Dreiundzwanzigstes Capitel.


Dreiundzwanzigstes Capitel.

Erstürmung der Eisblöcke.

Nachdem Hatteras das Ankern des Schiffes besorgt hatte, begab er sich wieder in seine Cabine, nahm die Karte zur Hand und bezeichnete sie genau; er befand sich unter 76° 57′ Breite und 99° 20′ Länge, d. h. drei Minuten nur vom siebenundsiebzigsten Grad ab. An eben dieser Stelle brachte Sir Edward Belcher seinen ersten Winter mit dem Pionnier und der Assistance zu. Von diesem Punkt aus veranstaltete er seine Ausflüge im Schlitten und im Boot; er entdeckte die Tafelinsel, das nördliche Cornwallis, den Archipel Victoria und den Canal Belcher. Als er über den achtundsiebenzigsten Grad hinausgekommen war, sah er die Küste sich südwärts ziehen. Es schien, als müsse sie sich an die Jonesstraße anschließen, welche in die Baffins-Bai führt. Aber im Nordwesten dagegen erstreckte sich, sagt sein Bericht, das freie Meer in unabsehbare Ferne.

Hatteras betrachtete mit Herzklopfen den Theil der Seekarten, wo ein weiter weißer Raum diese unbekannten Gegenden bezeichnete, und seine Augen kamen stets wieder auf das eisfreie polare Baffin zurück.

»Nach so vielen Zeugnissen, sagte er sich, nach den Berichten von Steward, Penny, Belcher darf man nicht zweifeln, es muß der Fall sein! Diese kühnen Seeleute haben mit eigenen Augen gesehen! Kann man ihre Behauptung in Zweifel ziehen? Nein!

– Aber, wenn inzwischen dieses damals freie Meer in Folge eines frühzeitigen Winters … doch nein, diese Entdeckungen sind nach einer Zwischenzeit von mehreren Jahren gemacht worden; dieses Becken existirt, ich werde es auffinden! werde es sehen!«

Hatteras begab sich wieder auf’s Hinterdeck. Dichter Nebel umhüllte den Forward; vom Verdeck aus konnte man kaum den oberen Theil der Maste sehen. Doch ließ Hatteras den Eismeister aus seinem Elsternest herabkommen, und nahm seinen Platz ein; er wollte die geringste Lichtung des Himmels benutzen, um den nordwestlichen Horizont zu beobachten.

Shandon hatte nicht verfehlt, zum Lieutenant zu sagen:

»Nun, Wall! und dies freie Meer!

– Sie haben Recht, Shandon, erwiderte Wall, und wir haben nur noch für sechs Wochen Kohlen vorräthig.

– Der Doctor wird ein wissenschaftliches Verfahren erfinden, erwiderte Shandon, um uns ohne Brennmaterial zu heizen. Ich habe sagen hören, man könne mit Feuer Eis bereiten; vielleicht wird er aus Eis Feuer schaffen.«

Shandon ging mit Achselzucken wieder in seine Cabine.

Am folgenden Tag, den 20. August, zertheilte sich der Nebel auf einige Augenblicke. Man sah, wie Hatteras von seinem hohen Posten aus lebhaft am ganzen Horizont spähte; darauf stieg er schweigend herab, und gab Befehl zum Weiterfahren; aber man konnte leicht wahrnehmen, daß seine Hoffnung abermals getäuscht worden war.

Der Forward lichtete die Anker und setzte seinen unbestimmten Weg nach Norden fort. Da man sich nicht mehr auf den veränderlichen Wind verlassen, konnte, der zudem wegen der Krümmungen der Fahrpässe wenig zu benutzen war, so nahm man die nur hinderlichen Stangen nebst dem Takelwerk herab und zog die Mäste heraus. Es bildeten sich hie und da auf dem Meer große weißliche Flecken; sie waren Vorzeichen eines bevorstehenden allgemeinen Gefrierens; sobald der Wind sich legte, gefror das Meer augenblicklich, aber wenn der Wind sich wieder erhob, zerbrach und zerstob das frische Eis. Gegen Abend fiel das Thermometer auf siebenzehn Grad (-27° hunderttheilig).

Wenn die Brigg sich in einem Fahrpaß versperrt sah, schoß sie gleich einem Sturmbock mit voller Dampfkraft wider das Hinderniß und bohrte es in den Grund. Manchmal hielt man sie für unausweichlich festgefahren, aber eine unerwartete Bewegung der Eisströme öffnete ihr neue Bahn, und sie fuhr kühn weiter; wann zur Zeit eines Aufenthaltes der Dampf aus den Klappen wich, verdichtete er sich in der kalten Luft, und fiel als Schnee wieder auf’s Verdeck. Noch eine andere Ursache hemmte die Fahrt der Brigg. Mitunter geriethen zwischen den Schaufeln der Schraube Eisstücke von solcher Härte, daß die Maschine sie nicht zermalmen konnte; dann mußte man diese umkehren und rückwärts fahren, indeß Bootsleute mit Hebeln und Hebebäumen die Schraube frei machten. Daraus entstanden denn Strapazen und Verzögerungen.

Dreizehn Tage lang ging es so; der Forward schleppte sich mühsam längs der Pennystraße. Die Mannschaft murrte zwar, doch leistete sie noch Gehorsam; sie sah ein, daß man jetzt unmöglich zurückfahren konnte. Die Fahrt nach Norden bot weniger Gefahren, als der Rückzug nach dem Süden; man mußte auf Ueberwinterung denken.

Die Matrosen sprachen unter einander über diese neue Lage, und eines Tages plauderten sie darüber selbst mit Richard Shandon, von dem sie wußten, daß er auf ihrer Seite war. Dieser, uneingedenk seiner Officierspflicht, scheute sich nicht, in seiner Gegenwart die Autorität seines Kapitäns bestreiten zu lassen.

»Sie sagten also, Herr Shandon, fragte Gripper, wir könnten nicht mehr rückwärts fahren?

– Jetzt ist’s zu spät, erwiderte Shandon.

– Dann, fuhr ein anderer Matrose fort, haben wir nur noch an ein Winterquartier zu denken?

– Das ist jetzt unsere einzige Zuflucht! Man hat mir nicht glauben wollen …

– Ein andermal, erwiderte Pen, der wieder in seinen gewohnten Dienst eingetreten war, wird man Ihnen glauben.

– Da ich nicht der Herr sein werde … entgegnete Shandon.

– Wer weiß? versetzte Pen. John Hatteras mag gehen, so weit als es ihm belieben mag, aber man braucht ihm nicht zu folgen.

– Man braucht nur, fuhr Gripper fort, an seine erste Fahrt in’s Baffins-Meer zu denken, und wie es da ergangen ist!

– Und an die Reise des Farewell, sagte Clifton, welcher unter seinem Commando in den Meeren von Spitzbergen zu Grunde ging.

– Und er ist allein heim gekommen, erwiderte Gripper.

– Allein mit seinem Hund, versetzte Clifton.

– Wir haben nicht Lust, uns dem Belieben dieses Mannes zu opfern, fügte Pen bei.

– Noch die wohlverdiente Prämie zu verlieren!« Man erkennt an dieser Bemerkung, daß Clifton sie machte.

»Wenn wir den achtundsiebenzigsten Grad hinter uns haben, setzte er hinzu, und wir sind nicht mehr weit davon entfernt, so macht das gerade dreihundertfünfundsiebenzig Pfund für Jeden.

– Aber, erwiderte Gripper, werden wir sie nicht verlieren, wenn wir ohne den Kapitän heim kommen?

– Nein, versetzte Clifton, wann bewiesen wird, daß die Rückkehr unabweislich nothwendig geworden.

– Aber der Kapitän … doch …

– Sei ruhig, Gripper, erwiderte Pen, wir werden schon einen Kapitän bekommen, und einen tüchtigen, den Herr Shandon kennt. Wenn ein Commandant ein Narr wird, setzt man ihn ab, und ernennt einen anderen. Nicht wahr? Herr Shandon?

– Meine Freunde, erwiderte Shandon ausweichend, Sie werden stets in mir ein Herz voll Hingebung finden. Doch warten wir ab, was kommen wird.«

Wir sehen, es zog sich über dem Haupte Hatteras‘ ein Sturm zusammen; dieser aber, fest, unerschütterlich, energisch, stets zuversichtlich, schritt kühn voran. Ueberhaupt, war er auch nicht der Richtung seines Schiffes Meister, so hatte er doch Tüchtiges geleistet: andere Seefahrer hatten zwei bis drei Jahre gebraucht, um die Fahrt zu machen, welche er in fünf Monaten erzielte. Jetzt befand er sich in der Lage, überwintern zu müssen, aber dies konnte für starke und entschlossene Gemüther, bewährte und an Gefahren gewöhnte Seelen, unverzagte und gestählte Geister nichts zum Erschrecken sein. Haben nicht Sir John Roß und Mac Clure drei Winter hinter einander in den Nord-Meer-Gegenden zugebracht? Was diesen möglich war, konnte man’s nicht ebenso machen?

»Ganz gewiß ja, sagte sich Hatteras wiederholt, und mehr noch, wenn’s Noth thut! Ach! sagte er mit Bedauern zum Doctor, hätte ich doch durch den Smith-Sund, nördlich vom Baffins-Meer, dringen können, so wäre ich jetzt bereits am Pol!

– Gut! erwiderte mit unveränderlichem Vertrauen der Doctor, wir werden hinkommen, Kapitän, auf dem neunundneunzigsten Meridian zwar; aber gleichviel, wenn alle Wege nach Rom führen, so ist’s noch sicherer, daß jeder Meridian zum Pol führt.«

Am 31. August zeigte das Thermometer dreizehn Grad (-11° hunderttheilig). Das Ende der zur Fahrt geeigneten Zeit kam heran. Der Forward ließ die Insel Exmouth rechts, und drei Tage hernach fuhr er an der Tafelinsel vorüber, welche mitten im Canal Beecher liegt. In einer weniger vorgerückten Jahreszeit wäre es vielleicht möglich gewesen, durch diesen Canal wieder in’s Baffins-Meer zu kommen, aber damals durfte man nicht daran denken. Dieser Meeresarm war von Eisblöcken gänzlich versperrt, und hätte dem Forward nicht einen Zoll Wasser zur Fahrt geboten; acht Monate noch konnte der Blick nur über unendliche und unbeweglich feste Eisfelder schweifen.

Zum Glück konnte man noch einige Minuten weiter nach dem Norden dringen, aber man mußte das frische Eis zersprengen. Bei diesen niedrigen Temperaturen war besonders windstilles Wetter zu fürchten, weil dann die Fahrwasser rasch gefrieren, und es waren damals selbst widrige Winde angenehm. In einer einzigen Nacht war Alles gefroren.

Nun konnte der Forward in seiner gegenwärtigen Lage nicht überwintern, weil sie den Winden, den Eisbergen, dem Treiben des Canals ausgesetzt war; es mußte vor Allem eine geschützte Stelle aufgesucht werden; Hatteras hoffte die Küste von Neu-Cornwallis zu erreichen und jenseits der Spitze Albert eine Bai zu finden, welche hinreichend sichere Zuflucht darbot. Drum verfolgte er mit Ausdauer die Fahrt nach Norden.

Aber am 8. September stieß er auf eine zusammenhängende, undurchbrechliche Eisdecke; die Temperatur sank auf 10 Grad (-12° hunderttheilig). Hatteras suchte, von Unruhe getrieben, vergeblich eine Durchfahrt, brachte hundertmal sein Schiff in Gefahr, und zog sich durch wunderhafte Geschicklichkeit aus gefährlichen Engen. Mochte man ihn der Unvorsichtigkeit, Unüberlegtheit, Verblendung beschuldigen, aber als Seemann war er der Tüchtigsten Einer!

Die Lage des Forward wurde wahrhaft gefährlich; und wirklich, das Meer schloß sich hinter ihm, und im Umkreis einiger Stunden bekam das Eis eine solche Härte, daß die Männer darauf liefen und in aller Sicherheit das Schiff fortzogen.

Da Hatteras das Hinderniß nicht umgehen konnte, beschloß er es direct anzugreifen durch Anwendung seiner stärksten Sprengcylinder von acht bis zehn Pfund Pulver. Man grub zuerst in das Eis, so dick es war, ein Loch und, nachdem man den Cylinder sorgsam in horizontale Lage gebracht, damit die Explosion eine weiter reichende Wirkung habe, füllte man es mit Schnee; dann zündete man, gesichert durch eine Guttapercharöhre, die Lunte an.

Man war also bemüht, die Eisdecke zu sprengen, weil man die Säge nicht anwenden konnte, da die Sägeschnitte augenblicklich wieder zusammenfroren. Doch konnte Hatteras die Hoffnung fassen, den folgenden Tag seine Durchfahrt zu haben.

Aber während der Nacht tobte der Wind; das Meer hob sich unter der Eiskruste, als sei es von einer unterseeischen Kraft in Bewegung gesetzt, und der Pilot rief mit Schrecken: »Achtung hinten! Achtung hinten!«

Hatteras blickte in die angegebene Richtung, und was er in der Dämmerung sehen konnte, war wirklich zum Erschrecken.

Ein hoch aufgetürmtes Stück Eisdecke, nordwärts zurückgeworfen, stürzte so schnell wie eine Lawine auf das Schiff heran.

»Jeder auf’s Verdeck!« rief der Kapitän.

Der heranwälzende Berg war kaum noch eine halbe Meile entfernt; die Eisblöcke hoben sich, schoben sich übereinander, purzelten, wie ungeheuere Sandkörner von einem fürchterlichen Orkan geschleudert; ein entsetzliches Getöse erfüllte die Luft.

»Sehen Sie, Herr Clawbonny, sagte Johnson zum Doctor, das ist eine der größten Gefahren, die uns treffen konnte.

– Ja, erwiderte ruhig der Doctor, ’s ist etwas erschrecklich.

– Es ist gerade, als müßten wir eine Bestürmung abwehren, fuhr der Rüstmeister fort.

– Man könnte es wirklich für eine ungeheuere Truppe der urweltlichen Thiere halten, von denen man meint, sie hätten am Pol gehaust! Wie drängen sie sich, eilen um die Wette heran! Ja wohl, ein Sturm, den wir abzuschlagen haben.«

Auf dem Hintertheil war die ganze Mannschaft mit Stangen, Eisenstäben, Hebebäumen bewehrt, zum Abschlagen des Sturmes bereit.

Die Lawine kam heran, stets an Höhe wachsend, indem sie durch die umgebenden Eisstücke, welche sie im Wirbel mit sich fortriß, anwuchs. Hatteras hatte Befehl ertheilt, die Kanone, welche am Vordertheil war, solle mit Kugeln die drohende Masse zertrümmern; aber schon war sie da und stürzte auf die Brigg; man vernahm ein Krachen, und da sie das Schiff an der rechten Seite berührte, ging ein Theil des Geländers in Trümmern.

»Keiner rühre sich vom Platz! rief Hatteras. Achtung auf die Eisblöcke!«

Diese stürmten mit unwiderstehlicher Gewalt. Stücke von mehreren Centnern stießen wider die Schiffswände, die kleineren, bis zur Höhe der Mastkörbe geschleudert, zerrissen die Taue, zerschnitten das Takelwerk. Die Mannschaft wurde von der Menge Feinde überflügelt, deren Masse hundert Schiffe gleich dem Forward hätte zertrümmern können. Jeder that sein Mögliches, die Stürmenden abzuwehren; das Getöse ward erschrecklich; Duk bellte wüthend; die Dunkelheit vermehrte das Schreckliche der Lage.

Hatteras rief, inmitten dieses fremdartigen, übernatürlichen Kampfes der Menschen mit den Eisblöcken, beständig seine Befehle zu. Das Schiff, dem enormen Druck nachgebend, neigte auf die linke Seite, und es kam in Gefahr, seinen Hauptmast zertrümmert zu sehen.

Hatteras begriff die Gefahr, es war ein schrecklicher Moment; die Brigg drohte sich völlig umzulegen, das Mastwerk zu verlieren.

Nun erschien ein ungeheuerer Block von der Größe des Schiffes, an dessen Seite mit unwiderstehlicher Gewalt sich erhebend; schon ragte er über das Hinterdeck; wenn er über den Forward stürzte, war Alles verloren. Bald erreichte er die Höhe der Maststangen, und wankte auf seiner Basis.

Da schrieen Alle vor Entsetzen auf; jeder eilte auf die rechte Seite.

Aber in dem Moment wurde das ganze Schiff emporgehoben, schwebte eine Weile in her Luft, dann fiel es wieder auf die Eisblöcke. Worin bestand das Ereigniß?

Emporgehoben von der steigenden Fluth, zurückgeworfen von den Blöcken, die es hinten faßten, zerbrach es die unzerbrechliche Eisdecke. Nach einer Minute fiel es hinter dem Hinderniß auf ein Eisfeld nieder, zertrümmerte dieses mit seinem Gewicht, und befand sich wieder in seinem Element.

»Die Eisdecke zertrümmert! rief Johnson.

– Gott Lob und Dank!« erwiderte Hatteras. In der That befand sich die Brigg mitten in einem Eisbecken; ihr Kiel tauchte völlig im Wasser, aber auf allen Seiten von Eis umgeben konnte sie sich doch nicht rühren, das ganze Eisfeld trieb mit ihr fort.

»Wir treiben, Kapitän! schrie Johnson.

– Lassen wir gewähren«, erwiderte Hatteras. Wie wäre es auch möglich gewesen, diesem Zug zu widerstehen?

Es ward Tag, und es stellte sich heraus, daß die Eisbank durch Einwirkung einer unterseeischen Strömung reißend eilig nordwärts trieb. Diese treibende Masse führte also den Forward, der mitten in dem unabsehbaren Eisfeld eingeklemmt war, mit sich; für den möglichen Fall einer Katastrophe, wenn die Brigg auf die Seite geworfen, oder vom Druck der Eisblöcke zertrümmert werden sollte, ließ Hatteras eine große Menge Proviant, Lagereffecten, Kleidung und Decken für die Mannschaft auf’s Verdeck bringen. Aehnlich verfuhr einmal Mac Clure. Er ließ sein Schiff rings mit Hängematten umgeben, die mit Luft gefüllt, waren, so dass sie gegen starke Beschädigungen zum Schutz dienen konnten; da nun das Eis bei einer Temperatur von sieben Grad (-14° hunderttheilig) sich anhäufte, so war das Schiff bald von einer Mauer umgeben, aus welcher nur seine Masten hervorragten.

Sieben Tage lang dauerte diese Fahrt; die Spitze Albert, welche das Westende von Neu-Cornwallis bildet, kam am 10. September zu Sicht, und verschwand bald wieder; man bemerkte, daß das treibende Eisfeld von dem Augenblick an sich ostwärts wendete. Wohin trieb es dergestalt? Wo würde man anhalten? Wer mochte das voraussehen.

Die Mannschaft wartete ab, die Hände im Schoos. Am 15. September gegen drei Uhr Nachmittags hielt das Eisfeld, welches ohne Zweifel auf ein anderes gestoßen war, plötzlich stille; das Schiff erlitt eine starke Erschütterung. Hatteras sah auf die Karte; er befand sich, ohne irgend ein Land in Sicht, nordwärts unter 78° 15′ Breite und 95° 35′ Länge, mitten in der Region, wohin die Geographen den Kältepol gelegt haben!

Vierundzwanzigstes Capitel.


Vierundzwanzigstes Capitel.

Vorbereitungen für Ueberwinterung.

Die südliche Halbkugel ist kälter im Verhältniß zu gleicher Breite der nördlichen; aber die Temperatur des Neuen Continents ist noch um fünfzehn Grad niedriger, als die der andern Welttheile; und in Amerika sind die Gegenden, welche unter der Benennung Kältepol bekannt sind, die fürchterlichsten.

Die mittlere Temperatur des ganzen Jahres ist nur zwei Grad unter Null (-19° hunderttheilig). Die Gelehrten, deren Ansicht der Doctor Clawbonny in dieser Hinsicht theilte, haben dies folgendermaßen erklärt.

Ihnen zufolge kommen die Winde, welche in Nordamerika standhaft herrschen, aus Südwest, vom Stillen Ocean her mit einer gleichmäßigen und erträglichen Temperatur; aber bis sie zu den Polar-Meeren gelangen, müssen sie über das unermeßliche schneebedeckte Gebiet Amerika’s streichen; dadurch werden sie kalt, und breiten dann ihre eisige Strenge über die Nordpolgegenden.

Hatteras befand sich am Kältepol, noch über den von seinen Vorgängern gesehenen Gegenden hinaus; demnach war er auf einen fürchterlichen Winter gefaßt, auf einem mitten im Eis steckenden Schiff mit einer zum Aufruhr geneigten Bemannung. Er entschloß sich, diesen Gefahren mit gewohnter Energie Trotz zu bieten.

Vor allen Dingen ergriff er mit Johnson’s erfahrenem Beistand alle für die Überwinterung nothwendigen Maßregeln. Seiner Berechnung nach war der Forward zweihundertundfünfzig Meilen weiter, als das letzte bekannte Land liegt, nämlich Neu-Cornwallis, fortgetrieben worden; er steckte in einem Eisfeld, wie in einem Granitbett, und keine menschliche Macht vermochte ihn da herauszureißen.

In diesen weiten Meeren, auf welchen der Polarwinter lastete, war kein Tropfen Wasser mehr frei. Die Eisfelder erstreckten sich in unabsehbarer Ausdehnung, aber ohne gleichförmige Oberfläche; im Gegentheil, zahlreiche Eisberge starrten auf der Eisfläche empor, und der Forward befand sich an einer Stelle, die auf drei Seiten von den höchsten derselben geschirmt war, nur dem Südost offen stand. Aber es waren nicht Felsen, die eine hübsche Bai schirmten, keine Wiesen und Waldesgrün, kein fließendes Wasser. Vielmehr welche Verödung! Welche düstere Natur! Welch‘ kläglicher Anblick!

So fest das Schiff steckte, mußte es doch mit Ankern tüchtig gesichert werden; man mußte sich auf Eisbrüche oder unterseeische Wogenbewegungen gefaßt machen. Als Johnson diese Lage des Forward unter’m Kältepol erkannte, beobachtete er noch strenger seine Ueberwinterungsmaßregeln.

»Wir werden strenge Tage bekommen! sagte er zum Doctor; da sehen wir, was der Kapitän für Glück hat! Am widerwärtigsten Punkt des Erdballs sich einklemmen zu lassen! Bah! Wir werden sehen, wie wir aus dieser Noth herauskommen.«

Der Doctor war in seinem Innern ganz vergnügt über diese Lage. Er hätte sie gar nicht mit einer andern tauschen mögen! Am Kältepol überwintern! Welches Glück!

Zuerst befaßten sich die Leute mit äußeren Arbeiten. Die Segel blieben an den Stangen befestigt, wurden nur in ihre Schutzhülle geschlagen; man zog die Masten nicht heraus, und das Elsternest blieb an seiner Stelle, es war eine natürliche Warte; nur das laufende Takelwerk wurde abgenommen.

Es wurde nothwendig, das Eis um das Schiff herum aufzuhauen, da der Druck ihm schadete, welchen die auf beiden Seiten gehäuften Eisblöcke in hohem Grade ausübten. Nach einigen Tagen war die mühevolle Arbeit gethan, und man untersuchte den Kiel; er hatte keinen Schaden gelitten, nur seinen Kupferbeschlag fast ganz verloren. Als das Schiff frei war, hob es sich fast um neun Zoll.

Der Doctor betheiligte sich bei diesen Arbeiten; er handhabte geschickt das Schneemesser, und erhielt die Matrosen bei guter Laune; er belehrte und lernte. Er billigte sehr die Anordnungen in Beziehung auf das Eis um das Schiff herum.

»Nun können wir auch, fuhr Johnson fort, ohne Sorgen eine Schneemauer bis zur Höhe des Platt-Bord aufführen, wenn wir wollen, zehn Fuß dick.

– Ein vortrefflicher Gedanke, versetzte der Doctor; denn Schnee ist ein schlechter Wärmeleiter, und die innere Wärme wird nicht so leicht entweichen.

– Sie haben Recht, erwiderte Johnson; wir errichten eine Schutzwand gegen die Kälte, aber auch gegen reißende Thiere, wenn sie Lust bekommen sollten, uns zu besuchen; wenn die Arbeit fertig ist, schneiden wir in die Schneemasse zwei Treppen, die zu dem Vorder- und Hintertheil des Schiffes führen, und begießen sie mit Wasser, wodurch dieselben steinhart werden.

– Vortrefflich, erwiderte der Doctor, und man muß gestehen, es ist doch ein Glück, daß die Kälte Schnee und Eis erzeugt, d. h. ein Schutzmittel gegen dieselbe: Sonst würde man sehr in Verlegenheit gerathen.«

In der That sollte das Schiff unter einer dichten Eisdecke verschwinden, welcher es die Erhaltung seiner innern Wärme verdanken wollte. Es wurde aus dicker betheerter Leinwand ein Dach über das Verdeck in der ganzen Länge des Schiffes gefertigt, und mit Schnee bedeckt; auch reichte diese Leinwand zur Deckung der Seiten des Schiffes ziemlich weit herab. Da das Verdeck gegen jede äußere Einwirkung geschützt war, wurde es ein wahrer Spazierplatz; es wurde mit einer Schneelage von zwei und einem halben Fuß bedeckt, und dieser Schnee wurde festgestampft, daß er sehr hart wurde, und so das Ausströmen der Wärme des Innern hemmte. Ueber denselben breitete man eine Lage Sand, der verhärtet eine Kruste bildete.

In der Nähe der Brigg machte man eine Feuerstätte, ein kreisrundes, in das Eisfeld gegrabenes Loch, einen Schacht, den man stets zugänglich halten mußte, indem man jeden Morgen das an seiner Mündung gebildete Eis zerbrach. Sie mußte dazu dienen, Wasser vorräthig zu halten, sei es für den Fall eines Brandes oder zum Baden, welches als Gesundheitsmaßregel für die Mannschaft angeordnet war; man war selbst darauf besorgt, um Brennmaterial zu sparen, das Wasser aus tieferen Schichten, wo es weniger kalt ist, zu schöpfen, und bediente sich dafür eines von dem Gelehrten Arago angegebenen Apparats.

Gewöhnlich entfernt man während der Wintermonate alle den Raum einengenden Gegenstände aus dem Schiff, um über größere Räume zu verfügen, und hebt sie am Lande in Magazinen auf. Aber was in der Nähe einer Küste ausführbar ist, wird bei einem Schiff, das auf einem Eisfeld ankert, unmöglich.

Im Innern des Schiffs war Vorsorge getroffen, um die Hauptnachtheile dieser hohen Breiten, Kälte und Feuchtigkeit, zu entfernen; die letztere ist noch mehr zu fürchten, als die erstere; denn dieser widersteht, jener erliegt man.

Da der Forward zu einer Fahrt in die Polar-Meere bestimmt war, so hatte er die beste Einrichtung für ein Winterquartier. Das große Zimmer der Mannschaft war verständig eingerichtet; man hatte Winkel, wohin sich zuerst Feuchtigkeit zieht, vermieden; denn bei niederer Temperatur bildet sich, zumal in den Ecken, über den Scheidewänden eine Eisschichte, die, wenn sie schmilzt, eine beständige Feuchtigkeit erzeugt. Kreisrund wäre der Saal noch zweckmäßiger gewesen; aber doch mußte er, durch einen geräumigen Ofen geheizt und gehörig gelüftet, ganz wohnlich sein. Die Wände waren mit Damhirschfellen, nicht mit Wollstoffen tapeziert, denn in der Wolle verdichten sich die Dünste, wodurch die Luft mit Feuchtigkeit erfüllt wird.

In dem Hinterdeck wurden die Zwischenwände weggeräumt, so daß die Officiere einen gemeinsamen Saal bekamen, der größer und luftiger war, und mit einem Ofen geheizt wurde. Vor diesem Saal, sowie vor dem der Mannschaft, befand sich eine Art Vorzimmer, wodurch ihm aller unmittelbarer Verkehr nach außen entzogen wurde, so daß die Wärme sich nicht verlor und man allmälig aus einer Temperatur in die andere überging. In den Vorzimmern ließ man die beschneiten Kleider; und für die Füße zu reinigen waren außen Kratzeisen angebracht, damit nicht irgend gesundheitschädliche Elemente hineingebracht würden.

Leinene Schläuche dienten, Luft einzuführen, um den Oefen Zug zu geben; andere führten die Wasserdämpfe hinaus. Außerdem waren in den beiden Sälen Condensatoren angebracht, welche die Dämpfe einsogen, anstatt sie in Wasser sich auflösen zu lassen; man leerte sie zweimal wöchentlich, und sie enthielten manchmal einige Scheffel Eis.

Vermittelst dieser Luftschläuche regelte man das Feuer leicht und vollständig; eine kleine Quantität Kohlen reichte hin, um in den Sälen eine Temperatur von fünfzig Grad (+10° hunderttheilig) zu erhalten. Doch sah Hatteras, nachdem er seinen Kohlenvorrath hatte ausmessen lassen, daß er bei größter Sparsamkeit nicht für zwei Monate mehr Brennmaterial hatte.

Es wurde ein Trockenraum eingerichtet für die Kleidung, welche oft gewaschen werden mußte; denn an der freien Luft konnte man sie nicht trocknen, weil sie sonst hart und zerbrechlich wurde.

Ferner wurden die feineren Theile der Maschine sorgfältig herausgenommen und in einer hermetisch geschlossenen Kammer verwahrt.

Die Lebensweise an Bord wurde ernstlicher Ueberlegung unterzogen, von Hatteras sorgfältig geregelt und das Reglement in dem gemeinschaftlichen Saal angeheftet.

Die Männer standen um sechs Uhr früh auf; die Hängematten wurden dreimal wöchentlich an die Luft gebracht; der Fußboden beider Zimmer wurde jeden Vormittag mit warmem Sand gerieben; bei jeder Mahlzeit wurde heißer Thee gegeben, und die Speisen wechselten möglichst nach den Wochentagen; sie bestand aus Brod, Mehl, Rindschmalz und Rosinen für Puddings, Zucker, Cacao, Thee, Reis, Citronensaft, gepökeltes Rind- und Schweinefleisch, Kohl und Gemüse in Essig; die Küche lag außerhalb der gemeinschaftlichen Säle. Damit entzog man sich zwar ihre Wärme, aber das Kochen erzeugt auch fortwährend Dünste und Feuchtigkeit.

Die Gesundheit der Menschen hängt sehr viel von der Art ihrer Nahrung ab; unter so hohen Breitegraden muß man so viel wie möglich thierische Stoffe verzehren. Der Doctor hatte bei Abfassung des Programms die erste Stimme.

»Man muß sich an den Eskimos, welche ihre Unterweisung von der Natur bekamen, ein Beispiel nehmen; wenn die Araber, die Afrikaner sich mit einigen Datteln und einer Handvoll Reis begnügen können, so muß man hier essen, und viel. Die Eskimos verzehren bis zu zehn und fünfzehn Pfund Oel täglich. Wenn diese Nahrung Ihnen nicht behagt, so müssen wir zu Stoffen greifen, welche reich an Zucker und Fett sind. Mit einem Wort, wir bedürfen Kohlenstoff, also machen wir Kohlenstoff. Wie es zuträglich ist, Kohlen in den Ofen zu schieben, so dürfen wir auch nicht versäumen, den kostbaren Ofen in unserm Leibe mit diesem Stoff zu versehen!«

Neben dieser Speiseregel wurde der Mannschaft die strengste Reinlichkeit auferlegt; jeder mußte alle zwei Tage ein laues Bad nehmen, ein vortreffliches Mittel, die natürliche Wärme zu bewahren. Der Doctor ging mit seinem Beispiel voran; Anfangs that er es, obwohl es ihm sehr widerlich war; aber er gab dieses Vorurtheil bald auf, denn es ward ihm die Gesundheitsmaßregel sehr behaglich.

Wenn die Leute bei großer Kälte an der Arbeit oder auf der Jagd auswärts waren, mußten sie sich besonders hüten, daß einzelne Glieder vom Frost litten. Trat ein solcher Fall ein, so beeilte man sich, durch Reiben mit Schnee die Blutcirculation wieder herzustellen. Außerdem trugen die Leute sorgfältig wollene Kleidung über den ganzen Körper, Capotröcke von Damhirschfell und Hosen von Robbenfell, welches gegen den Wind vollständig schützt.

Die verschiedenen Einrichtungen und Herstellungen an Bord nahmen etwa drei Wochen in Anspruch, und man kam ohne besonderen Zwischenfall zum 10. Oktober.

Fünfundzwanzigstes Capitel.


Fünfundzwanzigstes Capitel.

Ein alter Fuchs von James Roß.

An diesem Tage fiel das Thermometer bis auf drei Grad über Null (-16° hunderttheilig). Das Wetter war ziemlich ruhig; bei der Windstille war die Kälte leicht erträglich. Die helle Atmosphäre zu benutzen, ging Hatteras aus, um die Ebenen der Umgebung zu untersuchen; er klimmte auf einen der höchsten Eisberge, umfaßte aber mit dem Feld seines Fernrohres nur eine Reihe von Eisbergen und Eisfeldern. Nicht ein einziges Land in Sicht, wohl aber ein höchst trauriges Bild von Chaos. Als er zurückkam, versuchte er die muthmaßliche Dauer seiner Gefangenschaft zu berechnen.

Die Jäger, unter ihnen der Doctor, James Wall, Simpson, Johnson, Bell, versäumten nicht, das Schiff mit frischem Fleisch zu versehen. Die Vögel waren verschwunden, im Süden milderes Klima suchend. Nur die Ptarmigan, eine dieser Breite eigenthümliche Art Felsrebhühner, waren nicht vor der Kälte entflohen; sie ließen sich leicht erlegen und ihre große Zahl versprach reichlichen Vorrath an Wildpret.

An Hasen, Füchsen, Wölfen, Hermelinen, Bären war kein Mangel; ein französischer, englischer, norwegischer Jäger hätte sich nicht zu beklagen gehabt; aber man kann diesen scheuen Thieren nicht leicht nahe kommen; auch waren sie ihrer weißen Farbe wegen auf den weißen Ebenen schwer zu erkennen, denn ehe die große Kälte eintritt, wechseln sie den Pelz.

Häufig traf man Seekälber, Meerhunde, die unter der allgemeinen Benennung Robben begriffen sind; ihre Jagd empfahl sich ganz besonders, sowohl um ihrer Felle willen, als ihres Fettes, welches in hohem Grade als Brennmaterial dienlich ist. Zudem wurde die Leber dieser Thiere nöthigenfalls ein treffliches Nahrungsmittel; man konnte sie zu Hunderten zählen, und einige Meilen nordwärts vom Schiff war das Feld bei Tage von den Luftschöpflöchern dieser Amphibien buchstäblich durchbohrt; nur witterten sie den Jäger mit merkwürdigem Instinct, und es wurden viele angeschossen, die durch Untertauchen leicht entrannen.

Doch gelang es Simpson am 19. sich eines derselben, vierhundert Yards vom Schiff entfernt, zu bemächtigen; er war so vorsichtig gewesen, sein Zufluchtsloch zu verstopfen, so daß das Thier dem Jäger Preis gegeben war. Es wehrte sich lange, und wurde erst nach einigen Schüssen erlegt. Es war neun Fuß lang; an seinem Kopf, der dem eines Bullenbeißers glich, den sechzehn Zähnen seiner Kiefern, seinen großen Brustflossen in Form von Schaufeln, seinem kleinen mit noch einem Paar Flossen versehenen Schwanz erkannte man ein prachtvolles Exemplar aus der Familie der Meerhunde. Da der Doctor dessen Kopf für seine naturhistorische Sammlung aufzubewahren wünschte, und seine Haut für künftige Bedürfnisse, so ließ er beides durch ein rasches und wenig kostspieliges Verfahren dazu vorbereiten.

Sobald das Herbstäquinoctium vorüber ist, d. h. der 23. September, kann man sagen, daß der Winter in den Polargegenden beginnt. Nachdem dies wohlthuende Gestirn allmälig unter den Horizont gewichen, verschwand es am 23. October ganz, und bestrich nur noch mit schiefen Strahlen den Kamm der eisbedeckten Berge. Vor dem Februar sollte man es nicht wieder zu Gesicht bekommen.

Doch muß man nicht glauben, während der langen Abwesenheit der Sonne herrsche völlige Dunkelheit; der Mond ersetzt sie allmonatlich bestens; dazu kommt ferner das sehr helle Funkeln der Sterne, der Glanz der Planeten, häufiges Nordlicht und eigentümliche Strahlenbrechungen am schneeweißen Horizont; übrigens ist die Sonne zur Zeit ihrer größten südlichen Entfernung noch um dreizehn Grad dem polaren Horizont nahe, so daß täglich eine Dämmerung von einigen Stunden herrscht. Nur Nebel und Schneegestöber versenken oft diese Regionen in vollständiges Dunkel.

Doch war bis zu diesem Zeitpunkt das Wetter ziemlich günstig; nur die Feldhühner und Hasen hatten sich darüber zu beklagen, denn die Jäger ließen ihnen nicht einen Moment Ruhe; man stellte einige Fuchsfallen; aber diese argwöhnischen Thiere ließen sich nicht fangen; manchmal sogar kratzten sie den Schnee unter der Falle auf, so daß sie den Köder ohne Gefahr erhaschen konnten.

Am 25. October zeigte das Thermometer nur vier Grad unter Null (-20° hunderttheilig). Es brach ein äußerst heftiger Sturm los, und die mit dichtem Schnee gefüllte Luft ließ keinen Lichtstrahl zum Forward gelangen. Einige Stunden lang war man unruhig über Bell’s und Simpson’s Schicksal, welche sich auf der Jagd zu weit entfernt hatten; sie kamen erst am folgenden Morgen wieder an Bord, nachdem sie einen ganzen Tag lang in ihr Hirschfell gehüllt gelegen, während der Sturm den Luftraum über ihnen fegte und sie unter einer fünf Fuß dicken Schneedecke begrub. Sie wären fast erfroren, und der Doctor konnte nur mit viel Mühe die Blutcirculation wiederherstellen.

Das Unwetter dauerte acht Tage lang ohne Unterbrechung. Man konnte keinen Schritt hinausgehen. Nur einen einzigen Tag fand eine Abwechselung der Temperatur um fünfzehn und zwanzig Grad statt.

Während dieser nothgedrungenen Unthätigkeit lebte jeder für sich besonders, die Einen schlafend, die Anderen rauchend; gewisse Leute unterhielten sich leise, und brachen ab, wenn Johnson oder der Doctor nahe kam; es bestand zwischen den Leuten der Bemannung kein moralisches Band mehr; sie kamen nur noch zu dem gemeinsam verrichteten Abendgebet zusammen, und Sonntags für den Gottesdienst und das Bibellesen.

Clifton hatte sich genau ausgerechnet, daß, nachdem sie über den achtundsiebenzigsten Grad hinausgedrungen, sein Antheil an der Prämie sich auf dreihundertfünfundsiebenzig Pfund belief; ihm war die Summe schon rund genug, und sein Trachten ging nicht eben weiter. Man theilte gerne seine Meinung, und sann darauf, dies mit so viel Strapazen erworbene Vermögen zu genießen.

Hatteras war fortwährend fast unsichtbar; er nahm weder an der Jagd, noch am Spaziergang Theil; die meteorologischen Erscheinungen, welche die Bewunderung des Doctors erregten, interessirten ihn nicht im Mindesten. Seine Seele war nur von einem einzigen Gedanken erfüllt, der sich in dem Wort aussprach: Der Nordpol. Er dachte nur an den Moment, da der Forward endlich frei seine abenteuerliche Fahrt fortsetzen würde.

Kurz, die allgemeine Stimmung an Bord war eine düstere.

Während dieser unbeschäftigten Stunden ordnete der Doctor seine Reisenotizen; er war nie ohne Thätigkeit, und seine gute Laune unveränderlich. Doch war er froh, als das Unwetter ein Ende hatte, um seine gewohnten Jagdausflüge zu machen.

Am 3. November, um 6 Uhr Vormittags, bei einer Temperatur von fünf Grad unter Null (-21° hunderttheilig) zog er wieder aus in Gesellschaft von Johnson und Bell; auf den in dem letzten Tagen reichlich gefallenen und festgefrorenen Schnee war es leicht zu gehen; die Kälte war trocken und empfindlich; der Mond glänzte in unvergleichlicher Reinheit, daß die Jäger lange Schatten auf die Fläche hinwarfen.

Der Doctor hatte seinen Freund Duk bei sich, der witternd des Weges lief und oft stand bei einer noch frischen Spur. Doch trotzdem waren die Jäger nach zwei Stunden nicht einmal auf einen Hasen gestoßen.

»Hat denn auch das Wild Lust bekommen, südwärts zu wandern? sagte der Doctor.

– Man sollte es meinen, Herr Clawbonny, erwiderte der Zimmermann.

– Ich meinestheils glaube es nicht, versetzte Johnson; Hasen, Füchse, Bären sind hier in ihrem Klima; meiner Ansicht nach hat der letzte Sturm ihr Verschwinden verursacht; aber mit den Südwinden werden sie bald wieder kommen. Ja, wenn Sie von Renthieren und Bisonochsen sprächen, wäre es anders.

– Und doch finden sich diese Thiere auf der Insel Melville zahlreich truppweise, fuhr der Doctor fort; sie liegt doch südlicher, und Parry hat bei seinen Winteraufenthalten von diesem prächtigen Wildpret stets soviel gehabt, als er nur wollte.

– Wir, sind nicht so gut daran, erwiderte Bell; könnten wir nur Bärenfleisch genug haben, so hätten wir uns nicht zu beklagen.

– Darin liegt eben die Schwierigkeit, entgegnete der Doctor; die Bären scheinen mir sehr selten und wild.

– Bell spricht von Bärenfleisch, fuhr Johnson fort; aber das Fett dieses Thieres wäre uns jetzt noch wünschenswerther, als sein Fleisch und Pelz.

– Du hast Recht, Johnson, erwiderte Bell, daß Deine Gedanken auf Brennmaterial stehen?

– Darauf muß man wohl denken, selbst bei größter Sparsamkeit haben wir für keine drei Wochen mehr!

– Ja, versetzte der Doctor, darin liegt eine wirkliche Gefahr, denn wir sind erst im Anfang Novembers, und der Februar ist in den Eisregionen der kälteste Monat im Jahre; doch können wir in Ermangelung von Bärenfett auf Robbenfett rechnen.

– Nicht lange mehr, Herr Clawbonny, erwiderte Johnson, es wird nicht lange dauern, so werden uns diese Thiere meiden; mag Kälte oder Schrecken die Ursache sein, wir werden sie nicht lange mehr auf den Eisblöcken zu sehen bekommen.

– Dann, fuhr der Doctor fort, müssen wir uns, sehe ich wohl, durchaus auf die Bären beschränken; das ist offenbar das nützlichste Thier dieser Gegenden, denn es kann für sich allein dem Menschen seine notwendigsten Bedürfnisse, Nahrung, Kleidung, Licht und Brennstoff, liefern. Hörst Du, Duk, sprach der Doctor liebkosend zu dem Hund, Bären brauchen wir; also, mein Freund, such‘! spür‘ auf!«

Duk, der eben die Eisfläche auswitterte, folgte dem schmeichelnden Auftrag des Doctors, und rannte pfeilschnell davon. Er bellte lebhaft, daß trotz seiner Entfernung sein Bellen laut von den Jägern vernommen wurde.

Es ist zum Erstaunen, wie weit in den niedern Temperaturen der Ton reicht; es ist gerade wie mit dem Sternenlicht am Polar-Himmel; die Lichtstrahlen und die Tonwellen pflanzen sich auf beträchtliche Entfernung fort, zumal bei der trockenen Kälte bei Nacht.

Die Jäger, diesem fernen Bellen folgend, eilten dem Duk nach; sie hatten eine Meile zurückzulegen, und kämen athemlos an, denn in solcher Atmosphäre verliert man leicht den Athem. Duk stand kaum fünfzig Schritte von einer enormen Gestalt, die auf dem Gipfel eines Hügels sich hin und her bewegte.

»Da haben wir es ja nach Wunsch! rief der Doctor, und lud sein Gewehr.

– Ein Bär, meiner Treu‘, ein hübscher Bär, sagte Bell.

– Ein ausgezeichneter Bär«, sagte Johnson, und behielt sich vor, seine beiden Gefährten zuerst schießen zu lassen.

Duk bellte wüthend. Bell ging zwanzig Schritte, vor, und feuerte; aber er schien nicht getroffen zu haben, denn das Thier fuhr fort, seinen Kopf plump hin und her zu wiegen.

Nun trat auch Johnson vor, und schoß nach sorgfältigem Zielen.

»Schön! rief der Doctor; abermals nichts! Ei! Die verdammte Strahlenbrechung! Wir sind noch nicht in Schußweite; daran gewöhnt man sich nicht leicht! Dieser Bär ist noch über tausend Schritte entfernt!

– Vorwärts!« erwiderte Bell.

Die drei Kameraden stürzten nun flugs auf das Thier zu, welches durch die Schüsse gar nicht scheu geworden war; es schien von stattlicher Größe zu sein, und die Jäger freuten sich schon ihrer Beute. Als sie in gehörige Schußweite kamen, feuerten sie, und der Bär, ohne Zweifel tödtlich getroffen, stürzte mit einem gewaltigen Satz zum Fuß des Hügels herab.

Duk rannte hin.

»Den Bär zu erlegen, sagte der Doctor, wird nicht schwer gewesen sein.

– Nur drei Schüsse, erwiderte Bell verächtlich, und er liegt schon auf dem Boden.

– Es ist sogar auffallend, sagte Johnson.

– Sofern wir nicht gerade im Moment kamen, da er Alters halber im Sterben war, versetzte lachend der Doctor.

– Wahrhaftig, alt oder jung, entgegnete Bell, ist es immer gute Beute.«

Während dieses Gespräches kamen die Jäger zu dem Hügel, und fanden zu großem Erstaunen Duk hitzig über dem Leichnam eines weißen Fuchses!

»Ei! Potz tausend, rief Bell, das ist ein starkes Stück!

– Wahrhaftig, sagte der Doctor, wir erlegen einen Bären, und ein Fuchs fällt!«

Johnson wußte nicht recht, was er sagen sollte.

»Schön! rief der Doctor mit hellem Lachen und einigem Aerger dabei; abermals die Strahlenbrechung!

– Wie verstehen Sie das, Herr Clawbonny? fragte der Zimmermann.

– Ei! mein Freund, die Strahlenbrechung hat uns, wie über die Entfernung, so auch über die Größe getäuscht, so daß wir unter der Haut eines Fuchses einen Bären zu sehen meinten! So versehen sich oft die Jäger im gleichen Falle! Nun! Das haben wir unserer Phantasie zu verdanken.

– Meiner Treu‘, erwiderte Johnson, Bär oder Fuchs, man wird ihn gleichwohl verzehren. Nehmen wir ihn mit.«

Aber, als der Rüstmeister das Thier auf seine Schultern laden wollte, rief er:

»Das ist aber noch ein stärkeres Stück!

– Was ist denn? fragte der Doctor.

– Schauen Sie, Herr Clawbonny, hier, ein Halsband trägt dies Thier!

– Ein Halsband?« versetzte der Doctor, und beugte sich über das Thier.

Wirklich, es war da ein kupfernes Halsband mitten im weißen Pelz zu sehen; der Doctor glaubte eine Inschrift zu bemerken; mit einem Griff machte er es von dem Halse los, woran es seit langer Zeit geschmiedet schien.

»Was hat das zu bedeuten? fragte Johnson.

– Das bedeutet, erwiderte der Doctor, daß wir einen Fuchs erlegt haben, der über zwölf Jahre alt ist, meine Freunde, einen Fuchs, den James Roß 1848 gefangen hatte.

– Ist es möglich! rief Bell.

– Ohne allen Zweifel; es ist mir leid, daß wir das arme Thier erlegt haben! James Roß kam während seines Winteraufenthaltes auf den Gedanken, eine Menge weißer Füchse in Schlingen zu fangen; diesen ließ er ein kupfernes Halsband anschmieden, mit einer Aufschrift, welche die Namen seiner Schiffe Enterprise und Investigator bezeichnete, und die Niederlage von Lebensmitteln angab. Diese Thiere streifen; wenn sie ihre Nahrung suchen, über weit ausgedehnte Landstrecken, und James Roß hoffte, es möchte eins von den Thieren einigen Leuten von Franklin’s Expedition in die Hände gerathen. Dies erklärt Alles.

– Wahrhaftig, wir wollen es nicht verzehren, sagte Johnson; zudem, ein zwölf Jahre alter Fuchs! Jedenfalls wollen wir sein Fell aufbewahren zum Zeugniß des merkwürdigen Ereignisses.«

Johnson lud das Thier auf seine Schultern. Die Jäger kehrten nach dem Schiff zurück, indem sie sich durch die Sterne orientirten. Ihr Ausflug war doch nicht ganz ohne Ergebniß, sie konnten noch einige Paar Ptarmigans erlegen.

Eine Stunde bevor sie wieder zum Forward kamen, trat ein Naturereigniß ein, das den Doctor im höchsten Grad in Erstaunen setzte: ein wahrer Regen von Sternschnuppen. Man konnte sie auf Tausende schätzen, wie die Raketen bei einem Kunstfeuerwerk, blendend weiß; das Mondlicht dagegen war bleich. Man konnte sich an dem Phänomen nicht satt sehen, das einige Stunden lang dauerte. Als der Doctor sich wieder an Bord befand brachte er die ganze Nacht damit zu, den Lauf des Meteores zu verfolgen, das erst gegen sieben Uhr früh, inmitten tiefer Stille der Atmosphäre verschwand.

Sechsundzwanzigstes Capitel.


Sechsundzwanzigstes Capitel.

Das letzte Bröcklein Kohle.

Bären zu erjagen, schien durchaus nicht möglich; man erlegte während des 4., 5. und 6. November einige Robben, darauf, als der Wind umschlug, stieg die Temperatur um einige Grade; aber die Schneegestöber begannen von Neuem mit einer Heftigkeit ohne Gleichen. Das Schiff zu verlassen, ward unmöglich, und man hatte große Noth, um die Feuchtigkeit zu beseitigen.

Am 15. November änderte sich die Witterung abermals, und unter Einwirkung gewisser atmosphärischer Bedingungen sank das Thermometer auf vierundzwanzig Grad unter Null (-31° hunderttheilig). Dies war die niedrigste bis jetzt beobachtete Temperatur. Diese Kälte wäre bei ruhiger Luft erträglich gewesen; aber der Wind wehte schneidend scharf.

Bei einer solchen Kälte bringt jede heftige Bewegung leicht außer Athem. Ein Mann kann dann kaum den vierten Theil seiner gewöhnlichen Arbeit fertig bringen; es wird unmöglich, eiserne Geräthschaften anzufassen; nimmt man solche unvorsichtig in die Hand, so empfindet diese einen Schmerz, wie bei einer Brandwunde und Fetzen ihrer Haut bleiben an dem unvorsichtig angefaßten Gegenstand hängen.

Da also die Mannschaft auf das Schiff beschränkt war, mußte sie täglich einige Stunden lang auf dem überdachten Verdeck zubringen, wo ihr auch das Rauchen verstattet war, denn im gemeinschaftlichen Saal war es untersagt.

Hier wurden, sobald das Feuer ein wenig nachließ, die Wände und Fugen des Fußbodens sogleich mit Eis überzogen; es war kein Bolzen oder Nagel von Eisen, keine metallene Platte, die nicht sogleich damit bedeckt ward. Der Athem der Menschen verdichtete sich in der Luft, und fiel sogleich wieder als Schnee nieder. Nur einige Fuß vom Ofen ab bekam die Kälte wieder volle Kraft, und die Leute hielten sich dicht gedrängt nächst dem Feuer.

Doch rieth ihnen der Doctor, sich abzuhärten, und an diese Temperatur, mit welcher man gewiß noch länger zu kämpfen haben würde, zu gewöhnen. Er rieth ihnen, ihre Oberhaut allmälig an diese starke Kälte zu gewöhnen, und ging mit dem Beispiel voran; aber die meisten blieben aus Trägheit an ihrer Stelle, wollten nicht wanken noch weichen, und schliefen lieber in dieser nachtheiligen Wärme ein.

Indessen war es, nach des Doctors Ansicht, durchaus nicht gefährlich, vom erwärmten Saal heraus sich einer großen Kälte auszusetzen; solch schroffer Uebergang ist nur dann nachtheilig, wenn man feucht von Schweiß ist; der Doctor stützte seinen Rath auf Beispiele, aber er predigte tauben Ohren.

John Hatteras schien die Wirkung dieser Temperatur nicht zu spüren; er ging schweigend auf und ab, weder schneller noch langsamer. War seine Leibesbeschaffenheit so energisch? Besaß er in höherm Grade das natürliche Wärmeprincip, worauf er bei der Wahl seiner Matrosen bedacht war? Wirkte seine fixe Idee stählend den äußern Einwirkungen entgegen? Seine Leute sahen nur mit Staunen, wie er diesen vierundzwanzig Grad unter Null Trotz bot; er verließ Stunden lang das Schiff, und wann er zurückkam, sah man keine Spuren der Kälte in seinem Angesicht. »Ein seltsamer Mann, sagte der Doctor zu Johnson; er setzt mich selbst in Staunen! Er ist eine der kräftigsten Naturen, die ich in meinem Leben studirt habe!

– Die Hauptsache ist, erwiderte Johnson, daß er in freier Luft ab und zu und umher geht, ohne wärmere Bekleidung als im Juni.

– O! Die Bekleidung macht wenig aus, erwiderte der Doctor; wozu nützt warme Bekleidung, wenn man nicht den Wärmequell in sich selbst hat? Durch Einwickeln in eine wollene Decke kann man nicht ein Stück Eis warm machen! Hatteras bedarf dessen nicht, es liegt in seiner Constitution.«

Johnson, der den Auftrag hatte, jeden Morgen die Feuerstätte zugänglich zu machen, bemerkte, daß das Eis mehr als zehn Fuß dick war.

Fast jede Nacht konnte der Doctor prachtvolles Nordlicht beobachten; von vier bis acht Uhr Abends war der Himmel im Norden leicht gefärbt; nachher nahm die Färbung die regelmäßige Form eines blaßgelben Saumes an, dessen Enden sich wie ein Bogen auf das Eisfeld stützten. Allmälig hob sich der glänzende Gürtel am Himmel in Gemäßheit des magnetischen Meridians, und erschien schwärzlich gestreift; Strahlen eines leuchtenden Stoffs liefen von da aus, verlängerten sich mit bald stärkerm, bald schwächerm Glanz; war das Meteor bis zu seinem Zenith gekommen, so bestand es oft aus mehreren Bogen, die sich in rothen, gelben oder grünen Lichtwogen badeten: ein unvergleichliches Schauspiel zum Verblenden. Bald neigten sich die verschiedenen krummen Linien in einem einzigen Punkt und bildeten Kronen von himmlischer Pracht. Endlich drängten sich die Bogen zusammen, das glänzende Nordlicht erbleichte, die hellleuchtenden Strahlen zerflossen in blassen, unsteten, unbestimmten Schein, und das wundervolle Phänomen, abgeschwächt und fast erloschen, verschwand unmerklich in dem düstern Gewölk des Südens.

Das Zauberhafte eines solchen Schauspiels unter den hohen Breitegraden, mindestens acht Grad vom Pol, ist kaum zu begreifen; die in den gemäßigten Zonen sichtbaren Nordlichter geben auch nicht eine schwache Idee davon.

Ebenso erschienen zur Zeit des Mondscheins häufig Nebenmonde, indem mehrere Bilder desselben sich am Himmel zeigten und seinen Glanz vermehrten; auch sah man oft einfache Mondringe um das Nachtgestirn herum, welches im Mittelpunkt eines Lichtkreises im starken Glanze leuchtete.

Am 26. November trat eine starke Fluth ein, und das Wasser drang mit Heftigkeit aus der Feuergrube; die dichte Eisdecke ward durch das Steigen des Meeres gleichsam erschüttert, und unheimliches Krachen verkündigte den unterseeischen Kampf; zum Glück hielt das Schiff in seinem Lager fest, und nur seine Ketten rasselten; übrigens hatte sie Hatteras vorsichtig festmachen lassen.

Die folgenden Tage waren noch kälter; der Himmel war mit durchdringendem Nebel bedeckt; der Wind wirbelte den Schnee bis zum Himmel empor.

Die Mannschaft beschäftigte sich innen mit verschiedenen Arbeiten, hauptsächlich mit Zubereitung des Fettes und Oeles der Robben; sie wurden Eisblöcke, die man mit dem Beil bearbeitete zu Stücken, die hart wie Marmor waren, und zehn Tonnen füllten. Dasselbe flüssig in die Gefäße zu füllen wäre unthunlich gewesen, weil diese beim Gefrieren zersprungen waren.

Am 28. fiel das Thermometer auf zweiunddreißig Grad unter Null (-36° hunderttheilig); es waren nur noch für zehn Tage Kohlen vorhanden, und jeder sah mit Schrecken dem Zeitpunkt entgegen, wo das Brennmaterial ausgehen würde.

Hatteras ließ aus Sparsamkeit den Ofen des Hinterdecks nicht mehr heizen, und von nun an mußten Shandon, der Doctor nebst ihm selbst sich im gemeinschaftlichen Saal der Mannschaft aufhalten. Dadurch war Hatteras in beständiger Berührung mit seinen Leuten, welche stumpfe und erbitterte Blicke auf ihn warfen. Er bekam ihre Beschuldigungen und Vorwürfe, selbst Drohungen zu hören, und konnte nicht gegen sie verfahren. Uebrigens schien er taub gegen alle Bemerkungen. Den nächsten Platz am Feuer begehrte er nicht, und saß in einer Ecke, die Hände im Schoos, ohne ein Wort zu reden.

Trotz aller Mahnungen des Doctors weigerten sich Pen und seine Freunde, die geringste Uebung vorzunehmen; sie brachten ganze Tage neben dem Ofen auf ihre Ellenbogen gestützt hin, oder unter den Decken ihrer Hängematten. Daher wurde auch bald ihr Gesundheitszustand schlimm; sie konnten dem verderblichen Einfluß des Klimas nicht widerstehen, und es zeigte sich an Bord das fürchterliche Leiden des Scorbut.

Der Doctor hatte indessen seit langer Zeit angefangen, jeden Morgen Citronensaft und Kalkpastillen auszutheilen; aber diese Präservativmittel, so wohlthätig sie gewöhnlich sind, wirkten kaum merklich auf die Kranken, das Uebel hatte seinen Verlauf und zeigte bald die schrecklichsten Symptome.

Wie jämmerlich der Anblick der vor Schmerzen zuckenden Nerven und Muskeln! Die Beine schwollen den Kranken außerordentlich und waren mit großen blauschwarzen Flecken bedeckt; das blutende Zahnfleisch, die geschwollenen Lippen ließen nur unarticulirte Töne vernehmen; bei dem verdorbenen Blut drang das Leben nicht mehr zu den äußersten Körpertheilen.

Clifton wurde zuerst von der fürchterlichen Krankheit befallen; bald auch konnten Gripper, Brunton, Strong ihre Hängematte nicht mehr verlassen. Die, welche verschont blieben, konnten sich dem Anblick dieser Leiden nicht entziehen; es gab kein anderes Obdach, als der eine gemeinsame Saal; da mußte man sich aufhalten. Daher verwandelte er sich rasch in ein Spital; denn von den achtzehn Mann des Forward wurden bald dreizehn vom Scorbut heimgesucht. Pen schien durch seine starke Natur der Ansteckung zu widerstehen; bei Shandon zeigten sich die ersten Symptome des Leidens; aber es schritt nicht weiter voran, und seine Arbeit hielt seinen Gesundheitszustand aufrecht.

Der Doctor pflegte die Kranken mit der größten Hingebung, und das Herz wollte ihm brechen beim Anblick der Leiden, welche er nicht zu lindern vermochte. Dennoch regte er soviel wie möglich heitern Sinn bei der Mannschaft an; seine Worte, Tröstungen, Bemerkungen, guten Einfälle unterbrachen die Einförmigkeit dieser langen Schmerzenstage; er las laut vor, und wußte heitere Geschichten zu erzählen, während die noch gesunden Leute dicht um den Ofen herum saßen; aber manchmal ward er durch das Jammern, das verzweifelnde Schreien der Kranken unterbrochen; da brach er seine Geschichte ab und ward wieder der achtsame, liebevolle Arzt.

Uebrigens dauerte seine Gesundheit aus; er ward nicht mager, seine Wohlbeleibtheit war ihm die beste Kleidung, und er sagte, es bekomme ihm recht gut daß die Natur ihn gleich einem Robben oder Wallfisch ausgestattet habe, welche ihrem dicken Fett verdanken, daß sie die Strenge des Polarklimas leicht ertragen.

Hatteras hatte weder physisch noch moralisch zu leiden; es schienen ihn nicht einmal die Leiden seiner Mannschaft zu rühren. Vielleicht hielt er nur seine Gemüthsbewegungen zurück; und ein achtsamer Beobachter hätte wohl bisweilen bemerkt, daß unter der eisernen Umhüllung ein Menschenherz schlug.

Das Thermometer sank noch mehr; der Spazierplatz des Verdecks blieb leer; nur die Eskimo-Hunde liefen mit kläglichem Bellen darauf herum.

Unter solchen unsäglichen Qualen kam der 8. December heran. An diesem Morgen, als der Doctor, wie gewöhnlich, nach dem außen befindlichen Thermometer sah, fand er das Quecksilber in der Kugel fest gefroren.

»Vierundvierzig Grad unter Null!« sagte er mit Schrecken.

Und an diesem Tage schob man das letzte Stücklein Kohle in den Ofen.

Siebenundzwanzigstes Capitel.


Siebenundzwanzigstes Capitel.

Die große Weihnachtskälte.

Das war ein Moment zum Verzweifeln. Sterben, vor Kälte zu sterben, der Gedanke trat schauerlich vor die Seele; das letzte Stück Kohle brannte mit unheimlichem Knistern; bereits drohte das Feuer auszugehen, und die Temperatur des Saales fiel merklich. Aber Johnson holte nun einige Stücke des neuen Brennmaterials, das ihm die Seethiere geliefert hatten, und füllte damit den Ofen; er fügte Werg zu dem gefrorenen Oel, und bekam bald hinreichende Wärme. Der Geruch dieses Fettes war zwar unausstehlich; aber wie konnte man ihn los werden? Man mußte sich darein ergeben. Johnson gab selbst zu, daß sein Hilfsmittel etwas zu wünschen übrig lasse, und in den Bürgerhäusern Liverpools gar nicht anwendbar wäre.

Und doch, fügte er bei, führt dieser widerliche Geruch vielleicht noch anderes Gute herbei.

– Und was denn? fragte der Zimmermann.

– Ohne Zweifel wird er die Bären dieser Küste herbeilocken, denn sie sind auf diese Dünste erpicht.

– Gut, entgegnete Bell, und muß man denn Bären haben?

– Freund Bell, erwiderte Johnson, auf die Robben dürfen wir nicht mehr rechnen; sie sind für lange Zeit verschwunden; wenn die Bären nicht ihrer Seits zu dem Brennstoff ihren Beitrag liefern, weiß ich nicht, was aus uns werden soll.

– Du hast Recht, Johnson; unser Schicksal ist noch lange nicht gesichert; diese Lage ist zum Erschrecken. Und wenn diese Gattung Brennmaterial uns abgeht, seh‘ ich kein Mittel weiter …

– Es gäbe noch eins! …

– Noch eins? erwiderte Bell.

– Ja, Bell! Wenn es zum Verzweifeln ist… aber nie wird der Kapitän … Und doch, er muß vielleicht darauf kommen.«

Der alte Johnson schüttelte traurig den Kopf, und verfiel in stille Gedanken, woraus Bell ihn nicht reißen wollte. Er wußte, daß diese so mühsam erworbenen Stücke Fett trotz strengster Sparsamkeit nicht für acht Tage reichen würden.

Der Rüstmeister hatte sich nicht geirrt. Die stinkenden Dünste zogen einige Bären herbei; die noch gesunden Männer machten Jagd auf sie; aber diese Thiere sind mit einer merkwürdigen Schnelligkeit begabt, und mit einer Feinheit, woran alle Listen scheitern. Man konnte ihnen nicht mehr nahe kommen, und die geschicktesten Kugeln konnten sie nicht erreichen.

Die Mannschaft der Brigg war ernstlich in Gefahr, vor Kälte zu sterben. Es war unmöglich, achtundvierzig Stunden bei einer solchen Temperatur auszuhalten. Jeder sah mit Schrecken den Zeitpunkt herankommen, da man mit dem letzten Stück Kohle zu Ende sein werde.

Das war nun am 20. December, um drei Uhr Nachmittags, der Fall; das Feuer erlosch; die Matrosen um den Ofen herum sahen sich starr an. Hatteras rührte sich nicht in seiner Ecke; der Doctor ging, wie gewöhnlich, lebhaft hin und her; er wußte nicht mehr, worauf er sinnen sollte.

Die Temperatur fiel im Saal plötzlich auf sieben Grad unter Null (-22° hunderttheilig).

Aber wußte der Doctor nicht mehr, was anzufangen, so wußten es andere. Shandon, kalt und entschlossen, Pen mit zornigem Blick, und einige ihrer Kameraden, die sich noch fortschleppen konnten, traten zu Hatteras.

»Kapitän«, sagte Shandon.

Hatteras, in diese Gedanken verloren, hörte ihn nicht.

»Kapitän«, wiederholte Shandon, und rührte ihn mit der Hand an.

Hatteras richtete sich auf.

»Mein Herr, sagte er.

– Kapitän, wir haben kein Feuer mehr.

– Nun? erwiderte Hatteras.

– Ist Ihre Absicht, daß wir vor Kälte umkommen, fuhr Shandon ironisch fort, so setzen Sie uns gefälligst davon in Kenntniß.

– Meine Absicht, erwiderte Hatteras, geht dahin, daß Jeder seine Schuldigkeit thue bis an’s Ende.

– Es giebt etwas, was noch über die Schuldigkeit geht, Kapitän, nämlich das Recht der Selbsterhaltung. Ich wiederhole Ihnen, daß wir kein Feuer mehr haben, und wenn das so fortgeht, ist in zwei Tagen keiner von uns mehr am Leben!

– Ich habe kein Holz, erwiderte Hatteras dumpf.

– Ei nun! rief Pen mit Nachdruck, wenn man kein Holz mehr hat, holt man sich’s, wo man es findet.«

Hatteras erblaßte vor Zorn.

»Wo meint Ihr? sagte er.

– An Bord, erwiderte unverschämt der Matrose.

– An Bord! wiederholte der Kapitän, mit geballter Faust und funkelnden Augen.

– Allerdings, erwiderte Pen, wenn das Schiff nicht mehr taugt, seine Mannschaft zu tragen, verbrennt man’s.«

Als Pen diesen Satz anfing, ergriff Hatteras ein Beil und schwang es dem Pen über den Kopf.

»Elender!« rief er.

Der Doctor stürzte dazwischen und drängte Pen zurück; das Beil fiel zu Boden. Johnson, Bell, Simpson umgaben ihn, schienen zu seinem Beistand entschlossen.

Aber kläglich jammernde Stimmen hörte man von den Krankenlagern.

»Feuer! Feuer!« riefen die unglücklichen Kranken, denen die Kälte unter ihre Decken drang.

Hatteras sprach, nach einer kleinen Pause, mit ruhigem Ton:

»Wenn wir unser Schiff zerstören, wie kommen wir wieder nach England?

– Mein Herr, erwiderte Johnson, man könnte vielleicht ohne Nachtheil die weniger nutzbaren Theile verbrennen, das Plattbord, die Geländer …

– Es blieben uns immer noch die Schaluppen, fuhr Shandon fort; und dann, wer hinderte uns, ein anderes kleineres aus den Trümmern des alten zu zimmern? …

– Niemals! erwiderte Hatteras.

– Aber … riefen mehrere Matrosen laut …

– Wir haben Weingeist in großer Menge, erwiderte Hatteras, den verbrennt bis zum letzten Tropfen.

– Nun, Weingeist geht an!« erwiderte Johnson, mit geheucheltem Vertrauen.

Und mit breiten Dochten, die man mit dieser Flüssigkeit tränkte und in den Ofen steckte, vermochte man die Temperatur des Saales um einige Grad zu erhöhen.

Während der folgenden Tage schlug der Wind um, das Thermometer stieg wieder; der Schnee wirbelte in minder strenger Luft. Einige der Leute konnten in den nicht so feuchten Tagesstunden das Schiff verlassen; aber Augenleiden und Scorbut hielten die meisten derselben an Bord; zudem waren weder Jagd noch Fischfang möglich.

Übrigens war es nur eine Unterbrechung der argen Kälte, und als am 25. der Wind unversehens wieder umschlug, gefror das Quecksilber abermals; man griff zum Weingeistthermometer, da diese Flüssigkeit bei ärgster Kälte nicht gefriert.

Der Doctor fand mit Schrecken sechsundsechzig Grad unter Null (-54° hunderttheilig), eine Kälte, die kaum jemals Menschen zu bestehen hatten.

Das Eis verbreitete sich in langen trüben Spiegeln auf dem Fußboden; dichter Nebel durchdrang den Saal; die Feuchtigkeit sank als dichter Schnee nieder; man konnte sich nicht mehr sehen; im menschlichen Körper zog sich die Wärme von den äußeren Theilen zurück; Füße und Hände wurden blau; der Kopf war wie mit eisernem Reif umspannt, und der verwirrte Gedanke nahte dem Wahnsinn. Erschreckliches Symptom: die Zunge vermochte nicht mehr ein Wort deutlich hervorzubringen.

Seit dem Tage, da man Hatteras drohte sein Schiff zu verbrennen, trieb er sich Stunden lang auf dem Verdeck herum, dasselbe zu überwachen, zu hüten. Dies Holz war ihm so werth, wie sein eigen Fleisch; hieb man ein Stück davon ab, so schnitt man ihm ein Glied vom Leibe. Mit der Waffe in der Hand hielt er Wache, unempfindlich gegen Kälte, Schnee, Eis; seine Kleider wurden steif, als stecke er in einem Panzer von Granit. Duk verstand ihn, und leistete ihm Gesellschaft mit Bellen und Heulen.

Doch am 25. December, als er in den gemeinschaftlichen Saal hinab kam, nahm der Doctor den Rest seiner Energie zusammen und ging stracks auf ihn zu.

»Hatteras, sprach er, wir kommen um aus Mangel an Feuer.

– Niemals! sagte Hatteras, der wohl wußte, worauf er abzielte.

– Es ist dringend nöthig, fuhr der Doctor leise fort.

– Niemals, fuhr Hatteras mit Nachdruck fort, ich gebe nie meine Einwilligung dazu! Thu man’s wider meinen Willen, wenn man will!«

Damit war Freiheit zu handeln gegeben. Johnson und Bell stürzten auf’s Verdeck. Hatteras hörte das Holz seiner Brigg unter Beilhieben krachen; es traten ihm Thränen in die Augen.

Es war eben Weihnachten, das Familienfest, die Kinderfreude in England um den grünen Baum herum. Hier aber Schmerz, Verzweiflung, Jammer im höchsten Grad, und zum Weihnachtsscheit diese Stücke Holz von dem in eisiger Zone verlorenen Schiff.

Inzwischen kam in Folge des Feuers den Matrosen Empfindung und Geisteskraft wieder; heißer Thee oder Kaffee bewirkten augenblickliches Wohlbehagen, und die Hoffnung haftet so fest im Geist, daß man wieder Hoffnung faßte. Mit solchen Gegensätzen schloß dieses unselige Jahr 1860, dessen vorzeitiger Winter die kühnen Pläne Hatteras‘ vereitelte.

Nun begab sich gerade am 1. Januar 1861 eine ganz unerwartete Entdeckung. Es war etwas weniger kalt; der Doctor hatte seine Studien wieder vorgenommen und las die Berichte Sir Edward Belcher’s über seine Expedition in die Polarmeere. Plötzlich traf er mit Erstaunen auf eine bisher nicht bemerkte Stelle; er las sie wiederholt; sie war nicht mißzuverstehen.

Sir Edward Belcher erzählte, er habe am Ende des Canals der Königin wichtige Spuren eines Aufenthalts von Menschen entdeckt.

»Es sind, sagte er, Reste von Wohnungen, die weit besser sind, als Alles, was man den herumstreifenden Eskimostämmen zuschreiben kann. Ihre Wände stehen fest im tief aufgegrabenen Boden; der mit schönem Kies bedeckte Fußboden im Innern war gepflastert. Gebeine von Rennthieren, Seekühen, Robben sieht man da in Menge. Wir trafen auch Kohlen an

Bei diesen letzten Worten kam dem Doctor ein Gedanke; er nahm sein Buch und theilte es Hatteras mit.

»Kohlen! rief dieser aus.

– Ja, Hatteras, Kohlen; das will heißen unsere Rettung.

– Kohlen! an dieser unbewohnten Küste! fuhr Hatteras fort. Nein, das ist nicht möglich!

– Weshalb daran zweifeln, Hatteras? Belcher hätte von so einer Thatsache nicht gesprochen, ohne mit eigenen Augen gesehen zu haben.

– Nun, demnach, Doctor?

– Wir sind keine hundert Meilen von der Küste entfernt, wo Belcher die Kohlen sah! Was will ein Ausflug von hundert Meilen bedeuten? Nichts. Man hat oft über’s Eis hin weit größere Untersuchungsfahrten, und bei ebenso hoher Kälte gemacht. Also wollen wir uns auf den Weg machen, Kapitän!

– Wir wollen hin!« rief Hatteras, der sich schnell entschloß, und mit beweglicher Phantasie sah er darin Aussicht auf Rettung.

Johnson wurde sogleich von diesem Entschluß in Kenntniß gesetzt, und billigte ganz das Vorhaben; er theilte es seinen Kameraden mit; die einen nahmen es beifällig auf, die anderen mit Gleichgültigkeit.

»Kohlen an jenen Küsten! sagte Wall aus seinem Schmerzenslager heraus.

– Lassen wir sie nur gewähren«, erwiderte Shandon geheimnißvoll.

Aber ehe noch die Vorbereitungen zur Reise gemacht wurden, fand Hatteras für gut, die Lage des Forward auf’s Genaueste festzustellen. Die Wichtigkeit dieser Berechnung ist leicht erklärlich, und weshalb man diese Lage mathematisch genau kennen mußte. War man einmal vom Schiff entfernt, so konnte man es ohne sehr genaue Angaben nicht wieder finden.

Hatteras begab sich also auf’s Verdeck, und nahm zu verschiedenen Malen mehrere Mond-Abstände und die Meridianhöhe der hauptsächlichen Sterne auf.

Diese Beobachtungen boten ernstliche Schwierigkeiten dar, denn bei dieser niederen Temperatur wurden die Spiegel der Instrumente von Hatteras‘ Athem mit einer Eisschichte bedeckt.

Doch gelang es ihm, sehr genaue Grundlagen für seine Berechnungen zu bekommen und er kam in den Saal zurück, seine Rechnung anzustellen. Als er damit fertig war, richtete er mit Staunen den Kopf auf, nahm seine Karte, notirte sein Ergebniß und sah den Doctor an.

»Nun? fragte dieser.

– Unter welcher Breite befanden wir uns beim Anfang unsers Winterlagers?

– Unter achtundsiebenzig Grad fünfzig Minuten Breite, und fünfundneunzig Grad fünfunddreißig Minuten Länge, gerade am Kältepol.

– Dann, fügte Hatteras leise bei, treibt unser Eisfeld! Wir befinden uns eben zwei Grad weiter nördlich und weiter nach Westen, wenigstens dreihundert Meilen von Ihrer Kohlenniederlage entfernt!

– Und diese Unglücklichen wissen’s nicht! … rief der Doctor.

– Stille!« sagte Hatteras und hielt den Finger auf seine Lippen.

Achtundzwanzigstes Capitel.


Achtundzwanzigstes Capitel.

Vorbereitungen zur Abreise.

Hatteras wollte seine Schiffsmannschaft nicht mit der neuen Situation bekannt machen. Er hatte Recht. Wahrscheinlich hätten diese Leute, wenn sie inne wurden, daß eine unwiderstehliche Gewalt sie weiter nach Norden trieb, aus Verzweiflung irgend welche Thorheiten begangen. Der Doctor verstand den Kapitän und billigte sein Schweigen vollkommen.

Die Empfindungen, welche diese neue Entdeckung in ihm hervorrief, verschloß der Letztere in seinem Innern. Er hatte den ersten glücklichen Augenblick nach den langen gegen die Mißgunst der Elemente durchkämpften Monaten. Er war ja 150 Meilen weiter gen Norden getrieben – kaum noch 8 Breitegrade vom Pol entfernt! Doch verbarg er seine Freude darüber so tief, daß selbst der Doctor keine Ahnung davon hatte; er bemerkte wohl, daß Hatteras‘ Augen in so ungewöhnlichem Glanze strahlten, doch das war auch Alles, und die naheliegende Erklärung dafür kam ihm gar nicht in den Sinn. Mit der Annäherung an den Nordpol hatte sich der Forward nicht wenig von dem durch Sir Edward Belcher entdeckten Kohlenlager entfernt; statt hundert waren jetzt, um dasselbe aufzusuchen, zweihundertfünfzig Meilen bis dahin rückwärts nach dem Süden zurückzulegen. Dennoch wurde nach kurzer Berathung zwischen Hatteras und Clawbonny die Fahrt beschlossen.

Hatte Belcher die Wahrheit gesagt und man hatte ja keinen Grund, es zu bezweifeln, so mußte sich Alles in dem Zustande, wie er es zurückgelassen hatte, wieder finden. Seit 1853 war keine neue Expedition nach jenen nördlichsten Ländern abgegangen; nur selten, ja fast nie traf man noch einen Eskimo in jenen hohen Breitegraden. Der auf der Insel Beechey vorgekommene Unfall konnte sich an der Küste von Neu-Cornwallis nicht wiederholen; die dort zurückgelassenen Gegenstände mußten sich bei der niedern Temperatur dieser Gegend voraussichtlich auf unbestimmte Zeit conserviren. So vereinigten sich alle Umstände zu Gunsten der Excursion über die Eisfelder.

Man veranschlagte die Reise auf eine Dauer von höchstens vierzehn Tagen, und Johnson traf demnach die nöthigen Vorbereitungen.

Seine erste Sorge betraf den Schlitten. Er war von grönländischer Form und hatte bei fünfunddreißig Zoll Breite eine Länge von vierundzwanzig Fuß. Die Eskimo’s bauen dergleichen öfters über fünfzig Fuß lang. Derselbe bestand aus langen, vorn und hinten aufgebogenen Brettern, die durch zwei starke Seile, ähnlich der Sehne eines Bogens, in dieser Lage erhalten wurden. Diese Construction verlieh ihm eine gewisse natürliche Elasticität, wodurch die Stöße weniger gefährlich wurden. Leicht über das Eis gleitend war er doch für die Benutzung bei frisch gefallenem Schnee, dem noch die nöthige Festigkeit mangelte, an den Seiten mit lothrecht stehenden Rahmen versehen, zwischen denen er höher gestellt werden konnte, um auch unter solchen Verhältnissen leicht beweglich zu sein. Zudem wurde er noch, wie es auch die Eskimo’s zu thun pflegen, mit einer Mischung von Schwefel und Schnee abgerieben, und glitt so mit der größten Leichtigkeit dahin.

Die Bespannung desselben bildeten sechs Hunde; stark, trotz ihrer Magerkeit, schienen sie von dem rauhen Winter nicht besonders zu leiden; ihr Geschirr von Damhirschleder war in bestem Zustande und man konnte sich auf eine solche, von den Grönländern zu Uppernawik gewissenhaft gelieferte Bespannung verlassen. Sechs Hunde reichen übrigens für eine Last von zweitausend Pfund aus, wobei sie sich nicht übermäßig anzustrengen hatten.

An Lagergeräthschaften wurde ein Zelt mitgenommen, für den Fall, daß es einmal unmöglich wäre, ein »Schneehaus« zu errichten; ferner ein großes Stück sogenannten Makintosh, bestimmt über den Schnee gebreitet zu werden, um beim Daraufliegen das Schmelzen desselben zu verhindern, und endlich eine hinreichende Anzahl Decken von Wolle und Büffelfellen. Auch das Halkett-Boot nahm man mit.

An Provision wurden verpackt: gegen vierhundertundfünfzig Pfund Pemmikan, von denen man als Ration je ein Pfund auf den Mann und auf den Hund rechnete. Letztere waren, Duk mitgezählt, sieben Stück; Menschen sollten nur vier mitgehen. Ferner zwölf Gallonen, d. h. etwa hundertundfünfzig Pfund Weingeist; Thee, Bisquit in hinreichender Menge, eine kleine tragbare Küche; beträchtliche Quantitäten Lunte und Werg; endlich Pulver, Munition und vier Doppelflinten. Die Theilnehmer an der Expedition trugen, nach Kapitän Parry’s Angabe, eine Art Gürtel aus Kautschuk, in welchem sich durch die Körperwärme und die Bewegung beim Gehen Kaffee, Thee oder Wasser wenigstens flüssig erhalten sollten.

Der sorgsame Johnson betrieb auch die Anfertigung von Schneeschuhen, bestehend aus breiten Holzsohlen, welche mit Riemen zur Befestigung am Fuße versehen waren und so als Schlittschuhe dienten; für übereistes und festes Terrain wurden sie mit Vortheil durch Mocassins aus Damhirschleder ersetzt; jeder Theilnehmer wurde mit zwei Paaren von jeder Art ausgerüstet.

Diese Vorbereitungen, welche man nicht für unwichtig halten möge, da die geringste übersehene Einzelheit das Fehlschlagen der ganzen Expedition herbeiführen konnte, nahmen vier Tage in Anspruch. Jeden Mittag beobachtete Hatteras sorgfältig die Lage des Fahrzeugs, welche nun keine Abweichung mehr zeigte. Ohne dessen sicher zu sein, hätte man es ja auf dem Rückwege nie wieder auffinden können.

Es galt nur noch, die Auswahl der Begleiter zu treffen, und es war die Entscheidung dabei nicht so leicht. Einige aus der Schiffsmannschaft waren nicht gut mitzunehmen, aber es war auch bedenklich, sie an Bord zurückzulassen. Doch da das Wohlergehen Aller von dem Erfolge der Reise abhing, entschied sich der Kapitän dahin, die sichersten und geprüftesten Begleiter auszuwählen.

Shandon wurde zunächst ausgeschlossen, und schien das auch nicht besonders zu bedauern. James Wall, der vollkommen bettlägerig war, konnte schon aus diesem Grunde nicht teilnehmen.

Der Zustand der Kranken verschlimmerte sich übrigens nicht; da ihre ganze Behandlung in täglichen Abreibungen und der Verabreichung einer tüchtigen Dosis Citronensaft bestand, so war diese, auch in Abwesenheit des Doctors, ja leicht fortzusetzen. Dieser schloß sich also, ohne Reklamation von irgend einer Seite, der Reisegesellschaft an.

Johnson hätte den Kapitän gern bei dem immerhin gefahrvollen Unternehmen begleitet, doch dieser nahm ihn bei Seite und sprach mit liebevoller, fast bewegter Stimme:

»Johnson, mein ganzes Vertrauen setze ich auf Sie, Sie sind der einzige Officier, dem ich mein Schiff überlassen kann, und Sie muß ich an Bord wissen, um Shandon und die Andern zu überwachen. Sie sind zwar für den Winter hierher festgebannt, aber wer weiß, welche Schlechtigkeiten sie auszuführen fähig wären! Ich werde Sie mit klaren Instructionen versehen, welche Ihnen für den Nothfall das Commando über das Schiff in die Hand geben. Sie werden mein zweites Ich sein. Vier bis fünf Wochen dürfte unsere Abwesenheit dauern, und ich werde nur dann ruhig sein, wenn ich Sie hier weiß. Sie brauchen Holz, Johnson; ich weiß es, aber verschonen Sie, so weit es angeht, mein armes Schiff. Sie verstehen mich, Johnson?

– Ich verstehe Sie, Kapitän, erwiderte der alte Seemann, und ich werde zurückbleiben, da es Ihnen so paßt.

– Ich danke Ihnen! sagte Hatteras, indem er seinem Schiffer die Hand drückte, und hinzufügte:

»Wenn wir nicht zurückkehrten, Johnson, so warten Sie bis zum nächsten Eisgang, und suchen zur Nachforschung gegen den Pol zu aufzubrechen. Lehnen sich die Andern dagegen auf, so nehmen Sie nicht weiter auf uns Rücksicht, und führen den Forward nach England zurück.

– Das ist Ihr Wille, Kapitän?

– Mein unabänderlicher Wille, erwiderte Hatteras.

– Ihre Befehle sollen ausgeführt werden«, war die einfache Antwort Johnson’s.

Der Doctor bedauerte die Entscheidung bezüglich seines würdigen Freundes, aber er mußte die Berechtigung von Hatteras‘ Handlungsweise anerkennen.

Die beiden andern Reisegenossen waren der Zimmermann Bell und Simpson. Der Erstere, ein kerngesunder braver und anhänglicher Mensch, sollte zum Behuf der Lagerung auf dem Schnee wichtige Dienste leisten; der Zweite, obgleich weniger entschlossen zu dem Wagniß, nahm doch an der Expedition Theil, da er als geübter Jäger und Fischer gewiß nützlich sein konnte.

Die kleine Gesellschaft bestand also aus Hatteras, Clawbonny, Bell, Simpson und dem stets fröhlichen Duk; es waren demnach vier Menschen und sieben Hunde zu ernähren, und auf Grund dessen waren die Proviantvorräthe berechnet.

Wahrend der ersten Tage des Januar hielt sich die Temperatur im Mittel stets auf dreiunddreißig Grad unter Null (-36° hundertteilig). Hatteras wartete voll Ungeduld auf einen Umschlag der Witterung; häufig beobachtete er das Barometer, aber dessen Angaben erwiesen sich als nicht verläßlich; er scheint in diesen hohen Breiten an der gewöhnlichen Treue seiner Anzeigen einzubüßen; in diesen Klimaten vollziehen sich merkliche Ausnahmen der sonst allgemein giltigen Witterungsgesetze: so ist die Reinheit des Himmels keineswegs immer von besonderer Kälte begleitet, und Schneefall veranlaßte ebensowenig immer ein Steigen der Temperatur; das Barometer blieb eben unzuverlässig, wie es auch schon viele Polarmeerfahrer beobachtet hatten: es stieg nicht selten bei Nord- oder Ostwinden; bei niedrigem Stande war oft schönes, heiteres Wetter, bei hohem, Schnee oder feiner Regen, kurz, man konnte eben aus seinen Angaben keine Schlußfolgerungen ziehen.

Am 5. Januar endlich trat eine Wendung ein; die Quecksilbersäule stieg bis auf achtzehn Grad unter Null (-28° hunderttheilig), und Hatteras entschloß sich für den nächsten Morgen zur Abreise. Er ertrug es nicht mehr, sein Schiff mit eignen Augen zerstückeln zu sehen, und schon war das ganze Oberdeck in den Ofen gewandert.

Am 6. Januar wurde also trotz Schneestürmen der Befehl zur Abreise gegeben, der Doctor hinterließ den Kranken seine letzten Verordnungen; Bell und Simpson wechselten noch schweigend einen Händedruck mit ihren Genossen. Hatteras wollte noch mit einigen Worten Abschied nehmen, aber er traf rings nur auf böse Blicke. Um die Lippen Shandon’s glaubte er ein ironisches Lächeln spielen zu sehen. Er schwieg also. Einen Augenblick schien er auch, als er seine Blicke auf den Forward richtete, unentschlossen zur Abreise.

Doch – die Entscheidung war gefallen; beladen und bespannt wartete der Schlitten auf dem Eisfelde. Bell schritt voran; die Andern folgten. Johnson begleitete die Reisenden noch eine Viertelmeile; dann bat ihn Hatteras, an Bord zurückzukehren, was der alte Seemann erst nach langem Abschiedwinken that.

Eben wandte sich Hatteras noch einmal um nach seiner Brigg und sah die Mastspitzen in dem Schneegewölke verschwinden.

Achtzehntes Capitel.


Achtzehntes Capitel.

Nordwärts.

Die Mannschaft schien zu ihrer gewohnten Zucht und Folgsamkeit zurückgekehrt zu sein. Die spärlichen, nicht sehr ermüdenden Manoeuvres ließen ihr reichlich Muße. Die Temperatur hielt sich über dem Gefrierpunkt, und das Thauwetter mußte die größten Schwierigkeiten dieser Fahrt überwinden,

Duk, vertraulich und gesellig, hatte aufrichtige Freundschaft mit dem Doctor Clawbonny angeknüpft, und sie standen auf dem besten Fuß mit einander. Aber wie stets ein Freund dem Andern sich hingiebt, so muß man eingestehen, daß der Doctor nicht der Andere war. Duk machte mit ihm Alles, was er wollte, und der Doctor folgte ihm, wie ein Hund seinem Herrn. Duk zeigte sich übrigens liebenswürdig gegen die meisten Matrosen und Officiere an Bord; nur mied er, aus Instinct ohne Zweifel, die Gesellschaft Shandon’s; auch hatte er einen Groll, und was für einen! gegen Pen und Foker; sein Haß sprach sich in ihrer Nähe durch kaum verhaltenes Knurren aus. Diese wagten übrigens nicht mehr mit dem Hund des Kapitäns anzubinden.

Kurz, die Mannschaft hatte wieder Vertrauen gefaßt, und hielt sich gut.

»Es kommt mir vor, sagte einst James Wall zu Richard Shandon, als hätten unsere Leute die Anrede des Kapitäns im Ernst genommen; sie sehen aus, als zweifelten sie nicht am Erfolg.

– Da sind Sie im Irrthum, erwiderte Shandon; wenn sie nachdächten, wenn sie die Lage prüften, so begriffen sie, daß wir aus einer Unvorsichtigkeit in die andere gerathen.

– Doch, fuhr Wall fort, sind wir ja hier in freierem Meer; wir kommen wieder auf schon bekannte Wege; Sie übertreiben wohl, Shandon?

– Ich übertreibe nicht, Wall; der Groll, die Eifersucht, wenn Sie wollen, welche Hatteras mir einflößt, machen mich nicht blind. Antworten Sie mir, haben Sie die Kohlenkammern angesehen?

– Nein, erwiderte Wall.

– Nun, gehen Sie hinab, und Sie werden sehen, wie reißend schnell unsere Vorräthe schwinden. Grundsätzlich hätte man die Fahrt vorzugsweise mit dem Segel machen, und die Schraube vorbehalten sollen, um Strömungen oder widrigen Winden entgegen zu fahren, so daß unser Brennmaterial nur mit größter Sparsamkeit verwendet würde, denn, wer kann sagen, an welcher Stelle diese Meere, und ob nicht auf die Dauer von Jahren wir festgehalten werden können? Aber Hatteras, den nur der Wahnsinn treibt, vorwärts zu kommen, bis zu dem unzugänglichen Pol zu dringen, macht sich über ein solches Detail keine Gedanken mehr. Mag der Wind entgegen sein, oder nicht, er fährt mit vollem Dampf und wenn das so fortgeht, gerathen wir in große Verlegenheit, wo nicht in’s Verderben.

– Ist das wahr, was Sie sagen, Shandon? Dann ist’s eine bedenkliche Sache!

– Ja, Wall, bedenklich, nicht allein in Rücksicht auf die Maschine, die ohne Heizung in einer kritischen Lage uns wenig nützen würde, sondern auch in Hinsicht auf eine Ueberwinterung, worauf wir früher oder später gefaßt sein müssen. Man muß aber in einem Lande, wo häufig das Quecksilber im Thermometer gefriert,2 ein wenig Rücksicht auf die Kälte nehmen.

– Aber, irre ich nicht, Shandon, so rechnet der Kapitän darauf, seinen Vorrath auf der Insel Beechey zu ergänzen; dort muß eine große Menge Kohlen gelagert sein.

– Kann man denn in diesen Meeren fahren, wohin man will, Wall? Kann man sich darauf verlassen, daß man diesen oder jenen Ort eisfrei finde? Und wenn uns die Insel Beechey abgeht, wenn man nicht zu ihr gelangen kann, was soll aus uns werden?

– Sie haben Recht, Shandon; Hatteras scheint mir unvorsichtig; aber warum machen Sie ihm nicht darüber einige Bemerkungen?

– Nein, Wall, erwiderte Shandon mit kaum verhüllter Bitterkeit; ich habe mir vorgenommen, zu schweigen; ich habe keine Verantwortlichkeit mehr für das Schiff; ich lasse die Ereignisse herankommen; ich gehorche dem Befehl, und habe keine Ansicht zu äußern.

– Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie so nicht recht handeln, Shandon, weil sich’s um ein gemeinsames Interesse handelt, und solche Unvorsichtigkeiten des Kapitäns uns alle sehr theuer zu stehen kommen können.

– Und wenn ich mit ihm spräche, Wall, würde er mir Gehör geben?«

Wall getraute sich nicht, Ja zu sagen.

»Aber, fügte er bei, vielleicht gäbe er den Vorstellungen der Mannschaft Gehör.

– Die Mannschaft! sagte Shandon mit Achselzucken; aber, mein armer Wall, haben Sie dieselbe noch nicht beobachtet? Sie ist von einem ganz andern Gefühl beseelt, als dem ihrer Rettung! Sie weiß, daß es dem zweiundsiebenzigsten Breitegrad zugeht, und daß für jeden Grad weiter hinaus ihr eine Summe von tausend Pfund zugesagt ist.

– Sie haben Recht, Shandon, erwiderte Wall, und der Kapitän hat damit das beste Mittel ergriffen, seine Leute festzuhalten.

– Allerdings, erwiderte Shandon, für jetzt wenigstens.

– Was meinen Sie damit?

– Ich meine, daß, wenn man keine Gefahren oder Beschwerden zu bestehen hat, im freien Meer sich befindet, das schon ganz gut geht; Hatteras hat sie mit Geld gewonnen; aber was man um des Geldes willen thut, thut man schlecht. Kommen wir einmal in schwierige Verhältnisse, Gefahren, Elend, Krankheit, Entmuthigung, Kälte, der wir uns unsinniger Weise über Hals und Kopf aussetzen, da werden Sie sehen, ob diese Leute noch Sinn für eine ausgesetzte Prämie haben!

– Also, Ihrer Ansicht nach, Shandon, wird Hatteras seinen Zweck nicht erreichen?

– Nein, Wall, es wird ihm nicht gelingen; bei einer solchen Unternehmung müssen die Männer an der Spitze vollkommene Einigkeit des Sinnes haben, die aber hier nicht besteht. Ich füge bei, Hatteras ist ein Narr, wie seine ganze Vergangenheit beweist! Kurz, wir werden schon sehen! Es können Ereignisse der Art eintreten, daß man genöthigt ist, das Commando des Schiffes einem nicht so wagehalsigen Kapitän anzuvertrauen …

– Doch, sagte Wall mit zweifelnder Miene den Kopf schüttelnd, wird Hatteras immer auf seiner Seite haben …

– Er wird, unterbrach Shandon, den Doctor Clawbonny haben, das ist ein Gelehrter, der nur Gedanken für sein Wissen hat; Johnson, der ein Seemann ist, Sklave der Disciplin, und sich nicht einmal die Mühe nimmt zu urtheilen; vielleicht noch zwei bis drei Mann weiter, wie den Zimmermann Bell, höchstens vier zusammen, und es sind unser achtzehn an Bord! Nein, Wall, Hatteras besitzt nicht das Vertrauen der Mannschaft, das weiß er wohl, und ködert sie mit Geld; er hat von der Katastrophe Franklin’s einen geschickten Gebrauch gemacht, um in den wankelmüthigen Geistern eine Wendung herbeizuführen; aber das hält nicht an, sag‘ ich Ihnen, und wenn es ihm nicht gelingt, auf der Insel Beechey zu landen, ist er verloren!

– Wenn die Mannschaft vermuthen könnte…

– Ich bitte Sie ernstlich, erwiderte Shandon lebhaft, ihr diese Bemerkungen nicht mitzutheilen; sie wird schon selbst darauf kommen. In diesem Augenblick übrigens ist’s nützlich, in der Richtung nach Norden zu bleiben. Aber wer weiß, ob nicht das, was Hatteras für eine Fahrt nach dem Pol hält, zu einer Rückkehr wird? Am Ende des Mac-Clintock-Canals befindet sich die Bai Melville, wo die vielen Straßen zusammenlaufen, welche in die Baffins-Bai zurückführen. Hatteras mag sich in Acht nehmen! Der Weg ostwärts ist leichter, als der nordwärts.«

Aus diesen Worten ist Shandon’s Stimmung zu erkennen, und man sieht, wie der Kapitän Grund hatte, einen Verräther in demselben zu ahnen.

Shandon urtheilte übrigens in dem Punkt richtig, daß er annahm, die gegenwärtige Befriedigung der Mannschaft rühre von der Aussicht her, bald über den zweiundsiebenzigsten Breitegrad hinauszukommen. Dieser Hunger nach Geld übermannt auch die Verzagteren an Bord.

Nimmt man den Kapitän und den Doctor aus, welche an der Prämie keinen Theil haben konnten; so belief sich die übrige Mannschaft des Forward auf sechzehn Mann. Da die Prämie tausend Pfund betrug, so machte dies zweiundsechzig und ein halb Pfund dem Mann für jeden Grad. Gelang es je, an den Pol zu kommen, so brachten die achtzehn Grad bis dahin jedem eine Summe von elfhundertundfünfundzwanzig Pfund, d. h. ein Vermögen. Diese Lieblingsidee kostete demnach dem Kapitän achtzehntausend Pfund, aber er war reich genug damit eine Spazierfahrt nach dem Pol zu bezahlen.

Diese Berechnungen entflammten, wie leicht begreiflich ist, die Geldgier der Mannschaft in hohem Grad, und Mancher, der vierzehn Tage zuvor gerne südwärts gesteuert wäre, trachtete jetzt, über diese mit Gold belegte Breite hinauszukommen.

Am 16. Juni fuhr der Forward beim Cap Aworth vorüber. Der Berg Rawlinson ragte mit weißen Spitzen zum Himmel; Schnee und Nebel ließen ihn kolossal erscheinen, indem man seine Entfernung überschätzte; die Temperatur hielt sich einige Grad über dem Gefrierpunkt; es kamen improvisirte Cascaden an den Abhängen des Berges zum Vorschein, und Lavinen stürzten mit einem Donnergeroll herab, das mit fortwährendem Abfeuern schweren Geschützes zu vergleichen war. Die in langen weißen Streifen zu Tage liegenden Gletscher verbreiteten weithin einen ungeheuern Widerschein. Die nordische Natur im Kampf mit dem Thauwetter bot den Augen einen glänzenden Anblick. Die Brigg fuhr ziemlich nahe an der Küste vorüber; man gewahrte auf einigen geschützten Felsen hier und da Haidekraut, dessen röthliche Blüthen schüchtern zwischen dem Schnee sich herauswagten, und magere Flechten von röthlicher Farbe, so wie auf dem Boden kriechende Sprossen einer Art Zwergweide.

Endlich, am 19. Juni, kam man unter dem berufenen zweiundsiebenzigsten Grad bei der Spitze Minto vorüber, welche die Bai Ommaney auf der einen Seite abschließt, und lief in die Bai Melville ein.

Trotz eines starken Nordwindes hatte der Forward ziemlich leichte Fahrt, so daß er am 23. Juni über den vierundsiebenzigsten Breitegrad hinauskam. Er befand sich in der Mitte des Melville-Beckens, welches eins der ansehnlichsten Meere dieser Gegenden bildet. Es wurde zum erstenmal vom Kapitän Parry bei seiner großen Expedition im Jahre 1819 befahren, und seine Mannschaft gewann dadurch die von der Regierung ausgesetzte Prämie von fünftausend Pfund.

Clifton machte die Bemerkung, daß man jetzt schon zwei Grade gewonnen, und dabei bereits hundertfünfundzwanzig Pfund auf seinem Conto habe. Man entgegnete jedoch, in diesen Gegenden habe Vermögen wenig Werth, und es sei wohl gerathen, zu warten, bis man in einer Schenke zu Liverpool sich die Hände reiben könne.

  1. Das ist bei 42° hunderttheilig unter Null der Fall.

Neunzehntes Capitel.


Neunzehntes Capitel.

Ein Wallfisch in Sicht.

Das Melville-Becken, obwohl es eine leichte Fahrt gestattete, war doch nicht frei von Eis; man sah ungeheure Eisfelder, die sich bis an die Grenzen des Horizonts erstreckten; hier und da zeigten sich einige Eisberge, aber unbeweglich und, wie festgeankert inmitten der Eisfelder. Der Forward schlug mit vollem Dampf die weiten Fahrwege ein, wo seine Bewegungen leicht wurden. Der Wind schlug häufig um, von einem Punkt der Windrose zum andern rasch überspringend.

Die Veränderlichkeit des Windes in den Polar-Meeren ist eine beachtenswerthe Thatsache, und häufig folgt auf vollständige Windstille in wenig Minuten ein regelloser Sturm. Dieses mußte Hatteras am 23. Juni, selbst mitten in der ungeheuern Bai erfahren.

Die beständigsten Winde wehen im Allgemeinen von der Eisdecke zum freien Meer, und sind sehr kalt. An diesem Tage fiel das Thermometer um einige Grad; der Wind schlug nach Süd um, und ungeheure Windstöße, welche über die Eisfelder strichen, entledigten sich ihrer Feuchtigkeit unter der Form dichten Schnees. Hatteras ließ augenblicklich die Segel, welche die Schraube unterstützten, aufgeien, was jedoch nicht so schnell geschehen konnte, daß nicht in einem Augenblick sein kleines Bramsegel fortgerissen wurde.

Hatteras ordnete seine Manoeuvres mit der kaltblütigsten Ruhe an, und verließ während des Sturmes das Verdeck nicht; er war genöthigt, vor dem Wetter wieder ostwärts zu flüchten. Der Wind regte ungeheure Wellen auf, in deren Mitte Eisblöcke aller Formen schaukelten, die von den umgebenden Eisfeldern losgerissen wurden; die Brigg wurde gleich einem Spielball hin- und hergeworfen, und Trümmer von Eisblöcken stürzten über ihren Rumpf; zu Zeiten wurde das Schiff senkrecht auf die Spitze eines Wasserberges gehoben und sein stählernes Vordertheil funkelte wie schmelzendes Metall, dann stürzte es wieder in einen Abgrund mitten in seine eigenen Rauchwirbel, während seine Schraube außerhalb des Wassers ihre Schläge in die Luft machte. Regen mit Schnee vermischt, fiel in Strömen.

Der Doctor ließ sich eine solche Gelegenheit, bis auf’s Hemd durchnäßt zu werden, nicht entgehen; er blieb unausgesetzt auf dem Verdeck, um die tiefe Bewunderung eines solchen Schauspiels ungeschmälert zu genießen. Man konnte seinen nächsten Nachbar nicht hören, daher schaute er schweigend. Dabei beobachtete er eine sonderbare, den Nordregionen eigenthümliche Erscheinung.

Das Unwetter beschränkte sich auf einen engen Raum, erstreckte sich nicht über drei bis vier Meilen weit; in der That verliert der über die Eisfelder streifende Wind viel von seiner Kraft und kann seine verheerende Gewalt nicht weit ausdehnen. Der Doctor gewahrte von Zeit zu Zeit, wenn das Unwetter etwas nachließ, jenseits der Eisfelder heitern Himmel und ruhiges Meer; also brauchte der Forward nur durch die Fahrwasser zu dringen, um eine ruhige Fahrt zu bekommen; nur lief er dabei Gefahr, auf die beweglichen Bänke geworfen zu werden, welche dem Wogendrang unterworfen waren. Doch gelang es Hatteras, sein Schiff nach Verlauf einiger Stunden in ein ruhiges Meer zu bringen, während die Heftigkeit des am Horizont wüthenden Orkans einige Kabellängen weit vom Forward sich legte.

Das Melville-Becken bot damals nicht mehr den nämlichen Anblick dar; durch Einwirken der Wogen und Winde wurde eine große Zahl Eisberge von den Küsten losgerissen und trieben in allen Richtungen sich durchkreuzend und wider einanderstoßend, nordwärts. Man konnte deren mehrere hundert zählen; aber die Bai ist sehr breit, und die Brigg wich ihnen leicht aus. Es war ein prachtvolles Schauspiel, wie diese schwimmenden Massen mit ungleicher Geschwindigkeit auf dieser ungeheuern Rennbahn um die Wette zu treiben schienen.

Der Doctor war davon ganz entzückt, als der Harpunier Simpson zu ihm trat, und ihn auf die wechselnden Farben des Meeres aufmerksam machte; dieselben änderten ihren Ton vom tiefen Blau bis zum Olivengrün; lange Streifen zogen von Norden südwärts mit so grell abstechenden Rändern, daß man, soweit das Auge reichte, ihre Scheidelinien verfolgen konnte. Mitunter auch zogen durchsichtige Streifen neben andern, die völlig dunkel waren.

»Nun, Herr Clawbonny, was halten Sie von dieser eigentümlichen Erscheinung? sagte Simpson.

– Ich bin der Meinung, erwiderte der Doctor, welche einst der Wallfischfahrer Scoresby über die Natur dieser verschieden gefärbten Wasser aussprach: nämlich die blauen sind ohne jene Milliarden kleiner Thierchen und Medusen, wovon die grünen Wasser durchdrungen und angefüllt sind; er hat darüber verschiedene Experimente angestellt, und ich schenke ihm gerne Glauben.

– Ei, mein Herr, man kann aus der Meeresfärbung noch eine andere Belehrung schöpfen.

– Wirklich?

– Ja, Herr Clawbonny, und wahrhaftig, wenn der Forward nichts als ein Wallfischfahrer wäre, so hätten wir, glaub‘ ich, gewonnen Spiel.

– Aber ich sehe doch, erwiderte der Doctor, von einem Wallfisch nicht die geringste Spur.

– Richtig! Aber es wird nicht lange dauern, so werden wir einen sehen, ich sag’s Ihnen voraus. Es ist ein merkwürdig gutes Vorzeichen für einen Wallfischjäger, wenn er unter diesem Breitegrad solche grüne Streifen antrifft.

– Und weshalb? fragte der Doctor, welchen solche von Leuten des Faches gemachte Bemerkungen lebhaft interessirten.

– Weil man in diesen grünen Wassern, erwiderte Simpson, weit mehr Wallfische zu fischen bekommt.

– Und aus welchem Grunde, Simpson?

– Weil sie darin reichlichere Nahrung finden.

– Sind Sie dieser Thatsache gewiß?

– O! Hundertmal, Herr Clawbonny, habe ich die Erfahrung im Baffins-Meer gemacht; und ich sehe nicht ein, warum es nicht in der Melville-Bai ebenso sein sollte.

– Sie sollen Recht haben, Simpson.

– Und sehen Sie, erwiderte dieser, indem er sich über das Geländer beugte, schauen Sie her, Herr Clawbonny.

– Nun, versetzte der Doctor, man könnte es für das Kielwasser eines Schiffes halten!

– Das ist ja, erwiderte Simpson, eine fette Substanz, welche der Wallfisch hinter sich läßt. Glauben Sie mir, das Thier, von welchem dieselbe herrührt, muß nicht weit davon entfernt sein!«

Wirklich, die Atmosphäre war von einem starken Laichgeruch durchdrungen. Der Doctor betrachtete nun aufmerksam den Meeresspiegel, und es dauerte nicht lange, so fand die Voraussagung des Harpuniers seine Bestätigung. Foker’s Stimme ließ sich vom Mast herab vernehmen.

»Ein Wallfisch, rief er, unter’m Wind zu uns!«

Alle schauten in der angegebenen Richtung; eine Meile von der Brigg entfernt sah man einen Wasserstrahl ein wenig aus dem Meere heraussprudeln.

»Da ist er ja! Da ist er! schrie Simpson, dessen Erfahrung unmöglich irren konnte.

– Er ist wieder verschwunden, erwiderte der Doctor.

– Man würde ihn wohl zu finden wissen, wenn es nothwendig wäre«, sagte Simpson bedauernd.

Aber, zu seinem großen Erstaunen, und obwohl kein Mensch die Bitte gewagt hätte, gab Hatteras Befehl, das Wallfischboot fertig zu machen; es war ihm ganz recht, seiner Mannschaft diese Zerstreuung zu gewähren, und selbst auch einige Tonnen Oel zu bekommen.

Vier Matrosen verfügten sich in das Boot; Johnson, am hintersten Platz, hatte es zu leiten; Simpson, die Harpune in der Hand, stand vorn. Der Doctor ließ sich nicht abhalten, die Expedition mitzumachen. Das Meer war ziemlich ruhig. Das Boot fuhr rasch ab und befand sich nach zehn Minuten eine Meile weit von der Brigg.

Der Wallfisch, nachdem er abermals Luft geschöpft, war von Neuem untergetaucht; aber er kam bald wieder an die Oberfläche und spritzte fünfzehn Fuß weit die Mischung von Dünsten und Schleim, welche aus seinen Luftlöchern entweicht.

»Dort, dort!« rief Simpson, und wies auf einen Punkt achthundert Yards von der Schaluppe.

Diese fuhr rasch auf das Thier los, und die Brigg, welche es ebenfalls bemerkt hatte, kam mit schwachem Dampf herum.

Das ungeheure Thier verschwand und kam wieder zum Vorschein, wie die Wellen es trieben, so daß man seinen schwärzlichen Rücken sah; ein Wallfisch schwimmt nicht schnell, wenn er nicht verfolgt wird, und dieser wiegte sich in gleichgiltiger Ruhe.

Die Schaluppe fuhr still heran, dem Strome der grünen Wasser folgend, deren dunkle Beschaffenheit das Thier hindert, seinen Feind zu sehen. Es ist immer ein ängstlicher Anblick, wenn man eine schwache Barke den Kampf mit solchen Ungeheuern unternehmen sieht: dieses mochte etwa hundertunddreißig Fuß messen, und man trifft nicht selten zwischen dem zweiundsiebenzigsten und achtzigsten Breitegrad Wallfische, die über hundertundachtzig Fuß groß find. Die Berichte alter Schriftsteller von siebenhundert Fuß großen Thieren gehören in’s Reich der Fabeln.

Nicht lange, so war die Schaluppe nahe bei dem Wallfisch. Simpson winkte mit der Hand, die Ruder hielten inne, der gewandte Harpunier schwang und schleuderte seine Harpune mit kräftiger Hand. Die mit widerhakiger Spitze versehene Waffe drang in die dichte Fettschichte. Das verwundete Thier warf seinen Schwanz rückwärts und tauchte unter. Augenblicklich wurden die vier Ruder senkrecht emporgehoben; das an die Harpune befestigte Seil, welches auf dem Vordertheil lag, rollte sich äußerst schnell ab, und die Schaluppe wurde fortgezogen, während Johnson sie geschickt leitete.

Der Wallfisch entfernte sich von der Brigg und schwamm in der Richtung der treibenden Eisberge; während einer halben Stunde trieb er so. Als die Schnelligkeit des Thieres abzunehmen schien, wurde das Seil allmälig beigezogen und sorgfältig aufgerollt; der Wallfisch erschien bald wieder auf der Meeresoberfläche, schlug diese mit seinem fürchterlichen Schwanz, und das von ihm ausgespritzte Wasser fiel als Platzregen auf die Schaluppe nieder. Diese kam rasch heran; Simpson ergriff eine lange Lanze und hielt sich bereit, dem Thiere zu Leibe zu gehen.

Dieses aber schlüpfte mit größter Schnelligkeit in eine enge Fahrt zwischen zwei Eisbergen. Dahin es zu verfolgen, ward nun äußerst gefährlich.

»Teufel! rief Johnson.

– Vorwärts! Vorwärts! Fest, meine Freunde, rief Simpson in unsinnigem Jagdeifer, der Wallfisch ist unser!

»Aber zwischen die Eisberge können wir ihm nicht folgen,« erwiderte Johnson, und hielt die Schaluppe an.

»Ja! ja!« schrie Simpson.

»Nein! nein!« riefen einige Matrosen.

Während dessen war der Wallfisch zwischen zwei Eisberge gerathen, welche von den Wellen und dem Wind getrieben, zusammenzufahren strebten.

Die bugsirte Schaluppe drohte in diese gefährliche Enge hineingezogen zu werden; da sprang Johnson mit einem Beil in der Hand auf’s Vordertheil, und hieb den Strick entzwei.

Es war hohe Zeit. Die beiden Berge fuhren mit unwiderstehlicher Gewalt zusammen und zerdrückten das Thier.

»Verloren!« rief Simpson.

»Gerettet!« erwiderte Johnson.

»Wahrhaftig!« rief der Doctor, der keine Miene verändert hatte, »das verlohnte der Mühe zu sehen!«

Die zertrümmernde Gewalt dieser Berge ist enorm.

Wie es hier erging, geschieht es häufig in jenen Meeren. Scoresby erzählt, es seien im Laufe eines einzigen Sommers in der Baffins-Bai dreißig Wallfische auf diese Art umgekommen; er sah, wie ein Dreimaster binnen einer Minute plattgedrückt wurde.

Nach einer kleinen Weile kam die Schaluppe wieder zu der Brigg, und an ihren gewöhnlichen Platz auf dem Verdeck.

»Das ist eine Warnung,« sagte Shandon laut, »für die Unvorsichtigen, welche sich in die engen Fahrwasser hineinwagen!«

Zweites Capitel.


Zweites Capitel.

Ein unerwarteter Brief.

Das Schreiben, welches Richard Shandon acht Monate zuvor erhalten hatte, lautete wörtlich:

Aberdeen, den 2. August 1859.

»Herrn Richard Shandon, Liverpool.

»Mein Herr.

»Gegenwärtiges soll Sie in Kenntniß setzen, daß sechzehntausend Pfd. Sterling dem Bankhause Marcuart K Cie. in Liverpool zugestellt worden sind. Hier beifolgend eine Reihe von Anweisungen mit meiner Unterschrift, mit welchen Sie über Summen bis zu dem gedachten Betrag verfügen können.

»Sie kennen mich nicht; darauf kommt wenig an. Ich kenne Sie, und das ist die Hauptsache.

»Ich biete Ihnen die Stelle des Unterbefehlshabers an Bord der Brigg Forward, zu einer Expedition, die lang und gefährlich sein kann.

»Lehnen Sie ab, so ist’s nichts. Nehmen Sie an, so sollen Sie fünfhundert Pfund als Gehalt empfangen, und nach Verlauf jedes Jahres, so lange die Unternehmung dauert, soll Ihr Gehalt um ein Zehntheil erhöht werden.

»Die Brigg Forward existirt noch nicht. Sie müssen sie noch bauen lassen, so daß sie spätestens zu Anfang April 1860 in die See stechen kann. Hierbei folgt ein detaillirter Plan mit Aufriß. Sie haben sich pünktlich daran zu halten. Das Schiff soll in den Werften der Herren Scott & Cie. gezimmert werden, mit welchen Sie sich darüber zu benehmen haben.

»Ich empfehle Ihnen ganz besonders die Bemannung des Forward; sie wird bestehen aus einem Kapitän, der bin ich, einem Lieutenant, Sie, einem dritten Officier, einem Rüstmeister, zwei Maschinisten, einem Eismeister, acht Matrosen und zwei Heizern, zusammen achtzehn Mann, inbegriffen den Doctor Clawbonny aus dieser Stadt, welcher zu gehöriger Zeit bei Ihnen erscheinen wird.

»Die zur Theilnahme an der Expedition des Forward berufenen Leute müssen Engländer sein, frei, ohne Familie, unverheiratet, nüchtern (denn geistige Getränke und selbst Bier werden an Bord nicht geduldet), bereit alles zu unternehmen und alles zu ertragen. Sie werden dieselben vorzugsweise aus Leuten von sanguinischer Leibesbeschaffenheit wählen, welche eben deshalb das Lebensprincip thierischer Wärme in höherm Grade in sich enthalten.

»Sie bieten ihnen das Fünffache ihres gewöhnlichen Soldes, mit einer jährlichen Zulage von einem Zehntel. Bei Beendigung der Unternehmung werden jedem derselben fünfhundert Pfund zugesichert, und zweitausend Pfund Ihnen. Diese Gelder werden von den obgedachten Herren Marcuart & Cie. bezogen.

»Diese Unternehmung wird lange dauern und voll Strapazen, aber ehrenvoll sein. Sie haben sich also nicht zu besinnen, Herr Shandon.

»Antwort post restante Göteborg (Schweden)

unter K. Z.«

»P. S. Sie werden künftigen fünfzehnten Februar einen großen dänischen Hund mit herabhängenden Lefzen, schwärzlich fahl mit schwarzen Querstreifen empfangen. Sie wollen ihm an Bord eine Stätte anweisen und ihm Gerstenbrod vermischt mit Brühe von Talgbrot zum Futter geben. Den Empfang des Hundes melden Sie nach Livorno unter gleichen Buchstaben wie oben.

»Der Kapitän des Forward wird zu passender Zeit sich einfinden und zu erkennen geben. Im Augenblick der Abfahrt werden Sie neue Instruktionen bekommen.

Der Kapitän des Forward K. Z.«

Zwanzigstes Capitel.


Zwanzigstes Capitel.

Die Insel Beechey.

Am 25. Juni kam der Forward gegenüber dem Cap Dundas, am nordwestlichen Ende des Prinz-Wales-Landes. Hier nahmen die Schwierigkeiten zu zwischen den zahlreichen Eisblöcken. Das Meer wird hier enger, und die Linie der Inseln Crozier, Young, Day, Lowther, Garret, die wie Befestigungswerke vor einer Rhede liegen, nöthigen die Eisströme, in der Meerenge sich anzuhäufen. Was die Brigg unter andern Umständen an einem Tag geleistet hätte, hielt sie vom 25. bis 30. Juni auf; sie hielt an, fuhr wieder zurück, wartete die günstige Gelegenheit ab, um die Insel Beechey nicht zu verfehlen, verbrauchte viel Kohlen, indem sie während des Anhaltens nur ihr Feuer mäßigte, ohne es je ganz ausgehen zu lassen, um zu jeder Stunde bei Tag und Nacht mit Dampf versehen zu sein.

Hatteras kannte ebensowohl, wie Shandon, den Bestand der Vorräthe; aber da er sicher darauf rechnete, auf der Insel Beechey Brennmaterial zu treffen, so wollte er nicht aus Sparsamkeit eine Minute verlieren; er war in Folge seiner Abschweifung in den Süden sehr verspätet, und obwohl er die Vorsorge gehabt, aus England seit Anfang April abzufahren, so war er doch jetzt nicht weiter voran, als die vorausgehenden Expeditionen zu derselben Zeit. Am 30. gewahrte man das Cap Walker, an der nordöstlichen Spitze des Prinz-Wales-Landes; es ist der äußerste Punkt, welchen Kennedy und Bellot nach einem Ausflug durch ganz Nord-Sommerset am 3. Mai 1852 wahrnahmen. Bereits im Jahre 1851 war der Kapitän Ommaney bei der Expedition Austin so glücklich, daselbst seine Mannschaft mit Proviant versehen zu können.

Dieses sehr hohe Cap ist durch seine rothbraune Farbe merkwürdig; man kann bei hellem Wetter von hier aus bis an den Eingang der Wellington-Straße sehen. Gegen Abend erblickte man das Cap Bellot, welches durch die Bai Mac Leon vom Cap Walker getrennt ist. An dieser Stelle besteht die Küste aus gelblichem Kalkstein von sehr runzeligem Aussehen; sie ist durch enorme Eisblöcke geschützt, welche die Nordwinde auf die imposanteste Weise hier aufschichten. Der Forward verlor sie bald aus dem Gesicht, und bahnte sich zwischen locker verbundenen Eisstücken quer über die Barrow-Straße einen Weg zur Insel Beechey.

Hatteras, entschlossen gradaus zu fahren, um nicht über die Insel hinaus fortgezogen zu werden, verließ an den folgenden Tagen nicht einen Augenblick seinen Posten; er stieg häufig auf die Querstangen des Obermastes, um die vorteilhaften Fahrpässe aufzusuchen. Er bot bei dieser Fahrt durch die Enge Alles auf, was Geschick und Geistesruhe, Kühnheit, selbst seemännisches Genie zu leisten vermögen. Das Glück war ihm zwar nicht ganz hold, denn zu dieser Jahreszeit hätte er das Meer fast eisfrei finden sollen. Endlich aber, indem er weder seinen Dampf, noch seine Mannschaft, noch sich selbst schonte, erreichte er doch sein Ziel.

Am 3. Juli um elf Uhr Vormittags signalisirte der Eismeister nördlich ein Land; nachdem Hatteras die Beobachtung angestellt, erkannte er die Insel Beechey, diesen allgemeinen Sammelplatz der Befahrer der Nordmeere. Fast alle Schiffe, welche sich in diese Meere wagten, haben dieselbe berührt. Hier hielt Franklin sein erstes Winterquartier, bevor er in die Wellington-Straße eindrang. Das letzte Schiff, welches zugleich mit dem Forward bei der Insel Beechey anlegte, war der Fox; Mac Clintock versah sich hier am 11. August 1855 mit Vorräthen, und besserte vor nicht ganz zwei Jahren die Wohnungen und Magazine aus: Hatteras wußte dies Alles sehr genau.

Dem Rüstmeister schlug beim Anblick dieser Insel gewaltig das Herz; er hatte sie als Quartiermeister an Bord des Phönix besucht. Hatteras befragte ihn, wie die Küste beschaffen, wo am besten zu ankern, die Landung möglich sei; die Witterung wurde prachtvoll, die Temperatur hielt sich auf siebenundfünfzig Grad (+14° hunderttheilig).

»Nun, Johnson, fragte der Kapitän, Sie kennen sich wohl hier aus?

– Ja, Kapitän, ’s ist richtig die Insel Beechey! Nur müssen wir noch ein wenig weiter nordwärts fahren; da ist die Küste zugänglicher.

– Aber die Wohnungen, die Magazine? sagte Hatteras.

– Die können Sie erst nach der Landung sehen; sie liegen im Schutz hinter diesen kleinen Bergen, welche Sie dort unten sehen.

– Und Sie haben beträchtliche Vorräthe hingeschafft?

– Beträchtliche, Kapitän. Die Admiralität hat uns im Jahre 1853 mit dem Dampfer Phönix unter dem Commando des Kapitän Inglefield und dem Breadalbane mit Proviant hierher geschickt; wir brachten Lebensmittel für eine ganze Expedition.

– Aber der Commandant des Fox hat im Jahre 1855 reichlich aus diesen Vorräthen geschöpft, sagte Hatteras.

– Seien Sie ruhig, Kapitän, entgegnete Johnson, es wird noch genug für Sie übrig sein; die Kälte bewahrt alles merkwürdig, und wir werden es noch frisch finden, wie am ersten Tag.

– Um Lebensmittel ist mir’s nicht zu thun, erwiderte Hatteras; ich habe für mehrere Jahre, aber Kohlen bedarf ich.

– Nun, Kapitän, wir haben deren über tausend Tonnen hier gelassen; darum können Sie ruhig sein.

– So wollen wir anfahren, fuhr Hatteras fort, der das Fernrohr in der Hand unablässig die Küste beobachtete.

– Sie sehen diese Spitze, versetzte Johnson; sind wir um diese herum, so befinden wir uns ganz nahe bei unserm Ankerplatz. Ja wohl, von dieser Stelle aus sind wir mit dem Lieutenant Creswell und den zwölf Kranken des Investigator nach England abgefahren. Aber sind wir so glücklich gewesen, den Lieutenant des Kapitän Mac Clure wieder heimzubringen, so hat der Officier Bellot, welcher auf dem Phönix mitfuhr, seine Heimat nie wieder gesehen! Ach! Eine traurige Erinnerung. Aber, Kapitän, ich denke, wir müssen an dieser Stelle die Anker werfen.

– Gut«, erwiderte Hatteras.

Und er ertheilte demnach seine Befehle.

Der Forward befand sich in einer kleinen, von der Natur gegen die Nord-, Ost- und Südwinde geschützten Bucht, etwa eine Kabellänge von der Küste entfernt.

»Herr Wall, sagte Hatteras, lassen Sie die Schaluppe bereit machen, und schicken dieselbe mit sechs Mann ab, um die Kohlen an Bord zu schaffen.

– Ja, Kapitän, erwiderte Wall.

– Ich will mich mit dem Doctor und dem Rüstmeister in der Pirogue an’s Land begeben. Herr Shandon, Sie haben wohl die Güte uns zu begleiten?

– Zu Ihrem Befehl«, erwiderte Shandon.

Nach einigen Augenblicken saß der Doctor, mit seinem Jagdgeräthe und gelehrten Apparat versehen, nebst seinen Genossen in der Pirogue; zehn Minuten darauf stiegen sie an einer ziemlich niedrigen und felsigen Küste an’s Land.

»Führen Sie uns, Johnson, sagte Hatteras. Sie finden sich hier zu Hause?

– Vollständig, Kapitän; doch sehe ich ein Monument, welches ich an dieser Stelle nicht zu treffen vermuthete!

– Dies! rief der Doctor aus, ich weiß, was es ist. Treten wir näher; dieser Stein wird uns selbst sagen, was er bisher hier zu thun hatte.«

Die vier Mann schritten voran, und der Doctor sprach, indem er den Hut zog:

»Dies, meine Herren, ist ein zum Ehrengedächtniß Franklin’s und seiner Gefährten errichtetes Monument.«

In der That hatte Lady Franklin, welche bereits 1855 dem Doctor Kane eine schwarze Marmortafel zugestellt, eine zweite im Jahre 1858 Mac Clintock anvertraut, um sie auf der Insel Beechey aufzustellen. Mac Clintock entledigte sich gewissenhaft dieser Pflicht, und stellte diese Tafel nicht weit von einem bereits zum Andenken Bellot’s durch Sir John Barrow errichteten Leichendenkstein auf.

Die Tafel hatte folgende Inschrift:

 

Zum Angedenken an

Franklin, Crozier, Fitz-James

und all ihre tapferen Brüder,

Officiere und treue Kameraden, welche für die Wissenschaft und den Ruhm ihres Vaterlandes gelitten haben und gestorben sind,
ist dieser Stein errichtet
nahe der Stelle, wo sie ihren ersten Winter im Norden zugebracht, und von wo aus sie abfuhren, um über die Hindernisse zu triumphiren oder zu sterben.
Er bezeugt die Erinnerung und Bewunderung ihrer Landsleute und Freunde, und den im Glauben versöhnten Schmerz
Der Frau, die in dem Haupt der Unternehmung den liebevollsten Gemahl verloren hat.

Also hat ER sie zum letzten Hafen geleitet, wo Alle die Ruhe finden.

1855.

 

Dieser Stein auf einer entlegenen Küste dieser fernen Regionen sprach schmerzvoll zum Gemüth; dem Doctor traten bei dieser rührenden Leidbezeugung Thränen in die Augen. Und trotz dieser düstern Warnung des Verhängnisses war der Forward im Begriff, den Weg des Erebus und Terror zu verfolgen.

Dieser gefährlichen Betrachtung entzog sich zuerst Hatteras, und erstieg rasch einen ziemlich hohen, fast ganz schneefreien Hügel.

»Kapitän, sagte Johnson, der ihm folgte, von da herab werden wir die Magazine sehen.«

Shandon und der Doctor holten sie in dem Augenblick ein, als sie auf dem Gipfel ankamen.

Aber von hier aus verloren sich ihre Blicke über ungeheure Ebenen, welche keine Spur einer Wohnung zeigten.

»Das ist aber doch sonderbar, sagte der Rüstmeister.

– Nun! und jene Magazine? sagte Hatteras lebhaft.

– Ich weiß nicht… Ich sehe nicht… stotterte Johnson.

– Sie werden sich im Weg geirrt haben, sagte der Doctor.

– Es scheint mir aber doch, versetzte Johnson nachdenklich, an eben dieser Stelle …

– Kurz, sagte Hatteras ungeduldig, wohin sollen wir gehen?

– Hinab, sprach der Rüstmeister, denn es wäre möglich, daß ich mich irre; seit sieben Jahren hab‘ ich die Erinnerung an diese Oertlichkeiten verloren.

– Besonders, erwiderte der Doctor, wenn das Land so einförmig und monoton ist.

– Und dennoch …« murmelte Johnson.

Shandon hatte keine Bemerkung geäußert.

Nachdem sie einige Minuten gegangen, blieb Johnson stehen.

»Aber nein, rief er aus, nein, ich irre mich nicht!

– Nun denn? sagte Hatteras, und blickte umher.

– Was hat Sie zu dieser Aeußerung veranlaßt, Johnson? fragte der Doctor.

– Sie sehen diese Erhöhung des Bodens? sagte der Rüstmeister, und deutete, zu seinen Füßen auf eine Bodenerhebung, worauf drei Stellen etwas erhöht vortraten.

– Was schließen Sie daraus? fragte der Doctor.

– Hier befinden sich, erwiderte Johnson, die drei Gräber der französischen Bootsleute! Jetzt bin ich sicher, ich irre nicht, und hundert Schritte von uns sollten sich die Wohnungen befinden, und wenn sie nicht da sind … so ist …«

Er wagte nicht, seinen Gedanken völlig auszusprechen; Hatteras war voran geeilt, und ein Sturm der Verzweiflung erfaßte ihn. Hier hätten in der That die so sehnlich erstrebten Magazine mit den Vorräthen aller Art, worauf er rechnete, sich befinden müssen; aber Verderben, Plünderung, Zerstörung, Verwüstung waren darüber hergegangen, wo civilisirte Hände reiche Hilfsquellen für die erschöpften Seefahrer geschaffen hatten. Wer hatte solche Plünderung verübt? Die reißenden Thiere, Wölfe, Füchse, Bären? Nein, denn sie hätten nur die Lebensmittel vernichtet, und es war kein Fetzen von einem Zeltobdach geblieben, kein Stückchen Holz, Eisen oder anderes Metall, und, das Erschrecklichste für den Forward, kein Bröcklein Brennmaterial! Offenbar haben die Eskimo’s, die oft mit europäischen Schiffen in Berührung kamen, am Ende den Werth dieser Gegenstände, welche ihnen völlig mangeln, schätzen gelernt; seitdem Fox des Weges gekommen, hatten sie öfters diesen Ort des Ueberflusses besucht, und unablässig weggenommen und geplündert, mit der wohl überdachten Absicht, keine Spur von dem, was hier gewesen war, zurückzulassen; und nun lag eine weitreichende Schneedecke über dem Boden.

Hatteras war voll Bestürzung. Der Doctor schaute mit Kopfschütteln. Shandon schwieg stets, und ein achtsamer Beobachter hätte ein boshaftes Lächeln wahrnehmen können.

In diesem Augenblicke kamen die vom Lieutenant Wall geschickten Leute an. Sie verstanden Alles. Shandon trat zu dem Kapitän, und sprach:

»Herr Hatteras, es scheint mir unnütz in Verzweiflung zu gerathen; wir befinden uns zum Glück am Anfang der Barrow-Straße, welche uns in’s Baffins-Meer zurückführen wird!

– Herr Shandon, erwiderte Hatteras, wir befinden uns glücklicherweise am Anfang der Wellington-Straße, und sie wird uns dem Norden zuführen!

– Und wie werden wir fahren, Kapitän?

– Mit Segeln, mein Herr! Wir haben noch für zwei Monat Brennmaterial, und das ist mehr, als wir während unseres bevorstehenden Winteraufenthaltes bedürfen.

– Sie wollen mir gestatten zu sagen, fuhr Shandon fort …

– Ich gestatte Ihnen, mir an Bord zu folgen, mein Herr«, erwiderte Hatteras.

Und er kehrte seinem Unterbefehlshaber den Rücken zu, begab sich auf die Brigg, und schloß sich in seine Cabine ein.

Zwei Tage lang war widriger Wind; der Kapitän erschien nicht wieder auf dem Verdeck. Der Doctor benutzte diesen gezwungenen Aufenthalt auf der Insel Beechey; er sammelte die wenigen Pflanzen, welche eine verhältnismäßig hohe Temperatur auf den schneefreien Felsen wachsen ließ, etliches Haidekraut, einige Flechtensorten, eine Art gelber Ranunkeln, eine dem Sauerampfer ähnliche Pflanze, und kräftiges Steinbrech.

Die Fauna dieser Gegend war reicher als die so beschränkte Flora; der Doctor gewahrte lange Reihen Gänse und Kraniche, welche nordwärts zogen; die Rebhühner, blau-schwarze Eider-Enten, die Ritter, eine Art Strandläufer, Polartaucher, Feldhühner, dreizehige Möwen, und Taucherenten repräsentirten das Thierreich. Der Doctor war so glücklich, einige graue Hasen zu erlegen, die im Winter weißen Pelz tragen, und einen blauen Fuchs. Einige Bären, die offenbar vor den Menschen scheuten, ließen sich nicht nahe kommen, und die Robben waren aus gleichem Grunde sehr scheu. In der Bai fanden sich reichlich eine Art Trompetenschnecken, die recht schmackhaft waren; von Insecten gelang es dem Doctor, einen Moskito, der ihn gestochen, zu erhaschen. Von Schalthieren sammelte er eine Art Muscheln, und einige zweischalige Schnecken.