2. Kapitel

Wir wuchsen zusammen auf; ich war nicht ganz ein Jahr älter als sie. Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß uns Uneinigkeit oder Streit fremd waren. Harmonie bildete die Grundlage unserer Freundschaft, und die Verschiedenheit unserer Charaktere schien uns eher noch fester zu binden als uns zu trennen. Elisabeth war ruhiger und gesammelter als ich; aber bei all meiner Leidenschaftlichkeit war ich doch ein Freund ernster Arbeit und voll Wissensdurst. Ihre Lieblingsbeschäftigung war die Lektüre unserer Dichter und die Schönheit der uns umgebenden Natur, die erhabenen Formen der Berge, der Wechsel der Jahreszeiten, die tiefe Stille des Winters und das lebhafte Treiben der Sommersaison – alles das gab ihrer Phantasie reichliche Nahrung. Während meine Gespielin ernst und staunend sich dem Eindrucke der Dinge hingab, wollte ich ihrem Ursprung auf die Spur kommen. Die Welt war mir ein Geheimnis, das ich unter allen Umständen zu enträtseln mir vorgenommen hatte. Neugierde, der Wunsch hinter die verborgenen Naturgesetze zu kommen, Freude, ja Entzücken, als sich mir so manches Wunder auftat, sind die ersten Gefühle, deren ich mich erinnern kann.

Als mein Bruder auf die Welt kam, sieben Jahre nach mir, gaben meine Eltern ihr Wanderleben ganz auf und siedelten sich in ihrer Heimat an. Wir besaßen ein Haus in Genf und eine Villa in Belrive, dem östlichen Ufer des Sees, etwas mehr als eine Meile von der Stadt entfernt. Wir wohnten meist in der Villa und führten ein sehr abgeschiedenes Leben. Ich liebte die Menschen in Mengen nicht, aber ich schloß mich gern an Einzelne an. Deshalb war ich gegen meine Schulkameraden ziemlich gleichgültig, faßte aber eine wahre Freundschaft zu einem von ihnen. Henry Clerval war der Sohn eines Genfer Kaufmannes, ein Knabe von hervorragenden Talenten und begabt mit einer glühenden Phantasie. Er war unternehmend, kühn und liebte die Gefahr um ihrer selbst willen. Er war sehr belesen, dichtete selbst Heldensänge und begann Erzählungen von ritterlichen Abenteuern zu schreiben. Er verfaßte für uns Tragödien und Maskenspiele, zu denen ihm das Ringen im Tal von Roncesvalles, die Tafelrunde des Königs Artus und die heldenhaften Kreuzfahrer, die ihr Blut dahingaben, um das heilige Grab den Händen der Ungläubigen zu entreißen, den Stoff gaben.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mensch eine glücklichere Jugend verbringen kann, als wie es mir beschieden war. Meine Eltern waren erfüllt vom Geiste wahrer Liebe und Güte. Wir empfanden, daß sie nicht die Tyrannen waren, die uns nach ihren Launen lenkten, sondern die Schöpfer all des Schönen und Guten, was wir genießen durften. Wenn ich mit anderen Familien zusammenkam, kam mir das besonders zum Bewußtsein und trug viel zur Befestigung meiner kindlichen Liebe bei.

Ich war zuweilen heftig und leidenschaftlich; aber meine Begierden richteten sich nicht auf Kindereien, sondern äußerten sich in einem ungeheuren Lerneifer, der sich aber auch wieder nicht unterschiedslos auf alles erstreckte. Ich gestehe, daß ich weder der Struktur der Sprachen, noch gesetzlichen Vorschriften, noch der Politik Geschmack abgewinnen konnte. Es waren die Geheimnisse des Himmels und der Erde, die ich erforschen wollte; und ob ich mich nun gerade mit der äußeren Form der Dinge oder mit den Naturgesetzen oder mit der menschlichen Seele beschäftigte, immer war meine Sehnsucht auf die metaphysischen oder im höchsten Sinne physischen Geheimnisse der Welt gerichtet.

Ich weile gern bei diesen Erinnerungen aus meiner Jugendzeit, weil damals das Unglück meinen Geist noch nicht getrübt hatte und die Visionen von Glanz und Berühmtheit noch nicht durch düstere Reflexionen über mich selbst gestört waren. Außerdem berichte ich, indem ich die Geschichte meiner Jugend erzähle, die Ereignisse, die unwiderstehlich, aber unmerkbar mich meinem späteren Schicksal entgegenführten; und wenn ich mir selbst Rechenschaft gebe, so erkenne ich, daß die Leidenschaft, die mich regierte, wie ein Gebirgsbach aus kleinen, verborgenen Quellen zusammensickerte. Aber dieser Bach wurde in seinem Weiterlauf zu dem verheerenden Strom, der all meine Hoffnungen, all meine Freuden begrub.

Naturphilosophie war der Genius, der mein Schicksal leitete. Ich muß deshalb in meiner Erzählung die Tatsachen erwähnen, die diese Vorliebe in mir weckten. Als ich dreizehn Jahre alt war, machten wir alle einen Ausflug zu den Bädern in der Nähe von Thomon. Die Ungunst der Witterung zwang uns, einen Tag in der Wirtsstube zu verbringen. In dem Hause hatte ich zufällig einen Band der Werke des Cornelius Agrippa gefunden. Ich öffnete ihn aus Langweile; plötzlich aber, als ich mich in seine Lehren vertiefte, verwandelte sich diese Gleichgültigkeit in flammenden Enthusiasmus. Ein neues Licht schien vor meinem Geiste zu erstehen; hüpfend vor Freude eilte ich zu meinem Vater und ließ ihn das Buch sehen. Er sah nur flüchtig nach dem Titelblatte und sagte: »Ach, Cornelius Agrippa! Mein lieber Viktor, vertue deine Zeit nicht mit solchen Dingen; es ist trostloser Schund.«

Wenn statt dessen mein Vater sich die Mühe genommen und mir gesagt hätte, daß die Studien des Agrippa schon längst veraltet und durch die moderne Wissenschaft überholt seien, die mit ganz anderen Mitteln arbeite als die frühere chimärische Halbwissenschaft, hätte ich wahrscheinlich den Agrippa in einen Winkel geworfen und mich wieder mit meiner angeregten Phantasie meinen normalen Studien zugewandt. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß meine Gedanken dann gar nicht die unglückselige Richtung genommen hätten, die zu meinem Untergange führen mußte. Aber da mein Vater das Buch nur mit einem flüchtigen Blick gestreift hatte, ehe er es mir zurückgab, vermutete ich, daß ihm der Inhalt wohlbekannt sei, und vertiefte mich nun erst recht in diese Lektüre.

Als wir nach Hause zurückgekehrt waren, verschaffte ich mir sofort die sämtlichen Werke des Agrippa, danach die des Paracelsus und des Albertus Magnus. Ich las und studierte die wilden Phantasien dieser Schriftsteller mit Hochgenuß; es kam mir vor, als sammelte ich da Schätze, die außer mir nur wenige kannten. Ich habe Ihnen schon gesagt, mit welch heißem Bemühen ich in die Geheimnisse der Natur einzudringen versuchte. Trotz dieses Eifers und trotz aller herrlichen Entdeckungen der modernen Wissenschaft war ich von meinen Studien nie recht befriedigt gewesen. Hat doch auch Isaac Newton eingestanden, daß er sich vorkomme wie ein Kind, das am Strande des ewig unerforschlichen Ozeans der Wahrheit Kiesel aufliest. Und all die anderen Naturphilosophen, die ich nach und nach kennen lernte, erschienen mir wie Stümper, die sich dem gleichen nutzlosen Beginnen hingaben.

Der ungebildete Landmann sieht die Dinge an, die um ihn sind, und gebraucht sie; aber auch der gelehrteste Philosoph ist nicht viel weiter. Er hat ja zum Teil das Antlitz der Natur entschleiert, aber ihre feinsten Regungen sind ihm immer noch ein Geheimnis, ein Wunder. Er kann sezieren, zerschneiden, Nomenklaturen erdenken, aber die nächsten Ursachen bleiben ihm unerkannt, geschweige denn die ersten Ursprünge.

Aber hier waren Bücher und waren Männer, die tiefer eingedrungen waren und mehr wußten. Ich nahm alles für bare Münze, was sie behaupteten, und wurde ihr hingebender Schüler. Es mag vielleicht seltsam erscheinen, daß so etwas im achtzehnten Jahrhundert noch möglich war; aber während ich in der Schule fleißig meinen Studien oblag, bildete ich mich selbst in meinen Lieblingsfächern weiter. Mein Vater war kein Gelehrter und überließ mich selbst dem Kampfe mit meiner Phantasie. Unter der Leitung meiner neuen Lehrer machte ich mich mit Rieseneifer an die Suche nach dem Stein der Weisen und die Entdeckung des Lebenselixiers, besonders aber das letztere hatte es mir angetan. Reichtum schien mir nur etwas Nebensächliches; aber welcher Ruhm wartete meiner, wenn es mir gelang, die Krankheiten vom menschlichen Geschlechte fernzuhalten und jeden unverletzlich zu machen.

Aber das waren noch nicht meine einzigen Wünsche! Meine Lieblingsautoren versprachen ihren Schülern die Kunst, Geister und Dämonen zu zitieren, die ich mir mit brennendem Eifer anzueignen strebte. Aber wenn auch meine Beschwörungen immer erfolglos blieben, so schob ich die Schuld lieber auf mich und meine Unerfahrenheit, als daß ich es gewagt hätte, an der Ehrlichkeit meiner Lehrer zu zweifeln. Und so widmete ich mich eine Zeit lang diesen veralteten Systemen, indem ich die widersprechendsten Theorien in meinem Kopfe durcheinanderwarf und in einem Wuste der mannigfaltigsten Wissenschaften watete, angetrieben durch meine glühende Phantasie und meinen kindischen Eigensinn, bis, wieder durch einen Zufall, meine Ideen eine andere Richtung annahmen.

Als ich fünfzehn Jahre alt war wurde ich von unserem Landhause am Belrive aus Zuschauer bei einem heftigen, schrecklichen Unwetter. Es kam von den Bergriesen des Jura herangebraust und der Donner brüllte furchtbar aus allen Himmelsrichtungen. Mit Neugierde und Entzücken verfolgte ich die verschiedenen Phasen des Gewitters. Ich stand am Tor, als plötzlich eine helle Feuersäule aus der alten, herrlichen Eiche emporschoß, die etwa zwanzig Meter vom Hause entfernt stand. Und als dann das Auge wieder ungeblendet blicken konnte, war die Eiche nicht mehr da und an ihrer Stelle stand ein kurzer, verbrannter Stumpf. Als wir am nächsten Morgen uns die Sache in der Nähe besahen, bemerkten wir, daß der Baum in ganz merkwürdiger Weise zerstört worden war. Nicht in unregelmäßige Trümmer hatte ihn der Blitz auseinander gerissen, sondern ihn regelrecht in schmale Holzbänder zerlegt. Ein Bild der vollendeten Vernichtung.

Schon vorher waren mir die Gesetze der Elektrizität in ihren allgemeinen Umrissen bekannt gewesen. Ein Herr, der mit uns gegangen war, um das Phänomen zu betrachten, entwickelte bei dieser Gelegenheit eine Theorie über Elektrizität und Magnetismus, die zugleich neu und fesselnd war. Alles, was er sagte, stellte Kornelius Agrippa, Albertus Magnus und Paracelsus, die Helden meines Geistes, sehr in den Schatten. Und diese Niederlage meiner Helden nahm mir alle Lust an den gewohnten Studien. Es schien mir, als würde und könnte man nie etwas wissen. Das, was so lange meinen Geist in Bann gehalten hatte, kam mir auf einmal lächerlich vor. In einer der Launen, denen wir gerade in der Jugend besonders unterworfen sind, warf ich die ganze Naturphilosophie und das, was damit zusammenhing, als unfruchtbar und widersinnig auf die Seite. Ich empfand heftigen Ekel vor dieser Scheinwissenschaft, die nicht einmal imstande war, uns auch nur bis zur Schwelle wahren Wissens zu bringen. In diesem Zustande verlegte ich mich auf die Mathematik, die, auf festen Füßen stehend, allein meiner Beachtung würdig schien.

Wie seltsam ist doch unsere Seele konstruiert und an wie dünnen Fäden hängt Glück oder Verderben. Wenn ich zurückdenke und mir Rechenschaft gebe über die merkwürdige Änderung meiner Neigung, kommt es mir vor, als habe damals mein Schutzengel noch einen letzten Versuch gemacht, mich dem drohenden Unheil zu entziehen, das sich über mir zusammenballte. Jedenfalls hatte sein Bemühen Erfolg, denn eine ungewohnte Ruhe der Seele und eine tiefe Befriedigung kam über mich, als ich von den in letzter Zeit mich quälenden Studien abließ; ja, ich lernte sie sogar als etwas Böses verachten.

Mein Schutzengel hatte sein Möglichstes getan, aber auf die Dauer war es doch umsonst. Das Schicksal war mächtiger: das Schicksal, das meinen schrecklichen Untergang beschlossen hatte.

3. Kapitel

Als ich siebzehn Jahre alt geworden war entschlossen sich meine Eltern, mich auf die Universität Ingolstadt zu schicken. Ich wäre ganz gern auf der Genfer Hochschule geblieben, aber mein Vater hielt es für nützlicher, wenn ich, um meine Erziehung zu vollenden, auch mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder vertraut würde. Der Tag meiner Abreise wurde festgesetzt; aber ehe dieser herankam traf mich das erste Mißgeschick meines Lebens, das mich ergriff wie ein Omen meines kommenden Unglücks.

Elisabeth war an Scharlach erkrankt und schwebte in der äußersten Lebensgefahr.

Wir hatten uns alle Mühe gegeben, meine Mutter zu überzeugen, daß die Pflege der Kranken eine große Gefahr für sie bedeute. Anfangs hatte sie sich unseren Bitten gefügt; als sie aber merkte, daß das Leben ihres Lieblings ernstlich bedroht war, ließ sie sich nicht mehr abhalten. Sie wich nicht vom Krankenbette und ihre Liebe siegte über die tückische Krankheit. Elisabeth war gerettet, aber an ihrer Stelle ergriff das Fieber die treue Pflegerin. Am dritten Tage mußte sich die Mutter legen. Bei den ersten beunruhigenden Symptomen wurde der Arzt beigezogen, aus dessen ernstem Antlitz wir das Schlimmste errieten. Aber selbst auf dem Totenbette blieb diese beste der Frauen tapfer und gütig. Sie legte Elisabeths Hände in die meinen und sagte: »Liebe Kinder! Wie habe ich mich immer gefreut, euch einmal vereinigt zu sehen! Mir ist es ja wohl nicht mehr beschieden, das zu erleben, aber es soll wenigstens der Trost eures Vaters sein. Nun mußt du, liebste Elisabeth, meine Stelle bei meinen kleineren Kindern vertreten. Es tut mir weh, von euch gehen zu müssen, von dem Glück, das mir zuteil wurde. Aber ich will mich nicht diesen Gedanken hingeben; ich will versuchen, dem Tod froh ins Auge zu sehen und mich damit trösten, daß wir uns ja drüben alle wieder sehen werden.«

Sie starb ruhig und gelassen; selbst der Würger Tod war nicht imstande gewesen, die Liebe aus ihren Zügen zu bannen. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie tief wir alle litten, wie öde es in uns war und welche Traurigkeit auf unseren Gesichtern sich ausdrückte. Lange konnten wir es nicht fassen, daß die Frau, die wir alle Tage sahen, nun von uns gegangen sei auf immer, daß ihre lieben Augen uns nun nicht mehr freundlich anblicken, ihre traute Stimme nicht mehr an unser Ohr tönen sollte. Das sind so die Gedanken der ersten Tage. Wenn dann aber die Zeit in ihrem Laufe uns belehrt, daß wirklich alles so ist, dann beginnt der eigentliche, tiefe Gram. Aber wem hat der grausame Tod nicht schon etwas Liebes entrissen und warum soll ich die Schmerzen beschreiben, die jeden schon getroffen haben oder noch treffen müssen? Schließlich kommt die Zeit, da das Leid stiller wird und da man das Lächeln, das sich auf unsere Lippen schleicht, nicht mehr verbannt, wenn es einem auch vorher undenkbar schien, daß das je noch der Fall sein könnte. Meine Mutter war tot, aber wir hatten Pflichten, die wir erfüllen mußten; wir, die Übriggebliebenen durften uns ja glücklich schätzen, daß der Würger wenigstens von dem einen Opfer seine kalte Hand zurückgezogen hatte.

Für meine Abreise nach Ingolstadt, die durch die Verhältnisse aufgeschoben war, wurde nun ein neuer Zeitpunkt festgesetzt. Es gelang mir, von meinem Vater einen Aufschub von etlichen Wochen zu erlangen. Es wäre mir wie ein Sakrileg erschienen, so schnell die Ruhe des Trauerhauses mit dem sprudelnden Leben da draußen zu vertauschen. Und dann wollte ich den Anblick derer nicht missen, die mir geblieben waren; vor allem aber war es mir darum zu tun, meine süße Elisabeth einigermaßen getröstet zu sehen.

Sie verstand es, ihr eigenes Leid zu verbergen und uns alle aufzurichten. Sie nahm das Leben ernst und kam ihren Pflichten tapfer und treu nach. Sie widmete sich ganz denen, die sie als Vater und Geschwister lieben gelernt hatte. Niemals war sie lieblicher, als wenn der Sonnenschein ihres Lächelns uns alle erwärmte und wenn sie, ihren Gram vergessend, uns zur Trösterin wurde.

Schließlich kam aber doch der Tag meiner Abreise heran. Clerval verbrachte den letzten Abend noch bei uns. Er hatte vergebens versucht, seinen Vater zu bestimmen, daß er ihn mit mir nach Ingolstadt ziehen und dort studieren ließe. Aber sein Vater war eine engherzige Krämerseele und betrachtete diese Wünsche seines Sohnes als unnützen Ehrgeiz. Henry empfand es tief schmerzlich, für immer auf eine höhere Bildung verzichten zu müssen. Er sagte wenig; aber wenn er sprach, las ich in seinen glänzenden Augen den stillen, aber festen Entschluß, sich nicht für ewig an den kleinlichen Krämerberuf zu fesseln.

Wir blieben lange beisammen sitzen, denn es schien uns unmöglich einander Lebewohl zu sagen. Und dennoch mußte es schließlich geschehen. Wir gingen auseinander, indem wir vorgaben der Ruhe zu bedürfen, und trotzdem wußte jeder, daß der andere die Unwahrheit gesagt hatte. Als ich dann beim Morgengrauen hinunterging, um meinen Wagen zu besteigen, waren sie alle wieder da: mein Vater, um mich noch einmal zu segnen, Clerval, um mir zum Abschied die Hand zu drücken, und meine Elisabeth, um mir erneut das Versprechen abzunehmen, daß ich ihr fleißig schreiben werde, und um ihrem scheidenden Freund und Spielkameraden noch einige kleine Liebesdienste zu erweisen.

Ich lehnte mich tief im Wagen zurück, der mit mir dahinrollte, und gab mich trübseligen Betrachtungen hin. Ich war nun allein! Auf der Universität mußte ich mir erst Freunde suchen und für mich selbst sorgen. Mein Leben war bisher ein außergewöhnlich zurückgezogenes gewesen und daher mochte es wohl kommen, daß ich einen fast unbezwinglichen Abscheu vor allen neuen Gesichtern hatte. Ich liebte meinen Bruder, ich liebte Elisabeth und Clerval; das waren mir altbekannte, liebe Gesichter; aber ich hielt mich für total ungeeignet, mit Fremden Bekanntschaften anzuknüpfen. Das waren also meine Betrachtungen zu Anfang meiner Reise, aber je weiter ich mich von der Heimat entfernte, desto mehr wuchsen mir Mut und Hoffnung. Ich war von brennendem Lerneifer erfüllt. Ich hatte oft, als ich noch zu Hause war, es bitter beklagt, an diesen kleinen Erdenfleck gekettet zu sein, und gewünscht, die weite Welt zu sehen und den mir gebührenden Platz innerhalb der Menschheit einzunehmen. Nun, da diese Wünsche in Erfüllung gehen sollten, wäre es töricht gewesen, Reue zu empfinden.

Für diese und andere Betrachtungen fand ich auf der langen und ermüdenden Reise nach Ingolstadt hinreichend Muße. Endlich erblickte ich die Kirchturmspitzen der Stadt. Ich stieg an meinem Quartier ab und wurde nach meinem einsamen Zimmer geführt, um dort den Abend nach meinem Gutdünken zu verbringen. Am nächsten Morgen machte ich den hervorragendsten Professoren Besuch und gab meine Empfehlungsbriefe ab. Der Zufall, oder vielleicht auch der Dämon der Vernichtung, der mich umschwebte, seit ich mit zögerndem Schritt aus dem Vaterhause in die Welt getreten war, führte mich zuerst zu dem Dozenten der Naturphilosophie, namens Krempe. Er war ein wunderlicher Mensch, aber unerreicht in seinem Fach. Er stellte mir mehrere Fragen aus verschiedenen Gebieten der Naturphilosophie, um zu sehen, was von mir zu erwarten sei. Ich antwortete freimütig und erwähnte dabei halb verächtlich die Namen der Alchymisten, deren Werke ich zuerst studiert hatte. Der Professor war sehr erstaunt, dann sagte er: »Haben Sie wirklich Ihre Zeit mit diesem Unsinn vertan?«

Ich bejahte. »Jede Minute,« fuhr Herr Krempe ernst fort, »jeder Augenblick, den Sie sich mit jenen Büchern beschäftigt haben, ist unwiederbringlich und für immer verloren. Sie haben Ihr Gedächtnis mit veralteten Systemen und zwecklosen Dingen belastet. In welchem verlassenen Lande haben Sie denn um Gotteswillen gelebt, daß niemand Sie aufmerksam gemacht hat, daß diese Phantasien, mit denen Sie begierig Ihr Hirn vollpfropften, schon tausend Jahre alt und ganz verschimmelt sind? Ich muß gestehen, daß ich in unserm aufgeklärten Jahrhundert nicht erwartet hätte, noch auf einen Jünger des Albertus Magnus und des Paracelsus zu stoßen. Mein lieber, junger Freund, Sie müssen mit Ihren Studien ganz von vorn beginnen.«

Er trat dann an sein Schreibpult und notierte mir eine Reihe von Büchern, die ich mir beschaffen sollte. Dann entließ er mich, nachdem er mich aufmerksam gemacht hatte, daß er vom Beginn der nächsten Woche ab ein Kolleg über Naturphilosophie, und sein Freund, Herr Waldmann, abwechselnd mit ihm ein solches über Chemie lesen werde.

Ich kehrte nach meiner Wohnung zurück, keineswegs enttäuscht, denn auch ich hatte schon seit langer Zeit, wie ich Ihnen schon sagte, die Wertlosigkeit jener Bücher erkannt, die der Professor verdammte. Aber ich hatte mir vorgenommen, trotzdem zu diesen Studien in irgend einer Weise zurückzukehren. Herr Krempe war ein kleiner, untersetzter Mensch mit barscher Stimme und abstoßendem Gesicht. Der Lehrer hatte also nichts an sich, was mich für seine Wissenschaft von vornherein hätte einnehmen können. Als ganz junger Mensch war ich mit den von den Lehrern der Naturwissenschaften erreichten Resultaten niemals zufrieden gewesen. Die Verworrenheit meiner Ideen, die ja wohl meiner großen Jugend zuzuschreiben war, und der Mangel eines geeigneten Führers, brachten mich soweit, daß ich, rückwärts schreitend, die Ergebnisse moderner Forschung gegen die Träume vergessener Alchymisten eintauschte. Sogar eine gewisse Verachtung empfand ich gegen die moderne Naturphilosophie. Es war doch etwas ganz anderes, wenn die alten Meister Unsterblichkeit und Macht anstrebten. Wenn dieses Streben auch unnütz war, so hatte es doch etwas Großzügiges an sich. Aber das heutige Bild war ein anderes. Die Forscher schienen ihren besonderen Ehrgeiz darein zu setzen, all die Fundamente zu vernichten, auf denen jene gebaut hatten. Es handelte sich für mich also darum, Chimären von grenzenloser Großartigkeit gegen winzige Realitäten zu vertauschen.

Das waren meine Überlegungen während der ersten zwei oder drei Tage meiner Anwesenheit in Ingolstadt, die ich hauptsächlich dazu verwendet hatte, um mir einige Ortskenntnisse zu erwerben. Zu Beginn der nächsten Woche fielen mir dann die Weisungen ein, die mir Professor Krempe bezüglich der Vorlesungen gegeben hatte. Und wenn ich mich auch nicht entschließen konnte hinzugehen und diesen kleinen, eingebildeten Menschen von seinem Katheder herab Weisheiten verkünden zu hören, so erinnerte ich mich doch dessen, was er von Professor Waldmann gesagt hatte, den ich noch nicht kannte, weil er bis jetzt auf dem Lande gewesen war.

Teilweise aus Neugierde, teilweise aus Langweile ging ich in den Hörsaal, den Professor Waldmann gleich nach mir betrat. Dieser Herr unterschied sich wesentlich von seinem Kollegen. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und machte einen außerordentlich wohlwollenden Eindruck. Sein Haar war fast schwarz, nur an den Schläfen war es schon leicht ergraut. Er war von kleiner Statur, hielt sich aber sehr gerade und seine Stimme besaß einen seltenen Wohllaut. Er begann sein Kolleg mit einer Rekapitulation der Geschichte der Chemie und ihre Entwickelung, indem er mit Feuer von den berühmtesten Entdeckern sprach. Dann kam er auf den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu sprechen und machte uns mit der Terminologie bekannt. Nachdem er einige einführende Experimente gemacht, hielt er einen Panegyricus auf die moderne Chemie in Worten, die ich nimmermehr vergessen werde:

»Die Alten versprachen Unmögliches und leisteten nichts. Die heutigen Gelehrten versprechen nichts; sie wissen, daß die Metalle nicht ineinander verwandelt werden können und daß das Lebenselixir eine Chimäre ist. Aber diese Philosophen, deren Hände dazu geschaffen scheinen, im Schmutze zu graben, und deren Augen über den Schmelztiegeln und Mikroskopen trüb werden, haben wahre Wunder vollbracht. Sie gehen der Natur bis in ihre Schlupfwinkel nach und beobachten sie in ihrer geheimsten Tätigkeit. Sie steigen bis in den Himmel. Sie haben den Kreislauf des Blutes entdeckt und die Natur der Luft, die wir atmen, dargelegt. Sie haben neue, fast unbegrenzte Kräfte entfesselt. Wir haben dem Himmel seine Blitze entrissen und machen uns über die unsichtbare Welt mit ihren Schatten lustig.«

Das waren die Worte des Professors – und des Schicksals, das es auf meine Vernichtung abgesehen hatte. Als er wegging, war es mir, als ringe meine Seele mit einem körperlichen Feinde. Alle Register meines Seins wurden gezogen, Saite auf Saite meines Inneren ertönte und ein Gedanke, ein Wunsch, ein Ziel nahm mich gefangen. So viel bis jetzt auch geschehen sein mag – hörte ich die Seele Frankensteins rufen – viel, viel mehr will ich noch vollenden. Als Pionier will ich neue, unbekannte Kräfte entdecken und vor der Welt die tiefsten Geheimnisse der Schöpfung ausbreiten.

In dieser Nacht schloß ich kein Auge. Mein Inneres war in einem Zustande des Aufruhrs und Tumultes. Ich fühlte, daß das wieder gut würde, aber es war mir so rasch nicht möglich mich zu beruhigen. Allmählich, gegen Morgen, vermochte ich dann einzuschlafen. Als ich erwachte waren meine Gedanken von gestern wie ein Traum. Aber die Idee blieb fest haften, daß ich mich wieder meinen alten Studien zuwenden und mich einer Wissenschaft widmen wollte, zu der ich natürliche Anlagen hatte. Am gleichen Tage noch stattete ich Professor Waldmann einen Besuch ab. Er war als Privatmann, wenn möglich, noch zuvorkommender und gewinnender wie in seinem Berufe. Denn während seiner Vorlesungen nahm er eine sehr würdevolle Haltung an, die aber in seinem Heim einer außerordentlichen Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit Platz machte. Ich gab ihm fast denselben Bericht über meine frühere Beschäftigung wie seinem Kollegen. Er hörte aufmerksam meiner Erzählung zu und lächelte, als er die Namen Cornelius Agrippa und Paracelsus vernahm, aber ohne sie so verächtlich zu machen, wie es Krempe getan hatte. Er meinte, daß diesen unermüdlich fleißigen Forschern die modernen Gelehrten viel zu danken hätten. Sie hätten uns die leichtere Aufgabe hinterlassen, den Dingen Namen zu geben, die sie mit größter Mühe erforscht. Die Arbeit eines Genies sei, wenn sie auch momentan auf irrigen Voraussetzungen beruhe, niemals ohne Nutzen für das Menschengeschlecht. Ich lauschte mit hohem Interesse diesen Ansichten, die so ganz ohne Anmaßung und Ziererei ausgesprochen wurden. Ich versäumte nicht zu gestehen, daß seine Vorlesung mein Vorurteil gegen die moderne Chemie behoben habe. Es ist selbstverständlich, daß ich mich der Bescheidenheit in meinen Ausdrücken befleißigte, die dem Schüler seinem Lehrer gegenüber zusteht, ohne aber den Enthusiasmus zu verhehlen, den ich meinen kommenden Studien entgegenbrachte. Ich bat ihn noch um Ratschläge betreffs der zu beschaffenden Bücher, worauf er sagte:

»Ich freue mich, Sie als Schüler gewonnen zu haben. Wenn Ihr Fleiß Ihren Fähigkeiten gleichkommt, zweifle ich nicht an Ihrem Erfolge. Chemie ist der Zweig der Naturwissenschaft, aus dem das Meiste geholt worden ist und noch geholt werden wird. Darum habe ich sie als mein Spezialfach erwählt, ohne aber die anderen Wissenschaften zu vernachlässigen. Ein Mensch würde nur eine sehr traurige Rolle spielen, wenn er sich ganz einseitig auf Chemie verlegen wollte. Wenn Sie wirklich ein Wissenschaftler werden und nicht bloß ein armseliger Experimentator werden wollen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich mit sämtlichen Zweigen der Naturphilosophie zu beschäftigen, einschließlich der Mathematik.«

Er nahm mich dann mit in sein Laboratorium und führte mir seine verschiedenen Apparate vor. Er zeigte mir auch ihre Handhabung und versprach mir, daß ich sie selbst bedienen dürfte, wenn ich einmal so weit vorgeschritten sei, daß ich nichts daran beschädigte. Er gab mir dann noch ein Verzeichnis der von ihm empfohlenen Bücher und entließ mich.

So endete ein für mich denkwürdiger Tag: er entschied über mein ganzes künftiges Schicksal.

4. Kapitel

Von diesem Tage ab wurde die Naturphilosophie und besonders die Chemie meine ausschließliche Beschäftigung. Ich las mit Leidenschaft die genialen, klaren Werke moderner Forscher. Ich besuchte fleißig die Vorlesungen und blieb in ständiger persönlicher Verbindung mit meinen Lehrern. Ich fand sogar in Krempe einen gesunden Verstand und tiefes Wissen, allerdings verbunden mit abstoßenden Manieren, die meiner Wertschätzung keinen Eintrag zu tun vermochten. In Professor Waldmann hatte ich einen teueren Freund gefunden. Seine Liebenswürdigkeit wurde durch keinen Dogmatismus getrübt und seine Vorlesungen waren so frei und überzeugend gehalten, daß jeder Verdacht pedantischer Auffassung ausgeschlossen war. In jeder Weise machte er mir die mühsamen Pfade der Wissenschaft leichter und verstand es, die schwierigsten Dinge meiner Auffassung zugänglich zu machen. Mein Fleiß war zu Anfang ziemlich unregelmäßig gewesen; aber er wuchs, je weiter ich fortschritt, und wurde schließlich so groß, daß oftmals die Sterne vor dem Morgenlicht verblichen, wenn ich noch in meinem Laboratorium saß.

Es ist verständlich, daß bei diesem außergewöhnlichen Fleiße auch meine Fortschritte groß waren. Meine Studiengenossen wunderten sich darüber, während meine Lehrer ihre Freude daran hatten. Professor Krempe fragte mich öfter mit schlauem Augenzwinkern, wie es mit Cornelius Agrippa ginge, während sich Waldmann in Lobsprüchen über meine Leistungen erschöpfte. Zwei Jahre verbrachte ich in dieser Weise, ohne Genf zu besuchen; ich war mit Leib und Seele bei meinen Erfindungsplänen. Nur wer es an sich selbst erfahren, kann sich einen Begriff machen von den Wonnen, die die Wissenschaft zu bieten hat. In anderen Wissenszweigen kommt man nur so weit, als eben andere vor uns gekommen sind, und mehr ist nicht zu erfahren. Aber hier gibt es immer Nahrung für Bewunderung und Forschung. Ein Geist von mäßiger Forschungsgabe, der sich unbeirrt auf irgend ein Gebiet wirft, muß zweifellos große Fortschritte machen. Ich aber hatte schon von Jugend auf mich mit solchen Dingen beschäftigt und kam deshalb so rasch vorwärts, daß ich nach den zwei Jahren meines Studiums schon wesentliche Verbesserungen an einzelnen Apparaten erfunden hatte, was mir auf der Universität einen außerordentlichen Nimbus verlieh. Als ich auf diesem Punkte angekommen war und ich einen Nutzen von meinem weiteren Studium in Ingolstadt nicht mehr erwarten durfte, dachte ich daran, in meine Heimatstadt und zu meinen Freunden zurückzukehren. Ein Zufall aber verlängerte meinen Aufenthalt.

Eines der Phänomene, das meine Aufmerksamkeit in besonderem Maße erregte, war der Bau des menschlichen Körpers, überhaupt aller mit Leben begabten Wesen. Woher, fragte ich mich oftmals, kommt das Leben? Es war eine kühne Frage, eine von denen, auf die es keine Antwort gab. Und wie manchen Dingen vermöchten wir nicht auf die Spur zu kommen, wenn nicht Feigheit und Unbesonnenheit die Früchte der Studien wieder vernichtete? Von diesem Standpunkte ausgehend entschloß ich mich, mich fernerhin speziell mit den Doktrinen zu beschäftigen, die mit der Physiologie im Zusammenhange stehen. Hätte mich nicht ein mehr als natürlicher Eifer beseelt, wäre mir dieser Teil meiner Studien zu beschwerlich, überhaupt unerträglich gewesen. Um die Ursachen des Lebens zu entdecken müssen wir zuerst wissen, was der Tod ist. Ich machte mich an die Anatomie, aber das war noch nicht genügend; es handelte sich auch noch darum, die natürliche Zerstörung, den Verfall des menschlichen Körpers zu studieren. Bei meiner Erziehung war großer Wert darauf gelegt worden, daß ich nicht durch Schauermärchen ängstlich gemacht wurde. Deshalb kann ich mich auch nicht erinnern, bei irgend einer Gespenstergeschichte gezittert oder mich vor dem Erscheinen eines Geistes gefürchtet zu haben. Die Dunkelheit war mir nicht, wie vielen anderen, die Quelle des Schreckens, und Kirchhöfe waren für mich nichts anderes als Orte, an denen man die ihres Lebens beraubten Körper bringt, die, bisher mit Schönheit und Kraft begabt, nunmehr zum Würmerfraß geworden waren. Nun, da ich mir vorgenommen hatte, die Ursachen und Erscheinungen dieses Verfalles zu studieren, mußte ich ganze Tage und Nächte in Grabgewölben und Beinhäusern verbringen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich besonders auf diejenigen Dinge, die sonst dem menschlichen Feingefühl am meisten widerstreben müssen. Ich sah zu, wie die schönen Formen des Leibes verfielen und vernichtet wurden, wie die Greuel des Todes die blühende Pracht des Lebens ablöste, wie die Würmer sich der wundervollen Gebilde bemächtigten, wie sie Auge und Gehirn darstellen. Ich analysierte und prüfte den Übergang vom Leben zum Tode und wiederum vom Tode zum Leben, bis mir mitten in all der Ungewißheit ein Licht aufblitzte, so glänzend und wunderbar und doch so einfach, daß ich, ganz geblendet von dem Anblick, der sich vor mir auftat, zugleich überrascht war, daß unter den vielen genialen Köpfen, die sich mit derselben Wissenschaft beschäftigt hatten, keiner auf das Geheimnis gekommen war, das zu entdecken jetzt mir vergönnt war.

Ich bitte Sie, sich immer vor Augen zu halten, daß es nicht Visionen eines Irren sind, die ich Ihnen berichte. Wenn das, was ich Ihnen nun erzähle, nicht wahr ist, dann gibt es keine Sonne am Himmel. Ein Zufall mag mir ja zu Hilfe gekommen sein, aber die einzelnen Phasen der Entdeckung lagen klar und unzweideutig vor mir. Nach Tagen und Nächten der unglaublichsten Mühen und Anstrengungen war ich den Ursachen des Werdens und des Lebens auf die Spur gekommen, und, mehr noch als das, ich war selbst imstande, toten Dingen Leben einzuflößen.

An die Stelle des Erstaunens, der Überraschung, trat bald eine rasende Freude. Das war der schönste Lohn meiner Arbeit, daß ich mich nun am Ziele meiner sehnlichsten Wünsche befand. Aber so groß und überwältigend war meine Entdeckung, daß alle Schritte, die sie vorbereitet hatten, wie aus meinem Gedächtnis gelöscht waren und ich nur mehr das Resultat erblickte. Was war nun Fleiß und Arbeit der weisesten Männer wert, da ich den Schlüssel der Schöpfung in Händen hielt?

Ich sehe an Ihrer Erregung, an Ihren erstaunten und zugleich erwartungsvollen Blicken, mein Freund, daß Sie hoffen, von mir in das Geheimnis eingeweiht zu werden. Aber das kann ich nicht. Warten Sie geduldig das Ende meiner Geschichte ab und Sie werden begreifen, warum ich mir da Zurückhaltung auferlegen muß. Ich will nicht, daß Sie, wissensdurstig wie einst ich, in Ihre eigene Vernichtung, in Ihr Elend rennen. Erkennen Sie an mir, an meinem Beispiel, wie gefährlich es ist, sich wissend zu machen, und wie viel glücklicher ein Mensch ist, dem seine Heimatstadt seine Welt bedeutet, der nicht größer sein will, als seine Natur es ihm erlaubt.

Nachdem ich mir dieser ungeheuren Macht bewußt geworden war, zögerte ich noch einige Zeit mit der Anwendung, da ich mir noch nicht klar war, in welcher Weise diese erfolgen sollte. Wenn ich auch die Fähigkeit besaß, Leben zu verleihen, so stand mir doch zunächst die ungeheuer schwierige Aufgabe bevor, einen Leib zu schaffen mit all seinen Muskeln, Sehnen und seinem Geflecht von Adern und Nerven. Ich war mir anfänglich im Zweifel darüber, ob ich gleich ein Wesen schaffen sollte, das mir gleich war, oder ob ich mich zuerst mit einem einfacheren Organismus begnügen sollte. Aber ich war durch meine Entdeckung dermaßen kühn geworden, daß ich nicht einsah, warum mir nicht sofort die Herstellung eines Wesens gelingen sollte, das so kompliziert und wundervoll ist wie der Mensch. Das mir zur Verfügung stehende Material schien allerdings noch kaum genügend für die schwierige Aufgabe, aber ich zweifelte keinen Augenblick, daß ich doch schließlich Erfolg haben müßte. Ich bereitete mich auch auf alle Eventualitäten vor; meine Bemühungen konnten unter Umständen immer wieder vereitelt werden, mein Werk unvollendet bleiben. Und wenn auch im Hinblick auf die Bedeutung jedes einzelnen Tages für die technischen Erfindungen durfte ich doch hoffen, daß mir endlich der Lorbeer des Sieges zuteil würde. Die Größe und Kompliziertheit meines Unternehmens war mir noch lange kein Beweis für seine Undurchführbarkeit. Mit diesen Gefühlen machte ich mich dann endlich an die Erschaffung des menschlichen Wesens. Da die Feinheit der einzelnen Teile lange Zeit zu ihrer Nachbildung erfordert hätte, beschloß ich, entgegen meiner ursprünglichen Absicht, dem Wesen eine gigantische Statur zu geben. Das heißt, ich wollte ihm eine Größe von acht Fuß geben. Es dauerte noch einige Monate, bis ich alles Nötige beisammen hatte und beginnen konnte.

Es ist unmöglich die Gefühle zu schildern, die mich wie ein Sturmwind durchbrausten. Leben und Tod erschienen mir zwei Schranken, die ich durchbrechen und einen Strom von Licht über die finstere Welt gießen durfte. Eine neue Art von Menschenwesen würden mich als ihren Schöpfer preisen und manches Gute und Edle sollte seinen Ursprung mir zu verdanken haben. Kein Vater sollte der Dankbarkeit seiner Kinder so wert sein wie ich. Damals kam ich auf die Idee, die ich allerdings dann später als durchaus undurchführbar erkannte, daß es mir, der ich imstande war, leblose Materie lebend zu machen, möglich sein müßte, auch da wieder Leben zu erzeugen, wo der Tod bereits zerstörend eingegriffen hatte.

Diese Gedanken waren es, die mir immer wieder Kraft zu meinem Unternehmen verliehen. Meine Wangen waren bleich geworden und mein Körper der Erschöpfung nahe. Manchmal meinte ich, ganz nahe an meinem Ziele verzagen zu müssen. Aber ich klammerte mich an die Hoffnung, daß die nächsten Tage, die nächsten Stunden schon eine Entscheidung bringen würden. Die Freude meines Lebens war das Geheimnis, von dem nur ich allein wußte, und oftmals leuchtete mir der Mond bei meinen mitternächtlichen Arbeiten, die mich bis an die verstecktesten Winkel des Naturschaffens führen sollten. Ich unterlasse es, Ihnen die Greuel meines einsamen Schaffens zu schildern, wie ich im Unrat von Gräbern wühlte und lebende Wesen zu Tode quälte, um toten Staub zu beleben. Heute zittern meine Knie und es flimmert vor meinen Augen, wenn ich an das alles denke. Aber damals trieb es mich rastlos, rücksichtslos weiter, so daß ich jeden Sinn für anderes verlor. In einem stillen, abgelegenen Zimmer, oder besser gesagt einer Kammer unter dem Dache, von allen übrigen Räumen durch eine Galerie und eine Treppe getrennt, vollbrachte ich mein ekelerregendes Werk. Die Augen traten mir aus den Höhlen vor Erregung und Anspannung. Die Beinhäuser, der Seziersaal und auch die Schlächterwerkstatt lieferten mir mein Material, und oft wandte sich mein Inneres voll Abscheu von dieser Beschäftigung ab, während meine Schöpfung immer mehr ihrer Vollendung entgegeneilte.

Unterdessen waren die Sommermonate dahingeflossen. Es war eine herrliche Zeit gewesen und niemals noch hatten die Felder so reich gesegnet dagestanden. Aber meine Augen waren für solche Reize zu jener Zeit völlig unzugänglich. Und aus demselben Grunde, weshalb ich keine Freude an der Natur mehr hatte, vergaß ich auch der treuen, lieben Menschen, von denen ich so weit entfernt war und die ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Ich wußte, daß sie mein Schweigen beunruhigen mußte und erinnerte mich noch recht wohl der Worte meines Vaters: »Wenn du mit dir selbst zufrieden bist, wirst du auch unser in Liebe gedenken und wir werden regelmäßig von dir hören. Du darfst es mir nicht verübeln, wenn ich langes Schweigen deinerseits als einen Beweis dafür ansehe, daß du deine anderen Pflichten in gleicher Weise vernachlässigst.«

Ich konnte mir also gar nicht im Zweifel darüber sein, was mein Vater von mir denken mußte; aber mein Werk hatte mich, so widerlich es an sich war, dermaßen gepackt, daß ich mich nicht mehr losreißen konnte. Ich wollte deshalb alles, was mit Aufmerksamkeit für andere zusammenhing, hinausschieben, bis der große Wurf gelungen wäre.

Ich zieh meinen Vater damals der Ungerechtigkeit, daß er mir Nachlässigkeit vorwarf; aber heute weiß ich gewiß, daß er recht hatte, wenn er mich nicht von Schuld freisprach. Ein vollkommener Mensch muß sich immer die Seele ruhig und friedvoll erhalten und darf keiner Leidenschaft auch keinem vorübergehenden Begehren gestatten, ihn zu verwirren. Ich wage nicht zu behaupten, daß wissenschaftlicher Eifer eine Ausnahme bedinge. Wenn das Studium, dem man sich widmet, die Gefühle der Liebe und Dankbarkeit vernichtet und den Sinn für einfache Freuden tötet, dann ist es sicher nicht nützlich für den menschlichen Geist. Wenn diese Regel immer beachtet worden wäre, dann wäre Griechenland nicht unterjocht worden, Cäsar hätte sein Vaterland verschont und die alten, mächtigen Reiche in Mexiko und Peru wären nicht untergegangen.

Aber eben merke ich, daß ich mitten im interessantesten Teil meiner Erzählung zu philosophieren beginne. Ihre Augen mahnen mich fortzufahren.

Mein Vater machte mir in seinen Briefen keine Vorwürfe wegen meines Schweigens und bekundete nur dadurch sein Interesse daran, daß er sich eingehender als bisher um meine Studien kümmerte. Winter, Frühling und Sommer waren über meiner Arbeit dahingeflossen; aber ich beachtete nicht das Blühen und Sprießen. Früher hatten diese Erscheinungen mich stets mit der größten Freude erfüllt, so tief war ich in meine Ideen vergraben. Und die Blätter wurden welk, noch ehe mein Werk vollendet dastand; aber jeder Tag ließ mich jetzt einen Fortschritt erkennen. Nur war mein Eifer einigermaßen mit Angst gemischt. Ich hatte Gefühle, wie sie ein Sklave hegen muß, der in den Minen zu arbeiten gezwungen wird, nicht aber wie ein Künstler, der sein Lebenswerk schafft. Jede Nacht fieberte ich und wurde entsetzlich nervös; ein Knarren in der Diele ließ mich zusammenfahren und an den Menschen schlich ich vorbei, als hätte ich ein schweres Verbrechen auf dem Gewissen. Und wenn ich mich im Spiegel ansah, erschrak ich über mein Aussehen; nur der eiserne Wille hielt mich noch aufrecht, mein Ziel zu erreichen. Nun war es bald zu Ende und ich konnte dann durch körperliche Übungen und Vergnügungen dem drohenden Unheil Einhalt tun; und das versprach ich mir, wenn ich nur erst meine Schöpfung vollendet haben würde.

5. Kapitel

Es war eine trostlose Novembernacht, als ich mein Werk fertig vor mir liegen sah. Mit einer Erregung, die fast einer Todesangst glich, machte ich mich daran, dem leblosen Dinge den lebendigen Odem einzublasen. Es war schon ein Uhr morgens. Der Regen klatschte heftig an die Fensterscheiben, als ich beim Scheine meiner fast ganz herabgebrannten Kerze das trübe Auge der Kreatur sich öffnen sah. Ein tiefer Atemzug dehnte die Brust und die Glieder zuckten krampfhaft.

Wie könnte ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, und das Ungetüm schildern, das ich da mit so viel Mühe und Fleiß geschaffen? Seine Glieder waren proportioniert und seine Züge hatte ich möglichst schön gemacht. Schön! Großer Gott! Seine gelbliche Haut genügte kaum, um das Geflecht von Muskeln und Adern zu decken; sein Haar war glänzend schwarz und lang; seine Zähne wie Perlen. Aber das alles bildete nur einen um so auffallenderen Gegensatz zu den wässerigen Augen, die sich von den Augenhöhlen kaum abhoben, der faltigen Haut und den schwärzlichen, schmalen Lippen.

Nichts ist flüchtiger als die menschlichen Gefühle. Nahezu zwei Jahre hatte ich gearbeitet, nur um etwas zu schaffen, dem ich Leben einflößen könnte. Dazu hatte ich mich also meiner Ruhe und Gesundheit beraubt! Mit der ganzen Glut meines Herzens hatte ich mich nach der Vollendung gesehnt, und nun war die Schönheit des Traumes verblichen, unsäglicher Schrecken und Ekel erfüllten mich. Unfähig, den Anblick meines Geschöpfes noch länger zu ertragen, rannte ich aus dem Laboratorium und in mein Schlafzimmer, wo ich auf- und abging, da ich keine Ruhe finden konnte. Schließlich aber kam doch eine entsetzliche Müdigkeit über mich und ich warf mich auf mein Lager, vollkommen angekleidet, und hoffte auf einige Zeit Vergessenheit zu finden. Es war umsonst! Wohl schlief ich, aber die furchtbarsten Träume quälten und ängstigten mich. Mir war, als sähe ich Elisabeth in der Blüte ihrer Jugend und Gesundheit in den Straßen von Ingolstadt dahinschreiten. Überrascht und erfreut eilte ich ihr nach und schloß sie in die Arme. Aber kaum hatte ich ihr den ersten Kuß auf die Lippen gedrückt, als sie fahl wurde wie eine Tote; ihre Züge veränderten sich und ich hielt den Leichnam meiner Mutter in den Armen. Ein Leichentuch umhüllte sie, in dessen Falten ekle Würmer krochen. Ich fuhr entsetzt auf; kalter Schweiß rann mir über die Stirn, meine Zähne klapperten und meine Glieder zitterten. Und da – da stand im bleichen, gelblichen Lichte des Mondes, das durch die Fenstervorhänge drang, das Ungeheuer, das ich geschaffen. Es hielt den Bettvorhang mit einer Hand zurück und stierte mich mit seinen Augen an, wenn man überhaupt von Augen reden kann. Es öffnete seine Kinnladen und stieß einige unartikulierte Laute aus, während sich die Haut seiner Wangen unter einem häßlichen Grinsen runzelte. Ob es gesprochen hat, kann ich nicht sagen, denn ich hörte es nicht, weil ich davonrannte, als es die Hand nach mir ausstreckte, und die Treppe hinuntereilte. Ich suchte Zuflucht im Hofe des von mir bewohnten Hauses. Dort ging ich bis zum Morgen auf und nieder, aufs tiefste erregt, und lauschte auf jeden Laut, der sich aus dem Hause vernehmen ließ. Mir war es, als müßte der häßliche Dämon nahen, dem ich so leichtsinniger Weise Leben verliehen hatte.

O, kein Sterblicher hätte ohne Grauen den Anblick dieses Gesichtes ertragen können. Eine Mumie, die lebendig geworden, konnte nicht so abscheulich sein als dieses Unding. Ich hatte es betrachtet, als es noch nicht vollendet war. Es war schon damals überaus häßlich, aber als diese Muskeln und Gelenke sich zu bewegen begannen, sah ich, daß ich etwas geschaffen, das sich Dantes Phantasie nicht grausiger hätte vorstellen können.

Es war eine Nacht, die ich mein Leben lang nicht vergesse. Zuweilen pochte mein Puls so rasch und heftig, daß ich fühlte, wie sich jede Ader anspannte; und dann war es mir, als müsse ich zu Boden sinken vor Schwäche und Elend. Es war aber nicht nur das Entsetzen, es war auch die bitterste Enttäuschung, was mich so niederdrückte. Die Träume, die ich so lange genährt, die meine Freude gewesen, wurden mir nun zu Höllenqualen; der Wechsel war zu rasch, zu überwältigend.

Endlich kam der Morgen heran, trüb und feucht, und mit meinen schmerzenden Augen konnte ich auf dem Kirchturm erkennen, daß es eben sechs Uhr war. Der Türhüter öffnete das Tor des Hofes, der diese Nacht meine Zuflucht gewesen, und ich eilte auf die Straße hinaus. Mit raschen Schritten ging ich in der Stadt herum und war in steter Furcht, daß mir an der nächsten Ecke das Ungeheuer entgegenkommen könnte, dem ich zu entfliehen wünschte. Ich wagte nicht heimzugehen, sondern irrte umher, trotzdem mich der Regen, der von dem grauen, trostlosen Himmel unaufhörlich herniederfloß, schon bis auf die Haut durchnäßt hatte.

Lange setzte ich meinen Spaziergang fort und meinte, durch die rasche Bewegung des drückenden Gefühles ledig zu werden, das auf meiner Seele lastete. Straße um Straße durchwanderte ich, ohne mir klar zu werden, wo ich war und was ich wollte. Mein Herz klopfte in entsetzlicher Furcht und ich eilte dahin, ohne mich umzusehen.

Plötzlich befand ich mich der Herberge gegenüber, vor der die Post und die Reisewagen zu halten pflegten. Ich hielt in meinem Laufe inne, ich weiß nicht warum. Aber ich stand so einige Zeit und hatte die Augen starr auf einen Wagen gerichtet, der gerade vom anderen Ende der Stadt herankam. Als er sich genähert hatte, erkannte ich, daß es die Schweizer Post war. Sie hielt gerade vor mir. Als die Tür geöffnet wurde bemerkte ich im Innern Henry Clerval, der sofort heraussprang und auf mich zueilte. »Lieber, lieber Frankenstein,« rief er, »wie froh bin ich, dich zu sehen! Welch schöner Zufall, daß du jetzt gerade da bist, wo ich ankomme.«

Ich empfand eine unbeschreibliche Freude über die Ankunft Clervals und bei seinem Anblick mußte ich meines Vaters, meiner Elisabeth und meiner Heimat gedenken. Ich ergriff seine Hand und vergaß all mein Elend und Unglück; ich fühlte das erste Mal seit Monaten wieder eine ruhige, ernste Freude. Ich war deshalb imstande, meinen Freund in der herzlichsten Weise zu begrüßen und ihn zu meiner Wohnung zu führen. Clerval erzählte mir von unseren gemeinsamen Freunden und von seiner Freude, daß es ihm nun auch vergönnt sei, nach Ingolstadt zu kommen. »Du kannst dir leicht vorstellen,« sagte er, »welche Schwierigkeiten es kostete, meinen Vater zu überzeugen, daß mit der Kenntnis der Buchführung noch nicht alles Wissen erschöpft sei. Ich bin mir auch heute noch nicht klar, ob er es wirklich eingesehen hat, denn seine ständige Antwort auf meine immerwährenden flehendlichen Bitten war das, was der holländische Schulmeister im »Vikar von Wakefield« sagt: »Ich habe zehntausend Gulden im Jahr und das Essen schmeckt mir ausgezeichnet, ohne daß ich Griechisch kann.« Aber schließlich besiegte die Liebe zu mir doch seine Abneigung gegen die Wissenschaft und er erlaubte mir dann, eine Entdeckungsreise ins Land des Geistes zu wagen.«

»Es freut mich herzlich, dich wiederzusehen, aber nun sage mir auch, wie geht es Vater, wie geht es meinen Brüdern und Elisabeth?«

»Sie sind gesund und zufrieden, nur machen sie sich Sorge, weil du so selten etwas von dir hast hören lassen. Übrigens habe ich vor, dir deswegen noch die Leviten zu lesen. Aber, lieber Frankenstein,« fuhr er fort, nachdem er kurz sein Gespräch abgebrochen und mir gerade ins Gesicht gesehen hatte, »es ist mir eben jetzt erst aufgefallen, wie elend du aussiehst. So schmal und blaß, man könnte meinen, du hättest ein paar Nächte durchschwärmt.«

»Du kannst recht haben! Ich bin seit einiger Zeit so angestrengt tätig gewesen, daß ich nicht zur Ruhe kam. Aber ich hoffe zuversichtlich, daß all das nun vorüber ist und ich endlich wieder mein eigener Herr bin.«

Ich zitterte am ganzen Leibe und war nicht imstande, an die Erlebnisse der vergangenen Nacht zu denken, geschweige denn von ihnen zu erzählen. Ich schlug ein rasches Tempo ein und bald hatten wir mein Haus erreicht. Ich überlegte und schauderte bei dem Gedanken, daß die Kreatur, die ich in meinem Zimmer zurückgelassen, immer noch dort sein könnte. Ich fürchtete mich, das Ungeheuer wieder zu erblicken, noch mehr aber fürchtete ich, Henry könnte es sehen. Ich bat ihn also, einige Augenblicke am Fuße der Treppe zu warten, und tastete mich durch das dunkle Treppenhaus hinauf zu meinem Zimmer. Erst als ich die Hand auf den Türdrücker legte, kam ich wieder zu mir und kalt lief es mir über den Rücken. Ich stieß die Tür mit raschem Rucke auf, wie es Kinder tun, die in ein Zimmer gehen sollen und erwarten, dort ein Gespenst stehen zu sehen. Aber keine Spur von dem Gefürchteten. Ich sprang förmlich in die Wohnung hinein, doch Wohnzimmer und Schlafzimmer waren leer; der unheimliche Geselle war fort. Ich konnte es gar nicht fassen, daß mir ein solch ungeheures Glück beschieden sein sollte. Aber nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mein Feind wirklich geflohen war, klatschte ich vor Freude in die Hände und eilte hinunter zu Clerval.

Ich nahm ihn dann mit herauf und das Mädchen brachte sofort das Frühstück. Ich war jedoch unfähig, mich einen Augenblick still zu halten; mein ganzer Körper vibrierte vor Erregung und mein Puls hämmerte wie rasend. Ich sprang über die Stühle, klatschte mit den Händen und lachte laut und übertrieben. Clerval schrieb das alles anfänglich der Freude des Wiedersehens zu. Bei näherer Beobachtung aber mochte er in meinen Augen einen wilden Fieberglanz entdeckt haben, den er sich nicht erklären konnte. Auch mein lautes, rücksichtsloses, herzloses Lachen war ihm vielleicht aufgefallen und hatte ihm Sorge eingeflößt.

»Was hast du denn nur, lieber Viktor, was hast du denn?« rief er. »Lache doch nicht so häßlich. Wie miserabel du aussiehst. Was ist da Schuld daran?«

»Frage mich nicht,« schrie ich, indem ich die Hände vor das Gesicht schlug, denn es war mir gerade gewesen, als wäre das gefürchtete Gespenst lautlos ins Zimmer gehuscht. » Er kann es dir sagen – rette mich, rette mich vor ihm!« Ich meinte zu fühlen, wie das Ungeheuer nach mir griff; ich schlug wie wütend um mich und brach dann ohnmächtig zusammen.

Armer Clerval! Was mußt du ausgestanden haben? Er hatte sich so innig auf ein Wiedersehen gefreut, und so mußte es enden! Aber ich konnte ja seinen Gram nicht sehen, denn ich war bewußtlos und kam lange, lange nicht mehr zu mir.

Mit diesem Zwischenfall hatte ein heftiges Nervenfieber seinen Anfang genommen, das mich monatelang ans Bett fesselte. Während dieser Zeit hatte Henry ganz allein meine Pflege übernommen. Später erfuhr ich, daß er meinen Lieben in der Heimat die ganze Gefährlichkeit meiner Krankheit verschwiegen hatte, weil er wußte, daß mein Vater schon zu alt war, um die lange Reise zu machen, und daß Elisabeth sich zu Tode gehärmt hätte. Da er überzeugt war, daß niemand imstande wäre, mich aufopfernder und aufmerksamer zu pflegen als er, und fest an meine Wiederherstellung glaubte, wagte er es, die Verantwortung zu übernehmen und so den Meinen einen Liebesdienst zu erweisen.

Ich war wirklich sehr elend daran, und sicherlich hat mich nur die unausgesetzte, hingebende Pflege meines Freundes vom Tode errettet. Das Ungetüm, dem ich das Leben gegeben, schwebte mir immer vor und in meinen Fieberphantasten spielte es die Hauptrolle. Henry wußte sich anfangs meine Reden nicht zu deuten und hielt sie jedenfalls für die Produkte eines fieberglühenden Gehirns. Da sich aber dieselben Szenen immer wiederholten und meine Gedanken immer auf denselben Punkt zurückkehrten, wurde er sich doch klar, daß irgend ein seltsames, schreckliches Ereignis zu meiner Erkrankung den Anlaß gegeben haben mußte.

Sehr langsam schritt meine Genesung vorwärts, immer wieder aufgehalten durch Rückfälle, die meinem Freunde viel Gram und Sorge verursachten. Ich erinnere mich noch genau des Augenblickes, da ich zum ersten Male wieder Dinge wahrnahm, die mich umgaben; wie ich mich darüber freute, daß die gefallenen Blätter nun nicht mehr zu sehen waren, sondern daß die Knospen an den Bäumen vor meinem Fenster aufsprangen. Es war ein wunderschöner Frühling, der zu meiner Gesundung ein gut Teil beitrug. Ich empfand, wie sich Gefühle der Liebe und Freude wieder in meiner Brust zu regen begannen. Allmählich wich der Alb von mir, der mich so bedrückt hatte, und nach kurzer Zeit war ich so froh wie damals, als mich jene unselige Leidenschaft noch nicht gepackt hatte.

»Teurer Clerval,« sagte ich, »wie gut und edel du bist! Diesen ganzen Winter hast du mir geopfert statt zu studieren. Wie soll ich das je heimzahlen? Ich mache mir bittere Vorwürfe, denn ich war ja die Ursache, und bitte dich mir zu verzeihen.«

»Ich will nichts, als daß du dich nicht aufregst und möglichst bald gesund wirst; und da du dich gerade in so guter Laune befindest, darf ich doch etwas mit dir besprechen?«

Ich zitterte. Etwas! Was konnte das sein. Vielleicht dies Etwas, an das ich gar nicht zu denken wagte?

»Rege dich nicht auf,« sagte Clerval, der bemerkt hatte, wie ich blaß wurde, »wenn es dich quält, will ich nicht weiter davon reden. Aber ich wollte nur sagen, daß dein Vater und Elisabeth glücklich sein würden, wenn sie endlich einmal wieder einen Brief von deiner eigenen Hand erhielten. Sie wissen ja nicht, wie krank du warst, und dürften sich deinetwegen ängstigen.«

»Ist das alles, lieber Clerval? Glaubst du nicht, daß meine Gedanken zu denen fliegen, die ich liebe und die meine Liebe wirklich verdienen?«

»Nun denn, mein Freund, dann wird es dir jedenfalls auch Freude machen, diesen Brief zu öffnen, der seit einigen Tagen hier liegt und auf dich wartet. Er ist von Elisabeth, wenn ich nicht irre.«

24. Kapitel

Ich war meiner selbst nicht mehr mächtig. Ich hatte nicht Ruhe, nicht Rast. Der Gedanke, mich zu rächen, erfüllte mich mit Mut und Tatkraft und gab meinem Sinnen die Richtung; er allein ließ mich gefaßt und überlegend erscheinen.

Vor allem mußte ich Genf verlassen, das stand fest. Das Land, das ich in Zeiten des Glücks und des Friedens so heiß geliebt, war mir nun in meinem Jammer verhaßt. Ich nahm eine Summe Geldes und einige Wertsachen, die meiner Mutter gehört hatten, zu mir und reiste ab.

Und nun begann meine Wanderschaft, die erst mit meinem Leben zu Ende gehen wird. Ich habe weite Erdstriche durchzogen und alle Leiden erduldet, die jeder zu ertragen hat, der Wüsten und unbewohnte Länder durchreist. Wie ich gelebt habe, weiß ich heute nicht mehr. Oftmals habe ich meine müden Glieder im Wüstensand gebettet und Gott angefleht, daß er mich zu sich nehme. Aber immer wieder trieb mich der Rachedurst auf und weiter. Ich durfte nicht leben und meinen Feind auf der Erde zurücklassen.

Als ich Genf verließ, war es mein erstes, Anhaltspunkte zu suchen, wohin sich der Dämon gewendet haben könnte. Aber ich hatte keinen Erfolg. Viele, viele Stunden streifte ich in der Umgebung der Stadt umher, unentschlossen, welchen Weg ich gehen sollte. Am Abend stand ich am Eingang des Friedhofes, wo Wilhelm, Elisabeth und mein Vater ruhten. Ich trat ein und näherte mich ihrem Grabstein. Alles war still, nur die Blätter der Bäume flüsterten im Winde. Es war schon sehr dunkel. Die Geister der Verstorbenen schienen sich aus den Grüften erhoben zu haben und unsichtbar, aber wohl fühlbar, das Haupt des einsam Trauernden zu umschweben.

Die tiefe Ergriffenheit wich bald heftigem Zorn und furchtbarer Verzweiflung. Sie waren tot, die da unten schliefen, und ich lebte noch. Aber auch den Mörder trug noch die Erde, und nur, um ihn zu vernichten, mußte ich mein Leben weitertragen. Ich kniete vor dem Hügel nieder, küßte die heilige Erde und rief mit bebenden Lippen: »Bei dem geweihten Boden, auf dem ich kniee, bei den geliebten Schatten, die mich umschweben, bei meinem ewigen, tiefen Leide schwöre ich, und bei dir, du stille Nacht: ich will den Dämon verfolgen und nicht rasten, bis einer von uns beiden im erbitterten Kampfe fällt. Darum allein will ich mein Leben erhalten; und nur um der Rache willen werde ich noch das Licht der Sonne schauen. Und ich rufe euch, selige Geister, und euch, ihr geheimnisvollen Diener der Rache, helft mir und unterstützt mich in meinem schweren Werke. Das verfluchte, höllische Ungeheuer soll in Todesnot röcheln und Verzweiflung soll es erdrücken; eine tiefere Verzweiflung, als sie je mich marterte.«

Feierlich war mir zu Mute nach diesem Schwur und ich wußte, daß die Schatten der Gemordeten ihn gehört hatten.

Durch die Nacht aber erscholl ein grelles, höhnisches Lachen, laut und schrill, daß es an den Bergwänden widerhallte. Als es dann wieder ruhig wurde, vernahm ich die wohlbekannte, verhaßte Stimme nahe an meinem Ohr: »Ich bin nun zufrieden, elender Zwerg. Du kannst weiterleben, wenn du willst, aber ich bin zufrieden.«

Rasend vor Wut sprang ich auf die Stelle zu, von der her die Stimme ertönte; blitzschnell jedoch hatte sich der Unhold meinem Griffe entwunden. Im Scheine des Vollmondes, der sich gerade über den Horizont erhob, erkannte ich die gespenstische, gräuliche Gestalt, wie sie in übernatürlicher Geschwindigkeit dahinfloh.

Ich verfolgte ihn, und seit Monaten nun ist das mein Zweck und Ziel. In den Windungen der Rhone entlang ging sein Weg und ich war ihm auf den Fersen. Bald leuchtete mir das tiefe Blau des Mittelmeeres entgegen und durch einen seltsamen Zufall entdeckte ich meinen Feind, wie er sich gerade auf ein Schiff begab und sich dort versteckte. Das Schiff sollte nach dem Schwarzen Meer in See gehen. Trotzdem ich mit dem gleichen Schiffe fuhr, entkam er mir doch auf rätselhafte Weise.

Durch die Wildnisse der Tartarei und Rußlands führte seine Spur, der ich unermüdlich folgte. Manchmal zeigten mir Landleute, noch erschreckt von seiner Häßlichkeit, den Weg, der er gegangen. Zuweilen aber hinterließ er selbst absichtlich ein Zeichen, vielleicht weil er befürchtete, ich könnte die Jagd aufgeben und mich zum Sterben niederlegen. Als dann dichter Schnee niederfiel und die Erde verhüllte, konnte ich leicht die ungefügen Fußstapfen des Fliehenden erkennen.

Sie treten ja erst ins Leben ein, und Sorge und Leid ist Ihnen fremd; daher werden Sie auch kaum verstehen, was ich fühlte und heute noch fühle. Kälte, Entbehrungen und Erschöpfung waren meine geringsten Leiden; ich war einem bösen Geiste verfallen und trug eine Hölle in meiner Brust. Aber auch gute Engel schwebten um mich und meine Wege. Und gerade, wenn ich am meisten murrte, halfen sie mir über die scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten hinweg. Oftmals, wenn ich von Hunger gepeinigt niedersinken wollte, ward mir in der Wüste eine Mahlzeit bereitet, die mich stärkte und erfrischte. Einfach war sie ja, so wie sie eben die Landleute essen; aber ich hege keinen Zweifel, daß dabei die guten Geister ihre Hand im Spiele hatten, deren Hilfe ich angerufen. Und wenn alles trocken, der Himmel wolkenlos war, dann erschien auf mein heißes Flehen eine kleine Wolke, erfrischte mich mit ihrem Naß und zerfloß wieder.

Wenn irgend möglich, hielt ich mich am Ufer von Flüssen; aber gerade diese vermied der Dämon, weil sich hier die Bevölkerung dichter angesiedelt hatte. Die Wege, die er suchte, führten fernab von menschlichen Wohnstätten. Die Tiere des Waldes und des Feldes, die meine Pfade kreuzten, mußten mir dazu dienen, mein Leben zu fristen. Ich hatte Geld bei mir und gewann mir das Zutrauen der wenigen Menschen, die mir begegneten, durch meine Freigebigkeit. Oftmals auch verfuhr ich in der Weise, daß ich getötetes Wild, nachdem ich meine kleine Portion davon genossen, denen überließ, die mir Herd und Obdach gewährt hatten.

Es war wirklich ein elendes Dasein, das ich da fristete, und nur im Schlafe empfand ich zuweilen noch etwas wie Glück. Gesegneter Schlaf! Wenn ich auch noch so elend war, brauchte ich mich nur zur Ruhe zu legen, um in glücklicheren Sphären zu schweben. Die Schatten meiner Lieben waren es sicherlich, die mir diese glücklichen Augenblicke, oder besser gesagt Stunden, verschafften, damit ich aus ihnen die Kraft schöpfte, die ich zur Durchführung meiner Absicht bedurfte. Wäre mir dieser Trost versagt geblieben, ich wäre sicher unter den unsäglichen Mühsalen zusammengebrochen. Den ganzen Tag schon freute ich mich auf die Nacht, denn dann sah ich wieder mein Weib und meine teure Heimat und das liebe Gesicht meines Vaters. Ich hörte die silberne Stimme meiner Elisabeth und sah meinen Freund Clerval in seiner ganzen Kraft bei mir. Oftmals redete ich mir ein, daß die Mühsale, die ich unterwegs ertrug, nur ein schwerer Traum, die Gesichte der Nacht aber freundliche Wirklichkeit seien. In solchen Momenten erstarb die Rachsucht fast ganz in meinem Herzen und ich folgte dem mir gewiesenen Pfade mehr wie einem mir von oben gegebenen unbewußten Impulse, als einem inneren Bedürfnis.

Was der empfand, den ich verfolgte, weiß ich nicht. Mehreremale fand ich Inschriften von ihm auf Baumrinden oder Steinen, die mir den Weg wiesen und meine Wut von neuem anstachelten. »Meine Herrschaft ist noch nicht vorüber«, so las ich z. B. einmal auf einem Felsblock, »du lebst, und das ist es, was ich will. Komm; ich gehe zu den Regionen des ewigen Eises, wo du unter dem furchtbaren Frost leiden wirst, gegen den ich unempfindlich bin. Du wirst nicht weit von hier einen toten Hasen finden, aber beeile dich; iß ihn, und du wirst dich wieder neu gestärkt fühlen. Komm, mein Feind, wir haben noch um unser Leben zu würfeln, aber noch viel Schmerz und Trübsal wird dir bis dahin zuteil werden.«

Spöttischer Teufel! Wieder schwor ich mir, mein Rachewerk nicht aufzugeben, sondern meinen Peiniger einem grausamen Tode zu überliefern. Lieber wollte ich zu Grunde gehen als meinen Plan aufgeben. Mit welcher Freude werde ich mich mit denen vereinigen, die mir im Tode vorausgegangen waren, und mich entschädigen für all das Leid meines Lebens und die Qualen meiner letzten Fahrt!

Je weiter ich nach Norden kam, desto tiefer wurde der Schnee, desto schärfer die Kälte, sodaß ich oft nicht mehr glaubte sie ertragen zu können. Die wenigen Bewohner dieser Landstriche hielten sich in ihren Hütten verborgen, und nur die kühnsten von ihnen wagten es dem Froste zu trotzen, um das Wild zu fangen, das, von der Kälte erstarrt aus seinen Schlupfwinkeln kam, um Futter zu suchen. Die Flüsse waren von einer festen Eisdecke überspannt, und Fische, von denen ich sonst zum größten Teil lebte, waren nicht zu haben.

Je größer die Mühseligkeiten wurden, die ich zu überwinden hatte, desto lauter triumphierte mein Feind. Eine seiner Inschriften lautete: »Mache dich auf Schweres gefaßt; deine Leiden beginnen ja jetzt erst. Hülle dich vorsorglich in Pelze und sorge, daß dir die Vorräte nicht ausgehen; denn bald kommen wir in Landstriche, wo du so Furchtbares zu dulden haben wirst, daß selbst meine unauslöschliche Rachsucht zufriedengestellt sein wird.«

Durch diese höhnischen Aufforderungen wurde mein Mut und meine Ausdauer immer wieder neu belebt. Ich bat den Himmel um Kraft und durchzog die unendlichen Ebenen, bis der Ozean am Horizont erschien wie eine graue Barriere. O wie anders ist doch das Meer, das im Süden blaut! Mit Eis bedeckt, unterschied es sich vom festen Land nur durch seine Zerrissenheit und Wildheit. Die Griechen weinten einst vor Freude, als sie von der Höhe des Gebirges aus das Mittelmeer erblickten, und jubelten, weil endlich ihre Mühsalen zu Ende gingen. Ich weinte nicht, aber ich sank auf die Kniee und dankte meinem guten Geiste, daß er mich so weit geführt, meinem Feinde zum Trotz, den ich nun bald fassen und niederringen durfte.

Schon einige Wochen war es her, daß ich mir einen Schlitten und Hunde angeschafft hatte, mit denen ich in fliegender Hast die Schneewüsten durchquerte. Ich weiß nicht, ob mein Feind sich derselben Mittel bediente; aber wenn ich bisher immer weiter hinter ihm zurückgeblieben war, so kam ich ihm jetzt doch wieder näher. Als ich den Ozean schaute, war er mir mehr als eine Tagesreise voraus, und ich hoffte, mit ihm zugleich den Strand zu erreichen. Ich spannte deshalb alle meine Kräfte an und kam nach zwei Tagen an einen einsamen Weiler in der Nähe der Küste. Ich fragte die Bewohner nach dem, den ich verfolgte, und erhielt genaue Auskunft. Ein gigantisches Ungeheuer, erzählten sie mir, sei in der vorhergehenden Nacht angekommen. Es sei mit einer Flinte und Pistolen bewaffnet gewesen und habe durch sein schreckliches Aussehen alle in Furcht versetzt, sodaß sie aus ihren einsamen Hütten flohen. Er hatte ihnen ihre ganzen Wintervorräte weggenommen und sie auf einen Schlitten verladen, der mit einer Menge Hunde bespannt war. In der gleichen Nacht sei er dann zur Freude der geängstigten Bewohner in das zugefrorene Meer hinausgefahren, und zwar in einer Richtung, in der kein Land lag. Sie seien der Ansicht, daß er von den berstenden Schollen verschlungen werden oder in der grimmigen Kälte zu Grunde gehen müsse.

Als ich das vernahm, packte mich, wenn auch nur einen Moment lang, die Verzweiflung. Er war mir entwischt und eine endlose Jagd durch die Eisschollen des Meeres stand mir bevor, die sicherlich meinen Tod herbeiführen mußte, denn ich, als Kind eines freundlichen, sonnigen Landes, durfte nicht hoffen, der Kälte Trotz bieten zu können, die selbst jene rauhen Menschen, die diese Gegenden als Pelzjäger aufsuchten, nur kurze Zeit zu ertragen vermochten. Aber der Gedanke, daß mein Feind noch lebte, brachte jedes Bedenken zum Schweigen. Nach einer knappbemessenen Ruhepause machte ich mich wieder auf den Weg, nachdem ich meinen Landschlitten mit einem für die Fahrt über Eis mehr geeigneten vertauscht und mich mit hinreichenden Vorräten versehen hatte.

Wie lange ich seitdem unterwegs bin, weiß ich nicht. Aber die furchtbaren Mühseligkeiten hielt ich nur aus, weil mich der Gedanke an die baldige Rache aufpeitschte. Ungeheure Eisberge versperrten mir oftmals den Weg und unter mir rauschte das Wasser des Ozeans, das mich zu verschlingen drohte. Aber der Frost hielt sie in Banden, sodaß ich sicher darüber hinwegglitt.

Nach dem Verbrauch an Lebensmitteln zu urteilen, war ich etwa drei Wochen unterwegs, und die Verlängerung meiner Qualen preßte mir manchmal heiße Tränen aus den Augen. Ich begann schon die Hoffnung aufzugeben, meine einzige Stütze in all dem Elend. Eines Tages hatten meine treuen Tiere eben den Schlitten einen steilen Abhang hinaufgezogen; eines von ihnen war dann tot zusammengebrochen und ich starrte hinaus in die endlose Weite. Da plötzlich sah ich am dämmerigen Horizont einen dunklen Fleck, der sich rasch vorwärts bewegte. Ich strengte meine Augen an und stieß dann einen wilden Freudenschrei aus. Ich hatte einen Schlitten erkannt und in ihm die mir so wohlbekannte, verhaßte Ungestalt. Wie ein Sonnenstrahl drang es in mein Herz. Heiße Tropfen rannen mir aus den Augen, die ich hastig wegwischte, damit sie mir den Ausblick nach meinem Feind hin nicht verschleierten. Aber immer wieder wurden mir die Augen feucht und schließlich konnte ich mich nicht mehr halten und weinte laut.

Aber jede Minute war kostbar. Ich befreite die Hunde von ihrem toten Genossen und gab ihnen reichlich Futter; und nach einer Stunde Rast, die uns so bitter not tat und doch so verderblich sein sollte, setzte ich die Jagd fort. Der Schlitten war immer noch sichtbar und ich verlor ihn nicht aus den Augen, außer wenn er gerade einmal hinter einer der hohen Eisschollen verschwand. Ich gewann sichtlich an Terrain, und als ich nach weiteren zwei Tagen meinen Feind nur mehr eine Meile von mir entfernt erblickte, jubelte ich.

Aber jetzt, da ich meinte, nur die Hand nach ihm ausstrecken zu müssen, wurden meine Hoffnungen plötzlich vollkommen vereitelt und ich verlor die Spur des Dämons gründlicher als je zuvor. Ich vernahm das gewaltige Brüllen der See unter mir, das immer mehr anschwoll. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, und setzte die letzten Kräfte meiner Tiere ein. Aber vergebens! Ein starker Wind erhob sich, die Eisfläche zitterte wie unter einer mächtigen Erschütterung und mit einem grellen, lauten Klang barst die blendende Fläche. Und wenige Minuten später rollten dunkle Wogen zwischen mir und meinem Feinde. Ich trieb auf einem losgerissenen Eisstück, das zusehends kleiner wurde, davon und machte mich auf mein baldiges grausiges Ende gefaßt.

Schlimme Stunden habe ich da verlebt. Mehrere von meinen Hunden erlagen der grimmigen Kälte und auch ich selbst gab langsam die Hoffnung auf. Plötzlich sah ich Ihr Schiff, das davor Anker lag. Neuer Lebensmut rieselte mir durch die Adern und zugleich dachte ich freudig daran, daß ich mit Ihrer Hülfe vielleicht mein Werk zu Ende führen können würde. Ich hatte ja nie daran gedacht, daß ich so hoch da oben einem Schiff begegnen könnte. Schnell zerschlug ich meinen Schlitten und konstruierte mir ein paar Ruder, mit deren Hilfe ich meine Eisscholle dem Kutter entgegensteuerte. Ich hatte mir aber fest vorgenommen, falls Sie nach Süden abfahren sollten, mich wieder dem Eise anzuvertrauen und keinesfalls meinen Plan aufzugeben. Ich hegte die Hoffnung, daß Sie mir ein Boot zur Verfügung stellen würden, in dem ich die Verfolgung meines Peinigers wieder aufnehmen könnte. Aber Sie fuhren nach Norden, und hier gehe ich meinem Ende entgegen, das ich nur fürchte, weil meine Aufgabe noch nicht erfüllt ist.

Wann wird wohl mein guter Engel mich zur Ruhe betten, der ich so sehr bedarf, wenn ich meinen Dämon vernichtet habe; oder soll ich sterben, wenn er noch lebt? Wenn das eintreten sollte, so schwören Sie mir, Walton, daß Sie die Verfolgung aufnehmen und ihn nicht lebend entkommen lassen. Rächen Sie mich an ihm! Und dennoch, darf ich es Ihnen denn zumuten, das alles zu erdulden, was ich erduldet? Nein! Aber ich bitte Sie, wenn ich tot bin und er kreuzt irgendwo Ihre Wege, geleitet von den Geistern der Rache, ihn zu töten; schwören Sie mir das! Er soll nicht triumphieren über mein Weh und seinen Schandtaten noch neue hinzufügen. Er ist beredsam und seine Worte sind einschmeichelnd; sie hatten ja einst sogar mich betört. Aber trauen Sie ihm nicht; seine Seele ist ebenso häßlich wie sein Leib, voll von Bosheit und fanatischer Tücke. Hören Sie nicht auf ihn; nennen Sie die Namen: Wilhelm, Justine, Clerval, Elisabeth, meines Vaters und den des armen Viktor, und stoßen Sie ihm dann Ihren Degen in die Brust. Mein Geist wird in Ihrer Nähe sein und Ihnen die Klinge führen.

*

26. August 17..

Du hast diesen seltsamen und furchtbaren Bericht gelesen, und fühlst Du nicht Dein Blut erstarren? Oftmals ergriff den Erzähler die Todesangst, sodaß er aufhören mußte. Dann fuhr er wieder fort mit bebender Stimme das Weh zu schildern, das sein Teil geworden auf Erden. Bald glühten seine schönen Augen vor Zorn, bald wurden sie trüb oder schwammen in Tränen, wenn er so seine Hoffnungslosigkeit und sein Elend schilderte. Zumeist war er Herr seiner Stimme und seiner Geberden; manchmal aber kam doch seine Wut zum Ausbruch und er schleuderte mit den Ausdrucke des wildesten Hasses furchtbare Verwünschungen gegen seinen Feind.

Die Geschichte ist zusammenhängend und wurde mit aller Schlichtheit, wie sie nur der Wahrheit innewohnt, erzählt. Ich gestehe Dir aber, daß mir die Briefe von Felix und Safie und der Anblick des Ungeheuers, das wir ja vom Schiffe aus gesehen hatten, mehr für die Wahrheit bewiesen als alle seine Beteuerungen, denen ich unter anderen Umständen ohne weiteres Vertrauen geschenkt hätte. Also ein solches Ungeheuer trug wirklich die Erde? Ich kann nicht mehr daran zweifeln. Aber staunen muß ich darüber. Oftmals versuchte ich, von Frankenstein Details über seine Entdeckung zu erfahren, aber in dieser Hinsicht war er unerbittlich.

»Sie sind ja wahnsinnig, mein Freund,« sagte er, »oder sind Sie so neugierig? Wollen Sie auch sich und der Welt einen solchen satanischen Feind schaffen? Denken Sie daran, was ich darunter zu leiden hatte, und versuchen Sie nicht, sich selbst solches Elend aufzubürden.«

Frankenstein hatte bemerkt, daß ich mir Aufzeichnungen über seine Erzählung machte. Er bat mich, sie ihm zu zeigen und verbesserte und ergänzte sie an manchen Stellen, besonders wo es sich um das Leben des Dämons und um seine Gespräche mit ihm handelte. »Ich möchte nicht,« sagte er, »nachdem Sie nun doch einmal meine Geschichte der Nachwelt überliefern wollen, daß sie verstümmelt an diese gelangt.«

Eine Woche hatte es gedauert, bis diese Geschichte, die seltsamste, die ich je gehört, ganz erzählt war. Mein Gast hatte mir mit seinen Worten, aber auch durch sein vornehmes Wesen hohes Interesse eingeflößt und ich versuchte ihn zu beruhigen. Doch was half das, wenn ich einem tief Unglücklichen und jeglicher Hoffnung Beraubten Freude am Leben predigte? Nichts; er hatte auch gar keinen anderen Wunsch mehr, als sich in Ruhe und Frieden auf den Tod vorzubereiten. In seinen Träumen hält er Zwiesprache mit seinen lieben Toten und ist fest überzeugt, daß sie selbst es sind, die aus den unsichtbaren Welten herüberschweben und ihm Trost zusprechen. Dies gibt seinen Phantasien einen Schimmer von Wahrheit, der zugleich erhebt und rührt.

Unsere Gespräche beschränken sich aber nicht auf seine Lebens- und Leidensgeschichte. Er ist auf allen Gebieten außergewöhnlich bewandert und von hoher Intelligenz. Er spricht überzeugend und klar. Was für ein prächtiger Mensch muß er in den Tagen des Glückes und der Jugend gewesen sein! Er scheint sich seines einstigen Wertes und der Tiefe seines Sturzes wohl bewußt zu sein.

»Als ich noch jung war,« sagte er, »glaubte ich für etwas Hohes, Erhabenes ausersehen zu sein. Ich hatte eine tiefe Empfindung, dabei aber doch eine Ruhe des Urteils, wie sie nicht alltäglich ist. Dieses Gefühl meines eigenen Wertes stützte mich da, wo andere längst unterlegen waren. Und ich hielt es für ein Verbrechen, in fruchtlosem Grübeln die Talente verkümmern zu lassen, die meinen Mitmenschen vielleicht von Nutzen sein konnten. Wenn ich darüber nachdachte, was ich vollbracht, nämlich die Schöpfung eines lebenden, denkenden Wesens, dann glaubte ich ein Recht zu haben, mich über den großen Haufen der sogenannten Entdecker zu erheben. Aber gerade dieser Umstand ist es, der mich heute am tiefsten niederdrückt. All mein Sinnen und Hoffen war umsonst; und wie jener Erzengel, der dem Allmächtigen Trotz zu bieten wagte, bin ich in eine brennende, ewige Hölle verbannt. Ich trug den Himmel in mir, ich jubelte über meine Erfolge und glühte vor Eifer, noch weiter zu schreiten auf der einmal betretenen Bahn. Von meiner Kindheit an war ich voll stolzer Hoffnungen und voll zügellosen Ehrgeizes. Wie tief aber bin ich heute gesunken! Mein Freund, wenn Sie mich noch gekannt hätten, wie ich früher war, Sie würden mich nicht mehr erkennen. Verzweiflung war mir fremd, und ein großes, hohes Geschick schien mir Flügel zu verleihen, bis ich tief, so tief fiel, daß ich mich nicht mehr erheben kann.«

Muß ich also wirklich dieses liebenswerte Geschöpf verlieren? Ich habe mich so lange nach einem Freunde gesehnt, nach einem Menschen, der mir in Liebe zugetan ist und mich versteht. Sieh, in diesen endlosen Eiswüsten habe ich ihn gefunden; aber ich fürchte, ich habe ihn nur gefunden, um seinen Wert zu erkennen und ihn dann zu verlieren. Ich habe alles versucht, um ihn das Leben wieder lieben zu lehren, aber er will nichts davon wissen.

»Ich danke Ihnen, Walton,« sagte er, » für Ihre freundlichen Bemühungen um mich Armen. Aber glauben Sie nicht, daß mir neue Bande und neue Liebe das zu ersetzen vermöchten, was ich verloren. Kann mir ein Mann je noch das sein, was mir Clerval, oder dein Weib das, was mir Elisabeth war? An den Genossen unserer Jugend hängen wir so fest, daß die Neigungen späterer Jahre sie nicht aus unseren Herzen zu verdrängen vermögen. Und ich habe Freunde gehabt, die mir nicht nur durch Gewohnheit lieb geworden waren, sondern um ihrer selbst willen. Wo immer ich weile, flüstern mir die Stimmen Elisabeths und Clervals an das Ohr. Sie sind tot, und nur eines ist es, was mich in dieser Öde noch an das Leben kettet. Hätte ich noch ein Ziel, das, hoch und erhaben, der Menschheit von Nutzen sein könnte, dann, ja dann könnte ich mich entschließen weiter zu leben. Aber das ist mir nicht beschieden! Ich habe nichts mehr weiter zu tun, als das Ungeheuer, das ich schuf, zu verfolgen und zu vernichten. Dann ist mein Erdenzweck erfüllt und ich kann mich schlafen legen.«

*

2. September 17..

Liebste Schwester!

Heute schreibe ich Dir, umgeben von den schlimmsten Gefahren, und weiß nicht, ob ich je wieder mein geliebtes England und die teuren Menschen, die mir dort noch leben, erblicken werde. Ringsum türmen sich Eisberge von ungeheurer Höhe, die ein Entkommen ganz unmöglich erscheinen lassen und jeden Augenblick mein Schiff zermalmen drohen. Die braven Burschen, die ich überredet habe, an meinem Unternehmen sich zu beteiligen, schauen stumm und hülfesuchend auf mich. Aber ich kann ihnen keinen Trost gewähren! Es ist ein furchtbar niederdrückendes Gefühl, aber mein Mut und meine Hoffnung sind noch ungebrochen. Es tut mir in der Seele weh, zu wissen, daß ich, wenn wir zu Grunde gehen müssen, mit meinen ehrgeizigen Plänen allein die Schuld trage.

Und wie wird Dir zu Mute sein, Margarethe? Du wirst von meinem Untergange ja nichts erfahren und sehnsüchtig meiner Rückkehr harren. Jahre werden dann vergehen, in denen Du zwischen Hoffen und Verzweifeln schwankst. O liebe Schwester, Dein Leid betrübt mich mehr als mein eigenes Ende. Aber Du hast ja Deinen Mann und Deine lieben Kinder, mit denen Du glücklich sein kannst. Der Himmel segne Dich und sie alle.

Mein unglücklicher Gast fühlt tiefes Mitleid mit mir. Er versucht mich aufzumuntern und spricht, als habe das Leben auch für ihn noch Wert. Er erinnert mich oft daran, wie das Gleiche auch schon anderen Seefahrern vor mir geschehen sei, die in diese ungastlichen Meere kamen, und erweckt in mir Hoffnungen, von denen ich sicher weiß, daß sie trügerisch sind. Auch die Mannschaft unterliegt der Macht seiner Beredsamkeit, ihre Zaghaftigkeit weicht frischer Energie, und er redet ihnen ein, diese Eisberge seien Maulwurfhaufen, die vor der Macht des Menschen in nichts zerfallen. Aber lange hält die gute Stimmung nicht an. Jeder Tag vergeblicher Bemühungen wirkt deprimierend auf ihre Gemüter ein und ich habe mich schon auf eine Meuterei gefaßt gemacht, wenn das noch lange so weiter geht.

*

5. September 17..

Eben hat sich etwas ereignet, das ich für Dich niederschreiben muß, wenn ich auch nicht hoffen darf, daß dich diese Zeilen je erreichen.

Wir sitzen immer noch fest mitten in den Eisbergen und müssen immer damit rechnen, von ihnen zermalmt zu werden. Die Kälte ist furchtbar, und mancher meiner treuen Genossen hat schon sein Grab unter diesem düsteren Himmel gefunden. Frankenstein wird von Tag zu Tag elender. Fieberglut leuchtet aus seinen Augen. Er ist völlig erschöpft, und wenn er sich auch zuweilen aufrafft, so versinkt er wenige Augenblicke danach wieder in Apathie.

Ich habe schon früher meinen Befürchtungen, es könnte eine Meuterei ausbrechen, Ausdruck gegeben. Heute morgen, als ich am Bett meines armen Freundes saß, der mit halb geschlossenen Augen und schlaffen Gliedern dalag, hörte ich draußen Lärm und Stimmengewirr. Es war ein halbes Dutzend meiner Matrosen, die mich zu sprechen verlangten. Sie traten ein und einer von ihnen ergriff das Wort. Er sagte mir, daß er und die, die mit ihm gekommen waren, von den übrigen Matrosen als Deputation zu mir geschickt worden seien, um eine Bitte vorzutragen, die ich gerechterweise nicht abschlagen könne. Wir seien vom Eis umschlossen und würden ja wohl nie wieder frei werden. Aber sie fürchteten, daß ich, wenn wider Erwarten dieser Fall eintreten sollte, kühn genug wäre, noch weiter nach Norden vorzudringen und sie in neue Gefahren brächte. Sie verlangten deshalb, daß ich ihnen das feierliche Versprechen gebe, meinen Kurs südwärts zu richten, wenn ein gütiges Schicksal uns aus diesen Eismassen befreite.

Diese Worte verwirrten mich. Ich hatte die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben; auch hatte ich nie daran gedacht umzukehren, wenn ich wieder freies Fahrwasser hätte. Aber konnte ich es wagen, mich der Forderung meiner Leute zu widersetzen? Ich zögerte noch zu antworten, da erhob sich Frankenstein, der bisher teilnahmslos dagelegen hatte, im Bett. Seine Augen funkelten und über seine Wangen huschte ein flüchtiges Rot. Zu den Mannschaften gewendet, sagte er:

»Was wollt ihr hier? Was verlangt ihr von eurem Kapitän? Seid ihr so wankelmütig? Und das nennt ihr dann eine ruhmreiche Expedition? Und warum war sie ruhmreich? Nicht weil ihr ruhig und friedlich in einem stillen Meere gekreuzt habt, sondern weil sie gefahrvoll und schrecklich war; weil bei jedem neuen Hindernis euer Mut gestiegen ist; weil Not und Tod euch umgaben, denen ihr wacker die Stirn geboten habt. Das ist ein ruhmreiches, ein lobenswertes Unternehmen. Man wird euch preisen als Helden und wird euch verehren, weil ihr zum Nutzen der Menschheit die Ehre dem Tode abgerungen habt. Und nun, bei der ersten ernstlichen Gefahr, bei der ersten Prüfung eures Mutes wollt ihr verzagen und schämt euch nicht als Leute zurückzukehren, die nicht Kraft genug hatten, der Kälte und der Gefahr zu trotzen. Arme, ängstliche Seelen seid ihr, die am liebsten hinter dem warmen Ofen hocken. Dazu hätte es nicht dieser Vorbereitungen bedurft; Schurken seid ihr, wenn ihr euren Kapitän zwingen wollt, unverrichteter Dinge umzukehren. Ich bitte euch, seid doch Männer, stark und unbezwinglich wie Felsen, und bleibt eurem Vorsatze getreu. Dieses Eis ist nicht so fest wie euer Wille und kann euch nicht widerstehen, wenn ihr nur ernstlich wollt. Kehrt nicht zu euren Familien zurück mit der Schande beladen. Kehrt zurück als Helden, die gekämpft und gesiegt und die niemals dem Feinde den Rücken gekehrt haben.«

Er sprach dies so ausdrucksvoll und begeistert, daß die Leute schwankend wurden. Sie sahen einander an und wußten nicht, was sie antworten sollten. Dann ergriff ich das Wort. Ich befahl ihnen, sich zurückzuziehen und sich die Sache zu überlegen. Ich versprach ihnen, nicht weiter nach Norden vorzudringen, wenn sie darauf bestünden; aber ich hoffe, daß nach einigem Nachdenken auch ihr bewährter Mut zurückkehren werde.

Sie gingen und ich wandte mich zu meinem Kranken; aber dieser war ohnmächtig.

Wie das alles enden soll, weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß ich lieber stürbe, als schmählich den Rückzug anzutreten, ohne meine Aufgabe erfüllt zu haben. Aber ich fürchte beinahe, daß es doch so wird kommen müssen. Die Leute, denen die hohen Begriffe von Ruhm und Ehre mangeln, werden sich kaum freiwillig dazu entschließen, neue Mühen und Gefahren auf sich zu nehmen.

7. September 17..

Der Würfel ist gefallen. Ich habe versprochen umzukehren, wenn wir nicht zu Grunde gehen. So sind also meine schönsten Hoffnungen der Schurkerei und Verzagtheit zum Opfer geworden. Ich trete unwissend und enttäuscht die Heimfahrt an. Es bedarf größerer Resignation, als ich sie besitze, um diese Ungerechtigkeit des Schicksals gefaßt zu ertragen

*

12. September 17..

Alles ist vorbei! Ich bin auf der Heimkehr nach England. Ich habe meine Hoffnungen auf Ruhm und Ehren begraben und habe meinen Freund verloren. Aber ich will Dir noch schildern, wie das letztere kam; und da mich die Winde wieder der Heimat zutragen und ich Dich bald in meine Arme schließen werde, will ich nicht verzweifeln.

Am 9. September begann sich das Eis zu bewegen. Es hörte sich an wie fernes Donnern, als die mächtigen Schollen allenthalben barsten. Die Gefahr war groß. Da wir uns doch nur passiv verhalten konnten, widmete ich mich ganz meinem kranken Gaste, der sichtlich dahinschwand und nicht mehr imstande war das Bett zu verlassen. Das Eis krachte auf allen Seiten und wurde mit unwiderstehlicher Gewalt nordwärts getrieben. Eine Westbrise machte sich auf und am 11. war die Passage nach Süden frei. Als die Matrosen dies bemerkten und wußten, daß nun der Heimkehr nichts mehr im Wege stünde, machte sich ihre Freude in einem lauten, langgezogenen Geschrei Luft. Frankenstein, der geschlummert hatte, erwachte und frug mich nach der Ursache dieses Lärmes. »Sie jubeln,« antwortete ich, »weil sie nun bald wieder in England sein werden.«

»Kehren Sie also wirklich zurück?«

»Leider muß ich es. Ich konnte ihren Bitten nicht mehr widerstehen. Ich darf sie nicht gegen ihren Willen weiteren Gefahren und Mühsalen aussetzen.«

»Nun also, wenn Sie nicht anders wollen! Aber ich will nicht! Sie können Ihre Pläne aufgeben, aber die meinigen sind mir vom Himmel vorgezeichnet. Ich bin ganz schwach und elend, aber die Geister der Rache werden mir wieder Kraft verleihen.« Kaum hatte er das gesagt, bemühte er sich, das Bett zu verlassen. Jedoch sein Körper versagte und er brach ohnmächtig zusammen.

Es dauerte sehr lange, bis ich ihn wieder zum Leben zurückrufen konnte; manchmal meinte ich, es sei ohnehin schon zu Ende. Schließlich öffnete er seine Augen, atmete schwer und versuchte zu sprechen. Der Arzt gab ihm ein anregendes Medikament und ordnete an, daß der Kranke nicht gestört werden dürfe. Mir sagte er leise, daß dieses schwache Lebenslichtlein nur noch wenige Stunden zu flackern haben werde.

Als ich das wußte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich in Trauer zu fügen. Ich setzte mich ans Bett und wachte über dem erlöschenden Leben. Die Augen des Kranken waren geschlossen und ich meinte, er schliefe; aber plötzlich bat er mich mit ganz schwacher Stimme, mich näher zu ihm niederzubeugen und begann: »Leider ist die Kraft, auf die ich mich verließ, nicht über mich gekommen. Ich fühle, daß ich bald sterben muß, und er, mein Peiniger, mein Feind, weilt noch auf Erden. Glauben Sie nicht, Walton, daß ich jetzt, in den letzten Stunden meines Daseins, noch diesen glühenden Haß, diese brennende Rachsucht empfinde, die mich bis vor kurzem beseelten. Aber ich weiß, daß ich erst gerächt bin, wenn mein Feind auch tot ist. Diese paar Tage habe ich mein ganzes Verhalten noch einmal geprüft und finde nichts Tadelnswertes daran. In einem Rausch wissenschaftlichen Wahnsinns schuf ich ein wirkliches Wesen, und meine Pflicht wäre es gewesen, ihm so viel Glück zukommen zu lassen, als in meinen Kräften stand. Das war eine Pflicht; aber eine andere stand diametral gegenüber. Die Pflicht meinen Mitmenschen gegenüber. Von diesem Standpunkt aus habe ich mich geweigert, zu meinem ersten Geschöpf noch ein zweites zu schaffen, und ich tat wohl daran. Denn mein Feind war von ausgesuchter Tücke und Bosheit; er vernichtete alle meine Lieben; er hatte es sich vorgenommen, alle die Wesen zu töten, die mir nahestanden. Und es ist gar nicht abzusehen, wann seine Rache endlich gestillt sein wird. Er selbst war elend, und damit er andere nicht auch elend machen konnte, sollte er sterben. Ihn zu vernichten, war meine Aufgabe, aber ich bin ihr nicht gerecht geworden. Wenn ich allein von Egoismus und Rachsucht geleitet würde, müßte ich Sie anflehen, mein begonnenes Werk zu Ende zu führen; und nun, da mich nur die Vernunft und das Pflichtbewußtsein regieren, muß ich die gleiche Bitte an Sie stellen.«

»Ich kann ja nicht fordern, daß Sie, um meinen Wunsch zu erfüllen, Heimat und Freunde im Stiche lassen, und da Sie nach England zurückkehren, besteht wenig Aussicht, daß Sie zufällig mit ihm zusammentreffen. Die Erwägungen darüber und die Beurteilung dessen, was Sie für Ihre Pflicht ansehen, muß ich Ihnen selbst überlassen. Mein Urteil und meine Ansichten sind schon von der Nähe des Todes beeinflußt. Ich darf Ihnen nicht sagen, was ich für das Richtige halte, denn meine Sinne sind vielleicht schon verwirrt.«

»Der Gedanke quält mich, daß er am Leben bleiben soll und allerlei Übeltaten begehen kann. Im übrigen ist dieser Augenblick, da ich meine Auflösung kommen fühle, der schönste, den ich seit Jahren erlebe. Die Gestalten meiner Lieben stehen vor mir und ich beeile mich, in ihre Arme zu fliegen. Leben Sie wohl, Walton! Suchen Sie Ihr Glück in der Ruhe und lassen Sie sich nicht vom Ehrgeiz hinreißen; sei es auch nur der harmlose Ehrgeiz, mehr zu wissen und mehr entdeckt zu haben als andere. Aber wie komme ich dazu Sie zu warnen? Ich selbst bin an diesen Hoffnungen zu Grunde gegangen, mögen andere folgen.«

Seine Stimme war immer leiser und schwächer geworden; schließlich versank er erschöpft in Schweigen. Eine halbe Stunde später versuchte er noch einmal zu sprechen, aber es war unmöglich. Er drückte mir noch zärtlich die Hand und dann schlossen sich seine Augen für immer, während ein sanftes Lächeln über sein Gesicht huschte.

Margarete, wie soll ich Dir schildern, was ich fühlte, als dieses Leben erlosch? Wie kann ich Dir die Tiefe meines Grames begreiflich machen? Die Sprache ist zu arm dazu. Meine Tränen fließen und mein Gemüt ist bedrückt von Trauer. Aber der Gedanke tröstet mich, daß mein Kiel heimwärts zeigt.

Ich werde unterbrochen. Was bedeutet der Lärm? Es ist Mitternacht; eine leise Brise kräuselt die Wellen und reglos steht der Posten auf Deck. Dann eine menschliche Stimme, aber viel rauher als eine solche. Sie dringt aus der Kajüte, in der Frankensteins Irdisches ruht. Ich muß hinauf und sehen, was los ist.

Großer Gott! Welcher Anblick bot sich mir. Es schaudert mich, wenn ich daran denke. Ich werde es Dir vielleicht gar nicht schildern können, aber die Geschichte wäre unvollständig, wollte ich Dir die seltsame Schlußkatastrophe vorenthalten.

Ich eilte in die Kajüte, wo mein armer Freund von seinem Erdenleid ausruhte. Über ihn gebeugt eine Gestalt! – Worte, sie zu beschreiben, finde ich nicht. Sie war gigantisch, aber mißgestaltet. Über sein Gesicht hing langes, verwirrtes Haar; eine Hand hielt er gegen mich ausgestreckt, und diese war braun und runzelig wie die einer Mumie. Und dann sprang er schreiend zum Kajütenfenster. Niemals noch habe ich etwas auch nur Ähnliches an grauenhafter, widerlicher Scheußlichkeit gesehen, wie dieses Antlitz. Ich schloß unwillkürlich die Augen und besann mich, wie ich dem Ungeheuer am raschesten den Garaus machen könnte. Ich befahl ihm, stehen zu bleiben.

Er sah mich erstaunt an, dann wendete er sich, scheinbar ohne weiter von mir Notiz zu nehmen, dem Leichnam zu, und seine Züge und Gesten trugen den Ausdruck wildester Leidenschaft.

»Auch du bist mir zum Opfer gefallen!« schrie er. »Und mit deinem Tode ist die Reihe meiner Greueltaten zu Ende; ich habe meine grausige Aufgabe erfüllt. O Frankenstein, du edles, hingebendes Geschöpf! Was hilft es, daß ich dich jetzt um Verzeihung bitte? Ich, der dich unerbittlich zu Grunde richtete, indem ich dir alles nahm, was dir ans Herz gewachsen war. Leider bist du nun tot und kannst mir nicht mehr antworten.«

Seine Stimme erstickte in Schluchzen, und meine anfängliche Absicht, den Wunsch meines sterbenden Freundes zu erfüllen, wich einem seltsamen Gefühl von Neugierde und Mitleid. Ich näherte mich dem Unglücklichen, aber ich wagte es nicht ihn anzusehen, so sehr hatte mich sein erster Anblick bestürzt und entsetzt. Ich versuchte zu sprechen, aber die Worte wollten mir nicht über die Lippen. Unterdessen erging sich der Dämon in schrecklichen, wilden Selbstvorwürfen. Schließlich aber zwang ich mich doch, ihn anzureden: »Eure Reue kommt zu spät! Hättet Ihr früher auf die Stimme des Gewissens gehört, statt in sinnloser, blutiger Rache zu schwelgen, dann wäre Frankenstein heute noch unter den Lebenden.«

»Bilden Sie sich ein, glauben Sie wirklich,« erwiderte das Ungeheuer, »daß ich nicht besseren Regungen zugänglich war? Er,« dabei deutete es auf den Toten, »er litt nicht so viel wie ich, nicht den zehntausendsten Teil davon. Aber es drängte mich unaufhaltsam vorwärts auf der eingeschlagenen Bahn, trotzdem mich die Gewissensbisse unsäglich peinigten. Glauben Sie, daß mir das Geröchel Clervals Musik war? Mein Herz war geschaffen für Liebe und Mitleid und es litt schwer darunter, daß ich von einem grausamen Schicksal dazu verdammt ward, meinen Weg durch Blut und Tränen zu gehen.«

»Nach dem Tode Clervals kehrte ich in die Schweiz zurück, gebrochen und elend. Ich bemitleidete Frankenstein, und dieses Mitleid wurde zum Entsetzen, zum Entsetzen über mich selbst. Aber als ich bemerkte, daß er, der Urheber meines Lebens und damit meiner unbeschreiblichen Leiden, es wagte, an Erdenglück zu denken; daß er, der Schmerz und Verzweiflung über mich gebracht hatte, nun daran ging, Liebe und Seligkeiten zu genießen, die mir auf ewig versagt waren, da ergriff mich von neuem grimmiger Haß und brennender Rachedurst. Ich erinnerte mich meiner Drohung und beschloß, sie auch wahr zu machen. Ich wußte, daß ich mir selbst wieder neue Qualen schuf; aber ich war der Sklave meiner Leidenschaft, die ich selbst verabscheute, der ich aber gehorchen mußte. Wie, wenn sie stürbe, dann wäre mein Durst gestillt! Ich hatte alles Mitleid vergessen, ich unterdrückte meine Angst, um ganz in der Grausamkeit meiner Verzweiflung schwelgen zu können. Und von da an machte mir das Grausame Freude. Nachdem ich einmal so weit war, gab ich mich willenlos der Leidenschaft hin. Die Erfüllung meiner teuflischen Bestimmung ward mir eine Genugtuung. Und nun ist es zu Ende; hier liegt mein letztes Opfer.«

Zuerst rührten mich diese Ausbrüche seiner Reue, diese Schilderungen seines Elends; aber dann erinnerte ich mich dessen, was Frankenstein von der Beredsamkeit und dem bestechenden Wesen des Dämons mir gesagt hatte. Und als meine Blicke auf die irdischen Reste meines Freundes fielen, ergriff mich Groll und Haß. »Verfluchter,« sagte ich, »nun kommt Ihr und klagt über das Unheil, das Ihr angerichtet. Ihr habt eine brennende Fackel in das Haus geworfen, und nun sitzt Ihr auf den Trümmern und weint über die Zerstörung. Heuchlerischer Teufel! Wenn dieser hier wieder aufstünde, so würde er von neuem das Ziel eurer grausamen Rachsucht sein. Es ist nicht Mitleid, was Ihr fühlt; Ihr jammert nur darüber, daß euch euer Opfer aus den Krallen geglitten ist.«

»Nein, nein – so ist es nicht, wenn auch der Augenschein gegen mich spricht. Ich erhoffe mir jetzt keine Genossin mehr in meinem Elend, und Liebe wird mir nimmermehr zuteil werden. Ja, als ich noch gut war, sehnte ich mich danach, dadurch glücklich zu werden, daß ich selber glücklich machte. Aber mit der Güte ist es vorbei und die Hoffnung auf Glück hat sich in bittere Verzweiflung gewandelt, in der ich keines Mitgefühls mehr bedarf. Ich bin zufrieden, wenn ich mein Leid allein tragen kann; lange wird es ja ohnehin nicht mehr dauern. Einst schwoll mein Herz in stolzen Hoffnungen von Ruhm, Ehre und Freude. Ich war so töricht zu glauben, daß ich Wesen finden könnte, die, über meine äußerliche Häßlichkeit hinwegsehend, das Gute lieben würden, das ohne Zweifel in mir wohnte. Aus den lichten Höhen ward ich herabgestützt und das Verbrechen hat mich zum Tier gemacht. Keine Schuld, keine Missetat, keine Bosheit, keine Schlechtigkeit, die ich mir nicht zu eigen gemacht hätte. Wenn ich das gräßliche Register meiner Verbrechen im Geiste aufrolle, kann ich mich selbst nicht mehr erkennen. Aber es ist eben so: gefallene Engel werden zu Teufeln. Nur hat der Erzfeind Gottes und der Menschen Genossen seiner Schmach – und ich bin allein.«

»Sie, der Sie Frankenstein Ihren Freund nannten, scheinen über sein Unglück und meine Übeltaten unterrichtet zu sein. Aber mochte er Ihnen alles noch so eingehend erzählen, über die qualerfüllten Stunden, Tage und Monate, die ich durchleben mußte, gab er Ihnen wahrscheinlich ebensowenig Rechenschaft, wie sich selbst. Denn während ich sein Glück, seine Hoffnungen eine nach der anderen vernichtete, blieben meine eigenen Wünsche unbefriedigt. Sie brannten noch lichterloh in mir; immer noch sehnte ich mich nach einer Genossin, nach Liebe und Freundschaft. Lag darin nicht eine grausame Ungerechtigkeit? Warum bin ich der einzige Schuldige, da doch alle sich an mir versündigten? Warum hassen Sie denn nicht Felix, der den Armen mit Schlägen von seiner Schwelle vertrieb? Warum suchen Sie nicht den Bauern, der den Retter seines Kindes mit der Mordwaffe schwer verwundete? Nein, das sind reine, edle, makellose Wesen, und ich, der Unglückliche, Verlassene, bin eine Mißgeburt, die man stoßen und schlagen und treten darf. Noch heute kocht mein Blut, wenn ich dieser Ungerechtigkeit, dieser Schmach gedenke.«

»Ich weiß, ich bin ein Verbrecher. Ich habe liebliches, unschuldiges Leben hingemordet; ich habe die harmlosen Menschen gewürgt, während sie schliefen, und ihnen die Kehle zugedrückt, daß sie starben; und sie hatten doch weder mir noch anderen ein Leid getan. Ich habe mir geschworen gehabt, meinen Schöpfer, eine Zier seines Geschlechtes, einen lieben, anbetungswürdigen Menschen, dem Verderben zu weihen; ich habe ihn verfolgt bis an die Pforten des Todes. Hier liegt er nun, bleich und kalt und starr. Sie hassen mich, aber Ihr Haß, Ihr Abscheu kann lange nicht mit dem verglichen werden, den ich selbst gegen mich empfinde. Ich sehe die Hände an, die das Verruchte getan; ich höre das Herz klopfen, in dessen Tiefen die grausamen Pläne reiften, und ich sehne mich nach der Zeit, da diese Augen nicht mehr die blutigen Hände sehen und die düstren Gedanken schlafen gegangen sein werden.«

»Seien Sie unbesorgt; ich werde nicht länger mehr ein Werkzeug des Bösen sein. Meine Aufgabe ist nahezu vollendet. Weder Ihr Leben noch das eines anderen Menschen brauche ich mehr, um den Ring meiner Verbrechen zu schließen. Mein eigens Leben ist es, das zum Opfer fallen muß. Glauben Sie auch nicht, daß ich noch lange damit warten werde. Ich werde Ihr Schiff verlassen und mich auf meinem Schlitten dahin begeben, wo der Pol ins eisige Weltall hinausragt. Dort will ich mir aus den Trümmern meines Schlittens und aus angespülten Schiffsplanken einen Scheiterhaufen bauen und diesen elenden Leib verbrennen zu Asche, so daß kein sterbliches Auge mich mehr sieht; daß kein Verwegener aus meinen Überresten erraten kann, wie man solche Wesen schafft, wie ich eines bin. Ich werde sterben und frei werden von den namenlosen Qualen, die mir auf Erden beschieden waren. Auch er ist tot, der mich ins Leben rief, und dann wird die Erinnerung an uns bald erloschen sein. Nicht länger mehr darf ich in die Sonne und in die funkelnden Sterne schauen, nicht länger mehr den Hauch des Windes um die Wangen säuseln lassen. Licht, Gefühl und Denken werden dahinschwinden, und dieser Zustand des Nichtmehrseins ist meine Hoffnung. Vor einigen Jahren noch, als sich mir die Augen öffneten für die Schönheiten dieser Welt, als ich den wärmenden Strahl der Sommersonne empfand, das Rauschen der Blätter und das Singen der Vöglein vernahm, da wäre ich nur mit Schmerzen geschieden. Heute ist der Tod mein einziger Trost. Befleckt mit verabscheuungswürdigen Verbrechen, gepeitscht von wahnsinnigen Gewissensbissen, finde ich nirgends anders Ruhe.«

»Leben Sie wohl! Ich gehe von Ihnen, und Sie sind das letzte Menschenwesen, auf dem meine Augen ruhten. Schlafe sanft, Frankenstein. Wärest du noch am Leben und möchtest mich in deiner Rachsucht am bittersten quälen, dann gingest du an mir vorüber, ohne mich zu töten. Aber du wußtest nicht, daß du mir damit eine Wohltat erwiesen hättest. Du warst verflucht, aber die größeren Leiden hatte ich zu tragen; denn die Reue nagt an meinem Herzen und wird nicht eher ruhen, als bis dieses zu schlagen aufgehört hat.«

»Aber bald,« rief er mit feierlichem, ernsten Tone, »werde ich tot sein und das, was ich empfand, nicht mehr länger empfinden müssen. Und dann ist es vorbei mit diesen entsetzlichen Qualen. Jubelnd werde ich meinen Scheiterhaufen besteigen und mich freuen an den lodernden Flammen, die mich umzüngeln. Und die Flamme wird in sich zusammenbrechen und der brausende, frische Wind wird meine Asche weithin über das endlose Meer tragen. Ich werde Frieden finden; und wenn mein Geist noch weiter lebt und denkt, dann werden es andere Gedanken sein als die, die mir das Erdenleben verbittert haben. Lebt wohl!«

Rasch sprang er aus dem Fenster der Kajüte in den Kahn, der längsseits am Schiffe befestigt war. Die Wogen trugen ihn davon, immer weiter und weiter, bis er in der Dämmerung verschwand.

3. Brief

Frau Saville, London

7. Juli 18..

Liebe Schwester! Ich schreibe Dir in aller Eile, um Dich wissen zu lassen, daß ich wohlauf bin und daß ich schon ein Stück meiner Reise hinter mir habe. Diesen Brief wird ein Kaufmann von Archangel aus nach England mitbringen. Der Glückliche! Er kann wieder Heimatluft atmen, was mir vielleicht auf Jahre hinaus nicht vergönnt sein wird. Trotzdem bin ich bester Laune. Meine Leute sind kühn und offenbar zu allem willig; auch die schwimmenden Eisberge, die unaufhörlich an uns vorbeiziehen und uns die Gefahren vorausahnen lassen, denen wir entgegengehen, scheinen ihnen keine Sorge einzuflößen. Wir haben schon eine hohe nördliche Breite erreicht, aber es ist Hochsommer, und wenn es auch nicht ganz so warm ist wie in England, so tragen uns doch die Südwinde, indem sie uns dem heißersehnten Ziele näherbringen, eine wohltuende Wärme zu, wie ich sie nicht erwartet hätte.

Bisher hat sich noch nichts ereignet, was der Mitteilung wert wäre. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen Reise nichts Unangenehmeres passiert.

Lebe Wohl, teure Margarete. Sei überzeugt, daß ich um Deinet- wie um meinetwillen mich nicht allzu kühn der Gefahr aussetzen werde. Ich will kaltblütig, überlegt und vernünftig sein.

Aber der Erfolg muß mein Werk krönen. Warum auch nicht? So weit bin ich nun gekommen über die pfadlose See; nur die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. Warum soll ich nicht noch weiter fortschreiten auf dem ungezähmten, aber doch zähmbaren Element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem mutigen, willensstarken Manne entgegenzustellen?

Mein Herz ist zu voll, als daß es nicht überlaufen sollte. Aber ich muß schließen. Gott sei mit Dir, liebe Schwester!

Robert Walton.

4. Brief

An Frau Saville, London

5. August 18..

Etwas sehr Merkwürdiges hat sich ereignet und ich muß es Dir berichten, wenn ich auch wahrscheinlich eher bei Dir bin, als diese Zeilen Dich erreichen.

Letzten Montag (31. Juli) waren wir fast ganz von Eis eingeschlossen, so daß das Schiff kaum mehr den zum Vorwärtskommen nötigen Platz hatte. Unsere Lage war einigermaßen gefährlich, besonders deswegen, weil ein dichter Nebel uns einhüllte. Wir drehten deshalb bei, in der Hoffnung, daß die Witterung endlich anders werde.

Gegen zwei Uhr lichtete sich der Nebel und wir erblickten, wohin wir sahen, weite, fast unermeßlich scheinende Eisflächen. Einige meiner Leute wurden unruhig und auch mich beschlichen trübe, ängstliche Gedanken, als plötzlich etwas Seltsames unsere Aufmerksamkeit auf sich zog und uns unsere gefährliche Situation vergessen ließ. Wir bemerkten einen niedrigen Wagen, der auf Schlittenkufen befestigt war, von Hunden gezogen wurde und sich in einer Entfernung von etwa einer halben Meile nordwärts bewegte. Im Schlitten saß eine Gestalt, die einem Menschen, aber einem solchen von außergewöhnlicher Größe glich und die Tiere lenkte. Wir verfolgten mit unseren Fernrohren den Reisenden, der blitzschnell dahinflog und bald durch Unebenheiten des Eises unseren Blicken entzogen wurde.

Diese Erscheinung erregte begreiflicherweise unsere Neugierde in hohem Maße. Wir hatten geglaubt, uns Hunderte von Meilen vom festen Lande entfernt zu befinden, diese Erscheinung aber schien uns das Gegenteil zu beweisen. Da wir vom Eise völlig eingeschlossen waren, war es uns unmöglich, die Spuren des rätselhaften Wesens zu verfolgen.

Etwa zwei Stunden danach hörten wir die Grunddünung, und ehe es Nacht wurde, löste sich das Eis und das Schiff wurde frei. Trotzdem aber blieben wir bis zum Morgen liegen, da wir fürchten mußten, in der Dunkelheit mit den treibenden Eismassen zusammenzustoßen. Ich benützte diese Zeit, um mich etwas auszuruhen.

Als es Tag wurde, ging ich an Deck und fand alle Matrosen auf einer Seite des Schiffes stehen, sich mit jemand unterhaltend, der scheinbar unten auf dem Wasser war. Es war in der Tat ein Schlitten, ähnlich dem, den wir gestern gesehen hatten; er war in der Nacht auf einem schwimmenden Stück Eis zu uns herangetrieben worden. Nur ein Hund war noch vorgespannt, und im Schlitten saß ein Mensch, den die Matrosen veranlassen wollten, an Bord zu kommen. Er war nicht, wie uns der Fremde von gestern geschienen hatte, ein wilder Eingeborener irgend eines unentdeckten Eilandes, sondern ein Europäer. Als ich an Deck kam, sagte der Maat: »Da kommt unser Kapitän, der wird nicht zugeben, daß Sie auf offener See zugrunde gehen.«

Der Fremde gewahrte mich und sprach mich dann englisch, allerdings mit etwas eigentümlichem Dialekt, an. »Ehe ich an Bord Ihres Schiffes gehe,« sagte er, »bitte ich Sie mir zu sagen, wohin Sie zu fahren gedenken.«

Du wirst begreifen, daß ich momentan sehr erstaunt war, diese Frage von einem Menschen zu hören, der eben knapp dem Untergang entronnen zu sein schien und von dem man annehmen mußte, daß ihm mein Schiff ein Zufluchtsort sei, den er nicht gegen alle Reichtümer der Erde mehr vertauscht haben würde. Ich erklärte ihm, daß ich mich mit meinem Schiffe auf einer Entdeckungsreise nach dem Nordpol befände.

Dies schien ihn zufriedenzustellen und er nahm meine Einladung an. Großer Gott! Margarete, wenn Du den Mann gesehen hättest, der sich nur so schwer retten ließ, Dein Erstaunen hätte keine Grenzen gehabt. Seine Glieder waren fast völlig erfroren und sein Leib war förmlich gebrochen von Müdigkeit und Krankheit. Ich habe noch nie einen Menschen in einer so kläglichen Verfassung gesehen. Wir versuchten ihn in die Kajüte zu tragen, aber kaum hatten wir ihn unter Deck, da wurde er schon ohnmächtig. Wir brachten ihn also wieder an Deck zurück und suchten durch Reiben mit Branntwein und Einflößen von kleinen Schlucken ihn ins Leben zurückzurufen. Als er Lebenszeichen von sich zu geben begann, wickelten wir ihn in Leinentücher und legten ihn in der Nähe des Küchenofens nieder. Allmählich erholte er sich und aß ein paar Löffel Suppe, die ihm sehr wohl taten.

Zwei Tage vergingen, ehe es ihm möglich war zu sprechen, und mir kam es zuweilen vor, als hätten ihm all die Leiden den Verstand geraubt. Als er einigermaßen hergestellt war, ließ ich ihn in meine Kajüte bringen und pflegte ihn, soweit es sich mit meinen Pflichten vereinbaren ließ. Ich habe nie in meinem Leben einen interessanteren Menschen kennen gelernt. Seine Augen haben meist den Ausdruck der Wildheit, ich möchte fast sagen des Irrsinnes; aber in manchen Momenten, besonders wenn ihm jemand etwas Liebes erweist oder ihm einen, wenn auch noch so kleinen Dienst leistet, leuchtet sein ganzes Wesen auf und wird durchstrahlt von einem Schimmer von Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, wie man ihn selten findet. Sonst ist er aber melancholisch und verzweifelt und knirscht zuweilen mit den Zähnen, als könne er das Übermaß der Qualen, die er leidet, nimmer tragen.

Als mein Gast einigermaßen wieder gesund war, hatte ich große Mühe, meine Leute zu verhindern, daß sie ihn mit allen möglichen Fragen belästigten. Ich konnte es doch nicht gestatten, daß durch ihre müßige Neugierde die geistige und körperliche Genesung des Fremden, die offenbar nur durch ungestörteste Ruhe bewirkt werden konnte, aufgehalten werden sollte. Einmal jedoch gelang es meinem Leutnant dennoch, die Frage an ihn zu richten, wo er denn in seinem seltsamen Vehikel so weit über das Eis herkäme.

Ein Schatten tiefster Betrübnis huschte über sein Gesicht, dann sagte er: »Um einen zu suchen, der mich floh.«

»Und reiste der Mann, den Sie suchten, in derselben Weise, wie Sie?«

»Ja.«

»Dann, glaube ich, haben wir ihn gesehen. Denn am Tage, ehe wir Sie fanden, sahen wir einen Mann auf einem von Hunden gezogenen Schlitten über das Eis hinwegfahren.«

Dies erregte die Aufmerksamkeit des Fremden und er stellte eine Reihe dringender Fragen, die sich darauf bezogen, welche Richtung der Dämon – so nannte er den anderen – genommen habe. Als er kurz nachher mit mir allein war, sagte er: »Ich habe ohne Zweifel Ihre Neugierde erregt, ebenso wie die dieser guten Leute, aber Sie selbst sind ja zu rücksichtsvoll, um mich auszufragen.«

»Gewiß; ich würde es für aufdringlich und unmenschlich halten, Sie mit irgendwelchen Fragen zu belästigen.«

»Und das, trotzdem Sie mich aus einer seltsamen, verzweifelten Situation gerettet und mich zum Leben zurückgebracht haben!«

Einige Zeit danach fragte er mich, ob ich glaube, daß der Eisgang den Schlitten des »Anderen« zerstört habe. Ich antwortete ihm, daß ich hierüber mit Bestimmtheit nichts aussagen könne, denn der Eisgang habe erst gegen Mitternacht eingesetzt und der Reisende könne bis dahin recht wohl sich in Sicherheit gebracht haben.

Seit dieser Auskunft schien neuer Lebensmut den gebrechlichen Körper des Fremden zu durchströmen. Er wollte absolut an Deck bleiben, um nach dem Schlitten auszuspähen, von dem wir ihm gesprochen hatten. Aber ich habe ihn überredet, sich in der Kabine aufzuhalten, da er für die rauhe Temperatur da oben doch noch nicht stark genug sei. Ich habe ihm aber versprochen, daß jemand an seiner Stelle Ausschau halten und ihn sofort benachrichtigen werde, wenn sich irgend etwas sehen lassen sollte.

Bis zum heutigen Tage habe ich Dir nun alles über das seltsame Ereignis berichtet. Der Fremde scheint sich nach und nach zu kräftigen, aber er ist still und in sich gekehrt und ist ärgerlich, wenn ein anderer als ich seine Kajüte betritt. Aber er ist trotzdem so freundlich und liebenswürdig, daß die Matrosen ihn alle gern haben, wenn sie auch nur sehr wenig mit ihm in Berührung kommen. Ich aber gewinne ihn allmählich lieb wie einen Bruder und sein ständiger, tiefer Gram flößt mir tiefes Mitleid mit ihm ein. Er muß in seinen guten Tagen ein prächtiger Mensch gewesen sein, er, der noch als Wrack so anziehend und liebenswert ist.

Ich habe schon einmal in einem meiner Briefe gesagt, liebe Margarete, daß es mir wohl nicht vergönnt sein werde, auf dem weiten Ozean einen Freund zu finden. Aber ich habe wenigstens einen Mann kennen gelernt, der mir wirklich, wäre sein Geist nicht so tief verstört, ein Herzensfreund hätte werden können.

Ich werde Dir von Zeit zu Zeit von dem Fremden berichten, vorausgesetzt, daß es etwas zu berichten gibt.

*

13. August 18..

Meine Zuneigung zu dem unglücklichen Gaste wächst von Tag zu Tag. Ich bewundere und bemitleide ihn zugleich. Wie wäre es möglich, ein so edles Geschöpf von Gram verzehrt zu sehen, ohne selbst den tiefsten Schmerz mitzuempfinden? Er ist so gut und dabei klug, auch ist er außerordentlich gebildet und spricht wohlgesetzt und gewandt.

Er hat sich jetzt von seiner Krankheit ziemlich erholt und hält sich unausgesetzt auf Deck auf, offenbar um den Schlitten nicht zu übersehen, auf den er immer noch wartet. Er ist unglücklich, aber in all seinem Elend hat er doch immer noch Interesse für die Pläne der andern. Er hat viel mit mir über den meinigen gesprochen, den ich ihm rückhaltlos dargelegt habe. Aufmerksam folgte er allem, was ich im Sinne eines glücklichen Ausganges meines Unternehmens vorzubringen wußte, und vertiefte sich mit mir bis in die Details der Maßnahmen, die ich getroffen. Er hatte mir so viel Sympathie eingeflößt, daß ich offen mit ihm reden mußte. Ich ließ ihn in meine leidenschaftliche Seele blicken und sagte ihm auch, daß ich gern mein ganzes Vermögen, meine Existenz, meine Zukunft aufs Spiel setze, um mein Unternehmen zu einem guten Ausgange zu führen. Leben oder Tod eines Mannes seien ja gar nichts im Vergleich zu dem, was der Wissenschaft durch mein Unternehmen genützt werde. Während ich sprach, überzog eine dunkle Glut das Antlitz meines Zuhörers. Ich bemerkte, daß er anfänglich sich bemühte, seine Bewegung zu meistern. Er hielt die Hände vor das Gesicht, und meine Stimme bebte und stockte, als ich sah, daß Tränen zwischen seinen Fingern niederrannen, als ich hörte, wie ein wehes Stöhnen sich seiner Brust entrang. Ich hielt inne, da sagte er mit gebrochener Stimme: »Unglücklicher! Hat Sie derselbe Wahnsinn erfaßt wie mich? Haben auch Sie von dem Gifte getrunken? Hören Sie mich an, lassen Sie mich meine Geschichte berichten und Sie werden den Becher mit dem unheilvollen Trank von Ihren Lippen wegstoßen.«

Du kannst Dir denken, daß diese Worte meine ganze Neugier erregten. Aber das Übermaß des Schmerzes hatte die schwachen Kräfte des Fremden übermannt und es bedurfte vieler Stunden der Ruhe und sanfter Überredung, um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Nachdem er seiner heftigen Gefühle Meister geworden war, schämte er sich, daß seine Leidenschaft ihn so überwältigt hatte. Er unterdrückte mit Gewalt seine Verzweiflung und veranlaßte mich, über mich selbst zu sprechen. Er frug nach meiner Kindheit. Diese war rasch erzählt, aber dennoch gab sie verschiedene Anknüpfungspunkte. Ich sprach von meinem Wunsche, einen Freund zu finden, von meiner Sehnsucht nach einer gleichgestimmten Seele, die ich nie mein eigen nennen durfte, und gab meiner Überzeugung Ausdruck, daß niemand wahres Glück genossen habe, der sich nicht echter Freundschaft rühmen könne.

»Ich bin ganz Ihrer Ansicht,« entgegnete der Fremde. »Wir sind nur halbe Geschöpfe, wenn uns nicht ein Weiserer, Besserer – und das muß ja ein Freund sein – zur Seite steht, um unsere schwache, fehlerhafte Natur zu verbessern. Ich hatte einmal einen Freund, den edelsten Menschen, den man sich denken kann, und habe deshalb ein gewisses Recht mitzusprechen, wenn von Freundschaft die Rede ist. Sie sind noch voller Hoffnung und haben die Welt vor sich und deshalb keinen Grund zu verzweifeln. Aber ich – ich habe alles verloren und keinen Mut mehr, von vorn anzufangen.«

Als er das sagte, nahm sein Gesicht einen gramvollen Ausdruck an, der mir bis ins Herz hinein weh tat. Aber er sprach nicht weiter und zog sich in seine Kajüte zurück.

Trotz seines Leides hegt er eine tiefe, innige Liebe zur Natur. Der sternenbesäte Himmel, das Meer und alle Wunder dieser herrlichen Regionen schienen erhebend auf seine Seele zu wirken. Ein solcher Mensch hat eigentlich eine doppelte Existenz: er mag leiden und sich grämen, aber wenn er sich in sich selbst zurückzieht, dann ist er wie ein himmlischer Geist, den ein Heiligenschein umgibt, den Leid und Schmerz nicht zu verdunkeln vermögen.

Lächle nur über den Enthusiasmus, mit dem ich von diesem prächtigen Menschen erzähle. Wenn Du ihn kenntest, würdest Du nicht lächeln. Ich weiß, Deine feine Erziehung und die Zurückgezogenheit Deines Lebens haben Dich wählerisch gemacht; aber gerade das würde Dich besonders geeignet machen, das Außerordentliche an diesem Menschen zu erkennen und zu schätzen. Ich habe mich schon öfter bemüht, mir klar zu werden, was es ist, das ihn so himmelhoch über alle anderen Menschen erhebt. Ich glaube, vor allem ist es sein mehr als natürlicher Scharfsinn, eine nie fehlende Urteilskraft, eine Erkenntnis der Ursachen aller Dinge. Stelle Dir nun noch vor, daß er die Gabe besitzt, sich glänzend, dabei klar und präzis auszudrücken und daß seine Stimme eine außergewöhnliche Modulationsfähigkeit hat, so wirst Du begreifen, daß dieser Mann imstande ist, jemand zu bestricken.

*

19. August 18..

Gestern sagte der Fremde zu mir: »Sie haben sicherlich erkannt, Kapitän Walton, daß mich großes, unsagbares Leid betroffen hat. Ich hatte schon beschlossen, daß die Erinnerung daran mit mir ins Grab steigen solle; aber Sie haben mich so weit gebracht, daß ich meinem Entschluß untreu geworden bin. Sie suchen, wie ich einst, nach Wissen und Weisheit und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, daß dieses Streben Ihnen nicht, wie mir, zum fürchterlichsten Fluche werde. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Erzählung meiner Leiden von Nutzen sein wird; wenn ich aber bedenke, daß Sie denselben Weg gehen wie ich, sich denselben Gefahren aussetzen, die mich zu dem machten, was ich jetzt bin, so kommt mir die Überzeugung, daß Sie aus meiner Erzählung doch eine Moral zu ziehen vermögen; eine Moral für den Fall, daß Sie Erfolg mit Ihren Bestrebungen haben, wie auch für den Fall, daß Sie enttäuscht werden. Bereiten Sie sich darauf vor Dinge zu hören, die Sie als unglaublich bezeichnen möchten. Wären wir in kultivierteren Zonen der Erde, ich würde mich besinnen zu erzählen, weil ich fürchten müßte, daß Sie mir nicht glauben oder mich gar verlachen könnten; aber in diesen wilden, geheimnisvollen Regionen wird Ihnen manches möglich erscheinen, was solche, die mit den immer wechselnden Kräften der Natur nicht vertraut sind, zum Spotte reizen würde.« – Du kannst Dir denken, daß ich dankbar und erfreut das Angebot annahm, wenn ich mir auch sagen mußte, daß durch die Erzählung sein Leid wieder lebendiger, die Wunden nur wieder aufgerissen würden. Ich war ungeheuer gespannt auf das, was ich hören sollte, teils aus wirklicher Neugierde, teilweise aber auch, weil ich hoffte, vielleicht dadurch einen Fingerzeig zu bekommen, wie ich, wenn es überhaupt möglich wäre, ihm helfen könnte.

»Ich danke Ihnen,« sagte er, »für Ihre Teilnahme, aber sie ist unnütz; mein Schicksal ist nahezu erfüllt. Ich warte nur eines ab; wenn dies eintrifft, werde ich zur Ruhe gehen. Ich verstehe Ihre Gefühle,« fuhr er fort, nachdem ich vergebens versucht hatte, ihn zu unterbrechen, »aber Sie sind im Irrtum, mein Freund – wenn ich mir erlauben darf Sie so zu nennen – wenn Sie meinen, irgend etwas wäre imstande, mein Geschick zu ändern. Hören Sie erst meine Geschichte und Sie werden verstehen, wie unabänderlich es feststeht.«

Er sagte mir noch, daß er am nächsten Tage mit seiner Erzählung beginnen wolle, wenn es meine Zeit erlaube. Dieses Versprechen verpflichtete mich zu aufrichtigem Danke. Ich habe beschlossen, immer nachts, wenn mich nicht gerade mein Dienst abhält, möglichst wörtlich alles niederzuschreiben, was ich am Tage erfahren haben werde. Zum mindesten aber werde ich mir kurze Notizen machen. Diese Aufzeichnungen werden Dir sicher interessant sein, und mit welcher Teilnahme werde erst ich, der ich doch alles von seinen eigenen Lippen höre, in späteren Zeiten die Zeilen lesen. Während ich daran denke, wie ich meiner Aufgabe gerecht werden soll, tönt in meinen Ohren noch seine volle, melodische Stimme; ich sehe seine warmen, melancholischen Augen auf mir ruhen, seine feinen, schmalen Hände sich lebhaft bewegen, während sich in den Zügen seines Antlitzes seine Seele widerspiegelt. Seltsam und schrecklich muß seine Geschichte, furchtbar der Sturm gewesen sein, der das schöne Lebensschiff zerbrach.

1. Kapitel

Ich bin in Genf geboren. Meine Familie ist eine der vornehmsten dieser Stadt. Mein Vater war angesehen bei allen, die ihn kannten, wegen seiner unbestechlichen Rechtschaffenheit und der unermüdlichen Hingabe an seine Pflichten. In jüngeren Jahren schon hatte er im Dienste seiner Vaterstadt gestanden und verschiedene Umstände hatten es mit sich gebracht, daß er lange nicht zur Gründung eines eigenen Herdes gekommen war. Erst später hatte er geheiratet, als er die Mittaghöhe des Lebens schon überschritten.

Da die Vorgeschichte seiner Ehe für seinen ganzen Charakter bezeichnend ist, kann ich nicht umhin, ihrer Erwähnung zu tun. Einer seiner intimsten Freunde war ein Kaufmann, der infolge mißgünstiger Schicksale von der Höhe des Glückes herab in die tiefste Armut geriet. Dieser Mann, er hieß Beaufort, war stolz und unbeugsam und konnte es nicht ertragen, jetzt an der gleichen Stätte arm und vergessen zu leben, wo man ihn einst wegen seines Reichtums und seines glänzenden Auftretens besonders geehrt hatte. Er zahlte als ehrlicher Mann noch seine Schulden und zog sich dann mit seiner Tochter nach Luzern zurück, wo er unerkannt und armselig sein Leben fristete. Mein Vater war ihm in aufrichtiger Freundschaft zugetan und fühlte tiefes Erbarmen mit dem unglücklichen Manne. Auch bedauerte er sehr den falschen Stolz, der den Freund hinderte, seine Hilfe anzunehmen; hatte er doch gehofft, ihm mit seinem Rat und seinem Kredit wieder auf die Beine helfen zu können.

Tatsächlich hielt sich Beaufort dermaßen sorgfältig verborgen, daß es meinem Vater erst nach Verlauf von zehn Monaten gelang, ihn ausfindig zu machen. Überwältigt von der Freude, die ihm diese Entdeckung bereitet hatte, eilte er nach dem Hause, das in einer schmalen Gasse in der Nähe der Reuß lag. Aber schon bei seinem Eintritt wurde ihm klar, daß er eine Stätte der Not und des Elendes vor sich sah. Beaufort hatte aus seinem Zusammenbruch nur eine ganz unbedeutende Summe gerettet, aber sie hätte wenigstens genügt, ihn einige Monate zu erhalten. In dieser Zeit hoffte er in einem Kaufhause eine Stellung zu finden. Die erzwungene Untätigkeit gab ihm Zeit, noch mehr über das nachzudenken, was aus ihm geworden, und vertiefte seinen Gram, so daß er schließlich nach drei Monaten aufs Krankenbett sank.

Seine Tochter pflegte ihn mit der äußersten Hingabe, aber sie konnte es sich nicht verhehlen, daß ihr kleines Kapital rapid dahinschwand und daß dann keine Hoffnung auf irgend eine Unterstützung bestand. Aber Karoline Beaufort besaß eine ungewöhnliche Spannkraft und ihr Mut wuchs in diesen Widerwärtigkeiten. Sie versah die ganze Arbeit und vermochte durch Strohflechtereien wenigstens so viel zu verdienen, daß sie beide gerade noch notdürftig ihr Leben zu fristen imstande waren.

Einige Monate vergingen in dieser Weise. Ihr Vater wurde immer elender, so daß sie von seiner Pflege ausschließlich in Anspruch genommen wurde. Die letzten Notpfennige waren bald ausgegeben und im zehnten Monat starb ihr Vater in ihren Armen, sie als bettelarme Waise zurücklassend. Dieser letzte Schlag war der härteste für sie; sie kniete gerade bitterlich weinend am Sarge Beauforts, als mein Vater eintrat. Er kam wie ein rettender Engel zu dem armen Mädchen und vertrauensvoll legte sie ihr Geschick in seine helfenden Hände. Nach der Beerdigung seines Freundes brachte er Karoline nach Genf und gab sie dort Verwandten zur Obhut. Zwei Jahre später war sie seine Frau.

Der Altersunterschied meiner beiden Eltern war zwar sehr bedeutend, aber gerade das schien die Liebe, die sie zu einander hegten, nur zu vertiefen. Mein Vater besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, das ihn nur da wirklich lieben ließ, wo er auch seine Achtung geben konnte. Vielleicht hatte er in seinen früheren Jahren irgend eine Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht und legte deshalb so viel Wert auf den inneren Wert. Er zeigte für meine Mutter eine Verehrung, die sich von der schwächlichen Liebe älterer Leute wohl unterschied und die aus wirklicher Hochachtung vor ihr entsprang und vielleicht auch aus dem Wunsche, sie für all das Leid zu entschädigen, das ihr ihre Jugend gebracht. Alles drehte sich um sie, um ihr Wohlergehen. Er hielt sie, wie ein Gärtner eine wertvolle exotische Blume hält und sie vor jedem rauhen Windzug behütet. Allerdings hatte ihre Gesundheit und auch ihr starker, mutiger Geist unter den schweren Erschütterungen gelitten. Während der zwei Jahre, die seiner Verehelichung vorausgingen, hatte mein Vater allmählich alle seine Ämter abgegeben, und sofort nach der Hochzeit begab sich das Paar nach Italien, wo das milde Klima und eine Reise durch das wundervolle Land die Gesundheit der jungen Frau wiederherstellen sollten.

Von Italien aus ging dann die Reise nach Deutschland und Frankreich. Ich, das älteste Kind, kam in Neapel zur Welt und begleitete als kleiner Bursche schon meine Eltern auf ihren Streifzügen. Mehrere Jahre blieb ich ihr einziges Kind. Aus ihrer unerschöpflichen Liebe zueinander entsprang eine reiche Quelle von Liebe für mich. Die Liebkosungen meiner Mutter und das wohlwollende Lächeln meines Vaters sind meine ersten Erinnerungen. Ich war ihnen zugleich Spielzeug und Idol und, was das Beste ist, ihr Kind, das kleine, hilflose Wesen, das ihnen Gott geschenkt hatte, um es aufzuziehen, dessen Wohl und Wehe in ihren Händen lag. Es ist nicht verwunderlich, daß bei dem hohen Pflichtgefühl, das meine Eltern beseelte, und bei dem Geiste wahrer Zärtlichkeit, der in unserem Hause waltete, mein Leben einer Reihe von Freuden glich.

Lange Zeit war ich ihre einzige Sorge. Meine Mutter hatte sich noch ein Töchterchen ersehnt, aber ich blieb das einzige Reis am Baume. Als ich etwa fünf Jahre alt war, machten wir eine Reise nach der italienischen Grenze und verbrachten auch eine Woche an den Gestaden des Comersees. Ihr wohltätiger Sinn führte sie oftmals in die Hütten der Armen. Meine Mutter empfand das nicht nur als eine Pflicht, es war ihr ein Bedürfnis, eine Leidenschaft, den Armen in ihrem Elend ein Engel zu sein, denn sie hatte selbst viel gelitten und wußte, wie weh das tut. Bei einem ihrer Spaziergänge erregte eine kleine Hütte ihre Aufmerksamkeit, die wie verschämt sich in einem Seitentale barg und die, von der Schar armselig gekleideter Kinder zu schließen, die vor der Türe saßen, ein gut Teil Not und Elend zu bergen schien. Als mein Vater eines Tages nach Mailand verreist war, besuchte meine Mutter diese Hütte und ich durfte sie begleiten. Wir trafen ein bäuerisches Ehepaar, von Sorge und harter Arbeit niedergebeugt, das gerade ein karges Mahl an die fünf hungernden Kinder verteilte. Unter diesen war eines, das meiner Mutter besonders auffiel, denn es schien von ganz anderem Schlage. Während die übrigen Kinder schwarzäugige, derbe Kerle waren, sah die schlanke Kleine sehr hübsch aus. Sie hatte glänzendes Goldhaar und trotz der Armut ihrer Kleidung breitete sich ein unverkennbarer Adel über sie aus. Ihre Stirn war breit und hoch, ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr ganzes Antlitz war so lieblich, daß man sie nicht ansehen konnte, ohne sofort das Gefühl zu haben, daß sie etwas Besonderes, ein gottbegnadetes Geschöpf sei. Die Bäuerin hatte gleich bemerkt, daß meine Mutter mit Interesse und Bewunderung ihre Augen auf der Kleinen ruhen ließ, und erzählte sofort deren Lebensgeschichte. Sie war nicht ihr Kind, sondern das Töchterchen eines Edelmannes aus Mailand. Ihre Mutter, eine Deutsche, war gestorben, als sie dem Kinde das Leben gegeben hatte. Man hatte ihnen das kleine Wesen zur Pflege übergeben, sie waren damals noch nicht so arm gewesen. Sie waren noch nicht lange verheiratet und ihr erstes Kind war damals gerade zur Welt gekommen. Der Vater ihres Pflegekindes war einer jener Italiener gewesen, die in der Erinnerung an die glorreiche Geschichte ihrer Heimat aufgewachsen waren; einer jener Männer, die sich selbst opferten, um ihrem Vaterlande die Freiheit zu verschaffen. Auch er fiel seiner Leidenschaft zum Opfer. Ob er starb oder ob er noch in einem der Gefängnisse Österreichs schmachtete, wußte man nicht. Jedenfalls waren seine Güter konfisziert worden und sein Kind war ein Bettelkind geworden. Es blieb bei seinen Pflegeeltern und blühte in der rauhen Umgebung schöner wie eine Rose zwischen dunkelfarbigem Unkraut.

Als mein Vater von Mailand zurückkehrte, fand er mich auf dem Vorplatze unserer Villa mit der Kleinen spielend, die schön war wie ein Cherub; ein Wesen, aus dessen Augen wundervolle Strahlen leuchteten und das schlank und beweglich war wie eine Gemse. Die Angelegenheit war bald geregelt. Mit Erlaubnis meines Vaters vermochte die Mutter die armen Leute rasch zu bewegen, ihr die Obhut über das Kind zu überlassen. Sie konnten die arme, süße Waise gut leiden und sie war ihnen immer wie ein Sonnenschein im Hause gewesen; deshalb hätten sie es nicht übers Herz gebracht, sie in Not und Elend zurückzuhalten, während ihr die Vorsehung ein solches Glück bescherte. Sie fragten noch den Priester des Ortes um Rat, und das Resultat dieser Unterredung war, daß Elisabeth Lavenza ihren Einzug in das Haus meiner Eltern hielt. Sie wurde mir lieber als eine Schwester – die liebliche, angebetete Gefährtin meines Schaffens und meiner Erholung.

Jeder hatte Elisabeth gern. Die Liebe und Verehrung, mit der sie alle bedachten, die ihr näher traten, war mein Stolz und meine Freude. Am Vorabend des Tages, an dem Elisabeth zu uns kam, sagte meine Mutter zu mir: »Ich habe ein reizendes Geschenk für meinen Viktor, morgen sollst du es haben.« Und als sie am Morgen das Kind mir als die versprochene Gabe zeigte, faßte ich voll kindlichen Ernstes ihre Worte so auf, daß Elisabeth mein sei, um sie zu schützen, zu lieben und zu verhätscheln. Jedes Lob, das der Kleinen galt, nahm ich so auf, als sei es ein Lob meines Eigentums. Wir nannten einander beim Vornamen. Kein Wort ist imstande zu schildern, was wir uns waren, um so mehr als sie bis zu ihrem Tode meine einzige Schwester sein sollte.

19. Kapitel

Unser nächstes Reiseziel war London. Wir hatten uns vorgenommen, einige Monate dort zu verbringen. Clerval war es sehr darum zu tun, mit all den Männern von Ruf zusammenzukommen; für mich allerdings standen andere Dinge im Vordergrunde. Ich wollte mir vor allem die nötigen Informationen holen, um dann unverzüglich ans Werk gehen zu können. Ich beeilte mich deshalb, von den Empfehlungsbriefen an die namhaftesten Naturphilosophen, die man mir mitgegeben, Gebrauch zu machen.

Hätte ich diese Reise zur Zeit meiner ersten Studien, wo ich noch glücklich war, unternommen, sie wäre mir sicherlich zu einer reich sprudelnden Quelle der Freude geworden. Aber nun lag ein düsterer Schatten auf meinem Leben und ich besuchte die Leute nur deshalb, um möglichst viel von dem zu erfahren, war mir für die rasche Ausführung meines Planes not tat. Fremde Gesichter waren mir eine Qual. Zwischen mir und meinen Nebenmenschen sah ich eine unübersteigliche Schranke aufgerichtet, und diese Schranke war vom Blute Wilhelms und Justines befleckt. Die Erinnerung an die mit diesen Namen verknüpften Ereignisse erfüllten meine Seele mit namenloser Angst. Nur Henrys Stimme vermochte beruhigend auf mich einzuwirken und mir vorübergehend Frieden zu verschaffen.

Das kam daher, daß ich in Clerval ein Abbild dessen sah, was ich früher gewesen; er war wißbegierig und unermüdlich in seinem Streben nach Erfahrung und Belehrung. Auch er hatte einen Plan, er wollte nämlich Indien kennen lernen, weil er glaubte, daß er mit seinen Kenntnissen der Sprache und Kultur jenes Landes der europäischen Kolonisation und dem europäischen Handel nützlich sein könne. Nur in England, meinte er, sei es ihm möglich, diesen Plan seiner Verwirklichung zuzuführen. Er war viel beschäftigt, und das Einzige, was ihn störte, war mein bekümmertes und trauriges Wesen. Ich versuchte allerdings, es möglichst vor ihm zu verbergen, um ihm nicht den Lebensgenuß zu verbittern, der ja so natürlich ist für einen Mann, der in neue Verhältnisse kommt und den keine Sorgen und trüben Gedanken quälen. Ich vermied es öfter ihn zu begleiten, indem ich andere Verabredungen vorschützte, um allein sein zu können. Ich begann allmählich das notwendige Material für meine neue Schöpfung zu sammeln und jede einzelne Tätigkeit in dieser Richtung bereitete mir Torturen, wie einzelne Wassertropfen, die unaufhörlich auf jemandes Kopf herabfallen. Jeder Gedanke an mein Vorhaben erregte mein Grauen und jedes Wort, das ich darüber zu sprechen hatte, kam nur zögernd von den zitternden Lippen, während mein Herz ängstlich klopfte.

Nachdem wir schon mehrer Monate in London geweilt hatten, erhielten wir einen Brief von einem Herrn aus Schottland, den wir früher einmal in Genf kennen gelernt hatten. Er pries die Schönheiten seines Heimatlandes und frug an, ob diese nicht imstande seien, uns zu einer Ausdehnung unserer Reise in nördlicher Richtung zu veranlassen, bis Perth, wo er seinen Wohnsitz hatte. Clerval redete mir eifrig zu, dieser Einladung Folge zu leisten, und ich selbst sehnte mich danach, wieder einmal Berge und Wasserfälle und all das Schöne zu sehen, mit dem Mutter Natur ihre Lieblingsplätze zu schmücken pflegt. So packte ich meine chemischen Apparate und das angesammelte Material zusammen, um meine Arbeiten dann in irgend einem entlegenen Winkel im Norden des schottischen Hochlandes zu vollenden.

Eine Woche später verließen wir London. Mir tat der Aufbruch nicht leid. Hatte ich doch mein Vorhaben so lange hinausgeschoben, daß ich die Rache des enttäuschten Dämons zu fürchten begann. Er konnte ja in der Schweiz zurückgeblieben sein und nun seine Wut an den Meinen auslassen, die meines Schutzes entbehrten. Diese Vorstellung marterte mich und raubte mir Ruhe und Frieden. Mit fiebernder Ungeduld erwartete ich die Nachrichten von zu Hause. Wenn sie länger auf sich warten ließen, ergriff mich entsetzliche Angst und ich malte mir alles in den schwärzesten Farben aus. Und wenn dann wirklich ein Brief kam, wagte ich es kaum ihn zu öffnen, weil ich fürchtete, meine düsteren Ahnungen bestätigt zu finden. Öfter kam mir auch der Gedanke, daß mein Todfeind vielleicht in meiner nächsten Nähe sein könne und nur auf eine Gelegenheit wartete, meinen Freund zu ermorden, um sich für meine Säumigkeit zu rächen. Deshalb wollte ich auch Henry keinen Augenblick allein lassen, sondern folgte ihm wie sein Schatten, um ihm helfen zu können, wenn der Dämon sich auf ihn stürzte. Mir war, als hätte ich ein furchtbares Verbrechen begangen, denn wenn ich auch tatsächlich unschuldig war, so hatte ich mir doch einen Fluch auf mein Haupt herabbeschworen, der vielleicht ebenso schwer auf mir lastete wie ein Verbrechen.

In Perth erwartete uns unser Gastfreund schon. Ich war nicht in der Laune, mit Fremden zu lachen und zu plaudern und brachte nicht den guten Humor mit, den man von seinen Gästen wohl erwarten darf. Ich bat deshalb Clerval, mich noch die Tour durch Schottland machen zu lassen, selbst aber hier zu bleiben, wo wir uns nach einem oder zwei Monaten wieder treffen würden. »Sei vergnügt und lasse mich allein mit meinen Gefühlen, ich bitte dich darum. Nur kurze Zeit bedarf ich der Ruhe und der Einsamkeit; und wenn ich dann, wie ich hoffe, mit leichterem Herzen zurückkehre, werde ich besser zu dir passen.«

Henry versuchte mir meinen Plan auszureden; als er aber sah, daß ich fest blieb, gab er es auf. Er bat mich nur, ihm recht oft Nachricht zu geben. »Lieber ginge ich mir dir, mein Freund, und begleitete dich auf deinen einsamen Spaziergängen, als daß ich hier mit Leuten zusammenbleibe, die ich gar nicht kenne. Also beschleunige deine Rückkehr, damit ich mich einigermaßen zu Hause fühle, was ich ja ohne dich nicht kann.«

Nachdem ich mich von meinem Freunde verabschiedet hatte, nahm ich mir vor, mich in irgend einen versteckten Winkel des schottischen Hochlandes zurückzuziehen und dort in der Einsamkeit mein Werk zu vollenden. Ich rechnete bestimmt darauf, daß mein böser Dämon sich stets in meiner Nähe hielt, um den Fortgang meiner Arbeit zu überwachen und seine Genossin schließlich aus meinen Händen in Empfang zu nehmen.

Ich durchwanderte die nördlichen Teile des Hochlandes und wählte mir endlich eine der äußersten Orkneyinseln als Schauplatz meiner kommenden Tätigkeit aus. Dieses Stück Erde war für meinen Zweck wie geschaffen, denn die Insel war nur ein Stück Fels, aus dessen Rändern ewig brandende Wogen emporschlugen. Die Scholle war mager und kaum das Futter für ein paar dürftige Kühe und das Mehl für die fünf Bewohner, deren schlotternde, dünne Glieder einen Schluß auf ihr armseliges Dasein zuließen. Gemüse und Brot – falls einmal Bedarf nach solchen Luxusgegenständen vorhanden war – und selbst frisches Wasser mußten auf dem fünf Meilen entfernten Festland geholt werden.

Drei armselige Hütten standen auf der Insel, von denen die eine unbewohnt war. Diese mietete ich. Sie enthielt nur zwei Zimmer, die verwahrlost und schmutzig waren. Das Dach war eingefallen, die Wände waren nicht verputzt und die Tür hing aus den Angeln. Ich ließ alles reparieren, sorgte für einige Einrichtungsgegenstände und bezog mein neues Heim; ein Ereignis, das sicherlich einiges Aufsehen hätte erregen müssen, wären diese armen Menschen nicht vor Elend und Schmutz völlig verdummt gewesen. Jedenfalls konnte ich auf diese Weise unbeobachtet und ungestört leben, kaum daß man mir für die Almosen, die ich an Nahrungsmitteln und Kleidern gab, dankte.

In diesem meinen Versteck widmete ich den Morgen der Arbeit, den Abend verbrachte ich, wenn es das Wetter zuließ, mit einem Spaziergang an der steinigen Küste, um dem Brüllen und Tosen der Wogen zu meinen Füßen zuzuhören. Die Szenerie war monoton, aber immer anziehend. Ich gedachte meiner Schweizer Heimat, die sich so sehr von dieser öden, trostlosen Landschaft unterschied. Dort waren die Hügel mit Wein bewachsen, und dichtbevölkert sind die Täler. Die schönen Seen spiegeln einen reinen, blauen Himmel wieder, und wenn Stürme sie aufwühlen, so ist das wie ein Kinderspiel gegen das Rasen des riesigen Ozeans.

In dieser Weise beschäftigte ich mich, nachdem ich mich auf der Insel häuslich niedergelassen hatte. Aber je weiter meine Arbeit fortschritt, desto schrecklicher und ekelhafter wurde sie mir. Tagelang war ich oft nicht imstande mein Laboratorium zu betreten, und dann arbeitete ich manchmal wieder Tage und Nächte unausgesetzt, um mein Werk zu Ende zu bringen. Als ich das Experiment zum ersten Male ausführte, hatte mich ein fanatischer Eifer über all das Häßliche hinweggetäuscht; mein Geist war erfüllt von dem brennenden Wunsche, etwas Großes zu schaffen, und das Auge übersah dabei die schrecklichen Dinge. Nun aber, als ich mit klarem Verstände und vorurteilsfrei ans Werk ging, glaubte ich oft des Ekels nicht mehr Herr werden zu können.

Es ist nicht zu verwundern, daß ich in dieser Lage, gefesselt an eine verhaßte Aufgabe, in der entsetzlichen Einöde, die mich nicht zu zerstreuen vermochte, nervös und unruhig wurde. Jeden Augenblick meinte ich mit meinem Dämon zusammentreffen zu müssen. Manchmal saß ich da, und heftete den Blick auf den Boden, in steter Angst, daß ich beim Erheben der Augen die gefürchtete Kreatur vor mir auftauchen sehen werde. Ich hielt mich immer möglichst in der Nähe der Menschen, weil ich hoffte, daß er sich dann nicht heranwagen werde, um seine Genossin von mir zu fordern.

Unterdessen arbeitete ich weiter und mein Werk war schon ziemlich gediehen. Ich sah seiner Vollendung voll zitternder Hoffnung entgegen, die aber untermischt war mit einer Vorahnung kommenden Leides, so daß mir das Blut im Herzen stockte.

20. Kapitel

Eines Abends saß ich in meinem Laboratorium. Die Sonne war untergegangen und der Mond stieg aus der See empor. Ich hatte nicht mehr genügend Licht, um weiter zu arbeiten, und saß da, die Hände im Schoß, indem ich darüber nachdachte, ob ich mein Werk für heute liegen lassen oder noch einen Anlauf nehmen und es vollenden sollte. Dabei gingen mir allerlei seltsame Gedanken durch den Kopf und ich ward mir eigentlich zum ersten Male bewußt, welche Folgen mein Beginnen haben könnte. Drei Jahre früher hatte ich mich ja schon in der gleichen Weise beschäftigt und ein Wesen geschaffen, dessen barbarische Grausamkeit mich tief unglücklich gemacht und mein Gewissen für immer aufs Furchtbarste belastet hatte. Ich war nun daran, ein zweites Geschöpf zu bilden, von dessen Eigenschaften ich im voraus ja auch nichts wissen konnte. Es konnte noch viel tausendmal schlimmer werden als sein Vorgänger und ebenfalls an Mord und Grausamkeit seine Freude haben. Jener hatte ja geschworen, daß er sich aus dem Angesicht der Menschheit zurückziehen und sich in irgend einer Wüste verbergen werde. Aber wer bürgte mir dafür, daß die neue Kreatur sich dem Pakt, der vor ihrer Entstehung geschlossen ward, fügen würde? Es war auch nicht unmöglich, daß die beiden Ungeheuer sich gegenseitig mißfielen, denn mein Dämon hatte schon seinen eigenen Anblick hassen gelernt und war vielleicht enttäuscht, wenn ihm seine Häßlichkeit in weiblicher Gestalt gegenübertrat. Auch das neugeschaffene Weib konnte sich vielleicht entsetzt von der Mißgestalt seines Genossen abwenden und an der menschlichen Schönheit Gefallen finden. Mein Dämon war dann wieder allein, nur daß ihn das Bewußtsein, sogar von seinesgleichen verabscheut zu werden, noch rasender machte.

Und wenn sie nun wirklich aneinander Gefallen fanden und zusammen Europa verließen, war es da nicht selbstverständlich, daß ihrer Verbindung Nachkommenschaft entsprang? Und war dieses Geschlecht von Teufeln nicht ganz geeignet, die Existenz des Menschengeschlechts zu gefährden, sie zumindest aber zu einer schreckensvollen zu machen? Durfte ich um meinetwillen einen solchen Fluch auf die kommenden Generationen laden? Ich hatte mich durch die Sophismen des Dämons bestimmen lassen und seine fürchterlichen Drohungen hatten meinen Widerstand gebrochen. Nun kam mir zum ersten Male die ganze Verruchtheit meines Versprechens zum Bewußtsein. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß man in späteren Zeiten meinem Andenken fluchen werde, als dem eines Mannes, der um seines eigenen Friedens willen die ganze Existenz der Menschheit verkauft hatte.

Ich zitterte und mein Herzschlag stockte, und als ich aufsah, stand am Fenster – mein Dämon! Ein teuflisches Grinsen verzerrte sein Antlitz, wie er mich an der Arbeit sah, die er mir aufgezwungen. Also war er mit tatsächlich gefolgt. Er hatte sich in Wäldern und Höhlen versteckt gehalten und auf den weiten, trostlosen Haiden Zuflucht gesucht. Und nun war er da, um zu sehen, wie weit ich war, und um mich an die Erfüllung meines Gelübdes zu erinnern.

Als ich dieses Gesicht voll Bosheit und Grausamkeit erblickte, ergriff mich bei dem Gedanken, daß ich mich verpflichtet hatte, ein ihm ähnliches Wesen zu schaffen, eine furchtbare Raserei und ich zertrümmerte das Werk meiner Hände. Der Dämon sah, wie ich das vernichtete, auf dessen künftige Existenz er seine ganzen Glückshoffnungen aufgebaut hatte, und verschwand mit einem Geheul satanischer Rachsucht vom Fenster. Ich verließ das Laboratorium, verschloß dessen Tür und legte mir selbst das Gelübde ab, diese Arbeit nie wieder aufzunehmen. Dann suchte ich mit schwankenden Schritten mein Schlafgemach auf. Ich war allein. Niemand in meiner Nähe, der sich bemüht hätte, das Dunkel zu lichten, das meine Seele umgab, und mir die quälenden Gesichte zu verscheuchen.

Einige Stunden stand ich so am Fenster und starrte auf die See hinaus. Sie war fast regungslos, denn unter dem sanften Schein des Mondes hatte sich der Wind wie die ganze übrige Natur schlafen gelegt. Auf der dunklen Wasserfläche lagen, noch um eine Nuance dunkler, einige Fischerboote, und zuweilen tönten aus der Ferne die Rufe der Fischer herüber. Die tiefe Stille tat mir wohl, wenn ich mir dessen vielleicht auch nicht ganz bewußt wurde. Plötzlich hörte ich Ruderschläge am Ufer und Jemand landete in der Nähe meines Hauses.

Wenige Augenblicke später hörte ich ein Geräusch an meiner Tür, als wenn man versuchte sie leise zu öffnen. Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich hatte schon eine Ahnung, wer da Einlaß begehrte, und hätte am liebsten einen der Landleute gerufen, die nicht weit von mir wohnten. Aber ich hatte ein Gefühl der Ohnmacht, das man zuweilen in schweren Träumen empfindet. Man möchte gern einem unheimlichen Verfolger entfliehen, kann aber nicht von der Stelle, als sei man festgewurzelt.

Dann hörte ich schwere Tritte auf dem Flur. Die Tür öffnete sich und herein trat der Gefürchtete. Er schloß hinter sich ab, kam auf mich zu und sagte mit sanfter Stimme:

»Warum hast du dein begonnenes Werk zerstört; was soll das bedeuten? Hast du im Sinne, dein Wort zu brechen? Ich habe Not und Elend erduldet. Ich bin mit dir von der Schweiz fortgegangen; ich wanderte verstohlen an den Ufern des Rheines entlang und überkletterte mühsam die steilen Hügel. Ich habe mich monatelang auf den Haiden Englands und den schottischen Steinwüsten verborgen gehalten. Ich habe keine Mühsal, keinen Hunger, keine Kälte gescheut, um in deiner Nähe zu bleiben. Darfst du da meine ganzen Hoffnungen vernichten?«

»Verfluchter! Natürlich breche ich mein Wort. Niemals werde ich mich dazu hergeben, ein Wesen zu schaffen, das dir an Häßlichkeit und Verruchtheit gleicht!«

»Elender Sklave! Darum also habe ich mich herbeigelassen, mit dir zu verhandeln? Aber vergiß nicht, daß ich dich in der Gewalt habe. Du meinst wirklich, du seist schon elend? Ich kann dich so unglücklich machen, daß du den Tag verfluchst, an dem du das erste Mal das Licht der Welt sähest. Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Gebieter. Du hast zu gehorchen!«

»Die Zeit meiner Unentschlossenheit ist nun vorüber und du kannst tun, was du willst. Deine Drohungen helfen gar nichts. Ich werde das Verbrechen nicht begehen, das du von mir forderst. Im Gegenteil, je mehr du drohst, desto fester bin ich entschlossen, dir keine Genossin zu schaffen. Soll ich kalten Blutes einen Dämon mehr auf die arme Welt loslassen, dessen Dasein Mord und Verderben bedeutet? Geh! Ich bleibe fest und deine Worte können höchstens mich noch zornig machen!«

Das Ungeheuer sah, daß ich festen Willens war, und knirschte in hilfloser Wut mit den Zähnen. »Soll denn jeder Mensch,« schrie er, »ein Weib finden, das er in die Arme schließen kann, und jedes Tier sein Weibchen haben? Und soll ich allein bleiben? Ich hatte das Beste gewollt und das vergilt man mir mit Haß und Abscheu. Meinetwegen hasse mich; aber sei auf der Hut! Dein Leben soll in Gram und Leid dahinfließen, und bald wird der Riegel fallen, der dich von aller Freude abschließen soll. Du sollst nicht glücklich sein, während ich nach einem bißchen Licht und Freude schmachte. Du kannst alle meine Wünsche unterdrücken, aber nicht meine Rache; die Rache soll mir heilig sein und mir vorgehen vor Sonne und Nahrung. Und wenn ich untergehe, dann mußt vorher du, mein Tyrann, mein Quäler, dem Lichte geflucht haben, das deinem Elend geleuchtet. Hüte dich! Ich fürchte nichts und deshalb bin ich stark. Ich will listig wie eine Schlange warten, bis ich dir den Giftzahn ins Fleisch schlagen kann. Du sollst das Unrecht bereuen, das du an mir getan!«

»Geh, Satan, und vergifte nicht weiter die Luft mit dem Atem deiner Bosheit! Ich habe dir gesagt, was mein Wille ist, und nichts soll mich mehr zu einem Schurken machen, der an seinem Worte rütteln läßt. Geh! Ich bin unerbittlich!«

»Nun gut; ich gehe. Aber verlasse dich darauf: in deiner Brautnacht werde ich bei dir sein.«

Ich sprang auf ihn zu und schrie: »Elender! Ehe du mein Todesurteil sprichst, sieh zu, daß du selbst heil bist!«

Ich wollte ihn ergreifen. Aber er entwand sich leicht meinen Händen und stürzte eilig aus dem Hause. Ich sah ihn einige Augenblicke später in seinem Boote, das pfeilschnell durch die Wellen dahinschoß und sich bald im Dunkel verlor.

Nun war es wieder still um mich her, aber in meinen Ohren klangen seine Worte. Ich brannte vor Begierde, den Räuber meines Friedens zu verfolgen und ihn ins Meer zu stürzen. In größter Erregung eilte ich in meinem Zimmer auf und nieder und allerlei Gedanken fuhren mir wirr durch den Kopf. Warum war ich ihm nicht gleich nachgelaufen, um mich mit ihm im Kampfe auf Leben und Tod zu messen? Aber nun war es geschehen; er war mir entkommen und hatte sein Schiff dem Festland zugesteuert. Dann fielen mir wieder seine Worte ein: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein.« Das also war der Tag, an dem sich mein Geschick entscheiden mußte. Dann sollte ich sterben, ein Opfer seines Hasses. Ich empfand nicht die geringste Furcht; aber als ich daran dachte, wie meine arme Elisabeth leiden mußte, wenn ihr der Geliebte von grausamer Hand hinweggerafft wurde, da flossen die Tränen – die ersten, die ich seit langer Zeit wieder geweint – über meine Wangen und ich schwor mir, nicht ohne erbitterten Kampf zu fallen.

Auch diese Nacht ging vorüber und leuchtend stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ich wurde wieder ruhiger, wenn man den Zustand als Ruhe bezeichnen kann, in dem rasende Erregung der tiefsten Verzweiflung Platz macht. Ich verließ das Haus, in dem sich die schreckliche Unterredung mit meinem Dämon abgespielt hatte, und begab mich an den Strand. Ich hatte den Wunsch, daß ich mein weiteres Leben auf dieser öden Steinklippe hinbringen dürfte; ein hartes Leben, das ist wahr, aber frei von jedem unerwarteten Schicksalsschlag. Wenn ich in meine Heimat zurückkehrte, dann geschah es nur, um meinem Ende entgegenzugehen oder die meinen unter den grausamen Fingern des Dämons, dem ich selbst das Dasein gegeben, verbluten zu sehen.

Rastlos eilte ich am Ufer hin und her. Als es Mittag wurde und die Sonne schon hoch stand, warf ich mich ins Gras und verfiel in einen tiefen Schlaf. Ich hatte die ganze vorige Nacht gewacht; meine Nerven schmerzten und meine Augen waren entzündet. Doch der Schlaf erquickte mich, und als ich wach wurde, fühlte ich wieder, dass ich ein Mensch war wie die anderen. Das gab mir meine Fassung wieder, wenn auch die Worte meines Todfeindes noch in meinen Ohren klangen wie Grabgeläute, fern aber deutlich.

Die Sonne stand bereits tief am Horizont. Ich stillte eben meinen rasenden Hunger mit einigen Brötchen, als ich ein Boot herankommen sah. Ein Mann der Besatzung sprang ans Land und übergab mir ein Paket. Es enthielt Briefe von Genf und einen weiteren von Clerval, der mich bat, zu ihm zu kommen. Er schrieb mir unter anderem auch, daß die Zeit, die er an seinem jetzigen Aufenthaltsort verbringe, für ihn nutzlos sei und daß die Freunde, die er in London gewonnen, ihm nahelegten, zurückzukehren und die Vorbereitungen für die Reise nach Indien zu treffen. Er könne seine Abfahrt nicht länger hinausschieben; und da er seine große Reise möglichst rasch nach seiner Ankunft in London antreten wolle, möchte ich mich beeilen, damit er noch recht viel mit mir zusammen sein könne. Er schlug mir vor, meinen Aufenthalt auf der Felseninsel sofort zu unterbrechen und in Perth mit ihm zusammenzutreffen, von wo aus wir dann die Fahrt nach London gemeinschaftlich machen würden. Dieser Brief erweckte meine Lebensgeister wieder vollständig und ich beschloß, spätestens in zwei Tagen der einsamen Insel Valet zu sagen.

Eine Aufgabe stand mir allerdings bevor, an die ich nur mit Schaudern denken konnte, nämlich die Verpackung meiner chemischen Utensilien. Zu diesem Zwecke war ich gezwungen, das Zimmer zu betreten und all die schauerlichen Dinge nochmals zu berühren, deren Anblick mich schon krank machen würde. Am nächsten Morgen kurz nach Tagesanbruch raffte ich mich auf und öffnete die Tür meines Laboratoriums. Die Reste des fast fertigen Geschöpfes, das ich zerstört hatte, lagen zerstreut auf der Diele umher und ich hatte das Gefühl, als hätte ich ein lebendes Wesen zerstückelt. Ich mußte einen Augenblick innehalten, um Mut zu fassen, und trat dann ein. Mit zitternden Händen trug ich die Instrumente aus dem Zimmer. Ich durfte aber auch die Überbleibsel meines Werkes nicht liegen lassen, um nicht den Schrecken und den Argwohn der Inselbewohner zu erregen. Ich legte deshalb alles in einen Korb und einige schwere Steine darauf, weil ich beabsichtigte, in der Nacht das Ganze ins Meer zu versenken. Dann setzte ich mich an den Strand, wo ich meine Instrumente reinigte und verpackte.

In meinem Inneren hatte sich, seit der Dämon mich heimgesucht, ein vollkommener Wandel vollzogen. Vorher hatte ich in düsterer Resignation das Versprechen, das ich gegeben, als etwas angesehen, das unbedingt gehalten werden müsse. Nun aber war es wie ein Schleier von meinen Augen gefallen und ich meinte, seit langer Zeit zum ersten Male wieder ganz klar zu sehen. Der Gedanke, mein Werk nochmals von vorn zu beginnen, war mir dabei gar nicht gekommen. Die Drohungen des Dämons lasteten zwar auf meinem Gemüt, aber es fiel mir gar nicht ein, daß es in meiner Macht lag, diese gegenstandslos zu machen. Es stand in mir unerschütterlich fest, daß ich mit der Schöpfung eines zweiten Wesens mir eine durchaus egoistische und grausame Handlungsweise hätte zuschulden kommen lassen, und ich wies jeden, auch den leisesten Gedanken zurück, der mich in meiner Überzeugung hätte wankend machen können.

Morgens zwischen zwei und drei Uhr ging der Mond auf. Ich bestieg mit meinem Korbe ein kleines Boot und fuhr etwa vier Meilen weit in die See hinaus. Es war totenstill. Einige Schiffe segelten landwärts, aber ich hielt mich möglichst weit von ihnen entfernt. Ich mied so ängstlich das Antlitz meiner Mitmenschen, als sei ich daran, ein schweres Verbrechen zu begehen. Als der Mond einige Zeit hinter einer dicken, schwarzen Wolke verschwand, hielt ich den richtigen Augenblick für gekommen und schleuderte den Korb mit seinem unheimlichen Inhalt in das dunkle Wasser. Gurgelnd sank er in die Tiefe und ich ruderte dann eilends davon. Der Himmel hatte sich unterdessen überzogen, aber die Luft war rein und kalt, da sich eine steife Nordostbrise erhob. Die Frische tat mir wohl und erfüllte mich mit Behagen, so daß ich beschloß, noch einige Zeit auf dem Wasser zu bleiben. Ich zog die Ruder ein und legte mich auf den Boden des Schiffes. Es war ganz finster geworden und das Plätschern der Wellen am Kiel tönte beruhigend an mein Ohr, sodaß ich bald in tiefen Schlaf versank.

Wie lange ich mich da draußen hatte treiben lassen, weiß ich nicht. Jedenfalls stand die Sonne schon hoch am Himmel, als ich die Augen öffnete. Der Wind war stärker geworden und schwere Wellen mit weißen Kämmen drohten mein kleines Boot zum Kentern zu bringen. Ich orientierte mich nach der Sonne und stellte fest, daß der Nordost noch anhielt und mich weit von der Küste abgetrieben zu haben schien. Zuerst beabsichtigte ich meinen Kurs zu ändern, erkannte aber, daß das unmöglich sei, weil bei diesem Versuch sofort mein Boot vollaufen mußte. Ich mußte mich also vor dem Winde treiben lassen. Ich muß gestehen, daß mir ziemlich unbehaglich zu Mute war. Ich hatte keinen Kompaß bei mir, und da ich mit der Geographie jener Landstriche nicht sehr vertraut war, bildete die Orientierung nach der Sonne nur einen sehr unzuverlässigen Notbehelf. Wenn es mich hinaustrieb auf den Atlantischen Ozean, dann war mir der Hungertod sicher, wenn nicht vorher schon die Wogen, die sich rings um mich auftürmten und an mein Boot klatschten, mich verschlangen. Ich war bereits ziemlich lange unterwegs und ein brennender Durst quälte mich. Ich starrte zum Himmel, über den in fliegender Hast Wolke auf Wolke dahineilte; ich starrte auf die Wasserwüste, die über kurz oder lang mein Grab werden mußte. »Nun bleibst du doch Sieger, du, mein Feind!« rief ich in die Öde hinaus. Ich dachte an Elisabeth, an meinen Vater, an Clerval, die ich schutzlos zurückließ und an denen der Dämon seinen Blutdurst und seine unerbittliche Rachsucht stillen würde. Der Gedanke erfüllte mich mit so furchtbarer Angst und mit solchem Entsetzen, daß noch jetzt, da sich schon der Vorhang über meiner Tragödie zu senken beginnt, mein Blut erstarrt.

Stunde um Stunde kroch so in tödlicher Langeweile dahin. Die Sonne näherte sich dem Horizont; der Wind flaute ab und die See begann sich zu glätten. Aber an die Stelle der rollenden Wogen trat eine starke Dünung. Mir ward so übel, daß ich nicht mehr imstande war die Ruder zu führen. Plötzlich tauchte vor meinen Augen eine hohe Steilküste auf.

Trotz meiner tiefen Erschöpfung rann mir bei dem Bewußtsein meiner nahen Rettung frischer Lebensmut durch die Adern und Freudentränen flossen über meine Wangen herab.

Wie rasch sich doch unsere Gefühle ändern und wie seltsam es ist, daß wir selbst im äußersten Elend so sehr am Leben hängen! Aus meinem Mantel konstruierte ich mir ein Segel und steuerte auf das Land zu. Es war eine wilde Felsenküste, die da vor mir lag; aber als ich näher kam, erkannte ich, daß ich in der Nähe menschlicher Wohnstätten war. Boote lagen am Ufer. Aufmerksam suchte ich mit den Augen die Küste ab und stieß einen Freudenschrei aus, als ich hinter einer felsigen Landzunge die Spitze eines Kirchturmes emporragen sah. Ich beschloß, direkt auf die Ansiedelung loszufahren, da ich hoffen konnte, dort am ehesten Speise und Trank zu erhalten. Glücklicherweise hatte ich genug Geld bei mir. Als ich die Landzunge umfahren hatte, lag ein kleines, hübsches Städtchen vor mir, und innige Freude zog durch mein Herz, wie ich in dem geschützten Hafen landete.

Ich war damit beschäftigt, mein Boot festzumachen und das Notsegel abzunehmen, als ich bemerkte, daß sich eine Anzahl Menschen herandrängte. Sie schienen sehr erstaunt über meine Ankunft. Aber anstatt mir behülflich zu sein, flüsterten sie einander zu und machten Geberden, die mich unter anderen Umständen ernstlich beunruhigt hätten. Immerhin bemerkte ich, daß sie sich englisch unterhielten, und rief ihnen deshalb in dieser Sprache zu: »Halloh, meine Freunde, wollt ihr so gut sein und mir sagen, wie die Stadt hier heißt?«

»Das werdet Ihr noch bald genug erfahren,« entgegnete mir ein Mann mit rauher Stimme. »Es kann recht gut sein, daß ihr an einem Platze gelandet seid, der nicht nach eurem Geschmack ist. Und man wird euch sicherlich nicht fragen, wo ihr wohnen wollt!«

Ich war aufs äußerste überrascht, so ungastlich aufgenommen zu werden, und die düsteren, wilden Gesichter der umherstehenden Menschen brachten mich aus der Fassung. »Warum gebt ihr mir eine so grobe Antwort?« fragte ich. »Es ist doch sonst keine Gewohnheit der Engländer, Fremde in dieser Weise zu empfangen.«

»Ich weiß nicht, was die Engländer für Gewohnheiten haben,« sagte der unfreundliche Mann wieder. »Aber die Iren haben die Gewohnheit, jeden Fremden zu hassen!«

Während dieser unerquicklichen Auseinandersetzung bemerkte ich, daß sich immer mehr Leute ansammelten. Ihre Gesichter zeigten ein Gemisch von Neugierde und Wut, was mich unangenehm berührte und mich mit Sorge erfüllte. Ich fragte nach dem Gasthause, erhielt aber keine Antwort. Ich ging deshalb auf die Stadt zu, um mich allein zurechtzufinden, und die Menge schloß sich mir murmelnd und grollend an. Plötzlich kam ein unheimlich aussehender Kerl auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Kommen Sie mit, Herr, zu Herrn Kirwin; Sie müssen sich über Ihre Person ausweisen.«

»Wer ist Herr Kirwin? Warum habe ich mich über meine Person auszuweisen? Ist das nicht ein freies Land?«

»Ja, Herr, frei für ehrliche Leute. Herr Kirwin ist Bürgermeister, und Sie werden sich wegen des Todes eines Mannes zu verantworten haben, den man heute Nacht ermordet hier vorfand.«

Diese Antwort erschreckte mich, aber ich faßte mich rasch. Ich war unschuldig, das konnte ich mühelos beweisen. Deshalb folgte ich der Aufforderung ohne weiteres und wurde nach einem der schönsten Häuser der Stadt gebracht. Ich war am Umsinken vor Schwäche und Hunger. Aber in Anbetracht der Menge, die mich umgab, hielt ich es für geraten, meine ganze Kraft aufzubieten, damit mir nicht die Schwäche als ein Beweis der Schuld ausgelegt werde. Ich hatte ja keine Ahnung von dem Entsetzlichen, das mir die nächsten Augenblicke bringen mußten und gegen das alle Schande und der Tod selbst ein Kinderspiel sind.

Ich muß einen Moment aussetzen, denn ich bedarf all meiner Kraft, um die schrecklichen Ereignisse, die nun folgten, geordnet erzählen zu können.