Der Wendepunkt

Der Wendepunkt

Schädel häufte er zu Ballen,
Dreißigtausend hochgetürmten,
Seinem Mädchen zu gefallen,
Wo des Oxis Wasser stürmten.
Grimmig sprach Attula Khan:
»Liebe schuf dies Nichts zum Mann!«

Oattars Geschichte.

Wenn man Empfängen, Hoffestlichkeiten und Privatbällen den Rücken kehrt, wenn man Menschen und Dinge, die man in seinem zivilisierten Leben kennengelernt hat, weit hinter sich läßt, kommt man zuletzt an die Grenzen, wo kein Tropfen weißen Blutes mehr pulsiert und der volle Strom des schwarzen an zu fluten fängt. Es ist leichter, sich unerwartet mit einer jüngst geadelten Herzogin zu unterhalten als mit den Menschen jenes Grenzgebietes, ohne ihre Sitten oder ihre Gefühle tief zu verletzen. Schwarzes und weißes Wesen mischt sich dort auf sonderbare Weise. Manchmal verrät sich das Weiße in Ausbrüchen ungestümen kindischen Stolzes, – eines verschrobenen Rassenstolzes –, und manchmal das Schwarze in noch ungestümerer Selbsterniedrigung und Demut, halbheidnischen Gebräuchen und einem seltsamen, unerforschlichen Trieb zum Verbrechen. Eines Tages wird dies Grenzvolk, das ohne Frage tiefer steht als die Schicht, aus der Derozio, der Nachahmer Byrons, hervorgegangen ist, auch seinen Schilderer oder Dichter hervorbringen. Und dann werden auch wir erst erfahren, wie es wirklich lebt und fühlt. Vorläufig kann kein Bericht Wahrheit oder auch nur größere Wahrscheinlichkeit vermitteln.

Miß Vezzis kam von jenseits der Grenze. Sie sollte bis zur Ankunft einer englischen Kinderwärterin die Kinder einer Dame beaufsichtigen. Die Dame sagte, Miß Vezzis wäre ein schlechtes, schmutziges und unzuverlässiges Kindermädchen. Sie kam nie auf den Gedanken, daß Miß Vezzis ein eigenes Leben zu führen und eigene Sorgen zu tragen hatte, und das gerade diese Dinge für Miß Vezzis in aller Welt das Wichtigste waren. Sehr wenige Dienstherrinnen erkennen diesen Standpunkt an. Miß Vezzis war schwarz wie Pech und für unseren Geschmack abschreckend häßlich. Sie trug Kleider aus bedrucktem Kattun und ausgetretene Schuhe. Wenn sie die Laune verlor, schalt sie mit den Kindern in dem Dialekt der Grenzsprache, einem Mischmasch aus Englisch, Portugiesisch und Hindustanisch. Sie war nicht anziehend, nicht reizvoll, aber sie hatte ihren Stolz und liebte es, sich »Miß« Vezzis nennen zu lassen.

Jeden Sonntag putzte sie sich wunderschön heraus und besuchte ihre Mama, die den größten Teil ihres Lebens auf einem alten Korbsessel in einem schmierigen Morgenrock aus Tussurseide versaß. Sie lebte in einem kaninchenbauartigen Hause, das voll war von lauter Vezzis, Pereiras, Ribieras, Lisboas, Gonsalvas und einer stets wechselnden Gesellschaft von Bummlern. Überall roch es nach Speiseresten, Knoblauch und abgestandenem Weihrauch; alte Kleider lagen herum, Unterröcke hingen statt Vorhängen an den Wänden, und alles war voll von leeren Flaschen, zinnernen Kruzifixen, vertrockneten Immortellen, jungen, herrenlosen Hunden, Gipsfiguren der heiligen Jungfrau und alten Hutkrempen.

Miß Vezzis erhielt für ihre Tätigkeit als Kindermädchen zwanzig Rupien im Monat und zankte sich allwöchentlich mit der Mama über ihren Zuschuß zum Haushalt. Wenn sie sich ausgestritten hatten, kletterte Michele D’Cruze gemächlich über die niedrige Lehmmauer, um Miß Vezzis im Stil der Grenzleute, – mit allerlei Förmlichkeiten, – den Hof zu machen. Michele war ein armes, kümmerliches Gewächs, ganz schwarz, aber er hatte seinen Stolz. Nicht um alles in der Welt hätte er sich mit einer Wasserpfeife im Munde sehen lassen; er blickte auf die Einheimischen herab, wie es nur ein Mann, der sieben Achtel von ihrem Blute in seinen eigenen Adern hat, tun wird. Die Familie der Vezzis hatte auch ihren Stolz. Sie führte ihren Ursprung auf einen mythischen Schienenleger zurück, der auf der Sone-Brücke gearbeitet hatte, als die ersten Eisenbahnen nach Indien kamen, und sie hielten sehr auf ihre englische Abstammung. Michele war Telegraphist mit 35 Rupien Monatsgehalt. Die Tatsache, daß er Regierungsbeamter war, stimmte Miß Vezzis milde gegen die Unzulänglichkeit seiner Ahnen.

Nach einer sehr peinlichen Legende, – der Schneider, Dom Anna hatte sie von Poonani mitgebracht, – hatte nämlich einst ein schwarzer Jude aus Cochinchina in die Familie D’Cruze hineingeheiratet. Außerdem war es ein offenes Geheimnis, daß ein Onkel von Mrs. D’Cruze noch heute in einem südindischen Klub irgendwelche niederen Küchendienste verrichtete. Er schickte Mrs. D’Cruze zwar allmonatlich 7 Rupien 8 Anna, aber sie litt trotzalledem schwer unter dieser Schändung der Familie.

Nichtsdestoweniger überwand sich Mrs. Vezzis nach Verlauf einiger Sonntage soweit, diesen Makel zu übersehen und ihre Einwilligung in Miß Vezzis‘ Heirat mit Michele zu geben, allerdings unter der Bedingung, daß Michele mindestens 50 Rupien monatlich zur Gründung eines Hausstandes aufzuweisen habe. Diese bewundernswerte Vorsicht muß wohl ein letztes Erbteil vom Yorkshirer Blut des mythischen Schienenlegers gewesen sein. Denn jenseits der Grenze setzen die Leute ihren Stolz darein, zu heiraten, wann sie wollen, und nicht, wenn sie es können.

Angesichts der Beförderungsaussichten Micheles hätte Mrs. Vezzis ebensogut fordern können, er solle mit dem Mond in der Tasche wiederkommen. Aber er war sehr verliebt in Miß Vezzis, und das gab ihm den Mut, auszuharren. Eines Sonntags begleitete er Miß Vezzis zur Messe, und als sie dann Arm in Arm durch den heißen, dumpfigen Staub wieder nach Hause gingen, schwor er ihr bei den verschiedensten Heiligen, deren Namen uns hier nichts angehen, daß er nimmermehr von Miß Vezzis lassen werde. Und sie schwor bei ihrer Ehre und der ihrer Heiligen – die Eidesformel war etwas sonderbar: »In nomine Sanctissimae« (Gott weiß den Namen der Heiligen) und so weiter, daß auch sie nie von ihm lassen wolle. Der Schwur endigte mit einem Kuß auf Micheles Stirn, linke Backe und Mund.

In der nächsten Woche wurde Michele versetzt. Und Miß Vezzis‘ Tränen flossen auf den Fensterrahmen eines Coupés dritter Klasse, als er auf dem Bahnhof Abschied nahm.

Auf den Karten mit den Telegraphenlinien Indiens findet man eine lange Strecke an der Küste, von Backergunge bis Madras. Michele ging nach Tibasu, einer kleinen Telegraphennebenstelle im ersten Drittel dieser Linie, um Depeschen von Berhampur nach Chikakola weiterzugeben. Außerdem konnte er nach dem Dienst an Miß Vezzis und die Möglichkeit denken, einmal 50 Rupien im Monat zu verdienen. Das Tosen des bengalischen Meers und einen bengalischen Schreiber hatte er zur Gesellschaft, sonst nichts. Er schrieb verliebte Briefe an Miß Vezzis, deren Kuverts er innen mit Kreuzen beklebte.

Als er fast drei Wochen in Tibasu war, kam er an den Wendepunkt seines Lebens.

Man darf nie vergessen, daß die Einheimischen so wenig wie Kinder verstehen, was Autorität heißt, und was es bedeutet, sie zu verletzen. Und darum müssen sie stets und ständig die äußeren Zeichen unserer Autorität sichtbar vor Augen haben. Tibasu war ein gottverlassenes kleines Nest, in dem eigentlich nur ein paar Orissa-Mohammedaner wohnten. Denen kam nun der Gedanke, ganz für sich einen kleinen Aufstand in Szene zu setzen, da sie bereits längere Zeit nichts vom »Sahib« Steuereinnehmer gehört hatten und den indischen Richter gründlichst mißachteten. Aber die Hindus stellten sich ihnen entgegen und schlugen ihnen die Köpfe blutig, bis sie Gefallen an der Zügellosigkeit fanden. Und Hindus und Mohammedaner machten nun beide eine völlig planlose »Revolution«, nur um zu sehen, wie weit sie es treiben könnten. Sie plünderten sich gegenseitig die Läden und beglichen die Konten ihres persönlichen Grolles auf ihre Art. Es war ein unangenehmer kleiner Aufruhr, der aber nicht wert war, in der Zeitung erwähnt zu werden.

Michele arbeitete gerade in seinem Dienstraum, als er jenen Lärm hörte, den man im ganzen Lehen nicht wieder vergißt, jenes »Ah-Yah« einer aufgebrachten Volksmenge. (Wenn dieser Lärm drei Töne tiefer wird und sich in ein dumpf dröhnendes »Uh« verwandelt, geht, wer es hört, am besten seiner Wege, zumal wenn er allein ist.) Der einheimische Polizeiaufseher stürzte zu Michele hinein und meldete, daß die Stadt in Aufruhr sei, und daß man das Telegraphenamt stürmen wolle. Der Schreier setzte seine Mütze auf und verschwand in aller Ruhe durchs Fenster. Der Polizeiaufseher folgte trotz seiner Angst dem alten Rasseinstinkt, der auch den winzigsten Tropfen weißen Blutes noch anerkennt, und fragte: »Was befiehlt der Sahib? –«

Dieses »Sahib« war für Michele entscheidend. In all seiner entsetzlichen Angst fühlte er, der Mann mit dem Juden aus Cochinchma und dem knechtischen Onkel im Stammbaum, dennoch, daß er der einzige Vertreter englischer Autorität am Orte war. Er dachte an Miß Vezzis und die fünfzig Rupien und tat, was die Lage der Dinge forderte. Es gab sieben einheimische Polizisten in Tibasu und vier altmodische, nicht einmal gezogene Musketen. Alle sieben waren bleich vor Furcht, aber doch noch zu leiten. Michele schloß den Telegraphenapparat ab und schritt an der Spitze seiner Armee dem Gesindel entgegen. Als die schreiende Bande um die Ecke bog, legte er an und feuerte, und gleichzeitig, instinktiv, schossen auch seine Leute.

Der ganze Haufen, – bis ins Mark feige Hunde, – heulte auf und rannte, davon; ein Toter und ein Sterbender waren geblieben, Michele war in Angstschweiß gebadet, aber er unterdrückte seine Schwäche und ging in den Ort hinunter an dem Haus vorbei, in dem sich der Richter verbarrikadiert hatte. Die Straßen waren menschenleer. Tibasu war noch verängstigter als Michele. Er war dem Pack zur rechten Zeit entgegengetreten.

Er ging zum Telegraphenamt zurück und rief Chikakola nm Hilfe an. Noch ehe die Antwort kam, erschienen die Altesten von Tibasu als Abordnung. Sie erklärten, daß der Richter Micheles Handlungsweise für »verfassungswidrig« halte, und versuchten ihn einzuschüchtern. Aber das Herz Michele D’Cruzes war weiß und stark, denn er liebte Miß Vezzis, das Kindermädchen, und hatte zum erstenmal »Verantwortlichkeit« und »Erfolg« gekostet. Und das ist ein berauschender Trank, der schon mehr Menschen zu Schanden gemacht hat als Branntwein. Michele gab zur Antwort, der Richter möge sagen, was er wolle; er, der Telegraphist, sei die englische Regierung in Tibasu, solange bis der Hilfssteuereinnehmer ankomme, und er werde die Ältesten des Ortes für weitere Unruhen verantwortlich machen. Sie sagten gesenkten Hauptes: »Übe Gnade« oder etwas Gleichbedeutendes und gingen in großer Furcht wieder fort. Und einer beschuldigte den anderen, den Aufruhr angezettelt zu haben.

Michele machte die ganze Nacht mit seinen sieben Polizisten die Runde und ging bei Morgengrauen dem Hilfssteuereinnehmer entgegen, der herangeritten kam, um Tibasu zu unterwerfen. Aber in Gegenwart des jungen Engländers fühlte sich Michele immer mehr in seine angeborene Natur zurückfallen. Sein Bericht von dem Aufstand in Tibasu endete mit einem krampfhaften Tränenausbruch aus Kummer, einen Menschen getötet zu haben, aus Scham, sich nicht mehr so erhaben fühlen zu können wie während der Nacht, und aus kindischem Zorn, daß seine Zunge der Schilderung seiner großen Taten nicht gewachsen war. Es war der Tropfen weißen Blutes, der in Micheles Adern ohne sein Wissen wieder versiegte.

Aber der Engländer verstand. Nachdem er die Tibasuner verwiesen und mit dem Richter geredet hatte, bis dieser wohllöbliche Beamte grün und gelb wurde, nahm er sich Zeit zu einem offiziellen Bericht über Micheles Führung. Dieses Schreiben kam ins richtige Fahrwasser und brachte den Erfolg, daß Michele von neuem versetzt wurde mit dem fürstlichen Gehalt von 66 Rupien im Monat.

Er wurde unter allem herkömmlichem Pomp mit Miß Vezzis getraut, und heute krabbeln bereits verschiedene kleine D’Cruze auf den Veranden des Haupttelegraphenamtes herum.

Aber wenn man Michele auch das Einkommen des ganzen Bezirks verspräche, er könnte doch nie und nimmer zum zweiten Male, was er in Tibasu für Miß Vezzis, das Kindermädchen, gekonnt hatte.

Und das beweist, daß in sieben Fällen von neun eine Frau dahintersteckt, wenn ein Mann etwas leistet, was in keinem Verhältnis zu seinem Gehalt steht.

Nur ein Sonnenstich kann Ausnahmen davon schaffen.

Uhren

Was in den Büchern des Bramahnen steht,
steht auch in seinem Herzen.
Ich hab‘ wie du es nicht gewußt, daß so viel
Böses in der Welt.

Im Anfang war die ganze Geschichte eigentlich nur ein Scherz, aber sie ist jetzt weit genug gediehen und wird allmählich ernst.

Leutnant Platte war arm und trug deshalb seine Waterbury-Uhr an einem einfachen Lederriemen.

Der Oberst hatte auch eine Waterbury-Uhr und trug als Kette den Maulriemen eines Zaumzeuges. Maulriemen sind die besten Uhrketten. Sie sind stark und kurz. Nun ist zwischen einem Maulriemen und einem gewöhnlichen Lederriemen kein großer Unterschied; und zwischen zwei Waterbury-Uhren überhaupt keiner. Der Uhrriemen des Obersten war in der ganzen Garnison bekannt. Der Oberst war kein großer Reiter, aber er wollte die Leute gern glauben machen, daß er es früher gewesen war, und entwarf phantastische Geschichten von dem Jagdzaumzeug, dem dieser besondere Maulriemen zugehört hatte. Im übrigen war er peinlich gewissenhaft.

Platte und der Oberst zogen sich im Klub um. Beide hatten Verabredungen, hatten sich verspätet und waren in großer Eile. Das war ihr Kismet. Beide Uhren lagen auf der Spiegelkonsole; die Riemen hingen herab. Das war ihre Unvorsichtigkeit. Platte war zuerst fertig, ergriff eine Uhr, sah in den Spiegel, rückte seinen Schlips zurecht und eilte fort. Vierzig Sekunden später tat der Oberst ganz dasselbe. Jeder hatte des anderen Uhr.

Wer hat noch nicht bemerkt, daß fromme Leute meist auch äußerst argwöhnisch sind? Sie scheinen, – selbstverständlich nur der Frömmigkeit halber, – mehr vom Laster zu wissen als die wahrhaft Verderbten. Vielleicht waren sie vor ihrer Einkehr auch besonders schlimm. – Jedenfalls überragt ein gewisser Schlag guter Menschen alle anderen in der Fähigkeit, Böses zu wittern und auch im Unschuldigsten das Schlimmste zu sehen. Der Oberst und seine Frau gehörten zu diesem Schlag. Aber die Frau Oberst war die schlimmere von beiden. Sie machte den Klatsch der Garnison, sie unterhielt sich sogar mit ihrer indischen Jungfer. Das sagt alles. Die Frau Oberst hatte die Laplacesche Ehe auseinander gebracht. Die Frau Oberst machte der Verlobung Ferris-Haughtrey ein Ende. Die Frau Oberst brachte den jungen Buxton so weit, daß er seine Frau im ersten Jahre ihrer Ehe in der heißen Stadt zurückhielt. Infolgedessen starb die kleine Mrs. Buxton und das Baby mit ihr. Solange noch ein Regiment im Lande steht, wird man sich all dieser Dinge und der Frau Oberst erinnern.

Aber nun zurück zum Obersten und Platte. Vom Ankleidezimmer aus ging jeder seiner Wege. Der Oberst aß mit zwei Geistlichen zusammen, und Platte ging zu einem Herrenessen mit nachfolgendem Whist.

Man merke sich, wie leicht unheilvolle Verwicklungen entstehen. Hätte Plattes Sais der Stute nicht die neuen Geschirrpolster aufgelegt, dann hätten sich die Scharnierbänder nicht durch das mürbe Leder und die alten Polster in den Widerrist der Stute durchgedrückt, als sie morgens um zwei Uhr heimtrabte. Die Stute hätte sich nicht gebäumt, wäre nicht ausgebrochen, in den Graben gestürzt, hätte den Wagen nicht umgekippt und Platte im Bogen über die Aloehecke auf Mrs. Larkyns wohlgepflegten Rasen geworfen, und diese Geschichte wäre nie geschrieben worden. Aber die Stute hat all dies nun einmal getan. Und während Platte sich wie ein angeschossener Hase auf dem Rasen überschlug, flog Uhr samt Riemen aus seiner Westentasche, wie der Degen eines Infanteriemajors beim feu de joie aus der Scheide, und rollte im Mondlicht weiter, bis sie unter einem Fenster liegen blieb.

Platte stopfte sein Taschentuch unter das Polster, richtete den Wagen auf und fuhr nach Hause.

Man merke sich das Spiel des Kismet! Dergleichen geschieht nur einmal alle hundert Jahre. Gegen Ende seines Essens mit den beiden Geistlichen knöpfte der Oberst seine Weste auf und beugte sich über den Tisch, um einige Missionsberichte durchzusehen. Der Uhrkettenhalter schlüpfte durch das Knopfloch, und die Uhr, Plattes Uhr, glitt in aller Stille auf den Teppich, wo der Wirt sie am nächsten Morgen fand und aufhob.

Der Oberst wollte heim zum Weibe seiner Seele, aber der Kutscher war betrunken und verlor den Weg. So kam der Oberst erst zu einer unpassenden Stunde nach Hause, und seine Entschuldigungen wurden nicht anerkannt. Wäre die Frau Oberst nicht ein so ungewöhnliches »Gefäß des Zornes, zur Vernichtung ausersehen« gewesen, dann hätte sie gewußt, daß die Gründe eines Mannes, der absichtlich lange ausbleibt, immer stichhaltig und gut gewählt sind. Die Dürftigkeit an des Obersten Erklärung war ein Beweis für ihre Wahrheit.

Man merke sich wieder das Spielen des Kismet! Die Uhr des Obersten, die so plötzlich mit Platte auf Mrs. Larkyns Rasen fiel, wählte sich ihren Platz gerade unter Mrs. Larkyns Fenster, die sie am nächsten Morgen fand, wiedererkannte und zu sich nahm. Sie hatte in der Nacht so um zwei Uhr Plattes Wagen umstürzen und ihn selbst auf die Stute fluchen hören. Sie kannte Platte und hatte ihn gern. Am selben Tage noch zeigte sie ihm die Uhr und erfuhr die ganze Geschichte. Er neigte den Kopf, blinzelte und sagte: »Pfui, wie empörend! Unerhört von dem alten Herrn! Bei seinen religiösen Ansichten obendrein! Ich würde die Uhr an die Frau Oberst schicken und um Aufklärung bitten!«

Mrs. Larkyn dachte an, die Laplaces, die sie gekannt hatte, als Laplace und seine Frau noch aneinander glaubten, und erwiderte: »Das werde ich tun. Ich glaube, es wird ihr ganz heilsam sein. Aber verstehen Sie, wir dürfen ihr niemals die Wahrheit gestehen.«

Platte war in dem Glauben, daß sich seine Uhr in dem Besitze des Obersten befände, und überzeugt, daß die Rücksendung von Uhr und Maulriemen mit ein paar liebenswürdigen Zeilen von Mrs. Larkyn nur eine vorübergehende Störung erregen würde. Mrs. Larkyn wußte es besser. Sie wußte, daß jeder Tropfen Gift im Herzen der Frau Oberst guten Boden fand.

Das Paket und ein Briefchen mit einigen Bemerkungen über die Besuchszeit des Obersten wurden der Frau Oberst hinübergeschickt, die sich darauf weinend auf ihr Zimmer begab und mit sich zu Rate ging.

Wenn die Frau Oberst eine Frau in der Welt mit heiliger Inbrunst haßte, dann war es Mrs. Larkyn. Mrs. Larkyn war eine frivole Dame und nannte die Frau Oberst eine »alte Katze«. Die Frau Oberst behauptete, eine gewisse Person in der Offenbarung Johannis erinnere auffallend an Mrs. Larkyn. Sie nannte auch noch andere biblische Namen aus dem Alten Testament. (Die Frau Oberst war übrigens die einzige, die etwas gegen Mrs. Larkyn sagte bzw. wagte. Alle anderen nahmen sie als ein amüsantes, ehrliches Persönchen.) Wenn also der Oberst zu so gottloser Stunde unter dem Fenster dieses »Weibsbildes« Uhren hatte fallen lassen, so war das verbunden mit der Tatsache seiner späten Heimkehr in der bewußten Nacht, so war das – – –

Bei dieser Stelle erhob sie sich und suchte ihren Mann auf. Er leugnete alles, nur nicht sein Eigentumsrecht an der Uhr. Sie beschwor ihn, bei seiner Seelen Seligkeit die Wahrheit zu sagen. Er leugnete abermals und fluchte. Ein eisiges Schweigen herrschte während einer Pause von fünf tiefen Atemzügen.

Die Rede, die darauf folgte, geht uns nichts an. Sie war aufgebaut auf weiblicher und ehelicher Eifersucht, auf das Bewußtsein ihres verblühten Alters, auf tiefem Argwohn, der aus dem Texte stammt, der da sagt, daß selbst die Herzen der Säuglinge böse sind von Jugend auf; aufgebaut auf giftigem Haß gegen Mrs. Larkyn und auf die Grundsätze des Glaubens, in dem die Frau Oberst erzogen war.

Und zu allem tickte die verruchte Waterbury-Uhr in ihrer dürren, zitternden Hand. In dieser Stunde, glaube ich, fühlte die Frau Oberst ein Teil von dem nimmermüden Argwohn, den sie dem alten Laplace eingegeben hatte, ein wenig von dem Jammer der armen kleinen Miß Haughtree, und etwas von dem Kummer, der an Buxtons Herzen nagte, als er seine Frau vor seinen Augen sterben sah. Der Oberst versuchte stammelnd zu erklären. Aber er erinnerte sich, daß seine Uhr verschwunden gewesen war, und das Geheimnis wurde noch dunkler. Die Frau Oberst predigte und betete abwechselnd, bis sie müde war. Dann ging sie, um auf Mittel zu sinnen, wie sie das »verstockte Herz ihres Gatten demütigen könne«. In unserer Sprache nennt sich das »zwiebeln«.

Völlig durchdrungen von der Lehre über die Erbsünde, konnte und konnte sie ihm nicht gegen den Schein glauben. – Sie wußte zu viel und verstieg sich zu den wildesten Schlußfolgerungen.

Aber es geschah ihr recht. Es verdarb ihr Leben, wie sie das Leben der Laplace verdorben hatte. Sie verlor das Vertrauen zum Oberst, denn er hatte, – und hierin lag das Bekenntnis ihres Argwohns, – vielleicht, so folgerte sie, schon viele Male gesündigt, ehe die gütige Vorsehung an der Hand eines so unwürdigen Werkzeuges wie Mrs. Larkyn seine Schuld aufgedeckt hatte. Er war ein gemeiner, böser, grauköpfiger Wüstling. Das mag wohl als ein gar zu plötzlicher Umschlag in der Gesinnung einer so lange verheirateten Frau erscheinen. Aber es ist eine altehrwürdige Tatsache, daß Mann oder Frau, denen es zur Gewohnheit und zum Vergnügen geworden ist, von gleichgültigen Menschen Böses zu denken und zu sagen, schließlich auch ihren Liebsten und Allernächsten das Schlechteste zutrauen. Man könnte auch meinen, daß der Fall mit der Uhr zu klein und zu unbedeutend sei, um ein solches Mißverständnis herbeiführen zu können. Aber es ist eine zweite uralte Wahrheit, daß die größten Unfälle im Leben, ganz wie bei einem Rennen, sich vor kleinen Gräben und niedrigen Hürden ereignen. In ähnlicher Weise zermürben sich Frauen, die in einem anderen Jahrhundert, unter anderen Lebensbedingungen zu einer Jungfrau von Orleans geworden wären, an den kleinlichsten Haushaltssorgen. Aber das ist eine andre Geschichte.

Ihr Glaube machte die Frau Oberst nur noch elender, weil er so hartnäckig an der Schlechtigkeit der Menschen festhielt. Und in der Erinnerung ihrer eigenen Taten mußte es Freude machen, ihr Unglück und ihre Vertuschungsversuche vor der Garnison, die keinen Pfifferling wert waren, mitzusehen. Aber die Garnison wußte alles und lachte unbarmherzig, denn man hatte die Geschichte der Uhr mit vielen dramatischen Gesten von Mrs. Larkyns Lippen gehört.

Ein- oder zweimal sagte Platte zu Mrs. Larkyn, weil er sah, daß der Oberst sich nicht reinwaschen konnte: »Die Sache ist nun weit genug gegangen. Ich denke doch, wir sagen jetzt der Frau Oberst, wie es gekommen ist.« Aber Mrs. Larkyn preßte kopfschüttelnd ihre Lippen fest aufeinander und erklärte, die Frau Oberst müsse ihre Strafe tragen, so gut sie könnte. Mrs. Larkyn war wirklich eine frivole Frau, und niemand hätte ihr so tiefen Haß zugetraut. Darum tat Platte auch nichts, und das Schweigen des Obersten ließ ihn allmählich glauben, daß er in der Tat in jener Nacht doch irgendwie »über die Schnur gehauen« hatte, und sich deshalb für das geringere Vergehen, außerhalb der Besuchszeit in fremder Leute Hof eingedrungen zu sein, verurteilen ließ. Platte vergaß nach einer Weile die Uhrengeschichte und ging mit seinem Regiment ins Innere des Landes. Mrs. Larkyn kehrte nach England zurück, als ihres Mannes Dienstzeit in Indien abgelaufen war. Sie hat die Geschichte nie vergessen.

Aber Platte hatte schon recht, als er sagte, der Scherz wäre zu weit gegangen. Der Argwohn und seine Tragödie, – von der wir Außenstehenden nichts ahnen und nichts wissen wollen, – quälen die Frau Oberst langsam zu Tode, und verbittern ihm das Leben. Sollte einer von ihnen diese Erzählung lesen, dann mag er überzeugt sein, daß sie ein ziemlich wahrheitsgetreuer Bericht des Falles ist. Vielleicht ist dann alles vergeben und vergessen.

Shakespeare spricht einmal von dem Vergnügen, zu sehen, wie ein Ingenieur von seiner eigenen Batterie zerrissen wird. Das beweist, daß Dichter nicht von Dingen reden sollen, die sie nicht verstehen. Es hätte ihm jeder sagen können, daß Geniekorps und Artillerie zwei ganz verschiedene Dienstzweige sind. Aber wenn man den Ausspruch verbessert und statt Ingenieur Kanonier sagt, dann ist die Moral nicht minder weise. –

Uhren

Uhren

Was in den Büchern des Bramahnen steht,
steht auch in seinem Herzen.
Ich hab‘ wie du es nicht gewußt, daß so viel
Böses in der Welt.

Der Andere

Der Andere

Wenn die Erde erkrankt und der Himmel ergraut,
Wenn feuchter Dunst durch die Wälder taut,
Dann reitet sein Geist, damit er die Braut
Im herbstlichen Regen noch einmal schaut. –

Alte Ballade.

Vor langer Zeit, in den siebziger Jahren, als es in Simla noch keine öffentlichen Gebäude gab und die Jakko-Promenade noch als Plan in dem Fache eines Schuppens, dem Büro für Öffentliche Arbeiten, schlummerte, wurde Miß Gaurey von ihren Eltern mit Oberst Schreiderling verheiratet. Er war sicherlich nicht viel mehr als fünfunddreißig Jahre älter als sie; und da er monatlich kaum zweihundert Rupien ausgab und dazu noch Privatvermögen besaß, war er in der Tat wohlhabend. Er war aus guter Familie, litt bei kaltem Wetter an Lungenbeschwerden und kämpfte in der heißen Zeit unaufhörlich mit Schlaganfällen. Aber sterben tat er an keinem von beiden.

Wohlgemerkt, ich mache Schreiderling keine Vorwürfe. Er war nach seiner Ansicht ein guter Ehemann; er verlor nur die Laune, wenn er sich pflegen lassen mußte. Und das war ungefähr siebzehn Tage jeden Monat. In Geldsachen war er gegen seine Frau beinahe großzügig, und das bedeutete für ihn eine Überwindung. Und doch war Mrs. Schreiderling nicht glücklich. Man hatte sie noch diesseits der Zwanzig, als sie ihr ganzes armes, kleines Herz einem anderen geschenkt hatte, verheiratet. Sein Name ist mir entfallen. Ich will ihn einfach den »Anderen« nennen. Er hatte weder Geld noch Aussichten und war nicht einmal hübsch. Er stand, meiner Erinnerung nach, bei der Intendantur oder beim Transportkommando. Aber trotzalledem liebte sie ihn sehr. Zwischen den beiden bestand irgendein Versprechen, als Schreiderling vor Mrs. Gaurey erschien und um die Tochter anhielt. Das andere Versprechen löste sich unter Mrs. Gaureys Tränen; denn sie beherrschte ihren Haushalt durch Tränen über die Mißachtung ihrer Autorität und den Mangel an Ehrfurcht vor ihrem Alter. Die Tochter war ihrer Mutter nicht ähnlich. Sie weinte nicht, nicht einmal bei der Trauung.

Der Andere trug seinen Verlust in aller Ruhe. Er ließ sich in die schlimmste Garnison, die er finden konnte, versetzen. Vielleicht tröstete ihn das Klima. Er litt an Wechselfieber, und das lenkte ihn möglicherweise von seinen anderen Leiden ab.

Auch sein Herz krankte, – in zwiefachem Sinne. Eine Herzklappe war angegriffen, und das Fieber machte die Sache nur schlimmer. Das zeigte sich später.

Viele Monate gingen ins Land, und Mrs. Schreiderling fing an zu kränkeln. Sie verging nicht vor Gram wie Leute in den Romanen, aber sie schien sich alle Krankheitsformen der Garnison, vom gewöhnlichen Fieber aufwärts, zuziehen zu müssen. Schon in ihrer Blüte war sie nicht sonderlich hübsch gewesen, aber die Krankheit machte sie häßlich. Schreiderling sagte das ganz offen. Es war sein Stolz, stets frei heraus zu sagen, was er dachte.

Als sie aufhörte hübsch zu sein, überließ er sie sich selbst und ging seine alten Junggesellengänge. Sie pflegte, den grauen Reithut fast im Nacken, auf einem unglaublich scheußlichen Sattel, hilflos verlassen die Simlaer Promenade auf und ab zu traben. Schreiderlings Großzügigkeit reichte nicht über den Pferdekauf hinaus. Jeder Sattel, meinte er, wäre gut genug für eine so nervöse Frau wie Mrs. Schreiderling. Man bat sie nie um einen Tanz, weil sie nicht gut tanzen konnte; sie war ja so langweilig und uninteressiert, daß sich in ihrem Vorzimmer nur selten eine Visitenkarte fand. Schreiderling sagte, er hätte sie nie geheiratet, wenn er geahnt hätte, daß sie während der Ehe solche Vogelscheuche werden würde. Es war sein Stolz, stets frei heraus zu sagen, was er dachte.

Einmal ließ er sie im August in Simla zurück und ging zu seinem Regiment. Da lebte sie ein wenig auf, aber ihr früheres Äußere gewann sie nicht wieder. Im Klub hörte ich, daß der Andere schwer krank sei und in der leisen Hoffnung auf Genesung nach Simla komme. Fieber und Herzschwäche hatten ihn an den Rand des Grabes gebracht. Sie wußte das, und sie wußte auch, – was mir natürlich gleichgültig war, wann er kommen wollte. Vermutlich hatte er es ihr geschrieben. Sie hatten einander seit einem Monat vor der Hochzeit nicht mehr gesehen. Hier beginnt der unangenehmere Teil der Geschichte.

Ein später Besuch hielt mich eines Abends bis zur Dämmerstunde im Hotel Dowdell fest. Den ganzen Nachmittag war Mrs. Schreiderling die Promenade hin und her geeilt. Auf dem Fahrweg überholte mich eine Tonga. Mein Pony, des langen Stehens müde, fiel in Galopp. Auf der Straße gerade beim Tonga-Halteplatz wartete Mrs. Schreiderling, vom Regen durchnäßt. Da mich das nichts anging, ritt ich bergan, hörte sie aber im gleichen Augenblick aufschreien. Ich wandte sofort um und sah im Lampenlicht des Halteplatzes Mrs. Schreiderling in der Nässe neben dem Rücksitz der eben angelangten Tonga knien. Sie schrie entsetzlich und fiel, als ich näher kam, mit dem Gesicht vornüber in den Straßenschmutz.

Auf dem Rücksitze saß starr und steif, die eine Hand an der Verdeckstütze, Hut und Bart vor Nässe triefend, der Andere, – tot. Das Stoßen und Rütteln während der sechzig Meilen langen Fahrt bergauf war wohl zu viel für sein Herz gewesen. Der Tongakutscher sagte: »Der Sahib starb zwei Haltestellen nach Solon. Ich habe ihn mit einem Strick festgebunden, damit er mir nicht unterwegs herausfiel. So sind wir hierher gekommen. Gibt mir der Sahib ein Backschisch? Der da,« – er deutete auf den Anderen, – »wollte mir eine Rupie geben.«

Der Andere saß grinsend da, als mache ihm seine spaßhafte Ankunft Vergnügen und Mrs. Schreiderling stöhnte im Straßenschmutz. Außer uns vieren war niemand am Halteplatz, und es goß in Strömen. Das erste war, Mrs. Schreiderling nach Hause zu bringen, das zweite, zu verhindern, daß ihr Name in diese Angelegenheit hineingezogen würde. Den Tongakutscher schickte ich mit fünf Rupien auf die Suche nach einer Rickshaw für Mrs. Schreiderling. Er sollte dem Tongapost-Schreiber über den Anderen Bericht erstatten, und der Schreiber sollte weiter veranlassen, was ihm gut schien.

Wir trugen Mrs. Schreiderling aus dem Regen und warteten unter dem Schuppendach dreiviertel Stunde auf die Rickshaw. Der Andere blieb, wo er war. Mrs. Schreiderling tat alles eher als weinen, was ihr doch am meisten geholfen hätte. Sie versuchte zu schreien, als sie wieder zur Besinnung kam, und begann für die Seele des Anderen zu beten.

Wäre sie nicht so unschuldig gewesen, wie der Tag hell ist, dann hätte sie auch für ihre eigene Seele gebetet. Ich erwartete es, aber sie tat es nicht. Dann versuchte ich, ihr das Reitkleid etwas vom Schmutze zu säubern. Endlich kam die Rickshaw, und ich brachte sie fort, nicht ohne Gewalt. Es war von Anfang bis zu Ende eine schreckliche Geschichte, aber der schrecklichste Augenblick kam, als sich die Rickshaw zwischen Mauer und Tonga hindurchzwängen mußte, und sie im Lampenschein die graue, magere Hand sah, die die Verdeckstange umklammert hielt. –

Wir brachten sie nach Hause, als alle Welt gerade zu einem Ball auf den vizeköniglichen Landsitz, – Peterhoff war es damals, – hinausfuhr. Der Arzt erfuhr nur, daß sie vom Pferd gefallen sei, und daß ich sie hinter Jakko aufgenommen habe. Er fand, daß ich wirklich großes Lob verdiene für die rasche Beschaffung ärztlicher Hilfe. Sie starb nicht. Männer vom Schlage Schreiderlings heiraten stets Frauen, die nicht so leicht sterben. Sie leben und werden häßlich.

Sie sprach keinem Menschen von ihrem Zusammentreffen mit dem Anderen, dem einzigen seit ihrer Verheiratung. Und auch als Erkältung und Husten, die Folgen jenes Abends, ihr erlaubten, wieder auszugehen, gab sie mir weder durch Worte noch durch Zeichen je zu erkennen, daß sie von unserer Begegnung am Tonga-Halteplatze wußte. Vielleicht hat sie sich wirklich nicht mehr daran erinnert.

Sie trabte wieder wie früher auf ihrem unglaublich schlechten Sattel die Promenade auf und ab und sah aus, als erwarte sie jeden Augenblick jemand um die nächste Straßenecke biegen zu sehen. Zwei Jahre später ging sie nach England und starb, – ich glaube in Bournemouth.

Wenn Schreiderling im Kasino weinselig wurde, dann sprach er von »meiner armen, geliebten Frau«. Er war stolz darauf, stets gerade heraus zu sagen, was er dachte, der Oberst Schreiderling. –

Folgen

Folgen

Rosenkreuzer Gaukelspiel
War des Morgenlandes Ziel.
Die auf solche Lehren schwören,
Kannst du am Jaktala hören.
Suchst du Paracelsus Fluren,
Folge Floods, des Suchers Spuren,
Der da spricht: ich laß dich ahnen,
Aller Sonnen Sonnenbahnen, –
Laß dir, folgst du meinen Kreisen,
Lunens Apogäa weisen.

Es gibt in Simla Anstellungen auf ein Jahr, Anstellungen auf zwei und auf fünf Jahre, und es gibt oder es gab wenigstens früher dauernde Anstellungen, wo man sein Leben lang in Simla bleiben konnte und guter Gesundheit und guten Einkommens sicher war. Natürlich durfte man in der kalten Jahreszeit aus Simla fort, denn dann ist es dort recht langweilig.

Tarrion kam, der Himmel weiß woher, – irgendwo weit, weit her, aus einer gottverlassenen Gegend Mittelindiens, wo man schon Pachmari für ein Sanatorium hält, und, wie ich glaube, noch mit einem Ochsengespann ausfährt. Er stand bei einem Regiment, aber seine Sehnsucht war, loszukommen und bis in alle Ewigkeit in Simla leben zu können. Er hatte keine besonderen Schwächen außer für gute Pferde und nette Gesellschaft. Er glaubte, überall etwas leisten zu können; und das ist ein herrlicher Glaube, wenn man felsenfest davon überzeugt ist. Er war vielseitig, sah gut aus und machte sich seiner Umgebung stets angenehm, – sogar in Mittelindien.

So kam er nach Simla. Da er klug und unterhaltend war, fühlte er sich immer mehr zu Mrs. Hauksbee hingezogen, die alles vertrug, nur keine Dummheit. Einmal leistete er ihr einen großen Dienst. Sie hatte sich mit dem diensttuenden Adjutanten verzankt und war deshalb von ihm aus Wut, wohlberechnet, statt zum großen Fest am 26. nur zu dem kleinen Ball am 6. geladen worden. Sie wollte das Fest sehr gern mitmachen, konnte es aber nicht, bis nicht Tarrion ihr das Datum auf der Einladungskarte änderte. Es war eine sehr geschickte kleine Fälschung. Als nun Mrs. Hauksbee dem Adjutanten ihre Karte zeigte und spöttelte, daß er seine Rachezüge nicht geschickter mache, glaubte er wirklich, sich versehen zu haben. Er sah ein, daß es zwecklos sei, gegen Mrs. Hauksbee Krieg zu führen, was sehr weise war. Sie war Tarrion dankbar und fragte ihn, was sie für ihn tun könne. Er antwortete offen: »Ich bin ein Kriegsmann und passe auf Beute. In Simla habe ich keinen Zoll breit Boden. Wer eine Anstellung zu vergeben hat, kennt mich nicht; und ich brauche gerade eine gute, dauerhafte, einträgliche Stellung. Ich glaube, Sie können alles erreichen, was Sie wollen. Helfen Sie mir!« Mrs. Hauksbee besann sich einen Augenblick und zog die Lasche ihrer Reitgerte durch die Zähne, was sie immer tat, wenn sie nachdachte. Dann blitzten ihre Augen, und sie sagte: »Ich will es tun!« und gab ihm ihre Hand darauf. Tarrion hatte vollstes Vertrauen zu dieser großen Frau und grübelte nicht weiter nach, es sei denn, daß er überlegte, welcher Art wohl seine Anstellung sein würde.

Mrs. Hauksbee fing an auszurechnen, um welchen Preis sie die Spitzen der Behörden und Staatsräte ihrer Bekanntschaft für ihren Plan gewinnen könnte, und je mehr sie darüber nachdachte, um so mehr lachte sie. Denn sie war mit ganzer Seele bei der Sache, und sie machte ihr Spaß. Dann ging sie die Stadtverwaltung durch, bei der es ausgezeichnete Stellen gibt. Aber zuletzt hielt sie es doch für das beste, Tarrion in dem diplomatischen Dienst des Landes unterzubringen, obwohl Tarrion ihr dazu eigentlich zu gut war. Ihre Pläne, wie sie ihren Zweck zu erreichen gedachte, tun nichts zur Sache. Das Glück oder der Zufall spielten ihr den Erfolg in die Hände, und sie brauchte nur den Dingen ihren Lauf und sich die Ehre zuschreiben zu lassen.

Alle Vizekönige sind zu Beginn ihrer Tätigkeit schrullenhaft besorgt um die »Wahrung diplomatischer Geheimnisse«. Im Laufe der Zeit gewöhnen sie es sich wieder ab. Aber sie werden hier ohne Ausnahme von dieser Krankheit befallen, weil ihnen das Land zu fremd ist. Der damalige Vizekönig litt in hohem Maße daran. (Es ist schon lange her, noch ehe Lord Gufferin aus Kanada und Lord Ripon aus dem Schoß der englischen Kirche Vizekönige waren.) Infolgedessen hatten alle Leute, die nicht daran gewöhnt waren, diplomatische Geheimnisse mit sich herumzutragen, unglückliche Gesichter. Und der Vizekönig war stolz darauf, seiner Beamtenschaft einen Begriff von Verschwiegenheit beigebracht zu haben.

Nun hat aber die hohe Regierung die leichtsinnige Gewohnheit, ihre geheimsten Pläne dem Stempelpapier anzuvertrauen. Auf diesen Bogen werden alle möglichen Dinge behandelt: von der Zahlung von zweihundert Rupien an einen im Geheimdienst verwandten Eingeborenen bis zu Verweisen an »Vakils« und »Motamids« einheimischer Staaten und Schreiben an einheimische Fürsten, denen anbefohlen wird, Ordnung zu halten, keine Frauen zu stehlen oder Übeltäter mit gestoßenem roten Pfeffer vollzupfropfen, und ähnliche Dinge mehr. Selbstverständlich sollen derartige Extravaganzen nicht an die Öffentlichkeit kommen, denn offiziell fehlen einheimische Fürsten nie, und offiziell sind ihre Staaten nicht minder gut verwaltet als die unsrigen. Ebenso eignen sich außerordentliche Zuschüsse an gewisse fragwürdige Persönlichkeiten nicht gerade zur Bekanntgabe in den Zeitungen, wenn sie auch manchmal eine interessante Lektüre bieten. Wenn die hohe Regierung in Simla ist, werden auch dort diese Schreiben verfertigt und in Aktenmappen oder durch die Post den Adressaten zugestellt. Dem damaligen Vizekönig war seine Theorie ebenso wichtig wie die Praxis. Er war daher der Ansicht, daß ein wohlwollender Despotismus wie der unsrige selbst Kleinigkeiten wie die Anstellung eines Unterbeamten nicht vorzeitig in die Öffentlichkeit dringen lassen dürfe. Er hatte stets ungewöhnlich starke Grundsätze.

Eine Reihe sehr wichtiger Akten war damals in Vorbereitung. Sie sollten von einem Ende Simlas zum anderen von Hand zu Hand weitergegeben werden. Sie steckten nicht in einem amtlichen Umschlag, sondern in einem großen, viereckigen mattrosa Kuvert. Das Manuskript bestand aus dünnem, weichem Papier. Die Adresse lautete: »An die Hauptkanzlei usw. usw.« Nun ist zwischen einem verschnörkelten »An die Hauptkanzlei usw. usw.« und zwischen einem »An Mrs. Hauksbee« kein allzu großer Unterschied, zumal wenn die Adresse in einer schlechten Handschrift geschrieben ist. Der Amtsdiener war nicht dümmer, als Amtsdiener gewöhnlich sind. Er hatte nur vergessen, wo dies höchst unamtlich aussehende Kuvert abzugeben war und bat darum den ersten besten Engländer, der gerade in großer Eile nach Annandale ritt, ihm die Adresse vorzulesen. Der Engländer warf nur einen flüchtigen Bück darauf, sagte: »Mrs. Hauksbee« und eilte weiter.

Ebenso machte es der Amtsdiener, denn der Brief war der letzte in seiner Mappe, und er wollte rasch mit seiner Arbeit fertig werden. Da er keine Unterschrift brauchte, steckte er den Brief Mrs. Hauksbees Diener in die Hand und ging gemütlich rauchend mit einem Freunde weiter. – Mrs. Hauksbee erwartete gerade Schnittmuster aus dünnem Papier von einer Freundin. Wie sie die große viereckige Sendung erhielt, rief sie: »Ach, das rührende Geschöpf!«, schnitt das Kuvert mit einem Papiermesser auf, und die Manuskriptblätter fielen zu Boden.

Mrs. Hauksbee las. Wie gesagt, die Akten waren nicht gerade unwichtig. Mehr braucht man nicht zu wissen. Sie bezogen sich auf einen gewissen Briefwechsel, auf zwei Verfügungen, einen entscheidenden Befehl an einen einheimischen Häuptling und auf ein halb Schock andere Dinge. Mrs. Hauksbee rang beim Lesen nach Luft. Denn der erste flüchtige Blick in die kahle Maschinerie der großen indischen. Regierung, wenn sie aller Umhüllungen, ihres Firnisses, ihrer Farbe und ihres Räderschutzes entkleidet ist, macht selbst auf den dümmsten Menschen einen tiefen Eindruck. Und Mrs. Hauksbee war eine kluge Frau. Zuerst war sie erschrocken; es war ihr zumute, als hatte sie plötzlich das Ende eines Blitzes gepackt, ohne zu wissen, was sie mit ihm anfangen solle. Am Rande der Papiere standen Bemerkungen und Monogramme. Einige davon waren noch gefährlicher als der Inhalt selbst. Die Monogramme bezeichneten Leute, die heute im Grabe ruhen, die aber zu ihrer Zeit große Männer gewesen waren. Mrs. Hauksbee las weiter und überlegte dabei in aller Ruhe. Allmählich wurde sie des Wertes ihres Fundes inne und sann auf die bestmögliche Art, ihn auszunutzen. Da sprach Tarrion vor. Sie und er lasen die Papiere gemeinsam durch. Tarrion, der nicht ahnte, wie sie dazu gekommen war, schwor, Mrs. Hauksbee sei die größte Frau von der Welt. Und ich glaube, das ist wahr, oder wenigstens fast wahr.

»Der gerade Weg ist immer der beste,« sagte Tarrion nach anderthalbstündiger Durchsicht und Beratung. »Wenn ich recht bedenke, wäre eigentlich der Informationsdienst für mich das Rechte. Entweder das oder das Auswärtige Amt. Ich werde jetzt die hohen Götter in ihren eigenen Tempeln belagern.« Er suchte keinen kleinen Mann auf, auch keinen kleinen großen Mann, auch nicht die schwache Spitze einer starken Behörde, sondern er ging zu dem größten und gewaltigsten Mann der ganzen Regierung und erklärte, er wolle in Simla eine Stellung mit gutem Gehalt haben. Diese ausgesuchte Unverschämtheit belustigte den Gewaltigen, und da er im Augenblick nicht beschäftigt war, hörte er die Vorschläge des dreisten Tarrion mit an. »Sie haben vermutlich doch noch besondere Fähigkeiten, außer Ihrem Selbstbewußtsein, zur Begründung Ihrer Ansprüche?« fragte der Gewaltige. »Diese Entscheidung bleibt Ihnen überlassen,« sagte Tarrion. Und nun begann er, da er ein gutes Gedächtnis hatte, einige der wichtigeren Punkte aus den Akten anzuführen, langsam, einen nach dem anderen, ganz wie man Chlorodyne in ein Glas tropfen läßt. Als er zu dem entscheidenden Befehl kam, – und es war wirklich ein entscheidender Befehl, – wurde der Gewaltige unruhig. Tarrion schloß mit den Worten: »Und ich bin doch der Ansicht, daß solch eine eingehende Kenntnis wenigstens ebensosehr zu einer Anstellung im, – sagen wir, – Auswärtigen Amte befähigt, wie die Tatsache, der Neffe einer hohen Offiziersfrau zu sein.«

Das traf den Gewaltigen tief. Denn er wußte, daß die letzte Anstellung im Auswärtigen Amt auf böseste Protektion hin erfolgt war.

»Ich werde sehen, was sich machen läßt,« sagte er.

»Vielen Dank,« sagte Tarrion. Er ging fort, und der Gewaltige auch, um nachzusehen, wo er eine Stelle einrichten könne.

*

Es folgte eine Pause von elf Tagen, während der es donnerte und blitzte. Viele Telegramme flogen hin und her. Die Anstellung war nicht sonderlich bedeutend. Sie brachte nur 500–600 Rupien monatlich. Aber man müßte, wie der Vizekönig sagt, an dem Prinzip der »Wahrung diplomatischer Geheimnisse festhalten«, und es wäre doch wahrscheinlich lohnend, einen jungen Menschen mit so guten Informationen zu versetzen. Und somit versetzte man ihn. Man hat ihn aber doch wohl im Verdacht gehabt, daß er seine Informationen nicht nur seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten, wie er behauptete, zu verdanken hatte. – Ein gut Teil dieser Geschichte, wie das Nachspiel wegen des fehlenden Kuverts, muß man sich selbst ergänzen, denn aus gewissen Gründen kann es nicht niedergeschrieben werden. Wer die Verhältnisse »Oben« nicht kennt, wird behaupten, es sei ein Unding.

Der Vizekönig sagte, als ihm Tarrion vorgestellt wurde: »Das ist also der junge Mann, der die indische Regierung im Sturm nahm! Merken Sie es sich, so etwas gelingt nur einmal.« Er muß also doch irgend etwas gewußt haben.

Tarrion sagte, als seine Anstellung bekanntgegeben wurde: »Wäre Mrs. Hauksbee zwanzig Jahre jünger und ich ihr Mann, dann wäre ich in fünfzehn Jahren Vizekönig von Indien.«

Mrs. Hauksbee sagte, als er ihr fast mit Tränen in den Augen dankte, zu ihm: »Ich habe es Ihnen ja vorausgesagt,« und zu sich selbst: »Was sind die Männer doch für Narren!«

Die Bekehrung Aurelian Mc. Goggins

Die Bekehrung Aurelian Mc. Goggins

Reite mit müßiger Gerte, reit‘ mit gestrecktem Sporn.
Einmal in der Runde zu seiner Stunde
Zeig deinem Fohlen den Zorn.
Die Peitsche zuckt, und das Zaumzeug ruckt; tief sticht der stählerne Dorn. – –

Life’s Handicap.

Dies ist eigentlich keine Geschichte. Es ist eine Abhandlung; und ich bin ungeheuer stolz darauf. Denn eine Abhandlung schreiben, ist eine Großtat.

Jeder hat das Recht einer eigenen religiösen Anschauung. Aber niemand, – am wenigsten ein jüngerer Beamter, – darf sie anderen Leuten gewaltsam eintrichtern wollen. – Hin und wieder schickt uns die Regierung die merkwürdigsten Leute in den Zivildienst. Aber Mc. Goggin war der sonderbarste von allen. Er war klug, hervorragend klug, nur führte ihn seine Klugheit auf falsche Bahnen. Anstatt sich an das Studium der Landessprachen zu halten, las er Bücher von Leuten wie Comte, glaube ich, Spencer und einem gewissen Professor Clifford. (Die Bücher findet man auf der Bibliothek.) Sie handeln vom inneren Menschen, aber vom Standpunkt derer, die keine leiblichen Nöte kennen. Es war nicht verboten, sie zu lesen; aber Mc. Goggins Mama hätte ihn trotzdem dafür züchtigen müssen. Das Gelesene gärte in seinem Hirn, und er kam nach Indien mit höchst aufgeklärten Anschauungen über das Leben im allgemeinen und seine Arbeit im besonderen. Sein keineswegs sehr ausführliches Glaubensbekenntnis bewies nur, daß die Menschen ohne Seele, die Welt ohne Gott und das Leben ohne Auferstehung sei, und daß man sich zum Wohle der Menschheit eben irgendwie durchzuschlagen habe. Eine seiner Unterlehren war augenscheinlich die, daß es noch verbrecherischer sei, Befehle auszuführen, als Befehle zu geben. Wenigstens behauptete das Mc. Goggin. Ich glaube aber, er hatte nur seine Elementarbücher mißverstanden.

Gegen den Glauben habe ich nichts einzuwenden. Er wurde in der Stadt geboren, in deren Nebel es nichts gibt als Maschinen, Asphalt und steinerne Bauten. Natürlich kommt da der Mensch allmählich zu der Überzeugung, daß es neben ihm nichts Höheres gibt, und daß das Stadtbauamt die Welt erschaffen hat. Aber hierzulande, wo man die Menschen als Menschen, – rohe, braune, nackte Menschen, unter dem freien, glühenden Himmel auf der allzuverbrauchten Erde vor Augen hat, da schwinden alle diese Theorien unmerklich dahin, und man kehrt zu einfacheren Vorstellungen zurück. Das Leben in Indien ist nicht lang genug, um es mit Beweisen vergeuden zu dürfen, daß das Weltall nicht von einem obersten Herrn geleitet wird. Und das ist verständlich. Denn der Deputierte steht über dem Beamten; der Regierungskommissar über den Deputierten; über dem Kommissar wieder der Unterstatthalter, und über allen denen der Vizekönig; und auch der steht wieder unter dem Staatssekretär, der dem Kaiser und König verantwortlich ist. Wenn nun der König keinem Höheren verantwortlich wäre, das heißt, wenn es überhaupt kein höheres Wesen gäbe, dann wäre unser ganzes Verwaltungssystem falsch, was natürlich völlig ausgeschlossen ist. In England kann man das den Leuten verzeihen, denn sie werden geistig verfüttert und nicht genug bewegt. Wenn man ein schweres, verfüttertes Pferd bewegt, schäumt und geifert es, bis man das Zaumzeug nicht mehr sieht. Aber es bleibt darum doch im Maule. In Indien wird kein Mensch verfüttert. Klima und Arbeit verbieten es, mit Worten wie mit Steinen um sich zu werfen.

Hätte Mc. Goggin seinen Glauben samt allen Schlagworten auf »ismus« bei sich behalten, dann hätte ihn auch niemand danach gefragt. Aber seine Großväter waren Methodistenprediger gewesen, und der Hang zum Predigen brach bei ihm wieder durch. Alle Leute im Klub sollten zu der Einsicht kommen, keine Seele zu besitzen, und ihm helfen, den Schöpfungsgedanken zu tilgen. Er hatte ohne Zweifel keine Seele, da er noch zu jung war, und das sagten ihm viele Leute. Daraus folge aber nicht, daß seine älteren Vorgesetzten ebenso unentwickelt gewesen seien. Ob es nun eine jenseitige Welt gab oder nicht, diesseits wollte man wenigstens ungestört seine Zeitung lesen können. »Das gehört nicht zur Sache, das gehört nicht zur Sache,« pflegte Aurelian zu sagen. Darauf warf mau ihm Kissen an den Kopf und forderte ihn auf, sich in die Welt zu begeben, an der sein Glauben hing. Man taufte ihn »Blastoderm«, – denn nach seiner Behauptung entstammte er einer prähistorischen Familie dieses Namens, – und versuchte ihn durch geißelnden Spott zum Schweigen zu bringen. Er war eine Erzplage für den Klub und ein Ärgernis, besonders für die älteren Herren. Sein Vorgesetzter, der an der Grenze zu arbeiten hatte, während er auf der faulen Bärenhaut lag, sagte ihm ganz offen, er sei für einen gescheiten Jungen doch eigentlich ein recht großer Dummkopf. Er hätte, wenn er bei der Arbeit geblieben wäre, sehr bald einen Posten im Ministerium bekommen können. Männer seines Schlages sind stets dort zu finden; Männer, die ganz Gehirn sind, scheinbar körperlos und voll von tausend Theorien. Keine Menschenseele kümmerte sich weiter um Mc. Goggins Seele. Er hätte ihretwegen keine Seele, zwei Seelen oder auch die eines anderen haben können. Seine Pflicht war es, zu gehorchen und vor seinen Akten zu sitzen, statt den Klub mit seinen »Ismen« zu belästigen.

Er war ein ausgezeichneter Arbeiter, aber er konnte keinen Befehl ohne Verbesserungsversuche hinnehmen. Daran war wieder sein Glaube schuld, denn er forderte von den Menschen zuviel Verantwortlichkeit und überließ zuviel ihrem Ehrgefühl. Ein altes Pferd kann man manchmal auch ohne Trense reiten, ein Füllen niemals. Mc. Goggin machte sich bei seinen Rechtssachen mehr Mühe als sonst wer seines Alters. Er glaubte wohl, daß eine dreißig Seiten lange Urteils Verfügung in einem Fünfzig-Rupien-Prozesse, bei dem beide Parteien bestimmt Meineide geschworen hatten, die Menschheit fördere. Jedenfalls arbeitete er zu viel, kränkte sich über jeden Tadel und predigte nach dem Dienst seinen lächerlichen Glauben, bis der Arzt ihn eines Tages vor Übertreibungen warnen mußte. Kein Mensch wird im Juni ungestraft anderthalb Rupien Arbeit für eine Rupie leisten. Aber Mc. Goggin war geistig immer noch verfuttert, stolz auf seine Kraft und jedem Rate unzugänglich. Er arbeitete am Tage neun Stunden ununterbrochen.

»Gewiß,« sagte der Arzt, »aber Sie werden zusammenbrechen. Ihre Tragfläche ist überlastet.« Mc. Goggin war ein zarter Mensch.

Eines Tages kam der Zusammenbruch so dramatisch, als wäre er gerade nur dieser Abhandlung zuliebe geschehen. Es war kurz vor der Regenzeit. Wir saßen alle auf der Veranda in der windstillen, dumpfigheißen Luft. Wir atmeten schwer und beteten zu den tiefschwarzen Wolken um Kühlung. Ganz, ganz aus der Ferne drang ein leises Rauschen herüber, das zum Brausen werden mußte, wenn die Regenwolken erst über den Fluß kamen. Einer von uns vernahm es, erhob sich vom Stuhl, horchte auf und sagte nicht unerwartet: Gott sei Dank!

Der Blastoderm wandte sich um und sagte: »Warum? Ich versichere Sie, es sind lediglich Folgen völlig natürlicher Ursachen, atmosphärische Erscheinungen einfachster Art. Warum danken Sie dafür einem Wesen, das nie existiert hat, einem Fabelwesen, das – – –«

»Blastoderm,« brummte sein Nachbar, »immer ruhig Blut! Geben Sie mir mal bitte den ›Pionier‹. Wir kennen Ihre Fabelwesen.« Der Blastoderm griff nach dem Zeitungstisch, nahm eine Zeitung und zuckte zusammen, als wenn ihn etwas gestochen hätte. Dann gab er die Zeitung weiter.

»Wie gesagt,« fuhr er langsam und mit Anstrengung fort, »lediglich Folgen völlig natürlicher Ursachen, – natürlicher Ursachen, – ich wollte sagen – –«

»Aber Blastoderm, Sie haben mir ja ein ganz falsches Blatt gegeben.«

Der Staub wirbelte in kleinen Wolken auf, die Baumwipfel schwankten hin und her, und die Dohlen pfiffen. Aber niemand achtete auf den Regen. Wir starrten alle den Blastoderm an, der neben seinem Stuhl stand und nach Worten rang. Er sagte noch langsamer als zuvor:

»Völlig verständlich, – Wörterbuch, – rote Eiche, – abhängig von, – Ursachen, – Federball, – allein, – –«

»Blastoderm ist besoffen,« sagte einer. Aber Blastoderm war es nicht. Er sah uns blöde an und griff in dem einsetzenden Halbdunkel mit seinen Händen wild um sich. Er schrie gellend auf:

»Was ist denn? – Ich kann nicht – an mich halten – erreichbar – Markt – dunkel – –«

Aber seine Zunge schien im Munde zu erstarren. Und gerade als ein doppelzüngiger Blitz den weiten Himmel in drei Teile spaltete, und der Regen in Strömen niederprasselte, verlor der Blastoderm die Sprache. Er schnaubte und stampfte wie ein gewaltsam gehaltenes Pferd, und sein Auge war voller Entsetzen.

Drei Minuten später war der Arzt da und ließ sich den Vorfall erzählen. »Aphasie,« sagte er, »bringen Sie ihn auf sein Zimmer. Ich habe den Krach kommen sehen.« Wir trugen den Blastoderm durch den Regenguß nach Hause, und der Arzt gab ihm Brom zum Schlafen.

Dann kam der Arzt aus dem Zimmer wieder zu uns und erklärte uns, daß die Aphasie, wie so manche Krankheit Indiens, die Menschen plötzlich wie mit einem Keulenschlag trifft. Er habe nur ein einziges Mal einen so starken Fall bei einem einheimischen Soldaten gehabt. – Ich für meine Person habe leichte Aphasie schon öfter bei stark überarbeiteten Menschen erlebt, aber dies plötzliche Verstummen war unheimlich. Wenn es auch nur, um mit dem Blastoderm zu reden, »die Folge ganz natürlicher Ursachen« war.

»Er muß Urlaub nehmen,« sagte der Arzt, »ein Vierteljahr wird er wohl nicht arbeiten können. Nein, nein, es ist weder Wahnsinn noch sonst etwas Verwandtes! Es ist nur ein völliges Versagen der Sprachfähigkeit und des Gedächtnisses. Ich denke, der Blastoderm wird sich jetzt wohl ein Weilchen still verhalten müssen.«

Zwei Tage später kam ihm die Sprache wieder. Seine erste Frage war: »Was war es denn eigentlich?« Der Arzt klärte ihn auf. »Aber ich kann es nicht begreifen!« sagte der Blastoderm. »Ich bin doch ganz normal und soll meines Denkvermögens, meines Gedächtnisses nicht ganz Herr sein? Ist denn das möglich?«

»Gehen Sie drei Monate in die Berge,« sagte der Arzt, »und grübeln Sie nicht weiter.«

»Aber ich kann es nicht begreifen,« wiederholte der Blastoderm. »Mein eigener Verstand! Mein eigenstes Gedächtnis!«

»Das ist nicht zu ändern,« sagte der Arzt. »Es gibt manches, was Sie nicht begreifen. Wenn Sie erst einmal so lange im Berufe sind wie ich, dann werden Sie genau wissen, wieviel ein Mensch in dieser Welt sein Eigen nennen darf.«

Der Schlag duckte den Blastoderm. Er konnte ihn nicht begreifen. Mit Zittern und Zagen ging er ins Gebirge, immer in der Ungewißheit, ob es ihm wohl vergönnt sein würde, den Satz, den er begonnen, zu beenden.

Das Ereignis nahm ihm ganz heilsam seine Selbstsicherheit. Die natürliche Erklärung, daß er überarbeitet gewesen sei, befriedigte ihn nicht. Ein Etwas hatte ihm die Sprache von den Lippen genommen, wie eine Mutter die Milch von Kinderlippen wischt, und er fühlte eine Angst, eine furchtbare Angst.

So hatte denn der Klub Ruhe vor ihm, als er zurückkam. Wenn jemand gelegentlich Mc. Goggin über menschliche Einrichtungen rechten hören sollte, – über göttliche scheint er nicht mehr soviel zu wissen wie früher, – dann lege er nur seinen Finger an die Lippen und sehe zu, was dann geschieht.

Aber er mache mir keinen Vorwurf, wenn ihm ein Glas an den Kopf fliegt.

Die Einnahme von Lungtungpen

Die Einnahme von Lungtungpen

Folgende Geschichte erzählte mir mein Freund, der Gemeine Mulvaney, als wir bei einer Schmetterlingsjagd auf der steinernen Brustwehr am Wege nach Dagschai saßen. Er hatte seine eigenen Ansichten über die Armee und darüber, wie Tonpfeifen zu bemalen sind. Er behauptete, mit Rekruten käme man am weitesten, »von wegen ihrer Lammsunschuld«.

»Hören Sie zu,« sagte Mulvaney und streckte sich der Länge nach auf der Mauer in die Sonne: »Ich bin so’n richtiger, alter Regimentsgaul. Für mich ist die Armee das Leben. Ich gehöre zu den paar, die nicht ohne sie sein können. Siebzehn Jahre bin ich dabei; mir sind die Flötentöne ans Herz gewachsen. Hätte ich mir meinen Monatssuff nicht angewöhnt, dann wäre ich heute Mannschaftsoffizier. Dann wäre ich eine schöne Plage für meine Vorgesetzten, ein Schafskopf für meinesgleichen und mir selber zum Ekel. Aber ich bin nun mal, was ich bin, und bleibe der Gemeine Mulvaney ohne Extrazuschuß für gute Führung und mit einem mächtigen Durst. Aber mit Ausnahme von meinem Freunde Bob Bahadur weiß ich noch immer so viel von der Armee wie sonst wer.«

Hier nannte ich einen Namen.

»Zum Henker mit Wolseley! Hier unter uns, vor Ihnen und mir und dem Schmetterlingsnetz gesagt, ist er so einer, der nichts versteht und über alles redet. Mit dem einen Auge schielt er nach dem Hof und mit dem anderen auf sein eigenes gesegnetes Ich. Andauernd hält er sich für Cäsarn und Alexandern in einer Person. Unser Bob, das ist ein anderer Kerl! Mit dem und ein paar Leuten, die noch keine drei Jahre Dienst hinter sich haben, will ich jede Armee von der Erde herunterfegen und meinethalben noch bis in die Hölle hinein. Weiß Gott, das ist mein Ernst! Die Rekruten, die ganz grünen, die noch nicht wissen, was eine Kugel heißt, und die sich auch nicht daran kehrten, wenn sie es wüßten, die machen die beste Arbeit. Da stopft man sie nun mit Rindfleisch voll, bis sie vor lauter Übermut nicht wissen, wohin; und wenn sie dann nichts zu tun kriegen, dann fahren sie sich selber in die Haare. Das können Sie mir schon glauben. Während der Hitze sollten sie auf Brot und Wasser gesetzt werden. Aber dann gibt’s ’ne Meuterei.

Wissen Sie, wie der Gemeine Mulvaney die Stadt Lungtungpen erobert hat? Nein? Das konnte ich mir denken! Der Leutnant hat den Ruhm, aber der Plan kommt von mir. Kurz ehe ich von Birma ins Lazarett kam, stand ich mit vierundzwanzig jungen Kerls unter Leutnant Brazenose. Die Galle ging uns ins Blut, weil wir Räuber fangen sollten und sie nicht kriegten. Mein Lebtag hab‘ ich nicht solch zweibeiniges Hundepack gesehen! Ohne Hinterlader und Dolche würde man sie überhaupt für friedvolle Ackerbürger und nicht für Räuber gehalten haben, und es wäre eine Gemeinheit gewesen, sie niederzuknallen. Wir haben sie gejagt, aber erwischt haben wir höchstens das Fieber und ein paar Elefanten. Zu guter Letzt faßten wir wirklich einen. ›Behandelt ihn zart,‹ sagt unser Leutnant. Na, ich bringe ihn also ein bißchen in den Dschungel und nehme mir den birmesischen Dolmetscher und meinen Ladestock mit. Und dann sage ich zu dem Kerl: ›Mein friedfertiger Freund,‹ sage ich, ›nun setz dich mal auf deine Schinken und sage mal meinem Freund hier, wo deine Freunde sind, wenn sie zu Hause sind.‹ Bei der Gelegenheit laß ich ihn denn mit meinem Ladestock Bekanntschaft schließen, und er fängt auch gleich an zu schnattern. Unser Dolmetscher dolmetscht, und ich helfe der Abteilung für Nachrichtendienst mit meinem Ladestock ein bißchen auf die Sprünge, wenn das Gedächtnis versagen wollte.

Ich höre also, daß es neun Meilen überm Fluß eine Stadt gibt, die nur so gespickt ist mit Dolchen, Bogen, Pfeilen, Räubern, Elefanten und so weiter. ›Na,‹ sage ich, ›jetzt können wir ja die Auskunftsstelle schließen.‹

Am Abend gehe ich also zum Leutnant und berichte. Bis dahin hatte ich nie viel von Leutnant Brazenose gehalten. Er war zu vollgestopft mit Gelehrsamkeit und Theorien, die nichts taugen. ›Eine Stadt, haben Sie gesagt?‹ fragt er. ›Gemäß der theoretischen Kriegsführung müssen wir auf Verstärkung warten.‹ Na, denk ich, dann können wir man gleich unser Grab schaufeln. Denn die nächsten Truppen saßen bis an den Bauch in den Mimbusümpfen. ›Aber,‹ sagt der Leutnant, ›da hier ein besonderer Fall vorliegt, können wir ja eine Ausnahme machen. Heute nacht wollen wir uns dies Lungtungpen doch mal ansehen.‹

Unsere Kerls waren halb verrückt vor Freude, wie ich’s ihnen erzählte. Sie liefen durch das Dickicht wie die Feldhasen. So um Mitternacht kommen wir an den Fluß, den ich, weiß Gott, dem Leutnant zu melden vergessen hatte. Ich war mit vieren voran. Hatte ich ’ne Angst, daß der Leutnant wieder mit seinen Theorien anfangen würde. ›Runter mit den Sachen!‹ ruf ich, ›runter bis aufs Hemd! Schwimmt euerem Ruhm entgegen!‹ ›Ich kann nicht schwimmen,‹ antworten gleich zwei. ›Sollte man das bei Menschen von eurer Bildung für möglich halten?‹ sagte ich. ›Haltet euch an einem Baumstamm fest. Conolly und ich, wir werden euch schon rüber bugsieren, euch Jungfern!‹

Wir holen also einen alten Baumstamm, legen die Flinten und das Zeug obenauf und schieben los. Die Nacht war stockduster, und als wir gerade flott sind, höre ich den Leutnant hinter mir rufen. ›Es ist ja nur ein halbtrockenes Flußbett! ‹ sag ich, ›ich fühle Grund.‹ Und ich fühlte ihn auch, denn ich war kaum vom Ufer fort.

›Ein hübsches, trockenes Flußbett!‹ sagt der Leutnant. ›Vorwärts, du verrückter Kauz! Runter mit den Sachen, Jungens!‹ Ich hörte ihn lachen, und die Leute zogen sich aus und rollten ’nen Baum für die Sachen ins Wasser. Conolly und ich, wir stoßen ab mit unserem Baum, und die anderen kommen hinterher.

Der Fluß waren meilenbreit. Ortheris, der hinten am Baum mithalf, brummte in den Bart, wir wären wohl aus Versehen in die Themse bei Sheerneß geraten. ›Schwimm weiter, dummer Hund,‹ sag ich, ›und laß hier unseren Irriwaddy mit deinen faulen Witzen in Ruh.‹ ›Ruhe, Leute!‹ ruft der Leutnant. So schwimmen wir also im Finsteren drauf los, mit der Brust gegen den Baum, und verlassen uns auf den lieben Gott und aufs Glück der britischen Armee.

Schließlich stoßen wir wieder auf Grund – Sand war’s – und auf einen Mann. Ich trete ihm gerade auf den Rücken, und da kreischt der Kerl los, und fort ist er.

›Jetzt haben wir’s!‹ sagt der Leutnant Brazenose. ›Wo zum Teufel ist denn nun Lungtungpen?‹ So anderthalb Minuten mußten wir warten. Unsere Leute nahmen die Gewehre, einige versuchten auch noch die Degenkoppel umzuschnallen. Wir gingen, müssen Sie wissen, mit aufgepflanzten Bajonetten los. Wir erfuhren, wo Lungtungpen war. Denn wir waren im Dunkeln an die Flußmauern geraten. Die ganze Stadt starrte von Hinterladern und solchem Krimskrams, wie ein gesträubter Katzenbuckel bei Nacht. Alles schoß auf einmal, aber über uns hinweg mitten in den Fluß.

›Gewehr in Ordnung?‹ ruft der Leutnant. ›Zu Befehl,‹ sagt Ortheris. ›Ich hab‘ dem Hund Mulvaney seins. Das hab‘ ich nun für meinen rückständigen Sold, daß mir das lange Stück das Schlüsselbein einschlägt.‹ ›Vorwärts!‹ schreit Brazenose, den Degen in der Faust. ›Stürmt die Stadt! Vorwärts! Und Gott sei unseren armen Seelen gnädig.‹

Unsere Leute brüllten mörderisch und stürmten ins Dunkel, instinktiv auf die Stadt los. Wie das harte Gras sie in die bloßen Beine stach, kriegten sie die blinde Wut und gingen stocksteif drauf los wie lauter Kavalleriereitlehrer. Ich stieß mit dem Gewehrkolben an ein Bambusding. Ich glaubte, es würde nachgeben. Und die anderen stoßen auch drauf los, während der Krimskrams über uns donnerte und blitzte, und das Geschrei hinter der Mauer uns das Trommelfell zerriß. Aber wir waren schon zu nahe, als daß sie uns hätten treffen können.

Schließlich krachte das Ding, was es auch war, zusammen. Und wir alle sechsundzwanzig stolperten splitternackt wie die Neugeborenen in die Stadt Lungtungpen. Zuerst gab es ein großartiges Handgemenge. Ich weiß nicht, ob sie uns, weiß und naß, wie wir waren, für eine neue Sorte Teufel oder Räuber gehalten haben. Gelaufen sind sie jedenfalls, als wenn wir beides gewesen wären. Und wir mit Kolben und Bajonett hinterher, brüllend vor Lachen. Auf den Straßen brannten Fackeln, und ich sah, wie der kleine Ortheris sich jedesmal, wenn er meine Muskete abgeschossen hatte, die Schulter rieb. Und Brazenose schritt mit seinem Degen voran wie Richard der Löwe, nur hatte er keinen Faden am Leibe. Wir fanden ein paar Räuber versteckt unter Elefanten und hatten bis zum Morgen allerhand zu tun.

Dann wurde halt gemacht und wir stellten uns in Reih und Glied. Die Weiber kreischten in den Häusern, und Leutnant Brazenose wurde rosenrot, als die Sonne uns beleuchtete. So ’ne unanständige Parade habe ich nie mitgemacht. Fünfundzwanzig Gemeine und ein Offizier in Frontstellung ohne so viel Zeug am Leibe, daß man ’ne Flöte damit hätte abwischen können. Achte von uns hatten wenigstens Koppel und Patronentasche um, aber die anderen waren nur mit einer Handvoll Patronen, ohne irgend etwas an, losgezogen. Sie waren nackt wie die Venus.

›Es wird von rechts abgezählt!‹ sagt der Leutnant. ›Die Ungeraden treten ab zum Anziehen. Die Geraden zur Patrouille, bis sie von den andern abgelöst werden können!‹ Ich kann Ihnen sagen, eine Stadtpatrouille ohne was an ist ein Erlebnis! Nach zehn Minuten war ich feuerrot, so lachten die Weiber. Weder vorher noch nachher bin ich rot geworden, aber in den zehn Minuten war ich’s am ganzen Kadaver. Ortheris kam nicht mit. Er sagte nur: ›Ihr könnt mich am Sonntag in der Kaserne –‹ warf sich auf die Erde und kugelte sich vor Lachen.

Als wir alle angezogen waren, zählten wir die Toten: fünfundsiebzig von dem Räubervolk ohne die Verwundeten. Wir hatten fünf Elefanten, einhundertsiebzig Hinterlader, zweihundert Dolche und sonst noch ’nen ganzen Haufen Diebsplunder. Von uns war niemand verletzt, – höchstens der Leutnant, und der auch nur von dem Stoß, den sein Schamgefühl abgekriegt hatte.

Der Älteste von Lungtungpen fragte, als er sich ergeben hatte, den Dolmetscher: ›Wenn die Engländer ohne Kleider so kämpfen, wie in aller Welt kämpfen sie dann in Uniform?‹ Ortheris rollte die Augen, knackte mit den Fingern und fing an zu tanzen, um dem Ältesten zu imponieren. Der machte, daß er in sein Haus kam. Wir trugen unsern Leutnant den ganzen Tag lang auf unseren Schultern durch die Stadt, oder spielten mit den kleinen Birmanenkindern; es war eine ganz bildhübsche, kleine, dicke braune Gesellschaft.

Als ich wegen der Dysenterie zurückkommandiert wurde, habe ich zu unserem Leutnant gesagt: ›Herr Leutnant,‹ sag ich, ›Sie haben das Zeug zu einem großen Mann. Aber, wenn Sie’s einem alten Soldaten nicht übelnehmen, Sie sind zu sehr fürs Theoretische.‹ Er gab mir die Hand und sagte: ›Ihnen kann man’s ja doch nicht recht machen, Mulvaney; Sie haben mich nun durch ganz Lungtungpen wie einen Indianerhäuptling ohne Kriegsschmuck tanzen sehen und werfen mir immer noch die Theorie vor?‹ ›Herr Leutnant,‹ sagte ich, denn ich hatte ihn gern, ›ich würde mit Ihnen ganz genau so durch die Hölle tanzen, und die anderen alle mit.‹ Ich fuhr flußabwärts und schickte ihm meinen Segen. Der liehe Gott mag dafür sorgen, daß er ihn trifft, denn er war wirklich ein forscher, aufrechter junger Offizier.

Aber nun zur Pointe! Was ich da erzählt habe, soll zeigen, was die Rekruten wert sind. Oder glauben Sie vielleicht, daß fünfzig alte Soldaten Lungtungpen im Dunkeln genommen hätten? Ich nicht! Die hätten sich vor Fieber und Kälte gefürchtet, vom Schießen noch gar nicht geredet. Zweihundert hätten’s vielleicht getan. Aber die Jungen wissen wenig und kümmern sich um noch weniger. Und wo keine Furcht nicht ist, da ist auch keine Gefahr. Holt euch Junge und füttert sie gut. Dann werden sie bei der Ehre vom großen, kleinen Bob, unter einem ordentlichen Offizier, ohne Sachen, nicht nur mit schwarzem Räuberpack, nee, auch mit ganzen weißen Armeen fertig werden. Lungtungpen haben sie nackend genommen, Sankt Petersburg werden sie in Unterhosen nehmen. Weiß Gott, das täten sie.

Hier ist Ihre Pfeife, Herr. Rauchen Sie nur recht hübsch vorsichtig; ein anständiges Kraut, wenn der Duft vom Kantinentabak erst raus ist. Ich danke Ihnen schön, aber es hat keinen rechten Zweck, wenn Sie mir meinen Beutel mit Ihrem Kraut vollstopfen. Kantinentabak ist ganz wie die Armee; man verdirbt sich daran den Geschmack für was Feineres.«

Bei diesem Ausspruch nahm Mulvaney sein Schmetterlingsnetz und ging zur Kaserne zurück.

Der Bazillentöter

Der Bazillentöter

Es freut die tönerne Götterwelt,
Wenn der ewige Zeus sein Schläfchen hält.
Doch die kleine Gesellschaft hat nicht bedacht,
Daß zu seiner Stunde auch Zeus erwacht.

In der Regel ist es nicht ratsam, sich in einem Lande in Staatsangelegenheiten zu mischen, wo Leute hoch genug bezahlt werden, damit sie sie für uns erledigen. Aber unsere Geschichte bedeutet eine berechtigte Ausnahme.

Bekanntlich erleben wir alle fünf Jahre ein tief einschneidendes Ereignis. Ein neuer Vizekönig zieht ein und bringt mit seinem anderen Gepäck einen Privatsekretär mit, der manchmal der eigentliche Vizekönig ist, manchmal aber auch nicht, ganz wie das Geschick es fügt. Denn das Geschick wacht über dem indischen Reich, weil es so groß und hilflos ist.

Es war einmal ein Vizekönig, der einen unruhigen Geist als Privatsekretär mitbrachte, – einen unbeugsamen Mann mit schmiegsamen Umgangsformen und einer fast krankhaften Arbeitswut. Dieser Sekretär hieß Wonder, – John Fennil Wonder. Der Vizekönig hatte keinen Namen, aber er besaß eine lange Kette Grafschaften und eine ebensolange Ordenskette. Unter guten Freunden pflegte er zu sagen, er wäre die galvanisierte Buggallione des goldenen Staatsschiffes. Und er sah bald träumerisch, bald belustigt Wonder zu, der völlig außerhalb seines Amtskreises liegende Dinge in seine Hand zu bringen suchte. »Und wenn wir erst alle Engel sind,« sagte Se. Exzellenz einmal, »dann wird mein lieber, guter Freund Wonder sicher eine Verschwörung anzetteln, um dem Erzengel Gabriel die Schwanzfedern auszurupfen oder Sankt Peter die Schlüssel zu stehlen. Aber dann werde ich Anzeige erstatten.«

Die Leute murrten über Wonders Übereifer, obwohl doch der Vizekönig sich nicht weiter darüber beklagte. Bei den Staatsräten fing es an, und schließlich stimmte ganz Simla darin überein, daß in dem gegenwärtigen Regime »zu viel Wonder« und »zu wenig Vizekönig« wäre. Wonder führte andauernd Se. Exzellenz im Munde. »Se. Exzellenz hin, Se. Exzellenz her; Se. Exzellenz sind der Meinung« und so fort. Der Vizekönig lächelte darüber, aber er kehrte sich nicht daran. Er meinte, daß seine »guten, alten Räte« den »ehrwürdigen Orient« in Frieden ruhen lassen würden, solange sie sich mit »seinem lieben Freunde Wonder« herumzankten.

»Sicherlich wird sich kein weiser Mann politisch festlegen,« versicherte der Vizekönig. »Denn feste politische Versicherungen sind Sicherstellungen, die sich nur ein Narr von unberechenbaren Eventualitäten abpressen läßt. Ein Narr bin ich nicht, und das andere glaube ich nicht.«

Ich weiß nicht ganz genau, was er damit sagen wollte, wenn er nicht eine Versicherungspolice meinte. Vielleicht war es auch nur ein eigener Ausdruck des Vizekönigs für: »Gewehr in Ruh!«

Nun kam zu dieser Zeit einer von jenen Leuten nach Simla, die im Leben nur eine gute Idee haben. Solche Menschen bringen die Welt vorwärts, aber für den gesellschaftlichen Verkehr sind sie wenig geeignet. Der Betreffende hieß Mellish. Er hatte fünfzehn Jahre auf seinem Besitztum im unteren Bengalien gelebt, wo er die Cholera studiert hatte. Er hielt den Träger der Cholera für einen Bazillus, der sich in unreiner Luft vermehrt und sich in dicken Flocken auf Baumzweigen festsetzt. Und dieser Bazillus konnte seiner Ansicht nach unschädlich gemacht werden durch »Mellishs unübertreffliches Räuchermittel«, – ein schwarzblaues Pulver – »das Ergebnis fünfzehnjähriger wissenschaftlicher Untersuchungen, werter Herr!«

Erfinder sind, scheint’s, alle gleichen Schlages. Sie reden alle mit erhobener Stimme mit Vorliebe über »monopolistische Ausbeutungsversuche«; sie schlagen mit der Faust auf den Tisch und tragen immer versteckt Proben ihrer Erfindungen bei sich.

Mellish behauptete, es bestünde in Simla eine medizinische Clique mit dem Generalarzt an der Spitze, die alle Krankenhausärzte des Reiches in sich begriffe. Ich weiß nicht mehr, wie er es bewies, aber er sprach von »Durchstechereien usw.«, und Mellish wollte das unbeeinflußte Zeugnis des Vizekönigs, »des Statthalters unseres allergnädigsten Kaisers und Königs, werter Herr!« Darum kam Mellish nach Simla mit einem halben Zentner Räucherpulver im Koffer, um dem Vizekönig in einer Audienz die Vorzüge seiner Erfindung darzulegen.

Aber es ist leichter, einen Vizekönig zu Gesicht zu bekommen, als ihn zu sprechen, wenn man nicht gerade ein so bedeutender Mann ist wie Mellishe aus Madras. Er war ein vermögender Mann, so vermögend, daß seine Töchter nicht heirateten, sondern »eheliche Verbindungen eingingen«. Er selber wurde nicht bezahlt, er erhielt »Remunerationen«, und seine Reisen im Lande waren »Informationsreisen«. Sein Geschäft war es, Madras mit einer langen Stange aufzurühren, wie man Karpfen in einem Teiche aufrührt; und die Leute mußten aus ihrer altgewohnten Gemütlichkeit emportauchen, nach Luft schnappen und staunend ausrufen: »Hier steht Aufklärung und Fortschritt. Ist es nicht eine Lust?« Und man setzte Mellishe Denkmäler und baute ihm aus Blumen Ehrenpforten, in der Hoffnung, ihn loszuwerden.

Mellishe kam nach Simla zu einer »Konferenz« mit dem Vizekönig. Das gehörte zu seinen Nebenbeschäftigungen. Der Vizekönig wußte von Mellishe nichts weiter, als daß er einer der »kleinbürgerlichen Götzen« war, die »scheinbar dem geistigen Wohlbehagen Indiens, dem Paradiese des Kleinbürgertums, unumgänglich notwendig sind«. Und der Vizekönig nahm es als gegeben hin, daß Mellishe »alle öffentlichen Einrichtungen in Madras vorgeschlagen, entworfen, begründet und ausgestattet habe«. Das beweist, daß Se. Exzellenz trotz aller Träumerei solche Leute sehr gut kannte.

Mellishes Name war E. Melishe, und Mellishs Name war E. S. Mellish. Beide wohnten im gleichen Hotel, und das Geschick, das über dem Indischen Reich wacht, fügte es, daß Wonder sich versah, und das »e« am Schlusse des Namens wegließ. Der Amtsdiener förderte den Fehler und übergab den Brief Mellish mit dem Räucherpulver. »Sehr verehrter Herr Mellish, würden sie möglicherweise morgen abkommen können und mittags zwei Uhr mit uns speisen? Der Vizekönig wird eine Stunde zu Ihrer Verfügung halten.« Mellish weinte fast vor Glück und Stolz und ritt zur festgesetzten Stunde nach »Peterhoff« mit einer großen Tüte Räucherpulver im Rockschoß. Seine Stunde war gekommen, und es galt sie zu nutzen. – Mellishe hatte die »Konferenz« so verdächtig bedeutsam gemacht, daß Wonder für ihn ein Frühstück im engsten Kreise veranstaltete, ohne Adjutanten, ohne Wonder, mit dem Vizekönig allein. Und der Vizekönig klagte, er fürchte sich, mit einem so selbstherrlichen Menschen wie Mellishe aus Madras zwanglos allein sein zu müssen.

Aber der Gast langweilte den Vizekönig gar nicht. Im Gegenteil, er belustigte ihn. Mellish war ängstlich erregt und besorgt, möglichst bald auf sein Räucherpulver zukommen. Er redete hin und her, bis das Essen zu Ende war, und Se. Exzellenz ihn aufforderte, zu rauchen. Mellish gefiel dem Vizekönig, weil er nicht fachsimpelte.

Sobald die Zigarren brannten, sprach Mellish frei von der Leber weg. Er fing mit seiner Choleratheorie an, beleuchtete seine »fünfzehnjährige wissenschaftliche Arbeit«, die Machinationen der Simlaer Ärzteclique und die Vorzüglichkeit seines Räuchermittels. Der Vizekönig sah ihn mit halbgeschlossenen Lidern an und dachte: »Das scheint mir wohl doch nicht der Richtige zu sein. Aber ein originelles Huhn ist er.«

Mellishs Haar sträubte sich vor Erregung, und er stotterte. Er wühlte in seinen Rockschößen, und ehe sich’s der Vizekönig versah, hatte er eine Handvoll Pulver in den großen silbernen Aschenbecher geschüttet.

»Ich b–b–b–bitte Sie, sich selbst zu überzeugen, werter Herr!« rief Mellish. »Exzellenz haben die Güte aus eigener Anschauung zu urteilen. Völlig unfehlbar, mein Wort darauf!«

Er tauchte seine glimmende Zigarre in das Pulver; und es begann zu dampfen wie ein Vulkan. Schwere, fettige, kupferfarbene Rauchringe stiegen auf, und im Handumdrehen füllte sich das Zimmer mit einem beißenden, widerlichen Geruch, einem Gestank, der einem gewaltsam die Kehle zuschnürte. Das Pulver sprühte und zischte und schoß blaugrüne Funken, und der Qualm stieg auf, bis man weder sehen, noch hören, noch atmen konnte. Aber Mellish war daran gewöhnt.

»Salpetersaurer Strontian,« schrie er. »Baryt, Knochenmehl usw. Tausend Kubikfuß Rauch auf einen Kubikzoll! Nicht ein Bazillus kann leben bleiben, nicht einer, Exzellenz!«

Aber Se. Exzellenz war geflüchtet und stand hustend auf dem Treppenabsatz, während es in ganz »Peterhoff« wie in einem Bienenkorb zu surren begann. – Die roten Ulanen stürzten herbei und der Oberamtsdiener, der Englisch spricht, und die Leibtrabanten, und die Damen liefen die Treppen hinab und riefen: »Feuer!« Denn der Rauch zog durch das ganze Gebäude, schwelte durch die Fenster, schwoll auf die Veranden, und kräuselte und säuselte über dem Park. Niemand konnte das Zimmer, wo Mellish über sein Räucherpulver Vortrag hielt, betreten, bis das unbeschreibliche Zeug ausgebrannt war.

Dann stürzte ein Adjutant, der sich das Ehrenkreuz verdienen wollte, durch die Rauchwolken und schleifte Mellish in die Vorhalle. Den Vizekönig hatte sein Lachen völlig entkräftet. Erschöpft winkte er Mellish zu, der eine frische Tüte hin und her schwenkte.

»Großartig! Großartig!« stöhnte Se. Exzellenz. »Nicht ein Bazillus kann leben bleiben. Sie haben ganz recht. Ich kann’s beschwören. Ein glänzender Erfolg!«

Er lachte, bis ihm die Tränen kamen. Und Wonder, der den wahren Mellishe wutschnaubend auf der Promenade getroffen hatte, trat ein und war ungemein entrüstet über die Szene. Aber der Vizekönig war begeistert, denn jetzt war er sicher, daß Wonder sehr bald werde gehen müssen. Mellish mit dem Räucherpulver war auch sehr befriedigt, denn jetzt war die Simlaer Ärzteclique bankerott.

*

Wenige Leute können eine Geschichte so gut erzählen wie Se. Exzellenz, wenn er Lust dazu hatte. Und seine Erzählung von »meines lieben, guten Wonders Freund mit dem Räucherpulver« machte in Simla die Runde. Und frivole Leute elendeten Wonder mit ihren Bemerkungen.

Aber Se. Exzellenz erzählte die Geschichte einmal zu viel, – zu viel für Wonder, und zwar mit Absicht. Es war bei einem Picknick. Wonder saß hinter dem Vizekönig.

»Und einen Augenblick war ich wirklich der Meinung,« schloß Se. Exzellenz, »daß mein lieber, guter Wonder einen Meuchelmörder gedungen hatte, um sich den Weg zum Thron zu bahnen.«

Alle lachten. Aber es war ein leiser Unterton in der Stimme des Vizekönigs. Und Wonder verstand ihn. Er fand, daß seine Gesundheit nachließe, und der Vizekönig willigte in seinen Abschied. Er schilderte ihn in den leuchtendsten Farben, um ihn in den maßgebenden Kreisen zu fördern.

»Es war lediglich meine Schuld,« sagte Se. Exzellenz später mit vielsagendem Blinzeln. »Meine Unbeständigkeit muß einer so starken Natur von jeher zuwider gewesen sein.«

Entführt

Entführt

Wir sind hochstehende und aufgeklärte Menschen, und darum empört uns das Verheiraten von Kindern, dessen Folgen hin und wieder recht eigenartig sind. Aber nichtsdestoweniger ist die Sitte der Hindus, – die ja schließlich auch europäische Sitte, uralte Sitte ist, – Ehen ohne Rücksicht auf die Zuneigung der Heiratenden zu schließen, durchaus wohlbegründet. Wer auch nur einen Augenblick darüber nachsinnt, muß das einsehen, vorausgesetzt, daß er nicht an Wahlverwandtschaften glaubt. Dann sollte er meine Geschichte lieber ungelesen lassen. Wie kann ein Mann, der nie verheiratet war, dem man nicht zumuten würde, unter Pferden auf den ersten Blick ein einigermaßen fehlerfreies herauszufinden, wie kann solch ein Mann, dessen glühende Phantasie nur Bilder häuslichen Glückes schaut, sich an die Wahl eines Weibes wagen! Er kann weder klar sehen, noch denken, trotz aller Versuche. Und wenn ein Mädchen ihren Träumen folgt, trifft sie auf die gleichen Hindernisse. Aber wenn reife, verheiratete, besonnene Leute zwei junge Menschen zusammengeben, dann tun sie es wohlüberlegt und bedenken die Zukunft. Und das Paar wird glücklich sein bis an sein Lebensende. Das weiß ein jeder.

Eigentlich müßte die Regierung ein Tribunal für Eheschließungen einrichten mit den nötigen Beamten, einem Geschworenengerichte würdiger Frauen, einem älteren Geistlichen und einem »zur abschreckenden Warnung« im Gerichtshofe an einen Baumstamm gefesselten Paare, das aus Liebe geheiratet hatte und unglücklich ist. Alle Ehen müßten durch diese Abteilung vermittelt werden, die ja dem Unterrichtsministerium unterstellt werden könnte. Eine Übertretung müßte die gleiche Strafe finden wie ein Grundstücksverkauf ohne Stempelvertrag. Aber die Regierung nimmt nun einmal keine Vorschläge an. Sie gibt vor, zu beschäftigt zu sein. Dennoch will ich meine Auffassung niederschreiben und ein Beispiel geben, das meine Theorie beleuchtet.

Es war einmal ein tüchtiger junger Mann – ein ausgezeichneter Beamter. Er hatte eine aussichtsreiche Laufbahn vor sich und die höchsten Orden als erreichbares Ziel. Alle seine Vorgesetzten lobten ihn, denn er wußte zur rechten Zeit Zunge und Feder ruhen zu lassen. Heute gibt es in Indien nur elf Leute, die diese geheime Kunst besitzen, und alle sind, mit einer Ausnahme, zu hohen Ehren und Gehältern gelangt.

Der tüchtige junge Mann war still und verschlossen und viel zu alt für seine Jahre. Und das zieht stets seine Strafe nach sich. Hätte irgendein Unterbeamter, ein Plantagengehilfe oder sonst wer, der sein Leben unbekümmert um den nächsten Tag genießt, das getan, was er nur zu tun versucht hat, niemand hätte sich darum gekümmert. Aber als Peythroppe, der schätzenswerte, tugendsame, sparsame, stille, fleißige, junge Peythroppe zu Fall kam, da ging durch fünf Dienstabteilungen eine nachhaltige Erschütterung.

Und das kam so. Er lernte Miß Castries kennen. Der Name hieß ursprünglich D’Castries, aber die Familie hatte das »D« aus politischen Gründen fallen lassen. Er verliebte sich mit noch größerer Energie, als er bei seiner Arbeit bewies. Ich muß betonen, daß auch nicht der leiseste Hauch, – nicht der Schatten eines Hauches Miß Castries Ruf trübte. Sie war ohne Fehl und sehr schön, – sie war, wie harmlose Leute in England sagen würden, ein spanischer Typus. Sie hatte volles, blauschwarzes Haar bis tief auf die Stirne herab, große blaue Augen und Brauen, geradlinig und schwarz wie der Rand eines Extrablattes, das den Tod eines großen Mannes meldet. Aber – aber – aber. Sie war ein sehr liebes Mädchen und sehr fromm, aber aus manchem Grunde ganz unmöglich. Ganz gewiß! Alle guten Mütter wissen, was das heißt: »Unmöglich«. Es war offensichtlich unsinnig von Peythroppe, sie heiraten zu wollen. Der kleine opalfarbene Onyxrand ihrer Fingernägel sagte das so deutlich, als wenn es öffentlich gedruckt worden wäre. Außerdem bedeutete eine Heirat mit Miß Castries eine Verschwägerung mit vielen anderen Castries, mit dem Mannschaftsoffizier Castries, ihrem Vater, mit Mrs. Eulalia Castries, ihrer Mutter, und allen weiteren Zweigen der Castriesschen Familie mit Monatseinkommen von 175 bis 470 Rupien, samt deren Frauen und Anverwandten.

Peythroppe hätte es weniger gekostet, wenn er einen Regierungskommissar mit einer Hundepeitsche geprügelt oder die Akten des Deputiertenbureaus verbrannt hätte, als jetzt, da er eine Verbindung mit den Castries eingehen wollte. All das hätte ihn in seiner Laufhahn weniger gehindert, selbst unter einer Regierung, die nie vergißt und nie verzeiht. Das sah jeder ein, nur Peythroppe nicht. Jawohl, er wollte Miß Castries heiraten, er war mündig und er hatte sein gutes Einkommen, – und wehe dem Hause, das Mrs. Virginia Saulez Peythroppe nicht mit der dem Range ihres Gatten zukommenden Achtung aufnehmen würde. So lautete Peythroppes Ultimatum, und alle Vorstellungen brachten ihn zur Wut.

So plötzliche Geistesstörungen befallen gerade die klarsten Köpfe. Es war einmal ein Fall, – aber von dem werde ich später einmal erzählen. Der Wahn ist nur zu erklären, wenn man die Auffassung, daß Ehen im Himmel geschlossen werden, gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Peythroppe brannte darauf, sich am Anfange seiner Laufbahn einen Mühlstein um den Hals zu binden. Und alle Erörterungen blieben fruchtlos. Er wollte Miß Castries heiraten. Die Sache wäre seine Sache. Er bäte höflichst, Ratschläge bei sich zu behalten. Einen Menschen in solchem Zustande bestärken Worte nur noch. Wie könnte er auch einsehen, daß eine Heirat hier draußen nicht seine Sache, sondern Sache der Regierung ist, der er dient?

Man erinnert sich wohl Mrs. Hauksbees, der bewundernswertesten Frau Indiens. Sie hat Pluffles von Mrs. Reiver befreit, sie hat Tarrion eine Stelle im Auswärtigen Amt verschafft und ist in offener Feldschlacht von Mrs. Cusack-Bremmil geschlagen worden. Sie hörte von Peythroppes bejammernswerter Lage, und ihrem Kopfe entsprang der Plan zu seiner Rettung. Sie besaß die Klugheit der Schlange, die logische Kraft des Mannes, die Furchtlosigkeit des Kindes und den dreifach hellen Blick des Weibes. Nie, – nein, gewiß nie, – solange wie noch eine Tonga den Solonberg hinabkarriolt, solange wie noch verliebte Paare hinter Summer-Hill spazieren reiten, wird wieder solch Genie wie Mrs. Hauksbee erstehen. Sie wohnte der Beratung dreier Männer über den Fall Peythroppe bei, und sie stand auf, zog die Lasche ihrer Reitgerte durch die Zähne und redete. –

*

Drei Wochen später aß Peythroppe mit den Dreien zusammen und las, als die offizielle Zeitung hereingebracht wurde, unter den amtlichen Nachrichten zu seinem Erstaunen, daß er vier Wochen beurlaubt sei. Man frage nicht mich, wie das zuwege kam. Ich bin felsenfest überzeugt, daß die ganze große indische Regierung sich auf den Kopf stellen würde, wenn Mrs. Hauksbee den Befehl dazu erteilte. Die Drei hatten auch jeder einen Monat Urlaub; Peythroppe warf die Zeitung hin und fluchte. Da hörte man vom Hofe her das weiche »Trapp – Trapp« von Kamelen, – Diebskamelen, Bikaneerzucht, die nicht beim Niederknien und Aufstehen gurgelt und heult.

Was darauf geschehen ist, weiß ich nicht. Aber soviel ist sicher: Peythroppe verschwand, verflog wie Rauch. Im Hause der Drei war der »Faulenzer« in Stücke zersplittert, und in einem der Schlafzimmer fehlte ein Bett.

Mrs. Hauksbee erzählte, Peythroppe sei mit den Dreien nach Rajputana auf Jagd. Wir mußten ihr glauben.

Am Ende des Monats stand in der Zeitung, daß Peythroppes Urlaub um zwanzig Tage verlängert sei. Man wütete und jammerte im Hause der Castries. Der festgesetzte Hochzeitstag erschien, aber der Bräutigam kam und kam nicht, und alle die D’Silvas, Pereiras und Duckets erhoben laut ihre Stimmen und höhnten den Mannschaftsoffizier Castries, daß er sich so schändlich hätte betrügen lassen. Mrs. Hauksbee ging zur Trauung und war sehr erstaunt, als Peythroppe nicht erschien. Nach sieben Wochen kamen Peythroppe und die Drei aus Rajputana. Peythroppe war sehr mitgenommen, sehr blaß und verschlossener denn je.

Einer der Drei hatte eine Schmarre über der Nase – vom Rückschlag des Gewehres. Zwölfkalibrige stoßen manchmal sonderbar.

Dann kam der Mannschaftsoffizier Castries, den es nach dem Blute seines treulosen, einstigen Schwiegersohnes dürstete. Er sagte Manches, – Gemeines, »Unmögliches«, was den groben, rohen »Gemeinen« unter dem »Offizier« verriet. Ich glaube, Peythroppes Augen öffneten sich. Jedenfalls hörte er ihn ruhig mit an und faßte sich dann kurz. Mannschaftsoffizier Castries forderte noch einen Schnaps, ehe er ging, um zu sterben, – oder – eine Klage wegen Bruch des Eheversprechens einzureichen.

Miß Castries war ein sehr liebes Mädchen. Sie erklärte, sie wolle keinen Prozeß. Wenn sie auch keine »Dame« sei, sagte sie, so sei sie doch gebildet genug, um zu wissen, daß »Damen« ihre gebrochenen Herzen nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Und da sie ihre Eltern beherrschte, blieb es dabei. Später heiratete sie einen sehr ehrenwerten, ganz gebildeten Mann. Er reiste für eine unternehmungslustige Firma in Kalkutta und war, wie ein guter Gatte sein soll.

Peythroppe kam wieder zur Vernunft. Er leistete viel und war geachtet von allen, die ihn kannten. Eines Tages wird auch er heiraten. Aber er wird sich ein liebes, feines, kleines Jungfräulein zur Frau nehmen, die nicht ohne Geld und Verbindungen und dazu auch hoffähig ist, wie jeder weise Mann tun sollte. Und er wird ihr nie im Leben erzählen, was während seines siebenwöchentlichen Jagdausfluges in Rajputana geschehen ist.

Aber man denke daran, wie viele Mühe und Kosten, – denn Kamelmieten sind hoch, und die Bikaneertiere wollen wie Menschen gehalten werden, – wieviel gespart worden wäre, wenn es eine zweckmäßig geleitete Eheschließungsabteilung unter Aufsicht des Kulturministers in enger Verbindung mit dem Vizekönig gegeben hätte. –

Die Verhaftung des Leutnants Golightly

Die Verhaftung des Leutnants Golightly

Wenn Golightly auf irgend etwas stolz war, dann war es darauf, offiziersmäßig und elegant auszusehen. Er behauptete, er kleide sich der Armee zuliebe mit so peinlicher Sorgfalt; aber wer ihn sehr gut kannte, wußte, daß er es seiner Eitelkeit zuliebe tat. Es war nichts auszusetzen an Golightly, nicht das geringste. Er wußte, was ein gutes Pferd war und konnte mehr als reiten. Er spielte ganz erträglich Billard und war ein guter Partner am Whisttisch. Jeder hatte ihn gern, und niemand hätte sich träumen lassen, ihn einmal mit Handschellen als Deserteur auf einem Bahnsteig zu sehen. Und doch geschah dieses traurige Wunder.

Nach Ablauf seines Urlaubs kam er von Dalhousie herab, – zu Pferde. Er hatte seinen Urlaub ausgedehnt, so weit es irgend ging, und hatte Eile. In Dalhousie war es schon recht warm gewesen, und da er wußte, was er in der Ebene zu erwarten hatte, ritt er in einem neuen, eng anliegenden Khakianzug in zartem Olivgrün, trug einen pfauenblauen Schlips, weißen Kragen und einen schneeweißen Tropenhelm. Er war stolz darauf, selbst auf scharfem Ritte elegant auszusehen. Und er sah in der Tat elegant aus. Aber er war bei seinem Aufbruch so in sein Äußeres vertieft gewesen, daß er ganz vergessen hatte, sich mehr als Kleingeld einzustecken. Seine Banknoten hatte er im Hotel gelassen. Seine Leute waren vorausgeritten, um ihn rechtzeitig in Pathankote mit frischen Sachen erwarten zu können. Er nannte das »in offener Marschordnung« reisen. Und er war stolz auf sein Organisationstalent.

Zweiundzwanzig Meilen hinter Dalhousie setzte der Regen ein. Es war kein leichter Gebirgsschauer, sondern ein richtiger leichter Passatregen. Golightly hastete vorwärts und wünschte sich in Besitz seines Regenschirmes. Der Staub auf den Wegen wurde zu Schlamm, und das Pony bespritzte sich über und über und auch Golightlys Khakigamaschen. Aber er ritt unentwegt weiter und suchte sich einzureden, daß die Regenkühle höchst angenehm sei.

Das nächste Pony war schon zu Anfang störrisch, und da Golightlys Hände vom Regen schlüpfrig unsicher waren, warf ihn das Pony an einer Wegbiegung ab. Erlief dem Tier nach, fing es wieder ein und ritt munter drauf los. Der Sturz hatte weder seinen Anzug noch seine Stimmung verschönt. Er hatte einen Sporn verloren, aber dafür brauchte er den anderen um so fleißiger. Auf dieser Etappe hatte das Pony mehr Bewegung, als ihm lieb war, und Golightly war trotz Regen in Schweiß gebadet. Nach einer weiteren qualvollen halben Stunde versank die Welt vor Golightlys Augen in einem dickflüssigen Brei. Der Regen hatte den Kopf seines riesigen, schneeweißen Tropenhelmes in einen übelduftenden Teig verwandelt, und er saß ihm auf dem Kopfe wie ein halboffener Pilz. Dazu lief das grüne Futter aus.

Golightly sagte etwas, das man nicht wiederzugeben braucht. Er riß ein Stück von der Krempe, daß die Augen wieder frei wurden und trottete weiter. Hinten klatschte ihm die Krempe gegen den Nacken, und an den Seiten gegen die Ohren. Aber Ledergurt und Futter hielten den Helm gerade noch so weit zusammen, daß er nicht völlig zerfloß.

Allmählich taute aus dem Helmbrei und dem grünen Futter ein Schleim, der sich nach allen Richtungen über Golightly ergoß, mit besonderer Vorliebe über Nacken und Brust. Auch die Khakifarbe lief aus, – sie war empörend unecht. Teilweise war Golightly braun, stellenweise violett; hier waren ockergelbe Ringe, dort rostbraune Streifen und schmutzigweiße Flecken, je nach der eigentümlichen Zusammensetzung der Farbstoffe. Als er sein Taschentuch herauszog, um sich das Gesicht trocken zu wischen, mischte sich das Grün des Helmfutters mit dem Blau seines Schlipses, das bis auf den Hals durchgesickert war. Die Wirkung war verblüffend.

In der Nähe von Dhar hörte der Regen auf, die Abendsonne brach durch und trocknete Golightly ein wenig; zugleich wurden auch die Farben fixiert. Drei Meilen vor Pathankote wurde das letzte Pony stocklahm, und Golightly mußte zu Fuß gehen. Er drang bis Pathankote vor, wo er seine Leute zu finden hoffte. Er ahnte noch nicht, daß sein indischer Kammerdiener sich unterwegs betrunken hatte und sich am kommenden Tage mit einer »Fußverrenkung« entschuldigen würde. In Pathankote konnte er seine Leute nicht auffinden. Seine Stiefel waren hart und kotig. Der ganze Mensch starrte von Schmutz. Und das Blau des Schlipses war nicht minder ausgelaufen als der Khaki. Er riß ihn sich mitsamt dem Kragen herunter und warf ihn fort. Darauf bemerkte er etwas über Dienstboten im allgemeinen und bemühte sich um ein Glas Whisky und Soda. Er zahlte für das Getränk acht Annas und entdeckte bei dieser Gelegenheit, daß er außerdem nur noch sechs Annas in der Tasche hatte, – und das hieß in seiner Lage, – völlig mittellos sein.

Er ging zum Stationsvorsteher, um mit ihm wegen einer Fahrkarte erster Klasse nach Khasak, seiner Garnison, zu verhandeln. Der Schalterbeamte sagte etwas zum Stationsvorsteher, der Stationsvorsteher etwas zum Telegraphisten, und alle drei starrten Golightly interessiert an. Sie forderten ihn auf, eine halbe Stunde zu warten, unterdessen wollten sie nach Umritsar um Ermächtigung telegraphieren. So mußte er denn warten. Vier Polizisten kamen und gruppierten sich malerisch um ihn. Als er sie gerade bitten wollte, sich zu entfernen, erschien der Stationsvorsteher wieder und sagte, er würde dem »Sahib« eine Fahrkarte aushändigen, wenn der »Sahib« so freundlich sein wollte, in den Schalterraum zu kommen. Golightly ging mit, und ehe er zur Besinnung kam, hatte er an jedem Arm und an jedem Bein einen Polizisten, während der Stationsvorsteher sich bemühte, ihm einen Postbeutel über den Kopf zu stülpen.

Es gab eine tüchtige Balgerei durch den ganzen Schalterraum; Golightly fiel gegen einen Tisch und holte sich eine sehr unangenehme Wunde am Auge. Aber die Polizisten waren in der Übermacht und legten ihm mit Hilfe des Stationsvorstehers starke Handschellen an. Als der Postbeutel wieder entfernt war, sagte er ihnen die Meinung, und der Oberpolizist bemerkte: »Ohne Zweifel haben wir hier den englischen Soldaten vor uns, den wir suchen. Höret nur sein Fluchen!« Golightly fragte den Stationsvorsteher, was zum X und was zum U denn das bedeuten solle. Der Stationsvorsteher setzte ihm auseinander, er sei der »Gemeine John Binkle vom – Regiment,« fünf Fuß neun Zoll hoch, blond, graue Augen, verwahrlostes Äußere, Merkmale: keine besonderen,« der vor vierzehn Tagen desertiert sei. Golightly versuchte eine umständliche Erklärung zu geben, aber je mehr er erklärte, um so weniger Glauben fand er beim Stationsvorsteher. Der behauptete, ein Leutnant könne unmöglich so wüst aussehen, und er habe den Befehl, seinen Gefangenen unter genügender Bedeckung nach Umritsar zu schicken. Golightly fühlte sich nicht nur der Nässe wegen unbehaglich, und seine Reden sind selbst im Auszug nicht zur Veröffentlichung geeignet. Die vier Polizisten eskortierten ihn in einem Kupee dritter Klasse nach Umritsar, und er brachte die vierstündige Fahrt damit hin, so fließend zu schimpfen, wie es ihm seine Kenntnis der Landessprache irgend erlaubte.

Auf dem Bahnsteig in Umritsar schob man ihn in die Arme eines Unteroffiziers und zweier Leute aus dem – Regiment. Golightly richtete sich auf und versuchte die Sache auf die leichte Achsel zu nehmen. Aber ihm war in seinen Handschellen mit vier Polizisten im Rücken und der gerinnenden Wunde im Gesicht gar nicht leicht zumute. Und der Unteroffizier war auch nicht zum Spaßen aufgelegt. »Es ist ein ganz lächerliches Versehen, Leute!«, weiter kam Golightly nicht. Denn der Unteroffizier befahl ihm, »das Maul zu halten und mitzukommen.« Aber Golightly wollte nicht mit, er wollte da bleiben und die Sache aufklären. Und er machte es in der Tat ausgezeichnet, bis der Unteroffizier ihn mit den Worten unterbrach: »Sie wollen ein Offizier sein? Von denen sind Sie einer, die uns Schande machen. Ein großartiger Offizier sind Sie. Ihr Regiment kennen wir. Die Katzen gehen bei Nacht den Geschwindschritt, den Sie marschieren. Ein Schandfleck sind Sie fürs ganze Heer!«

Golightly hielt an sich und begann seine Erklärungen von neuem. Man bugsierte ihn aus dem Regen ins Wartezimmer und riet ihm, sich nicht noch lächerlicher zu machen. Man wollte ihn in die Festung nach Govindghar bringen; und solches »Gebracht werden« ist ebensowenig ehrenvoll wie eine Fahrt im »Grünen Wagen«.

Wut, Frösteln, Mißverständnisse, Handschellen und Schmerz von der Kopfwunde machten Golightly fast hysterisch. Er gab sich wirklich die größte Mühe, das auszudrücken, was seine Seele bedrückte! Als er sich schließlich heiser geschrien hatte, sagte einer der Leute: »Ich habe schon manchen Kerl in Ketten fluchen hören, aber an unseren ›Offizier‹ hier kommt keiner ran.« Sie ärgerten sich gar nicht über ihn, sie bewunderten ihn eher. Im Wartezimmer gab es Bier, und sie boten Golightly etwas an, weil er so »dammich gut« geflucht hätte. Sie baten ihn, er möchte doch von den Herumtreibereien des Gemeinen Binkle etwas zum besten geben. Das brachte Golightly in die äußerste Wut. Wenn er bei Besinnung geblieben wäre, dann hätte er ruhig die Ankunft des Offiziers abgewartet. Aber so versuchte er zu entweichen.

Allein der Kolben eines Martinigewehres im Kreuz tut gehörig weh. Und eine aufgeweichte, mürbe Khakijacke zerreißt, wenn zwei Männer den Kragen packen.

Golightly erhob sich vom Boden, elend und schwindlig. Sein Hemd war über der Brust und fast über dem ganzen Rücken zerfetzt. Er ergab sich seinem Schicksal. Und in diesem Augenblick traf der Zug von Lahore ein mit einem von Golightlys Majoren.

Der Bericht des Majors lautete wörtlich:

»Aus dem Warteraum dritter Klasse drang ein Lärm wie von einer Rauferei. Ich ging hinein und sah den verrissensten Strolch, der mir je in meinem Leben vor Augen gekommen ist. Seine Stiefel und Hosen waren über und über mit Schmutz und Bierflecken bedeckt. Auf dem Kopf trug er etwas wie einen schmutziggrauen Komposthaufen. Die Fetzen hingen ihm über die zerschrammten Schultern. Das Hemd saß nur noch zur Hälfte an seinem Körper, und er forderte die Wache gerade auf, sich doch den Namen am unteren Zipfel anzusehen. Da er das Hemd gerade über den Kopf zog, konnte ich zuerst nicht sehen, wer es war. Aber ich war überzeugt, daß es ein Mann im ersten Stadium des Delirium tremens war, so fluchte er, während er an seinen Lumpen zerrte. Und dann drehte er sich um, und es war, – eine pastetengroße Beule über dem Auge, eine grünliche Bemalung des Gesichts und violette Streifen am Hals abgerechnet, – Golightly. Er war hocherfreut, mich zu sehen,« schloß der Major, »und sprach die Hoffnung aus, daß ich dem Kasino gegenüber schweigen würde. Ich habe es auch getan, aber Sie können jetzt reden, wenn Sie wollen, denn jetzt ist Golightly wieder in England.«

Golightly brachte den größten Teil des Sommers mit dem Versuche hin, den Unteroffizier und die beiden Soldaten vor das Kriegsgericht zu bringen, weil sie einen »Offizier und Gentleman« verhaftet hätten. Sie bedauerten den Irrtum natürlich unendlich. Aber die Geschichte fand ihren Weg in die Kantine und von dort aus in die ganze Provinz. –

Lispeth

Lispeth

Sie war die Tochter Sonoos aus den Bergen und Jadehs, seines Weibes. Eines Tages mißriet ihnen der Mais, und zwei Bären hausten die Nacht über in ihrem einzigen Mohnfeld oben über dem Sutlej-Tale nach Kotgarh zu; darum wurden sie Christen zur nächsten Erntezeit und brachten die Kleine ins Missionshaus zur Taufe. Der Kotgarh-Geistliche gab ihr den Namen Elisabeth, den man »Lispeth« spricht in den Bergen, bei den Pahari.

Später kam die Cholera ins Kotgarh-Tal und raffte Sonoo und Jadeh dahin, und Lispeth wurde bei der Frau des Geistlichen von Kotgarh halb Dienerin, halb Gesellschafterin. Das geschah nach der Zeit der Herrenhuter Missionare, aber damals, als Kotgarh seinen Namen »Herrin der nördlichen Berge« noch nicht ganz vergessen hatte.

Ob das Christentum Lispeth förderte, oder ob unter allen Umständen die Götter ihres Volks das gleiche für sie getan hätten, das weiß ich nicht; jedenfalls wurde sie sehr schön. Wenn ein Mädchen der Berge schön wird, ist es wert, daß man fünfzig Meilen über schlechte Wege wandert, um sie zu sehen. Lispeth hatte ein griechisches Gesicht, – ein Gesicht, wie man es oft malt, und selten sieht. Sie sah aus wie blasses Elfenbein und war außerordentlich groß für ihre Rasse. Dazu hatte sie Augen, die wunderbar waren; und wäre sie nicht in dem abscheulichen Kattun der Missionskleider einhergegangen, sie hätte dem, der ihr unerwartet am Berge begegnete, als das Urbild der auf die todbringende Jagd ausziehenden römischen Diana erscheinen müssen.

Lispeth nahm das Christentum leicht an und ließ es auch nicht, als sie zum Weibe reifte, wie es manches Mädchen in den Bergen tut. Ihre Landsleute haßten sie, weil sie eine Memsahib geworden war, wie sie sagten, und sich täglich wusch; und die Frau des Geistlichen wußte nicht, was sie mit ihr anfangen sollte. Eigentlich kann man von einer stolzen Göttin, die fast sechs Fuß mißt, nicht verlangen, Teller und Schüsseln zu waschen. Darum spielte sie mit den Kindern des Geistlichen, nahm teil am Unterricht der Sonntagsschule, las alle Bücher im Hause und wurde schöner und schöner, wie die Prinzessinnen im Märchen. Die Frau des Geistlichen meinte zwar, das Mädchen müsse nach Simla in Dienst gehen, als Kindermädchen oder als sonst etwas »Besseres«. Aber Lispeth wollte es nicht. Sie fühlte sich glücklich, wo sie war.

Kamen Reisende – nicht oft in jenen Jahren – nach Kotgarh, schloß sich Lispeth in ihr Zimmer ein, aus Furcht, man könne sie nach Simla, oder sonst wohin in die weite Welt mitnehmen.

Eines Tages, als sie einige Monate über siebzehn Jahr alt war, machte Lispeth einen Spaziergang. Sie machte es nicht wie die englischen Damen, die anderthalb Meilen zu Fuß gehen und den Rückweg fahren; sie legte zwanzig, dreißig Meilen zurück auf ihren »kleinen Nachmittagspromenaden«, kreuz und quer zwischen Kotgarh und Narkunda. Diesmal kam sie bei tiefer Dämmerung heim und machte den halsbrecherischen Abstieg nach Kotgarh mit etwas Schwerem im Arme. Die Frau des Geistlichen war im Wohnzimmer eingenickt, als Lispeth schweratmend und ganz erschöpft von ihrer Last eintrat. Lispeth legte sie aufs Sofa nieder und sagte schlicht: »Dies hier ist mein Mann. Ich fand ihn auf der Straße nach Bagi. Er hat sich verletzt. Wir wollen ihn pflegen, und wenn er gesund ist, soll Ihr Mann uns trauen.«

Es war das erstemal, daß Lispeth ihre Auffassung der Ehe kundgab, und die Frau des Geistlichen schrie vor Entsetzen. Allein zunächst mußte sie sich um den Mann auf dem Sofa kümmern. Er war ein junger Engländer; ein spitzer Gegenstand hatte ihm den Kopf bis zum Knochen aufgeschlagen Lispeth sagte, sie hätte ihn unten am Khud gefunden und hierhergebracht. Er atmete unregelmäßig und war bewußtlos.

Er wurde zu Bett gebracht und von dem Geistlichen, der etwas von Medizin verstand, verbunden; Lispeth wartete vor der Tür, für den Fall, daß sie sich nützlich machen könne. Sie setzte dem Geistlichen auseinander, daß das der Mann sei, den sie heiraten wolle, und der Geistliche und seine Frau kanzelten sie hart ab wegen ihres unpassenden Benehmens. Lispeth hörte still zu und wiederholte ihren Vorsatz. Es gehört ein gut Stück Christentum dazu, die unzivilisierten Instinkte des Ostens, wie die Liebe auf den ersten Blick, zu tilgen. Lispeth hatte den Mann gefunden, den sie anbetete, und sie sah nicht ein, warum sie ihre Wahl verschweigen sollte. Sie dachte auch nicht daran, sich fortschicken zu lassen. Sie wollte diesen Engländer pflegen, bis er wohl genug war, sie zu heiraten. Das war ihr harmloser, kleiner Feldzugsplan.

Nach vierzehntägigem leichten Wundfieber kam der Engländer zu vollem Bewußtsein und dankte dem Geistlichen, seiner Frau und Lispeth – besonders Lispeth – für ihre Güte. Er bereise den Osten, sagte er – von »Globetrottern« sprach man nicht in jenen Tagen, wo die junge P.&O. Linie noch klein war, – und sei von Dehra Dun gekommen, um in den Bergen von Simla Pflanzen und Schmetterlinge zu sammeln. In Simla kenne ihn daher niemand. Er glaube, er sei an der Felswand abgestürzt, als er an einem faulen Baumstamm nach einem Farn gegriffen; seine Kulis müßten wohl mit seinem Gepäck durchgegangen sein. Er wolle nach Simla zurück, sobald er sich etwas kräftiger fühle. Das Bergsteigen habe er satt.

Seine Abreise beeilte er nicht gerade, und nur langsam kam er wieder zu Kräften. Lispeth ließ sich weder von dem Geistlichen noch von seiner Frau bereden; darum sprach diese mit dem Engländer und erzählte ihm, wie es um Lispeths Herz stand. Er lachte herzlich und fand die Sache sehr niedlich und romantisch, das reinste Himalaya-Idyll. Da er sich aber in der Heimat verlobt habe, würde hier wohl nichts passieren. Selbstredend würde er vorsichtig sein. Und er war es. Trotzdem fand er es sehr angenehm mit Lispeth zu plaudern, mit Lispeth spazieren zu gehen, ihr allerlei Liebes zu sagen, ihr Kosenamen zu geben und sich langsam zu erholen. Ihm bedeutete das alles gar nichts, Lispeth die ganze Welt. Sie war glücklich in diesen beiden Wochen, denn sie hatte den Mann gefunden, den sie lieben konnte.

Als Kind der Wildnis gab sie sich keine Mühe, ihre Gefühle zu verbergen. Und dem Engländer machte das Spaß. Als er aufbrach, ging Lispeth mit ihm den Berg hinauf bis nach Narkunda, sehr, sehr unruhig und unglücklich. Die Frau des Geistlichen, als gute Christin abgeneigt gegen alles, was irgendwie Aufsehen oder gar Skandal erregen konnte mit Lispeth konnte sie gar nicht fertig werden – hatte dem Engländer geraten, er solle Lispeth sagen, daß er wiederkommen werde, um sie zu heiraten. »Sie ist das reinste Kind, wissen Sie, und, ich fürchte, im Grunde ihrer Seele eine Heidin,« sagte die Frau des Geistlichen. Darum versprach der Engländer auf dem zwölf Meilen langen Bergwege, den Arm um ihre Taille gelegt, daß er wiederkommen und sie heiraten werde; und Lispeth ließ es ihn immer wieder versichern. Sie weinte auf der Narkunda-Höhe, bis sie ihn auf dem Mutiana-Steig aus den Augen verlor.

Dann trocknete sie ihre Tränen, ging zurück nach Kotgarh und sagte zu der Frau des Geistlichen: »Er kommt wieder und heiratet mich. Er ist nur zu seinen Landsleuten gegangen, um es ihnen zu sagen.« Und die Frau tröstete Lispeth und sagte: »Er kommt wieder.« Als der zweite Monat zu Ende ging, wurde Lispeth ungeduldig und erfuhr, daß der Engländer übers Meer nach England gereist sei. Sie wußte, wo England lag, weil es in ihrer kleinen geographischen Schulfibel stand. Aber sie hatte natürlich keinen Begriff vom Meer, da die Berge ihre Heimat waren. Im Hause hatte man eine alte zusammensetzbare Weltkarte. Lispeth hatte damit gespielt, als sie Kind war. – Nun holte sie sie wieder hervor, setzte sie an den Abenden zusammen, weinte für sich und suchte sich vorzustellen, wo ihr Engländer sei. Da sie weder von Entfernungen noch von Dampfern einen Begriff hatte, waren ihre Vorstellungen einigermaßen falsch. Es hätte auch nicht das geringste ausgemacht, wenn sie völlig richtig gewesen wären. Denn der Engländer dachte nicht daran, wiederzukommen und ein Mädchen der Berge zu heiraten. Er hatte sie und ihre Welt schon ganz vergessen, als er in Assam Schmetterlinge jagte. Später schrieb er ein Buch über den Osten, aber Lispeths Name stand nicht darin.

Als der dritte Monat zu Ende ging, pilgerte Lispeth täglich nach Narkunda, um zu sehen, ob nicht ihr Engländer des Weges käme. Das gab ihr Trost, und die Frau des Geistlichen, die sie glücklicher fand, glaubte, daß sie ihre »barbarische und höchst unzarte Laune« überwunden habe. Bald darauf vermochten diese Gänge Lispeth nicht mehr zu trösten, und ihre Stimmung verschlimmerte sich sehr. Folglich hielt die Frau des Geistlichen die Zeit jetzt für geeignet, sie den wahren Stand der Dinge wissen zu lassen, – daß der Engländer ihr nur sein Wort gegeben hätte, um sie zu beruhigen, daß er keinerlei Absichten gehabt hätte, und daß es »nicht recht und nicht schicklich« für Lispeth sei, an eine Heirat mit einem Engländer zu denken, der aus feinerem Ton geknetet sei, und der sich überdies einem Mädchen seines Volkes versprochen habe. Lispeth erklärte, das wäre ja unmöglich, denn er hätte ihr doch gesagt, daß er sie liebe, und sie – die Frau des Geistlichen – hätte doch auch mit eigenem Mund bestätigt, daß er wiederkäme.

»Wie kann denn das nicht wahr sein, was Sie und er gesagt haben?« fragte Lispeth.

»Es war nur eine Ausflucht, um dich ruhig zu machen, Kind,« sagte die Frau des Geistlichen.

»Dann haben Sie mich also belogen,« sagte Lispeth, »Sie und er?«

Die Frau des Geistlichen senkte den Kopf und erwiderte nichts. Auch Lispeth schwieg ein Weilchen; dann ging sie ins Tal hinab und kam in der Tracht des Berglandes zurück, schandbar schmutzig, aber ohne Nasen- und Ohrringe. Sie hatte ihr Haar mit schwarzem Zwirn in einen langen Zopf geflochten, wie ihn die Weiber in den Bergen tragen.

»Ich will zu meinem Volk zurück,« sagte sie. »Lispeth habt ihr getötet. Nur der alten Jadeh Tochter ist übrig geblieben, die Tochter eines Pahari, die Dienerin der Tarka Devi. Ihr Engländer seid Lügner, alle miteinander.«

Ehe sich die Frau des Geistlichen von dem Schreck über Lispeths Umkehr zu den Göttern ihrer Mutter erholt hatte, war das Mädchen auf und davon; und sie kam nie wieder.

Sie schloß sich mit solcher Leidenschaft ihrem unsauberen Volk an, als wolle sie einholen, was das Leben, von dem sie schied, ihr schuldig geblieben war; nach kurzer Zeit heiratete sie einen Holzhauer, der sie nach Pahari-Weise schlug, und ihre Schönheit welkte bald.

»Es gibt keinen Maßstab für die Tollheiten der Heiden,« sagte die Frau des Geistlichen, »und ich glaube, daß Lispeth im Grunde ihrer Seele immer eine Ungläubige gewesen ist.« Wenn man bedenkt, daß Lispeth in dem reifen Alter von fünf Wochen in die Kirche aufgenommen war, macht dieser Ausspruch der Frau des Geistlichen keine Ehre.

Lispeth war eine sehr alte Frau, als sie starb. Des Englischen war sie stets mächtig, und wenn sie betrunken genug war, konnte man sie bisweilen dazu bewegen, die Geschichte ihrer ersten Liebe zu erzählen.

Dann war es schwer zu begreifen, daß das runzelige Wesen mit dem verschwommenen Blick, das einem rußigen Lumpenbündel so ähnlich sah, einstmals die »Lispeth aus dem Kotgarher Missionshaus« gewesen war.