27. Kapitel

Wie der Pfarrer und der Barbier ihr Vorhaben ins Werk setzten, nebst andern Ereignissen, würdig, in dieser großen Geschichte erzählt zu werden

Dem Barbier gefiel der Einfall des Pfarrers nicht übel; er fand ihn vielmehr so vortrefflich, daß sie ihn gleich zur Ausführung brachten. Sie erbaten sich von der Schenkwirtin einen langen Weiberrock und Kopftücher, wofür sie ihr den neuen Chorrock des Pfarrers zum Pfande ließen. Der Barbier machte sich einen Bart zurecht aus einem grauen und rötlichen Farrenschwanz, an welchem der Wirt seinen Kamm stecken hatte.

Die Wirtin fragte sie, wozu sie die Sachen haben wollten. Der Pfarrer erzählte ihr in kurzen Worten von Don Quijotes Verrücktheit; diese Verkleidung sei das Mittel, ihn aus dem Gebirge fortzubringen, wo er sich gegenwärtig aufhalte. Wirt und Wirtin errieten sogleich, daß der Verrückte derselbe sein müsse wie der Gast mit dem Balsamtrank, der Herr des gewippten Schildknappen. Sie erzählten dem Pfarrer alles, was sich in ihrem Hause zugetragen, ohne das zu verschweigen, was Sancho so sorgfältig verschwieg.

Sodann kleidete die Wirtin den Pfarrer dergestalt um, daß man nichts Schöneres auf der Welt sehen konnte; sie zog ihm einen wollenen Rock an, ganz mit handbreiten, ausgezackten Streifen von schwarzem Samt umzogen, nebst einem Leibchen von grünem Samt, mit Säumen von weißem Atlas besetzt, welches, wie der Rock, ohne Zweifel zu König Wambas Zeiten gemacht war. Der Pfarrer litt nicht, daß man ihm eine Haube aufsetzte, sondern er tat ein Mützchen von gestepptem Linnen auf den Kopf, das er für die Nacht zum Schlafen bei sich trug; um die Stirn legte er eine Binde von schwarzem Taft, und aus einer andern Binde machte er einen Schleier, mit dem er sich Gesicht und Bart dicht bedeckte. Er stülpte seinen Hut auf, der so breit war, daß er ihm als Sonnenschirm dienen konnte, zog seinen Mantel über und setzte sich nach Frauenart auf sein Maultier, der Barbier auf das seinige, mit seinem Bart, der bis zum Gürtel herabhing, halb rot, halb weiß, da er, wie gesagt, aus dem Schwanz eines scheckigen Ochsen gemacht war.

Sie nahmen Abschied von allen, auch von dem guten Ding Maritornes. Die versprach ihnen, sie wolle, wiewohl eine Sünderin, einen Rosenkranz dafür beten, daß Gott ihnen gute Erfolge verleihe bei einer so schwierigen und so christlichen Sache, wie sie unternommen hätten. Aber kaum waren sie aus der Schenke fort, da kam dem Pfarrer das Bedenken, daß er übel daran getan, sich so zu verkleiden, weil ein solcher Aufzug für einen Geistlichen unschicklich sei, selbst wenn für ihn auch noch soviel davon abhinge. Er sagte dies dem Barbier und bat ihn, sie möchten ihre Anzüge miteinander vertauschen; denn es sei weit richtiger, daß er das hilfesuchende Fräulein vorstelle; er seinerseits wolle den Knappen spielen, und dergestalt werde er seiner Würde weniger vergeben. Wenn der Barbier aber das nicht wolle, so sei er entschlossen, nicht weiterzugehen, wenn auch den Don Quijote der Teufel holen sollte.

Mittlerweile kam Sancho herzu, und als er die beiden in solchem Aufzug erblickte, konnte er das Lachen nicht an sich halten. Der Barbier aber ging auf alles ein, was der Pfarrer verlangte, und indem sie die Verkleidung miteinander vertauschten, belehrte der Pfarrer den Barbier, welch Benehmen er einzuhalten und welche Worte er bei Don Quijote anzubringen habe, um ihn zu bewegen oder vielmehr ihn zu zwingen, mit ihm zu kommen und den Lieblingsplatz zu verlassen, den er sich für seine eitle Bußübung erlesen hatte.

Der Barbier entgegnete, er werde, auch ohne daß er ihm Unterricht gebe, die Sache aufs beste besorgen. Für jetzt aber wollte er seine Tracht noch nicht anlegen, bis sie in Don Quijotes Nähe wären, und so faltete er die Frauenkleider zusammen, der Pfarrer legte seinen Bart an, und sie verfolgten ihren Weg unter Sancho Pansas Führung. Dieser erzählte ihnen derweilen, was ihnen mit dem Irrsinnigen begegnet war, den sie im Gebirge angetroffen, verschwieg jedoch den Fund des Mantelsacks und seines Inhalts; denn wiewohl einfältig, war der Bursche ziemlich habgierig.

Des andern Tags kamen sie an den Ort, wo Sancho die Zweige als Merkzeichen ausgestreut, um die Stelle zu finden, wo er seinen Herrn gelassen hatte; er erkannte den Ort sogleich und sagte ihnen, hier sei der Zugang und hier könnten sie sich denn auch anziehen, wenn das wirklich für die Erlösung seines Herrn nötig wäre. Sie hatten ihm nämlich vorher schon gesagt, auf diesen ihren Anzug und diese Verkleidung komme alles an, wenn man seinen Herrn von der argen Lebensweise abbringen wolle, die er sich erwählt habe. Auch hatten sie ihm dringend ans Herz gelegt, seinem Herrn nicht zu verraten, wer sie seien; und wenn er ihn danach fragte – wie er ihn denn jedenfalls fragen würde –, ob er Dulcineen den Brief übergeben habe, so sollte er ja sagen, und da sie nicht lesen und schreiben könne; so habe sie ihm mündlich geantwortet, daß sie ihm bei Strafe ihrer Ungnade befehle, zu einer Zusammenkunft mit ihr gleich auf der Stelle aufzubrechen, weil dies von höchster Wichtigkeit für ihn sei. Denn hierdurch und durch das, was sie ihm zu sagen gedächten, hielten sie es für sicher, ihn einer besseren Lebensweise wieder zuzuführen und ihn zu vermögen, daß er sich sogleich auf den Weg begebe, um Kaiser oder Monarch zu werden. Daß er aber Erzbischof werden sollte, das sei nicht zu befürchten.

Alles dies hörte Sancho aufmerksam an und prägte es sich fest ins Gedächtnis, dankte ihnen auch gar sehr für ihre Absicht, seinem Herrn anzuraten, Kaiser und nicht Erzbischof zu werden; denn er sei der Überzeugung, daß die Kaiser weit mehr als die fahrenden Erzbischöfe imstande seien, ihren Schildknappen Gnaden zu erweisen. Auch sagte er ihnen, es würde gut sein, wenn er vorausginge, Don Quijote aufzusuchen und ihm die Antwort seiner Gebieterin mitzuteilen, und diese würde schon hinreichend sein, ihn zum Verlassen seines jetzigen Aufenthalts zu bewegen, ohne daß sie sich in soviel Mühsal einließen.

Sanchos Vorschlag gefiel ihnen wohl, und so entschlossen sie sich abzuwarten, bis er mit der Nachricht vom Auffinden seines Herrn zu ihnen zurückkomme.

Sancho ritt in jene Schluchten des Gebirgs hinein und ließ die beiden in einer derselben zurück, die ein sanftes Bächlein durchfloß, über welches niedere Felsen und etliche umherstehende Bäume einen angenehmen und frischen Schatten verbreiteten. Die Hitze und der Tag, an dem sie dort anlangten, war eben wie im Monat August, wo in jenen Gegenden der Sonnenbrand äußerst heftig zu sein pflegt; die Stunde war die dritte des Nachmittags; alles das machte das Plätzchen um so angenehmer, so daß es sie einlud, dort die Rückkunft Sanchos zu erwarten. So taten sie denn auch.

Während sie nun dort geruhsam und im Schatten verweilten, drang an ihr Ohr eine Stimme, die, ohne daß der Ton eines Instruments sie begleitete, süß und köstlich klang. Darüber erstaunten sie nicht wenig, da es sie bedünkte, dies sei kein Ort, wo sich jemand finden könnte, der so trefflich sänge; denn wenn man auch zu rühmen pflegt, es seien in den Wäldern und Feldern Schäfer mit vorzüglicher Stimme anzutreffen, so sind dies eher Übertreibungen von Dichtern als wahre Tatsachen. Ihr Erstaunen wuchs, als sie bemerkten, was sie singen hörten, seien Verse, nicht wie von bäurischen Hirten, sondern wie von geistvollen Personen hochgebildeten Standes. In dieser Überzeugung bestärkte sie der Inhalt der Verse, als sie folgendes hörten:

Was läßt mich in Gram vergehen?
Verschmähen.
Was mehrt meiner Sorgen Wucht?
Eifersucht.
Was erschwert mein herbes Leiden?
Scheiden.
Und so will mich Hoffnung meiden,
Und kein Rettungsport steht offen,
Da mir morden all mein Hoffen
Eifersucht, Verschmähen, Scheiden.

Was macht mir das Dasein trübe?
Liebe.
Was drängt jedes Heil zurück?
Das Glück.
Wer hat mir dies Leid gebracht?
Himmels Macht.
Und so wird des Todes Nacht,
Fürcht ich wohl, mich bald erfassen,
Da vereint sind, mich zu hassen,
Liebe, Glück und Himmels Macht.

Wer gewinnt der Liebe Gut?
Wankelmut.
Wer heilt einstens meine Not?
Der Tod.
Wer macht bald von Schmerz mich frei?
Raserei.
Und so kömmt’s nur Toren bei,
Heilung könne je gelingen,
Wo allein kann Rettung bringen
Wankelmut, Tod, Raserei.

Die Stunde und Jahreszeit, die Einsamkeit des Ortes, die Stimme und Geschicklichkeit des Sängers, alles erweckte in den beiden Hörern Staunen und Vergnügen. Sie verhielten sich ruhig, in Erwartung, noch mehr zu hören; da jedoch das Stillschweigen noch eine Weile dauerte, beschlossen sie, den Ort zu verlassen, um den Künstler aufzusuchen, der mit so trefflicher Stimme sang. Aber gerade als sie dies ausführen wollten, veranlaßte sie die nämliche Stimme, sich nicht zu rühren; denn sie drang aufs neue zu ihren Ohren und sang dieses Sonett:

O heilige Freundschaft, die auf leichten Schwingen,
Die weil dein Scheinbild nur uns blieb hienieden,
Zum selgen Chor, dem Himmelsheil beschieden,
Emporgeeilt, dem Staub dich zu entringen!

Von dorten läßt du Kunde zu uns dringen
Von dem, was uns verhüllt ist, Recht und Frieden,
Von wahrer Tugend, die uns längst gemieden,
Von Heucheltaten, die Verderben bringen.

Verlaß den Himmel oder untersage,
O Freundschaft, daß sich Trug in dich verkleide,
Vor dem kein redlich Streben kann bestehen.

Erlaubst du’s, daß er deine Maske trage,
So wird die Welt, von Zwietracht, Haß und Neide
Erfüllt, im alten Chaos bald vergehen.

Der Gesang schloß mit einem tiefen Seufzer, und die beiden blieben abermals in aufmerksamer Erwartung, ob etwa noch mehr gesungen würde; aber als sie bemerkten, daß die Liedertöne sich in Schluchzen und schmerzliches Ächzen verwandelten, beschlossen sie nachzuforschen, wer der Unglückliche sei, dessen Stimme so schön wie sein Jammern schmerzvoll war. Sie waren nicht weit gegangen, da erblickten sie beim Umbiegen um eine Felsenecke einen Jüngling von Gestalt und Aussehen, ganz wie Sancho Pansa es geschildert hatte, als er ihnen die Geschichte Cardenios erzählte; aber als dieser ihrer ansichtig wurde, blieb er, anstatt wie sonst zusammenzuschrecken, ruhig sitzen, den Kopf auf die Brust gebogen wie einer, der in Nachdenken versunken ist, ohne daß er die Augen aufschlug, um sich umzusehen, außer das erstemal, als sie so unvermutet auf ihn zukamen. Der Pfarrer, der ein beredter Mann war, näherte sich ihm, als bereits mit seinem Unglück vertraut – da er ihn an den Merkmalen erkannt hatte –, und mit kurzen, aber höchst verständigen Worten bat er ihn und redete ihm zu, er möge dieses elende Leben aufgeben, damit er es hier nicht gar einbüße, was doch von allem Unglück das größte wäre.

Cardenio war jetzt gerade bei vollem Verstand, frei von jenem Wutanfall, der ihn so oft außer Besinnung brachte; und als er sie daher in einer bei den Leuten, die in seiner Einöde verkehrten, so ungebräuchlichen Tracht erblickte, geriet er natürlich einigermaßen in Verwunderung, zumal sie über seine Verhältnisse wie über eine allbekannte Sache sprachen, was er aus den Worten des Pfarrers deutlich entnehmen konnte. Sonach antwortete er folgendermaßen: »Wohl sehe ich, geehrte Herren, wer ihr auch sein möget, daß der Himmel, der stets Sorge trägt, den Guten und oftmals auch den Bösen zu helfen, mir, ohne daß ich es verdiene, an diese vom gewöhnlichen Verkehr der Menschen so entfernten, so abgelegenen Stätten edle Männer sendet, die mir mit eindringlichen und mannigfachen Vernunftgründen vor Augen stellen, wie unvernünftig es von mir ist, ein solches Leben zu führen, und die sich bemühen, mich aus demselben zu erlösen und auf einen bessern Weg zu bringen. Aber da sie nicht wissen, was ich nur zu gut weiß, daß ich, von diesem Leide befreit, sofort in ein andres, größeres fallen muß, so werden sie mich vielleicht für einen Mann von schwachen Geisteskräften oder, was noch schlimmer, für ein ganz vernunftloses Wesen halten müssen. Und es wäre kein Wunder, wenn es so wäre; denn mir schimmert es im Bewußtsein durch, daß die Gewalt, welche die Vorstellung meiner unglücklichen Schicksale auf mich übt, so mein ganzes Innere erfaßt und so viel zu meinem Verderben vermag, daß ich manchmal widerstandslos zu Stein erstarre und alle menschliche Empfindung, alle Kenntnis meiner selbst verliere. Daß dem so ist, das sehe ich erst ein, wenn die Leute mir erzählen und mir Kennzeichen davon geben, was ich getan habe, solange der schreckliche Wutanfall mich beherrschte. Dann bleibt mir weiter nichts übrig, als vergeblich zu jammern und zwecklos mein Schicksal zu verfluchen und zur Entschuldigung meines Wahnsinns jedem, der mich hören will, dessen Ursache zu erzählen. Denn wenn die Verständigen die Ursache hören, werden sie über die Wirkung nicht erstaunt sein, und wenn sie kein Heilmittel wissen, werden sie mir wenigstens nicht die Schuld geben, und ihr Zorn über meine Ausschreitungen wird sich in Betrübnis ob meines Unglücks verwandeln. Und ist es nun der Fall, daß ihr Herren mit derselben Absicht kommt, wie andere schon gekommen, so bitte ich euch, eh ihr mit euren verständigen Vorstellungen fortfahrt, laßt euch die Geschichte meiner Leiden erzählen, die nicht zu zählen sind; vielleicht, wenn ihr sie gehört, werdet ihr euch die Mühe sparen, für ein Unglück Trost spenden zu wollen, das jedem Troste unzugänglich ist.«

Die beiden, die gar nichts andres wünschten, als aus seinem eignen Munde die Ursache seines unglücklichen Zustands zu erfahren, baten ihn um Mitteilung derselben, wobei sie sich erboten, zu seiner Heilung oder Tröstung nichts anderes zu tun, als was er selbst verlangen würde. Und daraufhin begann der arme Mann seine jammervolle Geschichte fast mit denselben Worten und Umständen, wie er sie Don Quijote und dem Ziegenhirten wenige Tage vorher erzählt hatte, als aus Anlaß des Meisters Elísabat und der Gewissenhaftigkeit Don Quijotes in Aufrechterhaltung der Würde des Rittertums die Erzählung unbeendet blieb, wie unsre Geschichte es schon berichtet hat. Jetzt aber wollte es das gute Glück, daß sein Wutanfall länger ausblieb und ihm vergönnte, die Erzählung zu Ende zu führen. Und als er so bis zu dem Umstand mit dem Briefe kam, den Don Fernando im Buche vom Amadís von Gallien gefunden hatte, erwähnte er, daß er denselben vollständig im Gedächtnis habe und daß er folgendermaßen lautete:

Luscinda an Cardenio

Jeden Tag entdecke ich in Euch Vorzüge, die mich verpflichten und zwingen, Euch höher zu achten. Wollt Ihr also von dieser Schuld, in der ich gegen Euch stehe, mich befreien, ohne Euch mit meiner Ehre bezahlt zu machen, so könnt Ihr dies sehr leicht bewerkstelligen. Ich habe einen Vater, der Euch kennt und mich von Herzen liebt; er wird, ohne meinen Wünschen Zwang anzutun, jene Wünsche erfüllen, die Ihr von Rechts wegen hegen müßt, wenn Ihr mich wirklich so hochschätzt, wie Ihr es sagt und wie ich es glaube.

»Durch dies Briefchen ward ich bewogen, um Luscindas Hand anzuhalten; dies Briefchen war es, das Luscinda in Don Fernandos Augen als eine der geistvollsten und klügsten Damen ihrer Zeit erscheinen ließ; dies Briefchen erweckte in seinem Herzen den Wunsch, mich zugrunde zu richten, bevor der Wunsch meines Herzens zur Erfüllung kommen könnte. Ich erzählte Don Fernando, woran Luscindas Vater Anstand nehme: er erwarte nämlich, daß mein Vater selbst bei ihm um Luscinda anhalte, was ich ihm nicht mitzuteilen wagte, weil ich fürchtete, er werde darauf nicht eingehen, und zwar nicht etwa deshalb, weil ihm Luscindas Stand, Vortrefflichkeit, Tugend und Schönheit nicht genügend bekannt wären und er nicht wüßte, daß sie hinreichende Eigenschaften besitze, um jedes andre Geschlecht Spaniens zu adeln; sondern weil ich seinen Wunsch kannte, ich möchte mich nicht so rasch vermählen, damit man erst erfahre, was Ricardo mit mir vorhabe. Kurz, ich sagte ihm, ich könne es nicht auf mich nehmen, meinem Vater die Mitteilung zu machen, sowohl um dieser Schwierigkeit willen als auch gar mancher andern noch, die mich mutlos machten, ohne daß ich sie zu bezeichnen wußte; nur war ich überzeugt, es werde, was ich wünsche, niemals in Erfüllung gehen. Auf all dieses entgegnete mir Don Fernando, er selbst übernehme es, mit meinem Vater zu sprechen und ihn zu vermögen, daß er mit dem Vater Luscindas rede.

Ha, du Marius, du nach jeder Art von Erfolg begierig! Du grausamer Catilina! Ruchloser Sulla! Tückischer Ganelon! Verräterischer Bellido! Rachsüchtiger Graf Julian! Habsüchtiger Judas! Verräterischer, grausamer, rachsüchtiger, betrügerischer Mensch, welch schlimmen Dienst hatte er dir erwiesen, der Arme, der mit solcher Unbefangenheit dir die Geheimnisse und Freuden seines Herzens anvertraute? Welche Beleidigung habe ich dir zugefügt? Welche Worte habe ich dir gesagt oder welche Ratschläge dir gegeben, die nicht stets darauf abgezielt hätten, deine Ehre, deinen Vorteil zu wahren? Aber worüber klage ich, ich Unseliger! Da es doch gewiß ist: Wenn die Mißgeschicke ihre Strömung von den Sternen aus entquellen lassen, so ist keine andere Kraft, da sie aus der Höhe nach unten kommen und mit Wut und Gewalt herniederstürzen, so ist keine andre Kraft auf Erden, die ihnen widerstreben, kein menschliches Bemühen, das ihnen vorbeugen könnte. Wer konnte denken, daß Fernando, ein Edelmann von solchem Rang, verständig, mir durch meine Dienste verpflichtet, mächtig genug, um alles zu erreichen, was seine Liebeswünsche erstreben mochten, wo auch immer sie ihr Ziel suchten, daß dieser Mann danach brannte, mir – wie man zu sagen pflegt – mein einziges Schäflein zu rauben, das ich noch nicht einmal mein eigen nannte! Doch es mögen diese Betrachtungen als zwecklos und unnütz beiseite bleiben, und lasset uns den abgerissenen Faden meiner unseligen Geschichte wieder anknüpfen.

Ich sage also, daß Don Fernando, weil ihm meine Gegenwart zur Ausführung seines falschen, schlechten Vorhabens hinderlich schien, mich zu seinem älteren Bruder zu schicken beschloß unter dem Vorwand, von ihm Geld zur Bezahlung von sechs Pferden zu verlangen. Diese hatte er absichtlich und lediglich zu dem Zwecke, mich zu entfernen, um seinen tückischen Plan besser ausführen zu können, an dem nämlichen Tage gekauft, wo er sich erbot, mit meinem Vater zu sprechen, und deshalb wollte er, ich solle fort, das Geld zu holen. Konnte ich einen solchen Verrat voraussehen? War es etwa möglich, ihn nur zu ahnen? Gewiß nicht; vielmehr erbot ich mich sehr gern, auf der Stelle abzureisen, so vergnügt war ich über den guten Kauf.

Dieselbe Nacht sprach ich Luscinda, erzählte ihr, was ich mit Don Fernando verabredet hatte, und sagte ihr, sie möge fest darauf bauen, daß unsere redlichen, gerechten Wünsche in Erfüllung gehen würden. Sie bat mich, ob Fernandos Verräterei so ahnungslos wie ich, ich möchte auf baldige Rückkehr bedacht sein; denn sie glaubte, die Krönung unsrer Wünsche würde sich nur so lange verzögern, als mein Vater zögere, mit dem ihrigen zu reden. Ich weiß nicht, wie es geschah, ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie diese Worte gesprochen, die Kehle war ihr wie zugeschnürt, so daß sie von dem vielen, was sie, wie mich bedünkte, mir noch sagen wollte, nicht das geringste herausbringen konnte. Ich war ganz betroffen über diesen mir ganz neuen, noch nie bei ihr erlebten Anfall; denn bisher hatten wir stets, wenn uns das gute Glück und mein eifriges Bemühen die Gelegenheit verschafften, uns heiter und wohlgemut unterhalten, ohne jemals Tränen, Seufzer, Eifersucht, Argwohn oder Besorgnis in unser Gespräch zu mischen. Nie tat ich etwas andres, als daß ich mein Glück pries, das sie mir zur Geliebten gegeben. Ich hob ihre Schönheit in den Himmel, ich bewunderte ihre hohen Vorzüge und ihren Geist; sie gab mir alles mit Zinseszinsen zurück und lobte, was ihrer Liebe an mir des Lobes würdig schien. Dabei erzählten wir uns hunderttausend Kindereien und Geschichten von unsern Nachbarn und Bekannten, und das Höchste, wozu meine Kühnheit sich verstieg, war, daß ich fast mit Gewalt eine ihrer schönen weißen Hände ergriff und sie an meine Lippen drückte, soviel die Enge des niedrigen Fenstergitters, das uns trennte, es zuließ. Aber in der Nacht, die dem trüben Tag meiner Abreise vorherging, weinte sie, ächzte, seufzte und entfernte sich dann und ließ mich in Verwirrung und Bestürzung zurück, ganz entsetzt über die nie erlebten, so traurigen Zeichen von Angst und Schmerz, die ich an Luscinda bemerkt hatte. Um jedoch meine Hoffnungen nicht selbst zu zerstören, schrieb ich alles der Gewalt ihrer Liebe zu und dem Schmerze, den die Trennung in allen wahrhaft liebenden Herzen erregt.

Niedergeschlagen und in tiefen Gedanken reiste ich endlich ab. Mein Herz war voller Ahnungen und argwöhnischer Besorgnisse, ohne zu wissen, was es argwöhnte und was es ahnte. Das waren klare Zeichen, die mir das traurige Schicksal und Unheil vordeuteten, das meiner harrte. Ich langte an dem Orte an, wohin ich gesandt war, ich übergab dem Bruder Don Fernandos die Briefe, wurde bestens aufgenommen, aber keineswegs bestens abgefertigt; denn er befahl mir zu meinem großen Leidwesen, acht Tage lang zu warten, und zwar an einem Ort, wo ich seinem Vater nicht zu Gesicht käme, da sein Bruder ihm geschrieben, eine gewisse Summe Geldes ihm ohne dessen Vorwissen zu schicken. All dieses war eine Erfindung des falschen Don Fernando; denn es fehlte seinem Bruder keineswegs an Geld, um mich auf der Stelle abzufertigen. Es war das ein Auftrag und Befehl der Art, daß es mich drängte, ihm nicht zu gehorchen. Denn es schien mir unmöglich, so viele Tage fern von Luscinda das Leben zu ertragen, zumal ich sie in dem trüben Gemütszustande verlassen, von dem ich euch berichtet habe. Aber trotzdem gehorchte ich als ein treuer Diener, obschon ich wohl einsah, es geschehe auf Kosten meiner Wohlfahrt.

Aber am vierten Tage meines Aufenthaltes kam ein Mann, mich aufzusuchen, und brachte mir einen Brief, an dessen Aufschrift ich erkannte, er sei von Luscinda, da sie deren Handschrift zeigte. Ich öffnete ihn mit Angst und Schrecken, da ich mir wohl dachte, nur eine hochwichtige Sache könne sie veranlaßt haben, mir zu schreiben, was sie so selten tat, wenn ich am nämlichen Orte mit ihr war. Ehe ich den Brief las, fragte ich den Mann, wer ihm denselben übergeben habe und wie lange er unterwegs gewesen; er antwortete mir, als er zufällig um die Mittagsstunde durch eine Straße der Stadt gegangen, habe ihn eine sehr schöne Dame aus dem Fenster angerufen, die Augen voller Tränen, und habe ihm in großer Hast gesagt: ›Guter Freund, wenn Ihr, was Euer Ansehen zeigt, ein Christ seid, so bitte ich Euch um Gottes willen, gleich, ja gleich diesen Brief nach dem Ort und zu dem Mann zu bringen, wie in der Aufschrift angegeben. Beides ist genugsam bekannt, und Ihr werdet damit unserm Herrgott ein wohlgefälliges Werk verrichten. Und damit es Euch nicht an den nötigen Mitteln fehle, es verrichten zu können, nehmt, was in diesem Tüchlein ist.‹ – ›Und mit diesen Worten warf sie mir ein Taschentuch durchs Fenster zu, worin hundert Realen und der goldene Ring, den ich hier trage, eingebunden waren, nebst dem Briefe, den ich Euch gegeben. Und auf der Stelle, ohne meine Antwort abzuwarten, entfernte sie sich vom Fenster, sah aber noch vorher, wie ich den Brief und das Tuch nahm und ihr mit Zeichen bemerklich machte, daß ich ihren Auftrag ausrichten würde. Und da ich mich sonach für die Mühe des Überbringens an Euch so reichlich bezahlt fand und aus der Aufschrift ersah, daß der Brief für Euch bestimmt war – denn, Señor, ich kenne Euch ganz gut –, und da ich durch die Tränen der schönen Dame mich dazu verpflichtet fühlte, so beschloß ich, mich auf keinen Dritten zu verlassen, sondern selbst zu reisen, um Euch den Brief zu überbringen, und in sechzehn Stunden, so lang ist es her, daß sie mir ihn anvertraute, habe ich den Weg zurückgelegt, der, wie Ihr wißt, achtzehn Meilen beträgt.‹

Während dieser dienstfertige und unerwartete Briefbote mit mir sprach, hing ich an seinen Worten, und die Beine zitterten mir so sehr, daß ich mich kaum aufrecht halten konnte. Dann öffnete ich den Brief und sah, daß er folgenden Inhalts war:

Das Wort, das Euch Don Fernando gab, mit Eurem Vater zu reden, damit er mit dem meinigen rede, hat er mehr zu seiner eignen Befriedigung als zu Eurem Frommen erfüllt. Wisset, Señor, daß er mich zur Gemahlin begehrt hat, und mein Vater, verleitet durch so vieles, was nach seiner Meinung Don Fernando vor Euch voraushat, ist auf dessen Wünsche so bereitwillig eingegangen, daß von jetzt in zwei Tagen die Vermählung stattfinden soll, und zwar ganz im geheimen und unter uns, so daß nur der Himmel und einige Leute vom Hause Zeugen sein sollen. In welcher Lage ich mich befinde, mögt Ihr Euch denken. Ob es Euch erforderlich erscheint zu kommen, das möget Ihr erwägen, und ob ich Euch wahrhaft liebe oder nicht, wird der Verfolg der Sache Euch zu erkennen geben. Wolle Gott, daß dieser Brief in Eure Hände gelange, bevor meine Hand gezwungen wird, sich in die des Mannes zu legen, der die Treue, die er gelobt, so schlecht zu halten weiß.

Das war im wesentlichen, was der Brief enthielt und was mich bestimmte, mich sogleich auf den Weg zu begeben, ohne eine weitere Antwort oder Geld abzuwarten; denn klar erkannte ich jetzt, daß nicht um Pferde, sondern um das Ziel seiner Wünsche zu erkaufen, Don Fernando sich bewogen fand, mich zu seinem Bruder zu schicken. Der grimmige Haß, den ich nun gegen Don Fernando faßte, und zugleich die Furcht, das geliebte Pfand zu verlieren, das ich mir mit so vielen Jahren der Sehnsucht und Huldigung gewonnen, verlieh mir Vogelschwingen; wie im Fluge gelangte ich des andern Tages in meine Heimat, gerade zur rechten Zeit, um Luscinda sprechen zu können. Ich kam im geheimen in den Ort und ließ mein Maultier im Hause des braven Mannes, der mir den Brief gebracht; und das Glück ließ es mich jetzt so gut treffen, daß ich Luscinda an jenem Fenstergitter fand, dem Zeugen unsrer Liebe. Auf der Stelle erkannte mich Luscinda, und ich erkannte sie; aber nicht so, wie sie mich hätte erkennen sollen, nicht so, wie ich sie hätte erkennen sollen. Aber wer auf Erden könnte sich rühmen, die verworrenen Gedanken und den wankelmütigen Sinn eines Weibes ergründet und verstanden zu haben? Gewiß niemand.

Also weiter. Sobald Luscinda mich erblickte, sprach sie: ›Cardenio, ich bin zur Hochzeit angezogen, schon erwarten mich im Saale Don Fernando, der Verräter, und mein Vater, der Habsüchtige, nebst andern Zeugen, die eher Zeugen meines Todes als meiner Vermählung sein sollen. Fasse dich, mein Freund, und suche bei dieser Opferung zugegen zu sein, und kann ich sie nicht durch meine Worte abwenden, so trage ich einen Dolch verborgen bei mir, der die entschlossenste Gewalt von mir fernzuhalten vermag, und so wird denn das Ende meines Lebens zugleich der Anfang deiner wahren Kenntnis von meiner Liebe sein.‹

Ich antwortete ihr in Bestürzung und Hast, voller Besorgnis, es werde mir zur Antwort nicht Zeit genug bleiben: ›Mögen deine Taten, o Geliebte, deine Worte wahr machen; und trägst du einen Dolch bei dir, auf daß man dich achten lerne, so trage ich hier ein Schwert, um dich damit zu verteidigen oder mich zu töten, wenn uns das Schicksal feindlich bleibt.‹

Ich glaube nicht, daß sie meine Worte alle vernehmen konnte; denn ich merkte, daß sie eilig abgerufen wurde, weil der Bräutigam wartete. Jetzt brach die Nacht meines Elends an, die Sonne meiner Freuden ging unter, meine Augen blieben ohne Licht, mein Geist ohne Besinnung. Ich gewann es zunächst nicht über mich, ihr Haus zu betreten, ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen; aber da ich erwog, wie wichtig meine Gegenwart um dessentwillen sei, was sich unter diesen Umständen zutragen könne, so ermannte ich mich, soviel ich vermochte, und trat in ihr Haus ein. Da ich alle Ein- und Ausgänge schon längst aufs genaueste kannte, so wurde ich – zumal bei der allgemeinen Unruhe, die, obzwar insgeheim, das ganze Haus durcheinanderbrachte – von niemandem bemerkt. So fand ich, ohne daß man meiner ansichtig wurde, Gelegenheit, mich in einer Fensternische des Hochzeitssaales selbst zu verbergen, die von den Spitzen und Säumen zweier Vorhangteppiche verdeckt war, zwischen denen hindurch ich alles, was im Saale vorging, sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Wer vermöchte jetzt zu sagen, wie mein Herz gewaltsam pochte, während ich dort stand, wer die Gedanken zu sagen, die mich überfielen, die Betrachtungen, denen ich mich hingab! Es waren ihrer so viele und solchen Inhalts, daß sie nicht auszusprechen sind, ja, daß es nicht gut wäre, sie auszusprechen. Es genüge Euch, zu hören, daß der Bräutigam in den Saal trat, ohne einen andern Festschmuck als die Alltagskleider, die er zu tragen pflegte. Als Zeugen brachte er einen Vetter Luscindas mit, und im ganzen Saale war niemand Fremdes zugegen, sondern nur die Diener vom Hause. Kurz darauf trat Luscinda aus ihrem Ankleidezimmer, in Begleitung ihrer Mutter und zweier Zofen, so herrlich gekleidet und geschmückt, wie es ihres Standes und ihrer Reize würdig war, als die wahre Vollendung vornehmer Pracht und buhlerischen Glanzes. Ich war so erregt und außer mir, daß es mir nicht möglich war, ihre Kleidung in ihren Einzelheiten zu beobachten und mir zu merken; ich konnte nur auf die Farbe ihrer Gewänder achten – sie waren rot und weiß – und auf das Funkeln der Edelsteine und Kleinode in ihrem Kopfputz und an ihrem ganzen Anzug. All dies wurde noch überstrahlt von dem wunderbaren Reiz ihrer schönen blonden Haare, die, im Wettstreit mit den köstlichen Steinen und dem Lichte der vier Fackeln, die den Saal erhellten, Luscindas Schönheitslicht den Augen in höherem Glanze zeigten. O Erinnerung, Todfeindin meiner Ruhe! Was frommt es, die unvergleichliche Schönheit meiner angebeteten Feindin mir jetzt vorzustellen? Ist es nicht besser, o grausame Erinnerung, daß du mich nur daran mahnest und mir vorstellst, was Luscinda damals getan, damit ich, von so offenbarer Kränkung getrieben, nur darauf sinne, wenn nicht Rache zu erlangen, so doch wenigstens dies Leben zu enden? Möge es euch nicht ermüden, werte Herren, diese Abschweifungen von meinem Gegenstand zu hören; mein Leiden ist nicht von jener Art, daß man es kurz und oberflächlich erzählen kann oder darf; denn jeder Umstand dabei scheint mir einer ausführlichen Darlegung wert.«

Hierauf entgegnete der Pfarrer, es ermüde sie keineswegs, ihm zuzuhören, vielmehr hörten sie die Einzelheiten, die er ihnen erzähle, sehr gerne an; denn sie seien derart, daß sie verdienten, nicht mit Stillschweigen übergangen zu werden, sondern dieselbe Aufmerksamkeit zu erhalten wie der Hauptinhalt der Erzählung.

»Wohl denn«, fuhr Cardenio fort; »als sie alle im Saal waren, trat der Pfarrer des Kirchspiels herein, ergriff beider Hände, um das bei solcher feierlichen Handlung Übliche vorzunehmen; und als er die Worte sprach: ›Wollt Ihr, Jungfrau Luscinda, den hier anwesenden Herrn Don Fernando zu Eurem rechtmäßigen Ehegatten nehmen, wie es die heilige Mutter Kirche vorschreibt?‹ da streckte ich Kopf und Hals ganz aus dem Vorhang hervor und horchte mit gespanntem Ohr und bangem Herzen auf Luscindas Antwort, von der ich mein Todesurteil oder die Verheißung meines Lebens erwartete. Oh, wer in jenem Augenblick sich erkühnt hätte, hervorzustürzen und ihr zuzurufen: Ha, Luscinda, Luscinda, bedenke, was du tust, überlege, was du mir schuldest! Bedenke, daß du die Meinige bist und einem andern nicht angehören kannst! Erwäge wohl, daß das Ja aus deinem Munde hören und mein Leben verlieren beides in einem und demselben Augenblick folgen wird. Oh, Verräter Don Fernando, Räuber all meines Heils, Tod meines Lebens! Was begehrst du? Bedenke, daß du das Ziel deiner Wünsche nie im christlichen Sinne erreichen kannst, denn Luscinda ist meine Gattin, ich bin ihr Gemahl. Oh, ich Wahnsinniger! Jetzt, wo ich von ihr abwesend und fern von der Gefahr bin, jetzt sage ich, daß ich hätte tun sollen, was ich nicht tat; jetzt, wo ich mein höchstes Gut mir rauben ließ, fluche ich dem Räuber, an dem ich mich rächen konnte, wenn ich den Mut dazu gehabt hätte, wie ich ihn jetzt habe, um Klagen auszustoßen. Ja, weil ich damals feige und verstandlos war, so geschieht mir nicht zuviel, wenn ich jetzt beschämt, reuevoll und irrsinnig sterbe.

Der Geistliche erwartete Luscindas Antwort; sie zögerte damit eine längere Weile, und als ich schon dachte, sie wolle den Dolch ziehen, um eine Heldentat zu tun, oder wolle die Zunge entfesseln, um ein Bekenntnis abzulegen oder falschen Voraussetzungen die Wahrheit entgegenzustellen, die mir zum besten gereichen würde, da hörte ich sie mit kraftloser, matter Stimme sagen: ›Ja, ich will.‹ Das nämliche sagte Don Fernando; er gab ihr den Ring, und sie waren mit unauflöslichem Bande aneinander gebunden.

Der Bräutigam näherte sich, seine Gattin zu umarmen; sie drückte die Hand ans Herz und fiel ohnmächtig ihrer Mutter in die Arme.

Nun bleibt mir noch zu sagen, in welchem Zustande ich mich befand, als ich durch das Ja, das ich vernommen, meine Hoffnungen für betrogen, Luscindas Worte und Verheißungen für falsch erkannte und mich der Möglichkeit beraubt sah, jemals das Glück wiederzugewinnen, das ich in diesem Augenblick verloren hatte. Ich stand ratlos da, vom Himmel, wie mich dünkte, verlassen, feind der Erde, die mich bisher genährt, während die Luft mir den Atem für meine Seufzer und das Wasser mir das spärliche Naß für meine Augen versagte; nur das Feuer mehrte seine Glut so sehr, daß ich vor Ingrimm und Eifersucht durch und durch entbrannte.

Alles war in Bestürzung über Luscindas Ohnmacht; und als ihre Mutter sie aufschnürte, damit die Luft Zugang zu ihrer Brust habe, fand man an ihrem Busen ein verschlossenes Papier, welches Don Fernando sogleich an sich nahm und beim Licht einer Fackel durchlas. Kaum hatte er es gelesen, so setzte er sich nieder auf einen Stuhl und stützte das Kinn auf die Hand mit allen Zeichen tiefen Nachsinnens, ohne sich um die Mittel zu kümmern, die man bei seiner Gattin versuchte, um sie aus der Ohnmacht zu wecken. Da ich so das ganze Haus in Aufruhr sah, wagte ich es, mich zu entfernen, gleichviel, ob ich dabei gesehen würde oder nicht, mit dem festen Entschlusse, wenn man mich bemerkte, eine solche Handlung der Verzweiflung zu begehen, daß alle Welt den gerechten Groll meines Herzens erkennen sollte an der Züchtigung des falschen Don Fernando, ja auch der ohnmächtig daliegenden Verräterin. Aber mein Schicksal, das mich wohl für noch größere Leiden – wenn es größere gibt – aufbewahrt haben muß, fügte es, daß mir in jenem Augenblick nur zuviel der Vernunft zu Gebote stand, die mich seitdem verlassen hat. Und sonach wollte ich, ohne Rache an meinen schlimmsten Feinden zu nehmen – was leicht gewesen wäre, da keiner an mich dachte –, die Rache an mir selbst nehmen und die Strafe, die jene verdienten, an mir vollstrecken, und das vielleicht mit größerer Härte, als gegen sie wäre angewendet worden, wenn ich sie damals getötet hätte. Denn der Tod, den man plötzlich erleidet, beendet die Qual im Augenblick; aber den Tod unter Martern lange verzögern heißt unaufhörlich töten, ohne dem Leben ein Ende zu machen. Kurz, ich verließ ihr Haus und eilte zum Hause des Mannes, bei dem ich das Maultier gelassen. Ich hieß ihn mir das Tier satteln, und ohne ihm Lebewohl zu sagen, stieg ich auf und ritt zur Stadt hinaus und mochte, als ein anderer Lot, nicht wagen, das Antlitz zu wenden und mich nach ihr umzuschauen. Und als ich mich im freien Feld allein sah, die Dunkelheit der Nacht mich umhüllte und ihre tiefe Stille mich einlud, meine Klagen zu ergießen, da erhob ich meine Stimme, ohne Scheu oder Besorgnis, daß ich gehört werden könnte, und entfesselte meine Zunge zu so vielen Verwünschungen gegen Luscinda und Don Fernando, als hätte ich mir damit Genugtuung verschafft für die Schmach, die sie mir angetan. Ich nannte Luscinda grausam, gefühllos, falsch, undankbar, vor allem aber habgierig, da der Reichtum meines Feindes ihrer Liebe die Augen verschlossen habe, um sie mir zu entziehen und sie dem hinzugeben, gegen welchen das Glück sich wohlwollender und freigebiger erwiesen hatte.

Und doch, mitten im Sturm dieser Verwünschungen und Schmähungen suchte ich nach Entschuldigungen für sie und sagte, es sei nicht zu verwundern, wenn ein zurückgezogen lebendes Mädchen, im Hause der Eltern zum Gehorsam gegen sie erzogen und daran gewöhnt, ihren Wünschen nachgegeben habe, da sie ihr einen solchen Edelmann zum Gemahl gaben, so vornehm, so reich, so stattlich, daß die Abweisung dieses Bewerbers der Vermutung Raum gegeben hätte, sie ermangele entweder des Verstandes oder habe ihre Neigung anderwärts vergeben, was ihrem guten Namen und Ruf so sehr zum Nachteil gereicht hätte. Dann sagte ich mir wieder: Wenn sie vorgegeben hätte, ich sei ihr Gatte, würden die Eltern erkannt haben, daß sie an mir keine so schlechte Wahl getroffen hätte, um nicht Entschuldigung bei ihnen zu finden; denn ehe sich Don Fernando ihnen anbot, konnten sie selber, wenn sie ihre Wünsche mit dem Maßstabe der Vernunft maßen, keinen Bessern zum Gemahl ihrer Tochter wünschen. Mithin hätte sie wohl, bevor sie das Äußerste über sich ergehen ließ – ihre Hand hinzugeben –, sagen können, ich hätte ihr bereits die meinige gegeben; und sicher würde ich allem zugestimmt und alles genehmigt haben, was sie in einem solchen Falle zu ersinnen vermocht hätte. Am Ende kam ich zu dem Schlusse, daß zuwenig Liebe, zuwenig Urteilskraft, zuviel Ehrsucht und Streben nach Größe die Schuld trugen, daß sie die Worte vergaß, mit denen sie meine feste Hoffnung und redliche Neigung getäuscht, hingezogen und aufrechterhalten hatte.

Unter solchen lauten Klagen, in solchen Seelenqualen ritt ich den Rest der Nacht dahin, und beim Morgengrauen stieß ich auf einen Zugang zu diesen Gebirgszügen, welche ich drei Tage lang ohne Weg und Steg durchirrte, bis ich zuletzt an Weideplätzen haltmachte, die ich weiß nicht mehr auf welcher Seite dieser Berge liegen, und dort befragte ich mich bei Herdenbesitzern, nach welcher Richtung hin die wildeste Gegend des Gebirges liege. Sie sagten mir, hierherum sei sie zu finden; und sogleich ritt ich her mit der Absicht, hier mein Leben zu beschließen.

Kaum hatte ich diese Wildnis betreten, so fiel mein Maultier tot nieder, weil es ausgehungert und abgemattet war oder weil es, was mir glaublicher scheint, der unnützen Bürde ledig sein wollte, die es an mir trug. So mußte ich zu Fuß wandern; die Natur hielt es nicht mehr aus, ich war von Hunger zerquält und hatte niemanden und mochte niemanden suchen, der mir beistände. Und so lag ich, wie lange weiß ich nicht, auf dem Erdboden hingestreckt; dann erhob ich mich, ohne Hunger zu spüren, und fand ein paar Ziegenhirten mir zur Seite. Diese waren es ohne Zweifel, die meiner Not abgeholfen; denn sie erzählten mir, in welchem Zustand sie mich gefunden und wie ich so viel Unsinn und tolles Zeug gesprochen, daß ich offenbar den Verstand verloren haben müßte. Seitdem habe ich es auch in mir empfunden, daß ich wirklich nicht immer meinen Verstand völlig habe, sondern bisweilen so schwach und matt, daß ich tausend Tollheiten begehe, mir die Kleider vom Leibe reiße und in diese öden Wildnisse laut hinausschreie, mein Schicksal verwünsche und zwecklos den geliebten Namen meiner Feindin wiederhole. Alsdann habe ich keinen andern Gedanken oder Willen, als daß ich in wildem Aufschrei mein Leben enden möchte; und wenn ich dann wieder zur Besinnung komme, so finde ich mich so abgemattet und zerschlagen, daß ich mich kaum regen kann. Meine Wohnung ist meist in der Höhlung eines Korkbaums, die gerade den Raum bietet, diesen elenden Körper darin zu bergen. Die Ziegen- und Rinderhirten, die in diesem Gebirge umherziehen, fühlen Erbarmen mit mir und fristen mein Leben, indem sie mir Nahrungsmittel auf die Wege und Felsensteige hinlegen, wo sie vermuten, daß ich vorüberkomme und das mir Bestimmte finden werde. Und wenn ich dann auch nicht bei Sinnen bin, so läßt das natürliche Bedürfnis mich erkennen, was mich nähren soll, und erweckt in mir den Drang, es zu begehren, und den Willen, es zu nehmen. Zu andern Malen, wenn ich bei Verstande bin, sagen sie mir, daß ich die Schäfer, die mit Speise vom Dorf zu den Hürden kommen, öfters auf den Wegen überfalle und ihnen die Speise mit Gewalt abnehme, wenn sie mir auch alles gern aus freien Stücken geben wollten.

In solcher Weise verbringe ich den elenden Rest meiner Tage, bis es dem Himmel dereinst gefällt, entweder meinem Leben oder meinem Gedächtnis ein Ende zu machen, auf daß ich mich der Schönheit und Verräterei Luscindas und der Freveltat Don Fernandos nicht mehr erinnere. Tut der Himmel dieses, ohne mir zugleich das Leben zu rauben, so will ich meine Gedanken auf einen besseren Weg lenken; wo nicht, so bleibt nichts übrig, als zum Himmel zu beten, daß er meiner Seele gnädig sei; denn ich fühle in mir weder Mut noch Kraft, um meinen Körper aus diesem Elend zu befreien, in das ich ihn aus freier Wahl gebracht habe.

Dies ist, liebe Herren, die bittere Geschichte meines Unglücks; sagt mir, ob es derart ist, daß es mit anderm Schmerzgefühl, als ihr an mir bemerkt habt, sich hätte schildern lassen. Müht euch nicht damit ab, mich zu bereden oder mir anzuraten, was die Vernunft euch als ersprießlich zu meiner Heilung erscheinen läßt; denn es würde mir nicht mehr helfen als das Rezept eines vortrefflichen Arztes dem Kranken, der die Arznei nicht einnehmen will. Ich will nicht gesunden ohne Luscinda; und da es ihr gefällt, einem andern zu gehören, während sie mein eigen ist oder sein sollte, so soll es mir gefallen, dem Unglück zu eigen zu sein, da ich doch dem Glück angehören könnte. Sie wollte mit ihrer Wandlung mein Verderben unwandelbar machen; so will ich denn selbst auf mein Verderben bedacht sein, um ihren Willen zu erfüllen. Den nach mir Kommenden aber wird es ein warnendes Beispiel sein, daß ich allein unter allen dessen ermangelt habe, was die Unglücklichen sonst im Übermaß haben, denn ihnen allen pflegt gerade die Unmöglichkeit, Trost zu finden, zum Troste zu werden, während sie mir noch größere Schmerzen und Leiden verursacht, da ich denken muß, daß sie selbst mit dem Tode nicht enden werden.«

Hiermit beschloß Cardenio seine lange Erzählung, seine so unglückliche als liebeglühende Geschichte. Und gerade als der Pfarrer sich anschickte, ihm einige Worte des Trostes zu sagen, ward er darin durch eine Stimme gestört, die ihm zu Ohren drang, und sie hörten in klagenden Tönen sprechen, was im folgenden Kapitel erzählt werden soll; denn hier schließt für jetzt der weise und sorgfältige Geschichtsschreiber Sidi Hamét Benengelí.

28. Kapitel

Welches von dem neuen und lieblichen Abenteuer handelt, das dem Pfarrer und dem Barbier in dem nämlichen Gebirge begegnete

Beseligt und hochbeglückt waren die Zeiten, wo der kühnste aller Ritter, Don Quijote von der Mancha, auf die Erde gesendet ward. Denn weil er den so ehrenhaften Entschluß hegte, den bereits verlorengegangenen und schier erstorbenen Orden der fahrenden Ritterschaft neu zum Leben zu erwecken und der Welt wiederzugeben, so genießen wir jetzt in unserm Zeitalter, das ergötzlicher Unterhaltung so sehr ermangelt, nicht nur die Lieblichkeit seiner wahrhaften Geschichte, sondern zugleich auch die in diese eingestreuten Erzählungen und Nebengeschichten, die zum Teil nicht minder anmutig und wahrhaftig sind wie die Geschichte selbst. Diese nun, indem sie ihren wohlgehechelten, wohlgezwirnten und wohlgehaspelten Faden wiederaufnimmt, erzählt, daß, sobald der Pfarrer sich anschickte, Cardenio zu trösten, eine zu seinen Ohren dringende Stimme ihn darin störte, welche sich in klagendem Ton also vernehmen ließ: »O Gott! Sollte es denn möglich sein, daß ich schon den Ort gefunden habe, der der kummervollen Last dieses Körpers, die ich so sehr wider meinen Willen trage, zur verborgenen Grabstätte dienen könnte? Ja, es muß so sein, wenn die Einsamkeit, die diese Berge verheißen, nicht lügt. Ich Unglückselige! Welche weit erwünschtere Gesellschaft werden diese Felsen und Gebüsche, da sie mir es vergönnen, mein Leid dem Himmel zu klagen, mir zu meinem Vorhaben bieten als jedes menschliche Wesen, da es keines gibt, von dem jemals Rat in den Zweifeln, Linderung im Schmerze, Hilfe in Nöten zu erhoffen ist!«

Der Pfarrer, und die mit ihm waren, hörten und vernahmen deutlich all diese Worte, und da sie in der Nähe gesprochen schienen – wie es auch wirklich der Fall war –, erhoben sie sich, den Klagenden aufzusuchen. Sie waren nicht zwanzig Schritte weit gegangen, als sie hinter einem Felsen am Fuß einer Esche einen Jüngling in Bauerntracht sitzen sahen, dessen Antlitz sie anfangs noch nicht erblicken konnten, da er es herabgeneigt hielt, weil er sich in dem vorüberfließenden Bach die Füße wusch. Sie näherten sich dem Jüngling so leise, daß er sie nicht bemerkte; auch war er auf nichts achtsam als auf das Waschen seiner Füße, die nicht anders aussahen als zwei Stücke blanken Kristalls, erzeugt zwischen den übrigen Steinen des Baches. Sie staunten ob der Weiße und Zierlichkeit der Füße, die, wie es die Zuschauer bedünkte, sicher nicht dazu bestimmt waren, auf Erdschollen zu treten oder hinter dem Pflug und Ochsengespann herzugehen, worauf doch die Tracht des Jünglings hindeutete. Da sie nun sahen, daß sie nicht wahrgenommen worden, so gab der Pfarrer, der voranging, den andern beiden einen Wink, sich hinter Felsblöcken, die dort umherlagen, versteckt und still zu halten. Sie taten es und beobachteten dann mit großer Aufmerksamkeit, was der Jüngling vornahm. Er trug einen kurzen braunen Frauenmantel mit zwei Schößen, den ein weißes Tuch eng um den Leib gürtete; so trug er auch Beinkleider mit Gamaschen von graubraunem Tuch und auf dem Kopf eine graue Jagdmütze; die Gamaschen waren bis zur Mitte des Beines hochgestreift, das in der Tat aus weißem Alabaster gebildet schien. Nun war er zu Ende mit dem Waschen der schönen Füße, zog unter der Mütze ein Handtuch hervor und trocknete sie. Und wie er es hervornahm, hob er das Gesicht in die Höhe, und die Zuschauer hatten nun Gelegenheit, eine unvergleichliche Schönheit zu erblicken, so daß Cardenio mit leiser Stimme zu dem Pfarrer sagte: »Da dies nicht Luscinda ist, so ist es kein menschliches, sondern ein göttliches Wesen.«

Der Jüngling nahm die Mütze ab, und als er den Kopf nach allen Seiten hin schüttelte, sah man Haare sich lösen und herabwallen, die den Strahlen der Sonne Neid einflößen konnten. Daran erkannten sie, daß, was ein Bauernknabe schien, ein Weib war, ein zartes Weib, ja das schönste, das die Augen der beiden je erschaut hatten, ja selbst Cardenios Augen, wenn sie nicht Luscinda gesehen und gekannt hätten; denn später versicherte er, daß nur Luscindas Reize mit denen dieses Mädchens wetteifern könnten. Die reichen blonden Haare bedeckten ihr nicht bloß die Schultern, sondern hüllten sie rings ein und ließen mit Ausnahme der Füße nichts von ihrem Körper sehen, so lang und üppig waren sie; und dabei diente ihnen zum Kamm ein Händepaar, so schön, daß, wenn die Füße im Wasser Stücke Kristalles schienen, die Hände in den Locken jetzt Stücken gepreßten Schnees glichen. Alles das erhöhte in den drei Zuschauern die Bewunderung und das Verlangen zu erfahren, wer sie sei. Sie beschlossen daher, sich zu zeigen; aber als sie eine Bewegung machten, um aufzustehen, erhob das schöne Mädchen den Kopf, strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und sah nach den Leuten hin, die das Geräusch verursacht hatten. Kaum hatte sie sie erblickt, so sprang sie auf die Füße, und ohne daß sie sich die Zeit nahm, die Schuhe anzuziehen oder die Haare aufzubinden, ergriff sie mit größter Hast ein neben ihr liegendes Bündel mit Kleidern, wie es den Anschein hatte, und wollte voll Verwirrung und Schrecken die Flucht ergreifen. Aber sie war nicht sechs Schritte weit gelaufen, als sie zu Boden sank, da ihre zarten Füße die scharfen Spitzen der Steine nicht ertrugen.

Als die drei das sahen, eilten sie zu ihr hin, und der Pfarrer war der erste, der sie anredete: »Haltet inne, Señora, wer Ihr auch sein möget; denn die Ihr hier erblicket, haben nur die Absicht, Euch Dienste zu leisten; es ist wahrlich kein Grund zu einer so zwecklosen Flucht, die Eure Füße weder aushalten noch wir gestatten könnten.«

Auf all dieses entgegnete sie kein Wort, voll Staunen und Verwirrung. Jene traten nun zu ihr heran, der Pfarrer faßte sie an der Hand und fuhr fort: »Was Eure Tracht, Señora, uns leugnet, das entdecken uns Eure Locken. Klar erkennen wir, daß die Ursache von nicht geringer Bedeutung sein kann, die Eure Schönheit in so unwürdige Tracht verhüllt und in eine so öde Wildnis wie diese geführt hat, in der es nur ein Glücksfall war, daß wir Euch fanden, um Euren Leiden, wenn nicht Heilung, so doch wenigstens freundlichen Rat zu bieten. Denn kein Leid kann so drangvoll sein oder so zum Äußersten steigen, daß es ablehnen dürfte, solange das Leben nicht zu Ende geht, mindestens den Rat anzuhören, den man dem Leidenden aus guter Absicht erteilt. Sonach, wertes Fräulein oder werter Herr, oder was Ihr sein wollt, erholt Euch von dem Schrecken, in den unser Anblick Euch versetzt hat, und erzählt uns Eure guten oder schlimmen Schicksale; denn in uns allen zusammen und in jedem von uns werdet Ihr ein Herz finden, das gerne mit Euch Eure Mißgeschicke mitfühlt.«

Während der Pfarrer diese Worte sprach, stand das verkleidete Mädchen wie betäubt und schaute sie alle an, ohne die Lippen zu bewegen oder ein Wort zu sagen, wie ein Bauer vom Dorf, dem man unversehens seltene, von ihm noch nie erblickte Dinge zeigt. Da aber der Pfarrer ihr abermals mancherlei in ähnlichem Sinne sagte, so brach sie endlich ihr Schweigen, und einen tiefen Seufzer ausstoßend, begann sie: »Da die Einsamkeit dieser Felsen mich nicht zu verbergen vermochte und das freie Herabwallen meines aufgelösten Haares meiner Zunge nicht zu lügen verstattet, so wäre es umsonst, jetzt noch vorzugeben, was man mir höchstens aus Höflichkeit und kaum aus einem andern Grunde glauben würde. Da dies nun so ist, sage ich, meine Herren, daß ich euch für euer Anerbieten Dank schulde und daß dasselbe mir die Verpflichtung auferlegt, euch in allem, was ihr von mir verlangt, Genüge zu leisten, obschon ich fürchte, die Erzählung meines Unglücks werde bei euch in ebenso hohem Grade wie das Mitleid das Schmerzgefühl hervorrufen; denn ihr werdet kein Heilmittel finden, ihm abzuhelfen, noch Trost, um es zu ertragen. Aber trotzdem, damit in eurer Meinung meine Ehre nicht zweifelhaft erscheine, nachdem ihr nun in mir ein Weib erkannt und mich jung, allein und in dieser Tracht hier gesehen habt – Umstände, die zusammengenommen, wie jeder schon für sich allein, jeglichen guten Ruf zugrunde richten können –, so muß ich euch erzählen, was ich verschweigen möchte, wenn ich es dürfte.«

Dies alles sagte sie, die sich nun als ein so reizendes Mädchen darstellte, ohne zu stocken mit fließender Sprache und süß tönender Stimme, so daß ihre verständige Art nicht minder als ihre Schönheit die Zuhörer mit Bewunderung erfüllte. Aufs neue wiederholten sie ihre Anerbietungen, drangen aufs neue in sie, ihr Versprechen zu erfüllen, und ohne sich länger bitten zu lassen, nachdem sie erst in aller Bescheidenheit ihre Fußbekleidung angelegt und ihr Haar zusammengebunden, setzte sie sich auf einem Stein zurecht. Und indem die drei um sie herstanden und sie sich Gewalt antun mußte, um die Tränen zurückzuhalten, die ihr unwillkürlich ins Auge traten, begann sie mit ruhiger, klarer Stimme die Geschichte ihres Lebens:

»Hier in Andalusien ist ein Städtchen, von dem ein Herzog den Titel führt, der ihn zu einem Granden von Spanien macht. Dieser hat zwei Söhne, von denen der ältere der Erbe seines Stammsitzes und dem Anscheine nach auch seiner guten Eigenschaften ist. Was aber das Erbteil des jüngeren sein mag, weiß ich nicht, wenn nicht etwa die Verräterei des Bellido und die Heimtücke Ganelons. Zu den Vasallen dieses Granden gehören meine Eltern, gering von Geschlecht, aber so reich, daß, wenn die Gaben der Geburt denen ihres Glückes gleichkämen, sie mehr nicht zu wünschen und ich niemals zu fürchten gehabt hätte, mich in dem unglücklichen Zustande zu sehen, in dem ich mich jetzt befinde; denn vielleicht entspringt mein Mißgeschick aus dem ihrigen, das ihnen nicht vergönnte, von erlauchter Geburt zu sein. Allerdings sind sie nicht von so niederem Stande, daß sie sich dessen zu schämen hätten; aber auch nicht von so hohem, um mir den Glauben zu benehmen, daß gerade ihr geringer Stand mein Unglück verschuldet habe. Mit einem Wort, sie sind Landleute, schlichte Menschen, deren Geschlecht sich nie mit einem übelberufenen Stamme vermischt hat, alte Christen, so uralt, daß sie, wie man zu sagen pflegt, moderig geworden, so uralte, daß ihr Reichtum und ihre vornehme Lebensweise ihnen allmählich den Rang von Junkern, ja von Rittern erwirbt. Was sie indessen als ihren höchsten Reichtum und Adel schätzten, war, mich zur Tochter zu haben; und da sie keinen anderen Erben besaßen und Eltern voll zärtlicher Liebe waren, so wurde ich von ihnen so verwöhnt, wie nur jemals Eltern ein Kind verwöhnen konnten. Ich war der Spiegel, in dem sie sich schauten, der Stab ihres Alters, das Ziel all ihrer Wünsche, die sie nur zwischen mir und dem Himmel teilten und von welchen, da sie stets nur das Beste wollten, die meinigen nie im geringsten abwichen. So wie ich die Herrin ihres Herzens war, ebenso war ich die ihres Vermögens. Durch mich wurden die Diener angenommen und entlassen, die Aufstellungen und Rechnungen über Aussaat und Ernte gingen durch meine Hand; ich führte Buch über die Ölmühlen, die Weinkeltern, die Zahl des großen und kleinen Viehs und der Bienenstöcke, kurz, über alles, was ein so reicher Landmann wie mein Vater besitzen kann und besitzt. Ich war die Oberverwalterin und Gebieterin und war es mit solchem Eifer meinerseits und zu solcher Zufriedenheit ihrerseits, daß ich in der Tat nicht leicht zuviel davon sagen kann. Die Zeit, die mir vom Tage übrigblieb, nachdem ich den Oberknechten, Aufsehern und Tagelöhnern das Erforderliche angewiesen, verwendete ich zu Beschäftigungen, wie sie den Mädchen so ziemlich wie unentbehrlich sind, wie die, welche die Nadel, das Klöppelkissen und besonders häufig das Spinnrad darbieten. Und wenn ich manchmal; um den Geist zu erfrischen, diese Arbeiten ließ, so nahm ich meine Zuflucht zum Lesen irgendeines erbaulichen Buches oder auch zum Harfenspiel, weil die Erfahrung mich lehrte, daß die Musik das beunruhigte Gemüt wieder beruhigt und die Sorgen erleichtert, die im Gemüte entstehen. Dies also war meine Lebensweise im elterlichen Hause, und wenn ich sie in allen Einzelheiten erzählt habe, so geschah es nicht etwa, um großzutun oder um meinen Reichtum zu zeigen, sondern um verständlich zu machen, wie ganz schuldlos ich aus dem Zustande, den ich geschildert, in den unglücklichen geraten bin, in welchem ich mich gegenwärtig befinde.

Nun fügte es sich, während ich mit so vielerlei Beschäftigungen und in einer Zurückgezogenheit, die man mit der eines Klosters vergleichen konnte, mein Leben zubrachte, ohne, wie mich bedünkte, von jemand anderem als von Dienern des Hauses gesehen zu werden – denn an den Tagen, wo ich zur Messe ging, geschah es so früh am Morgen, und ich war so verschleiert und so schüchtern, daß meine Augen kaum mehr vom Boden sahen als die Stelle, auf die ich den Fuß setzte –, da fügte es sich trotz alledem, daß mich die Augen der Liebe erblickten, oder besser gesagt, die des Müßiggangs, scharfsichtiger als die des Luchses, mit welchen die Liebeswerbung Don Fernandos umherschaute – denn dies ist der Name jenes Sohnes des Herzogs, von dem ich euch erzählt habe.«

Die Erzählerin hatte kaum Don Fernando genannt, als Cardenios Gesicht die Farbe wechselte; der Schweiß brach ihm aus unter solcher Aufregung, daß der Pfarrer und der Barbier, die es bemerkten, in Furcht gerieten, es möchte der Anfall von Raserei über ihn kommen, der, wie man ihnen erzählt hatte, von Zeit zu Zeit ihn übermannte. Allein Cardenio tat nichts weiter, als daß er in Angstschweiß ruhig dastand und das Bauernmädchen unverwandt anschaute, indem er schon ahnte, wer sie sei.

Ohne Cardenios Aufregung zu bemerken, fuhr das Mädchen so mit seiner Geschichte fort: »Noch hatten seine Augen mich kaum gesehen, als er, wie er mir später sagte, sich von Liebe zu mir so gefangen fühlte, wie sein Benehmen mir es vollständig kundgab. Aber damit ich rasch zu Ende komme, meine Leiden zu erzählen, die nicht zu zählen sind, übergehe ich mit Schweigen all die Schritte, die Don Fernando unternahm, um mir seine Neigung zu offenbaren: er bestach alle Leute meines Hauses, gab und anerbot meinen Verwandten Geschenke und Gunstbezeigungen; jeden Tag war in meiner Straße ein Fest und eine Lustbarkeit, in den Nächten ließen die Ständchen niemanden zum Schlafe kommen; die Briefchen, die, ich weiß nicht wie, in meine Hände gelangten, waren zahllos, voll liebeglühender Worte und Anerbietungen, mit mehr Verheißungen und Schwüren als Buchstaben darin. Doch alles dies stimmte mich nicht zu freundlicher Gesinnung, verhärtete mir vielmehr das Herz, als wäre er mein Todfeind und als hätte er alles, was er vornahm, um mich ihm geneigt zu machen, zu dem entgegengesetzten Zwecke getan. Nicht als ob mir Don Fernandos liebenswürdiges Benehmen mißfallen oder ich seine Bewerbung für Zudringlichkeit erachtet hätte; nein, ich empfand, ich weiß nicht was für ein Behagen, mich von einem so vornehmen Herrn so geliebt und gefeiert zu sehen, und es tat mir nicht leid, in seinen Briefen mein Lob zu lesen. Denn in diesem Punkte bedünkt es mich, so häßlich wir Frauen auch sein mögen, so gefällt es uns immer, wenn man uns schön nennt. Aber all diesen Bemühungen traten meine Sittsamkeit und die redlichen Warnungen meiner Eltern entgegen, die bereits Don Fernandos Neigung vollständig in Erfahrung gebracht hatten, da ihm gar nichts daran lag, daß die ganze Welt davon erfahre. Meine Eltern sagten mir, meiner Tugend und Rechtschaffenheit allein überließen und vertrauten sie ihre Ehre und ihren guten Ruf; ich möchte die Ungleichheit zwischen meinem und Don Fernandos Stand erwägen; daraus würde ich sehen, daß er bei all seinem Dichten und Trachten, wenn seine Worte auch anders lauteten, nur sein Vergnügen und nicht mein Bestes im Auge habe. Und wenn ich wünschte, ihm irgendein Hindernis entgegenzustellen, damit er von seiner unziemlichen Bewerbung ablasse, so würden sie mich unverzüglich verheiraten, mit wem ich es am liebsten unter den Angesehensten unseres Ortes und der ganzen Nachbarschaft wolle, da ihr großes Vermögen und mein guter Ruf mir jeden Anspruch erlaubten. Mit diesen bestimmten Versprechungen und der Wahrheit, die ihren Vorstellungen zugrunde lag, bestärkte ich mich in meinem festen Sinn, und niemals gestattete ich mir, Don Fernando das geringste Wort zu erwidern, das ihm, wenn auch nur von ferne, Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche hätte bieten können. Jedoch all diese Vorsicht meinerseits, die er wohl nur für Sprödigkeit hielt, hatte offenbar nur die Wirkung, seine lüsterne Begierde noch mehr zu entflammen; denn nur so kann ich die Neigung nennen, die er mir bezeigte. Wäre sie das gewesen, was sie sein sollte, so würdet ihr nie von ihr gehört haben; denn ich hätte alsdann nie einen Anlaß gehabt, euch von ihr zu erzählen. Zuletzt erfuhr Don Fernando, daß meine Eltern damit umgingen, mich zu verheiraten, um ihm jede Hoffnung auf meinen Besitz zu benehmen, oder mindestens damit ich mehr Hüter hätte, mich zu hüten. Diese Nachricht, oder war es nur seine Vermutung, bewog ihn zu einer Tat, die ihr jetzt hören sollt.

Als ich nämlich eines Nachts mit einem Mädchen, das mich bediente, in meinem Zimmer allein war, dessen Türen ich wohlverschlossen hatte aus Besorgnis, daß etwa durch Nachlässigkeit meine Ehre gefährdet würde, da – ohne zu wissen oder nur vermuten zu können wie, trotz all dieser Vorsicht und Sorgfalt, in der Einsamkeit und Stille meiner Klause – sah ich ihn plötzlich vor mir stehen; – ein Anblick, der mich so betäubte, daß er meinen Augen die Sehkraft benahm und meine Zunge stumm machte. So war ich nicht einmal vermögend, um Hilfe zu rufen; auch glaub ich, er würde mir nicht Zeit dazu gelassen haben; denn er stürzte sogleich auf mich zu, umfaßte mich mit seinen Armen – da, ich sagte es schon, betäubt wie ich war, ich keine Kraft zur Verteidigung hatte – und begann so mit mir zu sprechen, daß ich noch heute nicht begreife, wie die Lüge so geschickt sein kann, ihren Worten so völlig den Anschein der Wahrheit zu geben. Der Verräter wußte sich so anzustellen, daß Tränen seinen Worten, Seufzer seinen Gesinnungen den Stempel der Aufrichtigkeit aufdrückten. Ich armes Kind, so ganz allein im eignen Hause, ohne alle Erfahrung in solchen Dingen, begann, ich weiß nicht, wie es kam, diesem Gewebe von Falschheit Glauben zu schenken, jedoch nicht so weit, daß ich mich zu einem Mitgefühl von nicht geziemender Art hätte hinreißen lassen. Und so, nachdem die erste Bestürzung bei mir vorübergegangen war und ich einigermaßen die verlornen Lebensgeister wieder gesammelt, sagte ich ihm mit mehr Entschlossenheit, als ich mir selbst zugetraut hätte: ›Wenn jetzt, so wie ich in deinen Armen bin, Señor, ich in den Pranken eines grimmigen Löwen wäre, und ich könnte mir Rettung aus ihnen dadurch sichern, daß ich etwas zum Nachteil meiner Ehre sagte oder täte, so wäre es mir geradeso möglich, es zu tun oder zu sagen, wie es möglich ist, daß nicht gewesen wäre, was gewesen ist. Wenn du also meinen Körper mit deinen Armen umschlungen hältst, so halte ich meine Seele fest im Bande meiner guten Vorsätze, die so verschieden von den deinigen sind, wie du es erkennen würdest, wenn du sie durch Gewalttätigkeit gegen mich zur Ausführung bringen wolltest. Ich bin deine Untertanin, nicht aber deine Sklavin; der Adel deines Blutes hat keine Macht und darf sie nicht haben, die geringere Würde des meinen zu entehren oder auch nur geringzuschätzen, und ich achte mich so hoch als Mädchen vom Land und Bäuerin wie du dich als vornehmer Herr und Edelmann. Bei mir würden Gewalttaten erfolglos bleiben, deine Reichtümer keinen Wert haben; deine Worte vermögen mich nicht zu berücken, deine Seufzer und Tränen mich nicht zu rühren. Ja, wenn ich die Handlungsweise, die ich dir vorwerfen muß, allenfalls bei dem Mann fände, den mir meine Eltern zum Gemahl erwählt hätten, dann würde allerdings seinem Willen der meinige sich fügen und mein Wille von dem seinigen nicht abweichen; dann würde ich, wenn mir nur die Ehre bliebe, ob auch die innere Freude fehlte, dir aus freien Stücken hingeben, was du, Señor, jetzt mit solcher Gewaltsamkeit erstrebst. Das alles habe ich dir gesagt, weil nicht daran zu denken ist, daß jemand von mir etwas erlangte, der nicht mein rechtmäßiger Gemahl ist.‹

›Wenn du‹, sagte der treulose Edelmann, ›nur hierüber Bedenken trägst, schönste Dorotea‹ – denn so heiße ich Unglückliche – ›so gebe ich dir die Hand darauf, ich bin dein Gemahl, und daß dies Wahrheit ist, dessen Zeugen seien die Himmel, denen nichts verborgen ist, und dies Bild Unsrer Lieben Frau, das du hier hast.‹«

Als Cardenio hörte, daß sie Dorotea heiße, geriet er abermals in heftige Aufregung, und er fand die Richtigkeit seiner anfänglichen Vermutung vollends bestätigt; aber er wollte die Erzählung nicht unterbrechen, um zu hören, was der Ausgang einer Geschichte sein werde, die er schon so ziemlich kannte. Er sagte nur: »Also Dorotea ist dein Name, Señora? Eine andre desselben Namens habe ich wohl schon erwähnen hören, deren Unglück vielleicht dem deinigen ähnlich ist. Aber fahre fort; es wird die Zeit kommen, wo ich dir Dinge sage, die dich in ebenso hohem Grade erstaunen als betrüben mögen.«

Dorotea wurde jetzt auf Cardenios Worte und auf seine seltsame, zerlumpte Kleidung aufmerksam und bat ihn, wenn er etwas von ihren Verhältnissen wisse, möge er es ihr doch sogleich mitteilen. Denn wenn das Schicksal ihr noch etwas Gutes übriggelassen, so sei es ihr Mut, jedes Unheil, das sie überfalle, zu ertragen in der Gewißheit, daß keines kommen könne, das ihres Bedünkens ihre jetzigen Leiden nur im geringsten zu mehren, nur um einen Augenblick zu verlängern vermöchte.

»Und ich würde nicht einen Augenblick verlieren, Señora«, erwiderte Cardenio, »dir meine Gedanken mitzuteilen, wenn, was ich vermute, sicher wäre; bis jetzt aber geht uns der rechte Augenblick dazu noch nicht verloren; auch ist es von keiner Bedeutung für dich, es zu erfahren.«

»Dem sei, wie ihm wolle«, versetzte Dorotea, »was in meiner Geschichte jetzt vorgeht, war, daß Don Fernando das Muttergottesbild nahm, das in meinem Zimmer hing, und es zum Zeugen unsrer Vermählung anrief. Mit den stärksten Worten und mit unerhörten Eidschwüren gab er mir das bindende Wort als mein Ehegatte, obwohl ich ihn, bevor er es noch völlig ausgesprochen, ermahnte, wohl zu überlegen, was er tue, und zu erwägen, wie sein Vater darob zürnen werde, ihn mit einer Bäuerin, seiner Untertanin, vermählt zu sehen. Er solle, sagte ich, sich von meiner Schönheit, wie sie nun einmal sein möge, nicht verblenden lassen, da sie nicht hinreichend sei, um in ihr Entschuldigungen für seinen Fehler zu finden. Wenn er mir aber um seiner Liebe willen etwas Gutes erweisen wolle, so wäre es dieses, daß er mein Geschick meinem Stande völlig gleichbleiben lasse; denn so ungleiche Ehen bringen niemals rechten Genuß und verharren nicht lange in der freudigen Stimmung, mit der sie beginnen. Alles dieses, was ich euch hier sage, sagte ich ihm damals und noch viel anderes, dessen ich mich nicht mehr entsinne; aber all meine Vorstellungen vermochten ihn nicht von der Verfolgung seines Planes abzubringen, ganz so wie ein Käufer, der nicht beabsichtigt zu zahlen, beim Abschluß des bezüglichen Handels sich nicht erst lange mit Feilschen aufhält.

Ich ging inzwischen wenige Augenblicke mit mir zu Rate und sagte zu mir selbst: Wahrlich, ich wäre nicht die erste, die auf dem Wege der Heirat von geringem zu hohem Stand emporgestiegen, und Don Fernando wäre nicht der erste, den Schönheit oder blinde Leidenschaft – was eher anzunehmen – bewogen hätte, eine Lebensgefährtin zu wählen, die seinem hohen Range nicht gleichsteht. Wenn ich also keine neue Welt und keinen neuen Brauch schaffe, so ist es wohlgetan, diese Ehre zu erfassen, die mir das Schicksal bietet, selbst wenn auch bei ihm die Liebe, die er mir zeigt, nicht länger währen sollte, als die Erreichung seiner Wünsche währt; denn vor Gott werde ich ja doch seine Gemahlin sein. Wenn ich ihn aber geringschätzig abweisen wollte, so sehe ich ihn in einer Verfassung, daß er, anstatt das Mittel pflichtgemäßer Handlungsweise, das der Gewalttätigkeit anwenden wird. Und dann wird es mir geschehen, daß ich Entehrung erleide und keine Entschuldigung habe für die Schuld, die mir jeder beimessen würde, der nicht wüßte, wie unverschuldet ich in diese Lage geraten bin. Denn welche Gründe würden ausreichen, meine Eltern und Dritte zu überzeugen, daß dieser Edelmann ohne meine Zustimmung in mein Gemach gekommen?

All diese Fragen und Antworten wälzten sich in einem Augenblick hin und her in meinem Geiste; und was mehr als alles mich überwältigte und mich zu einer Nachgiebigkeit bewog, die, ohne daß ich es ahnte, mein Verderben werden sollte, das waren Don Fernandos Schwüre, die Zeugen, die er anrief, die Tränen, die er vergoß, und endlich seine edle Gestalt und Liebenswürdigkeit, was alles, begleitet von so vielen Beteuerungen wahrer Liebe, wohl jedes andre Herz, so frei und sittig wie das meine, zu besiegen vermocht hätte. Ich rief meine Dienerin, damit ihr Zeugnis sich auf Erden dem Zeugnis des Himmels beigeselle. Don Fernando wiederholte und bestätigte seine eidlichen Verheißungen aufs neue, rief neue Heilige zu den vorherigen als Zeugen an und schleuderte tausend Verwünschungen für alle kommende Zeit auf sein Haupt, wenn er sein Gelöbnis nicht erfüllen sollte. Abermals zwang er Tränen in seine Augen, verdoppelte seine Seufzer und preßte mich fester in seine Arme, aus denen er mich nie gelassen hatte. Und hiermit, als mein Mädchen das Zimmer wieder verlassen hatte, büßte ich den Namen eines Mädchens ein und erwarb er den eines vollendeten Verräters und wortbrüchigen Schurken.

Der Tag, der auf die Nacht meines Unheils folgte, kam nicht so rasch, als Don Fernando, wie ich überzeugt bin, es wünschte; denn wenn einmal erlangt ist, was die Lüsternheit begehrt, so kann kein größerer Genuß nachfolgen, als den Ort zu verlassen, wo sie befriedigt worden. Ich schließe das aus dem Umstande, daß Don Fernando große Eile hatte, sich von mir zu entfernen. Mit Hilfe meiner listigen Dienerin – es war dieselbe, die ihn herein zu mir gebracht hatte – sah er sich vor Tagesanbruch auf der Straße, und beim Abschied sagte er mir, doch nicht mit so viel Leidenschaftlichkeit und Ungestüm, als da er kam, ich solle sicher sein, daß seine Treue stetig und seine Eide unverbrüchlich und wahrhaft seien; und zu größerer Bekräftigung seines Wortes zog er einen kostbaren Ring vom Finger und steckte ihn mir an.

So ging er, und ich blieb in einem Zustande zurück, ich weiß nicht, ob betrübt oder heiter; in Verwirrung jedenfalls und in tiefen Gedanken, das kann ich sagen, und beinahe ohne Besinnung ob des ungeahnten Ereignisses. Ich hatte nicht den Mut oder ich dachte nicht daran, mein Mädchen zu schelten ob des begangenen Verrats, daß sie Don Fernando in mein eignes Gemach eingelassen; denn noch war ich nicht einig mit mir, ob es Glück oder Unglück sei, was mir begegnet war. Beim Abschied sagte ich ihm, da ich jetzt die Seinige sei, könne er, wie diese Nacht, durch Vermittlung der nämlichen Dienerin mich auch andre Nächte besuchen, bis er es wolle, daß das Geschehene veröffentlicht werde. Allein er kam keine Nacht mehr, ausgenommen die folgende, und ich bekam ihn auf der Straße und in der Kirche über einen Monat nicht zu sehen, währenddessen ich mich bemühte, nach ihm zu forschen, obgleich ich wußte, daß er im Städtchen war und fast jeden Tag auf die Jagd ging, was seine Lieblingsbeschäftigung war. Jene Tage und jene Stunden, wohl weiß ich noch, wie sie mir bitter und schmerzlich waren, und wohl weiß ich, wie ich damals an Don Fernandos Treue zu zweifeln, ja den Glauben daran zu verlieren begann; und das auch weiß ich noch wohl, wie meine Dienerin jetzt die Worte zu hören bekam, die sie, zur herben Mißbilligung ihres Erdreistens, früher nicht von mir gehört hatte. Ich weiß, wie ich mir Gewalt antun mußte, um über meine Tränen und die Mienen meines Gesichts zu wachen, damit ich meinen Eltern keine Veranlassung gäbe, mich über die Gründe meiner Mißstimmung zu befragen und mich zum Ersinnen von Lügen zu nötigen. Aber alles dies endete in einem Augenblick, als nämlich der Augenblick kam, wo jede Rücksicht beiseite gesetzt, jeder Gedanke an Ruf und Ehre vergessen wurde, wo die Geduld zu Ende ging und meine geheimsten Gedanken zutage traten; und das geschah darum, weil man wenige Tage später im Ort erzählte, in einer nahegelegenen Stadt habe sich Don Fernando mit einer Dame vermählt, die über alle Maßen schön sei, die Tochter sehr vornehmer Eltern, wiewohl nicht so reich, daß sie um ihrer Mitgift willen Anspruch auf eine so hohe Verbindung hätte erheben können. Man sagte, sie heiße Luscinda; man erzählte auch anderes, was bei ihrer Vermählung vorgegangen und was staunenswert ist.«

Cardenio hörte den Namen Luscinda – indessen tat er nichts weiter, als daß er die Schultern hochzog, sich auf die Lippen biß, die Brauen runzelte und gleich darauf zwei Tränenbäche aus den Augen herniederstürzen ließ. Doch Dorotea hörte darum mit der Fortsetzung ihrer Erzählung nicht auf und sprach: »Die schmerzliche Nachricht kam mir zu Gehör; aber statt daß mein Herz darob zu Eis erstarren sollte, entbrannte es so gewaltig von Ingrimm und Raserei, daß wenig daran fehlte, ich wäre laut schreiend auf die Gassen hinausgestürzt und hätte die schmähliche Tücke und Verräterei offen verkündet, die gegen mich verübt worden. Aber diesen Wutanfall dämpfte für den Augenblick der Gedanke, ich müßte noch in derselben Nacht das ins Werk setzen, was ich zu tun vorhatte: nämlich diese Tracht anzulegen, die mir einer von den Hirtenbuben meines Vaters dazu geliehen, und nachdem ich diesem mein ganzes Unglück anvertraut hatte, bat ich ihn, mich nach der Stadt zu begleiten, wo sich, wie ich gehört, mein Feind aufhielt. Er mißbilligte mein Unterfangen und tadelte meinen Entschluß; aber da er mich auf meinem Willen fest beharren sah, erbot er sich, mir bis ans Ende der Welt, wie er sich ausdrückte, treue Gefolgschaft zu leisten. Sogleich packte ich in einen leinenen Kissenüberzug ein Frauengewand, ein paar Kleinodien und etwas Geld für den Notfall, und in der Stille jener Nacht, ohne meine verräterische Zofe zu benachrichtigen, begleitet von meinem Diener und von tausenderlei Gedanken, verließ ich mein Haus und begab mich auf den Weg nach der Stadt, zwar zu Fuß, aber wie beflügelt von dem Wunsche, rechtzeitig hinzukommen, wenn auch nicht, um zu hindern, was ich für geschehen hielt, so doch wenigstens Don Fernando aufzufordern, er solle mir sagen, wie er das Herz gehabt habe, so etwas zu tun.

In dritthalb Tagen gelangte ich, wohin ich begehrte. Als ich die Stadt betrat, fragte ich nach dem Hause von Luscindas Eltern, und der erste, an den ich diese Frage richtete, antwortete mir mehr, als ich hätte wissen mögen. Er sagte mir das Haus und alles, was sich bei der Vermählung der Tochter des Hauses zugetragen: alles so stadtbekannt, daß überall im Orte die Leute zusammenstehen, um davon zu erzählen. Er berichtete mir, an dem Abend, wo Don Fernando sich mit Luscinda vermählte, sei sie, nachdem sie das Jawort gegeben, in eine tiefe Ohnmacht gesunken, und als ihr Gatte sich ihr genähert, um sie aufzuschnüren, damit sie Luft schöpfe, habe er bei ihr einen von ihrer eigenen Hand geschriebenen Brief gefunden, worin sie sagte und beteuerte, sie könne nicht Don Fernandos Gemahlin werden, weil sie die Cardenios sei, welcher, wie der Mann mir sagte, ein sehr vornehmer Edelmann aus derselben Stadt ist, und wenn sie Don Fernando das Jawort gegeben, so sei der Grund, daß sie nicht von der Pflicht des Gehorsams gegen ihre Eltern habe abweichen wollen. Kurz, solche Äußerungen habe der Brief enthalten, daß er ersehen ließ, sie habe die Absicht gehabt, sich nach geschehener Trauung umzubringen; der Brief gab die Gründe an, weshalb sie sich das Leben genommen habe. Alles dies, sagt man, wurde durch einen Dolch bestätigt, den man, ich weiß nicht in welchem Stück ihrer Kleidung fand. Wie nun Don Fernando das ersah, bedünkte es ihn, daß Luscinda ihn zum besten gehabt, verhöhnt und verachtet habe. Er stürzte sich auf sie, ehe sie noch wieder zu sich gekommen, und wollte sie mit dem nämlichen Dolche, den man bei ihr gefunden, erstechen; und er hätte das auch vollführt, wenn ihre Eltern und die andern Anwesenden ihn nicht daran gehindert hätten. Ferner heißt es, daß Don Fernando sogleich die Stadt verließ und Luscinda sich nicht vor dem folgenden Tage von ihrer Ohnmacht erholte, wo sie dann ihren Eltern erzählte, daß sie in Wahrheit die Gattin jenes Cardenio sei, dessen ich erwähnte. Auch erfuhr ich, jener Cardenio sei, soviel die Leute sagten, bei der Trauung zugegen gewesen, und als er sie vermählt sah, was er nie geglaubt hätte, sei er in Verzweiflung aus der Stadt enteilt und habe Luscinda einen Brief zurückgelassen, worin er die Kränkung, die sie ihm angetan, zu aller Kenntnis brachte und sagte, er werde hingehen, wo ihn Menschen nimmer zu sehen bekämen. Dies alles war in der ganzen Stadt bekannt und verbreitet, alle Leute redeten davon. Aber sie redeten noch mehr, als sie erfuhren, Luscinda sei aus dem Hause ihrer Eltern und aus der Stadt verschwunden. Man konnte sie nirgends finden; ihre Eltern verloren schier den Verstand darüber und wußten nicht, welches Mittel sie ergreifen sollten, um sie wieder zu erlangen.

Diese Nachrichten ließen meine Hoffnungen wieder aufdämmern, und ich hielt es nun für besser, Don Fernando nicht, als ihn vermählt gefunden zu haben. Es deuchte mich, die Pforte zu meiner Rettung sei noch nicht völlig verschlossen, und ich bildete mir ein, möglicherweise habe der Himmel dies Hindernis der zweiten Ehe entgegengestellt, um ihn zur Erkenntnis seiner Verpflichtungen gegen die erste und zur Einsicht zu bringen, daß er ein Christ und seinem Seelenheil mehr schuldig sei als menschlichen Rücksichten. All diese Gedanken wälzte ich in meinem Geiste hin und her und sprach mir Trost zu, ohne Trost zu finden, und spiegelte mir ferne, schwache Hoffnungen vor, um die Last dieses Lebens weitertragen zu können, das ich jetzt verabscheue.

Während ich nun noch in der Stadt weilte und, weil ich Don Fernando nicht fand, ungewiß war, was ich tun sollte, kam ein öffentlicher Ausruf mir zu Ohren, in welchem ein großer Finderlohn jedem versprochen wurde, der meinen Aufenthalt nachwiese, wobei mein Alter und die Kleidung, die ich trug, genau angegeben waren; und zugleich hörte ich sagen, man erzähle, daß der Junge, der mich begleitete, mich aus dem Hause meiner Eltern entführt habe. Das traf mich ins Herz, weil ich erkannte, wie tief mein Ruf gesunken war, indem man es nicht hinreichend fand, daß ich ihn durch meine Flucht eingebüßt, sondern noch hinzufügte, mit wem ich geflohen, während der Genannte doch so tief unter mir und meiner redlichen Gedanken so unwert war. Im Augenblick, wo ich den öffentlichen Ausruf hörte, eilte ich zur Stadt hinaus mit meinem Diener, der bereits verriet, daß er in der Treue, die er mir verheißen, zu wanken begann. Noch in der nämlichen Nacht, da wir fürchten mußten, entdeckt zu werden, gelangten wir mitten in die dichten Waldungen dieses Gebirges.

Aber wie man zu sagen pflegt, ein Unglück reicht dem andern die Hand, und das Ende eines Leidens ist der Anfang zu einem neuen und schweren Leiden, so erging es mir. Denn sobald mein redlicher Diener, bisher treu und zuverlässig, mich in dieser Einöde sah, wollte er, von seiner eignen Schurkerei mehr als von meiner Schönheit angereizt, die Gelegenheit benutzen, die ihm seines Bedünkens diese Wüstenei darbot, und alle Scham und noch mehr die Furcht Gottes wie die Achtung vor mir außer Augen setzend, verfolgte er mich mit Liebesanträgen. Und da er sah, daß ich mit gebührenden, streng verweisenden Worten der Schamlosigkeit seiner Zumutungen begegnete, ließ er die Bitten beiseite, mit denen er es zuerst versucht hatte, und begann Gewalt zu brauchen. Allein der gerechte Himmel, der selten oder nie seine Obhut und Gunst redlichem Wollen versagt, stand dem meinigen bei, so daß ich mit meinen geringen Kräften und mit geringer Anstrengung ihn in einen steilen Abgrund hinabstürzte, wo ich ihn liegenließ, ich weiß nicht, ob tot oder lebend; und ohne Zögern, mit größerer Behendigkeit, als mein Schrecken und meine Ermüdung zu gestatten schienen, flüchtete ich tiefer ins Gebirge, ohne andern Gedanken und Plan, als mich da versteckt zu halten, um meinem Vater und denen, die in seinem Auftrage nach mir suchten, zu entgehen.

Ich weiß nicht, wieviel Monate es her ist, seit ich zu diesem Zwecke diese Gegend betrat; ich fand hier einen Herdenbesitzer, der mich als seinen Diener in ein Dorf im Innersten des Gebirges mitnahm. Ich diente ihm während dieser ganzen Zeit als Hirtenjunge und suchte mich immer auf dem Felde aufzuhalten, damit ich dieses Haar vor ihm verbergen könnte, das mich heute so unvermutet euch verraten hat. Aber all mein Mühen und all meine Vorsicht waren und blieben erfolglos, da mein Herr zuletzt doch in Erfahrung brachte, daß ich kein Mann sei, und in ihm der nämliche böse Gedanke aufstieg wie bei meinem Diener. Da jedoch das Glück nicht immer mit den Nöten, die es uns sendet, auch die Rettungsmittel gewährt, so fand ich keine Abgründe und Schluchten, um dem Herrn vom Leben und Lieben zu helfen, wie ich sie früher für den Diener gefunden; und darum hielt ich es für das geringere Übel, ihn im Stiche zu lassen und mich abermals in diesen Wildnissen zu verbergen, als meine Kraft oder meine Vorstellungen ihm gegenüber zu versuchen.

So nahm ich aufs neue zu meinem Versteck meine Zuflucht, um einen Ort zu suchen, wo ich ungestört mit Seufzern und Tränen zum Himmel beten könnte, daß er sich meines Unglücks erbarme und mir Geisteskraft verleihe und seine Hilfe, um aus diesem Elend zu kommen oder das Leben in dieser Einöde zu lassen, ohne daß ein Angedenken bleibe an diese Unglückliche, deren Erlebnisse so ganz unverschuldet den Stoff dazu gegeben, daß in ihrer Heimat und in fremden Landen sie in den Mund der Leute und in üble Nachrede gekommen ist.«

22. Kapitel

Von der Befreiung, die Don Quijote vielen Unglücklichen zuteil werden ließ, welche man wider ihren Willen dahin führte, wohin sie lieber nicht wollten

Es erzählt Sidi Hamét Benengelí, der arabische Autor aus der Mancha, in dieser sehr bedeutsamen, hochtönenden und höchst bescheidenen, lieblichen und wundersamen Geschichte, daß, nachdem zwischen dem ruhmreichen Don Quijote von der Mancha und seinem Schildknappen Sancho Pansa die Unterhaltung stattgefunden, die am Schlusse des einundzwanzigsten Kapitels berichtet worden, Don Quijote seine Augen erhob und auf der Straße, die er zog, etwa zwölf Leute zu Fuß sich entgegenkommen sah, alle, wie die Kügelchen am Rosenkranz, an einer langen Kette mit den Hälsen aneinandergereiht und alle mit Handschellen gefesselt. Auch zogen mit ihnen daher zwei Männer zu Pferde und zwei zu Fuß; die Reiter trugen Musketen mit Radschlössern, die zu Fuß hatten Wurfspieße und Schwerter.

Sobald Sancho sie erblickte, sprach er: »Das ist eine Kette von Galeerensklaven, Zwangsarbeiter für den König, die auf die Galeeren kommen.«

»Wie? Zwangsarbeiter?« fragte Don Quijote, »ist es möglich, daß der König irgendeinem Zwang antut?«

»Das sag ich nicht«, antwortete Sancho, »sondern es sind Leute, die um ihrer Vergehungen willen gezwungen werden, dem König auf den Galeeren zu dienen.«

»In einem Wort also«, versetzte Don Quijote, »wie dem auch sei, diese Leute gehen nur gezwungen, wohin man sie führt, und nicht aus eignem Willen.«

»So ist’s«, antwortete Sancho.

»Wohlan«, sprach sein Herr, »so fällt dies in den Bereich meiner Aufgabe, Gewalttätigkeiten zu verhindern und den Bedrängten Hilfe und Beistand zu leisten.«

»Beachte Euer Gnaden«, sagte Sancho, »daß die Gerechtigkeit, das heißt der König selbst, solchen Leuten weder Zwang noch Gewalt antut, sondern sie züchtigt zum Entgelt für ihre Vergehungen.«

Indem kam die Kette der Galeerensklaven heran, und Don Quijote bat die begleitenden Wächter mit äußerst höflichen Worten, sie möchten so gütig sein, ihn zu belehren und ihm die Ursache oder die Ursachen mitzuteilen, weshalb sie die Leute auf solche Weise dahinführten. Einer der berittenen Wächter antwortete, es seien Galeerensklaven, Leute, zu des Königs Diensten bestimmt, die auf die Galeeren kämen, und mehr sei nicht nötig zu sagen und mehr brauche er nicht zu wissen.

»Dessenungeachtet«, entgegnete Don Quijote, »wünsche ich von jedem derselben die besondere Ursache seines Unglücks zu erfahren.«

Diesen Worten fügte er noch andre und so höfliche bei, um sie zu der gewünschten Auskunft zu bewegen, daß der zweite von den berittenen Wächtern ihm sagte: »Obschon wir das Protokoll und die beglaubigte Urteilsabschrift für jeden dieser Elenden bei uns haben, so ist doch keine Zeit dazu, die Schriften hervorzuholen und zu lesen. Euer Gnaden möge näher herankommen und sie selber befragen. Sie werden schon alles sagen, wenn sie wollen, und sie werden wollen; denn es sind Leute, die Vergnügen daran haben, Schurkenstreiche zu begehen und zu erzählen.«

Mit dieser Erlaubnis, die Don Quijote sich genommen hätte, wenn man sie ihm nicht gegeben, näherte er sich der Kette und fragte den ersten, um welcher Sünden willen es ihm so schlecht ergehe. Der Mann antwortete: weil er verliebt gewesen sei, ergehe es ihm jetzt so übel.

»Um nichts mehr?« versetzte Don Quijote. »Wenn man die Leute wegen Verliebtseins auf die Galeeren schickte, dann könnte ich schon seit manchem lieben Tag dort sitzen und rudern.«

»Die Liebe ist nicht der Art, wie Euer Gnaden meint«, sagte der Sträfling, »die meinige ging auf einen Waschkorb voll Weißzeug, den ich mit allen Kräften umfing, und hätte die Justiz mir ihn nicht mit Gewalt abgenommen, so hätte ich ihn mit meinem Willen bis zum heutigen Tage nicht fahrenlassen. Ich wurde auf frischer Tat ergriffen, es war also kein Grund zur Folter, der Prozeß war bald zu Ende geführt, man salbte mir den Rücken mit einem Hundert und gab mir als Zugabe drei Jahre Wasserkur, und damit war die Sache fertig.«

»Was heißt Wasserkur?« fragte Don Quijote.

»Wasserkur heißt Galeerenstrafe«, antwortete der Züchtling, ein Junge von etwa vierundzwanzig Jahren und gebürtig aus Piedrahita, wie er angab.

Dieselbe Frage richtete Don Quijote an den zweiten, der kein Wort erwiderte, so traurig und schwermütig schritt er einher. Aber der erste antwortete für ihn und sprach: »Dieser, Señor, befindet sich hier, weil er ein Kanarienvogel ist, ich meine, weil er ein Musiker und Sänger war.«

»Wie das?« erwiderte Don Quijote, »kommt man auch wegen Musik und Gesang auf die Galeeren?«

»Allerdings, Señor«, versetzte der Sträfling, »denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man in der Not singt.«

»Weit eher«, erwiderte Don Quijote, »habe ich noch sagen hören: Lied versüßt Leid.«

»Hier ist’s umgekehrt«, sagte der Sträfling, »wer einmal singt, hat sein Leben lang zu weinen.«

»Das verstehe ich nicht«, sprach Don Quijote.

Aber einer der Wächter sagte ihm: »Herr Ritter, in der Not singen heißt bei diesem unheiligen Volk: unter der Folter eingestehen. Dieser Sünder wurde auf die Folter gelegt, und er hat sein Verbrechen bekannt; er hat Fleisch geklaut, das heißt Vieh gestohlen, und da er eingestand, wurde er zu sechs Jahren Galeere verurteilt, ungerechnet zweihundert Streiche, die er bereits auf dem Rücken mitbringt. Er geht immer in sich gekehrt und trübsinnig einher, weil die andern Spitzbuben, sowohl die dort geblieben als auch die hier an der Kette gehen, ihn mißhandeln, ihn schlechtmachen, verhöhnen und verachten, weil er eingestanden hat und nicht den Mut besaß, nein zu sagen; denn sie sagen, das Nein habe auch nicht mehr Silben als das Ja, und ein Verbrecher habe schon Glücks genug, wenn über Leben und Tod seine eigne Zunge und nicht die von Zeugen und Beweisen zu entscheiden hat, und ich meinesteils bin der Meinung, daß sie hierin nicht gerade auf dem Holzweg sind.«

»Auch ich bin dieser Meinung«, entgegnete Don Quijote und ging weiter zum dritten und fragte ihn das nämliche wie die andern.

Der Gefragte antwortete ihm sofort und mit großer Dreistigkeit: »Ich gehe auf zehn Jahre in die edle Wasserkur, weil mir zehn Dukaten fehlten.«

»Ich würde Euch sehr gern zwanzig geben«, sagte Don Quijote, »um Euch aus diesem bösen Handel herauszuhelfen.«

»Das kommt mir vor«, entgegnete der Sträfling, »wie wenn einer mitten auf hoher See Geld hat und doch Hungers stirbt, weil er keine Möglichkeit hat, sich das Nötige einzukaufen; ich meine nämlich, wenn ich die zwanzig Dukaten, die mir Euer Gnaden jetzt anbieten, zur rechten Zeit gehabt hätte, so hätte ich dem Aktuar die Feder damit geschmiert und dem Anwalt ein solches Licht im Kopf angesteckt, daß ich jetzt auf dem Marktplatz in Toledo und nicht auf dieser Landstraße wie ein Hund angekoppelt einherstiege. Aber Gott ist groß; Geduld, und damit gut.«

Don Quijote ging weiter zum vierten, der ein Mann von ehrwürdigem Angesicht war, mit einem weißen Barte, der ihm bis über die Brust herabfiel. Als er sich nach der Ursache fragen hörte, weshalb er sich hier befinde, fing er zu weinen an und erwiderte kein Wort; aber der fünfte Züchtling diente ihm als Zunge und sprach: »Dieser Ehrenmann geht für vier Jahre auf die Galeeren, nachdem er durch die üblichen Straßen in Galatracht spazierengeritten.«

»Das heißt«, sagte Sancho Pansa, »wie mich bedünkt, er ist auf dem Schandesel durch die Straßen gestäupt worden.«

»So ist es«, sagte der Sträfling, »und das Verbrechen, für das man ihn mit dieser Strafe belegt hat, ist, daß er für manche Bank und manches gute Haus den Leibmakler machte; ich meine, daß er auf die Galeere muß, weil er ein Kuppler war und weil er auch vom Schwarzkünstler einen Anstrich hatte.«

»Hättet Ihr diesen Anstrich nicht hinzugetan«, sagte Don Quijote, »für die bloße Kuppelei hättet Ihr nicht verdient, auf den Galeeren zu rudern, viel eher, sie als General zu befehligen. Denn das Geschäft eines Kupplers ist nicht derart, wie man wohl glauben mag; es ist ein Geschäft für Leute von Verstand und in einem wohlgeordneten Gemeinwesen ganz unentbehrlich. Es sollten nur Leute von gutem Hause es betreiben dürfen, und es sollte auch einen Aufseher und Examinator für sie geben, wie es deren für andre Berufsarten gibt; ihre Anzahl sollte festgesetzt und bekanntgemacht werden wie bei den Börsenmaklern. Dadurch würde viel Unglück vermieden, das daraus entspringt, daß dies Geschäft und Amt sich in den Händen einfältiger Leute ohne Einsicht befindet, wie zum Beispiel armseliger Weiber, Weiber ohne Sitte, Gelbschnäbeln von Lakaien und Possenreißern von geringem Alter und noch geringerer Erfahrung, die gerade in den dringendsten Fällen, und wenn es gilt, einen Anschlag auszuführen, an dem viel gelegen ist, die Brocken von der Hand zum Mund kalt werden lassen und nicht wissen, was rechts und was links ist. Ich würde mich gern noch weiter hierüber auslassen und die Gründe angeben, weshalb es angemessen wäre, diejenigen, welche einem so unentbehrlichen Beruf im Gemeinwesen obliegen sollen, einer strengen Auswahl zu unterwerfen, aber Ort und Zeit sind nicht dazu geeignet, indessen, ich will es schon einmal jemandem sagen, der dafür zu sorgen und Abhilfe zu schaffen imstande ist.

Jetzt sage ich nur, daß das Mitleid, das ich darüber empfand, dieses weiße Haar und ehrwürdige Angesicht wegen Kuppelei in solcher Drangsal zu sehen, mir durch den Zusatz, daß der Mann sich mit Hexerei abgegeben, gänzlich benommen ist. Zwar weiß ich wohl, es gibt keine Hexenkünste auf Erden, die den Willen zu lenken und ihm Gewalt anzutun vermögend wären, wie etliche einfältige Leute glauben; ich weiß, daß unser Wille frei ist und daß es weder Kräuter noch Zaubereien gibt, die ihn zu irgend etwas zwingen könnten. Was ein paar alberne Weibsbilder und ein paar verschmitzte Betrüger indessen zu tun pflegen, ist, daß sie gewisse Tränke und Gifte bereiten, womit sie die Leute verrückt machen, unter dem Vorgeben, es wohne ihnen die Macht bei, zur Liebe zu zwingen; während es, wie gesagt, unmöglich ist, dem Willen Gewalt anzutun.«

»So ist es«, sagte der biedere Alte, »und in Wahrheit, Señor, in betreff der Hexerei war ich schuldlos, und die Kuppelei kann ich nicht leugnen. Aber es kam mir nie in den Sinn, daß ich damit ein Unrecht beginge; denn meine ganze Absicht war nur, daß die Welt in Freuden, Ruhe und Frieden leben sollte, ohne Hader und Verdruß. Aber dieser gute Zweck hat mich nicht davor bewahrt, daß ich jetzt dahin muß, von wo ich keine Rückkehr hoffen kann, so schwer lastet auf mir das Alter und ein Blasenleiden, das mir keinen Augenblick Ruhe läßt.«

Und hier begann er wieder wie vorher zu weinen, und Sancho hatte so großes Mitleid mit ihm, daß er einen halben Silberreal aus dem Busen zog und ihm als Almosen gab.

Don Quijote ging weiter und fragte einen andern nach seiner Vergehung, und dieser antwortete nicht mit geringerer, sondern vielmehr mit weit größerer Dreistigkeit als der vorige: »Ich gehe an dieser Kette, weil ich mit ein paar Bäschen, leiblichen Verwandten von mir, zuviel Kurzweil getrieben und dazu auch mit zwei Schwestern, die aber nicht leibliche Verwandte von mir waren. Kurz, ich kurzweilte so viel mit ihnen allen, daß zuletzt durch die Kurzweil die Verwandtschaft zu solcher Verwicklung anwuchs, daß kein Lehrmeister im Kirchenrecht sich darin zurechtfinden könnte. Es wurde mir alles bewiesen, Gönner fehlten mir, Geld hatte ich keins, es war drauf und dran, daß es mir an den Hals ging, sie verurteilten mich zu sechs Jahren Galeere, ich war’s zufrieden, es ist die Strafe meiner Sünden. Ich bin jung, so möge mir nur das Leben erhalten bleiben, mit dem Leben ist alles noch fertigzubringen. Wenn Euer Gnaden etwas bei sich hat, um diesen armen Teufeln beizuspringen, so wird Gott es Euch, Herr Ritter, im Himmel wiederzahlen, und wir hienieden werden nicht unterlassen, Gott in unsern Gebeten für Euer Gnaden Leben und Gesundheit anzuflehen, daß das eine so lange und die andre so gut sei, wie Ihr nach Eurem edlen Aussehen es verdient.«

Der Mann war in Studententracht, und einer der Wächter sagte, er sei ein großer Schwätzer und trefflicher Lateiner.

Zuletzt nach allen diesen kam ein Mensch im Alter von dreißig Jahren, von sehr hübschem Äußern, nur daß er, wenn er die Augen aufschlug, mit dem einen in das andre hineinsah. Dieser war in etwas andrer Weise gefesselt als die übrigen. Denn er hatte am Fuß eine so lange Kette, daß sie sich ihm um den ganzen Körper herumwand, und zwei eiserne Ringe um den Hals; der eine war an der Kette angeschmiedet, der andre war ein sogenannter Haltefest, ein Klemm-Eisen, von welchem bis zum Gürtel zwei Eisenstäbe herabhingen; in diese griffen zwei Handschellen ein, in welche seine Hände mit einem großen Vorlegeschloß eingeklemmt waren, so daß er weder mit den Händen zum Munde reichen noch den Kopf so weit bücken konnte, um bis zu den Händen zu gelangen.

Don Quijote fragte, warum dieser Mensch soviel Fesseln mehr trüge als die andern. Der Anführer der Wache antwortete, weil der Kerl allein mehr Verbrechen begangen habe als alle andern zusammen und weil er so verwegen und ein so abgefeimter Schelm sei, daß sie, obgleich sie ihn so gefesselt hielten, dennoch seiner nicht sicher seien, sondern immer befürchten müßten, er werde ihnen entspringen.

»Was für Verbrechen können auf ihm lasten«, sagte Don Quijote, »wenn er doch keine größere Strafe verdient hat, als daß er auf die Galeere kommt?«

»Er kommt auf zehn Jahre hin«, sagte der Führer, »und das ist soviel wie bürgerlicher Tod. Verlanget nichts weiter zu wissen, als daß dieser Biedermann der berüchtigte Ginés de Pasamonte ist, den man auch Gineselchen von Parapilla nennt.«

»Herr Kommissär«, sagte hierauf der Galeerensträfling, »sachte, sachte – wir wollen uns jetzt nicht damit abgeben, Namen und Zunamen auseinanderzusetzen. Ginés heiße ich und nicht Gineselchen, und Pasamonte ist mein Geschlecht und nicht Parapilla, wie Ihr sagt, und kümmere sich jeder um den Balken in seinem eigenen Auge, und da wird er nicht wenig zu tun haben.«

»Schlag Er keinen so hohen Ton an«, entgegnete der Kommissär, »Er Spitzbube über alle Spitzbuben hinaus, wo nicht, so werde ich Ihn schon zum Schweigen bringen, Er mag wollen oder nicht.«

»Man sieht wohl«, antwortete der Sträfling, »der Mensch denkt und Gott lenkt; aber es kommt mal ein gewisser Tag, da soll ein Gewisser schon erfahren, ob ich Gineselchen von Parapilla heiße oder nicht.«

»Nennen sie dich denn nicht so, du Gauner?« sagte der Führer.

»Freilich tun sie’s«, antwortete Gines, »aber ich will’s schon fertigbringen, daß sie mich nicht mehr so nennen, oder ich will mir das Haar ausreißen, wo und wie, sag ich nur zu mir selber. Herr Ritter, wenn Ihr uns was zu schenken habt, so schenkt es uns gleich und geht mit Gott; denn Ihr werdet schon langweilig mit Eurem ewigen Fragen nach fremder Leute Schicksalen. Und wollt Ihr die meinigen erfahren, so wisset, ich bin Ginés von Pasamonte, dessen Leben beschrieben ist von diesen seinen eigenen Fingern.«

»Der Kerl redet wahr«, sagte der Kommissär, »er selbst hat seine Geschichte so beschrieben, daß sie nichts zu wünschen übrigläßt, und er hat das Buch als Pfand für zweihundert Realen im Gefängnis gelassen.«

»Und ich gedenke es auszulösen«, sagte Gines, »wenn es auch für zweihundert Dukaten verpfändet wäre!«

»So vortrefflich ist es?« sagte Don Quijote.

»Es ist so vortrefflich«, antwortete Gines, »daß Lazarillo de Tormes nur gleich einpacken kann und mit ihm alle die Bücher, die sonst noch in dieser Art geschrieben sind oder noch geschrieben werden. Was ich Euch darüber sagen kann, ist, daß es nur Wahrheit berichtet und so hübsche und ergötzliche Wahrheit, daß es keine Lügen geben kann, die ihr gleichkämen.«

»Und wie betitelt sich dies Buch?« fragte Don Quijote.

» Das Leben des Ginés de Pasamonte«, antwortete Ginés.

»Und ist es ganz beendet?« fragte Don Quijote.

»Wie kann es beendet sein«, antwortete er, »da mein Leben noch nicht zu Ende ist? Geschrieben sind meine Erlebnisse nur von meiner Geburt an bis zu dem Augenblick, wo sie mich dies letzte Mal auf die Galeeren geschickt haben.«

»Also seid Ihr schon einmal dort gewesen?« fragte Don Quijote.

»In Gottes und des Königs Diensten bin ich schon einmal vier Jahre lang dort gewesen«, antwortete Gines, »und ich weiß schon, wie das Kommißbrot und der Farrenschwanz schmecken, und es ist mir nicht allzu leid, wieder hinzukommen; dort hab ich Gelegenheit, mein Buch zu Ende zu bringen; denn ich habe noch gar vieles zu sagen, und auf den spanischen Galeeren hat man mehr Ruhe, als nötig ist, obwohl deren nicht viel zu dem nötig ist, was ich noch zu schreiben habe, da ich es all auswendig weiß.«

»Du scheinst ein geschickter Mensch zu sein«, sagte Don Quijote.

»Und ein unglücklicher«, versetzte Gines, »denn einen guten Kopf verfolgt immer das Unglück.«

»Es verfolgt die Schurken«, sagte der Kommissär.

»Ich hab’s Euch schon einmal gesagt, Herr Kommissär«, fiel Pasamonte hier ein, »sachte, sachte! Denn die bewußten Herren haben Euch diesen Stab nicht dazu anvertraut, um uns arme Teufel, die wir hier an der Kette gehen, zu mißhandeln, sondern uns zu führen und dahin zu bringen, wohin Seine Majestät befiehlt; wenn nicht, beim Leben des … Genug! Denn es könnte geschehen, daß die Flecken, die sich jemand in der Schenke gemacht, eines Tages bei der Wäsche herauskämen; drum schweige ein jeder und sehe sich vor in seinen Handlungen und noch mehr in seinen Worten. Jetzt aber vorwärts, denn es ist nun Spaßes genug.«

Der Kommissär hob seinen Stock, um Pasamonte zur Antwort auf seine Drohungen eins zu versetzen, aber Don Quijote legte sich ins Mittel und bat ihn, den Menschen nicht zu mißhandeln; denn es sei doch nicht zuviel verlangt, daß einer, dem die Hände so gebunden seien, wenigstens die Zunge frei habe. Und sich zu sämtlichen Leuten an der Kette wendend, sprach er: »Aus allem, was ihr mir gesagt, teuerste Freunde, habe ich klar entnommen, daß, obschon um eurer Schuld willen euch die Züchtigung zuteil wird, ihr doch an der Pein, die ihr erleiden sollt, kein sonderlich Behagen habt, daß ihr vielmehr höchst ungern und sehr wider eure Neigung derselben entgegengeht und es wohl möglich ist, daß nur die wenige Standhaftigkeit, die jener eine unter der Folter zeigte, der Mangel an Mut bei diesem andern, der Mangel an Gönnern bei jenem dritten und überhaupt die verkehrte Beurteilung von Seiten des Richters die Ursache eures Verderbens und der Grund war, weshalb ihr nicht zu eurem Rechte gekommen, das ihr doch auf eurer Seite hattet. Alles das stellt sich mir jetzt im Geiste vor und sagt mir, rät mir, zwingt mich, an euch den Zweck zu zeigen, um dessentwillen der Himmel mich auf die Erde geschleudert und mir geboten hat, mich hienieden zu weihen dem Orden der Ritterschaft, welchem ich in der Tat geweiht bin, und dem Gelübde, das ich in diesem Orden abgelegt, jedem Hilfsbedürftigen und jedem, den die Höheren unterdrücken, beizustehen. Jedoch da ich weiß, daß es zu den Eigenschaften der Klugheit gehört, was sich im Guten erreichen läßt, nicht im Bösen zu tun, so will ich diese Herren Wächter nebst Kommissär gebeten haben, sie möchten belieben, euch loszubinden und in Frieden ziehen zu lassen, da es an andern Personen nicht mangeln wird, um dem König bei bessern Anlässen zu dienen; denn es scheint mir ein hartes Ding, die zu Sklaven zu machen, die Gott und die Natur frei erschufen.

Überdies, ihr Herren von der Wache«, fügte Don Quijote bei, »haben diese armen Leute nichts Böses gegen euch selber verübt. Mag denn jeglicher von ihnen zusehen, wie er mit seinen Sünden zurechtkommt; es ist ein Gott im Himmel, der es nimmer versäumt, den Bösen zu strafen, und es ist nicht recht, daß Männer von Ehre sich zu Henkern ihrer Nebenmenschen hergeben, wenn für sie selbst gar nichts dabei auf dem Spiel steht. Ich begehre dessen mit der Ruhe und Sanftmut, die ihr an mir sehet, damit ich, wenn ihr demgemäß handelt, euch etwas zu verdanken habe; wenn ihr es aber nicht gutwillig tut, so werden dieser Speer und dies Schwert mit der Stärke meines Arms bewirken, daß ihr es gezwungen tut.«

»Ein reizender Unsinn!« versetzte darauf der Kommissär, »allerliebst, in welche Spitze der lange Rattenschwanz Eurer Rede ausläuft! Die Sträflinge in des Königs Haft, verlangt Ihr, sollen wir Euch freigeben, als ob wir die obrigkeitliche Befugnis hätten, sie der Fesseln zu entledigen, oder Ihr sie hättet, uns dergleichen zu befehlen! Geht in Gottes Namen Eurer Wege, Señor; setzt Euch den Nachttopf zurecht, den Ihr auf dem Kopfe tragt, und laßt Euch nicht ohne Not in Händel ein wie die Ratze, die die Katze fangen will.«

»Ihr selbst seid die Ratze und die Katze und der Schurke dazu«, entgegnete Don Quijote.

Und wie gesagt, so getan: er stürmte so blitzschnell auf ihn an, daß er ihm nicht Zeit ließ, sich zur Wehr zu setzen, und ihn mit einem Speeresstoß schwer verwundet zu Boden warf. Und es traf sich glücklich für den Ritter, denn es war gerade der mit der Muskete. Die übrigen Wächter standen in Staunen und Bestürzung ob des unerwarteten Ereignisses; aber sie faßten sich wieder, und die zu Pferde nahmen ihre Schwerter zur Hand, die zu Fuß ihre Wurfspieße und stürzten zum Angriff auf Don Quijote, der sie in vollster Ruhe erwartete. Und ohne Zweifel wäre es ihm übel ergangen, hätten nicht die Galeerensklaven die ihnen gebotene Gelegenheit benutzt, ihre Freiheit zu erlangen, und es fertiggebracht, die Kette, an die sie angeschmiedet waren, zu sprengen. Der Aufruhr wurde so allgemein, daß die Wächter bald gegen die Sträflinge, die sich losmachten, bald gegen Don Quijote, der sie angriff, sich wenden mußten und daher nirgends etwas ausrichten konnten.

Sancho seinerseits half dem Ginés de Pasamonte aus seinen Fesseln, und dieser war der erste von allen, der, frei und aller Bande ledig, über das Feld hinsprang, den zu Boden gestürzten Kommissär anfiel, ihm das Schwert und die Muskete entriß, und indem er mit der letzteren bald auf den einen zielte, bald auf den andern anlegte, ohne je abzudrücken, so blieb bald keiner von der Wache mehr auf dem ganzen Plan; alle flohen davon, teils vor Pasamontes Muskete, teils vor dem gewaltigen Steinregen, den die bereits frei gewordenen Sträflinge auf sie fallen ließen.

Jetzt wurde es doch Sancho ob dieses Vorfalles sehr betrübt zumute; denn es kam ihm der Gedanke, die geflüchteten Wächter würden der Heiligen Brüderschaft Kenntnis von dem Fall geben und diese würde unter Sturmgeläute ausziehen, um die Verbrecher aufzuspüren. Das sagte er auch seinem Herrn mit der Bitte, sie möchten beide sich auf der Stelle davonmachen und sich auf dem nahen Gebirge versteckt halten.

»Das ist alles ganz gut«, sprach Don Quijote, »aber ich weiß, was sich gegenwärtig zu tun gebührt.«

Und sofort rief er die sämtlichen Galeerensklaven herzu, die in großer Aufregung umherliefen und bereits den Kommissär bis auf die Haut ausgezogen hatten; sie stellten sich um ihn in die Runde, um zu hören, was er ihnen anbefehle, und er sprach so zu ihnen: »Männern von guter Art geziemt es, empfangene Wohltaten mit Dank zu vergelten, und eine der ärgsten Sünden gegen Gott ist die Undankbarkeit. Ich erwähne das, werte Herren, weil ihr durch den Augenschein in Erfahrung gebracht habt, welche Wohltat ihr von mir empfangen; zu deren Entgelt, so wünsche ich, so ist mein Wille, sollt ihr, mit der Kette beladen, von der ich euren Nacken befreit habe, euch unverzüglich auf den Weg machen und nach der großen Stadt Toboso ziehen und euch dort dem Fräulein Dulcinea von Toboso stellen und ihr sagen, daß ihr Ritter, Der von der traurigen Gestalt, hiermit Meldung sende, sich ihr zu befehlen, und ihr sollt ihr Punkt für Punkt jeden Punkt dieses herrlichen Abenteuers berichten bis zur Erlangung eurer ersehnten Freiheit durch meine Hand; und dieses vollbracht, möget ihr auf gut Glück hingehen, wohin ihr wollet.«

Ginés de Pasamonte gab Antwort für die andern alle und sprach: »Was Euer Gnaden uns befiehlt, edler Herr und unser Befreier, das zu erfüllen ist die unmöglichste aller Unmöglichkeiten; denn wir können nicht auf den Straßen zusammen wandern, sondern jeder muß allein und jeder für sich bleiben und muß suchen, sich tief im Innern der Erde zu bergen, um nicht von der Heiligen Brüderschaft aufgefunden zu werden, die ohne Zweifel ausziehen wird, uns nachzuspüren. Was Euer Gnaden tun kann und was zu tun die Billigkeit von Euch verlangt, ist, daß Ihr diese Prinzessinnensteuer nebst Wegezoll, so wir dem Fräulein Dulcinea leisten sollen, in eine gewisse Zahl Ave-Marias und Credos verwandelt, um sie von Euretwegen zu beten, und das ist etwas, das sich jederzeit vollführen läßt, bei Tag und bei Nacht, auf der Flucht oder im Ausruhn, im Frieden oder Krieg. Aber wer da glaubt, daß wir jetzt wieder zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurückkehrten, ich meine, unsre Kette wieder auf uns nähmen und uns auf den Weg nach Toboso begäben, der glaubt, daß wir jetzt Nacht haben, obwohl es kaum um die zehnte Tagesstunde ist, und verlangt von uns gerade dasselbe, als wollte man Birnen vom Ulmenbaum verlangen.«

»So schwör ich denn bei dem und jenem«, rief Don Quijote, der bereits in Harnisch geraten war, »du Junker Hurensohn, Gineselchen von Parapilla oder wie du sonst heißen magst, du sollst ganz allein dahin, den Schwanz zwischen den Beinen wie ein Hund, mit der ganzen Kette auf dem Rücken!«

Pasamonte war der Mann nicht dazu, sich viel gefallen zu lassen, und es war ihm auch schon klargeworden, daß Don Quijote nicht richtig im Kopfe war, da er den Unsinn begangen, sie in Freiheit zu setzen. Als er sich nun so beschimpfen hörte, gab er seinen Kameraden einen Wink, diese traten etwas zurück und begannen so viele, viele Steine auf Don Quijote regnen zu lassen, daß er nicht Hände genug hatte, sich mit der Tartsche zu decken, und der arme Teufel von Rosinante achtete des Sporns so wenig, als wäre er aus Erz gegossen.

Sancho kauerte sich hinter seinen Esel und benutzte ihn als Schutzwehr gegen den Ansturm des Ungewitters und Steinhagels, der auf beide herniederregnete. Don Quijote konnte sich mit seinem Schilde nicht so völlig decken, daß ihn nicht Kieselsteine, ich weiß nicht wie viele, mit voller Gewalt auf den ganzen Körper trafen und ihn zu Boden streckten; und kaum lag er da, so fiel der Student über ihn her, riß ihm die Barbierschüssel vom Kopf und schlug sie drei-, viermal über seinen Rücken und ebenso viele Male auf den Erdboden, so daß sie fast in Stücke ging. Die Gauner zogen ihm das Röcklein ab, das er über der Rüstung trug, und hätten ihm auch gern die Strümpfe genommen, wenn die Beinschienen es nicht verhindert hätten. Dem Sancho nahmen sie seinen Mantel und ließen ihm kaum die Unterkleider; und nachdem sie die sonstige Beute des Kampfes unter sich verteilt, zogen sie von dannen, jeder seines Weges für sich und weit mehr darauf bedacht, der gefürchteten Brüderschaft zu entgehen, als sich die Kette aufzuladen und sich dem Fräulein Dulcinea von Toboso zu stellen.

Eselein und Rosinante, Sancho und Don Quijote, sie blieben allein zurück; der Esel gesenkten Hauptes und nachdenklich, hier und da die Ohren schüttelnd, weil er meinte, noch habe das steinerne Ungewitter, das seine Ohren heimsuchte, nicht ausgetobt; Rosinante neben seinen Herrn hingestreckt, denn ein Steinwurf hatte auch ihn zu Boden gestürzt; Sancho bis aufs Unterwams ausgeraubt und voller Angst vor der Heiligen Brüderschaft; Don Quijote höchst ingrimmig, sich von den nämlichen Leuten so übel zugerichtet zu sehen, denen er soviel Gutes erwiesen hatte.

23. Kapitel

Von dem, was dem ruhmreichen Ritter Don Quijote in der Sierra Morena zustieß; was eines der rarsten Abenteuer gewesen, so in dieser wahrheitsgetreuen Geschichte erzählt werden

Als Don Quijote sich so übel zugerichtet sah, sprach er zu seinem Schildknappen: »Immerdar, Sancho, habe ich sagen hören, gemeinem Volke Gutes tun heißt Wasser ins Meer tragen. Hätte ich deinen Worten gefolgt, so hätte ich mir dieses Ungemach erspart, aber es ist einmal geschehen; Geduld, und wir wollen künftighin durch den Schaden gewitzigt sein.«

»Geradeso wird Euer Gnaden gewitzigt werden«, entgegnete Sancho, »wie ich ein Türke bin. Aber da Ihr sagt, wenn Ihr mir gefolgt hättet, wäre Euch dieses Unglück erspart geblieben, so folgt mir jetzt, und es wird Euch ein andres, weit größeres erspart bleiben; denn ich tue Euch zu wissen, daß bei der Heiligen Brüderschaft mit dem Rittertum nichts zu machen ist, und sie gibt keine zwei Pfennige auf alle fahrenden Ritter der Welt. Und wißt nur, schon meine ich, ihre Pfeile mir um die Ohren sausen zu hören.«

»Du bist ein geborener Feigling, Sancho«, sprach Don Quijote, »aber damit du nicht sagst, ich sei halsstarrig und tue nie, was du mir rätst, so will ich für diesmal deinem Rate nachgeben und dem Ansturm ausweichen, den du so sehr fürchtest; aber es geschieht nur unter einer Bedingung, nämlich daß du nie im Leben oder Tod jemandem sagst, ich sei vor dieser Gefahr aus Furcht zurückgegangen und gewichen, sondern lediglich um mich deinen Bitten gefällig zu erweisen. Und wenn du je was anderes sagen würdest, so lügst du das, und in der Gegenwart bis in alle Zukunft und in der Zukunft bis in alle Gegenwart strafe ich dich Lügen und sage, daß du lügst und lügen wirst, sooft du es denken oder sagen magst. Und erwidre mir nichts weiter; denn schon bei dem bloßen Gedanken, daß ich vor einer Gefahr zurückgehe und weiche, sonderlich aus dieser jetzigen, die etwas wie einen Schatten von Furcht im Geleite hat, gelüstet es mich, auszuharren und ganz allein die Heilige Brüderschaft, die du erwähnst und fürchtest, zu erwarten, und nicht nur diese, sondern auch alle Brüder der zwölf Stämme Israel und die sieben Makkabäer und Kastor und Pollux und dazu alle Brüder und Brüderschaften, die es in der ganzen Welt gibt.«

»Señor«, erwiderte Sancho, »zurückgehen ist nicht fliehen, und das Warten ist nicht Klugheit, wenn die Gefahr größer ist als der Nutzen vom Warten. Es ist die Art weiser Männer, sich heute für morgen aufzubewahren und nicht alles auf einen Tag aufs Spiel zu setzen; und wisset, wenn ich auch nur ein roher Kerl und Bauer bin, so verstehe ich doch etwas davon, wie man sich im Leben zu benehmen hat. Sonach laßt Euch nicht gereuen, daß Ihr meinen Rat angenommen, sondern besteigt den Rosinante, wenn Ihr könnt, oder wenn nicht, will ich Euch helfen, und folgt mir nach; denn mein bißchen Verstand sagt mir, wir haben anjetzt die Füße nötiger als die Hände.«

Don Quijote stieg zu Pferd, ohne ihm ein Wort zu entgegnen, Sancho auf seinem Esel zog voran, und so gelangten sie zu den nahen Vorbergen der Sierra Morena. Sancho beabsichtigte, das ganze Gebirge zu durchziehen und auf der andern Seite, bei Viso oder Almodóvar del Campo, wieder herauszukommen und sich ein paar Tage lang in jener Wildnis zu verbergen, damit die Heilige Brüderschaft sie nicht finde, wenn sie ihnen nachspüre. Was ihn in dieser Absicht besonders bestärkte, war, daß er den Mundvorrat, den der Esel trug, aus dem Treffen mit den Galeerensklaven unversehrt davongekommen fand, und nach der Sorgfalt, mit der sie alles durchsucht und mitgenommen hatten, hielt er dies für ein wahres Wunder.

Wie der Ritter nun so mitten ins Gebirge kam, da frohlockte sein Herz; denn es bedünkte ihn, diese Gegenden seien ganz die geeigneten für die Abenteuer, denen er nachging. Es kamen ihm die wundersamen Vorfälle wieder ins Gedächtnis, die sich in ähnlichen Einöden und Wildnissen mit so manchem fahrenden Ritter zugetragen hatten; er war in diese Dinge so versunken und war so verzückt, daß er an nichts andres mehr dachte. Auch Sancho hatte, sobald er überzeugt war, daß er jetzt eine sichere Gegend durchziehe, keine andre Sorge, als seinen Magen mit den noch übrigen Resten von der geistlichen Beute zu befriedigen, und so schritt er hinter seinem Gebieter her, beladen mit allem, was der Graue hätte tragen sollen, holte aus dem Sack hervor, lud in seinen Wanst ein und hätte nicht einen Pfennig darum gegeben, ein neues Abenteuer zu finden, solange er ein so vergnügliches Dasein führte.

Indem schlug er die Augen auf und sah, daß sein Herr hielt und sich mühte, ich weiß nicht was für einen Packen, der auf dem Boden lag, mit der Spitze seines Spießes aufzuheben; daher beeilte er sich, ihm dabei zu helfen, falls es nötig sein sollte. Er kam gerade im Augenblick herzu, als der Ritter mit dem Eisen seines Spießes ein Sattelkissen und einen daran befestigten Mantelsack emporhob, beide halb, wenn nicht ganz vermodert und zerschlissen; aber sie waren so schwer, daß Sancho ihm beistehen mußte, um sie heraufzuheben. Sein Herr befahl ihm nachzusehen, was in dem Mantelsack sei; er tat es in größter Eile; und wiewohl der Mantelsack mit Kette und Vorlegeschloß verwahrt war, sah Sancho durch die vermoderten Stellen und Risse hindurch, was er enthielt, nämlich vier Hemden von feinem Batist nebst noch andern Sachen von Leinwand, alles sauber und schön, und in einem Tüchlein fand er ein artiges Häuflein Goldtaler. Und als er die sah, sprach er: »Gepriesen sei der Himmel nebst allen Heiligen, daß er uns endlich ein Abenteuer zugeschickt hat, das etwas einträgt!«

Und als er weitersuchte, fand er ein kleines, reichverziertes Notizbuch; das verlangte Don Quijote von ihm und gebot ihm, das Geld zu nehmen und für sich zu behalten. Sancho küßte ihm die Hände für diese Gnade; alles Leinenzeug aus dem Mantelsack sackte er ein und packte es in seinen eigenen Sack zu dem Mundvorrat.

Als Don Quijote das sah, sprach er: »Es bedünkt mich, Sancho, es kann gar nicht anders sein, irgendein in dieser Gegend unbewanderter Wanderer muß über das Gebirge gekommen sein, und Wegelagerer müssen ihn angefallen und umgebracht und ihn zu diesem versteckten Orte geschleppt haben, um ihn zu begraben.«

»Das kann nicht sein«, entgegnete Sancho, »denn wären es Räuber gewesen, so hätten sie dies Geld nicht hier gelassen.«

»Du sprichst wahr«, sprach Don Quijote, »und sonach kann ich nicht erraten und darauf kommen, wie es zugegangen sein mag. Doch warte einmal, wir wollen sehen, ob in diesem Notizbüchlein sich etwas geschrieben findet, mit dessen Hilfe wir das Gewünschte entdecken und erfahren könnten.«

Er öffnete es; und das erste, was er darin, wie einen ersten Entwurf, doch mit sehr guter Handschrift, eingetragen fand, war ein Sonett, das er laut las, damit auch Sancho es hören könne, und das auf diese Weise lautete:

Entweder, Lieb, hast Kenntnis du der Seelen
Zuwenig, oder zuviel Grausamkeit,
Oder ich bin verurteilt, daß mein Leid
Weit über alles Maß mich darf zerquälen.

Doch ist die Lieb ein Gott, so kann’s nicht fehlen,
Daß sie die Seelen kennt; auch ist kein Streit,
Daß Götter nimmer grausam. Wer denn weiht
Mich Qualen, die so süß und mich entseelen?

Sag ich, du tust es, Phyllis, das war sündlich;
So Gutem kann sich Böses nicht verbinden,
Noch kommt mein tödlich Weh aus Himmels Händen.

Bald werd ich sterben, das erhoff ich stündlich;
Denn für ein Leid, des Grund nicht aufzufinden,
Vermocht ein Wunder Heilung nur zu spenden.

»Aus diesen Reimen«, sprach Sancho, »kann man nichts entnehmen. Freilich steht darin: ›Du tust vieles‹, und damit kann man vielleicht herausbringen, wer es denn tut.«

»Was heißt das: ›Du tust vieles‹?« sprach Don Quijote.

»Ich meine«, sagte Sancho, »Euer Gnaden hätten gelesen: ›Du tust vieles‹.«

»Nicht ›vieles‹, sondern ›Phyllis‹ sagte ich«, erwiderte Don Quijote, »und dies ist ohne Zweifel der Name des Fräuleins, über welches sich der Verfasser dieses Sonetts beklagt; und aufs Wort, es muß ein richtiger Poet sein, oder ich verstehe nichts von der Kunst.«

»Also versteht sich Euer Gnaden auch auf Reime?« fragte Sancho.

»Mehr, als du glaubst«, entgegnete Don Quijote; »und das sollst du sehen, wenn du einmal einen Brief, von oben bis unten in Versen geschrieben, an meine Gebieterin Dulcinea von Toboso zu bringen hast. Denn du sollst wissen, Sancho, daß sämtliche oder doch die meisten fahrenden Ritter der vergangenen Zeit große Dichter und große Musiker waren; denn diese beiden Talente, oder besser gesagt, Himmelsgaben gehören zum Wesen der fahrenden Helden, wenn sie verliebt sind. Allerdings zeigen die Strophen der früheren Ritter mehr Naturanlage als Formvollendung.«

»Lest weiter«, sprach Sancho, »Euer Gnaden wird schon etwas finden, das unsern Wunsch befriedigt.«

Don Quijote schlug das Blatt um und sprach: »Das ist Prosa und scheint ein Brief.«

»Ein Brief zum Verschicken?« fragte Sancho.

»Zu Anfang scheint er nicht das, sondern ein Liebesbrief«, antwortete Don Quijote.

»Dann wolle Euer Gnaden ihn laut lesen«, sprach Sancho, »denn ich habe großes Vergnügen an Liebessachen.«

»Ganz gern«, versetzte Don Quijote.

Er las ihn laut vor, wie Sancho ihn gebeten hatte, und fand ihn dieser Art lautend:

Dein falsches Versprechen und mein zweifelloses Mißgeschick führen mich an einen Ort, von wo die Nachricht von meinem Tode früher zu Deinen Ohren gelangen wird als der Laut meiner Klagen. Du hast mich hinweggestoßen, o Undankbare, für einen, der mehr besitzt, aber nicht mehr wert ist als ich; aber wäre die Tugend ein Reichtum, den man zu würdigen wüßte, so würde ich nicht fremdes Glück zu beneiden noch eignes Unglück zu beweinen haben. Was Deine Schönheit auf erbaute, haben Deine Taten niedergestürzt; um jener willen erachtete ich Dich für einen Engel, an diesen erkenne ich Dich für ein Weib. Lebe in Frieden, Du Schöpferin meines Unfriedens, und ewig bleibe Dir die Verräterei Deines Gemahls verborgen, das gebe der Himmel, damit Du nicht bereuen müssest, was Du getan, und ich mich nicht gerächt sehe durch das, was ich nicht wünsche.

Als Don Quijote den Brief gelesen, sagte er: »Hieraus läßt sich noch weniger als aus den Versen etwas andres entnehmen, als daß der Schreiber des Briefes ein verschmähter Liebhaber ist.«

Und indem er fast das ganze Notizbuch durchblätterte, fand er noch mehr Verse und Briefe, von welchen er einige lesen konnte und andre nicht; aber bei allen war der Inhalt nur Klagen, Jammern, eifersüchtige Vorwürfe, Versöhnung und Verhöhnung, Begünstigung und Verschmähung, jene wonnevoll gefeiert, diese schmerzlich beweint. Während Don Quijote das Buch durchsah, sah Sancho den Mantelsack durch und ließ weder in diesem noch im Sattelkissen einen Winkel undurchsucht, ungeprüft, unergründet, keine Naht, die er nicht aufgetrennt, kein Flocken Wolle, den er nicht auseinandergezupft hätte, damit ja nichts aus Lässigkeit oder Unachtsamkeit zurückbliebe – solche unmäßige Begier hatten die gefundenen Goldstücke in ihm erregt, deren mehr als hundert waren. Obschon er nichts weiter fand als das bisher schon Gefundene, so war er nun doch ganz zufrieden mit dem Wippen auf der Bettdecke, dem Erbrechen nach dem Trank, der Einsegnung mit den Knüppeln, den Faustschlägen des Maultiertreibers, dem Verlust seines Zwerchsacks, dem Raub seines Mantels und mit all dem Hunger, Durst und der Mühsal, so er im Dienste seines Herrn erlitten. Und es bedünkte ihn, er sei schon besser als gut bezahlt mit dem Lohn, der ihm durch die Überlassung des Fundes geworden.

Der Ritter von der traurigen Gestalt indessen war über die Maßen begierig zu erfahren, wessen Eigentum der Mantelsack sei, und schloß aus dem Sonett und dem Briefe, aus den Goldstücken und aus den feinen Hemden, er müsse einem Verliebten von Stande angehört haben, den Verschmähung und üble Behandlung von Seiten seiner Dame zu irgendeinem verzweifelten Schritt getrieben. Da jedoch in dieser unwegsamen, unwirtlichen Umgebung sich niemand blicken ließ, bei dem man sich hätte erkundigen können, so dachte er nur noch daran, weiterzukommen, und schlug den Weg ein, den sein Pferd gehen wollte, das heißt, den es gehen konnte, wobei er sich beständig einbildete, es könne in diesen dicht verwachsenen Wildnissen irgendein seltsames Abenteuer nicht ausbleiben.

Wie er so in diesen Gedanken hinritt, erblickte er auf einer Höhe, die sich seinen Augen darbot, einen Menschen mit ungemeiner Leichtfüßigkeit von Fels zu Fels, von Strauch zu Strauch dahinspringen. Er glaubte zu bemerken, der Mann sei halbnackt, mit dichtem schwarzem Bart, reichlichem und verworrenem Haar, die Füße unbeschuht, die Beine unbekleidet; die Schenkel trugen Hosen, dem Anscheine nach von fahlem Samt, aber so in Fetzen, daß man an vielen Stellen die Haut durchsah; den Kopf hatte er unbedeckt. Und obschon er mit der geschilderten Behendigkeit vorübersprang, sah und merkte sich der Ritter von der traurigen Gestalt all diese Einzelheiten. Aber wiewohl er es versuchte, konnte er ihm doch nicht nacheilen; denn der schwachen Kraft Rosinantes war es nicht vergönnt, über diese steilen Höhen zu setzen, zumal der Gaul von Hause aus kurzschrittlich und von gar bequemer Natur war.

Don Quijote vermutete sogleich, dieses müsse der Eigentümer des Kissens und Mantelsacks sein, und nahm sich vor, ihn aufzusuchen, wüßte er auch, daß er eines ganzen Jahres bedürfte, um ihn in diesen Bergen zu finden. Daher befahl er Sancho, auf der einen Seite den Weg über den Berg abzuschneiden, er werde den über die andre Seite einschlagen, und es wäre das vielleicht das rechte Mittel, um den Mann zu treffen, der so rasch vor ihren Augen vorübergeeilt.

»Das kann ich nicht«, antwortete Sancho, »denn sobald ich mich von Euer Gnaden entferne, so kommt auf der Stelle die Furcht heran und überfällt mich mit Schreckbildern und Spuk von tausenderlei Gestalt; und was ich sage, das möge Euch zur Nachricht dienen, daß ich von jetzt an mich nie mehr einen Fingerbreit aus Eurer Gegenwart entfernen werde.«

»So sei es«, sprach Der von der traurigen Gestalt, »es gefällt mir sehr wohl, daß du dich auf meinen Mut verlassest; er wird dich nie im Stich lassen, selbst wenn deine Seele deinen Leib im Stich ließe. Jetzt komm hinter mir her, Schritt für Schritt, oder wie du irgend kannst, und mache deine Augen zu Laternen; wir wollen um diesen Hügel herum; vielleicht treffen wir den Mann, den wir gesehen und der ohne Zweifel kein anderer ist als der Eigentümer unseres Fundes.«

Worauf Sancho erwiderte: »Viel besser wäre es, ihn nicht zu suchen; denn wenn wir ihn finden und er etwa der Eigentümer des Geldes sein sollte, so ist es klar, ich muß es ihm wiedergeben.

Und demnach wäre es besser, ohne dieses nutzlose Bemühen aufzuwenden, ich behielte es mit gutem Gewissen, bis einmal auf eine andere Weise ohne absichtliches Aufsuchen und Bemühen der wahre Eigentümer zum Vorschein kommt; und vielleicht geschähe das zu einer Zeit, wo ich es schon ausgegeben hätte, und dann: wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.«

»Darin irrst du, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »denn da wir schon auf die Vermutung gekommen, wer der Eigentümer ist, und wir ihn schier vor Augen haben, so sind wir verpflichtet, ihn aufzusuchen und ihm das Geld zurückzuerstatten; und falls wir ihn nicht aufsuchen, so hat schon unsere gegründete Vermutung, daß er es ist, uns ebenso strafbar gemacht, als wenn er es wirklich wäre. Mithin, Freund Sancho, mache dir keinen Kummer darüber, daß wir ihn aufsuchen, schon um deswillen, daß mir ein wahrer Kummer benommen wird, wenn ich ihn finde.«

Und so spornte er seinen Rosinante, und Sancho folgte ihm nach, zu Fuß und beladen dank dem Ginés de Pasamonte. Nachdem sie den Berg zum Teil umkreist hatten, fanden sie ein Maultier mit Sattel und Zaum in einem Bache liegen, tot, von Hunden halb aufgezehrt und von Raben zerfleischt; und das alles bestärkte sie in der Vermutung, jener Flüchtling sei der Eigentümer des Maultiers und des Kissens. Während sie das Tier betrachteten, vernahmen sie ein Pfeifen wie von einem die Herde hütenden Schäfer, und plötzlich zeigten sich ihnen zur linken Hand Ziegen in ansehnlicher Menge, und hinter ihnen erschien auf der Höhe des Berges der Hirt, der sie hütete, ein alter Mann. Don Quijote rief ihn laut an und bat ihn, er möchte zu ihnen herunterkommen. Der Hirt schrie zurück, wer sie an diesen Ort gebracht habe, den selten oder nie ein Fuß betrete, wenn nicht die Füße der Ziegen, der Wölfe oder anderer wilder Tiere, die hier herumstrichen.

Sancho entgegnete, er möge nur herabkommen, sie würden ihm über alles volle Auskunft erteilen.

Der Ziegenhirt stieg denn herab, und sich Don Quijote nähernd, sprach er: »Ich will wetten, Ihr betrachtet Euch den Mietesel, der hier im Hohlwege liegt; er liegt weiß Gott schon sechs Monate da. Sagt mir, habt Ihr vielleicht seinen Herrn dort herum angetroffen?«

»Wir haben niemand angetroffen«, antwortete Don Quijote, »nur ein Sattelkissen und einen Mantelsack haben wir nicht weit von hier gefunden.«

»Den hab auch ich gefunden«, entgegnete der Ziegenhirt, »aber ich mochte ihn nicht vom Boden aufheben noch auch nur ihm nahe kommen, aus Furcht, daß mir was Unangenehmes zustoßen und man mich wegen Diebstahls verklagen könnte; denn der Teufel ist schlau und wirft dem Menschen oft etwas unter die Füße, daß er darüber strauchelt und fällt, ohne zu wissen, wann und wie.«

»Gerade das sag ich auch«, versetzte Sancho, »ich hab ihn auch gefunden und wollte ihm auf Steinwurfsweite nicht nahe kommen; ich hab ihn dort gelassen, und dort mag er bleiben, wie er da lag, denn ein Hund mit der Schelle ist ein böser Geselle.«

»Sagt mir, guter Freund«, sprach Don Quijote, »wißt Ihr, wer der Eigentümer dieser Sachen ist?«

»Was ich sagen kann«, antwortete der Ziegenhirt; »ist dies: es wird so was wie sechs Monate her sein, nicht viel mehr oder weniger, da kam zu dem Hirtenpferch, der so was wie drei Meilen von hier ist, ein junger Herr von feiner Gestalt und stattlichem Aussehn und ritt auf diesem selben Maultier, das tot daliegt, und hatte dasselbe Sattelkissen nebst Mantelsack, den ihr, wie ihr sagt, gefunden habt, und habt ihn nicht angerührt. Er fragte uns, welch eine Gegend im Gebirge am wildesten sei und am tiefsten versteckt; wir sagten ihm, es sei gerade der Strich, wo wir uns jetzt befinden. Und es ist so, in der Tat; denn wenn ihr nur eine halbe Stunde tiefer hineindringt, so glückt’s euch vielleicht nie, wieder herauszukommen, und ich bin verwundert, wie ihr nur hierhergelangen konntet; denn es gibt weder Weg noch Steg, der zu diesem Orte führt. Ich sage also, wie der junge Mann unsre Antwort vernahm, so wendete er die Zügel und nahm den Weg nach der Gegend, die wir ihm bezeichnet hatten; wir aber standen alle da, erfreut ob seines stattlichen Wesens und verwundert ob seiner Frage und ob der großen Eile, mit der er, dieweil wir zuschauten, davonritt und sich in die Berge schlug. Und seit damalen bekamen wir ihn nicht mehr zu Gesicht, bis er ein paar Tage später einen unsrer Schäfer anpackte und über ihn herfiel, ohne ein Wort zu sagen, und versetzte ihm eine schwere Menge Faustschläge und Fußtritte und machte sich sogleich über den Packesel, der bei der Herde gehalten wird, und nahm dem alles weg, was er an Brot und Käse trug, und wie alles getan war, wandte er sich mit unbegreiflicher Behendigkeit zurück, um sich im Gebirge zu verstecken.

Als ich und noch etliche Ziegenhirten das erfuhren, so machten wir uns auf und suchten nach ihm, wo das Gebirge am unwegsamsten ist, schier zwei Tage lang, wo wir ihn dann fanden, wie er in der Höhlung einer dicken, mächtigen Korkeiche stak. Er kam uns ruhig und freundlich entgegen, sein Anzug war bereits zerschlissen, das Gesicht entstellt und von der Sonne verbrannt, so daß wir ihn kaum erkannten, wenn nicht seine Tracht, die uns erinnerlich war, uns überzeugt hätte, er sei der Mann, den wir suchten. Er grüßte uns höflich und sagte uns mit wenigen und recht verständigen Worten, wir sollten uns nicht wundern, daß er in solchem Aufzug umhertreibe; denn so gezieme es ihm, um eine gewisse Buße zu vollbringen, die ihm um seiner vielen Sünden willen auferlegt worden. Wir ersuchten ihn, uns zu sagen, wer er sei, aber wir konnten das durchaus nicht bei ihm fertigbringen. Auch baten wir ihn, wenn er etwas zum Unterhalt nötig habe, ohne den er doch nicht bestehen könne, so solle er uns sagen, wo wir ihn finden könnten; denn wir würden es ihm mit größter Liebe und Fürsorge bringen; und wenn das etwa auch nicht nach seinem Sinn wäre, so möchte er wenigstens kommen und es verlangen, anstatt es den Hirten wegzunehmen. Er dankte für unser Anerbieten, bat um Verzeihung für die bisherigen Gewalttätigkeiten und erbot sich, fürderhin alles um Gottes willen zu erbitten, ohne irgendeinem beschwerlich zu fallen. Was seinen Wohnungsort betreffe, sagte er, er habe keinen andern, als den ihm der Zufall darbiete, wo ihn die Nacht überrasche. Und als er das gesprochen, brach er in so bittere Tränen aus, daß wir, die ihm zugehört, von Stein hätten sein müssen, um nicht mit ihm zu weinen, wenn wir bedachten, wie wir ihn das erstemal gesehen hatten und in welchem Zustand wir ihn jetzt sahen; denn, wie ich gesagt, er war ein gar feiner, angenehmer Junker, und mit seinen höflichen und verständigen Worten bewährte er, wie er aus gutem Hause und von vornehmer Bildung sei. Waren wir, die ihm zuhörten, auch nur einfältige Bauersleute, so war doch sein feiner Anstand derart, daß er genügend war, um von der bäurischen Einfalt selbst begriffen und erkannt zu werden. Und wie er gerade im besten Reden war, hielt er unversehens inne und verstummte und heftete die Augen geraume Zeit auf den Boden, während wir alle schweigend und staunend dastanden, voll Erwartung, was es mit dieser Verzückung werden sollte, und mit nicht geringer Betrübnis, so was ansehen zu müssen; denn aus der Art, wie er die Augen aufriß und dann wieder lange Zeit starr auf den Boden sah, ohne nur die Wimpern zu bewegen, dann die Augen schloß und die Lippen zusammenpreßte und die Brauen in die Höhe zog, erkannten wir alsbald, daß ihn wieder ein Anfall von Verrücktheit plötzlich heimgesucht habe.

Er bewies uns sofort, daß unsre Vermutung Wahrheit sei; denn mit gewaltiger Wut sprang er vom Boden empor, auf den er sich geworfen, und fiel über den ersten her, den er in seiner Nähe fand, mit so wahnsinnigem Ingrimm, daß, wenn wir ihn nicht aus seinen Händen gerissen, er ihn mit Faustschlägen und Bissen umgebracht hätte. Und während er das tat, schrie er beständig: ›Ha, du verräterischer Fernando! Hier, hier sollst du mir die Missetat bezahlen, die du an mir begangen! Diese Hände sollen dir das Herz ausreißen, in dem alle Schlechtigkeiten zusammen hausen und ihren Sitz haben, vorab Trug und Tücke!‹

Diesen Worten fügte er noch andre hinzu, und alle liefen darauf hinaus, dem Fernando Böses nachzureden und ihn des Verrats und Treubruchs zu beschuldigen. Mit nicht geringer Beschwer hatten wir endlich den Hirten seiner Wut entrissen, und er, ohne ein Wort weiter zu reden, verließ uns, rannte fort und verbarg sich hinter jenem stachligen Gestrüpp und Dornhecken, so daß er es uns unmöglich machte, ihm zu folgen. Daraus entnahmen wir, daß seine Verrücktheit ihn nur zuzeiten befällt und daß jemand des Namens Fernando ihm etwas sehr Arges angetan haben muß, so arg, wie der Zustand es zeigt, zu dem er ihn heruntergebracht hat. All dieses sahen wir mehr und mehr bestätigt, wenn er vom Wald auf den Weg herauskam, und das geschah gar vielmal; einmal, um die Schäfer zu bitten, ihm etwas Essen zu bringen, ein andermal, um es ihnen mit Gewalt zu nehmen. Wenn er nämlich seinen Anfall von Wahnsinn hat und die Hirten es ihm aus freien Stücken anbieten, so nimmt er es nicht an, sondern raubt es mit Faustschlägen; und wenn er bei Verstande ist, so erbittet er sich’s um Gottes willen, höflich und freundlich, und sagt vielen Dank dafür und läßt es dabei nicht an Tränen fehlen.

Und wirklich muß ich euch sagen, liebe Herren«, fuhr der Ziegenhirt fort, »gestern beschloß ich mit vier andern Burschen, zwei davon meine Knechte, die zwei andern aber Freunde von mir, ihm so lange nachzuspüren, bis wir ihn finden, und haben wir ihn gefunden, so wollen wir ihn, sei es mit Gewalt, sei es im guten, nach der Stadt Almodóvar bringen, acht Meilen von hier, und dort wollen wir ihn heilen lassen, falls für sein Leiden noch Heilung möglich; oder wir erfahren wenigstens, wenn er einmal bei Verstand ist, wer er ist und ob er Verwandte hat, denen man Nachricht von seinem Unglück geben kann. Das ist es, liebe Herren, was ich auf eure Fragen zu antworten habe; und seid überzeugt, daß der Besitzer der Sachen, die ihr gefunden habt, derselbe ist, den ihr so behende und halbnackt an euch vorüberrennen saht.«

Don Quijote hatte ihm nämlich bereits gesagt, wie er den Menschen über die Höhen hinspringen gesehn.

Der Ritter war voll Staunens ob der Mitteilungen des Ziegenhirten und wurde um so begieriger, zu erfahren, wer der unglückliche Verrückte sein möchte. Was er vorher schon zu tun im Sinne hatte, das wurde jetzt bei Ihm zum festen Vorsatz: im ganzen Gebirge nach ihm zu spähen und keinen Winkel und keine Höhle dort undurchsucht zu lassen, bis er ihn fände. Aber das Schicksal fügte es besser, als er dachte und hoffte; denn in diesem nämlichen Augenblick erschien in einer Felsenschlucht, die sich auf die Stelle hin öffnete, wo sie sich befanden, der junge Mann, den der Ritter suchte. Er kam daher und murmelte etwas zwischen den Lippen, was man nicht von nahem hätte verstehen können, wieviel weniger aus der Entfernung. Sein Aufzug war, wie bereits geschildert; nur bemerkte Don Quijote, als er näher kam, daß das zerrissene Lederkoller, das er auf dem Leibe trug, nach Ambra roch; was ihn denn vollends überzeugte, daß jemand, der so gekleidet sei, nicht von geringem Stand sein könne.

Der Jüngling trat zu ihnen heran und grüßte mit tonloser, heiserer Stimme, doch mit vieler Höflichkeit. Don Quijote erwiderte den Gruß nicht minder artig, stieg von Rosinante ab, ging auf ihn zu und umarmte ihn mit edlem Gebaren und zierlichem Anstand und hielt ihn eine gute Weile so innig umschlungen, als hätte er ihn schon seit langen Zeiten gekannt. Der andre, den wir den »Lumpen von der jämmerlichen Gestalt« nennen könnten wie Don Quijote den Ritter von der traurigen, schob diesen, nachdem er sich die Umarmung hatte gefallen lassen, ein wenig beiseite, legte die Hände auf des Ritters Schultern, stand eine Zeitlang im Anschauen da, als wollte er nachsinnen, ob er ihn erkenne, und war vielleicht nicht weniger verwundert, Don Quijotes Gesicht, Gestalt und Rüstung zu sehen, als Don Quijote verwundert war, ihn zu sehen. Der erste, der endlich nach der Umarmung das Wort nahm, war der »Lump von der jämmerlichen Gestalt«, und er sprach, was nachher erzählt werden soll.

24. Kapitel

Worin das Abenteuer in der Sierra Morena fortgesetzt wird

Es erzählt unsre Geschichte, daß Don Quijote mit größter Aufmerksamkeit dem elenden Ritter vom Gebirge zuhörte, der folgendermaßen das Gespräch eröffnete: »Gewiß, Señor, wer Ihr auch sein möget – denn ich kenne Euch nicht –, ich danke Euch für Euer freundliches Benehmen und die Höflichkeit, die Ihr mir bezeigt habt, und wünschte mich in der Lage zu finden, daß ich mit etwas mehr als gutem Willen dem Eurigen, den Ihr mir durch Euren herzlichen Empfang bewiesen habt, dienstbereit entgegenkommen könnte. Allein mein Schicksal will mir, um die mir erwiesenen Wohltaten zu erwidern, nichts andres vergönnen als den frommen Wunsch, sie zu vergelten.«

»Die Wünsche, die ich meinesteils hege«, entgegnete Don Quijote, »bestehen nur darin, Euch zu dienen, so daß ich bereits entschlossen war, aus diesem Gebirge nicht zu weichen, bis ich Euch gefunden und von Euch erfahren hätte, ob für das Leiden, dessen schweren Druck Ihr durch Eure seltsame Lebensweise erkennen lasset, irgendein Heilmittel zu finden wäre; und wenn ein solches aufzusuchen erforderlich sein sollte, war ich willens, es mit aller erdenklichen Sorgfalt aufzusuchen. Und falls Euer Mißgeschick von jener Art wäre, die jeglicher Tröstung die Tür verschlossen hält, dann wollte ich, so gut ich es vermöchte, es mit Euch beklagen und beweinen; denn auch das ist Trost in den Leiden, eine Seele zu finden, die Mitleid mit ihnen fühlt. Und wenn in der Tat meine gute Absicht es verdient, einen Dank durch Bezeigung irgendeiner Höflichkeit zu empfangen, so bitte ich Euch um der großen Höflichkeit willen, die ich in Eurem ganzen Wesen ersehe, und beschwöre Euch zugleich bei dem, was Ihr in diesem Leben am meisten geliebt habt oder liebt, mir zu sagen, wer Ihr seid, und mir mitzuteilen, was Euch dahin gebracht hat, in dieser öden Wildnis zu leben und zu sterben wie die vernunftlosen Tiere; denn unter diesen weilt Ihr, Euch selbst so entfremdet, wie Eure Kleidung und Euer Aussehen es zeigt. Und ich schwöre«, fuhr Don Quijote fort, »bei dem Ritterorden, den ich, obschon unwürdig und sündhaft, empfangen habe, und bei meinem Beruf als fahrender Ritter, wenn Ihr Euch hierin, Señor, mir gefällig erweist, Euch mit all dem ernsten Bemühen dienstlich zu sein, zu welchem ich mich dadurch verpflichtet fühle, daß ich der Mann bin, der ich bin, indem ich entweder Eurem Leiden Hilfe bringe, wenn ihm Hilfe möglich ist, oder es mit Euch beweine, wie ich verheißen habe.«

Der Ritter vom Walde tat, wie er Den von der traurigen Gestalt so reden hörte, nichts weiter, als ihn anzuschauen und wieder anzuschauen und ihn abermals von oben bis unten zu beschauen, und als er ihn lange genug angeschaut hatte, sagte er zu ihm: »Wenn ihr Leute etwas für mich zu essen habt, so gebt es mir um Gottes willen, und sobald ich gegessen habe, werde ich alles tun, was man von mir verlangt, zum Dank für die guten Wünsche, die man mir hier bezeigt hat.«

Sogleich holten Sancho aus seinem Sack und der Ziegenhirt aus seiner Umhängetasche so viel hervor, daß der Lumpenritter seinen Hunger damit stillen konnte; er aß wie ein Blödsinniger, so hastig, daß er sich von einem Bissen zum andern keine Zeit ließ, indem er eher alles verschlang als verschluckte; und während er aß, sprachen weder er noch die Zuschauer ein einziges Wort. Als er mit dem Essen fertig war, winkte er ihnen zu, ihm zu folgen. Sie taten es, und er führte sie auf ein grünes Rasenplätzchen, das hinter einem nicht weit entfernten Felsen lag. Dort angekommen, ließ er sich im Gras nieder, und die andern taten dasselbe, ohne daß einer ein Wort sprach, bis der Lumpenritter, nachdem er sich zurechtgesetzt, zu sprechen anhob: »Wenn ihr Herren wünscht, daß ich euch in kurzen Worten die Unermeßlichkeit meines Mißgeschickes berichte, so müßt ihr mir versprechen, daß ihr mit keiner Frage oder sonst etwas den Faden meiner traurigen Geschichte unterbrecht; denn an derselben Stelle, wo ihr meine Erzählung stört, an der nämlichen wird sie auch stehenbleiben.«

Diese Worte des Lumpenritters brachten unserm Don Quijote das Märlein seines Schildknappen wieder ins Gedächtnis, als er die Zahl der über den Fluß gesetzten Ziegen nicht wußte und die Geschichte deshalb ins Stocken geriet.

Kehren wir indessen zu dem zerlumpten Jüngling zurück. Er fuhr mit folgenden Worten fort: »Diese Warnung erteile ich, weil ich rasch über den Bericht meiner Leiden hinwegkommen möchte; denn sie mir ins Gedächtnis zurückzurufen dient mir zu nichts anderm, als neue Schmerzen den früheren hinzuzufügen, und je weniger ihr mich fragt, desto schneller werde ich mit der Erzählung zu Ende kommen: wiewohl ich, um euren Wunsch vollständig zu erfüllen, nichts von Wichtigkeit unerzählt lassen will.«

Don Quijote versprach es ihm im Namen der übrigen, und auf diese Bürgschaft hin begann er folgendermaßen: »Mein Name ist Cardenio, meine Heimat eine der vornehmsten Städte hier in Andalusien, mein Geschlecht edel, meine Eltern reich, mein Unglück so groß, daß es meine Familie betrauern und meine Eltern beweinen mußten, ohne es mit all ihrem Reichtum abwenden zu können; denn Mißgeschick, das vom Himmel kommt, zu heilen, das vermögen gar selten die Güter, die das Glück verliehen. In jener meiner Heimat, auf jenem Fleckchen Erde lebte ein Himmel, ein Mädchen, in das die Liebe alle Herrlichkeit gelegt hatte, die ich mir je erhoffen konnte. So hohe Schönheit schmückte Luscinda, ein Fräulein ebenso edler Geburt und reichen Vermögens wie ich, aber von glücklicherem Geschicke und von minderer Beständigkeit, als meinen redlichen Absichten gebührte. Diese Luscinda liebte ich, hegte ich im Herzen, betete ich an seit meiner zartesten Kindheit, und sie liebte mich mit all der Einfalt und Treue, die sich von ihren jungen Jahren irgend erwarten ließ. Unsre Eltern kannten unsre Neigung, und sie war ihnen nicht unwillkommen; denn sie sahen wohl, daß, wenn sie sich ferner entwickelte, sie kein andres Ziel haben könnte als unsre Vermählung, also etwas, das die Gleichheit unsres Standes und Vermögens gewissermaßen von selbst herbeiführen mußte.

Unsere Jahre nahmen zu und mit ihnen unser beider Liebe, so daß es den Vater Luscindas bedünkte, er sei aus Rücksichten der Schicklichkeit verpflichtet, mir den Zugang zu seinem Hause zu versagen, worin er einigermaßen die Eltern jener von dem Dichter soviel besungenen Thisbe nachahmte. Dies Verbot hieß, Flamme zu Flamme zu fügen und Begierde zu Begierde; denn wenn sie auch der Zunge Schweigen geboten, so konnten sie es doch der Feder nicht gebieten, die da größere Freiheit besitzt als die Zunge, dem geliebten Gegenstande zu erkennen zu geben, was in der Seele verborgen liegt; denn gar oft pflegt die Anwesenheit dessen, was wir lieben, die entschiedenste Absicht und die keckste Zunge verlegen und stumm zu machen. O Himmel, wieviel Briefchen schrieb ich ihr, wie köstliche, sittige Antworten empfing ich, wieviel Lieder dichtete ich, wieviel Liebesgesänge, in denen das Herz seine Gefühle offenbarte und schilderte, seine glühenden Wünsche malte, in seinen Erinnerungen schwelgte, seine Neigung lebendig erhielt!

Endlich aufs Äußerste gebracht, als ich fühlte, wie meine Seele vor Sehnsucht nach ihrem Anblick fast verschmachtete, entschloß ich mich, das ins Werk zu setzen und mit einem Schlag zu Ende zu führen, was mir als das Angemessenste erschien, um den ersehnten und verdienten Liebeslohn zu erringen; mit andern Worten, ich wollte sie von ihrem Vater mir als rechtmäßige Gattin erbitten, und so tat ich denn auch. Er antwortete mir, er sei mir dankbar für meine Absicht, ihm Ehre zu erweisen und mich selbst durch ein ihm angehörendes Liebespfand zu ehren; aber da mein Vater am Leben sei, so komme es diesem von Rechts wegen zu, einen solchen Antrag zu stellen. Denn falls es nicht mit dessen vollster Zustimmung und freudigem Entgegenkommen geschähe, so sei Luscinda kein Weib, um verstohlenerweise genommen oder gegeben zu werden. Ich dankte ihm für seine Güte, da es mir schien, er habe in dem Gesagten ganz recht, und mein Vater würde einwilligen, sowie ich es ihm mitteilte.

In dieser Absicht, gleich im nämlichen Augenblicke, ging ich, meinem Vater meine Wünsche darzulegen. Aber als ich in sein Gemach eintrat, fand ich ihn mit einem offenen Briefe in der Hand; er überreichte mir diesen, ehe ich nur ein Wort vorbrachte, und sprach: ›Aus diesem Briefe wirst du, Cardenio, den Wunsch ersehen, den der Herzog Ricardo hegt, dir Gunst zu erweisen.‹

Dieser Herzog Ricardo, wie ihr Herren wohl wissen werdet, ist ein Grande von Spanien, dessen Erbherrschaft im besten Teil unsres Andalusiens liegt. Ich nahm und las den Brief, der so verbindlich war, daß es mir selbst unrecht erschien, wenn mein Vater es unterließe, die in demselben ausgesprochene Bitte zu erfüllen. Sie bestand darin, daß er mich sogleich an den Wohnort des Herzogs senden sollte, der wünschte, ich möchte der Begleiter, nicht der Diener seines ältesten Sohnes sein, und er nehme es auf sich, mich in eine Stellung zu bringen, wie sie der Achtung entspreche, welche er für mich hege.

Ich las den Brief und blieb stumm, zumal als ich meinen Vater sagen hörte: ›In zwei Tagen mußt du reisen, Cardenio, um des Herzogs Verlangen zu entsprechen, und sage Gott Dank dafür, daß er dir einen Weg eröffnet, zu erreichen, was du, ich weiß es, so sehr verdienst.‹ Zu diesen Worten fügte er manchen väterlichen Rat.

Es kam die bestimmte Zeit meiner Abreise; ich sprach Luscinda in der Nacht, ich sagte ihr alles, was vorgefallen, und ebenso ihrem Vater und bat ihn, einige Tage hingehen zu lassen und seiner Tochter Vermählung so lange hinauszuschieben, bis ich sähe, was Ricardo mit mir vorhabe; er versprach es mir, und sie bekräftigte es mir mit tausend Eidschwüren und tausend Ohnmächten.

Ich langte endlich bei Herzog Ricardo an; ich ward von ihm so wohl aufgenommen und so gut behandelt, daß sogleich der Neid sein Werk begann, den die alten Diener des Hauses gegen mich hegten, weil sie glaubten, daß die Beweise der Gunst, die mir der Herzog gab, ihnen zum Nachteile gereichen würden. Wer sich jedoch über mein Kommen ganz besonders freute, war der zweite Sohn des Herzogs, namens Fernando, ein stattlicher Jüngling von adliger Sitte, freien Sinns und verliebter Natur, welcher sehr bald so warm um meine Freundschaft warb, daß er aller Welt Anlaß gab, darüber zu reden; und wiewohl der ältere mich auch sehr gern hatte und mir Gunst erwies, so verstieg er sich doch lange nicht zu der Überschwenglichkeit, mit der Fernando mich liebte und behandelte. So geschah es denn – da unter Freunden nichts so geheim ist, daß man es nicht einander mitteilte, und die Vertraulichkeit, deren ich mit Fernando pflog, schon nicht mehr Vertraulichkeit, sondern innige Zuneigung war –, so geschah es denn, daß er mir alle seine Gedanken offen darlegte, insbesondere einen Liebesgedanken, der ihn einigermaßen in Unruhe versetzte. Er liebte ein Bauernmädchen aus der Vasallenschaft seines Vaters; sie hatte sehr reiche Eltern und war so schön, züchtig, verständig und sittsam, daß keiner, der sie kannte, sich zu entscheiden wußte, welche von diesen Eigenschaften sie vollkommener oder in höherem Grade besitze.

Diese Vorzüge des schönen Bauernmädchens reizten die Wünsche Fernandos so sehr, daß er, um die jungfräuliche Tugend des Mädchens zu besiegen, sich entschloß, ihr die Ehe zu versprechen; denn es auf andre Weise zu versuchen hieß, das Unmögliche zu begehren. Ich, durch meine Freundschaft verpflichtet, suchte mit den besten Gründen, die ich wußte, und mit den sprechendsten Beispielen, die ich beibringen konnte, ihm seinen Vorsatz auszureden und ihn davon abzubringen. Aber da ich sah, daß ich nichts damit erreichte, beschloß ich, seinem Vater, dem Herzog Ricardo, die Sache mitzuteilen. Allein Don Fernando, schlau und verständig genug, hatte dieses geargwöhnt und gefürchtet; denn er sah ein, daß mir als getreuem Diener die Pflicht oblag, etwas, das der Ehre des Herzogs, meines Herrn, so sehr nachteilig sei, nicht verborgen zu halten. Und sonach sagte er mir, um mich irrezuführen und zu täuschen, er finde kein besseres Mittel, die Reize, die ihn so gefesselt hielten, aus seiner Erinnerung zu verbannen, als sich auf einige Monate zu entfernen. Wir beide wollten diese Entfernung dazu benutzen, meinen Vater zu besuchen, und als Anlaß dazu wollte Fernando bei dem Herzog vorgeben, er beabsichtige, schöne Pferde in meiner Vaterstadt, welche die besten der Welt züchtet, auf dem Markte sich anzusehen und zu erhandeln.

Kaum hörte ich ihn das Wort sagen, als ich mich von meiner Liebe hingerissen fühlte, und wäre sein Entschluß auch nicht so löblich gewesen, so würde ich ihn als einen der denkbar vernünftigsten gepriesen haben, da ich erkannte, welch herrliche Veranlassung und günstige Gelegenheit sich mir bot, meine Luscinda wiederzusehen. In diesem Gedanken und Wunsche billigte ich sein Vorhaben und bestärkte ihn darin und riet ihm, es in möglichst kurzer Frist ins Werk zu setzen, weil in der Tat trotz der festesten Vorsätze die Abwesenheit stets ihre Wirkung übe. Aber als er mir seinen Plan mitteilte, hatte er bereits – wie später zutage kam – die Liebe seines Bauernmädchens, indem er ihr die Ehe versprach, genossen, und er wartete nur auf eine Gelegenheit, sich ohne Gefahr zu entdecken, da er sehr zu fürchten hatte, wie der Herzog, wenn er seinen törichten Streich erfahre, denselben aufnehmen werde. Es geschah nun – da bei jungen Männern die Liebe meistenteils keine wirkliche ist, sondern Begierde, die, weil sie zum letzten Zweck den Genuß hat, endet, sobald sie ihn errungen; und was Liebe schien, weicht alsdann immer mehr zurück, weil es nicht über das Ziel hinaus kann, das die Natur ihm gesetzt, ein Ziel, das sie der wahren Liebe nicht gesetzt hat –, ich will sagen, daß, sobald Don Fernando die Gunst seines Bauernmädchens genossen hatte, seine Sehnsucht abnahm, seine Leidenschaft erkaltete. Und wenn er anfangs die Absicht, die Liebe durch Entfernung zu heilen, nur vorschützte, so war es jetzt sein ernstlicher Wille zu reisen, um ihr nicht die zugesagte Erfüllung zuteil werden zu lassen.

Der Herzog erteilte die Erlaubnis und befahl mir, ihn zu begleiten; wir kamen in meine Vaterstadt, mein Vater empfing ihn seinem Stande gemäß, ich sah Luscinda augenblicklich, und meine Wünsche lebten wieder auf, wiewohl sie auch schon bisher weder erstorben noch erkaltet waren. Zu meinem Unglück sprach ich darüber mit Don Fernando, weil es mich bedünkte, das Gesetz der Freundschaft, die er mir so herzlich bezeigte, gestatte mir nicht, ihm irgend etwas zu verbergen. Ich pries ihm so sehr Luscindas Schönheit, Anmut und Klugheit, daß mein Lob in ihm den Wunsch erweckte, ein mit soviel guten Eigenschaften geschmücktes Fräulein mit eigenen Augen zu sehen. Zu meinem Unheil erfüllte ich ihm diesen Wunsch und zeigte sie ihm eines Nachts beim Licht einer Kerze an dem Fenster, wo wir beide uns zu sprechen pflegten. Er sah sie da im Hausgewande, und bei ihrem Anblick hatte er alle Schönheiten, die er jemals gesehen, im Nu vergessen; er verstummte, verlor das Bewußtsein, war verzückt, in einem Wort: so von Liebe bewältigt, wie ihr im weiteren Verlauf der Geschichte meines Unglücks hören werdet.

Und um seine Leidenschaft noch heftiger zu entfachen – die er mir verbarg und nur, wenn er einsam war, dem Himmel offenbarte –, wollte es das Schicksal, daß er eines Tages ein Briefchen von Luscinda fand, worin sie mich bat, sie von ihrem Vater zur Gattin zu verlangen; es war so verständig abgefaßt, so sittig, so liebevoll, daß Don Fernando, als er es gelesen, mir sagte, in Luscinda seien alle Gaben der Schönheit und des Geistes vereint, die bei den andern Weibern auf Erden sich nur verteilt fänden. Wohl ist es wahr, und ich will es jetzt eingestehen: obschon ich erkannte, wie gerechtfertigt seine Lobeserhebungen waren, so war es mir doch höchst unwillkommen, sie aus seinem Munde zu hören, und ich begann, besorgt und wohl mit Recht mißtrauisch gegen ihn zu werden; denn kein Augenblick verging, wo er nicht verlangte, wir sollten von Luscinda reden, und stets brachte er das Gespräch auf sie, wenn er es auch an den Haaren herbeiziehen mußte. Das erweckte in mir eine unbestimmte, unerklärliche Eifersucht, gewiß nicht, weil ich ein Wanken in Luscindas Redlichkeit und Treue besorgte; aber trotzdem ließ mich mein Schicksal gerade dasjenige befürchten, wovor ihre Treue mich sicherte. Don Fernando verlangte stets die Briefe zu sehen, die ich an Luscinda schrieb, und die Antworten, die sie mir sandte. Nun traf es sich einmal, daß Luscinda mich um ein Ritterbuch zum Lesen bat, das sie sehr gern hatte; es war die Geschichte vom Amadís von Gallien …«

Kaum hatte Don Quijote ein Ritterbuch nennen hören, als er einfiel: »Hätte mir Euer Gnaden zu Anfang Eurer Geschichte nur dies eine gesagt, daß das gnädige Fräulein Luscinda Ritterbücher gern habe, so bedurfte es keines andern Rühmens, um mich von der Hoheit ihres Geistes zu überzeugen; denn selbiger könnte unmöglich so ausgezeichnet sein, als Ihr, Señor, ihn geschildert habt, wenn sie des Geschmackes an so köstlichen Büchern ermangelte. Sohin ist es ganz unnötig, noch mehr Worte aufzuwenden, um mir Luscindas Schönheit, innern Wert und Verstand zu schildern; schon um deswillen, daß ich von ihrer Neigung zu Ritterbüchern berichtet worden bin, anerkenne ich sie für das schönste und geistvollste Weib auf Erden; und ich möchte wohl, werter Herr, Euer Gnaden hätte ihr zusammen mit dem Amadís von Gallien den vortrefflichen Rüdiger von Griechenland gesendet; ich weiß, das Fräulein Luscinda hätte viel Vergnügen an Daraida und Garaya gehabt und an den geistvollen Worten des Schäfers Darinel, an jenen bewundernswerten Versen in seinen Hirtengedichten, die er mit soviel Anmut, Verständnis und edler Unbefangenheit zu singen und darzustellen wußte. Aber die Zeit kommt vielleicht einmal, wo diese Unterlassungssünde wiedergutgemacht werden mag, und dies zu tun wird nicht längere Zeit beanspruchen, als daß es Euer Gnaden beliebe, mit mir nach meinem Dorf zu kommen, allwo ich Euch über dreihundert Bücher geben kann, die das Labsal meiner Seele und die Wonne meines Daseins sind. Freilich glaube ich, daß ich keines mehr habe, dank der Bosheit bösartiger und mißgünstiger Zauberer. Nunmehr verzeihe mir Euer Gnaden, daß ich dem Versprechen, Euern Vortrag nicht zu unterbrechen, zuwidergehandelt habe; aber wenn ich von Rittersachen und fahrenden Rittern reden höre, steht es ebensowenig in meiner Gewalt, mich des Sprechens darüber zu enthalten, als die Strahlen der Sonne unterlassen können zu wärmen und die des Mondes, die Erde mit Tau zu feuchten. Sonach wollet verzeihen und fortfahren, daran ist jetzt am meisten gelegen.«

Während Don Quijote sprach, was soeben berichtet worden, hatte Cardenio den Kopf auf die Brust sinken lassen; er schien in Gedanken vertieft, und obschon ihn Don Quijote zweimal ersuchte, seine Erzählung fortzusetzen, richtete er den Kopf nicht auf und erwiderte kein Wort. Nach einer geraumen Weile erst erhob er ihn und sprach: »Es läßt sich mir nicht aus den Gedanken bringen, und niemand auf Erden kann mir’s daraus wegbringen oder mich zu einer andern Meinung bereden, ja, der wäre ein dummer Lümmel, der das Gegenteil meinte oder glaubte – es ist nicht anders, als daß jener Schurke, der Meister Elísabat, mit der Königin Madásima buhlerischen Umganges pflog.«

»Das nimmermehr!« entgegnete Don Quijote mit heftigem Zorn. »Ich schwöre es bei dem und jenem« – und er stieß den Schwur mit seinem vollen Wortlaut aus, wie er zur Gewohnheit hatte – »es ist dies die größte Bosheit oder vielmehr Niederträchtigkeit. Die Königin Madásima war eine sehr vornehme Dame, und man darf nicht annehmen, daß eine so hochgestellte Prinzessin mit einem Hühneraugenschneider hätte buhlen mögen. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner und Schurke, und dessen will ich ihn belehren zu Fuß oder Roß, bewehrt oder unbewehrt, bei Nacht oder Tag oder wie es ihm am genehmsten ist.«

Währenddessen schaute ihm Cardenio sehr aufmerksam ins Gesicht. Ein Anfall seines Wahnsinns war bereits wieder über ihn gekommen, und er war nicht fähig, seine Erzählung weiterzuführen, ebensowenig, als Don Quijote sie angehört hätte; so sehr hatten diesem die Äußerungen, die er über die Königin Madásima hatte hören müssen, alles verleidet. Eine seltsame Geschichte! Er nahm sich ihrer so ernstlich an, als wäre sie wirklich seine wirkliche und angestammte Gebieterin; so umstrickt hielten ihn seine verwünschten Bücher.

Wie nun Cardenio, der schon nicht mehr bei Sinnen war, sich mit Lügner und Schurke und andern dergleichen Schimpfnamen betiteln hörte, nahm er den Spaß übel, hob einen daliegenden Kieselstein auf und warf ihn dem Ritter so gewaltig auf die Brust, daß er ihn rücklings zu Boden streckte. Als Sancho Pansa seinen Herrn so behandelt sah, stürzte er mit geballter Faust auf den Rasenden, aber der Lumpenritter empfing ihn so streitbar, daß er ihn mit einem einzigen Faustschlag zu seinen Füßen niederwarf, ihm sofort auf den Leib sprang und ihm nach Herzenslust die Rippen zertrat. Der Ziegenhirt wollte abwehren und mußte derselben Fährlichkeit unterliegen, und nachdem Cardenio sie alle übermannt und zerbleut hatte, ließ er sie liegen und zog sich mit vornehmer Gelassenheit in sein Versteck auf dem Gebirge zurück.

Sancho erhob sich vom Boden und wollte in seiner Wut darüber, so unverschuldet Prügel bekommen zu haben, an dem Ziegenhirten Rache dafür nehmen; er trage die Schuld, sagte er, weil er sie nicht gewarnt habe, daß der Mann zuzeiten von seiner Verrücktheit befallen werde; hätten sie das gewußt, so wären sie auf ihrer Hut gewesen und hätten sich in acht nehmen können.

Der Ziegenhirt entgegnete, er habe es ja gesagt, und wenn Sancho es überhört habe, so sei es nicht seine Schuld. Sancho widersprach, der Ziegenhirt blieb seinerseits die Antwort nicht schuldig, und das Ende all der Reden und Gegenreden war, daß sie sich an den Bärten packten und einander so kräftige Faustschläge versetzten, daß, hätte Don Quijote nicht Frieden zwischen ihnen gestiftet, sie sich in Stücke zerrissen hätten.

Sancho rief, während er und der Ziegenhirt noch einander gefaßt hielten, beständig: »Laßt mich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt! Denn an diesem Menschen, der ein Bauer ist wie ich und nicht zum Ritter geschlagen, kann ich ohne alle Gefährde mir Genugtuung nehmen für die Unbill, so er mir angetan, und als ein Mann von Ehre Faust gegen Faust mit ihm kämpfen.«

»Das ist richtig«, sprach Don Quijote, »jedoch ich weiß, daß er an dem Vorgefallenen keinerlei Schuld trägt.«

Damit stellte er den Frieden zwischen ihnen wieder her, und nun fragte Don Quijote den Ziegenhirten abermals, ob es möglich sei, Cardenio aufzufinden; denn er sei höchst begierig, das Ende seiner Geschichte zu erfahren. Der Ziegenhirt antwortete, was er ihm schon früher gesagt, daß er nämlich nichts Gewisses über seinen Aufenthalt wisse; wenn der Ritter indessen viel in der Umgegend umherziehe, so müsse er ihn jedenfalls finden, entweder bei Verstande oder verrückt.

25. Kapitel

Welches von den merkwürdigen Dingen handelt, die dem mannhaften Ritter von der Mancha in der Sierra Morena begegneten, und wie er die Buße des Dunkelschön nachahmte

Don Quijote nahm von dem Ziegenhirten Abschied, bestieg wiederum den Rosinante und befahl Sancho, ihm zu folgen; der tat es in sehr übler Laune. Allmählich kamen sie in die wildesten Gegenden des Gebirges, und Sancho verging fast vor Begierde, mit seinem Herrn Zwiesprache zu halten, wünschte jedoch, der Ritter möchte den Anfang machen, damit er nicht dessen Gebot überträte. Da er aber ein so langes Stillschweigen nicht aushalten konnte, so sagte er ihm: »Señor Don Quijote, gebt mir Euren Segen und meinen Abschied, ich will jetzt auf der Stelle wieder heim in mein Haus und zu meinem Weib und zu meinen Kindern; mit denen kann ich wenigstens plaudern und besprechen, was ich will. Denn wenn Euer Gnaden verlangt, daß ich bei Tag und Nacht diese Einöden durchstreife und mit Euch nicht rede, wenn mich die Lust ankommt, so heißt das mich lebendig begraben. Wenn nur das Schicksal wollte, daß die Tiere sprächen, wie sie zu Zeiten des Isopeter gesprochen haben, so wäre es nicht so schlimm, wie es ist; dann könnte ich mit meinem Esel besprechen, was mir in den Sinn käme, und damit würde ich meine Trübsal so leidlich verbringen. Es ist ein hartes Schicksal, und man kann’s nicht in Geduld tragen, sein ganzes Leben lang nach Abenteuern suchen zu gehen und nichts zu finden als Fußtritte und Wippen, Steinwürfe und Faustschläge. Und bei all dem soll man sich noch den Mund zunähen und sich nicht zu sagen getrauen, was der Mensch auf dem Herzen hat, gerade als ob man stumm wäre.«

»Ich verstehe dich schon, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »du vergehst vor Sehnsucht, daß ich den Bann löse, den ich auf deine Zunge gelegt. Gut, nimm ihn für gelöst und rede, was du willst, unter dem Beding, daß diese Lösung nicht länger dauern darf, als während wir durch dies Gebirge ziehen.«

»So sei es denn«, sprach Sancho, »wenn ich nur jetzt plaudern darf; denn späterhin, Gott weiß, was uns da beschieden sein mag. Also fange ich gleich an, mir diesen Freipaß zunutze zu machen, und sage: Was hatte Euer Gnaden für Grund, sich dieser Königin Madam-sie-mag, oder wie sie sonst heißt, so anzunehmen? Oder was tat es zur Sache, ob jener Sabbath ihr guter Freund war oder nicht? Wärt Ihr ruhig darüber weggegangen – denn Ihr hattet ja nicht über die beiden zu Gericht zu sitzen –, so glaub ich, wär auch der tolle Kerl mit seiner Geschichte weitergegangen, und man hätte sich den Wurf mit dem Kieselstein erspart und die Fußtritte und ein halb Dutzend oder mehr knöcherne Maulschellen.«

»Wahrlich, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »hättest du gewußt, wie ich es weiß, welch ehrenhafte und vornehme Dame die Königin Madásima war, ich zweifle nicht, du hättest gesagt, daß ich nur zuviel Geduld bewies, da ich den Mund nicht in Stücke riß, aus dem solche Lästerungen gekommen; denn eine ungeheure Lästerung ist es zu sagen, ja nur zu denken, daß eine Königin mit einem Pflasterschmierer Buhlschaft treibe. Das Wahre an der Geschichte ist, daß jener Meister Elísabat ein sehr kluger Mann war, der stets guten Rat wußte und der Königin Madásima als Hofmeister und Arzt bedienstet war. Aber zu denken, sie sei seine Geliebte gewesen, ist ein Unsinn und der höchsten Strafe wert. Und damit du siehst, daß Cardenio gar nicht wußte, was er sagte, mußt du in Erwägung ziehen, daß er bereits von Sinnen war, als er so sprach.«

»Das meine ich eben«, erwiderte Sancho, »und es war kein Grund, die Worte des Verrückten zu beachten; denn hätte das Glück Euch nicht zur Seite gestanden und hätte es den Kieselstein nach dem Kopfe anstatt nach der Brust gelenkt, so wäre es uns schön ergangen, weil wir uns jener Dame annehmen wollten, die Gott in Grund und Boden verdamme! Und sag mir einer, ob Cardenio nicht als ein Verrückter wäre freigesprochen worden?«

»Gegen verständige und gegen verrückte Leute ist jeglicher fahrende Ritter verbunden, die Ehre der Frauen zu verfechten, von welchem Stande sie auch sein mögen, wieviel mehr der Königinnen von so hohem Wert und so hoher Würde, wie die Königin Madásima war, der ich um ihrer vortrefflichen Eigenschaften willen ganz besondere Anhänglichkeit widme. Denn außer dem, daß sie schön war, besaß sie auch vorzügliche Klugheit und große Geduld in allen Widerwärtigkeiten, deren sie gar viele zu bestehen hatte, und der Rat Meister Elísabats und der Umgang mit ihm waren ihr von großem Vorteil und Trost, um ihre Leiden mit Klugheit und Standhaftigkeit zu tragen. Und hiervon nahm der unwissende und übelwollende Pöbel Anlaß, zu sagen und zu glauben, sie sei seine Geliebte gewesen; aber es ist gelogen, sage ich nochmals, und tausendmal gelogen ist’s von allen, die solcherlei glauben und sagen.«

»Ich aber sag es nicht, ich aber glaub es nicht«, versetzte Sancho, »es geht sie allein an, wie sie miteinander fertigwerden; was sie sich eingebrockt haben, mögen sie selber essen; ob sie’s miteinander gehabt haben oder nicht, sie hatten’s vor Gott zu verantworten. Ich kehre vor meiner Tür und weiß nichts von Nachbars Besen; was schiert mich fremder Leute Handel und Wandel? Wer da kauft mit Lügen, tut den eignen Beutel betrügen; und wahr bleibt’s immer: Nackt bin ich, nackt war ich geboren, hab nichts gewonnen noch verloren. War’s aber auch so, was geht’s mich an? Glaubst du, im Haus gab’s Speck in Mengen, gibt’s nicht mal Haken, ihn dranzuhängen. Aber wer kann das freie Feld mit Türen abschließen? Wieviel ärger wurde nicht der liebe Gott verlästert!«

»Gott steh mir bei«, sprach Don Quijote, »wieviel dummes Zeug reihst du aneinander! Was hat der Gegenstand unsres Gesprächs mit den Sprichwörtern zu tun, die du auf einen Faden ziehst? So lieb dir dein Leben ist, Sancho, schweige still, und künftig kümmere dich darum, deinen Esel anzutreiben, nicht aber um Dinge, die dich nichts angehn; und nimm all deine fünf Sinne zusammen und merke dir: alles, was ich getan habe und tue und tun werde, ist durchaus in Vernunft begründet und entspricht durchaus den Regeln des Rittertums, die ich besser kenne als alle Ritter auf Erden, die sich zu ihnen bekannt haben.«

»Señor«, entgegnete ihm Sancho Pansa, »ist denn das eine richtige Regel des Rittertums, daß wir in der Irre, ohne Weg und Steg, in diesen Bergen umherziehen, um einen verrückten Kerl aufzusuchen, den, wenn wir ihn gefunden, vielleicht die Lust anwandelt, mit dem angefangenen Werk ein Ende zu machen, ich meine nicht mit seiner Erzählung, sondern mit Eurer Hirnschale und meinen Rippen, und der sie uns dann vollends zusammenschlägt?«

»Schweig, sag ich dir nochmals, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »denn ich tue dir zu wissen, daß nicht bloß der Wunsch, den Verrückten zu finden, mich in dieser Gegend umherführt, vielmehr das Verlangen, hier eine Großtat zu verrichten, die mir in allen bis jetzt entdeckten Landen des Erdkreises ewigen Namen und Ruhm gewinnen soll, und sie soll von solcher Art sein, daß ich mit ihr auf alles, was einen fahrenden Ritter vollkommen und hochberühmt machen kann, das Siegel drücken werde.«

»Und ist diese große Tat mit großer Gefahr verbunden?« fragte Sancho.

»Nein«, antwortete Der von der traurigen Gestalt. »Zwar könnten die Würfel immerhin so fallen, daß wir keinen Pasch, sondern einen Fehler geworfen hätten; aber alles wird von deiner Beflissenheit abhängen.«

»Von meiner Beflissenheit?« fragte Sancho.

»Ja«, sprach Don Quijote. »Denn wenn du bald zurückkehrst, von wo ich dich hinzusenden gedenke, so wird meine Pein bald enden und meine Glorie bald beginnen. Doch da es nicht recht wäre, dich länger im Ungewissen und in Erwartung dessen zu lassen, worauf meine Worte abzielen, so sollst du wissen, daß Amadís von Gallien einer der vollkommensten unter den fahrenden Rittern war. Nein, ich habe nicht gut gesagt, einer der vollkommensten: er war der Erste, der einzige, der Meister unter allen, die es zu seinen Zeiten auf Erden gab. Da kann sich Don Belianís verkriechen, er und alle, die da sagen, er sei dem Amadís in irgend etwas gleichgekommen! Sie alle sind im Irrtum befangen, das schwör ich; und damit basta. So sag ich ferner, wenn ein Maler in seiner Kunst Auszeichnung erlangen will, so ist er bestrebt, die Originale der allerbesten Künstler, die er kennt, zum Vorbild zu nehmen; und die gleiche Regel gilt für jede bedeutende Berufsart und Tätigkeit, die zur Zierde des Gemeinwesens dient. In ähnlicher Weise verfährt und muß verfahren, wer den Namen eines klugen, herrlichen Dulders erlangen will; er muß nämlich den Ulysses nachahmen, in dessen Person und Drangsalen uns Homer ein lebendiges Bild der Klugheit und des gelassenen Erduldens malte; wie denn auch Vergil uns in der Person des Äneas die Mannhaftigkeit eines frommen Sohnes und den Scharfblick eines tapfern und erfahrenen Feldherrn gezeigt hat. Sie haben uns diese Helden nicht gezeichnet und beschrieben, wie sie waren, sondern wie sie sein mußten, damit den künftigen Geschlechtern ein Beispiel ihrer Tugenden bleibe. In gleicher Weise war Amadís der Polarstern, der Morgenbote, die Sonne der tapfern und treuliebenden Ritter, den wir alle nachahmen müssen, die wir unter dem Banner der Liebe und des Rittertums kämpfen. Da dies nun so und nicht anders ist, so finde ich, Freund Sancho, daß der fahrende Ritter, der ihn am meisten nachahmt, am nächsten dem Ziele ist, die Vollkommenheit des Rittertums zu erreichen.

Eine aber in der Reihe seiner Taten, worin selbiger Ritter seine Umsicht, Tapferkeit, Mannhaftigkeit, Gelassenheit im Erdulden, Standhaftigkeit und Liebestreue am meisten bewährte, war, daß er sich, von dem Fräulein Oriana zurückgestoßen, auf den Armutsfelsen zurückzog, um da Buße zu tun, und den Namen Dunkelschön statt des seinigen annahm; gewißlich ein bedeutsamer Name, geeignet für die Lebensweise, die er sich aus freiem Willen erkoren hatte. Nun ist es für mich weit leichter, ihn hierin nachzuahmen, als Riesen entzweizuhauen, Schlangen den Kopf abzuschlagen, Drachen zu töten, Kriegsheere in die Flucht zu jagen, Seegeschwader zu zerschmettern und Verzauberungen zunichte zu machen; und da zu solchen Bußübungen diese Örtlichkeiten so höchst passend sind, so sehe ich nicht ein, warum man die Gelegenheit vorüberlassen sollte, die mir jetzt ihre Haarlocke so bequemlich darbietet.«

»Aber was eigentlich«, fragte Sancho, »will Euer Gnaden an so abgelegenem Orte tun?«

»Habe ich denn nicht schon gesagt«, antwortete Don Quijote, »daß ich Amadís nachahmen, das heißt die Rolle eines Verzweifelnden, Verrückten, Rasenden durchführen und gleichzeitig den gewaltigen Don Roldán nachahmen will, da er bei einer Quelle die Beweise fand, daß Angelika die Schöne mit Medor Schändliches begangen, und da er aus Schmerz darüber toll wurde und die Bäume ausriß, die Wasser der klaren Quellen trübte, Hirten erschlug, Herden niedermetzelte, Hütten in Brand steckte, Häuser niederriß, Pferde hinwegschleppte und tausend andre unerhörte Streiche vollführte, die ewigen Gedächtnisses und Ruhmes würdig sind? Und wenn ich den Roldán oder Orlando oder Roland – denn alle drei Namen führte er, jenen bei den Spaniern, den andern bei den Italienern, den dritten bei den Deutschen – nicht Punkt für Punkt in all den Tollheiten, die er tat, sagte und dachte, nachahmen will, so will ich doch wenigstens eine Skizze von denjenigen geben, die mir die wesentlichsten scheinen; auch könnte es sein, daß ich mich am Ende entschlösse, mit der alleinigen Nachahmung des Amadís mich zu begnügen, welcher keine Tollheiten schädlicher Art beging, sondern nur tränenreiche und empfindsame, und dadurch so großen Ruhm erwarb wie der, so dessen am allermeisten gewonnen hat.«

»Mich indessen will es bedünken«, sprach Sancho, »daß die Ritter, die dergleichen taten, dazu wider Willen angetrieben wurden und Grund hatten, ihre Alfanzereien und Bußübungen zu treiben; aber welchen Grund hat Euer Gnaden, toll zu werden? Welche Dame hat Euch abgewiesen, oder welche Anzeichen habt Ihr gefunden, die Euch annehmen lassen, daß das Fräulein Dulcinea von Toboso irgendwelche Kinderei mit einem Mohren oder Christen verübt hat?«

»Dies eben ist der Punkt«, antwortete Don Quijote, »und darin zeigt sich die ausgesuchte Galanterie meines Vorhabens. Daß ein fahrender Ritter mit Grund verrückt wird, darin ist nichts Freiwilliges, dafür gibt’s keinen Dank; die rechte Probe ist, ohne Anlaß wahnsinnig zu sein, damit meine Geliebte denken muß: wenn das am grünen Holze geschieht, was soll’s erst am dürren werden! Außerdem habe ich dazu Veranlassung genug in der langen Abwesenheit, die ich mir von meiner ewig mir gebietenden Herrin Dulcinea von Toboso auferlegt habe. Hast du ja doch von dem Ambrosio, dem Schäfer von neulich, gehört: wer abwesend ist, erleidet und befürchtet jegliches Übel. Sonach, Freund Sancho, verwende keine Zeit darauf, daß du mir anratest, von einer so ausbündigen, so glücklich erdachten, so unerhörten Nachahmung abzustehen. Toll bin ich und toll bleib ich, bis du mit der Antwort auf einen Brief zurückkommst, den ich meiner Herrin Dulcinea durch dich zu übersenden gedenke; und wenn sie so ausfällt, wie es meine Treue verdient, dann wird es mit meinem Wahnsinn und meiner Buße zu Ende sein; und wenn sie im entgegengesetzten Sinne ausfällt, dann werde ich im Ernste toll werden und als ein solcher alsdann nichts mehr empfinden. Mithin, auf welche Weise sie auch immer antworten mag, entrinne ich den Seelenkämpfen und Nöten, worin du mich zurücklassest, und ich werde entweder bei Verstande das Glück genießen, das du mir bringst, oder in der Verrücktheit das Unheil nicht empfinden, das du mir verkündest. Aber sage mir, Sancho, hast du den Helm des Mambrin in guter Verwahrung bei dir? Denn ich sah wohl, wie du ihn vom Boden aufhobst, als jener undankbare Mensch ihn in Stücke schlagen wollte. Jedoch er vermochte es nicht, woraus sich die Vortrefflichkeit seines Metalls ersehen läßt.«

Darauf antwortete Sancho: »Beim lebendigen Gott, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, manches, was Euer Gnaden sagt, ist nicht auszuhalten noch in Geduld zu ertragen und bringt mich auf den Gedanken, daß alles, was Ihr mir vom Rittertum sagt und vom Erobern von Königreichen und Kaisertümern und vom Verschenken von Insuln und von der Zuteilung von Gnaden und Herrlichkeiten, was Brauch fahrender Ritter ist – daß all das nur Wind und Lüge sein muß und alles nur Babel oder Fabel oder wie wir’s nennen wollen; denn wenn einer Euer Gnaden sagen hört, daß eine Barbierschüssel der Helm des Mambrin ist, und wenn Ihr in ganzen vier Tagen oder länger nicht aus diesem Irrtum kommt, was soll er anders denken, als daß, wer solcherlei sagt und behauptet, schwach am Verstande sein muß? Die Schüssel hab ich in meinem Sack bei mir, ganz voller Beulen, und ich bringe sie mit, weil ich sie zu Hause ausbessern und mir den Bart daraus einseifen will, wenn Gott mir die große Gnade erweist, daß ich mich einstmals wieder bei Frau und Kindern sehe.«

»Sieh, Sancho, bei demselben Gott, bei dem du itzo geschworen«, sprach Don Quijote, »schwör ich, du hast den beschränktesten Verstand, den ein Schildknappe auf Erden hat oder jemals hatte. Wie ist es möglich, daß du während der ganzen Zeit, seit du an meiner Seite bist, nicht begriffen hast, daß alles, was mit fahrenden Rittern vorgeht, wie Hirngespinste, Albernheit und Unsinn aussieht und in allem stets verkehrt ist? Und nicht etwa, weil es wirklich so ist, sondern weil mit unsereinem beständig ein Schwarm von Zauberern umherzieht, die alles, was uns betrifft, verwechseln und vertauschen und nach ihrem Belieben umwandeln, je nachdem sie Lust haben, uns zu begünstigen oder uns zugrunde zu richten. So kommt es, daß, was dir wie eine Barbierschüssel aussieht, mir als der Helm Mambrins erscheint, und einem andern wird es wieder was andres scheinen. Und es war eine seltene Vorsicht des Zauberers, der auf meiner Seite ist, daß er allen als eine Schüssel erscheinen läßt, was wahr und wirklich Mambrins Helm ist. Denn sintemal dieser so hohen Wertes ist, würde mich alle Welt verfolgen, um ihn mir wegzunehmen. Da die Leute aber in ihm nur eine Bartschüssel sehen, so liegt ihnen nichts daran, ihn zu erlangen, wie sich dies bei dem Kerl zeigte; der ihn zerschlagen wollte und ihn auf dem Boden liegenließ, ohne ihn mitzunehmen; denn wahrlich, wenn er ihn gekannt hätte, so hätte er ihn niemals liegenlassen. Verwahr ihn gut, Sancho, für jetzt habe ich ihn nicht nötig; vielleicht will ich alle diese meine Rüstungsstücke ablegen und mich nackt ausziehen, wie ich zur Welt kam, wenn mich etwa die Lust anwandelte, bei meiner Bußübung mehr dem Roldán als dem Amadís zu folgen.« Unter diesen Gesprächen gelangten sie an den Fuß eines hohen Berges, der mitten unter vielen andern allein ragte wie ein abgeschnittener Felsblock; an seinem Abhang floß ein sanftes Bächlein, und rings um ihn her dehnte sich ein Wiesenrain, so grün und üppig, daß es die Augen des Beschauers erfreute. Es standen viel Waldbäume und mancherlei Pflanzen und Blumen umher, die dem Orte lieblichen Reiz verliehen. Diesen Platz wählte der Ritter von der traurigen Gestalt, um seine Buße zu verrichten, und sobald er ihn erblickte, hob er an, mit lauter Stimme zu sprechen, als wäre er wirklich von Sinnen: »Das ist der Ort, o ihr Himmel, den ich dazu bestimme und erkiese, das Unglück zu beweinen, in das ihr selbst mich gestürzt habt; das ist der Platz, wo das Naß meiner Augen die Wasser dieses Bächleins vermehren soll und wo meine unaufhörlichen tiefen Seufzer das Laub dieser Waldbäume unaufhörlich in zitternde Bewegung setzen werden zum Zeugnis und Erweis der Pein, die mein in der Irre schweifendes Herz erduldet. O ihr, wer ihr auch seiet, ländliche Gottheiten, die ihr an diesen unwirtlichen Orten euren Aufenthalt habt, hört die Klagen des unglücklich Liebenden, den eine lang dauernde Trennung und eingebildete Eifersucht in diese Wildnis geführt haben, Jammer zu erheben und schmerzlich zu klagen ob des harten Sinnes, den jene Undankbare, jene Schöne zeigt, die die äußerste Grenze und Vollendung aller menschlichen Schönheit ist. Und ihr, Nymphen der Quellen und der Bäume, die ihr im Dickicht der Wälder zu hausen pfleget: so wahr mögen die leichtfüßigen zuchtlosen Satyrn, die euch, wenn auch vergeblich, mit Liebe umwerben, niemals eure süße Ruhe stören, so wahr ihr mir helfen wollet, mein Mißgeschick zu bejammern, oder wenigstens nicht ermüden werdet, es anzuhören. O Dulcinea von Toboso, du Tag meiner Nacht, du Glorie meiner Pein, du Polarstern meiner Pfade, du Leitstern meines Glückes, so wahr der Himmel es dir gut in allem ergehen lasse, was du von ihm erbittest, so wahr erwäge, du Milde, den Ort und Zustand, wohin die Trennung von dir mich gebracht; so wahr möge ein freundliches Benehmen von dir dem Benehmen entsprechen, das meine Treue fordern darf. O ihr einsamen Bäume, die ihr von heut an meiner Verlassenheit fürderhin Gesellschaft leisten sollt, gebt mit sanftem Bewegen eurer Zweige ein Zeichen, daß euch meine Anwesenheit nicht mißfällt. O du mein Schildknappe, erfreulicher Gefährte mir in guten und bösen Tagen, nimm wohl ins Gedächtnis auf, was du mich hier wirst beginnen sehen, damit du es der Ursache alles dessen vortragen und berichten kannst.«

Mit diesen Worten stieg er von Rosinante hernieder, nahm ihm in einem Augenblick Zaum und Sattel ab, und indem er ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf die Kruppe gab, sprach er: »Dir gibt die Freiheit, der ihrer entbehrt, o mein Roß, du so rühmlich ausgezeichnet durch deine Taten wie unglücklich durch dein Schicksal. Geh, wohin du willst; auf der Stirne trägst du geschrieben, daß dir an Behendigkeit nicht der Hippogryph Astolfos gleichkam noch der gepriesene Frontin, der dem Bradamante so teuer zu stehen kam.«

Als Sancho das sah, sagte er: »Gottes Segen mit dem Menschen, der uns der Mühe überhoben hat, jetzt auch meinen Grauen abzusatteln; es würde ihm an Lob und Preis und am Streicheln mit der Hand nicht gefehlt haben. Freilich, wenn er hier wäre, so würde ich keinem erlauben, ihn abzusatteln; dazu wäre auch kein Grund; denn auf die Generalfragen nach Verliebtsein und Verzweifeltsein hätte er doch keine Zeugenaussagen zu geben, da sein Herr weder verliebt noch verzweifelt war. Und sein Herr war ich, als Gott mir noch die Gnade erwies. Und wahrlich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, wenn es mit meiner Abreise und Euer Gnaden Tollheit ernst gemeint ist, so wird’s am besten sein, den Rosinante wieder zu satteln, um den Grauen, der uns abgeht, zu ersetzen, was für meine Hin- und Herreise Zeit erspart; denn mache ich beides zu Fuß, so weiß ich nicht, wann ich hinkomme noch wann ich zurückkehre, sintemal ich doch am Ende ein schlechter Fußgänger bin.«

»So sage ich dir denn, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »es geschehe, wie du begehrst; denn dein Plan dünkt mich nicht übel; und ich sage weiter, von jetzt ab in drei Tagen sollst du fort, denn in der Zwischenzeit sollst du mit ansehen, was ich um ihretwillen tue und rede, damit du es ihr berichten kannst.«

Darauf versetzte Sancho: »Was brauche ich denn noch mehr zu sehen, als ich schon gesehen habe?«

»Das verstehst du ja gut!« entgegnete Don Quijote. »Es erübrigt mir noch, die Kleider zu zerreißen, die Waffen umherzustreuen und mit dem Kopf wider die Felsen dort zu rennen und noch andres dieser Art, was dich in Erstaunen setzen wird.«

»Um Gottes willen«, sprach Sancho, »sehe sich Euer Gnaden vor, wie Ihr mit dem Kopfe anrennen wollet; denn Ihr könntet an einen so scharfen Felsen geraten und so hart anstoßen, daß mit dem ersten Anrennen das ganze Gebäude Eurer Buße zugrunde ginge. Ich freilich wäre der Meinung, wenn es nun einmal Euer Gnaden bedünkt, daß das Anrennen mit dem Kopf hier notwendig ist und dies Werk ohne solches nicht getan werden kann, daß Ihr Euch begnügtet, sintemal doch all dieses nur erdichtetes und nachgemachtes Zeug und im Spaß gemeint ist, daß Ihr Euch begnügtet, sage ich, mit dem Kopf gegen das Wasser zu rennen oder gegen etwas Weiches, wie zum Beispiel Baumwolle, und dann überlaßt mir alle weitere Sorge; denn ich will schon unsrer Gebieterin berichten, Euer Gnaden rannte mit dem Kopfe gegen eine Felsenecke, härter als die Spitze eines Demants.«

»Ich danke dir für deine gute Absicht«, antwortete Don Quijote, »aber ich tue dir kund und zu wissen, daß alles, was ich hier vornehme, keineswegs zum Spaß, sondern sehr ernst gemeint ist. Denn sonsten würde ich den Geboten des Rittertums zuwiderhandeln, welche uns vorschreiben, niemalen eine Lüge zu sagen, unter Androhung der Strafe für rückfällige Ketzer; die eine Handlung aber anstatt der andern zu verrichten ist ganz dasselbe wie lügen. Sonach muß bei mir das Anrennen mit dem Kopfe wahr, kräftig und echt sein, ohne daß Spitzfindigkeit oder Selbsttäuschung damit zu tun haben darf. Es wird aber nötig sein, mir etwas Scharpie dazulassen, um mich zu verbinden, da das Schicksal gewollt hat, daß wir des Balsams ermangeln, der uns verlorenging.«

»Ein größerer Verlust ist’s, des Esels zu ermangeln«, entgegnete Sancho, »da mit ihm die Scharpie und alles andere verlorengegangen. Jedenfalls bitte ich Euer Gnaden, jenes verwünschten Tranks nicht mehr zu gedenken; denn wenn ich ihn nur nennen höre, dreht sich mir die Seele im Leibe herum, wieviel mehr der Magen! Außerdem bitte ich, daß Ihr annehmet, die drei Tage seien schon vorüber, die Ihr mir zur Frist gesetzt habt, um die Tollheiten, die Ihr verübt, mit anzusehen. Ich nehme sie für gesehen und erwiesen an und für eine durch gerichtliches Urteil festgestellte Tatsache, und ich will unserm Fräulein Wunderdinge davon berichten. Schreibt nur den Brief und fertigt mich gleich ab; denn ich hege den lebhaftesten Wunsch, zurückzukehren und Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer zu holen, worin ich Euch zurücklasse.«

»Fegefeuer nennst du es, Sancho?« entgegnete Don Quijote, »du tätest besser, Hölle zu sagen, ja noch Schlimmeres, wenn es das gäbe.«

»Wer die Hölle hat«, erwiderte Sancho, »da ist keine Erlöschung mehr, wie ich sagen hörte.«

»Ich verstehe nicht, was du sagen willst mit ›Erlöschung‹«, sprach Don Quijote.

»Erlöschung ist«, antwortete Sancho, »wenn einer in der Hölle ist, so kommt er niemals mehr heraus und kann’s auch nicht. Aber bei Euer Gnaden wird’s umgekehrt gehen, oder es müßte mit meinen Füßen schlecht bestellt sein, wenn ich Sporen dran trage, um Rosinante anzutreiben. Wenn ich nur richtig nach Toboso zu unserm gnädigen Fräulein Dulcinea komme, so erzähle ich ihr solche Dinge von den Dummheiten und Tollheiten – das ist ja all eins –, die Euer Gnaden verübt hat und fortwährend verübt, daß ich sie bald geschmeidiger mache als einen Handschuh, sollte sie auch anfänglich härter sein als eine Korkeiche; und mit ihrer zärtlichen, honigsüßen Antwort komm ich durch die Lüfte zurück wie ein Hexenmeister und hole Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer heraus, das eine Hölle scheint und es doch nicht ist, da Ihr Hoffnung habt, herauszukommen, was die nicht haben, die in der Hölle sind, wie ich schon gesagt, und ich glaube auch nicht, daß Euer Gnaden anders sagen wird.«

»Es ist allerdings so«, sprach Der von der traurigen Gestalt. »Aber wie sollen wir’s anfangen, um den Brief zu schreiben?«

»Und die Esels-Anweisung dazu?« fügte Sancho bei.

»Alles wird niedergeschrieben werden«, sagte Don Quijote, »und da kein Papier da ist, wäre es gut, wir schrieben ihn, wie die Alten taten, auf Baumblätter oder auf Wachstäfelchen, wiewohl das jetzt ebenso schwer aufzutreiben wäre wie Papier. Doch eben ist mir’s in den Sinn gekommen, worauf ich den Brief ganz gut und besser als gut schreiben kann, nämlich in das Notizbuch, das Cardenio angehörte, und du wirst Sorge tragen, es auf Papier abschreiben zu lassen, mit guter Handschrift, am ersten besten Ort, wo sich ein Schulmeister findet; wenn das nicht, so kann jeder Küster dir ihn abschreiben. Gib ihn aber keinem Aktuar zum Abschreiben; denn die bedienen sich einer Aktenschrift, die der Gottseibeiuns nicht lesen kann.«

»Wie soll es aber mit der Unterschrift werden?« fragte Sancho.

»Niemals waren die Briefe des Amadís unterzeichnet«, antwortete Don Quijote.

»Ganz gut«, versetzte Sancho, »aber die Anweisung muß notwendig unterzeichnet sein, und wenn die abgeschrieben wird, so wird man sagen, die Unterschrift ist falsch, und ich bin um die Esel.«

»Die Anweisung soll im Notizbuche selbst unterzeichnet werden, so daß meine Nichte, wenn sie dieselbe sieht, keine Schwierigkeiten machen wird, sie zu berichtigen. Soviel aber den Liebesbrief betrifft, wirst du die Unterschrift daruntersetzen: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt. Und es wird nichts ausmachen, daß sie von fremder Hand ist; denn soviel ich mich entsinne, kann Dulcinea weder schreiben noch lesen und hat in ihrem ganzen Leben meine Handschrift, also auch einen Brief von mir, nicht gesehen. Meine Liebe und die ihrige waren stets eine platonische und erstreckten sich nie weiter als zu einem züchtigen Anblicken, und auch dies nur von Zeit zu Zeit, so daß ich mit Wahrheit schwören darf, in den zwölf Jahren, seit denen ich sie inniger liebe als das Licht meiner Augen, die einst im Schoße der Erde modern werden, habe ich sie höchstens viermal gesehen, und zudem kann es auch sein, daß unter diesen vier Malen sie nicht ein einziges Mal bemerkt hat, daß ich sie anschaute. In solcher Sittsamkeit und Zurückgezogenheit haben sie ihr Vater Lorenzo Corchuelo und ihre Mutter Aldonza Nogales erzogen.«

»Ei je, ei je«, sprach Sancho, »die Tochter von Lorenzo Corchuelo ist unsere Gebieterin Dulcinea von Toboso, sonst auch Aldonza Lorenzo geheißen?«

»Dieselbe«, antwortete Don Quijote, »und sie ist’s, die da verdient, die Gebieterin des ganzen Weltalls zu sein.«

»Ich kenne sie ganz gut«, sprach Sancho, »und kann sagen, daß sie im Spiel die Eisenstange so kräftig wirft wie der stärkste Bursche im ganzen Ort. Beim Geber alles Guten, das ist eine tüchtige Dirne, schlecht und recht, hat Haare auf den Zähnen und kann jedem jetzt fahrenden oder in Zukunft fahrenden Ritter, der sie zur Gebieterin erkiest, was zu raten aufgeben. Was Teufel hat sie für eine Kraft im Leibe, was hat sie für eine Stimme! Ich sage Euch, sie ist einmal oben auf den Glockenturm des Dorfes hinauf, um vom Brachfeld ihres Vaters Knechte heimzurufen, und wiewohl selbige mehr als eine halbe Stunde fern vom Orte waren, haben sie sie gehört, als hätten sie unten am Turm gestanden. Und das Beste an ihr ist, daß sie durchaus nicht zimperlich ist, sie hat was von so einer Person aus der Residenz, alle hat sie zum besten und hat über alles ihren Spott und Scherz.

Jetzt sage ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, nicht nur kann und soll Euer Gnaden Tollheiten ihretwegen verüben, sondern kann auch mit großem Recht verzweifeln und gar sich aufhängen; denn keiner, der es erfährt, wird umhinkönnen, zu sagen, daß Ihr ausnehmend wohl daran getan, und wenn Euch auch darum der Teufel holen sollte; und gerne möchte ich schon auf dem Wege sein, nur um sie zu sehen, sintemal es schon viele Tage her ist, daß sie mir nicht vor die Augen gekommen; auch muß sie ganz wie verwechselt aussehen; denn nichts verdirbt den Frauenzimmern so sehr ihr Gesicht, als wenn sie in der Sonne und freier Luft im Felde herumlaufen! Auch muß ich Euer Gnaden wahr und wahrhaftig sagen, daß ich bisher in großer Unkenntnis der Sachen gewesen. Ich war nämlich ernst und treulich des Glaubens, das Fräulein Dulcinea müsse irgendeine Prinzessin sein, in die Euer Gnaden sich verliebt hätte, oder sonst ein Frauenzimmer solcher Art, daß sie die von Euer Gnaden gesendeten reichen Gaben verdiente, wie das Geschenk, das Ihr ihr mit dem Biskayer und mit den Galeerensklaven gemacht habt. Und ohne Zweifel werden es noch viele andere Gaben sein, nach den Siegen zu schließen, die Ihr zur Zeit errungen haben müßt, wo ich noch nicht Euer Schildknappe war. Aber wenn man’s bei Licht betrachtet, was kann dem Fräulein Aldonza Lorenzo, will sagen dem Fräulein Dulcinea von Toboso, daran liegen, daß die Besiegten, die Euer Gnaden hinsendet und hinsenden wird, kommen und sich auf die Knie vor ihr werfen? Denn es wäre ja möglich, daß gerade zur Zeit, wo selbige ankämen, sie mit dem Hecheln von Flachs oder Dreschen auf der Tenne beschäftigt wäre, und jene würden sich dann schämen, sie in dem Aufzug zu sehen, und sie würde über das Geschenk lachen und sich ärgern.«

»Ich habe dir schon früher oftmals gesagt, Sancho«, sprach Don Quijote, »daß du ein gewaltiger Schwätzer bist und, obwohl am Verstande stumpf, doch häufig spitzig sein und sticheln willst. Damit du jedoch siehst, wie dumm du bist und wie verständig meine Handlungsweise, sollst du von mir ein Geschichtchen hören. Vernimm also: Eine schöne junge Witwe, unabhängig und reich, insbesondere aber lustigen Humors, verliebte sich in einen jungen Laienbruder, einen untersetzten kräftigen Burschen; sein Vorgesetzter brachte es in Erfahrung, und eines Tages sagte er zu der wackeren Witwe diese Worte als brüderliche Zurechtweisung: ›Ich bin erstaunt, Señora, und nicht ohne vielfachen Grund, wie eine so vornehme, so schöne, so reiche Frau wie Euer Gnaden sich in einen so schmutzigen, gemeinen und dämlichen Menschen wie den gewissen Jemand verlieben mochte, da doch in diesem Stift so viele Doktoren, so viele Graduierte und so viele Theologen sind, unter denen Euer Gnaden wie aus einem Korb mit Birnen hätten wählen und sagen können: Den mag ich gern, den mag ich nicht.‹ Aber sie antwortete ihm mit heiterer Laune und größter Unbefangenheit: ›Werter Herr, Euer Gnaden ist in großem Irrtum und urteilt sehr altmodisch, wenn Ihr meinet, ich hätte mit dem gewissen Jemand eine schlechte Wahl getroffen, ob er Euch auch noch so dämlich vorkommt. Denn wozu ich ihn mag, dazu hat er soviel und mehr Kenntnis von der Philosophie wie Aristoteles selber.‹ Sonach, Sancho, wozu ich Dulcinea liebhabe, dazu ist sie mir soviel wert wie die erhabenste Prinzessin auf Erden. So ist’s, und nicht alle Poeten, welche eine Geliebte unter einem Namen besitzen, den sie ihr nach Belieben beilegen, haben eine solche in Wirklichkeit. Glaubst du, daß die Amaryllis‘, die Phyllis‘, die Sylfias, die Dianas, die Galatheas, die Filidas und andre dergleichen, mit denen die Bücher, die Romanzen, die Barbierstuben, die Komödienbühnen angefüllt sind, wirkliche Damen von Fleisch und Blut und wirklich die Geliebten jener waren, die sie verherrlichen und verherrlicht haben? Gewiß nicht; vielleicht erdichten sie sich die meisten, um für ihre Verse einen Gegenstand zu schaffen und um für liebeglühende Jünglinge und für solche, die der Liebe würdig seien, zu gelten. Und so genügt es mir, daß ich denke und glaube, die treffliche Aldonza Lorenzo sei schön und sittig, und was ihren Stammbaum betrifft, das tut wenig zur Sache; denn man wird nicht hingehen und die Ahnenprobe mit selbigem vornehmen, um ihr einen der militärischen Ritterorden Spaniens zu verleihen, und ich nehme nun einmal an, sie sei die vornehmste Prinzessin in der ganzen Welt. Denn du mußt wissen, Sancho, wenn du es nicht schon weißt: zwei Dinge allein vor allen andern bewegen das Herz zur Liebe, nämlich große Schönheit und guter Ruf, und beides findet sich im höchsten Grade bei Dulcinea; in der Schönheit aber kommt keine ihr gleich, und im guten Ruf kommen wenige ihr nah. Und um alles mit einem Wort abzuschließen, ich denke mir, daß alles sich genauso verhält, wie ich sage, ohne daß es etwas zuviel oder zuwenig ist; und ich male mir sie in meinem Geiste, wie ich sie mir wünsche, ebenso an Schönheit wie an Vornehmheit; und ihr kommt Helena nicht nahe noch reicht Lucrezia an sie heran noch irgendeine andre von den berühmten Frauen der vergangenen Zeiten, sei es eine Griechin, Barbarin oder Lateinerin; und es sage ein jeglicher, was er will; denn werde ich darob von Unverständigen getadelt, so werden mich doch die strengsten Richter darum nicht verurteilen.«

»Ich gestehe es ein«, antwortete Sancho, »Euer Gnaden hat in allem recht, und ich bin ein Esel. Doch ich weiß nicht, warum ich den Esel in den Mund nehme; denn man soll im Haus des Gehenkten nicht vom Strick reden. Jetzt her mit dem Brief, und Gott befohlen, denn ich mache mich davon.«

Don Quijote holte das Notizbuch hervor, ging beiseite und begann den Brief gemächlich zu schreiben. Als er ihn beendigt, rief er Sancho und sagte ihm, er wolle ihm den Brief vorlesen, damit er ihn auswendig behielte, wenn er ihn etwa unterwegs verlieren sollte; denn von seinem Mißgeschick sei alles zu besorgen.

Darauf erwiderte Sancho: »Schreibt ihn lieber zwei- oder dreimal hier ins Buch und gebt mir’s, ich will es schon wohlverwahrt mitnehmen. Jedoch daran zu denken, daß ich ihn auswendig lerne, ist ein Unsinn; denn mein Gedächtnis ist so schwach, daß ich oft sogar vergesse, wie ich heiße. Indessen trotz alledem, lest mir ihn vor, es wird mir ein groß Vergnügen machen, ihn anzuhören, denn der Brief ist sicher wunderschön.«

»Höre denn, er lautet also«, sprach Don Quijote.

Don Quijotes Brief an Dulcinea von Toboso

Allherrschende, erhabene Herrin!
Der von der Schwertesspitze der Trennung Durchbohrte, der im Innersten des Herzens Wundgeschlagene, wünscht Dir, süßeste Dulcinea von Toboso, das Heil, das er selbst nicht hat. Wenn Deine Huldseligkeit mich mißachtet, wenn Deine Fürtrefflichkeit sich nicht zu meinen Gunsten neiget, wenn Deine Verschmähung mich zu Boden drücket, dann, so ich auch genugsam zu dulden weiß, mag ich nicht wohl mich fürderhin in dieser Pein aufrechterhalten, die, außerdem daß sie eine gar schwere Bürde ist, sich über die Maßen langwierig anläßt. Mein guter Schildknappe Sancho wird Dir völligen Bericht erstatten, o schöne danklose Maid, heißgeliebte Feindin mein, wie es mir aus Ursach Deines Willens ergeht. So Du Gelieben trägst, Dich mir zur Hilfe bereitzustellen, so bin ich Dein; wo nicht, dann tue, was Dir belieben mag, und so ich mein Leben beschließe, hernach hab ich Deinem grausamen Sinne und meinem Wünschen ein voll Genüge getan.
Der Deine bis in den Tod,
Der Ritter von der traurigen Gestalt.

»Bei meines Vaters Seelenheil«, sprach Sancho, als er den Brief angehört, »das ist das Erhabenste, was ich je vernommen. Hol mich der Geier, wie sagt Euer Gnaden ihr hier alles, was Ihr wollt, und wie gut paßt hier in die Unterschrift hinein: Der Ritter von der traurigen Gestalt. Ich sag’s im Ernst, Euer Gnaden hat den Teufel im Leib; es gibt nichts, was Ihr nicht wüßtet.«

»Alles«, entgegnete Don Quijote, »ist zu dem Berufe erforderlich, den ich übe.«

»Wohl denn«, sprach Sancho, »nun setze Euer Gnaden auf die andre Seite die Anweisung auf die drei Esel und unterzeichne sie sehr deutlich, damit man die Unterschrift gleich beim Ansehen erkennt.«

»Mir recht«, sagte Don Quijote; und nachdem er sie geschrieben, las er sie ihm vor. Sie lautete also:

Beliebe Euer Gnaden, Fräulein Nichte, gegen diese meine Esels-Prima an meinen Schildknappen Sancho Pansa verabreichen zu lassen drei Esel von den fünfen, die ich daheim im Stall habe und die Euer Gnaden anbefohlen sind; welche drei Esel ich ihm zur Ablieferung und Zahlung anweise für drei andre, die ich hier von ihm empfangen habe, demnach sie gegen diesen Wechselbrief und seine Empfangsbescheinigung in Richtigkeit gehen. So geschehen tief inmitten der Sierra Morena, am zweiundzwanzigsten August dieses gegenwärtigen Jahrs.

»So ist’s gut«, sprach Sancho. »Nun wolle ihn Euer Gnaden unterschreiben.«

»Es ist nicht nötig, ihn zu unterschreiben«, entgegnete Don Quijote, »sondern nur meinen Schnörkel darunterzusetzen, was das nämliche wie die Unterschrift und für die drei Esel hinreichend ist, ja für dreihundert.«

»Ich verlasse mich auf Euer Gnaden«, erwiderte Sancho, »laßt mich nun, ich gehe den Rosinante zu satteln, und bereitet Euch, mir Euren Segen zu geben; denn ich will auf der Stelle fort, ohne die Narreteien zu sehen, die Euer Gnaden jetzt vornehmen will; ich werde aber sagen, ich sah Euch so viele verüben, daß ich deren nicht mehr begehrte.«

»Zum wenigsten verlange ich, Sancho, und dieweil es solchergestalt nötig ist, verlange ich, sage ich nochmals, daß du zusiehst, wie ich mich splitternackt ausziehe und ein oder zwei Dutzend tolle Streiche begehe; ich will sie in weniger als einer halben Stunde fertigbringen, damit du, nachdem du sie mit eigenen Augen gesehen, mit gutem Gewissen die andern beschwören kannst, die du noch etwa hinzufügen willst; und ich versichere dir, du kannst deren nicht so viele erzählen, als ich auszuführen gedenke.«

»Um Gottes willen, Herr Ritter, laßt mich Euer Gnaden nicht nackend sehn; das würde mich allzusehr betrüben, und ich könnte nicht umhin, Tränen zu vergießen. Ich habe den Kopf noch so voll von dem Gejammer, das ich gestern über das Grautier vollführte, daß ich nicht imstande bin, mich abermals in Flennen einzulassen. Wenn es Euch jedoch sehr darum zu tun ist, daß ich ein paar Tollheiten mit ansehe, so verübt sie in den Kleidern, und zwar solche, die nur kurze Zeit brauchen und Euch am ersten zur Hand sind; besonders da für mich nichts dergleichen vonnöten ist und ich, wie schon gesagt, Zeit für meine Rückkehr ersparen würde, die da stattfinden soll mit all den guten Nachrichten, die Euer Gnaden wünscht und verdient. Wo aber nicht, so soll sich das Fräulein Dulcinea nur auf was gefaßt machen. Denn wenn sie nicht antwortet, wie sich’s gebührt, so tu ich ein feierliches Gelübde zu allem möglichen, ich will ihr die richtige Antwort mit Fußtritten und Ohrfeigen aus dem Leibe reißen. Denn wo in aller Welt möchte man es auch leiden, daß ein so berühmter fahrender Ritter wie Euer Gnaden mir nichts, dir nichts verrückt wird für eine … Das Fräulein soll mich nur nicht zwingen, das Wort zu sagen; denn bei Gott, ich fahre heraus damit und will ihr ihr Fett geben; ich geb’s im Dutzend billiger, wenn’s auch keiner sein Lebtage kaufen will. Ja, dazu wär ich der rechte Kerl! Sie kennt mich nicht recht; denn wenn sie mich kennte, sie täte mich fasten, denn ich schmecke gar nicht gut.«

»Auf mein Wort, Sancho«, sprach Don Quijote, »du kommst mir vor, als wärest du ebensowenig bei Verstand wie ich.«

»Ich bin nicht so verrückt wie Ihr«, entgegnete Sancho, »aber ich bin hitziger. Doch lassen wir das beiseite; was will Euer Gnaden denn essen, bis ich zurückkomme? Wollt Ihr die Straße unsicher machen wie Cardenio und es den Hirten abjagen?«

»Diese Sorge darf dir keine Schmerzen machen«, antwortete Don Quijote; »denn wenn ich es auch hätte, äße ich doch nichts andres als die Kräuter und Früchte, die mir das Feld und die Bäume hier darbieten, weil die Hauptsache bei meinem Vorhaben darin besteht, nicht zu essen und noch andre Kasteiungen auf mich zu nehmen.«

Darauf sagte Sancho: »Wißt Ihr, was ich besorge? Ich möchte den Rückweg zu diesem Orte, wo ich Euch verlasse, nicht finden, so heimlich ist das Versteck.«

»Du mußt dir gehörige Kennzeichen machen«, sprach Don Quijote. »Ich werde darauf bedacht sein, mich aus der Umgegend nicht zu entfernen, ja ich habe vor, auf die höchsten Felsen hier zu steigen, um zu sehen, ob ich dich aufspüre, wenn du zurückkehrst. Jedoch wird es am sichersten sein, daß du von dem Ginster, der sich hier in Menge findet, etliche Zweige abschneidest und sie von Strecke zu Strecke hinstreust, bis du ins Blachfeld kommst; die werden dir zu Marksteinen und Merkzeichen dienen, gleichsam wie der Faden im Labyrinthe des Theseus, auf daß du mich bei deiner Rückkehr findest.«

»So will ich’s tun«, erwiderte Sancho Pansa.

Don Quijote

Er schnitt eine Anzahl Zweige ab, bat seinen Herrn um seinen Segen und verabschiedete sich von ihm, nicht ohne reichliche Tränen von beiden Seiten. Dann stieg er auf den Rosinante, den Don Quijote ihm dringendst anempfahl mit dem Auftrag, auf den Gaul achtzuhaben, als ob er es selber wäre, und begab sich auf den Weg nach der Ebene, wobei er von Zeit zu Zeit die Ginsterzweige ausstreute, wie es sein Herr ihm angeraten. Und da zog er von dannen, während ihn Don Quijote noch fortwährend damit behelligte, er solle ihm wenigstens bei zwei tollen Streichen erst zusehen.

Aber er war noch keine hundert Schritte geritten, da kehrte er um und sprach: »Ich muß sagen, Señor, Euer Gnaden hat sehr recht gehabt; denn damit ich ohne Gewissensbeschwer beeidigen kann, daß ich Euch Narreteien verüben gesehen, ist es recht und billig, daß ich wenigstens eine mit ansehe, wiewohl Ihr mir eine absonderlich große bereits in Eurem Hierbleiben gezeigt habt.«

»Hab ich es dir nicht gesagt?« versetzte Don Quijote. »Warte nur, Sancho, so geschwind wie ein Vaterunser wird’s getan sein.«

Und er zog sich in aller Eile die Hosen aus, so daß er im bloßen Hemde dastand, machte dann im Nu etliche Luftsprünge und patschte sich dabei mit der Hand auf die Fußsohlen, schlug dann ein paar Purzelbäume, den Kopf unten, die Füße in die Höhe, und enthüllte dabei solche Dinge, daß Sancho, um sie nicht noch einmal zu sehen, den Rosinante am Zügel umlenkte und sich für hinreichend zufriedengestellt erachtete, daß er nunmehr schwören konnte, sein Herr sei wirklich verrückt. Und so wollen wir ihn seines Weges ziehen lassen bis zur Rückkehr, die nicht lange anstand.

19. Kapitel

Handelt von dem verständigen Gespräche, das Sancho mit seinem Herrn führte, und von dem Abenteuer, so dem Ritter mit einer Leiche begegnete, nebst andern großartigen Ereignissen

»Es will mich bedünken, mein edler Herr, daß all diese Unglücksfälle, die uns in den letzten Tagen zugestoßen sind, ganz gewiß die Strafe für die Sünde waren, so Euer Gnaden gegen die Pflichten Eures Rittertums begangen hat, indem Ihr den Eidschwur nicht gehalten, den Ihr getan, auf keinem Tischtuch Brot zu essen noch mit der Königin zu kurzweilen, samt alledem, was Euer Gnaden darauf noch weiter sagte und zu halten schwur, bis Ihr jenen Helm des Malandrin geraubt, oder wie der Mohr sonst heißt, ich erinnere mich nicht recht.«

»Du hast sehr recht, Sancho«, sprach Don Quijote, »aber um dir die Wahrheit zu sagen, es war mir aus dem Gedächtnis gekommen, und du kannst es ebenfalls für gewiß halten, daß um deiner Schuld willen, weil du mich nicht zur rechten Zeit daran erinnert hast, dir die Geschichte mit dem Wippen widerfahren ist. Aber ich will es wiedergutmachen; denn im Ritterorden gibt es Mittel und Wege, alles wieder auszugleichen.«

»So? Hab etwa ich etwas geschworen?« erwiderte Sancho.

»Es kommt nicht darauf an, daß du nicht geschworen hast«, sprach Don Quijote; »genug, daß ich einsehe, daß du als teilhaftig an der Sünde nicht sehr sicher bist, frei auszugehen. Aber ob so oder nicht so, es wird nicht übel sein, uns mit einem Sündenablaß zu versehen.«

»Nun, wenn es so ist«, sagte Sancho, »so möge Euer Gnaden acht haben, nicht abermals dieses zu vergessen wie jenes mit dem Eidschwur. Vielleicht kommt den Spukgestalten die Lust wieder, sich mit mir nochmals eine Ergötzlichkeit zu machen und gar mit Euer Gnaden selbst, wenn sie Euch so hartnäckig in der Sünde finden.«

Unter diesen und andren Gesprächen wurden sie inmitten der Landstraße von der Nacht überfallen und hatten nicht und fanden nicht, wo sie ihr Haupt hinlegen sollten; und was die Sache erst recht Schlimmes hatte, war, daß sie schier Hungers starben, da mit dem Fehlen des Zwerchsacks ihnen ihre Speisekammer und ihr Mundvorrat fehlten. Und um das Unglück vollständig zu machen, stieß ihnen ein Abenteuer auf, das ohne Nachhilfe romanhafter Phantasie in Wirklichkeit wie ein solches aussah.

Die Nacht war nämlich mit ziemlicher Finsternis hereingebrochen, und trotzdem ritten sie des Weges fürbaß; denn Sancho meinte, da es eine Landstraße sei, würde er zwei, drei Meilen weiter zweifellos an derselben eine Schenke finden. Und wie sie dergestalt dahinzogen, die Nacht finster, der Schildknappe hungrig und der Herr voll Eßbegierde, sahen sie, daß auf derselben Straße, die sie ritten, ihnen eine große Menge Lichter entgegenkamen, die nicht anders denn wandelnde Sterne aussahen. Sancho fiel bei dem Anblick beinahe in Ohnmacht, und Don Quijote ward es nicht wohl bei der Sache; der eine zog seinem Esel die Halfter an, der andre seinem Gaul die Zügel, und so hielten sie still und beobachteten aufmerksam, was dies sein möchte. Und sie sahen, daß die Lichter ihnen näher kamen und immer größer schienen, je mehr sie heranzogen. Bei diesem Schauspiel begann Sancho zu zittern, als hätte er Quecksilber eingenommen, und dem Ritter stand das Haar zu Berge. Dieser indessen ermannte sich einigermaßen und sprach: »Ohne Zweifel, Sancho, muß dies ein sehr großes, ein sehr gefährliches Abenteuer sein, wo es vonnöten sein wird, all meine Mannhaftigkeit und Tapferkeit zu zeigen.«

»Ich Unglückseliger!« entgegnete Sancho, »wenn etwa dies ein Abenteuer mit Geisterspuk sein sollte, wie mir es das Aussehen hat, wo soll man Rippen genug hernehmen, um das Abenteuer auszuhalten?«

»Mögen sie so viele Spukgeister sein, wie sie wollen«, antwortete Don Quijote, »ich werde nicht gestatten, daß sie dir nur an ein Fädchen deines Gewandes rühren. Wenn die Spukgestalten neulich ihr Spiel mit dir getrieben, so war’s, weil ich nicht über die Mauerbrüstung hinüberspringen konnte; jetzt aber befinden wir uns im freien Feld, wo ich mein Schwert nach Willkür schwingen kann.«

»Und wenn sie Euch verzaubern und lahmen, wie sie es jüngst getan«, sagte Sancho darauf, »was wird es frommen, im freien oder nicht freien Feld zu sein?«

»Trotz alledem«, entgegnete Don Quijote, »bitte ich dich, Sancho, fasse rechten Mut; denn welchen ich habe, wird dich die Erfahrung lehren.«

»Mut will ich schon fassen, wenn Gott will«, antwortete Sancho.

Nun zogen sich die beiden seitwärts der Straße und beobachteten aufs neue mit Aufmerksamkeit, was jener Vorgang mit den wandelnden Lichtern bedeuten möchte. Gleich darauf erblickten sie viele Gestalten in weißen Hemden, und diese furchtbare Erscheinung gab dem Mute Sancho Pansas den letzten Stoß. Ihm klapperten die Zähne wie einem, den der Frost eines viertägigen Fiebers gepackt hat, und dies Klappern und Knirschen ward noch stärker, als die beiden deutlich erkannten, was es war; sie sahen nämlich gegen zwanzig Leute mit weißen Chorhemden, alle beritten, brennende Fackeln in den Händen, und hinter ihnen kam eine in Trauer gehüllte Tragbahre, welcher wieder sechs Berittene folgten, ebenfalls in Trauer gekleidet vom Kopf bis zu den Hufen ihrer Maultiere; denn an dem ruhigen Schritt, mit dem sie einherzogen, sah man wohl, daß es keine Pferde waren. Die Hemdenträger murmelten etwas vor sich hin mit leisem kläglichem Ton.

Diese seltsame Erscheinung, zu solcher Stunde und in so menschenleerer Gegend, war wohl genügend, um Sanchos Herz, ja auch das seines Herrn, mit Furcht zu erfüllen; und so hätte es allerdings bei Don Quijote sein können, da bei Sancho bereits der letzte Rest von Mut verlorengegangen. Allein seinem Herrn erging es jetzt umgekehrt, da gerade in diesem Augenblick in seinem Geiste mit Lebensfarben die Vorstellung auftauchte, es sei dies eines der Abenteuer aus seinen Büchern.

Nämlich die Sache gestaltete sich ihm so, als sei die Tragbahre eine Leichenbahre, auf der ein hart verwundeter oder erschlagener Ritter liegen müsse, den zu rächen ihm allein vorbehalten sei. Und ohne sonst etwas zu erwägen, legte er seinen Spieß ein, setzte sich im Sattel fest und stellte sich mit edlem Feuer und Anstand inmitten des Weges auf, wo die Hemdenmänner notwendig vorüber mußten. Und als er sie in seiner Nähe sah, erhob er die Stimme und sprach: »Haltet, ihr Ritter, wer ihr auch sein möget, und gebt mir Auskunft, wer ihr seid, woher ihr kommt, wohin ihr wollt und was ihr auf dieser Bahre traget; denn nach allen Anzeichen, entweder habt ihr oder man hat an euch eine Ungebühr verübt, und es ziemt sich und ist notwendig, daß ich es wisse, entweder um euch für das Böse zu züchtigen, das ihr getan, oder aber um euch zu rächen ob des Unrechts, so man euch getan.«

»Wir müssen eilig weiter«, antwortete einer von den Hemdenträgern, »denn das Wirtshaus ist fern, und wir können uns nicht damit aufhalten, Euch all die Auskunft zu erteilen, die Ihr verlangt.«

Und seinem Maultier die Sporen gebend, ritt er weiter.

Don Quijote nahm die Antwort höchlich übel, und dem Maultier in die Zügel fallend, sprach er zu dem Reiter: »Haltet und seid höflicher und gebt mir Auskunft; wo nicht, seid ihr alle mit mir in Fehde.«

Das Maultier war scheu, und so plötzlich am Zügel gefaßt, schreckte es zusammen, bäumte sich hoch auf und schleuderte seinen Reiter über die Kruppe zur Erde. Ein Bursche, der zu Fuße nebenherging, begann, als er den Hemdenträger fallen sah, auf Don Quijote zu schimpfen, und dieser, ohnehin schon in Zorn entbrannt, fällte, ohne weiter zuzuwarten, seinen Spieß, stürzte sich auf einen der in Trauer Gehüllten und warf ihn hart verwundet zu Boden, und wie er sich darauf gegen die andern wendete, war es wahrlich der Mühe wert, zu sehen, mit welcher Hurtigkeit er sie angriff und sie auseinanderjagte; es schien nicht anders, als wenn Rosinanten augenblicks Flügel gewachsen wären, so leicht und stolz trabte er einher. Die Männer mit den Hemden waren alle furchtsame, waffenlose Leute, und so ließen sie ohne Widerstreben und im Nu den Kampf beruhen und begannen mit ihren brennenden Fackeln über das Feld zu eilen, so daß sie den Teilnehmern an einem Maskenzuge glichen, wie sie in Nächten der Lustbarkeit und Festfreude umherstreifen. Auch die Leute in den Trauerkleidern, von heftiger Furcht befallen und wie gefangen in ihren Schleppen und Priesterröcken, konnten sich nicht von der Stelle regen, so daß Don Quijote sonder Fährlichkeit sie sämtlich durchbleute und sie sehr wider ihren Willen das Feld zu räumen zwang; denn alle glaubten, das sei kein Mensch, sondern ein Teufel aus der Hölle, aus der er herausgekommen, um ihnen die Leiche abzunehmen, die sie auf der Bahre trugen.

Bei all diesem war Sancho ein aufmerksamer Zuschauer, hoch erstaunt ob der Kühnheit seines Herrn, und sprach für sich: Ohne Zweifel ist dieser mein Gebieter so tapfer und mutig, wie er selber sagt.

Auf dem Boden lag eine brennende Fackel neben dem ersten, den sein Maultier abgeworfen; bei deren Licht konnte Don Quijote den Mann sehen, und sich ihm nähernd, setzte er ihm die Eisenspitze des Spießes aufs Gesicht und rief ihm zu, sich für geschlagen zu bekennen, sonst würde er ihn töten. Worauf der Gefallene die Antwort gab: »Geschlagen bin ich zur Genüge; denn ich kann mich nicht bewegen, weil ich ein Bein gebrochen habe; ich flehe zu Euer Gnaden, wenn Ihr ein christlicher Ritter seid, mich nicht zu töten. Ihr würdet eine Sünde gegen die Kirche begehn; denn ich bin Lizentiat und habe die niederen Weihen empfangen.«

»Wer Teufel hat Euch denn hierhergebracht«, sagte Don Quijote, »da Ihr doch ein Mann der Kirche seid?«

»Wer, Señor?« entgegnete der Gefangene, »mein Unglück!«

»So droht Euch ein noch größeres«, sagte Don Quijote, »wenn Ihr mir nicht auf alles Genüge tut, was ich Euch vorher gefragt.«

»Euer Gnaden ist leicht Genüge getan«, antwortete der Lizentiat, »und sonach sollt Ihr erfahren, daß ich, wenn ich auch hierzuvor mich einen Lizentiaten genannt, doch nur Baccalaureus bin und Alonso López heiße, aus Alcobendas gebürtig bin und aus der Stadt Baéza mit elf andern Geistlichen komme, eben jenen, welches die sind, die sich mit den Fackeln zur Flucht gewendet haben. Wir gehen nach der Stadt Segovia zur Begleitung einer Leiche, die auf dieser Tragbahre liegt und welche die eines Ritters ist, der in Baéza verstorben, wo er beigesetzt wurde. Jetzt, wie gesagt, führen wir seine Gebeine in sein Erbbegräbnis über; dasselbe ist in Segovia, von wo er gebürtig ist.«

»Und wer hat ihn umgebracht?« fragte Don Quijote.

»Gott, vermittels eines pestartigen Fiebers, das ihn befiel«, erwiderte der Baccalaureus.

»Demnach«, versetzte Don Quijote, »hat mich unser Herrgott der Mühsal überhoben, die ich auf mich hätte nehmen müssen, ihn zu rächen, wenn ein anderer ihn umgebracht hätte. Aber da ihm der den Tod gesendet, der es so gewollt hat, so läßt sich nichts tun als stillschweigen und sich ducken; denn das nämliche würde ich selber tun, wenn er mich aus dem Leben abriefe. Und ich will, daß Euer Wohlehrwürden erfahre, daß ich ein Ritter aus der Mancha bin mit Namen Don Quijote und daß mein Beruf und mein Brauch ist, durch die Lande zu fahren, um alle Frevel und Verbrechen abzutun und alles Schlechte gut und alles Krumme gerade zu machen.«

»Ich weiß nicht«, entgegnete der Baccalaureus, »wie man das heißen kann, alles Krumme gerad machen; denn mich, der ich gerade war, habt Ihr krumm gemacht, da Ihr schuld seid, daß mein Bein entzwei ist, und es wird mein Leben lang nicht wieder ganz werden. Und daß Ihr Verbrechen abtut, soll heißen, daß Ihr viel im Zerbrechen tut und daß Ihr mich auf immerdar zu einem gebrochenen Mann gemacht; und indem ich Euch begegnet bin, der Ihr auf Abenteuer zieht, kommt mir dieser Abend teuer zu stehen.«

»Nicht alles«, antwortete ihm Don Quijote, »verläuft in gleicher Weise. Das Schlimme war, Herr Baccalaureus Alonso Lopéz, daß ihr des Nachts einherzoget, mit diesen Chorhemden bekleidet, mit brennenden Fackeln, Gebete murmelnd, in Trauer gehüllt, so daß man euch wirklich für nicht geheuer, für etwas aus der andern Welt halten mußte; und so konnte ich nicht umhin, meiner Pflicht gemäß zu handeln und euch anzugreifen. Ich hätte euch auch angegriffen, wenn ich sicher gewußt hätte, ihr wäret der Satan selbst und seine Teufel aus der Hölle; denn für solche hab ich euch beständig gehalten und erachtet.«

»Da es mein Schicksal einmal so gewollt hat«, sagte der Baccalaureus, »so bitte ich Euer Gnaden, fahrender Herr Ritter, durch den ich so übel gefahren bin, helft mir unter diesem Maultier hervor, das mich mit meinem einen Bein zwischen Steigbügel und Sattel eingeklemmt hält.«

»Da hätte ich wahrlich bis morgen fortreden können!« sagte Don Quijote, »worauf habt Ihr denn gewartet, mir Eure Not zu klagen?«

Sogleich rief er Sancho Pansa herbei, aber der kümmerte sich nicht ums Kommen, da er eben damit beschäftigt war, einen Proviantesel zu plündern, den mit Eßwaren wohlbeladen die guten Herren mitführten. Sancho machte aus seinem Filzmantel einen Sack; raffte zusammen, soviel ihm möglich war und in die neue Reisetasche hineinging, packte alles auf sein Tier, und dann folgte er dem Zuruf seines Gebieters, half den Herrn Baccalaureus unter der Wucht des Maultiers hervorziehen, gab ihm die Fackel in die Hand, und Don Quijote sagte ihm, er möchte dieselbe Richtung wie seine Gefährten verfolgen und sie von seinetwegen um Verzeihung bitten ob der Unbill, die zu unterlassen nicht in seiner Macht gewesen sei.

Auch Sancho sprach zu ihm: »Wenn vielleicht jene Herren wissen wollen, wer der Held war, der sie so zugerichtet, so möget Ihr ihnen sagen: Es war der berühmte Don Quijote von der Mancha, der auch mit einem andern Namen der Ritter von der traurigen Gestalt genannt wird.«

Hiermit machte sich der Baccalaureus davon, und Don Quijote fragte Sancho, was ihm jetzt eher als sonst Anlaß gegeben habe, ihn den Ritter von der traurigen Gestalt zu heißen.

»Ich will’s Euch sagen«, antwortete Sancho, »ich hab’s getan, weil ich eine Zeitlang dastand, Euch beim Lichte der Fackel anzuschauen, die jener so übelfahrende Mann trägt, und in Wahrheit hat Euer Gnaden seit kurzer Zeit die jämmerlichste Gestalt, die ich je gesehen. Daran muß entweder die Ermattung von dem Kampfe schuld sein oder das Fehlen Eurer Vorder- und Backenzähne.«

»Nicht dies ist es«, entgegnete Don Quijote, »sondern den weisen Zauberer, der ohne Zweifel die Obliegenheit hat, die Geschichte meiner Taten zu schreiben, wird es bedünkt haben, daß ich gut daran tue, irgendeinen Beinamen anzunehmen, wie alle bisherigen Ritter einen solchen annahmen; einer hieß Der vom flammenden Schwert, einer Der vom Einhorn, dieser Der von den Jungfrauen, jener Der vom Vogel Phönix, der eine Der Ritter vom Greif, der andere Der vom Tod, und unter diesen Namen und Zeichen waren sie auf dem ganzen Erdenrunde bekannt. Und also sag ich, daß der bereits erwähnte Zauberer dir es in die Gedanken und auf die Zunge gelegt haben muß, jetzt gerade solltest du mich den Ritter von der traurigen Gestalt nennen, wie ich mich auch hinfüro zu nennen gedenke. Und damit der Name um so besser auf mich passe, bin ich willens, sobald Gelegenheit sich bietet, mir auf den Schild eine sehr traurige Gestalt malen zu lassen.«

»Es ist nicht nötig, Zeit und Geld auf die Anfertigung einer solchen Gestalt zu verwenden«, sagte Sancho; »Euer Gnaden brauchen weiter nichts als Eure eigne Gestalt sehen zu lassen und denen, die Euch anschauen, das Antlitz zuzuwenden; dann werden sie ohne weitere Umstände und ohne Bild und ohne Schild Euch Den von der traurigen Gestalt benamsen. Glaubt, ich sage Euch die Wahrheit; denn ich bin Euch gut dafür – aber das will ich nur im Scherz gesagt haben –, daß der Hunger und der Mangel an Zähnen Euch ein so jämmerliches Aussehen gibt, daß das traurige Gemälde wohl entbehrlich sein wird.«

Don Quijote lachte über Sanchos Witz, aber trotzdem nahm er sich vor, sich mit diesem Namen zu nennen, sobald er seinen Ritterschild oder seine Tartsche, so wie er es sich ausgedacht, malen lassen könne. Dann sprach er: »Es ist mir klar, Sancho, ich bin im Kirchenbann, weil ich Hand an Heiliges gelegt, juxta illud: si quis suadente diabolo et cetera, obwohl ich weiß, daß ich nicht die Hand, sondern diesen Spieß anlegte. Zumal ich auch nicht glaubte, gegen Geistliche oder überhaupt Kirchliches vorzugehen, denn das alles achte und verehre ich als Katholik und getreuer Christ, der ich bin, sondern gegen Spukgestalten und Scheusale aus der andern Welt. Und selbst wenn dem so wäre, so habe ich noch im Gedächtnis, was sich mit dem Cid Ruy Diaz zutrug, als er den Sessel des Gesandten jenes Königs vor Seiner Heiligkeit dem Papste zerschmetterte, der ihn in Bann tat, und am selben Tage erschien der wackere Rodrigo von Vivár allen als ein höchst ehrenwerter tapferer Ritter.«

Als der Baccalaureus dieses hörte, zog er von dannen, wie schon gesagt, ohne ihm ein Wort zu entgegnen. Don Quijote hätte gern nachgesehen, ob der Körper, den man auf der Bahre trug, nur aus den Gebeinen bestand oder was sonst; aber Sancho gab es nicht zu und sprach zu ihm: »Señor, Euer Gnaden hat dies schwere Abenteuer am gefahrlosesten unter allen bestanden, die ich bisher erlebte. Aber es könnte immerhin geschehen, und diese Leute, wiewohl besiegt und auseinandergejagt, kämen zur Überlegung, daß ein Mann allein ihr Besieger war, und würden, ärgerlich und beschämt darüber, sich wieder sammeln und uns aufsuchen und uns was zu raten aufgeben, daß wir daran zu denken hätten. Mein Esel ist wohlversorgt, das Gebirg nahe, der Hunger drückt uns; da gibt’s nichts anderes zu tun, als uns in rascher Gangart zurückzuziehen, und dann, wie man sagt: Zum Grabe, wem der Leib tot, und wer am Leben, zum Laib Brot.«

Und den Esel vor sich hertreibend, bat er seinen Herrn, ihm zu folgen; und dieser, da ihm Sancho recht zu haben schien, folgte ohne fernere Widerrede. Nach einer kurzen Strecke Wegs, die sie zwischen zwei Hügeln wanderten, fanden sie sich in einem räumigen, versteckten Tal, wo sie abstiegen und Sancho seinen Esel ablud, und hingestreckt in das grüne Gras, nahmen sie zu gleicher Zeit ihr Frühstück, Mittagessen, Vesperbrot und Abendmahl, alles das vom Hunger gewürzt, und befriedigten ihren Magen mit gar mancher kalten Speise, welche die geistlichen Begleiter des Verstorbenen – denn dergleichen Herren lassen es sich nicht leicht an etwas fehlen – auf ihrem Proviantesel mit sich geführt hatten.

Aber jetzt stieß ihnen ein neues Unglück zu, das Sancho für das ärgste von allen hielt; sie hatten nämlich weder Wein zu trinken noch auch nur Wasser, um die Lippen zu netzen. Wie sie sich so vom Durste gequält sahen, bemerkte Sancho, daß die Wiese, auf der sie lagerten, mit frischem zartem Gras über und über bewachsen war, und sprach, was im folgenden Kapitel gesagt werden soll.

2. Kapitel

Welches von der ersten Ausfahrt handelt, die der sinnreiche Don Quijote aus seiner Heimat tat

Nachdem er alle diese Vorkehrungen getroffen, wollte er nicht länger warten, sein Vorhaben ins Werk zu setzen; es drängte ihn dazu der Gedanke an die Entbehrung, die die Welt durch sein Zögern erleide, derart waren die Unbilden, denen er zu steuern, die Ungerechtigkeiten, die er zurechtzubringen, die Ungebühr, der er abzuhelfen, die Mißbräuche, die er wiedergutzumachen, kurz, die Pflichten, denen er zu genügen gedachte. Und so, ohne irgendeinem von seiner Absicht Kunde zu geben und ohne daß jemand ihn sah, bewehrte er sich eines Morgens vor Anbruch des Tages – es war einer der heißen Julitage – mit seiner ganzen Rüstung, stieg auf den Rosinante, nachdem er seinen zusammengeflickten Turnierhelm aufgesetzt, faßte seine Tartsche in den Arm, nahm seinen Speer und zog durch die Hinterpforte seines Hofes hinaus aufs Feld, mit gewaltiger Befriedigung und Herzensfreude darob, mit wie großer Leichtigkeit er sein löbliches Vorhaben auszuführen begonnen.

Don Quijote

Aber kaum sah er sich in freiem Feld, als ihn ein schrecklicher Gedanke anfiel, und zwar ein solcher, der ihn beinahe dahin gebracht hätte, das angefangene Unternehmen wieder aufzugeben: nämlich der Gedanke, daß er nicht zum Ritter geschlagen sei und daß gemäß dem Gesetze des Rittertums er gegen keinen Ritter die Waffen führen könne noch dürfe; und wenn er es sogar schon wäre, so müßte er doch eine weiße Rüstung tragen, ohne ein Abzeichen auf dem Schild, bis er sich eines durch seine Tapferkeit gewänne. Diese Erwägungen machten ihn in seinem Vorsatze wankend; aber da seine Torheit mehr vermochte als jeglicher Vernunftgrund, nahm er sich vor, sich von dem ersten besten, auf den er stieße, zum Ritter schlagen zu lassen, in Nachahmung vieler andern, die so getan, wie er in den Büchern gelesen hatte, die ihn in solche Geistesrichtung versetzt hatten. Was die weiße Rüstung betraf, so dachte er die seine, wenn er Gelegenheit habe, dergestalt zu putzen, daß sie weißer werde als ein Hermelin. Und damit beruhigte er sich und setzte seinen Weg fort, ohne einen andern einzuschlagen, als den sein Pferd wollte; denn er meinte, gerade darin bestünde das rechte Wesen der Abenteuer.

Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. – Und in der Tat ritt er eben darüber hin.

Und er sagte weiter: Glücklich das Zeitalter und glücklich das Jahrhundert, wo dereinst ans Licht treten die ruhmvollen Taten mein, würdig, in Erz gegraben, in Marmor gemeißelt, auf Tafeln gemalt zu werden zum Angedenken in aller Zukunft! O du weiser Zauberer, wer auch immer du seiest, dem es zuteil werden soll, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte zu sein, ich bitte dich, meines guten Rosinante nicht zu vergessen, meines ewigen Gefährten auf all meinen Wegen und Bahnen.

Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet.

An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte.

Beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas begegnete, was zum Erzählen wäre, und darüber wollte er schier verzweifeln; denn gern hätte er gleich zur Stelle auf jemand treffen mögen, an dem er die Tapferkeit seines starken Armes erproben könnte.

Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andre sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand, ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren; und daß, nach allen Seiten hin spähend, ob er irgendeine Burg oder einen Hirtenpferch entdeckte, wo er eine Zuflucht finden und seinem großen Notstand abhelfen könnte, er nicht weit von dem Weg, den er ritt, eine Schenke erblickte. Da war ihm, als sähe er einen Stern, der ihn zur Pforte – wenn auch nicht in den Palast – seiner Erlösung leitete. Er beschleunigte seinen Ritt und langte eben zur Zeit an, wo es Abend wurde.

Hier standen von ungefähr an der Tür zwei junge Frauenzimmer, aus der Zahl jener, welche man Die von der leichten Zunft benennt; sie waren auf der Reise nach Sevilla mit Maultiertreibern, die zufällig diese Nacht in der Schenke Rast hielten. Und da es unsern Abenteurer bedünkte, alles, was er auch immer dachte, sah oder sich einbildete, sei so beschaffen und trage sich so zu wie die Dinge, die er gelesen hatte, so kam es ihm sogleich vor, da er die Schenke sah, sie sei eine Burg mit ihren vier Türmen und Turmhauben von glänzendem Silber, ohne daß ihr ihre Zugbrücke und ihr tiefer Graben fehlte, nebst allen jenen Zubehörungen, womit man dergleichen Burgen malt. Er ritt näher an die Schenke heran – die ihm eine Burg schien –, und eine kurze Strecke von ihr hielt er seinem Rosinante die Zügel an und wartete, daß irgendein Zwerg sich zwischen den Zinnen zeige, um mit einer Drommete oder dergleichen das Zeichen zu geben, daß ein Ritter der Burg nahe. Da er aber sah, daß man zögerte, und Rosinante nach dem Stall Eile hatte, ritt er vor die Tür der Schenke und erblickte die beiden liederlichen Dirnen, die dort standen und die ihm als zwei schöne Fräulein oder anmutvolle Edelfrauen erschienen, die vor der Burgpforte sich erlusten mochten.

Im selben Augenblicke geschah es zufällig, daß ein Schweinehirt, der eine Herde Schweine – denn es ist nicht zu ändern, so heißen sie einmal – von den Stoppelfeldern heimtrieb, in sein Horn stieß, auf welches Zeichen sie heimwärts ziehen; und augenblicklich stellte sich unserm Don Quijote alles dar, was er wünschte, nämlich daß ein Zwerg das Zeichen seiner Ankunft gebe. Und so, mit außerordentlicher Befriedigung, nahte er der Schenke und den Damen; diese aber, als sie einen in solcher Weise gerüsteten Mann, mit Speer und Tartsche, heranreiten sahen, wollten voller Angst in die Schenke hinein. Jedoch Don Quijote, der aus ihrer Flucht auf ihre Ängstlichkeit schloß, hob das Pappdeckelvisier empor, und sein dürres, bestäubtes Gesicht halb aufdeckend, sprach er zu ihnen mit freundlicher Gebärde und sachter Stimme: »Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.«

Die Dirnen schauten ihn an und suchten mit den Augen hin und her nach seinem Gesicht, das das schlechte Visier zum Teil verdeckte; aber da sie sich Jungfrauen nennen hörten, ein so ganz außerhalb ihres Berufs liegendes Wort, konnten sie das Lachen nicht zurückhalten, und es war so arg, daß Don Quijote in Zorn geriet und ihnen sagte: »Gut steht Höflichkeit den Schönen, und zudem ist zu große Einfalt das Lachen, so aus unerheblicher Ursache entspringt. Indessen sage ich Euch das nicht, auf daß Ihr Euch etwa kränktet oder unfreundlichen Mut zeigtet; denn der meine steht auf andres nicht, als Euch zu Diensten zu sein.«

Diese von den Damen nicht verstandene Sprache und die übel aussehende Gestalt unsres Ritters vermehrten bei ihnen das Lachen und dies Lachen bei ihm den Ärger, und er wäre vielleicht sehr weit gegangen, wenn im nämlichen Augenblick nicht der Wirt gekommen wäre, ein Mann, der, weil sehr wohlbeleibt, sehr friedfertig war. Als dieser die seltsam entstellte Figur sah, bewehrt mit so schlecht zusammenpassenden Rüstungsstücken wie Zügel und Speer, Tartsche und Koller, war er ganz nahe daran, den Fräulein in den Äußerungen ihrer Heiterkeit Gesellschaft zu leisten; doch da er diese ganze Kriegsmaschinerie in der Tat fürchtete, entschied er sich dafür, ihn mit Höflichkeit anzureden, und somit sprach er zu ihm: »Wenn Euer Gnaden, Herr Ritter, Herberge sucht, so wird, mit Ausnahme des Bettes – denn in dieser Schenke gibt es keines –, alles andre sich hier im größten Überflusse finden.«

Als Don Quijote das demütige Benehmen des Befehlshabers der Feste sah – denn dafür hielt er den Wirt und die Schenke –, antwortete er: »Für mich, Herr Kastellan, genügt jegliches, was es auch immer sei, denn

Meine Zierat sind die Waffen,
Und mein Ausruhn ist der Kampf,

und so weiter.«

Der Wirt vermeinte, daß er ihn Kastellan geheißen, sei darum geschehen, weil er ihm einer von den ehrlichen Kastilianern, das ist Gaunern, geschienen, wiewohl er doch ein Andalusier war, freilich einer vom Strande von Sanlúcar, nicht weniger diebisch als Cacus und kein geringerer Schalk als ein Student oder ein Page. Und somit entgegnete er ihm: »Hiernach ist ohne Zweifel Euer Bette harter Felsen, Euer Schlaf ein stetes Wachen; und da dem so ist, so könnt Ihr getrost hier absteigen mit der Gewißheit, daß Ihr in dieser Hütte Gelegenheit und Gelegenheiten findet, um in einem ganzen Jahre, wieviel mehr in einer Nacht, nicht in Schlaf zu kommen.«

Und so redend, hielt er Don Quijote den Steigbügel; der stieg mit vieler Schwierigkeit und Mühe ab, da er den ganzen Tag noch nichts über die Lippen gebracht hatte. Alsbald sagte er dem Wirt, er möchte ihm für sein Pferd besondre Fürsorge tragen, denn es sei das allerbeste Tier, das auf Erden sein Futter fresse. Der Wirt beschaute es, und es dünkte ihm lange nicht so preisenswürdig, als Don Quijote sagte, ja nicht einmal halb so gut, und nachdem er es im Stall untergebracht, kam er wieder, um zu sehen, was sein Gast begehre. Diesem waren die Fräulein – die sich bereits mit ihm ausgesöhnt – im Begriffe, die Rüstung abzunehmen; doch obwohl sie ihm bereits das Koller von der Brust und das Schulterblech gelöst, verstanden und vermochten sie nimmer, ihm die Halsberge aus dem Verschluß zu bringen, noch ihm das nachgemachte Visier abzunehmen, welches er mit grünen Schnüren festgebunden trug; es wäre erforderlich gewesen, diese zu zerschneiden, weil man die Knoten nicht lösen konnte, aber er wollte unter keiner Bedingung dareinwilligen. Und so blieb er diesen ganzen Abend mit seinem Turnierhelm auf dem Kopfe, was die komischste und seltsamste Figur abgab, die zu erdenken war. Beim Abnehmen der Rüstung, da er sich einbildete, die Landstreicherinnen, die ihn entwehrten, seien vornehme Frauen, Damen aus dieser Burg, sprach er zu ihnen mit höchst anmutigem Gebaren:

»Niemals ward annoch ein Ritter
So wie jetzo Don Quijote
Wohl bedient von holden Damen,
Da er kam aus seinem Dorfe;
Edle Fräulein pflagen sein,
Und Prinzessen seines Rosses,

oder seines Rosinante; denn dies, meine Damen, ist der Name meines Pferdes und Don Quijote von der Mancha der meinige. Denn obschon ich mich nicht zu erkennen geben wollte, bis meine zu Eurem Dienst und Frommen vollführten Taten mich kundbar gemacht hätten, so ist doch der Drang, diese alte Romanze dem gegenwärtigen Zwecke anzupassen, Veranlassung geworden, daß Ihr meinen Namen lang vor der rechten Zeit erfahret. Allein der Tag wird kommen, wo Euer Erlaucht mir gebieten mögen und ich gehorchen und die Tapferkeit meines Armes den Wunsch offenbaren kann, den ich Euch zu dienen hege.«

Die Mädchen, an solcherlei Redensarten nicht gewöhnt, erwiderten kein Wort; sie fragten ihn nur, ob er etwas zu essen wünsche. »Wohl möchte ich einen Imbiß nehmen, was es auch sei«, antwortete Don Quijote; »denn wie ich merke, würde es mir sehr zustatten kommen.«

Zufälligerweise war es gerade Freitag, und in der ganzen Schenke gab es nichts als geringen Vorrat von einem Fische, den man in Kastilien Stockfisch, in Andalusien Kabeljau, in andern Gegenden Laberdan, in wieder andern Forellchen nennt. Man fragte ihn, ob vielleicht Seine Gnaden Forellchen genießen möchten, da kein andrer Fisch ihm vorzusetzen da sei. »Wenn nur viele Forellchen da sind«, erwiderte Don Quijote, »so können sie zusammen für eine Forelle dienen; denn es ist ganz dasselbe, wenn man mir acht Realen in Einzelstücken, wie wenn man mir ein Achtrealenstück gibt, um so mehr, da es doch sein könnte, daß es sich mit diesen Forellchen verhielte wie mit dem Kalbfleisch, das besser ist als Kuhfleisch, und mit dem Zicklein, das besser als der Geißbock. Aber sei es, wie es sei, es soll nur gleich kommen, denn die Mühsal und das Gewicht der Rüstung läßt sich nicht tragen ohne den Unterhalt des Magens.«

Man stellte ihm den Tisch vor die Tür der Schenke, um der Kühle willen, und es brachte ihm der Wirt eine Portion des schlecht gewässerten und noch schlechter gekochten Stockfisches und ein Brot, so schwarz und schmierig wie seine Rüstung. Aber es war gar sehr zum Lachen, ihn essen zu sehen, denn da er den Helm auf dem Kopfe hatte und das Visier in die Höhe hielt, so konnte er nichts mit seinen eigenen Händen in den Mund stecken, wenn nicht ein andrer es ihm gab und hineinsteckte; und so pflag eine jener Damen dieses Dienstes. Jedoch ihm zu trinken zu geben war unmöglich und würde unmöglich geblieben sein, wenn der Wirt nicht ein Schilfrohr ausgehöhlt und ihm das eine Ende in den Mund gehalten und zum andern ihm den Wein eingegossen hätte. Und alles dies nahm er mit Geduld auf, damit er nur nicht die Schnüre seines Visiers zu zerschneiden brauchte.

Wie man so weit war, kam zufällig ein Schweinschneider vor die Schenke, und wie er anlangte, blies er vier- oder fünfmal auf seiner Rohrpfeife. Das bestärkte Don Quijote vollends darin, daß er in irgendeiner berühmten Burg sei und daß man ihn mit Tafelmusik bediene und daß der Stockfisch eine Forelle, das Brot Weizenbrot, die Dirnen edle Damen und der Wirt Burgvogt dieser Feste sei; und somit fand er seinen Entschluß und seine Ausfahrt wohlgelungen. Was ihn jedoch hierbei noch sehr quälte, war, sich noch nicht zum Ritter geschlagen zu sehen, weil es ihn bedünkte, er könne sich nicht rechtmäßig in irgendwelches Abenteuer einlassen, ohne vorher den Ritterorden zu empfangen.

20. Kapitel

Von dem noch nie erhörten und noch nie gesehenen Abenteuer, welches selbst der allervortrefflichste Ritter auf Erden nicht mit so wenig Gefahr bestanden hätte als der mannhafte Don Quijote von der Mancha

»Es ist nicht anders möglich, edler Herre mein, dieses Gras gibt Zeugnis, daß hier herum eine Quelle oder ein Bach sein muß, der das Gras befeuchtet, und sonach wird es gut sein, etwas weiterzuwandern; dann finden wir bald einen Ort, wo wir den schrecklichen Durst lindern können, der uns quält; denn der verursacht ohne Zweifel größere Pein als der Hunger.«

Der Rat gefiel Don Quijote; er nahm Rosinante am Zügel, Sancho seinen Esel am Halfter, nachdem er auf denselben die Überbleibsel des Mahles geladen, und sie wanderten die Wiese tappend hinauf, da die Finsternis der Nacht sie durchaus nichts erkennen ließ. Sie hatten aber nicht zweihundert Schritte zurückgelegt, als zu ihren Ohren ein mächtiges Rauschen von Wasser drang, als ob es von gewaltigen hohen Felsenklippen herabstürze. Das Rauschen freute sie über die Maßen; aber als sie hielten und horchten, in welcher Richtung sich dies Rauschen hören lasse, da vernahmen sie plötzlich ein andres Getöse, das ihnen die Freude über das Wasser zu Wasser machte, besonders dem armen Sancho, der von Natur furchtsam und gar geringen Mutes war. Sie hörten nämlich ein taktmäßiges Stampfen, dazu ein gewisses Klirren von Eisen und Ketten, was im Verein mit dem wütigen Tosen des Wassers jedes andere Herz als das Don Quijotes mit Bangen erfüllt hätte. Die Nacht war, wie gesagt, finster, und sie waren eben in ein Wäldchen hochwipfliger Bäume gelangt, deren Blätter, von sanftem Winde bewegt, schauerlich leise rauschten, so daß die einsame Öde, die Lage des Ortes, die Finsternis, das Brausen des Wassers mit dem Surren der Blätter, alles, alles Grausen und Entsetzen weckte, zumal als sie bemerkten, daß weder das Stampfen aufhörte, noch der Wind ruhte, noch der Morgen herannahte, zu allen welchen Schrecknissen noch das kam, daß es ihnen durchaus unbekannt war, wo sie sich befanden.

Aber Don Quijote, im alleinigen Geleite seines unverzagten Herzens, sprang auf Rosinante, und seinen Schild an den Arm nehmend, schwang er seinen Spieß und sprach: »Sancho, mein Freund, du mußt wissen, daß ich, durch des Himmels Fügung in diesem eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in ihm das Goldene zur Auferstehung zu wecken. Ich bin der, für den die Gefahren, die Großtaten, die Werke des Heldentums aufgespart sind; ich bin der, sage ich nochmals, durch den die Ritter der Tafelrunde, die zwölf Pairs von Frankreich und die neun Männer des Ruhms wiederauferstehen und welcher die Platir, die Tablante, Olivante und Tirante, die Sonnenritter und Belianís in Vergessenheit bringen wird, sowie die ganze Schar der berühmten fahrenden Ritter der vergangenen Zeit, indem ich in dieser jetzigen, in der ich lebe, solche gewaltigen Werke, außerordentlichen Dinge und Waffentaten vollbringen werde, daß sie die glänzendsten, welche jene Helden vollbracht, in Schatten stellen sollen. Du bemerkst wohl, biederer, pflichtgetreuer Knappe, die Finsternisse dieser Nacht und ihre seltsam tiefe Stille, das dumpfe verworrene Rauschen von diesen Bäumen herab, das erschreckliche Brausen dieses Wassers, das wir aufzusuchen kamen und das so gewaltig toset, als ob es von dem hohen Mondgebirge stürzte und herniederströmte; und endlich jenes unaufhörliche Stampfen und Hämmern, das uns an die Ohren pocht und sie zerquält. All dies zusammen wie jedes einzelne für sich wäre hinreichend, um Furcht, Schrecken und Entsetzen in die Brust des Gottes Mars selbst einzugießen, wieviel mehr also dessen, der solcher Begebnisse und Abenteuer nicht gewohnt ist. Wohlan, alles dies, was ich dir male, sind nur Reizmittel und Auferwecker meines Mutes, der bereits mich so erfüllt, daß das Herz mir schier den Busen sprengt vor Gier, mich in dieses Abenteuer zu stürzen, ob es sich auch noch so schwierig zeige. Mithin zieh dem Rosinante den Gurt etwas fester an und bleibe hier mit Gott und erwarte mich an dieser Stelle, bis drei Tage vorüber sind, und nicht länger. Kehre ich binnen dieser Frist nicht zurück, so kannst du dich nach unserm Dorfe heimwenden, und von da, um einen großen Dienst und ein gutes Werk an mir zu tun, gehst du nach Toboso, wo du meiner unvergleichlichen Herrin Dulcinea sagst, daß der Ritter, den sie in Banden hielt, gestorben, weil er sich an Taten wagte, die ihn würdig machen sollten, sich den ihrigen zu nennen.«

Als Sancho diese Worte seines Herrn vernahm, brach er mit der denkbar größten Rührung in Tränen aus und sprach zu ihm: »Señor, ich weiß nicht, warum Euer Gnaden sich in dies so schreckliche Abenteuer stürzen will; es ist jetzt Nacht, hier sieht uns keiner; ganz gut können wir einen andern Weg einschlagen und der Gefahr ausweichen, sollten wir auch drei Tage lang nichts zu trinken bekommen. Und da niemand da ist, der uns sieht, ist um so sicherer niemand da, der uns der Feigheit bezichtigen kann. Zumal ich auch gar oft den Pfarrer unsres Orts, den Euer Gnaden ja sehr gut kennt, predigen hörte: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Sonach ist es nicht recht, Gott zu versuchen mit einem so ungeheuren Wagnis, aus dem zu entrinnen nur durch ein Wunder möglich; und es ist schon genug an den Wundern, die der Himmel für Euer Gnaden getan, indem er Euch davor bewahrte, gewippt zu werden, wie es mir geschehen, und Euch siegreich, frei und mit heiler Haut aus der Mitte all der vielen Feinde, die die Leiche geleiteten, herausgerissen hat. Und wenn all dieses Euer hartes Herz nicht rührt und erweicht, so möge es sich rühren lassen durch den Gedanken, ja durch die Gewißheit, daß, sowie Euer Gnaden sich von hier entfernt, ich alsbald vor Angst meine Seele jedem beliebigen preisgebe, der Lust hat, sie zu holen. Ich zog aus meiner Heimat fort und verließ Kinder und Weib, um Euer Gnaden zu dienen, weil ich glaubte, herauf- und nicht herunterzukommen. Aber wie Habgier den Säckel sprengt, so ist nichts geworden aus meinen Hoffnungen; denn als ich gerade am zuversichtlichsten erwartete, die verwünschte und unglückselige Insul zu gewinnen, die Euer Gnaden mir versprochen hat, da seh ich, daß Ihr zur Vergütung und Entschädigung dafür mich jetzt in einer öden, von allem Menschenverkehr fern abliegenden Stätte verlassen wollt. Bei dem einzigen Gott, lieber Herre mein, wollet nicht solchergestalt an mir missetun. Wollt Ihr aber durchaus nicht ablassen, diese Tat zu wagen, so verschiebt es wenigstens bis morgen; denn wie mir die Erfahrung zeigt, die ich mir erwarb, als ich Schäfer war, muß es von jetzt bis zum Frührot nicht drei Stunden sein, da die Schnauze des kleinen Bären sich über unserm Kopfe befindet und die Mitternacht in der Linie des rechten Armes steht.«

»Wie kannst du, Sancho«, sprach Don Quijote, »sehen, wo jene Linie steht, noch wo die Schnauze oder wo der Kopf, wovon du sprichst, sich befindet, wenn die Nacht so finster ist, daß am ganzen Himmel nicht ein einziger Stern erscheint?«

»Das ist wahr«, entgegnete Sancho, »aber die Furcht hat tausend Augen und sieht, was unter der Erde, wieviel mehr, was oben am Himmel ist, da man ja auch schon durch richtige Überlegung wissen kann, daß von jetzt bis zum Tage nur noch wenige Zeit fehlt.«

»Mag fehlen, was da will«, erwiderte Don Quijote, »von mir soll weder jetzt noch jemals gesagt werden, daß Tränen und Bitten mich von dem abgebracht haben, was zu tun ich nach Rittersitte verpflichtet war. Und so bitte ich dich, Sancho, zu schweigen; denn Gott, der mir es ins Herz gelegt, mich jetzt an dies so unerhörte und so schreckliche Abenteuer zu wagen, wird darauf bedacht sein, für mein Wohlergehen Sorge zu tragen und deinen traurigen Sinn zu trösten. Was du zu tun hast, ist, dem Rosinante den Gurt fest anzuziehen und hierzubleiben; denn sehr bald kehre ich wieder, lebend oder tot.«

Als nun Sancho den letzten Entschluß seines Herrn vernahm und sah, wie wenig seine Tränen, Ratschläge und Bitten bei jenem vermochten, nahm er sich vor, seine Zuflucht zur List zu nehmen und ihn womöglich zu zwingen, bis zu Tagesanbruch zu warten. Während er also dem Rosinante den Gurt fester schnallte, schnürte er sachte und unvermerkt dem Gaul beide Beine mit der Halfter seines Esels zusammen, so daß Don Quijote, als er fortreiten wollte, dazu nicht imstande war, weil der Gaul sich nur in kurzen Sprüngen bewegen konnte. Als Sancho den guten Erfolg seines tückischen Anschlags gewahr wurde, sprach er: »Wohlan, Señor, der Himmel, von meinen Tränen und flehentlichen Bitten bewegt, hat es so gefügt, daß Rosinante sich nicht von der Stelle rühren kann, und wenn Ihr dennoch auf Eurem Sinn beharren und ihm Sporn und Peitsche geben wollt, so würde das heißen, das Geschick zu erzürnen und, wie man sagt, wider den Stachel zu locken.«

Don Quijote geriet darob in helle Verzweiflung, und je mehr er dem Gaul die Sporen einsetzte, um so weniger konnte er ihn von der Stelle bringen. Ohne daß er auf die Zusammenschnürung des Gaules kam, hielt er es nun für geraten, ruhig zu bleiben und abzuwarten, entweder bis der Tag käme oder bis Rosinante sich wieder frei bewegen könne; denn er zweifelte gar nicht daran, daß die Geschichte von etwas ganz anderem als von einem listigen Streich Sanchos herrühre. Und daher sagte er zu ihm: »Da es einmal so ist, Sancho, daß Rosinante sich nicht rühren kann, so bin ich es zufrieden, abzuwarten, bis die Morgenröte lacht, wiewohl ich weinen möchte über die Frist, die sie zu kommen zögert.«

»Es ist kein Grund zu weinen«, antwortete Sancho, »ich will Euer Gnaden mit Erzählen von allerhand Geschichten von jetzt bis zu Tagesanbruch unterhalten, wenn Ihr nicht etwa absteigen und Euch nach Brauch der fahrenden Ritter ein wenig aufs Gras werfen wollt, um zu schlafen, damit Ihr desto besser ausgeruht seid, wenn der Tag und mit ihm der Augenblick kommt, Euch an das Abenteuer ohnegleichen zu wagen, das Euer harret.«

»Was heißest du absteigen; was heißest du schlafen?« sprach Don Quijote. »Gehöre ich etwa zu den Rittern, die in Gefahren der Ruhe pflegen? Schlafe du, der du zum Schlafen geboren bist, oder tue, was du sonst willst; ich aber werde tun, was meinem Vorhaben am besten ziemt.«

»Erzürnt Euch nicht, werter Herre mein«, entgegnete Sancho, »ich habe es nicht in solchem Sinne gesagt.« Und sich dicht an ihn drängend, legte er die eine Hand auf den vordem, die andre auf den hintern Sattelbogen, so daß er den linken Schenkel seines Herrn umfaßt hielt, ohne daß er es wagte, sich um eines Fingers Breite von ihm zu entfernen; solche Angst empfand er ob der gewaltigen Stöße, die noch immer, einer nach dem andern, im Takt erschollen.

Jetzt sagte ihm Don Quijote, er solle irgendeine Geschichte erzählen, um ihn zu unterhalten, wie er es ihm versprochen habe; worauf Sancho erwiderte, er wolle es allerdings tun, das heißt, wenn es ihm die Angst vor dem, was er höre, gestatten würde. »Aber trotz alledem«, so sprach er, »will ich mir Mühe geben, eine Geschichte vorzutragen, und wenn ich es fertigbringe, sie zu erzählen, und wenn ich nicht gestört werde, so ist es die beste unter allen Geschichten, und Ihr müßt gehörig aufmerken, denn ich fange jetzt an.

Es war einmal, das ist schon lange her, und wenn was Gutes kommt, so soll’s für jedermann kommen, und alles Böse soll für den sein, der nach Bösem trachtet. Und hierbei merket wohl, lieber gnädiger Herr: die Alten setzten bei ihren Märlein nicht so mir nichts, dir nichts einen beliebigen Anfang, sondern das war immer ein Spruch von Cato, dem römischen Zänkerinus, und der lautet: Alles Böse für den, der nach Bösem trachtet. Und das paßt hier, wie ein Ring an den Finger paßt, das bedeutet, daß Ihr Euch in Ruhe faßt und nirgends hingeht, nach Bösem zu trachten, sondern daß wir auf einem andern Weg zurückkehren, sintemal uns keiner zwingt, diesen Weg zu verfolgen, wo tausend Ängste über uns hereinbrechen.«

»Verfolge du deine Geschichte«, sprach Don Quijote, »und für den Weg, den wir zu verfolgen haben, überlaß mir die Sorge.«

»Ich sage also«, fuhr Sancho fort, »in einem Ort in Estremadura war ein Zieger, ich meine einen, der die Ziegen hütete, welcher Zieger oder Ziegenhirt, wie ich in meiner Geschichte finde, Lope Ruiz hieß; und dieser Lope Ruiz war in eine Hirtin verliebt, die Torralba hieß, welche Hirtin, die da Torralba hieß, die Tochter eines reichen Herdenbesitzers war, welcher reiche Herdenbesitzer …«

»Wenn du auf diese Weise deine Erzählung erzählst, Sancho«, sprach Don Quijote, »und zweimal wiederholst, was du sagst, wirst du nicht in zwei Tagen fertig. Sag alles ordentlich, eins nach dem andern, und erzähl es wie ein vernünftiger Mensch. Wo nicht, sag lieber nichts.«

»Auf die Art, wie ich’s erzähle«, antwortete Sancho, »werden bei mir zu Lande alle Märlein erzählt, und auf andre Art kann ich nicht erzählen, und Euer Gnaden tut nicht wohl daran, zu verlangen, daß ich einen neuen Brauch aufbringe.«

»Sprich denn, wie du willst«, entgegnete Don Quijote, »und da ich nach des Schicksals Willen nicht vermeiden kann, dich anzuhören, so fahre fort.«

»Also, herzliebster Herre mein«, fuhr Sancho fort, »wie ich schon gesagt, der Hirt war in Torralba, die Hirtin, verliebt, die war eine kugelrunde Dirne und spröde und hatte schier etwas vom Mannsbild an sich; denn sie hatte ein dünnes Schnurrbärtchen, ich meine, ich sehe sie noch vor mir.«

»Also hast du sie gekannt?« fragte Don Quijote.

»Ich hab sie nicht gekannt«, antwortete Sancho, »aber der mir diese Geschichte erzählt hat, der sagte mir, sie sei so gewißlich wahr, daß ich, wenn ich sie einem andern wiedererzählte, ganz wohl behaupten und beschwören könnte, ich hätte alles selber gesehen. Also wie ein Tag nach dem andern so kam und ging, so hat der Teufel, der niemals schläft und alles gern untereinanderbringt, es fertiggebracht, daß die Liebe, die der Hirt zur Hirtin trug, sich in Haß und feindseligen Sinn verwandelt hat, und die Ursache waren, wie böse Zungen sagen, eine schwere Menge Eifersüchteleien, zu denen sie ihm Anlaß gab, Dinge, die über die rechten Schranken hinausgingen und ans Verbotene grenzten; und der Hirte hatte von der Zeit an einen so großen Widerwillen gegen sie, daß er, um sie nicht mehr zu sehen, aus der Gegend wegziehen wollte, um wohin zu gehen, wo er sie nimmer vor die Augen bekäme. Die Torralba, als sie sich von Lope verschmäht sah, bekam sie ihn gleich sehr lieb, weit lieber als je zuvor.«

»Das ist die eigentümliche Natur der Weiber«, sagte Don Quijote, »den zu verschmähen, der liebend um sie wirbt, und den zu lieben, der sie haßt. Fahre fort, Sancho.«

»Es geschah nun«, sprach Sancho, »daß der Hirt seinen Entschluß ins Werk setzte, und seine Herde vor sich hertreibend, wanderte er durch das Gefilde von Estremadura, um nach den portugiesischen Landen hinüberzuziehen. Das hat die Torralba erfahren, ist hinter ihm hergewandert und ihm von weitem gefolgt, zu Fuß, ohne Strümpfe und Schuhe, mit einem Schäferstab in der Hand und einem Zwerchsack am Hals, worin sie, wie erzählt wird, ein Stückchen von einem Spiegel und einen halben Kamm trug und ein Töpfchen mit ich weiß nicht was für Schminke fürs Gesicht. Aber laßt sie bei sich tragen, was sie tragen mag, ich will mich jetzt nicht damit aufhalten, es näher zu ermitteln. Ich will nur sagen, daß man sagt, der Hirt kam mit seiner Herde hin, um über den Fluß Guadiana zu setzen, und der war um selbige Jahreszeit hoch angeschwollen und schier über seine Ufer getreten; und am Orte, wo er hinkam, war kein Boot und keine Fähre und kein Ferge, der ihn und seine Herde aufs andre Ufer hinüberbrächte, worüber er sich sehr betrübte; denn er sah, daß die Torralba schon ganz nahe war und ihm gewiß mit ihren Bitten und Tränen sehr beschwerlich fallen würde. Jedennoch, er tat sich lange umschauen, bis er zuletzt einen Fischer erblickte, der ein Boot bei sich hatte, und das war so klein, daß nur eine Person mit einer Ziege hineinging; aber trotzdem sprach er ihn an und wurde handelseinig mit ihm, er solle ihn übersetzen und die dreihundert Ziegen, die er bei sich hatte. Der Fischer stieg ins Boot und setzte eine Ziege über, fuhr zurück und setzte wieder eine über, fuhr abermals zurück und setzte abermals eine über; nun wolle Euer Gnaden genaue Rechnung über die Ziegen führen, die der Fischer nach und nach übersetzt; denn wenn sich Euch eine aus dem Gedächtnis verliert, so ist die Geschichte gleich aus, und es wird unmöglich, nur noch ein Wörtlein davon zu erzählen. Ich gehe also weiter und sage, der Landungsplatz auf dem andern Ufer war voller Kot und schlüpfrig, und der Fischer brachte lange zu mit dem Hinüber- und Herüberfahren; aber dessenungeachtet fuhr er zurück, um wieder eine Ziege zu holen, und wieder eine und nochmals eine.«

»Nimm an, er habe sie alle übergesetzt«, sagte Don Quijote, »und fahre nicht ewig so hinüber und wieder herüber, sonst wirst du in einem ganzen Jahr nicht fertig mit dem Übersetzen deiner Ziegen.«

»Wieviel Ziegen sind nun jetzt hinüber?« fragte Sancho.

»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?« antwortete Don Quijote.

»Das eben habe ich ja gesagt, Ihr solltet genaue Rechnung führen; denn, bei Gott, die Erzählung ist aus, es läßt sich unmöglich fortfahren.«

»Wie kann das sein?« entgegnete Don Quijote; »ist es denn so wesentlich bei der Geschichte, die übergesetzten Ziegen Stück für Stück zu wissen, daß du, wenn man sich um eine in der Zahl irrt, mit der Erzählung nicht fortfahren kannst?«

»Nein, Señor, ich kann’s durchaus nicht«, erwiderte Sancho; »denn als ich Euer Gnaden fragte, wieviel Ziegen hinüber seien, und Ihr mir antwortetet, Ihr wüßtet es nicht, im selben Augenblick ging mir alles aus dem Gedächtnis weg, was noch übrig zu sagen war, und wahrhaftig, es war höchst wertvoll und ergötzlich.«

»Demnach«, sagte Don Quijote, »ist’s mit der Geschichte jetzt aus?«

»So aus ist’s wie mit meiner Mutter selig«, sprach Sancho.

»In Wahrheit sage ich dir«, entgegnete Don Quijote, »du hast da eine ganz neue Mär oder Erzählung oder Geschichte vorgebracht, eine der merkwürdigsten in der Welt, die jemand zu erdenken vermöchte, und eine solche Art, sie zu erzählen und sie abzubrechen, wird man all seine Lebtage nicht so leicht wiederfinden und hat sie noch niemals gefunden. Ich habe in der Tat von deinem Scharfsinn nichts andres erwartet. Aber ich wundre mich nicht darüber; denn wohl mag dir das unaufhörliche Stampfen den Geist wirr gemacht haben.«

»Das kann alles sein«, antwortete Sancho, »aber ich weiß ganz sicher, in meiner Erzählung läßt sich nichts weiter sagen; denn wo der Irrtum im Zählen der Ziegen anfängt, da hört die Geschichte auf.«

»Mag sie in Gottes Namen aufhören, wo sie will«, sagte Don Quijote, »wir aber wollen zusehen, ob Rosinante sich jetzt von der Stelle rühren kann.«

Er gab dem Gaul nun wiederum die Sporen, und der sprang wieder in kurzen Sätzen in die Höhe und blieb dann stehen, so festgebunden war er.

Jetzt aber – ob nun die Kühle des bereits nahenden Morgens daran schuld war oder ob Sancho am Abend allerlei Abführendes verspeist hatte oder ob es nur der naturgemäße Verlauf der Dinge war, was am ehesten glaublich ist –, jetzt kam ihn der Wunsch und Drang an, zu verrichten, was kein andrer für ihn verrichten konnte. Indessen war die Furcht, die in sein Herz eingezogen, so groß, daß er sich nicht getraute, von seines Herrn Seite nur um die Breite des Schwarzen am Nagel zu weichen. Daß er aber daran dächte, von seinem Gelüste abzustehen, das war ebenso unmöglich. Was er nun tat, um aus der Klemme zu kommen, war dies: er nahm die rechte Hand vom hintern Sattelbogen weg und zog dann mit ihr behutsam und in aller Stille die laufende Schleife auf, die allein und ohne weiteres Hilfsmittel seine Hosen in die Höhe hielt, und sowie er sie gelöst, fielen die Hosen sofort herab und hingen um ihn her wie Beinschellen. Hierauf zog er, so gut es ging, das Hemd in die Höhe und streckte in die Lüfte zwei Sitzteile hinaus, die nicht allzu klein waren. Dieses vollbracht – und er glaubte, es sei damit das meiste bereits geschehen, was er zur Rettung aus diesen schrecklichen Bedrängnissen und Ängsten zu tun hatte –, überkam ihn eine andre, noch größere Besorgnis; es bedünkte ihn nämlich, er werde nicht ohne Geräusch und Lärm sein Geschäft verrichten können. Da begann er die Zähne zusammenzubeißen und die Schultern hochzuziehen und den Atem soweit nur möglich anzuhalten; aber unerachtet all dieser Vorsichtsmaßregeln war er so unglücklich, daß er zuletzt ein kleines Geräusch hören ließ, sehr verschieden von dem, das ihn so sehr in Besorgnis setzte.

Don Quijote hörte es und fragte: »Was für ein Getöne ist dieses, Sancho?«

»Ich weiß nicht, Señor«, antwortete er, »das muß ein neues Begebnis sein; denn bei jedem Abenteuer ist es nicht geheuer, und Glück und Unglück fängt nimmer mit Kleinem an.«

Jetzt begann er wieder sein Glück zu versuchen, und es gelang ihm so wohl, daß er ohne ein weiteres Geräusch und Getöse sich endlich von der Last befreit sah, die ihm so viele Not gemacht hatte. Aber da bei Don Quijote der Sinn des Geruchs so entwickelt war wie der des Gehörs und Sancho sich so dicht an ihn geheftet hielt, daß die Düfte beinahe in gerader Linie aufstiegen, so konnte es nicht fehlen, daß etwelche in des Ritters Nase drangen, und kaum war das geschehen, da kam er ihr schon zu Hilfe und klemmte sie zwischen die Finger und sprach mit näselndem Ton: »Mich bedünkt es, Sancho, du hast große Furcht.«

»Freilich hab ich die; aber woran merkt das Euer Gnaden jetzt mehr als sonst?«

»Daran, daß du jetzt mehr als sonst riechst, und nicht nach Ambra«, antwortete Don Quijote.

»Das kann wohl sein«, sagte Sancho, »aber ich habe keine Schuld daran, sondern Ihr, der Ihr mich bei nachtschlafender Zeit umherschleppt, ein Leben zu führen, wie ich platterdings nicht gewohnt bin.«

»Ziehe dich drei, vier Schritte seitwärts, Freund«, sprach Don Quijote – alles das, ohne die Finger von der Nase wegzunehmen –, »und hinfüro berücksichtige besser, wer du bist und was du mir schuldig bist; die häufigen Gespräche, die ich mit dir führe, haben diese Mißachtung erzeugt.«

»Ich will wetten«, entgegnete Sancho, »Euer Gnaden meint, ich hätte etwas mit mir vorgenommen, was ich nicht sollte.«

»Es wird schlimmer, wenn man dran rührt«, versetzte Don Quijote.

Mit diesen Gesprächen und andern ähnlicher Art verbrachten Herr und Diener die Nacht. Als aber Sancho bemerkte, daß der Morgen mit starken Schritten herankomme, schnürte er Rosinante mit größter Behutsamkeit los und band sich die Hosen fest. Wie Rosinante sich frei sah, schien er, wenn er auch von Hause aus keineswegs feurig war, sich doch einmal zu fühlen und stampfte etlichemal mit den Vorderfüßen, denn aufs Kurbettieren – er möge es nicht übelnehmen –, darauf verstand er sich nicht. Wie nun Don Quijote sah, daß Rosinante sich wieder rührte, hielt er es für ein gutes Zeichen, und zwar für das Zeichen, daß er sich an jenes erschreckliche Abenteuer wagen solle.

Inzwischen hatte die Morgenröte ihr Antlitz völlig entschleiert, die Gegenstände wurden deutlicher, und Don Quijote sah, daß er sich unter hohen Kastanienbäumen befand, die einen sehr dunkeln Schatten warfen. Er hörte auch, daß das Stampfen nicht nachließ, aber er sah nicht, wer es veranlassen mochte, und so, ohne längeres Zögern, ließ er Rosinante die Sporen fühlen, und indem er nochmals von Sancho Abschied nahm, gebot er ihm, drei Tage höchstens seiner hier zu warten, wie er es ihm schon früher gesagt; und wenn er mit Schluß dieser Frist nicht zurückgekehrt sei, so möge er es als gewiß annehmen, es habe Gott beliebt, daß bei diesem gefahrvollen Abenteuer seine Tage zu Ende kommen sollten. Er wiederholte ihm die Meldung und Botschaft, die er von ihm seiner Herrin Dulcinea überbringen sollte; und bezüglich des Lohns für seine Dienste möge er keine Sorge haben, denn er habe, bevor er aus seinem Dorfe geschieden, sein Testament fertig hinterlassen, in dem Sancho sich für alles, was seinen Lohn betreffe, im Verhältnis zu seiner Dienstzeit befriedigt finden werde. Wenn aber Gott ihn aus dieser Gefahr heil und gesund und ohne Schädigung hervorgehen lasse, so könne er auf die versprochene Insul sicherer als sicher rechnen.

Aufs neue fing Sancho zu weinen an, als er aufs neue die betrübsamen Worte seines guten Gebieters vernahm, und entschloß sich, ihn bis zum letzten Ausgang und Ende dieses Handels nicht zu verlassen. (Aus Sanchos Tränen und so ehrenhaftem Entschluß folgert der Verfasser dieser Geschichte, er müsse von guter Art und altchristlichem Geblüt gewesen sein.)

Diese Gesinnungen rührten seinen Herrn einigermaßen, doch nicht so sehr, daß er irgend Schwäche gezeigt hätte; vielmehr sein Gefühl, so gut er konnte, verhehlend, schlug er den Weg nach der Gegend ein, woher das Getöse des Wassers und des Stampfens zu kommen schien. Sancho folgte ihm zu Fuß und führte, wie er zur Gewohnheit hatte, an der Halfter seinen Esel, den ewigen Genossen seiner glücklichen und unglücklichen Schicksale.

Als sie ein gut Stück Weges unter diesen Kastanienbäumen und schattigen Wipfeln zurückgelegt, gelangten sie auf einen kleinen Wiesenrain am Fuße hoher Felsen, von denen ein mächtiger Schwall Wassers herniederstürzte. Am Fuße der Felsen standen etliche schlecht aussehende Hütten, die eher Trümmer von Gebäuden als Häuser schienen, und sie hörten nun, daß aus deren Mitte das Gelärm und Getöse jenes Stampfens hervorscholl, das noch immer nicht aufhörte. Vor dem Tosen des Wassers und des Stampfens scheute Rosinante, und indem Don Quijote ihn beruhigte, ritt er Schritt vor Schritt zu den Häusern hin, wobei er sich seiner Gebieterin von ganzem Herzen empfahl und sie anflehte, ihm bei dieser erschrecklichen Kriegsfahrt und Rittertat beizustehen, und dabei sich auch Gott empfahl, daß er sein nicht vergesse. Sancho wich ihm nicht von der Seite und streckte zwischen Rosinantes Beinen den Hals und das Gesicht vor, soviel wie möglich, um zu sehen, ob er endlich entdecken könne, was ihn so in Spannung und Ängsten hielt.

Noch weitere hundert Schritte mochten sie zurückgelegt haben, da zeigte sich ihnen beim Umbiegen um eine Ecke unverdeckt und offenbar die eigentliche Ursache – eine andre konnte es nicht sein – jenes grausig schallenden und ihnen so entsetzlichen Getöses, das sie die ganze Nacht so in Spannung und Furcht gehalten; und es waren – wenn es dir, o Leser, nicht zum Verdruß und Ärgernis gereicht –, es waren sechs Stämpfel einer Walkmühle, die mit ihrem abwechselnden Auf- und Niederstoßen den Lärm verursachten.

Als Don Quijote sah, was es war, verstummte er und ward starr von oben bis unten. Sancho schaute ihn an und sah, daß er den Kopf auf die Brust hängen ließ, was deutlich verriet, daß er sich beschämt fühlte. Auch Don Quijote schaute seinen Knappen an und sah, daß er die Backen aufgeblasen und den Mund zum Lachen verzogen hatte, mit unverkennbarem Anzeichen, daß er herausplatzen wolle; und sein Trübsinn vermochte doch nicht so viel über ihn, daß er beim Anblick Sanchos das Lachen hätte unterdrücken können. Wie aber Sancho bemerkte, daß sein Herr den Anfang gemacht hatte, ließ er sich freien Lauf, so unaufhaltsam, daß er sich mit beiden Fäusten die Seiten halten mußte, um nicht vor Lachen zu bersten. Vielmal hielt er inne, und ebenso vielmal brach er wieder so gewaltsam wie zu Anfang in Lachen aus. Schon hierüber war Don Quijote des Teufels; aber es kam noch ärger, als er Sancho wie zum Hohn sagen hörte: »Du mußt wissen, Freund Sancho, daß ich durch des Himmels Fügung in diesem eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in demselben das Goldne zur Auferstehung zu wecken; ich bin der, dem die Gefahren, die Großtaten, die Werke des Heldentums vorbehalten sind.«

Und so wiederholte er nacheinander die sämtlichen oder doch die meisten Worte, die Don Quijote das erstemal, als sie das erschreckliche Stampfen hörten, gesprochen hatte.

Als nun Don Quijote sah, daß Sancho sich über ihn lustig machte, verdroß und erzürnte es ihn dermaßen, daß er seinen Spieß erhub und seinem Knappen zwei solche Schläge versetzte, daß, wenn dieser sie so, wie er sie auf den Rücken bekam, auf den Kopf bekommen hätte, der Ritter von der Verpflichtung, den Lohn zu zahlen, befreit gewesen wäre, es müßte denn an dessen Erben sein. Als Sancho merkte, daß er für seinen Scherz so bösen Ernst einheimste, bekam er Angst, sein Herr möchte darin noch weitergehen, und sprach mit großer Demut: »So beruhigt Euch doch, gnädiger Herre, ich machte bei Gott nur Spaß.«

»So?« antwortete Don Quijote, »wenn Er Spaß macht, ich spaße nicht. Komm Er mal her, Bruder Lustig; meint Er etwa, wenn dies nicht Stampfel einer Walkmühle gewesen wären, sondern sonst ein gefahrvolles Abenteuer, ich hätte nicht den Mut bewiesen, der zur Unternehmung und Vollführung eines solchen gehört? Bin ich als Ritter etwa verpflichtet, die Töne zu kennen und zu unterscheiden und zu wissen, welche von einer Walkmühle herrühren und welche nicht? Zumal es auch sein könnte, und es ist so in der Tat, daß ich in meinem Leben keine gesehen habe, während Er sie wohl gesehen haben muß als ein schlechter Bauer, der Er ist, inmitten derselben geboren und erzogen. Andernfalls mache Er doch einmal, daß diese sechs Stämpfel sich in sechs Riesen verwandeln, und stelle sie mir vors Gesicht, einen nach dem andern oder alle zusammen, und wenn ich sie nicht alle niederwerfe, daß sie die Pfoten in die Luft hinaufstrecken, dann mache Er sich lustig über mich nach Belieben.«

»Laßt genug sein, Herre mein«, versetzte Sancho, »ich bekenne ja, daß ich im Scherze zu weit gegangen bin. Aber sagt mir doch jetzt, wo wir wieder gut miteinander sind, so wahr soll Euch Gott aus allen Abenteuern, die Euch aufstoßen, so heil und gesund heraushelfen, wie er Euch aus diesem geholfen: war’s nicht zum Lachen und ist’s nicht zum Lachen, wenn man es erzählt, wie große Angst wir hatten? Wenigstens wie ich meinesteils hatte; denn von Euer Gnaden weiß ich ja, Ihr kennt keine, Ihr wißt nicht, was Furcht und Schrecken ist.«

»Ich stelle nicht in Abrede«, entgegnete Don Quijote, »was uns begegnete, ist lachenswert; aber es ist nicht des Erzählens wert; denn nicht jedermann hat so viel Verstand, um eine Sache am richtigen Ende anzufassen.«

»Wenigstens«, versetzte Sancho, »verstanden Euer Gnaden Dero Spieß am richtigen Ende anzufassen und ihn mir richtig nach dem Kopf zu richten und mich freilich nur auf den Rücken zu treffen, Dank sei Gott und der hurtigen Vorsorge, mit der ich seitwärts auswich. Na ja, Ende gut, alles gut; und ich hab sagen hören, wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Zudem heißt es, wenn vornehme Herren einem Diener ein böses Wort gesagt haben, pflegen sie ihm gleich darauf ein Paar Hosen zu schenken; aber ich weiß nicht, was sie ihm zu schenken pflegen, wenn sie ihn mit Prügeln beschenkt haben, falls nicht etwa die fahrenden Ritter Insuln schenken oder auch Königreiche auf dem festen Lande.«

»Wohl könnten die Würfel so fallen«, sprach Don Quijote, »daß alles, was du sagst, am Ende zur Wirklichkeit würde. Jetzt entschuldige, was geschehen, da du verständig bist und weißt, daß der Mensch die ersten Regungen nicht in der Gewalt hat. Und habe du hinfüro acht auf eines, daß du dich im Zaume haltest und unterlassest, in dreister Weise mit mir zu sprechen; denn in den Ritterbüchern allen, die ich gelesen – und die sind zahllos –, habe ich nie gefunden, daß irgendwelcher Schildknappe so viel mit seinem Herrn gesprochen wie du mit dem deinigen; und in Wahrheit, ich rechne dies dir und mir für einen großen Fehler an: dir, insofern du mir geringe Ehrerbietung erweisest, mir, insofern ich mir nicht höhere Ehrerbietung erweisen lasse. War doch Gandalin, der Schildknappe des Amadís von Gallien, Graf von der Festland-Insel, und man liest von ihm, wenn er mit seinem Herrn sprach, hatte er immer die Mütze in der Hand und more turquesco den Kopf geneigt und den Körper gebückt. Und dann, was sollen wir von Gasabál, dem Schildknappen Don Galaors, sagen, der so schweigsam war, daß, um uns den hohen Grad seines wundersamen Stillschweigens klarzumachen, sein Name in jener so großartigen wie wahrhaften Geschichte nur ein einziges Mal genannt wird! Aus all dem, was ich gesagt, wirst du schließen, Sancho, daß es unerläßlich ist, zwischen Herrn und Knecht, Gebieter und Diener, Ritter und Knappen einen Unterschied zu machen. Sonach wollen wir von heut an einander fürderhin mit mehr Achtung behandeln und uns nicht foppen; denn in welcher Weise auch immer ich mich über Ihn erzürnen mag, so wird es für den irdenen Topf immer schlimm ausgehen. Die Gnadenerweise und Vergabungen, die ich Ihm versprochen, werden schon zu ihrer Zeit kommen, und wenn sie nicht kommen sollten, so wird wenigstens der Dienstlohn nicht verlorengehen, wie ich Ihm schon gesagt habe.«

»Alles das ist ganz gut, was Euer Gnaden sagt«, sprach Sancho, »aber ich möchte wissen – falls etwa die Zeit für die Gnadenbeweise nicht kommen sollte und es nötig würde, die Zeit des Dienstlohns in Betracht zu ziehen –, wieviel der Schildknappe eines fahrenden Ritters in jenen Zeiten verdiente und ob sie auf den Monat eins wurden oder auf den Tag, wie ein Handlanger beim Maurer.«

»Ich glaube nicht«, sagte Don Quijote, »daß die besagten Schildknappen jemals um Lohn dienten, sondern nur auf das Belieben ihrer Herren; und wenn ich dir nun in dem verschlossenen Testament, das ich in meinem Hause zurückließ, einen Lohn ausgesetzt habe, so geschah es in Voraussicht kommender Möglichkeiten, weil ich noch nicht weiß, wie in diesen unsern unglückseligen Zeiten das Rittertum sich bewährt, und ich nicht möchte, daß um Kleinigkeiten meine Seele in jener Welt Pein erlitte; denn in dieser, mußt du wissen, Sancho, gibt es ohnehin keinen gefahrvolleren Beruf als den der abenteuernden Ritter.«

»Allerdings ist dies wahr«, sprach Sancho, »sintemal schon das bloße Gelärm der Stämpfel einer Walkmühle das Herz eines fahrenden Abenteurers von solcher Tapferkeit wie Euer Gnaden in Unruhe und Bestürzung bringen konnte. Aber Ihr könnt vollständig sicher sein, daß ich von jetzt an meine Lippen nicht mehr auftun will, um über irgend etwas, das Euer Gnaden betrifft, mir einen Scherz zu erlauben, nein, sondern nur um Euch als meinen Gebieter und angebornen Herrn zu ehren.«

»Tue so«, erwiderte Don Quijote, »auf daß du lange lebest auf Erden; denn nach Vater und Mutter muß man die Dienstherren ehren, als ob sie die Eltern selbst wären.«

21. Kapitel

Welches von dem großartigen Abenteuer mit dem Helme Mambrins handelt und wie derselbige zur reichen Beute gewonnen ward, benebst anderem, was unserm unbesieglichen Ritter zustieß

Indem begann es ein wenig zu regnen, und Sancho hätte es gern gesehen, sie wären in die Walkmühle eingekehrt; aber gegen diese hatte Don Quijote wegen des Schimpfes und Spottes von vorher einen solchen Widerwillen, daß er sie durchaus nicht betreten wollte. Sie bogen daher nach rechts ab und gerieten auf einen andern Weg, als den sie tags zuvor eingeschlagen hatten. Bald darauf bekam Don Quijote einen Reiter zu Gesicht, der auf dem Kopfe ein Ding trug, das wie Gold glänzte, und kaum hatte er ihn erblickt, da wandte er sich zu Sancho und sprach: »Es will mich bedünken, Sancho, es gibt kein Sprichwort, das nicht die Wahrheit sagt; denn alle sind sie Sprüche, die aus der Erfahrung selbst, der Mutter aller Wissenschaften, entnommen sind, namentlich jenes, das da lautet: ›Wo eine Tür sich schließt, tut sich eine andre auf.‹ Ich sage dies deshalb: wenn das Glück diese Nacht uns seine Tür zuschloß, als wir es suchten und es uns mit den Mühlstämpfeln täuschte, so schließt es uns anjetzo eine andre weit auf zu einem andern, besseren, einem zweifelloseren Abenteuer, und wenn es mir nicht gelingt, durch diese Tür einzugehen, so wird die Schuld die meine sein, ohne daß ich sie auf meine geringe Kenntnis von Mühlstämpfeln oder auf die Dunkelheit der Nacht schieben darf. Und dies sag ich, weil, wenn ich mich nicht täusche, jemand auf uns zukommt, der den Helm des Mambrin auf dem Kopfe trägt, ob dessen ich den Schwur getan, den du kennst.«

»Bedenke Euer Gnaden ernstlich, was Ihr sagt, und noch ernstlicher, was Ihr tut«, sprach Sancho; »denn ich wünschte nicht, daß es wieder Mühlstämpfel wären, die uns den Verstand vollends zerstampften und zerschlügen.«

»Hol dich der Teufel, Mensch!« versetzte Don Quijote; »was hat der Helm mit Mühlstämpfeln zu tun?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Sancho, »aber, meiner Treu, dürfte ich so viel reden, wie ich sonst pflegte, vielleicht gab ich solche Gründe an, daß Euer Gnaden einsähen, wie Ihr in dem, was Ihr sagt, Euch geirrt habt.«

»Wie kann ich darin irren, du Treuloser voller Bedenklichkeiten?« sprach Don Quijote. »Siehst du nicht jenen Ritter, der auf einem Apfelschimmel uns entgegenkommt und einen goldenen Helm auf dem Haupte trägt?«

»Was ich sehe und erspähe«, entgegnete Sancho, »ist nichts andres als ein Mann auf einem Esel, dunkelgrau wie der meinige, der auf dem Kopfe etwas Glänzendes trägt.«

»Das ist eben der Helm des Mambrin«, sagte Don Quijote, »mach dich auf die Seite und laß mich allein mit ihm, da wirst du sehen, wie ich, ohne ein Wort zu reden, um Zeit zu ersparen, mit diesem Abenteuer zu Ende komme und der Helm mein wird, den ich so sehr ersehnt habe.«

»Mich auf die Seite machen, das will ich schon besorgen«, erwiderte Sancho, »aber Gott gebe, sag ich noch einmal, daß wir auf einen grünen Zweig kommen und nicht in die Walkmühle.«

»Ich habe Ihm schon gesagt, guter Freund, Er soll mir nicht mehr, nicht einmal in Gedanken, die Geschichte mit der Walkmühle erwähnen«, sprach Don Quijote, »sonst gelobe ich … Ich will jetzt nichts weiter sagen, aber ich walke Ihm die Seele aus dem Leibe.«

Sancho schwieg aus Furcht, sein Herr möchte das Gelöbnis in Ausführung bringen, das er ihm so mitten ins Gesicht geschleudert.

Es hatte aber mit dem von Don Quijote gesehenen Helm, Roß und Reiter folgende Bewandtnis:

In dieser Gegend befanden sich zwei Ortschaften, die eine so klein, daß sie weder Apotheke noch Barbier hatte, die andre, dicht dabeiliegende hingegen hatte beides, und so bediente der Barbier der größeren auch die kleinere. In der letzteren sollte ein Kranker zur Ader gelassen und einem andern der Bart geschoren werden, und deshalb kam der Barbier und hatte eine Bartschüssel von Messing bei sich. Das Schicksal wollte, daß es gerade zu regnen anfing, und damit sein Hut, der wohl neu sein mochte, keine Wasserflecken bekomme, stülpte er die Bartschüssel auf den Kopf, welche, weil sie sauber poliert war, eine halbe Meile weit glitzerte. Er ritt auf einem grauen Esel, wie Sancho gesagt hatte, und dies war der Anlaß, daß ein Apfelschimmel und ein Ritter und ein goldner Helm sich vor Don Quijotes Augen zeigten. Denn alles, was er sah, wußte er seinem wahnwitzigen Ritterwesen und seinen Phantasien von fahrenden Abenteurern, womit er so übel fuhr, mit großer Leichtigkeit anzupassen. Und als er sah, daß der arme Reiter näher kam, legte er den gesenkten Spieß ein, ohne sich in Worte mit ihm einzulassen, und sprengte im vollsten Lauf Rosinantes auf ihn zu in der Absicht, ihn durch und durch zu stoßen; und wie er ihn erreichte, rief er, ohne seinen rasenden Galopp zu mäßigen: »Verteidige dich, elendes Geschöpf, oder überantworte mir aus freien Stücken, was mir mit so großem Rechte gebührt.«

Der Barbier, der, ohne dergleichen irgendwie geahnt oder befürchtet zu haben, sah, wie diese Spukgestalt über ihn herstürzte, hatte kein andres Mittel, sich vor dem Lanzenstoß zu wahren, als von seinem Esel herabzugleiten, und kaum hatte er den Boden berührt, da sprang er flüchtiger als ein Hirsch wieder auf und begann über das Blachfeld zu rennen, daß ihn der Wind nicht eingeholt hätte. Er ließ die Bartschüssel am Boden liegen; mit dieser begnügte sich Don Quijote und sagte, der Heide habe klug gehandelt und den Biber nachgeahmt, der, wenn er sich von den Jägern heftig bedrängt sieht, sich mit den Zähnen dasjenige abbeißt und wegreißt, wegen dessen, wie sein angeborner Instinkt ihn belehrt, er verfolgt wird. Er befahl Sancho, den Helm aufzuheben; dieser nahm ihn in die Hand und sprach: »Bei Gott, die Barbierschüssel ist nicht übel und ist ihre acht Realen so gut wie einen Pfennig wert.«

Damit gab er sie seinem Herrn; der setzte sie gleich auf den Kopf, drehte sie von einer Seite auf die andre, suchte den unteren Verschluß und sprach, als er keinen daran fand: »Ohne Zweifel muß der Heide, nach dessen Maß dieser herrliche Turnierhelm ursprünglich geschmiedet worden, einen sehr großen Kopf gehabt haben, und das schlimmste ist, daß die untere Hälfte daran fehlt.«

Als Sancho die Barbierschüssel einen Turnierhelm nennen hörte, konnte er das Lachen nicht unterdrücken; aber es kam ihm die Zornmütigkeit seines Herrn in den Sinn, und er hielt mitten in seiner Heiterkeit inne.

»Worüber lachst du, Sancho?« fragte Don Quijote.

»Ich lache«, antwortete Sancho, »weil ich an den großen Kopf des Heiden denke, der diesen Helm besaß, welcher nichts anderm als einer Barbierschüssel aufs Haar gleichsieht.«

Don Quijote

»Weißt du, Sancho, wie ich es mir vorstelle? Daß dies herrliche Stück von dem gefeiten Helm durch irgendeinen merkwürdigen Zufall jemandem in die Hände gefallen ist, der seinen Wert nicht zu erkennen und nicht zu schätzen wußte. Jedoch in der Gewißheit, daß er vom feinsten Golde war, muß er, ohne zu ahnen, was er tat, die eine Hälfte eingeschmolzen haben, um sie zu Geld zu machen, und aus der andern Hälfte machte er, was den Anschein einer Barbierschüssel hat, wie du sagst. Doch sei dem, wie ihm wolle; mir, der ich den Helm kenne, macht seine Veränderung gar nichts aus; am ersten besten Ort, wo sich ein Schmied findet, will ich ihn so zurechtmachen lassen, daß ihm jener Helm nicht voranstehen, ja nicht gleichkommen soll, den der Gott der Schmiedekunst für den Gott der Schlachten gefertigt und geschmiedet hat. Mittlerweile werde ich ihn tragen, so gut es geht; denn etwas ist besser als nichts, zumal er jedenfalls hinreichen wird, mich vor einem Steinwurf zu schirmen.«

»Das«, sprach Sancho, »kann der Fall sein, wenn man nicht aus Schleudern wirft, wie es in der Schlacht zwischen den zwei Kriegsheeren geschah, wo sie Euer Gnaden auf die Backenzähne regneten und Euch das Krüglein zerbrachen, darin jener hochgebenedeite Trank war, der mich schier nötigte, die Eingeweide herauszubrechen.«

»Es tut mir nicht besonders leid, daß er mir abhanden gekommen«, sagte Don Quijote, »denn du weißt ja, Sancho, daß ich das Rezept dazu im Gedächtnis habe.«

»Auch ich hab’s im Gedächtnis«, erwiderte Sancho, »aber wenn ich ihn jemals im Leben bereite oder versuche, das soll meine letzte Stunde sein; besonders da ich nicht gedenke, mich in Gelegenheiten einzulassen, wo ich ihn nötig haben könnte, vielmehr mit all meinen fünf Sinnen darauf achthaben und mich hüten will, daß ich Wunden weder schlage noch geschlagen bekomme. Ob ich etwa noch einmal gewippt werde, davon will ich nicht reden; denn vor dergleichen Unfällen kann man sich nicht gut wahren; und wenn sie eintreffen, läßt sich nichts tun, als die Schultern an den Kopf zu ziehen, den Atem an sich zu halten, die Augen zu schließen und sich gehn zu lassen, wohin das Schicksal und die Bettdecke uns schleudern will.«

»Du bist ein schlechter Christ, Sancho«, sprach Don Quijote, als er das hörte, »denn du vergissest nimmer die Kränkung, die man dir einmal angetan. Aber wisse, daß es die Art edler, großmütiger Herzen ist, Kindereien unbeachtet zu lassen. Welchen Fuß hat man dir gelähmt, welche Rippe dir zerbrochen, wo den Kopf dir zerschlagen, daß du den Possen, den man dir gespielt, nicht vergessen kannst? Denn alles wohl erwogen, war es doch nur Scherz und Zeitvertreib; und wenn ich es nicht dafür ansähe, wäre ich längst dorthin zurückgekehrt und hätte zur Rache für dich mehr Unheil angerichtet als die Griechen um der geraubten Helena willen, welche, wenn sie in der jetzigen Zeit oder meine Dulcinea in jener gelebt hätte, sicher gewesen wäre, keinen so großen Ruf der Schönheit zu erlangen, als sie besitzt.«

Und hierbei stieß er Seufzer bis hoch in die Wolken aus.

Und Sancho sprach: »So mag’s denn für Scherz hingehn, da aus der Rache doch kein Ernst werden kann. Aber ich weiß, wie der Ernst und wie der Scherz beschaffen war, und ich weiß auch, daß er niemals meinem Gedächtnis entschwinden wird, geradeso, wie man ihn niemals meinem Rücken wieder abnehmen kann.

Indes, lassen wir das beiseite und sagt mir, was wir mit diesem Apfelschimmel anfangen sollen, der wie ein grauer Esel aussieht, den jener Martin, den Euer Gnaden niedergeworfen, hier herrenlos im Stich gelassen. Denn nach der Eile zu schließen, mit der jener sich aus dem Staube machte und das Hasenpanier ergriff, hat er keine Lust, ihn jemals wiederzuholen, und bei meinem Bart, der Graue ist ein tüchtiges Tier.«

»Nimmer bin ich dessen gewohnt«, entgegnete Don Quijote, »die ich besiege zu plündern, noch ist es Ritterbrauch, ihnen das Roß zu nehmen und sie zu Fuße ziehen zu lassen, wenn nicht etwa der Sieger das seine im Kampf eingebüßt hat; denn in solchem Fall ist es verstattet, das des Besiegten zu nehmen als in ehrlicher Fehde gewonnen. Sonach, Sancho, laß diesen Gaul oder Esel oder für was du ihn sonst ausgeben willst; denn sobald sein Herr uns von hier entfernt sieht, wird er zurückkehren, ihn zu holen.«

»Gott weiß«, entgegnete Sancho, »wie gern ich ihn mitnehmen oder wenigstens gegen den meinigen vertauschen möchte, der mir lange nicht so gut scheint. Wahrlich, streng sind die Gesetze des Rittertums, da sie nicht einmal so weit zu gehen verstatten, daß man einen Esel gegen einen andern vertausche. Ich möchte aber wissen, ob ich nicht wenigstens das Geschirr vertauschen darf.«

»Darin bin ich nicht ganz sicher«, antwortete Don Quijote, »und im Zweifelsfall, bis ich einmal eines Bessern belehrt bin, sage ich, daß du es vertauschen magst, sofern du dessen dringend benötigt bist.«

»So dringend bin ich dessen benötigt«, erwiderte Sancho, »daß, wenn das Eselsgeschirr meiner eignen Person dienen sollte, ich es nicht nötiger haben könnte.«

Und da er nun mit Berechtigung und Bestallung versehen war, nahm er alsogleich die mutatio capparum vor und putzte sein Tier aufs allerfeinste heraus, indem er es mit allen verfügbaren Vermögensteilen aus der Hinterlassenschaft des andern Esels bereicherte.

Dies vollbracht, frühstückten sie von den Überbleibseln, die sie aus dem Feldlager des Packesels erbeutet hatten. Sie tranken Wasser vom Bach der Walkmühle, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden, so großen Widerwillen hatten sie gegen selbige wegen der Angst, in die sie die Stämpfel versetzt hatten.

Nachdem dergestalt der Zorn und auch die Schwermut gänzlich abgetan waren, stiegen sie auf, und ohne einen bestimmten Weg einzuschlagen – weil es die Art der fahrenden Ritter ist, niemals eine bestimmte Richtung zu verfolgen –, ritten sie, wohin Rosinantes Belieben ging; denn dessen Willen zog stets den seines Herrn und auch den des Esels nach sich, welcher unverbrüchlich, wohin auch immer der Gaul voranschritt, ihm in redlicher Liebe und Brüderlichkeit folgte. Bei alledem gerieten sie wieder auf die Landstraße und zogen dieselbe entlang, aufs Geratewohl und ohne irgendeinen Plan.

Während sie so des Weges ritten, sprach Sancho zu seinem Herrn: »Señor, will mir Euer Gnaden die Vergünstigung zukommen lassen, daß ich eine kleine Zwiesprache mit Euch halte? Denn seit Ihr mir das harte Gebot des Stillschweigens auferlegtet, sind mir schon vier Gedanken und mehr im Magen verfault; und einen, den ich jetzt auf der Zungenspitze habe, den möchte ich nicht umkommen lassen.«

»Sag ihn her«, sprach Don Quijote, »und sei kurz in deinen Reden; denn keine ist angenehm, wenn sie weitschweifig ist.«

»Ich sage also, Señor«, versetzte Sancho, »seit einigen Tagen bis zum heutigen habe ich mir’s überlegt, wie wenig man dabei Gewinn und Nutzen hat, auf die Suche nach diesen Abenteuern zu gehn, die Euer Gnaden diese Einöden und Kreuzwege entlang sucht. Denn hier, wenn Ihr auch die allergefährlichsten siegreich besteht und zu Ende führt, ist niemand da, sie zu sehen und zu erfahren; und so müssen sie in ewigem Stillschweigen verbleiben, zum Nachteil Eurer Absicht und all dessen, was sie verdienen. Demnach wäre es meines Erachtens weit eher geraten, unvorgreiflich Eurer bessern Beurteilung, wir sollten hinziehn, irgendeinem Kaiser oder sonst einem großen Fürsten zu dienen, der da einen Krieg auf dem Hals hätte und in dessen Diensten Euer Gnaden die Mannhaftigkeit Eurer Person, Eure große Kraft und Euren Verstand, der noch größer ist, an den Tag legen kann; und sobald der Herr, dem wir alsdann dienen würden, dies alles ersehen hat, so muß er uns notwendig belohnen, jeglichen nach seinen Verdiensten. Und dort wird’s auch nicht an jemandem fehlen, der Eure Taten zum ewigen Gedächtnis schriftlich aufzeichnet. Von den meinigen sag ich nichts; denn die werden doch nicht über die Grenzen des Knappentums hinausgehn; obwohl ich sagen kann, wenn es in der Ritterschaft bräuchlich ist, Taten der Knappen zu beschreiben, so werden die meinigen auch nicht zwischen den Zeilen steckenbleiben.«

»Du sprichst nicht übel«, sagte Don Quijote. »Aber bevor man zu diesem Punkte kommt, ist es unerläßlich, durch die Welt zu streichen und gleichsam zur Beglaubigung seiner selbst auf Abenteuer zu ziehn, damit man, wenn etliche siegreich zu Ende geführt sind, einen solchen Namen und Ruf erlange, daß der Ritter, wenn er sich an den Hof irgendeines großen Monarchen begibt, schon durch seine Werke bekannt ist. Und kaum haben ihn dann die jungen Burschen durchs Stadttor einreiten gesehen, so laufen sie hinter ihm und um ihn her und schreien überall: Das ist der Ritter von der Sonne oder von der Schlange oder von sonst einem Abzeichen, unter dem er große Taten vollbracht hat. Das ist er, werden sie sagen, der im Kampfe Mann gegen Mann den Riesen Brocabruno, den Helden von großer Kraft, besiegt hat, der den Groß-Mamelucken von Persien aus der langen Verzauberung entzaubert hat, in der er schier neunhundert Jahre lag. So wird man vom einen zum andern seine Taten auszurufen gehn, und bei dem Lärm der Jungen und des andern Volkes wird sich der König jenes Reichs an den Fenstern seines königlichen Palastes zeigen, und sobald er den Ritter erblickt, wird er ihn an seiner Rüstung oder an dem Abzeichen auf seinem Schilde erkennen und notwendig rufen müssen: Auf, auf, hinaus, ihr meine Ritter, alle, die an meinem Hofe weilen, um die Blume der Ritterschaft, die da herannaht, zu begrüßen! Auf dieses Gebot werden alle hinauseilen, und der König wird bis zur Mitte der Treppe hinabschreiten und wird ihn innigst umarmen und wird ihn willkommen heißen mit einem Kuß aufs Angesicht. Dann führt er ihn sogleich an der Hand ins Gemach der Frau Königin, allwo der Ritter sie mit ihrer Prinzessin Tochter findet, welche notwendig eine der allerschönsten und vollendetsten Jungfrauen ist, die man weit und breit in den bis jetzt entdeckten Landen des Erdenrundes nur irgend mit harter Mühe aufzufinden vermöchte. Hierauf geschieht es unverzüglich, daß sie die Augen auf ihn wendet und er die seinigen auf sie, und jedes von beiden deucht dem andern eher etwas Göttliches als Irdisches, und ohne zu wissen, wie oder wieso, finden sie sich gefangen und verstrickt in das unlösliche Liebesnetz und in großen Herzensnöten, weil sie keine Mittel wissen, einander zu sprechen, um ihre Qualen und Gefühle zu offenbaren.

Von da wird man ihn ohne Zweifel in ein andres reich ausgeschmücktes Gemach des Palastes führen, wo man ihm die Waffen abnimmt und einen kostbaren Scharlachmantel zum Umlegen bringt, und wenn er in Waffen stattlich aussah, so erscheint er ebenso, ja noch stattlicher im ritterlichen Wams. Der Abend kommt, er speist mit König, Königin und Prinzessin; er wendet seine Augen nicht von ihr ab, er blickt sie verstohlen an, den Umstehenden unbemerkt, und sie tut dasselbe mit derselben Vorsicht, denn, wie gesagt, sie ist ein äußerst kluges Fräulein. Die Tafel wird aufgehoben, und plötzlich tritt zur Tür des Saales ein häßlicher, winziger Zwerg herein und hinter ihm zwischen zwei Riesen eine holdselige Dame, welche den Anwesenden ein gewisses Abenteuer mitteilt, das ein Zauberer in uralter Zeit angelegt hat, und wer es glücklich besteht, wird für den besten Ritter auf Erden erachtet werden. Sogleich gebeut der König allen, die zugegen, sich an dem Abenteuer zu versuchen. Aber keiner bringt es zum Ende und Abschluß außer dem fremden Ritter zu seines Ruhmes sonderlichem Frommen. Darob ist die Prinzessin hochvergnügt und erachtet sich beglückt und über alles Maß dafür belohnt, daß sie ihre Gedanken einem so hohen Ziele zugewendet und hingegeben hat. Das beste dabei ist, daß dieser König oder Fürst, oder was er sonst ist, einen äußerst hartnäckigen Krieg mit einem andern, ebenso mächtigen Herrn wie er zu führen hat, und der fremde Ritter, nachdem er ein paar Tage am Hof gewesen, bittet ihn um die Vergünstigung, ihm in dem besagten Krieg seine Dienste zu widmen. Der König gewährt sie ihm mit bereitwilliger Freundlichkeit, und der Ritter küßt ihm die Hand für die Gnade, so er ihm erweist.

In derselbigen Nacht verabschiedet er sich von seiner Gebieterin, der Prinzessin, im Garten, auf den ihr Schlafgemach geht, am Fenstergitter, wo er schon gar manchmal mit ihr gesprochen, wobei stets eine Zofe, die der Prinzessin großes Vertrauen besitzt, die Vermittlerin und Mitwisserin war. Er seufzt, sie fällt in Ohnmacht, die Zofe bringt Wasser, ist auch sehr bekümmert, weil der Morgen kommt und sie nicht möchte, daß sie entdeckt würden, um der Ehre ihrer Herrin willen. Zuletzt kommt die Prinzessin wieder zu sich und reicht durchs Gitter hindurch ihre weißen Hände dem Ritter. Der küßt sie tausend- und aber tausendmal und badet sie in seinen Tränen. Es wird unter beiden verabredet, auf welche Art sie sich ihre guten oder schlimmen Schicksale zu wissen tun wollen, und die Prinzessin bittet ihn, ja nur so kurz wie möglich auszubleiben. Er verheißt es ihr mit vielen Eidschwüren; er küßt ihr abermals die Hände und entfernt sich mit so vielem Schmerzgefühl, daß es ihn fast das Leben kostet.

Von hier aus geht er in sein Gemach, wirft sich aufs Bett, kann vor Schmerz ob seines Scheidens nicht schlafen, steht sehr früh am Morgen auf, geht, sich von König und Königin und Prinzessin zu verabschieden; er hört, nachdem er den beiden ersten Lebewohl gesagt, die Tochter Prinzessin sei unwohl und könne keinen Besuch empfangen. Der Ritter vermutet, der Schmerz ob seines Scheidens sei die Ursache. Das durchbohrt ihm das Herz, und wenig fehlt, daß er deutliche Zeichen seines Kummers gäbe. Die Zofe, die Vermittlerin, ist zugegen, sie merkt sich alles, geht und sagt es ihrer Herrin, die sie mit Tränen empfängt und ihr sagt: eine ihrer größten Kümmernisse sei, daß sie nicht wisse, wer ihr Ritter ist und ob er von königlichem Geschlecht ist oder nicht. Die Zofe versichert, solche Feinheit des Benehmens, solcher Adel der Sitte und solche Tapferkeit wie die ihres Ritters fänden sich nur bei einem Mann von ehrenreicher und königlicher Art. Die bekümmerte Prinzessin findet darin Trost und ist auch bestrebt, getröstet zu erscheinen, um sich bei ihren Eltern nicht in Verdacht zu bringen; und zwei Tage darauf zeigt sie sich wieder öffentlich.

Schon ist der Ritter von dannen gezogen, er kämpft im Kriege, besiegt den Feind des Königs, gewinnt viele Städte, triumphiert in vielen Schlachten. Er kehrt an den Hof zurück, sieht seine Gebieterin am gewohnten Fenstergitter, es wird verabredet, daß er sie zum Lohne seiner Dienste von ihrem Vater zur Gattin begehre. Der König will sie ihm nicht geben, weil er nicht weiß, wer der Ritter ist. Aber trotz alledem, ob sie nun entführt wird oder ob es auf irgendeine andre Weise geschieht, wird die Prinzessin am Ende seine Gattin, und am Ende muß ihr Vater es noch für ein großes Glück erachten. Denn am Ende kommt es an den Tag, selbiger Ritter ist der Sohn eines gewaltigen Königs, von welchem Reiche, weiß ich nicht; denn ich glaube, es wird wohl auf der Karte nicht zu finden sein. Der Vater der Prinzessin stirbt, sie erbt alles, kurz und gut, der Ritter wird König. Hier kommt es nun gleich zu den Gnadenerweisen für den Knappen und für alle, die ihm geholfen, zu einem so hohen Stand emporzugelangen; er verheiratet seinen Schildknappen mit einem Fräulein der Prinzessin, und ohne Zweifel wird dies die Zofe sein, die bei seinem Liebeshandel die Vermittlerin abgab, und sie ist die Tochter eines sehr hochgestellten Herzogs.«

»So will ich’s haben, und ehrlich Spiel!« sagte Sancho, »daran halte ich mich; denn alles muß bei Euer Gnaden, der Ihr Euch den Ritter von der traurigen Gestalt nennet, buchstäblich so eintreffen.«

»Zweifle nicht daran«, erwiderte Don Quijote; »denn auf dieselbe Weise und ganz mit demselben Verlauf der Dinge, wie ich dir dieses erzählt habe, stiegen und steigen noch die fahrenden Ritter empor zum Range von Königen und Kaisern. Jetzt fehlt nur noch, uns umzuschauen, welcher König unter Christen oder Heiden Krieg und eine schöne Tochter hat; aber wir haben Zeit, das zu bedenken, weil, wie ich dir gesagt, man erst Ruhm anderwärts erlangen muß, bevor man an den Hof geht. Auch mangelt mir noch etwas andres; denn gesetzt den Fall, es fände sich ein König mit Krieg und einer schönen Tochter und ich hätte unglaublichen Ruhm im ganzen Weltall erworben, so weiß ich doch nicht, wie es sich finden könnte, daß ich von königlichem Geschlecht oder zum wenigsten eines Kaisers Vetter im zweiten Grad wäre. Denn der König wird mir seine Tochter nicht zum Weibe geben wollen, wenn er dies nicht erst vollständig in Erfahrung gebracht hat, wie sehr auch immer meine Taten es verdienen, so daß ich um dieses Mangels willen fürchte zu verlieren, was mein Arm wohl verdient hat. Freilich bin ich ein Edelmann von anerkanntem Freigeschlecht, ein Mann von Vermögen und Grundeigentum, ein Mann, gegen den jeder Frevel gesetzlich mit fünfhundert Dukaten gebüßt wird; und es könnte sein, daß der Zauberer, der meine Geschichte schreibt, meine Verwandtschaft und Abstammung so gut ermittelte, daß ich mich zuletzt als eines Königs Urenkel oder Ururenkel herausstellte.

Denn ich muß dir zu wissen tun, Sancho, es gibt zweierlei Art von Familien und Geschlechtern auf der Welt; die eine Art entnimmt und leitet ihre Abstammung von Fürsten und Monarchen, und die Zeit hat sie nach und nach zunichte gemacht, und sie endigen in einer Spitze gleich einer Pyramide; die andre hat ihren Ursprung von geringen Leuten gehabt und steigt von Stufe zu Stufe, bis ihre Abkömmlinge zuletzt zu großen Herren werden. Sonach ist der Unterschied, daß die einen waren, was sie nicht mehr sind, und die andern sind, was sie vorher nicht waren; und ich könnte ja zu den letzteren gehören, so daß nach gründlicher Erforschung mein Ursprung vornehm und ruhmreich gewesen wäre, womit sich der König, der mein Schwiegervater werden soll, zufriedengeben müßte. Und wenn nicht, muß mich die Prinzessin so heiß lieben; daß sie trotz ihrem Vater, wenn sie auch klärlich wissen sollte, ich sei eines Wasserträgers Sohn, mich zu ihrem Herrn und Gemahl annehmen wird; und wo nicht, so tritt hier der Fall ein, daß ich sie entführe und sie hinbringe, wohin es mich gerade gelüstet, und die Zeit oder der Tod wird dem Zürnen ihrer Eltern ein Ende machen.«

»Hier tritt dann wohl auch der Fall ein«, sagte Sancho, »wovon etliche Gottlose so reden: Erbitte nicht gütlich, was du mit Gewalt nehmen kannst. Zwar noch besser paßt es, zu sagen: Besser frei streifen durch Wald und Auen, als auf edle Fürbitten bauen. Ich meine nämlich, wenn der Herr König, Euer Gnaden Schwiegervater, sich nicht erweichen lassen will, Euch unsre erlauchte Prinzessin hinzugeben, so ist nichts andres zu tun, als, wie Euer Gnaden sagt, sie zu entführen und sie anderswohin zu bringen. Aber das Schlimme dabei ist, mittlerweile, bis Friede gemacht wird und das Königreich in Frieden genossen werden kann, so lange mag der arme Schildknappe in betreff der Gnadenerweise vor Jammer und Not vergehen, falls nicht etwa die Jungfrau Vermittlerin, die seine Frau werden soll, mit der Prinzessin von dannen zieht und er die Zeit seines Unglücks mit ihr zubringt, bis der Himmel andres über ihn verhängt; denn ich denke, sein Herr kann sie ihm auch auf der Stelle zur rechtmäßigen Gattin geben.«

»Das kann keiner verwehren«, sprach Don Quijote.

»Demnach, wenn es so geschehen kann«, erwiderte Sancho, »so bleibt nichts übrig, als uns Gott zu befehlen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen und abzuwarten, wohin es die Dinge leiten mag.«

»Gott füge das so«, versetzte Don Quijote, »wie ich es wünsche und du es nötig hast, Sancho; und wer sich für einen Lumpen hält, der mag eben ein Lump bleiben.«

»So soll es sein, bei Gott«, sprach Sancho. »Ich aber bin ein Christ von altem Blut, und um ein Graf zu werden, ist mir das genug.«

»Genug und mehr als genug«, sprach Don Quijote; »und wärest du es sogar nicht, so tät es auch nichts zur Sache; denn wenn ich König bin, kann ich dir den Adel verleihen, ohne daß du ihn kaufst oder mir irgend Dienste dafür leistest. Und habe ich dich zum Grafen gemacht, sieh, da bist du von selbst ein Ritter, und die Leute mögen reden, was sie wollen, sie müssen dennoch, so hart es ihnen ankommt, dich mit dem Titel Euer Gnaden anreden.«

»Und soll mich der und jener«, sprach Sancho, »wie will ich meinen Kittel zu Ansehen bringen!«

»Titel mußt du sagen, nicht Kittel«, bemerkte Don Quijote.

»Mag sein«, entgegnete Sancho, »ich sage, ich will es schon recht machen. Denn so wahr ich lebe, ich bin eine Zeitlang Pedell bei einer Brüderschaft gewesen, und der Pedellenrock stand mir so gut, daß alle Leute sagten, ich sähe ganz danach aus, um der Obere selbiger Brüderschaft werden zu können. Wie erst dann, wenn ich mir einen langen Herzogsrock um die Schultern hänge oder mich nach fremder Grafen Brauch in Gold und Perlen kleide? Gewiß kommen die Leute hundert Meilen weit her, mich zu sehen.«

»Gut aussehen wirst du jedenfalls«, sprach Don Quijote, »aber du wirst dir den Bart öfter scheren lassen müssen; denn wie du ihn jetzt trägst, dicht, struppig und unordentlich, wenn du ihn nicht alle zwei Tage mindestens mit dem Schermesser kürzest, sieht man auf einen Büchsenschuß weit, was du bist.«

»Was ist denn da weiter«, entgegnete Sancho, »als daß ich einen Barbier nehme und ihn mit Wochenlohn im Haus halte? Und sollte es nötig sein, so lasse ich ihn hinter mir hertraben wie den Stallmeister eines Großen.«

»Ei, woher weißt du«, fragte Don Quijote, »daß die Großen ihre Stallmeister hinter sich hertraben lassen?«

»Ich will’s Euch sagen«, antwortete Sancho. »In früheren Jahren war ich einmal einen Monat lang in der Residenz, und da sah ich einen Herrn, der war sehr klein, und die Leute sagten, er sei sehr groß; und sah, wie hinter ihm ein Mann zu Pferde kam, ihm immer dicht nachfolgte, mochte er sich hierhin oder dorthin wenden, so daß es gerade aussah, als wäre er sein Schwanz. Ich fragte, warum der Mann nicht neben ihm reite, sondern immer hinter ihm her; da hieß es, das sei sein Stallmeister, und es sei bei den Großen der Brauch, solche hinterherreiten zu lassen. Seit der Zeit weiß ich es so gründlich, daß ich’s nie mehr vergessen habe.«

»Ich muß sagen, daß du recht hast«, sprach Don Quijote, »und daß du deinen Barbier ebenso mit dir nehmen kannst; denn die Bräuche sind nicht alle mit einemmal aufgekommen noch zugleich und zusammen erfunden worden, und du kannst der erste Graf sein, der seinen Barbier im Gefolge führt; und außerdem ist es eine Sache größeren Vertrauens, den Bart zu scheren, als ein Pferd zu satteln.«

»Die Sache mit dem Barbier mag mir anheimgestellt bleiben«, sagte Sancho, »und Euch, Herr Ritter, dafür zu sorgen, daß Ihr König werdet und mich zum Grafen macht.«

»So sei es«, antwortete Don Quijote; und wie er seine Augen aufhob, sah er, was im folgenden Kapitel gesagt werden soll.