11. Kapitel


Von dem seltsamen Abenteuer, das dem mannhaften Don Quijote mit dem Wagen oder Karren begegnete, worauf des Todes Reichstag über Land fuhr

Überaus nachdenklich zog Don Quijote seines Weges weiter, in ernstem Sinnen über den schlechten Spaß, den die Zauberer sich mit ihm erlaubt, indem sie seine Herrin Dulcinea in die ekle Gestalt der Bauerndirne verwandelten; und er konnte kein Mittel ersinnen, um sie in ihr ursprüngliches Ich zurückzuversetzen. Diese Gedanken brachten ihn so außer sich, daß er, ohne es zu merken, Rosinante die Zügel schießen ließ, und der Gaul, der die ihm vergönnte Freiheit gleich spürte, hielt nun bei jedem Schritt an, um das grüne Gras abzuweiden, das auf diesen Gefilden im Überfluß wuchs.

Aus diesem Hinbrüten weckte ihn Sancho Pansa, indem er sagte: »Señor, Traurigkeit ist nicht für die Tiere da, sondern für die Menschen; wenn aber die Menschen ihr im Übermaß nachhängen, so werden sie zu Tieren. Sonach haltet an Euch und kommt wieder zu Euch und nehmt Rosinantes Zügel in die Hand und lebt wieder auf und werdet wach und zeigt jene freudige Tapferkeit, welche fahrenden Rittern geziemt. Was zum Teufel ist dies? Was für eine Niedergeschlagenheit ist dies? Sind wir hier oder in Frankreich? Lieber soll der Satanas alle Dulcineas holen, die es auf Erden gibt! Denn weit mehr ist die Wohlfahrt eines einzigen fahrenden Ritters wert als alle Verzauberungen und Verwandlungen in der ganzen Welt.«

»Schweig, Sancho«, entgegnete Don Quijote mit einer nicht gerade schwachen Stimme; »schweig, sag ich, und sprich keine Lästerungen gegen dies verzauberte Fräulein, denn an ihrem Unglück und Mißgeschick trage ich allein die Schuld. Aus dem Neide der Bösen gegen mich ist das Böse entsprungen, das sie betroffen hat.«

»So sag ich auch«, versetzte Sancho, »denn: Wer sie gestern sah und kriegt sie heut zu sehen, dem muß das arme Herz im Leib vor Leid vergehen.«

»Das kannst du wohl sagen, Sancho«, sprach Don Quijote, »sintemal du sie in der völligen Unversehrtheit ihrer Reize gesehen hast; denn des Zauberers Macht ging nicht so weit, dir den Blick zu trüben oder dir ihre Schönheit zu verbergen; gegen mich allein und gegen meine Augen zielt die Wirksamkeit seines Giftes. Aber bei alledem, Sancho, hab ich etwas wohl bemerkt, nämlich, daß du mir ihre Schönheit schlecht geschildert hast; denn wenn ich mich recht entsinne, hast du mir von den Perlen ihrer Augen gesprochen, und Augen, die wie Perlen aussehen, sind eher einem Karpfen eigen als einer vornehmen Dame. Aber wie ich glaube, müssen Dulcineas Augen von grünem Smaragd sein, weitgeschlitzt, mit zwei himmlischen Bogen, die ihnen als Brauen dienen; und die Perlen, die nimm den Augen weg und gib sie den Zähnen, denn ohne Zweifel hast du die Worte verwechselt und die Augen für die Zähne genommen.«

»Alles ist möglich«, sagte Sancho darauf, »denn auch mich hat ihre Schönheit ganz wirr gemacht, wie ihre Häßlichkeit Euer Gnaden. Indessen befehlen wir alles das unserm Herrgott, der Wissenschaft aller Dinge hat, die in diesem Jammertal geschehen sollen, in dieser schlechten Welt, die wir nun einmal zur Heimat haben und in welcher kaum etwas zu finden ist, das ohne eine Beigabe von Bosheit, Trug und Schurkerei wäre. Eines aber drückt mich recht schwer, Herre mein, mehr als alles andre: nämlich der Gedanke, wie es anzufangen ist, wenn Euer Gnaden einen Riesen überwindet, oder meinetwegen einen Ritter, und ihm gebietet, er solle gehen und sich dem huldseligen Antlitz Fräulein Dulcineas stellen; wo soll er sie dann finden, der arme Riese oder der arme unselige Ritter, so da überwunden ist? Es kommt mir vor, ich sehe schon, wie sie in Toboso herumlaufen und Maulaffen feilhalten und nach unsrem Fräulein Dulcinea suchen, und wenn sie sie auch mitten auf der Gasse finden sollten, so werden sie sie geradesowenig erkennen wie meinen Vater selig.«

»Vielleicht, Sancho«, gab Don Quijote zur Antwort, »wird die Verzauberung nicht so weit gehen, daß sie Dulcinea den besiegten und sich ihr stellenden Riesen und Rittern unkenntlich macht; und an einem oder zweien von den ersten, die ich besiege und ihr zusende, wollen wir den Versuch machen, ob sie sie sehen oder nicht, indem ich ihnen gebiete, zurückzukommen und mir Bericht darüber zu erstatten, wie es ihnen ergangen ist.«

»Da sag ich, Señor«, versetzte Sancho, »mir scheint sehr gut, was Euer Gnaden gesagt hat, und mittels dieses Kunstgriffs werden wir in Erfahrung bringen, was wir zu wissen wünschen; und wenn es sich so verhält, daß sie nur Euch allein verborgen ist, so ist das Unglück mehr das Eurige als das ihrige zu nennen. Indessen wenn nur Fräulein Dulcinea gesund und vergnügt bleibt, so wollen wir uns damit zufriedengeben und es uns so gut wie möglich ergehen lassen, indem wir auf die uns angemessenen Abenteuer ausgehen und es der Zeit anheimstellen, das Ihrige zu tun, denn sie ist der beste Arzt für dieses wie für jedes Übel.«

Don Quijote wollte Sancho Pansa eine Antwort geben; aber ihn hinderte daran der Umstand, daß ein Wagen quer über die Straße einbog, der mit den mannigfaltigsten und seltsamsten Personen und Gestalten beladen war, die man sich vorstellen kann. Der Mann, der die Maultiere führte und das Amt des Kutschers versah, war ein mißgestalteter Teufel. Der Wagen war offen, so daß der Himmel hineinschien, ohne ein Zelt oder ein Korbgeflecht zum Dache. Die erste Gestalt, die sich Don Quijotes Blicken darbot, war die des Todes in eigner Person, jedoch mit einem Menschengesicht; neben ihm zeigte sich ein Engel mit großen buntbemalten Flügeln; zur Seite befand sich ein Kaiser mit seiner dem Anscheine nach goldenen Krone auf dem Kopfe; dem Tod saß zu Füßen der Gott, den man Kupido nennt, ohne Binde vor den Augen, jedoch mit Bogen, Köcher und Pfeilen. Auch war ein Ritter dabei, von Kopf zu Füßen bewehrt, nur daß er nicht Sturmhaube noch Helm aufhatte, sondern einen rings mit Federn in allen Farben geschmückten Hut. Hinter diesen Personen zeigten sich noch andre, an Tracht und Aussehen verschieden.

Don Quijote

Alles dies, das ihrem Blick so unversehens erschien, machte Don Quijote einigermaßen stutzig und erfüllte Sanchos Herz mit Furcht; aber alsbald erheiterte sich Don Quijotes Gemüt, da er glaubte, es biete sich ihm ein neues, ein gefahrvolles Abenteuer, und in diesem Gedanken und mit willigem Mut, jeder Fährlichkeit entgegenzugehen, sprach er: »Karrenführer, Kutscher oder Teufel, oder was du bist! Sage mir unverzüglich, wer du bist, wohin du ziehest und wer die Leute sind, die du in deinem Karren fährst, denn selbiger sieht eher nach Charons Nachen aus als nach einem jener Wagen, wie sie üblich sind.«

Darauf antwortete mit freundlichem Tone der Teufel, indem er den Wagen anhielt: »Señor, wir sind Schauspieler von der Gesellschaft Angúlos des Bösen; wir haben in einer Ortschaft hinter diesem Hügel heute morgen, da die Oktave des Fronleichnams ist, das geistliche Spiel vom Reichstag des Todes aufgeführt und sollen es heut nachmittag in jener Ortschaft aufführen, die man von hier aus sieht; und weil sie so nahe ist und weil wir die Mühe sparen wollten, uns auszukleiden und wieder anzuziehen, reisen wir in dem Kostüm, in dem wir spielen. Der junge Mann hier spielt den Tod, der andre einen Engel, hier die Frau, welche die des Direktors ist, die Königin; der andre einen Soldaten, jener den Kaiser und ich den Teufel, und ich bin eine der Hauptpersonen in dem geistlichen Spiel, da ich bei dieser Gesellschaft die ersten Rollen spiele. Wünscht Euer Gnaden noch was andres über uns zu erfahren, so fragt mich, und ich werde Euch aufs genauste antworten, denn da ich ein Teufel bin, so ist mir nichts verborgen.«

»Auf fahrenden Ritters Wort«, entgegnete Don Quijote, »als ich diesen Wagen sah, war ich der Meinung, es biete sich mir ein großes Abenteuer; aber jetzt sag ich, man muß die Erscheinungen rasch mit den Händen greifen, um sich vor Täuschung zu bewahren. Geht mit Gott, ihr wackren Leute, haltet euer Fest ab und seht zu, ob ihr mir etwas aufzutragen habt, worin ich euch nützlich sein kann, und ich werde es willfährig und gerne tun; denn von Kindheit auf war ich auf Mummenschanz erpicht, und in meinen Jünglingsjahren verfolgte ich die Komödianten immer mit sehnsüchtigen Augen.«

Während sie sich dergestalt unterhielten, fügte es das Schicksal, daß einer von der Gesellschaft herzutrat, der als Possenreißer angezogen und mit Schellen behangen war und oben an seinem Stock drei aufgeblasene Rindsblasen angebunden trug. Als dieser Narr in Don Quijotes Nähe kam, begann er seinen Stock hin und her zu schwingen, mit den Blasen auf den Boden zu klatschen und unter mächtigen Luftsprüngen seine Schelle erklingen zu lassen. Diese gespenstische Erscheinung setzte Rosinante so in Schrecken, daß er die Stange der Kandare zwischen die Zähne nahm, ohne daß Don Quijote vermochte, ihn zu halten, und mit weit größerer Behendigkeit über das Feld rannte, als man sich von den Knochen dieses Gerippes jemals hätte versprechen können. Sancho erwog, in welcher Gefahr sein Herr sei, abgeworfen zu werden, sprang von seinem Grautier und eilte mit größter Geschwindigkeit ihm zu Hilfe; aber als er hinkam, lag der Ritter schon auf der platten Erde und neben ihm Rosinante, der zugleich mit seinem Herrn zu Boden gestürzt war: das gewöhnliche Ende und Ziel von Rosinantes Ausgelassenheiten und Wagestücken.

Aber kaum hatte Sancho sein treues Tier verlassen, um Don Quijote beizuspringen, da sprang der tanzlustige Teufel mit den Ochsenblasen eiligst auf den Grauen und schlug ihm die Blasen um die Ohren, und die Angst und das Geklatsche, mehr als der Schmerz von den Schlägen, trieben ihn im Flug durchs Gefilde auf das Dorf zu, wohin die Schauspielertruppe zu ihrem Festspiel zog. Sancho schaute auf den gestreckten Galopp seines Esels und den Sturz seines Herrn und wußte nicht, in welcher dieser Nöte er zuerst helfen sollte; aber am Ende vermochte bei ihm als wackerem Schildknappen und als treuem Diener die Liebe zu seinem Herrn mehr als das zärtliche Gefühl für seinen Esel; obschon jedesmal, wenn er die Blasen in die Lüfte schwingen und auf die Kruppe seines Grauen niederfallen sah, es für ihn arge Pein und Todesangst war und er lieber gehabt hätte, die Schläge hätten ihn selbst mitten auf die Augen getroffen als seinen Esel nur auf das kleinste Haar am Schwanze. In dieser Verlegenheit und Trübsal kam er zu seinem Herrn gelaufen, der sich weit übler zugerichtet fand, als ihm lieb war, half ihm auf Rosinante und sagte zu ihm: »Señor, der Teufel hat mein Grautier geholt.«

»Was für ein Teufel?« fragte Don Quijote.

»Der Teufel mit den Ochsenblasen«, antwortete Sancho.

»Dann werd ich ihn dir schon wiederbringen«, versetzte Don Quijote, »wenn er sich auch in den tiefsten und finstersten Kerkerzellen der Hölle verbirgt. Folge mir, Sancho; der Wagen fährt langsam, und mit seinem Maultiergespann werd ich den Verlust des Esels ersetzen.«

»Ihr braucht Euch keine Mühe zu machen, Señor«, entgegnete Sancho; »mäßigt Euern Zorn, denn mir scheint, der Teufel hat den Grauen schon wieder laufen lassen und er kommt schon zum gewohnten Futter zurück.«

Und so war es in der Tat; denn da der Teufel zu Boden gestürzt war, um Don Quijote nachzuahmen, so ging nun auch der Teufel zu Fuße nach dem Dorf, und der Esel kehrte zu seinem Herrn zurück.

»Bei alledem«, sprach Don Quijote, »war es angemessen, für die Grobheit dieses Teufels an einem von den Leuten auf dem Wagen Rache zu nehmen, und wär es auch an dem Kaiser selbst.«

»Schlagt Euch das aus dem Sinn«, entgegnete Sancho, »und nehmt meinen Rat an, und der geht dahin, daß man niemals mit Schauspielern Händel suchen soll; denn das sind Leute, die überall bevorzugt werden. Ich habe Schauspieler gesehen, die wegen zweier Mordtaten gefangensaßen und frei und ohne Kosten davongekommen sind. Euer Gnaden müssen wissen, das sind fröhliche und für das Vergnügen wirkende Leute und werden darum von jedermann begünstigt, beschützt, unterstützt und geschätzt, namentlich wenn sie Mitglieder einer königlichen oder privilegierten Truppe sind, denn die sehen alle oder zum größten Teil in Tracht und Haltung wie Prinzen aus.«

»Und dessen ungeachtet«, sprach Don Quijote dagegen, »soll mir der Schauspieler-Teufel nicht ungestraft davonkommen, und wenn ihn auch das ganze Menschengeschlecht in Schutz nähme.«

Mit diesen Worten wendete er sich nach dem Wagen um, der schon sehr nahe bei dem Dorfe war, und schrie in einem fort und rief: »Haltet an, harret, heitere, fröhliche Schar; ich will euch lehren, wie man Esel und andre Tiere behandeln soll, deren sich die Schildknappen fahrender Ritter zum Reiten bedienen.«

Don Quijote schrie so laut, daß die auf dem Wagen es hörten und verstanden; und da sie aus seinen Worten die Absichten des Sprechers erkannten, sprang im Nu der Tod vom Wagen herab und hinter ihm her der Kaiser, der kutschierende Teufel und der Engel; die Königin und der Gott Kupido blieben auch nicht zurück; und alle hoben Steine auf und stellten sich in eine Reihe und erwarteten Don Quijote, um ihn mit ihren Kieseln zu empfangen. Als Don Quijote sie in so kriegsmutiger Schar aufgestellt sah, die Arme emporgehoben, bereit, ihm die Steine kraftvoll entgegenzuschleudern, da hielt er Rosinante an und überlegte, wie er sie am sichersten angreifen könne. Während er so zögernd hielt, kam Sancho herzu, und als er ihn in einer Haltung sah, um dieses wohlgeordnete Kriegsgeschwader anzugreifen, sprach er zu ihm: »Ei, das wäre doch gar zu verrückt, Euch an derlei Abenteuer zu wagen! Bedenket, Herre mein, gegen solche Prügelsuppen und Kopfnüsse gibt es keine Verteidigungswaffe auf der Welt, als unter eine eherne Glocke unterzuschlüpfen und sich da einzuschließen. Auch ist außerdem noch zu bedenken, daß es eher Tollkühnheit als Tapferkeit ist, wenn ein Mann allein ein ganzes Heer angreift, in welchem sich der Tod befindet und Kaiser in eigner Person kämpfen und welchem gute und böse Engel beistehen. Und wenn Euch diese Erwägung noch nicht bestimmt, Euch ruhig zu verhalten, so tut dies vielleicht die Gewißheit, daß unter all den Leuten dort, wenn sie auch wie Könige, Fürsten und Ritter aussehen, sich kein einziger fahrender Ritter befindet.«

»Jetzt allerdings, Sancho«, versetzte Don Quijote, »hast du den Punkt getroffen, der mich von meinem bereits gefaßten Entschluß abbringen kann und soll. Ich kann und darf, wie ich dir des öftern gesagt habe, gegen keinen das Schwert ziehen, der nicht zum Ritter geschlagen ist. Dich allein geht es an, Sancho, wenn du Rache zu nehmen begehrst ob der Unbill, so deinem Grautier angetan worden; ich aber werde von dieser Stelle aus dir mit Zuruf und heilsamem Rate beistehen.«

»Es ist kein Grund, Señor«, entgegnete Sancho, »an irgend jemandem Rache zu nehmen; denn es ist nicht guter Christen Art, sich für Unbilden zu rächen; zudem will ich es schon mit meinem Esel fertigbringen, daß er seine Kränkung meinem Willen anheimstellt, welcher dahin geht, die übrigen Tage, die mich der Himmel noch leben läßt, in Frieden zu leben.«

»Sintemal solches dein Entschluß ist«, entgegnete Don Quijote, »du braver Sancho, kluger Sancho, christlich denkender Sancho, aufrichtiger Sancho, so lassen wir diese gespenstischen Erscheinungen ihres Weges ziehen und wenden uns wieder zur Suche nach besseren und fürnehmeren Abenteuern; denn ich sehe dieser Gegend an, daß es hier an zahlreichen und sehr wundersamen nicht fehlen kann.«

Sogleich wendete er, Sancho nahm seinen Esel am Halfter, der Tod und sein ganzes fliegendes Freikorps kehrten zu ihrem Wagen zurück und setzten ihre Reise fort.

Ein so glückliches Ende hatte das grausige Abenteuer mit dem Wagen des Todes dank dem heilsamen Rate, den Sancho Pansa seinem Herrn erteilte. Diesem aber begegnete am folgenden Tag mit einem verliebten und fahrenden Ritter ein andres Abenteuer, nicht minder erstaunlich als das vorige.

12. Kapitel


Von dem seltsamlichen Abenteuer, so dem mannhaften Don Quijote mit dem kühnen Spiegelritter begegnete

Die Nacht, welche auf den Tag des Zusammentreffens mit dem Tod folgte, verbrachten Don Quijote und sein Schildknappe unter hohen schattenreichen Bäumen, nachdem Don Quijote auf Sanchos Zureden von dem Vorrat gespeist hatte, den der Esel trug. Während dieses Abendmahls sprach Sancho zu seinem Herrn: »Señor, wie dumm wär ich gewesen, hätte ich mir zum Trinkgeld für meine Botschaft die Beute aus dem ersten Abenteuer gewählt, das Euer Gnaden bestehen würde, anstatt der Füllen von den drei Stuten! Wahrlich, wahrlich, ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach.«

»Jedennoch, Sancho«, gab Don Quijote zur Antwort, »hättest du mich nur angreifen lassen, wie ich es wollte, so wären dir mindestens die goldene Krone der Kaiserin und Kupidos bunte Flügel zur Beute gefallen; denn das hätte ich ihnen weggenommen, sosehr es ihnen gegen den Strich gegangen wäre, und es dir in die Hand gegeben.«

»Noch niemals sind die Zepter und Kronen von Theaterkaisern von echtem Gold gewesen«, erwiderte Sancho, »sondern nur von Flittergold oder Blech.«

»So ist’s in der Tat«, versetzte Don Quijote, »denn es wäre nicht vernünftig, wenn die Schmucksachen in der Komödie echt wären, sondern sie müssen nachgemacht und bloßer Schein sein, wie es die Komödie selbst ist. Mit dieser aber, wünsche ich, sollst du dich gut stellen, Sancho, und ihr hold sein, und folglich auch mit denen, die sie aufführen, und mit denen, die sie dichten; denn sie alle sind Werkzeuge, die dem Gemeinwesen vieles Nützliche schaffen, indem sie uns bei jedem Schritt einen Spiegel vorhalten, worin das ganze menschliche Leben sich zeigt, und es gibt keine Zusammenstellung von Wirklichkeit und Nachbildung, die uns lebendiger vor Augen führte, was wir sind und was wir sein sollen, als das Schauspiel und die Schauspieler. Oder sage mir: hast du nicht einmal ein Schauspiel gesehen, wo Könige, Kaiser und Päpste, Edelfrauen und mancherlei andre Personen auftreten? Einer spielt den Raufbold, ein andrer den Gauner, dieser den Kaufmann, jener den Soldaten, ein andrer den schlauen Tölpel, ein dritter den tölpischen Liebhaber, und wenn das Stück aus ist und die Bühnentrachten abgelegt sind, so sind die Schauspieler wieder alle gleich.«

»Allerdings habe ich das gesehen«, erwiderte Sancho.

»Das nämliche nun«, fuhr Don Quijote fort, »geschieht im Schauspiel und Wandel dieser Welt, wo die einen die Kaiser, die andern die Päpste und in einem Wort alle Personen vorstellen, die in einem Schauspiel vorkommen können; wenn es aber zum Schlusse geht, das heißt, wenn das Leben endet, da zieht der Tod ihnen allen die Gewänder aus, die sie voneinander unterschieden, und im Grab sind sie alle wieder gleich.«

»Ein prächtiger Vergleich!« versetzte Sancho. »Zwar ist er nicht so neu, daß ich ihn nicht schon zu öfteren und verschiedenen Malen gehört hätte, gerade wie den Vergleich mit dem Schachspiel, wo jeder Stein, solang das Spiel dauert, seine besondere Verrichtung hat und, wenn das Spiel zu Ende ist, alle vermischt und zusammengelegt und untereinandergeworfen und in einen Beutel gelegt werden, wie man die Toten ins Grab legt.«

»Von Tag zu Tag, Sancho«, sagte Don Quijote, »nimmst du an Einfalt ab und an Verstand zu.«

»Freilich«, entgegnete Sancho; »es muß doch etwas von Euer Gnaden Verstand an mir haftenbleiben. Wenn man einen von Natur unfruchtbaren und dürren Boden düngt und bearbeitet, so erzeugt er mit der Zeit gute Frucht; ich will damit sagen: der Umgang mit Euer Gnaden war der Dünger, der auf den unfruchtbaren Boden meines dürren Geistes ausgestreut worden; die Bearbeitung, das ist die Zeit, die verflossen, seit ich Euch diene und mit Euch umgehe; und mittels alles dessen hoff ich aus mir dereinst glückliche Früchte zu erzeugen, welche mit den Pfaden der guten Erziehung, die Euer Gnaden meinem vertrockneten Geiste hat angedeihen lassen, nicht im Widerspruch stehen noch ihnen zur Unehre gereichen,«

Don Quijote lachte über Sanchos gezierte Ausdrucksweise und hielt beinahe für wahr, was er von den Fortschritten in seiner Bildung gesagt hatte; denn dann und wann tat er Äußerungen, die den Ritter in Staunen setzten, wiewohl jedesmal oder fast jedesmal, wenn Sancho mit ihm eine Doktordisputation halten und nach Hofmanier sprechen wollte, seine Rede zuletzt doch immer vom Gipfel seiner Einfalt in den Abgrund seiner Unwissenheit hinabstürzte. Worin er aber am meisten seine gewählte Ausdrucksweise und sein Gedächtnis zeigen wollte, das war im Beibringen von Sprichwörtern, ob sie nun zum Inhalt seiner Reden paßten oder nicht, wie man im Verlauf dieser Geschichte gesehen und wohl bemerkt haben wird.

Mit diesen und andern Gesprächen verstrich ein großer Teil der Nacht, und den Knappen kam die Lust an, »die Fallgatter seiner Augen herabzulassen«, wie er zu sagen pflegte, wenn er schlafen wollte; er nahm seinem Grauen das Geschirr ab und verstattete ihm freie und reichliche Weide. Rosinanten sattelte er aber nicht ab, weil es ausdrücklicher Befehl seines Herrn war, er solle zu allen Zeiten, wo sie auf freiem Felde verweilten oder nicht unter Dach schliefen, Rosinanten niemals abschirren, gemäß dem alten und unabänderlichen Brauch der fahrenden Ritter, zwar den Zaum abzunehmen und über den Sattelknopf zu hängen; aber dem Rosse den Sattel abzunehmen? ei, behüte! Und so tat denn Sancho und gab dem Gaul die nämliche Freiheit wie dem Esel. Zwischen diesem und Rosinante war die Freundschaft so beispiellos und eng, daß man zufolge einer Überlieferung von Vater zu Sohn allgemein annimmt, es habe der Verfasser dieser wahrhaftigen Geschichte besondere Kapitel über sie geschrieben; aber um den Anstand und die Schicklichkeit nicht zu verletzen, die einer solchen Heldengeschichte zukommen, habe er dieselben nicht darin aufgenommen. Freilich hat er seinen Vorsatz zuweilen vergessen; zum Beispiel berichtet er, daß, sowie die beiden Tiere zusammenkamen, sie auf der Stelle begannen, sich aneinander zu reiben; und wenn sie dessen müde waren, legte Rosinante seinen Hals auf den Nacken des Grautiers, daß er auf der andern Seite mehr als eine halbe Elle über jenen hinausragte, und so, nachdenklich zu Boden schauend, pflagen die beiden drei Tage lang dazustehen, oder wenigstens so lang, als der Hunger es zuließ und sie nicht nötigte, Nahrung zu suchen. Ja, der Verfasser soll die Freundschaft der beiden mit jener zwischen Nisus und Euryalus, zwischen Pylades und Orestes verglichen haben: und wenn dies wahr ist, sieht man, wie fest die Freundschaft dieser zwei friedsamen Tiere gewesen sein muß, zur allgemeinen Bewunderung und zur Beschämung der Menschen, die einander so schlecht Freundschaft zu halten wissen. Und darum heißt es im Lied:

Keinen Freund gibt’s für den Freund mehr,
Und der Wurfstab wird zum Speere;

und in jenem andern Sang:

Vom Freund dem Freunde die Wanze . . . etc.

Es soll aber niemand meinen, der Verfasser sei zu weit gegangen, wenn er die Freundschaft dieser Tiere mit derjenigen der Menschen verglich; denn von den Tieren haben die Menschen manchen Wink erhalten und viele wichtige Dinge gelernt, wie das Klistieren von den Störchen, von den Hunden das Erbrechen und die Dankbarkeit, von den Kranichen die Wachsamkeit, von den Ameisen die Vorsorge für künftigen Mangel, von den Elefanten die Sittsamkeit, die Dienertreue vom Pferd.

Zuletzt legte sich Sancho zum Schlafen unter einen Korkbaum, Don Quijote zum Schlummern unter eine mächtige Eiche. Aber es war nur eine kurze Zeit vergangen, da erweckte ihn ein Geräusch, das hinter ihm sich hören ließ; er fuhr jählings auf, sah sich um und lauschte, woher das Geräusch entstünde, und entdeckte, daß es von zwei Männern zu Pferde kam, von welchen der eine sich vom Sattel herabgleiten ließ und zum andern sagte: »Steig ab, Freund, und zäume die Pferde ab; denn dieser Ort hat anscheinend Gras für sie in Überfluß, und dazu jene Stille und Einsamkeit, deren meine Lieblingsgedanken bedürfen.«

Dies sagen und sich auf den Boden strecken war das Werk eines Augenblicks; und als er sich hinwarf, rasselten die Waffen, mit denen er gewappnet war, ein unfehlbares Zeichen, an dem Don Quijote erkannte, es müsse ein fahrender Ritter sein. Er näherte sich daher dem schlafenden Sancho, zog ihn am Arme, brachte ihn mit nicht geringer Mühe zur Besinnung und sagte zu ihm mit leiser Stimme: »Lieber Sancho, wir haben eine Aventüre.«

»Gott lasse es uns gut ausschlagen«, erwiderte Sancho; »und wo denn, Herre mein, wo sind Ihro Gnaden diese Frau Aventüre?«

»Wo, Sancho?« entgegnete Don Quijote; »wende die Augen dorthin und schaue, und da wirst du einen fahrenden Ritter ausgestreckt liegen sehen, der, wie mir vorkommt, nicht übermäßig vergnügt ist; denn ich sah ihn sich vom Pferde werfen und sich mit allerhand Äußerungen des Mißmuts auf den Boden hinstrecken, und beim Niederlegen rasselten ihm die Waffen.«

»Nun, woran sieht Euer Gnaden«, fragte Sancho, »daß dies ein Abenteuer ist?«

»Ich will nicht behaupten«, antwortete Don Quijote, »daß dies schon vollständig ein Abenteuer ist, sondern vielmehr der Anfang eines solchen; denn damit fangen die Abenteuer immer an. Aber horch! Es scheint, er stimmt eine Laute oder Zither, und nach dem, wie er sich räuspert und die Brust klären will, bereitet er sich ohne Zweifel, etwas zu singen.«

»Wahrhaftig, dem ist so«, entgegnete Sancho, »und jedenfalls ist er ein Ritter von der verliebten Sorte.«

»Unter den fahrenden gibt es keinen, der nicht verliebt wäre«, sprach Don Quijote. »Aber hören wir zu, denn an diesem Faden wickeln wir gewiß den Knäuel seiner Gedanken ab, wenn er denn wirklich singt; denn wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über.«

Sancho wollte seinem Herrn antworten, aber die Stimme des Ritters vom Walde, die weder sehr gut noch sehr schlecht war, hinderte ihn daran, und die beiden standen nun aufmerksam da und hörten zu, was er sang. Es war das folgende

Sonett

Gib ein Gebot zur Richtschnur meinen Tagen,
Wie sie dein Wille, Herrin, mag gestalten;
Dein Wille soll stets über meinem walten,
Der nie sich des Gehorsams wird entschlagen.

Befiehlst du, ich soll meinen Schmerz nicht klagen
Und sterben, darfst du mich für tot schon halten;
Soll ich in Tönen, wie sie nie erschallten,
Ihn künden, soll dir Amor selbst ihn sagen.

Ein Beispiel zweier Gegensätze leb ich,
Denn weich wie Wachs und demanthart gehör ich
Der Liebe stets und ihrem Machtgesetze.

Weich oder hart, mein armes Herz dir geb ich;
Grab oder schreib darein, was dich ergetze,
Und es auf ewig treu zu wahren schwör ich.

Mit einem Ach! das aus dem Innersten seines Herzens hervorzubrechen schien, schloß der Ritter vom Wald seinen Gesang, und nach einer kurzen Weile sprach er: »O schönstes und undankbarstes Weib des Erdenrunds! Wie denn? Vermagst du zuzulassen, durchlauchtige Casildea von Vandalien, daß dieser dein in Liebe gefesselter Ritter in beständigen Wanderungen und in herben und harten Drangsalen sich verzehre und zugrunde gehe? Genügt es dir noch nicht, daß ich sie alle gezwungen habe, dich für die Schönste auf Erden zu bekennen, alle die Ritter von Navarra und Leon, alle Tartessier, alle Kastilier und endlich auch alle Ritter der Mancha?«

»Das nicht«, fiel Don Quijote hier ein; »ich bin aus der Mancha, und niemals habe ich dies bekannt, noch konnte ich und durfte ich etwas bekennen, womit ich der Schönheit meiner Gebieterin so naheträte. Aber der Herr Ritter dort, du siehst es schon, Sancho, ist nicht recht bei Troste. Indessen hören wir nur immer zu, vielleicht wird er uns noch weiteres offenbaren.«

»Gewiß wird er das«, entgegnete Sancho; »denn er tut geradeso, als wollte er einen ganzen Monat in einem fort wehklagen.«

Dies geschah jedoch nicht, denn sobald der Ritter vom Wald merkte, daß in seiner Nähe gesprochen wurde, stand er auf, ohne mit seinen Klagen fortzufahren; und sprach mit lauttönender, doch freundlicher Stimme: »Wer ist da? Wes Standes? Gehört Ihr etwa zur Zahl der Fröhlichen oder der Betrübten?«

»Der Betrübten«, antwortete Don Quijote.

»Dann kommt her zu mir«, sprach darauf der vom Walde, »und seid dessen sicher, Ihr kommt zur Traurigkeit und zur Betrübnis selbst.«

Als Don Quijote eine so tiefempfundene und freundliche Antwort hörte, trat er näher an ihn heran, und Sancho tat desgleichen. Der wehklagende Ritter ergriff Don Quijote am Arm und sprach: »Setzt Euch hierher, Herr Ritter, denn um zu erkennen, daß Ihr das seid, und zwar einer von denen, die sich zur fahrenden Ritterschaft bekennen, dazu genügt mir, daß ich Euch an diesem Orte gefunden, wo die Einsamkeit Euch Gesellschaft leistet und die Frische der Nacht, die der fahrenden Ritter natürliches Nachtlager und angemessene Wohnstätte ist.«

Darauf erwiderte Don Quijote: »Ich bin ein Ritter und gehöre dem Stande an, den Ihr nennt; und wiewohl Trübsal, Unheil und Mißgeschick ihren wahren Wohnsitz in meiner Seele haben, so ist darum nicht das Mitgefühl für fremde Leiden aus ihr entwichen. Die Eueren, das entnehm ich aus den Versen, die Ihr vor wenigen Augenblicken gesungen, sind Liebesleiden, ich meine, sie kommen von der Liebe, die Ihr zu jener undankbaren Schönen heget, die Ihr in Euren Wehklagen genannt habt.«

Während sie so miteinander sprachen, hatten sie sich bereits in Frieden und Freundschaft auf die harte Erde niedergesetzt, nicht als ob es ihnen beschieden wäre, beim Anbrechen des Morgens sich die Hälse zu brechen.

»Ist es vielleicht, Herr Ritter«, fragte der vom Walde unsern Don Quijote, »auch Euer Geschick, verliebt zu sein?«

»Mein Unglück ist, daß ich es bin«, antwortete Don Quijote; »jedoch wenn die Leiden aus dem Streben erwachsen, das auf ein schönes Ziel gerichtet ist, muß man sie eher für eine Gunst des Himmels denn für ein Mißgeschick halten.«

»So ist’s in der Tat«, erwiderte der vom Walde, »wenn uns nur nicht Verstand und Überlegung getrübt würden durch Beweise der Verschmähung, die, wenn sie sich häufig wiederholen, wie Rachetaten aussehen.«

»Nie bin ich von meiner Gebieterin verschmäht worden«, sprach Don Quijote dagegen.

»Gewiß nicht«, fiel Sancho ein, der nahe dabeistand, »denn unser Fräulein ist wie ein zahmes Lämmchen, sie ist weicher als Butter.«

»Ist das Euer Schildknappe?« fragte der vom Walde.

»Allerdings«, antwortete Don Quijote.

»Nie hab ich einen Schildknappen gesehen«, versetzte der vom Walde, »der zu reden gewagt hätte, wo sein Herr redet; wenigstens seht hier, wie der meinige dasteht, gewiß ein ausgewachsener Bursche, und es wird sich nie beweisen lassen, daß er den Mund je aufgetan, wo ich rede.«

»Nun wahrhaftig«, sagte Sancho, »ich hab gesprochen und kann sprechen, und das vor ganz andern dergleichen Leuten, und sogar … Aber lassen wir’s dabei beruhen, denn es stinkt ärger, wenn man’s aufrührt.«

Der Schildknappe vom Walde ergriff Sancho am Arm und sagte zu ihm: »Gehn wir zwei an einen Ort, wo wir auf Schildknappenart miteinander reden können, soviel wir wollen, und lassen wir unsre Herren mit der Erzählung ihrer Liebschaften einander überbieten und ärgern; denn sicher wird sie der helle Tag dabei überraschen, und sie werden noch nicht fertig sein.«

»Meinetwegen«, erwiderte Sancho, »und ich werde Euch sagen, wer ich bin, damit Ihr seht, ob nicht, wo elf redselige Knappen beieinander sind, mit mir das Dutzend voll wird.«

Hiermit entfernten sich die beiden Schildknappen, zwischen denen eine ebenso kurzweilige Zwiesprache stattfand, wie die ihrer Herren eine ernste war.

13. Kapitel


Wo das Abenteuer mit dem Ritter vom Walde fortgesetzt wird, benebst der gescheiten, noch nicht dagewesenen lieblichen Zwiesprach, so zwischen den beiden Schildknappen geschah

Ritter und Schildknappen hatten sich voneinander gesondert; diese erzählten sich ihren Lebenslauf, jene ihre Liebeshändel; allein die Geschichte berichtet zuerst: die Zwiesprache der Diener und fährt dann fort mit derjenigen zwischen den Herren. Nachdem sich also die Knappen von den Herren ein wenig entfernt, sprach der vom Walde zu Sancho: »Ein mühseliges Leben ist’s, das wir führen und verbringen, werter Herr; wir essen wirklich unser Brot im Schweiße unsres Angesichts, was ja einer der Flüche ist, mit denen Gott unsre Stammeltern gestraft hat.«

»Man kann auch sagen«, fügte Sancho bei, »wir essen es im Frost unsres Leibes, denn wer erträgt mehr Hitze und Kälte als die jammervollen Schildknappen der fahrenden Ritter? Und es wäre noch nicht so arg, wenn wir wenigstens zu essen bekämen, denn Elend wird vergessen, gibt’s nur was zu essen. Aber manchmal kommt’s vor, daß uns ein ganzer Tag vergeht oder auch zwei, ohne daß uns was ins Maul kommt als der Wind, der hineinbläst.«

»Alles das läßt sich tragen und ertragen«, sagte der vom Walde, »durch unsre Hoffnung auf den künftigen Lohn; denn wenn der fahrende Ritter, dem ein Schildknappe dient, nicht allzu großes Pech hat, so bekommt über kurz oder lang der Knappe geringstenfalls eine schöne Statthalterschaft über eine beliebige Insul zum Lohn oder eine Grafschaft, die sich gewaschen hat.«

»Ich«, versetzte Sancho, »habe meinem Herrn gesagt, ich bin mit der Statthalterei über eine Insul zufrieden; und er ist so edel und freigebig, daß er sie mir schon oft und bei den verschiedensten Gelegenheiten versprochen hat.«

»Ich«, sprach der vom Walde, »bin mit einer Domherrenpfründe zufrieden, und schon hat mir mein Herr eine gesichert.«

»Dann muß Euer Herr ein geistlicher Ritter sein«, entgegnete Sancho, »und da kann er seinem braven Schildknappen derlei Gnadengaben gewähren; meiner aber ist lediglich ein weltlicher, wiewohl ich mich erinnere, daß kluge Leute, die aber nach meiner Meinung schlechte Absichten hatten, ihm anraten wollten, er solle trachten, Erzbischof zu werden; aber er wollte nichts andres werden denn ein Kaiser. Ich zitterte damals sehr, es möchte ihm in den Sinn kommen, in den geistlichen Stand zu treten, weil ich für Kirchenpfründen nicht tauglich bin; denn ich erkläre Euch, wenn ich auch wie ein Mensch aussehe, so bin ich doch ein zu dummes Vieh, um geistlich zu werden.«

»Nun, in der Tat, darin geht Euer Gnaden fehl«, sagte der vom Walde, »denn die insulanischen Statthaltereien sind nicht alle von guter Art. Es gibt ihrer, wo’s schief steht, es gibt armselige, es gibt trübselige, und überhaupt führt die vornehmste und besteingerichtete mit sich eine schwere Bürde von Besorgungen, Unbequemlichkeiten, die sich der Unglückliche auf den Hals lädt, dem die Grafschaft zuteil wird. Weit besser wär es, wenn wir, deren Beruf diese verwünschte Dienstbarkeit ist, uns ruhig nach Hause zurückmachten und uns da mit vergnüglicheren Beschäftigungen unterhielten, wie zum Beispiel mit Jagen oder Fischen; denn welcher Schildknappe auf Erden wäre so arm, daß es ihm an einem Gaul und ein paar Jagdhunden und einer Angelrute fehlen sollte, um sich damit in seinem Dorfe zu vergnügen?«

»Mir fehlt es an nichts von alledem«, erwiderte Sancho. »Zwar hab ich keinen Gaul, aber ich hab einen Esel, der zweimal soviel wert ist als meines Herren Roß. Gott soll mir ein böses Jahr geben, und mag es auch gleich das allernächste sein, wenn ich ihn dafür hergäbe, selbst wenn man mir noch vier Malter Gerste drauflegte. Euer Gnaden hält es wohl für Scherz, daß mein Grautier, denn grau ist meines Esels Farbe, so hohen Wert hat. An Jagdhunden sodann würde mir’s nicht fehlen, denn die gibt es übergenug in meinem Dorf; und dazu kommt noch, daß die Jagd gerade dann am meisten Vergnügen macht, wenn sie auf fremder Leute Kosten betrieben wird.«

»Wahr und wahrhaftig«, entgegnete der vom Walde, »Herr Schildknappe, ich habe mir vorgenommen und beschlossen, die sinnlosen Possen dieses Rittergelichters im Stich zu lassen, um nach meinem Dorf heimzukehren und meine Kinderchen zu erziehen; deren hab ich drei wie Juwelen aus Morgenland.«

»Zwei hab ich«, sagte Sancho, »die sich vor dem Papst selber sehen lassen können, insbesondere ein Mädchen, das ich, so Gott will, zur Gräfin erziehe, obgleich ihre Mutter dagegen ist.«

»Und wie alt ist das gnädige Fräulein, das Ihr zur Gräfin erzieht?« fragte der vom Walde.

»Fünfzehn Jahr oder zwei mehr oder weniger«, antwortete Sancho; »aber sie ist hochgeschossen wie eine Lanze, so frisch wie ein Maienmorgen und hat Kräfte wie ein Taglöhner.«

»Das sind Eigenschaften«, entgegnete der vom Walde, »genügend, um nicht nur eine Gräfin, sondern selbst eine Nymphe im grünen Walde zu werden. O du Hure und Hurenkind! Was für eine Kraft muß das Mensch haben!«

Darauf aber sagte Sancho etwas ärgerlich: »Langsam! Weder ist sie eine Hure, noch ist’s ihre Mutter gewesen, und mit Gottes Willen wird’s keine von beiden sein, solang ich das Leben behalte; und es wären hier höflichere Ausdrücke am Platz; denn dafür, daß Euer Gnaden unter fahrenden Rittern auferzogen worden, als welche die Höflichkeit selbst sind, scheinen mir Eure Worte nicht sehr passend.«

»O wie wenig versteht Ihr von Lobeserhebungen, Herr Schildknappe!« entgegnete der vom Walde. »Wie? Ihr wißt nicht, wenn ein Edelmann im Zirkus dem Stier einen tüchtigen Lanzenstoß versetzt hat oder wenn sonst jemand sonst etwas gut vollbracht hat, daß da das Volk zu sagen pflegt: O der Hurensohn, o der Hurenkerl, wie gut hat er seine Sache gemacht! Und was in diesem Ausdruck wie ein Schimpf aussieht, das ist gerade ein ganz besonderes Lob. So müßt Ihr wahrhaftig Eure eignen Söhne oder Töchter verleugnen, Señor, wenn sie sich nicht so aufführen, daß man ihren Eltern dergleichen Lobsprüche erteilen kann.«

»Dann will ich sie allerdings verleugnen«, gab Sancho zur Antwort; »auf diese Weise und aus demselben Grunde könnt Ihr mir und meinen Kindern und meiner Frau eine ganze Hurenwirtschaft an den Kopf werfen, denn alles, was sie sagen und tun, übertrifft alles mögliche und verdient dergleichen Lobsprüche; und damit ich sie wiedersehe, bitte ich zu Gott, mich von aller Todsünde zu erlösen, was ebensoviel heißt, als mich von diesem gefahrvollen Knappendienst zu erlösen, in den ich nun zum zweitenmal geraten bin, verlockt und verrückt durch einen Beutel mit hundert Dukaten, den ich eines Tages tief drinnen in der Sierra Morena gefunden habe; und der Teufel stellt mir hier und dort, mal auf der einen Seite, mal auf der andern, einen Sack mit Dublonen vor Augen, so daß es mir vorkommt, als müßte ich ihn bei jedem Schritt mit der Hand greifen, und ich schließe ihn in die Arme und nehme ihn mit nach Hause und leihe dann auf Zinsen aus und kaufe mir Grundzinsen und lebe wie ein Prinz; und all die Zeit, wo ich hieran denke, werden mir all die Drangsale leicht und erträglich, die ich bei meinem Simpel von Herrn erdulde, der, weiß Gott, mehr vom Tollhäusler als vom Ritter an sich hat.«

»Eben darum heißt es auch im Sprichwort«, entgegnete der vom Walde: »Habgier überfüllt und zerreißt den Sack. Wenn wir aber von ihnen reden sollen, so gibt es keinen größeren Narren in der Welt als meinen Herrn; denn er gehört zu denen, von denen man sagt: Für Dritte sorgen bringt den Esel um. Damit nämlich ein andrer Ritter den Verstand, den er verloren hat, wiedererlange, macht er sich zum Narren und zieht umher und sucht, was ihm vielleicht, wenn er es gefunden hat, bald zum Hals herauswachsen wird.«

»Ist er etwa verliebt?« fragte Sancho.

»Freilich«, antwortete der vom Walde, »in eine gewisse Casildea von Vandalien, ein Fräulein so hart und zugleich so weich gesotten, wie kein zweites auf dem ganzen Erdenrund zu finden; aber die Härte ist’s eigentlich nicht, an der er leidet, andre und ärgere Tücken knurren ihm im Leib herum, und das wird sich zeigen, ehe noch viel Stunden vergehn.«

Sancho versetzte darauf: »Es ist kein Weg so eben, es ist ein Stein oder ein Loch zum Stolpern da. Auch in Nachbars Haus kocht man Bohnen, aber in meinem kocht man sie kesselweis. Die Narrheit hat gewiß mehr Genossen und Schmarotzer als die Gescheitheit; aber wenn es wahr ist, was man gemeiniglich sagt: Geteiltes Leid ist halbes Leid, so kann ich mich mit Euch trösten, da Ihr einem ebenso verrückten Herrn dient wie ich.«

»Verrückt, aber tapfer«, entgegnete der vom Walde, »und noch weit mehr durchtrieben, als er verrückt und tapfer ist.«

»Das ist der meinige nicht«, sprach Sancho darauf; »ich sag Euch, er hat nichts vom durchtriebenen Schelmen an sich; er hat ein Herz voller Einfalt. Er vermag keinem was Böses zu tun, vielmehr Gutes jedermann, und es ist kein Arg in ihm; ein Kind kann ihm weismachen, daß es am hellen Mittag Nacht ist, und um dieser Einfalt willen hab ich ihn lieb wie mein Herzblatt und kann es nicht über mich bringen, ihn zu verlassen, wenn er auch noch soviel unsinnige Streiche macht.«

»Das mag alles so sein, Herr Bruder«, sagte der vom Walde; »wenn aber der Blinde den Blinden führt, fallen sie beide in die Grube. Am besten wird’s sein, wir schreiten tüchtig zu und ziehen uns zurück und kehren heim zu unsrer Krippe; denn wer Abenteuer sucht, findet nicht immer angenehme.«

Sancho spuckte zum öftern aus, und zwar war es dem Anscheine nach eine gewisse Art von klebrigem und etwas trocknem Speichel; und als dies der mitleidige Waldknappe sah, sprach er: »Mir scheint, von unsrem Schwatzen klebt uns die Zunge am Gaumen; aber ich habe ein schleimlösendes Mittel am Sattelknopf meines Gauls hängen, und das ist was gehörig Gutes.«

Er erhob sich vom Boden und kam gleich darauf wieder mit einem großen Schlauch Wein und einer Pastete, die eine halbe Elle maß; und das ist keine Übertreibung, denn sie enthielt ein Kaninchen, so groß, daß Sancho beim Anfühlen der Pastete meinte, es sei ein Ziegenbock und nicht etwa bloß ein Zicklein. Als Sancho das sah, sagte er: »Also das haben Euer Gnaden bei sich, Señor?«

»Was habt Ihr Euch denn gedacht?« antwortete der andre; »bin ich vielleicht so ein hergelaufener Schildknappe von Pappdeckel? Ich führe bessern Mundvorrat auf der Kruppe meines Pferdes als ein General auf dem Marsch.«

Sancho aß, ohne sich bitten zu lassen, und schluckte im Dunkeln Bissen hinunter, so groß wie die Knoten eines Ochsenstricks, und sagte: »Ja, Euer Gnaden ist ein getreuer, redlicher Schildknappe; Ihr seid wie eine Mühle, die immer geht und mahlt, Ihr seid großartig und großherzig, wie es dieses Festmahl dartut, das, wenn es nicht durch Zauberkunst hierhergekommen, wenigstens danach aussieht. Ihr seid nicht wie ich, ärmlich und erbärmlich, der ich nichts in meinem Zwerchsack habe als ein wenig Käse, der so hart ist, daß man einem Riesen damit den Schädel einschlagen könnte, und welchem Gesellschaft leisten ein paar Dutzend Schoten Johannisbrot und ebensoviel Hasel- und Walnüsse, dank der Dürftigkeit meines Herrn und dank der Meinung, die er hegt, und der Regel, an der er festhält, daß fahrende Ritter sich von nichts erhalten und nähren sollen als von trocknem Obst und von Kräutern des Feldes.«

»Wahrlich, Bruder«, entgegnete der vom Walde, »mein Magen ist nicht für Distelkohl, Holzbirnen und Waldwurzeln geeignet. Sie mögen sehen, wie sie mit ihren Ritterschaftsgrillen und Rittergesetzen zurechtkommen, und mögen essen, was diese Gesetze vorschreiben; ich führe kalte Küche bei mir, und hier den Lederschlauch hab ich am Sattelknopf hängen für den Fall, daß, und für den Fall, daß nicht, und er ist mir so zugetan, und ich habe ihn so lieb, daß selten ein Augenblick vergeht, wo ich ihn nicht tausendmal küsse und an mich drücke.«

Mit diesen Worten gab er ihn Sancho in die Hand, und dieser hob ihn empor, setzte ihn an die Lippen, sah eine Viertelstunde lang die Sterne an, und als er ausgetrunken, neigte er den Kopf zur Seite, seufzte mächtiglich auf und sprach: »O der Schelm, der Hurensohn! Der ist aber echt!«

»Seht Ihr nun«, fiel der vom Walde ein, »wie Ihr, um den Wein zu loben, ihn einen Hurensohn genannt habt?«

»Ich sag’s ja«, antwortete Sancho, »ich bekenn es, daß ich jetzt erkenne, es ist keine Unehre, jemanden einen Hurensohn zu nennen, wenn man ihn damit loben will. Aber sagt mir, so wahr Gott am Leben erhalte, was Ihr am liebsten habt, ist der Wein von Ciudad Real?«

»Treffliche Weinzunge!« antwortete der vom Walde; »in der Tat, er ist nirgends anders her und zählt schon etliche Jahre an Alter.«

»Mir kommt Ihr damit?« sagte Sancho darauf. »Glaubt nur nicht, daß es mir zu hoch ist, ein richtiges Verständnis vom Wein zu haben. Ist’s nicht was Schönes, Herr Schildknappe, daß ich von Natur einen so guten Instinkt habe, daß, wenn man mir irgendeinen beliebigen Wein zu riechen gibt, ich gleich seine Heimat und Herkunft erkenne, und wie er schmeckt und wie lang er sich hält und wie oft er umgeschlagen wird, benebst allen andern Umständen, die beim Wein in Frage kommen? Aber es ist nichts zum Wundern dabei, denn ich hatte in meiner Familie von Vaters Seite die zwei ausgezeichnetsten Weinschmecker, welche seit vielen Jahren die Mancha gesehen hat; und zum Beweis will ich Euch erzählen, was ihnen einmal begegnet ist. Man gab ihnen beiden aus einem Fasse Wein zu versuchen und bat sie um ihr Urteil über Zustand, Beschaffenheit, Güte oder Mangelhaftigkeit des Weines. Der eine versuchte ihn mit der Zungenspitze, der andre hielt ihn bloß an die Nase. Der erste sagte, der Wein schmecke nach Eisen, der zweite sagte, er schmecke mehr nach Ziegenleder. Der Eigentümer sagte, das Faß sei rein und der Wein sei mit nichts verschnitten, wovon er den Geschmack von Eisen oder Leder habe annehmen können. Dessenungeachtet blieben die beiden ausgezeichneten Weinschmecker bei ihrem Ausspruch. Mit Verlauf der Zeit wurde der Wein verkauft, und beim Reinigen des Fasses fand man darin einen kleinen Schlüssel, der an einem Riemen von Ziegenleder hing. Daraus mag Euer Gnaden ersehen, ob ein Mann, der von solchen Ahnen stammt, in dergleichen Streitfragen sein Urteil abgeben kann.«

»Eben darum sag ich«, sprach darauf der vom Walde, »daß wir ablassen sollen, auf die Suche nach Abenteuern zu ziehn, und da wir Schwarzbrot haben, wollen wir nicht nach Kuchen gehen und wollen zu unsern Hütten heimkehren; denn Gott wird uns da schon finden, wenn es sein Wille ist. Bis mein Herr nach Zaragoza kommt, will ich in seinen Diensten bleiben, und dann werden wir weiter sehen.«

Kurz, die beiden wackern Knappen plauderten so viel und tranken so viel, daß ihnen zuletzt der Schlaf die Zunge fesseln und ihren Durst lindern mußte, denn den ihnen ganz zu löschen war unmöglich. Und so daliegend, jeder von beiden den fast geleerten Lederschlauch umklammernd, die halbgekauten Brocken im Munde, sanken sie in Schlaf; und so wollen wir sie für jetzt lassen, um zu berichten, was der Ritter vom Walde mit dem von der traurigen Gestalt verhandelte.

Vorrede

Hilf Himmel, wie begierig mußt du jetzt, erlauchter oder meinetwegen nicht erlauchter Leser, diesen Prolog erwarten! Da du glaubst, du werdest darin Rachetaten, Scheltworte und Schmähungen gegen den Verfasser des zweiten Don Quijote finden, ich meine jenes Don Quijote, der, wie man angibt, in Tordesillas erzeugt und in Tarragona geboren worden. Indessen, wahrlich, ich will dir dies Vergnügen nicht machen; denn wiewohl Beleidigungen auch in den demütigsten Herzen Zorn erwecken, soll in dem meinigen diese Regel eine Ausnahme erleiden. Du möchtest wohl, daß ich ihn mit Beinamen wie Esel, verrückter Kerl, frecher Bursch belegte; aber das kommt mir nicht in den Sinn. Mag seine Sünde über sein eigen Haupt kommen; mag er ausessen, was er sich eingebrockt; mag es ihm bekommen, wie er’s verdient. Was ich jedoch nicht umhinkonnte als Kränkung zu empfinden, ist, daß er mich ob meines Alters und meiner verstümmelten Hand schmäht, als ob es in meiner Macht gelegen hätte, die Zeit zurückzuhalten, daß sie nicht über mich hinwegschreite, und als ob meine Verstümmelung mir in irgendwelcher Kneipe zugekommen wäre und nicht vielmehr bei dem erhabensten Begebnis, welches die vergangenen und die jetzigen Zeiten erlebt haben und die künftigen jemals hoffen können zu erleben. Wenn auch meine Wunden nicht dem in die Augen glänzen, der sie anschaut, so haben sie wenigstens in der Achtung dessen ihren Wert, der da weiß, wo sie mir geschlagen wurden; denn einen schöneren Anblick bietet der Soldat, der in der Schlacht gefallen, als der Freiheit gewinnt auf der Flucht. Und diese Denkart steht so fest in mir, daß, wenn man mir heute das Unmögliche vorschlüge und möglich machte, ich dennoch vorzöge, an jener wunderherrlichen Waffentat teilgenommen zu haben, als jetzt ohne Wunden zu sein und nicht daran teilgenommen zu haben. Die Wunden, die der Soldat im Antlitz und auf der Brust zeigt, sind Sterne, die alle andern zur Himmelshöhe der Ehre und zum Erstreben gerechten Ruhms leiten; auch ist zu erwägen, daß man nicht mit den grauen Haaren, sondern mit dem Geiste schreibt, der mit den Jahren zu reifen pflegt.

Es hat mich auch dies gekränkt, daß er mich neidisch nennt und mir, als ob ich es nicht wüßte, auseinandersetzt, woher der Neid entstehe; während ich in Wirklichkeit von den zweierlei Arten des Neides, die es gibt, nur den reinen, edlen und das Gute erstrebenden kenne. Und wenn dem so ist – und es ist wahrlich nicht anders –, so bin ich auch nicht der Mann, irgendeinen Priester zu verfolgen, zumal wenn er zu dieser Eigenschaft noch die eines Familiars der heiligen Inquisition als Beigabe besitzt; und wenn jener es in bezug auf den Mann gesagt hat, den er dabei gemeint zu haben scheint, so irrt er ganz und gar, denn ich verehre tief dieses Mannes Geist, bewundre seine Werke und seine unaufhörliche und tugendsame Tätigkeit.

Indessen bin ich dem Herrn Verfasser dankbar für seinen Ausspruch, daß meine Novellen mehr satirisch als lehrreich, aber dennoch gut sind; und sie könnten das nicht sein, wenn sie nicht von beiden Eigenschaften etwas hätten.

Mich deucht, o Leser, du sagst mir, daß ich mich hier in zu engen Schranken bewege und mich zu sehr innerhalb der Grenzen meiner Bescheidenheit halte, weil ich weiß, daß man dem Betrübten nicht noch mehr Betrübnis schaffen darf; und der betrübte Zustand dieses Herrn muß allerdings sehr arg sein, da er nicht wagt, auf offener Kampfesbahn und bei hellem Tag hervorzutreten, vielmehr seinen Namen verbirgt und sich eine erdichtete Heimat beilegt, als habe er hochverräterisch eine Majestätsbeleidigung begangen. Solltest du einmal zufällig erfahren, wer er ist, so sage ihm in meinem Namen, daß ich mich keineswegs für beleidigt halte, da ich wohl weiß, was Versuchungen des Teufels sind, und weiß, daß es eine der schwersten ist, wenn er einem Manne in den Kopf setzt, daß er imstande sei, ein Buch zu schreiben und drucken zu lassen, mit dem er soviel Ruhm wie Geld und soviel Geld wie Ruhm gewinnen könne. Und zum Beweis dafür wünsche ich, daß du mit deiner heitern Laune und anmutigen Art ihm folgende Geschichte erzählst:

Es war einmal in Sevilla ein Narr, der verfiel auf die drolligste Ungereimtheit und seltsamste Grille, auf die je ein Narr verfallen. Er höhlte sich nämlich ein Rohr aus, das er am einen Ende zuspitzte, und wenn er auf der Straße oder sonstwo eines Hundes habhaft werden konnte, unterschlug er ihm ein Hinterbein mit seinem Fuß, hob ihm das andre mit der Hand in die Höhe, steckte, so gut es ging, sein ausgehöhltes Rohr in einen gewissen Ort und blies hinein, daß er ihm den Bauch rund anschwellte wie einen Lederball; und nachdem er ihn so zugerichtet, schlug er ihm ein paarmal mit der flachen Hand auf den Wanst, ließ ihn dann laufen und sagte zu den Umstehenden – deren immer viele waren –: »Meint ihr Herren jetzt noch, es koste wenig Mühe, einem Hund den Bauch aufzublasen?« Meint Ihr, werter Herr, etwa jetzt noch, es koste wenig Mühe, ein Buch zu verfassen?

Und wenn ihm diese Geschichte nicht angemessen erscheint, erzähle ihm, wertester Leser, die folgende, die ebenfalls von einem Hund und einem Narren handelt.

Es war einmal in Córdoba auch ein Narr, der hatte die Gewohnheit, ein Stück von einer Marmorplatte oder einen andern nicht gar leichten Stein auf dem Kopfe zu tragen, und wenn er einen Hund antraf, der nicht auf der Hut war, so trat er dicht an ihn heran und ließ die Ladung unversehens auf ihn herabfallen. Der Hund wurde wie toll, lief unter Bellen und Heulen davon und stand nicht eher still, bis er ein Dutzend Gassen hinter sich hatte. Es geschah nun einmal, daß unter den Hunden, auf die er seine Traglast fallen ließ, einer der Hund eines Mützenmachers war, auf den sein Herr sehr viel hielt. Der Stein fiel herab und traf ihn auf den Kopf, der schwer getroffene Hund erhob sein Geheul, sein Herr sah es und nahm es übel; er ergriff eine Elle, sprang auf den Narren los und ließ ihm keinen gesunden Knochen am Leibe, und bei jedem Schlag, den er ihm versetzte, schrie er: »Ha, du spitzbübischer Hund! Du wirfst meinen Jagdhund? Hast du bösartiger Kerl nicht gesehen, daß es ein Jagdhund ist?« Und unter hundertmaliger Wiederholung des Wortes Jagdhund ließ er den schier zu Pulver zerklopften Narren laufen. Der Narr führte sich die Lehre zu Gemüt, ging heim und wagte sich länger als einen Monat nicht hinaus. Nach Verfluß dieser Zeit kam er wieder mit seinem Kunststück und einer noch größeren Ladung, näherte sich dem Hunde, sah ihn scharf und unverwandten Auges an, und ohne daß er Lust hatte oder sich erkühnte, den Stein fallen zu lassen, rief er: »Das ist ein Jagdhund! Da muß ich mich in acht nehmen.« Und in der Tat, jeden Hund, der ihm begegnete, ob es nun eine Dogge oder ein Schoßhund war, den nannte er einen Jagdhund, und so ließ er seinen Stein nicht mehr fallen.

Vielleicht kann es jenem Romanschreiber ebenso gehen, daß er sich nicht wieder erdreistet, das von seinem Genius Erbeutete in Büchern auf das Publikum niederfallen zu lassen, welche, wenn schlecht, noch härter sind als Felssteine.

Sag ihm auch, daß seine Drohung, mir durch sein Buch allen Gewinst wegzunehmen, mich nicht einen Deut kümmert; denn ganz nach dem Vorbild des berühmten Zwischenspiels von der Perendenga sage ich: Solange mir nur mein gnädiger Herr, der Ratsherr, am Leben bleibt, für die andern alle sorgt unser Herr Jesus. So möge langes Leben haben der große Graf von Lemos, dessen christlicher Sinn, allbekannte Wohltätigkeit und Freigebigkeit mich gegen alle Schläge meines widerwärtigen Geschicks aufrechthält! Und lange lebe die hohe Milde des Hochwürdigsten von Toledo, Don Bernardo de Sandoval y Rojas. Und wenn es auch gar keine Druckereien in der Welt gäbe oder wenn man auch gegen mich mehr Bücher druckte, als die Strophen vom Mingo Revulgo Buchstaben haben! Diese beiden fürstlichen Herren, ohne daß ich mit Schmeichelei oder sonst irgendeiner Art von Lobeserhebung sie umworben, haben es lediglich aus eigener Güte sich angelegen sein lassen, mir Gunst und Hilfe zu gewähren, und damit erachte ich mich für höher beglückt und für reicher, als wenn das Glück mich auf gewöhnlichem Wege zu seinem höchsten Gipfel erhoben hätte.

Ehre kann auch der Arme besitzen, aber nicht der Lasterhafte; Armut kann den Adel umwölken, aber ihn nicht gänzlich verdunkeln. Jedoch wenn nur die Tugend etwas Licht von sich gibt, sei es auch durch die Engnisse und schmalen Ritzen der Armut hindurch, so wird sie doch zuletzt von erhabenen und edlen Geistern geschätzt und hilfreich begünstigt.

Weiter sollst du ihm nichts sagen, und auch ich will dir nichts weiter sagen, sondern dich nur erinnern, wohl im Auge zu behalten, daß dieser zweite Teil des Don Quijote, den ich dir hier überreiche, durch den nämlichen Werkmeister und von dem nämlichen Stoff zugeschnitten ist wie der erste und daß ich dir darin den Don Quijote in seinem weiteren Lebenslaufe und zuletzt gestorben und begraben darbiete, auf daß niemand sich erdreiste, abermals über ihn falsch Zeugnis abzulegen, da es an dem bisher abgelegten schon genug ist. Und es ist auch schon genug, daß ein ehrlicher Mann einmal Bericht von diesen verständigen Narreteien erstattet hat, so daß man sich nicht noch einmal damit befassen soll; denn das Allzuviel, sei es auch an Gutem, bewirkt, daß man das Gute nichts wert hält, und das Allzuwenig, sei es auch an Schlechtem, hat immer einigen Wert bei den Leuten.

1. Kapitel


Wie sich der Pfarrer und der Barbier mit Don Quijote über dessen geistige Krankheit besprachen

Es erzählt Sidi Hamét Benengelí im zweiten Teil dieser Geschichte, welcher die dritte Ausfahrt Don Quijotes enthält, daß der Pfarrer und der Barbier beinah einen Monat hingehen ließen, ohne ihn zu sehen, weil sie es vermeiden wollten, ihm die früheren Vorgänge aufzufrischen und ins Gedächtnis zurückzubringen. Allein sie unterließen darum nicht, seine Nichte und seine Haushälterin zu besuchen, und empfahlen diesen, auf seine sorgfältige Pflege wohl bedacht zu sein und ihm alles zu essen zu geben, was für Herz und Kopf stärkend und zuträglich sei, da aus diesen beiden, gründlicher Erwägung nach, sein ganzes Unglück gekommen. Sie versicherten, daß sie so täten und es auch fernerhin mit möglichster Bereitwilligkeit und Sorgfalt tun würden; denn sie sähen wohl, daß ihr Herr in einzelnen Augenblicken Beweise gebe, daß er bei vollem Verstande sei. Darob waren die beiden hocherfreut, da sie nunmehr sicher glaubten, das Richtige getroffen zu haben, als sie ihn verzaubert auf dem Ochsenkarren heimbrachten, wie dies im ersten Teile dieser ebenso großartigen wie höchst gründlichen Geschichte in dessen letztem Kapitel berichtet worden. So beschlossen sie denn, ihn zu besuchen und seine Besserung einer Probe zu unterwerfen, obschon sie dieselbe für beinahe unmöglich hielten; sie kamen überein, nicht das geringste von fahrender Ritterschaft verlauten zu lassen, damit seine Wunde, die kaum vernarbt war, nicht wieder aufgerissen würde.

Sie besuchten ihn also und fanden ihn im Bette sitzend, angetan mit einem Wämschen von grünem Flanell nebst einer roten Toledaner Mütze, so dürr und ausgetrocknet, daß er nicht anders aussah, als wenn er zur Mumie geworden wäre. Sie wurden von ihm sehr freundlich aufgenommen, erkundigten sich nach seiner Gesundheit, und er berichtete über diese und über sich mit klarem Verstand und in den gewähltesten Ausdrücken. Im Verlauf der Unterhaltung kamen sie auf jene Dinge zu sprechen, die man Politik und Regierungsformen nennt, wobei sie den einen Mißbrauch verbesserten und den andern gänzlich verurteilten, eine Sitte umgestalteten und eine andre aus dem Lande verbannten und jeder von den dreien einen neuen Gesetzgeber, einen zeitgemäßen Lykurg, einen neugebackenen Solon spielte. Und dergestalt schufen sie das Gemeinwesen um, daß es geradeso aussah, als hätten sie es in ein Schmiedefeuer gelegt und es in ganz anderm Zustand als vorher wieder herausgeholt. Don Quijote sprach so vernünftig über alle Gegenstände, die man berührte, daß die beiden Examinatoren es für zweifellos hielten, er sei gänzlich genesen und wieder im vollen Besitz seiner Vernunft.

Nichte und Haushälterin waren bei der Unterhaltung zugegen und wurden es nicht müde, Gott dafür zu danken, daß sie ihren Herrn wieder bei so gutem Verstande sahen. Allein der Pfarrer änderte jetzt seinen ersten Vorsatz, nämlich nicht das geringste von fahrender Ritterschaft vor ihm zu berühren, und wollte die Probe vollständig machen, ob Don Quijotes Genesung scheinbar oder echt sei; und so kam er, indem ein Wort das andre gab, allmählich auf verschiedene Neuigkeiten aus der Residenz zu sprechen und erzählte unter andrem, man halte für gewiß, daß der Türke mit einer gewaltigen Flotte gen Westen heranziehe; es wisse niemand, was seine Absichten seien noch wo ein so schweres Unwetter sich entladen werde; und angesichts dieser Besorgnis, mit welcher er uns schier jedes Jahr unter die Waffen rufe, halte die ganze Christenheit ihre Augen auf seine Flotte gerichtet und Seine Majestät habe die Küsten von Neapel und Sizilien und die Insel Malta in Verteidigungsstand setzen lassen.

Darauf versetzte Don Quijote: »Seine Majestät hat als ein einsichtsvoller Kriegsherr gehandelt, indem er seine Staaten rechtzeitig in Verteidigungsstand gesetzt hat, damit der Feind ihn nicht unvorbereitet finde; aber wenn man mich um Rat anginge, so würde ich dem Könige anraten, sich einer Maßregel zu bedienen, an welche zu denken Seiner Majestät bis zur gegenwärtigen Stunde wohl sehr fern gelegen hat.«

Kaum hörte dies der Pfarrer, als er bei sich selber sagte: Gott halte seine Hand über dir, armer Don Quijote, denn ich fürchte, du stürzest vom hohen Gipfel deiner Narrheit bis in den tiefsten Abgrund deiner Einfalt herab.

Der Barbier indessen, der schon auf denselben Gedanken gekommen war wie der Pfarrer, fragte Don Quijote, welches denn die vorgeschlagene Maßregel sei, die er für so sachdienlich erkläre; vielleicht sei sie derart, daß man sie auf die Liste der zahlreichen zweckwidrigen Vorschläge setzen müsse, mit denen die Fürsten häufig behelligt würden.

»Mein Vorschlag, Herr Bartkratzer«, sprach Don Quijote, »wird nicht zweckwidrig sein, sondern ganz zweckmäßig.«

»Ich habe es nicht so gemeint«, entgegnete der Barbier, »sondern weil die Erfahrung gezeigt hat, daß die Ratschläge, die man Seiner Majestät erteilt, alle oder doch in ihrer großen Mehrzahl entweder unausführbar oder ungereimt sind oder dem König oder dem Königreich zum Nachteil gereichen würden.«

»Der meinige aber«, versetzte Don Quijote, »ist weder unausführbar noch ungereimt, sondern der am leichtesten ausführbare, der angemessenste, der bequemste und rascheste, der nur immer einem erfinderischen Kopf einfallen kann.«

»Dann, Señor Don Quijote, zögert Ihr schon zu lang, ihn mitzuteilen«, sprach der Pfarrer.

»Es würde meinem Wunsche nicht entsprechen«, erwiderte Don Quijote, »wenn ich ihn heut hier mitteilte und er morgen in der Frühe den Herren Geheimräten zu Ohren käme und ein anderer den Dank und Lohn für meine Arbeit davontrüge.«

»Was mich betrifft«, sprach der Barbier dagegen, »vor der Welt sowie vor Gottes Antlitz geb ich das Versprechen: Was zu sagen Euch gelüstet, sag ich keinem wieder, Herre, weder König, weder Bauer noch sonst einem Erdenmenschen; ein Eidschwur, den ich aus der ›Romanze vom Pfarrer‹ gelernt habe, welcher in der Einleitung des Gedichtes dem Könige den Dieb anzeigte, der ihm die hundert Dublonen und seinen Maulesel, den Schnelltraber, gestohlen hatte.«

»Ich kenne derlei Geschichten nicht«, versetzte Don Quijote, »aber ich weiß, daß dieser Eidschwur gilt, sintemal ich weiß, daß der Herr Barbier ein braver Mann ist.«

»Wenn er es auch nicht wäre«, sprach der Pfarrer, »so bürge ich für ihn und stehe dafür ein, daß er über diese Sache nicht mehr reden soll als ein Stummer unter Androhung einer Geldbuße gemäß Urteil und Erkenntnis.«

»Und wer wird für Euer Gnaden bürgen, Herr Pfarrer?« fragte Don Quijote.

»Mein geistliches Amt«, antwortete der Pfarrer, »mit dem die Schweigepflicht verbunden ist.«

»Nun, bei Christi Leichnam!« sprach Don Quijote jetzt, »was braucht es weiter, als daß Seine Majestät durch öffentlichen Aufruf verordne, es sollen auf einen bestimmten Tag alle fahrenden Ritter, die durch Spanien streifen, in der Residenz zusammenkommen? Denn wenn ihrer auch nur ein halb Dutzend kämen, so könnte einer unter ihnen sein, der allein schon genügen würde, die ganze Macht des Türken zu vernichten. Schenkt mir eure Aufmerksamkeit und folgt meiner Darlegung: ist es vielleicht etwas Neues, daß ein einziger fahrender Ritter ein Heer von zweimalhunderttausend Mann in Stücke haut, als ob alle zusammen nur einen einzigen Hals hätten oder aus Zuckerteig geformt wären? Oder sagt mir doch: wie viele Geschichten sind nicht voll solcher Wundertaten? Es sollte nur – wenn es auch mir zum argen Nachteil wäre, ob anderen, will ich unberührt lassen –, es sollte nur heutzutage der weitberufene Don Belianís leben oder einer aus dem zahllosen Geschlechte des Amadís von Gallien! Denn wenn einer von diesen am Leben wäre und sich dem Türken gegenüberstellte, dann möchte ich nicht in der Haut des Türken stecken. Aber Gott wird sich seines Volkes annehmen und wird ihm einen Mann bescheren, der, wenn nicht so gewaltig wie die früheren fahrenden Ritter, ihnen wenigstens an mutigem Sinne nicht nachsteht; und Gott weiß wohl, wie ich’s meine, und mehr sag ich nicht.«

»O weh!« rief hier die Nichte, »ich will des Todes sein, wenn mein Herr nicht aufs neue ein fahrender Ritter werden will!«

Darauf sagte Don Quijote: »Als fahrender Ritter will ich leben und sterben, und ob der Türke nun herab- oder hinaufzieht, wann immer er es will und mit wie großer Macht er es kann, so sag ich noch einmal, Gott weiß, wie ich es meine.«

Hier aber sprach der Barbier: »Ich bitte Euch, meine Herren, daß mir gestattet werde, ein kurzes Geschichtchen zu erzählen, das sich in Sevilla zugetragen hat und das ich Lust habe mitzuteilen, weil es hierher paßt wie angegossen.«

Don Quijote gewährte die Erlaubnis, der Pfarrer und die andern hingen aufmerksam an seinen Lippen, und so begann er folgendermaßen:

Im Narrenhause zu Sevilla befand sich ein Mann, den seine Verwandten dahin gebracht hatten, weil er nicht bei Verstande war. Er war zu Osuna zum Grade eines Lizentiaten des Kirchenrechts befördert worden; aber wäre er es auch zu Salamanca geworden, so würde er nach der Meinung der Welt nichtsdestoweniger ein Narr geblieben sein. Dieser besagte Lizentiat kam nach einigen Jahren Einsperrung auf die Meinung, er sei wieder gesunden Geistes und bei vollem Verstande, und in dieser Überzeugung schrieb er an den Erzbischof und bat ihn dringend und mit durchaus verständigen Ausdrücken, er möchte ihn aus dem Elend, in dem er lebe, befreien, da er durch Gottes Erbarmen seinen vollen Verstand bereits wiedererlangt habe, während jedoch seine Verwandten, um auch fernerhin den Genuß seines Vermögens zu haben, ihn dort festhielten und der Wahrheit zum Trotz verlangten, daß er bis zu seinem Tod ein Narr bleibe. Der Erzbischof, durch zahlreiche wohlgesetzte und verständige Briefe endlich bewogen, befahl einem seiner Kapläne, sich bei dem Verwalter des Hauses zu erkundigen, ob auf Wahrheit beruhe, was jener Lizentiat ihm geschrieben, und er solle ebenfalls mit dem Narren sprechen, und wenn dieser nach seiner Ansicht bei Verstande sei, so solle er ihn entlassen und in Freiheit setzen. Der Kaplan tat also, und der Hausverwalter erklärte ihm, der Mann sei noch immer verrückt, denn wiewohl er sehr oft als ein Mensch von großem Verstande rede, so komme er am Ende plötzlich wieder mit Torheiten zum Vorschein, die ebenso groß und zahlreich wie vorher seine verständigen Äußerungen, wovon man sofort die Probe machen könne, wenn man sich mit ihm unterhalte.

Der Kaplan wollte diese Probe anstellen; man brachte ihn zu dem Verrückten, er sprach mit ihm eine Stunde und länger, und während dieser ganzen Zeit sagte der Verrückte nicht ein einziges verkehrtes oder ungereimtes Wort; vielmehr redete er mit solcher Besonnenheit, daß der Kaplan sich zu glauben gezwungen sah, der Narr sei ein durchaus vernünftiger Mensch. Unter anderm äußerte der Verrückte, der Hausverwalter sei ihm übel gesinnt, weil er die Geschenke nicht einbüßen wolle, die seine Verwandten ihm dafür zukommen ließen, daß er angebe, er, der Eingesperrte, sei ein Verrückter mit lichten Augenblicken; und der größte Feind, den er in seinem Unglück habe, sei eben sein Reichtum; denn um diesen zu genießen, gebrauchten sie Hinterlist und Tücke und äußerten Zweifel an der Gnade, die ihm Gott dadurch erwiesen, daß er ihn aus einem vernunftlosen Tier wieder zu einem Menschen umgewandelt habe. Kurz, seine Äußerungen waren derartig, daß er den Hausverwalter als verdächtig, seine Verwandten als habgierig und erbarmungslos und sich als so verständig darzustellen wußte, daß der Kaplan beschloß, ihn mitzunehmen, damit der Erzbischof selbst ihn sähe und die Wahrheit in diesem Handel mit Händen griffe.

In diesem guten Glauben ersuchte der biedere Kaplan den Verwalter, dem Lizentiaten die Kleider wiedergeben zu lassen, die er bei seinem Eintritt in die Anstalt getragen. Der Verwalter bat den Kaplan zu bedenken, was er tue, da der Lizentiat ohne den geringsten Zweifel noch immer verrückt sei. Die Warnungen und Vorstellungen des Verwalters, er möge davon abstehen, den Mann mitzunehmen, blieben aber bei dem Kaplan erfolglos; der Verwalter gehorchte, da er sah, daß es der Befehl des Erzbischofs sei. Man legte ihm seine Kleider an, die neu und anständig waren, und als er den Narren ausgezogen und den vernünftigen Menschen wieder angezogen hatte, bat er den Kaplan, ihm aus christlicher Liebe zu erlauben, von seinen bisherigen Genossen, den Narren, Abschied zu nehmen. Der Kaplan erwiderte, er selbst wolle ihn begleiten und sich die Narren ansehen, die sich im Hause befänden. Sie gingen denn wirklich hinauf und mit ihnen verschiedene Leute, die eben anwesend waren, und als der Lizentiat zu einer Zelle kam, in der sich ein Rasender befand, der aber jetzt still und ruhig war, sprach er zu diesem: »Lieber Freund, überlegt Euch, ob Ihr mir etwas aufzutragen habt, denn ich gehe nach Hause, weil Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit die Gnade gehabt hat, mir Unwürdigem meinen Verstand wiederzuschenken. Ich bin nun genesen und bei voller Vernunft, denn bei Gottes Allmacht ist kein Ding unmöglich. Setzet auch Ihr alles Hoffen und Vertrauen auf Gott, denn da er mich wieder in meinen früheren Zustand gebracht hat, so wird er auch Euch wieder dazu bringen, wenn Ihr ihm vertraut. Ich werde darauf bedacht sein, Euch etliches Gute zu essen zu schicken, und auf alle Fälle eßt es, denn ich tu Euch zu wissen, ich glaube als einer, der es an sich selbst erlebt hat, alle unsere Torheiten kommen davon her, daß man den Magen leer und das Gehirn voller Wind hat. Fasset Mut, fasset Mut, denn Niedergeschlagenheit im Unglück mindert die Gesundheit und führt den Tod herbei.«

All diesen Äußerungen des Lizentiaten hatte ein andrer Narr zugehört, der sich in einer anderen Zelle dem Rasenden gegenüber befand; er erhob sich von der zerschlissenen Schilfmatte, auf der er splitternackt lag, und fragte mit lautem Schreien, wer denn der Mann sei, der da genesen und bei Verstand von dannen gehe.

Der Lizentiat antwortete: »Ich bin’s, lieber Freund, der weggeht; denn ich habe es nicht mehr nötig hierzubleiben, wofür ich dem Himmel unendlich danke, der mir eine so große Gnade erwiesen hat.«

»Bedenket wohl, was Ihr sagt, Lizentiat, laßt Euch vom Teufel nicht verblenden«, entgegnete der Verrückte; »gebietet Eurem Fuße Halt, und bleibt mir hübsch ruhig an Eurer Wohnstätte, dann erspart Ihr Euch das Wiederkommen.«

»Ich weiß, daß ich gesund bin«, versetzte der Lizentiat; »es wird nicht nötig sein, diesen Leidensweg noch einmal zu gehen.«

»Ihr gesund?« sagte der Verrückte; »nun gut, es wird sich zeigen, geht mit Gott; aber ich schwöre Euch bei Jupiter, dessen Majestät ich auf Erden vertrete, um dieser alleinigen Sünde willen, die Sevilla heute dadurch begeht, daß es Euch aus diesem Hause freiläßt und Euch für vernünftig hält, werde ich über die Stadt eine solche Strafe verhängen, daß deren Angedenken währen soll bis in die spätesten Zeiten der spätesten Zeiten, Amen. Weißt du nicht, armseliges Ding von einem Lizentiaten, daß ich das zu tun vermag, da ich, wie ich gesagt, der Donnerer Jupiter bin und in meinen Händen die zündenden Blitze halte, mit denen ich die Welt zu bedräuen und zu zerstören imstande und gewohnt bin? Jedoch ich will diese unverständige Stadt nur mit einer Züchtigung heimsuchen, nämlich ich werde es in ihr und in ihrem ganzen Bezirk und Umkreis nicht regnen lassen, drei ganze Jahre hindurch, welche von dem Tag und Augenblick an, wo ich diese Drohung ausspreche, zu berechnen sind. Du frei, du gesund, du bei Verstand? Und ich ein Narr, und ich geisteskrank, und ich in Banden? Ich will inskünftig nicht mehr regnen lassen, so gewiß als ich mich nicht hängen will.«

Das Geschrei und die Äußerungen des Verrückten erregten allgemeine Aufmerksamkeit bei den Umstehenden; aber unser Lizentiat wendete sich zu unserm Kaplan, ergriff ihn bei den Händen und sprach zu ihm: »Seid darüber ohne Sorgen, werter Herr, und achtet nicht auf das, was dieser Narr gesagt hat, denn wenn er auch Jupiter ist und es nicht regnen lassen will, ich, ich bin Neptun, der Vater und Gott der Gewässer, und ich werde so oft regnen lassen, als es mich gelüstet und notwendig ist.«

Darauf entgegnete der Kaplan: »Trotz alledem wäre es nicht recht, den Herrn Jupiter zu erzürnen. Bleibt an Eurer Wohnstätte; ein andermal, wenn sich bequemere Gelegenheit und mehr Zeit findet, werden wir kommen, Euer Gnaden abzuholen.«

Der Verwalter lachte wie alle Anwesenden, und darüber ward der Kaplan etwas ärgerlich und beschämt; man zog dem Lizentiaten seine schönen Kleider vom Leibe; er blieb im Narrenhaus, und die Geschichte ist aus.

»Das ist also die Geschichte, Herr Barbier«, sprach Don Quijote, »die Ihr nicht umhinkonntet zu erzählen, weil sie mir paßt wie angegossen? O Herr Bartkratzer, Herr Bartkratzer, wie blind müßte der sein, der nicht durch ein Sieb sehen könnte! Und ist es möglich, daß Euer Gnaden nicht weiß, wie gehässig und verpönt Vergleichungen zwischen Naturanlagen und Naturanlagen, zwischen Tapferkeit und Tapferkeit, zwischen Schönheit und Schönheit, zwischen Familie und Familie sind? Ich, Herr Barbier, bin nicht Neptun, der Gott der Gewässer, und bewerbe mich nicht darum, daß irgendwer mich für verständig halte, wo ich es nicht bin, nur darum mühe ich mich, daß die Welt einsehen lerne, in welchem Irrtum sie sich befindet, daß sie nicht versteht, in ihrer Mitte jene Blütezeit zu erneuern, wo der Orden der fahrenden Ritterschaft das Feld behauptete. Aber unser verderbtes Jahrhundert ist nicht würdig eines so hohen Glückes, wie es die Zeiten genossen, da die fahrenden Ritter sich der Pflicht unterzogen und die Bürde auf ihre Schultern nahmen, die Königreiche zu verteidigen, die Jungfrauen zu beschützen, den Waisen und Minderjährigen beizustehen, die Hochmütigen zu züchtigen und die Demütigen zu belohnen. An den meisten der Ritter, wie man sie heute sieht, hört man eher Damast, Goldstoff und andre reiche Gewebe rauschen, in die sie sich kleiden, als die Panzerringe, mit denen sie sich rüsten. Jetzo gibt es keinen Ritter mehr, der da schliefe auf freiem Felde, dem Ungemach des Wetters ausgesetzt, bewehrt mit all seiner Wehr vom Kopf bis zu den Füßen; jetzo gibt es keinen mehr, der, ohne die Füße aus den Bügeln zu ziehen, auf seine Lanze gelehnt, dem Schlafe nur ein weniges vergönnen will, wie die fahrenden Ritter zu tun pflegten; keinen mehr, der, aus dem Walde hier hervorstürmend, in das Gebirge dort eindringen würde und von da aus ein unfruchtbares, wüstes Gestade beschreiten am Rande der See, der fast immer stürmischen und wildbewegten, und der sich am Meeresstrande unverzagten Herzens in einen kleinen Kahn ohne Ruder, Segel, Mast und Tauwerk, den er dort gefunden, hineinwerfen würde und sich preisgäbe den unerbittlichen Wogen des tiefen Meeres, die ihn bald zum Himmel emporschleudern, bald in den Abgrund hinabreißen. Und er, die Brust dem unwiderstehlichen Sturmestoben bietend, plötzlich, im Augenblick, wo er sich dessen am wenigsten versieht, findet sich über dreitausend und mehr Meilen entfernt von dem Orte, wo er zu Schiff gegangen; und wie er nun ans Land springt, ein entlegenes und unbekanntes Land, da begegnet ihm gar vieles, das würdig ist, nicht auf Pergament, sondern auf Erz niedergeschrieben zu werden. Aber heutzutage triumphiert die Trägheit über die Unverdrossenheit, der Müßiggang über die Arbeit, das Laster über die Tugend, die Anmaßung über die Tüchtigkeit, die Theorie über die Praxis des Waffenwerks, das nur im Goldnen Zeitalter unter den fahrenden Rittern gelebt und geglänzt hat.

Oder sagt mir doch: wer war je biederer und mannhafter als Amadís von Gallien? Wer verständiger als Palmerín von England? Wer war gerechter in allen Sätteln und umgänglicher als Tirante der Weiße? Wer ein Mann von besserer Lebensart als Lisuarte von Griechenland? Wer empfing und teilte mehr Schwerthiebe aus als Don Belianís? Wer war unverzagter als Perión von Gallien? oder wer stürzte sich häufiger in Gefahren als Felixmarte von Hyrkanien? oder war aufrichtigeren Gemütes als Esplandián? wer ungestümer als Don Cirongilio von Thrakien? wer schrecklicher im Kampf als Rodornont? wer umsichtiger als der König Sobrino? wer verwegener als Rinald? wer unbesieglicher als Roldán? und wer tapferer und edler von Gebaren als Rüdiger, von dem die heutigen Herzoge von Ferrara abstammen, wie Turpin in seiner Weltbeschreibung sagt? All diese Männer und viele andere, die ich aufführen könnte, Herr Pfarrer, waren fahrende Ritter, waren des Rittertums Glanz und Glorie. Aus ihnen erlesen oder Männer wie sie, so wünschte ich, sollten diejenigen sein, die ich mit meinem Vorschlag meine, und wenn sie es wären, dann würden Seiner Majestät treffliche Dienste geleistet und große Kosten erspart werden, und der Türke könnte sich den Bart ausraufen. Und hiermit sei’s gesagt, ich gedenke nicht an meiner Wohnstätte zu verbleiben, da mich doch der Kaplan nicht aus ihr fortnehmen will. Und wenn Jupiter, wie der Barbier gesagt hat, es nicht regnen lassen will, so bin ich da und lasse es regnen, wann es mich gelüstet; ich sage das, damit der Herr Bartschüssel wisse, daß ich ihn verstehe.«

»In der Tat, Señor Don Quijote«, entgegnete der Barbier, »so habe ich es nicht gemeint – und so wahr mir Gott helfe, meine Absicht war gut, und Euer Gnaden hat keinen Grund, empfindlich zu sein.«

»Ob ich empfindlich sein soll oder nicht«, erwiderte Don Quijote, »das weiß ich schon selbst.«

Darauf sagte der Pfarrer: »Bis zu diesem Augenblick habe ich noch kaum ein Wort gesprochen; ich möchte aber nicht gern in einem Bedenken befangen bleiben, das mich am Gewissen nagt und peinigt und das gerade aus den jetzigen Äußerungen des Señor Don Quijote in mir entstanden ist.«

»Noch ganz andre Dinge sind dem Herrn Pfarrer verstattet«, antwortete Don Quijote, »und so mögt Ihr denn Euer Bedenken aussprechen; es ist nicht gar angenehm, mit einem Bedenken auf dem Gewissen herumzugehen.«

»Mit dieser Genehmigung also«, entgegnete der Pfarrer, »sage ich: mein Gewissensbedenken ist, daß ich mir auf keinerlei Weise einreden kann, der ganze Haufen fahrender Ritter, die Euer Gnaden, Herr Don Quijote, aufgezählt hat, seien wahr und wirklich hienieden Menschen von Fleisch und Bein gewesen; vielmehr meine ich, alles sei nur Erdichtung, Fabel, Lug und Trug, Träume, von Leuten erzählt, die eben aus dem Schlafe erwacht, oder richtiger gesagt, noch halb im Schlafe sind.«

»Das ist abermals ein Irrtum«, versetzte Don Quijote, »ein Irrtum, in den gar viele verfallen sind, die da nicht glauben, es habe derartige Ritter auf Erden gegeben. Ich aber habe mich oft und bei den verschiedensten Leuten und Gelegenheiten bestrebt, diesen so ziemlich allgemeinen Irrtum mit dem Lichte der Wahrheit zu beleuchten; manches Mal indessen habe ich meinen Zweck nicht erreicht, hingegen andre Male ist es mir gelungen, indem ich ihn auf die Schultern der Wahrheit stützte. Diese Wahrheit ist so gewiß, daß ich beinahe sagen könnte, ich hätte Amadís von Gallien mit meinen eignen Augen gesehen: er war ein Mann von hoher Leibesgestalt, hell von Gesichtsfarbe, den Bart wohlgepflegt, wenn auch schwarz, im Blick eine Mischung von Sanftmut und Strenge, karg mit Worten, langsam zum Zorne und rasch zu versöhnen. Und so wie ich den Amadís gezeichnet habe, könnte ich meines Bedünkens die fahrenden Ritter, die auf dem ganzen Weltkreis in den Geschichten leben, samt und sonders malen und beschreiben; denn da ich mir vorstelle, daß sie so waren, wie ihre Geschichten uns erzählen, so kann aus ihren Taten und Eigenheiten mittels richtiger Schlußfolgerung entnommen werden, welches ihre Züge, Gesichtfarbe und Gestalt gewesen.«

»Wie groß denn, meint Euer Gnaden Señor Don Quijote, mag der Riese Morgante gewesen sein?« So fragte der Barbier.

»In betreff der Riesen«, antwortete Don Quijote, »sind die Meinungen verschieden, ob es solche auf der Welt gegeben habe oder nicht; allein die Heilige Schrift, die nicht um ein Jota von der Wahrheit abweichen kann, zeigt uns, daß es solche gegeben hat, da sie uns die Geschichte von jenem ungeheuren Philister Goliath erzählt, der achthalb Ellen hoch war, was eine übermäßige Größe ist. Auch hat man auf der Insel Sizilien mächtige Armknochen und Schulterblätter gefunden, deren Größe beweist, daß sie Riesen, und zwar turmhohen Riesen, angehört haben; die Meßkunst stellt diese Tatsache außer Zweifel. Aber trotzdem kann ich nicht mit Gewißheit sagen, wie groß Morgante war, wiewohl ich meine, er kann nicht allzu groß gewesen sein. Was mich zu dieser Ansicht veranlaßt, ist der Umstand, daß ich in der Geschichte, wo seiner Taten ausführliche Erwähnung geschieht, finde, wie er oftmalen unter Dach geschlafen hat; und wenn er Häuser fand, darin er Platz hatte, so ist seine Größe offenbar nicht übermäßig gewesen.«

»Das ist richtig«, sagte der Pfarrer; und da er Vergnügen daran fand, ihn so ungereimtes Zeug vorbringen zu hören, so fragte er ihn um seine Meinung über die Gesichtszüge des Rinald von Montalbán, des Don Roldán und der übrigen zwölf Pairs von Frankreich, da sie doch sämtlich fahrende Ritter gewesen seien.

»Von Rinald«, antwortete Don Quijote, »wage ich zu sagen, daß er ein breites und stark gerötetes Gesicht hatte, die Augen stets beweglich und etwas hervorstehend, reizbar und zornsüchtig über die Maßen, ein großer Freund von Räubern und schlechtem Gesindel. Über Roldán oder Hruotland oder Roland – denn mit all diesen Namen bezeichnet ihn die Geschichte – bin ich der Meinung, ja ich bin überzeugt, daß er von mittelhoher Gestalt war, breitschultrig, etwas krummbeinig, braun von Gesicht und mit struppigem Bart, dichtbehaart am Körper, dräuenden Blickes, karg mit Worten, doch im übrigen sehr höflich und wohlgesittet.«

»Wenn Roldán nicht zierlicher aussah, als Euer Gnaden gesagt«, entgegnete der Pfarrer, »so war’s kein Wunder, daß Fräulein Angelika die Schöne ihn verschmähte und ihn im Stiche ließ um der Anmut, Seelenglut und Liebenswürdigkeit willen, die der flaumbärtige Mohrenjunge ohne Zweifel besaß, dem sie sich hingab; und sie handelte verständig, daß sie lieber für die Weichheit Medoros entbrannte als für die Rauheit Roldáns.«

»Diese Angelika«, versetzte Don Quijote, »Herr Pfarrer, war ein ausschweifendes, in der Welt herumlaufendes und ziemlich launenhaftes Ding und erfüllte die Welt ebensosehr mit ihren unbesonnenen Streichen als mit dem Ruf ihrer Schönheit. Sie verschmähte tausend vornehme Herren, tausend Helden und tausend Männer von hohem Geiste und begnügte sich mit einem rotwangigen Edelknaben ohne Vermögen, ohne Ruf und Namen als höchstens den eines dankbaren Menschen – ein Name, den ihm die Treue zu seinem Freunde einbrachte. Der große Sänger ihrer Schönheit, der ruhmreiche Ariost, der sich nicht getraute oder nicht Lust hatte, zu besingen, was dieser Dame nach ihrer unwürdigen Hingebung an den Knaben weiter begegnete – was nicht allzu tugendsame Geschichten sein mochten –, ließ die Sache mit den Worten auf sich beruhen:

Und wie sie, um zur Heimat zu gelangen,
Ein gutes Schiff und bestes Wetter fand
Und endlich gab Medoren Indiens Krone,
Das singt ein andrer wohl, in besserm Tone.

Und ohne Zweifel war dies eine Art Prophezeiung, denn die Dichter nennen sich auch Priester Apollos, das heißt Propheten. Und wie wahr dies ist, kann man deutlich ersehen, denn späterhin hat ein berühmter andalusischer Dichter ihre ›Tränen‹ geweint und gesungen, und ein andrer berühmter, ja einziger kastilischer Dichter hat ihre ›Schönheit‹ besungen.«

»Sagt mir, Señor Don Quijote«, sprach hier der Barbier, »hat es nicht etwa einen Dichter gegeben, der neben den vielen, die dies Fräulein Angelika gepriesen, eine Satire auf sie geschrieben hat?«

»Wohl glaube ich«, antwortete Don Quijote, »wenn Sakripant oder Roldán Dichter gewesen wären, so würden sie dem Mägdlein gehörig den Kopf gewaschen haben; denn es ist die Eigenheit und Natur der Poeten, daß sie, wenn verschmäht und nicht erhört von ihren erdichteten oder nicht erdichteten Geliebten, sich an den Damen, die sie zu Herrinnen ihrer Gedanken erkoren haben, in allem Ernste mit Satiren und Schmähschriften rächen, eine Rache, die gewiß edelsinniger Gemüter unwürdig ist. Allein bis jetzt ist kein ehrenrühriger Vers gegen das Fräulein Angelika zu meiner Kenntnis gelangt, das doch die ganze Welt in Aufruhr gebracht hat.«

»Ein Wunder!« rief der Pfarrer.

Indem hörten sie die Haushälterin und die Nichte, die sich vorher schon von der Unterhaltung zurückgezogen hatten, im innern Hofe gewaltig schreien, und sie alle eilten dem Lärmen nach.