Tischrede bei einem Festessen der Amerikaner in London, zur Feier des vierten Juli
»Herr Vorsitzender, geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Ihnen für den Glückwunsch zu danken, den Sie soeben ausgesprochen haben. Um zu zeigen, wie sehr ich Ihre freundliche Gesinnung zu schätzen weiß, will ich mich möglichst kurz fassen. Es ist eine Freude, auf Englands altem mütterlichem Boden in friedlichem Beisammensein den Jahrestag einer Bewegung zu feiern, welche vor langer Zeit aus dem Kriege mit diesem selben Lande entstanden ist und durch die Opferwilligkeit unserer Vorfahren zu einem glücklichen Ausgang gebracht wurde. Fast hundert Jahre sind erforderlich gewesen, um Engländer und Amerikaner in gegenseitiger Anerkennung und Freundschaft zu verbünden, aber ich glaube, es ist jetzt endlich erreicht. Es war ein großer Schritt vorwärts, als die zwei letzten Mißverständnisse durch ein Schiedsgericht ausgeglichen wurden, statt durch Kanonen. Es ist ein weiterer großer Schritt, wenn England unsere Nähmaschinen annimmt, ohne – wie gewöhnlich – zu behaupten, es habe sie erfunden. Von hoher Wichtigkeit war es auch daß England kürzlich einen amerikanischen Schlafwagen bezogen hat. Und gestern wurde mir unbeschreiblich warm ums Herz, als ich Zeuge war, wie ein Engländer freiwillig und ungezwungen beim Kellner einen » Sherry Cobbler« bestellte und ihn dabei mit bewundernswerter Einsicht und großem Verständnis daran erinnerte, daß auch Erdbeeren hineingehörten. Eine gemeinsame Abstammung, dieselbe Sprache und Litteratur, die gleiche Religion und – die gleichen Getränke – was fehlt denn noch, um beide Völker aufs innigste mit einander zu einem bleibenden Bruderbund zu verknüpfen?
Wir leben in einem Zeitalter des Fortschritts – und dem Fortschritt huldigt auch unser Vaterland. Es ist ein großes, ruhmvolles Land, ein Land, das einen Washington, einen Franklin, einen Wm. M. Tweed, einen Longfellow, einen Motley, einen Jay Gould, einen Samuel C. Pomeroy hervorgebracht hat und den letzten Kongreß, der (in mancher Beziehung) alle seine Vorgänger übertraf. Auch besitzen die Vereinigten Staaten ein Heer, welches in acht Monaten sechzig Indianer dadurch besiegt hat, daß es sie totmüde machte – was, Gott weiß es, weit besser ist als ein barbarisches Gemetzel. Wir haben eine Schwurgerichtsordnung, mit der sich keine auf Erden vergleichen läßt und deren Wirksamkeit nur dadurch beeinträchtigt wird, daß man nicht so leicht alle Tage zwölf Männer findet, die gar nichts wissen und nicht lesen können. Auch will ich bemerken, daß bei uns die Geistesstörung als mildernder Umstand in einer Weise geltend gemacht wird, bei welcher selbst Kain freigekommen wäre. Ich glaube auch behaupten zu können – und ich thue es mit Stolz, daß wir einige Gesetze haben, die mehr Geld einbringen, als irgend welche in der übrigen Welt.
Voll Hochgefühl weise ich auf unser Eisenbahnsystem hin, das uns am Leben läßt, obgleich es das Gegenteil thun könnte, da wir in seiner Gewalt sind. Es hat im letzten Jahre durch Zusammenstöße nur dreitausend und siebzig und durch Überfahren siebenundzwanzigtausend zweihundert und sechzig Menschen das Leben gekostet. Die Verwaltung beklagte den Tod dieser dreißigtausend Personen aufrichtig und ging sogar soweit, für einige derselben Entschädigung zu leisten – natürlich aus freien Stücken – denn es wäre geradezu niederträchtig, behaupten zu wollen, daß wir einen Gerichtshof besitzen, der die Perfidie so weit treiben würde, einer Eisenbahngesellschaft gegenüber einen Rechtsspruch durchzusetzen. Aber Gott sei Dank, sind die Eisenbahngesellschaften gewöhnlich geneigt, Recht und Billigkeit walten zu lassen, ohne daß man ihnen Zwang anthut. Davon kann ich ein Beispiel erzählen, welches mich damals innig gerührt hat. Nach einem Unfall schickte mir die Gesellschaft nämlich die sterblichen Reste eines lieben, entfernten, alten Vetters in einem Korbe ins Haus und schrieb dabei: »Bitte die Summe anzugeben, die er Ihnen wert ist – und den Korb zurückzuschicken.« Größere Freundlichkeit kann man doch nicht verlangen! –
Aber ich darf hier nicht den ganzen Abend stehen und prahlen, wenn Sie mir auch ein wenig Großthuerei mit meinem Vaterlande am vierten Juli gewiß zu gute halten. Das scheint doch gerade die rechte Zeit, um den Adler steigen zu lassen. Nur noch ein großsprecherisches Wort gestatten Sie mir – nämlich folgendes: Wir haben eine Regierungsform, die jedermann freies Spiel läßt und keinen bevorzugt. Bei uns wird niemand mit dem Recht geboren, auf seinen Nächsten herabzusehen und ihn zu verachten. Diejenigen unter uns, die keine Herzöge sind, mögen hierin ihren Trost finden. Die Zukunft erscheint uns hoffnungsvoll, weil wir wissen, daß, wie traurig auch die Moral unserer heutigen politischen Zustände beschaffen ist, England sich doch noch aus viel jammervolleren emporgearbeitet hat, seit den Zeiten, als Karl II. Dirnen in den Adelstand erhob und jedes Staatsamt verhandelt und verkauft wurde. Für uns ist also noch Hoffnung vorhanden.«
Es war meine Absicht gewesen, obige Rede vorzutragen, aber unser Gesandter, General Schenck, welcher den Vorsitz führte, stand nach dem Tischgebet auf, um eine lange und über alle Begriffe schläfrige Ansprache zu halten, welche er mit der Bemerkung schloß, daß, da die Festreden die Gäste nicht sehr zu erheitern schienen, alle ferneren Vorträge während des Abends unterbleiben sollten, damit wir uns nach Gefallen mit unsern Tischnachbarn unterhalten und gemütlich fühlen könnten. Man weiß, daß infolge dieser Anordnung vierundvierzig fertige Reden sterben mußten, ohne das Licht der Welt erblickt zu haben. Die Schwermut, Niedergeschlagenheit und feierliche Stille, welche von da ab bei dem Festmahl herrschte, wird den meisten, die demselben beiwohnten, dauernd in der Erinnerung bleiben. Durch diese einzige unbedachte Äußerung hat General Schenck vierundvierzig der besten Freunde eingebüßt, die er in England besaß. Mehr als einer sagte an jenem Abend: »Und einen solchen Menschen hat man hergeschickt, um uns bei dem großen Schwesterreich würdig zu vertreten?«