Viertes Kapitel

Viertes Kapitel

Viertes Kapitel

Mark Twains spätere Werke.

Im Jahre 1872 unternahm Mark Twain eine Reise nach Europa, um mit dortigen Verlegern über die Herausgabe seiner Bücher zu unterhandeln. In England war er schon wohlbekannt und ein willkommener Gast. Er erzählt uns von einem Festmahl in London, zu welchem acht- bis neunhundert Personen Einladungen erhalten hatten und dem er auch beiwohnte. Bei Beginn des Festes wurden die Namen sämtlicher Berühmtheiten verlesen, welche anwesend waren, wobei die Versammlung jeden einzelnen mit mehr oder weniger Beifall begrüßte. Dies fand Mark Twain auf die Dauer ermüdend und er fing an, sich mit seinem Tischnachbar zu unterhalten, bis plötzlich ein wahrhaft betäubender Beifallssturm das Gespräch unterbrach. Von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen, begann auch er aus Leibeskräften zu klatschen. »Wem gilt denn das?« fragte er endlich verwundert, als sich der Lärm noch immer nicht legen wollte. »Herrn Samuel Clemens,« war die Antwort. Das überwältigte ihn so sehr, daß er die Arme sinken ließ, regungslos sitzen blieb und sich in seiner Verwirrung nicht einmal dankend verbeugte.

Als ›Tom Sawyer‹ 1876 erschien, erreichte Mark Twain den Gipfel seines Ruhms. Das Buch fand ungeheuern Absatz; in kürzester Frist war immer eine Auflage nach der andern vergriffen. Im folgenden Jahre kam das ›Skizzenbuch‹ heraus, eine Sammlung humoristischer Erzählungen und Aufsätze, die der Verfasser gelegentlich in verschiedenen Zeitungsblättern veröffentlicht hatte. Es zeugt von seiner großen Vielseitigkeit und manche Liebhaber Mark Twains geben diesen kleinen Stücken den Vorzug vor seinen größeren Schöpfungen.

Die Reise, welche Mark Twain im Frühling 1878 mit seiner Familie nach Europa machte, lieferte ihm den Stoff für sein berühmtes Buch: ›A Tramp Abroad‹. Der Weg führte ihn durch England, Frankreich und die Schweiz nach Deutschland, wo er sich für den Sommer niederließ und eingehende Studien über Sprache, Sitten, Lebensgewohnheiten und Vergnügungen der Deutschen anstellte. Wir lernen in diesem Buch eine ganz neue und unterhaltende Persönlichkeit kennen, nämlich Twains Reisegefährten Harris, der bald Führer, bald Kurier ist, sich zur Zielscheibe vieler Späße hergeben muß und in allerlei Verlegenheiten gerät. Zu einer wörtlichen und vollständigen Wiedergabe im Deutschen eignet sich ›A Tramp Abroad‹ nicht, dagegen sind die vorzüglichsten Episoden daraus dem sechsten Bande unserer Auswahl einverleibt.

Nach Amerika zurückgekehrt, gab Mark Twain den ›Gestohlenen weißen Elefanten‹ heraus. In diesem Band findet sich auch das berühmte ›Brüder, knipst ein!‹ dessen Ursprung auf eine Einrichtung zurückzuführen ist, die damals versuchsweise in der New Yorker Stadtbahn getroffen wurde. Sie bestand in einer Art gegenseitiger Kontrolle für Schaffner und Reisende; die betreffende Verfügung der Direktion wurde in den Koupees angeschlagen; sie war zufällig so abgefaßt, daß sie sich von selbst zu reimen schien und eine Art Gassenhauer bildete, der bald in aller Munde war. Mark Twain hat diesen Umstand aufs trefflichste benützt, um seinen Witz auszulassen.

Im Jahre 1883 erschien das ›Leben auf dem Mississippi‹, welches ein bedeutendes Bruchstück aus dem eigenen Leben des Verfassers enthält. Im ersten Teil desselben schildert er aufs anschaulichste seine Thätigkeit als Lotse auf einem Dampfer des Riesenstromes, während er im zweiten Teil bei den Veränderungen verweilt, die sich seit dem Bürgerkriege auf dem Mississippi und an dessen Ufern vollzogen haben.

Eine Erzählung ganz eigener Art, mit der Mark Twain selbst seine genauesten Freunde überraschte, ›Prinz und Bettelknabe‹ folgte 1885. Es kann nicht eigentlich unter die humoristischen Schriften zählen, verrät vielmehr die eingehendsten und genauesten Kenntnisse der Zustände Altenglands, die nur als Frucht ausgedehnter Geschichts- und Sprachstudien gewonnen werden konnten.

In ›Huckleberry Finn‹, der Fortsetzung und dem Seitenstück von ›Tom Sawyer‹, das 1886 veröffentlicht wurde, bot der Verfasser seinem Publikum eine hochwillkommene Gabe. Sie berichtet die weiteren Erlebnisse Tom Sawyers und seines Freundes Huckleberry und macht den Leser mit einer Menge neuer Charaktere bekannt, die durch ihre Frische und Eigenart ungewöhnlich anziehend sind.

Ferner hat Mark Twain geschrieben: ›Der amerikanische Prätendent‹, – ›Ein Yankee an dem Hofe König Arthurs‹, – ›Die Jungfrau von Orleans‹. Die erste dieser Erzählungen erschien zwar in deutscher Uebersetzung, bleibt jedoch hinter anderen humoristischen Schöpfungen des Autors zurück. Die beiden anderen Erzählungen verraten gleich dem früher erwähnten ›Prinz und Bettelknabe‹, daß Mark Twain sehr eingehende Studien der altenglischen und altfranzösischen Geschichte getrieben hat; sein Werk über die »Jungfrau von Orleans« ist übrigens durchaus ernster Art. Dagegen zeigt er in seiner Erzählung ›Querkopf Wilson‹ (in deutscher Uebersetzung 1898 im Verlag von Rob. Lutz in besonderer Ausgabe erschienen) wiederum den Humor seiner besten Zeit, ja manche Kritiker schätzen ›Querkopf Wilson‹ als eine der genialsten Gaben des Autors. Die Erzählung spielt in den dreißiger Jahren in einem der damaligen Sklavenstaaten am Mississippi und er hat in ihr den Typus einer Negermutter geschaffen, der in seiner tragi-komischen Gestaltung kaum wirkungsvoller dargestellt werden könnte. Der eigentliche Held der Erzählung ›Querkopf Wilson‹ ist ein Sonderling, dem Mark Twain durch eine Reihe von Sprüchen, die im ›Kalender Wilsons‹ enthalten sind, einen Teil seiner eigenen Lebensweisheit in den Mund gelegt hat. – Von seinem allerneuesten Werk: der ›Reise um die Welt‹ wird später die Rede sein.

Von Mark Twains Büchern sind in Amerika über eine Million Exemplare verkauft worden und ungefähr halb so viele in England und den Kolonien; auch wurden die meisten seiner Werke ins Französische, Italienische, Deutsche, Norwegische und Dänische übertragen.

In Deutschland waren Mark Twains Schriften vor Erscheinen der vorliegenden Ausgabe wenig verbreitet. Erst durch diese, welche den schwer zu verdeutschenden Autor in einer allen Anforderungen entsprechenden guten Übersetzung zu billigem Preis bringt, und zwar durch Auswahl des Allerbesten und für Deutschland Passendsten, hat Mark Twain in Deutschland eine noch immer im Wachsen begriffene Volkstümlichkeit erlangt.

Fünftes Kapitel

Fünftes Kapitel

Fünftes Kapitel

Oeffentliche Vorlesungen.

Von vielen Seiten aufgefordert, vereinigten sich Mark Twain und George W. Cable im Jahre 1884 zu einer Rundreise durch die Vereinigten Staaten, um Vorlesungen aus ihren eigenen Werken zu halten. Ueberall, wohin die beiden Schriftsteller kamen, wurden sie mit Freuden aufgenommen und fanden volle Häuser. Wie wir bereits wissen, war für Mark Twain ein solches öffentliches Auftreten nichts Neues; schon 1866 und 1867 hatte er in Nevada und Kalifornien eine Reihe von Vorlesungen gehalten, sich auch bei verschiedenen Gelegenheiten in England vor einem größeren Publikum hören lassen. Sehr beliebt war er auch als Tischredner bei Festessen, seine Toaste in Boston und New York hatten Aufsehen erregt, auch seine Shakespearevorlesungen rühmte man als meisterhaft.

Die obenerwähnte Vorlesungstour dauerte fünf Monate und es trug sich manches Spaßhafte dabei zu. Als Clemens und Cable nach Albany, der Hauptstadt des Staates New York, kamen, machten sie dort in Gesellschaft mehrerer anderer Herren dem Gouverneur ihre Aufwartung und wollten auch das Kapitol besuchen. Der Generaladjutant war ausgegangen und sie mußten im Bureau auf seine Rückkehr warten. Clemens ließ sich behaglich an einem der Schreibtische nieder, die andern Herren setzten sich gleichfalls und bald war eine heitere Unterhaltung im Gange. Da kamen plötzlich von allen Seiten wohl ein Dutzend Schreiber und Beamte, die in der Abteilung beschäftigt waren, ins Bureau gestürzt, um nach ihrem Begehr zu fragen. Die Mitglieder der Gesellschaft sahen einander verwundert an, sie begriffen nicht, um was es sich handeln könne. Bald jedoch stellte es sich heraus, daß Mark Twain zufällig oder absichtlich auf den elektrischen Klingeln Platz genommen und die ganze Reihe auf einmal in Bewegung gesetzt hatte.

In Montreal befanden sich unter Mark Twains Zuhörern viele Franzosen; dies veranlaßte ihn zu folgender Anrede:

»Die hier anwesenden Gäste sind der größten Anzahl nach Franzosen; es wird daher wohl angemessen sein, daß ich wenigstens einen Teil meiner Rede in ihrer schönen Sprache halte, um doch einigermaßen verstanden zu werden. Mich überfällt immer eine gewisse Blödigkeit, wenn ich französisch sprechen soll; nur wenn ich in Aufregung gerate, geht es fließend. Auch bin ich, soviel ich weiß, noch nie für einen Franzosen gehalten worden, wenigstens nicht von Menschen, höchstens von Pferden. Ich hatte früher gehofft, mich durch den französischen Satzbau allein schon verständlich machen zu können, aber, der Versuch, welchen ich einmal in Quebec damit anstellte, mißlang gänzlich. Als das Dienstmädchen mir öffnete, fragte ich: ›Herr Soundso, ist er bei sich?‹ – Sie verstand mich nicht. Ich fuhr fort: ›Ist es, daß er noch nicht ist zurückgekehrt nach seinem Haus der Geschäfte?‹ – Sie begriff mich noch immer nicht. ›Er wird sein trostlos, wenn er hört, daß sein Freund Amerikaner ist angekommen und er nicht bei sich, ihm zu schütteln die Hand.‹ Selbst das verstand sie nicht – weshalb, ist mir unbegreiflich. Ja, sie wurde sogar ärgerlich und als ihr jemand von hinten zurief: ›Wer ist denn da?‹ erwiderte sie kurz: ›Ein Narr!‹ und schlug mir die Thür vor der Nase zu. – Vielleicht hatte sie nicht unrecht; aber wie konnte sie es wissen – sie sah mich doch zum allererstenmal! – Wie gesagt, ich möchte bei diesem Vortrag meinen Gefühlen gern auf Französisch Luft machen, aber ganz schmucklos, ohne alle blumigen Redensarten, denn nach meiner Meinung ist edle Einfachheit die größte Zierde jedes litterarischen Erzeugnisses! also: J’ai un beau bouton de mon oncle, mais je n’ai pas celui du charpentier. Sie vous avez le frommage du brave menuisier, c’est bon; mais si vous ne l’avez pas, ne vous désolez pas, prenez le chapeau de drap nour de son beaufrère malade. Tout à l’heure! Savoir faire! Qu’est ce que vous dites? Pâté de foie gras. Revenons à nos moutons. Pardon messieurs, pardonnez moi; j’ai essayé de parler la belle langue d’Ollendorf, aber das macht mir mehr Mühe, als Sie sich vorstellen können. Glauben Sie mir, ich habe es in bester Absicht gethan und so gut ich irgend konnte.« – Von seinen bekanntesten Tischreden erwähnen wir nur einen Toast auf das ›Weib‹. Er sagt dabei unter anderem folgendes:

»Die Tochter der modernen Zivilisation ist das kostbarste und auserlesenste Wunder, das uns je vorgekommen ist. Um sie zu erzeugen, müssen alle Länder, alle Zonen, alle Künste ihren Beitrag liefern: Ihr Weißzeug ist aus Belfast, ihr Kleid aus Paris, ihr Fächer aus Japan, ihr Bouquethalter aus China, ihre Uhr aus Genf, ihr Haar aus – ja, wo ihr Haar her ist, habe ich nie ausfindig machen können. Ich meine natürlich nicht ihr gewöhnliches Haar, mit dem sie zu Bette geht, sondern ihr Sonntagshaar, das Ding, das sie zusammendreht und dann immer rund um den Kopf wickelt wie einen Bienenkorb, unter dem sie zuletzt das Ende verschwinden läßt …«

Bald nachdem Clemens wieder nach Hartford zurückgekehrt war, suchte ihn dort ein angesehener Verleger auf, der von ihm einen literarischen Beitrag zu haben wünschte und sich erbot, jeden Preis dafür zu zahlen, den der Humorist fordern würde.

»Wissen Sie,« erwiderte ihm Mark Twain in seiner schleppenden Weise, »eben erst habe ich mir ein schauderhaft dickes Buch vom Halse geschrieben und den Bewohnern dieses unglücklichen Landes eine endlose Reihe Vorlesungen auf den Hals gejagt; mir ist zu Mute wie einer Riesenschlange, die einen Ziegenbock verschluckt hat. Ich muß wenigstens ein halbes Jahr still liegen, ohne auch nur den Schwanz zu rühren.«

Das sollte seine abschlägige Antwort bedeuten.

Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel

Mark Twain daheim.

Als Clemens 1871 den Entschluß faßte, Buffalo zu verlassen und seinen dauernden Wohnsitz im Osten zu nehmen, wählte er, wie bereits erwähnt, Hartford in Connecticut. Die Stadt hatte ihm bei einem früheren Besuche gleich ausnehmend gefallen, da sie regen geistigen Verkehr und lebhaften Handel und Wandel mit ländlicher Zurückgezogenheit zu vereinigen schien.

In Nook Farm auf der Farmington Avenue, etwa fünfviertel Meilen von der Geschäftsgegend der Stadt entfernt, baute er sich ganz nach eigenem Geschmack ein geräumiges Wohnhaus aus verschiedenfarbigen Backsteinen und buntem Mörtel, welches mit seinen Giebeln, Bogenwölbungen und altertümlichen Fenstern einem jener altadeligen Herrenhäuser nicht unähnlich sieht, an welchen England so reich ist.

Von Mark Twains glücklichem Leben in den siebziger und achtziger Jahren hat ein Hausfreund ein anziehendes Bild entworfen. Er schreibt:

An Mitteln, sein Besitztum zu vergrößern und zu verschönern, hat es Mark Twain nicht gefehlt, seit er mit seiner jungen Frau in Hartford Einzug gehalten hat. Alles, was die Neuzeit durch Kunst und Erfindung zur Annehmlichkeit des Lebens beitragen kann, findet sich in ihrem Heim reichlich vertreten.

Mark Twains Arbeitszimmer ist im obern Stock und bietet eine herrliche Aussicht, die man am besten von einem der drei Balkons genießt, welche an das Zimmer stoßen. In einer Ecke steht der Schreibtisch und in der Mitte des Raumes das Billard, auf dem der Hausherr gern von Zeit zu Zeit ein Paar kunstgerechte Stöße thut, wenn er sich vom Schriftstellern erholen will. Es ist sein Lieblingsspiel, das er mit ebenso viel Eifer als Geschicklichkeit betreibt. Ein Freund erzählt von ihm, er habe einmal mitten in der Partie bemerkt, daß Funken, die aus dem Kamin gesprungen waren, einen Haufen loser Papiere auf dem Boden entzündet hatten und eine Feuersbrunst zu befürchten stand. Statt das Spiel zu unterbrechen, klingelte er nach dem Diener, befahl diesem, den Brand zu löschen und that zugleich einen wahren Meisterstoß mit dem Queue, das er in der Hand hielt. Mark Twain gerät nie in Aufregung.

Das Jahr zerfällt für ihn in zwei Teile. Vom 1. Juni bis Mitte September lebt er auf der Besitzung von Verwandten seiner Frau, in Quarry Farm bei Elmira im Staate New York. Hier ist für ihn ein Sommerhaus errichtet worden, das auf einer Bergspitze, sechshundert Fuß über dem Thalgrund, steht. Das Gebäude ist fast durchweg aus Glas und zwar nach dem Muster der Lotsenbehausung auf einem Mississippidampfer gebaut. Von allem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen, beschäftigt sich Clemens hier hauptsächlich mit seinen schriftstellerischen Arbeiten. Jeden Morgen um halb neun begiebt er sich in seine luftige Schreibstube, die etwas abseits vom Hause liegt, und bleibt dort, bis das Blasen eines Horns ihn ungefähr um fünf Uhr zu Tische ruft. Dazwischen nimmt er keine Mahlzeit ein und es herrscht strenge Weisung, ihn während seiner Arbeitszeit nicht zu stören. Sein einziger Genuß währenddem ist seine Zigarre. Wie bekannt, ist er ein leidenschaftlicher Rancher und läßt die Zigarre selten ausgehen. Bei der Arbeit ist sie ihm geradezu unentbehrlich, da er ohne sie nichts von Belang zustande bringt. Auf Reisen nimmt er immer seine eigene Sorte mit, auch eine Auswahl der kurzen Pfeifen, an die er gewöhnt ist, und einen Vorrat Tabak. Ein Herr, der ihn bei seiner letzten Ueberfahrt nach Frankreich auf dem Dampfer traf, erzählt scherzend, er sei stets mit einem ungeheuern Tabakspaket und einer Anzahl Zigarrenschachteln auf Deck gekommen, da er die Sorge für diesen Teil seines Gepäcks keiner Menschenseele anvertrauen wollte. Wenn er sich eine frische Zigarre anzündete, so habe er unterdessen das Tabakspaket auf den Boden gelegt und mit dem Fuße festgehalten, damit es ihm niemand entwenden konnte.

Er ist übrigens beständig auf der Jagd nach einer Zigarre, die in Bezug auf Preis und Güte alle seine Ansprüche befriedigt. Einmal glaubte er die Sorte gefunden zu haben, die er suchte, und man sagt, daß nach einer Abendgesellschaft, die er im Winter bei sich in Hartford gab, jeder seiner Gäste sich vor dem Fortgehen eine von diesen Zigarren anzünden mußte. Am andern Morgen fand er sie sämtlich auf dem Schnee liegen, neben dem Fußpfad, der durch seine Wiese führt. Die Herren hatten sie alle aus Höflichkeit geraucht, bis sie im Freien waren, wo ihr Selbsterhaltungstrieb über die Höflichkeit siegte. Sie warfen die Zigarre fort, ohne zu bedenken, daß man sie bei Tageslicht finden werde. Durch die Entdeckung, welche der nächste Morgen brachte, war das Urteil über die neue Sorte ein für allemal gesprochen.

In Elmira arbeitet Clemens angestrengt. Er stellt da die Aufzeichnungen, die er das Jahr über in seinen Notizbüchern gemacht hat, zu einem Ganzen zusammen, beendet angefangene Arbeiten und giebt dem, was nur Entwurf war, seine endgültige Form. Es liegt übrigens nicht in seiner Art, bei einer schriftstellerischen Unternehmung zu bleiben und sie zu Ende zu führen, ehe er etwas Neues beginnt, sondern er hat immer eine Anzahl Pläne zugleich vor und arbeitet daran je nach Stimmung.

Außer seiner Leidenschaft für das Billard hat Mark Twain auch eine große Vorliebe für das Velociped. Er hält sich zwar in Hartford Wagen und Pferde, macht aber am liebsten große Ausflüge auf dem Zweirad. Auch ist er ein unermüdlicher Fußgänger; sein Freund, der Prediger an der Hartforder Kirche, welche Clemens regelmäßig besucht, begleitet ihn gewöhnlich auf seinen weiten Spaziergängen.

Führt Clemens in Elmira ein meist zurückgezogenes Leben, so ist dagegen sein Tageslauf in Hartford, wohin er im September zurückkehrt, voll Abwechslung und Unterhaltung. Hier hält er seine Zeit weniger streng zu Rate und überläßt sich ungehindert den Freuden des geselligen Verkehrs. Er bewirtet viele Freunde und sein gastfreies Haus bildet einen Mittelpunkt für die litterarische Welt. Howells, der ausgezeichnete Novellist, verkehrt stetig bei ihm, wie früher Bayard Taylor, Cable, Aldrich, Henry Irving und viele andere Berühmtheiten bei ihm zu Gaste gewesen sind; der Humorist Dudley Warner und die bekannte Harriet Beecher-Stowe wohnen ganz in seiner Nähe. Man sagt, daß er einmal, als er der Verfasserin von ›Onkel Toms Hütte‹ einen Besuch machte, in seiner Zerstreutheit vergessen hatte, Kragen und Krawatte anzulegen. Bei seiner Heimkehr bemerkte seine Gemahlin mit Schrecken, welchen gesellschaftlichen Verstoß er begangen habe; Mark Twain blieb jedoch höchst gelassen und sagte, er wolle es schon wieder gut machen. Er legte nun den Kragen nebst der Krawatte in eine Schachtel und schickte beides zu Frau Stowe hinüber.

Mark Twain liebt seine Häuslichkeit über alles und ist ein zärtlicher Gatte und Vater. Von seinen drei hübschen Töchtern ist Susan, die älteste, 1872 geboren, Clara 1874 und Jean 1880; ein Söhnchen starb schon in früher Kindheit. Frau Clemens ist zehn Jahre jünger als ihr Mann, einfach und anspruchslos in ihrem ganzen Wesen und Auftreten und von sanfter, stiller Gemütsart. Derselben soll, wie behauptet wird, jeder Sinn für ihres Mannes Witze abgehen. Bei dem Tode seiner Mutter habe Clemens geäußert, jetzt lebe kein Glied mehr in der Familie, das seine Witze verstehen könne.

Susan Clemens gilt für ihres Vaters Liebling und hat viel von seiner Begabung geerbt. In dem Tagebuch, das sie eine Zeitlang führte, pflegte sie allerlei kleine Familienereignisse aufzuzeichnen und eigene Bemerkungen hinzuzufügen. Frau Clemens las einmal darin folgenden Satz: »Der Vater braucht immer viel stärkere Ausdrücke, wenn die Mutter nicht dabei ist, oder wenn er glaubt, daß ›wir‹ es nicht hören.« Sie zeigte dies ihrem Gatten, der nun absichtlich mancherlei sagte, was dem Kinde auffallen mußte. Auch fand er seine Aussprüche nachträglich stets in dem Tagebuche verzeichnet, bis es einmal darin hieß: »Ich werde jetzt nichts mehr über den Vater schreiben, denn ich glaube, er hat mein Tagebuch gelesen und thut und sagt mit Fleiß viele Dinge, damit ich sie aufschreiben soll.«

Wir möchten diesen Abschnitt nicht schließen, ohne nochmals auf das schöne Band zurückzukommen, das Mark Twain und seine Gattin verbindet. Von ihr als der Erzieherin seiner Kinder schrieb er folgende goldene Worte:

»Meine Kinder haben keine treuere und bessere Freundin als ihre Mutter, das wissen sie, und was ihre Hand nur berührt hat, gilt ihnen als geheiligt. Nie hat sie ihnen unrecht gethan, nie ist sie ihnen gegenüber von der Wahrheit abgewichen; sie hält jedes Versprechen, ob es Lohn oder Strafe verheißt, darauf können sie sich verlassen; kein unverständiges Gebot ist je aus ihrem Munde gegangen und stets hat sie unbedingten Gehorsam verlangt. Freundlich und höflich müssen sie in Wort und Benehmen gegen Leute jeden Standes sein und auch ihnen wird stets die liebevollste Rücksicht zu teil. Das alles wissen sie, denn sie besitzen die beste und gütigste Mutter, die gelebt hat.«

Das Zusammenleben mit seiner edlen Gattin betrachtet Mark Twain als das größte Glück seines Lebens und wenn gelegentlich eine Trennung unvermeidlich ist, dann sucht er in einer täglichen Korrespondenz Ersatz. Es berührt uns in dem Zeitalter der Postkarten ganz wunderbar, wenn er erzählt, wie umfangreich der Briefwechsel zwischen ihm und seiner Frau bei jeder Trennung ist. Er schreibt ihr täglich. »In sechs Monaten,« sagte er einmal zu einem Bekannten, »habe ich mindestens 200 000 Wörter an meine Frau geschrieben, und diese Briefe sind nach meiner Ansicht auch in literarischer Beziehung das Beste, was ich je verfaßt habe, der Stil ist so leicht und fließend und die Schilderung so lebendig, wie sie mir nie gelingt, wenn ich für den Druck schreibe. Als ich dies einmal Herrn Walker vom ›Cosmopolitan‹ erzählte, meinte er, es sei eine kolossale Verschwendung, er würde mir 1000 Dollars für jeden dieser Briefe geben Das schrieb ich meiner Frau und sagte ihr, ich könne keine solche Verschwendung treiben, sie möchte mir die Briefe wieder schicken. ›Nur für 1500 Dollars das Stück‹, schrieb sie zurück. Aber ich weiß schon, wenn ich sie beim Wort nähme, würde sie aufschlagen.« –

Im übrigen kann Mark Twain sehr schreibfaul sein; wo Liebe oder Pflicht ihm nicht die Feder in die Hand drücken, läßt er dieselbe gerne ruhen. In dieser Beziehung ist folgende Anekdote charakteristisch: Der englische Schriftsteller Ballentine hatte lange auf eine Antwort von Mark Twain gewartet. Endlich verlor er die Geduld und schickte ihm mit der Post einen Briefbogen und eine Briefmarke, um ihn an seine Versäumnis zu erinnern. Als Erwiderung erhielt er folgende Postkarte: »Papier und Marke erhalten. Bitte, schicken Sie ein Kouvert.«

Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel

Erfinder und Verleger.

Mark Twains Lebenslauf ist ganz der eines ›self made man‹, d. h. eines Mannes, der sich aus eigener Kraft emporgearbeitet. Seine Schriftstellerei hat darum so viel Kraft und Gehalt, weil sie erfüllt ist von dem, was der Autor selbst erlebt und durchgemacht. Er war nacheinander Buchdrucker, Lotse, Privatsekretär, Goldgräber, Redakteur und Vorleser und damit nicht genug wurde er auch noch Erfinder und Verleger. Die praktischen Erfindungen, die er gemacht und industriell verwertet hat, sind aus dem eigenen Bequemlichkeitsbedürfnis entstanden. So erdachte er ein besonderes Taschenbuch zum Aufzeichnen von Notizen und Einfällen aller Art. Clemens hatte immer vergeblich ein passendes Buch dieser Art gesucht, alle vorhandenen hatten nämlich die schlechte Gewohnheit, sich an der falschen Stelle aufzuklappen und ihn so irre zu machen. Sein Notizbuch dagegen schlägt sich mittels einer einfachen Vorrichtung immer am rechten Fleck auf – bei der zuletzt beschriebenen Seite.

Auch eine Weste hat Mark Twain erfunden, bei der die Tragbänder überflüssig sind, ein Hemd mit Kragen und Manschetten, in denen man keinerlei Knöpfe braucht, einen immerwährenden Kalender an die Uhr zu hängen und ein Brettspiel: eine Art Geschichtslotto, durch das sich die Jahreszahlen dem Gedächtnis einprägen sollen.

Als Schriftsteller ist Mark Twain vom Glück in hohem Grade begünstigt worden. Doch hat man ihn nach seinen ersten Erfolgen oft die Ansicht äußern hören, er würde, wenn er das Leben noch einmal von vorn anfangen könnte, seine Bücher selbst herausgeben, weil er als sein eigener Verleger weit mehr Gewinn mit dem Verkauf seiner Schriften erzielen könnte. Als er im März 1884 das Manuskript von ›Huckleberry Finn‹ beendet hatte, bot er es der ›Amerikanischen Verlagsgesellschaft‹ an, die durch Herausgabe seiner Werke zu bedeutendem Ansehen und Reichtum gelangt war. Mark Twain hatte bis dahin alles in allem etwa 400 000 Dollars Honorar erhalten. Ueber das neue Buch konnten sich jedoch Verfasser und Verleger nicht einigen. Lange schwankten die Verhandlungen hin und her; man bot ihm die Hälfte der Reineinnahme, aber das genügte ihm nicht, er verlangte sechzig Prozent des Gewinns. Hierauf glaubte sich die Gesellschaft nicht einlassen zu können, das Geschäft zerschlug sich und Mark Twain beschloß, seinen ›Huckleberry‹ im eigenen Verlage erscheinen zu lassen. In Verbindung mit seinem Neffen Charles O. Webster, von dessen Geschäftskenntnis er eine hohe Meinung hatte, gründete er die Firma Webster und Co., welche das neue Buch herausgab. Jedermann war auf das Ergebnis gespannt und siehe da – ›Huckleberry Finn‹ brachte seinem Verfasser eine Nettoeinnahme von 100 000 Dollars. Zwar starb der junge Webster bald darauf, aber der Name der Firma blieb unverändert bestehen. Sie veröffentlichte auch noch andere Bücher außer den Mark Twainschen und hat besonders mit den Memoiren des Papstes und den Denkwürdigkeiten des Generals Grant ein ungeheures Geschäft gemacht. Für letztere hatte Clemens der Familie Grant einen Preis geboten, den andere Verleger nicht zu zahlen wagten. Sie verstanden, nach seiner Ansicht, diese einzigartige Gelegenheit nicht zu würdigen. Welche Umstände schon nach einigen Jahren den Zurückgang der Firma Webster herbeiführten, ist uns nicht bekannt geworden.

Die Besteigung des Riffelbergs

Die Besteigung des Riffelbergs

Kaum war ich auf meiner Schweizerreise in Zermatt angelangt, so benützte ich gleich den ersten Abend, um mich gründlich darüber zu unterrichten, wie man Alpenbesteigungen am besten bewerkstelligt.

Ich las alles darauf bezügliche in den Büchern, die ich auftreiben konnte, und darin u. a. folgende Ratschläge:

Man schafft sich vor allem feste, mit spitzigen Nägeln beschlagene Schuhe an und einen Alpenstock, der vom dauerhaftesten Holze sein muß, denn, wenn er bricht, kann man leicht ums Leben kommen. Man muß eine Axt mit sich führen, um Stufen in das Eis zu hacken und eine Leiter, die über die unwegsamsten Felsen forthilft. Mancher Tourist ist schon stundenlang nach einem Übergang umhergeirrt, bloß weil er sich nicht mit einer Leiter versehen hatte. Ein dickes Seil von 150-500 Fuß Länge ist ganz unumgänglich nötig, um sich an steilen und schlüpferigen Abhängen hinunterzulassen. Sehr nützlich ist auch ein starker, stählerner Haken zum Erklimmen derjenigen Felswände, für welche die Leiter zu kurz ist. Der Tourist wirft den an einem Seil befestigten Haken wie einen Lasso in die Höhe, bis derselbe an einer Felsenspitze hängen bleibt, dann arbeitet er sich mit Händen und Füßen an dem Seil hinauf. Hierbei darf er aber dem Gedanken nicht Raum geben, daß – sollte der Haken nicht halten – er selbst ins Fallen geraten und zuletzt in einer Gegend der Schweiz auf den Boden kommen würde, wo kein Mensch ihn erwartet. Mit einem dritten Seil, – und das ist die Hauptsache – müssen sich alle Bergsteiger an einander binden, damit, wenn einer aus der Gesellschaft in einen Abgrund oder eine Gletscherspalte hinabstürzt, die andern sich entgegen stemmen und ihn am Seil wieder heraufziehen können. Ferner braucht man einen Gazeschleier, um das Gesicht vor Schnee, Graupeln, Hagel und Wind zu schützen, und eine blaue Reisebrille, um nicht schneeblind zu werden. Endlich braucht man noch Träger, die mit Mundvorrat und Wein beladen werden, sowie mit wissenschaftlichen Instrumenten und wollenen Decken.

Zum Schluß meiner Studien las ich noch den Bericht über das entsetzliche Abenteuer, das Herrn Whymper einmal auf dem Matterhorn zugestoßen ist, als er allein 5000 Fuß über der Stadt Breil herumkletterte. Er suchte seinen Weg an einem Abhang gefrorenen Schnees. Derselbe war ein paar hundert Fuß lang und lief zunächst in eine Spalte aus, an deren Ende ein Abgrund von 800 Fuß Tiefe gähnte, gerade oberhalb eines Gletschers. Sein Fuß glitt aus und er stürzte hinab. Hören wir ihn selbst: »Wegen meines Tornisters fiel ich mit dem Kopf zu unterst und schlug zunächst etwa 12 Fuß tiefer auf Felsengestein; ich prallte wieder ab und nun ging’s Hals über Kopf dem Abgrund zu. Der Alpenstock flog mir aus der Hand und immer mächtigere Sätze beförderten mich hinab, bald über Eis, bald über Gestein, wobei ich meinen Kopf vier- bis fünfmal mit stets verstärkter Gewalt aufschlug. Beim letzten Sprung flog ich 50-60 Fuß weit wie ein Kreisel durch die Luft und quer über die Spalte. Glücklicherweise schlug ich mit der ganzen linken Seite des Körpers am Rande derselben auf. Mein Kopf lag zum Glück oben und nach ein paar krampfhaften Griffen mit den Händen fand ich just über dem Abgrund einen Anhalt. Alpenstock, Hut und Schleier wirbelten an mir vorbei und verschwanden, und das Krachen, mit dem die durch meinen Fall losgebröckelten Steine auf die Gletscher fielen, sagte mir vernehmlich, mit wie knapper Not ich dem Geschick entronnen war, in der fürchterlichen Tiefe zerschmettert zu werden. In sieben bis acht Absätzen war ich beinahe 200 Fuß hinabgestürzt, und weitere zehn Fuß würden mich in einem Riesensprung bis zu dem Gletscher hinunter befördert haben.

Meine Lage war auch jetzt keineswegs gefahrlos, da ich den Felsen nicht einen Augenblick loslassen durfte und mir das Blut aus zwanzig offenen Wunden floß. Die schlimmsten am Kopfe versuchte ich zwar mit der einen Hand zu schließen, während ich mich mit der andern festhielt, aber bei jedem Pulsschlag schoß ein neuer Blutstrahl hervor. Plötzlich kam mir ein glücklicher Einfall – ich nahm einen großen Klumpen Schnee und legte ihn mir als Pflaster auf den Kopf. Das Blut hörte allmählich auf zu fließen. Nun arbeitete ich mich höher am Felsen hinauf und es gelang mir noch, eine gesicherte Stelle zu erreichen – dann verließen mich die Sinne!

Als ich wieder zum Bewußtsein erwachte, nahte sich die Sonne schon dem Untergang, und es war stockfinster, ehe ich die ›Riesenleiter‹ hinabgestiegen war. Glück und Behutsamkeit im Vereine halfen mir die 4700 Fuß bis nach Breil hinab, ohne daß ich auch nur ein einzigesmal ausglitt oder die Richtung verlor.«

Nach diesem Abenteuer mußte Whymper seiner Wunden wegen mehrere Tage lang das Bett hüten; kaum war er aber wieder aufgestanden, so erklomm er denselben Berg noch einmal. Ein richtiger Alpenbesteiger thut es nicht anders; er kann nicht genug Abenteuer bestehen!

Dieser und ähnliche Berichte von unglaublichen Gefahren, Abenteuern und Triumphen unserer Alpenbesteiger hatten mich in die größte Aufregung versetzt. Ich war ganz entzückt und berauscht davon. Nachdem ich eine Weile schweigend dagesessen, fuhr ich plötzlich in die Höhe und rief aus:

»Mein Entschluß steht fest!«

Der Ton dieser Worte fiel meinem Reisebegleiter Harris auf; er blickte mich an; und als er sah, was in meinen Augen geschrieben stand, wurde er sichtlich bleich und stammelte: »Rede!« – worauf ich mit erkünstelter Ruhe erwiderte: »Ich will den Riffelberg ersteigen!« – Mein armer Freund fiel vor Schreck jählings vom Stuhl, als hätte ich ihn totgeschossen. Er beschwor mich, meine Absicht aufzugeben, – inniger kann kein Sohn seinen Vater bitten, – ich aber blieb taub gegen sein Flehen. Als er endlich sah, daß mein Entschluß unerschütterlich war, gab er sein Drängen auf, und nur das bitterliche Schluchzen, das sich seiner Brust entrang, unterbrach eine Zeitlang unser tiefes Schweigen. Unbeweglich wie ein Marmorbild saß ich da und starrte ins Leere. – Im Geiste kämpfte ich schon mit allen Gefahren des wilden Gebirges, während mein Freund mit von Thränen umflorten Augen voll staunender Bewunderung nach mir hinblickte. Endlich fiel er mir gerührt um den Hals und rief mit überströmendem Gefühl: »Dein Harris wird dich nie verlassen, laß uns zusammen sterben!« – Laut pries ich hierauf die standhafte Treue meines Freundes und am Ende hatte er bald alle Furcht vergessen und brannte vor Begierde, sich in das Abenteuer zu stürzen. Er wollte sogleich die Führer zum Aufbruch um 2 Uhr morgens bestellen; ich aber machte ihm klar, daß wir ja um diese Zeit keine Zuschauer haben würden und daß der Aufbruch bei Nacht in der Regel nicht im Dorfe stattfindet, sondern erst nach dem ersten Nachtquartier im Gebirge. Ich sagte ihm, wir wollten Zermatt am nächsten Tage zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags verlassen; bis dahin hätten wir Zeit, mit den Führern alles zu besprechen und die Aufmerksamkeit des Publikums auf unser Unternehmen zu lenken. Dann ging ich zu Bett, aber ohne Ruhe zu finden! Wer eine dieser großen Alpenbesteigungen vorhat, kann niemals schlafen, und so warf ich mich denn wie im Fieber die ganze Nacht auf meinem Lager hin und her. Ich war daher herzlich froh, als ich die Uhr halb zwölf schlagen hörte. Es war hohe Zeit aufzustehen und sich zum Mittagessen anzukleiden. Ganz ermattet und wie zerschlagen trat ich um zwölf Uhr in den Speisesaal. Die große Nachricht mußte sich herumgesprochen haben, denn ich bildete bald den Mittelpunkt für die Neugier und das Interesse der Gäste. Es ist sehr schmeichelhaft, als Löwe des Tages zu gelten, – wenn man dabei seine Mahlzeit in Ruhe verzehren könnte!

Wie es in Zermatt üblich, wenn eine große Besteigung von dort aus unternommen wird, lassen Einheimische und Fremde ihre eigenen Pläne für den Augenblick fallen, um von einem guten Platz aus den Aufbruch der Expedition beobachten zu können. Dieselbe bestand aus 198 Personen mit Einschluß der Maulesel, und aus 205 mit Einschluß der Kühe. Es wurde 4 Uhr nachmittags, bis der ganze Zug in Ordnung war und sich in Bewegung setzen konnte, dann bot er aber auch das großartigste Schauspiel, das Zermatt je gesehen.

Ich befahl dem ersten Führer, Menschen und Tiere hintereinander in Zwischenräumen von zwölf Fuß in einer Reihe aufzustellen und sie alle zusammen durch ein starkes Seil zu verbinden. Seine Einwendung, daß die zwei ersten Meilen des Weges ganz eben seien und man das Seil nur an gefährlichen Stellen brauche, ließ mich kalt; denn meine Bücher hatten mich gelehrt, daß viele der schlimmsten Unfälle in den Alpen nur aus dem Umstand entspringen, daß sich die Leute nicht rechtzeitig an einander binden. Durch meine Schuld sollte die Liste der Verunglückten nicht vergrößert werden.

Als der Zug nun fertig dastand, durch das Seil verknüpft und marschbereit, war der Anblick ganz prächtig!

Er nahm eine Länge von 3122 Fuß ein, – mehr als eine halbe Meile – außer mir und Harris waren alle zu Fuß; jeder trug einen grünen Schleier, eine blaue Brille, einen weißen Mullstreifen um den Hut, das zusammengewickelte Seil über der Schulter und die Eishacke im Gürtel. Die linke Hand umschloß den Alpenstock, die rechte den zugemachten Regenschirm, und hinten waren die Krücken aufgeschnallt; Edelweiß und Alpenrosen schmückten die Hörner der Kühe und das Gepäck auf dem Rücken der Lasttiere.

Wir nahmen den gefährlichsten Posten ein, ganz hinten, und jeder von uns war mit fünf Führern verbunden. Unsere Träger hatten sich mit unseren Eishacken, Alpenstöcken und der übrigen Ausrüstung beladen, während wir selbst auf unseren kleinen Eseln saßen. Wir hatten sehr kleine gewählt, damit wir, wenn Gefahr drohte, die Beine ausstrecken, uns auf den Boden stellen und den Esel unter uns weglaufen lassen konnten. Ich kann jedoch dieses Tier nicht empfehlen, wenigstens nicht zu derartigen Ausflügen, weil es einem mit seinen Ohren die Aussicht versperrt. Obgleich wir beide, ich und mein Begleiter, das vorschriftsmäßige Bergsteigerkostüm besaßen, hatten wir es doch zu Hause gelassen, und aus Hochachtung für die zahlreichen Touristen beiderlei Geschlechts, die uns abmarschieren sahen, sowie aus Rücksicht für alle diejenigen, welchen wir unterwegs begegnen könnten, Fräcke angezogen. Um ein viertel auf fünf Uhr gab ich den Befehl zum Abmarsch, und meine Untergebenen trugen ihn schnell die ganze Linie entlang. Da brach die Zuschauermenge, die vor dem Monte-Rosa-Hotel Spalier stand, in lautes Hurra aus, worauf ich zum Gegengruß kommandierte: ›Stillgestanden, – Achtung – Hoch!‹ – bei letzterem Wort flogen alle Regenschirme auf der ganzen halben Meile mit einemmale in die Höhe! – Es war ein herrliches Schauspiel, wie solches in den Alpen nie zuvor gesehen worden war, und eine vollständige Überraschung für die Zuschauer, die nun in einen wahren Beifallssturm ausbrachen. Ich ritt mit abgezogenem Hut an ihnen vorbei, um meinen Gefühlen Ausdruck zu geben; es auf andere Weise zu thun, war ich außer stande, da ich vor Rührung nicht sprechen konnte.

Wir tränkten die Karawane an dem kalten Strom, der am Ende des Dorfes durch eine Röhrenleitung floß, und ließen bald darauf die Stätten der Zivilisation hinter uns. Gegen halb sechs Uhr erreichten wir die Brücke, welche sich über den Bispfluß wölbt, und schickten zuerst eine Abteilung hinüber, um ihre Sicherheit zu prüfen, dann folgte die ganze Karawane ohne Unfall. Der Weg führte nun in allmählicher Steigung über grüne Matten bis zur Kirche von Winkelmatten. Ohne dieses Gebäude näher in Augenschein zu nehmen, machte ich eine Schwenkung nach rechts und überschritt die Brücke über den Findelenbach, nachdem ihre Tragfähigkeit untersucht worden war. Dann wendete ich mich abermals zur Rechten, und erreichte bald eine zweite Strecke Wiesenland, an dessen äußerstem Ende einige verfallene Hütten standen.

Der Platz war wie geschaffen zum Bivouakieren; wir schlugen daher unsere Zelte auf, speisten zu Abend und stellten die nötigen Wachen aus. Nachdem wir noch die Ereignisse des Tages verzeichnet hatten, legten wir uns schlafen. Um 2 Uhr morgens standen wir wieder auf und zogen uns bei Licht an, wobei uns recht frostig und unbehaglich zu Mute war. Nur wenige Sterne leuchteten am dunkeln Himmel und der große Kegel des Matterhorns war in schwarze Wolkenmassen gehüllt. Da unser Hauptführer fürchtete, daß wir Regen bekämen und zum Aufschub riet, warteten wir. Gegen neun Uhr brachen wir bei ziemlich klarem Wetter auf.

Der Weg führte nun zu schrecklich steilen Höhen hinauf, die dicht mit Lärchen- und Arvenbäumen bewaldet waren. Das Erdreich war vom Regen ganz aufgeweicht, auch lagen viele lose Steine umher. Die Gefahr und Unbequemlichkeit der Wanderung wurde überdies noch durch die zahlreichen Touristen vermehrt, die uns auf ihrem Rückweg zu Pferd oder zu Fuß entgegen kamen, während andere Touristen, im Hinaufsteigen begriffen, rasch an uns vorbei wollten und uns überall drängten und stießen. Aber es sollte noch schlimmer kommen: eine Stunde später riefen alle siebzehn Führer plötzlich Halt! und traten zu einer Beratung zusammen. Nachdem diese eine geraume Zeit gedauert hatte, erklärten sie, daß wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach verirrt hätten. Ich fragte, ob sie es denn nicht bestimmt wüßten, worauf sie erwiderten, sie könnten das nicht mit vollständiger Gewißheit behaupten, da noch keiner von ihnen je zuvor in dieser Gegend gewesen sei. Wenn sie es aber auch nicht beweisen könnten, so sage ihnen doch ihr Gefühl, daß sie sich verirrt hätten; auch hielten sie es für ein verdächtiges Zeichen, daß uns so lange keine Touristen begegnet seien.

Da saßen wir schön in der Patsche.

Der besseren Sicherheit wegen bewegten wir uns nur langsam und bedächtig vorwärts, da der Wald sehr dicht war; auch stiegen wir nicht in die Höhe, sondern zogen um den Berg herum, in der Hoffnung unsere alte Spur wieder aufzufinden. Mit Einbruch der Nacht kamen wir, todmüde, vor einem haushohen Felsen an, bei dessen Anblick den Leuten vollends der Mut sank, und Furcht und Verzweiflung die Oberhand gewannen. Sie schluchzten, weinten und klagten, daß sie ihre Heimat und ihre Lieben nie wiedersehen würden, und ergingen sich in Verwünschungen gegen mich, den Urheber dieses verhängnisvollen Unternehmens, ja einzelne brachen sogar in Drohungen aus!

Nun galt es keine Schwäche zu zeigen! Ich hielt eine Rede, in der ich bewies, daß schon vor uns andere Alpenbesteiger in ähnlich gefahrvolle Lage geraten seien, sich aber durch Mut und Ausdauer glücklich daraus befreit hätten. Ich versprach ihnen Beistand und Rettung aus der Not, stellte ihnen vor, daß wir auf lange hinaus mit Lebensmitteln versehen seien, und schloß mit dem Ausdruck der zuversichtlichen Hoffnung, daß die Bewohner von Zermatt nicht eine ganze Schar von Menschen verschwinden lassen würden, ohne in kürzester Frist eine Expedition zu ihrer Hilfe auszurüsten.

Die Rede verfehlte ihre Wirkung nicht; die Leute schlugen willig ihre Zelte auf und lagen bald in süßem Schlummer. Nur Harris und ich blieben wach; denn ich hätte mir nie gestattet, bei so drohender Gefahr zu schlafen – ich fühlte mich verantwortlich für die vielen Menschenleben und wollte zur Hand sein, wenn die Lawinen heruntergestürzt kämen. Jetzt weiß ich allerdings, daß in jener Gegend keine Lawinen vorkommen, aber damals war ich noch im Dunkel darüber.

Die ganze Nacht hindurch machten wir Wetterbeobachtungen und ich verwandte kein Auge von dem Barometer, um jede auch noch so geringe Veränderung zu bemerken; aber ich nahm die ganze Zeit über auch nicht den leisesten Wechsel wahr. Welchen Trost mir das freundliche und ermutigend beständige Instrument in dieser Zeit der Not gewährte, läßt sich nicht in Worte fassen! Daß der Barometer schadhaft war und nur noch seinen unbeweglichen Metallzeiger besaß, entdeckte ich erst später; aber wenn ich je wieder in eine ähnliche Lage gerate, wünsche ich mir keinen anderen Barometer als diesen.

Am nächsten Morgen war die ganze Gesellschaft um zwei Uhr beim Frühstück, und sobald es hell genug war, banden wir uns wieder mit dem Seil zusammen und begannen den Angriff auf den Felsen. Zuerst warfen wir das Hakenseil aus, und Harris versuchte daran in die Höhe zu klimmen, aber der Haken hielt nicht fest! Mein Begleiter hätte sich beim Fallen sicherlich zum Krüppel geschlagen, wenn nicht ein Mann zufällig gerade unter ihm gestanden hätte. So war es der letztere, der von dem Unglück betroffen wurde. Hierauf befahl ich das Hakenseil beiseite zu legen. Es war zu gefährlich, wo so viele Leute herumstanden.

Nun wußten wir nicht aus noch ein, bis zum Glück jemand an die Leitern dachte. Wir lehnten eine derselben an den Felsen, die Leute stiegen paarweise hinauf und vermittelst einer zweiten Leiter, die sie mit sich in die Höhe zogen, auf der andern Seite wieder hinunter. Nach Verlauf einer halben Stunde waren alle jenseits wieder auf ebener Erde und der Fels war bezwungen, worüber wir in ein lautes Triumphgeschrei ausbrachen! – Die Freude war jedoch nicht von langer Dauer, denn nun entstand die Frage, wie wir die Tiere hinüberschaffen sollten!

Bei dieser neuen Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, verloren alle sogleich wieder den Mut und abermals drohte eine Panik auszubrechen. Im Augenblick höchster Gefahr wurden wir jedoch auf die wunderbarste Weise gerettet: ein Maulesel, der von Anfang an große Neigung zu Experimenten gezeigt hatte, versuchte ein Gefäß mit fünf Pfund Nitroglycerin zu verschlucken und zwar in nächster Nähe des Felsens. Eine entsetzliche Explosion erfolgte; alle wurden zu Boden geworfen und mit Erde und Felstrümmern bedeckt. Als wir aufstanden, war zu unserer großen Freude der Felsen verschwunden. Wo er gestanden hatte, öffnete sich ein Loch von dreißig Fuß Breite und ungefähr fünfzehn Fuß Tiefe, das wir nur zu überbrücken brauchten, um unsern Weg fortsetzen zu können. Mit kräftigem Hurraruf machten sich die Leute ans Werk. Ich beaufsichtigte die Ingenieurarbeit selbst. Es galt, Bäume zu fällen und Brückenpfeiler daraus zu machen, was gar kein leichtes Geschäft war, da die Eishaken nur schlechte Dienste beim Holzhauen leisteten. Die Pfeiler wurden dann reihenweise in die Grube eingerammt, sechs von meinen vierzig Fuß langen Leitern darüber gelegt und sechs andere quer über diese. Auf das Ganze breiteten wir eine dichte Lage von Baumzweigen und schütteten eine sechs Zoll hohe Schicht Erde darüber. Statt des Geländers wurde an jeder Seite ein Seil gespannt. Die nun vollendete Brücke erwies sich als so haltbar, daß ein Zug Elefanten sie bequem und sicher hätte passieren können.

Vor Einbruch der Nacht war die ganze Karawane drüben.

Am nächsten Morgen waren anfangs alle guten Mutes, trotz des steilen und steinichten Weges, der durch dichten Wald führte und auf dem wir nur langsam und mühsam vorwärts kamen. Bald aber malte sich tiefe Niedergeschlagenheit in allen Mienen, und niemand, nicht einmal die Führer, waren länger in Ungewißheit darüber, daß wir fortgesetzt in der Irre gingen. Der vollständige Mangel an vorbeiwandernden Touristen sprach nur zu deutlich; und vollends ein untrügliches Zeichen, auf wie schlimmen Irrwegen wir uns befanden, war es, daß wir auf keine der Expeditionen stießen, die längst aufgebrochen sein mußten, um uns aufzusuchen.

Um dem Geist gänzlicher Entmutigung, der immer mehr um sich griff, entgegen zu wirken, galt es zu handeln, und zwar ohne Zögern. Um Auskunftsmittel bin ich selten verlegen und auch jetzt verfiel ich auf eines, das allen einleuchtete und den besten Erfolg versprach: ich nahm ein dreiviertel Meilen langes Seil, band ein Ende desselben einem Führer um den Leib und befahl ihm, den richtigen Weg aufzusuchen, während die Karawane an Ort und Stelle wartete. Mißlang es ihm, so konnte er sich am Seil wieder zu uns zurückfinden; glückte es ihm aber, so sollte er tüchtig an dem Seil zerren, worauf wir uns sogleich aufmachen würden, um ihm zu folgen. Der Führer verließ uns und verschwand bald im Schatten der Bäume. Ich wickelte das Seil ab, während die andern dessen Windungen aufmerksam beobachteten – bald kroch es langsam dahin – bald schneller; zwei- oder dreimal glaubten wir schon das Zeichen zu sehen, aber immer hatten wir uns geirrt und das Triumphgeschrei blieb den Leuten in der Kehle stecken. Endlich, als schon über eine halbe Meile von dem Seil abgewickelt war, hörte es plötzlich auf, sich zu bewegen – es lag ganz still – eine Minute verging, zwei – drei Minuten – wir hielten den Atem an! – Machte der Führer vielleicht eine Ruhepause? Suchte er sich von einem hohen Punkt aus in der Gegend zu orientieren? Zog er Erkundigungen bei einem Bergbewohner ein, der ihm zufällig begegnete? Oder – war er am Ende gar vor Angst und Ermattung zusammengesunken? –

Diese letzte Möglichkeit erschütterte mich tief; ich war eben im Begriff, ihm eine Abteilung zu Hilfe nachzuschicken, als plötzlich mit so heftigem Ruck an dem Seil gezerrt wurde, daß es mir fast aus der Hand flog!

Das laute ›Hurra‹, das ertönte, that meinem Herzen wohl, und: »Gerettet, gerettet!« klang es von einem Ende der Karawane bis zum andern.

Wir brachen sofort auf; eine Zeit lang war der Weg ganz leidlich, dann wurde er jedoch immer schwieriger. Nachdem wir ungefähr eine halbe Meile zurückgelegt hatten, erwarteten wir jeden Augenblick, den Führer zu Gesicht zu bekommen, doch zeigte sich keine Spur von ihm und es ließ sich nicht einmal annehmen, daß er irgendwo auf uns warte, da sich das Seil noch immer fortbewegte. Hieraus schlossen wir, daß er den Weg doch noch nicht gefunden habe, aber vermutlich von irgend einem Landmann dahingeführt werde. Uns blieb nichts übrig, als weiter zu schreiten. Nach Verlauf von drei Stunden schritten wir noch ebenso weiter. Es war nicht bloß rätselhaft, es war zum verzweifeln. Obendrein wurden unsere Kräfte vollständig erschöpft, zumal wir anfangs uns ganz unnütz beeilt hatten, den Führer einzuholen.

Um drei Uhr nachmittags waren wir halb tot vor Erschöpfung, und noch immer glitt das Seil dahin! – Das Murren gegen den Führer wurde lauter und lauter und brach zuletzt in wilde Verwünschungen aus! Die Leute weigerten sich, einen Schritt weiterzugehen und behaupteten, wir seien den ganzen Tag immer in der Runde marschiert, ohne von der Stelle zu kommen. Zuletzt verlangten sie, ich solle das Ende des Seils an einem Baum festbinden, damit der Führer stillstehen müsse, und sie ihn einholen und umbringen könnten! Dies schien mir recht und billig und ich gab sogleich den nötigen Befehl. –

Kaum war das Seil angebunden, als die Expedition sich mit einem Eifer in Bewegung setzte, wie ihn nur der Rachedurst einflößen kann. Wir waren wohl eine halbe Meile marschiert, als wir einen Hügel erreichten, der ganz mit Steingeröll bedeckt und so steil war, daß kein einziger mehr die Kraft hatte, ihn zu erklimmen. Jeder derartige Versuch wurde teuer bezahlt. Nach Verlauf von zwanzig Minuten hinkten bereits fünf Leute an Krücken! So oft sich einer beim Klettern an dem Seil festhalten wollte, gab es nach und er stürzte rücklings wieder hinunter. Diese Wahrnehmung brachte mich auf den Gedanken, die Karawane eine Rückwärtsbewegung machen zu lassen. Ich stellte sie in Marschordnung auf, band das Schlepptau an den hintersten Maulesel fest und kommandierte nun:

»Kehrt euch, – vorwärts – marsch!« – Unter den Klängen eines Schlachtgesanges setzte sich der Zug in Bewegung. »Das muß den Führer zu uns zurückbefördern,« dachte ich im stillen, »wenn nicht etwa das Seil dabei zerreißt.« Ich beobachtete, wie das Seil langsam den Hügel hinabglitt, aber im Moment der freudigsten Erregung wurde ich aufs bitterste enttäuscht. Nicht der erwartete Führer kam am Ende zum Vorschein, sondern – ein alter schwarzer Bock, der sich wie unsinnig gebürdete! –

Wer beschreibt die Entrüstung der so schmählich betrogenen Expedition? In rasender Wut wollten sie ihren Rachedurst in dem Blut des unschuldigen, vernunftlosen Tieres kühlen. Ich aber warf mich zwischen sie und ihr Opfer, obgleich hundert spitze Eishaken und Alpenstöcke sich gegen mich erhoben, und schwur, daß sie nur über meine Leiche hinweg ihren Mordanschlag ausführen sollten. Nur ein Wunder, das wußte ich, konnte die Reisenden von ihrem verruchten Vorhaben abbringen und mich erretten. Noch heute, wie damals, sehe ich die schrecklichen Waffen mir entgegenstarren und das feindliche Heer mit haßerfüllten Blicken auf mich anstürmen! Schon senkte ich das Haupt und ergab mich in mein Schicksal, als ich plötzlich eine gewaltige, erdbebenartige Erschütterung empfand. Und wer war der Urheber derselben? Der Bock, für dessen Rettung ich mich eben opfern wollte! Ich flog durch die dichte Schar der Angreifer, wie von einer Schleuder geworfen. Ein donnerähnliches Gelächter durchlief die Reihen und erschütterte die Luft – ich war gerettet, – gerettet durch den Instinkt der Undankbarkeit, welchen eine gütige Natur dem schändlichen Tier ins Herz gepflanzt hatte. Was all meiner Beredsamkeit nicht gelungen war, bewirkte bei den Leuten der komische Zwischenfall; sie setzten den Bock in Freiheit und schonten mein Leben.

Jetzt ging uns auch ein Licht auf über die Verräterei des Führers. Sobald er uns aus dem Gesicht war, hatte er uns unserm Schicksal überlassen. Damit jedoch kein Argwohn erregt würde, durfte das Seil nicht aufhören, sich zu bewegen. Deshalb fing der Schändliche den Bock, warf ihn zu Boden und band ihm das Seil um, während wir dachten, daß er, von Schmerz und Müdigkeit übermannt, auf die Erde gesunken sei. Die wilden Sprünge, die der Bock machte, um sich von dem Seile zu befreien, hatten wir für das verabredete Zeichen gehalten, dem wir mit Jubelgeschrei gefolgt waren.

Den ganzen Tag über waren wir von dem Bock im Kreise herumgeführt worden, was sich dadurch beweisen ließ, daß wir die Karawane in Zeit von sieben Stunden siebenmal an ein und derselben Quelle getränkt hatten. Dies war mir trotz meiner Aufmerksamkeit ganz entgangen, bis ich zufällig durch ein Schwein darauf aufmerksam gemacht wurde. Jedesmal wälzte sich ein Schwein an der Quelle, an die wir kamen, und da mir am Ende die Ähnlichkeit zwischen diesen Schweinen auffiel, kam ich auf den Gedanken, ob es nicht ein und dasselbe sei? Hieraus ergab sich dann die weitere Frage, ob es nicht auch die nämliche Quelle sei – was sich richtig so verhielt.

Von dem treulosen Führer, der den Bock an das Seil gebunden hatte, will ich nur noch erwähnen, daß er eine Weile aufs Geratewohl umherschweifte, bis er auf eine Kuh stieß. In der Meinung, daß eine Kuh natürlicherweise besser Bescheid wissen müsse als ein Führer, hielt er sich an ihrem Schwanz fest und der Erfolg gab ihm recht. Die Kuh ging gemächlich grasend den Hügel hinunter, bis es Zeit zum Melken war, dann trabte sie nach Hause und brachte den Führer im Schlepptau nach Zermatt zurück.

Wir schlugen unsere Zelte mitten in der Wildnis auf, in die uns der Bock geführt hatte. Die müden, hungrigen Leute ließen sich das Abendessen so vortrefflich schmecken, daß sie darüber ganz vergaßen, daß wir verirrt waren, und noch ehe sie sich darauf besannen, hatte ich ihnen Schlafpulver eingegeben und sie zur Ruhe gebracht.

Am nächsten Morgen überdachte ich unsere verzweifelte Lage und sah mich vergebens nach einem Rettungsweg um. Da erschien Harris mit einer Karte aus dem Bädeker, breitete sie vor mir aus und bewies mir klar und deutlich, daß der Berg, auf dem wir uns befanden, noch in der Schweiz liege und in keinem andern Lande. – So waren wir wenigstens nicht ganz verloren. Sofort machte ich die Nachricht öffentlich bekannt und stellte die Karte aus. Das hatte eine ganz wunderbare Wirkung, – denn kaum sahen die Leute mit eigenen Augen, an welcher Stelle wir uns befanden, und daß nur der Gipfel verloren gegangen sei, nicht wir, – so wurden sie wieder guten Mutes.

Ich ließ die Karawane einen Ruhetag im Lager halten und erst am folgenden Morgen setzten wir neu gestärkt und erfrischt unsere Wanderung weiter fort.

Dieser Tag wird mir ewig unvergeßlich sein, da wir an ihm unseren verlorenen Weg wieder fanden, und zwar auf höchst merkwürdige Weise: drittehalb Stunden hatten wir uns schon mühsam weitergearbeitet, als wir auf einen fast zwanzig Fuß hohen Felskegel stießen. Diesmal wartete ich nicht erst die Hilfe eines Maulesels ab. Ich war inzwischen durch Erfahrung klüger geworden als alle Esel der Expedition zusammen genommen. Durch Anwendung von Dynamit räumte ich den Felsen sofort aus dem Wege, – wie groß war jedoch meine Bestürzung, als sich herausstellte, daß oben auf dem Gipfel eine Sennhütte gestanden hatte. –

Alle Familienglieder, die in meiner Nähe zur Erde kamen, hob ich sorgfältig auf, den Rest sammelten meine Gefährten. Zum Glück war von den armen Leuten niemand verletzt, aber sie klagten bitterlich über die gewaltsame Störung. Ich entschuldigte mich bei dem obersten Sennhirten damit, daß ich nicht gewußt habe, daß er oben sei, sonst würde ich ihn rechtzeitig von meiner Absicht in Kenntnis gesetzt haben.

Als ich ihm schließlich anbot, ihm allen Schaden zu vergüten und seine Sennhütte wieder aufzubauen, noch dazu mit einem Keller, der ihm bisher gefehlt hatte, da war er besänftigt und erklärte sich zufriedengestellt.

Der Keller mußte ihn für die schöne Aussicht entschädigen, von der er freilich viel eingebüßt hatte.

In Zeit von fünfzehn Minuten hatten die 116 Mann, die ich bei der Arbeit anstellte, die Sennhütte aus den Trümmern wieder aufgebaut und sie sah malerischer aus als zuvor. Der Senne sagte mir, daß wir uns auf dem Feli-Stutz über der Schwegmatt befänden, und ich war nach allen Zweifeln der letzten Tage nicht übel froh, über Ort und Stelle so genau Bescheid zu erhalten. Wir erfuhren überdies, daß wir am Fuß des eigentlichen Riffelbergs waren und somit die ersten Schwierigkeiten unseres Unternehmens hinter uns lagen.

Einen prächtigen Anblick bot uns von hier aus der wilde Vispfluß, der aus einer hohen Wölbung hervorstürzt, die er sich durch die feste Eismauer des großen Gornergletschers gebrochen hat; auch sahen wir den Furggenbach, den Abfluß des Furggengletschers.

Wir wurden bald inne, daß der Saumpfad auf den Gipfel des Riffelbergs dicht an der Sennhütte vorbeiführt, denn die ganze Zeit über war er von Touristenschwärmen belebt. In der Sennhütte nahmen die Wanderer gewöhnlich Erfrischungen ein; da ich dieselbe aber in die Luft gesprengt hatte, wobei alle Flaschen entzwei gegangen waren, so war der Handel des Sennhirten etwas ins Stocken geraten. Ich gab ihm jedoch ein Quantum Branntwein, um ihn als Alpenchampagner zu verkaufen, sowie ein Quantum Essig, der für Rheinwein gelten konnte, und so kam sein Geschäft bald wieder lebhaft in Gang.

Nach kurzer Rast stellte ich die Karawane in Marschordnung auf, ritt die Linie entlang, um zu sehen, ob alle ordentlich aneinander gebunden waren, und gab dann Befehl zum Aufbruch. Bald schritten wir auf grünen Matten dahin, der Wald mit seinen beschwerlichen Pfaden lag hinter uns, und unser Gipfel – der Gipfel des Riffelbergs – ragte weithin sichtbar in die Luft.

Auf dem Saumpfad, der sich im Zickzack bald nach rechts, bald nach links in die Höhe schlängelte, stiegen die Touristen in ununterbrochener Reihe hinauf und herab. Sie engten uns ein und fielen uns sehr lästig; Gesellschaften, die an einander gebunden waren, bemerkte ich nicht unter ihnen. An manchen Stellen war der Weg kaum zwei Meter breit und fiel an den Seiten mehrere Fuß tief steil ab, so daß wir mit der äußersten Vorsicht aufwärts klimmen mußten. Ich sprach meinen Leuten fortwährend Mut ein, damit sie sich nicht unmännlicher Furcht überließen.

Wir hätten den Gipfel wohl noch vor einbrechender Nacht erreicht, wäre nicht wegen eines verlorenen Regenschirmes Aufenthalt entstanden. Bei meinem Vorschlag, den Regenschirm aufzugeben, entstand ein allgemeines Murren. Die Leute hatten eigentlich recht, – in unserer ausgesetzten Lage konnten wir einen Schutz gegen Lawinen jetzt weniger denn je entbehren! So bezogen wir denn unser Lager und ich sandte eine Abteilung aus, um den verlorenen Gegenstand zu suchen.

Wie harte Arbeit uns auch der nächste Morgen noch brachte, so schwand uns doch der Mut nicht wieder im Angesicht des nahen Zieles! Gegen Mittag war endlich das letzte Hindernis überwunden und der Gipfel erklommen. –

Die große That war gethan, – was für unmöglich galt, war zur Thatsache geworden, und außer dem Maulesel, der das Nitroglycerin verschlungen, hatten wir bei dem ganzen Unternehmen keinen Mann verloren! Harris und ich schritten stolz in den großen Speisesaal des Riffelberghotels, wo wir unsere Alpenstöcke an die Wand lehnten.

Ja, die Bergbesteigung war vollendet – aber im Gesellschaftsanzug hätte ich sie doch nicht unternehmen sollen! Unsere Frackschöße flatterten in Fetzen herab, die hohen Hüte hatten viele Knicke und der Schmutz, mit dem wir von oben bis unten bespritzt waren, trug nicht dazu bei, unsere Erscheinung wohlgefälliger zu machen.

Der freudige Willkommen, den uns die fünfundsiebzig Touristen im Hotel entgegenbrachten – es befanden sich eine Menge Damen und kleine Kinder darunter – entschädigte uns reichlich für alle ausgestandenen Leiden und Entbehrungen. Jetzt trägt ein steinernes Denkmal die Jahreszahl der Bergbesteigung, sowie die Namen der Teilnehmer, zur Erinnerung für alle Touristen späterer Zeiten.

Noch höher als das Hotel erhebt sich der Gorner Grat, ein Felskamm, der in schwindelnder Höhe über einem gewaltigen Gletscher hängt. Der Aufstieg ist nicht ohne Gefahr, aber ich beschloß, ihn doch zu wagen!

Unter Aufsicht zweier Oberkellner ließ ich von meinen Leuten den ganzen Weg entlang Stufen in den Felsboden hauen; auf diesen klomm ich dann, an die Führer gebunden, zu der Höhe empor. Ein zweites Denkmal verewigt mein tollkühnes Wagnis.

Meine Aussicht auf den Monte-Rosa und die ganze übrige Alpenwelt war wunderbar schön. Die großartigste Rundsicht eröffnete sich meinen Blicken und zahllose Gletscher und Schneeberge türmten ihre Häupter übereinander, als hätten dort Riesen ihre Zelte aufgeschlagen. Stolz und einsam ragte nur der mächtige Felszahn des Matterhorns empor. Die steilabfallenden Seiten waren mit Schnee bedeckt und der Gipfel in dichte Wolken gehüllt, die sich dann und wann verzogen, so daß die dunkle Masse wie durch einen dünnen Schleier hindurchschimmerte. Bald darauf veränderte sich das Schauspiel und das Matterhorn sah einem Vulkan nicht unähnlich; die ganze Spitze trat klar hervor und ungeheure Massen weißen Gewölks schienen langsam herauszuquellen und sich kräuselnd in schräger Richtung nach der Sonne emporzuwälzen, wie Berge von Dampf und Dunst, die aus einem Krater aufsteigen. Kurz nachher erschien die eine Seite des Felskegels unverhüllt und auf der andern zogen dunkle Rauchwolken um die scharfen Felskanten herum, wie der Qualm aus einem brennenden Gebäude. Das Matterhorn versteht sich auf die Wirkung von Licht und Farben, und versucht fortwährend bald diese bald jene malerische Zusammenstellung. Bei Sonnenuntergang scheint es aus dem Dunkel, das die ganze niedere Welt einhüllt, wie ein feuriger Finger gen Himmel zu deuten. Bei Sonnenaufgang – ja, da soll es wunderschön sein, wie ich mir habe sagen lassen.

Es ist erwiesen, daß man auf keinem zugänglichen Punkt der Gletscherwelt eine solche Fülle von riesigen Bergformen und schneebedeckten Alpenspitzen zu sehen bekommt, wie vom Gipfel des Riffelbergs aus. Nachdem ich nun gezeigt habe, daß man bei gehöriger Seelenstärke und verständiger Umsicht an dieses Ziel gelangen kann, ist es Sache der Touristen, sich an einander zu binden und die Bergbesteigung zu wagen. –

  1. Die Kronik dieses Bergriesen erzählt von vielen traurigen Katastrophen, denen Touristen zum Opfer gefallen. Die bekannteste ist der Absturz einer aus vier Engländern (der obengenannte Whymper, Lord Douglas, Hudson und Hadow) bestehenden Gesellschaft, welche mit den Führern Croz, Taugwalder (Vater und Sohn) und Javelle 1865 eine Besteigung des Matterhorns unternahmen. Das Seil, mit welchem die acht Personen unter einander verbunden waren, riß und drei Engländer sowie der Führer Croz stürzten 1200 Meter tief hinab auf den Matterhorngletscher, während nur Whymper und drei Führer sich auf dem Grat festhielten. Im Jahre 1881 stürzte der Amerikaner Mosley ab, der sich bei der sogenannten ›Schulter‹ des Seiles entledigte. 1886 starb der Engländer Burkardt, der bei der ›Schulter‹ von einem Schneesturm überrascht wurde, vor Kälte.

Tischrede bei einem Festessen der Amerikaner in London, zur Feier des vierten Juli

Tischrede bei einem Festessen der Amerikaner in London, zur Feier des vierten Juli

»Herr Vorsitzender, geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Ihnen für den Glückwunsch zu danken, den Sie soeben ausgesprochen haben. Um zu zeigen, wie sehr ich Ihre freundliche Gesinnung zu schätzen weiß, will ich mich möglichst kurz fassen. Es ist eine Freude, auf Englands altem mütterlichem Boden in friedlichem Beisammensein den Jahrestag einer Bewegung zu feiern, welche vor langer Zeit aus dem Kriege mit diesem selben Lande entstanden ist und durch die Opferwilligkeit unserer Vorfahren zu einem glücklichen Ausgang gebracht wurde. Fast hundert Jahre sind erforderlich gewesen, um Engländer und Amerikaner in gegenseitiger Anerkennung und Freundschaft zu verbünden, aber ich glaube, es ist jetzt endlich erreicht. Es war ein großer Schritt vorwärts, als die zwei letzten Mißverständnisse durch ein Schiedsgericht ausgeglichen wurden, statt durch Kanonen. Es ist ein weiterer großer Schritt, wenn England unsere Nähmaschinen annimmt, ohne – wie gewöhnlich – zu behaupten, es habe sie erfunden. Von hoher Wichtigkeit war es auch daß England kürzlich einen amerikanischen Schlafwagen bezogen hat. Und gestern wurde mir unbeschreiblich warm ums Herz, als ich Zeuge war, wie ein Engländer freiwillig und ungezwungen beim Kellner einen » Sherry Cobbler« bestellte und ihn dabei mit bewundernswerter Einsicht und großem Verständnis daran erinnerte, daß auch Erdbeeren hineingehörten. Eine gemeinsame Abstammung, dieselbe Sprache und Litteratur, die gleiche Religion und – die gleichen Getränke – was fehlt denn noch, um beide Völker aufs innigste mit einander zu einem bleibenden Bruderbund zu verknüpfen?

Wir leben in einem Zeitalter des Fortschritts – und dem Fortschritt huldigt auch unser Vaterland. Es ist ein großes, ruhmvolles Land, ein Land, das einen Washington, einen Franklin, einen Wm. M. Tweed, einen Longfellow, einen Motley, einen Jay Gould, einen Samuel C. Pomeroy hervorgebracht hat und den letzten Kongreß, der (in mancher Beziehung) alle seine Vorgänger übertraf. Auch besitzen die Vereinigten Staaten ein Heer, welches in acht Monaten sechzig Indianer dadurch besiegt hat, daß es sie totmüde machte – was, Gott weiß es, weit besser ist als ein barbarisches Gemetzel. Wir haben eine Schwurgerichtsordnung, mit der sich keine auf Erden vergleichen läßt und deren Wirksamkeit nur dadurch beeinträchtigt wird, daß man nicht so leicht alle Tage zwölf Männer findet, die gar nichts wissen und nicht lesen können. Auch will ich bemerken, daß bei uns die Geistesstörung als mildernder Umstand in einer Weise geltend gemacht wird, bei welcher selbst Kain freigekommen wäre. Ich glaube auch behaupten zu können – und ich thue es mit Stolz, daß wir einige Gesetze haben, die mehr Geld einbringen, als irgend welche in der übrigen Welt.

Voll Hochgefühl weise ich auf unser Eisenbahnsystem hin, das uns am Leben läßt, obgleich es das Gegenteil thun könnte, da wir in seiner Gewalt sind. Es hat im letzten Jahre durch Zusammenstöße nur dreitausend und siebzig und durch Überfahren siebenundzwanzigtausend zweihundert und sechzig Menschen das Leben gekostet. Die Verwaltung beklagte den Tod dieser dreißigtausend Personen aufrichtig und ging sogar soweit, für einige derselben Entschädigung zu leisten – natürlich aus freien Stücken – denn es wäre geradezu niederträchtig, behaupten zu wollen, daß wir einen Gerichtshof besitzen, der die Perfidie so weit treiben würde, einer Eisenbahngesellschaft gegenüber einen Rechtsspruch durchzusetzen. Aber Gott sei Dank, sind die Eisenbahngesellschaften gewöhnlich geneigt, Recht und Billigkeit walten zu lassen, ohne daß man ihnen Zwang anthut. Davon kann ich ein Beispiel erzählen, welches mich damals innig gerührt hat. Nach einem Unfall schickte mir die Gesellschaft nämlich die sterblichen Reste eines lieben, entfernten, alten Vetters in einem Korbe ins Haus und schrieb dabei: »Bitte die Summe anzugeben, die er Ihnen wert ist – und den Korb zurückzuschicken.« Größere Freundlichkeit kann man doch nicht verlangen! –

Aber ich darf hier nicht den ganzen Abend stehen und prahlen, wenn Sie mir auch ein wenig Großthuerei mit meinem Vaterlande am vierten Juli gewiß zu gute halten. Das scheint doch gerade die rechte Zeit, um den Adler steigen zu lassen. Nur noch ein großsprecherisches Wort gestatten Sie mir – nämlich folgendes: Wir haben eine Regierungsform, die jedermann freies Spiel läßt und keinen bevorzugt. Bei uns wird niemand mit dem Recht geboren, auf seinen Nächsten herabzusehen und ihn zu verachten. Diejenigen unter uns, die keine Herzöge sind, mögen hierin ihren Trost finden. Die Zukunft erscheint uns hoffnungsvoll, weil wir wissen, daß, wie traurig auch die Moral unserer heutigen politischen Zustände beschaffen ist, England sich doch noch aus viel jammervolleren emporgearbeitet hat, seit den Zeiten, als Karl II. Dirnen in den Adelstand erhob und jedes Staatsamt verhandelt und verkauft wurde. Für uns ist also noch Hoffnung vorhanden.«

Es war meine Absicht gewesen, obige Rede vorzutragen, aber unser Gesandter, General Schenck, welcher den Vorsitz führte, stand nach dem Tischgebet auf, um eine lange und über alle Begriffe schläfrige Ansprache zu halten, welche er mit der Bemerkung schloß, daß, da die Festreden die Gäste nicht sehr zu erheitern schienen, alle ferneren Vorträge während des Abends unterbleiben sollten, damit wir uns nach Gefallen mit unsern Tischnachbarn unterhalten und gemütlich fühlen könnten. Man weiß, daß infolge dieser Anordnung vierundvierzig fertige Reden sterben mußten, ohne das Licht der Welt erblickt zu haben. Die Schwermut, Niedergeschlagenheit und feierliche Stille, welche von da ab bei dem Festmahl herrschte, wird den meisten, die demselben beiwohnten, dauernd in der Erinnerung bleiben. Durch diese einzige unbedachte Äußerung hat General Schenck vierundvierzig der besten Freunde eingebüßt, die er in England besaß. Mehr als einer sagte an jenem Abend: »Und einen solchen Menschen hat man hergeschickt, um uns bei dem großen Schwesterreich würdig zu vertreten?«

  1. Mark Twain zählt hier mit scheinbarem Ernst neben den Namen von wirklichen Größen einige andere auf, welche Männern von sehr zweifelhaftem Charakter angehören.

Noch ein Landsmann

Noch ein Landsmann

(Nummer 2.)

Ich saß mit Harris in einer Sennhütte, beschäftigt, meine Tagebücher zu ordnen und verschiedene wissenschaftliche Beobachtungen zu Papier zu bringen, als ein schlanker, junger Amerikaner zu uns eintrat. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein und näherte sich mir mit jener ungekünstelten Selbstgefälligkeit, welche Jünglinge seines Alters für feine, weltmännische Lebensart halten. Er trug das Haar in der Mitte gescheitelt und lächelte so albern, wie ein Höfling auf der Bühne, als er sich mir vorstellte. Während er mit seiner schöngepflegten Rechten meine Hand umkrallte, verbeugte er sich dreimal mit dem Oberkörper bis zu den Hüften nach Theatersitte und sagte in gnädig herablassendem Beschützerton:

»Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, freue mich wirklich außerordentlich. Habe alle Ihre kleinen Versuche gelesen und bewundere sie sehr; hörte, Sie seien hier und wollte –«

Ich deutete auf einen Stuhl und er nahm Platz.

Dieser hohe Herr war der Enkel eines zu seiner Zeit sehr namhaften Amerikaners, der auch heutigen Tages noch nicht vergessen ist und dem nur noch so wenig fehlte, um ein großer Mann zu sein, daß er bei seinen Lebzeiten allgemein dafür gehalten wurde.

Ich ging langsam in dem Zimmer auf und ab, mit der Lösung wissenschaftlicher Probleme beschäftigt und hörte dabei die folgende Unterhaltung:

Enkel. Sie sind zum erstenmal in Europa?

Harris. Ich? – Ja.

Enkel ( mit einem wehmütigen Seufzer zur Erinnerung an vergangene Freuden, die man in ihrer Süßigkeit nur einmal genießt), Ach, ich weiß, wie Ihnen zu Mute ist. Der erste Besuch ist so romantisch. Ich möchte jene Gefühle wohl noch einmal durchleben.

Harris. Ja, ich finde, es übertrifft alle meine Träume. Es liegt ein unbeschreiblicher Zauber darin. Ich muß gestehen …

Enkel ( mit einer gezierten Handbewegung, als wollte er sagen: »Verschonen Sie mich mit den rohen Ausbrüchen Ihrer Begeisterung, guter Freund!«) Ich weiß, ich weiß! Man besucht die Kirchen und staunt. Man geht durch endlose Galerien und staunt wieder. Man steht hier und dort und überall auf historischem Boden und staunt immerfort. Man sammelt seine ersten unreifen Kunstbegriffe und fühlt sich stolz und glücklich. Ja, stolz und glücklich – das ist der richtige Ausdruck. Recht so, genießen Sie es nur – es ist ein unschuldiges Vergnügen.

Harris. Aber Sie? Freuen Sie sich denn nicht mehr daran?

Enkel. Ich? Sie spaßen wohl, bester Herr. Wenn Sie erst ein so alter Reisender sind wie ich, werden Sie solche Frage nicht mehr stellen. Ich sollte noch die vorgeschriebenen Galerien besuchen, in den vorgeschriebenen Kirchen herumstehen und alle die abgedroschenen Sehenswürdigkeiten besichtigen? – das fiele mir ein!

Harris. Aber was thun Sie denn sonst?

Enkel. Was ich thue? Ich bin bald hier, bald dort – immer unterwegs; aber ich folge nicht der großen Herde. Heute bin ich in Paris, morgen in Berlin, dann wieder in Rom; vergebens würden Sie mich aber im Louvre suchen oder an andern Orten, die der gewöhnliche Reisende in den Hauptstädten aufsucht. Wer mich finden will, muß in verborgene Ecken und Winkel gehen, wohin sich andere Leute nie verlieren. An einem Tage quartiere ich mich vielleicht in einer entlegenen Bauernhütte ein, am nächsten in einem längst verlassenen Schloß, das irgend ein Kleinod der Kunst birgt, für welches der Unerfahrene kein Verständnis hat und an dem ein weniger geübtes Auge flüchtig vorübergehen würde. Oft weile ich auch als Gast in den geheiligten Wohngemächern von Palästen, in deren unbenutzte Räume die große Herde einen Blick werfen darf, wenn sie sich dem Diener dafür erkenntlich erweist.

Harris. Sind Sie ein Gast an solchen Orten?

Enkel. Ja, ein hochwillkommener Gast.

Harris. Das überrascht mich. Wie geht das zu?

Enkel. Meines Großvaters Name verschafft mir Zutritt bei allen Höfen Europas. Ich brauche ihn nur zu nennen und jede Thür steht mir offen. Ich eile nach Belieben von einem Hof zum andern und bin stets gern gesehen. In den europäischen Schlössern fühle ich mich so zu Hause, wie Sie bei Ihren eigenen Verwandten. Es giebt, glaube ich, keine hochstehende Persönlichkeit, die ich nicht kenne. Ich habe fortwährend alle Taschen voll Einladungen; jetzt bin ich auf dem Wege nach Italien, wo ich versprochen habe, in mehreren hohen Adelsfamilien als Gast einzukehren. In Berlin mache ich im Kaiserpalast die glänzendsten Gesellschaften mit. Und so geht es überall, wohin ich auch komme.

Harris. Wie angenehm. Doch muß Ihnen Boston ziemlich langweilig erscheinen, wenn Sie wieder zu Hause sind.

Enkel. Natürlich; aber ich gehe nicht oft nach Hause. Dort ist kein Leben – man findet da wenig, was der höhern Natur des Menschen Nahrung giebt. Der Horizont von Boston ist sehr beschränkt, wissen Sie. Die Leute selbst ahnen das nicht, man könnte sie auch nicht davon überzeugen, deshalb äußere ich auch nicht dergleichen, wenn ich dort bin. Wozu könnte das auch führen? – Boston würde es doch nicht verstehen, es hat eine zu gute Meinung von sich; aber sein Horizont ist sehr eng, das können Sie mir glauben. Wer so viel gereist ist wie ich und so viel von der Welt gesehen hat, erkennt das klar und deutlich, aber ändern läßt es sich nicht. Darum bleibe ich auch nicht dort, sondern suche mir eine Sphäre, die meinem Geschmack und Bildungsstandpunkt besser zusagt. Wenn ich gerade nichts Wichtigeres zu thun habe, fahre ich vielleicht einmal im Jahr hinüber, aber ich komme sehr bald wieder nach Europa zurück, wo ich meine meiste Zeit zubringe.

Harris. Ja so, Sie machen Ihre Pläne und dann – –

Enkel. Nein, entschuldigen Sie, ich mache gar keine Pläne. Ich thue jeden Tag nur, wonach mir zu Mute ist. Zu binden brauche ich mich nicht, ich bin mein eigener Herr und lebe ganz nach Gefallen. Ein alter Reisender wie ich braucht sich nicht zu beschränken, indem er sich bestimmte Ziele steckt. Das Reisen ist mir zur zweiten Natur geworden, zur fest eingewurzelten Gewohnheit. In einem Wort, ich bin ein Bürger der Welt – anders kann ich mich nicht bezeichnen. Ich sage nie: ich will da oder dorthin gehen, ich verliere überhaupt kein Wort darüber, sondern schreite gleich zur That. Vielleicht bin ich nächste Woche bei einem spanischen Granden zu Besuch, oder nach Venedig abgereist, wenn ich nicht etwa nach Dresden gehe. Wahrscheinlich werde ich mich binnen kurzem nach Ägypten begeben. Während mich dann meine Freunde aber noch an den Katarakten des Nil vermuten, erfahren sie zu ihrer Überraschung, daß ich schon irgendwo in Indien bin. Ich setze die Leute fortwährend in Erstaunen. »Als wir zuletzt von ihm hörten,« sagen sie wohl, »war er in Jerusalem, aber der Himmel weiß, wo er jetzt ist.«

Bald darauf erhob sich der Enkel, um fortzugehen; vielleicht hatte er eine Verabredung, irgendwo mit einem Kaiser zusammenzutreffen. Er wiederholte seine Höflichkeitsbezeugungen, streckte mir auf Armeslänge seine weiße Rechte hin, drückte sich mit der andern Hand den Hut gegen den Magen, knickte dreimal in der Mitte zusammen wie ein Taschenmesser und murmelte:

»Sehr gefreut, sehr gefreut. Wünsche Ihnen besten Erfolg.«

Dann entzog er uns seine holde Gegenwart.

Einen Großvater zu haben, ist ein großes, ein erhabenes Glück.

 

Da ich das Bild des jungen Menschen möglichst naturwahr zeichnen wollte, habe ich durchaus nicht zu stark aufgetragen. Meine anfängliche Entrüstung über ihn verwandelte sich bald in inniges Mitleid. Wer könnte auch Groll hegen gegen ein leeres Nichts? – Ich habe das Gespräch möglichst wortgetreu wiedergegeben, den Kern und Inhalt jedenfalls ganz genau. Dieser Jüngling und der harmlose Schwätzer, den ich auf dem Schweizer See traf, sind die kostbarsten und interessantesten Vertreter des jungen Amerika, denen ich auf meinen Reisen begegnet bin. Die Art, wie sich der dreiundzwanzigjährige Enkel zu wiederholten Malen einen alten Reisenden und erfahrenen Weltmann nannte, schien mir unbezahlbar, und daß er die Güte gehabt hat, seine Vaterstadt Boston nicht über ihren engen Horizont aufzuklären, war äußerst dankenswert.

Ein Zwiegespräch

Ein Zwiegespräch

Alle meine seitherigen Reisen waren bloße Geschäftsreisen gewesen. Das letzte Maiwetter war so verführerisch, daß ich beschloß, nun auch einmal eine Vergnügungsreise zu machen. Schon einen Tag nach diesem Entschluß befand ich mich an Bord eines nach den Bermudas gehenden Dampfers. Nachdem ich mir mein Billet gelöst, wanderte ich auf dem Verdeck auf und nieder in dem frohen Gefühl der Freiheit und Muße, ein Genuß, der durch das Bewußtsein, daß sich die Entfernung zwischen mir und den Post- und Telegraphenanstalten beständig vermehrte, noch wesentlich erhöht wurde. Nach einer Weile ging ich in meine Kajüte und kleidete mich aus; aber die Nacht war zu prächtig, um sie ganz zu verschlafen. Ich stellte mich daher ans Fenster und beobachtete die rasch dahingleitenden Lichter am Ufer. Bald kamen zwei ältliche Männer, die sich gerade unter mein Fenster niedersetzten und ein Gespräch begannen. Ihr Gespräch ging mich eigentlich nichts an, aber aufgelegt und heiter gestimmt, wie ich war, ließ ich mir die Unterhaltung gern gefallen. Ich entdeckte bald, daß sie Brüder aus einem kleinen Dorf in Connecticut waren und daß sich ihre Unterhaltung um den Kirchhof drehte.

»Nun, Hans« – begann der eine – »wir haben die Sache des Langen und Breiten besprochen. Siehst du, alles räumte den alten Kirchhof und unsere Angehörigen blieben fast ganz allein zurück. Sie waren auch, wie du weißt, arg eng zusammengedrängt. Der Platz war von Anfang an nicht groß genug und als im letzten Jahr Seths Weib starb, konnten wir sie kaum noch unterbringen. Sie kam gerade noch etwas auf Dekan Shorbs Stelle herüberzuliegen und der wurde deswegen auf sie und uns ganz ärgerlich. Wir redeten also darüber und ich war für ’nen Ankauf auf dem neuen Kirchhof; die andern waren nicht dagegen, wenn es nicht zu teuer käme. Die zwei schönsten und größten Plätze waren Nummer 8 und 9 – beide von einer Größe: jeder bequem für sechsundzwanzig Erwachsene; wenn man Kinder mitrechnet, reicht er für dreißig, auch zwei- und dreiunddreißig, ganz hübsch.«

»Das ist übergenug, Wilhelm. Welchen hast du gekauft?« »Nun, darauf werde ich gleich kommen, Hans. Siehst du, Nummer 8 kostete 13 Dollars. Nummer 9 aber 14 – – «

»Sehe schon. Da hast du Nummer 8 genommen.«

»Warte nur. Ich nahm Nummer 9 und will dir auch sagen, warum. Erstens, weil der Dekan Nummer 9 haben wollte. Nach der Art und Weise, wie er sich darüber aufgehalten hat, daß Seths Weib etwas auf seinen Platz zu liegen kam, hätte ich ihm den Platz weggeschnappt und wenn er mich zwei statt einen Dollar mehr gekostet hätte. Was ist ein Dollar? dachte ich bei mir. Das Leben ist nur eine Pilgerschaft, sag‘ ich; wir sind ja nicht für immer da und können nichts mit uns nehmen. So legte ich denn das Geld hin und dachte: der Herr läßt ja keine gute That unbelohnt und, so Gott will, verdien‘ ich den Dollar an jemand anders bei nächster Gelegenheit zurück. Ich hatte aber auch noch einen anderen Grund. Nummer 9 ist weitaus der hübscheste Platz im ganzen Kirchhof und am schönsten gelegen; er liegt gerade auf dem Gipfel einer Anhöhe, mitten im Kirchhof. Man kann von dort aus Millport und Tracy und den Rumpfberg und eine ganze Reihe von Farmen sehen; im ganzen Staat ist keine schönere Aussicht von einem Begräbnisplatz aus, – so sagt wenigstens Higgins und der muß es wissen. Das ist aber noch nicht alles. Shorb mußte wohl oder übel Nummer 8 nehmen. Nun stößt Nummer 8 an Nummer 9 und da jene am Abhang liegt, so läuft alles Wasser zu den Shorbs hinab. Higgins meinte, wenn des Dekans Zeit einmal komme, möge er seine sterblichen Überreste nur gegen Feuer- und Wasserschaden zugleich versichern.«

Nach diesen Worten ließ sich ein leises, doppeltes Kichern vernehmen, das Beifall und Zufriedenheit ausdrückte.

»Sieh, Hans, da hab‘ ich eine rohe Skizze von dem Grundstück auf ein Stück Papier gebracht. Da oben in der Ecke linker Hand haben wir die Gestorbenen untergebracht; wir holten sie aus dem alten Friedhof und legten sie nebeneinander nach der alten Regel ›Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹, ganz unparteiisch, Großvater Jonas zuerst, weil er zufällig zuerst an die Reihe kam, Seths Zwillinge zuletzt. Daran schließen sich die künftigen Grabstätten: hier auf der Stelle, die mit A bezeichnet ist, wollen wir Maria und ihre Familie bestatten, wenn sie abgerufen werden; B ist für Bruder Hosea und die Seinen bestimmt, C für Calvin und sein Haus. Was noch übrig ist, sind diese zwei Plätze hier – just die Perle des ganzen Flecks, was das Äußere anbelangt; sie sind für mich und meine Leute und für dich und die Deinen bestimmt. Nun, in welchem möchtest du am liebsten begraben sein?«

»Da bin ich überfragt, Wilhelm! das kann ich dir nicht gleich sagen. Wahrhaftig, vor lauter Überlegen, wie man es den andern bequem machen könnte, habe ich an mein eigenes Begrabenwerden gar nicht gedacht.«

»Das Leben ist nur ein flüchtiger Traum, Hans, wie das Sprichwort sagt. Wir müssen alle fort, früher oder später. Die Hauptsache ist, daß unsere Rechnung mit dem Himmel glatt abgeht. Das ist das einzige, wonach wir trachten müssen!«

»Ja, so ist’s, Wilhelm, so ist’s; da kann man nicht herumkommen. – Zu welchem von den Plätzen würdest du mir raten?«

»Nun, das kommt auf dich an. Liegt dir viel an Aussicht?«

»Nicht gerade sehr viel, aber doch etwas. Hauptsächlich würde ich auf sonnige Lage Wert legen.«

»Dem ist schon geholfen, beide Plätze liegen gegen Süden. Sie bekommen die Sonne, und die Shorbs den Schatten.«

»Wie steht’s mit dem Boden, Wilhelm?«

» D ist Sandboden – E meistens Lehm.«

»Dann gieb mir lieber E, Wilhelm; ein sandiger Boden sinkt immer ein und macht Reparaturkosten.«

»Ganz recht; da, schreib‘ deinen Namen her, hier unter E. Und nun, wenn du mir deinen Anteil an den vierzehn Dollars bezahlen willst, da wir gerade bei dem Geschäft sind, so ist alles abgemacht.«

Nach einigem Warten und Feilschen wurde das Geld bezahlt, Hans sagte seinem Bruder Gutenacht und ging zur Ruhe. Es folgte ein minutenlanges Schweigen, dann ertönte ein leises Kichern herauf von dem einsamen Wilhelm und er murmelte: »Ei, der tausend! Da habe ich mich am Ende doch geirrt! D ist meistens Lehm, nicht E, und Hans hat jetzt doch einen sandigen Platz gekauft.«

Noch ein leises Kichern, dann suchte auch Wilhelm sein Lager auf.

Ein Miniaturreich im Weltmeer

Ein Miniaturreich im Weltmeer

Vor einiger Zeit ging durch die Zeitungen folgende Mitteilung:

»Die eigentliche ›Insel der Glückseligen‹ scheint die Pitcairnsinsel in den australischen Gewässern zu sein. Eine norwegische Barke hat diese Insel angelaufen und den Berichten des Barkenführers entnimmt der ›Daily Telegraph‹ folgendes: Solch ein Musterstaat ist vorher niemals bekannt gewesen. Die Gesetze desselben umfassen die kleinsten Dinge, und sind, was häusliche Angelegenheiten betrifft, geradezu mikroskopisch. Die Regierung komponiert die Hymnen für die Schulkinder, das Staatsoberhaupt entwirft nicht nur das Programm der täglichen Tänze, sondern spielt selber die Violine und geigt seinen Leuten die Tänze vor, mit denen sie jeden Werktag der Woche schließen.«

Das klingt so merkwürdig, daß einiges aus der Geschichte der Insel und ihrer Bewohner gewiß gern vernommen wird:

Vor ungefähr hundert Jahren brach auf dem englischen Schiffe ›Bounty‹ eine Meuterei der Mannschaft aus, der Kapitän und die Offiziere wurden den Wellen preisgegeben, während die Mannschaft im Besitze des Schiffes südwärts segelte. Sie landeten auf Tahiti, wo sie sich unter den Eingeborenen Frauen nahmen, begaben sich dann auf eine einsame Felseninsel, inmitten des stillen Ozeans, die sog. Pitcairns-Insel, und machten das Schiff zum Wrack, indem sie alles zur Niederlassung brauchbare Material in und an dem Schiff auf das Eiland schafften. Pitcairns Eiland liegt vom Weltverkehr so weit ab, daß nur selten Schiffe vorbei kommen. Man hatte die Insel für unbewohnt gehalten, bis im Jahre 1808 der Kapitän eines daselbst ankernden Schiffes zu seinem Erstaunen die Entdeckung der Insulaner machte. Die streitsüchtigen Meuterer hatten sich indessen gegenseitig bis auf 2 oder 3 umgebracht, doch war bereits ein junger Nachwuchs vorhanden, so daß die Bevölkerung im Jahre 1808 27 Personen betrug. John Adams, der Rädelsführer, war noch am Leben: er war bis zu seinem 1879 erfolgten Tode der Beherrscher und Patriarch des Völkchens. Er war zu einem christlichen Lebenswandel übergegangen, und sein Volk von 27 Köpfen bildete die frömmste und strengste Gemeinde der Christenheit. Adams hatte sich freiwillig unter den Schutz der englischen Flagge, die er aufhißte, begeben. Nach dem neuesten Zensus zählt die Bevölkerung 90 Personen: 16 Männer, 19 Frauen, 25 Knaben und 30 Mädchen, lauter Abkömmlinge der Meuterer. Sie sprechen nur die englische Sprache. Die Insel ragt wie Helgoland aus der See; sie ist ¾ Meilen lang und stellenweise bis zu einer ½ Meile breit. Das Ackerland ist den verschiedenen Familien zugeteilt. Auch giebt es einen mannigfaltigen Viehstand: Ziegen, Schweine, Hühner und Katzen; aber keine Hunde oder sonst größere Tiere. Die Kirche auf Pitcairn ist zugleich Schule, Rathaus und Bibliothek. Das Staatsoberhaupt führt den Titel: ›Bürgermeister und Gouverneur, Unterthan Ihrer Majestät der Königin von England.‹ Dasselbe wird vom ganzen Volke gewählt; wahlberechtigt ist jeder Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts.

Die einzige Beschäftigung der Leute, als sie entdeckt wurden, bestand in Landwirtschaft und Fischfang; ihre einzige Zerstreuung im Gottesdienst. Es gab weder einen Kaufladen noch Geld auf der Insel. Gewohnheiten und Bekleidung der Insulaner waren ebenso einfach wie ihre Gesetze. Sie lebten dahin in einer tiefen Sabbathruhe, fern von der Welt, ihrem Ehrgeiz und ihrer Drangsal. Einmal alle 3-4 Jahre landete ein Schiff, das die mittlerweile veralteten Neuigkeiten von blutigen Schlachten, verheerenden Epidemien und gestürzten Thronen brachte, sodann gegen Seife und Flanell einige Yamswurzeln und Brotfrucht eintauschte, und dann wieder fortsegelte, um die Insel für ein paar Jahre sich selbst zu überlassen.

Vor einigen Jahren besuchte der Admiral Horsey an der Spitze der englischen Flotte in den pazifischen Gewässern die Insel und erstattete darüber an das Parlament einen Bericht. In demselben heißt es:

»Die Insulaner pflanzen Bohnen, rote und weiße Rüben, Kohl und etwas Mais, Ananas, Feigen- und Orangen-, Zitronen- und Kokosnußbäume. Ihre Kleider erhalten sie gelegentlich von vorüberfahrenden Schiffen im Austausch gegen Nahrungsmittel. Die Insel hat kein eigenes Wasser, da es aber eine Regenperiode auf der Insel giebt, fehlt es nicht daran. Trunkenheit ist ein unbekanntes Laster. Die Bedürfnisse der Insulaner sind vornehmlich: Leinwand, Flanell, Halbstiefel, Kämme, Seife, Tabak; auch Landkarten und Schiefertafeln für ihre Schulen, sowie Werkzeuge jeder Art tauschen sie gerne ein. Ich ließ sie mit einer Flagge zum Aufhissen bei der Ankunft von Schiffen versehen, sowie mit einer Handsäge, deren sie sehr bedürftig waren. Dies wird, wie ich hoffe, die Billigung der Lords finden. Sobald das freigebige englische Volk von den Bedürfnissen dieser kleinen würdigen Kolonie erfährt, wird es gewiß bereit sein, denselben abzuhelfen.

Gottesdienst wird jeden Sonntag um 10-½ Uhr vor- und 3 Uhr nachmittags in dem von John Adams gebauten Hause gehalten. Derselbe wird streng nach der Liturgie der Kirche von England von Mr. Simon Young, ihrem erwählten Pastor, der in hoher Achtung steht, begangen. Eine Bibelstunde wird jeden Mittwoch gehalten, wo alle, die abkommen können, zugegen sind. Auch ist eine allgemeine Gebetstunde am ersten Freitag jeden Monats. Familiengebete werden in jedem Haus als erstes in der Frühe und letztes des Abends gesprochen, und nie wird gespeist, ohne daß Gottes Segen vor- und nachher erbeten würde. Von den religiösen Eigenschaften dieser Insulaner kann man nur mit der größten Hochachtung sprechen. Ein Volk, das sich’s zum größten Vergnügen und zur Pflicht macht, im Gebet mit seinem Gott vereinigt zu sein und das fröhlich, fleißig ist und freier von Lastern als irgend eine andere Gemeinde, bedarf kaum eines Priesters.«

In dem Bericht des Admirals findet sich zum Schluß die geringfügig erscheinende Bemerkung: »Ein Fremder, ein Amerikaner, hat sich unlängst auf der Insel niedergelassen – eine zweifelhafte Erwerbung.« Der Admiral hatte keine Ahnung, wie sehr er mit seiner kritischen Bemerkung recht hatte. An diesen Amerikaner knüpft sich die Geschichte einer großen Revolution auf der sonst so stillen und friedlichen Insel. Über dieses Ereignis liegt von dem amerikanischen Kapitän Ormsby, welcher vier Monate nach des englischen Admirals Besuch zufällig auf die Insel kam, ausführliche Kunde vor, die wir in Kürze wieder erzählen.

Der obenerwähnte amerikanische Eindringling hieß Butterworth Stavely. Derselbe begann damit, sich durch alle möglichen Pfiffe und Kniffe bei den Pitcairnern einzuschmeicheln. Er wurde bald sehr beliebt; zumal er alle seine weltlichen Gewohnheiten verließ und sich mit ganzer Inbrunst auf die Religion warf. Bald übertraf er alle in der Ausdauer und Inbrunst des Betens und Hymnensingens. Sobald er die Zeit für gekommen erachtete, begann er heimlich die Saat der Zwietracht zu streuen. Es war von Anfang an seine überlegte Absicht, die Regierung zu stürzen. Zu diesem Zweck bediente er sich der verschiedensten Mittel. Bei den einen erweckte er Unzufriedenheit, indem er auf die Kürze der Sonntagsfeier hinwies, und drei– anstatt der eingeführten zweistündigen Gottesdienste befürwortete. Die Anhänger dieser Meinung verbündeten sich in der Stille zu einer Partei, um für ihre Reform zu wirken. Den Frauen redete er ein, daß ihre Stimme nicht genügend in der Gebetstunde vertreten sei; so entstand eine zweite Partei. Keine Waffe war ihm zu gering. Selbst die Kinder zog er zu sich herüber, indem er in ihren jungen Herzen Unzufriedenheit erweckte, durch seine Entdeckung, daß sie nicht genug Sonntagsschule hätten. Das erzeugte eine dritte Partei.

Als Stavely solchermaßen vorgearbeitet, führte er einen Schlag gegen die oberste Magistratsverson, James Russel Nickroy, einen Mann von Charakter und Tüchtigkeit, einen der wohlhabendsten Bewohner und Besitzer des einzigen Fahrzeuges auf der Insel, eines Wallfischbootes. Um zu erzählen, wie sich das begab, muß in der Geschichte der Insel zurückgegriffen werden.

Eines der wichtigsten Gesetze auf der Insel ist das gegen Eigentumsverletzung; es gilt als das Palladium der Volksfreiheit. Vor etwa dreißig Jahren kam ein wichtiger Fall, der unter dieses Gesetz fiel, vor das Gericht. Ein Hühnchen, das der Elisabeth Joung (damals 58 Jahre alt. eine Tochter John Mills, eines der Meuterer der ›Bounty‹) gehörte, richtete auf dem Grundstück Henry Christians (29 Jahre alt, ein Enkel Fletcher Christians, eines der Meuterer) Unfug an. Christian tötete das Hühnchen.

Nach dem Gesetz war Christian berechtigt, indem er das tote Huhn zurückgab, Ersatz für den von demselben angerichteten Schaden zu beanspruchen. Christian that das letztere und beanspruchte einen Scheffel Jamswurzeln als Entschädigung, was Fräulein Young zu viel war. Sie klagte und das Gericht setzte die Entschädigung auf einen halben Scheffel herab.

Christian appellierte dagegen. Der Prozeß ging darauf durch alle Instanzen. Endlich – im vorigen Sommer – nachdem der Prozeß 20 Jahre geschwebt – war der Streit vor das höchste Obergericht gelangt. Dasselbe bestätigte das ursprüngliche Urteil. Christian mußte sich nun zufrieden geben, aber Stavely raunte dessen Verteidiger ins Ohr, er ›solle – bloß der Form wegen‹ – verlangen, daß ihm das betreffende Gesetz, auf das sich das Urteil bezog, vorgezeigt werde, damit er sich von seiner Existenz überzeugen könne. Das Gericht ließ diesen seltsamen Einfall gelten. Ein Bote wurde in das Haus des Bürgermeisters geschickt, welcher bald darauf mit der Nachricht wiederkehrte, das Gesetz sei aus dem Staatsarchiv verschwunden. Der Gerichtshof mußte darauf seine Entscheidung für null und nichtig erklären. Das Publikum aber geriet in große Aufregung über den Verlust des Gesetzes, das seine wichtigsten Freiheitsrechte enthielt. Auf Stavelys Antrag erfolgte die Anklage des Bürgermeisters. Seine würdige Haltung und ruhige Beteuerung, daß er an dem Verlust unschuldig sei, indem er das Staatsarchiv stets in der nämlichen Zigarrenschachtel aufbewahrt habe und dasselbe weder verlegt noch zerstört habe, half ihm nichts. Er wurde abgesetzt und sein Vermögen eingezogen. Das Erbärmlichste an der Geschichte war, daß von seinen Feinden als Grund, warum er das Gesetz vernichtet habe, angegeben wurde, er habe dadurch Christian nützen wollen, weil er sein Vetter sei. Und doch gab es auf der Insel außer Stavely keinen Menschen, der nicht Christians Vetter gewesen wäre. Denn es läßt sich denken, daß die ganze Einwohnerschaft mit der Zeit durch Heiraten so miteinander verbunden wurde, daß nachgerade ein jeder in allen möglichen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den anderen stand.

Ein Fremder sagt z. B. zu einem der Insulaner: »Sie sprechen von jener jungen Frau als ihrer Base; vor einer Weile nannten Sie sie Tante!« Er wird vielleicht darauf zur Antwort erhalten:

»Nun, sie ist meine Tante und auch meine Base; ferner ist sie meine Stiefschwester, meine Nichte, meine Base im 4, 23. und 32. Grad, meine Großtante, meine Großmutter, meine verwitwete Schwägerin, – und nächste Woche wird sie mein Weib werden!«

So war denn der Vorwurf des Nepotismus gegen den Angeklagten überaus schwach; aber schwach oder stark, er paßte in Stavelys Plans. Derselbe wurde alsbald an des Gestürzten Stelle zum Bürgermeister gewählt. Es regnete nun Reformen. Eine der ersten war, daß der zweite Sonntagsvormittags-Gottesdienst, der sonst 35 bis 40 Minuten gedauert hatte und in welchem eine Fürbitte für jeden Weltteil, jede Nation und jeden Volksstamm eingelegt war, um eine Stunde verlängert und daß die Fürbitte auf alle erdenklichen Völker auf den verschiedenen Planeten ausgedehnt wurde. Die Neuerung gefiel allgemein und die Leute sagten sich: das sieht doch etwas gleich. Als Stavely das Verbot des Essens am Sonntag an die Stelle des bisherigen Verbots, an diesem Tage zu kochen, setzte, und die Sonntagsschule über den ganzen Sonntag dauern ließ, kannte der Jubel des Volkes keine Grenzen. Durch seine Neuerungen machte sich Stavely bald zum Abgott des Volkes.

Stavely wagte einen weiteren Schritt. Er begann unter der Hand die öffentliche Meinung gegen England aufzuwiegeln. Als er die Geister einzeln angeschürt, trat er öffentlich auf und erklärte, die Nation sei es ihrer Ehre und Vergangenheit schuldig, sich des drückenden englischen Joches zu entledigen. Darauf erwiderten einige besonnene Insulaner: »Wir fühlen den Druck nicht. Wie sollten wir? England sendet alle paar Jahre ein Schiff zu uns, das uns Seife und Tuch und was wir sonst brauchen, bringt, und läßt uns im übrigen in Ruhe.«

»Läßt uns in Ruhe?« entgegnete Stavely. »So haben Sklavenseelen jederzeit gefühlt und gesprochen. Solche Worte zeigen, wie tief ihr schon unter dem Druck der Tyrannei gesunken seid. Wie, hat euch aller Mannesstolz verlassen? Ist euch Freiheit nichts? Seid ihr zufrieden, immer nur ein Anhängsel an eine fremde und hassenswerte Macht zu sein, wo ihr doch berechtigt wäret, euern Platz unabhängig groß und frei in der erhabenen Familie der Nationen einzunehmen?«

Solche Reden verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Insulaner begannen das englische Joch zu fühlen; sie fühlten es, ohne zu wissen, wo und wie. Sie begannen zu klagen, zu murren, unter eingebildeten Ketten zu seufzen und sich nach Befreiung und Erleichterung zu sehnen. Ihre Abneigung gegen England wuchs. Während sie vordem auf dem Wege nach ihrem Kapitol freudig an dem englischen Banner hinaufsahen, schlugen sie jetzt die Augen vor dem Symbol ihrer Unterthänigkeit nieder. Eines Morgens fand man die Flagge herabgerissen und in den Staub getreten. Niemand hißte sie wieder auf. Der Staatsstreich lag in der Luft. Nächtlicherweile kamen einmal einige Bürger zu Stavely. Es entspann sich folgende Unterhaltung:

»Wir können diese verhaßte Tyrannei nicht länger ertragen; wie entledigen wir uns derselben?«

»Durch einen coup d’état

»Was ist das?«

»Ein Staatsstreich, oder coup d’état ist so: Alles wird vorbereitet und zur verabredeten Stunde verkündige ich, als das Staatsoberhaupt, öffentlich und feierlich die Unabhängigkeit der Insel.

»Das klingt einfach und leicht. Wir könnten das gleich thun. Womit sollen wir beginnen?«

»Bemächtigt euch aller Kriegsmittel und des öffentlichen Eigentums, veröffentlicht das Kriegsrecht, setzt die Armee und Marine auf Kriegsfuß und verkündigt das Kaisertum.«

Dieses schöne Programm blendete die Unerfahrenen. Sie sagten:

»Das ist groß – erhaben, aber wird England keinen Widerstand leisten?«

»Es mag! Dieser Felsen ist ein Gibraltar!«

»Richtig, aber wie ist’s mit dem Kaisertum? Brauchen wir ein Kaiserreich und einen Kaiser?«

»Was ihr braucht, meine Freunde, das ist Einheit. Seht auf Deutschland, auf Italien. Sie sind geeinigt. Einigkeit thut not. Dieselbe verteuert zwar das Leben; aber das ist gleichbedeutend mit Fortschritt. Wir müssen ein stehendes Heer, eine Flotte haben. Daraus folgen selbstverständlich Steuern, aber diese sind nur Zeichen der Größe. Einig und groß, was wollt ihr mehr? Nur ein Kaisertum kann euch diese Wohlthaten schaffen.«

So wurde am 8. Dezember Pitcairns-Eiland für ein freies und unabhängiges Reich erklärt und an demselben Tage fand unter großem Jubel und Festlichkeiten die Krönung von Butterworth I., Kaiser der Pitcairns-Insel statt.

Nie in der Geschichte der Insel war ein solches Schauspiel gesehen worden. Im Gänsemarsch zog das gesamte Volk – mit Ausnahme der kleinen Kinder – hinter dem Throne, auf welchem der Kaiser saß, mit Fahnen und Musik einher. Die Begeisterung kannte keine Grenzen.

Nun begannen unverzüglich die kaiserlichen Reformen. Adelsklassen wurden eingerichtet, ein Marineminister ernannt und das Walfischboot in Dienst gesetzt; ein Kriegsminister wurde berufen, mit dem Auftrag, sogleich zur Bildung eines stehenden Heeres zu schreiten. Ein erster Lord des Schatzes wurde ernannt und mit dem Entwurfe eines Steuerplanes betraut; zugleich sollte er Unterhandlungen eröffnen zum Abschluß von Schutz- und Trutzbündnissen, sowie von Handelsverträgen mit den fremden Mächten. Einige Generale und Admirale wurden eingesetzt, ebenso einige Kammerherren, Hofstallmeister und sonstige Hofchargen.

Damit aber war alles vorhandene Menschenmaterial verwendet. Der Kriegsminister, mit dem Titel ›Großherzog von Galiläa‹ beklagte sich, daß die sechzehn erwachsenen Männer des Reiches sämtlich hohe Ämter erhalten hätten und sich infolgedessen weigerten, in Reih und Glied zu dienen; er sei deshalb in großer Verlegenheit betreffs seines stehenden Heeres. Der Marineminister, Marquis von Ararat, beklagte sich aus demselben Grunde; er erklärte sich bereit, das Walfischboot selbst zu steuern, müsse aber unbedingt Leute zum Rudern haben.

Der Kaiser that das beste, was er in diesem Falle thun konnte: er nahm alle Knaben über zehn Jahre ihren Müttern weg und preßte sie zum Militärdienst, indem er so ein Korps von Gemeinen bildete, das von einem Generallieutenant und zwei Generalmajoren befehligt wurde. Das gefiel dem Kriegsminister, erregte aber die Feindseligkeit aller Mütter im ganzen Lande, welche sagten, ihre Lieblinge würden jetzt auf den Schlachtfeldern ein blutiges Grab finden.

Infolge der großen Spärlichkeit an lebendem Material trat die Notwendigkeit ein, daß der Herzog von Bethanien, der sonst Generalpostmeister war, in der Marine als Ruderer dienen und so hinter einem Adeligen niederen Ranges, dem Grafen Canaan, der zugleich die Stelle des Lordoberrichters begleitete, sitzen mußte. Das verwandelte den Herzog von Bethanien in einen offenen Unzufriedenen und in einen geheimen Verräter – was der Kaiser voraussah, aber nicht ändern konnte.

Die Dinge gestalteten sich schlimmer und schlimmer. Eines Tages machte der Kaiser Marie Peters zur Gräfin und heiratete sie, trotzdem ihm das Ministerium aus politischen Gründen entschieden geraten hatte, Emmeline, die älteste Tochter des Erzbischofs von Bethlehem, zu heiraten. Das rief in einem mächtigen Lager – dem der Kirche – große Unzufriedenheit hervor. Die neue Kaiserin verschaffte sich die Unterstützung und Freundschaft von zwei Dritteln der sechsunddreißig erwachsenen Frauen der Nation, indem sie dieselben als Ehrendamen an ihren Hof zog; aber damit machte sie sich die übrigen Zwölfe zu Todfeindinnen. Die Familien der Ehrendamen begannen bald zu rebellieren, weil jetzt niemand daheim war, um das Hauswesen zu führen. Die zwölf hintangesetzten Damen weigerten sich, in die kaiserliche Küche als Mägde einzutreten; so war die Kaiserin gezwungen, die Gräfin von Jericho und andere große Hofdamen in Anspruch zu nehmen zum Wasserholen, Palastfegen und zur Verrichtung anderer niedriger Dienstleistungen. Auch das erregte wieder böses Blut.

Jedermann fing an, sich zu beklagen, daß die zum Unterhalt des Heeres, der Marine und der kaiserlichen Hofhaltung auferlegten Steuern unerträglich drückend seien und die Nation an den Bettelstab brächten. Des Kaisers Antwort – »Blickt auf Deutschland, blickt auf Italien, was beklagt ihr euch? Alle großen Nationen haben für ihre Einigkeit Opfer gebracht!« – befriedigte sie nicht. Sie sagten: »Man kann die Einigkeit nicht essen und wir verhungern. Der Ackerbau hat aufgehört; jedermann ist im Heere, in der Marine oder im Hofdienst, steht umher in einer Uniform, hat nichts zu thun, nichts zu essen und niemand ist da, um die Felder zu bestellen.« –

Als die Unzufriedenheit schon stark um sich, gegriffen hatte, stellte sich im Staatshaushalt ein Defizit von mehr als 45 Dollar heraus; das machte einen halben Dollar auf den Kopf der Bevölkerung. Das Kabinett erörterte die Frage eines Anlehens. Auch von der Ausgabe von Schatzscheinen und Papiergeld, nach 50 Jahren in Jamswurzeln und Kohlköpfen einzulösen, war ernstlich die Rede.

Die Minister erklärten, die Löhnung der Armee, Marine und der Beamtenschaft sei bedeutend im Rückstand, und wenn nicht irgend etwas geschehe und zwar unverzüglich, so müsse der Staatsbankerott hereinbrechen und möglicherweise Aufstand und Revolution. Der Kaiser entschloß sich sogleich zu einer durchgreifenden, auf Pitcairns Eiland bis jetzt unerhörten Maßregel. Er begab sich am Sonntag früh in feierlichem Aufzug zur Kirche, gefolgt von der ganzen Armee: dort befahl er dem Finanzminister, eine Sammlung vorzunehmen.

Das war die Feder, die das Kamel zusammenbrechen machte. Ein Bürger nach dem andern erhob sich und weigerte sich, diese unerhörte Gewaltthätigkeit zu dulden – und jeder Weigerung folgte augenblicklich Konfiskation des Vermögens des Unzufriedenen. Dieses Verfahren machte den Weigerungen bald ein Ende, und die Sammlung nahm inmitten tiefen und ominösen Schweigens ihren Fortgang. Als der Kaiser mit den Truppen abzog, sagte er: »Ich werde euch zeigen, wer hier Meister ist.« Mehrere Personen riefen: »Nieder mit der Einigkeit!« Sie wurden sogleich festgenommen und vom Militär aus den Armen ihrer weinenden Angehörigen gerissen.

Mittlerweile aber hatte sich, wie jeder Prophet hätte voraussehen können, ein Sozialdemokrat entwickelt. Als der Kaiser vor der Kirchenthür den vergoldeten kaiserlichen Schubkarren bestieg, schoß der Sozialdemokrat fünfzehn- oder sechzehnmal nach ihm – aber mit so merkwürdig sozialdemokratischer Unsicherheit im Ziel, daß er keinen Schaden anrichtete.

In der nämlichen Nacht folgte die Erschütterung. Die Nation erhob sich wie ein Mann – obgleich neunundvierzig der Revolutionäre vom andern Geschlecht waren. Die Infanterie warf ihre Mistgabel weg, die Artillerie ihre Kokosnüsse, die Marine empörte sich; der Kaiser wurde in seinem Palast ergriffen und an Händen und Füßen gebunden. Er war sehr niedergeschlagen und sagte:

»Ich befreite euch von der drückenden Tyrannei; ich erhob euch aus eurer Erniedrigung und machte euch zu einer Nation unter den Nationen; ich gab euch eine starke, festgefügte, zentralisierte Regierung; ich gab euch schließlich, was mehr ist, den Segen aller Segen – die Einigkeit. Ich habe das alles gethan, und mein Lohn ist Haß, Schmach und diese Ketten. Da habt ihr mich; thut mit mir, was ihr wollt. Auf der Stelle entsage ich meiner Krone und allen meinen Würden, und gern entledige ich mich ihrer allzuschweren Bürde. Um euretwillen nahm ich sie an; um euretwillen lege ich sie nieder.«

Einstimmig verurteilte das Volk den Exkaiser und den Sozialdemokraten zu immerwährender Ausschließung vom Gottesdienst oder zu lebenslänglicher Zwangsarbeit als Galeerensklaven auf dem Walfischboot – sie konnten wählen. Am nächsten Tage versammelte die Nation sich abermals, hißte die britische Flagge wieder auf, setzte die britische Tyrannei wieder ein, erniedrigte die Adeligen wieder zu gemeinen Bürgern und richtete dann sogleich ihren Fleiß und ihre Aufmerksamkeit auf das Ausjäten der vernachlässigten Jamsfelder und auf die Wiederherstellung der alten nützlichen Gewerbe und der alten heilsamen und tröstlichen Frömmigkeit. Der Exkaiser gab das verloren geglaubte Gesetz gegen Eigentumsverletzung zurück und erklärte, er habe es gestohlen – nicht um jemanden zu schaden, sondern um seine politischen Ziele zu fördern. Daraufhin gab die Nation dem früheren Staatsoberhaupt sein Amt und auch sein konfisziertes Eigentum wieder zurück.

Nach reiflicher Überlegung zogen der Exkaiser und der Sozialdemokrat dauernde Ausschließung vom Gottesdienst der lebenslänglichen Arbeit als Galeerensklaven ›mit fortwährendem Gottesdienst‹, wie sie es nannten, vor, weshalb die Leute glaubten, daß die erlittene Angst den armen Teufeln den Verstand verwirrt hätte. Sie hielten es daher für geraten, dieselben vorläufig gefangen zu halten, was auch geschah.

Das ist die Geschichte von Pitcairns ›zweifelhafter Erwerbung‹.

Die Hunde von Konstantinopel

Die Hunde von Konstantinopel

Ich glaube fast, daß die berühmten Hunde von Konstantinopel falsch dargestellt – ja verleumdet worden sind. Ich habe nie etwas anderes von ihnen gehört, als daß sie so haufenweise in den Straßen herumschweifen, daß sie einem stellenweise den Weg versperren –, daß sie förmlich organisierte Kompagnien und Regimenter bilden und durch entschlossenen und blutigen Angriff erobern, was sie nötig haben, – und endlich, daß sie in der Nacht alle andern Geräusche durch ihr fürchterliches Geheul übertäuben. Die Hunde, die ich jetzt bei meinem Aufenthalt in Konstantinopel sehe, können unmöglich dieselben sein, von denen ich gelesen habe.

Ich finde sie zwar überall, aber nicht in starken Rudeln. Die größte Zahl, die ich gefunden habe, war zehn bis zwanzig. Bei Tag und Nacht war ein guter Teil derselben fest eingeschlafen. Die, welche nicht schliefen, sahen immer aus, als ob sie sich sehr danach sehnten. Nie in meinem Leben habe ich solche erbarmenswürdige, ausgehungerte, trübselig blickende, jammervolle Köter gesehen. Es mußte einem als die reinste Satire erscheinen, wenn man Tiere gleich diesen anklagt, sie bemächtigten sich irgend einer Sache mit Gewalt. Sie schienen kaum Kraft oder Ehrgeiz genug zu besitzen, um sich über die Straße zu wagen. Ich entsinne mich nicht, daß ich auch nur einen einzigen so weit habe gehen sehen. Sie sind räudig, mit Beulen bedeckt und verstümmelt, und zuweilen begegnet man einem, dem das Haar in breiten und scharf abgegrenzten Streifen abgesengt ist, daß er wie eine Landkarte von unsern neuen Territorien aussieht. Sie sind die traurigsten Tiere, die atmen – die widerwärtigsten – die bemitleidenswertesten. In ihren Gesichtern liegt beständig der Ausdruck der Schwermut, die Miene hoffnungsloser Niedergeschlagenheit. Die haarlosen Stellen auf dem Rücken eines verbrühten Hundes werden von den Flöhen Konstantinopels einem weiteren größeren Tummelplätze auf einem gesünderen Hunde vorgezogen; dieselben finden dort ihre Rechnung ganz vortrefflich. Ich sah einen Hund von jener Sorte auffahren, um einen Floh wegzubeißen, – da lenkte eine Fliege seine Aufmerksamkeit auf sich, und er schnappte nach ihr. Der Floh machte ihm nochmals seinen Besuch, und das gab ihm für immer den Rest; er warf einen betrübten Blick auf den werdenden Floh, einen zweiten betrübten Blick auf den kahlen Fleck, dann that er einen Seufzer und ließ seinen Kopf – ergeben in sein Schicksal – auf seine Vorderpfoten fallen. Er war der Lage nicht gewachsen.

Die Hunde schlafen allenthalben in den Straßen, wohin man gehen mag. Von einem Ende der Straßen bis zum andern mögen nach meiner Schätzung acht oder zehn auf ein Häuserviertel kommen; zuweilen sind’s auch mehr: fünfzehn bis zwanzig. Sie gehören niemanden und scheinen keine persönlichen Freundschaftsbündnisse unter einander zu schließen. Aber sie teilen sich in die Stadt nach bestimmten Bezirken; und die Hunde jedes Bezirks, mag derselbe groß oder klein sein, müssen innerhalb seiner Grenzen verbleiben. Wehe dem Hunde, der diese Grenze überschreiten wollte! Seine Nachbarn würden ihm in einer Sekunde den Rest seiner Habe wegschnappen. So behauptet man wenigstens, wenn sie auch nicht danach aussehen.

Sie schlafen also in den Straßen. Sie dienen mir als Kompaß – als Führer. Wenn ich die Hunde gelassen weiter schlafen sehe, während Menschen, Schafe, Gänse und alle andern sich bewegenden Dinge ausweichen und um sie herumgehen, so weiß ich, daß ich nicht in der großen Straße bin, wo mein Hotel ist, und daß ich weiter gehen muß. In jener großen Straße sehen die Hunde aus, als ob sie auf ihrer Hut wären – was davon kommt, daß sie jeden Tag genötigt sind, vielen Kutschen und Wagen aus dem Wege zu gehen – und diesen Ausdruck erkennt man im Augenblick wieder. Er findet sich auf dem Gesichte keines einzigen Hundes außerhalb der Grenzlinien jener Straße. Alle andern schlafen gelassen und geben auf nichts acht. Sie würden sich nicht von der Stelle bewegen, und wenn der Sultan selber vorbeizöge.

In einer engen Straße (breit ist freilich keine einzige) sah ich drei Hunde zusammengerollt liegen, immer einer etwa einen oder zwei Fuß von dem andern entfernt. Sie lagen der Länge nach über die Straße, und so überbrückten sie dieselbe genau von Rinnstein zu Rinnstein. Auf einmal kam eine Herde von hundert Schafen daher. Sie liefen geradezu über die Hunde weg. Die Hunde blickten träge auf, zuckten ein wenig zusammen, wenn die ungeduldigen Füße der Schafe ihre roh geschundenen Rücken berührten, seufzten auf und legten sich friedlich wieder hin. Keine Sprache hätte deutlicher reden können. Als die ganze Herde über sie hinweggegangen war, niesten die Hunde in der Staubwolke ein wenig, rückten aber mit ihren Leibern auch nicht einen Zoll weit von der Stelle. Ich dachte immer, ich wäre träg, aber im Vergleich mit einem konstantinopolitanischen Hunde bin ich eine wahre Dampfmaschine.

Diese Hunde sind die Abdecker der Stadt. Das ist ihre offizielle Stellung und dieselbe ist recht schwer. Das ist es auch, was ihnen Schutz verleiht. Wären sie nicht so nützlich, indem sie diese fürchterlichen Straßen reinigten, so würden sie schwerlich geduldet werden. Sie fressen alles und jedes, was ihnen in den Wurf kommt, von Melonenschalen und verdorbenen Trauben angefangen bis hinauf zu ihren eignen toten Vettern und Freunden, und doch sind sie stets dürr, immer hungrig, immer niedergeschlagen. Die Leute hüten sich, einen Hund zu töten – dies kommt thatsächlich nicht vor. Man sagt, die Türken hätten eine angeborne Abneigung dagegen, irgend einem stummen beseelten Wesen das Leben zu nehmen. Aber sie thun Schlimmeres. Sie treten, steinigen und verbrühen diese unglücklichen Geschöpfe, bis sie beinahe tot sind, und lassen sie dann weiter leben und leiden.

Einmal setzte sich’s ein Sultan in den Kopf, alle Hunde in der Stadt zu töten, und begann wirklich mit dieser Arbeit; aber der Pöbel erhob ein solches Schreckensgeheul, daß dem Gemetzel Einhalt gethan wurde. Nach einer Weile nahm er sich vor, alle nach einer Insel im Marmara-Meere wegzuschaffen. Man erhob keine Einwendung dagegen, und eine oder ein paar Schiffsladungen davon wurden weggeschafft. Aber als bekannt wurde, daß irgendwie die Hunde niemals nach der Insel gelangten, sondern immer in der Nacht über Bord fielen und umkamen, erhob sich ein abermaliges Geheul, und so wurde der Deportierungsplan fallen gelassen.

So verblieben die Hunde denn im friedlichen Besitze der Straßen. Ich behaupte nicht, daß sie des Nachts in den Straßen nicht heulten, und daß sie nicht Leute anfielen, die kein rotes Feß auf dem Kopfe haben. Ich sage nur, daß es niederträchtig von mir sein würde, sie dieser Unziemlichkeiten anzuklagen, da ich mit meinen eigenen Augen und Ohren davon weder etwas gesehen noch gehört habe.