eintreten könnte. Jedenfalls ließ ich mich von der Eingebung des Augenblicks leiten, die mir überzeugend zuflüsterte, daß der Dämon mir folgen und meine Familie unbehelligt lassen werde.

Es war in den letzten Tagen des September, als ich aufs neue mein Vaterhaus verließ. Die Reise war mein eigener Wille gewesen und deshalb fügte sich Elisabeth darein. Aber sie litt unter dem Gedanken, daß ich, fern von ihr, wieder eine Beute des Kummers und des Grames werden könnte. Ihre Idee war es gewesen, mir Clerval als Reisebegleiter zuzugesellen, denn wo eines Mannes Verstand schon lange zu Ende ist, findet eine kluge Frau immer noch Wege. Sie flehte mich an, recht rasch wieder heimzukehren, und sagte mir dann mit tränenerstickter Stimme Lebewohl.

Ich stieg in den Wagen, der mich entführen sollte. Ich vergaß, wohin ich ging, und ließ gleichgültig alles über mich ergehen. Das Einzige, was mir noch einfiel, war die Anordnung, daß meine chemischen Apparate eingepackt und mir nachgesandt werden sollten. In trauriges Nachdenken versunken durchfuhr ich die herrliche Gebirgslandschaft; meine Augen waren starr und nicht fähig, irgend welche Eindrücke zu vermitteln. Ich dachte nur an das Ziel meiner Reise und das Werk, das meiner wartete.

Einige Tage vergingen so in trostloser Gleichgültigkeit. Endlich erreichte ich Straßburg, woselbst ich zwei Tage auf Clerval zu warten hatte. Und er kam. Aber was für ein Unterschied bestand zwischen und beiden. Er freute sich der Natur und war glücklich, wenn er die Sonne glühend untergehen oder sie rosig emporsteigen sah. Er machte mich auf die wechselnden Farben in der Landschaft und am Himmel aufmerksam. »Nun weiß ich, wie schön das Leben ist! Und ich freue mich dieses Lebens!« rief er aus. »Aber du, lieber Frankenstein, warum siehst du so traurig und besorgt in die Welt?« Tatsächlich erfüllten mich quälende Gedanken und ich hatte keinen Sinn für das Aufleuchten des Abendsterns oder das goldige Blinken der Sonne in den Wellen des Rheins.