9.

Diese Gedanken peinigten und quälten ihn bald mehr, bald weniger, nie aber verließen sie ihn ganz. Er las und dachte, und je mehr er las und sann, desto weiter entfernt von dem verfolgten Ziele fühlte er sich.

Nachdem er sich in jüngster Zeit in Moskau und auf dem Dorfe überzeugt hatte, daß er bei den Materialisten keine Antwort finden werde, las er immer aufs neue wieder Plato und Spinoza, Kant, Schelling, Hegel und Schopenhauer, die Philosophen, welche das Leben nicht materialistisch erklärten. Diese Ideen erschienen ihm fruchtbringend, mochte er nun lesen, oder selbst Gegengründe gegen die Lehren anderer aussinnen, insbesondere gegen die materialistischen. Doch kaum hatte er gelesen und sich selbst eine Antwort auf die Fragen ausgedacht, da wiederholte sich bei ihm stets ein und dasselbe. Indem er der gegebenen Bestimmung unklarer Begriffe, wie »Geist, Wille, Freiheit, Substanz« folgte und absichtlich in die Wörterfalle ging, die ihm die Philosophen oder auch er selbst sich gestellt hatte, begann er einigermaßen zu begreifen.

Aber er brauchte nur den künstlichen Gedankengang zu vergessen, und sich zu dem zu wenden, was im Leben befriedigte, wenn er dem gegebenen Faden folgend, nachdachte – und plötzlich stürzte der ganze kunstvolle Bau zusammen wie ein Kartenhaus, und es wurde ihm klar, daß der Bau aus denselben Worten bestand, die nur umgestellt, und unabhängig waren von Etwas, das im Leben viel bedeutungsvoller war, als der Verstand.

Bei der Lektüre Schopenhauers setzte er einmal an Stelle des Begriffs eigner Wille, den der Liebe, und diese neue Philosophie machte ihm zwei Tage lang, so lange er sich mit ihr beschäftigte, Vergnügen. Sie fiel aber gleichsam zusammen, als er darauf aus dem Leben heraus auf sie blickte, und es zeigte sich wieder jenes kattunene Gewand, das nicht warm hielt.

Sein Bruder Iwanowitsch riet ihm, die theologischen Werke Chomjakoffs zu lesen. Lewin las den zweiten Band derselben und war, ungeachtet der ihn anfangs abstoßenden, polemischen, eleganten und scharfsinnigen Diktion, überrascht von Chomjakoffs Lehrmeinung über die Kirche. Ihn überraschte anfangs die Idee, daß die Erlangung der göttlichen Wahrheiten dem Menschen nicht verliehen sei, sondern nur einer Gemeinschaft von Menschen, vereint in der Liebe – der Kirche.

Er freute sich bei dem Gedanken, wie viel leichter es wäre, an eine vorhandene, gegenwärtig lebendige Kirche zu glauben, welche alle Glaubensbekenntnisse der Menschen in sich begreife, und Gott zum Haupte habe, infolge dessen aber heilig und unfehlbar sei, und von ihr nun den Glauben an Gott erst zu empfangen, den an die Schöpfung, den Sündenfall, und die Erlösung – als wenn man mit Gott, dem weit entfernten, geheimnisvollen Gott, der Schöpfung etc. begänne.

Als er nun aber dann die Kirchengeschichte eines katholischen und die eines rechtgläubigen Schriftstellers las und gewahrte, daß beide Kirchen, jede unfehlbar in ihrem Wesen, sich gegenseitig negierten, da verzweifelte er auch an Chomjakoffs Kirchenlehre und das ganze Gebäude wurde von dem gleichen Staub bedeckt, wie die philosophischen Gebäude.

Während dieses ganzen Frühlings hatte er so mit sich selbst im Kampfe gelegen und schreckliche Augenblicke durchlebt.

»Ohne zu wissen, was ich bin und warum ich hier bin – kann man nicht leben! Erfahren aber kann ich es nicht, folglich kann ich nicht leben,« sprach Lewin zu sich selbst. »In der Unendlichkeit der Zeit, der Unendlichkeit des Stoffes, der Unendlichkeit des Raumes bildet sich die organische Zelle; dieses Bläschen wird eine Zeitlang bestehen und dann zerplatzen; – das bin ich.«

Dies bildete das einzige Resultat jahrhundertelanger menschlicher Denkarbeit nach dieser Richtung.

Es war die letzte Überzeugung, auf welcher sich alle Forschungen des menschlichen Denkens in fast allen ihren Ausläufern aufbauten. Es war die herrschende Überzeugung und Lewin machte dieselbe vor allen anderen Erklärungen als die immer noch klarste, unwillkürlich und ohne zu wissen wann und wie, zu der seinigen.

Aber dies war nicht nur falsch, sondern vielmehr der hartherzige Hohn einer bösen Macht, einer so bösen, widrigen, daß er sich ihr nicht unterordnen konnte.

Man mußte sich befreien von dieser Macht, und die Befreiung lag in den Händen eines jeden. Es galt, diese Abhängigkeit vom Bösen zu beseitigen, und dafür gab es nur ein Mittel – den Tod.

Als glückliches Familienoberhaupt, als ein gesunder Mensch, war Lewin mehrmals dem Selbstmord so nahe, daß er die Schnur versteckte, damit er sich nicht an ihr hing, und sich fürchtete, mit der Flinte zu gehen, um sich nicht zu erschießen.

Doch Lewin erschoß sich weder, noch hing er sich, sondern lebte weiter.

10.

Der Maler Michailoff war, wie immer, bei der Arbeit, als man ihm die Karten des Grafen Wronskiy und Golenischtscheffs überbrachte. Er hatte diesen Morgen in seinem Atelier an einem großen Gemälde gearbeitet. Als er in seine Wohnung gekommen war, hatte er sich über seine Frau geärgert, weil diese nicht mit der Hauswirtin umzugehen verstand, die Geld verlangte.

»Zwanzigmal wohl habe ich dir gesagt, laß dich nicht in Erklärungen ein, du bist ohnehin schon dumm genug; willst du aber auf italienisch etwas erklären, dann wirst du noch dreimal dümmer,« sagte er zu ihr nach langem Gezänk.

»Sei lieber nicht so nachlässig! Ich kann doch nicht dafür. Wenn ich Geld hätte« –

»Laß mich in Ruhe, um Gottes willen!« rief Michailoff, Thränen in der Stimme, eilte, sich die Ohren zuhaltend, in sein Arbeitszimmer hinter die Zwischenwand, und schloß die Thür hinter sich. »Einfältige,« sprach er zu sich selbst, ließ sich an seinem Tische nieder, klappte den Karton auseinander und machte sich mit besonderem Eifer an eine schon begonnene Zeichnung.

Niemals arbeitete er mit so großem Eifer und Erfolg, als wenn es ihm im Leben nicht gut ging, besonders aber, wenn er sich mit seiner Frau gezankt hatte.

»Könnte man nur sonstwohin durchbrennen!« dachte er bei seiner Arbeit. Er entwarf eine Zeichnung zu der Figur eines Menschen, der sich im Zornanfall befindet. Die Zeichnung war schon vorher entworfen, aber er war mit derselben nicht zufrieden. »Nein, die andere war besser; wo ist sie denn nur?« Er ging zu seiner Frau, und frug grollend, und ohne aufzublicken, die alte Magd, wo das Papier wäre, welches er ihnen gegeben hätte. Das Papier mit der darauf hingeworfenen Zeichnung fand sich, es war aber beschmutzt und mit Stearin betropft. Gleichwohl nahm er die Zeichnung, legte sie vor sich auf den Tisch, und begann, nachdem er mit den Augen blinzelnd zurückgetreten war, sie zu betrachten. Plötzlich lächelte er und schwenkte freudig mit den Armen. »So ist es, so!« sagte er, und begann, den Bleistift ergreifend, schnell zu zeichnen. Ein Stearinflecken hatte der Figur eine neue Stellung verliehen. Er zeichnete diese neue Stellung und plötzlich fiel ihm das energische Gesicht eines Kaufmanns mit hervorstehendem Unterkinn ein, bei dem er sich seine Cigarren kaufte, und dieses Gesicht, dieses Kinn gab er nun seiner Figur. Er lachte vor Lust; die Gestalt war plötzlich aus einer toten, nur gedachten, lebendig, eine solche geworden, die man nicht mehr verändern konnte. Diese Figur lebte, sie war deutlich und zweifellos bestimmt. Man konnte jetzt wohl noch die Zeichnung ändern, im Einklang mit den Erfordernissen der Gestalt, man konnte wohl selbst die Füße anders stellen, die Haltung des linken Armes gänzlich ändern, die Haare zurücklegen. Brachte man auch diese Verbesserungen an, so veränderte man doch nicht die Figur, sondern nur das, was die Figur verdeckte. Er nahm damit gleichsam nur die Hüllen von ihr ab, wegen deren sie nicht ganz sichtbar war und jeder neue Strich zeigte die ganze Gestalt nur noch mehr in all ihrer energischen Kraft, einer Kraft, die ihm plötzlich von den Stearinflecken hervorgebracht zu sein schien. Sorgfältig beendete er gerade die Figur, als man ihm die Karten brachte.

»Sogleich, sogleich!«

Er eilt zu seiner Frau.

»Laß es gut sein, Sascha, sei nicht mehr böse!« sagte er zu ihr, schüchtern und zärtlich lächelnd, »du warst schuld und ich war schuld; ich will schon alles in Ordnung bringen.« Nachdem er sich mit seiner Frau ausgesöhnt hatte, zog er einen olivenfarbigen Paletot mit Sammetkragen an, setzte seinen Hut auf, und begab sich nach seinem Atelier. Die so wohlgelungene Figur hatte er bereits vergessen. Es erfreute und erregte ihn jetzt nur der Besuch seines Ateliers seitens dieser vornehmen Russen, die im Wagen angekommen waren.

Über sein Gemälde, dasselbe, welches jetzt auf seinem Platze stand, hatte er auf dem Grunde seines Herzens nur ein Urteil – dies, daß ein ähnliches Gemälde bisher noch niemand gemalt habe. Er wähnte nicht, daß sein Bild besser sei als alle Rafaelschen, er wußte nur, daß das, was er auf demselben wiedergeben wollte, noch nie jemand wiedergegeben hatte. Dies wußte er genau und er wußte es schon lange, seit jener Zeit, da er es zu malen begonnen hatte. Aber die Urteile der Menschen hatten für ihn, wie sie auch sein mochten, gleichwohl eine ungeheure Wichtigkeit, und sie regten ihn bis auf den Grund seiner Seele auf. Jede Bemerkung, selbst die allergeringste, welche bewies, daß seine Kritiker auch nur den kleinsten Teil von dem erkannten, was er in diesem Gemälde gesehen hatte, regte ihn bis auf den Grund seiner Seele auf.

Seinen Kritikern maß er stets größere Tiefe an Verständnis bei, als wie er selbst besaß, und er erwartete von ihnen stets etwas, was er selbst noch nicht in seinem Gemälde gesehen hatte. Oft fand er dies auch, wie ihm schien, in den Urteilen der Beschauer.

Schnellen Schrittes näherte er sich der Thür seines Ateliers; und trotz seiner inneren Erregtheit, frappierte ihn die matte Beleuchtung der Gestalt Annas, wie sie im Schatten der Einfahrt stand und dem eifrig ihr etwas auseinandersetzenden Golenischtscheff zuhörte, zu gleicher Zeit aber auch offenbar wünschte, den herankommenden Künstler zu sehen.

Er selbst war sich dessen gar nicht bewußt geworden, daß er an sie herantretend, diesen Eindruck erfaßt und sich zu eigen gemacht hatte, ebenso wie das Unterkinn jenes Kaufmanns der ihm Cigarren verkaufte, und er barg ihn nun an eine Stelle, von der er ihn wieder hervorholen würde, sobald er ihn brauchte. Die Besucher, schon vorher durch Golenischtscheffs Erzählung über den Künstler ernüchtert, wurden dies noch mehr durch dessen äußere Erscheinung.

Von mittlerer Große, gedrungen, mit schwankendem Gang, machte Michailoff in seinem zimmetfarbenen Hut, dem olivengrünen Paletot und den engen Beinkleidern – man trug zu dieser Zeit längst schon weite –- insbesondere aber durch das Gewöhnliche seines breiten Gesichts und einen Ausdruck, in welchem sich Schüchternheit mit dem Wunsche, seine Würde zu beobachten, vereinigte, einen nicht eben augenehmen Eindruck.

»Bitte ergebenst,« sagte er, sich bemühend, gleichmütig, zu erscheinen, und zog, in den Hausflur tretend, einen Schlüssel aus der Tasche um die Thür zu öffnen.

4.

Während des Aufenthalts in der Gouvernementsstadt ging Sergey Iwanowitsch nicht ans Buffett, sondern schritt auf dem Bahnsteig auf und nieder.

Als er zum erstenmal am Coupé Wronskiys vorüberkam, bemerkte er, daß das Fenster zugezogen war, bei nochmaligem Passieren desselben indessen erblickte er die alte Gräfin am Fenster, welche Koznyscheff zu sich rief.

»Ich fahre auch mit und begleite ihn bis Kursk,« sagte sie.

»Ich habe schon gehört,« antwortete Sergey Iwanowitsch, an ihrem Fenster stehen bleibend und in dasselbe hineinblickend. »Welch schöner Zug von ihm,« fügte er hinzu, nachdem er bemerkt hatte, daß Wronskiy nicht im Coupé war.

»Ja, was blieb ihm nach seinem Unglück zu thun übrig?«

»Welch furchtbares Ereignis!« sagte Sergey Iwanowitsch.

»O, was habe ich durchgemacht; aber bitte, tretet doch ein! – O, was habe ich durchgemacht!« wiederholte sie, nachdem Sergey Iwanowitsch eingetreten war und sich neben ihr auf das Polster gesetzt hatte. »Das vermag sich niemand vorzustellen. Sechs Wochen hat er mit niemand gesprochen und nur erst dann gegessen, wenn ich ihn darum angefleht. Nicht eine Minute durfte man ihn allein lassen. Wir haben alles weggenommen, womit er sich hätte ein Leids anthun können; wir wohnten in der niederen Etage; es ließ sich eben nichts voraussehen. Ihr wißt ja, daß er sich schon einmal ihretwegen geschossen hat,« sprach sie, und die Brauen der alten Frau zogen sich finster zusammen bei dieser Erinnerung. »Ja; sie hat geendet, wie solch ein Weib enden mußte. Selbst den Tod hat sie sich gemein und niedrig erwählt!« –

»Wir dürfen nicht richten, Gräfin,« sagte Sergey Iwanowitsch seufzend, »doch ich begreife, wie schwer dies für Euch gewesen sein muß.«

»O, sprecht nicht davon! Ich wohnte auf meinem Gute, und er war gerade bei mir. Da bringt man ein Billet. Er schreibt Antwort und sendet sie ab. Wir ahnten nicht, daß sie schon da auf der Station war. Abends – ich hatte mich soeben zurückgezogen – erzählt mir meine Mary, daß sich auf der Station eine Dame unter dem Eisenbahnzug gestürzt hätte. Dies traf mich wie ein Donnerschlag! Ich erkannte das müsse sie gewesen sein, und das erste, was ich sagen konnte war: Nur ihm nichts mitteilen! – Doch hatte man es ihm schon gesagt. Sein Kutscher war dort gewesen und hatte alles gesehen. Als ich auf sein Zimmer kam, war er nicht mehr bei Sinnen – er war furchtbar anzusehen. Kein Wort hat er gesprochen und ist fortgesprengt. Was dort geschehen ist, ich weiß es nicht, aber sie haben ihn wie einen Toten gebracht. Ich hätte ihn nicht erkannt. – › Prostration complète!‹ erklärte der Arzt. Dann brach fast eine Tobwut aus. Doch, was soll ich da erzählen!« sprach die Gräfin mit der Hand abwehrend. »Eine entsetzliche Zeit! Nein, was Ihr auch sagen mögt, es war ein schlechtes Weib! Und was waren das auch für verzweifelte Leidenschaften! Das mußte auf etwas Absonderliches hinauslaufen und sie hat es auch bewiesen. Sie hat sich vernichtet und zwei edle Männer – ihren Gatten und meinen unglücklichen Sohn!«

»Was sagt denn ihr Gatte dazu?« frug Sergey Iwanowitsch.

»Er hat ihr Kind zu sich genommen. Mein Aleksander war in der ersten Zeit mit allem einverstanden, doch jetzt quält es ihn furchtbar, daß er einem fremden Menschen seine Tochter übergeben hat. Sein Wort zurücknehmen aber kann er nicht. Karenin kam auch zum Begräbnis, doch bemühten wir uns, ihn nicht Aleksander begegnen zu lassen. Für ihn, den Ehemann, war es immerhin doch noch leichter zu ertragen. Sie hat ihn ja erlöst, aber mein armer Sohn hatte sich ihr so ganz dahingegeben. Alles hatte er für sie aufgegeben, seine Carriere, mich, und dabei hatte sie noch nicht einmal Mitleid mit ihm, sondern hat ihn mit Berechnung noch völlig gemordet. Nein, was Ihr auch sagen mögt, selbst ihr Tod – ist nur der Tod eines abscheulichen Weibes, das keine Religion besaß! Möge Gott mir verzeihen, aber ich muß ihr Angedenken hassen, wenn ich auf den Untergang meines Sohnes schaue.«

»Und wie trägt er es jetzt?«

»Gott hat uns geholfen – dieser serbische Feldzug ist gekommen. Ich bin ein greises Weib, und verstehe nichts davon, aber Gott hat ihm dies gesandt. Mir als Mutter ist es natürlich entsetzlich, und, was die Hauptsache ist, man sagt ce n’est pas très – bien vu à Pétersbourg – aber – was thun! Dies allein nur konnte ihn wieder aufrichten. Jaschwin – sein Freund – hat alles verspielt und sich nach Serbien begeben; er ist zu ihm gekommen und hat ihn überredet. Jetzt beschäftigt ihn die Sache doch. Unterhaltet Euch, bitte, mit ihm, ich will ihn zerstreuen. Er ist so schwermütig. Unglücklicherweise hat er auch noch Zahnschmerzen bekommen. Über Euch wird er sich recht sehr freuen. Bitte sprecht mit ihm; dort drüben geht er.«

Sergey Iwanowitsch sagte, es würde ihm Freude machen und begab sich auf die andere Seite des Zuges.

5.

In dem schrägen Abendschatten von Säcken, welche auf dem Bahnsteig aufgetürmt lagen, ging Wronskiy in seinem langen Überrock, mit bedecktem Kopfe und die Hände in den Taschen hin und her, wie ein wildes Tier im Käfig, sich alle zwanzig Schritte schnell wieder wendend. Als Sergey Iwanowitsch sich Wronskiy näherte, schien ihm, als ob ihn dieser sehe, sich jedoch stelle, als bemerke er ihn nicht. Sergey Iwanowitsch war dies ganz gleichgültig. Er stand außerhalb aller persönlicher Beziehungen mit Wronskiy.

In dieser Minute war Wronskiy in seinen Augen ein wichtiger Faktor in dem großen Werke und Koznyscheff hielt es für seine Pflicht, ihn anzufeuern und aufzumuntern. Er trat zu ihm.

Wronskiy blieb stehen, blickte auf, erkannte Sergey Iwanowitsch und drückte demselben, indem er ihm einige Schritte entgegentrat, warm die Hand.

»Ihr habt vielleicht nicht mit mir sprechen wollen,« sagte Sergey Iwanowitsch, »aber kann ich Euch nicht nützlich sein?«

»Mit niemand könnte es mir angenehmer sein, zusammenzutreffen, als mit Euch,« sagte Wronskiy, »entschuldigt mich, aber Erfreuliches giebt es für mich nicht mehr im Leben.«

»Ich verstehe; ich wollte Euch meine Dienste anbieten,« sagte Sergey Iwanowitsch, Wronskiy in das sichtlich leidende Gesicht blickend. »Habt Ihr nicht einen Brief für Ristitsch, oder an Milan nötig?«

»O nein!« antwortete Wronskiy, fast als werde es ihm schwer, zu verstehen: »Wenn es Euch gleich ist, so spazieren wir ein wenig. In den Waggons herrscht eine solche Schwüle! Ob ich ein Schreiben brauche? Nein; ich danke Euch, zum Sterben braucht man keine Empfehlungen. Nur gegen die Türken« – sagte er lächelnd, mechanisch. Seine Augen hatten noch immer ihren Ausdruck von Erregtheit und Leiden.

»Es wird Euch aber leichter werden, mit vorbereiteten Persönlichkeiten die Beziehungen anzuknüpfen, welche doch jedenfalls erforderlich sind. Indes, wie Ihr wollt. Ich hatte mich sehr gefreut, von Eurem Entschluß zu hören. Giebt es doch schon so viele Angriffe auf die Freiwilligen, daß ein Mann wie Ihr, dieselben in der öffentlichen Meinung nur heben kann!«

»Ich bin als Mensch,« sagte Wronskiy, »nur insofern brauchbar, als das Leben mir nichts mehr wert ist. Nur, daß physische Energie genug in mir ist, ein Carré zu sprengen, und es zu zerschmettern, oder zu fallen – das weiß ich! Ich freue mich darüber, daß es etwas giebt, wofür ich mein Leben opfern darf, das mir nicht allein überflüssig, nein, interesselos geworden ist. So kommt es doch noch jemand zu nutze.«

Er bewegte ungeduldig die Kinnbacken, infolge des beständigen, nagenden Zahnschmerzes, der ihn sogar daran hinderte, mit dem Ausdruck zu sprechen, den er beabsichtigte.

»Ihr werdet wieder genesen, ich prophezeie es Euch,« sagte Sergey Iwanowitsch, mit einem Gefühl von Rührung. »Die Erlösung unserer Mitbrüder von einem Joch ist ein Ziel, würdig des Todes wie des Lebens. Verleihe Gott Euch äußeren Erfolg und inneren Frieden,« fügte er hinzu und reichte ihm die Hand hin.

Wronskiy drückte warm die dargebotene Hand Sergey Iwanowitschs.

»Ja, als Waffe – kann ich noch zu etwas taugen. – Aber als Mensch – bin ich eine Ruine« – sprach er in Absätzen.

Der quälende Schmerz des Zahnes, welcher ihm den Mund mit Speichel füllte, hinderte Wronskiy am Reden. Er schwieg, nach den Rädern eines langsam und gleichmäßig auf den Schienen hinrollenden Tenders blickend, und plötzlich ließ ihn eine andere Qual, nicht ein Schmerz, sondern ein allgemeines, inneres Unbehagen auf einen Augenblick seinen Zahnschmerz vergessen.

Der Anblick des Tenders und der Schienen, der Einfluß des Gesprächs mit einem Bekannten, welchen er nach dem Verhängnis, das ihn betroffen, nicht begegnet war, brachte ihm ihr Angedenken plötzlich wieder in die Erinnerung, oder vielmehr das, was ihm von ihr noch geblieben war, als er wie ein Wahnsinniger in den Schuppen der Eisenbahnstation gelaufen kam: Auf einem Tische in demselben, schmählich von den Händen Fremder ausgestreckt, ihr blutiger Leib, noch voll von dem kaum entflohenen Leben; der nach hinten geworfene, unversehrt gebliebene Kopf mit seinen schweren Flechten und wallenden Locken an den Schläfen, und auf dem reizvollen Antlitz, mit dem halbgeöffneten roten Munde, der erstarrte, seltsame, klägliche Ausdruck der Lippen, der furchtbar in den nichtgeschlossenen Augen lag, und wie mit Worten das furchtbare Wort aussprach, daß er bereuen solle – das Wort, welches sie während ihres Streites zu ihm gesagt hatte.

Und er bemühte sich, sie so in sein Gedächtnis zurückzurufen, wie sie gewesen, als er ihr zum erstenmal, gleichfalls auf der Eisenbahnstation, begegnet war, ihr, der Geheimnisvollen, der Reizenden, der Liebevollen, Glücksuchenden und -spendenden, aber nicht der hartherzig Quälenden, als die sie ihm aus der letzten Minute ins Gedächtnis kam.

Er suchte sich der seligsten Minuten mit ihr zu erinnern, doch diese waren ihm auf ewig vergiftet. Er rief sie sich nur als die Triumphierende ins Gedächtnis zurück, welche ihre Drohung, ausgeführt hatte, die niemand nützte und durch Reue nicht auszugleichen war. Den Zahnschmerz fühlte er nicht mehr, aber Schluchzen verzerrte sein Gesicht.

Nachdem er zweimal wortlos an den Säcken vorübergeschritten war, wandte er sich, nachdem er seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte, ruhig an Sergey Iwanowitsch.

»Habt Ihr keine Depesche seit der gestrigen erhalten? Der Feind ist zwar zum drittenmal geschlagen, aber morgen erwartet man die Entscheidungsschlacht.«

Nachdem sie noch über die Proklamation des Königs Milan und die weittragenden Folgen, welche dieselbe haben könne, gesprochen hatten, trennten sich beide nach dem zweiten Glockensignal und gingen nach ihren beiderseitigen Waggons.

6.

Da Sergey Iwanowitsch nicht wußte, wann er Moskau würde verlassen können, hatte er nicht an seinen Bruder telegraphiert, daß man ihn abhole.

Lewin war nicht daheim, als Katawasoff und Sergey Iwanowitsch in einem kleinen Tarantaß, der auf der Station gemietet worden war, staubbedeckt wie Araber um zwölf Uhr mittags vor der Freitreppe des Herrenhauses von Pokrowskoje vorfuhren.

Kity, welche mit ihrem Vater und der Schwester auf dem Balkon gesessen hatte, erkannte den Schwager und eilte hinunter, ihn zu bewillkommen.

»Wie unrecht von euch, uns nicht Nachricht zu geben,« sagte sie Sergey Iwanowitsch die Hand reichend und ihm die Stirn darbietend.

»Wir sind ganz wohlbehalten hierher gelangt und haben euch nicht erst Umstände gemacht,« antwortete Sergey Iwanowitsch. »Ich bin so voll Staub, daß ich mich fürchte, jemand anzurühren. Ich war auch so beschäftigt, daß ich nicht einmal wußte, wann ich mich würde losmachen können. Aber ihr haltet es nach altgewohnter Weise,« lächelte er, »ihr freut euch eures stillen Glückes fern von Zeitläuften in eurem stillen Heim. Da hat sich auch mein Freund Fjodor Wasiljewitsch endlich mit aufgemacht.«

»Ich bin indessen kein Neger, sondern werde mich waschen – und dann einem Menschen ähnlich sehen,« sagte Katawasoff mit seinem gewohnten Humor, einen Händedruck wechselnd und mit seinen schimmernden Zähnen in dem geschwärzten Gesicht eigentümlich lächelnd.

»Mein Konstantin wird sich sehr freuen. Er ist nach dem Vorwerk hinaus und muß bald kommen.«

»Er beschäftigt sich nur mit der Landwirtschaft; so macht man es eben hier,« sagte Katawasoff, »bei uns in der Stadt aber ist außer dem serbischen Kriege auch nichts weiter zu sehen. Wie geht es denn meinem Freunde? Was macht er? Ein wenig Sonderling, nicht?« –

»Nun, ja, ein wenig;« antwortete Kity etwas verlegen werdend, mit einem Blick auf Sergey Iwanowitsch, »doch ich will nach ihm schicken. Auch Papa ist bei uns auf Besuch. Er ist erst unlängst aus dem Ausland angekommen.«

Nachdem Kity befohlen hatte, nach Lewin zu schicken, die staubbedeckten Gäste zur Toilette zu führen, den einen in das Kabinett, den anderen in Dollys ehemaliges Zimmer, und ein Frühstück für sie zu servieren, eilte sie, wieder in dem Vollbesitz hurtiger Beweglichkeit, dessen sie in der Zeit ihrer Schwangerschaft beraubt gewesen war, auf den Balkon hinauf.

»Es ist Sergey Iwanowitsch und Katawasoff, der Professor,« sagte sie.

»O weh,« sagte der Fürst.

»Er ist aber sehr liebenswürdig, Papa, und Konstantin hat ihn sehr lieb,« sagte Kity lächelnd, ihm gleichsam zuredend, indem sie den Ausdruck von Ironie auf dem Gesicht des Vaters bemerkte.

»Nun, meinetwegen.«

»Geh doch zu ihnen Herzchen,« wandte sich Kity zu ihrer Schwester, »und unterhalte sie. Sie haben Stefan auf der Station gesehen, er befindet sich wohl. Ich aber will zu Mita laufen. Wie unangenehm aber, ich habe seit dem Thee nicht wieder angelegt. Der Kleine wird jetzt wach geworden sein und wahrscheinlich schreien,« und mit schnellen Schritten ging sie, den Andrang der Milch verspürend, nach der Kinderstube.

Sie hatte in der That den Andrang der Milch nicht bloß vermutet – sie legte das Kind noch an – sondern kannte an dem Andrang der Milch bei ihr die Zeit des Bedürfnisses bei demselben genau.

Sie wußte, daß der Kleine schrie, noch bevor sie zur Kinderstube gelangt war. Und wirklich schrie er. Sie vernahm seine Stimme und beschleunigte ihren Schritt, aber je schneller sie ging, um so lauter schrie das Kind. Seine Stimme war gut, gesund, nur hungrig und ungeduldig.

»Schreit es schon lange?« frug Kity eilig die Kindermuhme, sich auf einen Stuhl setzend und zum Anlegen vorbereitend. »Gebt es schnell her. Ach, Muhme, wie langweilig Ihr doch seid; nun, bindet doch das Häubchen später!«

Das Kind zappelte schreiend vor Gier.

»Das geht aber nicht, Matuschka,« sagte Agathe Michailowna, die fast stets in der Kinderstube zugegen war. Man muß es hübsch ordentlich putzen;« »Eia, eia«, sang sie über dem Kinde, ohne von der Mutter Notiz zu nehmen.

Die Kinderfrau trug das Kind zu der Mutter. Agathe Michailowna folgte ihm mit vor Zärtlichkeit leuchtenden Zügen.

»Es weiß es ja, er weiß es; glaubt mir bei Gott, Matuschka Katharina Aleksandrowna, er hat mich erkannt!« rief Agathe Michailowna dem Kinde zu.

Doch Kity hörte ihre Worte nicht. Ihre Ungeduld war ebenso hoch gestiegen, wie die des Kindes, und vor Ungeduld wollte die Sache lange nicht von statten gehen. Das Kind faßte nicht, wo es fassen sollte und wurde ungebärdig.

Endlich aber, nach einem verzweifelten, erstickten Schrei und hohlklingenden Schmatzen war es gelungen, und Mutter wie Kind fühlten sich gleichzeitig befriedigt und wurden still.

»Er ist doch ganz in Schweiß gebadet, der arme Kleine,« sprach Kity, das Kind befühlend. »Weshalb denkt Ihr denn, daß das Kind euch kennt?« fügte sie hinzu, seitwärts auf die verschmitzt, wie ihr schien, unter dem emporgerückten Häubchen hervorschauenden Äuglein des Kindes, die taktmäßig schwellenden Bäckchen und sein Ärmchen mit der roten Hand blickend, mit dem es kreisende Bewegungen machte. »Kann nicht sein! Wenn es schon jemand erkännte, so müßte es mich erkennen,« sagte Kity auf die Versicherung Agathe Michailownas hin und lächelte.

Sie lächelte darüber, daß sie, wenn sie auch sagte, es könne noch niemand erkennen, in ihrem Herzen wußte, es kenne nicht nur Agathe Michailowna, sondern wisse und verstehe alles, wisse und verstehe noch mehr von Dingen, die niemand kenne, und die nur sie, die Mutter selbst, nur dank dem Kinde kennen lernte und begriff. Für Agathe Michailowna, die Kinderfrau, den Onkel und selbst ihren Vater war der kleine Mitja nur ein lebendiges Wesen, welches für sich lediglich materielle Pflege verlangte, aber für die Mutter war es schon längst ein Geschöpf mit Charakter, in dem sich bereits eine ganze Geschichte seelischer Beziehungen abgespielt hatte.

»Er erwacht, gebe Gott, daß Ihr es selbst seht! Wenn ich es so mache, glänzt er nur so auf, der Liebling. Er glänzt so auf wie der helle Tag,« sprach Agathe Michailowna.

»Nun gut, gut; wir werden ja dann sehen,« flüsterte Kity, »geht jetzt; der Kleine schläft ein.«

1.

Die Fürstin Schtscherbazkaja fand, daß es unmöglich sei, die Hochzeit vor den Fasten, bis zu denen noch fünf Wochen waren, zu feiern, da die eine Hälfte der Ausstattung bis dahin nicht fertig zu stellen war; doch konnte sie nicht umhin, sich mit Lewin einverstanden zu erklären, daß es nach den Fasten wieder viel zu spät werden würde, da eine alte Tante des Fürsten Schtscherbazkiy sehr krank war und bald sterben konnte, und alsdann die Trauer die Hochzeit noch weiter verzögert haben würde. Die Fürstin erklärte sich infolge dessen, nachdem sie die Mitgift in zwei Partieen – eine große und eine kleine geteilt hatte, damit einverstanden, daß die Hochzeit zu den Fasten gefeiert würde. Sie beschloß den kleineren Teil der Mitgift schon jetzt bereit zu machen, während der größere später folgen würde, und war sehr erbost über Lewin, weil dieser ihr durchaus nicht ernsthaft zu antworten vermochte, ob er hiermit einverstanden sei oder nicht. Diese Ordnung der Dinge war um so bequemer, als die jungen Eheleute sogleich nach der Hochzeit auf das Land gingen, wo die große Mitgift gar nicht erforderlich war.

Lewin befand sich noch immer in jenem Zustande der Verzücktheit, in welchem es ihm schien, als ob er und sein Glück den hauptsächlichsten und einzigen Zweck alles Seienden bildete, daß er jetzt an nichts denken, für nichts sorgen dürfe, daß vielmehr alles für ihn von anderen gemacht wurde oder gemacht werden würde. Er hatte durchaus keine Pläne oder Ziele für sein zukünftiges Leben, sondern gab die Entscheidung hierüber anderen anheim in der Überzeugung, es werde schon alles gut gehen. Sein Bruder Sergey Iwanowitsch, Stefan Arkadjewitsch und die Fürstin leiteten ihn an, was er zu thun habe, und er war vollständig einverstanden mit allem, was man ihm vorschlug. Sein Bruder nahm Geld für ihn auf, die Fürstin riet, nach der Hochzeit Moskau zu verlassen, Stefan Arkadjewitsch riet, eine Hochzeitsreise ins Ausland zu machen. Er war mit allem einverstanden. »Thut was Ihr wollt, wenn es Euch Vergnügen macht. Ich bin glücklich, und mein Glück kann nicht großer sein und nicht kleiner, was immer Ihr auch thun möget,« dachte er.

Als er Kity den Rat Stefan Arkadjewitschs mitteilte, eine Hochzeitsreise ins Ausland zu machen, wunderte er sich sehr, daß sie damit nicht einverstanden war, sondern bezüglich des beiderseitigen künftigen Lebens gewisse eigene bestimmte Forderungen stellte. Sie wußte, daß Lewin seine Beschäftigung auf dem Lande hatte, die er liebte. Sie verstand, wie er sah, nicht nur nichts hiervon, sondern wollte auch gar nichts davon verstehen lernen, doch hinderte sie dies nicht, jene Beschäftigung für sehr wichtig zu halten. Sie wußte ferner, daß ihr Haus in einem Dorfe stand, und wünschte nun eben, nicht ins Ausland zu fahren, wo sie ja nicht leben würde, sondern dorthin, wo ihr Haus stand. Dieser bestimmt ausgeprägte Entschluß setzte Lewin in Verwunderung, doch da ihm alles gleichgültig war, bat er sogleich Stefan Arkadjewitsch, als ob dies dessen Verpflichtung wäre, auf das Dorf zu fahren und dort alles vorzubereiten, wie er es verstünde, mit jenem Geschmack, den er in so reichem Maße besäße.

»Höre einmal,« sagte nun eines Tags Stefan Arkadjewitsch zu Lewin, – vom Dorfe zurückgekommen, woselbst er alles für die Ankunft des jungen Paares eingerichtet hatte – »hast du denn ein Zeugnis, daß du gebeichtet hast?«

»Nein. Warum?«

»Ohne dies wirst du nicht getraut!«

»O, o, o,« rief Lewin aus; »ich habe ja schon seit neun Jahren keine Fasten mehr innegehalten. Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Du bist mir Einer,« lachte Stefan Arkadjewitsch, »und mich willst du einen Nihilisten nennen! Aber das geht wirklich nicht – du mußt fasten.«

»Wann denn? Es sind noch vier Tage übrig.«

Stefan Arkadjewitsch ordnete auch dies, und Lewin begann zu fasten. Für ihn, als einen Häretiker, der aber gleichwohl den Glauben anderer achtete, war die Gegenwart und Teilnahme bei jeder Art von kirchlichen Ceremonien sehr lästig. Jetzt, in seiner allen gegenüber gefühlvollen, weichen Seelenstimmung, in der er sich befand, war dieser Zwang zu heucheln, Lewin nicht nur lästig, er schien ihm vielmehr vollständig undurchführbar. Jetzt, in seiner vollen Mannhaftigkeit und Blüte sollte er entweder lügen oder spotten! Er fühlte sich nicht in der Lage, eines von beiden zu thun, aber soviel er Stefan Arkadjewitsch auch anliegen mochte, ob er nicht ein Zeugnis erhalten könne, ohne gefastet zu haben, Stefan Arkadjewitsch erklärte, dies sei unmöglich.

»Und was kann es dir darauf ankommen – zwei Tage? Er ist ein so lieber, verständiger Geistlicher und wird dir diesen Zahn ausziehen, daß du es gar nicht gewahr wirst.«

In der ersten Messe machte Lewin den Versuch, in sich die Erinnerungen an seine Jünglingszeit und jene mächtigen religiösen Gefühlsregungen wieder aufzufrischen, die er in seinem sechzehnten und siebzehnten Jahre durchlebt hatte. Doch alsbald überzeugte er sich, daß ihm dies vollständig unmöglich war. Er versuchte nun, auf alles das zu blicken, wie auf eine eitle Sitte, die keine innere Bedeutung besaß, und Ähnlichkeit mit der Sitte des Visitemachens hatte, empfand aber, daß er auch dies durchaus nicht über sich gewann. Lewin befand sich der Religion gegenüber, wie die Mehrzahl seiner Altersgenossen, auf einem vollständig unbestimmten Standpunkt. Glauben konnte er nicht, war aber bei alledem doch nicht fest überzeugt davon, daß alles Glauben unwahr sei, und so empfand er denn – weder imstande, an die Bedeutsamkeit dessen zu glauben, was er that, noch fähig, gleichgültig darauf zu schauen, wie auf eine leere Formalität – während der ganzen Zeit dieser Fasten ein Gefühl von Unbehagen und Scham, indem er that, was er selbst nicht verstand und was, wie ihm eine innere Stimme sagte, gewissermaßen irrig und nicht gut war.

Während der Kirchenfeier lauschte er bald den Gebeten und bemühte sich, ihnen eine Bedeutung beizulegen, die mit seinen Anschauungen nicht in Konflikt geriet, bald suchte er, in der Empfindung, daß er nichts verstehen könne und sie verwerfen müsse, die Gebete nicht zu hören und beschäftigte sich mit seinen Gedanken, Beobachtungen und Erinnerungen, die mit außerordentlicher Lebhaftigkeit während dieses müßigen Stehens in der Kirche in seinem Kopfe durcheinandergingen.

Er hörte die ganze Messe, die Vigilien und am andern Tage, zeitiger als sonst aufgestanden, begab er sich, ohne den Thee genommen zu haben, um acht Uhr morgens wieder in die Kirche, um die Frühgebete und die Beichte zu hören.

In der Kirche befand sich nur ein armer Soldat, zwei alte Weiber und die Kirchendiener.

Ein junger Diakonus, dessen langer Rücken sich in zwei Hälften scharf unter dem dünnen Leibrock abhob, trat ihm entgegen und begann sogleich, zu einem kleinen Tischchen an der Wand tretend, zu lesen. An der Art seines Lesens, besonders an der häufigen und schnell aufeinanderfolgenden Wiederholung der nämlichen Worte »Herr erbarme dich unser«, die von der Hast völlig entstellt klangen, fühlte Lewin, wie ihr Sinn für diesen Mann verschlossen und versiegelt war, fühlte aber auch, daß es sich nicht zieme, jetzt daran zu rühren, da hieraus nur eine Verwickelung entstehen konnte – und so fuhr er fort, hinter dem Geistlichen stehend, ohne ihn zu hören oder sich in ihn zu versenken, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken.

»Es liegt wunderbar viel Ausdruck in ihrer Hand,« dachte er, sich vergegenwärtigend, wie sie gestern beide am Ecktisch gesessen hatten. Zu sprechen hatten sie wenig miteinander gehabt, wie das fast stets während dieser Zeit ist; sie hatte, nur die Hand auf den Tisch legend, diese geöffnet und geschlossen und dazu gelacht, indem sie auf ihre Bewegung blickte. Er dachte daran, wie er die Hand geküßt und dann die ineinanderlaufenden Linien auf der rosigen Handfläche betrachtet hatte.

»Wieder das entstellte ›Herr erbarm dich‹,« dachte Lewin, sich bekreuzend, verbeugend und auf die geschmeidige Bewegung des Rückens des sich beugenden Diakonus schauend. »Sie nahm darauf meine Hand und betrachtete die Linien; ›du hast eine schöne Hand‹, hatte sie gesagt« und er schaute auf seine Hand und auf die kurze Hand des Diakonus. »Ja, nun ist es bald zu Ende,« dachte er, »nein, es scheint wieder von vorn anzufangen,« dachte er, den Gebeten lauschend; »doch, es ist zu Ende, da neigt er sich schon bis zur Erde, das ist stets erst zuletzt der Fall.«

Diskret mit der Hand unter dem Plüschaufschlag ein Dreirubelpapier in Empfang nehmend, sagte der Diakon, er werde nun registrieren und schritt mit seinen neuen Stiefeln schnell und hallend über die Steinplatten der leeren Kirche zum Altar. Nach Verlauf einer Minute schaute er von dort wieder zurück und winkte Lewin. Der Gedanke, welchen dieser bisher in sich verschlossen gehabt, regte sich jetzt wieder in seinem Hirn, doch bestrebte er sich sogleich, ihn von sich zu weisen.

»Es wird sich schon machen,« dachte er und schritt zu dem Altar. Er stieg die Stufen empor und erblickte, sich rechts wendend, den Geistlichen. Der greise Priester mit spärlichem, halbergrautem Bart und mattem gutmütigem Blick stand und blätterte in der Agende. Nachdem er Lewin leicht gegrüßt hatte, begann er mit der gewohnten Stimme sogleich die Gebete zu lesen. Als er hiermit zu Ende war, neigte er sich bis zur Erde und wandte sich hierauf mit dem Gesicht nach Lewin.

»Christus steht unsichtbar hier und nimmt Eure Beichte entgegen,« sprach er, auf das Kruzifix deutend. »Glaubet Ihr an alles, was uns die heilige apostolische Kirche lehrt?« fuhr der Geistliche fort, die Augen von Lewins Gesicht wegwendend und die Arme auf sein Epitrachelion legend.

»Ich habe gezweifelt und zweifle noch an allem,« sagte Lewin mit einer Stimme, die ihm selbst unangenehm war, und schwieg dann.

Der Geistliche wartete einige Sekunden, ob Lewin nicht noch etwas Weiteres sagen würde, und sprach dann, die Augen schließend, in schnellem wladimirschen o-Dialekt:

»Die Zweifel sind der menschlichen Schwachheit eigen, aber wir müssen beten, auf daß der barmherzige Gott uns stärke. Was für besondere Sünden habt Ihr auf Eurem Gewissen?« fügte er hinzu, ohne die geringste Pause dabei zu machen, und gleichsam, als wollte er keine Zeit verlieren.

»Meine vornehmste Sünde ist mein Zweifeln. Ich zweifle an allem, ich befinde mich größtenteils nur in Zweifeln.«

»Der Zweifel ist der menschlichen Schwäche eigen,« wiederholte der Geistliche mit den nämlichen Worten, »aber woran zweifelt Ihr vornehmlich?«

»An allem. Ich zweifle bisweilen selbst an Gottes Dasein,« antwortete Lewin unwillkürlich, und erschrak über das Unziemliche dessen, was er gesprochen hatte.

Auf den Geistlichen machten indessen, wie es schien, die Worte Lewins keinen Eindruck.

»Welche Zweifel können wohl über Gottes Dasein walten?« sagte er schnell und mit kaum merklichem Lächeln.

Lewin schwieg.

»Welchen Zweifel könnt Ihr an dem Weltenschöpfer haben, wenn Ihr seine Werke schaut?« fuhr der Priester in schneller, gewohnheitsmäßiger Sprache fort. »Wer hat den Himmelsdom mit Sternen geschmückt? Wer hat die Welt in ihrer Schönheit gekleidet? Wie sollte das ohne den Schöpfer möglich gewesen sein?« sprach er, fragend auf Lewin schauend.

Dieser fühlte, daß es unschicklich gewesen wäre, einen philosophischen Wortwechsel mit dem Geistlichen zu beginnen und gab deshalb zur Antwort nur, was sich auf die Frage selbst bezog.

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr wißt es nicht? Aber wie könnt Ihr dann daran zweifeln, daß Gott alles geschaffen hat?« versetzte heiter-bedenklich der Geistliche.

»Ich begreife nichts,« antwortete Lewin errötend, und im Gefühl, daß seine Worte thöricht waren und in dieser Situation thöricht sein mußten.

»Betet zu Gott und bittet ihn. Auch die Kirchenväter haben gezweifelt und Gott gebeten um Stärkung ihres Glaubens. Der Teufel hat gar große Macht und wir dürfen uns ihm nicht überliefern. Betet zu Gott und bittet ihn. Betet zu Gott,« – wiederholte der Geistliche und schwieg hierauf einige Zeit, als sei er in Nachdenken versunken. »Wie ich vernommen habe, bereitet Ihr Euch vor, in den Ehebund mit der Tochter meines Pfarrbefohlenen und Beichtkindes, des Fürsten Schtscherbazkiy zu treten?« frug er lächelnd, »das ist eine herrliche Jungfrau!«

»Ja,« antwortete Lewin, über den Geistlichen errötend; »wozu brauchte derselbe bei der Beichte hiernach zu fragen?« dachte er bei sich.

Als ob der Geistliche diesen Gedanken beantworten wollte, sagte er zu Lewin: »Ihr bereitet Euch vor, in den Stand der heiligen Ehe zu treten, und Gott kann Euch mit Nachkommenschaft segnen, nicht so? Welche Erziehung könnt Ihr alsdann Euren Kindlein geben, wenn Ihr selbst in Euch nicht die Versuchung des Teufels besiegen wollt, der Euch zum Unglauben verleitet?« frug der Geistliche mit sanftem Vorwurf. »Wenn Ihr Euer Kind liebt, so werdet Ihr, als ein guter Vater, nicht nur Reichtum, Überfluß und Würden Eurem Kinde wünschen; Ihr werdet auch sein Heil wünschen, seine geistige Erleuchtung durch das Licht der Wahrheit. Ist es nicht so? Was werdet Ihr antworten, wenn das unschuldige Kindlein Euch frägt, Vater, wer hat das alles geschaffen, das mich in dieser Welt so sehr ergötzt, Erde, Wasser, Sonne, Blumen und Gräser? Solltet Ihr ihm antworten wollen, ich weiß es nicht? Ihr müßt es wissen, da Gott der Herr in seiner hohen Gnade es Euch geoffenbart haben wird. Oder wenn Euer Kind Euch früge ,was erwartet mich im ewigen Leben? Was werdet Ihr ihm da antworten, wenn Ihr nichts wißt? Wie wollt Ihr ihm einen Bescheid geben? Werdet Ihr ihm den Reiz der Welt und des Teufels zeigen? Das wäre nicht gut,« sagte er und hielt inne, das Haupt auf die Seite neigend und Lewin mit guten sanften Augen anschauend.

Dieser antwortete jetzt nicht; nicht deswegen, weil er etwa nicht in einen Streit mit dem Geistlichen hätte kommen mögen, sondern, weil ihm noch niemand derartige Fragen gestellt hatte, und er, wenn erst einmal Nachkommen sie ihm stellen würden, noch Zeit genug hatte, darüber nachzudenken, was er dann antworten wollte.

»Ihr tretet ein in diejenige Zeit Eures Lebens,« fuhr der Geistliche fort, »da es nötig ist, einen Weg zu wählen und sich auf demselben zu halten. Betet zu Gott, damit er in seiner Güte Euch helfe und sich Eurer erbarme,« schloß er. »Unser Herr und Gott Jesus Christus in seiner göttlichen Gnade und Milde, seiner Liebe zu den Menschen vergebe dir mein Sohn!« und das Sühnegebet beendend, segnete ihn der Priester und entließ ihn.

Als Lewin an diesem Tage heimgekehrt war, empfand er ein freudiges Gefühl darüber, daß diese peinliche Lage nun ihr Ende erreicht hatte, so erreicht, daß er nicht hatte zur Lüge greifen müssen. Daneben aber war in ihm auch eine unklare Erinnerung davon zurückgeblieben, daß das, was jener gute und liebenswerte Greis gesagt hatte, durchaus nicht so dumm gewesen war, als es ihm anfänglich geschienen, und daß es etwas hierbei gebe, was der Aufklärung bedürfe.

»Natürlich nicht jetzt,« dachte Lewin, »aber später einmal.« Lewin fühlte jetzt mehr, als früher, daß in seiner Seele etwas unklar und unrein sei, und daß er sich in Bezug auf die Religion in der nämlichen Lage befinde, die er so klar bei andern erkannt und nicht eben gern gesehen hatte, wegen deren er seinem Freunde Swijashskiy Vorwürfe gemacht.

Lewin war, den Abend mit seiner Braut bei Dolly verbringend, ausnehmend heiter, und sagte, als er Stefan Arkadjewitsch von der gährenden Gemütsverfassung Mitteilung machte, in der er sich befand, daß er sich wohl befinde wie ein Hund, den man durch den Reifen zu springen gelehrt habe und der nun, nachdem er endlich begriffen und ausgeführt hat, was von ihm verlangt wurde, winselt, und schweifwedelnd vor Entzücken auf Tische und Fenster spring.

Sechstes Kapitel

In dieser Gemütsverfassung befand sich Nechludoff, während er im Geschworenenzimmer die Wiederaufnahme der Sitzung erwartete. Er sah am Fenster, hörte kaum auf die Unterhaltungen seiner Kollegen und rauchte unaufhörlich Cigaretten.

Der Obmann der Geschworenen gab Erklärungen ab, aus denen man schließen konnte, der ganze Knotenpunkt der Sache ruhe auf den gerichtlichen Sachverständigen. Peter Gerassimowitsch scherzte mit dem jüdischen Kommis, und alle beide lachten laut.

Als der Gerichtsdiener mit seinem hüpfenden Gange in das Zimmer trat, um die Geschworenen wieder hereinzurufen, empfand Nechludoff ein Gefühl der Angst, als sollte er nicht urteilen, sondern abgeurteilt werden. Im Grunde seines Herzens war er sich jetzt klar, daß er ein erbärmlicher Mensch war, der den andern nicht ins Gesicht sehen durfte. Trotzdem war die Kraft der Gewohnheit so stark in ihm, daß er mit dem sichersten Schritte wieder auf die Estrade stieg und seinen Sessel in der ersten Reihe, ganz in der Nähe des Präsidenten, wieder einnahm; darauf kreuzte er ruhig seine Beine und fing an, mit seinem Pincenez zu spielen. Auch die Angeklagten waren aus dem Saale geführt worden, und wurden jetzt wieder hereingebracht.

Neue Gestalten erschienen auf der Estrade; das waren die Zeugen; Nechludoff bemerkte, daß Katuscha eifrige Blicke aus eine dicke, in Samt und Seide gekleidete Dame warf, die einen großen Hut mit riesigen Bändern trug. Diese Dame saß in der ersten Zeugenreihe und hielt einen höchst eleganten Beutel in der Hand. Das war, wie Nechludoff bald darauf erfuhr, die Wirtin des öffentlichen Hauses, in welchem die Maslow arbeitete.

Man nahm nun den Zeugenaufruf vor und fragte dieselben nach ihrer Religion, Vornamen, Namen und so weiter und so weiter. Als man sie dann gefragt, ob sie unter ihrem Eide oder nicht vernommen werden wollten, erschien der alte Pope mit mühsamen Schritten wieder auf der Estrade; von neuem wandte sich der Greis, indem er das auf seiner Brust hängende Kreuz tätschelte, dem Kruzifix zu, wo er den Zeugen und den Sachverständigen den Eid abnahm, immer mit derselben Ruhe und in derselben Ueberzeugung, er übe eine ungeheuer ernste und nützliche Thätigkeit aus.

Als diese Ceremonie beendet war, ließ der Präsident alle Zeugen hinausgehen, mit Ausnahme der dicken Dame, einer Frau Kitajeff, welche aufgefordert wurde, alles zu sagen, was sie über die Vergiftungsgeschichte wüßte. Mit affektiertem Lachen, wahrend sie den Kopf bei jedem Satze hin- und herwiegte, erzählte die Dame mit stark ausgesprochen deutschem Accent sorgfältig und ausführlich, wie der reiche sibirische Kaufmann Smjelkoff zum erstenmal in ihr Haus gekommen war, und wie er schließlich, weil er nicht genügend Geld bei sich hatte, die »Lubka« in das Hotel geschickt, in welchem er wohnte.

»Möchte die Zeugin uns ihre Meinung über die Maslow sagen?« fragte der Verteidiger der letzteren, ein junger Mann, der sich dem Beamtenstande zuwenden wollte, und den das Gericht zum Offizialverteidiger der Angeklagten bestimmt, die Frau Kitajeff.

»Meine Meinung über sie ist die denkbar beste,« versetzte Frau Kitajeff. »Sie ist eine junge Person von ausgezeichneten Manieren, die viel »Chik« besitzt, ist in einer vornehmen Familie erzogen worden und kann sogar französisch. Sie trank wohl manchmal ein bißchen zu viel, hat sich aber nie eine einzige Minute vergessen.«

Katuscha sah Frau Kitajeff noch immer an, richtete die Blicke dann auf die Geschworenen, besonders auf Nechludoff, der in demselben Augenblick einen ernsten, fast strengen Ausdruck annahm. Lange Zeit blieben diese beiden Augen mit ihrem seltsamen Ausdruck auf Nechludoff gerichtet, und trotz seines Entsetzens konnte er die seinigen nicht von ihnen abwenden. Er dachte wieder an jene für sein Leben ausschlaggebende Nacht, an das Krachen des Eises auf dem Flusse, den Nebel und den abnehmenden Mond, der gegen Morgen aufgegangen war und etwas Düsteres und Schreckliches beleuchtet hatte.

»Sie hat mich erkannt!« dachte er und erhob sich unwillkürlich auf seinem Sessel.

Thatsächlich hatte sie ihn aber gar nicht erkannt, denn sie stieß einen leisen Seufzer aus und wandte ihre Augen dem Präsidenten zu. Auch Nechludoff seufzte und dachte: »Ach, es wäre besser gewesen, wenn sie mich gleich erkannt hätte!«

Er hatte eine Empfindung, wie er sie manchmal auf der Jagd gehabt, wenn er einen verwundeten Vogel vollends tot geschossen; der verwundete Vogel zappelt in der Jagdtasche, er thut einem leid, man zögert und möchte ihm doch so schnell wie möglich den Garaus machen.

Gefühle dieser Art erfüllten in dieser Stunde die Seele Nechludoffs, während er auf die Zeugenaussagen hörte.

Wie absichtlich zog sich die Sache in die Länge. Nachdem man alle Zeugen und den Sachverständigen verhört, und der Staatsanwalt und die Verteidiger wie üblich mit der wichtigsten Miene von der Welt eine Reihe unnützer Fragen, gestellt, forderte der Präsident die Geschworenen auf, von den Beweisstücken Kenntnis zu nehmen, die in etwa zehn Pokalen, dem Filter, mit dem man das Gift untersucht, und einem ungeheuer großen Ringe mit einer Brillantrose, der wohl auf einem Zeigefinger von ungewöhnlicher Dicke gesteckt haben mußte, bestanden. Alle diese Gegenstände waren versiegelt und mit einem Etikett versehen. Die Geschworenen wollten sich bereits von ihren Sitzen erheben, um die Gegenstände zu prüfen, als der Staatsanwalt aufstand und um die Verlesung der an dem Leichnam des verstorbenen Smjelkoff vorgenommenen ärztlichen Untersuchung bat.

Der Präsident, der die Sache so viel wie möglich beeilte, wußte recht wohl, daß die Verlesung dieser Dokumente keine andere Wirkung hatte, als eine allgemeine Langeweile herbeizuführen. Er wußte, daß der Staatsanwalt die Verlesung nur forderte, weil er das Recht dazu hatte. Er wußte aber ebenso, daß er sich dem nicht widersetzen konnte, und so ordnete er denn die Verlesung an. Der Aktuar nahm Papiere zur Hand und begann mit seiner einschläfernden Stimme zu lesen.

Aus der Prüfung der Leiche ging folgendes hervor:

1. Die Größe des Ferapont Smjelkoff betrug zwei Arschin zwölf Werschoks.

»Ein kräftiger Bursche!« flüsterte der Kaufmann Nechludoff ins Ohr.

2. Das Alter mußte, soweit man nach äußerlicher Prüfung beurteilen konnte, ungefähr 40 Jahre betragen.

3. Der Leichnam war stark angeschwollen.

4. Die Adern waren grünlich und stellenweise schwarz gefleckt.

5. Die Haut hatte sich von der ganzen Oberfläche des Körpers abgelöst und hing an mehreren Stellen herunter.

6. Die sehr dichten, dunkelroten Haare lösten sich bei der geringsten Berührung des Fingers von der Haut. 7. Die Augen traten aus den Höhlen, und die Hornhaut war matt.

8. Aus den Nasenlöchern, der beiden Ohren und dem Munde floß ein eitriger Schaum.

9. Der Leichnam hatte infolge der Anschwellung des Gesichtes und der Büste fast gar keinen Hals.

In dieser Weise wurde der aufgedunsene Leichnam des lustigen Smjelkoff vier Seiten lang auf 27 Punkten weiter beschrieben, und als die Verlesung der äußeren Untersuchung endlich beendet war, stieß der Präsident einen Seufzer der Erleichterung aus und erhob den Kopf; doch sofort begann der Aktuar ein zweites Dokument zu lesen; das Protokoll über die innere Untersuchung.

Der Präsident ließ den Kopf von neuem zurücksinken, lehnte sich auf den Tisch und legte die Hände vor die Augen. Der Kaufmann neben Nechludoff machte gewaltige Anstrengungen, um den Schlummer zu unterdrücken, und ließ von Zeit zu Zeit den Kopf sinken; selbst die Angeklagten und die unbeweglich dasitzenden Gendarmen überfiel die Schlaflust.

Die innere Untersuchung der Leiche hatte ergeben:

1. Die Haut der Schädelhöhle hatte sich ohne Spur von Bluterguß von den Knochen gelöst.

2. Die Schädelknochen waren normal und unberührt.

3. Auf dem Gehirn befanden sich zwei kleine Flecken von etwa 4 Zoll Größe u.s.w. . . Dann folgten noch 13 Punkte derselben Art.

Es folgten nun die Namen der bei der Untersuchung anwesenden Zeugen und endlich die Schlußfolgerungen des Gerichtsarztes, welcher erklärte, aus den im Magen und in den Eingeweiden des Kaufmanns Smjelkoff erfolgten Veränderungen gehe aller Wahrscheinlichkeit nach hervor, daß derselbe am Genuß eines gleichzeitig mit Branntwein getrunkenen Giftes gestorben war. Den Namen des Giftes zu nennen, war unmöglich; und daß das Gift gleichzeitig mit dem Branntwein genossen worden war, ging aus dem großen Quantum Branntwein hervor, das sich im Magen des Kaufmanns befunden hatte.

»Da sieht man, daß er tüchtig trank,« flüsterte der Kaufmann, der plötzlich wieder erwacht war, Nechludoff ins Ohr.

Die Verlesung dieser Protokolle hatte fast eine Stunde gedauert; doch der Staatsanwalt war unersättlich. Als der Aktuar die Folgerungen des Gerichtsarztes verlesen, sagte der Präsident, sich zu dem Staatsanwalt wendend: »Ich glaube, die Resultate der inneren Teile brauchen wir nicht zu verlesen!«

»Verzeihung, ich verlange die Verlesung!« sagte der Vertreter des öffentlichen Anklägers in strengem Tone, ohne den Präsidenten anzusehen und beugte sich leicht zur Seite.

Der Richter mit dem langen Bart spürte von neuem Magendrücken und fragte den Präsidenten:

»Weshalb diese Verlesung? Damit verlieren wir nur Zeit!«

Der Richter mit der goldenen Brille sagte nichts. Er starrte mit düsterer, verdrossener Miene vor sich hin, wie ein Mann, der weder von seiner Frau im besonderen, noch vom Leben im allgemeinen etwas Gutes erwartet.

Die Verlesung des Dokuments begann:

Am 15. Dezember 188.. haben wir Endesunterzeichnete, auf Befehl der medizinischen Inspektion, und auf Grund des Artikels…,« begann der Aktuar in entschlossenem Tone zu lesen, als wolle er seine eigene Schläfrigkeit und die des ganzen Saales besiegen – »in Gegenwart des Delegierten der oben erwähnten medizinischen Inspektion die Analyse der nachfolgenden Gegenstände vorgenommen:

1. Der rechten Lunge und des Herzens (in einem sechs Pfund fassenden Pokal befindlich).

2. Des Inhalts des Magens (in einem Sechspfund-Pokal befindlich).

3. Des Magens (in einem Sechspfund-Pokal befindlich).

4. Der Leber, der Galle und Milz (in einem Dreipfund-Pokal befindlich).

5. Der Eingeweide (in einem sechs Pfund fassenden Glaspokal befindlich).

Bei dieser Stelle flüsterte der Präsident erst dem einen, dann dem andern Beisitzer etwas ins Ohr. Nachdem er von beiden eine bejahende Antwort erhalten, machte er dem Aktuar ein Zeichen, mit der Verlesung aufzuhören, und erklärte:

»Der Gerichtshof hält diese Verlesung für unnötig!«

Der Aktuar schwieg sofort und legte die Blätter des Protokolls zusammen, während sich der Staatsanwalt mit zorniger Miene etwas notierte.

»Die Herren Geschworene» können jetzt von den Beweisstücken Kenntnis nehmen,« sagte der Präsident.

Eine große Anzahl der Geschworenen erhoben sich und näherten sich dem Tische, wo sie sich den Ring, die Pokale und den Filter ansahen. Der Kaufmann wagte es sogar, den Ring an den Finger zu stecken und sagte zu Nechludoff, während er wieder auf seinen Platz zurückging:

»Na, das ist ein Finger! So dick wie ’ne Gurke!«

Als die Geschworenen die Beweisstücke betrachtet hatten, erklärte der Präsident die Beweisaufnahme für geschlossen und erteilte sofort dem Staatsanwalt das Wort. Er sagte sich, auch der Staatsanwalt sei ein Mensch, auch er wolle sicherlich rauchen und essen und würde deshalb mit den Anwesenden Mitleid haben. Doch der Staatsanwalt hatte weder mit sich, noch mit den andern Mitleid. Dieser von Hause aus dumme Beamte hatte außerdem das Unglück, daß er das Gymnasium mit einer goldenen Medaille verlassen und später auf der Universität für seine Dissertation über »Die Knechtschaft im Römischen Recht« einen Preis erhalten hatte; deshalb war er im höchsten Grade eingebildet, eitel und selbstbewußt, wozu seine Erfolge bei den Frauen übrigens noch beigetragen hatten; und die Folge von all‘ dem war, daß seine natürliche Dummheit einen ungeheuren Umfang angenommen hatte.

Als der Präsident ihm das Wort erteilt, erhob er sich langsam, legte die Hände auf sein Pult, neigte den Kopf, warf einen langen Blick auf die Anwesenden, mit Ausnahme der Angeklagten und begann seine Rede, die er während der Verlesung der Protokolle entworfen:

»Der Ihrem Urteil unterbreitete Fall, meine Herren Geschworenen, bildet, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein ganz besonders charakteristisches Beispiel des Verbrechertums.«

Die Anklage des Staatsanwalts mußte wohl seiner Ansicht nach eine allgemeine Tragweite haben, und insofern den berühmten Reden gleichen, die den Ruhm der großen Advokaten begründet hatten. Seine Zuhörerschaft bestand zwar an diesem Tage nur aus Köchinnen, Näherinnen, Kutschern und Laststrägern, doch dieser Umstand konnte ihn nicht aufhalten. Er hatte es sich zum Grundsatz gemacht, sich stets, wie er sagte, »zum Gipfel der Fragen zu erheben«, aus jedem Vergehen die psychologische Bedeutung auszulösen und die soziale Wunde, die dieses Vergehen ausdrückte, bloßzulegen.

»Meine Herren Geschworenen, Sie sehen ein durch und durch typisches Verbrechen unserer Jahrhundertswende vor sich, das sozusagen alle spezifischen Züge des eigentümlichen moralischen Zersetzungsprozesses an sich trägt, der heute zahlreiche Elemente unserer Gesellschaftsklasse ergriffen hat …«

Der Staatsanwalt sprach in diesem Tone längere Zeit, Er hatte während seiner Rede vornehmlich zweierlei im Auge: erstens bemühte er sich, alle auf den Fall bezüglichen Thatsachen, große wie kleine, zu erwähnen; andererseits hielt er nicht eine Minute inne, so daß seine Rede ununterbrochen mindestens 1 1/4 Stunde dahinfloß. Einmal mußte er aber doch innehalten, weil er den Faden seiner Beweisführung verloren hatte; doch gleich darauf begann er von neuem und holte diese augenblickliche Störung durch doppelte Beredsamkeit wieder ein. Er sprach bald mit einschmeichelnder Baßstimme, bald in natürlichem, gesetztem Tone, bald mit begeisterter Donnerstimme. Nur den Angeklagten, die alle drei die Angen auf ihn richteten, ward nicht die Ehre eines Blickes zu teil. Seine Anklagerede strotzte von den neuesten Formeln, die in seinem Kreise Mode waren und damals für die höchste Wissenschaft galten, ja selbst heute noch dafür gelten. Es war darin von Erblichkeit, von angeborener Neigung zum Verbrechen, von Lombroso und Tarde, von Entwickelung, dem Kampf um’s Dasein, von Charcot und Entartung die Rede.

Der Kaufmann Smjelkoff war nach der Erklärung des Staatsanwalts der Typus des natürlichen, kraftstrotzenden Russen, der durch seine Vertrauensseligkeit und Freigebigkeit das Opfer höchst verrohter Geschöpfe geworden war, in deren Hände er gefallen war. Simon Kartymkin war das atavistische Produkt der alten Leibeigenschaft, ein unbeholfener Mensch, ohne Erziehung, ohne Grundsätze, ohne Religion. Euphemia Botschkoff, seine Geliebte, war ein Opfer der Erblichkeit; ihre körperliche Erscheinung und ihr moralischer Charakter wiesen alle Anzeichen der Entartung auf. Doch die Hauptanstifterin des Verbrechens war die Maslow, die den Typus der modernen sozialen Dekadenz in ihrer niedrigsten Form darstellte.

»Dieses Geschöpf,« fuhr der Staatsanwalt, ohne sie anzusehen, fort, »hat im Gegensatz zu ihren Mitschuldigen die Wohlthaten der Erziehung genossen. Wir haben eben gehört, daß die Angeklagte nicht nur lesen und schreiben kann, sondern sogar französisch spricht und versteht. Ein natürliches Kind, zweifellos mit einem atavistischen Makel behaftet, ist die Maslow in einer der vornehmsten Adelsfamilien erzogen worden; sie hätte recht gut von ehrenhafter Arbeit leben können; doch sie hat ihre Wohlthäter verlassen, um sich ganz und gar ihren bösen Instinkten zu überlassen, wobei sie auf ihre Verehrer jenen geheimnisvollen Einfluß ausübte, mit dem sich die Wissenschaft in der letzten Zeit beschäftigt und den die Schule Charcots so glücklich als geistige Suggestion erklärt hat. Tiefe Macht der Suggestion hat sie auf den ehrenhaften und naiven russischen Riesen ausgeübt, der ihr in die Hände gefallen ist, und dessen Gutmütigkeit sie mißbraucht, indem sie ihn zuerst seines Geldes, und dann seines Lebens beraubte!«

»Auf Ehrenwort, er faselt!« sagte der Präsident lächelnd, indem er sich zu dem strengen Richter wandte.

»Ein schrecklicher Dummkopf,« versetzte der strenge Richter.

»Meine Herren Geschworenen,« fuhr der Staatsanwalt inzwischen mit demütigem Kopfnicken fort, »in Ihren Händen ruht jetzt das Schicksal dieser drei Verbrecher und zum Teil auch das der Gesellschaft, denn Ihr Urteil hat die Bedeutung einer großen sozialen Handlung. Sie werden diesem Verbrechen auf den Grund gehen; Sie werden sich überzeugen, daß entartete, ja, ich darf wohl sagen, pathologische Elemente, wie die Maslow, eine Gefahr für die Gesellschaft bedeuten, und Sie werden die Gesellschaft vor der Ansteckung dieser Elemente bewahren. Sie werden die gesunden und kräftigen Elemente der Gesellschaft vor der Verpestung durch die krankhaften Elemente schützen!«

Von der sozialen Bedeutung des zu fällenden Urteils förmlich erdrückt, ließ sich der Staatsanwalt entzückt auf seinen Sessel zurückfallen. Der eigentliche Sinn seiner Anklage bestand unter der Fülle der umkleideten Stilblüten in der Behauptung, die Maslow hätte den Kaufmann hypnotisiert, sich seines ganzen Vertrauens bemächtigt und ihn ausgeplündert; da ihr Plan aber von Simon und Euphemia entdeckt wurde, so hätte sie mit diesen teilen müssen. Um dann die Spuren ihres Diebstahls zu verbergen, habe sie den Kaufmann gezwungen, mit ihr ins Hotel zurückzukehren, wo sie ihn vergiftet hatte.

Gleich nach der Anklagerede erhob sich auf der Bank der Verteidiger, ein kleiner Mann in mittleren Jahren, im Frack und tiefausgeschnittener Weste, und begann eine kräftige Rede zur Verteidigung Kartymkins und der Botschkoff. Es war ein vereideter Konsulent, und die beiden Angeklagten hatten ihm im voraus für sein Plaidoyer 300 Rubel gezahlt. Daher versäumte er auch nichts, um sie als unschuldig hinzustellen und schob die ganze Schuld auf die Maslow.

Er erklärte vor allem, die Behauptung der Maslow, Simon und Euphemia wären im Augenblick, da sie das Geld genommen, im Zimmer gewesen, für falsch. Diese Behauptung könnte keinen Wert haben, da sie von einer des Giftmords überführten Person stammte. Die von Simon in der Bank eingezahlten 1800 Rubel könnten sehr wohl die Ersparnisse zweier fleißiger und ehrlicher Dienstboten darstellen, die nach der Aussage des Hotelwirts 3–5 Rubel Trinkgeld täglich erhielten. Was das Geld des Kaufmanns betraf, so war es zweifellos von der Maslow gestohlen worden, die es jemandem gegeben oder verloren hatte, da sie, wie aus der Untersuchung hervorging, an jenem Abend betrunken gewesen. Auch im Punkte der Vergiftung wäre kein Zweifel möglich, die Maslow gab ja selbst zu, das Gift hineingeschüttet zu haben.

Infolgedessen bat er die Geschworenen, Kartymkin und die Botschkoff des Diebstahls für unschuldig zu erklären; sollten sie sie dessen jedoch schuldig finden, so bat er, sie von der Anklage des Giftmordes freizusprechen oder wenigstens die Ueberlegung auszuscheiden.

Schließlich bemerkte der Verteidiger Simons und Euphemias, »die glänzenden Bemerkungen des Herrn Staatsanwalts über den Atavismus, wären, so bedeutend sie auch vom wissenschaftlichen Standpunkte aus wären, bei diesem Falle nicht anwendbar, da die Botschkoff von unbekannten Eltern stamme.«

Der Staatsanwalt machte ein ärgerliches Gesicht, schrieb schnell etwas auf ein Stück Papier und zuckte verächtlich die Achseln.

Als sich der erste Verteidiger gesetzt, erhob sich der Verteidiger der Maslow und begann stotternd, in schüchternem Tone sein Plaidoyer.

Ohne zu leugnen, daß die Maslow an dem Diebstahl teilgenommen, beschränkte er sich auf die Behauptung, sie hätte nicht beabsichtigt, Smjelkoff zu vergiften und ihm das Pulver nur zum Einschläfern gegeben. Er wollte dann ebenfalls den Beredtsamen spielen, indem er ein Bild entwarf, wie seine Klientin durch einen unbestraft gebliebenen Mann, der sie verführt, zum Laster getrieben worden; doch dieser Ausflug in das Gebiet der pathetischen Psychologie glückte ihm nicht, und jeder hatte das Gefühl, daß er mißlungen war. Als er sich über die Grausamkeit der Männer und die untergeordnete soziale und gesetzliche Stellung der Frauen erging, forderte ihn der Präsident auf, bei den Thatsachen zu bleiben.

Der Advokat brachte sein Plaidoyer schnell zu Ende, und nach ihm ergriff der Staatsanwalt von neuem das Wort. Er wollte seine Ansichten über den Atavismus verteidigen und auf die gegen dieselben gerichtete Kritik antworten. Er erklärte, wenn auch die Botschkoff ein natürliches Kind wäre, der wissenschaftliche Wert der Theorie über den Atavismus würde dadurch keineswegs geschmälert; »denn,« sagte er, »diese Theorie ist von der Wissenschaft so klar festgestellt, daß wir jetzt vom Atavismus nicht nur das Verbrechen ableiten, sondern sogar auch vom Verbrechen auf den Atavismus schließen können.« Was die Behauptung des zweiten Verteidigers beträfe, die Maslow wäre angeblich von einem Verführer dem Laster zugeführt worden – er betonte das Wort » angeblich« mit ironischem Nachdruck – so ließen alle Angaben darauf schließen, daß stets sie die Verführerin der zahllosen Opfer gewesen war, die ihr der Zufall in die Hände gespielt. Darauf setzte er sich mit triumphierender Miene.

Der Präsident fragte nun die Angeklagten, ob sie etwas zu ihrer Verteidigung hinzuzufügen hätten, und Euphemia wiederholte zum letztenmale, sie hätte nichts gethan, wisse nichts und nur die Maslow wäre an allem schuld, während sich Simon auf die Worte beschränkte:

»Thut, was ihr wollt, ich bin unschuldig!«

Als die Maslow an die Reihe kam, sagte sie gar nichts, sondern richtete nur die Augen auf den Präsidenten und ließ sie wie ein gehetztes Wild durch den ganzen Saal schweifen; dann schlug sie sie wieder zu Boden und begann laut zu schluchzen.

»Was haben Sie?« fragte der Kaufmann seinen Nachbar Nechludoff, der eben einen merkwürdigen Schrei ausgestoßen, der eigentlich ein Schluchzen war. Doch Nechludoff war sich über seine neue Lage immer noch nicht klar, und schrieb dieses plötzliche Schluchzen, wie auch die Thränen, die ihm aus den Augen stürzten, seinen aufgeregten Nerven zu.

Als die Angeklagten gesagt, »was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen hatten,« setzte man die Fragen auf, die den Geschworenen vorgelegt werden sollten, und der Präsident ging die Thatsachen noch einmal durch.

Er erklärte den Geschworenen ausführlich, daß der einfache Diebstahl nicht mit dem Einbruchsdiebstahl verwechselt werden dürfte, und die Entwendung eines Gegenstandes aus einem geschlossener Raum sorgfältig von der Entwendung aus einem offenen Raume getrennt werden müsse. Dann erklärte er, daß der Mord eine Handlung darstelle, aus der der Tod eines Menschen hervorginge, und daß die Vergiftung infolgedessen ein Mord sei. Darauf sagte er den Geschworenen, wenn der Diebstahl und der Mord vereint ausgeführt würden, so hätte ein sogenannter Raubmord stattgefunden.

Dabei vergaß der Präsident durchaus nicht, daß er Eile hatte, die Sache so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Doch er war an seinen Beruf so gewöhnt, daß er nicht mehr aufhören konnte, wenn er einmal zu sprechen anfing. Deshalb erklärte er den Geschworenen ausführlich, wenn ihnen die Angeklagten schuldig erschienen, so hätten sie das Recht, sie für schuldig zu erklären; erschienen sie ihnen dagegen als unschuldig, so hätten sie das Recht, sie für unschuldig zu erklären.

Als er ihnen dann aber noch auseinandersetzen wollte, daß sie, wenn sie eine der vorgelegten Fragen bejahten, auch die sämtlichen vorgelegten Fragen bejahen müßten, wenn sie aber nur einen Teil der oder jener Fragen bejahen wollten, sie dieselben sorgsam erläutern müßten, kam ihm der Gedanke, auf die Uhr zu sehen, und er bemerkte erschrocken, daß es schon 3 Uhr 5 Minuten war. Deshalb beeilte er sich, zum Kern der Sache zu kommen, und wiederholte noch einmal, was die Verteidiger, der Staatsanwalt und die Zeugen schon so oft gesagt hatten.

Während der Präsident sprach, sahen die beiden Beisitzer heimlich nach der Uhr und fanden, daß die Rede ein bißchen lang, aber doch vortrefflich, d. h. so wie sie sein mußte, war. Das war auch die Ansicht des Staatsanwalts, des ganzen Gerichtspersonals und sämtlicher Anwesenden.

Der Präsident hatte alles gesagt, was zu sagen war, doch er konnte sich noch immer nicht zum Schlusse entschließen, mit so großem Vergnügen hörte er die einschmeichelnden Laute seiner Stimme, und darum hielt er es für angemessen, den Geschworenen über die Bedeutung des Rechts, das das Gesetz ihnen einräumte, über die Weisheit und den Scharfsinn, mit dem sie sich dieses Rechts bedienen sollten, noch einige Worte zu sagen. Er sagte ihnen, sie wären das Gewissen der Gesellschaft, das Geheimnis ihrer Beratungen müsse gewahrt bleiben u. s. w. u. s. w.

Von dem Augenblick an, da der Präsident zu sprechen angefangen, hielt die Maslow die Augen auf ihn gerichtet, als fürchte sie, auch nur ein einziges seiner Worte zu verlieren. So konnte sie auch Nechludoff lange betrachten, ohne fürchten zu müssen, ihrem Blicke zu begegnen. Und er fühlte, wie das in ihm vorging, was bei jedem von uns vorgeht, wenn wir nach Jahren ein uns früher vertrautes Gesicht wiedersehen. Zuerst war er von den eingetretenen Veränderungen betroffen, doch nach und nach verwischte sich dieser Eindruck, und das Gesicht wurde wieder, wie es vor zehn Jahren gewesen. Sein geistiges Auge gewann die Oberhand über seine Sinne, und er sah nur noch die Hauptzüge, die die Individualität des jungen Weibes ausdrückten und die keine Veränderung hatte zerstören können.

Ja, trotz der Gefängniskleidung, trotz des stärker gewordenen Körpers, trotz der kräftig entwickelten Brust, trotz des dicken Gesichts, trotz der Runzeln an der Stirn und den Schläfen, trotz der Anschwellung der Lider und des gleichzeitig Mitleid erregenden und schamlosen Gesamteindrucks des Gesichts war es dieselbe Katuscha, die ihn in einer Osternacht mit ihren verliebten, glücklich lächelnden und lebensfreudigen Augen so unschuldig angeblickt!

»Und ein so wunderbarer Zufall! Gerade in der Session, in der ich Geschworener bin, muß dieser Fall zur Verhandlung gelangen, damit ich Katuscha, der ich seit zehn Jahren nie begegnet bin, hier auf der Anklagebank wiedersehe! Und wie wird das alles enden? Ach, wenn es doch überhaupt zu Ende ginge!«

Noch immer gab er nicht dem Gefühl der Reue nach, das sich nach und nach in ihm bildete und immer stärker wurde. Er sah darin nur einen einfachen Zufall, der ohne Störung seines Lebens vorübergehen würde. Und dabei erkannte er doch schon, wie gemein er gehandelt; er hatte die Empfindung, eine mächtige Hand führe ihm mit Gewalt seine Schuld vor; doch er wollte die wahre Bedeutung seiner That noch immer nicht sehen, und nicht verstehen, was diese Hand, die ihn vorwärts stieß, von ihm verlangte. Er wollte nicht glauben, daß es sein Werk war, was da vor ihm stand. Doch die unsichtbare Hand hielt ihn, schnürte ihn ein und schon ahnte er, sie würde ihn nicht mehr loslassen.

Er bemühte sich, kräftig zu erscheinen, kreuzte mit behaglicher Miene die Beine, spielte mit seinem Pincenez und behielt eine ruhige und natürliche Haltung bei, als er da in der ersten Zeugenreihe saß. Und dabei kam ihm doch schon während dieser Zeit die ganze Schmach nicht nur seines Verhaltens Katuscha gegenüber, zum Bewußtsein, nein, er erkannte auch die Schmach dieses unnützen, verrohten, boshaften und erbärmlichen Lebens, das er seit zwölf Jahren führte. Und der Vorhang, der ihm bis dahin die Infamie seines Verhaltens Katuscha gegenüber und die ganze Hohlheit seines Lebens verborgen, dieser Vorhang begann sich vor ihm zu lüften und ließ ihn das sehen, was er bis dahin bedeckt hatte.

Endlich beendete der Präsident seine Rede und übergab das Blatt, das die Liste der Fragen enthielt, dem Obmann der Geschworenen. Die Geschworenen erhoben sich und gingen im Gänsemarsch in das Beratungszimmer. Sobald sich die Thür hinter ihnen geschlossen hatte, stellte sich ein Gendarm vor diese Thür, zog seinen Säbel aus der Scheide und stellte sich als Schildwache auf. Auch die Richter erhoben sich und gingen hinaus, und die Angeklagten führte man ebenfalls hinaus.

Auch diesmal nahmen die Geschworenen, als sie in ihr Beratungszimmer traten, wie vorher Cigaretten und zündeten sie an. Das Bewußtsein ihrer falschen und unnatürlichen Lage, das alle mehr oder weniger deutlich empfunden, als sie im Gerichtssaal gesessen hatten, schwand vollständig aus ihrer Seele, sobald sie wieder frei waren und die Cigarette im Munde hielten, und sofort begann eine äußerst lebhafte Auseinandersetzung.

»Die Kleine ist nicht schuldig; sie hat sich ‚reinlegen lassen,« erklärte der brave Kaufmann. »Man muß mit ihr Mitleid haben!«

»Das werden wir untersuchen,« versetzte der Obmann, »Hüten wir uns, unsern persönlichen Eindrücken nachzugeben!«

»Der Präsident hat eine sehr schöne Rede gehalten,« bemerkte der Oberst.

»In der That sehr schön, aber wollen Sie glauben, daß ich fast eingeschlafen bin?«

»Die Hauptsache ist, die beiden Dienstboten konnten von dem Gelde des Kaufmanns nichts wissen, wäre die Maslow nicht mit ihnen im Einverständnis gewesen,« sagte der jüdische Kommis.

»Dann hätte sie also Ihrer Ansicht nach gestohlen?« fragte einer der Geschworenen.

»Das werde ich nie glauben,« rief der dicke Kaufmann; »diese Kanaille ohne Wimpern hat alles Böse angerichtet.«

»Schon recht,« behauptete der Oberst, »aber diese Frau behauptet, sie hatte das Zimmer nicht betreten.«

»Und ihr wollen Sie glauben? Ich möchte mich nicht auf eine solche Person verlassen!«

»Na, und was weiter?« fragte der Kommis ironisch; »trotzdem ist es doch wahr, daß die Maslow den Schlüssel hatte!«

»Was beweist das?« rief der Kaufmann.

»Und der Ring?«

»Aber sie hat uns ja die ganze Geschichte erklärt.«

»Darum handelt es sich nicht,« bemerkte Peter Gerassinowitsch, »Die Hauptsache ist, ob sie den ganzen Anschlag vorher überlegt und ausgeführt hat, oder ob es die beiden Diener gewesen sind.«

»Aber die beiden Dienstboten konnten doch nicht ohne sie handeln, sie hatte doch den Schlüssel.«

So ging der Streit ziemlich lange hin und her.

»Gestatten Sie, meine Herren,« sagte endlich der Obmann, »setzen wir uns an den Tisch und beraten wir!«

Darauf gab er das Beispiel, setzte sich in den großen Sessel und sagte dann, mit seinem Bleistift auf den Tisch klopfend:

»Meine Herren, kommen wir zur Sache!«

Alle schwiegen, und der Obmann begann die den Geschworenen vorzulegenden Fragen, die folgendermaßen lauteten:

1. Ist der Bauer Simon Petrowitsch Kartymkin, aus dem Dorfe Borki, Bez. Krapiwo gebürtig, 34 Jahre alt, schuldig, am 16. Oktober 188.. dem Kaufmann Smjelkoff, in der Absicht, ihn zu bestehlen, nach dem Leben gestrebt zu haben? Und ist er schuldig, besagtem Kaufmann, nachdem er ihn mit Hilfe anderer Personen vergiftet, eine Summe von ungefähr 2000 Rubel und einen Brillantring gestohlen zu haben?

2. Ist die Bürgerin, Euphemia Iwanowna Botschkoff, 43 Jahre alt, schuldig, zusammen mit Simon Petrowitsch Kartymkin die in der ersten Frage aufgezählten Handlungen begangen zu haben?

3. Ist Katharina Iwanowna Maslow, 27 Jahre alt, schuldig, im Einverständnis mit den beiden ersten Angeklagten die in der ersten Frage erwähnten Handlungen begangen zu haben?

4. Im Falle Euphemia Botschkoff nicht der in der ersten Frage erwähnten Handlungen für schuldig erklärt wird, ist sie dann schuldig, am 16, Oktober 188.. aus dem verschlossenen Koffer des Smjelkoff eine Summe von 2500 Rubel genommen zu haben?

»Nun, meine Herren, wie wollen Sie den ersten Punkt beantworten?« fragte der Obmann, nachdem er seine Verlesung beendet.

Die Antwort wurde bald gefunden. Alle stimmten bejahend, sowohl im Punkte des Diebstahls, wie auch der Vergiftung. Nur einer der Geschworenen wollte Kartymkin nicht für schuldig halten, ein alter Handwerker, der stets auf alle Fragen verneinend antwortete.

Der Obmann glaubte zuerst, der alte Mann verstände nicht, und fing an, ihm zu erklären, daß Kartymkin und die Botschkoff zweifellos schuldig wären. »Wir sind selbst keine Heiligen,« sagte der Alte, und nichts konnte ihn veranlassen, seine Meinung zu ändern.

Die Antwort auf die zweite Frage, die Botschkoff betreffend, lautete nach langen Beratungen: »Nein, sie ist nicht schuldig.« Es fehlte in der That an Beweisen für ihre Teilnahme am Giftmord, und diesen Punkt hatte ihr Verteidiger auch ausdrücklich hervorgehoben. –

Der Kaufmann, welcher die Maslow als unschuldig hinzustellen versuchte, behauptete von neuem, die Botschkoff wäre die Hauptanstifterin der ganzen Sache. Mehrere Geschworene waren seiner Ansicht bis zu dem Augenblick, da der Obmann, der sich durchaus auf den Boden des Gesetzes stellen wollte, bemerkte, daß ihre Teilnahme am Giftmord jedenfalls materiell nicht bewiesen wäre. Man stritt darüber noch längere Zeit, doch die Ansicht des Obmanns drang durch. Dagegen erklärte man bei der vierten Frage die Botschkoff des Diebstahls für schuldig, setzte jedoch auf die Bitte des Handwerkers hinzu: »mit mildernden Umständen.«

Endlich kam die dritte Frage an die Reihe, die man bis zum Schlusse aufgespart und die zu einer noch heftigeren Auseinandersetzung Anlaß gab, als die drei ersten.

Der Obman behauptete, die Maslow wäre schuldig; der Kaufmann, sie wäre unschuldig, und der Oberst und der Handwerker unterstützten seine Ansicht. Die übrigen Geschworenen schwankten, schienen sich aber der Ansicht des Obmanns zuzuneigen. Das kam aber hauptsächlich daher, daß sie müde waren, und deshalb schlossen sie sich derjenigen Meinung an, die die Sache zum schnellsten Abschluß brachte, und ihnen ihre Freiheit wiedergab.

Nach den Ergebnissen der Verhöre hatte Nechludoff die Ueberzeugung, die Maslow wäre weder des Diebstahls noch der Vergiftung schuldig. Er hatte zuerst geglaubt, alle wären dieser Meinung, mußte aber bald erkennen, daß er sich getäuscht hatte, und daß die Majorität mehr zur Bejahung der Frage neigte. Als er das sah, wollte er das Wort ergreifen; doch es wandelte ihn bei dem Gedanken, sich für Katuscha ins Zeug zu legen, die unklare Furcht an, es könne jeder die Beziehungen, die er mit ihr unterhalten, sofort erraten. Trotzdem sagte er sich, die Sache könne nicht so durchgehen, und er hätte die Pflicht, dazwischen zu treten. Er wurde rot und blaß, und wollte sich schon zu sprechen entschließen, als Peter Gerassimowitsch, den der herrische Ton des Obmanns augenscheinlich ärgerte, in die Besprechung eingriff und genau das sagte, was er sagen wollte.

»Gestatten Sie,« sagte der Professor, »Sie behaupten, sie wäre des Diebstahls schuldig, weil sie den Schlüssel zum Koffer besaß; aber konnten die Hotelbediensteten den Koffer denn nicht mit einem andern Schlüssel öffnen?«

»Ganz recht, ganz recht,« pflichtete der Kaufmann bei.

»Ich bin eher der Meinung, daß ihr Erscheinen im Hotel den beiden Dienstboten erst den Gedanken des Diebstahls eingegeben hat, daß sie die Gelegenheit benutzt und dann die ganze Schuld auf die Maslow abgewälzt haben.«

Peter Gerassimowitsch sprach mit erregter Stimme, und seine Erregtheit ging auf den Obmann über, der immer mehr auf seiner Meinung bestand. Doch Peter Gerassimowitsch sprach so zuversichtlich, daß die Mehrheit sich seiner Meinung zuwandte und anerkannte, die Maslow habe weder an dem Diebstahl des Geldes, noch des Ringes teilgenommen, der letztere wäre ihr vielmehr von dem Kaufmann zum Geschenk gemacht worden.

Jetzt blieb noch die Frage zu entscheiden, ob sie der Vergiftung schuldig war, und von neuem erklärte der Kaufmann, man müßte sie für unschuldig erklären; jedoch der Obmann versetzte mit großer Energie, das wäre unmöglich, da sie ja selbst gestanden, das Pulver in das Glas geschüttet zu haben.

»Sie hat das Pulver hineingeschüttet, es aber für Opium gehalten,« bemerkte der Kaufmann.

»Aber auch Opium ist Gift,« versetzte der Oberst und erzählte bei der Gelegenheit die Geschichte seiner Schwägerin, die zufällig Opium genommen und ohne die wunderbare Geschicklichkeit eines schnell hinzugerufenen Arztes gestorben wäre. Der Oberst erzählte mit solchem Wohlgefallen, daß niemand den Mut hatte, ihn zu unterbrechen, bis einer der Geschworenen ausrief:

»Mein Gott, meine Herren, es ist ja schon 4 Uhr.«

»Nun, meine Herren?« fragte der Obmann, »was wollen wir antworten? Wollen wir sagen: ›Ja, sie ist schuldig, das Gift eingeschüttet zu haben, aber ohne Absicht zu stehlen‹?«

Peter Gerassimowitsch, der mit dem in der vorigen, Frage erzielten Erfolge zufrieden war, gab diesmal seine volle Zustimmung.

»Ich wünsche, daß man hinzufügt: »mit mildernden Umständen,« rief der Kaufmann.

Damit waren alle gleich einverstanden, nur der Handwerker wünschte von neuem, man solle antworten: »Nein, sie ist nicht schuldig.«

»Aber die von mir vorgeschlagene Antwort kommt doch auf dasselbe heraus,« erklärte ihm der Obmann. »›Ohne Absicht zu stehlen‹, das ist ebenso gut, als wenn wir sagten, ›sie ist nicht schuldig‹.«

»Ja, aber unter der Bedingung, daß hinzugefügt wird, mit mildernden Umständen, um die Angeklagte vollends freizusprechen,« entgegnete der Kaufmann, der auf diesen Ausweg sehr stolz war.

Die Antworten wurden in der von den Geschworenen angegebenen Form aufgeschrieben und dem Gerichtshof übergeben.

Als der Präsident sie sich durchgelesen hatte, klingelte er. Der Gendarm, der mit dem Säbel vor der Thür gestanden hatte, steckte ihn wieder in die Scheide. Die Richter nahmen wieder auf ihren Sesseln Platz, und die Geschworenen kehrten einer nach dem andern in den Saal zurück. Mit feierlicher Miene trug der Obmann der Jury das die Antworten enthaltende Blatt, ging bis zu dem Tische vor, an welchem der Gerichtshof saß, und übergab es dem Präsidenten. Dieser überflog es mit einem Blick, schien sehr überrascht und wandte sich nach seinen Kollegen um, um sie nach ihrer Meinung zu fragen. Mit Bestürzung sah er, wie die Jury, die die Frage des Diebstahls verneint, die des Mordes rückhaltslos bejaht hatte. Aus dieser Antwort ging hervor, daß die Maslow weder das Geld, noch den Ring genommen, dagegen den Kaufmann ohne jedes Motiv vergiftet hatte.

»Da sehen Sie nur, welche Albernheit Sie da zu stande gebracht haben,« sagte der Präsident zu seinem Nachbar links, »Das bedeutet Zwangsarbeit für dieses Mädchen, und dabei ist sie ganz sicher unschuldig.«

»Aber warum soll sie denn unschuldig sein?«

»Nun, das springt doch in die Augen. Meiner Ansicht nach müßte hier der Artikel 817 zur Anwendung kommen.«

Wer Artikel 817 besagt, daß der Gerichtshof das Recht hat, die Entscheidung der Jury zu verwerfen, wenn sie dieselbe für falsch begründet hält.

»Und was meinen Sie dazu?« fragte der Präsident seinen andern Nachbar.

»Vielleicht sollten wir in der That den Artikel 817 zur Anwendung bringen,« sagte der Richter mit den gutmütigen Augen.

»Und was meinen Sie?« fragte der Präsident den mürrischen Richter.

»Ich bin der Meinung, wir dürfen das um keinen Preis thun,« versetzte dieser Beamte in entschlossenem Tone. »Man beklagt sich so schon genug, daß die Geschworenen die Angeklagten freisprechen; nie und nimmer würde ich darauf eingehen.«

Der Präsident zog seine Uhr.

»Ich bin untröstlich; aber was soll ich thun?« dachte er und übergab die Antworten dem Obmann der Geschworenen zur Verlesung.

Sofort erhoben sich alle Geschworenen, und ihr Obmann las, sich hin- und herwiegend, mit lauter Stimme die Fragen und Antworten. Der Aktuar, der Verteidiger, ja, selbst der Staatsanwalt konnten ihre Bestürzung nicht verbergen. Nur die Angeklagten blieben unbeweglich auf ihrer Bank sitzen, denn sie verstanden den Sinn der Antworten nicht.

Dann setzten sich die Geschworenen wieder, der Präsident wandte sich zum Staatsanwalt und fragte ihn, welche Strafen er für die Angeklagten beantrage.

Der Staatsanwalt, der von der Strenge der Jury der Maslow gegenüber entzückt war, und dieselbe ausschließlich seiner Beredtsamkeit zuschrieb, überlegte ein Weilchen und sagte dann:

»Für Simon Kartymkin verlange ich die Anwendung des Paragraphen 1452; für Euphemia Botschkoff die Anwendung des Paragraphen … und für Katharina Maslow die Anwendung des Paragraphen …«

Die in diesen Paragraphen ausgesprochenen Strafen waren natürlich die allerhöchsten.

»Der Gerichtshof wird sich zur Beratung zurückziehen,« sagte der Präsident, erhob sich und ging mit den beiden Richtern hinaus. Auf der Estrade hatte jeder das Gefühl, das das Bewußtsein der vollendeten Arbeit verleiht, und die Geschworenen schwatzten laut.

»Na, Väterchen, Sie haben ja da ‚was Hübsches angerichtet,« sagte Peter Gerassimowitsch, an Nechludoff herantretend, dem der Obmann der Geschworenen etwas erklärte. »Sie haben die Unglückliche ja ins Zuchthaus geschickt.«

Nechludoff war bei diesen Worten so erregt, daß er sich nicht einmal über die verletzende Vertraulichkeit des früheren Hauslehrers seiner Schwester ärgerte.

»Was, was sagen Sie da?«

»Na gewiß,« versetzte Peter Geraffimowitsch; »Sie haben ja ganz vergessen, in Ihrer Antwort hinzuzufügen: ›aber ohne die Absicht, zu töten.‹ Der Aktuar hat mir eben gesagt, der Staatsanwalt hätte 15 Jahre Zwangsarbeit beantragt.«

»Aber die Antwort stimmt doch mit unsern Entschließungen vollständig überein!«

Peter Gerassimowitsch widersprach ihm von neuem und erklärte, da man behauptete, die Maslow hätte das Geld nicht genommen, so hätte man auch hinzufügen müssen, sie hätte nicht die Absicht zu töten gehabt.

»Aber ich habe die Antworten doch noch einmal vorgelesen, bevor wir in den Gerichtssaal traten,« rechtfertigte sich der Obmann; »niemand hat widersprochen.«

»Ich mußte während der Verlesung auf einen Augenblick hinausgehen,« entgegnete Peter Gerassimowitsch. »Aber wie konnten Sie das durchgehen lassen, Dimitri Iwanowitsch?«

»Ich habe nichts bemerkt,« versetzte Nechludoff.

»Die Sache war doch aber so leicht zu bemerken.«

»Man kann das Uebel ja noch gut machen,« sagte Nechludoff.

»Oh nein, dazu ist es zu spät, jetzt ist alles aus.«

Nechludoff richtete den Blick auf die Angeklagten. Während über ihr Schicksal beraten wurde, saßen sie noch immer zwischen den beiden Soldaten auf ihrer Bank. Die Maslow lächelte, und ein häßlicher Gedanke schlich sich in Nechludoffs Seele. Eben, als er die Freisprechung der Maslow und ihre Freilassung erwartete, fragte er sich, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Jetzt aber raubte ihm die Zwangsarbeit und die Verschickung nach Sibirien jede Möglichkeit, die alten Beziehungen mit ihr wieder aufzunehmen. Der verwundete Vogel mußte bald aufhören, in der Jagdtasche zu zappeln.

Es kam so, wie es Peter Gerassimowitsch vorhergesagt hatte.

Nach kurzer Beratung kehrten die drei Richter in den Saal zurück, und der Präsident verlas das Urteil, das folgendermaßen begann:

»Am 28. April 188.. verurteilte die Kriminalabteilung des Bezirksgerichtes von N…. unter der Mitwirkung von Geschworenen auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät den Bauer Simon Kartymkin, 34 Jahre alt, und die Bürgerin Katharina Maslow, 27 Jahre alt, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie zur Verschickung zur Zwangsarbeit, und zwar Kartymkin auf die Dauer von acht Jahren und die Maslow auf die Dauer von vier Jahren, auf Grund des Artikels 23 des Strafgesetzbuches. Das Gericht verurteilt ferner die Bürgerin Euphemia Botschkoff, 43 Jahre alt, zum Verlust der persönlichen Rechte und zu einer Einschließung von drei Jahren auf Grund des Paragraph 48 des Strafgesetzbuches. Ferner verurteilt es die drei Angeklagten zur Tragung der Kosten, doch fallen dieselben, wenn die Angeklagten zahlungsunfähig sind, der Staatskasse anheim.« Das Urteil bestimmte ferner, daß der Ring den Erben des Kaufmanns Smjelkoff zugestellt, und die übrigen Beweisstücke verkauft oder vernichtet werden sollten.

Als Simon Kartymkin dieses Urteil hörte, drehte er sich hin und her, fuhr mit den Händen an den Nähten seiner Hose entlang und bewegte die Lippen. Die Botschkoff blieb unbeweglich, während Katharina Maslow plötzlich purpurrot geworden war.

»Ich bin nicht schuldig,« rief sie, sobald der Präsident die Verlesung beendet hatte. »Ich bin nicht schuldig, ich schwöre es. Ich habe ihn nicht töten wollen, ich habe gar nicht daran gedacht; ich spreche die Wahrheit, die reine Wahrheit.«

Diese wenigen Worte hatte sie mit solcher Kraft herausgeschrieen, daß der ganze Saal sie hörte. Dann ließ sie sich auf ihre Bank zurückfallen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und brach in lautes Schluchzen aus.

Als Simon und Euphemia sich erhoben, um hinauszugehen, blieb sie noch immer schluchzend sitzen, und einer der Gendarmen mußte sie beim Arm packen, um sie zum Aufstehen zu bringen.

»Nein, man darf die Sache nicht so hingehen lassen, sagte sich Nechludoff, der den bösen Gedanken, den er noch vor wenigen Minuten gehabt, vollständig vergessen hatte. Ohne nachzudenken, von einem unwiderstehlichen Triebe bewegt, stürzte er nach dem Gange, um das junge Weib, das man eben fortführte, noch einmal zu sehen.

Vor der Thür drängte sich die Menge der Geschworenen und Advokaten schwatzend und gestikulierend, so daß Nechludoff ziemlich lange warten mußte, bevor er den Saal verlassen konnte. Als er sich endlich im Gange befand, war die Maslow schon ziemlich weit entfernt. Er lief auf sie zu, ohne sich darum zu kümmern, daß er Aufsehen erregte und blieb erst stehen, als er sie erreicht hatte. Sie weinte nicht mehr, doch ein heftiges Schluchzen hob zeitweise ihre Brust, während sie mit ihrem Kopftuch die Schweißtropfen abtrocknete, die ihr über die Wangen liefen. Sie ging an Nechludoff vorüber, ohne ihn anzusehen, und auch er machte keinerlei Bewegung, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er ließ sie an sich vorübergehen, und trat wieder in den Gang zurück, um sich auf die Suche nach dem Gerichtspräsidenten zu machen, der sich schon in der Portierloge befand, und eben fortgehen wollte. Er zog gerade einen eleganten Sommerüberzieher an, während der Portier ihm ehrerbietig einen Stock mit silbernem Knopf reichte.

»Herr Präsident,« sagte Nechludoff zu ihm, »kann ich Sie einen Augenblick sprechen? Es ist wegen der eben abgeurteilten Sache, ich gehöre zu den Geschworenen.«

»Aber gewiß! Fürst Nechludoff, nicht wahr? Freue mich, Sie begrüßen zu dürfen,« sagte der Präsident und schüttelte ihm die Hände.

Er erinnerte sich mit lebhafter Genugthuung des Balles, auf dem er mit größerem Eifer und Schneid als alle jungen Leute getanzt hatte.

»Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Es liegt bei unserer Antwort, die Maslow betreffend, ein Mißverständnis vor! Sie ist an dem Giftmord unschuldig und doch zur Zwangsarbeit verurteilt worden!« sagte Nechludoff, dessen Gesicht sich plötzlich verdüstert hatte.

»Aber auf Ihre Antworten hin haben wir doch das Urteil gefällt,« sagte der Präsident, auf die Thür zuschreitend, »und wir haben diese Antworten selber ziemlich verworren gefunden.«

Der Präsident erinnerte sich plötzlich, daß er in seiner Rede den Geschworenen hatte erklären wollen, wie sie ihren Vorbehalt, im Falle ein solcher zu machen war, zu formulieren hatten; dann fiel ihm ein, daß er, um Zeit zu sparen, auf diesen Teil seiner Erklärung verzichtet hatte. Doch er hütete sich wohl, Nechludoff darüber etwas zu sagen.

»Es liegt ein Irrtum vor,« fuhr Nechludoff fort, »könnte man diesen Irrtum nicht wieder gut machen?

»Gründe zur Annullierung lassen sich immer finden, wenden Sie sich an einen Advokaten,« sagte der Präsident und ging wieder auf die Thür zu.

»Aber das ist ja entsetzlich…«

»Sehen Sie, es gab für uns nur zwei Lösungen…«

Der Präsident schwankte offenbar zwischen seinem Wunsch, Nechludoff angenehm zu sein, und der Furcht, zu spät zu seinem Rendevouz zu kommen. Er strich seinen Backenbart über die beiden Aufschläge seines Ueberziehers, ergriff Nechludoffs Arm, zog ihn zur Thür und fragte:

»Wollen wir gehen?«

»Gewiß,« versetzte Nechludoff, zog schnell seinen Mantel an und ging mit dem Präsidenten hinaus. Draußen schien die Sonne in heiterem Glanze, in den Straßen herrschte Leben und Bewegung. Der Präsident mußte wegen des Wagengerassels auf dem Pflaster die Stimme erheben.

»Sehen Sie,« fuhr er fort; »die Situation ist sehr einfach. Wie ich Ihnen sagte, gab es in diesem Falle nur zwei Lösungen. Entweder konnte dieses Geschöpf, diese Maslow, sozusagen freigesprochen, das heißt einfach zu einigen Monaten Haft verurteilt werden und ihr die Untersuchungshaft in Abzug gebracht werden, wodurch die Strafe völlig unbedeutend wurde, oder es stand für sie die Zwangsarbeit auf dem Spiel. Wir mußten uns für eine der beiden Lagen entscheiden, und unsere Wahl hing von Ihrer Fragebeantwortung ab.«

»Ich habe nicht an die Einschränkung gedacht, die unserm Gedanken Worte geliehen hätte; es ist unentschuldbar, daß ich nicht daran gedacht habe!« sagte Nechludoff.

»Na, darauf beruht alles!« versetzte der Präsident lächelnd, zog seine Uhr heraus und sah nach, wie spät es war. Er konnte bei seiner Klara kaum noch drei kleine Viertelstunden bleiben.

»Wenn Sie wollen, wenden Sie sich doch an einen Advokaten! Es handelt sich nur darum, einen Grund zur Annullierung zu finden, und dieser Grund findet sich immer!« wiederholte der Präsident.

»Hotel d’Italie!« rief er einem vorüberfahrenden Fiaker zu. »Dreißig Kopeken für die Fahrt! Das zahle ich stets!«

»Steigen Ew. Exzellenz nur ein!«

»Ich empfehle mich,« fügte der Präsident zu Nechludoff, wahrend er sich verabschiedete, »Und wenn ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann: Haus Dwornikoff, in der Dworianskajastraße; das ist leicht zu merken!«

Damit entfernte er sich, nachdem er Nechludoff zum letztenmale zugenickt.

Die Unterhaltung mit dem Gerichtspräsidenten, und auch die frische Luft hatte Nechludoff ein bißchen beruhigt. Er sagte sich, die außergewöhnliche Erregung, die er empfunden, hinge mit seiner Abspannung zusammen, und die ungewöhnlichen Verhältnisse, in denen er sich seit heute morgen befand, mußten wohl dazu beigetragen haben, dieselbe noch zu verstärken. »Aber es ist doch ein unglaubliches Zusammentreffen!« dachte er. »Ich muß mein Möglichstes thun, um das Schicksal dieser Unglücklichen zu lindern, und zwar so schnell wie möglich! Und jetzt will ich, da ich gerade hier bin, die Gelegenheit benutzen, um mich nach Fajnitzins oder Mikinins Adresse zu erkundigen.« Das waren zwei berühmte Advokaten, deren Namen ihm eingefallen waren.

Er kehrte wieder in das Gerichtsgebäude zurück, zog seinen Paletot aus und stieg die Treppe hinauf. Am Eingang des Korridors begegnete er Fajnitzin. Er redete ihn an und sagte ihm, er hätte mit ihm zu sprechen. Der Advokat, der ihn von Ansehen kannte und seinen Namen wußte, erwiderte eifrig, er schätze sich glücklich, ihm dienlich sein zu können.

»Ich bin leider ein bißchen abgespannt und habe noch zu thun; doch Sie können mir immerhin kurz erklären, um was es sich handelt. Wollen wir hier einen Augenblick hineingehen?« Damit ließ er Nechludoff in ein kleines, offenstehendes Zimmer treten, offenbar das eines Gerichtsbeamten, und beide setzten sich ans Fenster.

»Nun, um was handelt es sich?«

»Ich möchte Sie vor allem um Diskretion bitten,« sagte Nechludoff, »damit niemand erfährt, welchen Anteil ich an der fraglichen Sache nehme.«

»Gewiß; das versteht sich von selbst. Also?«

»Ich war heute Geschworener, und wir haben eine Frau, die unschuldig ist, zu Zwangsarbeit verurteilt. Das quält mich!«

Unwillkürlich wurde Nechludoff rot, verlegen und geriet in Verwirrung. Fajnitzin sah ihn mit raschem Blicke an, schlug dann die Augen zu Boden und betrachtete wieder das grüne Tuch des Tisches.

»Und weiter?« fragte er.

»Wir haben eine Unschuldige verurteilt, und ich möchte das Urteil kassieren und die Sache vor einen höheren Gerichtshof bringen lassen.«

»Vor den Senat,« berichtigte der Verteidiger.

»Ich wollte Sie bitten, die Sache in die Hand zu nehmen.«

Nechludoff wollte vor allem einen Punkt erledigen, der ihm ganz besonders peinlich war, und deshalb fügte er, ohne Atem zu holen, hinzu:

»Ihr Honorar und alle Kosten, die die Sache verursacht, übernehme ich selbstverständlich.«

Er fühlte, wie er zum zweitenmale rot wurde.

»Ja, ja, darüber werden wir uns schon verständigen!« versetzte der Advokat, über die Unerfahrenheit seines Klienten wohlgefällig lächelnd.

Nechludoff erzählte ihm den Fall in knappen Zügen. »So! und nun möchte ich wissen, was darin zu thun ist,« schloß er.

»Schön! Ich werde gleich morgen die Akten durchsehen, um Ihnen Auskunft erteilen zu können. Sagen wir also … übermorgen … oder nein, sagen wir lieber Donnerstag … also Donnerstag gegen sechs Uhr abends! wenn Sie mich dann beehren wollen, werde ich Ihnen eine Antwort erteilen. Abgemacht, nicht wahr? Also Donnerstag. Entschuldigen Sie mich, bitte; aber ich habe hier auf dem Gericht noch Verschiedenes zu erledigen.«

Nechludoff verabschiedete sich von dem Advokaten und verließ das Gerichtsgebäude.

Diese neue Unterredung hatte ihn noch mehr beruhigt als die vorige: er fühlte sich bei dem Gedanken, zu Gunsten der Maslow bereits Schritte gethan zu haben, ganz glücklich. Er freute sich des schönen Wetters und sog mit Behagen die Frühlingsluft ein. Fiakerkutscher, die vor ihm hielten, boten ihm ihre Dienste an; doch er freute sich, gehen zu können. Doch sogleich fing ein ganzer Schwarm von Gedanken und Erinnerungen an Katuscha und wie er sich gegen sie benommen, in ihm zu summen an, aber er sagte sich:

»Nein, nein, daran werde ich später denken; jetzt muß ich mich vor allen Dingen von den häßlichen Eindrücken befreien, die ich eben durchgemacht!«

Er erinnerte sich an das Diner bei den Kortschagins und sah auf die Uhr. Es konnte noch nicht vorüber sein. Nechludoff lief nach einem Fiakerhalteplatz, betrachtete die Pferde, wählte den besten Wagen und befand sich zehn Minuten später vor der Auffahrt des großen und eleganten Hauses der Kortschagins.

Siebentes Kapitel

»Treten Ew. Exzellenz nur gütigst ein, man erwartet Sie oben,« sagte der dicke Portier der Kortschagins zu Nechludoff, »Man sitzt bei Tische, Ew. Exzellenz werden gebeten, sich in den Speisesaal zu bemühen.«

Der Portier ließ Nechludoff in den Speisesaal treten; dann ging er nach der Treppe und zog an einer Klingel.

»Ist Gesellschaft da?« fragte Nechludoff, während er seinen Paletot auszog.

»Nur Herr Kolossoff und Michael Sergejewitsch; sonst aber niemand,« versetzte der Portier.

Oben auf der Treppe zeigte sich die elegante Gestalt eines Dieners im Frack und weißen Handschuhen.

»Geruhen Ew. Excellenz, sich heraufzubemühen! Man bittet Sie, heraufzukommen!«

Nechludoff stieg die Treppe hinauf, durchschritt das große und prächtige Vorzimmer und trat in den Speisesaal, An dem großen Tische saß die ganze Familie Kortschagin mit Ausnahme von Missys Mutter, der Fürstin Sophie Wassiljewna, die ihre Mahlzeiten stets in ihrem Zimmer einnahm. Der alte Kortschagin saß oben an der Tafel; zu seiner Rechten hatte er den Hausarzt, zu seiner Linken seinen Freund Iwan Iwanowitsch Kolossoff, einen früheren Beamten und jetzt Mitglied des Aufsichtsrats einer Bank sitzen. Dann kamen links Miß Nedort, die Erzieherin von Missys kleiner Schwester und diese Schwester, ein vierjähriges Kind selbst; rechts, ihr gegenüber Missys Bruder, Petja, ein Gymnasiast der siebenten Klasse, der sich auf seine Examina vorbereitete, und ein junger Student, sein Nachhilfelehrer. Etwas weiter saßen Michael Sergejewitsch Telegin oder Mitja, der Sohn der Fürstin Kortschagin aus erster Ehe und eine arme Verwandte, Katharina Alexijewna, eine alte Jungfer und Slawophilin; und endlich, am Ende der Tafel, Missy, neben der ein Platz leer gelassen war.

»Na, das ist recht! kommen Sie schnell! wir sind erst beim Fisch,« sagte der alte Kortschagin, und blickte Nechludoff mit seinen blutunterlaufenen Augen an.

»Stephan!« rief er dem majestätischen Haushofmeister zu und gab ihm ein Zeichen, Nechludoff an den ihm bestimmten Platz zu führen.

Nechludoff kannte den alten Kortschagin seit langer Zeit und hatte ihn schon oft bei Tische gesehen, aber an diesem Abend fiel ihm sein rotes und aufgedunsenes Gesicht, sein sinnlicher Mund, sein dicker Hals, seine ganze Gestalt, ja, sogar die Art, wie er einen Zipfel seiner Serviette in den Westenausschnitt steckte, unangenehm auf. Unwillkürlich fiel ihm ein, was man ihm alles von der Härte dieses Mannes erzählt, der zur Zeit, als er Provinzgouverneur gewesen, eine Reihe von Unglücklichen hatte erschießen und sogar eine große Zahl hatte hängen lassen.

»Man wird Ew. Exzellenz sogleich auftragen!« sagte Stephan und nahm aus einer der Buffetschubladen einen großen Suppenlöffel, während der elegante Diener sich hinter den leeren Sessel stellte und auf Nechludoffs Teller eine Falte der künstlerisch in Fächerform zusammengelegten Serviette wieder in Ordnung brachte.

Noch Nechludoff mußte zuerst um den Tisch herumgehen und jedem der Gäste die Hand schütteln. Jeder erhob sich von seinem Stuhle und reichte ihm die Hand, mit Ausnahme der Damen und des alten Kortschagin. Dieser Gang um den Tisch und diese Händedrücke an Personen, von denen er einzelne nie gesehen, das alles erschien ihm an diesem Abend ganz besonders lächerlich und unangenehm.

Er entschuldigte sich, daß er so spät kam und wollte sich schon auf seinen Platz, zwischen Missy und Katharina Alexijewna, setzen, als der alte Kortschagin verlangte, er solle in Ermangelung eines kleinen Gläschens Branntwein wenigstens von den Vorspeisen nehmen. Nechludoff mußte an den kleinen Tisch treten, auf dem die Vorspeisen, der Hummer, Kaviar, Käse und die Anchovis standen. Er glaubte, keinen Hunger zu haben, doch als er von dem Kaviar gekostet, begann er gierig zu schlingen.

»Na, haben Sie das Fundament untergraben?« fragte ihn Kolossoff, indem er den ironischen Ausdruck wiederholte, den ein reaktionäres Blatt in einem Artikel gebraucht hatte, der die Gefahren der Geschworenengerichte beweisen wollte: »Sie haben Schuldige freigesprochen und Unschuldige verurteilt, nicht wahr?«

»Das Fundament untergraben! Das Fundament untergraben!« wiederholte der alte Fürst, sich vor Lachen wälzend. Er hatte ein unbegrenztes Vertrauen auf den Geist und das Wissen seines Freundes, dessen liberale Ansichten er voll und ganz teilte.

Doch Nechludoff gab, selbst auf die Gefahr hin, unhöflich zu erscheinen, keine Antwort. Er setzte sich, that sich Suppe auf seinen Teller und aß mit größtem Appetit.

»Lassen Sie ihn sich doch satt essen!« sagte Missy lächelnd mit einer Vertraulichkeit, die den freundschaftlichen Charakter ihrer Beziehungen deutlich verriet.

Uebrigens hatte Kolossoff seine Frage schon vergessen, und besprach in heftigem und lautem Tone den Artikel der reaktionären Zeitung über die Geschworenengerichte. Michael Sergejewitsch gab ihm gleichzeitig das Stichwort und deutete auf die ungeheuerlichen Irrtümer eines andern kürzlich in demselben Blatte veröffentlichten Artikels.

Missy war, wie stets, durchaus »vornehm«. Sie trug eine Toilette von diskreter und nüchterner, aber tadelloser Eleganz.

»Sie müssen vor Hunger und Abspannung ja ganz erschöpft sein,« sagte sie zu Nechludoff, als er seine Suppe verspeist hatte.

»Ach nein! So schlimm ist es nicht! Und Sie? Haben Sie sich die Bilder angesehen?«

»Nein, wir haben den Besuch verschoben, und dafür bei den Salomonoffs Tennis gespielt. Wissen Sie, Mister Crooks spielt wirklich wunderbar!«

Nechludoff hatte sich bei den Kortschagins zerstreuen wollen. Seine Besuche bei ihnen hatten ihm stets Freude gemacht, sowohl wegen des Luxus und Reichtums, der in dem Hause herrschte und seinen raffinierten Geschmack entzückte, wie auch wegen der Atmosphäre liebenswürdiger Schmeichelei, von der er sich unwillkürlich umgeben fühlte. Doch an diesem Abend mißfiel ihm seltsamerweise in diesem Hause alles: alles, von dem Portier, dem ungeheuren Vorflur, den Blumen, den befrackten Dienern, dem Tafelaufsatz, bis zu Missy, die er unnatürlich und unsympathisch fand. Er ärgerte sich über den spöttischen, groben Ton Kolossoffs, seinen Liberalismus, wie über das sinnliche und lasterhafte Gesicht des alten Kortschagin, die französischen Citate der alten slavenfreundlichen Jungfer, und die mürrischen Mienen der Erzieherin und des Hauslehrers, ganz besonders aber über die vertrauliche Manier, wie Missy von ihm gesprochen, anstatt ihn wie die übrigen Gäste mit dem Vornamen zu bezeichnen.

Nechludoff hatte Missy gegenüber stets zwischen zwei Gefühlen hin- und hergeschwankt. Bald sah er sie sozusagen in einem Nebel und entdeckte an ihr alle möglichen Vollkommenheiten; sie erschien ihm offen, schön, intelligent und natürlich. Bald aber mußte er sich, wenn er vom Nebel ins helle Tageslicht trat, ihre Unvollkommenheit eingestehen. In der letzten Verfassung fühlte er sich an diesem Abend. Er bemerkte alle Runzeln auf ihrer Stirn, die beiden falschen Zähne, die sie im Munde hatte, die Spur des Brenneisens in ihren Haarlocken und die hervortretenden Knochen ihrer Ellenbogen; vor allem aber fielen ihm ihre langen Fingernägel auf, die ihn an die dicken Finger des alten Kortschagin erinnerten.

»Ein langweiliges Spiel, das Tennis,« sagte Kolossoff; »das Ballspiel war zu unserer Zeit viel lustiger!«

»Ach nein, Sie kennen das Tennisspiel nicht; es giebt nichts, das so schrecklich anregend wäre!« rief Missy, und Nechludoff hatte die Empfindung, als habe sie das Wort »schrecklich« mit unerträglicher Affektiertheit ausgesprochen. Es entspann sich ein Streit, an dem auch Michael Sergejewitsch und die alte Dame teilnahmen. Nur der Nachhilfelehrer, die Erzieherin und die Kinder schwiegen; sie langweilten sich offenbar.

»Na, streitet euch wieder mal!« sagte der Fürst Kortschagin endlich lachend, nahm seine Serviette, legte sie zerknittert auf den Tisch und stand auf, während ein Diener schnell den Stuhl zurückschob. Alle erhoben sich und traten an einen kleinen Tisch, wo Krüge und Gläser mit warmem, parfümiertem Wasser standen. Die Gäste spülten sich den Mund aus und setzten dabei ihre Unterhaltung fort.

»Nicht wahr, ich hatte recht?« fragte Missy Nechludoff, nachdem sie Michael Sergejewiisch erklärt, nichts verrate den Charakter der Leute so gut wie das Spiel. Sie hatte auf dem Gesicht ihres Freundes sogleich den strengen und ernsten Ausdruck bemerkt, der sie bei ihm schon mehrmals beunruhigt hatte, und war entschlossen, die Ursache desselben zu entdecken.

»Ich habe nie über die Frage nachgedacht und weiß es wirklich nicht,« versetzte Nechludoff.

»Wollen wir zu Mama hinaufgehen?« fragte das junge Mädchen.

»Gewiß, gern!« erwiderte er, sich eine Cigarette anzündend; doch der Ton seiner Antwort verriet, daß er sich diesen lästigen Besuch gern erspart hätte.

Sie schwieg, sah ihn fragend an, und ihre Unruhe wurde noch stärker.

»Man möchte wahrhaftig glauben, ich sei hierher gekommen, um die Leute zu langweilen,« sagte sich Nechludoff inzwischen, zwang sich zur Liebenswürdigkeit und setzte einige Worte hinzu, welches Vergnügen es ihm bereiten würde, der Fürstin seine Aufwartung machen zu dürfen, wenn sie sein Besuch nicht störe.

»Aber nicht doch, ganz im Gegenteil; Mama wird entzückt sein, und Sie können bei ihr ebenso gut rauchen, wie hier. Iwan Iwanowitsch muß schon hinaufgegangen sein.«

Die Hausfrau, die Fürstin Sophie Wassiljewna, verbrachte ihr Leben auf ihrer Chaiselongue. Schon seit acht Jahren speiste sie nicht mehr bei Tische. Es gefiel ihr nur in ihrem Zimmer, unter dem Sammet, den Bronzen, den lackierten und vergoldeten Schmuckgegenständen. Nie ging sie aus und sah absolut niemand, wie sie gern erklärte, als »ihre Freunde« d. h. die Personen, die sich aus dem oder jenem Grunde in ihren Augen von den gewöhnlichen Menschen unterschieden. Nechludoff gehörte natürlich zu diesen Freunden, gleichzeitig aber galt er für einen intelligenten jungen Mann, weil seine Mutter mit den Kortschagins in Verbindung gestanden hatte und vor allem, weil Sophie Wassiljewna ihn mit ihrer Tochter zu verheiraten wünschte.

Vor dem Zimmer der alten Fürstin lag ein großer und ein kleiner Salon. In dem großen Salon blieb Missy, die vor Nechludoff herging, plötzlich stehen, packte nervös die Lehne eines Stuhles und richtete ihre Blicke auf den jungen Mann.

Missy hegte den lebhaften Wunsch, sich zu verheiraten, und Nechludoff war für sie eine gute Partie. Außerdem gefiel er ihr, und sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, ihn sich zu erobern; sie wollte nicht ihm, sondern er sollte ihr gehören. Diesen Plan verfolgte sie mit unbewußter, aber zäher Verschlagenheit. Sie sagte deshalb ganz unvermittelt zu Nechludoff, indem sie ihm fest ins Auge sah:

»Ich sehe, es ist Ihnen etwas widerfahren! Sagen Sie mir, was!«

Nechludoff dachte wieder an sein Erlebnis im Schwurgerichtshof, zog die Stirn kraus und errötete.

»Ja, es ist mir etwas widerfahren,« versetzte er, denn lügen wollte er nicht; »etwas Seltsames, Unvorhergesehenes und Ernstes!«

»Was denn? Sie wollen es mir nicht sagen?«

»Ich kann es jetzt nicht. Verzeihen Sie mir! Es ist mir etwas passiert, über das ich noch nachdenken muß,« fügte er hinzu und errötete noch stärker.

»So wollen Sie es mir also nicht sagen?«

Eine Muskel ihres Gesichts zitterte, und sie stieß den Stuhl zurück, auf den sie sich stützte.

»Nein, ich kann nicht,« versetzte Nechludoff, der wohl fühlte, daß er durch diese Antwort den Ernst des Erlebnisses sich selbst gegenüber noch stärker hervorhob.

»Gut! gehen wir schnell zu Mama!«

Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie einen unangenehmen Gedanken verscheuchen, und ging schnell weiter.

Nechludoff glaubte zu bemerken, daß sie an sich hielt, um nicht zu weinen. Er schämte sich und machte sich Vorwürfe, ihr Kummer bereitet zu haben, doch er wußte, er würde sich durch die geringste Schwäche zu Grunde richten, das heißt, sich für ewig binden, und davor hatte er an diesem Abend am meisten Angst. Deshalb schwieg er weiter und gelangte so mit dem jungen Mädchen in das Zimmer der Fürstin Kortschagin.

Die Fürstin Sophie Wassiljewna hatte eben ihr Diner beendet, ein sehr feines und reichliches Diner, das sie stets allein aß, damit niemand sie bei dieser allzu prosaischen Beschäftigung beobachtete. Neben ihrer Chaiselongue stand auf einem kleinen Leuchtertisch ihr Kaffee; sie trank ihn in kleinen Schlucken und rauchte dazu parfümierte Cigaretten.

Sie war eine sehr lange und magere alte Dame mit langen Zähnen und großen schwarzen Augen, doch ihr Alter hinderte sie nicht, sich immer noch das Ansehen einer jungen Frau zu geben.

Ueber ihren Arzt waren allerlei Gerüchte im Umlauf, und Nechludoff, der bis dahin nie auf dieses Geschwätz geachtet hatte, mußte unwillkürlich daran denken, als er in das Zimmer trat und neben der alten Dame den korpulenten Arzt mit seinem elegant gestutzten und pomadisierten Barte sitzen sah. Sein Anblick erweckte in ihm ein Gefühl des Widerwillens.

Zu den Füßen der Chaiselongue saß auf einem Tabouret Kolossoff. Er schüttete sich gerade Zucker in seinen Kaffee, vor ihm stand ein kleines Gläschen Likör.

Missy, die mit Nechludoff in das Zimmer getreten war, blieb nur einen Augenblick und sagte zu diesem und Kolossoff mit fröhlichem Lächeln:

»Wenn Mama müde ist und Sie hinaussetzt, dann kommen Sie zu mir, nicht wahr?«

Darauf verließ sie, leise über den weichen Teppich huschend, das Zimmer.

»Na, guten Tag, mein Freund, setzen Sie sich hierher, und erzählen Sie,« sagte die Fürstin Sophie Wassiljewna mit ihrem gekünstelten Lächeln, das dem natürlichen Lächeln aber wunderbar ähnlich sah; »wir sprachen gerade von Ihnen. Die Herren meinten, Sie seien in sehr schlechter Laune aus der Gerichtsverhandlung zurückgekommen; solche Sitzungen müssen in der That für Leute von Herz peinlich sein,« fügte sie auf französisch hinzu.

»Ja, gewiß,« versetzte Nechludoff, »man fühlt dort sehr oft seine eigene Gemei …, ich meine, man fühlt, daß, man selbst nicht das Recht hat, die Fehler anderer zu beurteilen.«

»Sehr richtig,« rief die alte Dame in einem Tone, der durchblicken ließ, wie sehr ihr die treffende Bemerkung Nechludoffs aufgefallen war, denn sie hatte die Gewohnheit, ihren Bekannten stets zu schmeicheln.

»Nun, und wie steht’s mit Ihrem Gemälde?« fuhr sie dann fort. »Sie wissen, es interessiert mich ungeheuer. Wenn ich kräftiger wäre, hätte ich es mir schon längst einmal bei Ihnen angesehen.«

»Ich habe es vollständig aufgegeben,« versetzte Nechludoff, dem die Falschheit ihrer Schmeicheleien heute ebenso auffiel, als ihr sorgsam verstecktes Alter. Und er mochte sich noch so sehr bemühen, liebenswürdig zu sein, alle seine Anstrengungen blieben vergeblich.

»Aber das ist ja ein Verbrechen! Wissen Sie, daß selbst Repin mir gesagt hat, unser Freund besitze wirkliches Talent?« sagte sie, sich zu Kolossoff wendend und auf Nechludoff deutend.

»Wie schämt sie sich nur nicht, so zu lügen,« dachte Nechludoff.

Als die alte Dame indessen bemerkt hatte, daß Nechludoff nicht bei Laune war, und man nicht hoffen durfte, mit ihm angenehm zu plaudern, wandte sie sich wieder zu Kolossoff und fragte ihn nach seiner Meinung über ein neues Stück, das eben aufgeführt worden war.

Kolossoff beurteilte es sehr hart und benutzte die Gelegenheit, seine Ideen über die Kunst zum besten zu geben. Die Fürstin Sophie Wassiljewna zeigte sich wie stets von der Richtigkeit seiner Beobachtungen betroffen; wenn sie es einmal wagte, den Verfasser des Stückes zu verteidigen, so geschah das nur, um sich im nächsten Augenblick für besiegt zu erklären oder einen Ausweg zu finden.

Nechludoff betrachtete abwechselnd die alte Dame und Kolossoff und hörte ihnen zu; er entdeckte zunächst, daß diese beiden Personen mit dem Stücke, von dem sie sprachen, nichts zu thun hatten, daß, sie auch mit sich nichts zu thun hatten, und daß ihre Unterhaltung nur einfach ein körperliches Bedürfnis befriedigte, das Bedürfnis, die Verdauung zu fördern, indem sie die Muskeln der Zunge und der Kehle bewegten. Er bemerkte dann, daß Kolossoff, der Branntwein, Wein, Kaffee und Likör getrunken, ein wenig berauscht war, nicht nach Art der Leute, die nicht ans Trinken gewöhnt sind, sondern nach Art solcher, die regelmäßig trinken. Kolossoff faselte nicht etwa und sprach keine Dummheiten, befand sich aber in einem ungewöhnlichen Zustande der Erregung und Selbstzufriedenheit. Drittens bemerkte Nechludoff, daß die alte Dame selbst bei der lebhaftesten Unterhaltung nicht aufhörte, unruhige Blicke nach dem Fenster zu werfen, durch welches jetzt ein schräger Strahl der untergehenden Sonne hereinbrach, der die Runzeln ihres Gesichtes allzu deutlich sehen lassen konnte.

»Wie sehr Sie recht haben!« antwortete sie auf eine Bemerkung Kolossoffs und drückte dabei auf einen elektrischen Knopf.

Kurz darauf erhob sich der Arzt und verließ, ohne etwas zu sagen, wie ein richtiger Hausfreund das Zimmer. Nechludoff sah, daß Sophie Wassiljewna ihm mit den Augen folgte, während sie die Unterhaltung mit ihm fortsetzte. »Philipp,« sagte sie zu dem schönen Diener, der auf das Klingeln hereintrat, »lassen Sie gefälligst den Vorhang herunter.«

»Ja, Sie haben recht, es fehlt der Sache an Mysticismus, und ohne Mysticismus giebt es keine Poesie,« fuhr sie fort, sich an Kolossoff wendend, während ihre schwarzen Augen den Bewegungen des Dieners folgten, der mit dem Herablassen des Vorhanges beschäftigt war.

»Der Mysticismus und die Poesie sind einander notwendig, nicht wahr? Mysticismus ohne Poesie ist Aberglaube, und Poesie ohne Mysticismus ist Prosa!«

Plötzlich aber unterbrach sie sich in ihrem Vortrag.

»Aber nicht doch, Philipp, ich meine ja den andern Vorhang!« Dann sank sie, von der Anstrengung, die sie diese Worte gekostet, gleichsam erschöpft, zurück, zündete sich aber, sofort, um sich zu beruhigen, eine parfümierte Cigarette an, die sie mit ihrer mit Ringen überladenen Hand an die Lippen führte.

Der kräftige und elegante Diener neigte, gleichsam bereuend, ein wenig den Kopf. Doch Nechludoff glaubte in seinen Augen ein Aufblitzen zu bemerken, das deutlich besagte:

»Der Teufel hole dich, du alte Närrin, mit deinen Launen!«

Dann begann Philipp die Befehle der gebrechlichen und ätherischen Fürstin Sophie Wassiljewna ehrerbietig zu erfüllen.

»Was Darwin betrifft,« fuhr nun Kolossoff, sich auf seinem Tabouret hin- und herbewegend, fort, »so muß ich gestehen, daß in seiner Lehre viel Wahres liegt, doch manchmal geht er zu weit; ganz gewiß!«

»Glauben Sie auch an die Erblichkeit?« fragte die Fürstin Nechludoff, dessen Schweigen ihr peinlich war.

»Die Erblichkeit? nein, daran glaube ich nicht,« versetzte er auf’s Geratewohl, ohne die seltsamen Bilder, die ihm seine Phantasie vorspiegelte, verscheuchen zu können. Er schwieg von neuem, Sophie Wassiljewna warf ihm einen durchbohrenden Blick zu und sagte:

»Aber ich halte Sie zurück und vergesse ganz, daß Missy auf Sie wartet. Gehen Sie zu ihr, sie hat die Absicht, Ihnen ein neues Stück von Schumann vorzuspielen; Sie werden sehen, es ist sehr interessant!«

»Sie hat gar nicht die Absicht, mir etwas vorzuspielen. Das alles sind Lügen, die sie, ich weiß nicht warum, erfindet,« dachte Nechludoff, als er sich erhob und seine Lippen auf die weiße, knochige und mit Ringen bedeckte Hand Sophie Wassiljewnas drückte.

Im Salon traf er Katharina Alexijewna, die alte Jungfer, die ihn im Vorbeigehen aufhielt und, wie gewöhnlich, in französischer Sprache zu ihm sagte:

»Ich sehe, Ihre Thätigkeit als Geschworener hat einen niederschmetternden Einfluß auf Sie ausgeübt!«

»Das ist wahr, entschuldigen Sie mich, ich bin heute abend nicht bei Laune und habe nicht das Recht, andere mit meiner Stimmung zu langweilen,« entgegnete Nechludoff.

»Warum sind Sie denn aber nicht bei Laune?«

»Sie müssen mir schon gestatten, das zu verschweigen,«

»Haben Sie denn vergessen, daß Sie neulich erklärt haben, man müßte immer die Wahrheit sprechen? Sie haben diese Gelegenheit doch selbst benutzt, um uns allen grausame Wahrheiten zu sagen. Warum wollen Sie sie denn heute nicht sagen?«

»Du erinnerst dich, nicht wahr, Missy?« fügte Katharina Alexijewna hinzu und wandte sich zu dem jungen Mädchen, das eben eingetreten war.

»Wir scherzten an jenem Abend,« versetzte Nechludoff in ernstem Tone, »und im Scherz ist so etwas möglich. In Wirklichkeit sind wir so erbärmlich, oder wenigstens ich bin so erbärmlich, daß ich gar nicht daran denken mag, die Wahrheit zu sagen.«

»Sie haben unrecht, Ihr Wort zurückzunehmen, sagen Sie lieber, wir sind alle erbärmlich,« entgegnete Katharina Alexijewna heiter, ohne die ernste Stimmung Nechludoffs zu bemerken.

»Nichts ist schlimmer, als sich selbst zu gestehen, daß man nicht bei Laune ist,« erklärte Missy. »Ich gestehe es mir nie selbst, und darum bin ich auch immer bei guter Laune. Kommen Sie mit, wir wollen versuchen, Ihre schlechte Stimmung zu verscheuchen.«

Nechludoff empfand ein Gefühl, wie es die Pferde haben müssen, wenn man ihnen die Zügel anlegt, um sie anzuschirren, und noch nie hatte er eine solche Furcht empfunden, sich anschirren zu lassen.

Er entschuldigte sich schließlich und sagte, er müsse nach Hause zurück.

Als Missy ihm die Hand zum Abschied reichte, hielt sie die seine länger als gewöhnlich fest und sagte:

»Vergessen Sie nicht, daß das, was Sie bekümmert, auch gleichzeitig Ihre Freunde bekümmert; Sie werden morgen kommen, nicht wahr?«

»Ich hoffe es,« versetzte Nechludoff.

Er schämte sich, wußte aber nicht, ob seinet- oder ihretwegen, darum beeilte er sich, fortzukommen, denn er wollte sein Schamgefühl nicht sehen lassen.

»Was bedeutet das? ich bin im höchsten Grade erstaunt,« sagte Katharina Alexijewna, als er den Salon verlassen hatte. »Er ist ganz verändert! Jedenfalls verletzte Eitelkeit! Unser lieber Dimitri ist ja so empfindlich!«

»Ah bah, wir haben alle unsere guten und schlechten Tage,« erwiderte Missy in gleichgiltigem Tone, doch ihr Gesicht zeigte einen ganz andern Ausdruck, als wie sie Nechludoff hatte sehen lassen, und in ihrem innersten Herzen sagte sie sich:

»Wenn mir der nur nicht auch verloren geht! Nach alledem, was zwischen uns vorgegangen ist, wäre das recht schlecht von seiner Seite.«

Hätte man Missy gefragt, was sie unter den Worten: »was zwischen uns vorgefallen ist«, verstand, so hätte sie wohl nichts bestimmtes darauf antworten können. Dabei hatte sie aber doch die klare Empfindung, Nechludoff habe nicht nur Hoffnungen in ihr erweckt, sondern ihr sogar fast versprochen, sie zu heiraten. Es waren keine deutlichen Worte zwischen ihnen gefallen, aber es waren doch Blicke, Lächeln, Anspielungen und bedeutungsvolles Schweigen. Das hatte ihr genügt, um ihn als den ihrigen zu betrachten, und der Gedanke, ihn zu verlieren, war ihr sehr schmerzlich.

»Schmach und Ekel, Ekel und Schmach!« sagte sich Nechludoff in diesem Augenblick, als er zu Fuß auf demselben Wege, den er schon oft zurückgelegt, heimkehrte. Der peinliche Eindruck, den seine Unterredung mit Missy erweckt, wollte noch immer nicht schwinden. Er fühlte, daß er materiell dem jungen Mädchen gegenüber frei war, daß er sich ihr nie ausdrücklich erklärt und ihr nichts gesagt hatte, was ihn hätte binden können; doch er fühlte auch, daß er in Wirklichkeit darum nicht weniger gebunden war. Er fühlte das, und ebenso fühlte er mit der ganzen Kraft seiner Seele, daß es ihm unmöglich war, sie zu heiraten.

»Schmach und Ekel, Ekel und Schmach!« wiederholte er sich, während er nicht allein an seine Beziehungen zu Missy, sondern an sein ganzes Leben und das der andern dachte. Diese Worte kehrten unaufhörlich wie ein Endreim in seiner Seele wieder, und er wiederholte sie sich noch, als er seine Wohnung betrat.

»Ich werde heute abend nicht speisen,« sagte er zu seinem Diener Kornej, der ihm in dem Speisezimmer entgegeneilte und ihm auftragen wollte. »Gehen Sie!«

»Wie Sie wünschen,« entgegnete der Diener, ging aber nicht, sondern fing sofort an, den Tisch abzudecken, wobei Nechludoff sich des Gedankens nicht erwehren konnte, er thue das nur, um ihn zu ärgern. Er wünschte, jedermann ließe ihn in Frieden, und dabei schienen es alle darauf anzulegen, ihn absichtlich zu belästigen. Endlich ging der Diener fort, und Nechludoff trat zu dem Samowar, um sich seinen Thee zu bereiten; als er aber im Vorzimmer die schweren Schritte Agrippina Petrownas hörte, entfloh er hastig, denn er wollte sie nicht sehen und ging in den Salon, dessen Thür er hinter sich abschloß.

In diesem Salon war seine Mutter vor fünf Monaten gestorben. Zwei Reflektorlampen erleuchteten das geräumige Zimmer und warfen ein scharfes Licht auf zwei große, an der Wand hängende Porträts, das seiner Mutter und seines Vaters. Als er diese Bilder wiedersah, erinnerte er sich an die letzten Beziehungen, die er zu seiner Mutter gehabt hatte, und erkannte, daß auch sie gefälscht und unnatürlich gewesen waren. Auch hier fand er nur Schmach und Ekel. Er erinnerte sich, daß er in den letzten Krankheitstagen seiner Mutter fast ihren Tod gewünscht hatte. Er hatte sich gesagt, er wünsche diesen Tod, um die Unglückliche von ihren Leiden befreit zu sehen; jetzt aber fühlte er, er hatte ihn gewünscht, um selbst vom Anblick dieser Leiden befreit zu werden.

Da er der Qual dieser Erinnerungen entfliehen wollte, so näherte er sich dem Porträt, dem Werke eines berühmten Malers, für das einst 5000 Rubel bezahlt worden waren. Die Fürstin Nechludoff war auf demselben in schwarzseidenem Kleide mit entblößtem Busen dargestellt. Man sah, der Künstler hatte die größte Sorgfalt darauf verwendet, den Anfang der Brüste, den sie trennenden Zwischenraum, den Hals und die sehr schönen Schultern der Dame zu malen, und von neuem wandelte ihn eine Empfindung der Scham und des Ekels an. Er war entsetzt; wie empörend war diese Art, seine Mutter als halbnackte Schönheit darzustellen! Es war um so empörender, als dieselbe Frau vor fünf Monaten in demselben Zimmer ausgetrocknet wie eine Mumie, auf einem Divan gelegen und einen Geruch ausgeströmt, der sich durch das ganze Haus verbreitete. Nechludoff erinnerte sich, daß sie am Tage vor ihrem Tode seine Hand in ihre armen, abgemagerten Hände genommen und zu ihm gesagt hatte: »Verdamme mich nicht, Mitja, wenn ich gesündigt habe«; dabei waren Thränen aus ihren angstvoll blickenden Augen gestürzt.

»Welche Schmach!« sagte er sich, und betrachtete von neuem das Bild, auf welchem seine Mutter ihre üppigen Brüste mit schamlosem Lächeln zur Schau stellte.

Diese nackte Brust erweckte in ihm die Erinnerungen an eine andere Frau, die er vor einiger Zeit ebenso dekolletiert gesehen hatte. Das war Missy, die ihn an einem Ballabende aufgefordert, sich ihr neues Kleid anzusehen, und Nechludoff erinnerte sich mit wahrem Widerwillen, mit welchem Vergnügen er die hübschen Schultern und schönen Arme des jungen Mädchens betrachtete; er erinnerte sich, daß Missys Eltern dieser Toilette beiwohnten, dieser plumpe und sinnliche Vater mit seiner blutbefleckten Vergangenheit und diese Mutter mit dem verdächtigen Ruf. Das alles war gleichzeitig abstoßend und schmachvoll; Schmach und Ekel, Ekel und Schmach!

»Nein, nein,« dachte er, »das kann nicht so weiter gehen, ich muß mich befreien. Ich muß alle diese lügnerischen Beziehungen abbrechen, sowohl mit den Kortschagins, mit Marie Wassiljewna und allen andern … ja, entfliehen will ich und in Frieden aufatmen. Ins Ausland will ich gehen, nach Rom und mich mit Malerei beschäftigen.«

Doch sogleich kamen ihm wieder die Zweifel über sein Talent in den Sinn.

»Ah bah, was thut das; die Hauptsache ist, daß ich in Frieden aufatme. Ich werde zuerst nach Konstantinopel und dann nach Rom gehen. Sobald ich mit dem Schwurgerichtshof fertig bin und die Angelegenheit mit dem Advokaten geregelt habe, werde ich abreisen.«

Wieder erstand vor ihm das Bild der Gefangenen mit ihren schwarzen, etwas schielenden Augen. Wie sie bei den letzten Worten, die sie gesprochen, geweint hatte! Mit heftiger Bewegung warf Nechludoff die Cigarette fort, die er sich eben angezündet hatte, steckte sich eine andere an, und begann im Salon auf- und abzugehen. Wieder sah er die Minuten vor sich, die er mit Katuscha verlebt; er sah die Szene in dem kleinen Zimmer, die sinnliche Leidenschaft, die ihn fortgerissen und die Enttäuschung, die er empfunden, als seine Begierde befriedigt war. Wieder sah er das weiße Kleid und die rote Schleife vor sich, und wieder durchlebte er die heilige Messe.

»Ja, ich habe sie geliebt, sie habe ich wahrhaft rein und schön in jener Nacht geliebt, und auch vor jener Nacht habe ich sie schon geliebt. Wie liebte ich sie, als ich bei meinen Tanten wohnte und an meiner Dissertation schrieb.«

Nechludoff sah sich wieder, wie er einst gewesen war. Er fühlte sich von einem Duft von Frische, Jugend und Lebensfreude durchdrungen und die Traurigkeit, die ihn jetzt niederdrückte, wurde dadurch noch vermehrt.

Wie sollte er sich von seinem Verhältnis mit Maria Wassiljewna befreien, wie sollte er dem Manne dieser Frau und ihren Kindern von neuem ins Auge blicken, wie sollte er seine Beziehungen zu Missy abbrechen, wie den Widerspruch lösen, der zwischen der Thatsache lag, die Ungerechtigkeit des Grundeigentums ausgesprochen und doch eine Besitzung ausgebeutet zu haben, deren Einnahmen zum Leben er dringend brauchte? Wie sollte er die gegen Katuscha begangene Schuld tilgen? Trotzdem konnten die Dinge nicht so bleiben, wie sie waren.

»Ich kann doch,« sagte sich Nechludoff, »eine Frau nicht im Stich lassen, die ich geliebt habe, und mich darauf beschränken, einen Advokaten zu bezahlen, der sie der Zwangsarbeit entreißen soll, die sie übrigens gar nicht verdient hat. Meine Schuld mit Geld zu tilgen, heißt dieselbe Schuld, die ich begangen, als ich Katuscha mit einem Hundertrubelschein abfinden wollte, auf’s neue wiederholen.«

Wieder sah er die Minute vor sich, als er im Hausflur seiner Tanten Katuscha das Geld in die Hand gesteckt hatte und entflohen war.

»Ach, dieses Geld!« sagte er sich mit demselben Gemisch vor Schreck und Scham, das er während jener Minute empfunden. »Eine Frau lieben, sich ihre Liebe zu erobern, sie verführen und ihr einen Hundertrubelschein dazulassen! Aber das ist ja das Werk eines Elenden, und dieser Elende bin ich gewesen! Ist es denn möglich, bin ich wirklich solch ein Elender?«

»Gewiß,« antwortete ihm eine Stimme in seinem Innern, »dein Verhältnis mit Marie Wassiljewna, deine Freundschaft mit ihrem Gatten, ist das alles nicht das Werk eines Elenden?«

»Und dein Verhalten bei der Erbschaft deiner Mutter, die Art, wie du aus einem Vermögen Nutzen ziehst, das du selbst für unmoralisch erklärt hast? Dieses ganze unnütze und unsaubere Leben? und vor allem dein Benehmen gegen Katuscha? Jawohl, du bist ein Elender! Wie die andern dich beurteilen, thut nichts zur Sache, du kannst die andern betrügen, aber nicht dich selbst.«

Jetzt begriff Nechludoff, daß er die Abneigung, die er seit einiger Zeit und ganz besonders an diesem Abend gegen die Menschen, gegen den alten Fürsten, gegen Sophie Wassiljewna, gegen Missy, ihre Gouvernante und ihren Diener empfand, in Wirklichkeit nur gegen sich selbst empfand. Und seltsamerweise hatte das Geständnis seiner Niedrigkeit, so peinlich es ihm auch war, doch etwas Beruhigendes und Tröstendes für ihn!

Schon mehrmals hatte er in seinem Leben eine solche »Gewissensreinigung«, wie er es nannte, vorgenommen. So nannte er nämlich die moralischen Krisen, bei welchen er gleichsam eine Verlangsamung und manchmal sogar einen Stillstand des inneren Lebens fühlte und sich entschloß, den Schmutz zu entfernen, der sich in seiner Seele angesammelt hatte.

Wenn er diese Krisen überstanden, ermangelte Nechludoff niemals, sich Lebensregeln vorzuschreiben, die zu befolgen er sich dann vornahm. Er führte ein Tagebuch und »schlug«, wie er sich selbst ausdrückte, »eine Seite um.« Doch jedesmal hatte er sich in dem Verkehr mit der Welt fortreißen lassen, und war unwillkürlich wieder auf denselben Punkt oder noch tiefer, als vor der seelischen Krisis, zurückgesunken.

Zum erstenmal hatte er eine solche »Reinigung« in dem Sommer vorgenommen, als er seine Ferien bei seinen Tanten verlebt. Die Krisis, eine Krisis jugendlicher Erregung, war damals sehr stark gewesen, und die Folgen hatten ziemlich lange angedauert. Die zweite Krisis hatte stattgefunden, als er vor dem Kriege gegen die Türken sein Leben hatte opfern wollen und sich nach dem Kriegsschauplatz hatte schicken lassen. Diesmal aber waren die Folgen der Krisis schnell verschwunden. Die dritte Krisis hatte schließlich stattgefunden, als er die Armee verlassen, um sich ganz und gar der Malerei zu widmen.

Nie hatte er sein Gewissen seitdem »gereinigt«, und daher kam es, daß der Unterschied zwischen dem, was ihm sein Gewissen befahl und dem Leben, das er führte, noch nie so groß gewesen war. Er fühlte das und war entsetzt darüber. Der Abgrund war so tief, daß es ihm zuerst unmöglich erschien, ihn zu überbrücken.

»Du hast schon öfter als einmal dich zu bessern versucht, und es ist dir nicht gelungen!« sprach eine geheime Stimme in ihm. »Wozu einen neuen Versuch machen? Und außerdem stehst du in dem Falle nicht allein da, ein jeder ist so wie du!«

Doch das moralische, freie, thätige, lebendige Wesen, das einzige, wahre Wesen, das in jedem von uns lebt, hatte sich in diesem Augenblick in ihm enthüllt. Er hörte es, er mußte es hören und daran glauben. So ungeheuer auch der Unterschied zwischen dem war, was er war und was er hatte werden wollen, dieses innere Wesen erklärte ihm, daß alles noch möglich war.

»Ich werde die Bande der Lüge brechen, in die ich verstrickt bin, so schwer es mir auch fallen mag, ich werde alles gestehen und die Wahrheit sagen und danach handeln,« beschloß er. »Ich werde Missy die Wahrheit sagen, werde ihr sagen, daß ich ein Wüstling bin, daß ich mich nicht mit ihr verheiraten kann und sie um Verzeihung bitten, daß ich störend in ihr Leben getreten bin! Ich werde Maria Wassiljewna sagen… Oder nein, ich werde ihr nichts sagen, aber ihrem Mann werde ich sagen, daß ich ein Elender bin, der seiner Freundschaft unwürdig ist. Und auch Katuscha werde ich sagen, daß ich ein Elender bin und gegen sie gesündigt habe. Ich werde alles thun, um ihr Schicksal zu mildern, ich werde sie wiedersehen, und sie um Verzeihung bitten, wie es die Kinder thun…«

Er hielt einen Augenblick inne und fuhr fort: »Und wenn es sein muß, werde ich sie heiraten!«

Er hielt von neuem inne. Seine innere Aufregung wuchs von Minute zu Minute. Plötzlich faltete er die Hände, wie er es in seiner Kindheit that, erhob die Augen und sprach:

»Herr, mein Gott, komm du mir zu Hilfe, erleuchte mich und dringe in mich ein, um mich zu reinigen!«

Nechludoff betete. Er bat Gott, ihn zu erleuchten, und doch hatte sich das Wunder, um das er in seinem Gebete flehte, schon vollzogen. Gott, der in ihm lebte, hatte wieder von seinem Gewissen Besitz ergriffen, und Nechludoff fühlte nicht nur die Freiheit, die Güte, die Freude des Lebens; er fühlte auch, daß sich noch alles zum Guten wenden konnte. Er fühlte sich im stande, alles Gute zu vollbringen, was nur ein Mensch zu vollbringen vermag.

Und Thränen traten in seine Augen; gleichzeitig gute und böse Thränen, gute, weil es Thränen der Güte waren, die das Erwachen dieses inneren Wesens hervorgerufen, das Jahre hindurch in ihm geschlummert hatte; doch auch böse Thränen, weil es Thränen des Stolzes und der Bewunderung für sich selbst und seine Seelengröße waren.

Er erstickte, trat zum Fenster und öffnete es. Das Fenster ging auf den Garten hinaus, und die Luft war frisch, klar und still. Ein Geräusch von Rädern hallte in der Ferne wieder, dann ward wieder alles still. Unter dem Fenster zeichnete sich der Schatten einer großen, kahlen Pappel auf dem Sande der Allee und dem Rasen ab. Links erschien das Dach der Scheune, das im Mondschein ganz weiß aussah, Nechludoff betrachtete den von sanftem Silberlicht überfluteten Garten, die Scheune und den Schatten der Pappel und sog die belebende Nachtluft ein.

»Wie schön ist es, mein Gott, wie schön!« sagte er.

Am schönsten aber war es in seiner Seele!

Achtes Kapitel

Die Maslow wurde erst gegen sechs Uhr in das Gefängnis zurückgeführt. Sie fühlte sich vollkommen erschöpft. Die unvorhergesehene Strenge des über sie gefällten Urteils hatte sie gleichsam niedergeschmettert; und der lange Weg durch die schlechtgepflasterten Straßen hatte sie vollends betäubt.

Dann fiel sie auch vor Hunger um. In einer der Pausen während der Verhandlung hatten ihre Wärter Brot und harte Eier gegessen; das Wasser war ihr im Munde zusammengelaufen und sie hatten bemerkt, daß sie Hunger hatte; doch aus Schamgefühl hatte sie die Wärter um nichts bitten wollen. Die Verhandlung hatte wieder begonnen und noch über drei Stunden gedauert, so daß die Maslow schließlich vor Ermüdung und Abspannung keinen Hunger mehr spürte. In diesem Zustande hatte sie die Verlesung des Urteils angehört.

Zuerst glaubte sie, sie träume, und hatte sich von der Zwangsarbeit nicht gleich eine Vorstellung machen können. Es erschien ihr wie ein böser Traum, aus dem sie im nächsten Augenblick erwachen mußte. Doch an der ganz natürlichen Art, wie Bekannte, Advokaten, Zeugen und der der ganze Saal die Verlesung ihrer Verurteilung aufgenommen, hatte sie bald gemerkt, daß es wahr war. Nun hatte sie eine Anwandlung von Leidenschaft ergriffen, und sie hatte aus Leibeskräften geschrieen, sie wäre unschuldig. Dann hatte sie gesehen, daß man auch ihren Schrei als etwas Natürliches, vorher Erwartetes aufgenommen, das ihre Lage zu verändern außer stande sei. Sie war in Thränen ausgebrochen und hatte sich jetzt vollständig gefügt, die seltsame und grausame Ungerechtigkeit, die ihr ihr Unglück eingebracht, bis zu Ende zu ertragen.

Eins wunderte sie ganz besonders: daß ein so hartes Urteil von Männern über sie gefällt werden konnte; – von Männern in der Blüte der Jahre, nicht von Greisen; von Männern, die sie während der ganzen Prozeßdauer mit wohlgefälligen Augen angeblickt. Denn mit Ausnahme des Staatsanwalts, dessen Blicke ihr die ganze Zeit über bösartig erschienen waren, hatte sie auch nicht einen ohne Vergnügen angesehen. Und diese Männer, die ihr liebenswürdige Blicke zugeworfen, verurteilten sie jetzt zur Zwangsarbeit, obwohl sie an dem Verbrechen, dessen man sie beschuldigte, unschuldig war! Sie hatte bitterlich geweint, doch schließlich hatten ihre Thränen aufgehört, und als man sie nach der Verhandlung in eine Zelle des Gerichtsgebäudes eingesperrt, bevor sie in das Gefängnis zurückgebracht wurde, hatte sie nur noch an zweierlei gedacht: an Trinken und Rauchen.

Sie war schon einige Zeit in der Zelle allein, als der mit ihrer Aufsicht betraute Gendarm die Thür öffnete und ihr drei Rubel übergab.

»Da, nimm! Eine Dame schickt dir das!«

»Was für eine Dame?«

»Na, nimm! Ich habe mich nicht mit dir zu unterhalten!«

Das Geld schickte der Maslow Frau Kitajeff, ihre Wirtin, die den Nuntius beim Verlassen des Gerichtssaales gefragt hatte, ob sie der Verurteilten etwas Geld geben dürfe. Auf die bejahende Antwort des Nuntius zog sie vorsichtig den dreiknöpfigen Handschuh von ihrer linken Hand, nahm aus der Hintertasche ihres seidenen Rockes eine mit Scheinen und Kleingeld gefüllte Börse, und übergab dem Nuntius einen zwei und einen halben Rubelschein, zusammen mit fünfzig Kopeken Kupfergeld, die dieser Nuntius vor ihren Augen dem Gensdarm einhändigte.

»Geben Sie ihr aber alles, und zwar gleich,« hatte Frau Kitajeff hinzugefügt.

Der Gensdarm hatte sich über diese Bemerkung geärgert, daher seine schlechte Laune gegen die Maslow.

Diese war aber trotzdem beim Anblick des Geldes hocherfreut, denn jetzt konnte sie wenigstens ihren doppelten Wunsch erfüllen.

»Wenn ich mir nur schnell Schnaps und Zigaretten verschaffen kann!« sagte sie sich, und alle ihre Sorgen hatten sich auf diesen einzigen Wunsch beschränkt. Sie hatte so großes Verlangen, Schnaps zu trinken, daß ihr schon bei dem Gedanken ans Trinken das Wasser im Munde zusammenlief, und freudig sog sie den Duft des Tabaks ein, der in Rauchwolken in ihre Zelle drang.

Trotzdem mußte sie noch lange auf die Erfüllung ihres Wunsches warten. Der Aktuar, der sie ins Gefängnis zurückbringen lassen sollte, hatte sie thatsächlich vergessen und sich in einem Gespräch über Politik mit dem dicken Richter und dem Verteidiger verspätet.

Schließlich aber gegen fünf Uhr hatte man sie, nachdem man Kartymkin und die Botschkoff fortgebracht, abgeholt, um sie den beiden Soldaten zu übergeben, die sie am Morgen hergebracht. Als sie dann das Justizgebäude verließ, hatte sie gleich einem der Soldaten die fünfzig Kopeken gegeben und ihn gebeten, ihr Zigaretten, zwei kleine Brote und eine halbe Flasche zu kaufen.

Der Soldat hatte zu lachen angefangen und gesagt: »Na, du leistest dir aber was Ordentliches!« Thatsächlich hatte er die Zigaretten und die kleinen Brötchen gekauft, doch den Schnaps wollte er ihr nicht kaufen. Die Maslow aß eins der Brote auf dem Wege, doch dadurch war sie nur noch hungriger geworden.

Erst nach Sonnenuntergang war sie ins Gefängnis gekommen, und auch da hatte sie noch lange im Flur warten müssen, weil in demselben Augenblick Wärter einen Zug von hundert Gefangenen anbrachten, der aus einer Nachbarstadt hierher überführt worden war.

Es waren darunter rasierte Männer und solche mit langen Bärten, alte und junge Russen und Ausländer. Einigen war der halbe Kopf geschoren, und sie trugen Eisen an den Füßen. Alle aber hatten die Maslow, als sie an ihr vorüberkamen, mit lüsternen Augen angesehen, und mehrere hatten ihr mit begehrlich flammendem Gesicht zugelächelt, waren an sie herangetreten und hatten sie in die Taille gekniffen.

»He, he, he! ein hübsches Mädel! Das ist sicherlich ’ne Moskauer Pflanze!« hatte der eine gesagt.

»Mein Fräulein, alle Hochachtung!« meinte ein anderer augenblinzelnd.

Einer, dessen Vorderkopf rasiert war und der einen ungeheuren Schnurrbart trug, hatte die Vertraulichkeit so weit getrieben, daß er sie umarmte.

»Na, na, ziere dich nur nicht so!« hatte er gesagt, als sie ihn zurückstieß.

»Heda, du Schwein, was thust du da?« rief ein Aufseher, der plötzlich aus dem Gefängnisbureau kam.

Der Sträfling trat, am ganzen Leibe zitternd, sofort zurück, und nun wandte sich der Aufseher zur Maslow:

»Und was hast du hier zu suchen?«

Die Maslow wollte antworten, sie käme aus dem Schwurgerichtssaale; doch sie war so abgespannt, daß sie nicht einmal die Kraft zum Sprechen hatte.

»Sie kommt vom Gericht her, Herr Aufseher,« antwortete einer der Soldaten, indem er die Hand an die Mütze legte.

»Dann führen Sie sie dem Oberaufseher vor! aber schleunigst!«

Der Oberaufseher übernahm die Gefangene, rüttelte sie am Arm, um sie aufzuwecken, und führte sie huldvollst selbst durch die langen Gänge zu dem Saal, den sie am Morgen verlassen hatte.

Dieser Saal war ein großes, neun Arschin langes und sieben Arschin breites Zimmer mit zwei Fenstern; es war nur mit einem alten, vollständig verfallenen Ofen und zwanzig aus schlecht zusammengefügten Brettern hergestellten Betten ausgestattet, die zwei Drittel des Raumes einnahmen. An der Wand hing der Thür gegenüber ein altes, mit einer Schmutzkruste überzogenes Heiligenbild, vor welchem eine Kerze brannte und unter dem ein Immortellenkranz hing. Hinter der Thür links stand ein großer Nachteimer.

Man hatte eben die Abendmusterung vorgenommen und die Gefangenen für die Nacht eingeschlossen.

Der Saal wurde von fünfzehn Personen bewohnt: zwölf Frauen und drei Kindern.

Es war noch hell, und nur zwei Frauen lagen im Bette. Die eine, welche schlief und den Kopf mit einem Mantel bedeckt hatte, war eine wegen Landstreicherei eingesperrte Wirtin, die den ganzen Tag schlief. Die andere, die wegen Diebstahls verurteilt worden, war schwindsüchtig. Sie schlief nicht, blieb aber mit weit aufgerissenen Augen und den Kopf auf ihren zum Kopfkissen gefalteten Mantel gebettet, liegen. Um nicht zu husten, hielt sie mühsam in ihrer Kehle den Speichel zurück, der über ihre Lippen sickerte.

Von den anderen Frauen, von denen die Mehrzahl nur in grobe Leinenhemden gekleidet war, standen sieben, in zwei Gruppen geteilt, an den Fenstern und sahen dem Vorbeimarsch der Gefangenen im Hofe zu. An einem Fenster stand in einer Gruppe von drei Personen die Alte, die mit der Maslow am Morgen durch das Guckfenster in der Thür gesprochen hatte. Man nannte sie die Korablewa. Das war ein Geschöpf mit brummiger Miene, dichten, zusammengewachsenen Augenbrauen, Hautfalten, die unter dem Kinn herabhingen, spärlichen, an den Schläfen ins Graue schimmernden Haaren und einer ganz mit Haaren bewachsenen Warze auf der Wange, außerdem war sie groß, stark und kräftig gebaut. Dieses Weib war zu Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil sie ihren Mann ermordet, den sie eines Tages bei der Vergewaltigung seiner Tochter betroffen. Sie war die Aelteste in dem Saale und hatte das Vorrecht, Schnaps zu verkaufen. In diesem Moment nähte sie am Fenster, indem sie die Nadel nach bäurischer Art mit drei Fingern ihrer starken, schwarzen Hand hielt.

Neben ihr saß, ebenfalls mit Nähen beschäftigt, ein kleines, schwarzes Weib mit einer Stumpfnase und kleinen, schwarzen, unstät umherschweifenden Augen. Das war eine Eisenbahnwärterin, die man zu drei Monaten Gefängnis verurteilt hatte, weil sie in einer Nacht ihre Fahne nicht herausgesteckt und dadurch einen Unfall verursacht hatte.

Das dritte Weib war die Fedosja oder Fenitschka, wie ihre Gefährtinnen sie nannten, ein ganz junges, rosiges und weißes Geschöpf mit hellen Kinderaugen und zwei langen blonden Flechten, die sie um ihren kleinen Kopf gewickelt trug. Sie saß im Gefängnis, weil sie versucht hatte, ihren Mann zu vergiften. Sie hatte das thatsächlich am Hochzeitsabende versucht, ohne recht zu wissen, warum. Sie zählte damals sechzehn Jahre, und der Mann, mit dem man sie verheiratet hatte, war ihr verhaßt. Doch in den acht Monaten, die ihrer Verurteilung vorangegangen waren, hatte sie sich nicht allein mit ihrem Manne ausgesöhnt, sondern sich sogar schließlich in ihn verliebt, so daß sie ihm zur Zeit ihrer Verurteilung mit Leib und Seele angehörte, was das Gericht jedoch nicht hinderte, sie trotz der Bitten ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern, die während dieser acht Monate eine aufrichtige Zärtlichkeit zu ihr gefaßt hatten, schuldig zu sprechen. Gut, heiter und stets zu lächeln bereit, war diese Fedosja die Bettnachbarin der Maslow, hatte sich bald an sie angeschlossen und überschüttete sie mit Rücksichten und Aufmerksamkeiten.

Zwei andere Weiber saßen nicht weit davon auf einem Bett. Die eine, die etwa vierzig Jahre zählte, war mager und blaß, zeigte aber immer noch einige Spuren früherer Schönheit. Sie hielt in ihren Armen ein kleines Kind, dem sie die Brust gab. Es war eine Bäuerin, die wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt ins Gefängnis gebracht worden war. Eines Tages war die Polizei in ihr Dorf gekommen, um einen ihrer Neffen auszuheben und zum Regiment zu überführen. Die Bauern, die diese Maßregel für ungesetzlich hielten, hatten sich des Stanowojs bemächtigt und den jungen Mann befreit, und dieses Weib war zuerst dem Pferde, auf das man ihren Neffen gesetzt, in die Zügel gefallen. Das andere Weib, das neben ihr saß, war eine alte Bucklige, die schon graue Haare hatte. Sie spielte Haschen mit einem dicken Jungen von vier Jahren, einem rosigen, bausbäckigen Burschen, der unter lautem Lachen um sie herumlief und fortwährend wiederholte: »Kiß, Kiß, du kriegst mich doch nicht!«

Dieses alte Weib war der Beihilfe bei einem Brande schuldig befunden worden, den ihr Sohn angelegt hatte. Sie ertrug ihre Einkerkerung mit größter Ergebung, und beunruhigte sich nur um ihren Sohn und vor allem um ihren Mann, der in ihrer Abwesenheit niemand hatte, der ihn säubern und ihm die Läuse abfangen konnte.

Vier andere Frauen standen an dem zweiten Fenster und lehnten den Kopf an die Eisenstäbe; sie sprachen mit den über den Hof ziehenden Gefangenen, denselben, denen die Maslow kurz vorher im Eingangsflur des Gefängnisses begegnet war. Eins dieser Weiber, das wegen Diebstahls verurteilt worden, war eine große Rothaarige mit welkem Körper, mit gelbem, ganz mit Sommersprossen übersäetem Gesicht. Mit heiserer Stimme schrie sie durch das Fenster allerlei gemeine Worte. Neben ihr stand eine kleine brünette Frau, die mit ihrer langen Taille und ihren kurzen Beinen wie ein Mädchen von zehn Jahren aussah. Ihr Gesicht war rot und voller Flecken, mit großen, schwarzen Augen und dicken, aufgestülpten Lippen, die eine Reihe hervorstehender weißer Zähne zeigten. Sie lachte kreischend, während sie auf die Reden hörte, die ihre Nachbarin mit den Gefangenen im Hofe wechselte. Wegen ihrer auffallenden Häßlichkeit nannte man sie die Schönheit. Hinter ihr stand ein anderes Weib, eine magere, knochige Gestalt von jammervollem Aussehen, eine Unglückliche, die wegen Hehlerei verurteilt worden war; sie sprach kein Wort, sondern beschränkte sich nur manchmal darauf, mit zustimmender Miene zu den Gemeinheiten zu lächeln, die sie mitanhörte. Es war da noch eine vierte Gefangene, die wegen unerlaubten Branntweinverkaufs verurteilt worden war. Das war die Mutter des kleinen Jungen, der mit der Buckligen spielte, und außerdem gehörte ihr noch ein kleines Mädchen von sieben Jahren, die man, da man nicht wußte, wem man sie anvertrauen sollte, bei der Mutter im Gefängnis belassen hatte. Das kleine Mädchen stand bei ihrer Mutter und lauschte eifrig den gemeinen Reden, die aus dem Fenster gerufen wurden. Sie war zart und fein und hatte reizende blaue Augen und zwei fast weiße Haarflechten, die ihr auf den Rücken fielen.

Die zwölfte Gefangene war die Tochter eines Kirchendieners, die ihr neugeborenes Kind in einem Brunnen ertränkt hatte. Sie war ein großes, starkes blondes Mädchen mit wirren Haaren und starrblickenden, runden Augen. Sie ging fortwährend in dem freien Raum zwischen den beiden Betten auf und ab, sah niemand, sprach mit niemand, und stieß nur jedesmal, wenn sie an die Wand kam und sich umdrehen mußte, ein unartikuliertes Knurren aus.

Als die Thür sich öffnete und die Maslow erschien, unterbrach die Kirchendienerstochter ihren Spaziergang einen Augenblick, runzelte die Stirn und betrachtete die »Neue«; dann ging sie wieder, ohne etwas zu sagen, mit ihrem festen Schritte auf und ab. Die Korablewa stach ihre Nadel in den Sack, an dem sie nähte, betrachtete die Maslow durch ihre Brille und rief mit fragender Miene im Baßtone:

»Da ist sie ja! Sie ist wieder da! Und ich glaubte, man würde sie freisprechen!«

Sie nahm ihre Brille ab und legte sie mit ihrer Arbeit auf ihr Bett.

»Und ich sagte eben noch zu der kleinen Tante, man würde sie vielleicht gleich freilassen! So was kommt doch vor! Manchmal geben sie einem sogar Geld!« – fuhr die Eisenbahnwärterin mit singender Stimme fort.

»Sie haben dich also verurteilt?« fragte Fenitschka, und richtete ihre klaren, kindlichen Augen schüchtern auf die Maslow. Dabei verdüsterte sich ihr jugendlich heiteres Gesicht, als wenn sie weinen wollte.

Die Maslow gab keine Antwort. Sie ging auf ihr Bett zu, das neben dem der Korablewa stand und setzte sich.

»Das hätte ich nie erwartet!« sagte Fenitschka und setzte sich neben sie.

Zweites Kapitel

Die Geschichte der Maslow war höchst alltäglich.

Sie war das natürliche Kind einer Bäuerin, die ihrer Mutter in einem Schlosse beim Viehhüten half. Die Bäuerin, die nicht verheiratet war, brachte jedes Jahr ein Kind zur Welt; und wie es in solchem Falle oft passiert, wurden die Kinder sofort nach der Geburt getauft; ihre Mutter nährte sie nicht, weil sie unerwünscht zur Welt gekommen war und ihr bei ihrer Arbeit nur lästig fielen; deshalb starben die armen Kleinen auch bald vor Hunger.

Fünf Kinder waren schon auf diese Weise dahingegangen. Alle waren gleich nach der Geburt getauft worden, die Mutter nährte sie nicht, und sie waren gestorben. Das sechste Kind, das von einem herumziehenden Zigeuner stammte, war ein Mädchen; deshalb wäre ihr aber doch dasselbe Schicksal, wie den fünf ältesten, beschieden gewesen, hätte es der Zufall nicht gefügt, daß eine der beiden alten Damen, denen das Schloß gehörte, einen Augenblick in den Kuhstall trat, um ihre Mägde wegen der Sahne, die nach der Kuh schmeckte, auszuschelten. Im Kuhstall lag die Wöchnerin an der Erde und neben ihr ein schönes, lebensfähiges, gesundes Kind. Die alte Dame schalt die Mägde, weil sie die Sahne so schlecht zubereitet und eine Wöchnerin in den Kuhstall gelassen hatten; als sie aber das Kind bemerkte, ward sie milder und erbot sich sogar, Patenstelle zu vertreten. Dann empfand sie Mitleid mit dem kleinen Mädchen, ließ der Mutter Milch und etwas Geld verabreichen, damit sie es nähren sollte, und so blieb das Kind am Leben. Daher nannten sie die beiden alten Damen auch »die Gerettete«.

Das Kind war drei Jahre alt, als seine Mutter krank wurde und starb, und da die alte Großmutter nichts mit ihm anzufangen wußte, so nahmen es die beiden alten Damen zu sich ins Schloß. Es war mit seinen großen schwarzen Augen ein außergewöhnlich lebhaftes und niedliches Kind; und die beiden Alten hatten Wohlgefallen an ihm. Die jüngere der beiden, die auch die nachsichtigere war, hieß Sophie Iwanowna; das war des Kindes Pate. Die ältere, Marie Iwanowna, hatte mehr Anlage zu Strenge. Sophie Iwanowna putzte die Kleine, brachte ihr das Lesen bei und dachte, eine Gouvernante aus ihr zu machen. Marie Iwanowna dagegen wollte eine Magd, eine hübsche Kammerzofe aus ihr machen; infolgedessen war sie anspruchsvoller, gab dem Kinde Befehle und schlug es manchmal, wenn sie schlechter Laune war. So wuchs die Kleine unter der Einwirkung dieses Doppeleinflusses auf und wurde halb eine Kammerzofe, halb ein Fräulein. Selbst der Name, den man ihr gab, paßte zu diesem Zwitterzustand; man nannte sie weder Katja, noch Katenka, sondern Katuscha. Sie nähte, brachte die Stuben in Ordnung, reinigte die Heiligenbilder mit Kreide, servierte ben Kaffee, wusch die seine Wäsche und durfte ihren Gebieterinnen manchmal Gesellschaft leisten und vorlesen.

Man hatte wiederholt um sie angehalten, doch sie hatte stets Körbe ausgeteilt; verhätschelt, wie sie von dem ruhigen Schloßleben war, fühlte sie, es würde ihr schwer fallen, mit einem Arbeiter oder einem Diener zu leben.

So hatte sie bis zu ihrem siebzehnten Jahr gelebt. Sie trat in ihr neunzehntes, als ein Neffe der beiden Damen ins Schloß kam, der schon vorher einen ganzen Sommer bei seinen Tanten zu gebracht. In ihn hatte sich das junge Mädchen wahnsinnig verliebt. Er war Offizier und wollte sich ein paar Tage ausruhen, bevor er mit seinem Regiment in den Krieg gegen die Türken zog. Am dritten Tage, am Abend vor seinem Fortgange verführte er Katuscha, und zog am nächsten Morgen fort, nachdem er ihr einen Hundertrubelschein zugesteckt.

Seit diesem Augenblick wurde ihr alles lästig; sie dachte nur noch daran, wie sie der Schande, die sie erwartete, entgehen konnte; selbst ihre Gebieterinnen bediente sie nachlässig und widerwillig. Die beiden alten Damen bemerkten ihren Zustand bald. Maria Iwanowna schalt sie ein-, zweimal aus; doch schließlich sahen sie sich, wie sie selbst sagten, gezwungen, »sich von ihr zu trennen,« d. h, sie warfen sie hinaus. Als sie sie verließ, trat sie als Mädchen für alles bei einem Stanowoj 1 in Dienst; doch hier konnte sie nur drei Monate bleiben, denn der Stanowoj, ein alter Mann von über 60 Jahren, begann ihr schon im zweiten Monat den Hof zu machen. Eines Tages, als er sich ganz besonders zudringlich zeigte, nannte sie ihn ein Vieh und einen alten Teufel, und wurde deshalb wegen Frechheit entlassen. Eine andere Stellung zu suchen, daran konnte sie nicht denken, deshalb ging sie in Pension zu einer ihrer Tanten, einer Witwe, die eine Kneipe hatte und außerdem Hebamme war. Ihre Entbindung ging leicht und glücklich von statten. Doch die Hebamme, die ins Dorf zu einer kranken Bäuerin gegangen war, steckte Katuscha mit dem Kindbettfieber an. Das Kind, ein kleiner Junge, wurde ebenfalls krank und in ein Krankenhaus gebracht, starb aber dort gleich unter den Augen der Frau, die ihn hingebracht hatte.

Katuschas ganzes Vermögen bestand in 127 Rubeln; 27, die sie sich verdient, und den 100 Rubeln, die ihr ihr Verführer gegeben hatte. Als sie von der Hebamme kam, blieben ihr sechs Rubel. Die Hebamme hatte ihr für ihre Pension auf zwei Monate 40 Rubel abgenommen; 28 Rubel hatte man für die Aufnahme des Kindes ins Hospital bezahlt; 40 Rubel hatte ihr die Hebamme noch als Darlehen abgenommen, um sich eine Kuh zu kaufen; was den Rest von 20 Rubel betraf, so hatte sie Katuscha, – sie wußte selbst nicht wie – in unnützen Einkäufen und Geschenken ausgegeben, so daß sie bei ihrer Genesung ohne Geld dastand und sich eine Stelle suchen mußte. Sie trat bei einem Forsthüter ein. Dieser Forsthüter war verheiratet; doch schon am ersten Tage begann er wie der Stanowoj der jungen Magd den Hof zu machen. Seine Frau bemerkte das bald, und als sie ihn eines Tages allein mit Katuscha in einem Zimmer traf, schlug sie ihr das Gesicht blutig und schickte sie fort, ohne ihr auch nur ihren Lohn zu bezahlen. Katuscha begab sich nun in die Stadt zu einer Base, deren Mann Buchbinder war; derselbe hatte früher gut dagestanden, aber er hatte seine Kundschaft verloren, war ein Trunkenbold geworden und gab alles Geld, das ihm in die Hände fiel, in der Kneipe aus. Seine Frau hatte eine kleine Plätterei, mit deren winzigem Verdienst sie ihre Kinder ernährte und ihren Trunkenbold von Mann erhielt. Sie machte Katuscha den Vorschlag, ihr Handwerk zu lernen. Doch als das junge Mädchen sah, welch‘ anstrengendes Leben die Wäscherinnen führten, die bei ihrer Base arbeiteten, zögerte sie und wandte sich wegen einer Stellung als Dienstmädchen an ein Vermietungsbureau. Sie fand thatsächlich eine Stellung bei einer verwitweten Dame, die mit ihren beiden Söhnen zusammen lebte. Noch ungefähr eine Woche, nachdem sie in dieses Haus eingetreten war, vernachlässigte der älteste Sohn, ein Gymnasiast der sechsten Klasse, der schon einen Anflug von Schnurrbart hatte, seine Studien, um ihr den Hof zu machen. Die Mutter schob alle Schuld auf das hübsche Dienstmädchen und entließ sie.

Es bot sich keine neue Stellung, und als Katuscha eines Tages ins Vermittlungsbureau kam, traf sie dort eine Dame, deren Hände mit Ringen und Armbändern überladen waren. Als diese Dame die Lage der jungen Person erfuhr, gab sie ihr ihre Adresse und forderte sie auf, sie zu besuchen. Die Maslow ging zu ihr. Die Dame empfing sie sehr liebenswürdig, regalierte sie mit Kuchen und süßem Wein und hielt sie bis zum Abend fest. Abends sah Katuscha einen großen Mann mit grauem Bart und langen grauen Haaren ins Zimmer treten, der sich sogleich zu ihr setzte und mit leuchtenden Augen und lächelnden Lippen sie zu examinieren und mit ihr zu scherzen begann. Die Dame nahm ihn im Nebenzimmer einen Augenblick beiseite, dann rief sie sie selber, und sagte ihr, der alte Herr wäre ein Schriftsteller, er hätte viel Geld, und würde ihr alles geben, was sie wollte, wenn sie ihm nur zu gefallen verstünde. Sie gefiel ihm thatsächlich, und der Schriftsteller gab ihr 25 Rubel und versprach, sie oft zu besuchen. Dieses Geld wurde übrigens schnell ausgegeben; Katuscha gab einen Teil ihrer Base als Bezahlung für ihre Pension; für den Rest kaufte sie sich ein Kleid, einen Hut und Bänder. Einige Tage darauf bestimmte ihr der Schriftsteller von neuem ein Rendezvous, zu dem sie auch kam; er gab ihr wieder 25 Rubel und veranlaßte sie, sich einzumieten. In dem Zimmer, das der Schriftsteller für sie genommen, machte die Maslow die Bekanntschaft eines Ladenkommis, eines lustigen Burschen, der in demselben Hofe wohnte. Sie verliebte sich in ihn, und gestand die Sache dem Schriftsteller, der sie sofort verließ; auch der Kommis, der ihr erst die Ehe versprochen, verließ sie bald. Die junge Person hätte gern weiter möbliert gewohnt, doch das wurde ihr nicht gestattet, und so kehrte sie denn zu ihrer Base zurück. Als diese sie in einem modernen Kleide, mit einem schönen Hut und einem Pelzmantel erblickte, empfing sie sie ehrfurchtsvoll und wagte gar nicht mehr, ihr vorzuschlagen, in ihre Plätterei einzutreten, sie glaubte, sie gehöre jetzt einer höheren Gesellschaftsklasse an. Was die Maslow übrigens selber betraf, so konnte für sie nicht mehr die Rede davon sein, in eine Plättanstalt einzutreten. Sie ging höchstens darauf ein, sich vorläufig in dem Zimmer ihrer Base aufzuhalten, und betrachtete mit verachtungsvollem Mitleid das Zuchthausleben, das die Wäscherinnen führten, die da bei dreißig Grad Wärme, bei Winter wie Sommer geöffneten Fenstern bis zur Erschöpfung rieben und plätteten.

Die Maslow hatte sich schon lange Zeit das Rauchen angewöhnt, und in der letzten Zeit ihrer Beziehungen zu dem Kommis hatte sie immer mehr zu trinken angefangen, Der Wein übte seine Anziehungskraft auf sie aus, nicht allein, weil er ihr angenehm schmeckte, sondern vor allem auch, weil er ihr eine Ablenkung bot, und die Stimme des Gewissens zum Schweigen brachte; denn nüchtern langweilte sie sich und schämte sich oft. Die Maslow hatte die Wahl zwischen einer demütigenden Dienstbotenstellung, in der sie aller Wahrscheinlichkeit nach die Nachstellungen der Männer zu erdulden hatte, und einer sicheren, ruhigen, vom Gesetz sogar geschützten Position.

Sie wählte das letztere, und hatte außerdem noch die Empfindung, sie räche sich auf diese Weise an dem Fürsten, der sie verführt, dem Kommis und allen Männern, über die sie sich zu beklagen hatte. Vor allem aber lockte sie – und das trug hauptsächlich zu ihrem Entschlusse bei – der Gedanke, daß sie sich von jetzt ab alle Kleider bestellen konnte, die ihr gefielen, aus Samt, Faille und Seide, wie auch Ballkleider, die Schultern und Arme frei ließen. Als sich die Maslow in Gedanken in einem dekolletierten, hellgelben Seidenkleid mit schwarzen Samtaufschlägen sah, konnte sie der Versuchung nicht länger widerstehen.

Von diesem Tage an begann für sie dieses Leben beständiger Verletzung der göttlichen und menschlichen Gesetze, das Hunderttausende von Frauen heute, nicht allein mit der Erlaubnis, sondern sogar unter dem tatsächlichen Schutze einer für das Wohlergehen ihrer Untergebenen besorgten gesetzlichen Macht führen; dieses herabwürdigende und ungeheuerliche Leben, das nach schrecklichen Leiden unter neun von zehn Malen mit einem vorzeitigen Verfall und Tod endet.

Die Maslow führte dieses Leben über sechs Jahre. Im siebenten Jahre – sie zählte damals 26 Jahre – vollzog sich das Ereignis, infolgedessen sie verhaftet wurde, und das sie nach einer mehrmonatlichen Untersuchungshaft in Gesellschaft von Geschöpfen, deren Beruf der Diebstahl und Mord war, vor die Geschworenen brachte.

  1. Polizeibeamter