VIERTES KAPITEL

Vergeltung

Winnetou kehrte sehr bald zurück; dennoch hatte er den Lagerplatz genau studiert und dabei beobachtet, daß zwei Kundschafter fortgeschickt worden waren.

„Die fangen wir natürlich?“ fragte ich, er aber antwortete nicht, da er es für selbstverständlich hielt, die Leute festzunehmen.

Wir ritten also, um nicht gehört zu werden, erst noch ein Stück vom Walde fort und bogen dann nach der Südseite desselben ein, welcher entlang die Kundschafter kommen mußten. Nach ungefähr einer Viertelstunde lenkten wir dem Walde wieder zu und stiegen, als wir ihn erreichten, ab. Nachdem wir die Pferde angebunden hatten, gingen wir eine kleine Strecke zurück und legten uns an einer geeigneten Stelle nieder. Die zwei Roten mußten aller Voraussetzung nach hier vorüberkommen.

Wenn dies letztere wirklich der Fall war, so konnten sie uns nicht entgehen, denn wir mußten sie sehen, weil es mittlerweile heller geworden war. Der Mond war aufgegangen, doch sahen wir ihn nicht, da er noch hinter dem Walde steckte, welcher seinen Schatten eine Strecke weit über seine Grenze warf.

Wir mochten ungefähr zehn Minuten gewartet haben, als wir von rechts her Schritte hörten. Die Erwarteten kamen, und zwar hielten sie sich so nahe an dem Waldesrande, daß wir ihre Gestalten deutlich sahen, wenn wir ihre Gesichter auch nicht erkennen konnten. Sie gingen hintereinander. Die Figur des vordersten kam mir bekannt vor; sie war höher und breiter als die des andern, der hinter ihm ging.

„Ich den ersten und du den zweiten,“ raunte ich Winnetou zu.

Jetzt waren sie da; sie gingen vorüber, langsam und indem sie vorsichtig vor sich hinspähten. Als sie vorbei waren, huschten wir hervor. Ich that zwei, drei schnelle Sprünge, kam an dem hinteren vorüber, den ich dabei niederschlug, um Winnetou leichteres Spiel zu machen, und faßte den vorderen mit beiden Händen um den Hals, stieß ihm das Knie in das Kreuz und riß ihn so hintenüber zu Boden. Als ich dann rasch auf seine Brust kniete und mein Gesicht dem seinigen näher brachte, erkannte ich ihn. Es war der „große Mund“, der Häuptling der Yumas in eigener Person. Er trug die rechte Hand in der Binde und wäre, selbst wenn ich ihn nicht so fest beim Halse gehabt hätte, nicht im stande gewesen, sich mit seinem linken Arme nachdrücklich gegen mich zu wehren.

Ein Blick auf Winnetou zeigte mir, daß diesem der Hieb, den ich dem andern Indianer gegeben hatte, sehr zu statten gekommen war. Er kniete ihm auf dem Rücken, hatte ihm den Lasso abgenommen und band ihm mit demselben die Hände hinten zusammen. Der Rote wehrte sich dagegen mit keiner Bewegung, da er sich in einem Zustande kurzer Betäubung befand. Dann kam Winnetou zu mir, wand dem Häuptlinge, während ich denselben festhielt, den Lasso von den Hüften und fesselte ihn ebenso, wie er seinen Gefährten gebunden hatte. Dabei sah er natürlich auch die Züge des Gefangenen und rief, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, überrascht aus:

„Uff! Hat mein weißer Bruder gesehen, wen wir da ergriffen haben?“

„Ja,“ antwortete ich, indem ich nun den Hals des großen Mundes frei gab. „Wir haben einen guten Fang gemacht.“

Der Genannte bekam jetzt wieder Luft. Er that einen tiefen Atemzug und knirschte, indem er mich aus seinen Augen förmlich anblitzte:

„Old Shatterhand! Hieher kann dich nur der böse Geist geführt haben.“

„Nicht der böse Geist, sondern der Krieger, den du hier bei mir siehst,“ antwortete ich, indem ich auf den Apatschen deutete. „Siehe ihn an! Kennst du ihn?“

Eben trat der Mond hinter der Kante des Waldes hervor und warf sein Licht in die Gruppe, welche wir bildeten, wobei er meinen roten Freund hell beleuchtete.

„Winnetou! Uff, uff! Der Häuptling der Apatschen!“ stieß der Yuma hervor.

„Ja, Winnetou ist’s,“ fuhr ich fort. „Du wirst nun wohl einsehen, daß du nicht wieder loskommen kannst. Wer sich in der Gefangenschaft Winnetous befindet, erlangt nur dann die Freiheit, wenn dieser sie ihm freiwillig zurückgiebt.“

„Du irrst,“ antwortete er in drohendem Tone. „Ich werde in wenigen Minuten wieder frei sein.“

„Wieso?“

„Meine Krieger werden mich befreien. Wir sind ihnen vorangegangen, und sie werden uns gleich nachfolgen. Ihr seid verloren. Wenn ihr uns aber sofort wieder losbindet, bin ich bereit, euch laufen zu lassen.“

„Deine Worte sind die dümmsten, welche du jemals gesprochen hast,“ lachte ich.

„Ich sage die Wahrheit!“ behauptete er.

„Wenn du zu unerfahrenen Männern sprächst, so könnte deine List vielleicht Erfolg haben; da du aber Winnetou und mich vor dir hast, so ist es eine reine Lächerlichkeit, uns auf eine so alberne Weise einschüchtern zu wollen. Haben deine Krieger Pferde oder nicht?“

„Sie haben welche; das weißt du ja auch. Um so schneller werden sie hier sein.“

„Sie haben Pferde, und ihr reitet ihnen nicht, sondern ihr lauft ihnen voran? Der große Mund hält uns doch nicht etwa für Kinder! Daß ihr nicht reitet sondern geht, würde uns alles sagen, selbst wenn wir nichts wüßten. Wir wissen aber, daß die Yumas lagern und daß ihr beide gegangen seid, nach mir und den Mimbrenjos zu suchen. Ihr seid Kundschafter, und eure Krieger werden euch nicht nachfolgen, sondern ruhig liegen bleiben, um eure Rückkehr zu erwarten.“

„Du beleidigst mich. Wie kannst du einen Häuptling einen Kundschafter nennen!“

„Wenn er einer ist, warum dann nicht? Die Wiedererlangung meiner Person war dir von solchem Werte, daß du dich selbst aufgemacht hast, nach uns zu suchen.“

„Und ich sage nochmals, daß du dich irrst. Bindet uns los, wo nicht, so werden meine Krieger in wenigen Augenblicken hier sein und uns befreien. Dann kann ich sie nicht hindern, euch zu töten.“

„Wir fürchten euch nicht,“ entgegnete Winnetou. „So wie ihr euch jetzt in unserer Gewalt befindet, werden wir auch alle eure Krieger ergreifen.“

„Sie werden sich wehren und euch vernichten,“ drohte der große Mund.

„Deine Rede ist leer wie ein Pulverbeutel, in welchem sich kein Körnchen mehr befindet. Ich sage dir, ich, Winnetou, daß du selbst deinen Kriegern den Befehl geben wirst, sich nicht gegen uns zu wehren!“

„Nie!“

„Nie? Schon wenn der Tag graut, wirst du es thun. Ich weiß das so genau, daß ich das, was ich mit meinem Bruder Old Shatterhand jetzt noch zu sprechen habe, nicht heimlich zu ihm sage. Du magst es hören.“

Sich zu mir wendend, fuhr er fort:

„Wer soll mit den beiden Gefangenen zu unsern Freunden reiten, um sie zu holen? Einer von uns muß hier bleiben, um die Yumas zu beobachten und die Umgebung ihres Lagers noch genauer, als wir es vorhin konnten, zu erkundschaften.“

„Winnetou mag bestimmen,“ antwortete ich.

„So bleibe ich, und du reitest. Bei eurer Rückkehr wirst du mich an dieser Stelle wiederfinden. Die Gefangenen werden sich auf mein Pferd setzen und sich auf demselben festbinden lassen. Jeden Versuch der Gegenwehr würden wir mit unsern Messern beantworten.“

Ich holte unsere Pferde herbei. Die beiden Yumas sahen ein, daß sie sich fügen mußten. Selbst der Gedanke, um Hilfe zu rufen, konnte ihnen nicht beikommen, da wir soweit entfernt von ihrem Lager waren, daß man selbst das lauteste Gebrüll dort nicht gehört hätte.

Der „große Mund“ mußte Winnetous Pferd besteigen und wurde dort festgeschnürt. Der andere stieg hinter ihm auf und wurde mit ihm zusammengebunden. Dann wurden ihre Füße unter dem Bauche des Pferdes mit ihren eigenen Lassos in der Weise festgebunden, daß je ein rechter oder linker Fuß des Häuptlings mit dem linken oder rechten seines Untergebenen zusammengefesselt war. Auf diese Weise war dafür gesorgt, daß sie selbst beim unvorhergesehenen Eintritte des günstigsten Zufalles nicht loskommen konnten. Selbst in dem Falle, daß es ihnen gelungen wäre, ihre Oberkörper und Arme frei zu machen, hätten sie noch unten mit den Füßen in der Weise fest zusammengehangen, daß sie nicht aus dem Sattel und vom Pferde herabkonnten. Ich nahm das Pferd beim Zügel, bestieg das meinige und ritt davon, in östlicher Richtung natürlich, da sich nach dieser die Mimbrenjos befanden.

Da ich keine Zeit verlieren wollte, ritt ich Galopp und konnte das sehr wohl, weil der Mond den Weg, den ich einzuschlagen hatte, beleuchtete. Die Gefangenen verhielten sich lange schweigsam; dann aber konnte der Häuptling die wichtige Frage, welche ihm auf den Lippen lag, nicht länger zurückhalten:

„Wer sind die Männer, zu denen Old Shatterhand reitet?“

„Meine Freunde,“ antwortete ich kurz.

„Um das zu wissen, brauchte ich nicht zu fragen. Ich wollte erfahren, ob sie Bleichgesichter oder rote Männer sind.“

„Rote.“

„Von welchem Stamme?“

„Mimbrenjos.“

„Uff!“ rief er erschrocken aus. „Wurden sie von Winnetou angeführt?“

„Nein. Er befindet sich nur als Gast bei ihnen.“

„Wer ist denn der Häuptling?“

Es wäre mir sonst gewiß nicht beigekommen, ihm Auskunft zu erteilen; in diesem Falle aber hatte ich Grund, es zu thun, denn ich wußte ja, daß er mit dem „starken Büffel“ verfeindet war und der Name desselben ihm also die Hoffnung, welche er vielleicht noch hegte, nehmen mußte. Darum antwortete ich bereitwillig:

„Nalgu Mokaschi.“

„Uff! Der starke Büffel! Muß es doch gerade dieser sein!“

„Du erschrickst? Weißt du nicht, daß ein Krieger vor keiner Gefahr und vor keinem Menschen erschrecken darf?“

„Ich erschrecke nicht!“ versicherte er in stolzem Tone. „Der starke Büffel ist mein ärgster Feind. Wie viele Krieger hat er bei sich?“

„Weit mehr als du.“

„Ich weiß, daß er meinen Tod verlangen wird. Wirst du mich beschützen?“

„Ich? Deine Frage ist die eines Unsinnigen. Du wolltest mich am Marterpfahle sterben lassen, und nun fragst du mich, ob ich dich beschützen werde! Hätte ich mich nicht selbst befreit, du hättest mich auf keinen Fall losgelassen.“

„Nein. Aber ich habe dich gut behandelt. Du hast weder gehungert noch gedürstet, während du dich in meiner Gewalt befandest. Mußt du mir dafür nicht dankbar sein?“

„Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals undankbar gewesen sei!“

„So rechne auch ich auf deine Dankbarkeit.“

„Das sollst du auch. Ich bin bereit, ganz dasselbe für dich zu thun, was du für mich gethan hast.“

„Was meinst du mit diesen Worten?“

„Der starke Büffel wird deinen Tod fordern; er wird dich nach den Wigwams der Mimbrenjos schaffen, wo du den Tod am Marterpfahle erleiden wirst.“

„Du wirst das zugeben?“

„Ja. Aber ich werde dafür sorgen, daß du unterwegs gut behandelt wirst und weder Hunger noch Durst zu leiden hast.“

Er fühlte die Ironie, welche in diesen Worten lag, und schwieg. Ich wußte aber, daß dies Schweigen nicht lange dauern werde. Die Indianer Mexikos sind in Beziehung auf ihren Heldenmut nicht mit denen der Vereinigten Staaten zu vergleichen. Ein Apatsche, Comantsche oder gar Dakota hätte es als eine Entehrung seiner selbst gehalten, jetzt überhaupt ein Gespräch mit mir zu beginnen. Er hätte sich schweigend und scheinbar in sein Schicksal ergeben, dabei aber begierig nach jeder Gelegenheit, loszukommen, ausgeschaut. Hätte sich keine solche gefunden, so wäre er in den martervollsten Tod gegangen, ohne ein Wort hören zu lassen oder auch nur eine Miene zu zeigen, aus welcher man seinen glühenden Wunsch nach Freiheit hätte erraten können. So stoisch aber sind die südlichen Indianer nicht; ja, sie geben sich den Anschein oder glauben vielleicht auch, es zu sein, aber wenn der Ernst an sie herantritt, ist es mit der geheuchelten Gleichgültigkeit und Empfindungslosigkeit zu Ende. Der Yumahäuptling wußte, daß er bei dem „starken Büffel“ keine Gnade finden werde; er sann auf Rettung und sagte sich schließlich das, was ich voraussah, nämlich daß er sie nur bei mir oder durch mich finden werde. Die Folge davon war, daß er nach einigen Minuten wieder begann:

„Ich habe vernommen, daß Old Shatterhand ein Freund der roten Männer ist?“

„Ich bin ein Freund der Roten und der Weißen, aber ein Feind jedes bösen Menschen, mag die Farbe seines Gesichtes nun hell oder dunkel sein.“

„Hältst du mich für einen bösen Mann?“

„Ja.“

„Aber wenn ich besser würde?“

„Das ist unmöglich, denn du hast keine Zeit dazu. Wer am Marterpfahle gestorben ist, kann sich nicht mehr bessern.“

„So gieb mir Zeit!“

„Warum? Wozu? Mir ist es höchst gleichgültig, ob du dich besserst oder nicht. Wenn du Zeit fändest, dich zu ändern, so könnte es mir keinen Nutzen bringen.“

„So hat man mich falsch berichtet, und das, was ich über euch Christen gehört habe, ist nicht wahr.“

„Was hat man dir gesagt?“

„Daß ein Christ, ohne daß er einen Nutzen davon hat, alles thut und das größte Opfer bringt, wenn er dadurch aus einem bösen Manne einen guten machen kann.“

„Das ist freilich wahr; aber ich will dir aufrichtig gestehen, daß ich in diesem Falle ein schlechter Christ bin. Wenn ich etwas für einen Menschen thue, oder gar ein Opfer für ihn bringe, muß ich einen Nutzen davon haben. Indem ich dies sage und darüber nachdenke, fällt mir ein, daß ich doch vielleicht einen Grund finden könnte, mich deiner anzunehmen.“

„So sprich! Teile mir den Grund mit!“

„Ich bin bereit, das Schicksal, welches deiner wartet, möglichst zu erleichtern, werde vielleicht gar für deine Befreiung sprechen, aber ich fordere dafür von dir die Wahrheit.“

„Welche Wahrheit?“

„Ich werde dich nach Melton und nach Weller fragen, und von der Aufrichtigkeit deiner Antworten wird dein Schicksal abhängen.“

„So frage! Ich bin bereit, dir alles zu sagen.“

„Nicht jetzt, sondern später, denn wir werden gleich am Ziele angekommen sein.“

Es war so, wie ich sagte. Der Galopp der beiden windesschnellen Pferde hatte uns rasch vorwärts gebracht; wir näherten uns der Stelle, an welcher die Mimbrenjos lagerten; ich zügelte darum die Tiere und ritt im Schritte weiter. Bald tauchten mehrere Indianer vor und neben uns auf, welche ihre Gewehre auf uns anlegten und Halt geboten.

„Old Shatterhand!“ rief ich ihnen zu. Da senkten sie ihre Waffen und ließen mich vorüber.

Die Mimbrenjos hatten kein Lagerfeuer angezündet und sich in den Schatten des Waldes zurückgezogen. Als sie meine Stimme und meinen Namen hörten, kamen mir, da die Sicherheitsposten stehen bleiben mußten, einige von ihnen entgegen, um mich zu führen, sonst hätte ich die Stelle, an welcher ihr Häuptling saß, nicht so leicht gefunden. Dieser glaubte, als er zwei Pferde erblickte, daß ich mit Winnetou zurückkäme; als ich aber vor ihm anhielt und aus dem

Sattel stieg, sah er zwei fremde Gestalten auf dem andern Pferde sitzen und fragte:

„Du kehrst ohne den Häuptling der Apatschen zurück? Wo ist er, und wer sind die beiden roten Männer, die du mit dir bringst? Warum steigen sie nicht auch ab?“

„Sie können nicht. Es ist hier im Schatten der Bäume dunkel, und so kannst du nicht sehen, daß sie auf das Pferd gebunden sind.“

„Gebunden? So sind es gefangene Yumahunde?“

„Ja.“

„Das ist gut! Sie werden die Freiheit niemals wiedersehen, und ich hoffe, daß der räudigste dieser Hunde, der große Mund, ebenso wie sie in unsere Hände gerät. Nehmt sie herab, und bindet sie an Bäume!“

Er wollte sich nach diesem Befehle von den Gefangenen ab- und mir wieder zuwenden; da forderte ich ihn auf:

„Du sprichst von dem Häuptlinge der Yuma. Willst du die Gefangenen nicht einmal genauer betrachten!“

Er trat an Winnetous Pferd heran und blickte an der Gestalt des vorderen Reiters empor. Da fuhr er einen Schritt zurück und rief aus:

„Uff! Sehe ich richtig, oder täuscht mich der Schatten, in welchem ich stehe? Ist das der Räudige, mit dessen Namen ich soeben meine Zunge verunreinigt habe?“

„Er ist’s.“

„Der große Mund! Ihr tapfern Krieger der Mimbrenjos, vernehmt es, daß der große Mund gefangen ist!“

„Der große Mund, der große Mund!“ ging es durch die Reihen der Roten. Sie drängten sich herbei, um ihn zu sehen, und ihre Lippen überflossen von Schimpfworten und Verwünschungen, welche man zwar hören, aber nicht wiedergeben kann. Sie hätten ihn trotz seiner Bande vom Pferde gerissen, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte.

„Zurück!“ gebot ich ihnen. „Der Gefangene gehört mir; nicht ihr seid es, sondern ich bin es, der ihn ergriffen hat.“

„Aber du gehörst zu uns,“ warf der „starke Büffel“ ein; „daher gehört er uns ebenso wie dir. Doch soll ihm jetzt nichts geschehen. Nehmt ihn herab und bindet ihn und den andern an einen Baum. Bewacht ihn aber gut, damit er alle Hoffnung, uns etwa zu entkommen, fahren läßt!“

„Nein,“ entgegnete ich. „Nehmt beide herab, aber bindet jeden auf ein anderes Pferd! Wir müssen augenblicklich zu den Yumas aufbrechen, welche dort oben hinter der Ecke des Waldes lagern. Winnetou befindet sich in ihrer Nähe, um sie zu beobachten.“

„Ueberfallen wir sie?“

„Wahrscheinlich nicht. Ich denke, daß ein Kampf gar nicht nötig ist. Ich hatte nicht Zeit, mit Winnetou darüber zu beraten, aber er ist ganz meiner Meinung, daß wir die Feinde gefangen nehmen werden, ohne daß euer oder unser Blut vergossen wird.“

„Desto besser, denn dann werden sie alle am Marterpfahle sterben, und es wird in den Wigwams der Mimbrenjos darüber große Freude und Wonne sein. Habt ihr es gehört, ihr Krieger, Old Shatterhand befiehlt, aufzubrechen!“

Zwei Minuten später saßen sie alle im Sattel, und es ging im Galoppe den Weg zurück, den ich soeben gekommen war. Ich hatte mich bei dem Aufbruche nicht um die Gefangenen gekümmert, konnte aber vollständig überzeugt sein, daß sie sich in mehr als aufmerksamer Obhut befanden. Mit dem „starken Büffel“ voranreitend, erzählte ich ihm, was geschehen war.

„Mein Bruder Old Shatterhand hat sich in großer Gefahr befunden,“ sagte er, als ich zu Ende war. „Die Krieger der Mimbrenjos wissen, daß der Puma selbst in der Nacht keinen Reiter angreift; sie hättest du nicht täuschen können. Den Hunden der Yumas aber bist du entgangen, weil ihre Schädel mit verfaultem Grase gefüllt sind. Du meinst also, gerade wie Winnetou, daß wir nicht zu kämpfen brauchen?“

„Ja.“

„Die Yumas sind feige Kröten; aber ihre Zahl ist nicht gering, und so bin ich überzeugt, daß sie sich verteidigen werden.“

„Wer sich verteidigt, ist angegriffen worden; wir werden sie aber gar nicht angreifen.“

„Und dennoch werden sie sich ergeben?“

„Ja.“

„Dann sind sie wert, angespieen und verlacht zu werden. Ich bin alt geworden und habe manches erlebt, was andere nie erfahren; noch nie aber habe ich gesehen, daß jemand sich ergeben hat, ohne dazu gezwungen worden zu sein.“

„Du wirst alles weitere später hören, wenn wir mit Winnetou sprechen. Jetzt wollen wir eilen, zu ihm zu kommen!“

Es ging wie im Fluge am Walde hin, bis wir den Ort erreichten, an welchem ich mich von Winnetou getrennt hatte. Da stand er, auf uns wartend, aufrecht im Mondenscheine, damit wir ihn sogleich sehen möchten. Wir stiegen ab. Die Pferde wurden längs des Waldrandes an die Bäume gebunden; die Gefangenen kamen unter sorgfältige Bewachung, die Roten lagerten sich in den Schatten, und bald herrschte eine solche Stille, daß es wohl nur einem ausgezeichneten Späher der Yumas gelungen wäre, uns hier ausfindig zu machen.

Winnetou, der „starke Büffel“ und ich saßen zusammen, um das, was zu geschehen hatte, zu besprechen. Keiner der andern wagte es, uns so nahe zu kommen, daß er unsere Worte, welche übrigens nicht überlaut gesprochen wurden, hören konnte. Der Indianer ist ein freier Krieger und keineswegs in der Weise wie ein Soldat diszipliniert, zeigt aber gegen seinen Anführer eine Achtung, welche nicht geringer ist als diejenige, welche ein General von seinen Untergebenen zu fordern hat.

Der „starke Büffel“ war viel älter als Winnetou oder ich, und doch viel ungeduldiger. Wir hatten kaum bei einander Platz genommen, so begann er auch schon:

„Die Hunde der Yumas sind uns in den Weg gelaufen; wir werden uns beeilen, sie nicht in ihre Höhlen und Löcher zurückkehren zu lassen.“

Winnetou antwortete ihm nicht sogleich, und auch ich schwieg. Der Alte war blutgierig, mir aber wäre der Tod so vieler Menschen entsetzlich gewesen. Ich war entschlossen, auf ein gütliches Uebereinkommen zwischen den Mimbrenjos und Yumas hinzuarbeiten, durfte dies aber dem Häuptlinge der ersteren jetzt noch nicht merken lassen; er wäre sonst wohl kopfscheu geworden und im stande gewesen, auf eigene Faust und nach seinem persönlichen Ermessen zu handeln. Wie ich Winnetou kannte, konnte ich überzeugt sein, daß er mit mir wenigstens darin übereinstimmen würde, daß ein Blutvergießen möglichst zu vermeiden sei. Da wir mit der Antwort zögerten, fuhr der „starke Büffel“ fort:

„Haben meine beiden Brüder meine Worte gehört? Warum reden sie nicht? Old Shatterhand will nicht kämpfen. Was soll sonst geschehen? Kann etwa Winnetou mir das sagen?“

„Ich kann es sagen,“ antwortete der Apatsche.

„Mein Ohr ist offen und begierig, es zu hören.“

„Die Yumas werden sich ergeben, ohne mit uns gekämpft zu haben.“

„Das glaube ich nicht. Wenn sie es thäten, wären sie größere Feiglinge, als ich trotz meiner Verachtung für sie anzunehmen vermag.“

„Kann nicht auch ein tapferer Mann gezwungen sein, sich ohne Kampf zu ergeben? Ein guter Krieger ist nicht nur tapfer, sondern auch vorsichtig, bedachtsam und klug. Wer kann von Winnetou sagen, daß er jemals mutlos oder gar feig gewesen sei? Und doch ist es vorgekommen, daß er sich seinen Gegnern ohne Kampf ergeben hat. Hätte er gekämpft, so wäre er getötet worden, ohne seinen Feinden schaden zu können. Er gab sich aber gefangen, entfloh später und konnte sich an ihnen rächen und sie bestrafen. Was war nun besser, die blinde Tapferkeit oder die weitsehende Bedachtsamkeit?“

„Die letztere,“ war der Mimbrenjo gezwungen, einzugestehen.

„Und hat Old Shatterhand nicht ebenso gehandelt? Als die Yumas ihn ergriffen, hätte er sich solange wehren können, bis er unter ihren Streichen sterben mußte. Er that es aber nicht, sondern ließ sich festnehmen und binden. Sieh ihn an! Ist er nicht frei? Hat er nicht jetzt ihren Häuptling gefangen genommen? Ist er etwa feig gewesen? Nein, sondern nur klug! So werden auch die Yumas handeln, wenn sie einsehen, daß Widerstand vergeblich sein würde.“

„Ist Winnetou im stande, ihnen diese Einsicht zu geben?“

„Ja, wenn die Krieger der Mimbrenjos ihm dabei helfen.“

„So mag er sagen, welche Gedanken er hegt.“

„Wir schließen die Yumas ein. Während Old Shatterhand fort war, habe ich den Platz des Lagers genau betrachtet. Die Yumas sind sehr müde; sie schlafen am Waldesrande im Grase; sie verlassen sich auf ihre beiden Kundschafter und haben keine Wachen ausgestellt. Nur bei den Pferden, welche in der Nähe grasen, befinden sich zwei Krieger, welche aufzupassen haben, daß die Tiere sich nicht zu weit entfernen. Ist es da nicht leicht, die Schläfer einzuschließen?“

„Von der Seite des Waldes ist es leicht, nicht aber von der andern. Im Walde ist es dunkel; da kann man sich heranschleichen und festsetzen, ohne bemerkt zu werden. Draußen aber ist es hell; weil der Mond scheint. Die Leute, welche bei den Pferden sind, würden uns kommen sehen und Lärm machen.“

„Ja, der Mond scheint hell, aber die Augen des starken Büffels sehen dennoch das Richtige nicht. Die Yumas können unsere Annäherung unmöglich bemerken. Wir lassen die Pferde zurück und schleichen uns zu Fuße so nahe heran, wie es möglich ist. Wenn wir draußen im Grase auf dem Bauche kriechen, wird uns niemand sehen.“

„Uff! Wenn Winnetou es so meint, so kann ich ihm nicht unrecht geben. Aber was soll geschehen, wenn wir sie umzingelt haben?“

„Wir fordern sie auf, die Waffen zu strecken.“

„Und mein Bruder glaubt wirklich, daß sie das thun werden?“

Der „starke Büffel“ sprach diese Frage mit einem nicht ganz unterdrückten Lachen aus. Winnetou antwortete in seiner ruhigen Weise:

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.“

„So will ich dem Häuptlinge der Apatschen sagen, was geschehen wird. Die Yumas werden zwar sehen, daß sie eingeschlossen sind, aber sie werden sich durchschlagen, was ihnen leicht werden wird.“

„So mag der starke Büffel sagen, inwiefern es ihnen so leicht sein wird! Können sie nach dem Walde hin entkommen?“

„Nein, denn dort stecken unsere Krieger im Schutze der Bäume und jeder von ihnen kann zehn Feinde töten, ehe der elfte an ihn kommt. Sie müssen also nach der andern Seite.“

„Aber dort befinden sich doch auch Krieger von uns!“

„Das thut nichts, denn diese werden zwar einige Yumas töten, die andern aber entkommen lassen müssen. Selbst der beste Läufer kann keinen Reiter ereilen.“

„Uff! So denkt der starke Büffel, daß die Yumas reiten werden?“

„Ja. Sobald sie sich eingeschlossen sehen, werden sie sich auf ihre Pferde werfen und nach der Ebene hinaus durchbrechen.“

„Aber sie werden keine Pferde haben,“ behauptete Winnetou mit der ihm so eigenen Sicherheit.

Da begann es im Kopfe des starken Büffels zu dämmern. Er ließ den Atem wie einen leisen, verwunderten Pfiff über seine Lippen gehen und fragte:

„Will Winnetou ihnen die Pferde wegnehmen lassen? Das wird schwer, sehr schwer sein!“

„Es ist so leicht, daß ein Kind es auszuführen vermag. Haben die Yumas keine Pferde, so können sie nicht durchbrechen. Sie werden es zwar versuchen, jeden Versuch aber mit Blut bezahlen.“

„So machen sie keinen Versuch mehr, ergeben sich aber auch nicht. Was gedenkt Winnetou dann zu thun?“

„Sie aufzufordern, ihre Waffen abzuliefern. Der große Mund wird seinen Leuten befehlen, sich zu ergeben.“

„Willst du ihn dadurch, daß du ihm sonst mit dem Tode drohst, zu dem Befehle zwingen?“

„Das können wir versuchen.“

„Es wird nicht gelingen, obgleich er ein Feigling ist. Er weiß, daß wir ihn nicht so schnell töten, sondern mit uns nehmen werden, um ihn am Pfahle sterben zu lassen. Er wird sich einbilden, uns unterwegs entkommen zu können.“

„Mein roter Bruder giebt ihm so kurze Gedanken, wie er wirklich nicht besitzt. Wird der große Mund wirklich alle seine Krieger von uns erschießen lassen, um allein von uns fortgeschleppt zu werden? Oder wird es ihm nicht lieber sein, wenn sich auch seine Männer als Gefangene bei ihm befinden? Sind sie bei ihm, so ist die Flucht viel leichter, als wenn er allein ist.“

„Aber auch unsere Aufmerksamkeit wird größer sein. Wäre die Flucht ihm nicht nur möglich, sondern gewiß, so würde ich glauben, daß er sich den Schein aneignete, auf unsere Forderung einzugehen.“

„So ist es ja nur nötig, ihm diese Sicherheit zu geben und ich kenne einen, dem das sehr leicht fallen würde; Old Shatterhand ist es.“

„Old Shatterhand, mein weißer Bruder? Wie sollte er es anfangen, dem großen Munde weiß zu machen, daß er entkommen wird, wenn er sich uns mit allen seinen Kriegern ergiebt, aber sterben muß, wenn er sich dessen weigert?“

„Frage ihn selbst! Während ich jetzt mir dir redete, hat er darüber nachgedacht. Er weiß, daß der große Mund ihn betrügen will, und daß es darum sehr leicht sein wird, ihn selbst zu betrügen.“

Es war wirklich bewundernswert, wie Winnetou meine Gedanken zu erraten vermochte. Ich hatte ihm nicht die geringste Andeutung gemacht, auch wußte er nicht, was ich unterwegs mit dem großen Munde geredet hatte, und doch sprach er mit einer Sicherheit von meinen Gedanken, als ob sie die seinigen seien.

„Hat Winnetou recht gesprochen?“ fragte mich der Mimbrenjo.

„Ja,“ antwortete ich. „Der große Mund wird seine Leute auffordern, sich uns zu ergeben.“

„Und du, du willst ihn dazu vermögen?“

„Ja, durch Gegenlist, da er die Absicht haben wird, mich zu überlisten. Ich verspreche ihm, ihn und seine Leute heimlich freizulassen.“

„Er wird es nicht glauben.“

„Er wird es glauben, denn er weiß, daß Old Shatterhand noch nie ein Versprechen gebrochen hat.“

„Aber dieses müßtest du ja brechen und zum Lügner werden! Oder wolltest du dein Versprechen halten und ihn und seine Leute gegen unsern Willen fliehen lassen?“

„Ja.“

„Und dazu soll ich dir die Hand reichen! Bist du aus meinem Freunde und Bruder mein Feind geworden?“

„Nein, denn ich werde die Yumas und ihren Häuptling nicht entkommen lassen.“

„Und soeben hast du das Gegenteil behauptet! Ich habe nicht gewußt, daß dein Mund zwei Zungen hat. Welcher soll ich glauben?“

„Ich habe nur eine Zunge, und dieser mußt du glauben.“

„Aber sie spricht bald schwarz und bald weiß!“

„Sie spricht die Wahrheit, weiter nichts. Was ich dir sage, ist wahr, und was ich dem großen Munde sagen werde, ist auch wahr. Die Hauptsache aber ist die, daß er sich selbst überlisten wird. Ich werde ihm die Freiheit versprechen und die Erfüllung dieses Versprechens an eine Bedingung knüpfen. Er wird zum Scheine auf die Bedingung eingehen, sie aber nicht erfüllen; dann bin ich meines Wortes entbunden und brauche ihn nicht freizulassen.“

„Weißt du denn genau, daß er sein Versprechen nicht erfüllen wird?“

„Ja.“

„Welches Versprechen ist es?“

„Mir der Wahrheit gemäß zu sagen, wie und warum der Ueberfall der Hazienda del Arroyo zustande gekommen ist. Er wird versprechen, es mir zu sagen, aber sein Wort nicht halten. Den Schein wird er sich freilich geben. Er wird mir eine Erzählung liefern, welche aber nicht die Wahrheit enthält. Uebrigens ist es nicht nötig, schon jetzt davon zu sprechen. Es genügt, daß ich weiß, was geschehen wird und was ich zu thun und zu sagen habe. Mein Freund Winnetou hat mit seinem scharfen Blicke meine Gedanken gesehen, und ebenso habe ich gesehen, daß sein Plan der allein richtige ist. Laßt uns keine Zeit verlieren, ihn auszuführen! Mitternacht ist schon vorüber, und noch bevor der Morgen graut, müssen die Yumas umzingelt sein.“

„Ihr habt gesprochen, und es ist euer Wille, also mag es geschehen. Winnetou und Old Shatterhand wissen stets, was sie thun, und so will ich nicht dagegen sein, obgleich ich es nicht ganz zu begreifen vermag. Howgh!“

Howgh ist das Wort der Bekräftigung, der Besiegelung. Ist es ausgesprochen worden, so gilt die Angelegenheit als entschieden und ist nicht mehr zu ändern.

Nun wurden die nötigen Vorkehrungen getroffen. Fünf Mann sollten hier auf dieser Stelle mit den beiden Gefangenen zurückbleiben und ein scharfes Auge auf dieselben haben. Sie erhielten den Befehl, sie gegebenenfalls lieber zu töten, als sie entkommen zu lassen. Sechzig Rote sollten sich hinter dem Lagerplatz der Yumas in die Büsche schleichen und keinen von ihnen hindurchlassen. Die übrigen mußten hinaus in die Ebene, um von dieser Seite her den Ring um das Lager so eng wie möglich zu schließen. Im Walde sollte Winnetou befehligen, während draußen auf der Prairie der starke Büffel das Kommando zu führen hatte. Alles übrige blieb mir überlassen. Das schien nicht viel zu sein und konnte doch höchst wichtig werden, da der geringste Zufall, den ich nicht zu beherrschen vermochte, alles verderben konnte.

Zunächst galt es, die sechzig unbemerkt hinter das Lager zu bringen. Das war Winnetous Sache, der sich an ihre Spitze setzte, um sie zu führen. Bevor er aber ging, forderte er mich auf:

„Mein Bruder mag mich begleiten, da ich am liebsten mit ihm zu den Pferden gehe. Nähme ich einen andern mit, so müßte ich die Wächter töten.“

Das war mir lieb, und so schloß ich mich ihm an. Es war eigentlich ein Spaß, die zwei bei den Pferden befindlichen Yumas zu überwältigen, mußte aber doch mit großer Vorsicht gethan werden, weil das geringste verdächtige Geräusch uns verraten und die Ausführung unsers ganzen Planes zunichte machen konnte.

Wir schritten am Rande des Waldes hin, bis wir uns nahe an der Ecke desselben befanden; da wurde zwischen die Bäume eingedrungen und nun mit der allergrößten Bedachtsamkeit weitergegangen. Wir befanden uns jetzt an der westlichen Seite des Waldes und kamen bald an die Stelle, wo draußen am Rande die Yumas lagen. Indem wir nun noch langsamer als bisher vordrangen, ließ Winnetou in kurzen Zwischenräumen je einen Mann zurück. Als der letzte von ihnen seinen Platz erhalten hatte, bildeten die sechzig Mimbrenjos einen Bogen im Walde um das vor demselben liegende Lager, und jeder einzelne nistete sich an seinem Platze so ein, daß er möglichst wenig zu sehen war und doch das Lager scharf beobachten konnte. Ihre Verhaltungsmaßregeln hatten sie vorher erhalten.

Nun stand ich mit Winnetou allein unter den ersten Bäumen und konnte das Lager übersehen. Auf dieser Seite gab es keinen Mondschein; es war darum dunkler als da, wo wir gelagert hatten, doch konnten wir fast jeden einzelnen Roten liegen sehen.

Einige hatten sich gerade da, wo sie von den Pferden gestiegen waren, vor Müdigkeit hingeworfen, die andern aber, und das waren die meisten, lagen in einer Reihe nebeneinander und hatten ihre Waffen zwischen sich liegen. Rechts davon weideten die Pferde, und zwei Rote gingen da auf und ab, hin und her, um diejenigen Tiere, welche sich zu weit entfernten, zurückzutreiben. Winnetou deutete auf diese beiden und flüsterte mir zu:

„Wir lassen ihnen das Leben. Mein Bruder mag den einen nehmen und ich den andern.“

Er wollte forthuschen; ich hielt ihn aber zurück und fragte:

„Hat Winnetou vielleicht bemerkt, daß diese Posten von Stunde zu Stunde abgelöst werden?“

„Ja.“

„So käme die Entdeckung zu früh für uns. Wir müssen warten.“

„Old Shatterhand hat recht. Erst wenn der Ring ganz um das Lager geschlossen ist, können wir der Entdeckung mit Gleichgültigkeit entgegensehen. Mein weißer Bruder mag also zurückkehren und dem starken Büffel sagen, daß er sich nun mit seinen Leuten aufmachen solle.“

„Gut! Ich werde ihn begleiten. Da ich weiß, wo die beiden Enden deiner Linie sich befinden, kann ich ihm sagen, wo er die seinige anzuschließen hat.“

„Dann kommst du wieder zu mir?“

„Ja. Wo finde ich dich?“

„Hier an dieser Stelle werde ich dich erwarten.“

Auf dem Rückwege kam ich an allen unsern Leuten vorüber und überzeugte mich, daß keiner der sechzig eine fehlerhafte Stellung eingenommen hatte. Hier konnten die Yumas unmöglich durchkommen.

Als ich bei dem starken Büffel ankam, gab er den Befehl zum Aufbruche. Ein jeder nahm sein Pferd beim Zügel, und es wurde eine Einzelreihe gebildet, an deren Spitze ich mich mit dem Häuptlinge befand. Auch jetzt ging es zunächst bis in die Nähe der Waldesecke; dann ritten wir einen weiten Halbkreis, dessen Durchmesser der Waldesrand und dessen Mittelpunkt das Lager der Yumas bildete. Von Zeit zu Zeit ließen wir einen Mann mit seinem Pferde stehen, bis auch dem letzten seine Stelle angewiesen war.

Der Halbkreis war so weit vom Lager entfernt, daß von dort aus keine Kugel herüberreichen konnte. Jeder hatte nun zunächst sein Pferd anzupflocken und dann zweihundert Schritte weit vorwärts zu kriechen, um da liegen zu bleiben und den Tag zu erwarten. Die Pferde waren mitgenommen worden, um den Feind, falls ihm ja der Durchbruch an einer Stelle gelingen sollte, sofort verfolgen zu können. Die Pferde der sechzig, welche im Walde steckten, waren zurückgeblieben, wo sie von den fünf, welche die Gefangenen zu beobachten hatten, mit beaufsichtigt wurden. Das war nicht schwer, da sie alle angebunden waren.

Durch das Avancieren auf zweihundert Schritte wurde die Kette geschlossen. Die beiden Endglieder des äußern Halbkreises kamen mit denjenigen der im Walde steckenden Linie in Berührung. Als diese Verbindung hergestellt war, befanden sich die Pferde der Yuma noch innerhalb unsers Kreises, und es galt, sie aus demselben hinauszuschaffen, wo sie uns dann sicher waren.

Ich legte mich also nieder und kroch auf den Händen und Fußspitzen nach der Stelle, an welcher Winnetou auf mich warten wollte. Er stand da, sah mich kommen und wartete gar nicht ab, bis ich ihn erreichte, sondern kam mir, natürlich auch kriechend, entgegen.

„Die Wächter sind vor wenigen Minuten abgelöst worden,“ meldete er mir. „Sie legten sich sogleich nieder und werden schnell eingeschlafen sein.“

„So können wir beginnen. Wo schaffen wir die beiden hin?“

„In den Wald zu unsern Leuten, welche sie bewachen werden.“

„Das möchte ich nicht. Die Leute haben ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Lager zu richten. Wenn sie dazu noch Gefangene bewachen sollen, ist es leicht möglich, daß eine Unvorsichtigkeit begangen wird. Ueberlaß die Männer mir! Ich werde sie zu ihrem Häuptlinge bringen, wo sie uns nichts schaden können, während es ihnen, wenn wir sie hier unsern Leuten übergeben, leicht ist, uns durch einen Hilferuf zu verraten.“

„Mein weißer Bruder hat recht. Er mag den Mann nehmen, welcher dort mit dem Schimmel kommt.“

Einer der beiden Wächter brachte einen Schimmel, welcher sich zu weit entfernt hatte, langsam zurückgetrieben. Seiner jetzigen Richtung, seinem Gange war anzusehen, wohin er sich ungefähr wenden würde; ich kroch, mich tief an die Erde schmiegend, dorthin und blieb zwischen zwei Pferden liegen. Der Mann kam, blieb in der Nähe stehen und sah, mir den Rücken zukehrend, gen Himmel. Welche Betrachtungen er anstellte, ob astronomische oder poetische, das weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß sie ihm verhängnisvoll wurden.

Ich kroch unter dem einen Pferde durch bis hart hinter ihn hin, stand auf, nahm ihn mit der Linken bei der Gurgel und gab ihm mit der festgeballten Rechten einen Hieb an die Schläfe; er brach zusammen und ich zog ihn fort.

Dabei sah ich mich nach dem andern Wächter um; er war nicht mehr zu sehen, sondern von Winnetou auch schon beim Schopfe genommen worden. Der Apatsche kam gleich auch gekrochen, gerade so wie ich seinen Yuma nach sich herziehend. Wir schleppten sie zu den beiden uns nächststehenden Mimbrenjoposten, um sie diesen zu übergeben und ihnen ernstlich anzudeuten, die beiden sofort zu erstechen, falls sie laut werden wollten. Dann galt es, die Pferde zu entfernen. Das war nicht schwer, denn sie hatten, soweit sie sich bisher bewegen durften, das Gras schon abgefressen und sehnten sich nach neuem Futter. Wir trieben, uns immer möglichst am Boden bewegend, zunächst zwei Pferde fort, über unsere Postenlinie hinaus, wo sie tüchtig zu grasen begannen; als die andern das sahen, folgten erst einige und dann alle freiwillig nach. Und als sie bemerkten, daß sie nicht zurückgetrieben wurden, entfernten sie sich noch weiter, sogar so weit, daß sie endlich die Linie unserer angepflockten Pferde erreichten, wo sie halten blieben, da unsere Tiere, die nicht fortkonnten, eine Reihe von Sammelpunkten für sie bildeten.

Der Streich war also geglückt. Der Apatsche kehrte auf seinen Posten zurück. Jetzt, da die Pferde fort und die Feinde rundum eingeschlossen waren, konnten sie immerhin erwachen; die Unserigen waren bereit, den Kampf, falls derselbe notwendig werden sollte, zu beginnen. An mir lag es nun zunächst, die beiden überrumpelten Wächter fortzuschaffen. Sie waren betäubt gewesen, jetzt aber aufgewacht. Ihre Hüter waren ganz gute Krieger, hatten es aber nicht fertig gebracht, sie zu binden, sondern sie saßen mit gezückten Messern bei ihnen, um sie zum Stilleliegen und Schweigen zu zwingen. Es bedurfte meiner Hilfe, den beiden die Arme auf den Rücken zu befestigen. Das Material war vorhanden, da auch sie ihre Lassos bei sich hatten. Ich verbot ihnen bei Todesstrafe jeden Laut und zwang sie, mir zu folgen. Sie thaten das ohne Widerstreben, da sie sich nicht wehren konnten und Angst vor dem Revolver hatten, welchen sie in meinen Händen sahen.

Wir bewegten uns natürlich auf der Halbkreislinie, welche von unsern Posten gebildet wurde, und gelangten dann nach der südlichen Seite des Waldes, wo ihr Häuptling sich mit seinem Mitgefangenen unter der scharfen Obhut der fünf Mimbrenjos befand. Er mochte sich nicht wenig wundern und innerlich ergrimmt darüber sein, als er sah, daß ich wieder zwei seiner Leute gefesselt brachte, sagte aber kein Wort. Es kam mir nun darauf an, ihm zu zeigen, daß wir seine Yumas umzingelt hatten und es diesen nicht gelingen konnte, durch den Kreis der Mimbrenjos zu entkommen. Ich mußte ihm also unsere Aufstellung zeigen; darum band ich ihm, damit er gehen könne, die Füße los, dafür aber die Arme trotz seiner verwundeten Hand doppelt fest, befestigte außerdem einen Riemen, dessen anderes Ende ich an meinen Gürtel knüpfte, um seinen Leib und sagte dann zu ihm:

„Der große Mund wird sich nach seinem Lager sehnen; er mag mit mir kommen; ich will es ihm zeigen.“

Er warf einen Blick beinahe freudiger Ueberraschung auf mich, da er im ersten Momente denken mochte, daß seine vorige Appellation an mein christliches Mitgefühl jetzt Früchte zu tragen beginne; dann aber dachte er sogleich an die Vorbereitung, welche ich soeben getroffen hatte, mich seiner Person zu versichern, und er antwortete, indem seine Brauen sich wieder finster zusammenzogen:

„Wohin willst du mich schleppen? – Doch zu unserm Lager nicht!“

„Ganz nicht, doch in die Nähe desselben, ich hoffe aber, dir noch im Laufe des Vormittags deinen Wunsch erfüllen zu können.“

„Warum ist es jetzt unmöglich?“

„Weil deine Krieger mich mit ihren Waffen empfangen würden und ich noch keine Lust habe, mir einige Löcher in den Körper schießen oder stechen zu lassen.“

„Sie werden dir nichts thun, sondern dir dafür, daß du mich ihnen wiederbringst, sogar dankbar sein.“

„Es sollte mich freuen, diese Dankbarkeit zu sehen, und eben darum auch will ich lieber bis zum Vormittage warten. Jetzt ist es trotz des Mondscheins nicht hell genug, meine Seele an dem Entzücken der Deinigen laben zu können.“

„Deine Seele ist noch finsterer als die Nacht, wenn kein Mond sie erhellt. Deine Worte haben einen freundlichen Klang, aber sie bergen eine Tücke in sich, die ich nicht zu durchdringen vermag!“

„Man soll jemand, der einem eine Ueberraschung bereiten will, nicht deshalb gleich der Heimtücke zeihen. Komm nur mit, so wirst du sehen, was ich dir zeigen will!“

Er konnte in seiner gezwungenen Lage nichts thun, als mir folgen, wäre aber wohl auch ohne Zwang, nur von der Neugierde getrieben, mitgegangen. Ich führte ihn bis dahin, wo der erste Posten am Rande des Waldes stand und von da aus in den letzeren hinein, ihn bedrohend:

„Merke jetzt, was ich dir sage! Du hast von jetzt an, bis ich dir das Reden erlaube, kein Wort zu sprechen; ja selbst beim ersten lauten Hauche wird dir sofort die Klinge meines Messers in das Herz fahren. Hier, fühle einmal die Spitze derselben!“

Ich zog mein Messer und stieß ihm die Spitze durch das Gewand, welches seine Brust bedeckte, so daß seine Haut ein kleines Loch bekam. Er erschrak aufs heftigste und bat, infolge meiner soeben ausgesprochenen Drohung allerdings mit sehr unterdrückter Stimme:

„Stich nicht, stich nicht! Ich werde still sein; du sollst keinen Laut von mir hören!“

„Das hoffe ich um deinetwillen, denn ich würde meine Worte unbedingt und augenblicklich wahr machen. Geh jetzt weiter; halte dich eng an mich, und paß genau auf das auf, was du siehst und was du hörst!“

Er hatte den ersten Posten am Boden liegen sehen. Wir gingen zum zweiten. Da es hier unter den Bäumen dunkel war und der Mann mich nicht erkennen, also möglicherweise für einen Feind halten konnte, rief ich ihn einige Schritte vorher in gedämpftem Tone an:

„Ich bin’s, Old Shatterhand, hat sich vielleicht etwas ereignet?“

„Nein; sie schlafen noch.“

So ging ich mit dem „großen Mund“ von einem Posten zum andern, mit jedem einige Worte wechselnd, sodaß der Häuptling genau erfuhr, in welcher Weise seine Leute hier umzingelt waren. Am andern Ende der im Walde liegenden Wächterlinie traf ich auf den Apatschenhäuptling. Als er den Yuma sah, erriet er sofort meine Absicht und sagte:

„Du kommst, dich zu überzeugen, daß keiner der Hunde hier durchzuschlüpfen vermag? Sie sind noch schlimmer als Hunde, denn Hunde sind wenigstens wachsam, die Yumas aber schlafen. Es ist eine Schande, der Anführer so untauglicher Leute zu sein. Ihr Erwachen wird ihnen Entsetzen bringen, denn wenn sie sich nicht ergeben, werden wir sie vom ersten bis zum letzten niederschießen.“

Ich merkte dem „großen Mund“ an, daß er etwas sagen wollte; vielleicht war es eine Bitte, welche sich jetzt schon auf seine Zunge drängte; aber er erinnerte sich meiner Drohung und schwieg. Wir gingen weiter, aus dem Walde ins Freie hinaus, von Posten zu Posten, bis wir auch diesen größern Halbkreis abgeschritten hatten. Dabei trafen wir auf den „starken Büffel“, welcher hier zu befehligen hatte. Er war weniger scharfsinnig als Winnetou und erriet nicht, zu welchem Zwecke ich den „großen Mund“ mitgenommen hatte. Darum fragte er mich in beinahe unfreundlichem Tone:

„Warum schleppt Old Shatterhand diesen Hund mit sich! Willst du ihm Gelegenheit zum Entkommen geben? Laß ihn doch bei seinen fünf Wächtern! Du hast nur zwei Augen und zwei Hände, sie aber besitzen deren zehn.“

„Meine beiden Augen sind ebensogut wie ihre zehn, und du weißt, daß meine Arme mehr vollbracht haben, als die ihrigen. Was zürnest du! Hast du nicht vorhin selbst gesagt, daß Old Shatterhand stets weiß, was er thut!“

„Aber wenn du kommst, um dich zu überzeugen, daß wir wachsam sind, ist es von keinem Nutzen, den Gefangenen mitzubringen!“

„Ich komme eben nicht um dieser Ueberzeugung willen, sondern aus einem andern Grunde. Meinst du, daß es wohl einem einzigen dieser Yumas gelingen mag, durch unsere Umschlingung zu entkommen?“

„Was fragst du noch, da du doch ebensogut wie ich wissen mußt, daß es unmöglich ist; wenn sie es versuchen, so schießen wir.“

„Das wollte ich wissen. Sollte dich ja ein Gefühl des Mitleides ankommen, so unterdrücke es! Je mehr eure Kugeln sofort unter ihnen aufräumen, desto weniger haben wir dann später nachzuholen.“

„Mitleid!“ lachte er höhnisch-zornig auf. „Hat der Hund hier Mitleid mit meinen Kindern gehabt? Wärest du nicht erschienen und ihr Retter geworden, so hätte er sie getötet. Wie kann es dir da beikommen, von Mitleid zu mir zu sprechen. Solange ein Mimbrenjo lebt, wird ein Yuma keine Gnade bei ihm finden!“

Er wendete sich ab, spie aber dem „großen Munde“ dabei ins Gesicht und entfernte sich. Nach dem Eindrucke, den das Verhalten des grimmigen Häuptlings auf den Yuma gemacht haben mußte, hielt ich es für an der Zeit, letzterem das Sprechen zu erlauben. Darum sagte ich:

„Du darfst jetzt wieder reden. Du weißt nun, daß der Krieger der Mimbrenjos mehr sind, als du Yumas bei dir hattest. Ich habe dir gezeigt, welche Stellung sie einnehmen; alle ihre Gewehre sind schußbereit. Viele deiner Leute werden gleich bei der ersten Salve sterben, und die übrigen können sich nur dadurch retten, daß sie sich ergeben.“

„Sie werden sich durchschlagen!“

„Durch die Maschen dieses engen Netzes! Das glaubst du selbst nicht!“

„Ich bin überzeugt davon. Wenn sie plötzlich und unerwartet auf ihren Pferden im Galoppe hervor- und hindurchbrechen, werden wohl einige von euern Kugeln getroffen werden, die andern aber entkommen.“

„Auf ihren Pferden? Wo haben sie denn diese?“

„Dort,“ antwortete er, nach der Gegend, in welcher man beim Scheine des Mondes die Tiere weiden sah, hinüberdeutend.

„Dort, ja dort! Wo aber ist euer Lager? Hast du denn nicht schon unterwegs bemerkt, daß eure Pferde mit List entfernt worden sind?“

„Uff!“ rief er betroffen aus, da er diese Bemerkung wirklich jetzt erst machte.

„Sieh hinüber, und überzeuge dich, daß unsere Krieger zwischen deinen Yumas und deren Pferden liegen! Mit deiner Hoffnung, daß die Eingeschlossenen doch unsere Reihen sprengen werden, ist es also nichts.“

Er blickte schweigend zu Boden nieder, und ich hütete mich wohl, den Eindruck meiner Worte durch eine nicht notwendige Bemerkung abzuschwächen. Es verging eine Weile; dann hob er den Kopf und sagte:

„Wenn die Mimbrenjos wirklich sofort schießen, so ist das Mord, denn meine Krieger sind ganz ahnungslos.“

„Hast du nicht die Dörfer der Mimbrenjos überfallen und zerstört? Sie wußten nichts von eurem Raubzuge; sie waren ahnungslos. Hast du nicht die beiden Söhne und die Tochter des starken Büffels töten wollen? Sie wußten nicht, daß du dich in dem Thale befandest; sie waren ahnungslos. Hast du nicht die Hazienda del Arroyo überfallen, ausgeraubt, eingeäschert und dabei mehrere Bewohner derselben ermorden lassen? Sie wußten nichts von eurer Annäherung; sie waren ahnungslos. Die Ahnungslosigkeit ist bei dir kein Grund zur Schonung, folglich nun bei mir auch nicht.“

Er schwieg. Was hätte er mir auch entgegnen können! Ich aber fügte noch hinzu, um ihn ganz niederzudrücken:

„Was ihr verübtet, das war, vom Raube ganz abgesehen, der reine Mord; aber wenn wir euch töten, so ist es nicht Mord, nicht einmal Totschlag, sondern eine ganz gerechte Belohnung oder Bestrafung eurer Missethaten. Kannst du vielleicht ein einziges Wort dagegen vorbringen?“

Er sagte nichts, und so schwieg auch ich. Der Mond stand jetzt im Zenith und übergoß auch das Lager der Yumas mit silbernem Lichte. Man sah von da aus, wo wir standen, ihre Gestalten liegen. Der Häuptling blickte mit ängstlich forschenden Augen bald nach rechts, nach links, bald geradeaus. Er strengte alle sein Gedanken an, einen Ausweg zu finden; er forschte nach, ob es eine Rettung für ihn und seine Leute gebe; ich unterbrach sein Grübeln nicht, denn dieses mußte ihn dahinführen, wohin ich ihn haben wollte. Da sah ich, daß er plötzlich den Kopf höher streckte.

„Uff! Jetzt, jetzt!“ rief er aus.

Ich folgte mit meinem Blicke der Richtung seiner Augen, welche nach dem Lager ging, und sah, daß dort ein Yuma aufgestanden war und sich umschaute. Er sah die Pferde nicht da, wo sie sich eigentlich befinden sollten, sondern weit entfernt. Er sah auch unsere Pferde. Obgleich dieselben einzeln standen und einen Halbkreis bildeten, dessen Regelmäßigkeit auffallen mußte, schien er doch keinen Verdacht zu schöpfen, sondern sie für Yumapferde zu halten, denn er weckte niemand, sondern verließ das Lager nach der Richtung hin, wo sich der größte Trupp der Pferde jetzt befand. Er glaubte die beiden Wächter dort und wollte sie auf ihre Achtlosigkeit aufmerksam machen.

„Er ist verloren!“ stieß der Häuptling hervor. „Sogleich wird ein Schuß fallen und ihn niederstrecken!“

„Nein,“ entgegnete ich. „Er wird nicht getötet werden.“

„So meinst du, daß man ihn hindurchlassen wird?“

„Man wird ihn gefangen nehmen, wie ich dich gefangen genommen habe.“

„So wird er sich wehren und Lärm machen!“

„Dazu kommt er nicht. Du weißt doch, wo Winnetou steht. Der Yuma muß nahe an ihm vorbei, wenn er seine jetzige Richtung beibehält, und der Apatsche wird ihn so von hinten nehmen, wie ich es mit dir gemacht habe. Paß auf!“

Es geschah so, wie ich gesagt hatte. Der Yuma ging unbefangen weiter; dann sahen wir hinter ihm den Apatschen blitzschnell auftauchen; ebenso schnell waren beide verschwunden; sie lagen im Grase, wo wir sie nicht sehen konnten. Kurze Zeit später aber erhob sich Winnetou wieder; er hatte den Yuma gepackt und verschwand mit ihm unter den Bäumen.

„Er hat ihn, er hat ihn überwältigt!“ zürnte der große Mund.

„Und zwar ganz im stillen, ohne daß deine Leute etwas bemerkt haben! Du siehst, wie vortrefflich auf unserer Seite gearbeitet wird. Und doch wäre es mir lieber, wenn der Mann Zeit gefunden hätte, Lärm zu machen.“

„Warum?“

„Weil wir uns dann jetzt schon in der Entscheidung befänden. Wozu das lange Harren und Warten! Ich werde das Zeichen zum Angriffe geben.“

Ich hielt zwei Finger an den Mund, als ob ich pfeifen wolle; da bat er rasch, so rasch er nur konnte:

„Halt! Thue es noch nicht! Warte noch ein wenig!“

„Wozu? Das Verhängnis ist doch nicht von euch abzuwenden.“

„Vielleicht doch! Du hast ja selbst davon gesprochen, als wir uns unterwegs zu den Mimbrenjos befanden.“

„Ich entsinne mich nicht.“

Ich stellte mich natürlich nur so, um seine Besorgnis zu steigern. Er fuhr dringend fort:

„Du kannst es doch nicht vergessen haben; du mußt dich darauf besinnen!“

„Was hätte ich denn gesagt?“

„Du verlangtest die Wahrheit von mir!“

„Die Wahrheit? Ah so! Aber wenn ich sie finde, so kann das niemand retten, weil du das nicht thun wirst, was ich von dir verlange.“

„Was ist das?“

„Deine Krieger auffordern, die Waffen zu strecken und sicb zu ergeben.“

Er blickte beschämt zu Boden. Ich steigerte mit Absicht seine Verlegenheit, indem ich hinzufügte:

„Es wurde dir ins Gesicht behauptet, daß du schon beim Morgengrauen dazu bereit sein würdest; du aber verlachtest uns. Jetzt graut der Tag noch nicht, und schon hat dein Sinn sich geändert. Darum kann ich an diese Aenderung unmöglich glauben; ich traue dir nicht; ich vermute eine List dahinter und werde das Zeichen geben; der Kampf mag beginnen.“

„Warte noch, warte noch, und höre, was ich dir zu sagen habe!“

„So sprich, aber schnell! Ich habe keine Lust, die Zeit unnütz zu verschwenden.“

„Ist die Möglichkeit vorhanden, daß meine Krieger geschont werden und, wenn sie sich gefangen geben, die Freiheit wieder erlangen?“

„Ich sage nur: vielleicht.“

„Und daß auch ich mein Leben behalte und wieder freigelassen werde?“

„Das ist weit schwieriger. Deine Leute sind weniger schuldig, als du. Deine Missethaten sind so groß und schwer, daß es eines ganz außergewöhnlichen Grundes bedürfte, deine Rettung zu ermöglichen. Der starke Büffel aber wird dich auf keinen Fall und aus keiner Ursache begnadigen. An ihn dürftest du dich nicht wenden.“

„Aber an dich und Winnetou?“

„Immer nur vielleicht.“

„Vielleicht und nur vielleicht! Mach es kurz, und spanne mich nicht auf die Folter! Wenn du das Wort vielleicht aussprichst, mußt du doch eine Möglichkeit im Sinne haben!“

„Das ist freilich wahr. Ich will ganz genau und der strengen Wahrheit gemäß wissen, wie du mit den beiden Bleichgesichtern, welche Melton und Weller heißen, bekannt geworden bist, warum du auf ihre Veranlassung hin die Hazienda del Arroyo überfallen hast, und welche Absichten sie in Beziehung auf die weißen Auswanderer verfolgen. Bist du bereit, mir dies alles zu sagen?“

„Bist du bereit, mich dafür zu retten?“

„Wenn es mir möglich ist, ja.“

„So werde ich dir sagen, was du wissen willst.“

„Gut! Ich werde dir also jetzt meine Fragen vorlegen, welche du mir streng der Wahrheit gemäß zu beantworten hast, und dann – – –“

„Jetzt nicht, jetzt nicht!“ fiel er mir eifrig in die Rede. „Jetzt ist keine Zeit dazu. Erwacht wieder einer meiner Krieger, so steht nicht zu erwarten, daß er wieder so ruhig ergriffen wird. Wenn er Lärm macht, erwachen die andern, und dann schießen eure Krieger.“

„Das ist wohl richtig!“

„Und wenn die Mimbrenjos einmal Blut gesehen haben, dann wird es dir viel schwerer als jetzt, ja vielleicht unmöglich werden, uns zu retten!“

„Davon bin auch ich überzeugt,“ meinte ich sehr kaltblütig.

„Darum eile! Verhüte vor allen Dingen das Blutvergießen! Dann werde ich dir alles sagen. Ich schwöre es dir!“

„Deinem Schwur kann ich nur dann Glauben schenken, wenn du ihn mit der Friedenspfeife besiegelst.“

„Dazu haben wir ja keine Zeit! Die Friedenspfeife können wir später rauchen.“

„Sehr wohl; aber ich kann dir nur schwer trauen. Bedenke, wie schwer mir deine Rettung fallen wird, da der starke Büffel sich mit allen Kräften dagegen stemmen wird!“

„Er braucht ja nichts davon zu wissen, indem du uns des Nachts die Banden zerschneidest.“

„Hm! Vielleicht würde ich es thun, weil ich als Christ den Tod selbst meines grimmigsten Feindes am Marterpfahle verabscheue.“

„So eile nur, eile, und laß mich nicht länger warten! Mach keine Worte mehr!“

Er hatte es jetzt eiliger, als ich vorher für möglich gehalten hatte; ich aber fuhr gelassen fort:

„Ich muß vorher bestimmt wissen, woran ich bin. Du verlangst, daß ich dich und deine Leute heimlich loslasse und dafür versprichst du mir, daß sie sich jetzt freiwillig gefangen geben?“

„Ja doch, ja!“

„Und klärst mich über die beiden genannten Bleichgesichter der Wahrheit gemäß so vollständig auf, daß ich alle ihre Absichten durchschauen kann?“

„Ja, das beschwöre ich! Doch verlange ich, daß auch du Wort hältst! Wirst du uns wirklich freilassen?“

„Ja.“

„So sind wir einig, und du magst nun schleunigst dafür sorgen, daß die Ermordung meiner Krieger verhütet wird!“

„Ich thue es, und zwar nur in der Voraussetzung, daß du keine Hintergedanken hegst.“

„Meine Seele ist frei von jedem falschen Gedanken; nur rette uns!“

„So komm zu dem starken Büffel und Winnetou, damit du ihnen sagst, daß du deinen Kriegern den Befehl, sich zu ergeben, senden willst.“

„Senden? Du meinst, daß ich einen Boten an sie schicken soll? Dem werden sie nicht gehorchen, ich muß selbst zu ihnen!“

„Selbst? Das kann ich nicht erlauben.“

„Du mußt, wenn es dein Ernst ist, mich und meine Leute zu retten!“

„Ich muß? Merke dir, daß Old Shatterhand niemals müssen muß! Ich habe versprochen, dich heimlich zu befreien, indem ich deine Fesseln aufmache; aber ich habe nicht gesagt, daß ich dich jetzt zu deinen Kriegern gehen lassen werde.“

„Dann kannst du uns nicht retten, denn meine Krieger gehorchen nur mir selbst und werden die Worte eines Boten nicht achten.“

„Dafür kann ich nicht, sondern du bist selbst schuld daran, wenn sie für einen Befehl, den du ihnen sendest, keinen Gehorsam haben. Du hättest ihnen mehr Achtung und Ehrerbietung für dich, mehr Folgsamkeit einprägen sollen!“

Er hatte bei der Forderung, ihn selbst gehen zu lassen, jedenfalls einen Hintergedanken gehabt. Jetzt sah er ein, daß ich unerbittlich war, und lenkte ein:

„Wie kannst du verlangen, daß sie einem Mimbrenjo-Boten gehorchen!“

„Bist du etwa der einzige Gefangene, den wir gemacht haben? Der Krieger, welcher mit dir ergriffen wurde, ist mit mir und dir geritten und hat die Schar unserer Leute gesehen. Die beiden Pferdewächter, welche ich brachte, sind mit mir die ganze Außenseite unserer Posten abgeschritten und wissen also fast ebensogut wie du, daß deine Yumas verloren sind, wenn sie uns zwingen, zu unsern Gewehren zu greifen. Wenn ich diese drei Männer in euer Lager sende und sie deinen Befehl überbringen, so muß man ihnen unbedingt Glauben schenken. Wo nicht, so habe ich das meinige gethan, und trage keine Schuld daran, daß so viele Yumas in den Tod gehen werden.“

„Gut; ich bin einverstanden; führe mich zu diesen dreien!“

„Warte vorher einen Augenblick!“

Ich ging mit ihm zu dem nächsten Posten und gab ihm den Auftrag, den „starken Büffel“ und Winnetou vorsichtig aufzusuchen, um ihnen mitzuteilen, daß der „große Mund“ bereit sei, seine Krieger aufzufordern, sich zu ergeben. Dann kehrte ich mit dem Häuptlinge nach der andern Seite des Waldes, wo die Gefangenen sich befanden, zurück.

Er mußte ihnen seinen Befehl natürlich in meiner Gegenwart geben, und indem er ihnen seine Gründe auseinandersetzte, gab ich genau acht, daß kein hinterlistiges Wort mit unterlief. Leise, sodaß die Mimbrenjowächter es nicht hören konnten, teilte er ihnen mein Versprechen mit, ihm und allen Gefangenen, nur um jetzt Blutvergießen zu verhüten, heimlich die Freiheit zu geben, und fügte mit Betonung hinzu:

„Und ihr alle wißt, daß Old Shatterhand stets hält, was er verspricht. Er hat noch nie sein Wort gebrochen!“

„Ich halte es und werde jede Silbe erfüllen, die ich ausgesprochen habe.“ bekräftigte ich.

Dann wurden den dreien ihre Füße freigegeben, sodaß sie laufen konnten, während ihre Arme noch gefesselt blieben, zwei von den fünf Wächtern gingen mit, als ich nun mit den drei Yumas und ihrem Häuptlinge nach dem von unsern Posten eingeschlossenen Platze zurückkehrte.

Dort sah ich Winnetou mit dem starken Büffel“ stehen und ging zu ihnen hin. Letzterem war es schwer geworden, der Botschaft, welche ich ihm gesendet hatte, Glauben zu schenken. Er kam mir hastig einige Schritte entgegen und fragte:

„Ist es wahr, daß der Hund von Yuma uns seine Leute mit ihren Waffen ausliefern will?“

„Ja.“

„Dann hast du entweder ein Wunder gethan, oder es steckt ein Betrug dahinter, den du nicht zu entdecken und zu durchschauen vermagst! Old Shatterhand mag sich in acht nehmen!“

Da meinte Winnetou in seinem ruhigen und darum so überzeugenden Tone:

„Es giebt keinen Yuma, dem es gelingen könnte, Old Shatterhand zu betrügen. Der große Mund bleibt natürlich bei uns. Die drei andern Yumas sollen den Befehl wohl nach dem Lager bringen?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Wissen sie genau, was sie dort zu sagen haben?

„Nur zweierlei habe ich ihnen noch zu befehlen.“

„Was denn noch?“ fragte der große Mund schnell, indem er eine Bedingung vermutete, auf welche er möglichenfalls nicht eingehen konnte.

„Etwas sehr Einfaches, was wir bisher nur deshalb nicht erwähnt haben, weil es ganz selbstverständlich ist. Du hattest es vorhin so eilig und wirst mir also beistimmen, wenn ich fordere, daß deine Krieger nicht zögern, dir zu gehorchen?“

„Welche Frist gewährst du ihnen?“

„Eigentlich gar keine. Der Gehorsam muß ein augenblicklicher und unbedingter sein. Wenn er eine Frist fordert, ist er kein Gehorsam mehr. Es ist nicht meine Absicht, hier so lange liegen zu bleiben, bis es deinen Leuten gefällt, mir mitzuteilen, daß sie gesonnen sind, dir Gehorsam zu leisten. Ich gebe ihnen eine halbe Stunde Zeit.“

„Gieb ihnen eine ganze!“

„Nein, eine halbe. Das ist schon viel zu lange für das, was ich Gehorsam nenne. Sobald die halbe Stunde vergangen ist und die Yumas haben noch nicht gesprochen, werden wir ohne weiteres Säumen unsere Gewehre sprechen lassen. Von dieser Bedingung gehe ich nicht ab und denke, daß du einverstanden sein wirst.“

„Ich muß. Aber du sprachst von zweierlei. Was ist das zweite?“

„Es betrifft die Auslieferung der Waffen. Ich werde, sobald deine Männer erklärt haben, daß sie dir gehorchen wollen, in der Nähe ihres Lagers von unsern Leuten einen Kreis bilden lassen. Dahin hat jeder Yuma einzeln, verstehe wohl, einzeln zu kommen und alle seine Waffen abzugeben, um dann sofort wieder zurückzukehren. Das ist eine Maßregel, welche du nicht unbillig finden wirst.“

„Ich gehe auf dieselbe ein.“

„Nun wohl! Ich erkläre dir aber, daß ich jeden Yuma, bei dem wir dann irgend eine Waffe oder etwas, was als Waffe gebraucht werden kann, finden, als Verräter erklären und niederschießen lassen werde!“

„Das ist hart, sehr hart! Wie steht es aber mit den Pferden und den sonstigen Gegenständen, welche meine Leute besitzen?“

„Die Pferde gehören natürlich uns und sind unsere rechtmäßige Beute. Geben wir später einen von euch frei, so steht es nur in unserm Ermessen, ihm sein Pferd zu schenken oder nicht. Die Munition, Pulver, Blei, Kugelformen oder gar Patronen gehören zu den Waffen und sind mit diesen abzuliefern. Alles andere, was ihr besitzt, werden wir genau untersuchen. Ich denke nicht, daß wir uns an eurem Eigentume bereichern wollen; was aber aus dem Ueberfalle der Hazienda del Arroyo stammt, werden wir an uns nehmen und dem Haziendero, welcher der rechtmäßige Eigentümer ist, zurückgeben. Hast du noch eine Frage?“

„Nein.“

„So mögen die drei Boten gehen; du aber setzest dich hier nieder und wirst nicht eher aufstehen, als bis dir einer von uns dreien, Winnetou, der starke Büffel oder ich, die Erlaubnis dazu erteilt!“

Die Yumas entfernten sich, um ihre weniger schwierige als unangenehme Mission auszuführen. Der „große Mund“ hockte auf die Erde nieder, und auf einen Wink von mir nahmen die zwei Wächter zu beiden Seiten Platz, um ihn nicht aus ihren Augen zu lassen.

Ich sah nach der Uhr, denn es war meine Absicht, nach Verlauf der halben Stunde, falls wir noch keinen Bescheid erhalten haben sollten, erst einige Schreckschüsse abgeben und dann scharf schießen zu lassen.

Die Boten erreichten, wie wir sahen, das Lager und weckten die Schläfer. Es entstand zunächst ein kurzes Durcheinander; dann gruppierten sich die Yumas in einem engen Kreis um unsere Abgesandten, worauf nach einer kleinen Weile ein wütendes Geschrei oder vielmehr Geheul erscholl. Die Boten hatten ihren Auftrag ausgerichtet; er hatte die Wirkung, welche zunächst zu erwarten gewesen war, nämlich eine ungeheure Aufregung, welche den einzigen bedenklichen Moment für uns bildete. Ging sie vorüber, ohne daß die Yumas sich zu unbesonnenen Feindseligkeiten hinreißen ließen, so war uns der Erfolg gesichert.

Ich war mit Winnetou und dem Häuptling der Mimbrenjos eine kleine Strecke von dem „großen Munde“ weggegangen, damit dieser nicht hören könne, was zwischen uns gesprochen wurde. Als sich der wütende Lärm im feindlichen Lager erhob, sagte der „starke Büffel“:

„Jetzt werden sie auf uns eindringen. Man hört es ihrem Geschrei an. Aber wir werden sie empfangen.“

„Das ist nur für den Augenblick. Wenn sie erfahren, daß sie vollständig umzingelt sind, werden sie besonnener werden,“ antwortete ich.

„Das glaube ich schwer. Old Shatterhand muß alles bedenken; er darf nichts vergessen.“

„Was könnte ich denn vergessen haben?“

„Daß die Yumas sich bisher sicher fühlten. Sie schliefen in dem Gedanken ein, daß sie uns mit Tagesanbruch überfallen und vernichten würden. Jetzt, da sie erwachen und noch schlaftrunken sind, erfahren sie das Gegenteil, daß sie umzingelt sind und sich ergeben sollen. Da ist es fast gewiß, daß sie in der Aufregung die Unbesonnenheit begehen, zu den Waffen zu greifen.“

„Sie werden schnell zur Besinnung kommen, denn ich habe ihnen eine Botschaft gesandt, welche sie schnell beruhigen und mit Hoffnung erfüllen wird.“

„Sie haben keine Hoffnung; sie müssen alle sterben. Hast du ihnen vielleicht Hoffnung auf Freiheit gemacht?“

„Ja.“

„Ihnen allen und auch ihrem Häuptlinge?“

„Diesem ganz besonders.“

„Bist du toll! Meine Zustimmung bekommst du nie dazu!“

„Die brauche ich nicht.“

„Wieso? Hast du etwa allein zu befehlen? Hat Winnetou und habe ich nicht auch etwas zu sagen?“

Er war wieder einmal zornig, was bei ihm öfters geschah. Ich antwortete ihm in aller Gemütlichkeit:

„Ja, auch ihr habt mit zu bestimmen; aber ich habe versprochen, diesmal nicht auf euch zu horchen. Ja, ich habe noch viel, viel mehr versprochen.“

„Noch mehr! Was?“

„Den großen Mund und alle seine Leute heimlich zu befreien, indem ich ihre Fesseln durchschneide.“

„Das, das hast du versprochen, das?!“ fuhr er mich wütend an. „Wie konntest du wagen, dies zu tun! Wie konntest du ohne unsere Zustimmung – – –“

Er kam nicht weiter, denn Winnetou ergriff ihn so fest beim Arme, daß er vor Schmerz die Rede vergaß, und ermahnte ihn:

„Warum schreit mein roter Bruder wie ein altes Weib, welchem die Zähne schmerzen! Soll der große Mund hören, was wir sprechen? Hat er jemals vernommen, daß Old Shatterhand ohne Ueberlegung handelt? Wenn er ein gutes Versprechen gegeben hat, so wird er es halten; ist es aber ein schlechtes, so hat er es gegeben, weil er weiß, daß er es nicht zu halten braucht.“

„Aber Old Shatterhand pflegt jedes Versprechen zu halten!“

„Wenn die Bedingungen erfüllt werden, unter denen er es gegeben hat.“

„So! Bedingungen!“ brummte der noch immer zornige Häuptling. Und dann fuhr er mich bissig an: „Behalte deine Bedingungen für dich; ich mag sie nicht wissen!“

Damit wendete er sich von uns ab und warf sich in ziemlicher Entfernung von uns ins Gras nieder. Ueber Winnetous Züge glitt ein Lächeln, doch sagte er nichts. Ich glaubte ihm eine Mitteilung schuldig zu sein, und bemerkte:

„Ich habe das Versprechen gegeben, weil ich ganz genau wußte – – –“

„Pshaw!“ unterbrach er mich. „Was Old Shatterhand thut, ist gut; er hat nicht nötig, sich bei mir zu entschuldigen. Ich weiß, daß er den Yuma betrügen wird, weil dieser ihn betrügen will. Der starke Büffel ist ein sehr tapferer Häuptling, aber seinem Auge fehlt die Schärfe, und seine Gedanken reichen nur soweit, wie er den Tomahawk werfen kann. Sein Zorn ist schnell groß und schnell wieder klein. Sein Herz ist gut; er wird Old Shatterhand um Verzeihung bitten.“

Wenn Winnetou sprach, so mußte jeder Zorn weichen und jedes etwaige Gekränktsein sich beschwichtigen. Er beobachtete das Lager, in welchem sich die Aufregung jetzt gelegt hatte. Die Yumas standen in ruhiger Verhandlung beisammen und wendeten sich bald nach dieser, bald nach jener Seite, um unsere Aufstellung zu betrachten. Noch war die halbe Stunde nicht vergangen, so kehrte einer der drei Boten zurück und meldete:

„Die drei ältesten Yumakrieger wünschen Old Shatterhand, Winnetou und den starken Büffel zu sprechen. Dürfen sie kommen?“

„Ja, aber unbewaffnet.“

„Und werden sie, auch wenn ihr nicht einig werdet und sie lieber kämpfen wollen, nach dem Lager zurückkehren dürfen, ohne daß ihnen etwas geschieht?“

„Sie sind Abgesandte; sie können gehen, woher sie gekommen sind.“

Der Mann lief nach dem Lager, um diesen Bescheid zu überbringen, und bald darauf sahen wir die drei Angemeldeten kommen. Sie hatten ihre Decken und sogar die Oberkleider abgelegt, damit wir sehen sollten, daß sie nicht etwa eine Waffe versteckt bei sich trugen. Der „starke Büffel“ hatte, als er sah, um was es sich handelte, sich uns wieder zugesellt.

Die drei gingen an ihrem Häuptlinge vorüber, ohne einen Blick auf ihn zu werfen, was aber keineswegs ein Zeichen der Verachtung war. Sie kamen jetzt als Bevollmächtigte ihrer Kameraden, weshalb es in diesem Augenblicke keinen Häuptling für sie gab. Bei uns dreien stehen bleibend und sich leicht verneigend, grüßten sie uns, dann wendete sich der eine, welcher wahrscheinlich der älteste von ihnen war, mit den höflichen Worten an mich:

„Der große Mund, der Häuptling der Yumas, ist gefangen und hat uns befohlen, uns auch zu ergeben. Old Shatterhand hat die Bedingungen mit ihm besprochen. Soweit das Gedächtnis unserer ältesten Krieger reicht, ist ein solcher Fall nicht vorgekommen; darum sind die Yumas zusammengetreten, um ohne ihren Häuptling einen Entschluß zu fassen, und haben uns zu dir gesandt, um uns zu überzeugen, ob der Befehl, den wir erhalten haben, nicht abzuändern ist. Wirst du mit deinen beiden berühmten roten Brüdern uns die Erlaubnis geben, die Krieger zu sehen, welche uns eingeschlossen haben und wie sie aufgestellt worden und bewaffnet sind?“

„Kein Anführer zeigt dem Feinde das, was ihr zu sehen begehrt,“ antwortete ich ihnen. „Auch ist soeben die Zeit vorüber, welche ich euch gegönnt habe; ich hätte also das Recht, das Feuer beginnen zu lassen; aber ich achte eure Gründe und weiß, daß es für euch keine Rettung giebt; darum sei euch euer Wunsch erfüllt. Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, wird euch unter seine Obhut nehmen, damit euch unterwegs kein Leid geschieht. Geht also jetzt, und kehrt spätestens nach einer Viertelstunde wieder, um mir euern Entschluß mitzuteilen. Das ist die letzte Frist, welche ich euch geben kann.“

Sie wendeten sich ab, um Winnetou zu folgen, der ihren Führer machte. Sie gingen unsere ganze Linie, auch die im Walde liegende, ab. Als sie zurückkehrten, kämpfte das Tagesgrauen schon mit dem Mondeslichte. Auch in den Gesichtern der drei Männer gab es einen Kampf, dessen äußere Spuren sie nicht sehen lassen wollten und doch nicht ganz zu unterdrücken vermochten; es war der Kampf zwischen Stolz und Notwendigkeit. Sie blieben mit gesenkten Blicken eine Weile schweigend vor uns stehen; dann sagte derjenige, welcher schon vorher gesprochen hatte:

„Old Shatterhand befand sich in unserer Gewalt, und es ist ihm doch nichts geschehen. Wird er jetzt nun seine ganze Strenge gegen uns walten lassen?“

„Daß mir nichts geschehen ist, das habe ich nicht euch zu verdanken. Was nützen die Worte? Die Krieger der Yumas mögen mir sagen, was sie beschlossen haben!“

„Wir haben erkannt, daß der große Mund, unser Häuptling, nicht anders beschließen konnte, als er beschlossen hat. Die Läufe eurer Gewehre sind von allen Seiten auf uns gerichtet, und unsere Pferde, deren Schnelligkeit uns hätte forttragen können, habt ihr uns genommen, während wir schliefen.“

„So ergebt ihr euch?“

„Wir sind deine Gefangenen.“

Er betonte das Wort „deine“ besonders, jedenfalls nicht ohne Grund. Er wollte mein Gefangener sein, weil ich versprochen hatte, sie freizulassen.

„So geht jetzt, um die Waffen abzuliefern, doch einzeln. Es darf keiner eher kommen, als bis der vorherige abgefertigt ist.“

„Dürfen wir nicht wenigstens unsere Heiligtümer behalten?“

„Der große Geist hat gewollt, daß ihr in unsere Hände fallt; sein Angesicht ist von euch gewendet, und so sind eure Heiligtümer wertlos geworden; aber ich will euch nicht so tief erniedrigen und kränken. Ihr sollt eure Kalumets und Medizinen behalten dürfen.“

Das war wenigstens eine Erleichterung für ihre niedergeschlagenen Seelen. Ist schon der zufällige Verlust der Medizin ein schwer auszugleichender Schaden, so bedeutet es geradezu eine unauslöschliche Schande, wenn ein Indianer seinem siegreichen Feinde die Medizin und dazu gar das Kalumet übergeben muß.

Sie schickten sich an, nach dem Lager zurückzukehren. Als sie zehn oder fünfzehn Schritte gegangen waren, blieb der Sprecher stehen, wendete sich um und sah zu mir zurück. Es lag in seinem Blicke eine deutliche Aufforderung für mich, zu ihm zu kommen, da er mir etwas zu sagen habe. Ich wußte, was es war, und ging ihm nach.

„Old Shatterhand mag verzeihen, daß ich noch einmal rede!“ sagte er. „Ich weiß, daß die beiden andern Anführer es nicht hören dürfen.“

„Sprich, aber fasse dich kurz!“

„Ist es wahr, daß Old Shatterhand versprochen hat, uns heimlich freizulassen?“

„Ja, wenn euer Häuptling sein Versprechen erfüllt.“

„Welches?“

„Er hat mir nicht erlaubt, es euch zu sagen.“

„Aber wenn er es nicht erfüllt?“

„So werde ich annehmen, daß ich das meinige nicht gegeben habe.“

„Dann werden wir ihm sagen, daß er sein Wort zu halten hat. Howgh!“

Er wollte nach diesem bekannten Bekräftigungsworte gehen, blieb aber nochmals stehen und fragte:

„Wohin werdet ihr uns bringen?“

„Darüber ist noch nichts beschlossen.“

„Welche Qualen werdet ihr unterwegs über uns verhängen?“

„Keine, denn ihr habt mich auch nicht gequält. Ihr werdet weder hungern noch dürsten, weil ich bei euch auch nicht gehungert und gedürstet habe.“

„Werden wir unter eurer Bewachung frei reiten oder gehen können?“

„Nein, denn ich bin bei euch an Armen und Beinen gefesselt gewesen. Zum Essen wird man euch die Hände freigeben. Du siehst, daß sich alles belohnt und alles bestraft. Wer Gutes thut, wird Gutes ernten. Nun aber ist’s genug; es mag nun endlich einmal zum Schlusse kommen.“

Während die drei Alten ihren Rückweg fortsetzten, wurden dreißig Mimbrenjos bestimmt, den schon erwähnten Kreis, in welchem die Waffen niedergelegt werden sollten, zu bilden. Sie stellten sich wohlbewaffnet ungefähr fünfzig Schritte vom Lager auf, und kaum war dies geschehen, so kam der Sprecher als erster, um das Geforderte abzugeben. Ich stand dabei und ließ, um die Sache abzukürzen, schnell noch einige Mimbrenjos kommen, welche den Inhalt seiner Taschen zu untersuchen hatten. Als dies Winnetou sah, kam er mit noch einigen andern herbei, um die Manipulation dadurch abzuschließen, daß der Alte gebunden und in das Gras gelegt wurde. So wurde jeder Nachfolgende erst entwaffnet, dann von mir auf den Inhalt seiner Taschen untersucht, und nachher von Winnetou gefesselt. Das Entwaffnen ging sehr rasch. Das Fesseln ebenso. Die Yumas hatten selbst genug Riemen und Lassos bei sich. Schwerer aber war es, meines Amtes zu walten. Es war nicht leicht zu unterscheiden, ob ein Gegenstand von der Hazienda stammte oder das rechtmäßige Eigentum seines Trägers war, zumal sehr oft eine Sache, von welcher ich hätte beschwören mögen, daß sie auf der Hazienda geraubt worden sei, als Medizin bezeichnet wurde, und ich hatte ja versprochen, jedem seine Medizin zu lassen. Der „starke Büffel“ hatte nicht eine besondere Beaufsichtigung übernommen, sondern war bald da und bald dort, bald bei mir und bald bei Winnetou, um möglichst dahin zu wirken, daß die von ihm so grimmig gehaßten Yumas eine scharfe Behandlung erfuhren.

Ein großer Teil des Vormittages war vergangen, als wir endlich fertig waren. Die Yumas lagen gefesselt nebeneinander, wie Säcke auf einem Kartoffelacker. Die abgenommenen Waffen bildeten einen großen Haufen, und sollten noch vor Mittag verteilt werden. Und von den Gegenständen, von denen ich glaubte, daß sie Eigentum des Haziendero gewesen seien, hatte ich auch eine leidliche Menge zusammenbekommen. Sie wurden einem ehrlichen Mimbrenjo in Aufbewahrung gegeben.

Dann wurde gegessen, das erste Mal am heutigen Tage. Jeder wurde satt, da beide Teile Proviantvorräte mitgebracht hatten. Da wir während der Nacht nicht geschlafen hatten, wurde beschlossen, während der heißen Mittagsstunden zu schlafen. Gegen Abend sollte aufgebrochen werden. Wohin, das verstand sich ganz von selbst, nämlich nach dem Orte, an welchem die zurückgelassenen Yumas mit den Verwundeten und den geraubten Herden lagerten. Die ersteren sollten gefangen genommen und die letzteren dem Haziendero zurückgebracht werden.

Bei der Verteilung der Waffen ging es ziemlich lebhaft her. Jeder wollte das Beste haben, womöglich eine Flinte, aber nur nicht Pfeil und Bogen, und da die Gewehre der Yumas nicht viel taugten, so gab es oft Zank und Streit, zu dessen Schlichtung es oft eines Machtwortes bedurfte.

Der Kreis, welchen unsere Krieger gebildet hatten, war natürlich längst aufgelöst worden. Wir lagerten am Waldesrande im Schatten, und wer nicht wachen mußte, der schlief, um Kräfte für den weiten Ritt zu sammeln, denn es sollte nicht eher als am Ziele angehalten werden. Bei der großen Zahl unserer Gefangenen hatten zehn Mann zu wachen; weniger wären zu wenig gewesen. Sie wurden jede Stunde abgelöst. Die zehn wurden wieder abwechselnd von Winnetou, dem „starken Büffel“ und mir beaufsichtigt, die wir einander auch allstündlich ablösten.

Ich hatte die erste Wache gehabt und wurde von Winnetou abgelöst. Als mich dann der Häuptling der Mimbrenjos weckte, fühlte ich mich fast müder als vorher und stand, um nicht etwa wieder einzuschlafen, auf, um mir Bewegung zu machen. Die zehn Posten, welche an der Reihe waren, patrouillierten auf und ab und hatten die Gefangenen so scharf im Auge, daß gewiß keiner von diesen etwas Verdächtiges auszuführen vermochte. Man hatte dem „großen Munde“, weil er Häuptling war, einen etwas zur Seite liegenden Platz gegeben, wo er bewegungslos lag und zu schlafen schien; als ich aber das zweite Mal an ihm vorüberging, öffnete er die Augen und nannte meinen Namen. Ich trat zu ihm und fragte, welchen Wunsch er habe. Er zeigte mir ein sehr erstauntes Gesicht und antwortete:

„Welchen Wunsch? Kann Old Shatterhand wirklich diese Frage aussprechen? Es giebt nur einen Wunsch, den ich haben kann – die Freiheit!“

„Das glaube ich dir. Ich hatte ihn auch, als ich dein Gefangener war.“

„Du hast sie erlangt. Wann werde ich sie bekommen? Noch heute?“

„Noch heute?“ fragte ich erstaunt. „Du hast geschlafen und träumst wohl noch!“

„Ich träume nicht. Nur zehn Krieger wachen außer dir. Wehrt es dir jemand, meine Fesseln zu zerschneiden? Thue es, so springe ich aufs nächste Pferd, galoppiere davon und bin verschwunden, ehe es einem einfällt, mir zu folgen.“

Das war ein grandioses Verlangen, eine Zumutung, über welche ein anderer vor Bewunderung oder auch Zorn hätte außer sich geraten können; mir aber kam es so komisch vor, daß ich in ein so lautes Gelächter ausbrach, daß mehrere Schläfer erwachten und alle Posten zu mir herblickten.

„Was lachst du so?“ sagte er zornig. „Glaubst du, ich treibe Scherz?“

„Das möchte ich allerdings annehmen. Jetzt, am hellen Tage, wo alle sehen würden, daß ich es bin, soll ich dich befreien?“

„Was schadet es dir? Kein Mensch würde es wagen, dich dafür zu bestrafen. Du hast es mir versprochen!“

„Ich versprach, dich und deine Krieger zu befreien, nicht dich allein. Du wirst nur mit ihnen freikommen.“

„So schaff so schnell wie möglich die Gelegenheit dazu! Du bist es uns schuldig, dein Versprechen zu halten.“

„Gewiß! Aber wie steht es denn mit dem deinigen?“

„Ich halte es, wenn du das deinige erfüllt hast.“

„Du meinst gewiß, daß dies sehr klug von dir ausgesonnen sei, wirst aber da die Freiheit nicht wiedersehen. Ich laß dich nicht eher frei, als bist du mir meine Frage beantwortet hast.“

„Und ich beantworte sie dir nur als freier Mann!“

Schon öffnete ich die Lippen zum abermaligen Lachen, wurde aber augenblicklich wieder ernst, denn der „starke Büffel“, welcher in der Nähe lag und den ich schlafend glaubte, sprang in diesem Augenblicke auf und rief, indem er sein grimmigstes Gesicht zeigte, mir die Worte zu:

„Hat Old Shatterhand wohl Zeit, mir eine Frage zu beantworten?“

„Ja,“ nickte ich.

„So mag er mit mir kommen, um sie zu hören!“

Ich ging zu ihm. Er führte mich eine Strecke weit fort, sodaß man uns nicht hören konnte, blieb dann stehen, blitzte mich mit zornigen Augen an und fragte:

„Old Shatterhand hat mit dem großen Munde gesprochen. Die Worte habe ich zwar nicht verstanden, aber ich errate, was es gewesen ist.“

„Wenn dies wirklich der Fall ist, so ist es mir unbegreiflich, daß du nicht an deinem Platze liegen geblieben bist. Der Schlaf ist dir ebenso notwendig, wie uns andern allen.“

„Wie kann ich schlafen, wenn ich sehe und höre, daß der Verrat sich in unserer Mitte befindet!“

„Der Verrat? Will mein roter Bruder mir sagen, wen er für einen Verräter hält?“

„Du bist es, du selbst!“

„Ich? Ein Verräter? Wenn der starke Büffel Old Shatterhand, dem nie jemand die geringste Untreue nachzusagen vermochte, für einen Verräter hält, so kann der Grund nur darin liegen, daß der große Geist ihm das Gedächtnis genommen und die Sinne verwirrt hat. Ich schenke dir mein Mitleid, und da ich dein Freund und Bruder bin, thut es meiner Seele weh, dich solange von unserm Rate ausschließen zu müssen, bis dein verwirrter Verstand sich wieder in Ordnung befindet.“

Darauf ließ ich ihn stehen und ging weiter. Er aber kam mir nach, ergriff mich beim Arme und rief im zornigsten Tone:

„Was hast du gesprochen? Den Verstand willst du mir rauben und meinen Geist vernichten? Meinst du, weil deine Kraft so stark und deine Gewandtheit so überlegen ist, kannst du nicht bloß deine Feinde besiegen, sondern darfst auch sogar deine Freunde beleidigen? Zieh‘ dein Messer, und kämpf‘ mit mir! Eine solche Kränkung kann nur mit Blut abgewaschen werden!“

Nicht nur seine Worte, sondern auch seine verzerrten Gesichtszüge sagten mir, daß sich der alte Cholerikus im Stadium wirklichen Grimmes befand. Er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und stand in der Stellung eines Kämpfers vor mir. Ich antwortete im ruhigsten Tone:

„Wornit eine solche Beleidigung gesühnt werden muß, das kann nur ich bestimmen, nicht du darfst es, denn ich bin es, der beleidigt worden ist. Du nanntest mich einen Verräter. Giebt es für einen Krieger eine größere Beleidigung? Wenn ein Fremder mir dies Wort entgegenwirft, so schlage ich ihn nieder, daß er für immer liegen bleibt; thut es aber ein Freund, so muß ich annehmen, daß er plötzlich verrückt geworden ist. Fühlst du dich dadurch an deiner Ehre gekränkt, so kann ich nicht dafür, denn du allein bist es, welcher mir den Grund geliefert hat, so von dir zu denken.“

„Aber ich habe recht! Du willst den großen Mund freilassen!“

„Aber ich habe auch eine Bedingung gestellt, welche er nicht erfüllen wird, und weiß also, daß ich ihn nicht loszulassen brauche.“

„Was hast du da mit ihm zu reden! Muß es mir nicht verdächtig vorkommen, daß du, während du meinst, wir schlafen, bei ihm stehst und mit ihm verhandelst!“

Da legte ich ihm die Hand so schwer auf die Achsel, daß ich ihn um einen halben Fuß niederdrückte, und sagte im ernstestem Tone:

„Wer hat den Häuptling der Mimbrenjos mir zum Wächter bestellt? Wenn Old Shatterhand wacht, können die andern ruhig schlafen; das magst du dir merken. Daß du mich einen Verräter nennst, verzeihe ich dir, denn ich weiß, daß du dein Unrecht einsehen wirst. Und damit mag die Sache ein Ende haben.“

Ich wollte abermals gehen; er jedoch hielt mich wieder zurück und schrie:

„Nein, das ist nicht ihr Ende. Du hast mit mir zu kämpfen! Nimm dein Messer, sonst steche ich ohne Gegenwehr!“

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Indianer, welche als Wilde einen leiseren Schlaf als civilisierte Menschen besitzen, durch das Geschrei des Alten aufgeweckt worden waren. Winnetou war auch erwacht und kam herbei, um ihn zu fragen:

„Warum fordert mein roter Bruder Old Shatterhand zum Kampfe auf?“

„Weil er mich beleidigt hat. Er sagte, mein Verstand sei verwirrt.“

„Warum sagte er das?“

„Weil ich ihn einen Verräter genannt habe.“

„Welchen Grund hatte der Häuptling der Mimbrenjos dazu?“

„Old Shatterhand stand bei dem großen Munde und sprach mit ihm.“

„War es eine Verräterei, welche er mit ihm besprach?“

„Ja. Old Shatterhand hat selbst gesagt, daß er ihn heimlich loslassen will.“

„Und das ist der einzige Grund, den du hast? Ich sage dir, mein Bruder Shatterhand weiß stets, was er thut, und wenn alle roten, weißen und schwarzen Menschen der Erde zu Verrätern würden, er allein bliebe treu!“

„Das glaubst du, aber ich weiß das Gegenteil. Was ich sagte, ist wahr; er aber hat mich beleidigt; er muß mit mir kämpfen!“

Es war wirklich eine Art Genuß, den Blick zu sehen, mit welchem Winnetou den Alten von oben bis unten maß, und dann den Ton zu hören, in welchem er ihn fragte:

„Will mein roter Bruder zum Gelächter der Seinigen werden?“

Das ergrimmte den „starken Büffel“ noch mehr; er brüllte jetzt förmlich:

„Willst etwa auch du mich erzürnen? Sieh meine Gestalt, meine Arme, meine Schultern, meine Muskeln! Meinst du, daß ich unterliege?“

„Ja! Wenn Old Shatterhand will, wird seine Klinge dir gleich beim ersten Stiche ins Herz fahren; aber er wird nicht wollen.“

„Er wird wollen; er muß wollen; ich fordere es von ihm, und wenn er zögert, mit mir zu kämpfen, so ist er ein Feigling und ich steche ihn ohne Zögern nieder!“

Jetzt zogen sich die Brauen Winnetous zusammen, und seine Züge nahmen jenen, ich möchte sagen, aus Erz gegossenen Ausdruck an, den ich sehr wohl kannte und der mir sagte, daß der Apatsche seine Seele nun verschlossen habe. Er zog die eine Schulter ein wenig höher, auch eine Bewegung, welche ich gar wohl kannte, und entschied:

„Der starke Büffel ist entschlossen, sich zu blamieren; Old Shatterhand wird mit ihm kämpfen. Welche Bedingungen stellt mein roter Bruder?“

„Kampf auf Leben und Tod.“

„Wann?“

„In diesem Augenblicke!“

„Nach welchen Regeln sollen die Messer geführt werden?“

„Nach gar keiner Regel. Ich steche, wie es mir beliebt.“

„Was hat zu geschehen, wenn einer sein Messer verliert? Darf der andere ihn niederstechen?“

„Wenn er kann, so mag er es thun; der erstere aber wird sich mit den Fäusten wehren und den andern erschlagen oder erwürgen.“

„So weiß ich ganz genau, wer, wenn der andere will, noch heute die ewigen Jagdgründe betreten wird. Meine beiden Brüder werden mir erlauben, der Schiedsrichter zu sein; ich bin bereit, und sie können den Kampf auf Leben und Tod beginnen.“

Die Augen des alten Isegrimm leuchteten vor Kampfeslust. Er kannte mich, dachte aber in diesem Momente weder an das, was er über mich erfahren, noch mit mir erlebt hatte. Wenn er zornig war, so gab es bei ihm kein Bedenken; war der Zorn verraucht, so war er der liebenswürdigste Mensch, nämlich so liebenswürdig, wie ein Indianer zu sein vermag. Freilich hatte ihm sein Zorn schon schlimme Streiche gespielt, und er hätte seinen Einfluß und sein Ansehen bei seinem Stamme wohl längst schon verloren gehabt, wenn er nicht sonst ein tüchtiger Anführer und riesenstarker Mann gewesen wäre. Denn wenn ich ihn den „Alten“ genannt habe, so verband ich mit dieser Bezeichnung keineswegs die Begriffe des Schwachen und Hinfälligen. Er zählte vielleicht sechzig Jahre, besaß den Bau und die Körperkraft eines Hünen, und befand sich noch im Vollbesitze der ganzen Beweglichkeit, welche andere in solchem Alter verloren haben. Er war also ein mir ebenbürtiger Gegner und mir jetzt eigentlich weit überlegen, weil er den Kampf wirklich ernst nahm, während es ganz selbstverständlich nicht in meiner Absicht liegen konnte, ihn zu verletzen, oder gar zu töten. Er besaß die Waffen, welche mir entzogen waren.

Am liebsten hätte ich mich geweigert, auf den Zweikampf einzugehen, aber ich wußte, daß dies für mich lebensgefährlich sei; er wäre in seinem Zorne mit dem Messer auf mich eingedrungen, und dann hätte ich mich doch und zwar ernstlich wehren müssen. Darum zeigte ich meine Bereitwilligkeit dadurch an, daß ich mich ihm gegenüberstellte und mein Messer zog, doch nicht mit der rechten, sondern mit der linken Hand. Ich that dies, um meine rechte Faust frei zu haben; er aber beachtete diesen Umstand nicht.

Die Mimbrenjos hatten gesehen und gehört, um was es sich handelte, und kamen herbei. Die gefangenen Yumas konnten nicht kommen, doch suchten sie sich unter ihren Fesseln eine solche Lage zu geben, daß sie zusehen konnten. Auf allen Gesichtern war der Ausdruck größter Spannung zu bemerken, nur auf denen der beiden Söhne des Häuptlings nicht. Sie wollten es nicht sehen lassen, aber ich sah es doch, daß sie sich in großer Sorge befanden. War ich Sieger, so tötete ich ihren Vater, und blieb dieser in der Oberhand, so war es um mich geschehen, dem sie ihre Dankbarkeit und sogar Verehrung zollten.

So standen wir einander auf fünf Schritte gegenüber, jeder sein Messer in der Hand und das Auge scharf auf den Gegner gerichtet. Winnetou fragte, ehe er das Zeichen zum Beginne gab:

„Hat mein roter Bruder, der Häuptling der Mimbrenjos, für den Fall seines Todes einen Wunsch auszusprechen?“

„Ich sterbe nicht!“ lachte der Gefragte grimmig auf. „Gieb das Zeichen, und sofort wird mein Messer Old Shatterhand fressen!“

„Oder hat mein weißer Bruder mir einen Auftrag zu erteilen?“ fragte der Apatsche jetzt mich.

„Ja. Wenn der starke Büffel mich erstochen hat, so sage ihm, daß ich der Retter seiner Kinder gewesen bin und seinem Sohne einen Namen gegeben habe. Vielleicht ist er dann vorsichtiger im Umgange mit Freunden, denen er Dankbarkeit schuldet.“

Ich war der Ansicht gewesen, daß diese Erinnerung den Alten zu Verstand bringen werde, hatte mich aber geirrt, denn er fuhr in noch höherem Zorne auf:

„Ein Verräter kann niemals auf Dank Anspruch erheben. Ich will Blut sehen, Blut!“

Der Kampf war also nicht rückgängig zu machen, und wenn ich vorher entschlossen gewesen war, so zart wie möglich mit ihm umzugehen, so fühlte ich jetzt auch mein Blut in Wallung geraten und nahm mir vor, ihm eine etwas derbere Lehre zu geben. Ich nickte also Winnetou zu, und dieser erhob die Hand und sagte mit lauter Stimme:

„Keiner der Zuschauer weiche von seinem Platze, bis ich es ihm erlaube! Der Kampf mag beginnen. Howgh!“

Er zog jetzt auch sein Messer, um jeden, der sich uns etwa nähern würde, niederzustechen, doch war daran unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht zu denken.

Wer wird beginnen? Das war jetzt die Frage. Ich nicht! Doch war ich fest entschlossen, den Häuptling gleich beim ersten Angriff unschädlich zu machen. Ich hoffte, daß mir dies gelingen werde. Zaudern durfte ich nicht, denn je länger ich mich dem Messer des Gegners aussetzte, desto größer wurde für mich die Gefahr, von demselben getroffen zu werden.

Der starke Büffel stand still und aufrecht wie eine Säule. Wollte er auch nicht der erste sein? So ruhig und bewegungslos sein Körper war, in seinem Innern sah es anders aus. Das lebhafte Flackern seiner Augen verriet mir, daß er nur so still stand, um meinen Blick zu ermüden, und sich dann plötzlich auf mich zu werfen. Ich hatte mich nicht geirrt, denn plötzlilch flammte es zwischen seinen Lidern förmlich auf, und ich ließ das Messer fallen, überzeugt, daß er jetzt auf mich einspringen werde. Er hob wirklich schon den Fuß, setzte ihn aber wieder auf die Erde und rief aus:

„Habt ihr gesehen, daß Old Shatterhand sich fürchtet? Das Messer ist ihm entfallen, weil die Angst ihm die Finger öffnete!“

Anstatt ihm zu antworten, bückte ich mich nieder, so thuend, als ob ich das Messer aufheben wolle; ich wußte aber, daß er als erfahrener und gewandter Krieger die Blöße, welche ich mir dabei gab, zum Angriffe benutzen werde. Er that auch sofort den entscheidenden Sprung, entscheidend, weil mit demselben seine Niederlage entschieden war. Nämlich da ich mich bückte, hatte er, um mich zu treffen, seine hohe Gestalt auch zu beugen und den Stoß nach einem Punkte zu richten, welcher in der Höhe des Rückens eines sich bückenden Mannes, also ungefähr anderthalb Ellen über der Erde lag. Ich machte aber eine blitzschnelle Wendung zur Seite und richtete mich ebenso rasch auf. Dadurch kam ich, während er in gebeugter Haltung nach der Stelle stieß, an welcher ich mich soeben befunden hatte, aufrecht neben ihn zu stehen, konnte also meine ganze Kraft in Anwendung bringen, und schlug ihm die geballte Rechte von hinten ins Genick, daß er nicht etwa niederfiel, sondern förmlich wie ein Sack, wie eine leblose Masse zu Boden schlug. Mit einem schnellen Griffe riß ich ihm das Messer aus der Hand; mit einem zweiten Griffe wendete ich ihn aus der Bauch- in die Rückenlage, um ihm auf die Brust zu knieen und das eigene Messer an die Gurgel zu legen; aber ich führte die Bewegung nicht aus; seine Augen machten, daß ich mitten in dieser Bewegung inne hielt. Sie waren weit geöffnet und starrten mit gläsernem Ausdrucke gerade aufwärts. Auch der Mund stand offen. Das dunkle, wetterharte Gesicht schien plötzlich versteinert zu sein. Kein Glied seines Körpers zuckte. Ich richtete mich aus meiner halben Beugung auf und sagte zu Winnetou:

„Der Häuptling der Apatschen sieht den starken Büffel am Boden liegen, und das Messer desselben in meiner Hand. Er mag entscheiden, wer der Sieger ist!“

Der Apatschekam heran und kniete vor dem Mimbrenjo nieder, um ihn zu untersuchen. Als er sich dann erhob, war sein Gesicht mehr als ernst und seine Stimme schien zu zittern, indem er verkündete:

„Der Häuptling der Apatschen hat gesagt, daß der starke Büffel noch heute die ewigen Jagdgründe betreten werde, und er hat recht gehabt. Die Faust Old Shatterhands ist wie ein Felsen; sie zerschmettert selbst dann, wenn er nicht töten will.“

Das war nur zu wahr gesprochen, denn ich hatte den „starken Büffel“ wirklich nicht erschlagen wollen. Ein kräftiger Mensch kann einen andern sehr wohl durch einen Fausthieb betäuben, wenn ihm die Faust dann auch für einige Stunden schmerzt, aber erschlagen, geradezu erschlagen, das kann nur dadurch geschehen, daß man eine höchst empfindliche Stelle trifft oder eine solche, welche im Augenblicke des Hiebes eine lebensgefährliche Blöße bildet. Die Zuschauer standen stumm, auch die beiden Söhne des Besiegten, zu welchem ich mich auch niederkniete, um zu sehen, ob Winnetou sich getäuscht habe oder nicht.

Seine stieren Augen waren diejenigen eines Toten; sein offen stehender Mund deutete auf Lähmung; sein Herz klopfte leise. Er lebte also noch. Ich versuchte, seine Augenlider zusammen zu drücken; da bewegte er die Lippen und ließ einige unartikulierte Töne hören. Auch seine Augen bewegten sich, indem sie wie nach jemand suchten und dann auf mir haften blieben. Es kehrte ihnen dabei der Ausdruck zurück, der Ausdruck des Schreckens. Die Lippen schlossen und öffneten sich abwechselnd, um Worte auszusprechen, was aber nicht gelang, und durch den Körper und alle Glieder ging eine – ich möchte sagen, wurmförmige Bewegung, welche bewies, daß der für den Augenblick Gelähmte alle seine Kraft anstrengte, die Lähmung zu überwinden. Ich stand also auf und meldete den Roten, welche mit großer Spannung darauf warteten:

„Er ist nicht tot; er lebt. Seine Seele ist noch in ihm; ob aber der Körper ihr wieder gehorchen wird wie zuvor, das kann ich nicht sagen, das muß abgewartet werden.“

Da stieß der am Boden Liegende einen langen, durchdringenden Schrei aus, schnellte, wie von einer Feder geworfen, empor, schlug mit den Armen um sich und rief.

„Ich lebe, ich lebe, ich lebe! Ich kann reden, ich kann mich bewegen! Ich bin nicht tot, nicht tot!“

Da nahm Winnetou mir das Messer aus der Hand, hielt es ihm entgegen und fragte:

„Erklärt der starke Büffel sich für besiegt? Old Shatterhand konnte ihn erstechen, hat es aber nicht gethan.“

Da hob der Mimbrenjo langsam den Arm, richtete ihn steif auf mich und antwortete, indem sein Gesicht einen Ausdruck annahm, welchen ich denjenigen des Grauens nennen möchte:

„Das Bleichgesicht hat den lebendigen Tod in seiner Faust. Es wäre entsetzlich gewesen, Leben zu besitzen und doch tot zu sein. Ich will ganz tot sein, wirklich tot. Old Shatterhand mag mir mein Messer ins Herz stoßen, aber so, daß ich dann nicht mehr sehen und nicht mehr hören kann!“

Er stellte sich vor mich in der Haltung eines Mannes, welcher den Todesstoß erwartet, hin. Ich nahm ihn bei der Hand, führte ihn dorthin, wo seine Söhne standen, und sagte zu dem jüngeren:

„Dein älterer Bruder hat einen Namen von mir erhalten; dir mache ich eine ebenso große Gabe: Ich schenke dir deinen Vater. Nimm ihn hin; aber sage ihm, daß er nicht wieder an Old Shatterhand zweifeln möge!“

Der Alte sah mir mit starrem Forschen in das Gesicht, schlug dann die Augen nieder und sprach:

„Das ist fast schlimmer als der Tod! Du giebst mein Leben einem Kinde! Die alten Weiber werden auf mich deuten, und von einem zahnlosen Munde wird es zum anderen gehen, daß ich von dir besiegt worden bin und nun einem Knaben gehöre, welcher keinen Namen hat. So wird mein Leben ein Leben voller Schande sein!“

„Mit nichten! Im Zweikampfe besiegt zu sein, ist keine Schande, und dein jüngerer Sohn wird sehr bald einen so berühmten Namen haben, wie sein älterer Bruder. Deine Ehre ist dir nicht genommen. Frag Winnetou, und frag die Aeltesten deines Stammes, sie werden es dir bestätigen!“

Um weiteren Einwendungen zu entgehen, entfernte ich mich. Mein Verhalten war allerdings ein ebenso harter Schlag für ihn, wie derjenige, der ihn ins Genick getroffen hatte. Er ging nach seinem Platze, um sich dort traurig niederzuhöcken. Auch die andern suchten ihre Plätze auf, fanden aber den Schlaf nicht so schnell wieder, wie er ihnen unterbrochen worden war. Als nach der festgesetzten Zeit Winnetou mich ablöste, fragte er mich:

„Hat mein Bruder Shatterhand schon einmal einen solchen Hieb gegeben, welcher nicht betäubte und doch der Seele die Macht über den Körper raubte?“

„Nein.“

„Es war schrecklich anzusehen! Hätte diese Lähmung dauern können?“

„Jawohl. Für Wochen, Monate und Jahre.“

„Dann mag mein weißer Bruder den Hieb ins Genick nie wieder thun, sondern die Feinde lieber gleich erschlagen! Der starke Büffel wird dich nicht wieder zum Kampfe zwingen. Ich errate, was du mit dem großen Munde gesprochen hast. Er verlangte heute schon die Freiheit?“

„Ja.“

„Er hat dir aber nicht gesagt, was du wissen willst?“

„Nein.“

„Er wird es auch nicht sagen, sondern dich belügen. Daß er verlangt hat, jetzt schon frei zu sein, ist eine Frechheit, wie kein Aasvogel sie besitzt. Er verdient, dafür am Marterpfahle zu sterben. Welches Schicksal hast du über ihn beschlossen?“

„Dasjenige, für welches mein Bruder Winnetou sich entschieden hat.“

„Du weißt dasselbe, denn du kennst meine Gedanken. Old Shatterhand und Winnetou schmachten nicht nach Blut; aber retten können sie den großen Mund nicht. Wollten wir ihm die Freiheit geben, so würde die Schuld von allen Missethaten, welche er später begeht, auf uns fallen. Er ist der Todfeind der Mimbrenjos. Sie mögen ihn mit sich nehmen, um ihn nach ihren Gesetzen und Gebräuchen zu richten.“

So hatten wir also wieder einmal dieselbe Meinung gehegt und dies auch beiderseits erraten. Wir waren in Wirklichkeit das, was man mit einem landläufigen Ausdrucke „ein Herz und eine Seele“ nennt.

Der so unerwartet mir aufgezwungene Zweikampf war nicht im stande, mich um meine Ruhe zu bringen; ich schlief darauf so fest, daß ich nicht selbst erwachte, sondern geweckt werden mußte. Zur bereits angegebenen Zeit wurde aufgebrochen. Unser Ritt verlief ohne irgend ein erwähnenswertes Ereignis.

Es war gegen Abend, als wir die enge Schlucht erreichten, welche auf den Lagerplatz der bei den Herden zurückgebliebenen Yumas mündete. Es war doch möglich, daß sie einen Wächter in die Schlucht gestellt hatten; wir mußten also vorsichtig sein und einen Kundschafter vorsenden, welcher aber wegen des weithin hörbaren Hufschlages nicht zu Pferde sein durfte. Der Wichtigkeit dieses Postens wegen und weil ich die Schlucht schon kannte, übernahm ich selbst das Späheramt. Als mein junger Freund, der Yumatöter, dies hörte, kam er zu mir und sagte in ehrfurchtsvollem Tone:

„Wird Old Shatterhand mir verzeihen, wenn ich es wage, eine Bitte zu haben?“

„Sprich!“

„Old Shatterhand will gehen, die Feinde auszukundschaften. Ich habe die Gegend auch kennen gelernt. Darf ich mit ihm gehen?“

„Ich bedarf freilich eines Begleiters, um ihn als Wächter zurückzulassen, aber du hast genug gethan und dir einen Namen erworben. Der Weg zu großen Thaten steht dir nun frei, da du ein Krieger bist. Du bedarfst dazu meiner nicht mehr, und ich will lieber einem anderen den Weg zur Berühmtheit öffnen. Schick deinen jüngeren Bruder her! Er soll mich begleiten!“

Der kleine Yumatöter hätte jedenfalls lieber gesehen, daß ich ihm seinen Wunsch erfüllte, daß ich ihm denselben aus Rücksicht für seinen Bruder abschlug, veranlaßte ihn zu der frohen Antwort:

„Mein berühmter weißer Bruder besitzt ein Herz voller Güte und Gewogenheit. Mein kleinerer Bruder wird sich dieses Vertrauens würdig machen und lieber sterben, als einen Fehler begehen.“

Der Zug mußte halten bleiben, denn es konnte einer der Yumas, welche wir überrumpeln wollten, nicht nur als Posten in der Schlucht stehen, sondern aus irgend einem Grunde sich in derselben befinden und soweit in dieselbe eingedrungen sein, daß wir, falls wir weiter ritten, auf ihn stoßen würden. Auch war unsern Gefangenen nicht zu trauen. Sie konnten sehr leicht auf den Gedanken kommen, sich den Ihrigen, falls wir uns ihnen zu weit näherten, durch lautes Schreien bemerkbar zu machen und sie dadurch zu warnen. Es wurde also Halt gemacht und abgestiegen, und ich ging mit dem Indianerknaben zu Fuße weiter.

Er schritt hinter mir her und sagte kein Wort. Ich sah zuweilen zurück und vergnügte mich an der Miene, welche er zeigte. Er war sich des ihm gewordenen Vorzuges und der Wichtigkeit unserer Aufgabe sehr bewußt; daher der Ausdruck des Glückes und des Selbstgefühles in seinen noch jugendlich weichen Zügen.

Der Unterschied zwischen mir, dem erwachsenen Krieger, und ihm, dem unbekannten Knaben, ließ ihn gar nicht daran denken, mir zur Seite zu schreiten; aber ich bemerkte sehr wohl, daß er zuweilen ganz unwillkürlich einige rasche Schritte machte, um dann doch gleich wieder zurückzubleiben. Er hatte etwas auf dem Herzen; er wollte mir etwas sagen, durfte es aber unmöglich wagen, das Gespräch zu beginnen. Ich zog daher meine Schritte ein wenig ein und sagte:

„Mein junger Bruder mag an meiner Seite gehen!“

Er gehorchte sofort, denn ein höfliches Zaudern wäre hier Ungehorsam gewesen.

„Mein kleiner Bruder wünscht, zu mir sprechen zu dürfen,“ fuhr ich fort. „Er mag zu mir reden!“

Er warf aus seinen klugen Augen einen dankbaren Blick zu mir herauf, sagte aber nichts. Es war also eine Frage, nicht eine Mitteilung, welche er auf dem Herzen hatte. Eine Frage durfte er jetzt noch nicht aussprechen, da ich ihm nur das Reden im allgemeinen, nicht aber das Fragen erlaubt hatte.

„Ich weiß, was meinem roten Bruder auf den Lippen schwebt,“ sprach ich weiter. „Soll ich es ihm sagen?“

„Old Shatterhand spricht, wenn er will!“

„Es betrifft deinen Vater, den starken Büffel. Habe ich recht?“

„Old Shatterhand trifft stets das Richtige.“

„Du wolltest mich gern fragen, warum ich sein Leben dir geschenkt habe?“

„Ich wünschte es, durfte es aber nicht wagen.“

„Ich habe die Worte aus deinem Gesichte gelesen. Du darfst zu mir reden, als ob ich auch ein Knabe wäre.“

„Wenn Old Shatterhand mir dies erlaubt, so darf ich ihm sagen, daß mein Vater sterben wird!“

„Warum denkst du das?“

„Ich sehe es ihm an, und mein älterer Bruder ist derselben Meinung. Er wird sich töten, weil er die doppelte Schande nicht ertragen kann.“

„Es ist keine Schande, von mir niedergeworfen zu werden. Ich habe Winnetou auch besiegt, ehe er mein Bruder war. Nun frage ihn, ob er sich dessen schämt. Sprich mit deinem Vater darüber. Sein Stolz verbietet ihm, mit mir davon zu reden; du aber bist sein Sohn, den er anhören darf. Du sprachst aber von einer doppelten Schande. Damit meintest du ferner, daß ich ihn dir geschenkt habe?“

„Ja.“

„Meinst du wirklich, daß dies eine Schande ist?“

„Eine große! Warum hast du sie ihm angethan?“

„Ich habe so gehandelt, um ihm die Schande zu ersparen, von mir das Ieben geschenkt zu erhalten. Das, was du eine Schande nennst, ist keine Schande, sondern im Gegenteile eine Bewahrung vor derselben.“

„Ich bin ein Knabe und weiß das nicht; aber wenn Old Shatterhand es sagt, muß es wahr sein.“

„Es ist wahr. Ich wiederhole: Daß dein Vater von mir besiegt wurde, war keine Schande. Alle roten Männer wissen, daß es schwer ist, mich zu besiegen. Aber er hatte es in seinem Zorne auf meinen Tod abgesehen; er hätte mich nicht geschont, sondern sicherlich erstochen; es wäre also eine Schande gewesen, wenn er das Leben aus meiner Hand geschenkt erhalten hätte. Jetzt ist sein Leben dein Eigentum, und da du sein Kind bist, kann er es als Geschenk von dir annehmen, ohne erröten zu müssen. Begreifst du mich nun?“

Er dachte erst eine kleine Weile nach und antwortete dann:

„Mein Herz war schwer um meines Vaters willen; nun aber ist es wieder leicht geworden. Die Worte Old Shatterhands sind weise und klug und sehr leicht zu begreifen. Wie er gehandelt hat, so hätte kein anderer Krieger gehandelt. Mein Vater kann ohne Scham weiter leben; ich werde es ihm sagen. Dafür aber, daß mein berühmter weißer Bruder das Leben meines Vaters in meine Hand gegeben hat, soll ihm das meinige gehören. Old Shatterhand sage ein Wort, so bin ich bereit, sofort in den Tod zu gehen!“

„Ich wünsche nicht, daß du stirbst, sondern daß du lebst, um nicht nur ein tapferer Krieger, sondern auch ein guter Mensch zu werden. Zu einem guten Menschen kann ich dich nicht machen; du mußt dich selbst bestreben, gut zu sein und nie ein Unrecht zu begehen; aber ein tapferer Krieger zu werden, dazu kann ich dir behilflich sein. Ich werde dafür sorgen, daß du stets in meiner Nähe bist, solange ich mich in diesen Gegenden befinde.“

Da ergriff er einen Finger meiner Hand – die ganze Hand wagte er nicht zu ergreifen – drückte denselben an seine Brust und sagte in einem Tone, dem man anhörte, daß seine Worte aus einem überquellenden Herzen kamen:

„Ich habe meinem großen weißen Bruder vorhin mein Leben zugesagt, nun wollte ich, ich hätte viele Leben; sie alle würden Old Shatterhand gehören!“

„Ich weiß, ich weiß! Du bist ein dankbarer Knabe, und wer dankbar ist, der wandelt auf dem Wege, an welchem auch alle andern Tugenden blühen. Pflücke sie beizeiten, denn je länger dieser Weg wird, desto seltener sind sie zu finden und desto mehr sind sie von Dornen umgeben, welche die pflückende Hand verscheuchen!“

Der kleine Mann holte laut und tief Atem. Meine Worte waren ihm in das Herz gedrungen und dort auf einen fruchtbaren Boden gefallen. Ein solches Atmen, welches ein sicheres Zeichen der Bewegung ist, habe ich immer gern gehört.

Der Tag neigte sich schnell zur Rüste. In der Schlucht war es schon ziemlich düster geworden. Wir mußten um so schärfer aufpassen. Vorteilhaft war es, daß der Knabe schon gelernt hatte, mit unhörbaren Schritten zu gehen. Indianer werden schon in früher Jugend in dieser Kunst – denn sie ist wirklich eine Kunst – geübt.

Es stellte sich heraus, daß sich kein feindliches Wesen in der Schlucht befand. Wir erreichten den Ausgang derselben beim letzten Tagesscheine, welcher uns erlaubte, uns leidlich zu orientieren.

Als ich Gefangener der Yumas war, hatten wir nahe der Schlucht gelagert. Unterdessen hatten die vielen geraubten Tiere das Gras abgeweidet, und die Hirten waren dadurch gezwungen gewesen, sich von derselben zu entfernen. Wir sahen sie weit draußen, soweit, daß die Pferde und Kühe die Größe kleiner Hunde hatten. Die Indianer, welche sie beaufsichtigten, schienen dreijährige Kinder zu sein.

Einer von ihnen nur war bedeutend größer, denn er war uns näher; ja, er kam auf uns, das heißt auf den Ausgang der Schlucht zu. Um den Grad der Intelligenz des Knaben kennen zu lernen, fragte ich ihn:

„Du siehst den Yuma, welcher sich uns nähert. Wird er vollends herkommen oder unterwegs umkehren?“

„Er wird kommen, um sich hier aufzustellen, und die Krieger zu erwarten, welche dir nachgejagt sind.“

„Ist das nicht überflüssig?“

„Nein. Er soll ihnen, falls sie kommen, sagen, wo seine Kameraden sich befinden, da sich dieselben von hier entfernt haben.“

„Die Leute würden ihre Kameraden doch auch ohne eine solche Anweisung finden, da die letzteren jedenfalls Wachtfeuer brennen werden.“

„Sie werden so vorsichtig sein, keine zu brennen. Sie wissen nicht, ob es gelungen ist, dich wieder zu ergreifen, und Old Shatterhand ist für seine Feinde ein gefährlicher Krieger.“

„Hm! Warum kommt dieser Mann erst jetzt? Warum hat man nicht schon am Tage einen Posten hierhergestellt?“

„Weil diejenigen, die erwartet werden, am Tage die Herden da draußen sehen können und also keines Wegweisers bedürfen.“

„Das ist sehr richtig. Du hast mir überhaupt gute Antworten gegeben. Aber das Wissen genügt nicht; man muß auch zu handeln verstehen.“

„Old Shatterhand mag mir sagen, was ich thun soll! Ich werde gehorchen.“

„Ich möchte den Yuma als Gefangenen haben.“

Das schon an sich dunkle Gesicht des Knaben wurde infolge des Blutandranges, welchen meine Worte veranlaßten, noch dunkler, doch antwortete er:

„Wenn Old Shatterhand seine Hand ausstreckt, kann der Yuma ihm nicht entgehen.“

„Hast du nicht auch eine Hand?“

Er blickte glänzenden Auges zu mir auf, sagte aber:

„Es ist die Hand eines Knaben, welcher in Gegenwart eines großen Kriegers nicht handeln darf.“

„Der große Krieger erlaubt es dir. Du sollst deinem Vater zeigen, daß du an meiner Seite gewesen bist.“

„Dann werde ich ihn erschießen!“

„Nein. Seine Kameraden würden den Schuß hören. Ich sage dir, daß ich ihn gefangen haben will.“

„Old Shatterhand mag sagen, was er von mir verlangt; ich werde es thun.“

„Du sollst selbst wissen, was du zu thun hast. Die That wäre nicht ganz die deinige, wenn du meines Rates zu derselben bedürftest. Ueberlege also schnell, ehe es zu spät ist!“

Er blickte, um die Entfernung zu messen, hinaus nach der Stelle, wo der Yuma sich jetzt befand, und musterte dann unsere Umgebung. Sein Gesicht hatte dabei einen unternehmenden, ja entschlossenen Ausdruck.

„Ich weiß, was ich thue,“ meinte er dann. „Wir stehen hier am Ausgange der Schlucht, hinter deren Felsenecke wir hervorblicken. Der Yuma wird nicht draußen stehen bleiben, sondern in die Schlucht hereinkommen.“

„Das halte auch ich für sehr wahrscheinlich.“

„Ich sehe ein Versteck für mich, in welchem ich mich verberge, bis er vorüber ist. Dann schleiche ich mich hinter ihm drein und schlage ihm den Kolben meines Gewehres auf den Kopf, daß er niederstürzt. Mit meinem Lasso werde ich ihn binden.“

„Wenn das Versteck gut ist, ist auch der Plan nicht schlecht. Wo befindet es sich?“

„Gleich hinter uns auf dem Felsen.“

Wir standen, wie er soeben gesagt hatte, hinter dem Felsen am Ausgange der Schlucht. Wenige Schritte rückwärts trat die Steinwand in etwas mehr als Manneshöhe vielleicht zwei Ellen zurück. Wer da oben lag und sich recht niederdrückte, konnte allerdings von einem Vorübergehenden nicht gesehen werden. Darum sagte ich:

„Kannst du denn hinauf? Der Stein ist glatt.“

„Das ist nichts!“ antwortete er verächtlich. „Ich würde noch viel höher kommen.“

„Aber wenn du herunterspringst, wird er dich hören!“

„Ich springe nicht, sondern ich gleite leise.“

„Dann rasch hinauf! Es ist jetzt noch Zeit.“

„Wohin wird Old Shatterhand sich inzwischen verstecken?“

„Das ist meine Sache. Rechne nicht auf mich; ich kann dir nicht beistehen. Wenn du nicht klug, schnell und entschlossen handelst, wird er dich töten.“

Darauf antwortete er stolz:

„Der Yuma wird noch keinen Mimbrenjo getötet haben und auch in Zukunft keinen töten. Ich fange ihn und laß ihn am Pfahle sterben.“

Er war ein guter Kletterer und kam schnell wie ein Eichhörnchen auf den erwähnten Felsen, an welchen er sich so schmiegte, daß ich ihn nicht sehen konnte. Wer ahnungslos vorüberkam, konnte ihn erst recht nicht bemerken.

Nun war es hohe Zeit, mich zurückzuziehen, denn der Yuma hatte, um zu uns zu kommen, höchstens noch dreihundert Schritte zu gehen. Ich eilte also eine Strecke zurück bis zu einem hervorstehenden Felsen, hinter welchen ich mich stellte. Das Unternehmen war für den kleinen Helden trotz meiner Anwesenheit nicht ungefährlich. Wenn der Yuma ihn vorzeitig bemerkte und es zum Kampfe kam, konnte ich nicht schnell genug Hilfe bringen, weil ich nicht schießen durfte, da der Schuß draußen von den Yumas gehört worden wäre. Ich sah darum den nächsten Augenblicken mit besonderer Spannung entgegen, zumal ich der Urheber der That war und ihre Folgen zu verantworten hatte. Natürlich wünschte ich dem Knaben zu seinem Vorhaben von ganzem Herzen Glück. Er hatte meine Botschaft bei seinem Vater ausgerichtet und mir rechtzeitig Hilfe gebracht. Dafür wäre ich ihm gern, wie seinem Bruder, mit einem Namen dankbar gewesen.

Erleichtert wurde die Ausführung des Vorhabens dadurch, daß es mittlerweile noch dunkler geworden war, besonders hier in der Schlucht, und daß ein Umstand eintrat, welchen wir nicht einmal als Zufälligkeit mit in Betracht gezogen hatten. Der Yuma blieb nämlich, als er die Schlucht erreicht hatte, an der Ecke derselben, an welcher wir vorhin unsere Beobachtungen gemacht hatten, stehen und kam gar nicht herein. Er befand sich dort auf dem Posten, welcher ihm angewiesen worden war, und begann, langsam hin und her zu gehen. Dabei kam er wiederholt an den Felsen, auf welchem der Knabe lag, aber nicht so nahe, daß er von oben herab mit dem Kolben erreicht werden konnte.

Ich sagte mir, daß der kleine Mimbrenjo warten werde, bis der Yuma ihm einmal nahe genug gekommen sei, und fügte mich in Geduld. So vergingen fünf Minuten und noch fünf; es wurde so dunkel, daß ich kaum noch zwanzig Schritte weit sehen konnte. Ich lauschte mit angestrengtem Gehör und nahm mir eben vor, mich der betreffenden Stelle mehr zu nähern, um nötigen Falles schneller bei der Hand sein zu können, da vernahm ich ein Geräusch oder einen Ton, wie wenn man mit einem Stocke auf einen Kürbis schlägt. Das war der Hieb, welchen der Yuma hatte bekommen sollen. Ich blieb stehen und horchte weiter. Ein röchelndes Stöhnen ließ sich hören; dann wiederholte sich das erste Geräusch.

Der Yuma hatte einen zweiten Kolbenschlag erhalten. Jetzt brauchte ich keine Sorge mehr um den Knaben zu haben und wartete, was er nun thun werde. Nach sehr kurzer Zeit hörte ich Schritte, und dann rief der Mimbrenjo mit halblauter Stimme meinen Namen. Er war bis auf wenige Schritte zu mir herangekommen; ich ging zu ihm und fragte:

„Nun, wie hat mein junger Bruder seine Aufgabe ausgeführt? Ist sie gelungen?“

„Ja. Der Yuma ging unter meinem Verstecke hin und her; da gab ich ihm einen Hieb, welcher ihn niederwarf. Er stöhnte und wollte sich erheben; da sprang ich herab und gab ihm einen zweiten Schlag, worauf er still wurde und liegen blieb. Dann band ich ihn mit meinem Lasso. Ob er noch lebt, oder ob ich ihn erschlagen habe, das weiß ich nicht.“

„Das wird sich gleich zeigen. Komm, laß uns sehen!“

Wir begaben uns an Ort und Stelle, wo ich den Yuma untersuchte. Er war bei voller Besinnung. Die Hiebe hatten ihn nur für einige Augenblicke betäubt, während welcher Zeit er gebunden worden war. Um Hilfe hatte er dann nicht gerufen, weil er nicht wußte, wie viele Gegner er vor sich hatte, und sich dagegen wohl sagte, daß er zu entfernt von seinen Kameraden liege, als daß dieselben sein Rufen hören könnten. Was er besaß, war natürlich Beute seines Besiegers, doch war die Beute eine sehr geringe. Seine Taschen befanden sich in dem Zustande vollständigster Leere, und bewaffnet war er nur mit einem Messer und einem Bogen mit Köcher, in welch letzterem sich drei oder vier schlechte Pfeile befanden. Ich hätte meinem kleinen Helden eine reichere Beute gegönnt, denn bei den Roten heißt es, je mehr Beute desto größer die Heldenthat.

Unsere Rekognoscierung hatte einen günstigen Verlauf genommen und ein ebenso günstiges Ergebnis gehabt. Wir mußten nun zurückkehren und den Gefangenen mitnehmen, da wir ihn nicht liegen lassen durften. Es war mit Sicherheit anzunehmen, daß er abgelöst würde, und bevor das geschah, mußten wir wieder hier sein, um seinen Nachfolger zu empfangen, von welchem leicht zu denken war, daß er beim Nichtantreffen seines Vorgängers Lärm schlagen werde. Ich fragte darum den Yuma: „Höre auf meine Stimme! Kennst du mich?“

„Old Shatterhand!“ antwortete er im Tone des Schreckens. „Ja, ich kenne dich!“

„Wenn dir dein Leben lieb ist, so sprich nicht laut, und antworte mir auf meine Fragen die Wahrheit! Sind, seit ich fort bin, noch mehr Yumas zu euch gestoßen?“

„Nein.“

„Ist etwas Wichtiges passiert?“

„Nein.“

„Wann wirst du abgelöst?“

„Zweimal nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen.“

„Du wirst jetzt mit uns kommen. Damit du gehen kannst, werde ich dir die Füße freigeben. Machst du Miene, uns zu entlaufen, so steche ich dich auf der Stelle nieder!“

Ich löste ihm den Lasso von den Beinen, schnürte ihm die Arme an den Leib und band ihn dann mit mir zusammen, sodaß ich ihn sicher hatte. Dann gingen wir trotz der Dunkelheit viel schneller zurück, als wir am Tage hergekommen waren, weil wir da langsam hatten gehen müssen, um vorsichtig nach Indianern auszuschauen.

Als ich Winnetou gemeldet hatte, in welcher Weise die Yumas von uns gesehen worden waren, meinte er:

„Es wird ein Leichtes sein, sie zu ergreifen, nur dürfen wir die Gefangenen nicht mitnehmen, weil diese uns verraten könnten. Was meint mein Bruder Shatterhand, wie viele Mimbrenjos werden genügen, die Feinde so zu überfallen, daß kein einziger von ihnen entkommt?“

„Die Hälfte ist mehr als genug, doch ist es besser, einige mehr als weniger, da man immer mit Zufälligkeiten rechnen muß.“

„Und die andere Hälfte genügt, die Gefangenen hier zu bewachen?“

„Ja.“

„Wer soll diese befehligen?“

„Der starke Büffel, denn Winnetou und ich müssen bei dem Ueberfalle zugegen sein. Es ist sogar notwendig, daß wir beide die Yumas erst umschleichen, um zu erfahren, wie sie lagern oder sich aufgestellt haben. Das müssen wir beide selbst thun, weil es schwierig ist, da sie keine Feuer brennen haben.“

„Lieber möchte ich den starken Büffel bei mir behalten, weil ich ihm nicht so wie früher zutraue, vorsichtig und bedachtsam zu sein. Seit dem Zweikampfe mit meinem Bruder Shatterhand ist er ein anderer Mann geworden. Sein Auge ist nur nach innen gerichtet und hat keine Aufmerksamkeit mehr für das, was um ihn vorgeht.“

„Das hindert nicht, ihm die Aufsicht über die Gefangenen zu übergeben. Er hat sich nicht um sie gekümmert, weil es nicht nötig war; nun aber wird er achtsam sein. Gerade der Zweikampf war eine Folge seines Hasses gegen die Yumas. Er glaubte, ich wolle sie oder zunächst ihren Häuptling entkommen lassen. Er will sie am Marterpfahle sterben lassen und wird gewiß keinen Fehler begehen, infolgedessen auch nur einer von ihnen zu entfliehen vermag. Ich werde mit ihm sprechen.“

Der „starke Büffel“ hatte mein Gespräch mit Winnetou nicht gehört, weil er sich nicht nahe bei uns befand. Ich ging zu ihm und nahm seinen Sohn mit dem Gefangenen mit.

„Warum sitzt der Häuptling der Mimbrenjos nicht bei Winnetou?“ fragte ich ihn. „Winnetou hat ihm Wichtiges mitzuteilen.“

„Was kann es Wichtigeres für mich geben, als mein Ruhm, welcher verloren ging!“ antwortete er düster.

„Ist der Ruhm deiner Söhne für dich nicht ebenso wichtig, wie der deinige?“

„Sprichst du vom Yumatöter?“

„Nein, von dem jüngern Sohne.“

„Der hat weder Namen noch Ruhm; an ihn habe ich nicht zu denken.“

„Du irrst. Er wird ein berühmter Krieger werden. Er hat mir den Beweis geliefert.“

„Weil er mit dir gegangen ist? Zu sehen, ob die Yumas sich in der Schlucht befinden, das ist kein Heldenstück. Einen Feind ausspähen, das kann jeder Mimbrenjoknabe.“

„Aber einen Feind niederschlagen und gefangen nehmen, kann das auch jeder eurer Knaben? Der deinige hat es gethan. Hier vor dir steht der Yuma, welchen er gefangen hat.“

„Rede die Wahrheit! Du selbst hast ihn gefangen und dann meinem Knaben geschenkt, wie du demselben auch schon mein Leben geschenkt hast.“

„Nein. Er hat es gethan, er allein. Ich ging fort; er lauerte dem Yuma auf, schlug ihn nieder und band ihn mit dem Lasso. Als ich wiederkam, war alles geschehen, sodaß ich nichts mehr dabei zu thun hatte.“

Da ging dem Alten doch das Herz auf. Er erhob sich, legte seinem zweiten Sohne die Hand auf das Haupt und sprach:

„Du bist mein jüngerer Sohn, brauchst aber deinen älteren Bruder nicht um seinen Namen und seine Tapferkeit zu beneiden, denn Old Shatterhand ist bei uns und wird dir die Wege zeigen, auf denen du auch einen solchen Namen zu erlangen vermagst. Der Gefangene ist dein und wird am Marterpfahle von dir den Todesstreich erhalten.“

„Sorge dafür, daß sie alle auch wirklich an den Marterpfahl kommen,“ bedeutete ich ihm. „Wir müssen die Gefangenen jetzt deiner Aufsicht übergeben, und lassen dazu die Hälfte deiner Krieger bei dir zurück.“

„Mit der andern Hälfte wollet ihr die andern Yumas fangen? Und ich soll hier bleiben und nicht mit euch gehen? Warum wollet ihr mich nicht mitnehmen?“

„Weil einer von uns dreien, du, Winnetou und ich, hier bleiben muß und wir wissen, daß deine Wachsamkeit größer als die unserige ist. Die Gefangenen gehören dir, also mußt du sie auch bewachen.“

„Mein weißer Bruder hat recht. Solange ich hier bin, wird es keinem der Hunde gelingen, uns zu entkommen. Ihr könnt ohne Sorge gehen.“

„Das thun wir auch. Halte dich bereit, uns nachzukommen, sobald wir dir einen Boten senden!“

Nun wurden diejenigen, welche uns begleiten sollten, bestimmt; dann stiegen wir zu Pferde und ritten, bis wir am Ausgange der Schlucht angekommen waren, wo wir abstiegen und die Pferde einigen Wächtern übergaben. Geritten waren wir, um schneller anzukommen, sonst wäre die Ablösung vor uns dagewesen, hätte den Posten vermißt und Lärm geschlagen. Die Ankunft der Ablösung mußte nun jeden Augenblick erfolgen. Da der Mann die Pferde vielleicht hören konnte, ging ich ihm mit Winnetou entgegen. Die Richtung wußte ich ja. Einige hundert Schritte von der Schlucht blieben wir stehen, um zu warten. Es dauerte kaum zwei Minuten, so hörten wir ihn kommen. Wir gingen auseinander, ich nach links, Winnetou nach rechts, und als der Yuma zwischen uns hindurch wollte, wurde er von beiden Seiten gepackt und in die Schlucht zu den Wächtern der Pferde geschafft.

Darauf ging ich mit Winnetou, die Yumas zu beschleichen. Sie hatten noch immer keine Feuer brennen; dennoch waren wir schon nach einer halben Stunde wieder zurück, um unsere Leute zu holen und ihnen ihre Anweisungen zu geben. Die Feinde hatten es uns leicht gemacht. Sie saßen alle in der ungefähren Mitte ihres jetzigen Weideplatzes beisammen, und nur vier von ihnen patrouillierten außerhalb des Platzes hin und her, um die Tiere zusammenzuhalten. Wenn es uns gelang, die vier ohne Lärm aufzuheben, so konnten wir die andern leicht umzingeln, so daß sie sich ohne Gegenwehr ergeben mußten. Im andern Falle aber waren wir gezwungen, auf sie zu schießen.

Glücklicherweise stellte sich heraus, daß dies nicht notwendig war. Die vier wurden unschwer überwältigt; einem von ihnen teilte ich alles mit, was geschehen war und schickte ihn, als wir die andern umzingelt hatten, zu diesen, um ihnen den Stand der Dinge klar zu machen und ihnen zu sagen, daß wir nur zehn Minuten auf ihren Entschluß, sich zu ergeben, warten, im Weigerungsfalle aber dann auf sie schießen würden. Sie waren so klug oder auch so feig, die zehn Minuten gar nicht verstreichen zu lassen, bevor sie sich uns auslieferten.

Nun wurden zunächst einige Feuer angebrannt und die Pferde herbeigeholt; dann schickten wir dem „starken Büffel“ einen Boten, um ihm sagen zu lassen, daß er mit seinen andern Mimbrenjos und den Gefangenen kommen solle. Als dies geschehen war, entwickelte sich ein sehr reges Lagerleben. Wir betrachteten das geraubte Vieh als Eigentum des Haziendero, nahmen uns aber dennoch die Freiheit, einige Stücke davon zu schlachten, um Fleisch zu haben. Das kleine Opfer konnten wir verlangen, da wir gesonnen waren, ihm den Raub zurückzubringen. Zwischen mir und Winnetou wurde beschlossen, gleich morgen mit den Herden nach der Hazienda aufzubrechen. Als wir dies dem Häuptlinge der Mimbrenjos sagten, fragte er:

„Was soll indessen mit den Gefangenen geschehen?“

„Sie sind dein. Mache mit ihnen, was du willst,“ antwortete Winnetou.

„So werde ich sie sofort nach den Weideplätzen meines Stammes bringen, wo wir über sie Gericht halten werden.“

„Dazu brauchst du Leute; ich aber kann doch mit Old Shatterhand die Herden nicht allein nach der Hazienda treiben!“

„Ich werde euch fünfzig Männer mitgeben, welche euch helfen.“

Das hatten wir erwartet und nahmen das Anerbieten natürlich augenblicklich an. Für mich galt es nun, mit dem „großen Munde“ zu sprechen, um das Nötige über den Mormonen und seine Absichten zu erfahren. Ich war freilich überzeugt, daß er sich hüten werde, mir die Wahrheit zu sagen, hoffte aber, indirekt wenigstens soviel zu erfahren, daß ich das übrige durch Schlüsse zu ergänzen vermochte. Ich brauchte das Gespräch mit ihm gar nicht zu beginnen, ihm gar nicht merken zu lassen, wieviel mir an der Sache lag; ich war vielmehr überzeugt, von ihm angeredet zu werden, sobald er mich in seiner Nähe sehen würde. Darum gab ich mir den Anschein, die Fesseln der Gefangenen untersuchen zu wollen, und kam dabei auch zu ihm.

Als ich seine Riemen betastete, fragte er in zornigem Tone, doch so, daß nur ich es hörte:

„Warum hast du meine Krieger überfallen?“

„Weil sie unsere Feinde sind.“

„Aber warum thust du es, da du doch dein Versprechen halten und sie wieder freigeben mußt?“

„Ich mußte ihnen doch die geraubten Tiere abnehmen, da ich sie dem Haziendero zurückbringen will.“

„Dem Don Timoteo Pruchillo?“

„Ja.“

„Der ist ja gar nicht mehr Haziendero!“ lachte er.

„Wer denn?“

„Das Bleichgesicht, welches ihr Melton nennt.“

„Melton? Wie kommt der dazu, Haziendero zu sein?“

„Er hat die Hazienda dem Don Timoteo abgekauft. Willst du etwa ihm die Tiere bringen?“

„Fällt mir nicht ein! Ich schaffe sie zu Timoteo Pruchillo.“

„Den findest du nicht. Er ist aus dem Lande hinaus.“

„Woher weißt du das?“

„Von Melton, der es so mit Weller beschlossen hatte.“

„Also befindet sich Melton jetzt als Besitzer auf der Hazienda?“

„Nein.“

„Wo ist er denn?“

„Auf – in – –“

Er hielt stockend inne; er hatte mir eine Antwort geben wollen, sich aber anders besonnen, und als ich meine Frage wiederholte, äußerte er:

„Ich weiß es nicht.“

„Soeben wolltest du es mir doch sagen! Dann sage mir, was aus den weißen Einwanderern geworden ist!“

„Sie müssen – – sie sind – – sie befinden sich – –“

Er stockte wieder.

„So rede doch!“ forderte ich ihn auf.

„Ich weiß auch dieses nicht.“

„Aber ich hörte es dir an, daß du es weißt!“

„Ich kann es unmöglich wissen. Alle die Männer und Leute, von denen du redest, waren meine Gefangenen. Du weißt, daß ich sie freigelassen habe. Wie kann ich wissen, was sie dann gethan haben und wo sie sich befinden!“

„Du mußt es wissen, denn du hast die Pläne Meltons kennen gelernt. Er hat dich aufgefordert, die Hazienda zu überfallen.“

„Wer hat dir diese Lüge gesagt?“

„Es ist keine Lüge, sondern die Wahrheit. Als Melton mit den Einwanderern unterwegs war, hast du ihn mit Weller aufgesucht und das Nötige verabredet.“

„Auch das ist eine Lüge!“

„Leugne nicht! Ich selbst habe euch beobachtet.“

„So haben deine Augen dich getäuscht.“

„Meine Augen täuschen mich nie. Dein Leugnen bringt dir keinen Nutzen. Ich will und muß unbedingt wissen, was nach dem Ueberfalle und der Einäscherung der Hazienda mit den Einwanderern geschehen ist.“

„Und ich kann es dir nicht sagen, da ich es selbst nicht weiß.“

„Du weißt es. Du hast versprochen, mir Auskunft zu erteilen.“

„Und du hast versprochen, uns frei zu lassen; anstatt aber dieses Versprechen zu erfüllen, nimmst du immer mehr von uns gefangen!“

„Ich werde es erfüllen, wenn du das deinige hältst.“

„Ich habe es gehalten und dir alles gesagt, was ich weiß.“

„Es ist nicht wahr, doch streiten wir uns nicht! Wir wären quitt gewesen, wenn jeder sein Wort gehalten hätte; nun sind wir ebenso quitt, weil keiner es gehalten hat. Ich bin heute die letzte Nacht bei euch. Morgen früh trenne ich mich von dem starken Büffel, welcher euch nach seinen Weideplätzen transportieren wird, wo ihr den Martertod sterben werdet.“

Ich that so, als ob ich gehen wolle. Das half. Morgen fort von hier! Er hoffte, durch mich frei zu werden! Und ich war nur noch heute abend da! Von dem „starken Büffel“ hatte er keine Gnade zu erwarten.

„Warte noch!“ rief er, als ich mich schon einige Schritte entfernt hatte.

„Nun?“ fragte ich, mich ihm wieder zuwendend.

„Wirst du uns wirklich freilassen, wenn ich dir alles sage?“

„Ja. Aber du weißt ja nichts!“

„Ich weiß es. Melton hat mir geboten, zu schweigen.“

„So öffne endlich den Mund. Was ist mit den Einwanderern geschehen?“

„Halt erst du dein Wort! Weißt du, was ich dir, als du uns gefangen nahmst, gesagt habe? Daß ich dir deine Fragen nur als freier Mann beantworten werde.“

„Und ich meinesteils habe dir mitgeteilt, daß ich dir die Freiheit nicht eher gebe, als bis du meine Fragen beantwortet hast.“

„Ich bleibe bei meiner Entscheidung, und so mußt du dich anders besinnen.“

„Auch ich werde meinen Entschluß nicht ändern, und so bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: Der starke Büffel wird euch morgen fortschaffen.“

Ich wendete mich abermals zum Gehen. Dieses Mal ließ er mich weiter fort; dann rief er mir nach:

„Old Shatterhand mag noch einmal herkommen!“

Ich ging hin und bedeutete ihm in entschlossenem Tone:

„Ich sage jetzt mein letztes Wort: Erst mußt du reden, dann lasse ich dich frei; das Umgekehrte geschieht auf keinen Fall. Jetzt entscheide dich kurz! Willst du sprechen?“

„Ja, ich hoffe aber, daß du dann auch sogleich dein Wort hältst!“

„Was ich sage, das gilt. Also, hat Melton dich zum Ueberfalle der Hazienda aufgefordert?“

„Nein.“

„Haben die beiden Bleichgesichter, welche Weller heißen, mit Melton im Einverständnis gestanden?“

„Nein.“

„Aber Melton hat die Hazienda gekauft?“

„Ja.“

„Welche Absicht verfolgt er mit den Einwanderern?“

Er zögerte eine längere Weile, als ob er sich eine Ausrede aussinnen oder den nötigen Mut schöpfen wolle, eine schon ausgesonnene Lüge auszusprechen, und erst als ich meine Frage wiederholte, antwortete er:

„Er will sie verkaufen.“

„Verkaufen? Was? Menschen verkaufen! Das ist ja gar nicht möglich!“

„Es ist möglich. Das mußt du sogar noch besser wissen, als ich es weiß, denn du bist ein Bleichgesicht, und nur Bleichgesichter kaufen und verkaufen Menschen. Oder willst du leugnen, daß die schwarzen Leute auch Menschen sind? Hat man nicht mit ihnen als Sklaven Handel getrieben?“

„Hier ist von Schwarzen keine Rede. Ich spreche von Bleichgesichtern, welche man nicht als Sklaven kauft.“

„Und doch werden sie gekauft! Ich habe gehört, daß es Kapitäne giebt, welche so böse Menschen sind, daß sie keine Matrosen bekommen. Wenn nun so ein böser Kapitän Matrosen braucht, so stiehlt oder kauft er welche.“

„Ah! Hm! Willst du etwa sagen, daß die weißen Einwanderer an einen solchen Kapitän verkauft worden sind?“

„Ja.“

„Von wem?“

„Von Melton. Die Auswanderer gehören ihm; er kann also mit ihnen machen, was ihm gefällt. Er hat sie aus ihrem Lande geholt und dort sehr viel Geld für sie bezahlt.“

„Das ist nicht sein Geld, sondern dasjenige des Haziendero gewesen.“

„So hat er diesem die Hazienda und mit ihr die Weißen abgekauft. Er hat das Geld wieder haben wollen, und da sie es ihm nicht geben konnten, hat er sie an den Häuptling eines Schiffes verkauft.“

„Woher weißt du das?“

„Von ihm selbst. Ehe ich ihm die Freiheit wiedergab, sagte er mir, daß er sie verkaufen werde.“

„Wo befand sich denn der Häuptling des Schiffes?“

„In Lobos. Jetzt habe ich dir alles gesagt, was ich weiß; dein Wunsch ist erfüllt, und ich verlange, daß du auch den meinigen erfüllst.“

„Verlangst du das wirklich? Du bist ein kluger, ein sehr kluger Mann; aber du hast nicht in Betracht gezogen, daß es Leute giebt, welche noch viel klüger sind.“

„Was meinst du mit diesen Worten? Ich verstehe sie nicht.“

„Wer einen, der klüger ist als er selbst, mit Lügen täuschen will, muß sehr vorsichtig sein und sich jedes Wort vorher reiflich überlegen. Das magst du dir merken! Wer dies nicht thut, der wird durchschaut und betrügt nicht etwa den andern, sondern sich selbst. Die Geschichte, welche du mir erzählt hast, ist eine Lüge vom Anfang bis zum Ende. Der Häuptling des Schiffes existiert nur in deinem Kopfe. Uebrigens mußt du wissen, daß kein Schiffshäuptling Frauen und Kinder als Matrosen kauft.“

„Du glaubst mir also nicht? Dann ist es schade um jedes Wort, welches ich gesprochen habe. Was ich dir sagte, habe ich von Melton selbst erfahren. Mein Versprechen ist also erfüllt, und nun wirst du das deinige halten!“

„Allerdings. Ich habe dir mein Wort gegeben, dich zu befreien, wenn du mir die Wahrheit sagst; ich halte also mein Versprechen, mein Wort, wenn ich dich nicht befreie, weil du mich belogen hast.“

„Wie? Du willst mir nicht helfen, mich nicht befreien?“

„Nein.“

Hätte er gekonnt, er wäre vor Wut aufgesprungen, so aber richtete er sich trotz seiner Fesseln nur in sitzende Stellung auf und zischte mich an:

„Du nennst mich einen Lügner, bist aber selbst der größte, der schändlichste, den es giebt! Hätte ich meine Hände frei, so erwürgte ich dich!“

„Ich glaube sehr gern, daß du wenigstens den Versuch machen würdest, doch nicht weil ich Lügen sage, sondern weil ich nicht dumm genug bin, den deinigen Glauben zu schenken. Ein Kerl wie du bist, kann mich nicht betrügen!“

„Du selbst bist ein Betrüger, ein – –“

„Schweig!“ unterbrach ich ihn: „Ich habe mit dir nichts mehr zu reden. Nur das eine will ich dir noch sagen, daß du doch nicht verschwiegen gewesen bist, allerdings ganz gegen deinen Willen. Ich weiß, woran ich bin; du aber wirst morgen als Gefangener mit dem starken Büffel ziehen müssen.“

„Du weißt nichts, gar nichts, und wirst auch nie etwas erfahren!“ lachte er höhnisch-grimmig auf.

Ich ging, blieb aber in einiger Entfernung steheni denn ich hatte, während ich mit dem großen Munde sprach, hinter dem Strauche, an welchem ich lag, eine Bewegung bemerkt. Es steckte jemand dahinter; ich vermutete, wer es war, und als ich nach dem Platze schaute, an welchem der starke Büffel gesessen hatte, sah ich ihn nicht mehr dort. Als ich nun den Strauch scharf in das Auge nahm, bemerkte ich eine Gestalt, welche sich in tiefgebückter Haltung von demselben zurückzog. Hätte ich mir auf die Schärfe meiner Augen etwas einbilden wollen, so wäre ich gleich darauf überführt worden, daß es noch viel schärfere gab, denn als ich mich dann neben Winnetou, der entfernt saß, niedersetzte, sagte er, indem ein halbes Lächeln um seine Lippen zuckte:

„Mein weißer Bruder hat mit dem großen Munde gesprochen. Sah er den Busch, an welchem dieser Häuptling der Yumas lag?“

„Ja.“

„Und auch den, der dahinter steckte!“

„Ja.“

„Der starke Büffel ist noch immer von Mißtrauen erfüllt gewesen, wird aber nun eingesehen haben, daß er unrecht hatte.“

So scharf dachte Winnetou. Er hatte nur gesehen, daß ich mit dem Yuma sprach, aber kein einziges Wort gehört, und dennoch wußte er genau, daß es zwischen mir und dem großen Munde zur Entscheidung gekommen war. Wir kannten eben einander und liebten einander so, daß sich der eine in die Seele des andern hineinzudenken vermochte.

Eben kam der starke Büffel zwischen den einzelnen Gruppen seiner Leute daher; er schien an uns beiden vorüber zu wollen, Winnetou aber forderte ihn auf:

„Mein roter Bruder mag sich zu uns setzen. Wir haben Wichtiges mit ihm zu besprechen.“

„Ich bin bereit, dieses Wichtige zu hören,“ antwortete der Mimbrenjo, indem er der Aufforderung Folge leistete.

„Mein weißer Bruder Shatterhand,“ fuhr Winnetou fort, „hat von dem großen Munde Dinge erfahren, welche wir sofort beraten müssen.“

Auch diese Worte waren ein Beweis von der scharfen Logik des Apatschen. In freundlicher Ironie aber that er nun die folgende Frage:

„Der starke Büffel war nicht auf seinem Platze zu sehen. Er war wohl gegangen, nachzuschauen, ob irgendwo ein Busch zu finden sei?“

„Ich verstehe den Häuptling der Apatschen nicht,“ meinte der Mimbrenjo in sichtlicher Verlegenheit.

„Wo man sich verbergen kann, um zu hören, was Old Shatterhand mit dem großen Munde zu reden hat?“

„Uff! So hat Winnetou mich gesehen?“

„Ich sah den starken Büffel erst hin- und dann wieder herkriechen. Er wird nun wissen, daß er meinen weißen Bruder unschuldig beleidigt hat. Old Shatterhand ist kein Verräter, sondern ein ehrlicher Mann. Wer einem andern unrecht gethan hat und dies einsieht, ist, wenn er es verschweigt, kein guter Mensch!“

Die indirekte Aufforderung, welche in dieser letzteren Bemerkung lag, erhöhte die Verlegenheit des Mimbrenjo. Er kämpfte eine kleine Weile mit seinem Stolze, dann gewannen die freundschaftlichen Gefühle, welche er für mich hegte, die Oberhand, und er gestand:

„Ja, ich habe meinem guten Bruder Old Shatterhand ein schweres Unrecht zugefügt. Ich nannte ihn einen Verräter. Das ist die schlimmste Beleidigung, welche man einem gewöhnlichen Krieger zufügen kann; wie soll ich sie aber erst nennen, wenn sie gegen Old Shatterhand gerichtet wird! Sie kann mir ganz unmöglich vergeben werden!“

„Ich verzeihe dir,“ beruhigte ich ihn. „Du hast einen zornmütigen Kopf, aber ein gutes Herz. Wenn du dein Unrecht eingestehst, kann ich es dir nicht länger anrechnen.“

„Ja, ich gestehe es ein und werde das allen laut sagen, welche die Beleidigung mit angehört haben. Ich werde nie wieder an dir zweifeln!“

„Das hoffe ich nicht nur um unserer Freundschaft willen, sondern ganz besonders auch deinetwegen. Es ist nun vorüber; sprechen wir nicht mehr davon!“

„Ja, schweigen wir darüber; es wird nicht wieder geschehen. Du bist gerechtfertigt, obgleich ich vieles von dem, was zwischen dir und dem Yuma gesprochen wurde, nicht verstanden habe.“

„Davon bin ich überzeugt. Verstanden hätte ich nur von jemand werden können, welcher meine eigenen Gedanken gehabt hätte, und die besaß doch nur ich allein.“

„Du hast die Erzählung von dem Häuptling des Schiffes nicht geglaubt?“

„Nein.“

„So sind die weißen Einwanderer nicht verkauft worden?“

„Nein, wenigstens nicht in dem Sinne, in welchem der Yuma es meinte. Nicht verkauft, aber betrogen, schändlich betrogen sind sie worden von Melton und den beiden Wellers.“

Da Winnetou nur ahnte, aber nichts Positives wußte, teilte ich ihm mein Gespräch mit. Er hörte aufmerksam zu, fiel darauf in ein kurzes, nachdenkliches Schweigen und fragte dann:

„Wer hat die Fremden kommen lassen, der Haziendero oder Melton?“

„Der erstere.“

„Er ist es also auch, der für sie bezahlt hat?“

„Ja.“

„Denkst du, daß er es ehrlich mit ihnen gemeint hat?“

„Ich bin überzeugt davon. Er ist selbst betrogen worden.“

„Melton hat ihm die Hazienda abgekauft?“

„Das möchte ich jetzt annehmen. Er hat sie aber vorher überfallen, ausrauben und niederbrennen lassen, um billig in ihren Besitz zu kommen.“

„Hat er die Auswanderer auch mitgekauft?“

„Ich denke es, denn es gab in ihrem Kontrakte einen Satz, welcher besagte, daß sie auch dem Nachfolger des Haziendero verbindlich seien. Und das ist es, was mich für sie mit großer Besorgnis erfüllt. Wenn Melton ihr Herr geworden ist, so ist es um ihr Wohlsein möglichst schlimm bestellt.“

„Eines vermag ich nicht zu durchschauen. Er hat die Hazienda verwüsten lassen, um sie wertlos zu machen, und sie dann doch gekauft. Sie muß also trotz der Verwüstung einen Wert besitzen, nämlich für ihn, aber nicht für den Haziendero.“

„Das ist unbedingt richtig; aber auch ich sehe in diesem Punkte nicht klar. Nachdem alles verbrannt und vernichtet ist, kann er auf Jahre hinaus weder Ackerbau noch Viehzucht treiben; es muß also eine andere Art der Benutzung sein, welche er im Sinne hat, eine Benutzung, zu welcher er die Auswanderer zwingen will. Ich bin überzeugt, daß sein Plan schon fertig war, als er den Haziendero überredete, fremde Arbeiter kommen zu lassen. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Büberei, gegen welche ich die Fremden, welche Kinder meines Vaterlandes sind, in Schutz nehmen möchte.“

„Old Shatterhand ist mein Bruder, folglich sind auch sie meine Brüder. Winnetou wird ihnen seinen Kopf und seinen Arm anbieten.“

„Ich danke dir! Deine Hilfe ist mehr wert, als die vieler Krieger. Es liegt Gefahr im Verzuge. Wir dürfen nicht weilen, dürfen aber ja nicht mit den Herden reisen, welche wir dem Haziendero zurückbringen wollen. Mit ihnen würden wir über vier Tage brauchen, um die Hazienda zu erreichen.“

„Nein; wir reiten allein. Was wird der starke Büffeh thun? Wird er uns begleiten?“

„Ich würde mit euch reiten,“ antwortete der Gefragte; „aber meine Brüder werden einsehen, daß es besser ist, wenn ich bei den gefangenen Yumas bleibe. Meine Krieger bedürfen doppelt nötig eines Anführers, da ich sie teilen muß. Die Gefangenen müssen fortgeschafft werden, und es gilt, die Herden nach der Hazienda zu bringen. Fünfzig meiner Leute werden genügen, letzteres zu thun, ich gebe ihnen einen erfahrenen Krieger als Anführer mit. Wenn sie auf der Hazienda angekommen sind und ihr habt ihrer nötig, so haben sie euch sowie mir zu gehorchen. Mit den andern schaffe ich die Yumas fort. Je weiter ich sie von der Hazienda entferne, desto weniger braucht ihr besorgt zu sein, daß sie mir vielleicht entfliehen und zurückkehren, um das Vieh wieder zu holen und euch Schaden zu bereiten.“

Das war höchst verständig gesprochen. Er hatte recht. Und außerdem war mir an der Begleitung des jähzornigen Alten nicht sehr viel gelegen. Ich hegte die Ueberzeugung, daß ich mit Winnetou weit leichter und eher ans Ziel kommen würde, als mit diesem so leicht erregbaren Manne. Darum stimmte ich ihm sofort bei, und auch der Apatsche meinte:

„Mein roter Bruder hat sehr gute Worte gesprochen. Vielleicht bedürfen wir der fünfzig Krieger, wenn sie die Herden abgeliefert haben. Vielleicht auch müssen wir, wenn wir ihnen voraus sind, ihnen eine Nachricht geben. Dazu müssen wir noch einen Krieger haben, welcher uns beide begleitet und als Bote dienen kann.“

Und ich fügte bei:

„Da werde ich doch lieber den starken Büffel bitten, uns seine beiden Söhne mitzugeben. Sie sind klug und tapfer und haben mir bewiesen, daß sie zu Botendiensten sehr geeignet sind. Ist dies meinem Freunde Winnetou recht?“

„Was Old Shatterhand sagt, soll geschehen,“ antwortete der Gefragte.

Auch der Mimbrenjo erklärte sich einverstanden. Er war sogar stolz darauf, daß seinen Söhnen, trotz ihrer Jugend, eine solche Auszeichnung zu teil wurde, und versprach, für sie die zwei schnellsten und ausdauerndsten seiner Pferde auszusuchen. Das war uns natürlich lieb, da die Jünglinge sonst wohl kaum fähig gewesen wären, mit uns, das heißt, ihre Pferde mit den unserigen, Schritt zu halten.

Nachdem noch einige Einzelheiten besprochen worden waren, legten wir uns schlafen, um frühzeitig munter zu sein. Kaum graute der Morgen, so versahen wir uns mit Proviant, da wir nicht wußten, ob wir in der ausgeraubten Hazienda etwas finden würden, und stiegen zu Pferde. Die Mimbrenjos grüßten uns zum Abschiede mit aufrichtiger Herzlichkeit. Ihrem Häuptlinge mußten wir versprechen, ihn nach ausgeführtem Plane aufzusuchen, im Falle aber, daß wir vorher seiner Hilfe bedürfen sollten, uns an niemand wie an ihn zu wenden. Die gefangenen Yumas aber sahen uns mit finsteren Blicken ziehen. Ihr Anführer, der „große Mund“ rief uns nach:

„Da reiten die Verräter und dreifachen Lügner. Wäre ich nicht gefangen, ich würde sie wie schmutziges Wasser ausschütten!“

Ja, er war gefangen, und es stand nicht zu erwarten, daß er wieder freikommen werde; dennoch sollten wir diesen gefährlichen Menschen sehr bald wiedersehen! – –

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ZWEITES KAPITEL

Ein Teufelsstreich

Lobos lag längst hinter uns; wir hatten bereits San Miguel de Horcasitas passiert und ritten und fuhren nun Ures, der Hauptstadt des gleichgenannten Distriktes entgegen. Ritten und fuhren? Jawohl. Es war dafür gesorgt, daß keiner der Auswanderer zu gehen brauchte. Sennor Timoteo Pruchillo, unser Haziendero, hatte uns Indianer mit Wagen nebst Zug- und Reitpferden zugeschickt, welche wir in Lobos auf uns wartend fanden. Das ganze Geschäft war mit allem, was damit in Verbindung stand, so vorzüglich geordnet, daß, wie bei einem Uhrwerke, die einzelnen Zähne ganz regelrecht ineinander griffen.

Die Wagen waren unförmliche Bauwerke, ähnlich denjenigen, auf oder in denen früher die Emigranten die nordamerikanischen Prairien durchzogen. Für die Frauen und Kinder bestimmt, waren sie außerdem mit den armen Habseligkeiten der Einwanderer und mit den Gegenständen beladen, welche der Haziendero durch den Führer des Zuges in Lobos hatte einkaufen lassen. Die Reitpferde ließen durchgängig viel zu wünschen übrig, genügten aber für eine Reise von so kurzer Dauer. Der Führer schien ein alter, bewährter Vaquero oder Oberknecht zu sein, ein schweigsamer, mürrischer Patron, welcher mit niemand sprach und höchstens nur vor dem Mormonen Achtung zu haben schien. Beide ritten auch unausgesetzt nebeneinander an der Spitze des Zuges. Ich hatte mich zu dem Athleten gesellt und kümmerte mich, wie es schien, so wenig wie möglich um andere Personen, während ich doch heimlich auf das Geringste achtete, um der Aufgabe, welche ich mir gestellt hatte, möglichst gerecht zu werden. Der Herkules war ein sehr guter Reiter, da er öfters bei Kunstreitergesellschaften engagiert gewesen war und also Gelegenheit gefunden hatte, sich zu üben.

Er lächelte oft über mich, wenn ich, nach vorne gebeugt und scheinbar haltlos, im Sattel saß, ganz nach Art erfahrener Prairiejäger, welche während eines gewöhnlichen Rittes samt ihren Pferden zu schlafen scheinen, bis plötzlich ein Ereignis oder eine Erscheinung Reiter und Tier so belebt, daß beide ganz andere Wesen geworden zu sein scheinen. Er tadelte meine schlechte Haltung, meinen lockern Schluß, das Schlottern meiner Arme und sprach, als diese Ermahnungen nichts änderten, endlich fast zornig die Überzeugung aus:

„Mann, bei Ihnen ist alles in den Wind gesprochen. Soviel ich mir Mühe gebe, aus Ihnen wird im ganzen Leben kein auch nur leidlicher Reiter. Sie hocken auf Ihrem Gaule wie ein Schuljunge auf seinem Schaukelpferde. Es ist eine Affenschande!“

Höflichkeiten durfte man von ihm nicht erwarten, und doch hatte ich gar wohl bemerkt, daß er sich gegen mich nicht mehr so gleichgültig oder gar abstoßend verhielt, wie am ersten Tage unserer Bekanntschaft. Oft, wenn ein schneller Blick von mir sein Auge überraschte, sah ich, daß es mit einem freundlichen, ja weichen Ausdrucke auf mir ruhte; dann senkte er es schnell, als ob er sich schäme, einmal für einen kurzen Augenblick von seiner Grimmigkeit gelassen zu haben.

Der Kajütenwärter Weller war, wie als ganz selbstverständlich erschien, auf dem Schiffe zurückgeblieben, doch war ich überzeugt, daß er nach unserer Landung sehr bald von demselben desertiert sei, um irgendwo und irgendwie den Zwecken des Mormonen zu dienen.

Letzterer widmete den Auswanderern zwar auch noch diejenige Aufmerksamkeit, welche sie nach seiner vermeintlichen Stellung zu ihnen von ihm zu erwarten hatten, aber es war doch seit der Ausschiffung nicht mehr die überfließende Freundlichkeit, welche er ihnen auf dem Schiffe gezeigt hatte. Und je weiter wir kamen, je weiter wir uns von der See entfernten und je sicherer er sie also hatte, desto kürzer angebunden wurde er, wenn er mit einem von ihnen sprach.

Ich war in der Gegend, durch welche wir kamen, noch nicht gewesen und kannte also die Lage der Distriktshauptstadt Ures, durch welche wir eigentlich mußten, nicht genau; aber ich wußte, daß sie am Rio Sonora liegt, einige Meilen unterhalb Arispe. Die Stadt breitet sich am linken Ufer des Flusses in einer sehr fruchtbaren Ebene aus und ist von herrlichen Gärten umgeben. Wir freuten uns darum auf unsere Ankunft dort, da wir bisher meist über ödes Land gekommen waren und in Ures einen Ruhetag zu haben hofften. Ich vermutete, daß wir uns der Stadt näherten, denn wir waren schon längst über den Rio Dolores, den Nebenfluß des Rio Sonora, gekommen und es erhielten sich von Stunde zu Stunde mehr Anzeichen, daß ein größerer Ort vor uns liege. Es mehrten sich die Wege, nämlich was man dort „Weg“ zu nennen pflegt; einzelne Menschen, meist Reiter, kamen an uns vorüber, oder hie und da tauchte eine Hazienda oder Estanzia zu unserer Seite auf.

Da war es denn sehr auffällig, daß der Mormone dafür sorgte, daß keiner der uns Begegnenden mit uns sprechen konnte, Er ritt stets auf den Betreffenden zu und verwickelte ihn solange in ein Gespräch, bis wir vorüber waren. Entweder sollten wir nicht gewarnt werden, oder er wollte überhaupt niemandem wissen lassen, wer wir waren und wohin wir wollten. Sein Verhalten ließ ja mit Sicherheit vermuten, daß er jedem Fragenden eine falsche Auskunft gab. Dazu kam, daß er unsere bisherige gerade Richtung in eine nordöstliche veränderte. Nach dorthin war Ures jedenfalls nicht zu suchen. Ich hatte mir vorgenommen, ihm keine Spur von Mißtrauen zu zeigen, ritt aber jetzt doch zu ihm hin, um ihn in höflicher Weise nach der Lage der Stadt und der Zeit, in welcher wir dieselbe erreichen würden, zu fragen. Er antwortete, indem er mir einen giftigen Seitenblick zuwarf:

„Was wollt Ihr mit Ures, Master? Habe ich etwa gesagt, daß wir diesen Ort berühren werden?“

„Ihr habt gesagt, daß die Hazienda del Arroyo hinter Ures liegt; also denke ich, daß wir – –“

„Denken, denken!“ unterbrach er mich. „Die Hazienda liegt hinter Ures, ja, aber nicht in gerader Richtung, sondern seitwärts. Muten Sie uns etwa zu, Ihretwegen einen Umweg zu machen?“

„Fällt mir nicht ein! Übrigens werdet Ihr zugeben, daß meine Frage eine völlig unbefangene war und keine Spur von Zudringlichkeit enthalten hat.“

Ich wendete mich von ihm ab. Er hatte auf meine spanische Frage englisch geantwortet, um nur von mir verstanden zu werden. Höchst wahrscheinlich durfte der alte Peon oder Vaquero, welcher neben ihm ritt, nichts von seinen eigentlichen und heimlichen Absichten erfahren. Und außerdem vermutete ich, daß er Ures vermeiden wollte, damit man dort nicht erfahre, daß ein Transport von Emigranten nach der Hazienda del Arroyo gegangen sei. Man hatte mit den Auswanderern irgend etwas vor, was verschwiegen bleiben sollte.

Es war am Abende desselben Tages, als wir den Rio Sonora erreichten, weit, weit oberhalb der Stadt, wie ich annahm. Die Ufer fielen allmählich ab, und das Wasser war nicht tief, sodaß wir mit unsern Wagen und Pferden unschwer hinüberkamen. Am jenseitigen Ufer hätte eigentlich gehalten werden sollen, denn es war spät geworden, und der weite Marsch hatte Menschen und Tiere ermüdet. Dennoch erklärte der Mormone, daß wir noch weiter müßten und nach Verlauf von einer Stunde eine Stelle erreichen würden, an welcher ein viel besserer Lagerplatz als hier am Flußufer zu finden sei.

Ich glaubte, Grund zu haben, dieses letztere zu bezweifeln. Es gab hier am Wasser Stechmücken, welche uns in der Ruhe stören konnten; das war aber auch die einzige Ursache, den Fluß zu meiden, dessen Ufer alles boten, was Menschen und Tiere verlangen mochten. Der Mormone mußte, zumal es nun schon dunkel wurde, eine bestimmte Absicht haben, uns von dem Flusse zu entfernen und nach einem Platze zu führen, an welchem es sogar kein Wasser gab, was ich daraus schloß, daß er, bevor wir weiter zogen, alle Tiere am Flusse tränken ließ. Es fiel mir natürlich nicht ein, ein Wort darüber zu verlieren, doch nahm ich mir vor, aufzupassen, um seine Absichten zu erfahren.

Da es nach unserm Aufbruche vom Flusse ziemlich dunkel war, konnte ich die Gegend, durch welche wir kamen, nicht genau taxieren. Bäume oder gar Wald gab es nicht, auch Felder sah ich nicht. Wir ritten zuweilen über Gras, meist aber durch Sand, in welchen die Hufe unserer Tiere und die Räder der Wagen ziemlich tief einsanken. Bald zeigten sich einige Sterne am dunklen Himmel, und nur mit ihrer Hilfe konnte ich erkennen, daß unser Weg nun nach Südost gerichtet war. Vor der Stadt waren wir nach Nordost eingebogen; jetzt ging es nach Südost; es war also klar, daß Ures auf unserm geraden, auf unserm kürzesten Wege gelegen hatte und von dem Mormonen aus einem Grunde umgangen worden war, den ich zwar noch nicht kannte, aber gewiß kennen zu lernen hoffte.

Anstatt nach einer Stunde hielten wir erst nach zweien an, mitten auf der freien Ebene, wo einiges Buschwerk stand, aber weder ein laufendes, noch ein stehendes Wasser zu sehen war. Es war auffällig, daß wir nicht bei diesen Büschen, sondern in einiger Entfernung von denselben lagerten. Kein Reisender verzichtet ohne triftigen Grund auf den Schutz oder wenigstens auf die Annehmlichkeit, welche ein Strauchwerk bietet. Die Wagen wurden zusammengeschoben; die Zugtiere ausgespannt, die Reittiere entsattelt und dann einigen Yaquiindianern übergeben, unter deren Aufsicht sie während der Nacht das spärliche Gras abweiden sollten. Dabei fiel mir wieder auf, daß der Mormone die Indianer mit den Pferden und Maultieren nicht nach derjenigen Seite, auf welcher die Büsche standen, sondern nach der entgegengesetzten beorderte. Es schien so, als solle niemand von uns in die Nähe dieses Buschwerkes kommen. Darum nahm ich mir vor, es heimlich aufzusuchen.

Die Leute waren ermüdet und wickelten sich bald in ihre Decken, um einzuschlafen. Ich that dasselbe, schloß aber die Augen nicht. Wir standen im ersten Viertel, doch war der Mond noch nicht aufgegangen. Die Sterne, deren es heute nur wenige gab, verbreiteten ein ungewisses Licht, bei welchem man nicht zehn Schritte scharf zu sehen vermochte.

Ich beobachtete die Stelle, an welcher Melton ganz allein und abseits von uns lag. Es schien, als ob er schlafe; aber nach ungefähr drei Viertelstunden nahm ich eine Bewegung wahr. Er rollte sich aus der Decke und stand auf. Nachdem er eine Zeit lang lauschend gestanden hatte, glaubte ich, daß er sich entfernen werde; dem war aber nicht so, denn er kam leise auf mich zu, kniete, als er in meine Nähe gekommen war, nieder, kam unhörbar herangekrochen und hielt sein Ohr so nahe an meinen Kopf, daß er meine Atemzüge hören mußte. Ich atmete langsam, leise und regelmäßig wie einer, der im tiefen Schlafe liegt. Das befriedigte ihn. Er erhob sich und ging fort, die Richtung nach den Büschen einhaltend.

Sein Verhalten bewies erstens, daß er mir nicht traute und sich vor meiner Vorsicht und Wachsamkeit fürchtete, zweitens, daß er etwas vorhatte, was niemand wissen sollte. Ich mußte es erfahren, sprang auf, als er sich soweit entfernt hatte, daß er mich nicht mehr hören konnte, und eilte nach den Büschen, um vor ihm dort anzukommen.

Natürlich lief ich da nicht etwa hinter ihm her, sondern ich schlug einen Bogen, welcher mich ostwärts von den Büschen brachte, während er sich denselben von Süden her näherte. Auch versteht es sich ganz von selbst, daß ich mich nicht direkt bis zu den Sträuchern wagte; ich mußte ja annehmen, daß er von irgend jemand bei denselben erwartet werde. Als ich noch ungefähr vierzig oder fünfzig Schritte zu machen hatte, um sie zu erreichen, legte ich mich nieder und kroch auf Händen und Füßen weiter, bis ich nur noch halb so weit von ihnen entfernt war.

Meine Bewegungen waren so rasch gewesen, daß ich dem Mormonen trotz des Umweges, den ich gemacht hatte, vorangekommen war; denn erst jetzt, als ich schon wartend lag, hörte ich seine Schritte. Er ging in so kurzer Entfernung an mir vorüber, daß ich ihn deutlich erkennen konnte, blieb dann stehen und schnalzte mit der Zunge. Sofort ertönte derselbe Laut als Antwort aus den Büschen. Dann trat eine Gestalt, welche ich nicht genau sehen konnte, aus den Sträuchern und fragte in englischer Sprache:

„Bruder Melton, bist du es?“

„Yes,“ antwortete er. „Und du?“

„All right! Komm nur heran! Es ist alles in Ordnung.“

„Bist du allein?“

„Nein, der Häuptling ist mit da. Daraus magst du ersehen, daß ich unsere Angelegenheit nicht bei der falschen Ecke angefaßt habe. Es läuft alles so, wie es laufen soll.“

„So hat dein Junge dich getroffen?“

„Ja. Komm in die Büsche! Es gilt vorsichtig zu sein, da sich dieser Mensch, Old Shatterhand, bei dir befindet, was ich aber noch gar nicht glauben will.“

„Er ist’s; ich kann es beschwören, denn – –“

Weiter hörte ich nichts, denn er war während dieser Worte zu dem andern getreten, und dann verschwanden beide zwischen den Sträuchern.

Was sollte ich thun? Lauschen? Das ist leicht gesagt, war aber schwer, ja unmöglich auszuführen, wie ich mich bald überzeugte. Das Gebüsch war nicht umfangreich und auch nicht dicht, und soeben erschien die Sichel des Mondes am Horizonte. Es standen im höchsten Falle zehn oder zwölf Sträucher bei einander, und ich wußte nicht, hinter welchem ich die Männer, von denen jetzt wenigstens drei beisammen waren, zu suchen hatte. Man hätte mich sehen müssen, selbst wenn ich dunkel gekleidet gewesen wäre. Da nun aber mein Anzug eine helle Farbe hatte, so wäre es geradezu Albernheit gewesen, mich anschleichen zu wollen. Darum that ich das einzige, was ich thun konnte: ich kroch soweit zurück, bis ich mich erheben durfte, und begab mich dann wieder nach dem Lager, wo alle schliefen und niemand meine Abwesenheit bemerkt hatte. Ich wickelte mich wieder in meine Decke, und legte mir das, was ich gesehen und gehört hatte, zurecht.

Wer war der Mann, mit welchem Melton gesprochen hatte? Die Antwort war gar nicht schwer zu erteilen. Beide hatten sich „Bruder“ genannt; also war er auch ein Mormone, und dies um so wahrscheinlicher, als er sich nicht der hier gebräuchlichen spanischen, sondern der englischen Sprache bedient hatte. Sodann war er von Melton gefragt worden, „ob sein Junge ihn getroffen habe“. Unter diesem Jungen war jedenfalls Weller, der Kajütenwärter unseres Schiffes, gemeint. Als ich diesen mit dem Mormonen im Deckzelte belauschte, hatte er davon gesprochen, daß sein Vater längst zu den Indianern aufgebrochen sei. Und jetzt steckte ein Indianerhäuptling mit in den Büschen! Die heutige Zusammenkunft war jedenfalls längst vorher verabredet und festgesetzt worden. Der junge Weller war nach unserer Landung von Bord gegangen und hatte, natürlich viel schneller als wir hatten reisen können, seinen Vater aufgesucht, um ihm zu melden, daß die Emigranten unterwegs seien und er sich also nun zu der verabredeten Zusammenkunft einzufinden habe. Ganz gewiß waren jetzt der alte Weller, Melton und ein Indianerhäuptling beisammen; vielleicht war auch der junge Weller dabei; ja sehr wahrscheinlich waren außer dem Häuptlinge noch andere Indianer anwesend. Ich hatte also ganz recht gehandelt, mich nicht in die Gefahr zu begeben, entdeckt zu werden, denn diese Gefahr war um so größer, je mehr Personen sich bei dem Buschwerke eingefunden hatten.

Nun kam die wichtige Frage, zu welchem Stamme die Indianer gehörten. Wer die Verhältnisse von Mexiko und vor allen Dingen der Provinz Sonora kennt, der weiß, welch eine Menge von Stämmen dort zu finden sind. Es gibt da Opata-, Pima-, Sobaipuri-, Tarahumara-, Cahuentscha-, Papago-, Yuma-, Tepeguana-, Cahita-, Cora-, Colatlan-, Yagui-, Upanguaima- und Guaima-Indianer, welche sich meist wild in Sonora und an den Grenzen dieses Staates umhertreiben. Und dies sind nur die hervorragendsten Stämme; diejenigen, welche nicht von Bedeutung sind, habe ich gar nicht genannt.

Ich hatte den Häuptling nicht gesehen und noch viel weniger sprechen gehört, konnte also nicht einmal ahnen, welchem Volke er zuzurechnen sei. Und doch wäre es für mich von großem Vorteile gewesen, dies zu wissen. Noch wichtiger aber als diese Frage war diejenige, zu welchem Zwecke die heutige Zusammenkunft hier stattfand. Daß es sich um die Emigranten handle, konnte ich mir wohl denken; aber etwas Näheres zu erraten, das war mir unmöglich, obgleich ich all meinen Scharfsinn anstrengte und selbst die kleinste Thatsache oder Wahrnehmung an mir vorübergehen ließ, um sie einer eingehenden Beurteilung und Vergleichung zu unterwerfen.

Ich befand mich in einer beinahe fieberhaften Aufregung. Ich mußte alle Selbstbeherrschung aufwenden, um ruhig liegen zu bleiben, zumal es über zwei volle Stunden dauerte, ehe der Mormone zurückkehrte und sich zur Ruhe legte. Bei mir gab es freilich keine Ruhe; ich vermochte nicht zu schlafen. Es schwebte eine Gefahr über uns, ohne daß ich sagen konnte, welcher Art sie sei und wann sie hereinbrechen werde. Das raubte mir den Schlaf. Über uns! Nun allerdings zunächst wohl nur über den Emigranten; aber ich hatte mich nun einmal dieser Angelegenheit angenommen, und so stand es fest, daß ich dieselbe auch als die meinige betrachtete und solange bei den Bedrohten aushielt, bis sie zu Ende geführt war. Ich hätte mich, wie schon oft gesagt, einfach entfernen können, wäre aber dadurch um mein ruhiges Gewissen gekommen und hätte mich selbst für einen Feigling erklären müssen.

Als stets vorsichtiger Mann fragte ich mich dabei, ob ich der Gefahr, von welcher ich zu niemandem sprechen durfte und der ich mich also ganz allein entgegenzustellen hatte, auch gewachsen sei. Der Mut war da; aber wie stand es mit der Verantwortlichkeit? Wenn man mich unschädlich machte, waren diejenigen, denen ich doch helfen wollte, verloren. Es galt also, zunächst und vor allen Dingen auf meine eigene Sicherheit bedacht zu sein. Da mußte ich denn an den Umstand denken, daß der Mormone die Stadt Ures vermieden hatte, jedenfalls um dort nicht wissen zu lassen, daß sich ein Transport von Emigranten auf dem Wege nach der Hazienda del Arroyo befinde. Wäre dies dort bekannt geworden, so stand fest, daß er für das spätere Schicksal derselben, deren Führer er doch war, eintreten mußte. Ich meinte also, daß es geraten sei, die dortige Behörde zu benachrichtigen. Wer aber sollte das thun? Natürlich ich. Und wann? Sobald wie möglich, also morgen früh. Da aber niemand, am allerwenigsten der Mormone, vorher davon wissen durfte, so mußte ich mich von unserer Karawane auf eine Weise entfernen, welche keinen Verdacht aufkommen ließ. Wie war das anzufangen? Fragen? Da hätte ich sagen müssen, wohin ich wollte. Mich heimlich entfernen? Das hätte den Verdacht, den ich vermeiden wollte, ja gerade hervorrufen müssen. Während ich darüber nachsann, dachte ich an den Herkules und an seine Worte, daß ich im ganzen Leben kein guter Reiter werden würde, Das war es, was mir ermöglichte, meinen Plan auszuführen. Mein Pferd mußte mit mir durchgehen.

Die Absicht, diesen Plan auszuführen, wirkte so beruhigend auf mich, daß ich endlich doch einschlief und erst dann erwachte, als die andern schon munter waren und sich zum Aufbruche rüsteten. – Der Mormone betrieb denselben mit auffälliger Eile, und ich erriet den Grund, welchen er dazu hatte. Seine Fährte hatte sich nämlich dem weichen Sande so tief eingedrückt, daß man sie mit dem Auge bis zu dem Gebüsch verfolgen konnte. Da er mich für Old Shatterhand hielt, der ich ja auch war, so besorgte er, daß ich diesen Stapfen meine Aufmerksamkeit widmen und ihnen folgen werde. In diesem Falle hätte ich auch die Spuren derer finden müssen, mit denen er während der Nacht verhandelt hatte. Um dies zu vermeiden, trieb er zum Aufbruche.

Und doch hatte ich dieselbe Sorge wie er, denn die Eindrücke meiner Füße waren ebenso mit der größten Deutlichkeit zu sehen. Er konnte sie unmöglich ignorieren. Jedenfalls aber glaubte er, daß sie von einem seiner Verbündeten herrührten, welcher sich von dem Gebüsch aus nach unserm Lagerplatze geschlichen hatte, ohne dies später bei der Unterredung zu erwähnen.

Als ich mein Pferd aufschirrte, steckte ich einige scharfe Sandkörner zwischen Haut und Sattel und zog dann den Gurt scharf an. Nach dem Aufsteigen stellte ich mich in die Bügel und machte mich möglichst leicht, sodaß das Pferd noch keinen Schmerz empfand. Als ich mich aber nach einer Weile festsetzte, fühlte es die Sandkörner und begann, sich widerspenstig zu zeigen. Ich gab mir scheinbar alle Mühe, es zu beruhigen, doch vergebens. Es wollte mich abwerfen, und ich stellte mich dabei so, als ob es mich die größte Anstrengung koste, im Sattel zu bleiben. Das Tier benahm sich schließlich so störrisch, daß alle, selbst der Mormone, aufmerksam wurden.

„Was hat denn die Bestie eigentlich?“ fragte der Herkules, welcher wieder neben mir ritt.

„Weiß ich’s? Sie will mich herunter haben. Weiter wird’s nichts sein.“

„So nehmen Sie das Viehzeug kurz in die Zügel, und geben Sie ihm die Sporen, damit es Respekt bekommt. Ein Wunder ist es freilich nicht, daß es nichts mehr von Ihnen wissen mag. Ein Pferd, welches Charakter und Ehre besitzt, will einen guten Reiter haben. Sie aber sind – oho – – hallo – – wohin denn?“

Ich hatte seinen Rat befolgt und dem Pferde die Sporen gegeben. Es ging in die Luft, erst vorn, dann hinten, dann mit allen vieren zugleich, bockte nach rechts, nach links, doch ohne mich herunterzubringen. Ich machte mich zwar mit guter Absicht bügellos, rutschte nach hinten und legte mich nieder, um die Arme um den Hals des Tieres zu schlingen, fiel aber selbstverständlich nicht herunter. Alle, die es sahen, lachten, und dieses laute, schallende Gelächter regte meinen Gaul vollends so auf, daß er zu gleichen Beinen mit mir davonrannte, immer geradeaus über die Ebene dahin. Daß diese rasende Carriere nach keiner andern Richtung als nach Süden ging, war meine Sache, schien aber der reine Zufall zu sein.

Als ich mich umschaute, sah ich, daß einige mir folgten, bald aber wieder umkehrten. Der Herkules ritt mir länger nach. Er war in Sorge um mich, konnte mich jedoch nicht einholen. Nach zehn Minuten sah ich ihn nicht mehr und stieg ab, um die Sandkörner zu entfernen und das arme Tier von seiner Qual zu befreien. Dann ging es wieder weiter, immer südwärts, wo ich die Stadt zu suchen hatte.

Eigentlich führten mich zwei Gründe dorthin. Zunächst wollte ich der dortigen Polizei die beabsichtigte Mitteilung über die Emigranten machen, und sodann war es nötig, mir einen anderen Anzug zu verschaffen. Der jetzige war so dünn und leicht, daß er bei den Anstrengungen, denen ich entgegenging, bald in Fetzen gehen mußte; auch störte mich seine helle Farbe, die mir gestern abend so hinderlich gewesen war. Ich hatte ihn in Guaymas gekauft, weil es dort für meine Statur keinen besseren gab und ich von dem Mormonen für einen armen Teufel gehalten sein wollte. Da dieser mich aber durchschaut hatte, so war nicht einzusehen, warum ich nicht auch äußerlich zugeben sollte, daß ich nicht unter die „Landstreicher“ zu rechnen sei.

Gestern war von mir angenommen worden, daß wir den Fluß einige Meilen oberhalb Ures passiert hatten; jetzt stellte sich heraus, daß diese Schätzung richtig gewesen war. Noch war keine Stunde vergangen, so nahm die Gegend ein ganz anderes Aussehen an. Sie wurde um so belebter, je weiter ich kam; Landgüter tauchten auf; das Pferd bekam gebahnte Wege unter die Füße; dann ritt ich zwischen Gärten dahin und gelangte schließlich in die Stadt, welche einen bedeutend bessern Eindruck auf mich machte, als ich auf die mir begegnenden Bewohner derselben zu machen schien, denn ich sah die keineswegs hochachtungsvollen Blicke, welche sie auf mich warfen. Ich erkundigte mich bei einem derselben nach der Casa de Ayuntamiento, stieg, als ich dieselbe erreicht hatte, vom Pferde, band dasselbe an, trat ein und fragte einen da herumlungernden Polizisten nach dem Alcaide del distrito. Der Mann wies mich in den Hof, in welchem ich eine Thüre sah, deren Aufschrift mir sagte, daß sich hinter derselben die Expedition dieses höchsten Beamten des Distriktes befinde. Als ich anklopfte, hörte ich im Innern eine antwortende Stimme und trat ein, um sofort eine sehr, sehr tiefe Verbeugung zu machen, denn ich befand mich nicht einem Herrn, sondern einer Dame gegenüber.

Hier war auch nicht das geringste von alledem zu sehen, was der Deutsche mit einem Expeditionszimmer, einem Bureau, in Verbindung bringt. Es gab vier leere, weiß getünchte Wände. In den fest gestampften Boden waren vier weiß, rot und grün, also in den Nationalfarben angestrichene Pfähle getrieben, an denen zwei Hängematten hingen. In der vordern Hängematte lag eine sehr junge Dame, Cigaretten rauchend und nicht allzu wählerisch in ein nicht allzu weißes Morgengewand gekleidet. Ihr noch nicht geordnetes Haar hatte sich wahrscheinlich schon gestern und auch vorgestern in demselben Zustande befunden. Über ihr saß, an eine Kette gefesselt, ein Papagei, welcher mich mit zornigem Krächzen empfing. Erst später bemerkte ich, daß die zweite, hintere Hängematte nicht leer war. Also ich verbeugte mich tief und fragte dann im höflichsten Tone, ob es mir gestattet sei, den Alcaide de distrito zu sprechen. Die Dame musterte mich mit scharfen Augen, warf mir dann die Hand entgegen, als ob ich Luft sei, und wendete das Köpfchen ab, ohne mir eine Antwort zu geben. Dafür aber sträubte der Papagei sein Gefieder, riß den krummen Schnabel auf und kreischte mir zu:

„Eres ratero!“

Diese Begrüßung lautet zu deutsch: „Du bist ein Spitzbube!“ Die Dame liebkoste den Vogel ob dieses geistreichen Ausrufes, und ich wiederholte meine Frage in der vorherigen höflichen Weise.

„Eres ratero!“ schrie der Papagei, während die Dame in ihrem Schweigen verharrte.

Ich wiederholte meine Frage abermals.

„Eres ratero, ratero, ratero!“ schimpfte der gefiederte Verleumder, und die Dame gab sich nun die Mühe, mit der Hand nach der Thüre zu winken, um mir auf diese sinnige Weise anzudeuten, daß sie sich und ihren Papagei von mir befreit sehen wolle.

Ich öffnete also die Thüre, doch ohne mich zu entfernen, blickte hinaus und sah den Polizisten, welcher mich hierher gewiesen hatte. Da er nach der andern Seite schaute, steckte ich den Finger in den Mund und pfiff so schrill, wie ich nur pfeifen konnte. Der Papagei pfiff mit; die Dame kreischte auf, gerade auch wie ein Papagei, und der Polizist drehte sich nach mir um. Ich winkte ihn herbei und fragte, als er herangekommen war:

„Ist hier wirklich das Amtslokal des Alcaide del distrito?“

„Ja, Sennor,“ antwortete er.

„Wo ist er denn?“

„Na, da im Lokale!“

„Ich sehe ihn doch nicht, und die Sennora antwortet mir nicht!“

„Dafür kann ich nicht; da ist nichts zu machen.“

Er wendete sich ab und ging davon. Ich drehte mich also wieder nach der Dame um und wiederholte meine Frage, diesmal aber nicht im höflichen Tone. Da richtete sie sich auf, blitzte mich aus ihren dunklen Augen an und antwortete:

„Hinaus, sofort, sonst lasse ich Sie einsperren! In welcher Kleidung kommen Sie! Man sieht ja sofort, daß Sie die Amtshandlung nicht bezahlen können!“

Der Papagei schlug mit beiden Flügeln, hackte mir mit dem Schnabel entgegen und schrie: „Eres ratero, eres ratero!“ Ich aber zog kaltblütig meinen Beutel aus der Tasche, nahm einige Goldstücke heraus und begann, ohne ein Wort zu sagen, dieselben aus einer Hand in die andere zu zählen. Sofort ahmte der Papagei mit wirklich täuschender Stimme den Klang des Goldes nach, und die Dame wendete sich nach der andern Hängematte, um im lieblichsten Flötentone zu sagen:

„Erhebe dich, mein Lieber! Es ist ein Cavallero da, welcher höchst notwendig mit dir zu sprechen hat. Ich werde ihm eine Cigarette drehen.“

Unter dem Sitze des Papageies war ein Kästchen angebracht, in welchem sich Tabak und Cigarettenpapier befand. Sie nahm eines dieser Papiere in den Mund, um es mit Speichel anzufeuchten, legte eine Prise Tabak darauf und drehte beides mit ihren niedlichen Fingern in Raupenform, brannte diese Raupe an ihrem Stummel an und reichte sie mir dann mit einem herzgewinnenden Lächeln zu.

Hm! Das Anfeuchten! Diese Fingerchen, bei deren melierter Färbung man im unklaren war, ob sie in Handschuhen steckten, oder einen sonstigen Überzug hatten! Und dazu der Ort, an welchem sich der Tabak befand, gerade unter dem Papagei! Kurz und gut, ich nahm die Cigarette zwar mit einer tiefen Verbeugung an, hütete mich aber, sie nach dem Munde zu führen.

Indessen hatte sich im Hintergrunde eine Bewegung geltend gemacht, welche mich veranlaßte, dieser Richtung meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die zweite Hängematte geriet ins Schaukeln, und aus ihr entwickelte – ich sage mit vollster Absicht, entwickelte – sich eine lange, ewig lange und erschrecklich hagere Gestalt, welche mit langsamen, unhörbaren, geisterhaften Schritten auf mich zukam, vor mir stehen blieb und mich in einem hohlen Bauchrednertone fragte:

„Wieviel Sporteln sind Sie bereit zu zahlen, Sennor!“

„Ich zahle nach dem Werte der Antworten, welche ich erhalte,“ antwortete ich.

Der ewig Lange drehte sich nach seinem jungen Weibe um und meinte unter einer gräßlichen Gesichtsverzerrung, welche jedenfalls ein freundliches Lächeln sein sollte:

„Hörst du es, mein Täubchen? Er zahlt nach dem Werte. Da aber alles, was ich sage, für jedermann von hohem Werte ist, so bitte ich dich, dem Sennor noch eine Cigarette zu drehen.“

Sie folgte dieser Aufforderung mit sichtbarem Vergnügen, und als ich dann zwei von ihr angebrannte, zwischen meinen Fingern aber wieder ausgelöschte Tabakswürmer in der Hand hielt, forderte mich ihr edler Ehegemahl auf:

„Nun tragen Sie mir getrost und mit Vertrauen Ihre Wünsche vor, Sennor! Sie stehen vor dem besten Ihrer Freunde.“

Auch der Papagei ließ so zarte und sanfte Schluchzer und Gluchzer hören, daß mir ganz wonnig zu Mute wurde. Ich befand mich jedenfalls den beiden besten und edelsten der Menschen und dem traulichsten der Papageien gegenüber und erkundigte mich also mit hingebendster Offenheit:

„Ist Ihnen vielleicht der Name Timoteo Pruchillo bekannt, Sennor?“

„Nein. Auch dir nicht, mein Täubchen?“

„Nein,“ antwortete das Täubchen.

„Ich suche eine Hazienda del Arroyo, welche nicht sehr weit von Ures zu liegen scheint. Vielleicht können Sie mir Auskunft erteilen?“

„Nein. Auch du nicht, mein Täubchen?“

„Nein,“ echote das Täubchen.

„Timoteo Pruchillo hat deutsche Emigranten kommen lassen, welche auf seiner Hazienda arbeiten sollen. Wer hat diese Leute zu beschützen, falls er es nicht ehrlich mit ihnen meint?“

„Ich nicht, Sennor.“

„Aber wer denn sonst?“ fragte ich.

„Deutschland mit seinen Gesandtschaften oder Konsulaten.“

„Giebt es hier ein Konsulat?“

„Nein.“

„Aber wenn diese Leute in Not oder gar Gefahr kommen, so muß doch jemand hier sein, der sich ihrer annimmt!“

„Nein, es ist niemand da.“

„Aber, Sennor, selbst angenommen, daß die Leute rechts- und schutzlos sind, weil kein Vertreter ihres Vaterlandes sich im hiesigen Distrikte befindet, so ist doch zu erwarten, daß ein Mexikaner, falls er unehrlich oder gar noch schlimmer an ihnen handelte, von der hiesigen Behörde zur Verantwortüng gezogen würde?“

„Nein, Sennor. Was mit Ausländern geschieht, geht mich nichts an.“

„Wenn nun ein Bewohner Ihres Distriktes einen Deutschen tötete, was würden Sie da thun, Sennor?“

„Nichts, gar nichts. Meine Unterthanen machen mir soviel zu schaffen, daß ich mich mit Angehörigen fremder Länder nicht befassen kann. Mit ausländischen Personen, Angelegenheiten, Verhältnissen und Dingen können wir uns unmöglich abgeben. So etwas dürfen Sie von uns nicht verlangen. Wünschen Sie sonst noch etwas, Sennor?“

„Nein, Ihre bisherigen Antworten haben mich aller weiteren Fragen enthoben.“

„So werde ich Sie entlassen, sobald Sie den Wert meiner Auskünfte anerkannt haben.“

„Ja, anerkannt haben,“ stimmte die Sennora in bezauberndem Tone bei, wozu der Papagei ein allerliebstes, halblautes Klingen und Singen hören ließ.

„Ich werde Sie über diesen Wert auf das gewissenhafteste aufklären,“ antwortete ich. „Da Sie immer nur mit Nein geantwortet haben, besitzen Ihre Antworten für mich leider nicht eine Spur von Wert.“

„Wie? Was? Wollen Sie damit sagen, daß Sie nichts zahlen wollen?“

„Allerdings.“

Er trat zwei Schritte zurück, maß mich mit zornigen Augen und drohte:

„Ich kann Sie zwingen, Sennor!“

„Nein! Auch ich bin ein Deutscher. Ich habe nur ausländisches Geld bei mir, und da ich Ihnen nach Ihren eigenen Worten nicht zumuten darf, sich mit ausländischen Angelegenheiten, Personen, Verhältnissen und Dingen zu befassen und mein Geld doch sicher zu den ausländischen Dingen gehört, so kann ich doch unmöglich mich an Ihrer inländischen Selbstachtung dadurch versündigen, daß ich Ihnen eine fremde Münze anbiete.“

Die Sennora warf ihre Cigarette weg und wetzte ihre Lippen an den Zähnen. Der Papagei hob die Flügel und riß den Schnabel auf. Der Sennor trat noch einen Schritt zurück und fragte in kollerndem Tone:

„Also nur fremdes Geld?“

„Ja. Die einzigen einheimischen Gegenstände, welche ich Ihnen verehren kann, sind diese beiden Cigaretten, die ich hiermit in den Tabakskasten lege.“

Ich warf die Cigaretten in den Tabak, wobei der Papagei mit dem Schnabel nach meiner Hand hackte.

„So wollen Sie nichts, gar nichts zahlen?“fragte der Sennor.

„Nein.“

Ich griff nach meinen Gewehren, welche ich an die Wand gelehnt hatte, um mich schnell zu entfernen.

„Ein Geizhals, ein wortbrüchiger Mensch!“ donnerte der ewig Lange mit seiner Bauchrednerstimme.

„Ein Ausländer, ein Habenichts, ein Vagabund!“ kreischte die Donna wütend hinter mir her.

„Eres ratero, eres ratero, ratero – du bist ein Spitzbube, du bist ein Spitzbube, ein Spitzbube!“ hörte ich den Papagei schreien, als ich mit raschen Schritten über den Hof eilte, um hinaus auf die Straße zu gelangen. Da stand, meiner wartend, der Polizist, streckte mir die Hand entgegen und meinte:

„Eine Gabe für die Auskunft, welche ich Ihnen erteilt habe! Mein Gehalt ist so gering, und ich habe ein Weib mit vier Kindern zu ernähren!“

„Dafür kann ich nicht; da ist nichts zu machen,“ antwortete ich ihm mit seinen eigenen Worten, band mein Pferd los, stieg auf und ritt davon. Wäre ich bei nur einigermaßen besserer Laune gewesen, so hätte wenigstens er etwas bekommen.

Die Hoffnung, welche ich auf die Meldung bei der hiesigen Behörde gesetzt hatte, war eine vergebliche gewesen. Bei solchen Zuständen, welche heutzutage wohl andere sind, ist es am besten, stets nach dem Grundsatze „Selbst ist der Mann“ zu handeln. Fort also mit der Rechnung auf fremde Leute und auf fremde Hilfe! –

Als ich mich weit genug von dem Stadthause entfernt hatte, stieg ich an einem „Hotel“ ab, um da etwas zu essen und zu trinken, das Pferd tränken und füttern zu lassen und mich nach einem Kleiderladen zu erkundigen. Ein solcher lag in der Nähe, und ich bekam da, allerdings zu einem sündhaften Preise, das, was ich suchte, einen guten, mexikanischen Anzug, der wie für mich gefertigt war, aber eine fast vollständige Ebbe in meinem Beutel zur Folge hatte. Die Sorge für die nächste Zukunft riet mir, mich in ausgiebiger Weise mit Schießbedarf zu versehen, und als ich dies gethan hatte, war mein Bargeld so zur Neige gegangen, daß ich trotz alles Schüttelns der Tasche und des Beutels nichts mehr klingen hörte. Das konnte mir aber keine Sorgen machen, da ich jetzt voraussichtlich in Verhältnisse und durch Gegenden kam, in denen der Besitz von Geld nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich gewesen wäre. In jenen Breiten und Verhältnissen war damals und ist wohl unter Umständen auch noch heute ein zuverlässiges Gewehr in der Hand besser, als ein voller Beutel in der Tasche. So ritt ich denn, den in die Decke gewickelten neuen Anzug hinter mir aufgeschnallt, wohlgemut zur Stadt hinaus, um eine kleine Hoffnung getäuscht, doch um eine wichtige Erfahrung reicher.

Ich hatte mich nämlich im Gasthofe nach der Hazienda del Arroyo erkundigt und erfahren, daß dieselbe einen vollen Tagesritt weit ostwärts zwischen bewaldeten Bergen an einem Bache liege, von welchem ein kleiner See gespeist werde. Man hatte mir die Gegend und den Weg nach derselben so genau beschrieben, daß ich gar nicht irren konnte. Zugleich hatte ich über die Verhältnisse und den Charakter des Besitzers näheres erfahren.

Sennor Timoteo Pruchillo war ein ehrlicher Mann, hatte früher zu den reichsten Leuten der Provinz gehört, aber durch die oft wiederkehrenden politischen Aufstände und die Überfälle der Indianer viel gelitten, sodaß er nun nur noch als ziemlich wohlhabend galt. Von mehreren großen Landgütern war ihm nur noch das einzige, die Hazienda del Arroyo geblieben. Außerdem gehörte ihm ein Quecksilberbergwerk zu eigen, über dessen Lage ich nichts Genaues erfahren hatte, man wußte nur, daß es noch weit, weit hinter der Hazienda in einer höchst unfruchtbaren Gegend liege und früher reiche Erträge gemacht habe, dann aber wegen Mangels an Arbeitern und des Herumschweifens wilder Indianer aufgegeben und verlassen worden sei.

Über den Weg, den ich heut zurücklegte, ist nichts zu sagen. Ich war allein und kam durch eine völlig uninteressante Gegend. Ich übernachtete in einem Thale, welches von kahlen Höhen eingeschlossen war, auf seinem Grunde aber doch so viel Gras trug, daß mein Pferd sich sattfressen konnte. Während mir von Ures bis hieher kein Mensch in den Weg gekommen war, hatte ich am nächsten Vormittage eine Begegnung und zwar eine unter den gegebenen Verhältnissen sehr wichtige, eine Begegnung, bei welcher leider Blut fließen sollte.

Ich ritt durch ein langes, schmales Thal, welches sich in vielen Windungen aufwärts in die Berge zog. Diese lagerten kahl und baumlos vor dem höhern Gebirge, in welchem ich die Hazienda zu suchen hatte. Sie waren felsig und besaßen so eigenartige, abenteuerliche Formen, daß ich hier und da an die fernen Bad-lands erinnert wurde. Nur selten war ein Baumkrüppel oder Strauch zu sehen, der aus einer Spalte ragte, in welcher es die Feuchtigkeit zu einem spärlichen Gedeihen für ihn gab. Ich dachte an meine Erlebnisse in jenen Bad-lands, an die Kämpfe mit den Sioux, mit denen ich dort oft zusammengeraten war; ich bildete mir ein, ihr schrilles Kriegsgeheul und die Stimmen ihrer Gewehre zu hören. Da – – war das nur die Erinnerung, die es mir vorspiegelte, oder war es die Wirklichkeit: ein Schuß war gefallen. Ich hielt mein Pferd an und horchte. Es war die Wirklichkeit, denn jetzt fiel ein zweiter und ein dritter Schuß, vor mir im Thale, hinter der nächsten Krümmung, welche dasselbe machte.

Ich trieb mein Tier an, war aber, als ich die Krümmung erreichte, nicht so unvorsichtig, um dieselbe zu biegen. Ich wollte vorher wissen, mit wem ich es zu thun hatte. Darum stieg ich ab, ließ das Pferd stehen und ging zu Fuß nach der Ecke des Felsens, um nach der andern Seite derselben zu blicken. Als ich den Hut, dessen breite Krämpe mich leicht verraten konnte, abgenommen hatte und dann den obern Teil des Kopfes bis zu den Augen vorstreckte, sah ich, daß sich jenseits des Felsens das Thal erweiterte, indem es eine Seitenschlucht aufnahm, welche rechtwinklig in dasselbe mündete. Unten, in der Sohlenmitte des Hauptthales, standen zwei Männer, die empor nach dem Felsen blickten, welcher die Ecke des Haupt- und Nebenthales bildete. Es war ein Weißer und ein Indianer. Beide hatten ihre Gewehre in den Händen. Sie legten dieselben jetzt eben an, zielten nach oben und drückten ab; die Schüsse knallten schnell hintereinander.

Auf was oder wohl gar auf wen schossen die beiden Menschen? Es standen drei Pferde in ihrer Nähe. Sie waren also zu dritt. Wo befand sich der dritte? Ich schob den Kopf weiter vor und sah nun unten, hart an der Felsenecke, drei fernere Pferde liegen, welche tot zu sein schienen, denn sie bewegten sich nicht. Über denselben, vielleicht dreißig Ellen hoch, an einer Stelle, welche nur ein guter Kletterer zu erreichen vermochte, kauerten drei Personen hinter einem Felsenvorsprunge, der ihnen Schutz gegen die nach ihnen gesandten Kugeln bot. Diese drei waren ein Weib und zwei Knaben. Vielleicht wäre der Ausdruck Jünglinge richtiger; ich konnte ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen. Sie waren nicht mit Gewehren, sondern nur mit Bogen bewaffnet, und sandten gegen ihre Angreifer zuweilen einen Pfeil herab, welcher aber immer zu kurz fiel.

Männer gegen Knaben, gegen ein unbewaffnetes Weib! Pfui! Was für Männer konnten das sein! Doch nur ehrlose Menschen! Ich war augenblicklich entschlossen, den Knaben zu Hilfe zu kommen, denn es war klar, daß es auf deren Leben abgesehen war. Um das mit möglichst wenig Gefahr für mich thun zu können, mußte ich die beiden Angreifer überrumpeln, mußte sie in einem Augenblicke überraschen, an welchem sie ihre Gewehre abgeschossen hatten. Ich ging also wieder zu meinem Pferde und stieg auf. Nachdem ich meine beiden Gewehre aus ihrer Umhüllung gezogen hatte, nahm ich den Bärentöter auf den Rücken, den Henrystutzen aber in die Hand und lockerte auch die beiden Revolver im Gürtel. Nun wartete ich. Ein Schuß fiel, gleich darauf ein zweiter, und da flog auch schon mein Pferd hinter dem Felsen hervor und auf die beiden zu. Sie sahen mich kommen und standen, ohne sich zu bewegen, so überrascht waren sie von diesem unerwarteten Erscheinen eines hier und jetzt gar nicht vermuteten Menschen.

Der Weiße war mittellang und mittelstark, trug einen leichten Anzug nach dem hier zu Lande gebräuchlichen Schnitte, und hatte sehr scharfe, ausgeprägte Gesichtszüge, die man, einmal gesehen, wohl nicht wieder vergessen konnte. Eine Pistole und ein Messer stak in seinem Gürtel, und in der Rechten hielt er die soeben abgeschossene einläufige Flinte.

Der Rote war ähnlich gekleidet, doch trug er sein Haupt unbedeckt und die Häuptlingsfeder in dem langen, schlaffen Haare. Aus seinem Gürtel ragte nur der Griff eines Messers; sein Gewehr war auch nur einläufig und soeben abgeschossen.

„Guten Morgen, Sennores!“ grüßte ich, indem ich mein Pferd vor ihnen parierte und den Stutzen in der Rechten hielt. „Was für eine Jagd treiben Sie hier? Doch nur auf Tiere?“

Sie antworteten nicht. Ich that, als ob ich erst in diesem Augenblicke die toten Pferde sähe, und fuhr fort:

„Ah! Auf Pferde schießen Sie? Und die Pferde sind gesattelt! So haben Sie es also auf die Reiter abgesehen? Wo befinden sich dieselben?“

Der Rote griff in seinen Kugelbeutel, um wieder zu laden. Der Weiße that dasselbe und antwortete dabei:

„Was geht Sie das an? Machen Sie sich davon! Sie haben sich um unsere Angelegenheiten nicht zu kümmern!“

„Nicht? Wirklich nicht? Das ist eine Ansicht, über welche sich noch streiten läßt. Wer auf seinem ehrlichen Wege Männern begegnet, welche auf Knaben und Frauen schießen, der hat wohl ein Recht, nach dem Grunde eines solchen Verhaltens zu fragen.“

„Aber welche Antwort wird er bekommen?“

„Diejenige, welche er fordert, falls er nämlich der Mann ist, seiner Frage Nachdruck zu geben.“

„Und für einen solchen halten Sie sich wohl?“ fragte der Weiße in höhnischem Tone, während der Rote kaltblütig um seine Kugel ein Pflaster wickelte, um sie dann in den Lauf zu stoßen.

„Allerdings,“ antwortete ich.

„Lassen Sie sich nicht auslachen, sondern verschwinden Sie schleunigst, sonst werden Ihnen unsere Kugeln zeigen – –“

„Eure Kugeln, Schurke?“ unterbrach ich ihn, indem ich den Lauf auf seine Brust richtete. „Fühle erst die meinigen! Weißt du, wieviel Kugeln in einem Henrystutzen stecken? Laßt augenblicklich eure Gewehre fallen, sonst fährt mein Metall euch durch die Köpfe!“

„Hen-ry-stu-tzen!“ stieß der Weiße in einzelnen Silben hervor, indem er mich mit weitgeöffneten Augen anstarrte und sein Gewehr aus der Hand gleiten ließ.

Wie kam es doch, daß dieses eine Wort „Henrystutzen“ ihm einen solchen Schrecken einjagte? Der Indianer war fern davon, ein solches Entsetzen zu fühlen. Er erwog mit kaltem Blute die Situation. Mein Lauf war nicht auf seine Brust, sondern auf diejenige des Weißen gerichtet, dennoch durfte er es nicht wagen, sein Gewehr vollends zu laden. Aber es gab doch ein Mittel, mich schnell unschädlich zu machen. Der Rote gedachte, es auszuführen; das sah ich seinen Augen an und war gefaßt darauf. Er riß nämlich mit einem blitzschnellen Griffe dem Weißen das Pistol aus dem Gürtel und schlug es auf mich an. Ebenso schnell aber hatte ich meinen Lauf gegen seine Hand gerichtet, und ehe er vermochte, den Hahn der Pistole mit dem Daumen aufzudrücken, krachte mein Schuß, und die Kugel fuhr ihm in die Hand. Er stand einen Augenblick wie erstarrt, sah auf die blutende Hand, welcher die Pistole entfallen war, dann auf mich und rief hierauf dem Weißen zu:

„Tave-schala!“

Nach diesen beiden Worten that er, ohne nach seinem Gewehre und der Pistole, welche beide am Boden lagen, zu sehen, einen Satz zu den Pferden hin, sprang auf eines derselben und jagte davon.

„Tave-schala!“ wiederholte der Weiße, welcher bis zu diesem Augenblicke unbeweglich gestanden hatte. Dann fügte er in englischer Sprache hinzu: „Alle Teufel, wo habe ich meine Augen gehabt! Der Häuptling hat recht!“

In einem Nu war er beim zweiten Pferde, im Sattel und hinter dem Roten her, sein Gewehr auch liegen lassend. Es fiel mir nicht ein, ihn oder den andern zurückzuhalten. Was hatten die beiden Worte Tave-schala zu bedeuten? Sie gehörten einer Sprache an, welche ich nicht kannte.

Als die beiden davongaloppierten, ertönte von dem Felsen herab ein dreistimmiges Jubelgeschrei. Die Frau und die beiden Knaben hatten gesehen, was geschehen war; sie sahen sich gerettet, und gaben durch diese Laute ihre Freude kund. Sie schrien und jubelten zu früh, das sah ich gerade in diesem Augenblicke von unten, während sie es von da oben aus, wo sie standen, nicht zu sehen vermochten.

Es erschien nämlich über ihnen auf der obersten Höhe des Felsens, an der Kante desselben, ein Kopf, welcher auf sie herabblickte; dann kam ein Gewehr zum Vorscheine, erst der Doppellauf desselben, und dann die Arme, welche es hielten. Der Mensch, welcher sich da oben befand, wollte auf sie zielen, auf sie schießen. Sie befanden sich in der größten, unmittelbarsten Todesgefahr. Die Worte, welche sie mir jubelnd herabgerufen hatten, gehörten der Sprache der Mimbrenjos an, welche mir, da der Apatschenhäuptling Winnetou in derselben mein Lehrmeister gewesen war, ziemlich geläufig zu Gebote stand. Darum rief ich zu ihnen hinauf:

„To sa arkonda; nina akhlai to-sikis-ta – drückt euch an die Felswand; über euch ist ein Feind!“

Sie gehorchten augenblicklich meinem Rufe und zogen sich so nahe an den Felsen zurück, daß ich sie von hier unten nicht mehr zu sehen vermochte. Der Mann da oben schien sie mit seinen Augen auch nicht mehr erreichen zu können; aber er gab seine Absicht doch nicht auf, sondern er verschwand nur für einen Augenblick und erschien an einer andern Stelle, welche kanzelähnlich weiter vorwärts lag und von welcher aus er, wie mir schien, sie doch zu sehen und mit seinen Kugeln zu treffen vermochte. Es galt, drei Menschen zu retten. Dies konnte nicht geschehen, wenn ich diesen einen schonte. Es war ein schwerer Schuß in diese Höhe hinauf. Der Stutzen reichte nicht soweit. Und traf meine erste Kugel nicht, so fand der Mann Zeit, seine Absicht auszuführen. Mein Pferd stand nicht ruhig. Ich sprang also aus dem Sattel, warf den Stutzen weg und nahm den Bärentöter vor. Eben als ich den Lauf desselben erhob, richtete der Mann den seinigen nach unten. Ein kurzes aber festes Zielen – ich drückte ab. Der Schuß krachte und hallte von den Thalwänden wider. Das alte, schwere Gewehr hatte hier eine wahre Böllerstimme. Der Körper des Mannes lag oben auf der Felsenhöhe; ich hatte nur seinen Kopf und seine Vorderarme sehen können, und auch das nicht deutlich, der großen Entfernung wegen. Es war mir, als ob der Kopf nach meinem Schusse zur Seite zucke, aber er zog sich nicht zurück, und die Arme hielten das Gewehr nach unten gerichtet. Ich schickte also eine zweite Kugel hinauf. Der Mann verschwand noch immer nicht: aber er schoß auch nicht. Darum lud ich schnell wieder. Dabei sah ich, daß meine drei Schützlinge wieder nach vorn traten, und der eine Knabe rief mir zu:

„Schießt nicht mehr; er ist tot. Wir kommen zu dir hinab.“

Es kommt vor, daß man nach einer Schlacht die Leichen von Soldaten genau in derselben Stellung findet, in welcher sie von den Geschossen getroffen worden sind. Sollte diese augenblickliche Erstarrung auch hier eingetreten sein? Ich sah die drei herunterklettern, ging auf sie zu und traf am Fuße des Felsens mit ihnen zusammen. Die Frau war eine noch junge und nach indianischen Begriffen sehr schöne Squaw. Die Knaben schätzte ich den einen auf fünfzehn und den andern auf siebzehn Jahre. Ihre Anzüge zeigten, daß sie längere Zeit unterwegs gewesen waren. Ich reichte allen dreien die Hand und fragte, da es bei den Indianern Sitte ist, sich bei solchen Veranlassungen lieber an einen Knaben, als an ein Weib zu wenden, den ältesten:

„Kanntest du eure Feinde?“

„Das Bleichgesicht nicht, aber die beiden roten Männer. Der Alte war Vete-Ya, der Häuptling der Yuma, und der andere Gaty-ya, sein Sohn.

Da ich trotz ihrer Jugend nicht so unhöflich sein wollte, sie, die vielleicht noch gar keine Namen hatten, nach ihren Verhältnissen zu fragen, so erkundigte ich mich zunächst:

„Ich kenne weder den großen noch den kleinen Mund, und habe nie von ihnen gehört. Welchen Grund hatten diese roten Männer, euch töten zu wollen?“

„Sie kamen vor vielen Monden, unsern Stamm zu überfallen und zu berauben, obgleich wir mit dem ihrigen in Frieden lebten. Wir erfuhren es zu rechter Zeit und besiegten die Yuma. Dabei wurde der Häuptling gefangen genommen. Nalgu Mokaschi, dessen Söhne wir sind, schlug ihm den Kampf der Ehre vor und besiegte ihn in demselben. Anstatt ihn darauf zu töten, ließ er ihn laufen. Das ist eine große Schande, weil es ein Beweis der Geringschätzung ist, was du wohl nicht wissen wirst, weil du ein Bleichgesicht bist.“

„Ich weiß es, denn ich kenne die Sitten und Gewohnheiten der roten Männer sehr genau. Ich habe viele Sommer und Winter mit den tapfersten Stämmen verkehrt, und auch mit dem starken Büffel, eurem Vater, die Friedenspfeife getrunken.“

„So kannst du kein gewöhnliches Bleichgesicht sein und mußt einen großen Namen haben, denn unser Vater ist ein tapferer Krieger und pflegt nur mit berühmten Männern das Calumet zu trinken.“

„Ihr werdet meinen Namen erfahren. Jetzt erzähle mir zunächst weiter, wie ihr hier mit den beiden Yumas und dem weißen Manne zusammengetroffen seid!“

„Diese Squaw ist unsere Schilla. Als sie noch Mädchen war, kam ein Häuptling der Opata, um sie zur Frau zu begehren. Der Vater erlaubte es ihr, ihm zu folgen. Wir beide sehnten uns nach ihr und machten uns auf, sie zu besuchen. Wir waren zwei Monde bei den Opata, und als wir wieder gingen, begleitete sie uns, um den Vater zu sehen.“

„Das war unvorsichtig!“

„Verzeihe! Wir leben mit allen Stämmen in Frieden; eine Schar von Opatas begleitete uns eine große Strecke, und als sie uns verließen, waren wir und sie überzeugt, daß nun an eine Gefahr nicht mehr gedacht werden könne. Die Yuma wohnen weit von hier, und wir konnten nicht ahnen, daß ihr Häuptling sich hier in der Gegend befindet. An Squaws und Knaben zieht jeder ehrliche Krieger vorüber. Der große Mund aber erkannte uns und schoß auf uns. Wir sind noch keine Krieger und haben noch keine Namen. Wir hatten nur Pfeile bei uns und konnten uns nicht wehren. Darum sprangen wir schnell von den Pferden und flüchteten uns auf den Felsen. Wir konnten uns hinter demselben verstecken, und wenn die Feinde es gewagt hätten, uns nachzuklettern, hätten wir sie mit unseren Pfeilen getötet. Dennoch wären wir verloren gewesen, wenn du uns nicht gerettet hättest; denn als der große Mund sah, daß wir vor ihren Kugeln sicher waren, sandte er den kleinen Mund, seinen Sohn, auf einem Umwege noch höher als wir zu steigen und uns von oben herab zu erschießen!“

„Und der Weiße schoß auch?“

„Ja, obwohl wir ihn nicht kannten und ihm nie etwas zuleid gethan hatten. Er gab sogar dem kleinen Mund sein Gewehr mit, weil dasselbe zwei Läufe hatte und wir mit demselben leichter und schneller getötet werden konnten. Er wird dafür sterben müssen, sobald er mir begegnet; ich habe mir sein Gesicht genau betrachtet.“

Er zog bei diesen Worten sein Messer und machte mit demselben eine Bewegung, als ob er jemandem das Herz durchbohre. Ich sah, daß es dem Knaben Ernst mit dieser Drohung war. Dabei dachte ich an die beiden Worte, welche der große Mund ausgerufen hatte, als meine Kugel seine Hand traf. Darum fragte ich:

„Ist dir vielleicht die Sprache der Yuma bekannt?“

„Wir kennen sehr viele Worte aus derselben.“

„So kannst du mir vielleicht sagen, was die Worte Tave-schala bedeuten?“

„Das weiß ich sehr wohl. Sie bedeuten die zerschmetternde Hand. Das ist der Name eines großen weißen Jägers, welcher Freund des berühmten Apatschenhäuptlings Winnetou ist. Er wird von den Bleichgesichtern Old Shatterhand genannt, und unser Vater hat einmal an seiner Seite gegen die Comantschen gekämpft und mit ihm das Calumet des Friedens und der ewigen Freundschaft getrunken. Wo hast du diese beiden Worte gehört?“

„Der große Mund rief sie aus, als ich ihm vorhin mit meiner Kugel die Hand zerschmetterte.“

„Da hast du so gethan, wie Old Shatterhand zu handeln pflegt. Er tötet keinen Feind, den er durch eine Verwundung unschädlich machen kann. Seine Kugeln gehen niemals fehl. Er sendet sie entweder aus einem Schosch-sesteh , den nur ein sehr starker Mann zu handhaben vermag, oder aus einem kurzen Gewehre, welches soviele Kugeln hat, daß er mit demselben ohne Ende zu schie – –“

Er hielt mitten im Worte inne, betrachtete mich von oben bis unten und rief dann, zu seinen Geschwistern gewendet, aus:

„Uff! Meine Augen sind blind gewesen! Dieser weiße Krieger hatte auf so weite Entfernung unsern Feind getroffen. Seht das schwere Gewehr in seiner Hand! Dort, wo er vorhin stand, liegt sein zweites Gewehr, mit welchem er die Hand des großen Mundes zerschmetterte. Dieser Häuptling hat ihn Tave-schala genannt. Mein jüngerer Bruder und meine ältere Schwester, tretet in Ehrfurcht zurück, denn wir stehen vor dem großen, weißen Krieger, von welchem unser Vater, der doch ein großer Held ist, gesagt hat, daß er nicht mit ihm verglichen werden könne!“

Das war eine indianische Redensart, eine Übertreibung, mit welcher der Knabe es allerdings aufrichtig meinte. Die drei wichen zurück und verneigten sich tief vor mir; ich aber reichte ihnen abermals die Hand und sagte:

„Ja, ich bin derjenige, den man Old Shatterhand nennt. Ihr seid die Kinder meines tapfern und berühmten Freundes, und mein Herz ist erfreut darüber, daß ich zur rechten Zeit kam, euern Todfeind von hier zu vertreiben. Seine rechte Hand ist zerschmettert, und er wird den Tomahawk des Krieges nie wieder in derselben führen können. Ihr sollt ein Andenken an den Tag haben, an welchem ihr ihn als feigen Flüchtling davonreiten sahet. Kommt mit hin zu den Pferden!“

Sie folgten mir zu der Stelle, an welcher mein Pferd stand, in seiner Nähe noch dasjenige des kleinen Mundes. Da lag mein Henrystutzen, den ich weggeworfen hatte, und da lagen auch die beiden einläufigen Gewehre und die Pistole. Ich sah, daß meine Stutzenkugel erst durch den Griff der letzteren und dann in die Faust des Roten gedrungen war, also matt; sie hatte infolgedessen eine viel bösere Wunde gerissen, als wenn sie die Hand scharf und glatt durchschlagen hätte. Die beiden Einläufer hatten den Indianern gehört. Der Weiße hatte seinen Zweiläufer nur für kurze Zeit zu dem bereits angegebenen Zweck an den kleinen Mund abgegeben und dafür die einläufige Flinte behalten. Die Beute gehörte natürlich mir. Ich schenkte jedem der Knaben eine der Flinten und dem älteren die Pistole dazu. Sie waren jedenfalls entzückt darüber, denn ein Indianerknabe bekommt sonst kein Feuergewehr, nahmen sie aber schweigend entgegen, da ein Roter nicht nur den Schmerz, sondern auch die Freude zu beherrschen wissen muß.

Das Pferd des kleinen Mundes war ein schönes Tier; ich schenkte es der jungen Squaw, welche sich an den Männersattel nicht zu kehren brauchte, weil die Indianerfrauen wie die Männer zu Pferde sitzen.

Nun ging es zu den drei erschossenen Pferden, welche, wie schon erwähnt, nahe am Felsen lagen. Die Angreifer hatten sich nicht nach dieser Stelle getraut, da sie hier von den Pfeilen der Knaben erreicht worden wären. Aus diesem Grunde fehlte nichts von dem, was die Pferde getragen hatten. Es waren Geschenke an die Knaben von ihrem Schwager und auch solche, welche die Squaw für ihren Vater mitgenommen hatte. Die Gegenstände mußten ebenso wie Sattel- und Zaumzeug mitgenommen werden.

Nun wollte ich nach der Höhe des Felsens, um nach dem kleinen Mund zu sehen. Die Knaben baten mich, mitgehen zu dürfen; die Squaw blieb als Wächterin unten im Thale. Wir fanden mit Leichtigkeit die Spuren des Häuptlingssohnes, also den Weg, den er gegangen war. Als wir oben ankamen, bot sich uns ein schauerlich interessanter Anblick. Der Tote lag lang ausgestreckt auf dem Bauche; sein Kopf ragte über die Kante des Felsens hinaus; seine beiden Arme hingen bis an die Ellbogen über dieselbe hinab, und die Hände hielten das Doppelgewehr so fest, daß es nicht hatte hinabfallen können. Ich bog mich vor, um mich zunächst des Gewehres zu versichern, und zog dann die Leiche von der Felsenkante zurück.

„Uff, uff!“ riefen da die beiden Knaben, indem sie nach dem Kopfe des Erschossenen deuteten. Meine Kugeln waren dem Manne beide durch den Kopf gegangen, ein Zufall, welcher bei dieser Höhe und Entfernung gar nicht günstiger hätte sein können, jedenfalls aber später an allen Lagerfeuern als eines meiner Wunderwerke ausposaunt wurde.

Was der Tote bei sich trug, durften die Knaben für sich nehmen. Die Leiche ließen wir liegen. Dann stiegen wir wieder hinab. Wir hatten beiderseits keinen Grund, uns länger in dieser Gegend aufzuhalten, zumal zu erwarten stand, daß die beiden Flüchtlinge wiederkehren würden, um nach dem kleinen Mund zu suchen.

Der große Mund hatte sehr wahrscheinlich angenommen, daß sein Sohn mich von oben sehen und sich schnell in Sicherheit bringen werde. Er wartete jedenfalls irgendwo auf ihn. Kam der Sohn nicht, so kehrte der Vater zurück, fand die Leiche, und ich konnte mich dann darauf gefaßt machen, einen unerbittlichen Todfeind hinter mir her zu haben.

Natürlich hätte ich gar zu gern gewußt, wer der weiße Gefährte des großen Mundes war. Das Doppelgewehr war das Eigentum dieses Mannes gewesen. Ich betrachtete es also genau und fand zwei Buchstaben, nämlich ein R und ein W in den unteren Teil des Kolbens eingeschnitten. R war wohl der Anfangsbuchstabe des Vor- und W derjenige des Familiennamens. Ich mußte sofort an den Namen Weller denken. Weller hieß ja der Vater des Kajütenwärters. Dieser Mann war vorgestern abend mit einem Indianerhäuptling bei dem Mormonen Melton gewesen. Das stimmte ja ganz außerordentlich! Gar kein Zweifel, der große Mund war jener Häuptling, und der Weiße, den ich vorhin mit in die Flucht getrieben hatte, war der vorgestrige Unbekannte, welcher den Mormonen mit „Bruder“ angeredet hatte. Jedenfalls war der kleine Mund auch mit dabei gewesen. Daß ich heute und hier auf sie gestoßen war, konnte mich nicht wundern, denn das Thal lag in der Richtung nach der Hazienda del Arroyo, welcher jawohl der Anschlag galt, den man vorgestern abend abgekartet hatte. Traf ich mit diesen Gedanken das richtige, so war weiter zu folgern, daß sich eine Schar von Yumas in der Nähe befand, welche die beiden Flüchtlinge aufsuchen und herbeiholen würde. Es galt also, das Thal ohne weiteren Aufenthalt zu verlassen, um baldigst nach der Hazienda zu gelangen.

Die letztere lag eigentlich nicht genau in der Richtung, welche die drei roten Geschwister einzuhalten hatten; sie entschlossen sich jedoch leicht zu diesem Abstecher, da sie hofften, dort Ersatz für die zwei nun fehlenden Pferde zu finden. Die Squaw bestieg das Pferd, welches ich erbeutet und ihr geschenkt hatte, und ich das meinige. Die Knaben mußten gehen. Gern hätte ich ihnen mein Tier abgetreten und wäre gelaufen, wenn sich das mit „Old Shatterhands“ Würde hätte vereinbaren lassen. Auch wäre es ihnen nicht im Traume eingefallen, ein solches Anerbieten anzunehmen. Übrigens waren die zwei Pferde ziemlich bepackt, da sie außer uns auch die bereits oben erwähnten Gegenstände tragen mußten.

Ich ritt voran; die drei folgten mir in einiger Entfernung. Es wäre mir nicht unangenehm gewesen, mich mit ihnen unterhalten zu können; aber ein Krieger meines Schlages durfte unmöglich mit einer Squaw und zwei Knaben plaudern! Der ganze Stamm der Mimbrenjo-Apatschen, dem sie angehörten, hätte darüber sämtliche Hände über sämtliche Köpfe zusammengeschlagen.

Wenn man mir in Ures gesagt hatte, daß es von dort aus bis zur Hazienda eine gute Tagereise sei, so war dabei wohl die Absicht, mir das Herz nicht schwer zu machen, maßgebend gewesen. Der Mittag kam und ging vorüber, und erst am Nachmittage sah ich die bewaldeten Berge vor mir liegen, welche man mir beschrieben hatte. Die Kühle, welche unter den Bäumen herrschte, that uns unendlich wohl nach der glühenden Hitze, in welcher wir seit Vormittag förmlich geschmort hatten. Die Beschreibung des Weges, nach welcher ich mich richtete, ließ mich keinen Augenblick im Stiche, nur daß die Zeit viel zu kurz angegeben gewesen war. Wir erreichten zwei Stunden vor Abend den kleinen See, in welchen der Arroyo mündete. Da sah ich wieder einmal, was Indianer auszuhalten vermögen. Die beiden Knaben waren nicht ein einziges Mal hinter mir zurückgeblieben, und nichts ließ vermuten, daß sie durch die weite Fußtour angegriffen seien. Ich wäre wohl gern am Bache abgestiegen, um einen kühlen Trunk zu thun, wenn ich mich nicht hätte vor ihnen schämen müssen, die keinen Blick für die glitzernden Wellen und kein Ohr für das liebe Rauschen derselben zu haben schienen.

Der See lag am untern Ende eines dichtbewaldeten Thales, welches sich weiter aufwärts ansehnlich verbreiterte, bis man wohl eine halbe Stunde zu gehen hatte, um von einer Seite nach der andern zu kommen. Hüben und drüben vom Walde eingefaßt, bildete es eine saftig grüne Wiese, deren Gras- und Blumenteppich oft durch blühendes Buschwerk unterbrochen wurde. Hier weideten zahlreiche Rinder und Pferde, welche von berittenen und unberittenen Hirten bewacht wurden, doch sah man gleich mit dem ersten Blicke, daß dieser Leute nicht genug vorhanden waren. Sie kamen herbei, uns freundlich zu begrüßen, und ich erfuhr von ihnen, daß Melton mit seiner Arbeiterkarawane noch nicht angekommen sei. Meine frühere Ankunft war übrigens gar kein Wunder, da der Marsch des Mormonen wegen der schweren Wagen nur ein langsamer sein konnte.

Weiter oben hörten die Weiden auf, um Feldern Platz zu machen. Ich sah Baumwolle und Zuckerrohr in langen, breiten Pflegen stehen. Dazwischen gab es Indigo, Kaffee, Mais und Weizen, doch das alles in einem Zustande, welcher erkennen ließ, daß es an Arbeitshänden mangelte. Dann kam ein großer Garten, in welchem alle Obstbäume Europas und Amerikas vertreten waren, aber ein sehr verwildertes Aussehen hatten, so daß es einem fast wehe thun mochte. Und als wir an diesem Garten vorüber waren, sahen wir endlich die Gebäude der Hazienda vor uns liegen.

Die größeren Hazienden und Estanzien sind in jenen Gegenden wegen der Unsicherheit der dortigen Verhältnisse meist festungs- oder fortähnlich angelegt. Wo es genug Steine giebt, umschirmt man die Wohnungen mit einer Mauer, welche etwaige Angreifer nicht zu übersteigen vermögen. Ist dieses Material nicht vorhanden, so legt man dicke und dichte Zäune von Kakteen und anderen Stachelpflanzen an, welche man so hoch wie möglich wachsen läßt und gewöhnlich auch für ihren Zweck erfüllend hält. Ein intelligenter Angreifer aber wird einen solchen Zaun keineswegs für ein unbesiegbares Hindernis ansehen.

Die Hazienda del Arroyo lag im Gebirge; es waren also so viele Steine vorhanden, daß ich mich eigentlich eines falschen Ausdruckes bedient habe, als ich sagte, wir hätten die Gebäude der Hazienda vor uns liegen sehen. In Wirklichkeit sahen wir nur das platte Dach des Hauptgebäudes, während alles andere hinter einer Mauer verborgen lag, welche eine Höhe von wenigstens 5 Meter hatte. Sie schloß ein großes, regelrechtes Viereck ein, dessen Seiten genau nach den vier Himmelsrichtungen lagen. Dieses Viereck wurde von dem Bache in der Weise durchflossen, daß er unter der nördlichen Mauer hereintrat und die Hazienda unter der südlichen wieder verließ. Wie ich später sah, stand das aus dem Parterre und einem Stockwerke bestehende Hauptgebäude ziemlich in der Mitte hart an dem Bache, über welchen nach Westen hin, wo sich das große Thor in der Mauer befand, eine Brücke führte. Außerdem gab es innerhalb der Mauer kleinere Häuschen, in denen die jetzigen Bediensteten wohnten und die zu erwartenden Arbeiter untergebracht werden sollten, ein niedriges, langgestrecktes Magazin zur Aufnahme der Feld- und Gartenfrüchte und mehrere offene Schuppen, welche nur aus hölzernen Säulen und den auf denselben ruhenden Dächern bestanden, unter denen die gefährdeten Tiere bei einem etwaigen Überfalle innerhalb der Mauern untergebracht werden sollten. Das große Thor bestand aus sehr starkem Holze und war innen und außen mit Eisenblech beschlagen.

Da wir von Süden kamen, mußten wir um die südwestliche Ecke des Mauerquadrates biegen und der westlichen Seite entlang reiten, bis wir an das Thor gelangten. Die beiden Flügel desselben standen offen, so daß uns nichts hinderte, in den Hof zu gelangen. Derselbe machte trotz der Gebäude, welche dastanden, den Eindruck der Einsamkeit, der Leere. Es gab eben auf der Hazienda nicht so viel Personen, wie eigentlich notwendig waren. Unsere Augen trafen keinen Menschen.

Wir stiegen ab. Ich gab mein Pferd dem einen Indianerknaben zum halten und wendete mich nach der Brücke, um in das Herrenhaus zu gehen. Eben als ich die Brücke überschritt, wurde die Hausthüre geöffnet und in derselben erschien ein Mann, dessen aufgedunsenes, blatternarbiges Gesicht keinen angenehmen Eindruck auf mich machte. Ich besitze gar kein Vorurteil gegen Blatternarben; sie gereichen dem Gesicht nicht zur Zierde, das ist wahr, aber der beste Mensch kann an den Blattern erkrankt gewesen sein. Hier jedoch bildeten die Narben den letzten Ton im vielstimmigen Mißakkorde. Das Gesicht wäre auch ohne sie abstoßend gewesen. Der Mann sah mich von oben her an und rief mir zu:

„Bleib‘ stehen! Über die Brücke dürfen nur Caballeros. Was willst du hier?“

Ich ging trotz dieser Worte weiter. Als ich die Brücke hinter mir hatte und nun vor ihm stand, antwortete ich:

„Ist Sennor Timoteo Pruchillo daheim?“

„Sennor! Er wird Don genannt. Das magst du dir merken. Den Titel Sennor führe ich. Ich bin nämlich Sennor Adolfo, der Major domo dieser Hazienda. Es ist mir alles unterthan.“

„Auch der Haziendero?“

Er wußte nicht gleich, wie er antworten sollte, warf mir einen vernichtend sein sollenden Blick zu und sagte:

„Ich bin seine rechte Hand, der Ausfluß seiner Gedanken und die Verkörperung seiner Wünsche. Also er ist Don und ich bin Sennor. Verstanden?“

Ich gestehe, daß ich große Lust verspürte, grob zu werden; aber die Rücksicht auf die Verhältnisse und meine alte Gutmütigkeit veranlaßten mich zu den im höflichsten Tone gesprochenen Worten:

„Ganz wie Sie befehlen, Sennor. Wollen Sie also die Güte haben, mir mitzuteilen, ob Don Timoteo zu Hause ist?“

„Er ist da!“

„Und also wohl auch zu sprechen?“

„Nein; für solche Leute nicht. Wenn du eine Bitte hast, so bin ich allein der Mann, dem du sie vorzutragen hast. Sage mir also endlich, was du willst.“

„Ich bitte für diese Nacht um ein Obdach für mich und die drei indianischen Geschwister, mit denen ich gekommen bin.“

„Obdach? Wohl gar auch Essen und Trinken? Das fehlte noch! Da draußen, jenseits der Grenzen der Hazienda, giebt es Platz genug für solches Gesindel; macht euch schleunigst fort, und zwar nicht nur aus den Mauern hinaus, sondern auch über unsere Grenze hinüber! Ich werde einem Hirten befehlen, euch zu folgen und euch augenblicklich niederzuschießen, wenn ihr Miene macht, euch diese Nacht innerhalb unserer Besitzung aufzuhalten!“

„Das ist hart, Sennor! Bedenken Sie, daß in wenigen Minuten der Abend hereinbrechen wird und wir dann – –“

„Schweig!“ unterbrach er mich. „Du bist zwar ein Weißer, aber man sieht dir doch augenblicklich an, welch ein Subjekt du bist. Und nun gar die Roten! Unsere Hazienda ist keine Herberge für Räuberbanden!“

„Gut, ich gehe, Sennor. Ich habe noch gar nicht gewußt, daß ich so ein Spitzbubengesicht besitze, und Sennor Melton, welcher mir die Stelle des Tenedor de libros auf dieser Hazienda zugesagt hat, ist wohl schwerlich der Meinung gewesen, daß dieses Engagement für Sie so gefährlich ist.“

Ich drehte mich um und schritt langsam über die Brücke zurück. Da rief er mir nach:

„Sennor Melton? Tenedor de libros! Um des Himmels willen, wo wollen Sie denn hin? Bleiben Sie doch! Kommen Sie – kommen Sie!“

Und als ich dieser Aufforderung nicht Folge leistete, sondern weiter ging, kam er mir nachgesprungen, ergriff meinen Arm, hielt mich fest und versicherte mir:

„Wenn Sennor Melton Sie schickt, so darf ich Sie nicht fortlassen. Sie geben wohl zu, daß ihr Anzug kein Vertrauen erwecken kann, und wenn Sie sich nur einmal genau im Spiegel betrachten wollten, so würden Sie unbedingt einsehen, daß Ihr Gesicht sehr verschieden von demjenigen eines ehrlichen Menschen ist; doch Kleider sind zuweilen nicht maßgebend, und es mag ja auch einmal vorkommen, daß ein Mann mit einem Diebesgesicht noch nicht gestohlen hat. Und wenn dazu noch der Umstand kommt, daß Sie von Sennor Melton geschickt worden sind, so stellt es sich möglicherweise doch noch heraus, daß Sie eine Person sind, vor welcher man sich nicht zu hüten braucht. Also bleiben Sie, bleiben Sie!“

Was sollte ich von diesem Major domo denken? War er närrisch? Hatte er, wie man sich auszudrücken pflegt, einen Klapps? Es widerstand mir, dies anzunehmen. Der Ausdruck seines Gesichtes war ein so verschlagener und der Blick seiner kleinen Augen ein so tückisch-listiger, daß es sich nicht bloß um eine kleine, unschädliche Manie handeln konnte. Dennoch machte ich keine Bemerkung darüber, daß er mich Du genannt hatte und jede seiner Bemerkungen eine Beleidigung für mich sein mußte, und fragte so höflich wie bisher:

„Erstreckt sich Ihre Einladung auch mit auf meine Begleiter?“

„Diese Frage kann ich noch nicht beantworten, da ich mich vorher bei Don Timoteo erkundigen muß.“

„Ich denke, dessen bedarf es nicht, da nach Ihren eigenen Worten nur Sie es sind, an den man sich in dieser Angelegenheit zu wenden hat!“

„Ja, wenn es sich um eine Abweisung handelt, und ich habe Sie ja abgewiesen. Nun ich Sie aber aufgefordert habe, zu bleiben, und Sie verlangen, daß wir auch die Roten hier behalten, muß ich doch vorher mit Don Timoteo sprechen. Warten Sie hier! Ich werde Ihnen in kurzer Zeit Bescheid sagen.“

Da ich mit ihm wieder zurückgegangen war, befanden wir uns jetzt vor der Thüre. Er wollte eintreten, und ich sollte außerhalb auf ihn warten. Da schüttelte ich denn doch mit dem Kopfe und entgegnete ihm:

„Ich gehöre nicht zu einer Gesellschaftsklasse, deren Angehörige man vor den Thüren herumlungern läßt. Ich gehe mit Ihnen hinein, und Sie werden mich sogar vorantreten lassen.“

Bei diesen Worten schritt ich durch die Thüre, und er folgte hintendrein, ohne ein Wort zu sagen. Als ich mich dann nach ihm umblickte, sah ich, daß auf seinem Gesichte der Zorn mit der Verblüfftheit kämpfte. Er winkte nach einer Thüre und verschwand hinter derselben, während ich vor derselben stehen blieb. Nach kurzer Zeit kam er heraus und gab mir durch eine Handbewegung zu verstehen, daß ich eintreten solle.

Der Flur des Hauses war niedrig, aber breit. Die Thüren, welche ich zu beiden Seiten desselben sah, waren aus glattgehobelten Brettern zusammengefügt und nicht mit einem Farbenanstriche versehen, einfache Stallthüren nach unsern Begriffen. Ganz dieselbe Einfachheit wies das Zimmer auf, in welchem ich mich nun befand. Es hatte zwei sehr kleine Fenster mit schmutzigen, halb erblindeten Scheiben, die einzigen Glastafeln, welche es im Hause gab. An der einen Wand stand ein gefirnißter Tisch. Drei rohe Stühle, welche sicherlich kein Kunsttischler zusammengefügt hatte, leisteten ihm Gesellschaft. In einer Ecke hing eine Hängematte. Drei der mit Kalk getünchten Wände waren vollständig kahl; an der vierten hingen verschiedene Waffen. Viel weniger anspruchslos war das Äußere des Mannes, welcher sich bei meinem Eintritte von einem der Stühle erhob, um mich aus seinen dunklen Augen halb erstaunt und halb neugierig zu betrachten. Er war so elegant gekleidet, daß er nur zu Pferde zu steigen brauchte, um sich auf einem der berühmten Spaziergänge der Hauptstadt Mexiko bewundern lassen zu können.

Sein Anzug bestand aus dunklem Sammet und war an allen Nähten mit goldenen Borten und Schnüren verbrämt. Sein Gürtel war durchweg aus breiten, silbernen Ringen zusammengesetzt und trug ein Messer und zwei mexikanische Pistolen, deren Griffe eine teure, eingelegte Arbeit zeigten. Der breitkrämpige Hut, welcher auf dem Tische lag, war aus den feinsten Carludovica palmata-Blättern gefertigt und von so künstlichem Geflechte, daß er sicherlich nicht unter fünfhundert Mark gekostet hatte, und die beiden Sporen an den Füßen des Haziendero trugen Räder, welche aus nordamerikanischen goldenen Zwanzigdollarstücken gezahnt worden waren.

Einer solchen eleganten Erscheinung gegenüber mußte ich allerdings wie ein Vagabund aussehen. Darum wunderte ich mich auch gar nicht, als der Haziendero sich mit der wohlgepflegten Hand den tiefschwarzen Vollbart strich, die Brauen zusammenzog und dann, nicht wie zu mir, sondern zu sich selbst, im Tone der Verwunderung sagte:

„Man meldet mir einen Tenedor de libros, und wer kommt da herein? Ein Mensch, der – –“

„Der ganz wohl im stande ist, die Stelle eines Tenedor de libros auszufüllen, Don Timoteo,“ unterbrach ich ihn.

Sein aufgedunsener „Sennor Adolfo“ draußen hatte grob sein können, ohne mich dadurch zu beleidigen; aber von dem Besitzer selber durfte ich keine Unhöflichkeit dulden. Darum fiel ich ihm mit diesen nachdrucksvoll betonten Worten in die Rede. Er warf in scherzhaftem Schreck den Kopf zurück, musterte mich noch einmal und meinte dann mit einem Lächeln der Belustigung:

„Ah, man ist empfindlich. Wer und was ist man denn eigentlich?“

Er redete mich mit dem unbestimmten Fürworte „man“ an. Sollte ich mich da beleidigt zeigen? Er sah nicht wie ein Geldprotz, sondern viel eher wie ein jovialer, gut situierter Caballero aus, welcher geneigt ist, sich mit einer gewöhnlichen Person ein wenig die Zeit zu vertreiben.

„Man ist vieles, wovon Sie keine Ahnung haben, Don Timoteo,“ antwortete ich mit genau demselben Lächeln, welches er mir gezeigt hatte, „und man kann so ein bedeutender und wichtiger Mann für Sie werden, daß Sie alle Ursache haben, sich dazu, daß man zu Ihnen gekommen ist, Glück zu wünschen.“

„Cielo!“ lachte er jetzt laut. „Kommt man etwa, mir anzuzeigen, daß ich als Beherrscher von ganz Mexiko ausgerufen worden bin?“

„Ganz das Gegenteil. Ich komme, Ihnen zu sagen, daß Sie in kurzer Zeit höchst wahrscheinlich nicht mehr der Beherrscher Ihrer kleinen Hazienda sein werden.“

„Schön!“ lachte er noch immerfort, indem er sich wieder niedersetzte und auf den zweiten Stuhl deutete. „Man setze sich! Aus welchem Grunde wollen meine paar Unterthanen mich vom Throne stoßen?“

„Davon später. Lesen Sie zunächst einmal dieses!“

Ich reichte ihm aus meiner Brieftasche die Legitimationskarte, welche ich mir von dem mexikanischen Konsul in San Franzisco hatte ausstellen lassen. Als er sie gelesen hatte und mir zurückgab, war der humoristische Ausdruck seines Gesichtes verschwunden.

„Ich habe natürlich anzunehmen, daß Sie der rechtmäßige Besitzer dieser Legitimation sind?“ fragte er.

„Natürlich! Vergleichen Sie gefälligst meine Person mit dem Signalement!“

„Habe schon gesehen, daß es stimmt, Sennor. Aber was führt Sie zu mir? Warum lassen Sie sich als meinen Tenedor de libros anmelden?“

„Weil Melton mir diese Stelle zugesichert hat.“

„Davon weiß ich nichts. Ich brauche ja gar keinen Buchhalter, Die wenigen Tropfen Tinte, welche es hier auf meiner Hazienda zu verschreiben giebt, verwüste ich mit meiner eigenen Feder und mit meiner eigenen Hand.“

„Das habe ich mir allerdings gedacht!“

„Und dennoch sind Sie gekommen?“

„Dennoch, und zwar mit gutem Grunde. Es ist ein so wichtiger, daß ich Sie bitten muß, Sie hinsichtlich dessen, was ich Ihnen mitteilen werde, um Ihre Verschwiegenheit zu ersuchen.“

„Das klingt ja ganz geheimnisvoll! Ganz so, als ob eine Gefahr für mich vorhanden wäre!“

„Ich bin allerdings überzeugt, daß so etwas im Anzuge ist.“

„Dann sprechen Sie, bitte, schnell!“

„Zunächst Ihr Wort, daß von dem, was ich Ihnen mitteilen werde, wenigstens für die nächste Zeit kein Dritter etwas erfährt!“

„Ich gebe es Ihnen. Ich werde schweigen. Nun reden Sie!“

„Melton ist von Ihnen beauftragt, Ihnen deutsche Arbeiter zuzuführen?“

„Ja.“

„Wer hat diese Angelegenheit eingeleitet, das heißt, von Anfang an betrieben? Sie selbst oder er?“

„Er. Er hat mich auf die großen Vorteile aufmerksam gemacht, welche mir aus einem Engagement von deutschen Auswanderern erstehen würden, und da er sich zu gleicher Zeit anbot, alles zu besorgen, so habe ich ihm meine Vollmacht erteilt.“

„Kannten Sie ihn so genau, daß Sie das thun konnten?“

„Ja. Warum diese Frage?“

„Weil ich wissen möchte, ob Sie ihn für einen ehrlichen Mann halten.“

„Natürlich halte ich ihn dafür. Er ist ein Ehrenmann durch und durch und hat mir schon bedeutende Dienste erwiesen.“

„So kennen Sie ihn schon längere Zeit?“

„Seit Jahren. Er wurde mir von einer Seite empfohlen, wo jedes Wort für mich von Gewicht ist, und hat bis heute mein vollstes Vertrauen besessen. Sie scheinen ihn anders zu beurteilen?“

„Ganz anders!“

„Wahrscheinlich hat er Sie auf irgend eine Weise beleidigt, so daß Sie nun ein Vorurteil gegen ihn hegen.“

„Nein. Er ist im Gegenteile sehr zuvorkommend, sehr freundlich gegen mich gewesen. Lassen Sie sich erzählen!“

Er machte es sich auf seinem Stuhle mit dem Ausdrucke der größten Spannung bequem, und ich teilte ihm mit, was ich in und seit Guaymas erlebt, beobachtet und aus diesen Erlebnissen und Beobachtungen geschlossen hatte. Er hörte mir zu, ohne ein Wort zu sagen, oder eine Miene zu verziehen; aber als ich geendet hatte, ging über sein Gesicht ein ganz fatal ironisches Lächeln, und er fragte, mich ungläubig von der Seite her fixierend:

„Sie erzählen mir wirkliche Thatsachen?“

„Kein einziges Wort zu viel!“

„Ich ersah aus der Karte, welche Sie mir zeigten, daß Sie Berichte für eine Zeitung zu schreiben hatten. Haben Sie vielleicht schon einmal eine Novela geschrieben?“

„Ja.“

Da sprang er auf und rief lachend aus:

„Habe es mir doch gleich gedacht! Es konnte gar nicht anders sein! So ein Autor oder Romancero erblickt überall Dinge, welche nur in seiner Phantasie existieren! Melton, der feinste, der ehrenwerteste, ja sogar der frömmste Caballero, den ich kenne, soll ein Schurke sein! Das kann allerdings nur ein Mann behaupten, welcher in Regionen lebt, von denen wir gewöhnlichen Sterblichen keine Ahnung haben. Sennor, Sie machen mir Spaß, großen und vielen Spaß!“

Er schritt im Zimmer auf und ab, rieb sich vergnügt die Hände und lachte dabei wie einer, der sich aufs köstlichste amüsiert. Ich wartete eine Pause in seinem Gelächter ab und bemerkte gleichmütig.

„Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich durch meine Erzählung so vortrefflich unterhalten fühlen, und wünsche nur, daß ihr jetziges Amüsement sich nicht später in eine bittere Enttäuschung verwandelt!“

„Keine Sorge, machen Sie sich keine Sorge um mich, Sennor! Sie sehen gefährliche Elefanten, wo es nicht die unschädlichste Mücke giebt.“

„Aber jener Weller, der Kajütenwärter?“

„Heißt Weller und ist Kajütenwärter, weiter nichts!“

„Und seine Unterredung mit dem Mormonen?“

„Haben Sie falsch gehört. Ihre Phantasie hat unbegreifliche Ohren!“

„Und sein Vater, welchen der Mormone im Gebüsch aufsuchte?“

„Existiert eben auch nur in Ihrer Einbildung. Daß er Weller senior sei, vermuten Sie ja nur!“

„Und die Anwesenheit des Indianerhäuptlings?“

„Wird sich als ein höchst einfacher und unbedenklicher Umstand oder Zufall herausstellen.“

„Dann aber meine Begegnung mit dem Häuptlinge der Yuma und dem Weißen, dessen Gewehr mit R W gezeichnet ist?“

„Geht mich nichts an, gar nichts. Es giebt tausend Namen, welche mit dem Buchstaben W beginnen. Warum muß es da gerade Weller sein! Was hatten Sie sich überhaupt in den Kampf zu mischen? Die Sache ging Sie gar nichts an. Danken Sie Gott, daß Sie so heiler Haut davongekommen sind! Ein Escriter ist nicht der Mann, mit Indianern zu kämpfen. Das soll er uns überlassen, die wir in wilder Gegend wohnen, die Roten kennen, und mit den Waffen umzugehen verstehen!“

Ich nahm an, daß der Haziendero den Namen Old Shatterhand nicht kannte, und hatte denselben darum während meiner Erzählung nicht erwähnt. Jetzt, wo ich geradezu ausgelacht wurde, fiel es mir auch nicht ein, das Unterlassene nachzuholen, denn es war zehn gegen eins zu wetten, daß er mir auch da keinen Glauben schenken würde. Er war ein körperlich schöner, geistig aber sehr gewöhnlicher Mann, dem meine ganz logischen Schlüsse als Phantastereien erschienen. Ich sah ein, daß es mir nicht gelingen werde, sein Vertrauen zu Melton zu erschüttern, und daß ihm die Richtigkeit meiner Vermutungen nicht durch Worte, sondern nur durch Ereignisse zu beweisen sei. Darum gab ich es auf, ihn zu meinen Ansichten zu bekehren und wiederholte nur meine Bitte um Verschwiegenheit, welche er, wieder unter Lachen, mit der Versicherung beantwortete:

„Was das betrifft, so brauchen Sie sich nicht bange sein zu lassen, denn ich habe keine Lust, mich zu blamieren. Sennor Melton würde mich für verrückt halten, da er unmöglich glauben könnte, daß ich eine solche Dummheit einem anderen nachsprechen würde; er müßte also annehmen, daß dieselbe in meinem eigenen Kopfe entstanden sei. Ich werde also über alles schweigen. Nur über eins muß ich noch mit Ihnen sprechen. Wie steht es mit Ihrer Anstellung als Buchhalter? Melton hat Sie Ihnen wirklich versprochen?“

„Ja.“

„Unglaublich, geradezu unglaublich! Er weiß ja ebensogut wie ich, daß ich keinen Buchhalter brauche.“

„So hat er nur die Absicht gehabt, mich mit diesem Versprechen hierher zu locken.“

„Wozu? Was sollten Sie hier?“

„Weiß ich es?“

„Da haben Sie es! Sie haben nur Behauptungen, aber kein Wissen. Ich nehme an, daß dieser Buchhalter eben auch nur in Ihrer Phantasie existiert.“

„Damit erklären Sie mich für einen verrückten Menschen, Don Timoteo!“

„Nun, für verrückt halte ich Sie nicht, aber irgend ein Rädchen geht in ihrem Kopfe schneller, als es eigentlich laufen sollte. Ich gebe Ihnen den Rat, sich in einer Heilanstalt untersuchen zu lassen, denn vielleicht ist es jetzt noch Zeit, das übrige Räderwerk zu retten.“

„Danke, Don Timoteo! Der Kopf arbeitet bei dem einen ganz naturgemäß schneller als bei dem andern, woraus die komische Situation erfolgen kann, daß dieser andere dem einen allzu große Phantasie und dieser eine dem andern allzu große Denkfaulheit vorwirft. Auf den Buchhalter verzichte ich. Es ist überhaupt von vorn herein nicht meine Absicht gewesen, auf diese Anstellung zu reflektieren.“

„Das ist mir lieb, Sennor, denn da Sie von Denkfaulheit reden, sehe ich ein, daß Sie möglichst schlecht zu mir gepaßt hätten. Wann reisen Sie wieder ab?“

„Mit Ihrer Erlaubnis morgen früh.“

„Ich gebe Ihnen diese Erlaubnis schon heute, gleich in diesem Augenblicke.“

„Das heißt, Sie weisen mich zu Ihrem Thor hinaus?“

„Nicht nur zum Thore hinaus, sondern über meine Grenze.“

„Don Timoteo, das ist eine Härte, welche allen Gepflogenheiten des Landes widerspricht!“

„Thut mir leid! Sie selbst sind schuld daran! Diese scheinbare Härte ist nichts als eine Vorsichtsmaßregel, welche Ihnen beweisen kann, daß ich denn doch nicht so denkfaul bin, wie Sie angenommen haben. Sie warnten mich vor einem Indianerüberfall, welcher nur in Ihrer Einbildung vorhanden ist; er würde nur dann, und zwar sofort, zur Wirklichkeit werden, wenn ich Sie und Ihre Begleiter bei mir behielte. Sie haben den Sohn des Häuptlings der Yuma erschossen und werden von dem Häuptling unbedingt verfolgt. Behalte ich Sie bei mir, so habe ich ihn und seinen Stamm augenblicklich auf dem Halse. Sie sehen also wohl ein, daß ich Sie fortschicken muß!“

„Wenn Sie damit meinen, daß Sie Ihren Voraussetzungen gemäß handeln, so widerspreche ich nicht und werde also gehen.“

„Wem gehört das Pferd, welches Sie ritten?“

„Melton stellte es mir in Lobos zu Verfügung.“

„So gehört es mir, und Sie werden es hier zurücklassen. Da Sie vorhin davon sprachen, daß Ihre Begleiter nur deshalb hierher gekommen sind, um sich möglicherweise beritten zu machen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen kein Pferd überlassen kann. Ich würde Ihnen auch ohne Geld, welches Sie jedenfalls nicht haben, einige Tiere geben, denn die Mimbrenjos sind ehrliche Leute und würden bald einen Boten senden, um mir die Pferde wieder zu bringen oder irgend eine Bezahlung anzubieten; aber ich darf Sie nicht unterstützen, da ich mir sonst die Yuma zu Feinden machen würde.“

„Die Vorsicht, mit welcher Sie verfahren, ist nur lobenswert, Don Timoteo. Ich habe nur noch zu fragen, wie man gehen muß, um baldigst über Ihre Grenze zu kommen.“

„Was das betrifft, so werde ich Ihnen einen Führer mitgeben, da Sie sonst durch Ihre Phantasie leicht irre geleitet werden könnten. Sie sehen, wie besorgt ich um Sie bin!“

„Vielleicht ist es mir dafür vergönnt, einmal besorgt um Sie zu sein. Ich bin ein dankbarer Mensch.“

„In diesem Falle nicht nötig. Ich verzichte auf Ihre Dankbarkeit, denn ich wüßte wirklich nicht, wie ein armer Teufel, der nicht einmal ein Pferd besitzt, mir, dem reichen Haziendero, erkenntlich sein könnte.“

Er klatschte in die Hände, worauf der Major domo so schnell erschien, daß er draußen an der Thüre stehen geblieben sein mußte, um unsere Unterhaltung zu belauschen. Als der aufgedunsene „Sennor Adolfo“ den Auftrag erhalten hatte, uns über die Grenze schaffen zu lassen und darauf zu sehen, daß mein Pferd zurückbleibe, verließ ich das Zimmer, und er kam hinter mir drein. Draußen vor der Hausthüre sagte er in hämischem Tone lachend zu mir:

„Mit dem Tenedor de libros war es also nichts! Du bist das, wofür ich dich gleich gehalten habe, ein Vaga – –“

„Und du bist der größte Schafskopf, der mir jemals vorgekommen ist,“ unterbrach ich ihn, „sollst aber für dein freundschaftliches Hablarle de tu eine Anerkennung bekommen. Hier hast du sie!“

Ich gab ihm erst auf seine linke Wange eine Ohrfeige, daß er nach rechts taumelte, und dann auf die rechte Backe eine doppelt kräftige, sodaß er nach links zu Boden stürzte. Vielleicht hätte ich das nicht gethan, aber ich sah, daß der Haziendero sein Fenster geöffnet hatte, an welchem er stand, um meinen Abzug anzusehen. Er hatte jedenfalls die Worte seines Major domo gehört und sollte meine darauf erfolgende Antwort nicht nur auch hören, sondern sogar sehen. „Sennor Adolfo“ sprang schnell wieder auf, zog sein Messer, welches dort jedermann stets im Gürtel trägt, heraus und drang auf mich ein, indem er brüllte:

„Lump, was hast du gewagt! Das sollst du büßen!“

Ich parierte seinen Stoß mit Leichtigkeit, indem ich ihm das Messer aus der Hand schlug, nahm ihn rechts und links an den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn neben der Brücke in den Bach hinab, dessen Wasser über ihm zusammenschlug. Es war aber nicht so tief, daß er ertrinken konnte. Er kam schnell wieder zum Vorschein und stieg schnaubend und pustend an das Ufer. Vielleicht hätte er mich noch einmal angegriffen, in welchem Falle er sicher wieder in das Wasser geflogen wäre, es kam aber einer dazwischen, den ich in diesem Augenblicke nicht hier zu sehen erwartet hätte.

Als ich den Major domo in das Wasser warf, hatte ich mich von dem Hause ab- und dem Bache zuwenden müssen. Dabei fiel mein Blick auf das noch offen stehende Thor, durch welches soeben Melton, der Mormone, hereingeritten kam. Er sah, was geschah, sah auch den Haziendero am offenen Fenster stehen, trieb schnell sein Pferd herbei und rief:

„Was geht hier vor? Ich glaube gar, ein Kampf! Das muß auf einem Versehen beruhen, welches ich gleich aufklären werde. Haltet also Ruhe!“

Diese letzteren Worte waren an den Major domo gerichtet; dann wendete er sich an mich:

„Wir suchten Sie vergeblich. Wie kommen Sie hierher?“

„Auf die allereinfachste Weise,“ antwortete ich. „Sie wissen, daß mein Pferd durchging, es ist mit mir bis hierher gelaufen.“

„Sonderbar! Sie werden mir später von diesem eigentümlichen Ritte zu erzählen haben!“

„Dazu giebt es keine Zeit; ich muß fort; man hat mich hinausgeworfen.“

„Und dafür machen Sie sich das Vergnügen, die Leute ein wenig ins Wasser zu werfen!“

„Allerdings. Das ist so eine Eigentümlichkeit von mir, die ich nicht wohl abzulegen vermag.“

„Ich muß erfahren, was geschehen ist, und es wird sich alles aufklären. Warten Sie nur, bis ich mit Don Timoteo gesprochen habe! Bleiben Sie noch da; ich komme bald zurück!“

Er stieg vom Pferde und ging in das Haus. Der nasse Majordomo hinkte hinter ihm drein, ohne mir das Entzücken zu gönnen, einen seiner Blicke aufzufangen.

Was sollte ich thun, bleiben oder gehen? Ich war natürlich fest entschlossen, die Hazienda zu verlassen, besaß jedoch auch Neugierde genug, zu erfahren, wie der Mormone es anfangen werde, mich hier zu halten, denn es stand bei mir fest, daß es nicht in seiner Absicht lag, in meine Entfernung zu willigen. Ich brach also nicht sofort auf, ging aber zu meinem Pferde, um das Paket, in welchem sich mein neuer Anzug befand, vom Sattel zu schnallen. Meine Gewehre hingen am Sattelknopfe. Ich nahm auch sie herab. Dabei benachrichtigte ich die beiden Knaben und die Squaw:

„Meine jungen Brüder und meine Schwester haben gesehen, daß man mich nicht freundlich empfangen hat. Der Haziendero nimmt uns nicht auf, weil er die Rache des Häuptlings der Yuma fürchtet. Wir werden also fortgehen und diese Nacht im Walde schlafen.“

„Wer ist der Reiter, welcher jetzt kam und mit Old Shatterhand gesprochen hat?“ fragte der ältere der Brüder.

„Ein Freund des großen Mundes, ein böser Mann, vor dem wir uns sehr zu hüten haben.“

Das Pferd der Squaw hatte nun die drei indianischen Sättel zu tragen. Wir schnallten oder banden sie fest und waren nun also alle vier Fußgänger geworden. Da kam der Mormone aus dem Hause und über die Brücke eilig zu uns gegangen.

„Sennor,“ meldete er, „die Angelegenheit ist geordnet. Sie werden auf der Hazienda bleiben.“

„Wieso?“

„Don Timoteo, welcher allerdings bisher keines Buchhalters bedurfte, hat, als er mit Ihnen sprach, gar nicht daran gedacht, daß er nach dem Eintreffen der vielen Arbeiter einer solchen Hilfe gar nicht entbehren kann. Kommen Sie also wieder mit herein! Er will Sie engagieren. Sie dürfen hier bleiben.“

„So? Ich darf also, darf, darf! Dieser Ausdruck ist wohl falsch. Ums Dürfen handelt es sich nicht, sondern darum, ob ich will.“

„Meinetwegen! Aber Sie werden doch gewiß wollen!“

„Nein, ich will nicht. Sie sehen, daß wir im Begriff stehen, aufzubrechen.“

„Begehen Sie keinen Fehler!“ mahnte er eifrig. „Sie kennen die hilflose Lage, in der Sie sich befinden. Hier wird Ihnen eine Zukunft geboten, welche eine glänzende genannt wer – –“

„Bitte, keine Redensarten!“ fiel ich ihm ins Wort. „Ich weiß, was ich von denselben zu halten habe.“

„Hoffentlich sind Sie überzeugt, daß ich es ehrlich meine. Bleiben Sie, so dürfen auch diese drei Personen bleiben, auf welche Sie doch wohl Rücksicht zu nehmen haben.“

„So meinen Sie, daß ich, um ihnen hier für eine einzige Nacht Unterkunft zu verschaffen, ein jahrelanges Engagement eingehen werde? Das ist wohl mehr als naiv!“

„Sie sprechen im Zorne, und der Zorn macht blind. Denken Sie doch an Ihre Landsleute! Ich bin vorausgeritten, um dem Haziendero ihre Ankunft zu melden; sie alle haben Sie lieb gewonnen und befinden sich in Sorge um Sie. Sie werden der Mittelpunkt sein, um welchen sich die Auswanderer hier vereinigen. Denken Sie sich die Enttäuschung, wenn die guten Leute erfahren, daß Sie abgelehnt haben und ohne allen Abschied von ihnen fortgegangen sind!“

Er suchte in dieser Weise alle Gründe hervor, welche ihm geeignet erschienen, mich zum Bleiben zu bewegen, natürlich aber vergeblich. Als er einsah, daß ich nicht wankend zu machen sei, schlug er einen andern Ton, nämlich den des Zornes, an:

„Nun, wenn Sie Ihr Glück mit Füßen treten wollen, so kann ich nichts dagegen haben; aber jedenfalls ist es von Ihnen eine Undankbarkeit sondergleichen gegen mich. Ich habe mich Ihrer angenommen und Sie kostenlos hierher befördert, und nun ich die Früchte dieser Güte sehen will, laufen Sie einfach auf und davon!“

Ich hätte ihm ganz anders anworten können, that aber nichts, als ihn in kalter Weise zu fragen:

„Wollen Sie mir etwa dieses sogenannte Glück aufzwingen?“

„Nein. Laufen Sie meinetwegen in drei Teufels Namen! Wenn Sie sich nicht halten lassen, werde ich Sie eine Strecke weit begleiten.“

„Warum?“

„Wenn Sie nicht bleiben wollen, so haben Sie von dem Haziendero gehört, daß er Sie auf seinem Gebiete nicht dulden will. Er wollte Sie durch einige Knechte über dasselbe hinausbringen lassen. Da ich mich aber einmal Ihrer angenommen habe, so will ich diese Schande dadurch von Ihnen nehmen, daß ich Sie selbst begleite. Hoffentlich haben Sie wenigstens hiergegen nichts einzuwenden!“

„Gar nichts; ich bin im Gegenteile hocherfreut über die Ehre, welche Sie mir dadurch erweisen. Ist Ihnen denn die Gegend so genau bekannt, daß Sie die Grenzlinie des zu der Hazienda gehörigen Gebietes wissen?“

„Ich werde die Grenze selbst im Dunkeln finden.“

„Es wird höchst wahrscheinlich auch dunkel sein, wenn wir sie erreichen. Der Tag neigt sich mit Schnelligkeit zu Ende. Säumen wir also nicht, aufzubrechen!“

Er ging zu seinem noch im Hofe stehenden Pferde und stieg auf, ohne zu ahnen, daß ich ihn durchschaute. Ich hatte ihn nicht ohne Absicht gefragt, ob er die Grenze kenne. War dies der Fall, so besaß er mit dem Walde überhaupt eine solche Bekanntschaft, daß es ihm gar nicht schwer war, selbst in der Dunkelheit einen Ort zu finden, welcher sich für die Ausführung seines Vorhabens eignete.

Welches Vorhaben war das wohl? Ich wußte es; ich hatte es längst vermutet, und diese Vermutung war jetzt zur Gewißheit geworden. Der Mormone wußte, wer ich war, und fürchtete mich. Er hatte die Überzeugung, daß der Plan, den er in Beziehung auf die Emigranten hegte, durch mich in Frage gestellt wurde. Er hatte mich mitgenommen, um sich meiner Person zu versichern und mich bei einer passenden Gelegenheit verschwinden zu lassen. Da ich nun nicht bleiben wollte, galt es, schnell zu handeln. Er war meiner nur noch von der Hazienda bis an die Grenze derselben mächtig; jetzt also mußte geschehen, was nicht länger oder weiter hinausgeschoben werden konnte. Es war auf mein Leben abgesehen, und als wir aufbrachen, war ich überzeugt, daß mir der Tod Schritt für Schritt zur Seite gehen werde.

War es da nicht eine wahnsinnige Verwegenheit von mir, den Mann mitzunehmen? Nein, sondern ich wurde durch die Klugheit veranlaßt, auf seine Begleitung einzugehen. Hätte ich ihn abgewiesen, so wäre er uns heimlich nachgeschlichen, um mir von irgend einer beliebigen Stelle eine Kugel zuzusenden; befand er sich aber bei uns, so konnte ich ihn beobachten, den Augenblick des Angriffes berechnen und seinen Anschlag zu nichte machen.

Als wir die Hazienda verlassen hatten, ging es wieder dem Wasser des Baches entgegen. Zu beiden Seiten desselben gab es offene Wiesen, und nur hier und da war eine Gruppe von Bäumen und Sträuchern zu sehen. Das war kein für einen Mordanfall passendes Terrain. Da er meine Begleiter nicht zu Zeugen seiner That machen durfte, so nahm ich als selbstverständlich an, daß er dieselbe erst nach seiner Verabschiedung von uns ausführen werde. Solange er sich bei uns befand, war ich meines Lebens vollständig sicher. Das weitere stellte ich mir folgendermaßen vor: Er stellt sich, als ob er zurückreite, eilt uns aber seitwärts und heimlich voran bis zu einer gutgedeckten Stelle, welche er sich schon jetzt dazu ausersehen hat, verbirgt sich da, läßt uns herankommen und schießt mich über den Haufen. Wer kann dann sagen, daß er der Mörder sei? Höchst wahrscheinlich hat der Häuptling der Yuma mir aufgelauert, um den Tod seines Sohnes zu rächen.

Da Melton langsam ritt, schritt ich gemächlich an seiner Seite hin, indem ich die Hand auf die Kruppe seines Pferdes hielt. Auf diese Weise befand ich mich ein wenig hinter ihm und konnte ihn scharf beobachten. Gesprochen wurde kein Wort. Die drei Roten folgten, indem der eine Bruder das Pferd am Zügel führte.

Es wurde schnell immer dunkler, bis es finster war; die offenen Wiesen lagen hinter uns, und der Bach schlängelte sich zwischen Büschen hindurch, aus welchen, je weiter wir kamen, desto mehr Bäume emporragten. Das ließ wieder einen Wald vor uns vermuten, und ich nahm an, daß der Augenblick der Entscheidung nicht lange mehr auf sich warten lassen werde.

Wie gedacht, so geschehen. Nach kurzer Zeit gelangten wir an eine Waldesecke. Der Bach wendete sich nach rechts; der Rand des Waldes schien geradeaus zu laufen; links zog sich an demselben ein Strich offenen Wiesenlandes hin. „Hier ist’s!“ dachte ich. „Er weist uns am Walde hin, steigt ab, bindet sein Pferd an und eilt uns unter den Bäumen voran, bis er die betreffende Stelle erreicht.“ Der Mormone hielt, als ob ich allwissend gewesen wäre, sein Pferd an, deutete vor sich hin und sagte:

„Das Gebiet der Hazienda reicht bis an diesen Wald, und ich habe also meine Aufgabe, Sie über die Grenze zu bringen, erfüllt. Eigentlich hätte ich nichts hinzuzufügen; da ich mich Ihrer aber einmal angenommen habe, will ich Ihnen sagen, wo Sie einen vortrefflichen Schlafplatz finden werden. Gehen Sie da am Rande des Gehölzes weiter, so treffen Sie nach einer Viertelstunde wieder auf den Bach, welcher von hier aus einen Bogen macht. Dort giebt es klares Wasser zum Trinken, hohes, weiches Gras zum Lagern und eine Felsenwand, welche Ihnen Schutz gegen die kühle Nachtluft bietet. Ob Sie diesem Rate folgen wollen oder nicht, ist mir gleich.“

„Ich danke und werde folgen, Sennor,“ antwortete ich.

„So rate ich Ihnen, langsam zu gehen. Das Frühjahrswasser hat hier natürliche Gräben gerissen, in welche Sie leicht stürzen können. Ich kehre jetzt um. Sie haben Ihr Glück von sich gewiesen, und ich bin überzeugt, daß es Sie auf immer verlassen hat.“

„Ich bedarf Ihres Glückes nicht. Sie werden in kurzer Zeit erfahren, daß ich mich lieber auf mich selbst verlasse.“

„Es liegt mir nichts daran, je wieder von Ihnen zu hören. Laufen Sie zum Teufel!“

Er kehrte um und that, als ob er zurückreiten wolle. Wir gingen weiter, wobei ich meinen Begleitern leise sagte:

„Der Mann wird jetzt den Wald aufsuchen, um uns voranzukommen. Er will mich erschießen. Ich werde ihm aber vorauseilen und ihm beweisen, daß mit Old Shatterhand nicht zu scherzen ist. Meine Brüder mögen nicht am Waldessaume hingehen, sondern sich ein wenig mehr links halten, damit er nicht erkennen kann, daß ich fehle. Auch mögen sie meine Gewehre halten, weil mir dieselben hinderlich sein würden. Wenn ich sie nicht bald anrufe, mögen sie bis an die Stelle gehen, welche der Mann beschrieben hat, und dort auf mich warten.“

Die drei waren natürlich über meine so unerwartete Mitteilung überrascht, nahmen aber meine Gewehre hin, ohne ein Wort zu sagen. Das Bündel mit meinem Anzuge trug das Pferd bereits; ich hatte also die Hände frei und ging mit schnellen Schritten weiter, während sie sich mehr nach links wendeten, um dort ihren Weg langsam fortzusetzen. Doch hielten sie sich, ohne daß ich sie darauf aufmerksam gemacht hatte, klugerweise immer so, daß man ihre Schritte vom Walde aus hören konnte.

Ich sage, daß ich schnell ging, denn es fiel mir gar nicht ein, die Warnung des Mormonen zu beachten. Seine Mitteilung bezüglich der Gräben enthielt eine Unwahrheit, welche er ausgesprochen hatte, um uns zum Langsamgehen zu bewegen, damit er uns trotz der Hindernisse, welche die Bäume ihm boten, vorankommen könne. Es fiel mir keinen Augenblick ein, daß ich mich irren könne, sondern ich war vollständig überzeugt, daß er mir auflauern werde.

Mich immer nahe am Walde haltend, schritt ich wohl zehn Minuten lang vorwärts, scharf nach einer Stelle ausschauend, welche sich für das Unternehmen des Mormonen eignete. Die Sterne waren sichtbar geworden; meine Blicke reichten mehr als dreißig Schritte weit. Da trat aus dem bisher geraden Saume des Waldes eine scharfe Ecke hervor, welche sich jenseits ebenso scharf wieder rückwärts bog. Sie wurde aus dichtbelaubten Bäumen gebildet, unter denen niedrige Büsche standen. Hatte ich mich in Beziehung auf die Absicht des Mormonen nicht geirrt, so war dies unbedingt die Stelle, an welcher er sie ausführen wollte. Hier konnte er sich gut verbergen, und wir mußten so nahe ‚an der Ecke vorüber, daß mich seine Kugel gar nicht fehlen konnte. Indem ich das Unterholz mit den Augen und auch mit den Händen untersuchte, wollte ich mir darüber klar werden, an welcher Stelle sich Melton wohl verstecken werde. Das war gar nicht schwer; er mußte gute Deckung für sich, freien Blick nach außen und einen sicheren Anschlag auf mich haben. Als ich einen solchen Ort gefunden hatte, kroch ich nahe bei demselben unter ein Gezweig, welches mich unsichtbar machte und dabei so biegsam und elastisch war, daß ich kein verräterisches Rascheln zu befürchten hatte, falls ich zu einer unvorhergesehenen Bewegung gezwungen sein sollte.

Warum legte ich mich eigentlich hierher, um den Feind zu ertappen? Es war doch nicht ein ungefährliches Unternehmen. Ich hätte den Anschlag einfach dadurch zu nichte machen können, daß ich die Richtung vermied, in welche der Mormone uns gewiesen hatte; dann hätte er mir hier vergeblich aufgelauert. Wenn ich mir diese Frage heute vorlege, so muß ich offen und ehrlich sagen, daß es die liebe Eitelkeit war, welche mich dazu trieb, die Gefahr des Handelns der Sicherheit der Unterlassung vorzuziehen. Es gelüstete mich, Melton zu zeigen, daß ich klüger sei, als er mich taxiert hatte. Daß ich dabei das Leben riskierte, wurde, wie so oft, später erwogen.

Als ich es mir unter dem Gezweig bequem gemacht hatte, legte ich das Ohr auf die Erde, um zu horchen. Wird er kommen oder nicht? Ich befand mich in der gespanntesten Erwartung. Da hörte ich Schritte, das Rauschen der Äste, welche er berührte, das Stolpern seiner Füße über die hervortretenden Wurzeln, ja sein Stoßen an die Stämme, welche er im Waldesdunkel nicht deutlich zu sehen vermochte. Er kam schnell näher. Schon hörte ich auch das laute Arbeiten seiner Lunge, denn er war außer Atem. Jetzt bog er nach der Ecke ein, arbeitete sich rasch bis an die Spitze derselben, blieb da stehen und streckte den Kopf hervor, um zu horchen.

’sdeath!“ fluchte er halblaut und in englischer Sprache. „Tod und Teufel! Mein Atem geht so laut, daß ich nichts anderes zu hören vermag. Der Schuft wird doch nicht etwa schon vorüber sein? Unmöglich! Ich bin gelaufen wie ein Verrückter, und sie gehen langsam, um nicht in die Gräben zu stürzen. Hahahaha! Doch still, ich glaube, sie kommen!“

Er ließ sich auf das rechte Knie nieder, stemmte den linken Ellbogen auf das linke und legte das Gewehr an. Ich sah ihn ganz deutlich und bestimmt, denn er kniete an einer Lücke, durch welche sich der Sternenschimmer stahl. Ich hatte gerechnet, daß er sich mehr links plazieren werde, und mußte mich also, um ihm nahe zu kommen, nach dieser Richtung schieben. Wenn ich dabei ein leises Geräusch verursachte, so überhörte er es, weil seine ganze Aufmerksamkeit nach außen gerichtet war.

Jetzt hörte ich die Indianer kommen.

„Zum Henker!“ flüsterte er. „Die Hunde halten sich entfernter als ich dachte. Da gilt es, scharf zu zielen.“

Ich wunderte mich keineswegs darüber, daß er mit sich selbst sprach. Ich wußte von mir selbst, daß die Aufregung, je größer sie ist, sich desto leichter in Worten Luft macht. Er hob und senkte das Gewehr zur wiederholten Prüfung und hielt es dann fest im Visier. Jetzt mußte ich handeln, da er doch möglicherweise einen der Knaben für mich halten und auf ihn schießen konnte. Ich richtete mich hinter ihm halb auf, nahm ihn beim Halse und riß ihn hintüber. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Gewehr fallen. Da er mit dem Kopfe zwischen meine Beine zu liegen gekommen war, stemmte ich ihm die beiden Kniee rechts und links auf Brust und Schultern und griff nach seinen Händen, mit denen er krampfhaft hin und her fuhr; ich faßte sie – ein Knack und ein Schmerzensruf – noch ein Knack und ein noch lauteres Brüllen – er lag halb wehrlos unter mir, da ich ihm in der Hitze des kurzen Kampfes die beiden Hände in den Gelenken gebrochen hatte. Er konnte nur mit den Füßen vor sich stoßen; sich aufzurichten vermochte er nicht, da ich schwer auf ihm kniete. Die Arme bewegte er wohl, konnte mir aber mit seinen schlaff herabhängenden Händen nichts anhaben. Desto mehr arbeitete er mit den Stimmwerkzeugen. Er schrie wie ein Gepfählter, ob vor Wut, vor Angst oder vor Schmerz, das wußte wohl er selber nicht, wahrscheinlich aber wohl aus allen drei Gründen.

Indem ich ihn niederhielt, sah ich, daß die Indianer trotz seines Geheules nach meiner Weisung ruhig und ohne anzuhalten draußen vorüber wollten. Da rief ich ihnen zu:

„Meine jungen Brüder mögen hierher kommen und ihre Schwester draußen bei dem Pferde lassen!“

Sie folgten schnell meiner Weisung und banden dem Mormonen die Arme und Beine zusammen, was ich, wenn es nötig gewesen wäre, auch allein fertig gebracht hätte. Dann schafften wir ihn hinaus, wo wir sein Gesicht deutlicher sehen konnten. Sein Geschrei hatte aufgehört; er lag ganz ruhig da.

„Nun, Master Melton,“ sagte ich in englischer Sprache, weil dies seine Muttersprache war, „habe ich wirklich mein Glück von mir gewiesen und es darum für immer verloren?“

„Verfluchter Schurke!“ zischte er zwischen den Zähnen hervor.

„Ist es nicht genau so, wie ich Euch sagte?“ fuhr ich fort. „Habt Ihr nicht in sehr kurzer Zeit erfahren, daß ich mich recht gut auf mich selbst verlassen kann? Die Kugel, welche Ihr mir zuschicken wolltet, hörte ich schon vor einer Stunde sausen. Ihr habt Euch eingebildet, mich täuschen und betrügen zu können, und seid trotz Eurer vermeintlichen Pfiffigkeit so dumm, daß es unendlich leicht ist, Eure Absichten zu erraten. Ich habe Euch schon in Guaymas durchschaut.“

„Ich Euch auch!“ knirschte er. „Ihr seid Old Shatterhand!“

„Ganz richtig! Ich wußte, daß ich erkannt worden war, ließ aber nichts davon merken. Ihr aber habt Euch geradezu wie ein Schulknabe verhalten. Wenn Ihr Old Shatterhand bethören wollt, müßt Ihr es gescheiter anfangen. Was habt Ihr mit den Emigranten vor?“

„Nichts!“

„Natürlich werdet Ihr mir es nicht sagen. Ich habe diese Frage auch nicht, weil ich etwa glaubte, eine Antwort zu erhalten, ausgesprochen; ich wollte Euch nur darauf aufmerksam machen, daß die Leute unter meinem Schutze stehen. Es ist nicht meine Absicht, Euch darüber, was ich weiß und was ich denke, eine Rede zu halten; ich will Euch nur darauf aufmerksam machen, daß jede Unredlichkeit, die Ihr an ihnen begeht, auf Euch selbst zurückfallen wird. Ein Beispiel habt Ihr soeben erlebt. Ihr wolltet mein Leben; darum war das Eurige mir verfallen. Laßt Euch das zur Warnung dienen! Das nächstemal würde es Euch gewiß ans Leben gehen. Wie ich Eure Kugel vorausgesehen habe, so sehe ich auch noch anderes voraus; Ihr aber schaut höchstens von heut bis nach morgen hinüber, weil das Verbrechen kurzsichtig ist.“

Ich wendete mich von ihm ab und winkte auch die Knaben von ihm fort, weil ich ihnen einiges zu sagen hatte, was er nicht hören durfte. Die Squaw blieb als vorsichtige Indianerin bei ihm stehen, um ihn, obgleich er gefesselt war, nicht aus den Augen zu lassen.

„Meine jungen, roten Brüder mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe,“ begann ich. „Wir sind vier Personen und haben nur ein Pferd, bedürfen aber noch dreier Tiere, welche wir stehlen müssen. Ich bin kein Dieb, aber da wir uns unter den gegenwärtigen Verhältnissen unbedingt beritten machen müssen, bin ich gezwungen, alle Bedenken schwinden zu lassen. Als ich mit dem Haziendero darüber sprach, verweigerte er mir die Erfüllung meiner Bitte, weil er sich vor den Yumas fürchtete. Ich muß ihm also nehmen, was er mir verweigert, und werde jetzt nach der Hazienda zurückkehren, um mir drei Pferde von der Weide zu holen. Meine Brüder mögen indessen den Gefangenen bewachen. Er ist uns zwar vollständig sicher, und ich bin auch überzeugt, daß zur jetzigen späten Stunde niemand in diese abgelegene Gegend kommen wird, doch muß ein vorsichtiger Mann auf jeden Zufall gefaßt sein. Der Gefangene darf auf keinen Fall vor meiner Rückkehr freigegeben werden.“

„Old Shatterhand kann sich auf uns verlassen,“ versicherte der ältere Bruder, „Wir werden seinen Befehl erfüllen, obgleich er uns damit kränkt, daß er nach der Hazienda will.“

„Wieso?“

„Mein weißer Bruder sagt damit, daß er uns für ungeübte Knaben hält, welche kein Pferd zu holen verstehen.“

Ich hatte die Gebräuche und Anschauungen der Indianer genugsam kennen gelernt, um zu wissen, daß die beiden jungen Menschen sich zurückgesetzt fühlten. Die gegenwärtigen Umstände nötigten mir die Absicht auf, mit ihrem Stamme in Verbindung zu treten, und so hielt ich es allerdings für geraten, ihnen Vertrauen zu zeigen. Darum antwortete ich:

„Ich sah, wie tapfer ihr euch gegen eure Angreifer verteidigtet, und halte euch also für mutige Jünglinge. Auch bezweifle ich nicht, daß ihr neben dem Mute die nötige Geschicklichkeit besitzet, und so will ich euch fragen, ob ihr die Pferde holen wollet.“

„Wir wollen!“ erklang es in frohem Tone.

„Gut! Ich brauche euch also nicht zu sagen, wohin ihr euch zu wenden habt?“

„Nein. Wir sahen die Pferde, an denen wir vorüberkamen. Es wird sehr leicht sein, zwei zu bekommen.“

„Zwei? Wir brauchen drei!“

„Eins besitzt doch der Gefangene. Er wird uns sagen müssen, wo er es angebunden hat.“

„Das nehmen wir nicht. Er hat es von Lobos aus geritten; es ist also ermüdet, während auf der Weide frische zu finden sind. Ich möchte noch weiter sprechen, kann aber das, was ich noch zu sagen habe, euch später mitteilen. Ihr möget also sogleich aufbrechen; ich werde euch hier erwarten.“

Sie entfernten sich augenblicklich, ohne ihrer Schwester ein Wort zu sagen. Ich legte mich neben den Mormonen ins Gras, neugierig, wie die Knaben ihre Aufgabe lösen würden. Melton lag unbeweglich wie ein Toter. Sein Stolz verbot es ihm, ein Wort oder gar eine Bitte auszusprechen, doch ging sein Atem zuweilen laut und schwer; die verletzten Hände schmerzten ihn.

Um die beiden Indianer hatte ich keine Sorge. Das, was sie zu thun hatten, war an und für sich leicht und konnte nur durch Zufälligkeiten schwer, oder wohl auch unausführbar gemacht werden. In diesem Falle kehrten sie unverrichteter Sache zurück; das war alles, was ich zu befürchten hatte, denn daß sie sich erwischen lassen könnten, das zu denken, kam mir gar nicht in den Sinn. Es vergingen zwei Stunden; dann erhob sich höchstens vier Schritte von mir eine Gestalt aus dem Grase. Ich sprang augenblicklich auf, um sie zu fassen, ließ aber den ausgestreckten Arm wieder sinken, denn ich sah, daß es der ältere der Roten war.

„Mein Bruder ist wieder da,“ sagte ich. „Warum kommt er so heimlich herbei?“

„Um Old Shatterhand zu zeigen, daß niemand mich hört und sieht, wenn ich nicht will.“

„Dein Gang ist geräuschlos wie der Flug eines Schmetterlings; du wirst ein tüchtiger Krieger werden. Wo befindet sich dein Bruder?“

„Ich ging ihm voraus, um dich zu fragen, ob der Gefangene die Pferde sehen darf?“

Er sagte mir das mit leisen Worten, und ich antwortete laut:

„Er mag sie bringen. Seid ihr vollständig unbemerkt geblieben?“

„Die Hirten waren taub und blind. Wir hatten sogar Zeit, unter den Pferden diejenigen auszuwählen, welche uns am besten gefielen.“

Er stieß einen Pfiff aus, worauf man sogleich den Hufschlag nahender Pferde hörte. Die Pferde waren bis in unsere Nähe gebracht worden, ohne daß ich es gehört hatte; die beiden Knaben waren stolz darauf, daß ihnen dies gelungen war. Als ich die Tiere, soweit dies bei der abendlichen Dunkelheit möglich war, betrachtete, überzeugte ich mich, daß es nicht die schlechtesten waren, und bemerkte zu gleicher Zeit, daß das eine einen Sattel trug. Als ich den älteren darnach fragte, antwortete er:

„Mein großer, weißer Bruder hat keinen Sattel; darum haben wir das Pferd des Gefangenen gesucht und ihm den Sattel abgenommen. Dann ließen wir es laufen, da er es mit seinen ausgerenkten Händen doch nicht besteigen und leiten kann.“

Sie hatten also auch dieses Tier gefunden und dafür gesorgt, daß ich zu dem nötigen Reitzeuge kam, ein Beweis, daß ich Anforderungen an sie zu stellen vermochte, welche über ihr Alter eigentlich hinausgingen.

„Pferdedieb!“ rief mir jetzt der Mormone in verächtlichem Tone zu. „Der berühmte Old Shatterhand ist also auch weiter nichts, als ein gewöhnlicher Spitzbube!“

Anstatt mich beleidigt zu zeigen, band ich ihm die Fesseln auf und antwortete:

„Da habt Ihr Eure Freiheit wieder, Master Meuchelmörder. Trollt Euch von dannen, und sagt dem Haziendero, daß ich diese Pferde notgedrungen von ihm geliehen habe. Wahrscheinlich bekommt er sie wieder, oder doch eine Bezahlung dafür. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so mag er sich diesen kleinen Verlust auf sein eigenes Conto schreiben. Euch selbst gebe ich den Rat, Eure Hände möglichst rasch einrenken zu lassen und sie durch feste Verbände zu schützen, sonst möchte es sich leicht ereignen, daß Ihr sie nie wieder so wie früher gebrauchen könnt. Um Euretwillen will ich wünschen, daß wir uns nicht wiedersehen, da ich überzeugt bin, daß ein Zusammentreffen von bösen Folgen für Euch sein würde.“

„Oder auch für dich! Nimm dich in acht vor mir, und sei verdammt, du Schuft!“

Indem er mir diese grimmigen Worte zuwarf, eilte er davon. Hätte ich den Kerl nicht geschont, sondern ihm eine Kugel gegeben, so wäre viel Unglück verhütet worden. Aber darf man denn einen Menschen wie ein Raubtier niederschießen! Seine Waffen besaß er natürlich nicht mehr; ich hatte sie an mich genommen, auch die Munition. Der übrige Inhalt seiner Taschen war selbstverständlich nicht angerührt worden.

Nun wurden vor allen Dingen die Pferde gesattelt; dann ritten wir fort, um zunächst von der Stelle zu kommen, an welcher ein baldiger unliebsamer Besuch zu erwarten war. Welche Richtung wir dabei einschlugen, war Nebensache, da ich mich entschlossen hatte, bis auf weiteres in dieser Gegend zu bleiben. Indem unsere Pferde langsam durch das Gras schritten, erkundigte ich mich:

„Wann werden meine roten Brüder, wenn sie schnell reiten und keine Zeit verlieren, ihre Krieger erreichen?“

„In drei Tagen,“ antwortete der ältere. Der jüngere sprach überhaupt nur dann ein Wort, wenn ich mich direkt an ihn wendete. Das ist den Gewohnheiten der Indianer gemäß, bei denen der ältere dem jüngern stets voransteht, sodaß die meisten Dialekte besondere Ausdrücke für ältern oder jüngern Bruder, ältere oder jüngere Schwester haben. Auch ist das Wort Sohn, vom Vater ausgesprochen, ein anderes als aus dem Munde der Mutter. So heißt z. B. im Navajo „mein älterer Bruder“ Schinai, „mein jüngerer Bruder“ Se tsela, „mein Sohn“, vom Vater gesagt, Schi yeh, „mein Sohn“, von der Mutter angeredet, Se tse, „ältere Schwester“ heißt Sche la und „Jüngere Schwester“ Eteh.

„Der starke Büffel, euer Vater, befindet sich jetzt bei seinem Stamme?“ erkundigte ich mich weiter.

„Ja. Er wird sehr stolz darauf sein, Old Shatterhand bei sich zu sehen.“

„Wir werden uns begrüßen, obgleich es mir unmöglich ist, ihn aufzusuchen. Ich muß ihn bitten lassen, zu mir zu kommen. Seine beiden wackern Söhne mögen ihm erzählen, was ich ihnen jetzt sagen werde. Es sind Männer, Frauen und Kinder aus meinem Vaterlande über das große Wasser herübergekommen, welche auf der Hazienda del Arroyo arbeiten wollen. Der Weiße, welcher unser Gefangener war und Melton heißt, hat einen bösen Plan mit ihnen, welchen ich leider noch nicht durchschauen kann. Höchst wahrscheinlich hat er den Häuptling der Yumas herbeigerufen, welcher die Hazienda überfallen soll. Ich ging zum Haziendero, um ihn zu warnen; er hat mich ausgelacht. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und würde mich um ihn nicht weiter kümmern, wenn ich nicht meine weißen Brüder und Schwestern mit ihren Kindern retten müßte. Ich allein vermag das nicht, denn ich kann doch nicht mit allen Kriegern der Yumas kämpfen. Darum lasse ich den tapfern Häuptling der Mimbrenjos, euern Vater, bitten, mir zu Hilfe zu kommen, und ich hoffe, daß er mir die Erfüllung dieses Wunsches nicht versagen wird.“

„Er wird sofort herbeieilen, denn er hat zwei triftige Gründe dafür.“

„Welche?“ fragte ich, obgleich ich wußte, was er antworten würde.

„Er hat mit Old Shatterhand die Pfeife der Freundschaft getrunken und müßte verachtet werden, wenn er dem Rufe nicht augenblicklich Folge leistete. Außerdem weiß mein großer, weißer Bruder, was geschehen ist. Der große Mund, der Anführer der Yumas, hat uns überfallen, um uns zu töten. Es ist ihm nicht gelungen, weil Old Shatterhand uns gerettet hat, aber dennoch muß der Yuma es mit seinem Blute bezahlen. Die Freundschaft und die Rache werden also die Führerinnen sein, denen unser tapferer Vater folgen wird.“

„So meinst du, daß er in sechs Tagen hier in dieser Gegend sein kann?“

„Ja, drei Tage hin und drei Tage her. Wieviel Krieger soll er mitbringen?“

„Ich weiß nicht, wie stark die Yumas sein werden; aber zum Überfalle einer Besitzung, wie die Hazienda del Arroyo ist, gehören wohl an die hundert Mann; es würden also ebenso viele von euren Kriegern nötig sein. Ich wünsche, daß sie sich mit getrocknetem Fleisch versehen, da sie keine Zeit finden werden, sich durch die Jagd zu verproviantieren.“

„An welchem Orte werden sie Old Shatterhand treffen?“

„Ich bin noch nicht in dieser Gegend gewesen, und kann also im Augenblick keinen passenden Ort bestimmen. Wir werden aber, ehe wir uns trennen, einen solchen finden. Ich habe noch einen weitern Auftrag. Mein junger Bruder weiß, daß ich Winnetou, dem großen Häuptlinge der Apatschen, mein Leben geschenkt, und dafür das seinige erhalten habe. Wir haben uns verabredet, uns in kurzer Zeit an einem bestimmten Orte zu treffen, und ich kann mich nun nicht pünktlich einstellen, weil ich jetzt an die Hazienda del Arroyo gebunden bin. Ich lasse also deinen Vater bitten, Winnetou einen sichern Boten zu senden, um ihn zu benachrichtigen, daß und warum ich nicht kommen kann.“

„Wenn Old Shatterhand mir den Ort des Zusammentreffens angeben will, wird der Bote den berühmtesten Häuptling der Apatschen nicht verfehlen. Mein jüngerer Bruder und unsere Schwester, die Squaw, mögen die Beschreibung mit anhören, um sie unserm Vater zu überbringen.“

„Diese beiden? Du also nicht? Warum?“

Er zögerte eine kleine Weile, räusperte sich dann verlegen und antwortete:

„Mein jüngerer Bruder wird mit der Schwester unsern Stamm aufsuchen; ich aber bleibe hier zurück.“

„Zu welchem Zwecke?“

„Um den Häuptling der Yumas aufzusuchen, und dann nicht aus dem Auge zu lassen, damit ich unsere Krieger, sobald sie kommen, benachrichtigen kann, wo er sich befindet.“

„Das alles werde ich ja thun!“

„Ich weiß es. Old Shatterhand ist ein großer Krieger; ich aber bin ein Knabe und besitze noch nicht einmal einen Namen; darum muß ich thun, was Old Shatterhand mir gebietet. Wenn er mich fortschickt, so gehe ich; aber mein Herz würde sehr betrübt darüber sein, denn ich will auf der Spur des großen Mundes liegen, bis ich Rache genommen habe; ich will mir einen Namen erwerben, bei welchem man mich nennt, wenn ich in die Hütten unseres Stammes zurückkehre. Mein großer Bruder erlaube mir also, zu bleiben! Ich darf zwar nicht hoffen, daß er mich bei sich behält, denn er bedarf meiner nicht, doch wenn er so gütig sein wollte, mich in seinem Schatten wandeln zu lassen, so könnte ich mich wenigstens seines Pferdes annehmen, so oft ihm dasselbe hinderlich wird.“

Er hatte das in zagendem Tone gesprochen. Es war allerdings ein sehr ungewöhnlicher Wunsch, den er aussprach, doch eben daß er die Bitte wagte, war in meinen Augen eine Empfehlung für ihn. Jeder Indianer, selbst ein jeder bewährte Krieger, hätte abgewartet, ob ich ihn zum Bleiben auffordern würde oder nicht; dieser Knabe aber war so mutig, den Wunsch auszusprechen. Ich begriff gar wohl, wie sehr ihm daran liegen mußte, denselben erfüllt zu sehen. Wenn er bei mir bleiben durfte, so war dies ein Umstand, um welchen ihn sicher alle Mimbrenjos beneideten. Er gefiel mir; sein Vater war mein Freund, zwei Gründe, ihm keine abschlägige Antwort zu geben. Und dazu kam, daß ich ihn allerdings sehr gut gebrauchen konnte. Ich wollte die Hazienda umschleichen, um zu erfahren, was auf derselben vorging, und durfte mich dabei nicht sehen lassen. Das Pferd brauchte ich, um gegebenen Falles schnell von Ort zu Ort zu kommen; im übrigen war es mir hinderlich. Ich hatte stunden-, ja vielleicht sogar tagelang in der Nähe der Hazienda auf der Lauer zu liegen; da konnte das Pferd leicht zum Verräter werden. Wie vorteilhaft war es da, den Knaben bei mir zu haben! Er hatte übrigens denselben Gedanken ausgesprochen, als er sagte, daß er sich wenigstens meines Pferdes annehmen könne, falls mir dasselbe hinderlich sei. Ich antwortete dennoch nicht sofort, und darum meinte er nach einer kleinen Weile:

„Mein berühmter, weißer Bruder ist erzürnt über mich. Ich weiß, daß jeder Häuptling stolz darauf sein würde, bei ihm sein zu können, und ich bin doch nichts als ein Wurm, eine Kröte, welche nicht beachtet wird; aber ich lechze darnach, einen Namen zu erhalten und unter die Zahl der Krieger aufgenommen zu werden, und ich weiß, daß ich in der Nähe Old Shatterhands am schnellsten einen Namen finden würde. Ist er darüber ergrimmt, so jage er mich fort; ich werde gehen!“

Da reichte ich ihm meine Hand hinüber und antwortete:

„Wie könnte ich mich über einen solchen kleinen Mann ergrimmen! Du gefällst mir, und dein Vater wird sich freuen, wenn er hört, daß ich dich bei mir behalten habe. Ich willige also ein; du kannst mir nützlich sein. Es ist kein Mensch so gering, daß er dem andern nicht einen großen Dienst erweisen könnte, und wenn es auch nur aus reinem Zufalle wäre. Vieles von dem, was du über Winnetou und mich gehört hast, konnte nur mit Hilfe von Leuten ausgeführt werden, welche unbekannt waren. Von uns erzählt man, von ihnen nicht. Möge deine Hoffnung, bei mir bald zu einem Namen zu kommen, sich erfüllen! Die Vorbedingungen scheinen dazu vorhanden zu sein.“

Es läßt sich denken, welche Freude er empfand, als er die Gewährung seines Wunsches vernahm. Er sagte kein Wort; sein Bruder ließ ein beglückwünschendes „Uff!“ hören, und seine Schwester schlug als Zeichen der Freude ihre Hände zusammen. Ich fuhr fort:

„Aber werden, wenn du nicht bei ihnen bist, deine Geschwister euern Stamm glücklich und sicher erreichen? Es kommt sehr viel, vielleicht alles, darauf an, daß ihnen unterwegs kein Unfall begegnet.“

Da antwortete der jüngere Bruder in bescheidenem, aber dennoch zuversichtlichem Tone:

„Es kann uns nichts geschehen, denn ich habe ja nun ein Gewehr und fürchte mich also vor keinem Menschen. Auch weiß ich, daß zwischen hier und unserm Ziele kein Feind zu finden ist.“

Wir trafen jetzt wieder auf den Bach und befanden uns also an der Stelle, an welcher der Mormone uns geraten hatte, zu lagern. Es fiel uns natürlich nicht ein, dies zu thun.

Wir hielten gar nicht an und ritten weiter. Da ich meine Beobachtungen in südlicher Gegend zu machen hatte, so wollte ich jetzt nicht allzuweit nördlich gehen, konnte jedoch jetzt noch nicht zurückbleiben, weil ich mich soweit von der Hazienda entfernen mußte, bis ich sicher war, daß man meine Spur nicht mehr finden werde. Darum ging der Ritt bis nach Mitternacht fort, wo wir uns in einer Gegend befanden, welche für meine Zwecke gar nicht geeigneter sein konnte.

Der Mond war aufgegangen und gewährte uns einen weiten Umblick. Der Boden war felsig; die Pferde ließen also keine Spuren zurück. Am nördlichen Horizonte lag eine dunkle Linie. Als wir uns derselben näherten, sah ich, daß es ein Wald war. Unweit des Randes desselben ragte die Krone eines mächtigen Baumes hoch über alle andern hervor.

„Uff!“ sagte der ältere Bruder. „Da sind wir wieder in bekannter Gegend. Das ist der Wald der großen Lebenseiche. Jetzt weiß mein jüngerer Bruder genau, wie er zu reiten hat, und kann sich unmöglich irren.“

„Gut!“ antwortete ich. „So trennen wir uns hier. Und diese Lebenseiche mag der Ort des Wiedersehens sein. In sechs Tagen bin ich wieder hier, um die Ankunft eures Vaters und seiner Krieger zu erwarten.“

Ich erteilte dem kleinen Bruder die nötige Instruktion. Besonders genau beschrieb ich ihm die Stelle, an welcher Winnetou mich erwartete. Schließlich gab ich ihm die Waffen, welche ich dem Mormonen abgenommen hatte; er sollte sie seinem Vater als Geschenk überbringen. Der kleine Mann versicherte, daß er mit seiner Schwester bis zum Anbruche des nächsten Abends reiten werde, ohne anzuhalten. Er wollte versuchen, die Strecke in zwei anstatt in drei Tagen zurückzulegen.

Die Geschwister hatten sich vor ihrer Verabschiedung von den Opata mit Dürrfleisch versehen; jetzt wurde der Proviant geteilt. Das war mir sehr lieb, denn ich bekam da für zwei Tage und zwei Personen zu essen und brauchte also während dieser Zeit kein Fleisch zu schießen. Ich hatte ja mit dem Umstande zu rechnen, daß ein Schuß mich verraten könne.

Als dann der Bruder mit der Schwester fortgeritten war, banden wir unsere Pferde am Waldesrande fest und legten uns nieder, um bis zum Anbruche des Morgens zu schlafen. Die Ruhe war uns notwendig, da wir nicht sagen konnten, ob wir morgen abend Schlaf finden würden, und hier waren wir voraussichtlich so sicher vor jeder Überraschung, daß keiner von uns zu wachen brauchte. Übrigens mußten wir auch deshalb den Tagesanbruch hier erwarten, weil wir dann weit sehen und uns orientieren konnten, während ein nächtlicher Ritt uns leicht vor eine plötzliche feindliche Begegnung gebracht hätte.

Nach unserm Erwachen am Morgen standen wir vor einer zweifachen Aufgabe. Erstens galt es, die Yumas aufzusuchen, und das konnte am besten am hellen Tage geschehen. Zweitens wollte ich die Hazienda beschleichen, um nach den Auswanderern zu sehen und möglicherweise mit dem Herkules zu sprechen. Dazu mußte ich natürlich den Abend abwarten.

Zur Erreichung unseres ersten Zweckes beschloß ich, die Stelle aufzusuchen, an welcher der Yumahäuptling die drei Geschwister überfallen hatte. Er war, wie bereits gesagt, jedenfalls dorthin zurückgekehrt, und ich hoffte, da Spuren zu finden, die mir andeuteten, wohin er sich gewendet hatte.

Wir ritten natürlich nicht in gerader Richtung, welche uns über die Hazienda geführt hätte, zurück, sondern machten einen Umweg, auf welchem wir keiner Begegnung auszuweichen brauchten, denn es begegnete uns eben keine Menschenseele. Es war Mittag, als wir im Thale ankamen. Je mehr wir uns der betreffenden Stelle näherten, desto vorsichtiger verhielten wir uns. Die drei Pferdeleichen lagen noch da. Eine ganze Menge Geier war damit beschäftigt, das Fleisch von den Knochen zu reißen und sich um die Fetzen zu streiten. Ich blieb, scharf auslugend und das Gewehr schußbereit haltend, unten bei den Pferden und schickte den Knaben hinauf zur Felsenhöhe, wo der Sohn des Häuptlings von meinen beiden Kugeln getroffen worden war. Er meldete mir bei seiner Rückkehr, daß die Leiche zur Seite geschafft und mit einem hohen Steinhaufen bedeckt worden sei. Fußspuren hatte er in dem harten, felsigen Boden nicht bemerkt.

Eine Fährte hatte ich da oben natürlich gar nicht erwartet. Mit Pferden konnte man nicht hinauf, und da der Häuptling jedenfalls zu Pferde gekommen war, so hatte er dasselbe unten im Thale gelassen, war zur Leiche seines Sohnes hinauf-, dann wieder herabgestiegen und hatte das Thal zu Pferde verlassen. Ob jemand bei ihm gewesen war, das mußte sich erst zeigen. Ich begann also, zu suchen; der Knabe half dabei.

Leider war der Boden hart, sodaß ausgesprochene Fußoder Hufeindrücke nicht vorhanden sein konnten. Einige kleine Zeichen, wie z.B. Abschürfungen einer Bodenstelle, oder ein aus seiner früheren Lage gerissenes Steinchen, waren zwar als Spuren zu nehmen, konnten aber auch von uns selbst, da wir gestern hier gewesen waren, herrühren. Der Indianer strengte seine Augen an. Er wäre sehr stolz darauf gewesen, wenn er auch nur die Andeutung einer Fährte hätte entdecken können. Es war vergeblich; darum rief er endlich unmutig aus:

„Sie sind hier gewesen; das ist sicher. Und doch ist nichts zu sehen. Meine Augen sind heut wie mit Blindheit geschlagen. Old Shatterhand mag ja nicht denken, daß dies stets der Fall ist!“

„Tröste dich mit dem Umstande, daß die Augen Old Shatterhands, die doch geübter sind als die deinigen, auch nichts zu entdecken vermögen,“ antwortete ich. „Aber es giebt zweierlei Augen, diejenigen des Körpers und diejenigen des Geistes, der Seele. Wenn die einen mit Blindheit geschlagen sind, muß man die andern um so offener halten.“

„Die Augen meines Geistes sehen ebensowenig wie diejenigen meines Körpers.“

„Weil du sie wahrscheinlich nach der falschen Richtung öffnest.“

„So mag Old Shatterhand mir sagen, wohin meine Gedanken gehen sollen.“

„Natürlich hinter dem Häuptlinge der Yuma her.“

„Das haben sie doch bisher gethan, aber ohne ihn entdecken zu können.“

„Weil du von heut ausgehst. Beginne mit gestern, so wirst du Erfolg haben. Als eure beiden Angreifer vor mir flohen, standest du droben auf dem Felsenvorsprunge und konntest also besser und weiter sehen als ich. Sie ritten das Thal hinauf. Wir haben dieselbe Richtung eingeschlagen, ohne eine Spur von ihnen oder gar sie selbst zu sehen. Woran mag das liegen?“

„Sie haben wahrscheinlich das Thal sobald als möglich verlassen.“

„Das denke ich auch. Die Thalwände sind steil. Kann ein Reiter da hinauf?“

„Nein. Sie haben also in ein Seitenthal einbiegen müssen.“

„Ja. Ich sehe, daß mein junger Bruder die Augen seiner Seele richtig zu gebrauchen versteht. Natürlich aber haben die beiden Flüchtlinge das Seitenthal nicht aufs Geratewohl aufgesucht.“

„Nein, sondern ihre Leute haben sich in demselben befunden.“

„Ganz richtig! Kann mein junger Bruder mir noch einen anderen Grund dafür angeben, daß die Sache sich so verhält?“

„Nein,“ antwortete er nach einer Weile vergeblichen Nachdenkens.

„So will ich ihm denselben sagen. Ich nehme an, daß die Yuma die Hazienda überfallen wollen und daß sie sich schon in der Gegend derselben befinden, um den passenden Augenblick abzuwarten. Da werden sie sich nicht offen zeigen, sondern sich verstecken. Das Thal ist ein Teil des Weges, welcher von Ures nach der Hazienda führt; es kann denselben jeden Augenblick jemand benutzen. Darum konnten sich die Yuma nicht hier postieren, und das ist der Grund, den ich meine. Der Häuptling und sein weißer Begleiter haben sich gestern in diesem Hauptthale befunden, um auf die Spähe zu gehen, und da zufällig euch getroffen. Wo aber Späher sind, da befinden sich die Krieger, zu denen diese gehören, sicherlich in der Nähe. Wenn ich sage „Nähe,“ so meine ich allerdings keine sehr geringe Entfernung, denn wenn sich die Yumas nur eine kurze Strecke von hier befunden hätten, so wären sie sicherlich von dem Häuptlinge schleunigst herbeigeholt worden, um uns zu ergreifen oder wenigstens zu verfolgen. Wir haben also anzunehmen: Die Yumas befinden sich in einem Seitenthale dieser Hauptschlucht, aber soweit von der letzteren entfernt, daß sie wenigstens eine Stunde brauchen, um zu Pferde hierher zu gelangen. Will mein junger Bruder sagen, von welcher Beschaffenheit dieses Seitenthal sein muß?“

„Es muß bewachsen sein; es muß Bäume haben, hinter denen man sich verstecken kann, und Gras, welches als Futter für die Pferde dient.“

„Sehr wahr. Und nun mag mein Bruder sich erinnern, daß wir gestern an den Mündungen dreier Nebenthäler vorübergekommen sind. Wieweit lag die erste von hier?“

„Diejenige Zeit, welche die Weißen eine halbe Stunde nennen.“

„Und die anderen?“

„Die zweite eine Viertelstunde weiter und die dritte war sehr, sehr weit von hier gelegen.“

„Ja, soweit, daß sie hier gar nicht mit in Betracht kommen kann. Jetzt erinnere sich mein Bruder genau an die beiden Mündungen. Wie waren sie beschaffen? Deuteten beide darauf hin, daß sie der Beginn eines Thales seien, welches sich wenigstens eine halbe Stunde weit in die Berge hineinzieht?“

„Nein,“ antwortete er, ohne sich zu besinnen. Er besaß also ein gutes Ortsgedächtnis. „Das erste Thal scheint schmal und kurz zu sein. Aber die Mündung des zweiten war sehr breit.“

„So haben wir die Yumas also sehr wahrscheinlich in diesem zweiten zu suchen, und diese Wahrscheinlichkeit wird sich erhöhen, wenn wir sehen, daß es bewachsen ist. Das werden wir jetzt thun.“

Ich stieg bei diesen Worten in den Sattel. Der Knabe folgte meinem Beispiele und meinte mit jugendlicher Wichtigkeit:

„Aber sehr vorsichtig müssen wir sein, denn hinter den Bäumen, welche wir sehen wollen, können die Yumas stecken!“

„Das wünsche ich eben,“ lachte ich. „Es würde mich freuen, wenn sie sich nirgends anderswo befänden.“

„Aber dann sehen sie uns doch kommen!“

„Wir werden schon dafür sorgen, daß sie uns nicht bemerken.“

Die Art und Weise, wie ich mich ihm gab, ermutigte ihn zu dem Einwande:

„Mein berühmter weißer Bruder mag bedenken, daß wir nach Bäumen suchen! In einer ebenen Gegend kann man diese schon aus weiter Entfernung entdecken. Wir stehen aber im Begriffe, ein Thal aufzusuchen, welches wahrscheinlich viele Windungen macht. Wer da einen Wald entdeckt, der steht auch schon vor demselben, und wenn der Feind sich darin befindet, so kann es sehr leicht keine Zeit zur Umkehr geben!“

„Mein kleiner Bruder spricht wie ein alter, erfahrener Pfadfinder. Vielleicht ist er so freundlich, sich zu vergegenwärtigen, daß die Windungen eines Thales, hinter denen allerdings die Gefahr drohen kann, dem vorsichtigen Manne Schutz gewähren. Die Krümmung, hinter welcher der Feind sich verbirgt, hindert ihn, mich zu sehen. Übrigens, um einen Vergleich zu bringen, wer ein Feuer entdecken will, der braucht nur auf den Rauch oder den hellen Schein zu achten und hat nicht nötig, hinzugehen und die Hand hineinzuhalten, um sich durch die Brandwunden zu überzeugen, daß es vorhanden ist. Wir werden also das zweite Thal, in welchem wir den Feind vermuten, sehr wahrscheinlich gar nicht betreten.“

Er nahm diese Worte als das hin, was sie waren, eine Zurechtweisung, auf die er den Kopf senkte und schwieg. Wir ritten vorwärts, von dieser Stelle aus den nämlichen Weg wie gestern nehmend, ich voran, indem ich mein Pferd so lenkte, daß es ziemlich stets Fels unter die Hufe bekam und also keine Fährte machte. Der Ritt war nicht ganz ungefährlich, da uns in jedem Moment ein Yuma oder ein Trupp dieser Roten entgegenkommen konnte. Glücklicherweise geschah dies nicht. Nach der angegebenen Zeit von einer halben Stunde kamen wir an die Mündung des ersten Seitenthales, welches ebenso wie das zweite nach links führte. Ich bog da ein. Der Indianer zögerte einen Augenblick, dann folgte er mir, ohne ein Wort zu sagen. Er konnte mich nicht begreifen, schwieg aber, um nicht wieder eine Zurechtweisung zu erhalten. Wenn wir die Yumas im zweiten Thale zu suchen haben, warum reiten wir da ins erste hinein? So fragte er sich. Die Antwort wurde ihm schon nach kurzer Zeit.

Das Thal war so gestaltet, wie wir vermutet hatten, schmal und seicht. Es stieg schnell aufwärts, und als ungefähr zehn Minuten vergangen waren, hatten wir sein Ende erreicht; wir befanden uns oben auf der Ebene. Da lag die Kreisfläche, welche der Horizont umschloß, vollständig übersehbar vor uns. Nach Süd, West und Nord gab es Ebene; im Osten lagen Berge. Die Ebene war kahl, eine Stelle ausgenommen, welche gegen Nordwest lag; dort ließ ein dunkler Streifen einen Wald vermuten. Ich deutete mit der Hand in diese Richtung und fragte:

„Was liegt wohl dort hinter jener dunklen Linie?“

„Ein Wald.“

„Nein, denn diese Linie ist eben selbst der Wald. Er besäumt die Höhe des zweiten Thales, welches wir suchen. Jetzt wird mein junger Bruder wissen, warum ich nicht dorthin, sondern hierher geritten bin. Dort hätte uns Gefahr gedroht; hier haben wir den Wald entdeckt, ohne daß diejenigen, welche hinter demselben stecken, uns sehen können. Wenn die Yumas sich wirklich dort befinden, so können sie eine Störung nur von dem Hauptthale aus erwarten und werden nach dieser Richtung Wachen ausgestellt haben. Wollen wir sie erkundschaften, so können wir also getrost hinüber nach dem Walde reiten, ohne befürchten zu müssen, daß sie uns kommen sehen. Mein junger Bruder sieht nun wohl ein, daß man ein Feuer entdecken kann, ohne daß man sich die Hand an demselben verbrennt.“

„Old Shatterhand mag mir nicht zürnen,“ antwortete er demütig. „Ich bin ein Knabe und hatte nicht daran gedacht, daß ich ein Mann werden will. Reiten wir hinüber?“

„Ja, denn ich muß unbedingt wissen, woran ich bin. Will mein junger Bruder vielleicht hier zurückbleiben und auf mich warten?“

„Ich reite mit, selbst wenn der ganze Stamm der Yumas sich dort befindet,“ erklärte er mit blitzendem Auge. „Aber wenn Old Shatterhand es befiehlt, so muß ich bleiben.“

„Du sollst mit, doch hoffe ich, daß du keinen Fehler machst. Du weißt ja, wie gefährlich es ist, am hellen Tage ein feindliches Lager zu beschleichen.“

Ich setzte mein Pferd in Bewegung, und zwar in Galopp, denn je schneller wir über die offene Ebene kamen, desto kürzer wurde die Zeit, während welcher wir doch vielleicht gesehen werden konnten. Am Walde angelangt, stiegen wir ab und banden unsere Pferde an. Es galt zunächst, den Rand des Gehölzes auf eine genügende Strecke hin abzusuchen. Wir fanden nichts Verdächtiges und schafften die Pferde in ein Dickicht, welches selbst für scharfe Augen undurchdringlich war.

„Will mein Bruder die Pferde bewachen oder mit mir gehen?“ fragte ich.

„Ich gehe mit!“

„Oder will er noch lieber selbständig handeln? Wenn wir uns teilen, kommen wir in der halben Zeit zum Ziele.“

„Hat Old Shatterhand Vertrauen zu mir, so mag er nur sagen, was ich thun soll. Er wird keinen Fehler von mir sehen.“

„So komm! Wir müssen zunächst den Rand des Thales suchen.“

Wir drangen tiefer in den Wald ein und kamen bald an die richtige Stelle, denn hier senkte sich der Boden schnell und steil in die Tiefe. Wir stiegen hinab, bis wir sahen, daß der Grund des Thales aus Rasen bestand, welcher von einem kleinen Wässerchen befeuchtet wurde; die steilen Seiten waren mit dichtem Walde besetzt.

„Jetzt trennen wir uns,“ sagte ich. „Ich gehe eine Viertelstunde abwärts; du gehst ebenso weit aufwärts; dann kehren wir an diese Stelle zurück, um uns mitzuteilen, was wir gesehen haben. Bemerken wir nichts, so setzen wir die Nachforschungen fort, bis wir entweder die Yumas finden oder das ganze Thal abgesucht haben. Aber laß dich durch nichts bestimmen, ein Geräusch zu machen, oder etwa gar zu schießen!“

Diese Warnung sprach ich aus, weil ich dem Knaben doch nicht genug Selbstbeherrschung und Bedachtsamkeit zutraute, um, falls er den „großen Mund“ sehen sollte, seinen Wunsch nach Rache zu zügeln. Ich ging die betreffende Strecke ab, ohne etwas Bestimmtes zu sehen. Zwar gab es auf der Mitte der Thalsohle eine Linie im Grase, welche ich für eine Fährte hielt, doch konnte dieselbe ebensogut von einem Wilde wie von einem Menschen herrühren, und die Vorsicht verbot mir, hinüber zu gehen, um sie zu untersuchen.

Als ich nach der Stelle, an welcher wir auseinandergegangen waren, zurückkehrte, war der Knabe noch nicht wieder da; er kam jedoch bald und meldete mir:

„Ich sah niemand; aber es befindet sich eine Fährte im Grase.“

„Die habe auch ich bemerkt.“

„Und sodann hat meine Nase weiter gesehen als mein Auge, denn es roch nach Feuer.“

„Und gebratenem Fleisch etwa?“

„Nein; ich roch nur Rauch. Es muß aufwärts von der Stelle, an welcher ich umkehren mußte, ein Feuer brennen.“

„So komm, uns zu überzeugen!“

Wir huschten unter den Bäumen hin, den Blick immer scharf voran, um, falls sich jemand vor uns befinden sollte, diese Person eher zu entdecken, als sie uns zu sehen vermochte. Da, wo der junge Mimbrenjo umgekehrt war, blieb er stehen, sog die Luft durch die Nüstern ein und sah mich erwartungsvoll an. Ich nickte ihm zu und ging weiter; ja, es roch nach Rauch und je weiter wir kamen, desto deutlicher wurde der Geruch. Nach einiger Zeit blieb der Knabe, welcher hinter mir herschritt, stehen, hielt mich zurück und sagte in flüsterndem Tone:

„Sollten es Weiße sein?“

„Wohl kaum.“

„Aber es riecht nach Haba !“

„Die werden auch von Indianern gegessen. Komm nur weiter!“

Bald wurde auch mir der Geruch, welchen kochende Bohnen verbreiten, bemerkbar. Bohnen sind ein Lieblingsgericht des Mexikaners, und auch die Indianer Mexikos essen sie gern. Daß aber hier im wilden Walde welche gekocht wurden, war auffällig. Bohnen als Proviant auf einem Kriegszuge der Indianer! Dazu gehörten Kessel, Töpfe und auch andere Gefäße und Utensilien, ein Beweis, daß bei diesem Raubzuge nicht bloß Indianer im Spiele waren.

Wir kamen nun so nahe, daß wir nicht nur den Brandgeruch, sondern den wirklichen Rauch in die Nase bekamen, und sahen dann das, was wir gesucht hatten, vor uns liegen. Eigentlich sahen wir mehr, als wir gesucht hatten. Ich hatte einen Trupp von Indianern erwartet, frei im Walde liegend; hier aber befand sich ein richtiges, wohlgeordnetes Lager mit Zelten und allen andern Bequemlichkeiten, welche der Rote sich gewährt, solange er sich sicher fühlt.

Wir zählten wohl an die zwanzig Zelte, alle aus starker, grober Leinwand bestehend und mehr oder weniger zerrissen oder ausgebessert. Das Häuptlingszelt, an drei Adlerfedern kenntlich, stand in der Mitte. Vor demselben waren Stangen errichtet, an denen über sechs Feuern ebensoviele eiserne Kessel hingen, in denen die Bohnen kochten. Ein mehr seitwärts stehendes, niedriges Zelt schien als Vorratsraum zu dienen. Die Roten lagen in und neben ihren Zelten oder saßen in Gruppen besammen. Mehrere bedienten die Kessel, deren Inhalt sie rührten, damit er nicht anbrennen solle.

„Da,“ flüsterte mir der Knabe zu, „da sind sie, im zweiten Seitenthale, ganz so, wie Old Shatterhand vermutete. Soll ich sie zählen?“

„Nein, denn das ist jetzt unmöglich, da viele in den Zelten stecken. Aber zähle die Pferde! Sie befinden sich jedenfalls weiter aufwärts, da wir sie abwärts nicht gesehen haben.“

„Soll ich gehen?“

„Ja, doch nimm dich in acht!“

Ich ließ ihn allein fort, weil es ihm große Genugthuung gewährte, sich selbständig bewegen zu dürfen und das Vertrauen zu genießen, welches man sonst nur einem erfahrenen Krieger schenkt. Als er nach einiger Zeit zurückkehrte, öffnete und schloß er die Hände, um mir durch die Zahl der Finger diejenige der Pferde deutlich zu machen, und sagte:

„Ich sah zweimal fünfmal zehn Pferde und noch drei dazu.“

Kein Naturindianer kann so wie wir bis hundert zählen. Die höchste Zahl ist bei vielen Stämmen die Zehn, bei manchen sogar nur die Fünf; daher die Ausdrucksweise meines Mimbrenjoknaben. Er hatte hundert und drei Pferde gezählt. Da sich unter denselben eine Anzahl Packpferde befanden, so konnte man auf ungefähr neunzig Indianer schließen. Squaws gab es nicht; es waren nur Krieger vorhanden, und diese waren, wie es den Anschein hatte, durchgängig mit Gewehren bewaffnet.

Trotz dieser bedeutenden Anzahl herrschte die größte Stille im Lager; man fühlte sich zwar sicher, ließ aber die nötige Vorsicht nicht außer acht. Jetzt sah ich einen der an den Kesseln beschäftigten Männer in das Häuptlingszelt treten. Er meldete wahrscheinlich, daß das Essen fertig sei, denn als er wieder herauskam, klatschte er einigemale in die Hände und rief mit lauter Stimme:

„Miuschyam, ma – – kommt herbei, das Essen ist fertig!“

Die in den Zelten befindlichen Indianer kamen mit ihren Näpfen heraus; die andern eilten hinein, sich die ihrigen zu holen; alle gingen nach den Feuern, um die Näpfe füllen zu lassen. Nur zwei thaten das nicht. Sie fühlten sich zu vornehm, an der allgemeinen Speisung sich zu beteiligen. Die beiden waren der große Mund und ein Weißer, welche aus dem Zelte des Häuptlings getreten waren und nun vor demselben standen, um die bewegte Scene vor sich zu beobachten. Wer der Weiße war, konnte ich nicht gleich sehen, weil er mir den Rücken zukehrte; später, als er eine Wendung machte, erkannte ich in ihm – – den jungen Weller, unsern früheren Kajütenwärter.

So hatten meine Vermutungen also überall das Richtige getroffen, und es fragte sich nur, wo sich sein Vater befand. Hier im Lager jedenfalls nicht, sonst hätte er sich jetzt mitsehen lassen.

Die Speisung der neunzig war binnen drei Minuten vorüber; dann begann das faule Lungern von neuem. Wir beobachteten das Lager noch längere Zeit und bemerkten kein Anzeichen, welches erraten ließ, daß noch heute irgend ein Unternehmen im Plane sei. Später kam der Häuptling wieder mit Weller aus dem Zelte. Auf einen Wink des letzteren wurde ein Pferd gebracht, welches er, wie ich sah, besteigen wollte.

„Komm!“ raunte ich dem Mimbrenjo zu. „Wir müssen fort.“

„Wohin?“

„Weiß es noch nicht genau, wahrscheinlich aber nach der Hazienda.“

Wir gingen denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, und sahen, noch ehe wir aufwärts stiegen, Weller das Thal hinabreiten. Er war allein, Nun ging es mit verdoppelten Schritten hinauf zur Höhe und zu den Pferden. Wir zogen diese heraus ins Freie, stiegen auf und jagten nach dem ersten Seitenthale zurück, an dessen Mündung wir uns hinter einen Felsen stellten, um aufzupassen. Hatte Weller sich im Hauptthale abwärts gewendet, so mußte er an uns vorüber; kam er nicht, so ritt er aufwärts und hatte jedenfalls die Hazienda zum Ziele.

Er kam nicht, obgleich wir wohl eine Viertelstunde warteten, und so beschloß ich, mich auch aufwärts zu wenden, um ihm zu folgen. Dabei gingen mir allerlei Vermutungen durch den Kopf. Vor allen Dingen fragte ich mich, ob er sich auf der Hazienda sehen lassen werde, oder heimlich nach derselben wolle. Das letztere schien mir das wahrscheinlichere zu sein, da er jedenfalls den Boten zwischen dem Häuptlinge und dem Mormonen machte. War meine Ansicht die richtige, so kam er mit Melton an irgend einem abgelegenen Orte zusammen. Hätte ich denselben gekannt, so wäre es möglich gewesen, sie zu belauschen und vielleicht den ganzen Plan, den sie hegten, zu erfahren. Aber ich kannte diesen Ort eben nicht. Doch, war es denn nicht möglich, ihn zu erfahren? Ja, aber da mußte ich rasch machen.

Wir verließen also die Mündung des ersten Seitenthales und ritten schnell aufwärts, an der Mündung des zweiten vorüber und dann weiter. Ich war überzeugt, den jungen Weller vor uns zu haben, mußte aber doch sehen, ob dies nicht vielleicht ein Irrtum sei. Dabei hieß es, vorsichtig zu sein, denn es galt, ihn zu sehen, ohne von ihm bemerkt zu werden.

Glücklicherweise hörte der Felsen bald auf, und es gab weicheren Boden, welcher den Hufschlag unserer Pferde dämpfte. In diesem Boden war die Spur eines Reiters deutlich zu sehen; er war, wie ich derselben entnahm, langsam geritten; wir mußten ihn also bald einholen. Richtig! Noch ehe wir das dritte Nebenthal erreichten, kamen wir an eine Krümmung, welcher wir vorsichtigerweise nicht sofort folgten, sondern hinter deren Ecke wir erst vorlugten. Da ritt er, höchstens dreihundert Schritte vor uns. Er war es, und nun gab es keinen Zweifel darüber, daß er nach der Hazienda wollte. Mein Mimbrenjo war mir bisher schweigend gefolgt; jetzt konnte er seine jugendliche Ungeduld nicht mehr bemeistern und fragte:

„Warum folgen wir diesem Bleichgesichte nach? Darf ich das von Old Shatterhand erfahren?“

„Ja. Ich folge ihm, weil er ein Bote des großen Mundes ist.“

„An wen?“

„Ich vermute, an Melton, welcher gestern unser Gefangener war. Wahrscheinlich werden sie sich heimlich treffen und von dem Überfalle sprechen, welchen ich verhüten will. Dabei kann ich wohl erfahren, was sie eigentlich planen.“

„Will mein großer, weißer Bruder sie belauschen?“

„Ja.“

„Aber er kennt doch nicht den Ort, an welchem sie miteinander sprechen werden!“

„Ich hoffe, ihn zu erfahren.“

„Da müßten wir dem Bleichgesichte da immer auf dem Fuße folgen und dürften es nicht aus dem Auge lassen. Dreht sich dieser Weiße aber einmal um, so muß er uns sehen.“

„Ich werde ihm erst folgen, wenn es dunkel geworden ist, sodaß er mich nicht sehen kann, und dann werden wir ihm zuvorkommen, indem wir ihm auf einem Umwege vorauseilen.“

„Dann sieht er unsere Spuren.“

„Er wird sie für diejenigen von zwei Hirten des Haziendero halten. Vielleicht trifft er auch erst nach Anbruch der Dunkelheit auf unsere Fährte, die er dann nicht sehen kann. Wir kennen den Weg, den er einzuschlagen hat, genau, weil wir ihn gestern geritten sind. Sehr wahrscheinlich reitet er bis an den See, in welchen der Arroyo mündet. Wenn wir ihn dort erwarten, haben wir ihn sicher. Auch paßt es in Beziehung auf die Zeit sehr gut, weil es dunkel sein wird, wenn wir dort ankommen.“

„Und welchen Umweg werden wir machen?“

„Das weiß ich nicht genau, da ich die Gegend nicht kenne. Wir reiten in das dritte Seitenthal hinein und werden sehen, wohin uns dasselbe führen wird.“

„Wohin es führt, das weiß ich ganz genau, denn dieses Thal ist eben der Weg, welchen ich mit meinem jüngern Bruder und meiner Schwester eigentlich einzuschlagen hatte. Wir wichen nur deshalb von demselben ab, weil wir glaubten, auf der Hazienda Pferde zu bekommen.“

„Nun, wohin werden wir gelangen, wenn wir diesem Thale folgen?“

„Hinaus auf die große Ebene, auf welcher nur zuweilen eine kleine Höhe liegt.“

„Eine freie Ebene? Es giebt also für einen schnellen Ritt keine Hindernisse?“

„Nein. Reitet man geradeaus, so kommt man an den Wald der Lebenseiche, wo wir mit unsern Kriegern zusammentreffen wollen. Will man nach der Hazienda, so hält man sich nach rechts; das weiß ich genau; wie aber dieser Weg ist, das kann ich nicht sagen, denn ich bin ihn noch nicht geritten,“

„Ist auch nicht nötig, da das, was du mir gesagt hast, vollständig genügt. Ich weiß jetzt, daß wir den kleinen See zur richtigen Zeit erreichen werden. Laß uns also wieder vorwärts machen!“

Während dieser kurzen Wechselrede war Weller vor uns verschwunden; wir konnten also weiter reiten. Dies thaten wir zunächst langsam, um ihm nicht wieder so nahe zu kommen; dann aber, als wir in das dritte Seitenthal eingebogen waren, trieben wir unsere Pferde an, und als wir oben auf die Ebene gelangten, jagten wir im Galopp über dieselbe hin, indem wir unsern Pferden nur zuweilen Zeit gaben, sich ein wenig zu verschnaufen, und ließen sie erst dann langsamer gehen, als zu befürchten stand, daß wir, falls wir so weiter ritten, viel zu zeitig am See ankommen würden; denn am Tage durften wir uns dort unmöglich sehen lassen.

Eben als die Sonne hinter dem westlichen Horizonte verschwand, sahen wir an dem östlichen einen Wald auftauchen.

„Das werden wohl die Bäume sein, welche am Rande des Arroyothales stehen,“ vermutete mein Mimbrenjoknabe.

Ich war derselben Meinung und hielt also auf den Wald zu. Als wir ihn erreichten, dunkelte es bereits. Wir stiegen ab, um unsere Pferde weiterzuführen. Die Bäume standen nicht eng; wir kamen leicht vorwärts, bis der Boden sich senkte und wir nach kurzer Zeit das Wasser des Sees zu unserer Linken schimmern sahen. Von rechts her mußte der junge Weller kommen. Zunächst galt es, unsere Pferde so zu verbergen, daß sie nicht entdeckt werden konnten, aber auch Gras und Wasser hatten, um ihren Hunger und Durst befriedigen zu können. Ein solcher Ort ward sehr bald gefunden, Die Pferde blieben unter der Aufsicht des Indianers, den ich nicht bei mir haben konnte; auch ließ ich ihm meine Gewehre, welche mich doch nur belästigt hätten. Ich gebot dem Knaben, sich auf keinen Fall zu entfernen, und begab mich dann nach der andern Seite des Sees, wo Weller vorüber mußte. Mich dort hinter einigen Büschen ins Gras legend, erwartete ich sein Kommen, welches nach meiner Berechnung bald erfolgen mußte.

Die Stelle, an welcher ich lag, und auch diejenige, an der sich der Mimbrenjo mit den Pferden befand, waren uns durch einen günstigen Zufall gezeigt worden, denn weder er noch ich wurde durch die Hirten gestört, welche die Pferde und Rinder des Haziendero zu bewachen hatten. Es herrschte außer dem leisen Rauschen, das durch die Blätter ging, tiefe Stille um mich her, sodaß mir das leiseste Geräusch, welches nicht in das nächtliche Leben des Waldes gehörte, auffallen mußte.

Als ich ungefähr eine halbe Stunde gewartet hatte, vernahm ich leise Schritte, welche sich von links her näherten. Das war die Richtung, aus welcher der frühere Kajütenwächter kommen mußte. Er kam auf dem Wege, welcher am Ufer des Sees hinführte, und mußte an mir vorüber. Das war kein ausgetretener Weg, wie etwa ein Pfad in einer belebteren Gegend, sondern eben nur der grasige Rand des Sees. Am Tage konnte man wohl sehen, daß Leute zuweilen da zu gehen pflegten, des Nachts aber fiel er für das Auge mit der die Thalsohle bildenden Wiese zusammen. Er war so weich, daß mein geübtes Ohr dazu gehörte, schon von weitem die Schritte Wellers zu hören.

Da dieser zu Fuß kam, so mußte er sein Pferd an einem versteckten Orte zurückgelassen haben. Er ging langsam und blieb zuweilen stehen, um zu lauschen, ob jemand da sei, der ihn hören könne. Dadurch wurde es mir möglich, ihm unbemerkt zu folgen. Wäre er rascher gegangen, so hätte ich ihn wohl, da ich mich außer Gesichtsweite halten mußte, bald aus dem Gehör verloren. So huschte ich mit niedergebeugtem Körper hinter ihm her, blieb stehen, wenn ich seine Schritte nicht mehr hörte, und folgte wieder, wenn er weiter ging, bis wir den See hinter uns hatten und uns nun an dem Bache befanden, welcher sich in denselben ergoß.

Ungefähr fünfzig Schritte von der Mündung aufwärts stand hart am Wasser eine hohe, breitgegipfelte Chopo-Erle, in deren Nähe es kein Buschwerk gab. Es war ein offener Platz, dessen Mitte sie beschattete. Ich blieb hinter dem letzten Strauche halten, da ich seine Schritte nicht mehr hörte; er mußte unter der Erle stehen geblieben sein. Da ich eine ganze Weile angestrengt lauschte, ohne seine Schritte wieder zu hören, nahm ich an, daß er sich mit demjenigen, den er sprechen wollte, verabredet hatte, am Fuße dieses Baumes zusammenzutreffen. Das war mir nichts weniger als lieb, denn ich konnte den freien Raum, welcher zwischen mir und der Erle lag, unmöglich überschreiten, ohne gesehen zu werden. Unter den Bäumen und im Gebüsch hatte Dunkelheit geherrscht, vor mir hingegen war es, obgleich der Mond noch nicht am Himmel stand, so hell, daß man mich unbedingt bemerken mußte, zumal ich den alten, lichten Anzug trug. Der neue befand sich noch im Bündel hinter den Sattel. Doch gerade dieser Umstand ließ mich auf ein Mittel verfallen, meinen Zweck doch zu erreichen. Die Ufer des Baches waren ziemlich hoch, und so konnte mir das Wasser als Weg nach der Erle dienen. Hätte ich den neuen, teuern Anzug getragen, so wäre der Gedanke, ihn durch und durch einzunässen, mir wohl nicht als sehr annehmbar erschienen.

Ich leerte also meine Taschen, legte auch den Gürtel mit allem, was in demselben steckte, ab, verbarg diese Gegenstände im Busche und stieg über das Ufer ins Wasser hinab. Es war hier in der Nähe seines Einflusses in den See so tief, daß es mir bis unter die Arme reichte. Ich brauchte mich also, um bis an den Mund darin zu sein, nur ein wenig niederzuducken. Dazu kam, daß das Ufer weit über eine Elle höher als der Wasserspiegel war; so konnte mich also nur derjenige bemerken, welcher die Wasserfläche des Baches absichtlich beobachtete.

Ich schob mich nun vor, langsam und Schritt um Schritt, um keine Wellen zu verursachen. Je weiter ich vorwärts kam, desto vorsichtiger verfuhr ich und desto tiefer nahm ich den Kopf in das Wasser. Zuweilen blieb ich stehen, um zu lauschen. Ja, ich hörte Stimmen. Es sprachen zwei in gedämpftem Tone miteinander. Nach einiger Zeit erreichte ich den Baum, ohne bemerkt worden zu sein, und konnte mich nun sicher fühlen, denn hier im Schatten seines Wipfels wurde ich kaum entdeckt.

Ich streckte die Hände aus, um sie auf die hohe Uferkante zu legen, hielt mich da fest und zog mich langsam hinauf, sodaß meine Augen in gleiche Höhe mit dem Ufer kamen. Ich sah zwei Männer am Stamme sitzen, höchstens drei Ellen vor mir, und hörte auch, was sie miteinander sprachen. Es war der frühere Kajütenwärter mit seinem Vater, nicht Melton. Ich hörte den Vater zum Sohne sagen:

„Dem Haziendero fiel es natürlich gar nicht ein, auf meinen Vorschlag einzugehen.“

„Du botest wohl nicht genug?“ fragte der Sohn.

„Ich habe noch kein Gebot gethan, weil er eben sagte, daß er keine Veranlassung habe, die Besitzungen zu verkaufen. Wenn aber die Indianer dagewesen sind, wird er anders reden. Selbst wenn er Lust zum Verkaufe gehabt hätte, wäre mein Gebot ein so geringes gewesen, daß es ihm nicht hätte einfallen können, auf dasselbe einzugehen. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt vielleicht drei Vierteile des Wertes bieten soll, wenn ich den ganzen Kram später für ein Viertel bekommen kann.“

„So billig nun wohl nicht!“

„O doch. Die Hazienda befindet sich dann in einem Zustande, welcher es notwendig macht, ein Kapital hineinzustecken, wie es der Haziendero nicht mehr besitzt. Will er dann nicht ganz zum Bettler werden, so muß er verkaufen.“

„Wie nun, wenn er dieses Kapital geliehen bekommt?“

„Das bilde dir nicht ein. Einem mexikanischen Geldmanne fällt es nicht ein, sein schönes Geld an eine solche Liegenschaft zu wagen; dazu ist er nicht spekulativ genug.

Bei uns ist es etwas anderes. Es ist vorauszusehen, daß wir über kurz oder lang aus den Vereinigten Staaten fort müssen. Utah ist für uns verloren, und unsere schöne große Salzseestadt wird in nicht ferner Zeit den Unheiligen in die Hände fallen. Die Vielweiberei ist nun einmal gegen die sogenannte christliche Moral und gegen die Gesetze der Union, deren Bewohner ja die „allermoralischsten“ sind; wir aber lassen nicht von ihr, und so wird und muß es zu einem Auszuge kommen, welcher allerdings an Großartigkeit in der Geschichte nicht seinesgleichen haben wird. Was war der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten gegen die gewaltige Völkerwanderung, welche dann eintreten wird, wenn die Heiligen der letzten Tage mit Weibern und Kindern, mit Hab und Gut die Staaten verlassen! Man hat gefragt, wohin? Nach Norden, also nach Kanada? Nein, denn Kanada ist englisch, und das fromme und doch so sündhafte England duldet die Vielweiberei auch nicht. Nach Ost oder West, also über das Meer? Auch nicht. Also nach Süden! Da liegt Mexiko mit seinen weiten, der Kultur noch harrenden Strecken und seiner großen, nach Süden gerichteten Expansionsfähigkeit. Die Gesetze Mexikos erwähnen die Vielweiberei gar nicht; sie ist also nicht verboten, folglich erlaubt. Mexiko wird sich, wenn seine Regierung einmal längere Zeit in kräftigen Händen liegt, weit nach Süden ausdehnen und zu einem großen, mittelamerikanischen Weltreiche werden, welches sich von den Vereinigten Staaten keine Gesetze vorschreiben läßt. Hier ist der Platz für uns; hier ist die Wohnstätte unserer Nachkommen, welche sich vermehren werden wie der Sand am Meere. Hier also müssen wir uns bei Zeiten festsetzen, und darum strecken wir zunächst die Fühler aus, um zu erfahren, mit welchen Verhältnissen wir zu rechnen haben. Wir brauchen diese Hazienda, weil sie eine reiche Besitzung ist und uns so gut und bequem am Wege liegt. Wir müssen sie haben, und da der Besitzer sie nicht veräußern will, zwingen wir ihn, sie zu verkaufen. Das ist der erste Schritt, den wir über die Grenze thun; gelingt er uns, so werden bald zahlreiche andere Brüder folgen.“

Das war ja geradezu eine Vorlesung, welche der Mann seinem Sohne hielt, ein Vortrag über die Ab- und Aussichten der Mormonen! Die beiden Wellers wollten den Haziendero zum Verkauf zwingen. Wodurch? Durch die Indianer, wie es schien. Aber auf welche Weise? Den Darlegungen des alten Weller nach sollte die Besitzung durch die Roten entwertet werden; man wollte den Haziendero bankerott machen. Also handelte es sich sehr wahrscheinlich um einen Überfall, dem die Verwüstung des schönen Besitztums folgen sollte. Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Weller fuhr fort:

„Der Anfang ist also gemacht, und die Fortsetzung wird folgen. Es war alles so gut eingefädelt und würde sich ganz glatt entwickelt haben, wenn nicht der verdammte Deutsche dazwischen gekommen wäre. Was man gar nicht für möglich halten sollte, dieser eine Mensch ist im stande, unsern ganzen schönen Plan über den Haufen zu werfen. Wer hätte denken sollen, daß dieser Old Shatter – –“

„Ist es denn wirklich Old Shatterhand?“ fiel ihm der, Sohn in die Rede. „Das müßte doch wohl erst bewiesen werden. Es ist sehr leicht möglich, daß wir uns irren.“

„Von einem Irrtume ist keine Rede mehr. Der Beweis ist gestern erbracht worden, denn er selbst hat zugegeben, daß er Old Shatterhand ist. Denke dir, es ist zum Kampfe zwischen ihm und Melton gekommen!“

„Alle Wetter! Wie konnte Melton das geschehen lassen! Er mußte sich doch sagen, daß er gegen den Deutschen, wenn derselbe wirklich Old Shatterhand ist, unmöglich aufkommen kann. Was hat ihn denn zu einer so unverzeihlichen Unvorsichtigkeit verleitet?“

„Es war keine Unvorsichtigkeit. Ich denke, daß ich an seiner Stelle ganz ebenso gehandelt hätte. Der Deutsche hat ihn halb und halb durchschaut. Die Faxe mit dem Pferde spielte er, um nach Ures zu kommen. Was dann geschehen ist, weißt du. Er befreite die drei Mimbrenjos, als wir sie angriffen, und erschoß dabei den Sohn des großen Mundes. Darauf ist er nach der Hazienda geritten, um den Besitzer zu warnen, und hat ihm von einem Überfalle der Yumas gesprochen und Melton als Schwindler bezeichnet.“

„Das ist freilich gefährlich für uns. Weiter, weiter!“

„Glücklicherweise hat der Haziendero darüber gelacht. Du weißt, wenn Melton sich einmal vorgenommen hat, einen Menschen für sich einzunehmen, so ist der Erfolg sicher. Und dieser ebenso gute wie dumme Don Timoteo Pruchillo hat ein Vertrauen zu ihm gefaßt, welches gar nicht zu erschüttern ist. Er hat dem Deutschen einfach den Rat gegeben, die Hazienda zu verlassen.“

„Hat er das gethan?“

„Ja. Er hat fortreiten wollen, gerade als Melton gekommen ist. Dieser hielt ihn für kurze Zeit zurück, ging schnell zum Haziendero und erfuhr von diesem Wort für Wort, was der Deutsche gesagt hatte. Es galt, zu handeln. Der Kerl mußte verschwinden. Melton begleitete ihn also ein Stück und verabschiedete sich dann von ihm, eilte ihm aber heimlich voraus, um sich ins Gebüsch zu stecken und ihn niederzuschießen. Als er zu der Stelle kommt, die er sich dazu ausersehen hat, steckt Old Shatterhand da!“

„Unmöglich!“

„Ja, und dort ist es zum Kampfe gekommen, wobei er Melton die beiden Hände ausgerenkt hat. Melton ist dadurch natürlich für längere Zeit unfähig geworden, eine Waffe zu gebrauchen.“

„Das ist stark! So etwas hat man noch nicht gehört! Sonst aber ist Melton nichts geschehen?“

„Nichts. Der Deutsche hat ihn laufen lassen, ihn aber vorher gewarnt. Aus der Warnung geht hervor, daß er diese Gegend jetzt zwar verläßt, aber die feste Absicht hat, wiederzukommen.“

„Wo will er hin?“

„Jedenfalls zu den Mimbrenjos, um sie zur Hilfe gegen unsere Yumas zu holen.“

„Hole ihn dafür der Teufel! Wenn er diese Absicht wirklich hat und sie auch in Ausführung bringt, so ist es mit unserm schönen Plane freilich so gut wie zu Ende.“

„Doch noch nicht. Müssen wir denn warten, bis er mit ihnen kommt? Er hält sich für den klügsten Menschen der Welt, hat aber höchst albern gehandelt, als er merken ließ, daß er ahnt, was wir vorhaben. Ich an seiner Stelle hätte Melton kalt gemacht. Er hatte das vollste Recht dazu. Nun aber wird Melton sich zwar nicht persönlich am Kampfe beteiligen können, aber seine gelähmten Hände hindern ihn doch nicht, das Kommando zu führen.“

„Von einem Kampfe wird wohl gar keine Rede sein. Den guten Deutschen, die so schön in unsere Falle gegangen sind, wird es nicht einfallen, sich zu wehren, zumal wenn sie einsehen, daß es nicht ihnen an den Kragen gehen soll. Und wenn die paar Hirten, welche es hier giebt, sich rühren wollen, so sind sie in weniger Zeit als einer Minute kalt gemacht. Aber beeilen müssen wir uns!“

„Das ist es, was ich meine und womit Melton vollständig einverstanden ist. Wir dürfen nicht so lange warten, wie es eigentlich in unserm Plane lag, sondern müssen möglichst bald losbrechen. Also heute der Überfall, morgen der Handel mit dem Haziendero und übermorgen der Ritt nach Ures, um den Kaufvertrag abzuschließen. Dann mag der Germane mit seinen Mimbrenjos kommen; er kann uns nichts anhaben und wird ausgelacht.“

„Das ist richtig. Es gilt also, die Zeit und Stunde zu bestimmen. Habe ich dem Häuptlinge darüber etwas Genaues zu melden?“

„Nein, da wir ohne ihn nichts beschließen können. Ich werde mit ihm sprechen, um die Zeit mit ihm festzusetzen. Sage ihm also, daß ich morgen ins Lager kommen werde. Ich werde kurz vor der Abenddämmerung dort eintreffen.“

„Kannst du denn von der Hazienda fort, ohne daß es auffällt?“

„Warum nicht? Ich unternehme einen Jagdausflug; es giebt auch noch andere Ausreden.“

„Aber wenn du des Abends nicht zurückkommst?“

„So sage ich am nächsten Morgen, ich hätte mich verirrt gehabt und sei gezwungen gewesen, im Walde zu übernachten. Weit eher kann es auffallen, daß ich mich jetzt entfernt habe. Ich will darum nun rasch zurück. Hast du mir noch etwas mitzuteilen?“

„Nein!“

„Ich dir auch nicht. Wir sind also fertig. Gute Nacht, Junge!“

„Gute Nacht, Vater! Ich laß Melton baldige Heilung seiner Hände wünschen.“

Die beiden gingen auseinander, der Vater am Wasser aufwärts der Hazienda zu, und der Sohn am Wasser abwärts und den See entlang, um wieder zu seinem Pferde zu kommen und zu den Indianern zurückzureiten. Ich stieg aus dem Wasser und schlug, nachdem ich meine abgelegten Sachen wieder zu mir genommen hatte, den letzterwähnten Weg ein, um meinem Indianerknaben zu sagen, daß ich glücklich gewesen sei und nun einmal nach der Hazienda müsse.

Es handelte sich also wirklich um einen Indianerüberfall. Derselbe war für später beabsichtigt gewesen, sollte nun aber, und zwar meinetwegen, beschleunigt werden. Es war also notwendig, meine Landsleute zu warnen, obgleich aus dem Vernommenen hervorging, daß ihnen eine unmittelbare Gefahr dabei nicht drohe.

Lezteres war mir unverständlich. Warum sollte es gerade ihnen nicht „an den Kragen“ gehen, wie Weller senior sich ausgedrückt hatte? Warum sollten nur die Hirten, falls sie sich wehrten, „kalt gemacht“ werden? Es gab da einen dunklen Punkt, der mir trotz alles Nachdenkens nicht hell werden wollte.

Nachdem ich meinen Gefährten benachrichtigt hatte, wendete ich mich wieder bachaufwärts und vermied dabei jedes Geräusch, um nicht etwa von den Hirten bemerkt zu werden. Es war noch nicht spät, und so die Möglichkeit vorhanden, daß man das Thor noch nicht geschlossen hatte. In diesem Falle hoffte ich keine großen Schwierigkeiten überwinden zu müssen, um dem Herkules begegnen zu können. An einen andern wollte ich mich nicht gern wenden. Er war nun einmal so ziemlich in meine Ansichten eingeweiht, und wenn ich ihm auch nicht alles mitteilen konnte, so war er doch derjenige, dem ich die größere Zuverlässigkeit zutrauen durfte.

Leider fand ich das Thor zu. Außerhalb der Mauern befanden sich nur die Hirten, an welche ich mich nicht wenden durfte; ich mußte also hinein. Da gab es nur einen Weg, und zwar den, welchen ich schon einmal benutzt hatte, nämlich das Wasser des Baches, welcher ja unter der nördlichen und südlichen Mauer der Hazienda hindurchfloß. Schaden bringen konnte mir das Wasser nicht; ich war bereits naß, und die Nässe that mir nach der Hitze des Tages sogar wohl.

Ich ging also nach derjenigen Stelle der südlichen Mauer, an welcher der Bach aus dem Hofe der Hazienda ins Freie trat, und stieg hinein. Die Passage war ganz bequem; ich brauchte nicht einmal unterzutauchen, sondern nur mich ein wenig zu bücken, um unter der Mauer hindurchzukommen.

Jenseits derselben war es beinahe tageshell. Es brannten mehrere Feuer, an welchen meine Landsleute beschäftigt waren, sich ihre Abendessen zu bereiten. An Stricken, welche über Stangen gezogen waren, hingen Fleischstücke, welche da trocknen sollten. Man hatte, wie ich sah, mehrere Rinder und Schweine geschlachtet, um Proviant zu machen.

Die große Helle war für meinen Zweck nicht sehr günstig, und doch war es mir nur durch sie möglich, den Herkules zu entdecken. Er hatte sich, wie gewöhnlich und so auch jetzt, von den andern abgesondert und spazierte in sehr unbequemer Entfernung von mir rauchend auf und ab. Es war ganz Unmöglich, mich unbemerkt zu ihm zu schleichen; ich mußte warten und mich in Geduld fassen.

Die Auswanderer waren lustig und guter Dinge. Als sie gegessen hatten, begannen sie zu singen, und zwar ganz selbstverständlich zu allererst dasjenige Lied, welches am unvermeidlichsten ist: Wenn der Deutsche lustig ist, so singt er ganz gewiß: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.“ Der Jude Jakob Silberberg sang auch mit, wie ich sah. Seine Tochter, die schöne Judith, bemerkte ich nicht.

Der Goliath ließ sich auch durch den Gesang nicht anziehen; er entfernte sich vielmehr noch weiter von den Singenden und kam mir dadurch näher. Er schien erregt zu sein, wie ich seinen hastigen, unregelmäßigen Schritten und Wendungen anmerkte. Ob er sich wieder einmal über Judith geärgert hatte? Der Haziendero war nicht zu sehen, Melton und Weller senior auch nicht. Der aufgedunsene Major domo aber ging zuweilen ab und zu.

Nach langer, langer Zeit schienen die Gedanken des Herkules eine Richtung zu nehmen, welche mir, der ich noch immer bis unter den Armen im Wasser stand, günstig war. Er kam langsam auf den Bach zu und blieb am Wasser stehen, ungefähr fünfzehn Schritte von mir entfernt. Jetzt galt es, mich ihm bemerklich zu machen, ohne daß er mich in seiner Überraschung verriet. Ich rief halblaut seinen Namen. Er stutzte und horchte, da er keinen Menschen sah, verwundert auf. Ich nannte den Namen wieder, den meinigen dazu und fügte hinzu:

„Erschrecken Sie nicht! Ich stehe hier im Wasser und laure auf Sie, um mit Ihnen zu reden. Kommen Sie her!“

Er folgte dieser Aufforderung, aber nur zögernd. Es erschien ihm doch sonderbar, aus den Wellen angesprochen zu werden. Ich richtete mich höher auf, sodaß der Schein der Feuer auf mein Gesicht fiel; da erkannte er mich und sagte, natürlich mit leiser Stimme:

„Sie hier, wirklich Sie? Ist’s möglich! Sind Sie ein Nix geworden, oder gehen Sie nur im trüben fischen?“

„Keines von beiden. Setzen Sie sich her ins Gras! Wenn Sie stehen bleiben, fällt es auf.“

Er setzte sich und meinte:

„Sie haben allerdings alle Ursache, sehr heimlich zu thun. Wenn Sie sich sehen ließen, könnte es Ihnen Meltons wegen schlimm ergehen.“

„Wieso?“

„Sie haben ihn ja hinterrücks überfallen und ausgeraubt! Seine Waffen, sein Geld haben Sie ihm genommen. Er hat nur mit Mühe entkommen können und ist unterwegs in der Dunkelheit mit dem Pferde gestürzt, wobei er sich beide Hände verstaucht hat.“

„Ah – – so!“

„Ja – so! Und dazu kommt, daß Sie auch Pferde gestohlen haben.“

„Das ist freilich wahr; ich gebe es zu, obgleich nicht eigentlich ich es gewesen bin. Ich habe den Pferdediebstahl angestiftet!“

„Schöner Mensch, der Sie sind! Aber Scherz beiseite! Wo haben Sie sich denn umhergetrieben, und was ist geschehen, daß Sie Ihre Anstellung als Buchhalter nicht bekommen haben?“

„Ich habe sie nicht bekommen, weil ich sie ausgeschlagen habe, und umhergetrieben habe ich mich da, wo ich mich sehr wahrscheinlich noch einige Zeit umhertreiben werde, nämlich in der Umgegend der Hazienda.“

„Wozu? Sind Sie noch immer mißtrauisch?“

„Ja. Und mein Mißtrauen hat sich als ein sehr begründetes herausgestellt. Meine Vermutungen sind zur Gewißheit geworden. Die Hazienda soll von Indianern überfallen werden –“

„Die Rothäute mögen kommen! Sie werden sich wundern, wenn sie mir so von ungefähr zwischen meine Fäuste geraten.“

„Nehmen Sie die Sache nicht scherzhaft und leicht; ich spreche sehr im Ernste. Giebt es nicht einen gewissen Weller hier?“

„Ja. Er kam heute gegen Mittag hier an.“

„Was will er da?“

„Man munkelt davon, daß er die Absicht hat, die Hazienda zu kaufen. Don Timoteo fällt es aber nicht ein, zu verkaufen.“

„Kennen die beiden einander?“

„Ich glaube, schwerlich.“

„Haben Sie vielleicht Weller und Melton zusammengesehen?“

„Nein. Aus dem sehr einfachen Grunde, weil Melton sich überhaupt nicht sehen läßt. Er soll das Bett hüten, weil er Fieber hat. Der Teufel hole das Fieber!“

„Warum nur das Fieber und nicht den Kranken auch?“

„Meinethalben kann er beide holen, das Fieber und den Kerl dazu. Und wenn er auch Sie mitnimmt, so habe ich auch nichts dagegen!“

„Sehr verbunden! Was habe ich Ihnen denn zu leid gethan, daß Sie mir einen solchen Wunsch aussprechen?“

„Das können Sie noch fragen! Ich möchte aus Ärger über Sie zerplatzen, und da fragen Sie noch ganz ruhig und vergnügt, was Sie mir gethan haben! Wissen Sie vielleicht, wo Judith ist?“

„Nein. Wie kann ich das wissen! Aber warum fragen Sie so? Ist sie denn fort?“

„Fort? Sie ist da; sie ist sogar sehr da; sie ist ganz außerordentlich am Platze!“

„Reden Sie doch deutlicher! Wo steckt sie denn; was thut sie, und was ist’s mit ihr?“

„Wo sie steckt?“ knirschte er. „Drin bei Melton. Was sie thut? Sie pflegt ihn. Und was es mit ihr ist? Aus ist’s mit ihr, ganz und vollständig aus! Denken Sie sich das Mädchen als Pflegerin dieses Menschen! Können Sie sich das überhaupt denken?“

„Warum nicht? Oder hat sie kein Geschick zur Krankenpflege?“

„Fragen Sie nicht so dumm! Das Mädchen hat Geschick zu allem, was es nur geben kann, das meiste aber dazu, die Männer verrückt zu machen.“

„So sind Sie sehr wahrscheinlich auch ein wenig verrückt?“

„Sehr wahrscheinlich! Und ich befürchte, daß ich in dieser Verrücktheit etwas thue, was man sonst nicht alle Tage zu thun pflegt, nämlich dem Melton den Kopf auf den Rücken drehen.“

„Das kann Ihnen leicht den eigenen Kopf kosten!“

„Schadet nichts. Ich habe ihn ja schon halb verloren. Sie sehen also, daß ich zornig auf Sie sein muß. Hätten Sie Melton in Ruhe gelassen, so wäre er nicht krank geworden und brauchte keine Pflegerin!“

„Kann ich dafür, daß die Jüdin so barmherzig ist? Warum giebt sie sich dazu her?“

„Doch nur, um mich zu ärgern; ich weiß es ja. Und ihr Vater hat seine Einwilligung dazu gegeben, um sich bei Melton einzuschmeicheln. Ich wollte, Sie hätten wirklich recht mit Ihren Indianern. Ich wünsche sehr, daß die Roten kommen und das ganze Pack zusammenhauen!“

„Und Sie mit! Nicht? Sie können übrigens in dieser Beziehung vollständig unbesorgt sein. Ihr menschenfreundlicher Wunsch wird in Erfüllung gehen; die Indianer werden kommen; ja, sie sind sogar schon da.“

„Sie scherzen doch nur?“

„Nein. Ich habe sie gesehen und beobachtet. Und unser Kajütenwärter befindet sich bei ihnen.“

„Alle Wetter! Dann hätten Sie ganz richtig vermutet!“

„Allerdings. Hören Sie!“

Ich erzählte ihm von dem, was ich gesehen und gehört hatte, soviel, wie ich für gut hielt, und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß seine Zweifel schwanden. Er begann, die Sache ernst zu nehmen, und sagte, als ich geendet hatte:

„Sie sind, bei meiner Seele, ein sonderbarer Mensch. Ich nahm erst an, daß Sie mit sehr viel überflüssiger Phantasie begabt seien und infolgedessen Drachen sähen, wo eigentlich nicht einmal eine Mücke vorhanden ist. Jetzt aber muß ich mein Urteil ändern, denn ich sehe ein, daß Sie planmäßig denken und planmäßig handeln. Meine Force liegt in meinen Fäusten, und die will ich Ihnen gern und gut zur Verfügung stellen.“

„Gut; ich werde sie gebrauchen können. Denken will ich für Sie; aber wenn es dann zum Handeln kommt, so rechne ich auch auf Sie!“

„Zählen Sie bestimmt auf mich! Was soll ich jetzt thun?“

„Zunächst gar nichts.“

„Nichts? Aber den Kameraden soll ich sagen, was sie zu erwarten haben?“

„Nein. Was ich Ihnen mitgeteilt habe, muß Geheimnis bleiben. Würde es verraten, so gäbe der Mormone seinem Plane eine solche Änderung, daß alle Vorteile, welche ich bisher errungen habe, verloren gingen. Jetzt glaubt er mich fort und fühlt sich sicher. Aber eines können Sie thun, nämlich auf alles achten, was hier geschieht, selbst auf das Geringste. Alles, was Ihnen mit unserer Angelegenheit zusammenzuhängen scheint, teilen Sie mir mit.“

„Wann denn und wo? Sie wollen sich doch nicht sehen lassen!“

„Kommen Sie des Abends, so bis gegen Mitternacht, täglich einige Male hier an den Bach; ich werde hier sein, wenn ich mit Ihnen reden will.“

„Wenn Sie aber erst nach Mitternacht kommen können? Wir schlafen dort in den Gesindehäusern, so eine Art Massenquartier; da können Sie nicht hinein, ohne daß Sie diesem oder jenem die Füße abtreten und dann erwischt werden. Ich werde also einen Grund, im Freien zu schlafen, zu entdecken suchen; die Stelle weiß ich freilich noch nicht, aber ich will dafür sorgen, daß Sie mich leicht finden werden.“

„Schön! Also schweigen Sie jetzt noch! Wenn die Zeit da ist, sollen Ihre Landsleute benachrichtigt werden, aber eher nicht. Wir müssen vorsichtig sein.“

„So seien auch Sie vorsichtig, und stehlen Sie nicht wieder Pferde! Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, daß Sie sich noch in der Gegend herumtreiben. Ich finde überhaupt jede Mauserei, also auch den Pferdediebstahl, im höchsten Grade unmoralisch.“

Er lachte dabei leise vor sich hin. Ich antwortete ebenso launig.

„Dann thut es mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Ihre Immoralität nicht geringer als die meinige ist. Sie stehlen auch.“

„Nie!“

„So will ich sagen: Sie werden Fleisch stehlen und heute abend noch.“

„Ah, ich verstehe! Für wen?“

„Für mich und meinen Indianerknaben. Sie sehen ein, daß ich meine Zeit nicht auf die Jagd verwenden kann und mich durch Schüsse leicht verraten würde. Essen muß ich aber, das liegt nicht nur in meinem, sondern noch vielmehr auch in Ihrem Interesse. Hier ist heute geschlachtet worden; ich sehe das Fleisch an den Schnüren hangen. Wenn Sie –“

„Ein verständiger Kerl sind, so stehlen Sie für mich,“ fiel er mir in die Rede. „Nicht wahr, so wollten Sie doch sagen?“

„Allerdings. Ich muß die Indianer beobachten und mich stets in ihrer Nähe aufhalten. Proviant ist mir also sehr nötig. Sehen Sie, ob Sie unbemerkt zu soviel Fleisch kommen können, wie zwei Mann, die mäßig sind, für einige Tage brauchen!“

Er stand auf und ging langsam und in der Haltung eines Spaziergängers fort, um die dunkelste Stelle des Hofes aufzusuchen, wo Fleisch hing. Obgleich ich ihn beobachtete, sah ich doch nicht, was er that, doch als er zurückkam, ließ er einige große Muskelstücke vor mir aufs Ufer fallen und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen, wieder, um sich nach der hintersten Ecke zu begeben. Bald darauf sah ich ihn wieder erscheinen; diesmal brachte er aber einige Stücke Schokolade mit.

Da wir nichts Wesentliches mehr zu besprechen hatten, verabschiedete ich mich und kroch hinaus ins Freie. Ich hatte nun in Summa gegen zwanzig Pfund Proviant zu tragen; das reichte gewiß für vier Tage aus, und wir konnten also so lange Zeit ununterbrochen auf der Lauer liegen. Es lag mir sehr daran, noch vor Anbruch des Morgens wieder in der Nähe des Indianerlagers zu sein. Darum verweilten wir uns nicht beim See und brachen jetzt auf, um auf unserm herwärts eingeschlagenen Wege in das oft erwähnte Nebenthal zurückzukehren.

Als wir dort anlangten, graute der Morgen. Wir suchten zunächst ein besseres Versteck für unsere Pferde; es mußte größer sein als das gestrige, damit den Tieren reichliche Nahrung geboten war. Wir fanden eine Stelle im Walde, welche gar nicht besser geeignet sein konnte, und banden da die Pferde fest. Der Mimbrenjo blieb bei ihnen; er sollte schlafen, während ich mich nach unserem gestrigen Beobachtungsposten begab, auf welchem ich bis nach Mittag blieb, ohne etwas Besonderes gesehen zu haben, als daß Weller junior sich wieder im Lager befand.

Nun aber mußte auch ich ein wenig schlafen und begab mich nach unserem Verstecke, um meinen jungen Kameraden für seine Wache die nötigen Anweisungen zu geben. Er entfernte sich, und ich legte mich nieder. Nach wenigen Augenblicken war ich in tiefen Schlaf gesunken, was nach den gehabten Anstrengungen gar kein Wunder war. Um bequem zu liegen, hatte ich es mir leicht gemacht und den Inhalt aller meiner Taschen und auch des Gürtels fortgethan.

Ein Schrei, ein lang anhaltender, schriller Schrei weckte mich. Ich sprang auf und horchte. Der Schrei erklang zum zweiten Male; ich kannte ihn; es war der Triumphruf eines indianischen Kriegers. Gleich darauf erscholl ein dritter, ganz anderer Schrei; es war der Hilferuf eines Angegriffenen; er kam genau aus der Gegend, in welcher ich meinen Mimbrenjo wußte. Er befand sich jedenfalls in Gefahr. Da war jede Sekunde, nein, jede halbe, jede Viertelsekunde kostbar; ich nahm mir also gar nicht einmal die Zeit, mich nach einer meiner Waffen niederzubücken, sondern rannte fort, der betreffenden Stelle zu. Dort angekommen, sah ich ihn nicht; aber weiter unten gab es ein Ringen im Gras und im Gebüsch. Der unvorsichtige Knabe war nicht auf seinem Platze geblieben; er hatte sich näher an das Indianerlager gewagt und war gesehen, beschlichen und überfallen worden. Ich mußte ihn frei haben, denn wenn sie ihn behielten, so war sein Tod gewiß; darum sprang ich die Steilung der Thalwand hinab, kam aber mit dem einen Sporen an eine Wurzel zu hängen, verlor das Gleichgewicht und stürzte nieder. Noch ehe ich mich aufraffen konnte, rauschte es rundum in den Büschen, und fünf, sechs und noch mehr Rote warfen sich auf mich. Ich wollte auf, brachte aber meinen Fuß nicht von der Wurzel los; das war mein Verderben. Hätte ich den niederträchtigen Sporn freibekommen, so wäre noch Hoffnung gewesen, mich durchzuschlagen; so aber war dies unmöglich. Ich wehrte mich freilich, soviel ich konnte, natürlich nur mit der Faust, die jetzt meine einzige Waffe war, aber die Übermacht war zu groß; ich mußte unterliegen und wurde gebunden.

Mehr Rote kamen herbei. Einer von ihnen betrachtete mich und sagte mit einem entzückten Grinsen seines Gesichtes „Tave-schala!“ Das bedeutet in der Yuma- und Tonkasprache Old Shatterhand.

„Tave-schala, Tave-schala!“ erklang es weiter, von Mund zu Mund, von Mann zu Mann, bis alle meinen Namen schrieen, so daß die Echos von den Thalwänden widerhallten. Der Jubel kannte keine Grenzen. Man schrie und brüllte, man schwang alle möglichen Waffen über meinem Kopfe; man tanzte um Mich, obgleich die Büsche dabei im Wege waren. Ich ließ es ruhig geschehen, da ich es nicht ändern konnte, und hielt mich vollständig bewegungslos. Alle, alle waren gekommen; einer schob den andern zur Seite, um mich zu sehen; nur zwei kamen nicht: der Häuptling und der junge Weller. Der erstere war zu Stolz, nun, da ich mich in seiner Gewalt befand, nach mir zu laufen, und Weller mußte sich zu derselben Zurückhaltung bequemen, obgleich er wohl lieber auch mitgetanzt und gejubelt hätte. Darauf gab man mir die Füße soweit frei, daß ich kleine Schritte machen konnte, und schaffte mich nach dem Lager, wo ich den großen Mund mit Weller vor seinem Zelte sitzen sah. Ich hatte seinen Sohn erschossen; der ausgesuchteste Martertod war mir gewiß; doch das kümmerte mich jetzt nicht; ich dachte nur an meinen jungen Mimbrenjo, den ich hatte befreien wollen, und freute mich darüber, daß er nicht zu sehen war. Wahrscheinlich war er also doch entkommen. Ein Glück war es dabei, daß ich vorhin alles, selbst die Weste, in welcher sich die Uhr befand, abgelegt hatte. In den Hosentaschen gab es nur Kleinigkeiten, welche ich leicht verschmerzen konnte, und den Beutel mit meinem ganzen Vermögen. Da dasselbe aber nur aus wenigen Pesos oder Dollars bestand, so konnte auch dieser Verlust mich nicht aus der Fassung bringen. Und was die leibliche Gefahr betrifft, in welcher ich mich befand, so war dieselbe allerdings so groß, wie sie überhaupt nur sein konnte, doch stand sie mir, wie ich sehr genau wußte, nicht augenblicklich bevor. Die Angewohnheit der Indianer, gefangene Feinde zu Tode zu martern, ist für die letzteren allerdings eine höchst fatale, aber da die Roten diese Prozedur nur selten an Ort und Stelle vornehmen, sondern die Gefangenen mit heimschleppen, um den zurückgebliebenen Ihrigen ein Schauspiel zu bereiten, so ist dadurch dem Betreffenden eine Frist geboten, welche er, wenn er ein unternehmender Mann ist, zur Flucht benutzen kann. Das ist doch immerhin besser, als an Ort und Stelle erschossen zu werden.

Als dem Mörder des kleinen Mundes war mir jedenfalls ein sehr grausamer und langsamer Tod zugedacht; auch verstand es sich von selbst, daß der ganze Stamm mich sterben sehen mußte; aus diesen beiden und noch anderen Gründen, welche ich unerwähnt lassen kann, war es nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiß, daß ich jetzt für mein Leben nichts zu befürchten hatte. Ebenso wußte ich, daß man größere Mißhandlungen unterlassen würde, weil ich durch dieselben die Befähigung verlieren mußte, den weiten Ritt nach dem Orte, an welchem der Stamm sich befand, mitzumachen. In Beziehung auf Leib und Leben war ich also jetzt gar nicht, oder nur wenig gefährdet.

Als man mich vor den Häuptling stellte, war auf seinem Gesichte der Ausdruck tödlichen Hasses und unerbittlicher Rachsucht zu lesen. Er spuckte mich an und betrachtete mich mit finsterem und dabei stechendem Blicke, ohne jetzt ein Wort zu sagen. Weller junior aber redete mich in höhnischem Tone an:

„Willkommen Sir! Ich freue mich sehr, Euch wieder zu sehen. Ihr habt Euch während der Zeit, in welcher ich nicht das Glück hatte, Euch bedienen zu dürfen, als Old Shatterhand entpuppt und Euch alle Mühe gegeben, uns hinderlich zu sein. Jetzt seid Ihr kalt gestellt, und ich bin neugierig, wie Ihr diesmal Euern Ruf bewähren und wie Ihr es anfangen werdet, dem Martertode, welcher Euch droht, zu entrinnen.“

Es fiel mir nicht ein, dem Menschen eine Antwort zu geben, obgleich ich ihm gerade seines Hohnes wegen gern gesagt hätte, daß es mir ganz und gar nicht einfalle, mich für verloren zu halten. Dies war auch wirklich der Fall. Ich war bei den nördlichen Sioux und bei den südlichen Comantschen, auch bei den Krähen- und Schlangenindianern gefangen gewesen und hatte mich immer glücklich aus der Schlinge gezogen, und da die armseligen Yumas mit den genannten Stämmen in keiner Beziehung zu vergleichen sind, sondern tief unter denselben stehen, so mußte es, wie man sich auszudrücken pflegt, geradezu mit dem Kuckuck zugehen, wenn es mir nicht gelingen sollte, ihnen ein Schnippchen zu schlagen. Harry Melton, der Mormone, war weit mehr zu fürchten als sie. Wenn es ihm einfiel, mich von ihnen zu reklamieren und sie darauf eingingen, so war ich verloren. Ich war aber überzeugt, daß es dem Häuptlinge nicht einfallen würde, mich ihm auszuliefern. Der junge Weller aber galt für mich gleich Null. Seine Anrede an mich war frech und lächerlich zugleich; dies mochte der Häuptling fühlen, denn er wies ihn in keineswegs hochachtungsvollem Tone zurecht:

„Sei still! Deine Rede ist wie ein Halm, welcher keine Körner trägt und wie ein Wasser, in welchem es keine Fische giebt. Vor dir würde sich der Gefangene wohl nicht fürchten. Ich weiß, daß es aller unserer Augen und Arme bedarf, ihn festzuhalten. Er soll uns aber nicht entkommen, sondern viele Tage lang am Marterpfahle bangen, weil er meinen Sohn getötet hat.“

Weller hatte englisch zu mir gesprochen, und ich war ziemlich erstaunt darüber, daß der „große Mund“ ihn verstand und sich zu seiner Antwort sogar jenes Gemisches von Englisch, Spanisch und Indianisch bediente, welches im Verkehr mit den Roten am Rio Grande und Rio Pecos gesprochen zu werden pflegt. Dann wendete er sich an seine Leute, welche in einem mehrfachen Halbkreise um uns standen:

„War es Old Shatterhand, welcher sich soweit an uns geschlichen hatte?“

„Nein,“ antwortete einer.

„Nicht? Wer denn sonst?“

„Ein Roter, ein Knabe, so jung, daß er wohl noch keinen Namen hat.“

„Wie ist sein Aussehen?“

Der Krieger, welcher geantwortet hatte, beschrieb meinen kleinen Gefährten.

„Uff!“ rief da der Häuptling. „Es ist einer der Mimbrenjoknaben, welche mir entkommen sind, weil Old Shatterhand sie verteidigte. Er muß auch mit an den Marterpfahl. Bringt ihn herbei!“

„Wir können ihn nicht bringen, denn es ist uns nicht gelungen, ihn zu ergreifen,“ antwortete der Mann kleinlaut.

„Wie?“ fragte der große Mund im zornigen Erstaunen. „Ihr seid so viele erwachsene Männer; ihr nennt euch Krieger, und ein Kind, so klein und jung, daß es nicht einmal einen Namen hat, ist euch entschlüpft? Soll ich das glauben?“

Der Rote schlug die Augen nieder und antwortete nicht; die andern standen ebenso verlegen da, deshalb fuhr der Häuptling auf:

„So ist es also doch wahr! Alle alten Weiber werden euch verlachen, und die Kinder werden mit Fingern auf euch deuten. Denkt an den Hohn der anderen Stämme, wenn sie hören, daß soviele Yumakrieger nicht im stande gewesen sind, einen armseligen Mimbrenjoknaben festzuhalten. Der Knabe hat sich bei Old Shatterhand befunden; es ist derselbe, den ich da unten im Thale entfliehen lassen mußte, also wird sein Bruder auch in der Nähe sein und seine Schwester, die Squaw des Opata-Häuptlings dazu. Sucht augenblicklich nach ihnen; sucht den ganzen Wald durch! Ich erwarte, daß ihr sie mir bringen werdet. Drei oder vier von euch genügen, hier bei mir zu bleiben und das Lager zu bewachen.“

Er bezeichnete diejenigen, welche bleiben sollten; die anderen entfernten sich, um seinen Befehl auszuführen. Weller blieb natürlich auch zurück. Ich dachte, daß der Häuptling nun eine Art von Verhör mit mir anstellen werde, dem war aber nicht so. Er ließ mich noch enger fesseln als bisher und an den Zeltpfahl binden; dann schien er mich keines Blickes zu würdigen; aber ich sah, daß er mich gar wohl zwar heimlich aber scharf im Auge behielt.

Nun gab es ein banges Warten für mich. Es war hundert gegen eins anzunehmen, daß mein Mimbrenjo ertappt würde. Es waren der Spürhunde zu viele, als daß ich hoffen konnte, er, der unerfahrene Knabe, werde ihnen entwischen. Faßte man ihn, so war es nicht nur um ihn geschehen, sondern es gerieten auch meine kostbaren Gewehre und mein anderes Eigentum in ihre Hände, und das letztere hielt ich für weit schlimmer als das erstere.

Laute Zurufe, welche zu hören waren, sagten mir, daß man seine Spur gefunden habe. Sie kamen aus immer weiterer Entfernung, ein sicheres Zeichen, daß man ihn verfolgte. Von jetzt an verging eine lange, lange Zeit, weit über eine Stunde; dann kehrte ein starker Trupp der Roten zurück. Wie freute ich mich, als ich den Mimbrenjo nicht bei ihnen sah! Der Häuptling aber rief ihnen zornig entgegen:

„Ihr bringt sie nicht? Seid ihr blind geworden, da ihr die Spur eines Menschen nicht mehr zu sehen vermögt?“

„Die Krieger der Yuma sind nicht blind,“ antwortete einer. „Wir haben die Fährte des Knaben gefunden.“

„Aber nicht ihn selbst! Sonst hättet ihr ihn gebracht!“

„Du wirst ihn bald zu sehen bekommen. Seine Spur ging durch den Wald bis an den Rand desselben und von da aus gerade über die offene Ebene hinüber.“

„In welcher Richtung?“

„Nach Süden.“

„Es war nur kurze Zeit vergangen und er konnte keinen großen Vorsprung haben; ihr müßt ihn also gesehen haben, indem er vor euch über die Ebene lief?“

„Der Knabe ist klein; seine Gestalt verschwindet also, selbst wenn die Entfernung keine große ist. Aber seine Spur war deutlich und muß ihn schnell in unsere Hände bringen. Weil es dazu nur einiger Krieger bedarf, folgten ihr die andern; wir aber sind zurückgekehrt.“

Der Häuptling sagte weiter nichts und wendete sich in der Haltung eines Wartenden von ihnen ab. Er war augenscheinlich wütend, sah aber ein, daß zornige Worte nichts zu ändern vermochten und das Resultat der Verfolgung nicht beschleunigen konnten. Mir aber wuchs die Hoffnung, denn das Verhalten des Knaben war so klug, daß ich selbst es nicht besser hätte machen können. Er hatte unsere Pferde stehen und alles bei ihnen liegen lassen und war von der Stelle aus, an welcher er entwischt war, direkt nach dem Waldesrande aufwärts gestiegen und dann in schnellstem Laufe über die Ebene geeilt. Dadurch hatte er die Suchenden von unserm Verstecke abgelenkt. Die Pferde standen noch da, und meine Sachen lagen bei denselben. Auch darin war er klug gewesen, daß er sich südwärts gewendet hatte, denn erstens zog er dadurch die Aufmerksamkeit von derjenigen Richtung, nämlich der nördlichen ab, nach welcher unsere Absichten gingen, und zweitens gab es, wie er gesehen hatte und also wohl wußte, im Süden genug felsiges Terrain, auf welchem er seine Spuren verschwinden lassen konnte.

Der Nachmittag verging, und es wurde dunkel. Die Indianer zündeten einige Feuer an, um das Abendessen zu bereiten. Der Häuptling saß noch immer auf derselben Stelle und verhielt sich stumm. Es schien in ihm zu kochen. Weller war fortgegangen, wohl aus purer Langeweile ein wenig im Walde herumzulungern. Jetzt kehrte er zurück. Der Häuptling fragte ihn in nicht eben freundlichem Tone:

„Wo bleibst du so lange? Weißt du nicht, daß die bestimmte Zeit da ist, deinen Vater zu erwarten und herbeizubringen?“

Der Angeredete entfernte sich wieder, und einige Zeit später kehrten die Yumas zurück, welche die Verfolgung fortgesetzt hatten. Meine Hoffnung war keine vergebliche gewesen; sie brachten den Mimbrenjo nicht. Als der Häuptling dies sah, sprang er auf, faßte den vordersten von ihnen beim Arme, schüttelte ihn und schrie:

„Ihr kommt auch allein? Seid ihr denn stinkende Würmer, welche Schmutz fressen und unter der Erde wühlen und deshalb nicht sehen, was sich auf derselben befindet? Ich werde euch heimschicken; da könnt ihr Weiberröcke anziehen und Zelte flicken, was nur die alten Squaws thun, welche zu nichts weiter nütze sind!“

Das war eine Beleidigung, wie sie kaum größer sein konnte. Er ging mit derselben über seine Befugnisse hinaus. Ein Indianerhäuptling besitzt nämlich keine andere Macht als diejenige, welche ihm von seinem Stamme freiwillig übertragen worden ist; sie kann ihm in jedem Augenblicke wieder genommen werden. Er kann, falls er sich seiner Würde nicht wert zeigt oder seine Befugnisse überschreitet, augenblicklich abgesetzt werden und ist dann nichts mehr als jeder andere Stammesgenosse. Der Indianer, gegen welchen die zornigen Worte gerichtet waren, riß sich los und antwortete in zurechtweisendem Tone:

„Wer giebt dem großen Munde die Erlaubnis, mich in dieser Weise anzufassen und anzureden? Wenn ich falsch gehandelt habe, so mögen die Ältesten des Stammes über mich zu Gerichte sitzen und ihr Urteil fällen, dem ich mich unterwerfen muß; wer mich aber beleidigt, der mag sein Messer nehmen und mit mir kämpfen. Der große Mund mag bedenken, daß er, indem er mich beschimpft, auch alle Krieger beschimpft, welche mit mir gewesen sind!“

Diejenigen, für welche er mit diesen Worten sprach, ließen ein beifälliges Gemurmel hören. Der Häuptling sah ein, daß er sich zu weit hatte hinreißen lassen, und entgegnete in sehr gemäßigtem Tone:

„Mein Bruder mag annehmen, daß es nicht meine Worte waren, welche er hörte, sondern daß der Zorn aus mir gesprochen hat.“

„Ein Mann muß es verstehen, seinen Zorn zu bemeistern, doch will ich annehmen, daß nichts geredet worden sei. Wenn der große Mund selbst gegangen wäre, um den Knaben zu suchen, so hätte er ihn auch nicht gefangen.“

„Aber die Beine eines Kindes sind doch kürzer, als diejenigen erwachsener Männer. Ihr hättet ihn unbedingt ereilen müssen!“

„Wir sind gelaufen, bis wir keinen Atem mehr hatten, haben ihn aber nicht einmal zu sehen bekommen, weil der Vorsprung, den er hatte, zu groß gewesen ist. Dann verschwand seine Spur auf dem Felsen, welcher so hart ist, daß er keine Eindrücke annimmt.“

„Habt ihr nur seine Fährte und nicht auch eine andere gesehen?“

„Nur die seinige.“

„So befinden sich sein Bruder und seine Schwester nicht mehr bei ihm. Nur Old Shatterhand ist bei ihm gewesen und wird uns Auskunft geben müssen.“

Nach diesen Worten trat er zu mir und redete mich zum erstenmale an:

„Wie bist du mit dem Knaben, den wir suchen, hierher gekommen? Seid ihr gelaufen oder geritten?“

„Warum fragst du mich?“ antwortete ich. „Du willst nicht nur ein Krieger, sondern ein Häuptling sein und bedarfst meiner, um zu erfahren, was der Verstand jedes Kindes sofort entdecken würde. Frage deinen Scharfsinn, wenn du überhaupt welchen besitzest, nicht aber mich!“

„Du willst nicht antworten, Hund?“ fuhr er mich an.

„Belle immerhin! Von mir erfährst du nichts.“

Der Ausdruck bellen erzürnte ihn so, daß er sein Messer aus dem Gürtel zog; er steckte es jedoch wieder zurück, versetzte mir einen Fußtritt und sagte:

„So schweig! Du wirst ja so bald heulen und schreien müssen, daß man es über alle Berge hört.“

„Gewiß nicht eines Feiglings wegen, wie du bist, der vor mir ausgerissen ist und dabei vor Angst seine Flinte weggeworfen hat!“

„Sei still, sonst ersteche ich dich im Augenblicke!“ schrie er, indem er das Messer wieder zog.

„Stich immer zu! Bringst du mich zum Schweigen, so doch deine Schande nicht. Dein Gewehr befindet sich in den Händen der Mimbrenjos, welche du zu deinen Todfeinden gemacht hast. Wie werden sie über dich lachen, wenn sie erfahren, daß du, der Häuptling der Yumas, aus reinem Entsetzen die Waffe weggeworfen hast und wie ein Wind entflohen bist!“

Ich reizte ihn mit Absicht, um ihn zum Sprechen zu bringen, denn ich wollte nicht länger warten, zu erfahren, ob man mich jetzt oder später zu töten beabsichtigte. Er war so ergrimmt, daß er zum Stoße ausholte; ein mehrstimmiger Zuruf der Seinigen veranlaßte ihn, sich zu beherrschen. Er ließ den Arm sinken und antwortete, indem er ein höhnisches Gelächter aufschlug:

„Ich durchschaue dich. Du willst mich reizen, damit ich dich im Zorne gleich töten möge, wirst aber diese Absicht nicht erreichen. Du wirst jetzt keinen Mangel bei uns leiden, damit wir dich schnell und gesund nach unsern Wigwams bringen. Du sollst dick und fett und stark werden, damit du die Qualen, welche dir bestimmt sind, doppelt lange zu ertragen vermagst. Gebt diesem Hunde zu fressen, soviel wie er zu fressen vermag!“

Ich hatte meine Absicht erreicht; ich wußte nun, daß man mich nicht nur schonen, sondern sozusagen sogar mästen wollte. Das hätte mich beruhigen müssen, wenn meine Besorgnis bisher, was aber nicht der Fall war, eine große gewesen wäre. Dem zuletzt gegebenen Befehle kam man sofort nach. Das Essen, welches aus in Wasser gekochtem Bohnenmehl bestand, war fertig, und ein alter schmieriger Kerl machte sich daran, mich, da ich die Hände nicht zu gebrauchen vermochte, wie ein kleines Kind zu füttern. Er setzte sich mit seinem vollen Napfe zu mir, fuhr mit den Fingern in den Brei und schickte sich an, mir denselben in den Mund zu streichen. Ich wehrte mich dagegen. Als der Häuptling dies sah, sagte er:

„Der Hund ist zu vornehm, die Speise der roten Krieger zu genießen. Mache ihm einen Arm los, und gieb ihm Fleisch; das wird ihm besser schmecken. Ich habe versprochen, daß er nicht hungern soll. Desto lauter wird er dann pfeifen und winseln können.“

Der Alte ging nach dem Vorratszelte und brachte mir ein großes Stück Rindfleisch, welches ich, nachdem er mir den Arm freigegeben hatte, mit mehr Appetit, als ich vorher dem Brei abgewinnen konnte, verzehrte. Dann wurde mir der Arm wieder festgebunden.

Eben als die Indianer gegessen hatten, kam Weller junior aus dem Walde. Er brachte seinen Vater mit. Dieser kam, nachdem er den Häuptling begrüßt hatte, zu mir heran, nickte mir malitiös-freundlich zu und sagte:

„Guten Abend, Sir! Wie ist Euer wertes Befinden, Master Shatterhand?“

Ich wendete das Gesicht von ihm ab und antwortete nicht.

„Ah, Ihr scheint ein stolzer Boy zu sein! Ich bin ein so geringer Kerl, daß Ihr es für unter Eurer Würde haltet, auf meinen höflichen Gruß eine Antwort zu geben. Nun, Ihr werdet schon noch höflich werden! Ich stelle Euch hier meinen Sohn vor, einen prächtigen Kerl. Ist ein famoser Schauspieler. Als er sich für einen Kajütenwärter ausgab, habt Ihr wohl nicht geahnt, was eigentlich in ihm steckt. Wie?“

Und als ich auch jetzt nicht antwortete, fuhr er fort:

„Habe mich unendlich gefreut, als er mir vorhin bei meiner Ankunft sagte, welchen Fang meine roten Freunde gemacht haben. Habt Euch um fremde Angelegenheiten, die Euch nichts angingen, gekümmert und wißt Euch nun dafür in Euern eigenen nicht zu helfen. So aber geht es, wenn man sich unaufgefordert zum Advokaten anderer Leute macht. Ihr werdet den Prozeß verlieren und sämtliche Kosten tragen, indem Ihr sie mit dem Leben bezahlt. Wohl bekomm’s!“

Er wendete sich ab und ging zu dem Häuptlinge, welcher sich an einer Stelle, die außerhalb der Hörweite der andern lag, niedergesetzt hatte. Sein Sohn folgte ihm, und die drei begannen nun ein leise geführtes Gespräch, bei welchem, ihren Gebärden nach, sehr Wichtiges verhandelt wurde. Als dasselbe beendet war, erhoben sie sich von ihren Sitzen; der große Mund rief seine Leute zusammen, um ihnen das Resultat der gepflogenen Unterhandlung mitzuteilen; die beiden Weller stellten sich indessen geflissentlich so ganz in meine Nähe, daß ich das, was sie sprachen, hören mußte, und der ältere meinte zum jüngeren:

„Also ich reite jetzt zurück, und du bleibst bei den Indianern, die gleich nach mir aufbrechen werden. Es ist von hieraus nach der Hazienda del Arroyo gerade soweit, daß Ihr noch vor der Morgendämmerung den Überfall ausführen könnt.“

„Aber die Thore werden zu sein!“ meinte der Sohn in einer Weise, aus welcher ich ersah, daß sie nur redeten, damit ich es hören sollte.

„Was schadet das? Ich bin auf die Jagd geritten, habe mich verirrt, kehre so spät zurück und klopfe den Mayordomus auf, um mir öffnen zu lassen.“

„Der wohnt im Hauptgebäude und hört das Klopfen am Thore nicht.“

„So hören es die deutschen Auswanderer, und einer von ihnen wird mir öffnen. Ihr werdet wahrscheinlich das Thor offen finden.“

„Und wenn nicht, wie kommen wir da hinein?“

„Durch den Bach, welcher durch die beiden Mauern in den Hof kommt und wieder hinausgeht. Du freilich darfst dich zunächst nicht sehen lassen, weil man sonst erfahren würde, daß du mit den Roten im Einvernehmen stehst. Du kommst erst angeritten, wenn sie fort sind.“

Nachdem die beiden Menschen noch einige unwesentliche Bemerkungen ausgetauscht hatten, wendete sich der Vater zu mir, indem er sagte:

„Warum wir Euch das wohl hören lassen, Sir? Erstlich darum, weil Ihr gegen uns gearbeitet habt und nun sehen sollt, daß alle Eure Ränke vergeblich gewesen sind; wir kommen doch zum Ziele.“

„Und zweitens,“ fuhr der Sohn fort, „um Euch die Gewißheit zu geben, daß Ihr verloren seid und keine Hoffnung auf Rettung haben dürft.“

„Ja, so ist es,“ bestätigte der Alte. „Wenn wir es nur im geringsten für möglich hielten, daß Ihr gerettet werden könntet, so würden wir uns sehr wohl hüten, Euch zum Ohrenzeugen unserer Reden zu machen. Bereitet Euch also vor auf den Tod, auf den entsetzlichsten, den es geben kann! Es ist aus mit Old Shatterhand. Ihr werdet nach den Weidegründen der Yumas transportiert, um dort gepfählt, verbrannt oder sonst noch was zu werden. Vorher aber wird Euch unser Freund Melton einen Besuch abstatten, um Euch Dank zu sagen für die Liebe, die Ihr ihm erwiesen habt. Sein Besuch wird dadurch eine erhöhte Feier finden, daß man Euch auch ein wenig die Hände bricht, sowie Ihr es mit ihm gemacht habt. Lebt wohl! Ihr seht uns nicht wieder, wenn Ihr einmal unterwegs zu den Yumas seid, und wir Euch leider auch nicht.“

So! Jetzt wußte ich alles, was sie mir zu wissen geben wollten. Ich hätte gern noch mehr gewußt und es vielleicht erfahren, wäre es nicht meine Absicht gewesen, ihnen weder Frage noch Antwort zu geben. Man hatte es also für nötig gehalten, den für später geplanten Überfall der Hazienda sofort auszuführen. Man denke sich meine Lage! Ich wußte, was geschehen sollte, und konnte die Landsleute nicht warnen! Der Herkules wartete auf Nachricht von mir, und ich konnte sie ihm nicht geben! Wäre es möglich gewesen, so hätte ich, obgleich ich mich inmitten der Feinde befand, die Riemen zerrissen, um zu versuchen, mich mit den Fäusten durchzuschlagen; aber die Riemen waren unzerreißbar und schnitten schon ins Fleisch, ohne daß ich versuchte, sie zu zersprengen. Das aber nahm ich mir vor: mein Leben nicht zu schonen, falls es unterwegs auch nur eine Spur von Gelegenheit geben sollte, den Yumas zu entwischen.

Diese Hoffnung wurde mir nun freilich vollständig zu schanden gemacht. Als Weller senior fort war, brachen die Indianer ihr Lager ab, um das Thal in der Richtung nach der Hazienda zu verlassen. Ich wurde auf ein Pferd gebunden, und zwar so, daß es geradezu eines Wunders bedurft hätte, nur einen einzigen Finger frei zu bekommen. Dazu, mußte ich zwischen zwei Roten reiten, an deren Pferden das meinige rechts und links gebunden war. Es war einige Minuten lang meine Hoffnung gewesen, mein Pferd so antreiben zu können, daß es mich trotz meiner Fesseln aus der Mitte der Indianer tragen mußte; nun aber mußte ich auch diesen Gedanken als unausführbar aufgeben.

Eine Rettung, eine einzige, gab es noch für die Hazienda, aber auch nur für den Fall, daß man mich soweit mit in die Nähe derselben nahm, daß ich rufen, daß ich durch Schreie warnen konnte. Und ich nahm mir vor, dies ohne Rücksicht auf mein Leben zu thun. Aber, hatte der Häuptling meinen Gedanken erraten, oder war es nur eine Vorsichtsmaßregel, als wir noch ungefähr eine Viertelstunde zu reiten hatten, mußten fünf Mann mit mir zurückbleiben, während die andern den Marsch fortsetzten. Wir befanden uns noch nicht im Walde, sondern noch vor demselben auf freiem Felde. Wären wir unter Bäumen gewesen, so hätte es eher eine Möglichkeit gegeben, daß es mir gelingen könne, trotz der Riemen unter denselben zu verschwinden; hier aber konnte vom Verschwinden keine Rede sein. Dennoch übten die fünf Menschen ihr Wächterwerk auf eine wahrhaft raffinierte Weise aus, indem sie Pflöcke in die Erde schlugen und mich kreuzweise an dieselben banden. Die Packpferde waren bei uns zurückgeblieben und wurden von ihren Lasten befreit, um grasen zu können.

Gesprochen wurde nicht; destomehr zermarterte ich mir das Hirn, um doch noch einen Rettungsweg zu entdecken -vergeblich! Die Zeit verging; die Dunkelheit begann zu weichen; der Tag graute schon. Da hörte ich ein fernes Klingen; soweit es von mir war, ich kannte es doch; es war das Angriffsgeheul der Indianer. Hätte ich jetzt fortgekonnt, es wäre doch zu spät gewesen; ich hätte nicht ein einziges Menschenleben retten können.

Die Gefühle, welche sich meiner bemächtigten, lassen sich nicht beschreiben. Ich geriet in einen solchen Zustand der Wut, daß ich alle meine Selbstbeherrschung zusammennehmen mußte, scheinbar ruhig bleiben zu können. Meine Wächter lachten sich mit teuflischem Grinsen an; ich hätte sie erwürgen können, trotzdem ich sonst nicht gern eines Menschen Gegner bin. Ich lauschte ebenso angestrengt wie sie. Das Geheul wiederholte sich. Es war kein Wut-, sondern ein Siegesgeheul. Die Roten hatten keinen Widerstand gefunden; der Überfall war gelungen.

Wir warteten eine Stunde und noch eine, ohne daß ein Bote kam. Es wollte wohl keiner von der Hazienda fort, weil es jetzt jedenfalls ans Plündern ging. Endlich, nach drei vollen Stunden, kam ein Yuma gejagt. Er meldete voller Freude, daß alles aufs beste gelungen sei und daß die fünf mit mir nachkommen sollten. Die Packpferde wurden beladen, und wir ritten weiter. Im Walde kamen wir an dem jungen Weller vorüber, welcher hier zurückgeblieben war, um auf der Hazienda nicht gesehen zu werden und doch so nahe zu sein, daß er alles hören könnte. Er hatte sein Pferd angebunden, lag im Grase, sprang aber auf, als er uns kommen sah, und rief mir zu:

„Was sagt Ihr jetzt, Master? Wenn Ihr jetzt Himmel und Erde in Bewegung setzen könntet, es wäre doch nichts mehr zu ändern. Die Hazienda ist unser, und Ihr geht Eurer letzten Stunde entgegen.“

Ich hatte ihm kein Wort antworten wollen, konnte mich aber jetzt nicht halten und rief ihm im Vorüberreiten zornig zu:

„Oder du der deinigen, Schurke, der du bist. Sobald ich frei bin, hole ich dich mir; darauf kannst du dich verlassen!“

„Thue es, thue es!“ lachte er hinter mir her, „Es ist nicht nur eine Ehre, sondern muß eine wahre Wonne sein, von Old Shatterhand niedergeschossen zu werden. Also komme sobald wie möglich! Ich werde mit Sehnsucht auf dich warten.“

Der Mensch hatte leichtes Lachen; mir aber war es trotz der hilflosen Lage, in welcher ich mich befand, genau so, als ob ich ihn schon vor der Mündung meines Gewehres hätte und den kurzen, scharfen Knall desselben hörte.

Jetzt senkte sich der Wald zu den schon mehrfach erwähnten Bachwiesen nieder, auf denen wir die Herden des Haziendero hatten weiden sehen. Die Herden waren da; aber es standen jetzt rote Hüter bei ihnen; die weißen lagen ermordet im Grase; es war keiner von ihnen mit dem Leben davongekommen. Warum man sie nicht geschont und doch allen Auswanderern das Leben geschenkt hatte, wurde mir erst später klar.

Wir hielten einen Büchsenschuß von der Hazienda an. Dort lagen die Deutschen, um welche ich solche Angst ausgestanden hatte, gefesselt an der Erde, bei ihnen der Haziendero, welcher, als er mich erkannte, mir zurief:

„Sie, Sennor? Wie kommen Sie nach hier zurück?“

„Um Sie zu retten, bin aber dabei leider selbst in die Hände der Mörder geraten. Sehen Sie denn nun ein, daß ich recht hatte?“

„Recht hatten Sie, aber doch nicht ganz. Das mit dem Überfall war richtig; aber Sennor Melton ist unschuldig, wie Sie sich überzeugen können.“

Er winkte mit dem Kopfe seitwärts. Dort lagen Melton und Weller senior, an Händen und Füßen gefesselt, auch an der Erde. Das war natürlich nur ein Gaukelspiel, welches den Zweck hatte, zu beweisen, daß die beiden keinen Anteil an dem Werke der Indianer hätten. Ich wollte das dem Haziendero sagen, wurde aber von meinen Wächtern mit dem Pferde fortgezerrt und dann in solcher Entfernung wieder an den Boden gepflockt, daß ich nicht mehr mit Timoteo Pruchillo reden konnte.

Die vor mir sich entwickelnde Scene war eine wildbelebte. Das Thor der Hazienda stand weit offen; die Indianer strömten aus und ein, um alles, was nicht niet- und nagelfest war, herauszuschaffen. Dabei heulten sie vor Entzücken einander wie die Tiger an. Was sie geschleppt brachten, wurde nicht unmittelbar vor dem Thore oder vor der Mauer niedergelegt, sondern eine Strecke weit fortgetragen, was mir Grund zu einer Befürchtung gab, welche später leider auch in Erfüllung ging. Die Hazienda sollte nämlich eingeäschert werden, und der Raub wurde, damit die Funken ihn nicht erreichen könnten, weit fortgeschafft.

Aber warum das Haus niederbrennen? Welchen besonderen Zweck verfolgte der Mormone, der doch der Anstifter des Ganzen war, dabei? Auch das sollte mir erst später klar werden. Es war eine geradezu diabolische Berechnung, welche er dabei hatte.

Ferner fiel mir auf, daß sich nur der Haziendero mit seiner Frau bei den Gefangenen befand; ich sah keine von den Personen, welche ich während meines allerdings nur kurzen Aufenthaltes auf der Hazienda bemerkt hatte, auch „Sennor Adolfo“, den aufgedunsenen Majordomo, nicht. Sie waren ermordet worden, alle, ohne Ausnahme, und zwar aus demselben Grunde, den ich jetzt noch nicht kannte.

Das Plündern währte fast bis an die Mittagszeit; dann wurden die Herden zusammengetrieben. Man vereinigte sie nordwärts der Hazienda auf einem weiten, freien Plane, wo sie von einer Anzahl von Indianern zusammengehalten wurden. Als dies geschehen war, brachte man die Leichen der ermordeten Hirten geschleppt. Sie wurden in das Haus getragen, um mit verbrannt zu werden. Bald stiegen dicke Rauchwolken, erst aus dem Hauptgebäude und dann auch aus den kleinen Hofhäusern, auf. Ich hörte den Haziendero vor Schreck schreien; seine Frau stimmte mit lautem Jammer ein.

Aber es sollte für ihn noch schlimmer kommen. Dreißig oder vierzig Yumas bestiegen ihre Pferde und ritten nach verschiedenen Richtungen auseinander. Wozu, das fragte ich mich zwar, fand aber keine Antwort. Nach Zeit von einer halben Stunde sah ich auf der östlichen Höhe Rauch aufsteigen; dann bemerkte ich im Süden dunkeln Qualm, bald darauf auch im Norden; nach Westen, wo jedenfalls dasselbe geschah, konnte ich nicht sehen, weil ich mit dem Kopfe nach dieser Richtung angefesselt war. Kein Zweifel, die Roten hatten den Wald in Brand gesteckt! Das vertrocknete Gras- und Riedwerk gab den Zunder, über welchen das Feuer mit fressender Schnelligkeit glitt, um sich an den dürren Ästen festzubeißen und dann auch die grünen Gipfel anzupacken. Der Haziendero bat, jammerte und fluchte abwechselnd; es half ihm nichts. Die vierzig Roten schürten fort und fort, um das Feuer nicht im saftreichen Grün ersticken zu lassen, und kamen erst dann wieder, als die Flammen eine solche Mächtigkeit entwickelt hatten, daß Menschenhände ihnen keinen Einhalt zu gebieten vermochten und es sicher war, daß die immer stärker werdende Hitze auch das grüne Holz so rasch ansengen werde, daß es auch in Brand geraten müsse.

Die Glut wuchs und wuchs und trieb die Indianer von dannen. Die schon mitgebrachten und dann auch die auf der Hazienda erbeuteten Packsättel wurden den Pferden aufgelegt, damit die letzteren mit der Beute beladen werden könnten. Als das geschehen war, wurde fortgezogen. Voran ritt der Häuptling; ich folgte mit den fünf Wächtern; dann kamen wieder einige Indianer, darauf die Auswanderer mit dem Haziendero und seiner Frau; sie waren alle gebunden und wurden zu beiden Seiten von den Roten eskortiert. Hinterher endlich wurden die erbeuteten Pferde, Rinder, Schafe und Schweine getrieben. Der Zug ging nordwärts, erst am Bache hin und dann, als derselbe den Bogen nach rechts machte, in die links sich öffnende Lichtung hinein, wo er, zufällig oder absichtlich, an der Stelle hielt, an welcher der Mormone mich hatte erschießen wollen, von mir aber unschädlich gemacht worden war. Unschädlich? Leider nicht! Jetzt bedauerte ich es von ganzem Herzen, ihn nicht wirklich unschädlich gemacht, das heißt, ihm eine Kugel in den Kopf gegeben zu haben. Er befand sich, was ich allerdings noch erwähnen muß, an der Seite des Haziendero, neben ihm der alte Weller, beide ebenso gefesselt wie die andern. Sie mußten, natürlich nur zum Scheine, als Gefangene gehalten werden.

Meine Wächter brachten mich abseits und banden mich an einen einzeln stehenden Baum fest, von welchem aus ich die Errichtung des Lagers und dann das Treiben in demselben beobachten konnte. Man gab mich nicht mit den andern Gefangenen zusammen, weil man mir mißtraute. Eigentlich hätte ich stolz darauf sein können, daß die Roten mich allein für fähig hielten, ihnen einen Streich zu spielen, und ich gestehe allerdings, daß mein ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet war, einen Weg zur Freiheit zu erdenken und ihnen dann womöglich ihren Raub wieder abzunehmen.

Man denke nicht, daß ich mir damit zuviel zutraute. Das Schwierigste war meine Befreiung. Gelang diese, so rechnete ich auf den Beistand der Mimbrenjoindianer, mit denen ich ja an der großen Lebenseiche zusammentreffen wollte.

Die Roten schlachteten ein Rind, ein Schwein und mehrere Schafe, deren Fleisch gebraten wurde. Sie verzehrten große Quantitäten desselben, und ließen auch ihre Gefangenen nicht Hunger leiden. Ich bekam soviel, daß ich es nicht aufessen konnte, wobei man mir abermals die Hände freigab, um sie dann augenblicklich wieder zu fesseln. Wenn man das beim Essen immer so machte, so konnte das ein Mittel zu meiner Befreiung werden, wenn sich nichts anderes und leichteres fand. Denn es war schwer und außerordentlich lebensgefährlich, auf diese Weise loszukommen. Ich mußte vor aller Augen, wenn meine Hände frei waren, die Riemen von den Füßen lösen. Wenn das nicht außerordentlich schnell geschehen konnte, so fand man Zeit, es zu verhindern, und dann stand es fest, daß man mir die Hände nicht wieder freigeben werde. Und selbst wenn es gelang, somußte meine Flucht angesichts sämtlicher Roten vor sich gehen, und ich hatte dann sicher soviele von ihnen hinter mir her, daß sie mich wieder fassen mußten. Ja, wenn meine Glieder sich in normalem Zustande befunden hätten! Aber die sehr fest angelegten Riemen hinderten den Blutumlauf; infolgedessen wurden die Hände und Füße taub; sie verloren das Gefühl, und es war vorauszusehen, daß besonders die letzteren mir nur mit großer Unsicherheit gehorchen würden. Mit den Händen konnte ich mir eher helfen; ich brauchte sie nur, wenn sie mir nach dem Essen wieder gebunden wurden, so zu halten, daß man die Riemen nicht so übermäßig fest zusammenbrachte. Das that ich denn auch jetzt; es gelang mir;, ich konnte die Handgelenke bewegen, doch noch lange nicht so, daß es mir möglich gewesen wäre, die Fesseln abzustreifen; ja, es war sogar unmöglich, sie mit Verletzung der Haut und des Handfleisches herunterzuwürgen. Ich befand mich eben in einer ganz unbehilflichen und ziemlich aussichtslosen Lage, doch fiel es mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben, denn ich wußte, daß ich einstweilen geschont werden sollte, und mir also eine Frist blieb, während welcher sich wohl ein Weg zur Rettung öffnen konnte.

Es wurde Abend; ein Abendessen gab es nicht, weil jedermann vom Nachmittage her noch satt war. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und meine Wächter trafen dabei die Vorsichtsmaßregel, mich in eine Decke einzuwickeln und mit Riemen zu umbinden, so daß ich wie ein Säugling im Bündel bewegungslos im Grase liegen mußte. In diesem Zustande war ich des Gebrauches selbst des kleinsten Gliedes beraubt, schlief aber doch so gut, wie es unter solchen Umständen möglich war.

Ich hätte wohl bis zum Morgen fest geschlafen, wenn ich nicht durch eine eigenartige Berührung aufgeweckt worden wäre. Ich wurde nämlich an den Haaren gezerrt, und schlug infolgedessen die Augen auf. Ringsum herrschte nächtlicher Dämmerschein, während es unter dem Baume, wo ich lag, finster war. Trotz dieser Dunkelheit sah ich einen meiner Wächter vor mir sitzen, zu meinen Füßen, nicht ganz zwei Ellen von denselben entfernt; die andern lagen rund um mich her und schliefen, während er wachte. Er rauchte eine Cigarre, jedenfalls von dem Vorrate, den man in der Hazienda erbeutet und dann verteilt hatte.

Wer hatte mich berührt? Ein Yuma sicherlich nicht, denn aus welchem Grunde hätte einer der Wächter mich in dieser Weise aus dem Schlafe wecken sollen? Und hätte es einer gethan, so hätte er nun gesprochen, mir gesagt, was er wolle; es blieb aber still. Ich dachte sogleich an meinen kleinen Mimbrenjo, hütete mich, einen Laut von mir zu geben, und hob und senkte den Kopf aber einige Male, um zu zeigen, daß ich aufgewacht sei. Derjenige, welcher es war, mußte hinter mir, so daß ich ihn nicht sehen konnte, im Grase liegen, und dieses war, wie ich bemerken muß, über einen Fuß hoch; einem schlanken Knaben, wie der Mimbrenjo war, bot es also wohl hinreichend Schutz, so daß er bei der hier herrschenden Dunkelheit selbst von dem so nahesitzenden Wächter nicht bemerkt werden konnte. Dennoch war es eine staunenswerte Kühnheit, sich durch die um mich herliegenden Schläfer bis an meinen Kopf zu wagen.

Als ich die erwähnten Bewegungen gemacht hatte, hörte ich hinter mir ein leises, reibendes Geräusch, wie wenn jemand sich mit äußerster Vorsicht kriechend im Grase fortbewegt; er schob sich weiter zu mir heran, bis sein Kopf neben dem meinigen lag, hielt mir den Mund an das Ohr und hauchte:

„Ich bin es, der Mimbrenjo. Welchen Befehl hat Old Shatterhand für mich?“

Er war es also wirklich! Ein anderer an meiner Stelle hätte in diesem Augenblick wohl alles andere eher empfunden als das, was ich fühlte, nämlich innige Freude darüber, daß der kleine Kerl außer großem Mute auch den Scharfsinn und denjenigen Grad von Schlauheit besaß, welcher ihm notwendig war, wenn er später ein berühmter Krieger werden wollte. Er wünschte, sich einen Namen zu erwerben; er hatte geglaubt, daß sein Wunsch bei mir eher in Erfüllung gehen werde, als sonst anderswo; nun, wenn er die dazu erforderlichen Eigenschaften in dieser Weise und in diesem Grade bewährte, so konnte seine Erwartung sehr bald in Erfüllung gehen.

Ehe ich ihm antwortete, lauschte ich einige Augenblicke, ob seine letzte Bewegung vielleicht dem Wächter aufgefallen sei oder einen der Schläfer aufgeweckt habe; es war nicht der Fall, und so wendete ich ihm mein Gesicht zu und flüsterte im leisesten Tone:

„Hast du die Pferde?“

„Ja,“ antwortete er ebenso leise.

„Und alle meine Sachen?“

„Alle.“

„Wo?“

„Seitwärts der Hazienda, am Felsen festgebunden, wo es keine Spuren giebt.“

„Das ist klug. Wie bist du hierher gekommen?“

„Ich sah, daß Old Shatterhand gefangen wurde, weil er mich retten wollte. Ich vermutete, daß man nach mir suchen und dabei die Pferde finden würde. Ich wollte die Feinde von ihnen ablenken und eilte darum allein fort, aus dem Thale hinauf und über die Ebene, bis ich Felsen fand, wo die Yuma meine Fährte verlieren würden. Mein Stamm kennt die Schnelligkeit meiner Füße; kein Yuma hat mich ereilen können; sie waren soweit hinter mir, daß ich sie nicht sah, und sie haben mich also auch nicht sehen können. Als meine Spuren nicht mehr zu bemerken waren, lief ich in einem Bogen, um ihnen auszuweichen, wieder nach dem Thale zurück, wo ich mich auf die Lauer legte. Ich sah sie unverrichteter Sache wiederkommen und beobachtete sie weiter. Als sie aufbrachen, nahm ich die Pferde und ritt hinter ihnen her, um Old Shatterhand zu befreien. Ich werde dafür gern mein Leben geben, weil er meinetwegen ergriffen worden ist.“

„Du wagst viel, doch sehe ich, daß du vorsichtig und klug genug bist, es auszuführen. Ich denke, daß ich mit deiner Hilfe bald frei sein werde.“

„Bald? Warum nicht gleich? Ich habe mein und auch dein Messer mit und werde dich losschneiden.“

„Das wirst du nicht, denn die Folge würde sein, daß auch du in die Gefangenschaft gerietest. Du mußt aber frei bleiben.“

„Old Shatterhand mag bedenken, daß alle schlafen und nur dieser eine wacht! Er ist blind; er sieht mich nicht.“

„Und du magst bedenken, was geschehen muß, ehe ich von der Erde aufzustehen vermag. Vom Fortspringen will ich gar nicht reden. Du mußt die Riemen zerschneiden, welche für die Nacht um meinen Körper gebunden sind; das währt, weil wir sehr langsam und vorsichtig verfahren müssen, wohl eine Stunde. Dann muß ich mich aus der Decke rollen, was nur in der Hälfte dieser Zeit geschehen kann, und wenn das gelungen ist, so sind noch immer die Fesseln von meinen Händen und Füßen zu entfernen.“

„Das geht dann schnell. In zwei Stunden sind wir fertig.“

„Wir würden fertig sein; aber mein junger Bruder mag meine Wächter zählen. Es sind ihrer fünf; sie werden also abwechseln, einander ablösen. Jeder wird, ehe er mich von dem vorigen übernimmt, mich untersuchen, um sich zu überzeugen, daß ich noch fest gebunden bin. Man traut mir nicht. Du siehst also ein, daß ich in dieser Nacht unmöglich fortkann.“

„Old Shatterhand hat recht; ich werde also in der nächsten Nacht wiederkommen.“

„Du würdest mich ebenso finden wie jetzt und mich ebenso wieder verlassen müssen.“

„Aber wann soll ich da überhaupt kommen? Wie lange soll ich dich in ihren Händen lassen? Wenn sie dich töten, so werde ich nie wieder in unsern Wigwams erscheinen dürfen, denn alle würden auf mich zeigen und mich anspucken, weil ich durch meinen Leichtsinn Old Shatterhand in die Gefangenschaft und in den Tod gebracht habe.“

„Sie töten mich jetzt noch nicht, sondern sie wollen mich für den Marterpfahl aufsparen, welcher erst nach ihrer Heimkehr errichtet wird.“

„Das ist gut; mein Herz wird leicht! Aber wie soll ich dich befreien, wenn ich nicht wieder zu dir kommen darf?“

„Ich mache mich schon selber los. Da aber meine Füße von den Banden taub geworden sind und mich nicht weit tragen würden, so wünsche ich, daß du in dem Augenblicke, wenn ich fliehe, in der Nähe bist, damit ich auf das Pferd springen kann.“

„Ich werde den Yumas folgen und mich, so oft sie lagern, ganz nahe bereit halten.“

„Aber ja mit der größten Vorsicht! Ich muß wissen, in welcher Richtung du dich befindest. Bleibe stets hinter ihnen. Und nicht nur die Richtung, sondern auch die Stelle, an welcher ich dich zu suchen habe, möchte ich möglichst genau kennen.“

„Wie soll ich dir das mitteilen, da ich nicht mit dir sprechen kann?“

„Hast du gelernt, die Stimme irgend eines Vogels nachzuahmen?“

„Der Zauberer meines Stammes versteht es, die Stimmen aller Tiere zu sprechen, und ich bin sein Schüler gewesen. Welchen Vogel oder welches Tier meinst du?“

„Wir müssen die Stimme eines Tieres wählen, welche sowohl bei Tage als auch bei Nacht zu hören ist, da ich nicht weiß, ob ich am Tage oder des Nachts die Flucht ergreifen werde, oder ob du mir das Zeichen früh, mittags oder des Abends zu geben hast. Die Nachahmung der Tierstimme soll, sobald ich sie höre, mir sagen, wo sie ertönt, also wo du dich befindest.“

„Ein Tier, dessen Ruf des Tages und des Nachts ertönt, ist selten. Wollen wir nicht lieber ein Tag- und ein Nachttier wählen?“

„Auch das, wenn es dir auf diese Weise leichter fällt. Aber der mexikanische Grasfrosch hält sich sowohl im Walde, als auch auf dem freien Felde auf und läßt seine Stimme zu jeder Zeit, des Morgens und des Mittags, des Abends und des Nachts, hören. Das würde das passendste sein.“

„Ganz wie Old Shatterhand denkt! Ich kann die Stimme dieses großen Frosches so gut nachahmen, daß das schärfste Ohr getäuscht wird.“

„Das ist mir lieb. Höre also, was ich dir sagen werde! Es ist ein Glück, daß ich soviel Fleisch von der Hazienda brachte; du hast also zu leben und kannst alle Aufmerksamkeit auf deine Aufgabe richten. Ich weiß nicht, wenn wir von hier aufbrechen und an welchen Orten wir dann lagern werden. Mag dies geschehen, wann und wo es wolle, so folgest du uns, aber in vorsichtiger Entfernung, und suchst dir, so oft wir lagern, ein Versteck, welches uns so nahe wie möglich liegt, dir aber die nötige Sicherheit bietet. Dann wartest du auf einen Augenblick, an welchem in unserm Lager Ruhe herrscht, und stößest dann den Ruf des Grasfrosches aus, dreimal, aber nicht schnell hintereinander, weil dies auffallen würde, sondern in Zwischenräumen, welche eine Viertelstunde betragen können. Bin ich beim ersten Rufe vielleicht im Zweifel über die Stelle, von welcher er kommt, so wird mir der zweite oder gar dritte gewiß Sicherheit geben. Vom dritten Rufe an mußt du dich bereit halten, mit mir augenblicklich davonreiten zu können.“

„Ich werde so gut aufpassen, daß ich dich kommen sehe, und, sobald ich dich erblicke, sofort aus dem Verstecke hervorkommen.“

„Schön! Mein Pferd muß zum Besteigen fertig sein, damit ich keinen Augenblick zu verlieren brauche, denn ich werde die Verfolger hart hinter mir haben. Und noch ein anderes muß bereit sein, nämlich der Henrystutzen, das kleine Gewehr, aus welchem ich soviele Schüsse abfeuern kann, ohne einzeln laden zu müssen. Du hast es doch?“

„Ich habe es.“

„Hast du vielleicht daran probiert?“

„Nein. Wie könnte ich das wagen! Alles, was Old Shatterhand gehört, ist unantastbar.“

„So ist der Stutzen also in gutem Zustande. Halte ihn bereit, mir ihn, noch ehe ich auf das Pferd springe, in die Hand zu geben, damit ich den Verfolgern, falls sie mir zu nahe sein sollten, durch einige Kugeln Halt gebieten kann. Jetzt weißt du alles, und wir müssen uns trennen. Da muß ich dich noch auf etwas sehr Wichtiges aufmerksam machen. Ich vermute nämlich, daß man die andern Gefangenen frei lassen wird. Sie werden sehr wahrscheinlich nach der Hazienda zurückkehren. Laß dich nicht dadurch irre machen! Ich befinde mich auf keinen Fall bei ihnen. Du mußt unbedingt den Yumas folgen, die mich sicherlich bei sich haben.“

„Meine Augen werden offen sein, jeden Fehler zu vermeiden!“

„Das erwarte ich. Nun gieb mir mein Messer, welches du bei dir hast, wie du mir vorhin sagtest!“

„Wie kann ich es dir geben, da deine Hände verhindert sind, es zu nehmen? Soll ich es dir in die Decke schieben, in welcher du steckst?“

„Das geht nicht, weil sie zu fest zusammengeschnürt ist, und man würde es auch finden, wenn man sie morgen früh wieder aufbindet. Schiebe es hier, gerade in der Gegend meines rechten Ellbogens, in die Erde, sodaß das Heft nur ein klein wenig hervorsteht. Das Gras ist dicht; man wird es also nicht sehen.“

„Kannst du es denn, obgleich du gefesselt bist, herausziehen und einstecken?“

„Ja. Und nun entferne dich! Wir haben schon zu lange gesprochen, und die Ablösung kann jeden Augenblick vor sich gehen.“

„Ich gehorche. Vorher aber erleichtere mir mein Herz vollends! Ich habe einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen, und du bist großmütig genug gewesen, mir kein Wort, keine Silbe des Vorwurfes zu sagen. Wird deine Seele mir die Verzeihung versagen?“

„Nein. Du bist zu kühn gewesen, als du dich den Yumas so sehr nähertest, daß sie dich sehen konnten, aber dieser Kühnheit habe ich es zu verdanken, daß ich dich jetzt bei mir sehe. Wir sind quitt; ich zürne dir nicht.“

„So sage ich dir Dank. Mein Leben gehört dir, und an jedem meiner Tage werde ich mit Stolz daran denken, daß Old Shatterhand zu mir gesagt hat, er sei quitt mit mir.“

Er stieß das Messer neben mir in die Erde und zog sich dann zurück, so leise, daß nicht einmal ich es hörte, obgleich ich scharf lauschte. Nach einiger Zeit ertönte aus der Ferne der dumpfe, breite Schrei des Grasfrosches, der mir sagen sollte, daß dem kleinen Mimbrenjo der Rückzug glücklich gelungen sei.

Jetzt wußte ich, daß mir die Flucht auch gelingen würde. Diese Überzeugung benahm mir alle Sorge, und ich schlief so ruhig wieder ein, als ob ich mich bereits in Freiheit befände. Der Lärm des Lagerlebens weckte mich am Morgen, als es schon hell geworden war. Meine Hüter banden die Decke von mir los, da ihnen diese Vorsichtsmaßregel jetzt, am Tage, überflüssig zu sein schien. Ich that, als ob ich noch schläfrig sei, und wälzte mich auf die Seite, wobei ich mich von ihnen unbemerkt ein Stück zurückschob, sodaß ich das Messer, welches sich in der Ellenbogengegend befunden hatte, wenn ich mich vollends umwendete, mit den Händen ergreifen konnte.

Wie schon erwähnt, waren mir die Hände jetzt nicht mehr so fest wie vorher zusammengeschnürt; ich konnte die Finger bewegen. Nach einiger Zeit wälzte ich mich abermals herum, sodaß ich auf dem Bauche lag. Meine vorn befindlichen Finger tasteten nach dem Messer; ich mußte wohl zehn Minuten lang suchen, ehe ich das höchstens zwei Zoll lange Ende des Griffes, welches aus dem mit Gras bedeckten Boden ragte, fühlte. Und dann dauerte es noch länger, ehe ich das Messer aus der Erde brachte, denn weil ich meinen Körper nicht lüften, nicht erheben durfte, so konnte ich es nicht gerade herausziehen. Als mir dies gelungen war, brauchte ich wieder eine Weile, bevor es mir gelang, es mit den unbehilflichen Fingerspitzen unter die Weste zu schieben und ihm dort einen solchen Halt, eine solche Lage zu geben, daß es nicht hervorrutschte und überhaupt nicht bemerkt werden konnte.

Eben als ich damit fertig war, glücklicherweise nicht eher, wendete man mich um, um mir die Hände wieder freizugeben, weil ich essen sollte. Es wurde überhaupt große Morgenspeisung gehalten, weil, wie ich später sah, der Aufbruch vor sich gehen sollte. Die Tiere wurden zusammen- und dann weitergetrieben. Die roten Krieger, welche dazu nicht gebraucht wurden, blieben noch eine Weile am Platze, weil sie die langsam wandernde Herde bald einholen konnten. Nach vielleicht zwei Stunden trennten sie sich in zwei Abteilungen. Die kleinere blieb zurück, um die andern Gefangenen zu bewachen und sie, wie ich später hörte, erst nach Verlauf von zwei Tagen freizulassen. Es geschah das, damit der Haziendero nicht Zeit gewinnen könne, Hilfe zu holen und die Yuma zu ereilen, ehe sie sich in Sicherheit befanden.

Die größere Abteilung, welche von dem Häuptlinge angeführt wurde, folgte in langsamem Ritte den vorausgeschickten Tieren nach. Ich befand mich, auf ein Pferd gefesselt, bei ihr, von fünf neuen Wächtern umringt. Man wechselte also, damit die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit nicht ermüden solle. Als wir uns in Bewegung setzten, hörte ich die Stimme des Mormonen hinter uns dreinrufen:

„Farewell, Master! Grüßt mir den Teufel, wenn er Euch in einigen Tagen in der Hölle guten Morgen sagt!“

Sein auf die Hazienda gerichteter Teufelsstreich war ihm gelungen, und er hegte die Überzeugung, von mir befreit zu sein. – – –

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DRITTES KAPITEL

Winnetou

Unser Zug nahm eine mir sehr gut bekannte Richtung, nämlich diejenige nach dem Walde der Lebenseiche. Das war sehr hoffnungerweckend für mich, denn wenn diese Richtung beibehalten wurde, so war es sehr wahrscheinlich, daß wir den von mir zu Hilfe gerufenen Mimbrenjo-Indianern, mit denen ich doch an der Eiche zusammentreffen wollte, begegnen mußten. Bei fernerem Nachdenken aber sah ich ein, daß es für mich geraten sei, die Begegnung nicht zu wünschen, da sie mir große Gefahr brachte. Ich mußte mir nämlich sagen, daß die Yumas, im Falle sie angegriffen werden sollten, mich lieber töten als zusehen würden, daß die Mimbrenjos mich befreiten.

Mochte die Begegnung nun Glück oder Unglück für mich bedeuten, sie wurde, wie ich bald sah, unmöglich, weil die Yumas sich am Walde rechts wendeten, während der jüngere Mimbrenjoknabe und seine Schwester, meine Boten, nach links geritten waren. Sie hatten ihn nach Westen umritten, während wir nach seinem östlichen Ende trachteten, und da er von ganz bedeutender Ausdehnung war, so konnte ich annehmen, daß die beiden Wege soweit auseinander gingen, daß ein Zusammentreffen schwerlich anzunehmen war.

Der Abend kam heran, und noch hatten wir das Ende des Waldes nicht erreicht. Wir mußten am Rande desselben Lager machen. Die durch die geraubten Herden gebotene Langsamkeit hätte mich in jedem anderen Falle geärgert; jetzt aber war sie mir angenehm, da durch sie die mir gestellte Gnadenfrist fast um das Doppelte verlängert wurde.

Ich wartete natürlich auf das Zeichen meines Mimbrenjoknaben. Es ertönte erst, als wir gegessen hatten und ich schon wieder in die Decke gewickelt war. Fliehen konnte ich heute also nicht, doch war es mir eine große Beruhigung, zu wissen, daß der Helfer in der Nähe sei und meinen Anordnungen Folge leiste. Wie ich hörte, hatte er sich sehr nahe herangewagt; das konnte er, weil wir uns am Walde befanden, der ihm sichere Deckung bot.

Am Morgen ging es weiter. Dem Häuptling schien das langsame Reiten mit den Herden langweilig geworden zu sein; er beschloß, voranzureiten und am abendlichen Lagerplatze auf die Nachkommenden zu warten. Er nahm die Hälfte seiner Krieger und natürlich auch mich nebst meinen Wächtern mit. Das war ein ganz bedeutender Strich durch meine Rechnung. Der Mimbrenjo konnte nur langsam hinter den Herden drein, nicht aber hinter uns her; er traf also erst nach den Nachzüglern am Lagerplatze ein, und es war vorauszusehen, daß ich dann schon wieder mit der schrecklichen Decke umwickelt sein würde. Hilflos wie ein Kind, konnte ich dann an keine Flucht denken.

Wie gedacht, so geschehen! Am Vormittage war der Wald zu Ende; wir ritten bis Mittag über bald grasiges, bald ödes Land und machten dann für einige Stunden Halt, um zu essen. Die Hände wurden mir freigegeben. Ich hätte also mein Messer ziehen und die Fesseln meiner Füße durchschneiden können, um aufzuspringen und davonzulaufen. Aber wie weit wäre ich gekommen! Oder mich auf eines der Pferde werfen? Auch nicht. Sie weideten frei und hatten sich zerstreut. Das nächste war so weit entfernt, daß ich es zwar erreichen konnte, ehe ich ergriffen wurde, aber dann waren die vielen wohlbewaffneten Roten alle hinter mir, der ich nur das Messer hatte, her, und dazu durfte ich ganz und gar nicht annehmen, daß ich gerade das schnellste Pferd erwischen würde. Nein, ich mußte den Versuch, der mir nur verderblich werden konnte, unterlassen.

Den Nachmittag über ritten wir über ebensolches Land und hielten dann auf einer weiten, grasigen Fläche an. Da man genug Proviant mitgenommen hatte, so konnte gegessen werden; dann wickelte man mich ein. Es war wie gestern abend, nur daß der Mimbrenjo sich wegen der Ebenheit der Gegend nicht soweit heranwagen konnte.

Erst als es dunkel geworden war, kamen die Herden an.

Kurze Zeit später hörte ich den dreimaligen Ruf des Grasfrosches, und zwar aus einer Entfernung von höchstens dreihundert Schritten. So nahe konnte der Knabe nur in der Nacht bleiben; am Morgen, ehe es Tag wurde, mußte er zurück, um nicht gesehen zu werden. Der arme Teufel opferte den Schlaf, ohne daß ich Vorteil davon hatte.

Ebenso ging es den folgenden und auch den vierten Tag. Kam ein mir günstiger Augenblick, so war der Mimbrenjo nicht bei der Hand, und sagte mir dann sein Zeichen, daß er in der Nähe sei, so war die Gelegenheit für mich vorüber. Der fünfte Tag aber sollte glücklicher für mich sein.

Der Weg führte schon vom Morgen an über felsige Höhen, durch enge Thäler und finstere Schluchten. Da konnte man sich nicht trennen, weil die doppelte Zahl von Treibern erforderlich war. Ich hatte die bestimmte Ahnung, daß heute die Entscheidung kommen werde. Beim Mittagslager war ich noch nie eingewickelt worden, und die Beschaffenheit der Gegend erlaubte es meinem Helfer, sich so nahe zu halten, wie ich nur wünschen konnte.

Kurz bevor die Sonne am höchsten stand, kamen wir durch eine rauhe, viel gewundene Schlucht, welche sich ganz plötzlich auf einen grünen, wiesigen Plan öffnete; auch Gesträuch stand da. Das Vieh war nicht zu halten; es stürmte aus der Schlucht auf den verlockenden Plan und hatte sich in wenigen Minuten so zerstreut, daß die Reiter ihre liebe Not hatten, es wieder zusammenzubringen.

Der Häuptling hatte meinen Hütern sogleich den Befehl gegeben, mich loszubinden, natürlich nur vom Pferde, und auf die Erde zu legen. Sie setzten sich neben mir nieder. Da wir dann den Mittelpunkt des Lagers bildeten, so kam dasselbe so nahe dem Ausgange der Schlucht zu liegen, daß ich denselben mit vielleicht vierhundert Schritten erreichen konnte.

Aus den Befehlen, welche der Häuptling erteilte, entnahm ich, daß er heute nicht weiter wollte. Die geraubten Herden waren durch die Märsche während der letzten vier Tage so angegriffen worden, daß man ihnen wenigstens bis morgen früh Ruhe gönnen mußte, wenn sie den weitern Teil des Weges aushalten sollten. Dem längeren Aufenthalte angemessen, wurden, was während der vorigen Tage nicht geschehen war, die Zelte aufgeschlagen. Während diese Arbeit ausgeführt wurde und man die sonstigen Vorbereitungen traf, kam der Häuptling herbei und setzte sich vor mir nieder. Eben als er Platz genommen hatte, ertönte der erste Schrei des Grasfrosches, ohne daß einer der Indianer darauf achtete.

Der große Mund legte die Füße übereinander, kreuzte die Arme über der Brust und heftete seinen stechenden Blick auf mein Angesicht. Ich sah ihm an, daß er jetzt reden werde, während er mich bisher dessen nicht gewürdigt hatte. Die fünf Wächter blickten zu Boden; sie sahen weder ihn noch mich an; das war die ehrfurchtsvolle Erwartung des Augenblicks, an welcher sich ihr Häuptling wenigstens in Worten mit Old Shatterhand messen werde. Da ein trotziges Schweigen meinen Zustand nur verschlimmern konnte, da ferner ein übel angebrachter Stolz hier nur Dummheit gewesen wäre, und da es endlich meinem Charakter widerstrebte, mich von diesem Manne, wenn auch nur in Worten, werfen zu lassen, so nahm ich mir vor, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er begann mit der nicht sehr geistreichen Frage.

„Du bist ein Bleichgesicht?“

„Ja,“ antwortete ich. „Oder sind deine Augen so schwach, daß du mich für einen Indianer hältst?“

Er fuhr, ohne auf meine Frage zu achten. fort:

„Und nennst dich Old Shatterhand?“

„Nicht ich nenne mich so, sondern berühmte weiße und rote Krieger und Häuptlinge haben mir diesen Namen gegeben.“

„Sie thaten unrecht daran. Der Name ist eine Lüge. Deine Hand ist gebunden; sie vermag keinen Käfer, keinen Wurm zu zerschmettern und noch viel weniger einen Menschen. Sich her, wie ich mich vor dir fürchte!“

Er spuckte mich, als er diese Worte gesagt hatte, an. Ich antwortete in gleichmütigem Tone:

„Wenn mein Name wirklich eine Lüge ist, so enthält der deinige destomehr Wahrheit. Du wirst der große Mund genannt und besitzest auch wirklich ein so großes Maul, daß es seinesgleichen sucht; aber an deiner Stelle würde ich nicht stolz darauf sein. Es ist keine Kunst und keine Heldenthat, einen Gefangenen, welcher vollständig gefesselt ist, anzuspeien, weil er sich nicht rächen kann. Zeige mir doch lieber den wahren Mut: Nimm mir die Fesseln ab, und kämpfe mit mir! Dann wird es sich zeigen, wer den andern zerschmettert, du mich oder ich dich!“

„Schweig!“ donnerte er mich an. „Du gleichst dem Frosche, welcher da hinten schreit. Man verachtet sein Quaken.“

Es war nämlich soeben der zweite Ruf des Grasfrosches erklungen. Die Worte des Häuptlings gaben mir die Gelegenheit, offen nach dem Ausgange der Schlucht blicken zu dürfen, ohne befürchten zu müssen, das Mißtrauen meiner Wächter zu erwecken. Der Schrei klang so nahe, daß ich annahm, mein kleiner Mimbrenjo müsse gleich hinter dem ersten vorspringenden Felsen der Schlucht stecken. Ich hob also noch mehr den Kopf, um ihm sehen zu lassen, daß ich hinschaute, und da sah ich wirklich eine kleine, braune Knabenhand, welche für einen Augenblick hinter der Kante des Gesteines hervorgestreckt wurde, und dann schnell wieder verschwand. Wer nicht wußte, daß jemand dort steckte, konnte die Hand gar nicht gesehen haben.

Nun stand es bei mir fest, jetzt zu entfliehen. In Zeit von einer Viertel-, höchstens einer halben Stunde mußte ich frei, oder eine Leiche sein. In diesem Bewußtsein gab ich die Antwort, die sonst sehr lächerlich gewesen wäre:

„Ich verachte dieses Quaken nicht, sondern freue mich darüber. Kennst du die Stimme der Tiere?“

„Ich kenne sie alle.“

„Ich meine es anders, nämlich so, ob du die Sprache der Tiere verstehst?“

„Kein Mensch versteht sie!“

„Ich verstehe sie doch. Soll ich dir sagen, was der Schrei des Frosches dir mitteilen will?“

„Sage es nur immer!“ antwortete er, indem er verächtlich lachte.

„Der Frosch teilt dir mit, daß du heute einen Verlust haben und infolgedessen auf dem Wege, den du hierher gekommen bist, wieder zurückreiten wirst.“

„Der große Geist hat dir die Sinne verwirrt!“

„Nein, sondern er hat mir die Sinne geöffnet und geschärft. Ich höre Schüsse fallen; ich höre den Hufschlag eurer Pferde und das Wutgeheul eurer Krieger. Ihr werdet mit zwei Menschen kämpfen, einem großen und einem kleinen, und sie nicht besiegen können. Schande wird über euch ergehen, und diejenigen, welche ihr verhöhntet, werden euch verlachen!“

Er öffnete schon den Mund zu einer wütenden Antwort, besann sich aber, nahm die Arme von der Brust, ließ sie fallen und musterte mein Gesicht mit einem sehr ernsten, bedenklichen Blicke. Dann sagte er: „Verstehe ich dich recht? Old Shatterhand spricht nie wie ein Unsinniger. Seine Reden haben Sinn, selbst wenn man sie nicht versteht. Was meinst du mit deinen Worten! Von welcher Schande redest du?“

„Denke nach, so wirst du es finden. Und wenn du es nicht findest, so warte, dann wird es bald kommen!“

Er dachte so angestrengt nach, daß er dabei die Augen verdrehte; dann rief er aus:

„Ich hab’s gefunden; ich weiß es! Eine Schande hier, und dann reiten wir zurück? Du glaubst, entkommen zu können, und meinst, daß wir dich verfolgen werden bis an das Thal jenseits der Hazienda, wo der junge Hund der Mimbrenjos noch immer auf dich wartet. Du denkst ferner, daß wir mit dir und mit ihm dort kämpfen werden, ohne euch besiegen zu können. Jetzt erst glaube ich im Ernste, daß der große Geist dir den Verstand verwirrt hat. Du ersehnst die Freiheit und träumst mit offenen Augen von ihr; ja, du redest von ihr, ohne dir dessen, was du sagst, eigentlich bewußt zu werden. Dein Verstand hat gelitten und –“

Er hielt plötzlich mitten in seiner Rede inne; es war ihm ein Gedanke gekommen, nämlich der, welchen er bereits vorhin ausgesprochen hatte: Old Shatterhand könne nicht sinnlos reden. Er kam zu mir heran und untersuchte meine Fesseln mit seinen eigenen Augen und Händen. Als er sie in Ordnung fand, setzte er sich an seinen Platz zurück und meinte, indem er ein sehr überlegenes Lächeln zeigte:

„Jetzt weiß ich, was es ist: Old Shatterhand will mich zornig machen, um dann über mich wie über ein Kind lachen zu können; aber es wird ihm nicht gelingen. Er will uns unsicher machen, damit wir in dieser Unsicherheit einen Fehler begehen. Ja, er thut nichts ohne Überlegung, aber bei uns wird er sich verrechnet haben!“

„Uff, uff!“ riefen die Wächter zum Zeichen, daß sie ihm beistimmten. Er fuhr, zu mir gewendet, fort:

„Old Shatterhand hat meinen Sohn, den kleinen Mund, getötet und wird dafür sterben müssen. Aber er ist ein tapferer Mann, und ich habe gehört, daß er stets ein Freund der roten Männer war; darum will ich ihm eine Gnade gewähren und ihm erlauben, diejenige Todesart, welche er sterben will, selbst zu wählen. Will er erschossen sein?“

Ich wußte, daß seine Worte, wie sich auch bald zeigte, Ironie enthielten, und antwortete: „Nein.“

Er fragte nach der Reihe, ob ich erstochen, erschlagen, verbrannt, vergiftet oder erstickt werden wolle, und ich antwortete jedesmal mit einem entschiedenen Nein.

„Er antwortet nur mit Nein; er mag mir aber doch selbst sagen, für welche Todesart er sich entschieden hat!“

„Ich möchte neunmal zehn oder zehnmal zehn Jahre alt werden und dann ruhig einschlafen, um jenseits des Lebens wieder zu erwachen,“ sagte ich.

„Das ist der Tod der Feiglinge; Old Shatterhand aber ist eines andern Todes wert. Ein solcher Mann muß jede Art des Todes kennen lernen, eine nach der andern, ohne mit der Wimper zu zucken, und diesen Vorzug, diesen Ruhm soll er bei uns finden. Zunächst werden wir ihm die Hände und Füße zerbrechen, wie er die Hände meines weißen Freundes Melton zerbrochen hat.“

Er sah mich forschend an, um zu beobachten, was diese Ankündigung für einen Eindruck auf mich machen werde.

„Das ist gut!“ antwortete ich, indem ich lächelnd nickte.

„Dann werden wir ihm die Muskeln der Arme und Beine durchstechen und ihm die Nägel von den Fingern und Zehen reißen!“

„Darauf freue ich mich!“

„Nachher skalpieren wir ihn bei lebendigem Leibe!“

„Sehr richtig, denn wenn ich tot wäre, würde ich es nicht fühlen.“

„Dazwischen lassen wir die Wunden stets wieder heilen, damit er stark für neue Martern werde.“

„Das ist mir lieb, weil ich sonst die neuen vielleicht nicht gut vertragen würde.“

„Spotte nicht! Die Lust zum Spotte wird dir bald vergehen, denn ich sage dir, daß wir dir die Hände abschneiden werden!“

„Alle beide?“

„Ja. Dann schneiden wir dir die Augenlider weg, sodaß du nicht schlafen kannst.“

„Weiter!“

„Wir stellen deine Füße in das Feuer, um das Fleisch von den Knochen zu braten. Wir hängen dich an den Beinen auf; wir werfen dich mit Messern; wir –“

„Halt ein!“ unterbrach ich ihn, indem ich, um ihn zu ärgern, laut auflachte. „Ihr werdet von alledem nichts, gar nichts machen. Und wenn ihr tausend Krieger zähltet, so wäret ihr doch zu wenig, Old Shatterhand ein Leid zu thun. Dazu gehören ganz andere Leute. Du hast mich vorhin mit dem Frosche verglichen, den wir hörten; ich könnte euch mit noch ganz andern, viel widerwärtigeren Tieren vergleichen, will es aber nicht thun; doch das muß ich euch sagen, daß ihr euch vielmehr vor mir zu fürchten habt, als ich mich vor euch.“

In diesem Augenblicke gab der Mimbrenjoknabe sein drittes Zeichen. Der Häuptling antwortete wütend, da er mir ansah, daß ich nicht im Hohne, sondern in vollstem Ernste, mit voller Überzeugung gesprochen hatte:

„Hörst du ihn da drüben wieder quaken? So quakst auch du. Du sollst bald sehen, wer sich zu fürchten hat. Ich werde von jetzt an strenger sein, um dir die Lust zu benehmen, deine Rettung für möglich zu halten. So wahr du die Stimme dieses Frosches hörtest, so wahr bist du verloren!“

„Du irrst, denn so wahr ich sie höre, so wahr ist’s, daß ihr mir nichts zu thun vermöget!“

„Wohlan, ich will es dir beweisen. Von jetzt an sollst du stets, wenn du nicht zu Pferde bist, eingebunden werden. Dann siehe zu, wie du zu entkommen vermagst. Bindet seine Hände los und gebt ihm sein Fleisch; dann will ich ihn in die Decke rollen. Von jetzt an werde ich das stets selbst thun, damit diesem Hunde jeder Schein von Hoffnung vergehen möge!“

Er war fast außer sich darüber, daß ich so ruhig blieb und trotz meiner Gefangenschaft seine Übermacht leugnete. Ich trieb eigentlich, indem ich von meinem Entkommen gesprochen hatte, ein gewagtes Spiel, hatte aber dabei die feste Zuversicht, daß ich die Partie nicht verlieren, sondern gewinnen würde.

Einer der Wächter holte mein Fleisch; die andern nahmen mir die Riemen von den Händen. Der Augenblick des Handelns, der Entscheidung war nahe. Trotzdem war ich innerlich und äußerlich vollständig ruhig. Und das muß so sein. Wer in einem solchen Momente wankt und zittert, der kommt wohl schwerlich glücklich über ihn hinweg.

Man hatte mir meine Portion Magerfleisch in lange, dünne Streifen geschnitten, welche ich mit den Zähnen leicht in Bissen trennen konnte, ohne ein Messer zu brauchen. Das that ich denn auch so langsam und behaglich, als ob ich mit weiter nichts als mit meinem Appetite beschäftigt sei; ich hatte mich dabei in sitzende Stellung aufgerichtet und hielt die Beine und Füße so, daß ich alle Schlingungen der Riemen mit einem einzigen Male erreichen und zerschneiden konnte. Zwei Schnitte hätten wohl schon zuviel Zeit erfordert, obwohl es sich dabei nur um Sekunden handelte. Das Leben hing von halben Momenten ab.

Der Häuptling beobachtete mich mit finsterer Miene.

Meine absichtlich zur Schau getragene Behaglichkeit empörte ihn, und er nahm sich gewiß vor, mich nachher durch äußerst festes Zusammenschnüren meiner Glieder dafür zu bestrafen.

„Mach‘ schneller!“ gebot er mir. „Ich habe keine Zeit, auf dich solange zu warten!“

Um die nötige Zeit zum Vornüberbeugen des Oberkörpers und Hervorholen des Messers zu gewinnen, ließ ich, scheinbar erschrocken über diese ebenso plötzliche wie scharfe Anrede, das Fleisch aus den Händen fallen und bückte mich nieder, um es aufzuheben, wozu ich mich der linken Hand bediente. Während ich mit vollster Sicherheit annehmen konnte, daß dabei die Augen aller auf das Fleisch und meine Linke gerichtet waren, fuhr ich mit der Rechten unter die Weste, indem ich antwortete:

„Schneller? Gut, so soll es sofort geschehen. Paß auf!“

Bei diesen beiden letzten Worten hatte ich auch schon die scharfe Messerklinge zwischen den Füßen an den Riemen; ein Schnitt – ich sprang empor, setzte dem Häuptling meinen rechten Fuß auf die Achsel, sprang über ihn hinweg und rannte fort, der Schlucht entgegen. Ich muß sagen, daß ich, als meine Füße nach dem Sprunge über des Häuptlings Kopf hinweg den Boden berührten, beinahe zusammenstauchte; aber ich mußte weiter, und so ging es auch, denn was man muß, das kann man auch. Indem ich in weiten Sätzen über das Gras flog, herrschte hinter mir zunächst die tiefste Stille, die Stille der Überraschung, des Schreckens; man war eben starr und stumm, als das für unmöglich Gehaltene so plötzlich zur Wahrheit wurde; dann aber – ich war vielleicht hundert Schritte weit gekommen – löste sich der Bann, und es erschallte ein Geheul, als ob tausend Teufel hinter mir ihre Stimme erhöben. Ich sah mich natürlich nicht um und rannte weiter; alle meine Kräfte mußte ich gleich jetzt anstrengen, um das Pferd zu erreichen. In meinem Zustande hätte ich einen Dauerlauf nicht zwei Minuten lang ausgehalten.

Da sah ich meinen Mimbrenjo hinter dem Felsen hervortreten. Er hatte sein Gewehr in der Rechten und hielt mir mit der Linken meinen Stutzen entgegen. Er blieb nicht etwa wartend stehen, sondern kam auf mich zugerannt. Noch ehe wir zusammentrafen, rief ich ihm entgegen:

„Sind die Pferde gleich hier, hinter der Ecke?“

„Nein, hinter der ersten Krümmung.“

„Wieviel Schritte?“

„Hundertmal fünf.“

O weh! Noch fünfhundert Schritte konnte ich mit meinen eingeschlafenen Füßen nicht thun, ohne erreicht zu werden; also mußte Blut mich retten, Indianerblut! Das war eine jener Lagen, in denen ich so gern geschont hätte und doch nicht schonen durfte. Ich riß im Laufen dem Knaben den Stutzen aus der Hand, betastete das Schloß, fand es in Ordnung und fühlte mich infolgedessen so sicher, daß ich stehen blieb und mich nach den Verfolgern umwandte. Ich nahm als sicher an, daß sie sich nicht die Zeit gegönnt hatten, ihre Schießwaffen mitzunehmen, und fand dies bestätigt. Sie kamen schreiend und mit den Armen in der Luft fechtend in einem wirren Haufen hinter mir hergerannt, voran meine Wächter mit dem Häuptlinge.

„Zurück, ich schieße!“ rief ich ihnen entgegen.

Ich stand auf meinen geschwächten Füßen nicht so recht fest, glaubte aber, dennoch sicher schießen zu können, und legte an. Die Yumas beachteten meinen Ruf nicht und kamen heran bis auf hundert Schritte; zwei Schüsse von mir; neunzig Schritte wieder zwei; achtzig, siebzig, sechzig Schritte je zwei Schüsse; das waren zehn Kugeln, von denen jede in das Hüftgelenk eines Verfolgers fuhr; die Getroffenen stürzten augenblicklich nieder. Die andern sahen das und wurden stutzig.

„Zurück!“ rief ich abermals. „Ich schieße euch alle nieder!“

Noch zwei Kugeln, welche fest saßen! Der wackere Mimbrenjo war bei mir stehen geblieben und schoß auch; ich machte nur unschädlich; seine Kugel aber galt den Tod. Die Verfolger blieben halten; sie wagten sich nicht weiter. Viele rannten zurück, um ihre Flinten zu holen. Einer aber rannte blind vor Grimm weiter, auf mich los – der Häuptling. Er schrie vor Wut wie ein wildes Tier und schwang sein Messer, die einzige Waffe, welche er augenblicklich besaß, in der Linken, denn die Rechte hatte ich, wie man sich entsinnen wird, ihm verwundet. Es war ein Unsinn von ihm, mir in dieser Weise nachzustürrnen, eine Unvorsichtigkeit, welche nur durch die ungeheure Erregung, in welcher er sich befand, zwar nicht entschuldigt, aber doch wenigstens erklärt werden kann. Es war klar, daß sein Leben mir gehörte; ich wollte es nicht haben. Ich hatte ihn schon um den Gebrauch der rechten Hand gebracht, er sollte die linke behalten; darum entschloß ich mich für einen Hieb auf den Kopf. Das Messer hoch zum Stoße erhoben, kam er heran; in dem Augenblicke, an welchem seine Klinge nach mir fuhr, sprang ich zur Seite und schwang den schnell umgekehrten Stutzen; sein Stoß ging in die Luft; mein Kolbenhieb aber warf ihn nieder, und zwar in der Weise, daß er liegen blieb.

Seine Leute, welche das sahen, schrieen in allen Tonarten und Tonlagen auf, denn sie nahmen an, daß ich den Häuptling nur niedergeschlagen hätte, um ihm dann das Leben zu nehmen. Diejenigen von ihnen, welche nach ihren Gewehren gelaufen waren, kehrten schon zurück. Andere, welche weiter sahen, rannten nach den Pferden. Unseres Bleibens war also nicht länger. Wir eilten der Schlucht zu und liefen, als wir in derselben angekommen waren, weiter, um die Pferde zu erreichen. Der Knabe war natürlich schneller als ich und mir voran. Als ich dreihundert von den fünfhundert Schritten zurückgelegt hatte, verschwand er schon hinter der Schluchtkrümmung, um gleich darauf wieder zu erscheinen, auf seinem Pferde sitzend und das meinige am Zügel führend. Er sprengte mir entgegen und hielt; ich schwang mich auf, eben als die ersten mit Gewehren bewaffneten Yumas erschienen. Sie schossen, in der Eile aber fehl. Wir rissen unsere Pferde herum und jagten fort, in die Schlucht hinein, den Weg zurück, den wir am Vormittage gekommen waren.

Ich war also frei, – denn daß die Yumas mich wieder bekamen, das war von jetzt an wohl so gut wie ausgeschlossen -konnte aber zunächst nicht an mich, sondern mußte an anderes denken. Der Haziendero war ruiniert und mußte wenigstens seine Herden wieder bekommen. Das konnte nur dann geschehen, wenn die Mimbrenjos, welche ich erwartete, Zeit fanden, sie den Yumas wieder abzunehmen. Leider wußte ich nicht, und auch der Knabe konnte nicht genau sagen, wo die letzteren gegenwärtig ihre Wigwams oder Weidegründe hatten. Da wir nach vier Tagen gerastet hatten und der Rasttag wohl in die Mitte der Zeit fiel, so war anzunehmen, daß die Yumas noch vier weitere Tage brauchten, um heimzukommen. Das war für uns und die Mimbrenjos zu kurz, sie zu erreichen. Aber gab es denn kein Mittel, die Yumas unterwegs aufzuhalten? O doch, und zwar ein sehr probates, welches sehr nahe lag und noch dazu ganz in meine Hand gegeben war. Dieses Mittel war nichts anderes, oder vielmehr bestand aus niemand anderem als aus – mir selbst. Ich mußte sie verlocken, mir soweit wie möglich zu folgen.

Es lag nahe, daß sie alles mögliche anstrengten, meiner wieder habhaft zu werden, erstens schon aus dem Grunde, weil sie den Tod des „kleinen Mundes“ an mir zu rächen hatten. Der zweite Grund lag in der sie beschämenden Art und Weise, in welcher ich ihnen entkommen war. Sie hatten mich so fest gehabt, hatten meiner gespottet, hatten mir, obgleich ich von fast hundert Kriegern umgeben gewesen war, noch fünf Wächter gegeben; ich hatte ihnen, ihrem Häuptlinge sogar offen gesagt, daß ich fliehen würde, und hatte dies auch ausgeführt, nicht etwa in der Nacht, im Schutze der Dunkelheit, sondern am hellen Tage. Dabei waren zwölf Krieger von mir für das ganze Leben gelähmt, und zwei weitere von dem Mimbrenjoknaben gar erschossen worden. Welch eine Schande, nicht bloß für die Betreffenden, sondern für den ganzen Stamm! Eine Schande, welche nur durch meine Wiederergreifung und meinen Tod einigermaßen gesühnt werden konnte!

Aus allen diesen Gründen nahm ich an, daß man mich sehr eifrig verfolgen würde und zwar in nicht geringer Anzahl. Hatten Hundert mich nicht zu halten vermocht, wieviel Personen waren da wohl nötig, mich wieder zu fassen? Mehr jedenfalls! Und diese gab es nicht; es waren im Gegenteile vierzehn weniger geworden. Die zwölf Verletzten mußten gepflegt werden; sie waren schwerlich im stande, den Zug fortzusetzen, denn eine Kugel in der Hüfte ist ein lebensgefährliches Ding. Woher wollte man da Leute nehmen, die Herden weiter zu transportieren?

Wenn ich mir das alles überlegte, so kam ich zu dem Resultate, das der „große Mund“, sobald er aus seiner Betäubung erwacht war, folgende Bestimmungen getroffen habe: Die Herden müssen einstweilen an Ort und Stelle bleiben, wo sie genug Gras zur Nahrung haben. Auch die Verwundeten bleiben da liegen und bei ihnen soviele Krieger, als zur Bewachung der Tiere und Pflege der Menschen unumgänglich nötig sind. Die andern aber müssen alle fort, um Old Shatterhand zu ergreifen und die Ehre des Stammes wieder herzustellen. So war es also wahrscheinlich, daß ich vierzig oder fünfzig Verfolger hinter mir hatte, deren Eifer um so größer war, als sie nun nicht nur das frühere, sondern auch das heute Geschehene zu rächen hatten.

Ich hätte ihnen leicht und sofort entkommen können, wenn ich nach rechts oder links ausgebrochen wäre; aber das wäre ein Fehler gewesen. Sobald sie meine Spuren verloren gesehen hätten, wären sie zu den Herden zurückgekehrt, um den Heimzug fortzusetzen, und diese wären für den Haziendero verloren gewesen. Da ich sie ihm aber retten wollte, mußte ich die Verfolger an meine Fährte heften.

Um dies zu erreichen, mußte ich auf dem Wege nach der Hazienda bleiben, weil sie jedenfalls annahmen, daß ich diesen einschlagen würde. Auch durfte ich nicht zu sehr eilen, denn je näher sie mir blieben, destomehr blieb ihr Eifer wach und destoweniger kamen sie auf den Gedanken, umzukehren oder wenigstens eine Anzahl von ihnen zurückzuschicken. Fand ich dann, was gar nicht unwahrscheinlich war, die Mimbrenjos bei der Lebenseiche auf mich wartend, so konnte ich mit ihrer Hilfe das ganze Corps gefangen nehmen und abermals umkehren, um die geraubten Tiere zu holen und sie ihrem Eigentümer, dem armen Don Timoteo Pruchillo zuzuführen. Daß dieser ohne seine Herden ein armer Teufel war, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Seine Häuser waren eingeäschert, seine Wälder und Gärten verbrannt; er besaß nur noch die Wiesen, welche ihm ohne Weidevieh keinen Pfennig einbrachten. Ich hatte ja gehört, daß er jetzt lange nicht mehr so wohlhabend sei, wie er früher gewesen war.

Alle diese Gedanken teilte ich meinem jungen Begleiter mit, indem wir flott unsers Weges dahintrabten. Er widersprach mir nicht, denn er hatte keine Ursache dazu und hätte sich dies auch gar nicht getraut, wenn er doch der Meinung gewesen wäre, mir unrecht geben zu müssen. Er nahm meine Darlegung wie ein Alter mit vollem Verständnisse auf und fragte in seiner ernsten Weise:

„So denkt Old Shatterhand also, daß wir fünfzig Yumas hinter uns her haben werden?“

„Wenigstens vierzig bis fünfzig,“ nickte ich.

„So viele werden uns aber nicht gleich folgen können. Der Häuptling lag in Ohnmacht, und die Krieger mußten warten, bis er erwachte, um seine Befehle zu vernehmen.“

„Das ist richtig; aber einige wenige sind uns jedenfalls sofort gefolgt, um unsere Spuren festzuhalten, bis die andern kommen. Ich werde mit ihnen sprechen.“

„Sprechen?“ fragte er erstaunt. „Habe ich richtig gehört? Old Shatterhand will wirklich mit diesen Spürhunden, welche ihn mit ihren Zähnen zerreißen wollen, reden? In welch eine Gefahr wirst du dich da begeben!“

„In gar keine. Die Gefahr, in welche du dich begabst, als du mich nach der Zerstörung der Hazienda aufsuchtest, war viel größer.“

„Es konnte keine Gefahr für mich geben, da ich einen Fehler zu sühnen hatte. Ich wäre in den Tod gegangen, wenn es hätte sein müssen.“

„Das glaube ich dir, nun ich dich näher kennen gelernt habe. Ich habe meine Freiheit nur durch dich wiedererlangt und werde es dir danken.“

„Old Shatterhand ist ein berühmter Krieger; er hätte sich auch ohne mich befreit!“

„Vielleicht, doch nicht so schnell und auf diese Weise, welche mir keine Verwundung und keinen noch so kleinen Verlust gebracht hat. Ist dir die Zeit, während welcher du in den letzten Tagen auf mich wartetest, nicht lang geworden?“

„Keine Zeit, selbst die längste nicht, ist lang, wenn man Geduld hat, und ein Jüngling, welcher ein Krieger werden will, muß sich außer in der Tapferkeit vor allen Dingen auch in der Geduld üben.“

„Aber du konntest nicht schlafen, denn des Tages mußtest du uns folgen, und des Nachts konntest du an jedem Augenblick meine Flucht erwarten!“

„Ein Krieger muß darnach trachten, den Schlaf beherrschen zu können. Übrigens konnte ich genug schlafen, denn ich legte mich zur Ruhe, wenn ihr aufgebrochen waret, und folgte euch erst nach einigen Stunden. Die Herden zogen so langsam, daß ich sie sehr schnell einzuholen vermochte.“

„Woran dachtest du, daß es lag, als du so vergeblich auf mich warten mußtest?“

„Ich dachte gar nicht, denn ich wußte, Old Shatterhand wird kommen, wenn seine Zeit erschienen ist.“

„Mit deinen Antworten beweisest du, daß du einst nicht nur ein tapferer Krieger, sondern auch ein um- und vorsichtiger Berater in der Versammlung der Häuptlinge und Ältesten sein wirst. Du wünschest, einen Namen zu haben. Sobald ich mit den deinen zum erstenmale am Feuer sitze, werde ich ihnen sagen, daß du bewiesen hast, wert zu sein, einen Namen zu tragen.“

„Uff, uff!“ rief er aus, indem seine Augen glänzten und er sich entzückt im Sattel aufrichtete.

„Ja, ich werde ihnen vorschlagen, dir einen zu geben.“

„Wolltest du das? Mein Dank würde so groß sein, wie die Erde ist, und so lange währen, bis ich nicht mehr lebe!“

„Ja, ich habe mir vorgenommen, diesen Antrag zu stellen.“

„Dann werden sie mich fragen, welchen Namen mir der große Manitou zeigte, und welche Medizin ich gefunden habe. Und ich kann ihnen doch keine Antwort geben!“

Wenn ein junger Indianer so herangewachsen und in allem, was er kennen und können muß, so weit herangebildet ist, daß er nun ein Krieger werden will, so hat er zunächst nach einem Namen zu suchen. Er geht also in die Einsamkeit, um zu fasten und über das, was einem Krieger und berühmten Manne zusteht, nachzudenken. Die Einsamkeit, das strenge Fasten, das Grübeln nach berühmten Thaten regen ihn auf; seine Nerven kommen in einen Zustand fieberhafter Thätigkeit oder überirdischen Empfindens, infolgedessen er in Träume oder Hallucinationen fällt. Der erste Gegenstand nun, von dem er träumt oder den ihm eine solche Hallucination zeigt, wird seine „Medizin“, sein Heiligtum fürs ganze Leben. Er bewaffnet sich und zieht fort, um nicht eher zurückzukommen, als bis er den Gegenstand geraubt, erobert, gefunden oder überhaupt erlangt hat. Das Ding, mag es nun groß oder klein sein oder die seltsamste Form und Gestalt haben, wird in Felle genäht und sorgsam verwahrt. Er nimmt es auf seine Kriegszüge mit und hängt es an die Lanze, welche vor seinem Zelte in der Erde steckt. Diese Medizin ist ihm das Kostbarste, das Heiligste, was er hat; um ihren Besitz kämpft er mit wahrer Verzweiflung und mit Aufbietung aller seiner Kräfte. Darum ist es ein großer Ruhm, die Medizin eines Feindes oder gar mehrerer oder vieler Feinde erobert zu haben. Ebenso groß ist aber auch die Schande, seine Medizin verloren zu haben, ob im Kampfe oder aus irgend einer andern Ursache, das bleibt sich gleich. „Der Mann, der keine Medizin hat“, das ist die tödlichste Beleidigung, welche einem Indianer gesagt werden kann. So ein Verachteter ruht gewiß nicht eher, als bis er die Medizin eines Feindes erobert hat; sie wird dann die seinige, und seine verloren gegangene Ehre ist wieder hergestellt.

Meist nimmt ein junger Mann, sobald er den Gegenstand, von welchem er träumte, also seine Medizin, gefunden hat, den Namen derselben an, weshalb man oft auf die sonderbarsten Namen derselben stößt, z.B. die „tote Spinne“, das „zerrissene Blatt“, der „lange Faden“. Die Betreffenden haben eben, als sie nach Medizin suchten, zuerst von einer toten Spinne, einem zerrissenen Blatte, einem langen Faden geträumt und tragen nun diese Gegenstände als ihre Medizinen mit sich herum. Es kommt aber auch vor, daß, wenn ein junger Mann sich durch eine besondere That auszeichnet, er einen Ehrennamen erhält, welcher an dieselbe erinnert, und ein solcher Name wird viel höher geachtet, als der gewöhnliche Medizinname. Darum antwortete ich auf die letzten Worte meines jungen Begleiters:

„Du brauchst nicht zu antworten, denn die Antwort werde ich ihnen geben, wenn sie so fragen.“

„Du?“ fragte er, indem seine Wangen sich höher röteten.

„Ja, ich, denn ich habe einen Namen für dich.“

Er senkte den Kopf, um sein Entzücken zu beherrschen. Er hätte mich sicher gar zu gern nach diesem Namen gefragt, doch wäre das gegen alle Regeln der Höflichkeit und Bescheidenheit gewesen. Darum fuhr ich, um seine Wißbegierde zu stillen, fort:

„Kannst du dir nicht denken, welchen Namen ich meine?“

„Nein.“

„So sage mir, welches die erste That ist, durch welche du dich ausgezeichnet hast!“

„Meine erste That,“ antwortete er seufzend, „war die, daß ich Old Shatterhand in die Hände der Feinde trieb.“

„Das hast du ja wett gemacht und ist also gesühnt; es war kein Thun, sondern ein Unterlassen, ein Nichtbeachten der von mir vorgezeichneten Vorsichtsmaßregeln. Dein erstes Thun, deine erste, wirkliche That war meine Befreiung. Was meinst du wohl, daß deine Krieger zu dieser That sagen werden?“

„Wer Old Shatterhand befreit, der ist der glücklichste und berühmteste der Krieger und wird niemals einer Medizin bedürfen.“

„Nun wohl, du hast zu meiner Befreiung mitgewirkt und dabei zwei Yumas erschossen; ich werde also am Feuer der Beratung den Ältesten deines Stammes vorschlagen, dich Yuma-Shetar zu nennen, und ich bin überzeugt, daß sie auf diesen Vorschlag eingehen werden.“

„Gewiß werden sie das, ganz gewiß!“ rief er aus oder vielmehr schrie er laut auf. „Es ist ja ein Ruhm für den ganzen Stamm der Mimbrenjo, von Old Shatterhand einen solchen Vorschlag gemacht zu erhalten. O Manitou, Manitou! Ich wußte es gar wohl, daß ich bei Old Shatterhand viel eher einen Namen, und auch einen viel bessern, finden würde, als an jedem andern Orte! Unsere Krieger werden mich beneiden; die Frauen werden von mir erzählen, und wenn ich vorübergehe, werden die Töchter heimlich durch die Ritzen der Zelte mir nachblicken. Vor allen Dingen aber wird mein Vater, der starke Büffel, mich an sein Herz drücken und mein kleiner Bruder vor Wonne und Liebe meine Lippen küssen. O, hätte er, der auch noch keinen Namen hat, ebenso wie ich bei dir bleiben können! Ich glaube, er hätte sich einen eben solchen wie ich erworben!“

„Sehr wahrscheinlich. Dieses Versäumnis kann übrigens nachgeholt werden, denn ich bin überzeugt, deinen Bruder bald wiederzusehen. Wenn er dir nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ähnlich ist, so wird er nach seiner Ankunft nicht geruht und gerastet haben, bis er von deinem Vater die Erlaubnis, den Zug gegen die Yumas mitmachen zu dürfen, erhalten hat.“

„Das glaube ich auch. Mein Vater, der große Häuptling der Mimbrenjos, ist sehr streng; er achtet der gewöhnlichen Wünsche seiner Kinder wenig, aber eine solche Bitte, die ihn erfreuen muß, zu erfüllen, wird er gewiß nicht zögern. Wie herrlich, wenn die Namengebung meines kleinen Bruders zu derselben Zeit mit der meinigen von dem ganzen Stamme gefeiert würde!“

Während dieser Unterredung hatten wir nicht nur den Weg durch die gewundene Schlucht, sondern auch durch mehrere Vorthäler zurückgelegt. Bei jeder Biegung des Weges hatten wir hinter uns geblickt, ob die Verfolger zu sehen seien, aber nichts von ihnen wahrgenommen. Dennoch war ich überzeugt, daß sie sich nicht weit von uns befanden, und nahm mir vor, nun bald, wenn die Gegend sich dazu eignete, die Probe zu machen.

Wir kamen an eine Art kleiner Prairie, die vielleicht einen viertelstündigen Ritt breit war. Als wir sie durchkreuzt hatten, befanden wir uns in einem Busche, der ein gutes Versteck bot. Hier hielt ich mein Pferd an und stieg ab.

„Will Old Shatterhand hier schon Rast machen?“ fragte der Knabe.

„Nein, sondern nur für kurze Zeit anhalten, um mit den Yumas zu reden.“

Wahrscheinlich kam ihm meine Absicht höchst sonderbar vor; er sagte aber nichts. Ich schnallte das Paket mit dem neuen Anzuge los, um denselben mit dem alten zu vertauschen. Letzterer war von Anfang an nicht viel wert gewesen und hatte während meiner Gefangenschaft so sehr gelitten, daß ich nun erst recht wie ein Stromer und ganz und gar bettelhaft aussah. Wie ganz anders war es, als ich in dem neuen steckte! Es war nicht die geringste Spur von Eitelkeit bei mir vorhanden, aber diese südlichen Indianer sind ebenso mehr für Äußerlichkeiten eingenommen als ihre nördlichen Brüder, wie der Mexikaner sich auffallender und glänzender kleidet als der unpoetische und nüchterne Yankee. Ein Sioux- oder Crow-Indianer versagt einem weißen Jäger seine Achtung nicht, auch wenn derselbe in Lumpen erscheint; ein Pimo oder Yaqui aber kann sich weit schwerer darein finden, eine schlecht gekleidete Person für einen tüchtigen Mann zu halten. Und doch kommt oft sehr viel darauf an, welchen Eindruck man gleich im ersten Augenblicke macht. Wäre ich nicht in meinem alten Anzuge auf der Hazienda erschienen, so hätte mir Timoteo Pruchillo wahrscheinlich eher geglaubt, und ich wäre nicht gezwungen gewesen, seinen famosen Majordomo zu beohrfeigen und in den Bach zu werfen. Man sieht, daß selbst in jenen abgelegenen Gegenden Kleider Leute machen.

Als ich mich umgekleidet hatte, sah ich ungefähr wie ein reicher mexikanischer Großgrundbesitzer, wie ein Caballero aus, der gerade auf dem Wege ist, die Dame seines Herzens zu besuchen.

„Uff!“ rief sogar der Mimbrenjo verwundert aus, als ich hinter dem Strauche, welcher die spanische Wand gebildet hatte, hervortrat. „Fast hätte ich dich nicht sogleich wiedererkannt;“ er errötete vor Verlegenheit. „Aber so haben wir Knaben uns Old Shatterhand vorgestellt, wenn uns von ihm und von Winnetou erzählt wurde.“

Als dieses aufrichtige und unbewachte Bekenntnis heraus war, ergriff ihn doppelte Verlegenheit; ich riß ihn aus derselben, indem ich ihm meinen Bärentöter gab und dabei sagte:

„Mein junger roter Bruder mag hier zurückbleiben und das Gewehr halten, welches ich nicht brauche. Sobald die Yumas erscheinen, werde ich ihnen entgegenreiten, um mit ihnen zu sprechen. Sollten ihrer so viele sein, daß sie es wagen, mich anzugreifen, so werden wir, um sie zurückzuhalten, dieses Buschwerk gegen sie verteidigen.“

Indem ich so hinter den vordern Sträuchern stand, beobachtete ich den Weg, den wir soeben zurückgelegt hatten. Was ich vermutet hatte, das geschah: Schon nach kurzer Zeit sah ich da drüben drei Reiter erscheinen, welche in kurzem Zotteltrabe über die Prairie herüberkamen. Ich ritt ihnen entgegen und nahm die Haltung eines Mannes an, welcher ganz unbesorgt seines Weges reitet. Dabei hielt ich den Körper nach vorn gebeugt und that, als ob ich so ermüdet sei, daß ich auf die vor mir liegende Fläche gar nicht achtete.

Als sie mich erblickten, stutzten sie; da sie aber keinen andern erscheinen sahen, so ritten sie weiter; einen einzelnen Reiter brauchten sie nicht zu scheuen. Ich stellte mich so, als ob ich sie noch nicht sähe, hielt aber den Stutzen quer über den Sattel gelegt, um ihn mit einem Griffe in Anschlag zu haben. Dabei war ich überzeugt, daß sie mich nicht, wenigstens nicht sofort erkennen würden, denn sie hatten mich in dem jetzigen, mich sehr verändernden Anzuge noch nicht gesehen und außerdem hielt ich die Zipfel der bunten mexikanischen Gargantille wie ein gegen die Sonne schützendes Halstuch so über Kinn und Bart geschlagen, daß, da der breitrandige Sombrero bis auf die Augen niederging, von meinem Gesichte eigentlich nur die Nase deutlich zu sehen war.

Jetzt waren sie mir so nahe gekommen, daß ich unbedingt nicht nur sie sehen, sondern auch die Schritte ihrer Pferde hören mußte. Ich richtete mich also auf, that, als ob ich sie jetzt erst erblickte, und hielt mein Pferd an, welches sie auch nicht kannten. Sie parierten die ihrigen vielleicht zehn oder zwölf Schritte vor mir; es waren drei von meinen letzten fünf Wächtern. Der eine redete mich in dem gebräuchlichen Mischmasch an:

„Wo kommst du her?“

„Von der Hazienda del Arroyo,“ antwortete ich mit verstellter Stimme, was mir nicht schwer wurde, da das Tuch auch meinen Mund halb verdeckte.

„Und wo willst du hin?“

„Zum großen Munde, dem Häuptling der tapfern Yumas.“

„Wie hast du die Hazienda gefunden?“

„Sie ist zerstört, vollständig vernichtet.“

„Von wem?“

„Von den Yumas.“

„Und da reitest du zu ihnen? Was willst du bei ihnen?“

„Mit ihnen über die Herden, welche sie fortgetrieben haben, verhandeln.“

„In welchem Auftrage?“

„Ich bin der Bote des Haziendero, welcher bereit ist, die Tiere zurückzukaufen, und soll mir von dem Häuptlinge den Preis bestimmen lassen.“

„Dein Weg ist umsonst, denn er verkauft die Tiere nicht.“

„Woher wißt ihr das?“

„Wir gehören zu seinen Kriegern.“

„So müßt ihr freilich wissen, was er thun will und was nicht; aber ich möchte dennoch mit ihm sprechen, da ich nach meinem Auftrage zu handeln habe.“

„Du scheinst nicht zu wissen, wie gefährlich das ist. Die Krieger der Yumas haben das Kriegsbeil gegen die Weißen ergriffen.“

„Ich weiß es, habe aber keine Sorge, da ich als Unterhändler unverletzlich bin. Wo haben die Krieger der Yuma, welche auf der Hazienda waren, ihr Lager aufgeschlagen?“

„Das brauchst du nicht zu wissen, denn es ist nicht nötig, daß du so weit reitest. Wenn du hier wartest oder langsam auf dieser Spur weiter reitest, wirst du in kurzer Zeit den Häuptling mit fünfzig seiner Krieger erscheinen sehen.“

„Ich danke euch. Lebt wohl!“

Ich that so, als ob ich weiter reiten wolle, obgleich ich wußte, daß sie noch mehrere Fragen an mich richten würden. Gerade auf diese Fragen kam es mir an, denn aus ihnen konnte ich vielleicht das schließen, was ich wissen wollte.

„Halt, warte noch!“ erklang es in befehlendem Tone. „Hast du denn mit dem Haziendero gesprochen?“

„Natürlich! Wie könnte ich sonst sein Bevollmächtigter sein!“

„Und er war mit dem Bleichgesichte, welches Melton heißt, auf dem Wege nach Ures?“

„Einen Weißen Namens Melton habe ich nicht gesehen.“

„Vielleicht einen, welcher Weller hieß, und den Sohn desselben?“

„Auch nicht.“

„So hast du wohl auch nicht einen Trupp unserer Krieger gesehen, bei welchem diese Bleichgesichter zwei Tage lang gefangen gewesen sind?“

„Nein. Ich habe nur den Haziendero gesehen und mit ihm gesprochen.“

„Wo?“

„In den Ruinen seines Hauses. Ich kam nach der Hazienda, um ihm Geld zu geben, welches ich ihm schuldete. Er will mit demselben das Vieh zurückkaufen und bat mich, den Yumas nachzureiten, um mit ihnen zu verhandeln.“

„Wer hat das Geld, du oder er?“

„Er natürlich.“

Sie hatten mich noch immer nicht erkannt und sahen einander betroffen an. Der bisherige Sprecher meinte nachdenklich, ohne dabei auf meine Gegenwart Rücksicht zu nehmen:

„Da muß etwas geschehen sein! Der Haziendero ist noch da, und die andern Bleichgesichter befinden sich nicht bei ihm! Auch unsere Krieger waren nicht zu sehen, obwohl sie nach hier unterwegs sein müssen! Er will das Vieh zurückkaufen; er hat Geld! Da kann alles anders werden! Und wo befinden sich die vielen fremden Bleichgesichter, welche mit ihren Frauen und Kindern von unsern Brüdern erwartet werden und in die Berge gebracht werden sollen?“

Die andern schüttelten stumm die Köpfe; er wendete sich wieder an mich:

„Bist du nicht vor kurzer Zeit zwei Reitern begegnet?“

„Ja. Es war ein Weißer mit einem jungen Indianer.“

„Wie war der Weiße gekleidet?“

„Wie ein Lump und Habenichts.“

„Was für Waffen hatte er?“

„Ich sah zwei Gewehre.“

„Das stimmt. Der Hund von Mimbrenjo hat sie ihm nachgebracht!“

Das sagte er wie zu sich selbst oder zu seinen beiden Kameraden; dann fragte er mich weiter:

„Ritten sie sehr schnell?“

„Nein,“ antwortete ich, indem ich den Zügel schärfer anzog, um mein Pferd um einige Schritte zurückzunehmen. „Sie waren abgestiegen.“

„Wo?“

„Dort hinter mir im Gebüsch.“

„Uff! So müssen wir schnell zurück, denn das lange Gewehr des Bleichgesichtes reicht bis hierher; es ist ein Bärentöter. Und die kurze Flinte desselben schießt ohne Aufhören immerfort. Komm mit uns! Wir reiten eine Strecke zurück, wo du den Häuptling sehen wirst und mit ihm sprechen kannst.“

„Das hat Zeit. Wartet noch ein wenig! Ich möchte etwas von euch haben.“

„Was?“

„Eure Gewehre und eure Pferde.“

„Warum und wozu?“ fragte er, indem er mich, erstaunt über diese Forderung, anblickte.

„Darum!“ antwortete ich, indem ich mit der Linken das Tuch aus dem Gesicht strich und mit der Rechten den Stutzen auf sie richtete. „Ihr habt selbst gesagt, wie oft ich mit diesem Gewehre zu schießen vermag. Wer von euch von der Stelle weicht, erhält augenblicklich eine Kugel. Und dort im Gebüsch steht der Mimbrenjo mit meinem Bärentöter, dessen Kugel bis hieher und auch noch weiter geht.“

Sie blieben halten, nicht etwa infolge meines Befehls, sondern vor Schreck, und starrten mir mit weit geöffneten Augen in das jetzt unverhüllte Gesicht.

„Uff!“ stieß der Sprecher hervor. „Das ist Old Shatterhand!“

„Old Shatterhand, Old Shatterhand!“ wiederholten die beiden andern.

„Ja, Old Shatterhand ist’s,“ nickte ich, das Gewehr mit der Mündung noch immer auf sie richtend, „Wendet nicht um, sonst schieße ich! Ihr wollt mich fangen und seid nun selbst gefangen. Ich will euch aber frei lassen und euch die Erlaubnis geben, zu eurem Häuptling zurückzugehen. Laßt eure Gewehre fallen!“

Sie hatten ihre Flinten, wie Indianer bei jeder fremden Begegnung zu thun pflegen, in den Händen, doch nicht schußbereit. Sie wagten nicht, sie gegen mich zu erheben, gehorchten aber doch nicht sogleich.

„Schnell, sonst schieße ich! Ich warte nicht!“ donnerte ich sie an. „Eins – zwei – –“

Ich hatte noch nicht „drei“ gesagt, so ließen sie die Gewehre aus ihren Händen und von den Pferden herab auf die Erde fallen.

„Steigt ab, und tretet auf die Seite!“

Sie gehorchten aus Angst vor der Mündung meines Stutzens.

„Jetzt lauft zurück! Wer von euch sich umsieht, solange ich ihn zu sehen vermag, bekommt die Kugel!“

Sie rannten augenblicklich in vollstem Laufe davon. Es war eigentlich zum Lachen, wie sie so davonschossen. Als sie mich noch fest hatten, spotteten und höhnten sie über mich; jetzt aber liefen sie wie die Hasen.

Ich brauchte gar nicht zu warten, bis sie verschwunden waren, denn ich war überzeugt, daß sie nicht wagen würden, sich umzudrehen. Ich stieg ab, um ihre Gewehre aufzunehmen und mich ihrer Pferde, welche beim Verschwinden ihrer Herren unruhig geworden waren, zu versichern. Da sah ich auch schon meinen Mimbrenjo im vollen Galoppe aus dem Busche geritten kommen, um mir zu helfen.

„Uff, uff!“ rief er mir schon von weitem zu. „Old Shatterhand ist ein großer Zauberer; ihm gelingen alle, selbst die schwersten Medizinen!“

„Das war nicht schwer,“ antwortete ich.

„Ohne Kampf drei Feinde zu entwaffnen und ihnen noch dazu die Pferde abzunehmen? Das soll nicht schwer sein! Wer hätte das vorhin gedacht! Als du sagtest, daß du mit ihnen reden wollest, war ich voller Sorge um dich!“

„Ich hatte einen Verbündeten.“

„Ja, du hattest einen, denn ich stand mit deinem Bärentöter, den ich aber nicht halten konnte, sondern auf die Gabel eines Busches legen mußte, bereit, sofort zu schießen, falls sie Miene machen sollten, sich gegen dich zu wehren.“

„Das war sehr brav, wenn auch unnötig. Ich meine einen andern Verbündeten, nämlich die Überraschung. Durch diese wurde die Angst verdoppelt, welche sie vor meinen Gewehren haben. Doch wir müssen fort, denn ihre Kameraden können jeden Augenblick erscheinen.“

Wir befestigten die drei Gewehre an den Sattelknöpfen der erbeuteten Pferde; der Mimbrenjo nahm ein Pferd, ich zwei am Zügel, dann ritten wir davon, erst langsam durch den Busch und, als wir ihn hinter uns, vor uns aber freies Land hatten, im Galopp. Diese Schnelligkeit hielten wir aber nur solange ein, bis wir weit genug entfernt waren, um nicht gefährdet zu werden. Als wir die Büsche nur noch als dünnen Streifen hinter uns liegen sahen, blieben wir halten, und zwar in wohl erwogener Absicht. Es kam uns ja darauf an, die Verfolger hinter uns her zu locken, und so mußten wir uns zuweilen von ihnen sehen lassen, um ihre Energie neu zu beleben.

Indem wir jetzt ruhig nebeneinander auf den Pferden saßen, bemerkte ich, daß der Mimbrenjo verstohlene, verlangende Blicke auf mich richtete, und erriet, daß er gern wissen wollte, was ich mit den drei Yumas gesprochen hatte. Ich erzählte es ihm. Als Knabe konnte er eine solche Vertraulichkeit nicht verlangen, umsomehr aber war er stolz darauf, daß ich ihm diese Mitteilungen machte. Als ich zu Ende war, blickte er sinnend vor sich nieder und sagte dann:

„Bei Old Shatterhand lernt man von Stunde zu Stunde immer mehr. Hat man die Vorteile erfahren, welche ein Krieger sich zu nutze machen muß, so hört man bald darauf wieder, wie man es anzufangen hat, von jemand das zu erfahren, was er einem nicht sagen soll. Wir wissen nun fast alles!“

„O, noch lange nicht! Die Hauptsache ist mir verborgen geblieben.“

„Will Old Shatterhand mir mitteilen, welche Sache das ist?“

„Gern. Zunächst wissen wir, daß wir fünfzig Verfolger hinter uns haben, und zwar unter Anführung des Häuptlings selbst. Was wird daraus zu schließen sein?“

„Daß die Herden und die verwundeten Krieger bis zur Rückkehr dieser fünfzig nicht weiter ziehen, sondern da liegen bleiben, wo wir sie verlassen haben.“

„Richtig! Ferner wissen wir, daß Melton und die beiden Weller frei sind, daß auch der Haziendero nicht mehr gefangen ist und daß sogar die weißen, fremden Einwanderer freigelassen worden sind.“

„Ist das nicht genug?“

„Nein.“

„Aber es kam dir doch eigentlich wohl nur darauf an, sie zu retten! Nun sind sie frei.“

„Sie sind frei, aber wo? Sie sollen von den Brüdern der Yumas, also von andern Yumas, in die Berge geführt werden. Das kommt mir verdächtig vor. Welche Berge sind gemeint? Was sollen sie dort? Sie kamen doch aus ihrer Heimat in dieses Land, um auf der Hazienda del Arroyo zu arbeiten. Wozu schafft man sie da, noch dazu durch feindliche Indianer, in unbekannte Berge?“

„Das vermag ich nicht zu sagen,“ meinte der Knabe in drolliger Aufrichtigkeit.

„Tröste dich darüber, denn ich weiß es auch nicht, werde aber nicht ruhen, bis ich es erfahren habe. Ferner: Der Haziendero hat mit Melton nach Ures gewollt. Was treiben sie dort? Ich würde unter andern Umständen diese Reise für eine ganz unverdächtige Sache halten; aber Melton hat die Indianer herbeigelockt und von ihnen die Hazienda überfallen, ausrauben und einäschern lassen. Nun reitet er mit dem zu Grunde gerichteten Besitzer nach Ures, während die fremden Arbeiter desselben, welche bei dem Überfalle auch alle ihre geringe Habe verloren haben, von Indianern in die Berge geführt werden. Der Haziendero gehört dahin, wo sie sind; warum trennt man sie?“

„Glaubst du, das erfahren zu können?“

„Ja. Ich werde, sobald wir die Herden gerettet haben, unbedingt nach Ures reiten. Und nun endlich, wo sind die Yumas, welche da, wo ich getötet werden sollte, zur Bewachung der gefangenen Weißen zurückgelassen worden sind? Sind die Gefangenen wirklich frei, so können die Wächter ihrem vorangezogenen Häuptlinge nachfolgen. Sie können schnell reiten, während wir wegen der Herden nur langsam vorwärts kamen; sie könnten also hier sein.“

„Vielleicht begegnen wir ihnen heute noch!“

„Das ist möglich, und darum müssen wir uns vorsehen, damit wir ihnen nicht in die Hände laufen. Doch, schau hinter uns! Siehst du unsere Verfolger?“

„Ja; sie kommen. Sie bleiben vor den Büschen halten. Meinst du, daß sie uns sehen?“

„Ja. Sie müssen uns ebensogut bemerken, wie wir sie sehen. Paß auf! Sie kommen uns im Galoppe nach. Wir können nun wieder weiter, denn nun sie uns sehen, fällt es ihnen nicht ein, umzukehren. Höchstens mußten sie die drei zurückschicken, denen wir die Pferde genommen haben und die infolgedessen nicht mit ihnen fortkommen können.“

Wir jagten weiter, über die bereits halb durchquerte Ebene hin, dann durch mehrere Thäler, über einige niedrige Berge und kamen nun wieder auf ebenes Land. Dort lag ein Wald, an welchem wir auf dem Herwege gelagert hatten und den wir bis zum Abende erreichen konnten. Wir zwei legten jetzt natürlich ganz andere Strecken zurück, als vorher mit den wie die Schnecken ziehenden Weidetieren, deren Spuren noch sehr deutlich zu sehen waren. Die Fährte war so breit und deutlich ausgesprochen, daß man sie recht gut eine Straße nennen konnte.

Die Zeit verging; die Sonne sank im Westen immer weiter nieder. Fast hatte sie den Horizont erreicht, und wir konnten uns nicht mehr allzuweit von dem Walde befinden. Da deutete der Knabe mit ausgestrecktem Arme gerade vorwärts und rief aus:

„Sieh, dort kommen die Yumas, die bei den gefangenen Bleichgesichtern zurückblieben, und von denen wir uns nicht sehen lassen dürfen!“

Er hatte recht, wenigstens in Beziehung auf das Erscheinen von Reitern. Es war ein dichter Haufen. Man konnte der großen Entfernung wegen nicht sehen, aus wie vielen Einzelnen er bestand. Es war allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß wir die ihrem Häuptlinge nun nachfolgenden Yumas vor uns hatten; darum bogen wir, um ihnen aus dem Wege zu gehen, in einem rechten Winkel nach rechts hinüber und ließen unsere Pferde laufen, was sie laufen konnten. Es war anzunehmen, daß die Nahenden uns noch nicht gesehen hatten.

Dem war aber nicht so, denn indem wir der neuen Richtung folgten, wendete ich mich einigemal um und sah, daß ein einzelner Reiter, welcher allerdings zunächst nur als winziger Punkt erschien, sich von dem Trupp getrennt hatte und auf uns zukam. Ich hatte die Wirkung der tiefstehenden Sonne nicht mit in Berechnung gezogen. Ihr grelles Licht traf den Trupp hinten, auf der uns abgewendeten, uns aber vorn, auf der ihm zugewendeten Seite; darum hatte man uns gar wohl bemerken müssen. Doch beruhigte mich der Umstand, daß der Reiterhaufe sich in seiner Richtung nicht beirren ließ und nur einen Mann abgeschickt hatte, der uns aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich erreichen konnte.

Der Trupp ritt jetzt langsamer, wohl um die Rückkehr des einen zu erleichtern, von West nach Ost. Wir ritten von Süd nach Nord, und zwar im Galoppe. Unsere Bahnen bildeten also einen rechten Winkel oder die zwei Winkelseiten eines regelmäßigen Vierecks, auf dessen Diagonale sich der einzelne Reiter hielt. Er hatte also den weitesten Weg zu machen, und doch war es erstaunlich, wie rasch er vorwärts kam. Ich hatte es für unmöglich gehalten, daß er uns bei unserem Galoppe erreichen könne, doch seine Gestalt wurde uns so schnell deutlich und immer deutlicher, daß ich meinen Irrtum einsehen mußte. War er uns erst als kleiner Punkt erschienen, so wuchs er schnell zur Größe eines Kürbis; dann begann er, sich zu gliedern. Sein Pferd hatte die Größe eines kleinen Hündchens, eines Schäferhundes, eines Windspiels, einer Dogge; es wurde größer und größer, kam näher und näher, obgleich wir unsere Schnelligkeit nicht verminderten. Mein Begleiter rief mehreremal ein verwundertes „Uff“, und ich war ebenso erstaunt über die unglaubliche Behendigkeit dieses Rosses.

In andern Ländern und Zonen hatte ich edle Renner nicht nur gesehen, sondern selbst geritten; hier in Nordamerika aber waren nur zwei Pferde bekannt, welche einen solchen Lauf, der fast ein Fliegen genannt werden konnte, entwickelt hatten, nämlich die beiden Rappen, auf denen Winnetou und ich so oft über die Prairien gejagt waren.

Winnetou! Ich hielt unwillkürlich mein Pferd an und beschattete meine Augen, um schärfer sehen zu können, mit der Hand. Das Pferd war ein Rappe; seine Beine arbeiteten, daß sie nicht zu sehen waren. Um den Leib des Reiters schimmerte es hell und rot; ein dunkler Schleier wehte hinter ihm her, und dann sah ich an dem Laufe seines Gewehres helle Funken blitzen. Das Herz jubelte mir. Der rote Schimmer kam von der Santillodecke, welche Winnetou stets als Schärpe trug; der dunkle Schleier war sein langes, schwarzes Haar, welches er nie kürzen ließ und nie mit einem Hute bedeckte, und die Funken flogen von den blanken Nägeln, mit denen seine berühmte und gefürchtete Silberbüchse beschlagen war.

Ich war mexikanisch gekleidet und saß, mit seinem edlen Pferde verglichen, auf einer Mähre; er erkannte mich also noch nicht. Aber er kannte die Stimmen meiner Gewehre, wie ich den scharfen, sonoren Knall seiner Silberbüchse so genau kannte, daß wir uns im wilden Urwalde oft nur mit Hilfe unserer Gewehre zusammengefunden hatten. Er war noch soweit entfernt, daß die Einzelheiten seiner hohen, schlanken Gestalt noch lange nicht zu erkennen waren; da nahm ich den Bärentöter vor und schoß. Der Erfolg war ein augenblicklicher. Der Reiter riß sein Pferd mitten im Ventre à terre zurück, so daß es sich hoch aufbäumte und fast überschlug; dann trieb er es weiter, stellte sich in den Bügeln hoch und schrie mit jubelnder Stimme.

„Scharlieh, Scharlieh!“

Er pflegte in dieser Weise meinen Vornamen Karl englisch auszusprechen.

„Winnetou, Winnetou, n’scho, n’scho – Winnetou, Winnetou, wie gut, wie gut!“ antwortete ich, indem ich mein Pferd ihm entgegentrieb.

Er kam gleich einem Halbgotte dahergesaust. Stolz und aufrecht, wie angewachsen, saß er auf dem fliegenden Rappen, den beschlagenen Kolben der Silberbüchse auf das Knie gestemmt. Sein edles Gesicht mit den gebräunten, fast römischen Zügen strahlte vor Freude; seine Augen glänzten. Ich war aus dem Sattel. Er gab sich gar nicht die Mühe, sein Pferd im Laufe anzuhalten; er ließ die Büchse zur Erde gleiten, und schnellte sich, während es an mir vorüberschoß, herab und mir in die ausgebreiteten Arme, um mich an sich zu drücken und wieder und wieder zu küssen.

Ja, wir waren Freunde, Freunde in des Wortes vollkommenster und bester Bedeutung, und waren doch einst Todfeinde gewesen! Sein Leben gehörte mir und das meinige ihm; damit ist alles gesagt. Wir hatten uns solange nicht gesehen; nun stand er vor mir in der mir bekannten und ihn so außerordentlich kleidenden halbindianischen Tracht. Als die Umarmungen vorüber waren, kamen wir aus dem Drücken und Schütteln der Hände nicht heraus. Unterdessen hatte sein Pferd einen kurzen Bogen geschlagen und kehrte zu ihm wie ein treuer Hund zurück. Es hörte meine Stimme, wieherte freudig auf und rieb den kleinen, feinen Kopf an meiner Schulter, um mir dann gar die Wange mit den Lefzen zu berühren.

„Sieh, es kennt dich noch und küßt dich auch!“ lächelte Winnetou. „Old Shatterhand ist ein Freund der Menschen und der Tiere, und wird darum von ihnen nicht vergessen.“

Sein Blick fiel dabei auf mein Pferd, und ein lustiges Zucken ging über sein sonst so ernstes Gesicht.

„Armer Scharlieh!“ meinte er. „Wo magst du doch gewesen sein, daß es nichts anderes für dich gab! Von heute an aber wirst du deiner würdig reiten.“

„Wie?“ fragte ich schnell. „Hast du den Hatatitla mit?“

Hatatitla, der Blitz, hieß nämlich der Rappe, den ich geritten hatte, während Winnetou den seinigen Iitschi, den Wind, nannte.

„Ich pflegte ihn für dich,“ antwortete er. „Er ist noch jung und feurig wie vorher, und ich nahm ihn mit, weil ich dich erwartete.“

„Das ist herrlich! Auf diesen Pferden sind wir allen Feinden überlegen. Wie aber kommst du nach der Sonora, da wir uns doch oben am Flusse treffen wollten?“

„Ich mußte zu einigen Stämmen der Pimos, um Streitigkeiten derselben zu schlichten, und dachte dabei an meinen tapfern roten Bruder Nalgu Mokaschi, den Häuptling der Mimbrenjos, den ich solange nicht gesehen hatte. Ich ritt, ihn aufzusuchen, und als ich an seinem Feuer saß, kehrte sein jüngerer Sohn mit der Squaw, doch ohne den älteren, zurück und meldete, was geschehen war und daß du die Hilfe der Mimbrenjos gegen ihre Feinde, die Yumas, fordertest. Wir riefen sogleich ein Hundert und ein halbes Hundert Krieger zusammen, nahmen Fleisch auf viele Tage mit und brachen auf, drei Stunden nachdem wir deine Botschaft erhalten hatten. Ist Old Shatterhand zufrieden?“

„Außerordentlich! Ich danke meinem Bruder Winnetou! Aber ist auch der Häuptling, mein Freund, mitgekommen?“

„Wie könnte er zurückbleiben, wenn Old Shatterhand ruft, der mit ihm die Pfeife der Freundschaft getrunken und eben jetzt seine drei Kinder vom Tode errettet hat! Auch der kleine Sohn ist mitgekommen, welcher nicht im Wigwam bleiben wollte, weil sein älterer Bruder bei dir ist. Wir haben uns viel zu sagen, doch steige in den Sattel, damit du vorher den starken Büffeh und seine Krieger begrüßest!“

Ich hätte ihm am liebsten jetzt das Notwendigste gesagt, und ihn nach dem Hauptsächlichsten gefragt; das wäre aber gegen seine Gewohnheiten gewesen. Wir stiegen also auf. Die Mimbrenjos waren indessen schon an der Stelle, an welcher ich nördlich umgebogen hatte, vorübergekommen. Winnetou gab einen Schuß aus seiner Silberbüchse ab, und der scharfe Knall drang bis zu ihnen. Sie sahen uns friedlich beisammen und hielten an. Wir ritten auf sie zu, hinter uns mein kleiner Mimbrenjo, welcher es nicht gewagt hatte, ein Wort zu sagen, aber mit bewunderndem, ja, ich möchte beinahe sagen, mit hingebendem Blicke an der Gestalt des berühmtesten der Apatschenhäuptlinge hing.

Von weitem waren die Mimbrenjos nicht zu schätzen gewesen; jetzt, da wir uns ihnen näherten, sah ich freilich, daß es anderthalbhundert Reiter waren, alle gut mit Schießgewehren bewaffnet. Vor ihnen hielt Nalgu Mokaschi, der starke Büffel, mein treuer, wenn auch rauher Freund von früher her. Sie hatten sich die Gesichter mit gelben und dunkelroten Streifen, ihren Kriegsfarben, bemalt, ein Beweis, wie ernst sie es mit der mir zu leistenden Hilfe zu nehmen beabsichtigten.

Der Häuptling, eine hohe, starkknochige Gestalt, hielt vor seinen Leuten auf einem sehr kräftigen Falben. Er blickte uns erwartungsvoll entgegen, da er mich von weitem nicht erkannte, weil er mich in einem mexikanischen Anzuge noch nicht gesehen hatte. Als wir aber nahe genug gekommen waren, sah ich trotz der Farben, welche sein Gesicht bedeckten, daß seine Züge den Ausdruck freudiger Überraschung annahmen.

„Uff, Uff!“ rief er aus. „Da ist ja Old Shatterhand, der Freund unserer Herzen, den wir soviele Monde nicht gesehen haben! Wir sind gekommen, ihm gegen die Hunde der Yuma beizustehen!“

Der Indianer ist gewohnt, seine Gefühlsregungen zu beherrschen; die Freude der Mimbrenjos war aber so groß, daß sie in laute Jubelrufe ausbrachen. Der „starke Büffel“ warf sich aus dem Sattel, um mich zu begrüßen. Er erwartete von mir ein Gleiches. Nach indianischer Sitte hätten wir hier absteigen müssen, um an Ort und Stelle die Pfeife der Begrüßung und des Friedens zu rauchen; ich aber blieb auf meinem Pferde sitzen, reichte ihm nur die Hand und antwortete:

„Meine Seele ist froh, den starken Büffel zu sehen und die Angesichter seiner tapfern Kriegern schauen zu dürfen; ich möchte ihnen gern vieles sagen und sie nach vielem fragen, aber wir müssen diese Stelle augenblicklich verlassen, da die Yumas sofort erscheinen werden. Meine Brüder mögen also umkehren, um zurückzureiten.“

„Sind diese Hunde hinter dir? Wir werden sie hier erwarten, um ihnen allen das Leben zu nehmen!“

„Wenn wir hier halten blieben, würden sie sich, sobald sie uns erblickten, aus dem Staube machen. Darum mag der Häuptling der Mimbrenjos thun, was ich gesagt habe. Reiten wir schnell nach dem Walde, an welchem er vor kurzem vorübergekommen ist, so können wir sie dort erwarten, ohne daß sie uns sehen. Sie werden zwar die Spuren meiner roten Brüder bemerken, sie aber nicht deutlich lesen können, da wir dieselben auswischen werden.“

Ehe er auf meine Worte eine Erwiderung geben konnte, erhielt ich von einer andern und zwar mir sehr lieben Seite eine Antwort. Es ertönte nämlich hinter den Reitern ein lautes freudiges Wiehern. Dort hielt ein Indianer das Pferd, welches Winnetou für mich mitgebracht hatte, am Leitzügel. Es hatte meine Stimme gehört, mich an derselben erkannt und strebte nun, sich loszureißen und zu mir zu kommen.

„Hatatitla!“ rief ich. „Laßt das Pferd los!“

Man folgte dieser Aufforderung. Das kluge, treue Tier kam herbeigesprungen, beschnoberte mich, und als ich ihm den schlanken Hals und die lange, glänzende Mähne streichelte, umsprang es mich einigemale wiehernd und schnaubend, und blieb dann bei mir stehen.

„Uff, Uff!“ riefen die Indianer, von dieser Treue ebenso gerührt wie ich. Ja, das war mein „Blitz“, der mich aus so mancher Gefahr getragen, und mir durch seine Klugheit und unvergleichliche Schnelligkeit nicht nur einmal das Leben gerettet hatte. Sein Aussehen war noch so frisch und seine großen, verständigen Augen glänzten noch so munter wie früher. Er trug auch ganz dasselbe indianische Sattelzeug, welches ich früher im Gebrauche gehabt hatte. Ich schwang mich hinüber, und noch saß ich nicht fest, hatte noch keinen Fuß im Bügel, da ging das Tier mit allen vieren in die Luft. Es rannte wie ein freudig aufgeregter Hund hin und her, schlug ganze und halbe Kreise und stieg bald vorn und bald hinten in die Höhe. Ich ließ ihm eine kurze Zeit den Willen; sobald ich es aber zwischen die Schenkel nahm, gehorchte es augenblicklich und blieb vor Winnetou und dem „starken Büffel“, welcher sein Pferd wieder bestiegen hatte, halten.

„Mein Bruder Old Shatterhand sieht, daß er selbst von seinem Pferde nicht vergessen worden ist,“ sagte Winnetou. „Wie oft mögen nun erst die Menschen, mit denen er verkehrte, an ihn gedacht haben! Ich werde ihm erzählen, was während seiner Abwesenheit im wilden Westen geschehen ist. Damit aber müssen wir warten, bis wir im ruhigen Kreise des Lagerfeuers sitzen. Jetzt dürfen wir uns nicht verweilen, da uns die Yumas nicht sehen sollen. Welche Entfernung liegt zwischen Old Shatterhand und ihnen?“

„Wahrscheinlich eine so geringe, daß sie jeden Augenblick hinten am Horizonte erscheinen können.“

Jeder andere hätte nun zunächst nach der Anzahl der Feinde gefragt; das fiel dem stolzen Winnetou aber nicht ein. Er schlang seinen Lasso los, band seine Santillodecke daran, um sie hinter sich herzuschleifen, und gab seinen Kriegern einen Wink, mit ihren Decken dasselbe zu thun. Durch das Nachschleifen der Decken oder auch anderer Gegenstände werden nämlich die Spuren ausgewischt, allerdings nicht so, daß sie gänzlich verschwinden. Wer hinterher folgt, bemerkt gar wohl, daß sich vor ihm Leute befinden, welche diese Vorsichtsmaßregel in Anwendung gebracht haben, aber er ist nicht mehr im stande, ihre Anzahl zu bestimmen. So auch hier bei uns. Die Yumas mußten unsere Fährte sehen, konnten aber unmöglich sagen, wieviel Personen wir waren.

Es ging im leichten Galoppe weiter. Ich ritt zwischen Winnetou und dem „starken Büffel“. Letzterer hatte seinen Sohn mit keinem Blicke begrüßt, obgleich er aus den obwaltenden Umständen schließen mußte, daß das, was der Knabe erlebt hatte, nichts Gewöhnliches sein konnte. So ist der Indianer. Der Häuptling liebte sein Kind jedenfalls nicht weniger, als ein Weißer das seinige; aber es wäre ein Zeichen der Schwachheit, der Unmännlichkeit gewesen, wenn er durch ein Wort, durch eine Frage verraten hätte, daß er sich um den Sohn in Sorge befunden habe.

Bald tauchte der mehrfach erwähnte Wald seitwärts vor uns auf. Wir hielten uns so, daß wir ihn zu unserer rechten Hand bekamen. Es galt, uns den Blicken der Yumas zu entziehen und sie in einem Hinterhalte zu erwarten. Dieser wurde uns geboten durch einen Vorsprung des Gehölzes, eine aus dem letzteren heraustretende scharfe Ecke, welche wir umritten, um hinter derselben anzuhalten.

Auch hier zeigte sich wieder die Gewalt, welche Winnetou, ohne daß er es beabsichtigte, auf alle, mit denen er in Berührung kam, auszuüben pflegte. Der „starke Büffel“ und viele seiner Leute ragten in Beziehung auf die äußere Gestalt weit über Winnetou hinaus; es waren weitbekannte, gefürchtete Krieger unter ihnen, und doch blickten alle, als wir anhielten, auf Winnetou, um zu warten, welche Bestimmungen er treffen werde. Er wurde, ohne daß ein Wort darüber gesprochen worden war, als Anführer der Roten betrachtet, obwohl er gar nicht zu den Mimbrenjos gehörte, und dem Häuptlinge derselben fiel es nicht im mindesten ein, neidisch darüber zu sein. Diesen Eindruck machte Winnetou überall, wohin ich mit ihm kam, selbst bei feindlichen Stämmen und sogar bei den Weißen, welche doch sonst nicht bereit sind, sich einem Roten unterzuordnen.

Und er pflegte wiederum nichts vorzunehmen, wenigstens nichts Wichtiges, ohne sich darüber vorher mit mir ins Einverständnis zu setzen. Freilich, wer das bemerken wollte, mußte sehr scharf aufpassen. Gewöhnlich fiel da keine Frage zwischen uns; ein Blick hinüber und herüber genügte zum Verständnisse, wo nicht, so sagte eine Handbewegung, ein Achselzucken, ein Nicken oder Kopfschütteln das übrige. Wir hatten uns eben so ineinander eingelebt, daß der eine die Gedanken des andern schon im voraus anzugeben wußte.

Wenn wir allein miteinander waren, vergingen Stunden und halbe Tage, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Selbst eine ganz plötzlich über uns hereinbrechende Gefahr hatte uns oft nicht zum Reden gebracht; unsere ganze Verabredung hatte in einem kurzen Winke bestanden. Befanden sich aber andere bei uns, so pflegten wir uns weniger schweigsam zu verhalten, da wir sprechen mußten, um von ihnen verstanden zu werden. Ja, wenn wir etwas vornahmen, was für uns höchst selbstverständlich, für sie aber unbegreiflich oder gar widersinnig war, so ließ sich Winnetou nicht ungern zu ausführlichen Erklärungen herbei, welche er aber nie in einer langen Rede, sondern in der Weise gab, daß er mit mir Frage und Antwort wechselte. Ein solches, wenn auch noch so kurzes Gespräch enthielt dann für die Zuhörer gewöhnlich eine Belehrung, welche sie mit achtungsvollem Schweigen von dem berühmten Apatschenhäuptlinge hinnahmen.

Als er jetzt die Augen aller, selbst des Häuptlings, fragend auf sich gerichtet sah, wendete er sich an mich:

„Old Shatterhand hält diese Stelle für geeignet?“

Ich nickte und stieg vom Pferde.

„Werden zwei Wachen genügen?“

„Ein einziger Mann, solange es noch nicht dunkel ist.“

„So mögen die Krieger der Mimbrenjos ihre Pferde absatteln und weiden lassen. Old Shatterhand und Winnetou aber werden die ihrigen nicht abzäumen.“

Er stieg ab und warf seinem Pferde den Zügel über, ganz so, wie ich mit dem meinigen gethan hatte. Ich sah, daß seine Bestimmung allgemeines Erstaunen hervorrief. Die Mimbrenjos hatten geglaubt, wir würden hier hinter der Waldecke auf den Pferden halten bleiben, um die Yumas zu erwarten und dann plötzlich gegen sie hervorzubrechen. Selbst ihr Häuptling war dieser Ansicht gewesen, denn er fragte Winnetou:

„Warum will mein Bruder die Pferde ganz frei geben? Wir müssen doch, wenn die Yumas kommen, schnell aufsitzen!“

Um den Mund Winnetous zuckte der mir so wohlbekannte Zug von Überlegenheit, als er im freundlichsten Tone antwortete:

„Meint mein Bruder, daß die Yumas kommen werden?“

„Ja, denn Old Shatterhand hat es gesagt.“

„Kommen werden sie wohl, aber nicht bis hierher. Sie werden, sobald sie unsere Spuren sehen, umkehren, doch nur zum Scheine. Sobald sie im Osten verschwunden sind, werden sie in einem Bogen wenden, um den Wald zu umreiten und uns von Westen her in den Rücken zu kommen. Wir haben sie also jetzt noch lange nicht zu erwarten und können den Pferden die Freiheit gönnen.“

„Ist auch Old Shatterhand dieser Meinung?“ fragte mich der „starke Büffel“.

„Ja,“ antwortete ich. „Mein Bruder Winnetou hat meine Gedanken erraten.“

„Aber wenn sie dennoch herankommen bis hierher!“

„So wären sie verloren; darum werden sie sich hüten, es zu thun.“

Als er mich ungläubig anblickte, fuhr ich fort:

„Meinst du, daß die Yumas die Stelle, an welcher ich euch traf, nicht sehen werden?“

„Sie sind nicht blind und werden sie also sehen; aber sie werden nicht wissen, wer wir sind und wie groß unsere Anzahl ist.“

„Du irrst. Sie sehen aus meiner Spur, daß ich freiwillig zu euch gestoßen bin und ihr also Freunde von mir sein müßt. Sie wissen, daß dein Sohn bei mir ist, und können also wohl erraten, wer ihr seid.“

„Aber unsere Zahl!“

„Sie können dieselbe zwar nicht genau berechnen, aber, falls sie ihre Gedanken zusammennehmen, doch wohl ahnen. Als ich auf euch traf, haben deine Krieger auf ihren Pferden nebeneinander gehalten und eine ziemliche Fläche mit Hufspuren bedeckt.“

„Die haben wir ausgelöscht!“

„Aber die Spur des Auslöschens ist vorhanden, und je größern Raum dieselbe einnimmt, desto mehr Personen müssen wir sein. Würden die Yumas sich das nicht sagen, so wären sie wert, die Tracht der alten Weiber zu tragen, und ich bin überzeugt, daß du das noch leichter als sie begreifen wirst.“

Er fühlte sich ein wenig beschämt und antwortete darum schnell.

„Ich habe es längst gewußt und sprach nur, damit meine Krieger es hören möchten. Warum aber sagt Winnetou, daß dein Pferd und das seinige gesattelt bleiben sollen?“

„Er hatte es mir nicht mitgeteilt, und doch weiß ich es, denn die Gedanken des Apatschen pflegen die meinigen zu sein. Er hat gesagt, daß die Yumas versuchen werden, uns zu täuschen, indem sie scheinbar umkehren und uns dann heimlich umreiten. Er will sie dabei beobachten, um sich zu überzeugen, daß seine Vermutung richtig ist, und ich soll ihn dabei begleiten. Darum sollen unsere Pferde, welche die schnellsten sind, gesattelt bleiben.“

„Uff! Meine beiden Brüder haben recht; es mag geschehen, wie sie gesagt haben.“

Winnetou hatte sich während dieser Unterredung nieder- und ich mich zu ihm gesetzt; der „starke Büffel“ nahm jetzt bei uns Platz. Seine Leute gaben ihre Pferde frei und lagerten sich in einem Kreise um uns, hatten dabei jedoch acht, daß die Tiere sich nicht etwa über die Waldspitze hinaus entfernten, weil sie da von den sich nähernden Yumas gesehen worden wären. Ein Krieger begab sich nach der erwähnten Spitze, um dort, unter dem Gebüsch verborgen, nach den erwarteten Feinden auszuschauen.

Wären Winnetou und ich nicht bei den Mimbrenjos gewesen, so hätten dieselben sich wohl alle auf die Lauer gelegt. Sie wollten sich zwar nichts merken lassen, doch sah ich es ihnen an, daß sie innerlich nicht so ruhig waren, wie es den Anschein hatte. Winnetou hingegen schien gar nicht mehr an die Yumas zu denken; sie konnten in der nächsten Minute erscheinen, und er wollte sie beobachten, dennoch zog er seine Friedenspfeife hervor, was auf die Zeremonie des Begrüßens deutete, welche stets eine umständliche ist und viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich wunderte mich darum nicht darüber, daß die Mimbrenjos ihn erstaunt anblickten. Er aber nahm, ohne dies zu beachten, den schön gestickten Tabaksbeutel vom Gürtel, stopfte das mit Kolibrifedern geschmückte Kalumet und sagte, zu mir gewendet:

„Weil wir so schnell verschwinden mußten, konnten wir meinen weißen Bruder nicht sofort begrüßen; nun aber haben wir Zeit, und er mag mit uns die Pfeife rauchen, welche der Freunschaft und dem Frieden gewidmet ist.“

Als er beschäftigt war, den Tabak anzubrennen, kam der Wachtposten eiligst herbeigerannt und meldete in einem so dringenden Tone, als ob wir uns in äußerster Gefahr befänden:

„Die Yumas kommen; ich sehe sie! Sie kommen so schnell, daß sie sogleich hier sein werden!“

Die uns umgebenden Krieger sprangen auf; ihr Häuptling machte auch schon Miene, aufzustehen; da strafte Winnetou den Meldenden in ernstem Tone:

„Was fällt dem Mimbrenjo ein, Winnetou zu stören, welcher im Begriffe steht, die Pfeife des Friedens anzubrennen! Was ist wichtiger, der heilige Rauch des Kalumets, oder das Erscheinen einiger Yumahunde, welche sogleich vor Angst wieder umkehren werden?“

Der Mann stand wie angedonnert da und senkte den Kopf. Winnetou fügte hinzu:

„Der Mimbrenjo mag an seinen Platz zurückkehren und die Feinde beobachten, um mir später, wenn wir Old Shatterhand begrüßt haben, zu melden, daß sie verschwunden sind!“

Der Rote schlich von dannen; seine Kameraden konnten nichts anderes thun, als sich wieder setzen, obgleich es für sie jedenfalls keine kleine Aufgabe war, ihre Aufregung zu bemeistern. Ihr Häuptling war wohl im stillen froh, daß er wenigstens nicht ganz aufgesprungen war und sich in unsern Augen nicht so sehr wie sie blamiert hatte.

So gewiß war Winnetou seiner Sache! Es gab doch immerhin die Möglichkeit, daß die Yumas kein Bedenken fanden, ihren Ritt unbeirrt fortzusetzen; in diesem Falle wären wir zwar nicht gerade von ihnen überrascht und unvorbereitet getroffen, aber doch bei einer Zeremonie gestört worden, deren Unterbrechung stets als ein böses Omen, ja beinahe als eine Schande betrachtet wird.

Das Rauchen der Friedenspfeife ist so oft beschrieben worden, daß ich wohl unterlassen kann, es hier zu thun; ich will aber erwähnen, daß es sehr lange dauerte, ehe das wiederholt gefüllte und in Brand gesetzte Kalumet durch so zahlreiche Hände von Mund zu Mund gegangen war. Winnetou, der „starke Büffel“ und ich waren jeder zu einer Rede gezwungen, welche stehend gehalten wurde. Wir thaten sechs Züge aus der Pfeife und bliesen den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Hauptwindrichtungen; die andern Indianer brauchten nur zwei Züge zu thun und den Rauch ihren beiden Nachbarn ins Gesicht zu blasen.

Zwei durften sich nicht mitbeteiligen, nämlich die beiden Knaben des Häuptlings. Sie gehörten nicht zu den Kriegern, hatten noch keine Namen und standen in der Ferne außerhalb des Kreises. Die Aufnahme in den Stand der Krieger ist, wie schon früher erwähnt, an sehr strenge Bedingungen geknüpft, von deren Erfüllung nur in sehr seltenen Fällen und auf ganz besondere Veranlassung oder Empfehlung abgesehen wird. Ebenso umständlich geht es her, wenn ein neuer Krieger zum erstenmale die Friedenspfeife rauchen soll. Eigentlich muß er sich den heiligen Thon dazu selbst aus den roten Steinbrüchen holen; die südlich wohnenden Stämme können diese Bedingungen freilich nicht erfüllen, machen dafür jedoch andere Anforderungen, deren Erfüllung kaum weniger schwierig ist.

Der Mann, welcher das Wagnis unternimmt, solche Bedingungen und Anforderungen zu umgehen, muß einen großen Namen haben und seiner Sache sehr sicher sein; er begiebt sich in die Gefahr, sein Leben zu verlieren, oder wenigstens für immer ausgestoßen zu werden. Dennoch war ich entschlossen, das Wagnis zu unternehmen, und ich glaubte, daß der Erfolg kein für mich nachteiliger sein werde.

Es galt nämlich dem älteren Sohne des Häuptlings, welcher sich so brav benommen hatte. Er war der Überzeugung gewesen, daß er bei mir schneller als sonst zu einem Namen kommen werde – nun wohl, er sollte sich nicht getäuscht haben.

Als Winnetou die Friedenspfeife von dem letzten der Indianer zurückerhielt und den Beutel auch wieder an den Gürtel hängen wollte, nahm ich ihm beides aus der Hand und sagte:

„Mein roter Bruder wolle mir sein Kalumet erlauben. Es hat einer den Rauch der Pfeife nicht getrunken, welcher doch würdig ist, sie als einer der ersten in die Hand zu bekommen.“

Meine Worte erregten zwar Verwunderung, doch keine allzugroße, weil man glaubte, ich meine den Wachtposten, welcher sich nicht bei uns, sondern in der Waldspitze befand und also nicht mitgeraucht hatte. Daß ich nicht nur an ihn dachte, sondern ihn sogar einen der ersten nannte, war allerdings etwas, was ihnen sonderbar vorkommen mußte. Ich stopfte die Pfeife, stand auf, schritt aus dem Kreise hinaus, ergriff die Hand des Knaben, führte ihn an meinen Platz, in den Kreis zurück und sagte dann, mich rundum wendend:

„Hier steht Old Shatterhand. Meine roten Brüder mögen hören und sehen, was er spricht und thut. Wer dann nicht mit ihm einverstanden ist, mag mit ihm kämpfen um das Leben und um den Tod!“

Es trat eine tiefe, erwartungsvolle Stille ein. Aller Augen hingen wie gebannt an mir und an dem Knaben. Die Hand des letzteren zitterte in der meinigen; er ahnte, was für ein wichtiger Augenblick gekommen sei.

„Mein junger Bruder mag mutig und auf der Stelle, ohne Zögern, thun, was ich ihm sagen werde!“

Diese Worte raunte ich ihm leise zu und er antwortete ebenso leise:

„Ich werde befolgen, was Old Shatterhand mir gebietet.“

Jetzt setzte ich die Pfeife in Brand, that den ersten Zug, blies den Rauch gen Himmel und sagte:

„Diese Wolke des heiligen Rauches geht zum Manitou, dem großen, guten Geiste, welcher alle Gedanken kennt und die Thaten des ältesten Kriegers und des jüngsten Knaben verzeichnet. Hier sitzt Nalgu Mokaschi, der berühmte Häuptling der Mimbrenjokrieger; er ist mein Freund und Bruder, und mein Leben ist sein Eigentum. Und hier steht neben mir sein Sohn, an Jahren ein Knabe, an Thaten aber ein alter Krieger. Ich fordere ihn auf, meinem Beispiele zu folgen und dem großen Manitou den heiligen Rauch des Kalumets zu geben.“

Bei den letzten Worten gab ich dem Knaben die Pfeife in die Hand. Er führte sie sofort zum Munde, that einen langen Zug und blies den Rauch gegen den Himmel. Dies war von mir eine Kühnheit und von ihm ein Wagnis, für welches freilich nicht er, sondern ich verantwortlich gemacht werden mußte. Die Folge zeigte sich sofort. Das war noch nie dagewesen; ein Knabe ohne Namen raucht die Friedenspfeife! Die Indianer standen auf und erhoben laute Rufe. Auch der Häuptling sprang auf und starrte mich an. Nur Winnetou blieb ruhig sitzen. In seinem ehernen Gesichte war weder eine Spur von Zustimmung noch von Mißbilligung zu lesen. Ich winkte mit der Hand Schweigen, ergriff die Pfeife wieder, that die bereits beschriebenen fünf weiteren Züge und gab sie dem Knaben zurück, der, zu allem entschlossen, schnell dieselben Züge that. Da aber erhob sich lautes Gebrüll; Ausrufe des Zornes schwirrten durcheinander. Man hielt das, was ich that, für ein Verbrechen an den heiligen Gewohnheiten der Nation. Aller Augen blitzten mir zornig entgegen; man ballte die Fäuste; man zog die Messer, und von den Ausrufen, welche ich hörte, wiederholte sich besonders der eine: „Ein Knabe, der keinen Namen hat!“

Auch der Häuptling war, obgleich es sich um seinen eigenen Sohn handelte, keineswegs einverstanden mit mir. Er nahm den Knaben bei der Schulter, schob ihn von mir weg und rief:

„Was wagt Old Shatterhand! Wäre er ein anderer, so würde ich ihn auf der Stelle niederschlagen! Einem Knaben, der keinen Namen hat, das Kalumet geben, darauf steht der Tod. Der Stamm wird dich richten, obgleich du mein Freund und Bruder bist. Ich habe nicht die Macht, dich zu verteidigen.“

Als er zu sprechen begonnen hatte, waren seine Leute ruhig geworden. Sie wollten hören, was er sagte. Jetzt ging ein beifälliges Murmeln der Zustimmung durch ihre Reihen. Der Knabe stand jetzt neben seinem Vater und blickte trotz der drohenden Haltung der Krieger voll Vertrauen zu mir auf. Eben wollte ich antworten, da stand Winnetou auf, winkte mit der Hand, ließ sein Auge mit einem langen, festen Blicke von Gesicht zu Gesicht schweifen und sagte mit seiner sonoren Stimme, welche man weithin hörte, selbst wenn er sie nicht anstrengte.

„Der starke Büffel hat nicht die Macht, Old Shatterhand zu verteidigen? Wer hat davon gesprochen, daß er seiner Macht bedarf? Wäre eine Verteidigung nötig, so würde Winnetou für seinen weißen Bruder kämpfen; aber wer wagt es, zu sagen, daß Old Shatterhand sich nicht selbst zu helfen vermag? Was er gethan hat, ist eine seltene That, doch wird er sie verantworten. Nur einer, der keinen Namen hat, ist von der Pfeife des Friedens ausgeschlossen. Hat dieser Knabe wirklich keinen Namen? Fragt Old Shatterhand! Er wird es besser wissen als die Mimbrenjokrieger.“

Sein Scharfsinn führte ihn auf das Richtige: Es wäre mir nicht eingefallen, dem Jünglinge die Friedenspfeife zu reichen, wenn ich nicht einen Namen für ihn bereit gehabt hätte.

„Der Häuptling der Apatschen hat recht!“ rief ich laut. „Wessen Pfeife haben wir geraucht? Die seinige! Wer also hat das Recht, mir Vorwürfe zu machen? Nur er allein! Thut er es? Nein, denn er kennt mich und weiß, daß Old Shatterhand nicht ohne Überlegung handelt. Ist er, den ihr einen Knaben nennt, etwa von einem fremden oder gar feindlichen Stamme? Nein; er gehört dem eurigen an! Also müßtet ihr eigentlich stolz darauf sein, daß Old Shatterhand das Kalumet mit dem Sohne eures Häuptlings teilt. Statt dessen geratet ihr in Zorn. Ich sage euch, daß ich mich sehr über euch zu wundern habe!“

„Er hat keinen Namen!“ rief man mir zu.

„Wer behauptet das?“

„Wir alle und ich auch!“ antwortete mir der „starke Büffel“. „Ich bin der Vater dieses Knaben und weiß also, ob er einen Namen hat.“

„Ich weiß es besser, obwohl ich nicht sein Vater bin. Wie lange war er fort von euch? Was ist inzwischen geschehen? Was hat er gethan und vollbracht? Weißt du das? Du schweigst. So sage mir hier vor diesen deinen Kriegern, ob Old Shatterhand das Recht hat, jemandem einen Namen zu geben!“

„Old Shatterhand hat es.“

„Würdest du dich etwa wegen eines Namens von mir beleidigt fühlen?“

„Nein. Jeder Krieger der Mimbrenjos würde gern und mit Stolz seinen bisherigen Namen hergeben, um dafür einen von Old Shatterhand zu empfangen.“

Da nahm ich den Knaben wieder bei der Hand und rief mit lauter Stimme:

„Ihr habt die Worte eures Häuptlings vernommen; hört nun auch, was ich euch jetzt sage! Hier steht Old Shatterhand und neben ihm sein junger Freund und Bruder Yuma Shetar. Er wagte sein Leben für mich; ich gebe das meinige für ihn. Seht her! Es sind erbeutete Waffen, welche er trägt. Yuma Shetar wird ein großer Krieger seines Stammes sein.“

Yuma Shetar heißt zu deutsch „Yumatöter“. Die Augen meines jungen Freundes leuchteten auf und füllten sich doch mit Feuchtigkeit. Winnetou trat zu ihm heran, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:

„Yuma Shetar, das ist ein stolzer Name. Old Shatterhand hat ihn dir gegeben, also mußt du ihn verdient haben. Winnetou freut sich, dich Yuma Shetar nennen zu dürfen; er ist dein Freund und wird mit dir gern das Kalumet rauchen. Gieb es her!“

Er nahm dem jungen Manne die Pfeife ab, zündete sie an und wechselte sie mit ihm ganz in derselben Weise, wie ich es gethan hatte. Der Häuptling stand schweigend dabei. Ich sah seine Lippen vor großer Bewegung zittern. Die Mimbrenjos machten jetzt ganz andere Gesichter. Winnetou hatte Yuma Shetar bei der einen Hand ergriffen; ich nahm ihn bei der andern und sagte:

„Die Krieger der Mimbrenjos sehen hier drei Brüder, welche treu zu einander halten, Winnetou, Yuma Shetar und Old Shatterhand. Der Yumatöter ging mit mir in Todesgefahr; er folgte mir, um mich zu retten, als die Yumas mich gefangen hatten und ich am Marterpfahle sterben sollte. Er stand zur Stunde der Befreiung an meiner Seite und tötete zwei ihrer Krieger, als sie mich wieder ergreifen wollten. Er geleitete mich bis an die Stelle, an welcher ich mich jetzt befinde. Ich habe ihn gesehen mutig im Kampfe, schlau und besonnen im Verfolgen der Feinde. Mancher alte Krieger hätte das nicht vermocht, was er gethan hat. Darum bin ich er, und er ist ich, und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, hält treu zu ihm und mir. Wer ihn beleidigt, beleidigt uns und mag jetzt hervortreten. Oder kommt auch alle her! Wir sind bereit, für ihn mit euch zu kämpfen.“

Da konnte sich der alte Häuptling doch nicht mehr halten. Er stieß einen unartikulierten Ruf des Entzückens aus, riß sein Messer aus dem Gürtel und schrie:

„Yuma Shetar heißt der tapfere Krieger, dessen Vater ich bin; hört ihr es? Yuma Shetar! Old Shatterhand, das große Bleichgesicht, hat ihm diesen Namen gegeben, und Winnetou, der berühmteste Apatsche, hat sich seinen Freund und Bruder genannt. Wer ist unter euch, der etwas gegen diesen Namen hat? Wer will noch darüber zürnen, daß Old Shatterhand die Pfeife des Friedens mit Yuma Shetar trank? Wer? Er komme her zu mir und ziehe sein Messer! Ich werde ihm die Seele aus dem Leibe schneiden und sein stinkendes Fleisch den Geiern zum Fraße geben!“

Einen Augenblick lang herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer „Yuma Shetar!“ und „Yuma Shetar, Yuma Shetar!“ brüllten alle nach, gar nicht an die Yumas denkend, welche sich in der Nähe befanden. Sie kamen herbei, um dem neuen und jüngsten Genossen die Hände zu schütteln. Ihre vorherige Mißbilligung hatte sich in das Gegenteil verkehrt. Der alte Häuptling nahm meine beiden Hände und wollte eine Danksagung beginnen, wurde aber von Winnetou bedeutet:

„Mein Bruder mag später sagen, was sein Herz empfindet; jetzt ist nicht mehr Zeit dazu. Der Tag hat sich geneigt, und es will finster werden. Dort steht der Späher, welcher mit uns reden will. Es wird Zeit sein, an die Beobachtung der Feinde zu gehen.“

Der Posten stak allerdings nicht mehr im Gebüsch, sondern stand vor demselben. Daraus war zu schließen, daß er nichts mehr zu beobachten hatte, doch wagte er infolge des scharfen Verweises, welchen er vorhin erhalten hatte, es nicht, eigenmächtig herbeizukommen. Erst als Winnetou ihm einen zustimmenden Wink gab, kam er näher und meldete:

„Die Yumas kamen, sind aber wieder in der Richtung zurückgeritten, in welcher sie gekommen waren.“

„Wie weit kamen sie heran?“

„Es kamen zwei als Kundschafter heran und blieben an der Stelle, wo wir Old Shatterhand trafen, halten. Sie warteten, bis alle Yumas kamen, welche lange Zeit die Stelle untersuchten. Die Feinde ritten nur noch eine kleine Strecke weiter, um unsere Fährte zu betrachten; dann kehrten sie langsam wieder um.“

Winnetou nickte ihm zu und wendete sich dann an den Häuptling:

„Der starke Büffel hört, daß ich recht gehabt habe. Die Yumas sind umgekehrt, doch nur, um uns irre zu führen. Die Krieger der Mimbrenjos mögen hier bleiben, bis ich mit Old Shatterhand wiederkehre.“

Wir beide stiegen auf und ritten fort, eben als es so dunkel geworden war, daß man die Hufstapfen der Pferde nur noch schwer zu erkennen vermochte. Also in die dunkle Nacht hinein, um einen Feind zu beobachten, den wir nicht sehen konnten und von dem wir nur wußten oder vielmehr vermuteten, daß er sich nicht mehr in der Richtung befand, nach welcher er sich entfernt hatte.

Wie oft hatte ich mit Winnetou solche Ritte ins scheinbar Blaue unternommen, und stets waren wir durch den geradezu bewundernswerten Instinkt des Apatschen an das richtige Ziel geführt worden! Ich freute mich darauf, heute seinen oft fast verblüffenden Scharfsinn wieder einmal nach so langer Zeit bewundern zu können.

Die Yumas waren nach Osten zurückgeritten; es fiel uns aber nicht ein, ihnen in dieser Richtung zu folgen, denn ich war ebenso überzeugt wie Winnetou, daß sie sehr bald wieder umgekehrt seien. Man denke sich einen Wald von ungefähr zwei Reitstunden Länge und etwa einer halben Stunde Breite. Der Wald zog sich ziemlich genau von Ost nach West.

An seiner Südseite, nahe am östlichen Ende, lag die Buschecke, hinter welcher wir die Mimbrenjos zurückgelassen hatten. Es stand also zu erwarten, daß die Yumas, aus der östlichen in die westliche Richtung zurückgekehrt, den Wald an seiner langen nördlichen Seite umreiten, nach Süden umbiegen und dann an der südlichen Seite entlang gehen würden, um uns von Westen her in den Rücken zu kommen. Wir wollten auf sie treffen, ihnen folgen und sie beobachten. Deswegen bogen wir, am südöstlichen Ende des Waldes angelangt, nach Norden um und ritten am Walde hin, bis wir das nordöstliche Ende erreicht hatten. Dort blieben wir halten.

Wir hatten bis jetzt nicht gesprochen; lange Reden und Erklärungen gab es nicht zwischen uns. Jetzt fragte ich kurz:

„Du weiter, oder ich?“

„Wie Old Shatterhand will,“ antwortete der Apatsche.

„So mag Winnetou weiter reiten; er hat ein schärferes Ohr als ich.“

„Das Gehör des Blitzes wird das Ohr meines Freundes unterstützen. Welches Zeichen geben wir uns?“

„Den gewohnten Adlerschrei nicht, denn in dieser Gegend giebt es keine Adler.“

„So mag Old Shatterhand den Puma nachahmen, welchem man des Nachts hier leicht begegnen kann!“

Nach diesen Worten ritt er davon, so leise, daß man den Tritt seines barfußen Pferdes nicht zu hören vermochte. Wir trennten uns, weit wir nicht wußten, ob die Yumas sich nahe an den Wald halten würden oder nicht; daher mußte einer von uns sich weiter als der andere von demselben entfernen. Natürlich bildete der Rand des Waldes keine schnurgerade Linie, sondern zahlreiche Windungen, denen die Yumas sicher nicht folgen würden. Wir mußten die von ihnen eingeschlagene Linie vermuten, uns denken, wozu der Instinkt der Erfahrung gehörte. Postierten wir uns zu nahe oder zu weit ab, so gingen sie vorüber, ohne von uns bemerkt zu werden. Und doch verloren wir über diese Schwierigkeiten kein einziges Wort, ebenso wie ich gar nicht gefragt hatte, ob wir uns trennen würden. Es verstand sich das ganz von selbst, und dann mußte ein jeder sich sozusagen auf seine eigene „Nasenspitze“ verlassen.

Ich ritt noch langsam ein Stück, soweit ich dachte, vom Walde fort und stieg dann ab, um mich in das Gras zu legen. Mein Pferd begann sofort, sich Gras abzuraufen.

„Hatatitla, iteschkusch – Blitz, leg dich!“ sagte ich ihm.

Es streckte sich sofort im Grase aus, ohne von nun an einen Halm zu berühren. Das Geräusch des Rupfens hätte mich verhindert, in die Ferne zu hören. Ich lag hart neben dem Pferde, um es besser beobachten zu können. Winnetou hatte gesagt, daß das Gehör des „Blitzes“ mein Ohr unterstützen werde, und ich wußte allerdings, daß ich mich in dieser Beziehung auf das Pferd verlassen konnte.

Das kluge Tier lag mit dem Kopfe nach Osten, woher ich die Yumas erwartete. Es hob denselben von Zeit zu Zeit und sog die Luft langsam und prüfend durch die Nüstern ein. Da – wir mochten wohl eine Viertelstunde so gelegen haben, verwandelte sich der erst leise Atemzug des Pferdes plötzlich in ein stärkeres Schnauben; es legte die Ohren vor und gab dem Kopfe jene charakteristische Haltung, welche auf Spannung deutet. Ich legte das meine auf den Boden, konnte aber nichts hören.

Jetzt schnaubte das Pferd lauter, aber nicht ängstlich, wie es beim Nahen eines Raubtieres gethan hätte. Es kamen Menschen. Ich legte die Hand auf die Nase des Pferdes und drückte sie nieder; darauf wußte ich, daß das Tier nun keinen Laut mehr von sich geben und sich auch, selbst falls man schießen sollte, nicht bewegen werde, und das dank der indianischen Dressur, die es von Winnetou erhalten hatte.

Wenn ich von Dunkelheit spreche, meine ich damit natürlich keine ägyptische Finsternis. Man konnte mehrere Schritte weit sehen, und es war nur zu wünschen, daß die Linie, welche die Nahenden inne hielten, nicht etwa geradewegs über meinen Körper führte. Die Befürchtung, welche ich in dieser Beziehung hegte, traf beinahe ein. Ich hörte den dumpfen Schall von vielen Huftritten im Grase; sie kamen näher und näher und, wie es schien gerade auf mich zu. Dann sah ich die dunkle Masse der Reiter und Pferde; ich konnte nicht mehr auf und fort, weil ich gesehen worden wäre. Ich schmiegte mich dicht und lang an mein Pferd und hielt demselben die Nase fest auf die Erde nieder.

Jetzt kamen sie, glücklicherweise doch nicht so nahe, wie ich erst befürchtet hatte. Vielleicht dreißig Schritte entfernt ritt der erste an mir vorüber; ihm folgten die andern, nicht einfach hinter, sondern zu mehreren nebeneinander reitend. Ich konnte die Gesichter gar nicht und die Gestalten nur undeutlich erkennen, aber die Zahl stimmte ungefähr: es waren die Yumas.

Zuletzt kamen noch zwei Nachzügler, welche sich etwas weiter links hielten, als die andern und mir also weit näher, vielleicht fünfzehn Schritte näher kamen. Die Gestalt meines Pferdes und mein eigener Körper bildeten eine sich von dem kurzen Grase abhebende Masse, welche aus solcher Nähe gesehen werden konnte, ja fast gesehen werden mußte. Und richtig, da geschah es – – die Kerls hielten ihre Pferde an und blickten zu mir herüber. Es mußte etwas geschehen, aber was? Blieb ich ruhig liegen, so kamen sie ganz gewiß herbei. Ich mußte sie erschrecken, sie fortjagen. Da war das mit Winnetou verabredete Zeichen das beste. Freilich, wenn sie mich dann wirklich für einen Kuguar hielten und auf mich schossen! Meine Hoffnung stand aber darauf, daß sie nicht schießen würden, weil der Schall von hier aus leicht zu den Mimbrenjos dringen konnte.

Jetzt wendete der eine schon sein Pferd zu mir herüber. Ich richtete mich halb auf, um mir die Größe des Tieres, dessen Stimme ich nachahmen wollte, zu geben, und brüllte kurz und zornig wie ein Puma, welcher sich verteidigen will. Der Mann ließ einen Ruf des Schreckens hören und riß sein Pferd zurück; als ich dann das Gebrüll wiederholte, machten sich beide schleunigst auf und davon, den andern nach. Gott sei Dank, die verzweifelte List war gelungen! Wie leicht hätte mein Gebrüll alle Yumas zurücklocken können!

Kaum waren sie fort, und ich hatte eben mein Pferd wieder bestiegen, so kam Winnetou geritten.

„Wo?“ fragte er kurz.

„Da, vor uns.“

„Warum hat mein Bruder zweimal gebrüllt? Einmal genügte.“

„Weil die Yumas mich liegen sahen und ich sie davonscheuchen mußte.“

„Uff! Dann hat Old Shatterhand viel Glück gehabt.“

Nun wurde eine lange Zeit kein Wort gesprochen. Wir ritten schweigend hinter den Roten her. Wir waren zwei Personen, sie aber so viele. Wenn wir uns ihnen so nahe hielten, daß wir sie noch unbestimmt erkennen konnten, vermochten sie uns nicht zu sehen. Unsere Huftritte konnten sie keinesfalls hören.

So ging es zwei Stunden lang am nördlichen Waldesrande hin; dann wurde am westlichen nach Süden umgebogen. Winnetou sprach meine eigenen Gedanken aus, als er jetzt sagte:

„Da sie nicht wissen, wo sich die Mimbrenjos befinden, werden sie nun bald lagern und Späher aussenden.“

„Mein Bruder hat recht. Dann reiten wir schnell voran, um den Kundschaftern zuvorzukommen.“

Bald war bei der geringen Breite des Waldes die südwestliche Ecke desselben erreicht; die Yumas hielten an, und wir thaten natürlich nicht nur dasselbe, sondern ritten, um auch die zufälligste Begegnung zu vermeiden, ein Stück wieder zurück.

„Old Shatterhand mag mein Pferd halten,“ meinte dann Winnetou. „Ich muß sehen, wie die Yumas lagern.“

Er stieg ab und huschte fort; ich blieb zurück, vielleicht vierhundert Schritte von den Roten haltend. Hören konnte ich nichts von ihnen, auch nichts sehen, da sie sich wohl hüteten, ein Feuer anzuzünden. Sie ahnten nicht, daß die Mimbrenjos, vor denen sie sich so in acht nahmen, zwei Stunden von ihnen entfernt waren. – –

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ERSTES KAPITEL

In der Sonora

Sollte jemand mich fragen, welches wohl der traurigste, der langweiligste Ort der Erde sei, so würde ich, ohne mich lange zu besinnen, antworten: Guaymas in Sonora, dem nordwestlichsten Staate der Republik von Mexiko. Diese Meinung ist allerdings nur eine rein persönliche; ein anderer würde sie wahrscheinlich bestreiten; ich aber habe in der Stadt die inhaltslosesten zwei Wochen meines Lebens – man verzeihe mir den freilich sehr zutreffenden Ausdruck – verfaulenzt und verspielt.

Die im östlichen Teile von Sonora sich erhebenden Berge enthalten reiche Lagerstätten von edlen Metallen, Kupfer und Blei, und fast alle Wasserläufe führen Waschgold mit sich; aber die Ausbeute war damals nur eine geringe, weil die Reviere von den Indianern unsicher gemacht wurden und man sich nur in starker Gesellschaft hinauf an Ort und Stelle getraute. Wo aber eine so zahlreiche Belegschaft hernehmen? Der Mexikaner ist alles andere, nur kein Arbeiter; dem Indianer fällt es nicht ein, gegen Tagelohn die Schätze auszugraben, welche er noch heutigen Tages für sein rechtmäßiges Eigentum hält; chinesische Kulis könnte man genug bekommen, doch mag man sie nicht, denn wer diese unsauberen Geister beschwört, der wird sie nicht wieder los – – aber die Gambusinos, die Prospektors, wird man sagen; das sind doch die eigentlichen Goldsucher und Minenarbeiter; warum engagiert man diese nicht? Sehr einfach darum, weil damals keine zu haben waren; sie waren alle hinüber nach Arizona, wo das Gold in hellen Haufen liegen sollte. Darum waren die Reviere von Sonora verödet, gerade wie noch heute, wo nicht nur der Bergbau, sondern auch die Viehzucht des Landes unter der Furcht vor den wilden Indianern darniederliegt.

Auch ich hatte nach Arizona gewollt, doch nicht etwa weil auch am Goldfieber leidend, sondern aus Interesse für das eigenartige Leben, welches in den Diggins herrscht; da aber kam die bekannte Erhebung des mexikanischen Generals Jargas; ich wurde vom Herausgeber einer Zeitung in San Franzisko gefragt, ob ich für sein Blatt nach dem Schauplatze der Empörung gehen wolle, um Berichte zu schreiben, und ich ergriff mit Freuden diese Gelegenheit, eine Gegend kennen zu lernen, welche ich sonst wohl nie zu sehen bekommen hätte. Jargas hatte kein Glück; er wurde besiegt und erschossen, und ich ging, nachdem mein letzter Bericht abgesandt worden war, über die Sierra Verde zurück, um nach Guaymas zu kommen. Dort hoffte ich eine Schiffsgelegenheit nach einem nördlicheren Orte des kalifornischen Golfes zu finden, denn ich wollte nach dem Rio Gila, wo ich laut einer Verabredung mit meinem Freunde, dem Apatschenhäuptling Winnetou, zusammentreffen sollte.

Leider ging meine Rückkehr nicht so schnell von statten, wie es in meinem Wunsche lag. Ich hatte, als ich mich noch in der einsamen Sierra befand, das Unglück, daß mein Pferd stolperte und einen Vorderfuß brach; ich mußte es erschießen und den Weg dann unter die eigenen Füße nehmen. Tagelang sah ich keinen Menschen, am allerwenigsten einen, dem ich ein Pferd oder Maultier hätte abkaufen können. Vor einer Begegnung mit Bravos-Indianern hütete ich mich, da bei einer solchen nur zu verlieren und nichts zu gewinnen war. Es war eine lange und anstrengende Wanderung, und so atmete ich froh auf, als ich endlich in den Trachytkessel niederstieg, in welchem das traurige Guaymas liegt.

Obgleich am ersehnten Ziele angekommen, war ich doch keineswegs entzückt über den Anblick, welchen die Stadt mir bot. Sie hatte damals kaum zweitausend Einwohner und bestand aus Häusern, welche aus Luftziegeln erbaut waren und keine Fenster hatten. Rings von hohen, kahlen Felsen umgeben, lag der Ort wie eine ausgedorrte Leiche in erdrückender Sonnenglut. In der Umgebung war kein Mensch zu sehen, und auch als ich mich dann zwischen den ersten Häusern befand, schien es, als ob dieselben ausgestorben seien.

Freilich war der Eindruck, welchen ich auf oder in Guaymas machen mußte, kein besserer als derjenige, welchen die Stadt auf mich machte, denn ich hatte keineswegs das Aussehen eines Gentleman oder, wie man dort sagt, eines Caballero. Mein Anzug, für welchen ich vor meiner Abreise von San Franzisco achtzig Dollars bezahlt hatte, war nach und nach in eine solche Zerfahrenheit geraten, daß verschiedene Gegenden meiner Person viel sichtbarer waren als der Stoff, dem ich ihre Bedeckung anvertraut hatte. Auch die Fußbekleidung war bei der vollständigen Erschöpfung ihrer Kräfte angelangt. Rechts hatte ich den ganzen Absatz verloren; links war mir der halbe geblieben, und wenn ich vorn die offenherzigen Spitzen betrachtete, so mußte ich, ich mochte wollen oder nicht, an aufgesperrte Entenschnäbel denken. Und nun gar der Hut! In glücklicheren Zeiten Sombrero, das heißt Schattenspender, genannt, hatte er jetzt verräterischerweise auf diese Ehrentitulatur vollständig Verzicht geleistet. Die erst so breite Krämpe war, ich kann selbst heute noch nicht sagen, auf welche Weise und aus welcher Veranlassung, nach und nach immer abwesender geworden, und das, was mir als treues Überbleibsel nun auf dem Kopfe saß, hatte die Form eines türkischen Fez und hätte sich, aufrichtig gestanden, ganz vortrefflich zum Tintenseiher geeignet. Nur der lederne Gürtel, mein langjähriger Begleiter, hatte auch diesmal seine unerschütterliche Charakterfestigkeit bewiesen. Von Teint, Frisur und andern Intimitäten zu sprechen, würde diejenige Achtung verletzen, welche man seiner eigenen Person unter allen Umständen zu widmen hat.

Indem ich langsam die Straße entlang ging und bald nach rechts, bald nach links sah, um ein menschliches Wesen zu entdecken, erblickte ich ein Gebäude, aus dessen niedrigem Dach zwei Stangen ragten, welche ein hölzernes Firmenschild trugen. Es zeigte in einst weißen, nun verwitterten Buchstaben auf dunklem Grunde die verlockenden Worte „Meson de – – –“ das übrige war nicht mehr zu lesen. Als ich dastand, um den Rest der Schrift zu entziffern, war endlich der Schritt eines Menschen zu hören. Ich drehte mich um und sah einen Mann, der sich näherte und an mir vorüber wollte. Ich grüßte ihn höflich und fragte ihn, welches Gasthaus wohl das empfehlenswerteste dieser guten Stadt sei. Er deutete auf das Gebäude, vor welchem ich stand, und antwortete:

„Gehen Sie nicht weiter, Sennor. Dieses Hotel ist das nobelste, welches wir haben. Im Schilde fehlt zwar jetzt das Wort Madrid, Ihnen aber wird nichts mangeln, wenn Sie sich dem Wirte, Don Geronimo, anvertrauen. Sie können sich auf meine Empfehlung verlassen, denn ich bin der Escribano, von Guaymas und kenne alle Leute. Vorausgesetzt ist natürlich, daß Sie bezahlen können.“

Er warf sich bei Nennung seines wichtigen Amtes in die Brust und betrachtete mich dann mit einem Blicke, welcher mir deutlich sagte, was er von mir dachte, nämlich daß ich höchst wahrscheinlich im Ortsgefängnisse besser aufgehoben sei als im Hotel. Dann schritt er in würdevoller Haltung weiter; ich aber wendete mich im Vertrauen auf die Empfehlung einer solchen Berühmtheit nach der offenen Thüre des Gasthauses. Ich wäre auch ohnedies hier eingekehrt, da ich müde war und keine Lust hatte, mich der Glut der Mittagssonne länger auszusetzen.

Das nobelste Hotel der Stadt! Meson de Madrid! Gute Zimmer, saubere Betten, schmackhafte Speisen! Das Wasser lief mir im Munde zusammen. Ich trat ein und befand mich sofort in – „sämtlichen Räumlichkeiten“. Das soll nämlich heißen, daß das Hotel nur aus diesem einen Raume bestand. Vorn trat man von der Straße her ein, und gegenüber führte eine Thüre nach dem Hofe. Andere Öffnungen oder gar Fenster gab es nicht. Neben der hintern Thüre stand der rußgeschwärzte, steinerne Herd, sodaß der Rauch sich dort pfiffigerweise gleich aus dem Staube machen konnte. Hartgeschlagener Lehm bildete den Boden. In denselben eingetriebene Pfähle und darauf genagelte Bretter bildeten die Tafeln, Tische und Bänke. Stühle gab es nicht. An der Mauer links hingen Hängematten, welche die Gastbetten vorstellten, aber auch sonst von jedermann nach Belieben benutzt werden konnten. An der anderen Wand, rechter Hand stand das Büffett, welches allem Anscheine nach aus einigen alten Kisten zusammengezimmert worden war. Daneben gab es wieder einige Hängematten, welche den Buen retiro der Familie des Hoteliers bildeten. In einer derselben lagen schlafend drei Jungens, deren Arme und Beine so ineinander verwickelt waren, daß es eines sehr tiefen Studiums bedürft hätte, um sagen zu können, welche Extremitäten zu jedem Körper gehörten. In der zweiten ruhte die Tochter des Wirtes, Sennorita Felisa. Sie zählte, wie sie mir andern Tages sagte, sechzehn Sommer, schnarchte aber wie ein Unisono von sechzehn Winterstürmen. In der dritten Hängematte hielt die Wirtin ihr Mittagsschläfchen. Donna Elvira genannt, hatte sie eine Länge von sechs Schuh und fünf Zoll. Ihr Gatte teilte mir später im Vertrauen mit, daß sie eine außerordentlich resolute Dame sei; da sie aber, so oft ich sie sah, entweder schlummerte oder wirklich schlief, so hatte ich leider nicht das Glück, einem vulkanischen Ausbruche ihres energischen Temperaments beizuwohnen. In der vierten Hängematte entdeckte ich einen ringartigen, grauleinenen Gegenstand, den ich beinahe für einen Rettungsgürtel, wie man sie auf Seeschiffen sieht, gehalten hätte. Bei näherer Betrachtung aber gelangte ich zu der Einsicht, daß sich aus diesem Gürtel erforderlichen Falles etwas Edleres entwickeln könne, weshalb ich ihm einen leichten Schlag versetzte. Der Ring geriet darauf in Bewegung; er löste sich. Es kamen Arme und Beine zum Vorscheine, sogar ein Kopf; der Rettungsgürtel öffnete sich vollständig, sprang aus der Hängematte und verwandelte sich in ein kleines hageres, sehr eng in graues Leinen gekleidetes Männchen, welches mich überrascht betrachtete und dann in zornig sein sollendem, aber nur vorwurfsvoll klingendem Tone fragte:

„Was wollen Sie, Sennor? Warum stören Sie meine Siesta? Warum sind Sie überhaupt wach und munter? In dieser tödlichen Hitze schläft doch jeder vernünftige Mensch!“

„Ich suche den Wirt,“ antwortete ich.

„Der bin ich. Don Geronimo ist mein Name.“

„Ich komme soeben in Guaymas an und suche ein Schiff. Kann ich bei Ihnen wohnen?“

„Wollen dann sehen; jetzt aber schlafen Sie, dort in einer der Hängematten.“

Er deutete nach der andern Seite.

„Ich bin auch müde,“ antwortete ich, „aber ich habe Hunger.“

„Später, später! Schlafen sie nur erst!“ forderte er mich dringend auf.

„Und Durst!“

„Jawohl, jawohl! Es wird für alles gesorgt werden; aber schlafen Sie, schlafen Sie doch nur!“

Nachdem er vorher leise gesprochen hatte, war er jetzt lauter geworden. Die andern Hängematten begannen zu schaukeln; darum raunte er mir warnend zu:

„Sprechen Sie nicht weiter, sonst erwacht Donna Elvira! Schlafen Sie, schlafen Sie!“

Er schwang sich in die Hängematte und rollte sich wieder zu einem Ringe zusammen. Was war da zu thun! Ich ließ den Rettungsgürtel mit seiner Familie weiter schlafen, schlich, um Niemanden aufzuwecken, mit leisen Schritten zur Hinterthüre hinaus und gelangte in einen ziemlich großen Hof. In einer Ecke desselben war aus Stangen und Maisstroh ein Dach errichtet, unter welchem einige Gerätschaften aufbewahrt wurden. Auch ein Haufen Maisstroh lag da, daneben ein großer Hund, welcher an einer Kette befestigt war. Das Stroh bildete jedenfalls ein besseres Lager als eine der Hängematten drin; ich näherte mich also dem Haufen, ein wenig besorgt, daß der Hund Lärm machen und Donna Elvira wecken werde; aber diese Sorge war unnötig, denn – – der Kerl schlief auch! Er öffnete zwar die Augen für einen Moment, schloß sie aber sofort wieder und sagte nichts dazu, als ich mir aus dem Stroh ein Lager bereitete und mich dann auf dasselbe ausstreckte. Meine beiden Gewehre im Arme, schlummerte ich ein und schlief infolge meiner Ermüdung so gut und so fest, daß ich erst erwachte, als eine Hand meinen Arm schüttelte. Es war am späten Nachmittage; der kleine Wirt stand vor mir und sagte:

„Sennor, erheben Sie sich! Es ist an der Zeit, die Entscheidung zu treffen.“

„Welche Entscheidung?“ fragte ich, indem ich aufstand.

„Ob Sie bei mir bleiben dürfen oder nicht.“

„Warum bedarf es denn da einer Entscheidung?“

Ich sprach diese Frage aus, obgleich ich mir sehr wohl denken konnte, was er meinte, und betrachtete mir das Männchen genauer, als ich es am Mittag hatte thun können. Er war wirklich sehr, sehr klein und zum Erschrecken mager. Er trug das Haar ganz kurz geschoren, fast wie rasiert. Seine scharfen Züge hatten einen klugen und dabei höchst gutmütigen Ausdruck.

„Donna Elvira will, daß ich nur Cavalleros bei mir aufnehme,“ antwortete er, „und Sie werden zugeben, daß Sie nicht den Eindruck eines solchen machen.“

„Wirklich?“ mußte ich lächelnd fragen, indem ich zu ihm niederblickte. „Meinen Sie, daß nur der ein Cavallero ist, der in einem neuen Anzuge steckt?“

„Nein; denn es kann auch einem feinen Manne geschehen, daß er gezwungen ist, die Schönheit des Äußern außer acht zu lassen; aber Donna Elvira hat einen sehr ausgeprägten Sinn für diese Schönheit und fühlt sich von Ihnen abgestoßen.“

„Hat sie mich denn gesehen? Die Dame schlief ja, als ich kam.“

„Sie schlief allerdings; sie schläft überhaupt sehr gern, wenn sie nichts anderes zu thun hat; aber sie ist dann in den Hof gegangen, um Sie zu betrachten, und als sie Ihren Anzug sah, Ihre Stiefel, Ihren Hut, da meinte sie – – nun, Sennor, es ist doch wohl nicht so notwendig, daß ich mich noch deutlicher ausdrücke?“

„Nein; ich verstehe Sie auch so, Don Geronimo, und werde, da ich der Donna nicht gefalle, mich nach einem anderen Hause umsehen.“

Ich wendete mich zum Gehen; da hielt er mich zurück und sagte:

„Halt! Warten Sie noch ein wenig! Es ist so einsam, wenn man keinen Gast im Hause hat, und Sie sehen mir doch nicht wie ein Bravo aus, den man fürchten muß. Ich möchte bei Donna Elvira ein gutes Wort für Sie einlegen. Dazu ist erforderlich, beweisen zu können, daß Sie mir nützlich sind. Spielen Sie vielleicht Domino?“

„Ja,“ antwortete ich, mich über diese Frage wundernd.

„Gut! Kommen Sie herein! Wir wollen eine Probe machen.“

Er schritt voran, und ich folgte ihm nach dem Innern des „Hotels“. Donna Elvira lag in ihrer Hängematte. Sennorita Felisa saß im Buffet bei einem Glase Rum. Die drei Buben waren nicht da; sie befanden sich draußen auf der Straße, wo sie sich mit ihresgleichen damit unterhielten, sich mit faulen Apfelsinen zu bewerfen. Don Geronimo holte die Dominosteine und lud mich ein, mich zu ihm an einen der Tische zu setzen. Als die Steine rasselten, bewegte sich Donna Elvira, und als ihr Gatte mir andeutete: „Nehmen Sie sechs; der höchste Pasch setzt an,“ da hob sie den Kopf. Sennorita Felisa kam mit ihrem Glase herbei und setzte sich zu uns, um zuzusehen. Ich sah, was für Leute ich vor mir hatte. Die Menschen schliefen, wenn sie nicht Domino spielten, und spielten Domino, wenn sie nicht schliefen. Und dabei war Geronimo kaum ein leidlicher Spieler. Ich gewann die erste Partie, die zweite und auch die dritte. Bei der ersten freute er sich; bei der zweiten wunderte er sich, und bei der dritten rief er entzückt aus:

„Sie sind ein Meister, Sennor. Sie müssen bei uns bleiben, damit ich von Ihnen lernen kann. Drei Spiele hat mir noch kein Mensch abgewonnen!“

Die Wahrheit war, daß ich mir gar keine Mühe gegeben hatte; er spielte so mangelhaft, daß es gar keiner Berechnung bedurfte, um ihn zu besiegen. Er stand vom Tische auf und ging zu seiner Frau, mit welcher er leise flüsterte. Dann begab er sich hinter das Büffett, brachte ein Buch hervor, dazu ein riesiges Tintenfaß, legte oder stellte beides vor mich hin und sagte:

„Donna Elvira ist so gütig gewesen, ihre Einwilligung zu erteilen, daß Sie hier bleiben können; schreiben Sie also Ihren Namen in dieses Fremdenbuch!“

Ich schlug das Buch auf. Es enthielt lauter Namen, Zahlen und Daten; bei der zuletzt beschriebenen Seite lag die Feder, ein uralter Gänsekiel, dessen Schnabel fast genau soweit wie meine Stiefel vorn auseinander klaffte; auch er war mit einer harten, dicken Kruste überzogen.

„Mit dieser Feder soll ich schreiben?“ fragte ich belustigt.

„Allerdings, Sennor. Es ist keine andere vorhanden, und Sie werden wohl auch keine bei sich führen.“

„Aber das ist ja ganz unmöglich!“

„Wieso? Ich sage Ihnen, seit ich dieses Hotel besitze, das sind nun fast zehn Jahre her, haben sich alle meine Gäste mit dieser Feder und mit dieser Tinte eingetragen.“

Die Tinte war natürlich längst verhärtet.

„Wie haben sie das angefangen?“

„Mit Wasser, wie Sie sich leicht denken könnten, wenn Sie in der Kunst des Schreibens nur einigermaßen bewandert wären. Wenn man die Feder in heißem Wasser einweicht, wird sie so weich wie neu, ja noch viel weicher. Und gießt man heißes Wasser in das Faß, so bekommt man eine vollständig neue und außerordentlich gute Tinte. Da mein Haus einen lebhaften Zuspruch hat und jeder Gast sich hier eintragen muß, so wird bei mir ungewöhnlich viel geschrieben; ich darf also nicht verschwenderisch mit Tinte und Feder umgehen. Da Sie des Schreibens unkundig zu sein scheinen, so will ich den Eintrag für Sie vornehmen.“

„Thun Sie das, Sennor; ich bitte sehr darum. Sie nehmen mir damit eine große Last von der Seele.“

„Sehr wohl! Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein. Es soll sofort geschehen; ich will mir vorher erst heißes Wasser machen.“

Er ging an das Büffett. Ich sah, daß er Spiritus oder gar Rum in eine Lampe goß, denselben anbrannte und ein blechernes Gefäß über die Flamme hielt. Er hatte aus weiser Sparsamkeit seine Gäste zehn Jahre lang gezwungen, sich dieser Tinte und Feder zu bedienen, und dabei, ebenso aus weiser Sparsamkeit, jedesmal für einen Groschen Spiritus verbrannt! Es dauerte wenigstens eine Viertelstunde, bis das Wasser kochte; solange hielt er es geduldig über die Lampe; dann tauchte er die Feder hinein, ließ sie eine Weile darin brühen, goß dann das Wasser in das Tintenfaß, rührte es mit der Feder kräftig um und meinte dann in einem sehr befriedigten Tone:

„So, jetzt kann das Werk beginnen; ich bin bereit dazu.“

Er legte das Buch vor sich hin, stellte sich die Tinte bequem zur Hand, räusperte sich energisch, griff zur Feder, hustete, zog die Stirn in tiefe Falten, legte das Buch anders, gab auch dem Tintenfasse eine andere Stelle, hustete wieder, setzte sich fester, als er vorher gesessen hatte, kurz und gut, gebärdete sich so, als ob er im Begriffe stehe, das größte Kunstwerk der Welt in Angriff zu nehmen.

Ich brachte es nur mit Anstrengung fertig, ernst zu bleiben, und konnte mir nun das Aussehen des Fremdenbuches erklären. Ich hatte, während er Wasser kochte, darin geblättert. Die Schrift war auf den letzten Seiten dunkelgelb, wurde je weiter nach vorn desto heller und war endlich gar nicht mehr zu lesen. Die vordersten Seiten schienen niemals beschrieben worden zu sein.

„Jetzt passen Sie auf, Sennor,“ sagte er. „Ich habe einzutragen den Tag und das Jahr Ihrer Ankunft bei mir, Ihren Namen, Ihren Stand oder Beruf und die Absicht, in welcher Sie sich hier befinden. Ich hoffe, daß Sie mir das alles der strengsten Wahrheit gemäß angeben!“

Ich machte ihm die Angaben, und er malte sie in Buchstaben nieder, welche in Beziehung auf Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Er malte nicht nur, sondern er mahlte förmlich, langsam, sehr langsam, mit einem Drucke und einer Hingebung, wie es einer so wichtigen und edlen Beschäftigung würdig war. Als er nach einer guten halben Stunde den letzten Strich verbrochen hatte, machte er ein sehr befriedigtes Gesicht, schob das Buch von sich ab und fragte mich dann:

„Wie gefällt Ihnen meine Hand, Sennor? Haben Sie schon einmal solche Buchstaben und Züge gesehen?“

„Nein, noch nie,“ antwortete ich der Wahrheit gemäß. „Sie haben eine sehr charaktervolle Hand.“

„Das ist kein Wunder, da ich es bin, der fast alle Namen einzutragen hat, denn die meisten Gäste verstehen, gerade so wie Sie, mit Tinte und Feder nicht umzugehen. Ich danke Ihnen für Ihre Angaben; sie sind leicht verständlich; nur eine kann ich mir nicht erklären. Sie haben als Ihren Beruf angegeben, daß Sie Litterat sind. Dieses Geschäft ist mir noch nicht vorgekommen. Ist es ein Handwerk, eine militärische Charge, oder bezieht es sich auf den Handel im allgemeinen oder auf das Hausieren insbesondere?“

„Keines von alledem. Ein Litterat ist das, was Sie im Spanischen mit dem Worte Autor oder Escritor bezeichnen.“

Da sah er mich überrascht an und fragte:

„Haben Sie Vermögen?“

„Nein.“

„Dann bedauere ich Sie von ganzem Herzen, da Sie bei Ihrem Berufe notwendigerweise verhungern müssen.“

„Wieso, Don Geronimo?“

„Das fragen Sie noch? O, ich kenne diese Verhältnisse sehr genau, denn wir haben hier in Guaymas auch einen Escritor. Er ist sehr reich und schreibt für ein Blatt, welches in Hermosillo erscheint. Er muß sehr viel Geld bezahlen, um seine Einsendungen gedruckt zu sehen. Es ist ein Geschäft, welches große Ausgaben verursacht und gar nichts einbringt. Wie können Sie leben; was wollen Sie essen und trinken, und womit wollen Sie sich kleiden? Ich bedauere Sie auf das herzlichste! Können Sie denn bezahlen, was Sie bei mir genießen?“

„Ja. Dazu reicht es noch aus.“

„Das freut mich sehr. Hm, ein Escritor! Da ist es kein Wunder, daß Sie so ungemein herabgekommen sind, und ich finde es fast unbegreiflich, daß Sie dabei ein so gutes und gesundes Aussehen haben. Aber – – Caramba, da fällt mir ein: Wenn Sie ein Escritor sind, müssen Sie doch schreiben können?“

„Allerdings.“

„Und trotzdem haben Sie diese harte Arbeit mir überlassen! Warum verheimlichten Sie die Kunst, deren Sie mächtig sind?“

„Weil es unhöflich gewesen wäre, Ihnen zu widersprechen, als Sie mich für einen Mann erklärten, welcher die Feder nicht zu führen versteht.“

„Richtig! Diese Ihre Höflichkeit dient Ihnen als Empfehlung. Darf ich fragen, woher Sie kommen?“

„Von jenseits der Sierra Verde!“

„Als Fußgänger? Sie armer Teufel!“

„Ich war beritten, wie Sie daran sehen, daß ich Sporen trage. Mein Pferd stürzte und brach das Bein; ich mußte es erschießen.“

„Warum haben Sie nicht Sattel und Zaum mitgenommen?“

„Weil ich mich nicht mehrere Tage lang in solcher Hitze mit dieser Last schleppen wollte.“

„Aber Sie konnten es verkaufen und von dem Erlöse vielleicht zwei volle Tage leben. Sie thun mir wirklich leid. Lieber hätten Sie sich mit den beiden alten Schießgewehren, die ich da sehe, nicht schleppen sollen; sie sind keinen halben Dollar wert, ganz alte Konstruktion; ich verstehe mich darauf.“

Er nahm den Henrystutzen in die Hand, betrachtete ihn und schüttelte, indem ihm die Patronenkugel am Schlosse auffiel, den Kopf. Dann griff er nach der alten Bärenrifle, um sie aufzunehmen, ließ sie aber liegen, da sie so schwer war, daß er sie mit einer Hand nicht zu heben vermochte.

„Werfen Sie dieses Zeug weg!“ riet er mir. „Es hat keinen andern Zweck, als daß Sie sich mit demselben das Reisen erschweren. Wohin wollen Sie von Guaymas aus?“

„Mit einem Schiffe nördlich weiter, über Hermosillo hinauf.“

„Da können Sie lange warten. Schiffe, welche soweit gehen, sind selten.“

„So reite ich.“

„Da müßten Sie sich ein Pferd oder Maultier kaufen, und ich versichere Ihnen, daß selbst für schweres Geld jetzt keines zu haben ist. Wenn Sie Zeit zum Warten hätten, könnten Sie später die Eisenbahn benutzen, welche nach Arispe geht.“

„Wie gehen die Züge dorthin?“

„Züge? Man sieht, daß Sie hier fremd sind, Sennor. Die Bahn ist noch nicht fertig. Man sagt, daß sie in drei, vier oder auch fünf Jahren vollendet sein wird; das aber sind Ihnen unbekannte Dinge. Sie sollten nicht in einem Lande reisen, welches Sie nicht kennen und welches soweit von Ihrer Heimat liegt. Bei Ihrer Armut ist dies ein gefährliches Beginnen. Sie haben als Ihre Heimat Sajonia angegeben. Wo liegt diese Stadt?“

„Es ist keine Stadt, sondern ein Königreich, welches zu Alemania gehört.“

„Ganz richtig! Man kann nicht alle Landkarten im Kopfe haben. Also Sie dürfen bei mir bleiben. Wegen Ihrer Armut und weil Sie infolge Ihres guten Dominospieles ein vorzüglicher Gesellschafter sind, will ich ein Einsehen haben und Ihnen den möglichst billigen Preis stellen. Sie sollen vollständige Pension und die beste Verpflegung für einen Peso täglich haben. Das ist ein Preis, den Sie sehr niedrig finden werden.“

„Ich danke Ihnen und bin einverstanden,“ erklärte ich, denn ein Peso beträgt vier und eine halbe Mark, bei welchem Preise ich „vollständige“ Pension und „beste“ Verpflegung halb als geschenkt betrachten mußte.

Er nickte befriedigt, schob das Fremdenbuch zur Seite, griff wieder nach den Dominosteinen und sagte:

„Da Sie Hunger und Durst haben, wird Felisa Ihnen das Essen bereiten, und inzwischen können wir noch einige Partien spielen. Beginnen wir!“

Ob ich Lust dazu hatte, das fragte er nicht. Er schien es für ganz selbstverständlich zu halten, daß ich ein ebenso leidenschaftlicher Spieler sei, wie er war. Wir begannen, denn ich wollte nicht ungefällig sein. Ich hatte die Absicht, ihn gewinnen zu lassen, konnte dieselbe aber nicht ausführen, da er wirklich zu schlecht spielte. Bei der dritten Partie begann sich vom Herde, an welchem die Sennorita beschäftigt war, ein Duft nach verbranntem Mehle zu verbreiten. Mitten in der vierten hielt der Wirt plötzlich inne, schlug sich mit der Hand an die Stirn und rief aus:

„Wie konnte ich das vorhin vergessen! Sie wollen über Hermosillo hinaus, Sennor, und ich habe gar nicht daran gedacht, daß es eine prächtige Gelegenheit für Sie giebt. Sennor Enriquo erwartet nämlich ein Schiff, welches hier anlegen und dann hinauf nach Lobos gehen wird.“

„Dieser Ort würde mir allerdings sehr bequem liegen. Wer aber ist der Mann, den Sie Sennor Enriquo nennen?“

„Ein Gast von mir, dessen Name im Fremdenbuche gleich vor dem Ihrigen steht. Haben Sie ihn nicht gelesen?“

Das hatte ich nicht gethan. Ich griff also nach dem Buche und las: „Harry Melton, Heiliger der letzten Tage.“ Diese Worte waren allerdings in englischer Sprache geschrieben. Also ein Mormone! Wie kam der hierher? Welche Angelegenheit konnte ihn aus der großen Salzseestadt soweit südlich nach Guaymas geführt haben?

„Warum blicken Sie so nachdenklich in das Buch?“ fragte der Wirt. „Ist an dem Eintrage vielleicht etwas Besonderes, etwas Auffälliges zu bemerken?“

„Eigentlich nicht. Sie haben die Worte gelesen?“

„Ja, aber nicht verstanden. Der Sennor ist so ernst, so stolz und so fromm, daß ich ihn nicht mit Fragen belästigen wollte. Wahrscheinlich sprach ich seinen Namen falsch aus, und da erklärte er mir, daß Harry genau soviel wie das spanische Enriquo bedeute. Darum nenne ich ihn so.“

„Er wohnt also bei Ihnen?“

„Er schläft bei mir, geht des Morgens fort und kommt des Abends wieder,“

„Was treibt er inzwischen?“

„Das weiß ich nicht. Ich habe keine Zeit, mich um jeden meiner Gäste zu bekümmern.“

Ja, der kleine Mann spielte und schlief, schlief und spielte und konnte also unmöglich dazu kommen, einem Gaste eine solche Aufmerksamkeit zu schenken. Er fuhr fort.

„Ich weiß eben nur seinen Namen und daß er auf ein Schiff nach Lobos wartet. Der Sennor spricht sehr wenig. Seine Frömmigkeit ist rühmenswert. Schade nur, daß er nicht Domino spielen kann!“

„Woher wissen Sie, daß er fromm ist?“

„Weil er den Rosenkranz beständig durch die Finger gleiten läßt und niemals kommt oder geht, ohne sich vor dem Heiligenbilde, welches dort in der Ecke hängt, zu verbeugen und Weihwasser aus dem Becken dort an der Thüre zu nehmen.“

Ich wollte eine Bemerkung machen, hielt es aber für besser, zu schweigen. Ein Mormone mit dem Rosenkranze! Vielweiberei und Weihwasser! Das Buch Mormon und die Verbeugung vor einem Heiligenbilde! Dieser Mann war jedenfalls ein Heuchler, und seine Heuchelei mußte einen Grund haben.

Es war nicht möglich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Sennorita Felisa brachte mir jetzt eine Tasse, welche eine braune, dicke Materie enthielt, und wünschte mir, wohl zu speisen. Da der Wirt sich diesem Wunsche anschloß, so vermutete ich ganz rechtmäßigerweise, daß ich den Trank genießen solle. Ich nahm also die Tasse an den Mund und kostete, kostete wieder und kostete abermals, bis meine Zunge mir sagte, daß ich es mit einer Mixtur von Wasser, Sirup und verbranntem Mehle zu thun hatte.

„Was ist das?“ fragte ich.

Da schlug Felisa vor Erstaunen die Hände zusammen und rief aus:

„Ist das Möglich, Sennor? Haben Sie noch keine Schokolade getrunken?“

„Schokolade?“ fragte ich, wobei mein Gesicht einen nicht eben sehr geistreichen Ausdruck gehabt haben mag. „Ja, die habe ich schon oft getrunken.“

„Nun, das ist ja welche!“

„Schokolade? Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht!“

„Nicht wahr?“ nickte mir der Wirt erfreut zu. „Ja, meine Schokolade ist weithin berühmt. Wer weiß, was Sie an anderen Orten für Zeug getrunken haben. Die meinige aber ist so echt, ist so einzig, daß ein jeder, der zum erstenmale zu mir kommt, sich darüber verwundert und gar nicht glauben will, daß es Schokolade ist. Hieraus mögen Sie ersehen, daß Sie bei mir alles vortrefflich finden werden.“

Ich war heimlich ganz anderer Meinung, hielt es aber nicht für nötig, ihm dies zu sagen, sondern erkundigte mich:

„Was werden Sie mir als Abendbrot vorsetzen, Don Geronimo?“

„Abendbrot?“ fuhr er überrascht auf und erklärte mir dann, indem er auf die Tasse zeigte: „Da steht es ja; das ist es!“

„Ah so! Was geben Sie als Frühstück?“

„Eine Tasse meiner unübertrefflichen Schokolade.“

„Als Mittagessen?“

„Wieder eine Tasse. Das ist das beste, was man genießen kann.“

„Wer aber Brot und Fleisch oder ähnliches haben will?“

„Der muß zum Bäcker und zum Fleischer gehen.“

„So sagen Sie, ob Sie Wein haben. Die Schokolade hilft nicht gegen den Durst.“

„O, ganz ausgezeichneten! Wollen Sie ein Glas?“

„Ja. Was kostet es?“

„Dreißig Centavos.“

Das war nach deutschem Gelde ein halber Thaler. Don Geronimo gab mir die Ehre, den Wein selbst zu holen, reichte ihn aber seiner Tochter anstatt mir. Sennorita Felisa trank das Glas halb aus, ohne eine Miene zu verziehen, und gab es mir dann mit einem holdseligen Lächeln. Ich nahm einen kleinen Schluck, welcher einen sofortigen Hustenanfall zur Folge hatte. Der „Wein“ war das reinste Gift, die wahre Schwefelsäure.

„Trinken Sie langsam, langsam!“ warnte mich der Wirt. „Mein Wein ist viel zu stark für Sie, aus den köstlichsten Trauben gekeltert.“

„Ja, er ist mir allerdings zu stark, Don Geronimo,“ hustete ich. „Erlauben Sie, daß ich zum Bäcker und zum Fleischer gehe!“

„So trinken Sie das Glas nicht vollends aus?“ fragte die Sennorita.

„Nein. Ich habe leider allzu große Rücksicht auf meine Gesundheit zu nehmen.“

Da führte sie das Glas an ihren Rosenmund, leerte es, wieder ohne eine Miene zu verziehen, und bat mich dann in zutraulichem Tone:

„Wenn Sie zum Bäcker und Fleischer gehen, so bringen Sie mir etwas mit, Sennor. Noble und aufmerksame Gäste pflegen dies stets zu thun.“

Nicht übel! Vier und eine halbe Mark zahlen, dafür dreimal Mehl- und Sirupwasser, einen Platz in der wahrscheinlich starkbevölkerten Hängematte und dazu die Familie des Wirtes mit Proviant versorgen! Meson de Madrid! Das beste Hotel der Stadt! O Stadtschreiber, Stadtschreiber, deinen guten Rat und deine Empfehlung dieses Hauses in allen Ehren, aber ich will mich doch einmal weiter umsehen!

Ich ging, natürlich ohne meine verräterische Absicht zu verraten. Volle zwei Stunden lang beschäftigte ich mich mit der Suche nach einem besseren Unterkommen, gelangte aber schließlich zu der Überzeugung, daß der Stadtschreiber recht gehabt hatte, denn gegen die Höhlen, welche ich sah, war der Meson de Madrid ein Prachtpalast. Ich kaufte also für einen Peso Fleisch, welches, unter uns gesagt, ganz leidlich „muffig“ war, nahm vom Bäcker eine Anzahl platter Maiskuchen mit, welche an Stelle unsers Brotes gegessen werden, und wurde infolge dieser Vorräte daheim mit großer Anerkennung empfangen. Die liebe Felisa nahm mir, ohne lange zu fragen, sofort alles ab und brannte das Herdfeuer an, um das Fleisch zu braten. Die drei Jungens bemächtigten sich der Maiskuchen, welche sie wie Knochen zwischen den Zähnen zerknackten, und Donna Elvira richtete sich in der Hängematte empor, aus dem Schlummer geweckt durch den Bratenduft, welcher sich zu verbreiten begann. Leider konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen, denn die einzige Lampe, welche es gab, stand fern von ihr auf dem Tische, an welchem ich Platz genommen hatte. Der Wirt gesellte sich in freundlicher Weise zu mir, schob mir die Dominosteine hin und sagte:

„Noch einige Spiele bis wir essen, Sennor. Es gibt ja nichts anderes zu thun.“

Wir spielten also, bis gedeckt wurde, das heißt, bis Sennorita Felisa mir dasjenige Stück Fleisch, welches am muffigsten gewesen war, ohne Teller und ohne alles, dafür aber mit ihrem sonnigsten Lächeln vorlegte. Die andern Stücke wanderten mit erstaunlicher Schnelligkeit ihrer Bestimmung entgegen, die leider nicht in meinem hungrigen Magen zu suchen war. Ich hatte mich, oder vielmehr man hatte mich aus dem Gaste in den Gastgeber verwandelt.

Eben als ich nach dem letzten Bissen mein Messer am Ärmel abwischte und in den Gürtel zurückschob, kam derjenige, dessen Erscheinen ich mit großer, wenn auch heimlicher Neugierde entgegengesehen hatte, nämlich der Mormone. Der Schein unserer Lampe reichte bis zur Thüre, und da ich derselben gegenübersaß, sah ich ihn eintreten. Er verbeugte sich gegen die Ecke hin, in welcher das Bild hing, griff mit den Fingerspitzen in den kleinen Weihwasserkessel, wendete sich erst dann zu uns, um kurz zu grüßen, blieb, als er mich, einen Fremden, erblickte, für einige Augenblicke stehen, mich zu betrachten, kam dann mit raschen Schritten herbei, öffnete das Fremdenbuch, welches noch auf dem Tische lag, las die mich betreffenden Aufzeichnungen, und zog sich dann, gute Nacht wünschend, in das Dreivierteldunkel, wo die Hängematten für die Gäste angebracht waren, zurück.

Das war so schnell geschehen, daß es mir unmöglich gewesen war, sein Gesicht genau zu betrachten. Jetzt zeigte es sich, welchen Respekt er dem Wirte eingeflößt hatte, denn dieser sagte in unterdrücktem Tone zu den Seinen:

„Sennor Enriquo will schlafen. Legt euch nieder, und macht keinen Lärm!“

Die vordere Thüre wurde verriegelt; die hintere, nach dem Hofe führende, blieb offen. Donna Elvira ließ ihren aufgerichteten Oberkörper wieder niedersinken. Die Jungens krabbelten in ihre große, breite Matte; Sennorita Felisa reichte mir die Hand und suchte ihre hänfene Morpheuswiege auf. Der Wirt wünschte mir angenehme Ruhe, blies mir das Licht vor der Nase aus und kroch in seine Rettungsgürtel-Schaukel; ich saß im Dunkeln und fühlte mich ein wenig verblüfft über diese Art, einem neuen Gaste die „feinste“ Aufmerksamkeit zu erweisen. Doch machte mir die Sache Spaß, und ich blieb noch eine Weile sitzen, unentschlossen, an welchem Orte ich mich dem Traume in die Arme werfen würde. Bald vernahm ich das kräftige Schnarchen der lieblichen Tochter. Die Mutter stieß die Luft in ganz regelmäßigen Zwischenräumen mit demjenigen Geräusch aus, welches verursacht wird, wenn man ein Licht ausbläst. Der Vater gab brummende Töne von sich, genau mit denen zu vergleichen, welche eine summende Hummel verursacht – – es schien mir unmöglich zu sein, bei einem solchen Konzerte einzuschlafen; darum verzichtete ich auf sämtliche vorhandenen Hängematten und begab mich in den Hof, um mein heutiges Lager wieder aufzusuchen. Der Hund knurrte mich zunächst an, schien mich dann aber als denjenigen zu erkennen, den er heute schon neben sich geduldet hatte, und beruhigte sich. Ich schob meine Gewehre, von denen ich mich nach alter Gewohnheit nicht trennen mochte, in das Maisstroh und legte mich dann nieder, um erst zu erwachen, als der Morgen längst angebrochen war.

Als ich den Gastraum betrat, balgten sich die Buben rund um die Bänke; Donna Elvira lag noch oder lag schon wieder in ihrer Hängematte; Sennorita Felisa kochte am Herde die köstliche Schokolade, welche heute nicht nach verbranntem Mehle, sondern nach übergelaufenem Sirup roch, und der Wirt brachte eilends die Dominosteine herbei, um die gestrige Danaidenarbeit mit mir von neuem zu beginnen.

Der Mormone hatte sich noch nicht entfernt. Er saß an einem Tische und schien mein Erscheinen abgewartet zu haben, denn ich sah, daß er mich scharf beobachtete. Ich ließ ihn nicht sehen, daß ich dasselbe auch mit ihm that, doch wurde es mir geradezu schwer, das Auge von ihm zu wenden; er war eine interessante, ja eine hochinteressante Persönlichkeit.

Seine wohlgebaute Gestalt war gut und sorgfältig gekleidet und sein Gesicht vollständig glatt rasirt. Aber was für ein Gesicht war das! Sobald ich es erblickte, fielen mir jene eigenartigen Züge ein, welche der geniale Stift Gustave Dorés dem Teufel verliehen hat. Die Ähnlichkeit war so groß, daß man hätte meinen mögen, der Mormone habe Doré zu dieser Zeichnung gesessen. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre alt sein. Um seine hohe, breite Stirne rollten sich tiefschwarze Locken, welche hinten fast bis auf die Schulter niederwallten; es war wirklich ein prächtiges Haar. Die großen, nachtdunklen Augen besaßen jenen mandelförmigen Schnitt, den die Natur ausschließlich für die Schönheiten des Orientes bestimmt zu haben scheint. Die Nase war leicht gebogen und nicht zu scharf; die zitternde Bewegung ihrer hellrosagefärbten Flügel ließ auf ein kräftiges Temperament schließen. Der Mund glich fast einem Frauenmunde, war aber doch nicht weibisch oder weichlich geformt; die etwas abwärtsgebogenen Spitzen desselben ließen vielmehr auf einen energischen Willen schließen. Das Kinn war zart und doch zugleich kräftig gebaut, wie man es nur bei Personen findet, deren Geist den tierischen Trieben überlegen ist und sie so vollständig zu beherrschen vermag, daß andere das Vorhandensein derselben gar nicht ahnen. Jeder einzelne Teil dieses Kopfes, dieses Gesichtes war schön zu nennen, aber nur schön, vollkommen für sich, denn in ihrer Gesamtheit fehlte diesen Teilen die Harmonie. Wo aber die Harmonie fehlt, da kann von Schönheit nicht die Rede sein. Ich kann nicht sagen, ob es anderen ebenso wie mir ergangen wäre, ich fühlte mich abgestoßen. Die Vereinigung einzelner schöner Formen zu einem Ganzen, dem der Ein- oder Gleichklang fehlte, machte auf mich den Eindruck des Widerwärtigen, der Häßlichkeit. Dazu kam noch eins. Die Ähnlichkeit mit dem Doréschen Bilde war mir sofort aufgefallen; je öfter ich den Mann ansah, desto deutlicher fühlte ich, daß sein Gesicht einem andern glich, welches ich schon einmal irgendwo und irgendwann und zwar unter Umständen gesehen hatte, welche keineswegs als Empfehlung für dasselbe genommen werden konnten. Ich sann und sann, vermochte aber weder über den Ort und die Zeit noch über die Person, welcher dieses Gesicht angehörte, in Klarheit zu kommen. Auch im Verlaufe der nächsten Tage, während welcher ich den Mormonen regelmäßig des Morgens und des Abends zu sehen bekam, war es mir unmöglich, mich zu besinnen, obgleich ich je länger desto mehr zu der Überzeugung gelangte, daß ich ganz gewiß einem ihm sehr ähnlichen Menschen begegnet war, der sich entweder gegen mich selbst oder gegen eine mir befreundete Person feindlich verhalten hatte.

So oft Harry Melton mich sah, maß er mich mit scharfen Augen, und obgleich in seinen Blicken nur der Ausdruck der Neugierde zu liegen schien, war es mir doch, als ob dies nur deshalb der Fall sei, weil er sich geflissentlich bemühte, mir nicht zu zeigen, daß ich keinen angenehmen Eindruck auf ihn machte. Dieser Eindruck war freilich ein gegenseitiger.

Ich wartete, wie bereits gesagt, auf ein Schiff, und er schien nach der Mitteilung, welche der Wirt mir gemacht hatte, der Ankunft eines solchen gewiß zu sein. Dennoch wendete ich mich nicht an ihn, um eine Erkundigung einzuziehen, denn es war mir ganz so, als ob ich, einmal in Beziehung zu ihm getreten, nicht wieder von ihm loskommen könne. Es war ja klar, daß ich mich nur an den Kapitän zu wenden brauchte, um als Passagier an Bord gehen zu dürfen. Aber es kam doch anders, als ich beabsichtigte. Als er am Abende des fünfzehnten Tages in das Hotel kam, suchte er nicht wie gewöhnlich sofort seine Hängematte auf, sondern setzte sich zu uns, nämlich zu dem Wirte und mir, denn es verstand sich ganz von selbst, daß wir beide wieder an der Tafel saßen und Domino spielten. Es war mir nach langen, vergeblichen Bemühungen endlich gelungen, den kleinen Don Geronimo eine Partie gewinnen zu lassen. Er zeigte sich sehr entzückt darüber und sagte:

„Jetzt ist der Bann gebrochen, Sennor. Sie geben doch zu, daß ich eigentlich weit besser spiele als Sie, aber das Unglück hat mich bisher auf eine noch gar nicht gewesene Weise verfolgt. Sie erwischten stets die besten Steine, während ich nur solche bekam, mit denen absolut nichts anzufangen war. Nun aber soll es anders werden, und ich werde Ihnen zeigen, wie sehr ich Ihnen überlegen bin. Fangen wir gleich wieder an!“

Er wendete die Steine um und mischte sie zum neuen Spiele. Ich antwortete nicht und hatte die Absicht, ihn, wenn irgend möglich, auch die nächste Partie gewinnen zu lassen; da aber nahm der Mormone zum erstenmale das Wort, um ihm zu sagen:

„Was fällt Ihnen ein, Sennor! Haben Sie denn nicht bemerkt, daß Ihr Gegner sich förmlich Mühe gegeben hat, Fehler zu machen und Sie die Partie gewinnen zu lassen? Sie werden in Ihrem ganzen Leben nicht so spielen lernen, wie er spielt.“

Das war grob. Dazu kam, daß er sich des einfachen Ausdrucks Sennor bedient hatte, während der kleine Mann gewohnt war und sehr viel darauf gab, Don Geronimo genannt zu werden. So höflich der Wirt sonst war und so großen Respekt er vor dem Mormonen hatte, jetzt gab er eine scharfe Antwort, auf welche eine ebenso scharfe Gegenrede folgte. Die beiden gerieten in Streit, was zur Folge hatte, daß Geronimo die Steine einpackte und den Tisch verließ, um sich in seine Hängematte zu legen. Das Auge des Mormonen folgte ihm mit einem befriedigten Blicke, aus welchem ich schloß, daß er den Streit vom Zaune gebrochen hatte, um den Wirt zu entfernen und mit mir allein zu sein.

„Er will mit dir reden,“ dachte ich und hatte mich nicht geirrt, denn kaum hatte sich der Kleine in seiner Hängematte zusammengerollt, so wendete Melton sich an mich:

„Sie wohnen schon seit fünfzehn Tagen hier. Beabsichtigen Sie, in Guaymas zu bleiben?“

Er sprach nicht im Tone einer höflichen Erkundigung. Ich fühlte, daß er freundlich sein wollte, aber er brachte dies nicht fertig, und so klang seine Frage wie diejenige eines Beamten oder Vorgesetzten, welcher zu einer tief unter ihm stehenden Person spricht.

„Nein,“ antwortete ich. „Ich habe hier nichts zu suchen.“

„Wo wollen Sie hin?“

„Vielleicht nach La Libertad.“

Ich nannte diese Stadt, weil in ihrer Nähe Lobos lag, wohin das von ihm erwartete Schiff, wie ich gehört hatte, segeln wollte.

„Wo kommen Sie her?“

„Von der Sierra Verde herunter.“

„Was haben Sie dort gemacht? Vielleicht Gold gesucht? Haben Sie welches gefunden?“

„Nein,“ berichtete ich ihm der Wahrheit gemäß, ohne auf seine Erkundigung weiter einzugehen.

„Das dachte ich mir. Man sieht es Ihnen an, daß Sie ein armer Teufel sind. Sie haben überhaupt ein sehr unglückliches Metier gewählt.“

„Wieso?“

„Nun, ich habe im Fremdenbuche gefunden, daß Sie Escritor sind, und weiß, daß es in diesem Fache meist nur verkommene Existenzen gibt. Wie konnten Sie sich in diese Gegend wagen! Sie sind ein Deutscher. Wären Sie in Ihrem Vaterlande geblieben, so könnten Sie dort für Leute, welche mit der Feder nicht umzugehen wissen, Briefe schreiben, Rechnungen anfertigen und durch ähnliche Arbeiten sich wenigstens soviel verdienen, daß Sie nicht zu hungern brauchten.“

„Hm!“ brummte ich, indem ich ihm nicht merken ließ, daß er mich belustigte; „das Briefschreiben ist kein so einträgliches Geschäft, wie Sie anzunehmen scheinen. Man kann dabei hungern, daß einem die Seele knackt.“

„Und da haben Sie nichts anderes gewußt, als in die Fremde zu gehen und Ihre Seele noch lauter knacken zu lassen! Nehmen Sie es mir nicht übel; aber das war eine Dummheit von Ihnen. Es hat nicht jeder solches Glück wie Ihr Namensvetter, der übrigens, ehe er in die Welt ging, ein gelernter Jäger und kein Escritor war.“

„Ein Namensvetter von mir? Wen meinen Sie?“

„Ah, ich dachte, Sie wären schon einmal drüben in den Vereinigten Staaten gewesen, in den westlichen Prairien; aber Ihre Frage sagt mir, daß dies nicht der Fall ist, sonst hätten Sie doch einmal von Old Shatterhand gehört.“

„Old Shatterhand? Den Namen kenne ich. Ich habe, es war wohl in irgend einer Zeitung, ein Reiseerlebnis gelesen, in welchem dieser Mann vorkam. Er scheint ein Prairiejäger, oder Pfadsucher, oder wie man diese Leute nennt, zu sein?“

„Das ist er allerdings. Ich weiß zufälligerweise, daß er ein Deutscher ist, und da Sie mit ihm denselben Namen haben, so kam ich im ersten Augenblicke auf die Idee, in Ihnen diesen Old Shatterhand vor mir zu haben, habe aber meinen Irrtum sehr bald eingesehen. Ihre klägliche Lage erbarmt mich, und da ich ein gutes Herz besitze, will ich Ihnen auf die Beine helfen, vorausgesetzt, daß Sie soviel Verstand haben, das Rettungsseil, welches ich Ihnen zuwerfe, zu ergreifen und festzuhalten.“

Eigentlich hätte ich ihm in das Gesicht lachen sollen, behielt aber den bisherigen, sehr bescheidenen Ausdruck des meinigen bei. Die sehr von oben herabkommende Ausdrucksweise des Mormonen hätte mich wohl ärgern sollen; aber es machte mir Spaß, ihn bei seiner Meinung zu lassen, und so antwortete ich in aller Gelassenheit:

„Warum soll ich nicht soviel Verstand haben? Ich bin doch kein Kind, welches eine ihm angebotene Wohlthat nicht zu schätzen weiß.“

„Gut! Wenn Sie auf meinen Vorschlag eingehen, sind Sie aller Sorgen enthoben und ein gemachter Mann.“

„Wenn ich das glauben könnte! Ich bitte Sie, mir diesen Vorschlag schleunigst mitzuteilen!“

„Nur gemach! Sagen Sie mir vorher, was Sie eigentlich in La Libertad wollen.“

„Arbeit suchen, mich nach irgend einer Unterkunft umsehen. Da ich hier in diesem toten Guaymas nichts gefunden habe, so hoffe ich, dort glücklicher zu sein.“

„Sie irren sich. La Libertad liegt zwar auch an der See, ist aber ein noch viel traurigerer Ort als Guaymas. Hunderte von hungrigen Indianern lungern dort herum, ohne Arbeit zu finden, und Sie wären dort noch viel schlimmer dran als hier. Es ist ein wahres Glück für Sie, daß die Vorsehung Sie auf meinen Weg geführt hat. Sie werden vielleicht gehört haben, daß ich zu den Heiligen der letzten Tage gehöre. Meine Religion gebietet mir, jedes Schaf, welches ich in der Wüste finde, nach dem blühenden Gefilde des Glückes zu bringen, und so ist es meine Pflicht, mich Ihrer anzunehmen. Sprechen und schreiben Sie englisch?“

„Leidlich.“

„Das genügt. Und schreiben Sie spanisch vielleicht auch so, wie Sie es sprechen?“

„Ja; aber in die Interpunktion kann ich mich nicht recht finden, weil im Spanischen die Frage- und Ausrufezeichen nicht nur hinter, sondern auch vor dem Satze stehen.“

„Das wird sich schon noch finden,“ lächelte er von oben herab. „Ich verlange keine Meisterschaft von Ihnen. Haben Sie Lust, Tenedor de libros zu werden?“

Er fragte das mit einer Miene, als ob er mir damit ein Fürstentum anböte; darum antwortete ich im Tone freudiger Überraschung:

„Tenedor de libros? Wie gern würde ich so eine Stelle annehmen; aber ich bin nicht Kaufmann. Zwar habe ich gehört, daß es eine einfache und eine doppelte Buchführung geben soll, aber ich verstehe nichts davon.“

„Das ist auch nicht nötig, denn Sie sollen nicht bei einem Kaufmanne, sondern auf einer Hazienda angestellt werden. Zwar kann ich die Höhe Ihrer Besoldung nicht bestimmen, da dies Sache des Haziendero ist, aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie sich sehr gut stehen werden. Sie haben alles frei, und ich bin überzeugt, daß Sie monatlich nicht unter hundert Pesos erhalten werden. Hier ist meine Hand. Schlagen Sie ein, und dann fertigen wir gleich heute abend noch den Kontrakt darüber aus!“

Er hielt mir seine Hand hin. Ich hob die meinige, als ob ich einschlagen wolle, zog sie aber langsam zurück und fragte:

„Ist es denn wirklich Ihr Ernst, oder scherzen Sie nur mit mir? Es erscheint mir als ein Wunder, daß Sie einem fremden Menschen, welcher kaum seine Blöße decken kann, ein so großartiges Anerbieten machen.“

„Es ist auch beinahe ein Wunder, und darum rate ich Ihnen, ja nicht zu zögern, sondern schleunigst zuzugreifen.“

„Das möchte ich wohl, wie Sie sich denken können, doch möchte ich natürlich vorher etwas Näheres erfahren. Wo liegt denn die Hazienda, nach welcher Sie mich schicken wollen?“

„Nicht schicken will ich Sie, sondern ich werde Sie hinbringen.“

„Das ist mir noch lieber. Kostet die Reise viel Geld?“

„Sie haben keinen Centavo auszugeben, denn ich bezahle alles. Sobald Sie Ihre Zusage erteilt haben, sind Sie nicht nur von jeder Ausgabe entbunden, sondern ich bin sogar erbötig, Ihnen eine Prenda, auszuzahlen. Der Haziendero ist mein Freund. Er heißt Timoteo Pruchillo und ist der Besitzer der Hazienda del Arroyo.“

„Wo liegt die Hazienda?“

„Jenseits Ures. Man fährt von hier per Schiff nach Lobos und hat dann bis zum Ziele einen herrlichen Landweg, eine kurze, sehr angenehme Reise, auf welcher Sie viel Unterhaltung und Belehrung finden werden, zumal es dabei zahlreiche Gesellschaft aus Ihrem Vaterlande geben wird.“

„Wieso das? Gesellschaft aus meinem Vaterlande?“

„Ja, aus Preußen, welches doch in Deutschland liegt. Der Indianer ist kein ausdauernder und zuverlässiger Arbeiter; darum mangelt es hier an Leuten, welche zu der Beschäftigung, wie eine Hazienda sie erfordert, tauglich sind. Sennor Timoteo hat sich deshalb Leute aus Deutschland verschrieben. Es sind gegen vierzig Arbeiter, welche morgen hier ankommen werden und zum großen Teile auch ihre Weiber und Kinder mitbringen. Sie haben die Kontrakte unterzeichnet und sind so gestellt, daß sie in kurzer Zeit wohlhabende Leute sein werden. Der Haziendero hat mich gesandt, sie hier zu empfangen und über Lobos ihm zuzuführen.“

„Aus welcher Gegend Deutschlands kommen sie?“

„Das weiß ich nicht genau, aber ich vermute, daß sie aus der Gegend von Polonia oder Pomerania sind. Ich glaube, die Stadt, aus deren Umgebung sie stammen, wird Cobili genannt.“

„Eine Stadt dieses Namens giebt es dort nicht. Hm! Pommern oder Polen! Meinen Sie vielleicht den Namen Kobylin?“

„Ja, ja, so wie Sie sagen, wird er richtig klingen. Unser Agent hat die Leute nach Hamburg auf das Schiff gebracht. Der große Dampfer hat sie in San Franzisko gelandet, von wo aus sie morgen auf einem kleinen Segelschiffe hier ankommen werden. Das Fahrzeug legt hier nur an, um mich aufzunehmen, und segelt dann wieder ab. Wenn Sie sich noch besinnen wollen, so kann ich Ihnen nur Zeit bis morgen früh geben. Haben Sie sich dann noch nicht entschieden, so ziehe ich meinen Antrag zurück, und Sie können dann solange hier sitzen bleiben, wie es Ihnen beliebt.“

„Hoffentlich würde der Kapitän mich mit bis Lobos nehmen?“

„Nein, selbst gegen die beste Bezahlung nicht, da das Schiff nur für diese Auswanderer gemietet ist und keine Passagiere aufnehmen darf. Warum also noch lange überlegen? Es wäre geradezu Verrücktheit von Ihnen, mich mit meiner Offerte abzuweisen.“

Er sah mich erwartungsvoll an, sichtlich überzeugt, eine zusagende Antwort zu bekommen. Ich befand mich in Verlegenheit. Es war meine Absicht gewesen, ihn erst reden zu lassen und dann auszulachen; davon mußte ich nun aber absehen. Wie wollte ich sonst von hier fortkommen? Schon aus diesem Grunde war es geboten, ihm keine abschlägige Antwort zu erteilen. Es gab aber außerdem noch eine Veranlassung für mich, die Fahrt mit ihm zu machen. Er erwartete Landsleute von mir, wahrscheinlich aus der Provinz Posen stammend und durch irgend eine Art Vertrag herübergelockt. Mußte mich der letztere Umstand schon lebhaft für sie interessieren, so kam noch dazu, daß mir die Route auffiel, welche er mit ihnen einschlagen wollte. Ich wußte, daß Ures, in dessen Nähe die Hazienda zu suchen sein sollte, am Rio Sonora liegt; der kürzeste und bequemste Weg hätte also zunächst nach Hermosillo und dann den Sonorafluß aufwärts geführt; der Mormone wollte aber bis Lobos, also wohl dreißig Leguas weitersegeln. Den Landweg von dort aus hatte er mir zwar als reizend beschrieben, doch vermutete ich, obgleich ich denselben gar nicht kannte, daß er mich damit belogen habe. Selbst wenn er die Wahrheit gesagt hatte, so handelte es sich um einen so bedeutenden Umweg, daß ich einen besonderen Grund dahinter ahnte, und da man einen solchen Umweg nicht mit Leuten macht, welche Frauen und Kinder bei sich haben, so glaubte ich, annehmen zu müssen, daß dieser Grund kein lauterer sei. Es war mir infolgedessen der Gedanke gekommen, daß den Auswanderern irgend eine Gefahr drohe, und ich fühlte das Bedürfnis, dieselbe zu erforschen und sie dann zu warnen. Dies konnte ich aber nicht, wenn ich in Guaymos sitzen blieb. Ich mußte also mit. Aber wie? Binden konnte ich mich unmöglich, am allerwenigsten durch einen schriftlichen Kontrakt. Überdies war mir selbstverständlich auch der Umstand im höchsten Grade verdächtig, daß der Mormone mir, den er für einen heruntergekommenen oder gar nichtsnutzigen Menschen hielt, eine so gute Anstellung förmlich an den Hals werfen wollte. Schon dies setzte eine Absicht voraus, welche ich leider jetzt noch nicht durchschauen konnte. Es gehörte Zeit dazu, dieselbe kennen zu lernen, und diese Zeit mußte ich zu gewinnen suchen. Darum antwortete ich auf seine letzte Bemerkung:

„Sie haben recht, Sennor. Es würde nicht nur eine Dummheit von mir, sondern auch die abscheulichste Undankbarkeit gegen Sie sein, wenn ich Ihre Güte zurückweisen wollte. Ich würde darum augenblicklich ja sagen, wenn ich mich nicht gezwungen sähe, ein sehr begründetes Bedenken dagegen zu hegen.“

„Ein Bedenken? Möchte doch wissen, welcher Art dies sein könnte. Wollen Sie sich aussprechen?“

„Natürlich! Ich habe noch nie ein Buch geführt und noch nie auf einer Hazienda gelebt. Ich zweifle also den Ansprüchen des Haziendero genügen zu können.“

„Schweigen Sie doch damit!“ unterbrach er mich. „Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es eine wahre Kinderarbeit ist, die Sie zu leisten haben, eine reine Spielerei. Sie tragen ein, was in den Apfelsinengärten und auf den Feldern geerntet wird, und welchen Preis Sennor Timoteo dafür bekommt. Sie schreiben ferner auf, wieviel junge Füllen und wieviel Kälber zu Welt kommen. Das ist die ganze Arbeit, die man von Ihnen verlangt.“

„Und dafür soll ich vollständige freie Station und monatlich hundert Pesos erhalten?“

„Wenigstens hundert!“

„So möchte ich allerdings augenblicklich in Ihre Hand schlagen; aber ich möchte doch lieber erst sehen, ob ich eine solche Gage auch verdiene.“

„Damit beweisen Sie, daß Sie ein Deutscher sind. Als einem Heiligen der letzten Tage geht mir Gottesfurcht und Rechtschaffenheit über alles; Sie aber treiben die Ehrlichkeit gar zu weit. Ihr Deutschen seid doch merkwürdige Leute!“

„Mag sein, Sennor, doch wollen Sie bemerken, daß ich Ihr Anerbieten nicht zurückweise. Ich gehe mit, wenn auch um mich erst dann vollständig zu binden, wenn ich zu der Einsicht gelange, daß ich das, was man mir zahlt, auch wirklich verdiene.“

„Das ist eine Albernheit. Aber wenn Sie nicht anders wollen, so mag es auch in dieser Weise sein. Aber wie steht es denn mit Ihrer Kasse, auf deren Boden Sie wohl angelangt sein werden? Da Sie nur bedingungsweise mitgehen, sind Sie nicht fest engagiert, und ich habe nicht die Pflicht, für Sie zu zahlen. Freie Fahrt auf dem Schiffe ist alles, was ich Ihnen unter diesen Umständen bieten kann.“

„Ich bin zufrieden damit und habe glücklicherweise noch einige Pesos, welche wohl ausreichen werden, bis wir auf der Hazienda eintreffen.“

„Aber in Ihrem jetzigen Aufzuge kann ich Sie unmöglich mitnehmen. Können Sie einen neuen Anzug erschwingen?“

„Ja, denn bei der jetzigen Hitze kauft man nur, was leicht und billig ist.“

„So besorgen Sie das morgen mit dem Frühesten, damit ich nicht auf Sie zu warten brauche. Jetzt gute Nacht!“

Er nickte mir kurz zu und ging, ohne mir die Hand zu reichen, nach seiner Hängematte. Die Kinder schliefen schon; Sennorita Felisa schnarchte; Donna Elvira pustete, und der kleine Geronimo gab im ersten Schlummer Töne von sich, welche ganz genau denen einer nicht geölten Thürangel glichen. Ich blies also das Licht aus, und suchte den Hof und mein liebes Maisstrohlager auf, wo mich der Hund, welcher sich an mich gewöhnt hatte, mit freundlichem Händelecken empfing. Obgleich ich am andern Morgen sehr zeitig erwachte und in das Gastzimmer kam, als die liebe Wirtsfamilie noch schlief und in der angegebenen Weise sich akustisch beschäftigte, konnte ich den Mormonen weder sehen noch sprechen, denn er hatte das Hotel bereits verlassen. Wo hielt er sich während des ganzen Tages auf? Niemand wußte es. Auch das war auffällig, denn wer auf ehrlichen Wegen geht, braucht sein Thun nicht in ein solches Dunkel zu hüllen.

Nachdem ich Sennorita Felisa geweckt hatte, um zu der berühmten Morgenschokolade zu kommen, machte ich, der ich heute die dreißigste Tasse trank, die nun leider zu spät kommende Entdeckung, daß die Liebliche das Getränk mit demselben Wasser bereitete, mit welchem sie ihre zarten Finger und ihr reizendes Gesicht gewaschen hatte. Ich zollte dieser häuslichen und ganz im Verborgnen blühenden Sparsamkeit meine Anerkennung, indem ich vorgab, Magenweh zu haben und darum auf die Schokolade verzichten zu müssen; die Sennorita beglückte mich mit einem zärtlichen Augenaufschlage, führte die Tasse an den Mund, trank sie aus, wischte sich mit der Außenseite der Hand die blühenden Lippen und sagte in tief zu Herzen dringendem Tone:

„Sennor, Sie sind der nobelste, der feinste Kavalier, der mir vorgekommen ist, und werden, wenn Sie heiraten, Ihre Sennora sehr glücklich machen. Jammerschade, daß Sie abreisen. Könnten Sie denn nicht hier bleiben?“

„Wünschen Sie das vielleicht?“ fragte ich neckisch.

„Ja,“ antwortete sie unter einem leichten Erröten.

„Und was ist die Ursache dieses Wunsches, Sennorita? Das Glück, von dem Sie soeben sprachen, oder die Schokolade, welche ich Ihnen so gern abgetreten habe?“

„Beides,“ hauchte sie mit entzückender Wahrheitsliebe,

Wahrscheinlich erwartete sie, daß ich den Anfang dieses Morgengespräches zu einem glücklichen Ende führen werde, leider aber hielt ich die Anschaffung eines neuen Anzuges für weit dienlicher, als eine Stegreifverlobung, und ging, um einen Baratillero, aufzusuchen. Der Laden desselben glich einer wahren Trödelbude, doch fand ich glücklicherweise, was ich suchte, Hose, Weste und Jacke von ungebleichtem Linnen und einen Strohhut, dessen Krämpe so breit war, daß, falls ich auf die Absicht der Sennorita Felisa eingegangen wäre, ich mit ihr und sämtlichen Hochzeitsgästen darunter Platz gefunden hätte. Auch kaufte ich ein Stück billigen Stoffes, um mir mit Hilfe von Nadel und Zwirn, welch beides ich stets bei mir führte, ein Futteral für meine Gewehre anzufertigen. Das hatte einen guten Grund: Der Mormone sollte mich noch für einige Zeit für den Menschen halten, für den er mich bisher gehalten hatte. Da er viel von Old Shatterhand gehört zu haben schien, war es leicht möglich, daß er auch wußte, was für Gewehre derselbe bei sich führte, und darum sollte er sie wenigstens nicht genau zu sehen bekommen. Auch ein Paar derbe Lederschuhe kaufte ich mir. Als ich dann, mit solcher Eleganz ausgestattet, in das Hotel zurückkehrte, schlug Don Geronimo vor Verwunderung die Hände zusammen und rief aus:

„Was erblicke ich! Sind Sie plötzlich reich geworden? Sie können sich ruhig an der Seite jedes altkastilianischen Edelmannes sehen lassen, Sennor. Leider sind Sie fest entschlossen, abzureisen; aber hätte ich Sie eher in dieser Kleidung gesehen, so hätte ich Ihnen eine Stelle als Majordomo meines Hauses angeboten und vielleicht wären Sie sogar Kompagnon geworden!“

Mein Anblick schien wirklich bezaubernd zu sein, denn Sennorita Felisa legte die Hand auf das Herz und ließ einen tiefatmigen Puster hören, und selbst Donna Elvira richtete sich ein wenig in ihrer Hängematte auf, um mir einen Blick zu schenken und dann mit einem beifälligen Seufzen wieder niederzusinken, Ich schien ein der Damenwelt höchst gefährliches Individuum geworden zu sein, und da ich dies unmöglich auf Rechnung meiner innern oder äußern Vorzüge setzen konnte, so war ich geneigt, dem Leinenanzuge, welcher nach deutschem Gelde elf Mark gekostet hatte, Zauberkraft zuzuschreiben. Leider blieb er mir nur kurze Zeit treu, da er sehr bald aus den Nähten ging und sich in den verschiedensten Fetzen und Stücken nach den verschiedensten Windrichtungen verlor. Ich hätte mir sicher etwas Besseres und Haltbareres angeschafft, wollte aber Harry Melton nicht wissen lassen, daß ich dazu die Mittel besaß.

Es war gegen Mittag, als dieser in das Gasthaus kam, um mich abzuholen, denn das Schiff war angekommen. Es hatte ohne in den Hafen einzusegeln, draußen vor demselben beigedreht, um ihn aufzunehmen. Wir mußten uns also eines Bootes bedienen, um an Bord zu kommen.

Der Abschied von meinen freundlichen Wirtsleuten war rührend. Don Geronimo beging die Heldenthat, mir sein Dominospiel als Andenken anzubieten, und schluchzte beinahe vor Wonne, als ich dieses Opfer nicht annahm. Die drei Buben sagten mir Ade, indem sie meine Beine umschlangen und ihre Nasen an meine neue Hose wischten. Sennorita Felisa wollte ihr Taschentuch an die Augen führen, da sie aber an Stelle eines solchen augenblicklich gerade nur den schwarzen Herdlappen in der Hand hatte, so rieb sie sich die Traurigkeit mit Ruß ins thränende Gesicht, was auf mich einen weit tiefern Eindruck machte, als wenn sie sich eines wirklichen Nastüchleins bedient hätte. Und Donna Elvira richtete sich soweit auf, daß ich beinahe ihr Gesicht deutlich gesehen hätte, und winkte mir mit der müden Rechten ein Lebewohl zu. Für den Hund hatte ich ein Stück Wurst mitgebracht, welches ich ihm zum Abschiede verehren wollte, da ich Gründe hatte, anzunehmen, daß er nie im Leben so etwas gekostet hatte. Geronimo und Felisa gingen mit in den Hof. Als ich die Wurst aus der Tasche zog und sie dem Hunde hinhielt, schnappte aber die Sennorita noch eher zu als er. Sie riß mir die Liebesgabe aus der Hand und sagte:

„Was thun Sie da, Sennor! Ich glaube gar, Sie wollen diese Delikatesse an das Tier verschwenden! Sie gehört mir, und ich werde sie in der Erinnerung an Sie verspeisen.“

Sie gab der Erinnerung aber keine Zeit, in ihr Recht zu treten, sondern biß sofort höchst tapfer ein, was ihren Vater veranlaßte, einen schnellen Griff nach ihrer Hand zu thun, um ihr die Wurst zu entreißen und an der Erinnerung teilzunehmen. Sie entfloh mit einem Schreckensrufe, und er rannte hinter ihr her, was mir Gelegenheit gab, das gastliche Haus nun ohne weitere Angriffe auf meine Wurst und auf mein Herz zu verlassen. Der Hund mußte sich freilich nun mit einem Streicheln begnügen, was wahrscheinlich weniger nahrhaft war, als das ihm so räuberisch entzogene Abschiedsgeschenk. Dann eilte ich zu Melton, der vor dem Hause auf mich wartete, und schritt mit ihm dem Hafen zu, wo wir ein Boot bestiegen, um uns nach dem Schiffe rudern zu lassen.

Letzteres war ein kleiner Schuner, wie ihn, wenigstens damals, nur die Yankees zu bauen verstanden, ein schneller Segler und mit soviel Leinwand an den Masten, daß er selbst bei der flauesten Luft nicht festzuliegen brauchte. Als wir an der Seite des Schuners anlegten und man uns von oben die Fallreepen zuwarf, sahen viele Köpfe über Bord, um uns in Augenschein zu nehmen. Wir stiegen empor. Als ich das Deck betrat, war die erste Person, welche ich erblickte, ein vielleicht achtzehnjähriges, äußerst schmuck gekleidetes Mädchen mit orientalischen Zügen von ungewöhnlicher Schönheit. Der Anzug, welchen es trug, bestand aus Schnürstiefeln, weißen Strümpfen, rotem, mit dunklem Sammet umsäumtem Rocke und einem blauen Mieder, welches mit silbernen Hefteln und einer ebensolchen Kette geschmückt war. Ein kleines, mit einer Feder verziertes Hütchen saß auf dem vollen, in zwei Zöpfen hinten weit herabhängenden Haare. Diese Kleidung paßte wohl mehr auf einen Maskenball als hierher auf das Deck eines amerikanischen Transportschiffes für Auswanderer. Neben dem Mädchen stand ein hagerer, ältlicher Mann, dessen Gesicht den ausgesprochensten jüdischen Typus zeigte. Sein Anzug ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er ein polnischer Hebräer sei. Als sein Blick auf den Mormonen fiel, entfuhr ihm der halblaute, unwillkürliche Ausruf „Djabel!“ Obgleich ich der polnischen Sprache nicht mächtig bin und nur wenige Worte derselben kenne, wußte ich, daß dieser Ausruf „der Teufel!“ bedeutete. Der Mormone brachte also auf diesen Juden ganz denselben Eindruck hervor, den er auf mich gemacht hatte, obgleich sein Gesicht keine Spur von dem besaß, was der gewöhnliche, ungebildete Mann sich unter „teuflisch“ denkt.

Die andern Passagiere waren arme Leute, wie man gleich auf den ersten Blick bemerken konnte. Sie wußten, daß ihr nunmehriger Führer an Bord kam, und betrachteten Melton mit neugierigen Augen, denn es fiel ihnen nicht etwa ein, mich für den Erwarteten zu halten; mein Äußeres war viel zu anspruchslos dazu. Der Kapitän kannte ihn jedenfalls, denn er kam ihm entgegen und begrüßte ihn mit einem Händeschütteln, welches man nicht für Unbekannte hat. Das sah ich, weil ich scharf aufpaßte, denn ich hielt es für erforderlich, selbst auf die geringste Kleinigkeit achtzugeben. Sie begaben sich beide nach dem Hinterdeck, um sich die für den ersten Augenblick nötigen Mitteilungen zu machen. Ich schlenderte zur Seite, lehnte meine im leinenen Überzuge steckenden Gewehre an den Mast und setzte mich auf eine Taurolle, welche in der Nähe lag. Als ich die Passagiere zählte, fand ich, daß es achtunddreißig Männer und Burschen, vierzehn Frauen und erwachsene Mädchen und elf Kinder, also in Summa dreiundsechzig Menschen waren.

Nachdem sich ihre Augen genugsam mit dem Mormonen beschäftigt hatten, richteten sie ihre Aufmerksamkeit nun auch auf mich. Ich sah, daß sie sich ihre verschiedenen Meinungen über meine Person mitteilten; sie wußten nicht, für wen oder was sie mich nehmen sollten, und beauftragten, um ins reine zu kommen, den Juden, mich zu fragen. Er kam zu mir, lüftete die schwarzseidene Kappe, welche sein spärliches Haar bedeckte, und redete mich mit einem Gemisch von jedenfalls während der Reise aufgelesenen, spanischen und englischen Worten an, welche ich in dieser Zusammenstellung nicht zu verstehen vermochte, darum unterbrach ich seine Bemühung, sich mir begreiflich zu machen, durch die Frage:

„Kommen Sie vielleicht aus der Gegend von Kobylin in Posen?“

„Ja, ja!“ antwortete er rasch, indem sein Gesicht den Ausdruck der Überraschung annahm.

„So werden Sie wahrscheinlich der deutschen Sprache mächtig sein und haben es nicht nötig, sich in fremden Zungen abzuquälen.“

„Gott meiner Väter!“ rief er aus, indem er die Hände zusammenschlug. „So werde ich also haben die Freude neben der Ehre, in Ihnen kennen gelernt zu werden einen Herrn von der Abstammung germanischer Hergekommenheit?“

„Ja, ich bin ein Deutscher,“ nickte ich, ein wenig verwundert über die Art und Weise, in welcher er sich meiner Muttersprache bediente.

„Das freut mich in der Tiefe meiner Seele! Darf ich nehmen mir zu ergreifen die Erlaubnis der Frage, in welchem Lande und Regierungsbezirk Sie haben erlebt das Vergnügen der Geburt Ihrer werten Persönlichkeit?“

„Ich bin jetzt Sachse.“

„Sehr gut, sehr schön! Ich kenne und habe lieb Ihr Vaterland, da ich bin gewesen zu reisen oft nach Leipzig zur Messe, um zu ergreifen auf dem Brühle und vielen andern Straßen die Konjunkturen des Handels und des Wandels. Nehmen Sie die veranlaßte Gewogenheit, daß ich bin Handelsmann von Kindesbeinen an, und haben Sie die Güte, mir zu machen die mitgeteilte Aufklärung, welcher Art von Geschäft Sie haben gehabt zu ergreifen die Freundlichkeit!“

„Ich bin das, was Sie im Polnischen mit Uczony prywatny bezeichnen. Ein Geschäft treibe ich nicht, sondern bin in die Fremde gegangen, um Studien zu machen. Dabei kann es vorkommen, daß einem die Mittel ausgehen; dies ist gegenwärtig bei mir der Fall, sodaß ich mich veranlaßt sehe, nach der Hazienda del Arroyo zu gehen, um mir dort Arbeit und Verdienst zu suchen.“

Ich sagte so, weil ich es nicht für nötig hielt, ihm sofort die eigentliche Wahrheit mitzuteilen.

„So haben Sie die Absicht des Willens, zu reisen nach derselben Hazienda, welcher ist der gezielte Endpunkt unserer Fahrt und wo wir haben genommen eine engagierte Anstellung auf eine Reihe von Jahren des Verdienstes und der Sparsamkeit. Hat man auch Ihnen gegeben festes Engagement und gesagt die Mitteilung, welcher Art wird sein Ihre berufliche Thätigkeit?“

„Man hat mir die Stelle eines Buchhalters angeboten, doch habe ich noch nicht fest zugesagt. Ich werde mich erst dann entscheiden, wenn ich die dortigen Verhältnisse kennen gelernt habe.“

„Buchhalter? Das ist eine feine Anstellung. Sie werden da gehören zu den Vorgesetzten der Arbeiter, und ich werde mir erlauben, Ihnen zu geben, hochgeehrter Herr, ein Perzent, zwei Perzent, ja sogar drei Perzent Sconto bei allem, was Sie werden kaufen zu entnehmen aus meinem Geschäfte.“

„Wie? Sie wollen ein Geschäft, vielleicht einen Laden auf der Hazienda anlegen?“

„Ja. Fällt doch ab drüben im alten Lande ein so geringer Gewinn, daß man muß schnallen den Leibriemen von Tag zu Tag immer enger, wogegen in Amerika, was hier Mexiko und Sonora heißt, die Pesos und Dollars liegen geradezu auf der Straße für den, welcher Augen hat, sie zu finden, um sie zu entdecken.“

„Hm! Von wem haben Sie das gehört?“

„Von dem Agenten, welcher ist gekommen, uns zu engagieren und ist gewesen ein Mann von großer Erfahrung und kenntnisreicher Geisteskraft.“

„So! Nun ja, der Agent muß ja die Verhältnisse kennen; dagegen läßt sich nichts sagen. Hat er mit jedem von Ihnen schriftlichen Kontrakt gemacht?“

„Er hat ausgefertigt zu schreiben für jeden einzelnen ein Papier mit Stempel und unterschriftlichen Namenszügen. Er hat uns gebracht nach dem Hafen, um zu besteigen das Schiff als Fahrzeug für das große Meer der Welt. Wir sind gefahren um die amerikanische Spitze der südlichen Globushälfte, was gewährt hat viele, viele Wochen lang, bis wir gekommen sind einzulaufen und anzulegen in San Franzisko, wo man uns hat gebracht auf dieses kleinere Schiff, hier aufzunehmen den Führer und dann zu landen in Lobos, wo anfangen wird zu beginnen ein neues, besseres Leben der Ansammlung von Vermögen, Zins und Zinseszins.“

„Was sind Ihre Reisegefährten drüben gewesen?“

„Sie haben gehabt entweder den Beruf eines Handwerkes oder den Besitz eines kleinen Pachtes oder Häuschens mit Feld- und Gartenbeeten. Wenn vergangen sein werden einige Jahre, wird jeder besitzen eine Hazienda mit großmächtigen Plantagen und Weideplätzen. Das hat gesagt und beschworen der Agent, und hat mir gegeben ein Buch, worin es steht deutlich gedruckt mit schwarzen Buchstaben auf weißem Papier. Die Gesellschaft ist getreten zusammen, um zu wählen und zu erklären mich als ihr Oberhaupt, was später wird werden genannt der Bürgermeister der Hazienda del Arroyo. Wenn Sie dann empfinden einen Wunsch oder eine Bitte, so dürfen Sie getrost sich wenden an mich, worauf ich werde sein Ihnen gern zu Diensten mit Bereitwilligkeit.“

„Haben Sie Familie mit?“

„Nur meine Tochter. Rebekka, meine Traute, ist schon vor vier Jahren gegangen, zu sterben von der Erde hinweg, sodaß ich nur noch habe Judith, das Kind unserer Ehe und die einzige Tochter meiner Seele. Dort steht sie, um herzuschauen nach uns beiden. Sie ist ein Mädchen schön von Gestalt und lieblich von Gemüt. Den Körper hat sie geerbt von der Mutter, und die Stärke des Geistes vom Vater. Sie ist schon jetzt die Erbin meiner Habe, und wird bald sein eine so reiche Dame, daß die Kavaliere werden ausstrecken alle Hände und Finger, um zu werden der Bräutigam meines schönen Kindes. Sie wird sich heraussuchen den Feinsten und Vornehmsten, welcher besitzt den Adel der Familie und des Vermögens. Was wird sein gegen einen solchen Eidam der Herkules, welcher ihr ist gefolgt, ihr nachzulaufen bis nach Mexiko, obgleich er ist andern Glaubens und kaum besitzt den zehnten Teil des Geldes, welches ich könnte geben Judith, meiner Seele, schon am heutigen Tage, wenn ich wollte.“

„Der Herkules? Wen meinen Sie?“

„Den Vagabunden, welcher lehnt da vorn am Spriete des Buges und kein Auge verwendet von ihr, die doch nichts mehr von ihm wissen mag.“

„Nichts mehr? So ist sie also früher anders gesinnt gewesen?“

„Zum großen Leiden meines Herzens, ja. Sie ist gewesen auf Besuch in der Stadt Posen bei der Tochter des Bruders meiner Mutter; sie haben gekauft Billets, um zu gehen in die Vorstellung des Zirkus, wo man hat sehen können zu beschauen die gewaltige Kraft eines Herkules, welcher hat gespielt mit dem Gewichte von eisernen Stangen und Zentnerkugeln. Der Herkules und meine schöne Tochter haben einander gesehen und einander geliebt. Sie hat ihm versprochen ihre Hand ohne mein Wissen, und er hat gründen wollen nun selbst einen Zirkus, um zu werden selbständig und ein berühmter Direktor desselben. Als ich habe erfahren diese Angelegenheit, bin ich geworden beinahe gerührt vom Schlage meiner Nerven, und habe gegeben dem Kinde böse und gute Worte, um sie abzubringen von diesem Handel, der nichts bringen konnte als nur fünfhundert Perzent Verlust. Meine Bitten und Drohungen sind gewesen von fruchtloser Vergeblichkeit, denn sie hat gehangen an dem Herkules mit hartnäckiger Festigkeit, bis gekommen ist ein Reservelieutenant von eleganter Gestalt mit rotem Kragen und blitzenden Knöpfen. Vor seinem Namen ist gesessen ein großes von, und als er ihr angeboten hat seine Hand und sein Herz, ist gegangen pleite der Herkules mit seinen Hoffnungen. Als aber der Lieutenant immer hat verzögert die Verlobung und wir haben erfahren, daß er fast muß ersticken in Schulden, hat sie ihm gegeben den Abschied und sich stolz gewendet von ihm ab. Da kam der Agent der Auswanderung, und als er schilderte das herrliche Land Mexiko, wo die Minen stecken voller Gold und Silber und die Kaballeros reiten mit roten Schabracken auf prächtigen Pferden, wo die Damen liegen in Hängematten und rauchen duftende Cigaretten, da hat Judith, meine einzige, von nichts geträumt, als von diesem Lande, um zu werden auch eine Sennora in der Hängematte, und ich habe ihr gethan den Willen, zu verkaufen drüben mein Haus und mein Geschäft und hier zu werden ein Mann von Einfluß und großem Vermögen. Da Sie mitkommen nach der Hazienda del Arroyo, werden Sie sehen wachsen meine Bedeutung und mein Gewicht. Der Herkules aber, als er erfahren hat, daß wir fahren über die See, ist gegangen auch zum Agenten und hat unterzeichnet den Kontrakt, um zu bleiben in der Nähe seiner Angebeteten und sie zu bekommen doch vielleicht zum Weibe. Er hat genommen seine Ersparnisse, hat sich heimlich entfernt aus dem Engagement, und als wir gekommen sind auf das Schiff, haben wir uns geärgert, zu sehen diesen Menschen als Mitreisenden in das Land, wo nicht nur Milch und Honig, sondern sogar Gold und Silber fließt, um zu laufen in die Taschen dessen, welcher es versteht, sie zu öffnen am richtigen Orte und zur rechten Zeit. Wenn Sie wünschen, zu werden vorgestellt der Tochter meines Herzens, so können Sie jetzt kommen mit hin zu ihr, doch müssen Sie mir geben vorher im Vertrauen Ihr Versprechen, daß Sie leisten wollen Verzicht auf den Versuch, zu gewinnen ihr Herz und ihre Liebe, ihre Hand und ihr Vermögen.“

Der Mann war ein kompletter Narr, ein Dummkopf vom reinsten Schrot und Korn, ein Schwächling gegen seine Tochter, deren Gefallsucht und Eitelkeit nur mit ihrer Gewissenlosigkeit verglichen werden konnte. Dennoch wollte ich ihn nicht gern durch eine abweisende Antwort beleidigen, hatte aber auch keine Lust, „mich“ ihr „vorstellen zu lassen“. Da kam mir der Mormone eben recht, welcher mich zu sich winkte, um mir zu sagen, daß mir mein Platz im Schiffe angewiesen werden solle.

Es gab da unter Deck kleine Kabinen, welche je für zwei Personen eingerichtet waren. Der Kajütenwärter führte mich in die meinige, wo ich bemerkte, daß ich dieselbe nicht allein besaß, sondern daß schon ein Platz belegt war.

„Mit wem wohne ich da zusammen?“ fragte ich.

„Mit dem langen, starken Deutschen, den sie den Herkules nennen,“ lautete die Antwort.

„Was für ein Kumpan ist dieser Mann?“

„Ein sehr ruhiger. Sie können keinen besseren Genossen finden. Der arme Teufel scheint es auf die schöne Jüdin abgesehen zu haben, denn er verwendet, stets in der Ferne stehend, kein Auge von ihr, obgleich sie sich gar nicht um ihn bekümmert.“

Diese Auskunft befriedigte mich. Es war ein Unsinn von dem Kraftmenschen, diesem Mädchen nachzulaufen, aber er schien von ehrenhaftem Charakter zu sein. Überdies war er besser und reinlicher gekleidet als die andern, hatte trotz seines zur Leichtlebigkeit verführenden Gewerbes Ersparnisse gemacht, was ihm zur Empfehlung gereichte, und so glaubte ich, die kurze Zeit bis Lobos recht wohl mit ihm auskommen zu können.

Da die Fensterluke geöffnet war, war in der Kabine ein angenehmerer Aufenthalt als droben auf dem Decke, wo man nur wenig Schutz gegen die Glut der auf den Kopf niederbrennenden Sonne fand; darum streckte ich mich auf das einfache Lager aus, um bis auf weiteres hier liegen zu bleiben. Nach kurzer Zeit wurde die Thüre geöffnet, und der Herkules trat herein. Er warf einen finstern Blick auf mich und sagte:

„Der Wärter teilte mir soeben mit, daß er Sie hier einquartiert hat, obgleich ich die Kabine bezahle. Da Sie, wie ich höre, ein Deutscher sind, will ich es mir gefallen lassen, setze aber voraus, daß ich mich nicht über Sie zu ärgern brauche.“

Das war sehr deutlich gesprochen; aber der gute Mann war herzenskrank, was bei mir natürlich als Entschuldigung galt, und so antwortete ich ihm lächelnd in freundlicher Weise:

„Ich werde mich bemühen, gute Kameradschaft zu halten, da Sie mir als Genosse von allen Passagieren der liebste sind.“

„Wieso? Sie kennen mich doch gar nicht. Warum diese Schmeichelei! Ich liebe das nicht.“

„Es ist nicht Schmeichelei, sondern die Wahrheit. Der Jude hat mir von Ihnen erzählt. Sie werden sich nicht über mich zu beklagen haben.“

„Wenn Sie dies wirklich wünschen, so machen Sie nicht etwa Judith den Hof. Ich werde jeden, der dies zu thun wagen sollte, mit der Faust zu Boden schlagen!“

„Keine Sorge!“ lachte ich. „Auf einem solchen Abwege können wir uns niemals begegnen. Warum aber haben Sie damals den Reservelieutenant nicht auch niedergeschlagen?“

„Weil ich Mitleid mit dem Kerlchen hatte. Er wäre unter meinem Griffe in lauter Scherben und Splitter zerbrochen, und ich wußte, daß nicht seine Person, sondern seine Uniform an Judiths Untreue schuld war. Sprechen wir nicht weiter davon, und lassen Sie den Alten nur schwatzen. Ich weiß, was ich thue, und mag nichts über diesen Gegenstand hören.“

„Auch ich vespüre nicht die mindeste Lust, mich damit zu befassen; aber sagen Sie mir wenigstens, wie er heißt und was für eine Art von Geschäft er betrieben hat!“

„Er hat meist in Rauchwaren gemacht und nebenbei ein flottes Pfandleihgeschäft betrieben. Dabei hat er sich ein kleines Vermögen erworben, und das ist ihm in den dummen Kopf gestiegen.“

„Er meint, in Mexiko in kurzer Zeit Krösus werden zu können. Sind Sie vielleicht von derselben Ansicht besessen?“

„Fällt mir nicht ein! So leichtgläubig wie Jakob Silberstein, so heißt er nämlich, bin ich nicht. Ich hege vielmehr die Überzeugung, daß der Agent ein Schurke war und daß die armen von ihm Betrogenen hier Gefahren entgegengehen, von denen sie keine Ahnung haben. Darum bin ich mit herüber. Ich will Judiths Beschützer sein und bin überzeugt, daß sie dann zur Einsicht kommen wird.“

Er ließ sich auf seinen Platz nieder und schwieg; ich machte keinen Versuch, das Gespräch fortzusetzen. Später, als der Schuner vor einer leidlich starken Brise ging, durch welche die Sonnenglut erträglicher wurde, kehrte ich auf das Verdeck zurück und setzte mich an ein stilles Plätzchen, um von dort aus ungestört meine Beobachtungen zu machen. Bald kam Silberstein zu mir, um das Thema über seine Tochter weiter zu spinnen; ich ließ ihm aber deutlich merken, daß mir an demselben nichts gelegen sei, und so entfernte er sich bald wieder, ohne mich abermals zu fragen, ob ich seinem Lieblinge vorgestellt sein wolle.

Der Mormone kam auch für kurze Zeit, um einige Worte mit mir zu wechseln. Er schritt das Deck ab, um von einer Person zur andern zu gehen und sich mit allen in der leutseligsten Weise zu unterhalten, gab diesem und jenem eine Cigarre, streichelte den Kindern die Wangen und that überhaupt alles, um sich das Vertrauen und die Zuneigung der Leute zu erwerben.

Am längsten stand er bei Judith, mit welcher er sich eifrig unterhielt, während der Herkules an der nach den Kabinen führenden Luke stand und beide beobachtete. Seine Brauen waren zusammengezogen und seine Lippen fest geschlossen. Es war mir, als beginne in diesem Augenblicke ein Wölkchen aufzusteigen, welches später den ganzen Horizont bedecken und sich mit Blitz und Donner entladen werde.

Es war auf dem Schiffe für die Passagiere ziemlich gut gesorgt. Sie wohnten nicht eng zusammengepfercht und bekamen genug Trinkwasser und auch kräftiges Essen. Niemand hatte zu klagen, und jedermann sah der Zukunft mit ungetrübter Hoffnung entgegen. Ich war der einzige, der anders dachte; den Herkules rechne ich nicht, da sein Mißtrauen ein unbestimmtes war und auf keinem besondern, klaren Grunde beruhte. Sollte ich dem Mormonen in meinen Gedanken unrecht thun? Ich wollte zu Winnetou über die Grenze hinüber und Lobos lag genau in dieser Richtung. Die Fahrt kostete mich nichts, konnte mir das nicht genug sein? War es nicht besser, in Lobos meinen eigenen Weg unter die Füße zu nehmen, ohne mich um den Mormonen und seine Polen weiter zu kümmern?

Ich wog diese Gedanken und Fragen hin und her, konnte aber trotz alledem die Ahnung nicht loswerden, daß die Auswanderer ins Verderben geführt würden. Als ich dann nach dem Hinterteile schlenderte, redete mich der Kapitän an:

„Lassen Sie sich gratulieren, Master! Melton sagte mir, daß Sie als Buchhalter engagiert werden sollen. Greifen Sie ja zu, denn eine solche Stellung wird Ihnen nicht gleich wieder angeboten.“

„Kennen Sie denn diese Stelle, Kapt’n?“

„Und ob! Der Haziendero ist, sozusagen, ein alter Freund von mir, ein steinreicher Herr und dabei ein Ehrenmann. Wenn er einmal einen Menschen engagiert, so sorgt er auch in ausgiebiger Weise für ihn. Darauf können Sie sich verlassen.“

„So meinen Sie, daß Ihre jetzigen Passagiere es gut bei ihm haben werden?“

„Ich meine es nicht, sondern ich bin überzeugt davon.“

Der Kapitän hatte das Aussehen eines ehrlichen Mannes; ich mußte ihm glauben; dennoch fragte ich:

„Aber der Kontrakt! Steht es richtig mit ihm?“

„Was fällt Ihnen ein! Sie sollen sogleich sehen, wie ehrlich es Sennor Timoteo mit seinen neuen Arbeitern meint.“

Er forderte einen in der Nähe stehenden Auswanderer auf, seinen Kontrakt zu holen. Der Mann hatte denselben eingesteckt und zeigte ihn mir. Das Papier war von ihm, dem Agenten und der Behörde unterschrieben und enthielt einen einzigen Paragraphen. Der Inhalt desselben lautete ungefähr: Der Arbeiter bekommt freie Überfahrt, Reise und gute Verpflegung bis an Ort und Stelle und verpflichtet sich, auf der Besitzung Timoteo Pruchillos resp. dessen etwaigem Rechtsnachfolger täglich acht Stunden gegen einen Tagelohn von anderthalb Pesos und freie Station zu arbeiten. Nach sechs Jahren erlischt der Kontrakt.

Ich war erstaunt. Das war nicht nur ehrlich, sondern sogar sehr anständig, da bei diesem Tagelohne der Arbeiter im stande war, sich jährlich gegen zweitausend Mark zu sparen. Jetzt wunderte ich mich nicht mehr darüber, daß es dem Agenten gelungen war, für die weltentlegene Hazienda eine Gesellschaft von dreiundsechzig Köpfen zusammenzubringen. Ich sah ein, daß mein Mißtrauen ein unbegründetes gewesen war. Wirklich unbegründet? Pruchillo meinte es ehrlich; aber war auch der Mormone ein Ehrenmann? Warum nicht? Hatte ich denn Beweise gegen ihn? War ich nicht vielleicht durch allerdings vielfältige Erfahrungen allzuvorsichtig und mißtrauisch geworden? Stand Melton nicht im Begriffe, mir eine Wohlthat zu erweisen, welche, selbst wenn ich ihrer nicht bedürftig war und sie also nicht annehmen konnte, mich ihm doch zu großem Danke verpflichten mußte? Ich wurde irre an mir und kam bis zum Abende zu dem Entschlusse, in Lobos auszusteigen und allein meines Weges zu gehen, da die Auswanderer auf der Hazienda ganz vorzüglich aufgehoben waren. Da aber ereignete sich etwas, wodurch diese Ansicht widerlegt und dieser Entschluß vollständig über den Haufen geworfen wurde.

Nach dem Abendessen fiel mir nämlich auf, daß die Auswanderer alle aufgefordert wurden, sich in ihre Schlafkojen hinabzuverfügen. Auch ich wurde von dieser Maßregel nicht ausgenommen. Da es Abend geworden war, die Sonne nicht mehr brannte und im Gegenteile ein kühles Lüftchen wehte, wären die Leute noch sehr gern eine Weile auf Deck geblieben; sie mußten sich aber natürlich fügen. Aus den verwunderten Gesichtern, welche sie zu diesem ihnen erteilten Befehle machten, ersah ich, daß die Maßregel eine neue war und sie bisher des Abends und wohl auch des Nachts ganz nach Belieben im Freien hatten bleiben dürfen. Ich erfuhr dies auch sofort, als ich als der letzte, denn ich hatte gezögert, bis keiner mehr oben war, in meine Koje kam und von dem Athleten mit den mürrischen Worten empfangen wurde:

„Was fällt dem Master Harry Melton ein, uns herabzuschicken! Haben Sie eine Ahnung davon, weshalb er es gethan hat?“

„Nein.“

„Hole ihn der Teufel! Wenn man sich des Tages über von der Sonne verbrennen ließ oder hier unten in dem dumpfen Loche zubringen mußte, ist es eine Wohlthat und sogar ein Bedürfnis, des Abends in der freien, frischen Luft zu sein. Das haben wir bisher stets gedurft.“

„Wirklich? Diese Einrichtung ist also eine neue!“

„Ja. Und ich bin überzeugt, daß sie von Melton ausgeht.“

„Warum glauben Sie dies?“

„Erstens, weil man uns herabschickt, seit er sich an Bord befindet, und zweitens, nun, der zweite Grund ist ein etwas unklarer, und ich will lieber schweigen.“

„Sie schweigen, weil Sie kein Vertrauen zu mir haben?“

„Erwarten Sie es anders? Sie sind erst vor so kurzer Zeit zu mir hereingekrochen und können also nicht verlangen, daß ich Ihnen schon alle meine Gedanken mitteile.“

Da mir daran lag, diese seine Gedanken zu erfahren, antwortete ich:

„Sie fürchten sich also vor dem Mormonen und schweigen nur deshalb, weil Sie denken, daß ich ihm ihre Worte mitteile.“

Ich hatte ihn richtig beurteilt, denn noch hatte ich kaum ausgesprochen, so fuhr er mich an:

„Was fällt Ihnen ein! Ich mich fürchten? Ich möchte den Menschen sehen, der im stande wäre, mir Angst einzujagen. Und vor diesem Kerl, welcher zwar mit den Leuten schön thut und sogar gleich in den ersten Stunden beginnt, der Judith den Hof zu machen, dabei aber den Schalk im Nacken hat, ist mir erst recht nicht bange.“

Diese Worte sagten mir, daß er nicht nur mißtrauisch, sondern sogar eifersüchtig gegen den Mormonen war. Ich durfte hoffen, unter Umständen an ihm einen Verbündeten gegen den letzteren zu haben. Ich konnte also gegen ihn ein wenig aufrichtiger sein, als ich sonst nach so kurzer Bekanntschaft gewesen wäre. Darum sagte ich:

„Warum lassen Sie mich da glauben, daß Sie sich vor ihm scheuen? Warum reden Sie nicht offen zu mir, der ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit sage, daß ich den Mormonen trotz seiner auffälligen Bemühungen, sich beliebt zu machen, ja vielleicht gerade wegen derselben, für keinen ehrlichen Menschen halte?“

„Ist das wahr? Thun Sie das?“ fragte er schnell.

„Ich sage es Ihnen ja, und was ich sage, das pflegt wahr zu sein.“

„Haben Sie außer seiner Schönthuerei noch andere Gründe? Sie sind mit ihm auf das Schiff gekommen und also vorher mit ihm beisammen gewesen, müssen ihn also besser kennen als ich. Übrigens ist das, wie Sie wohl einsehen werden, für mich ein Grund, auch Ihnen zu mißtrauen.“

„Mag sein; aber ich verdiene Ihr Mißtrauen nicht, denn ich habe Master Melton nur ganz kurz gesprochen. Wir wohnten zwei Wochen lang in demselben Hotel, ohne mit einander zu verkehren. Nur einmal sprachen wir längere Zeit miteinander, als er gesehen hatte, daß ich ein stellenloser armer Teufel bin, und mich darum fragte, ob ich Buchhalter auf der Hazienda del Arroyo werden wolle. Ich sagte in Anbetracht meiner gegenwärtigen Lage zu und wurde heute von ihm mit auf das Schiff genommen.“

„So kennen Sie ihn also ebensowenig wie ich. Warum sagen Sie da, daß er kein ehrlicher Mensch sei?“

„Ich behaupte das nicht infolge irgend einer Thatsache, durch die es bewiesen worden wäre, sondern weil ein gewisser Instinkt mich vor ihm warnt. Ich habe die Ahnung, daß man sich vor ihm hüten muß.“

„Hm! Bei mir findet ganz dasselbe statt. Der Kerl hat mir nichts gethan, ist im Gegenteile zu mir wenigstens ebenso freundlich gewesen wie gegen die andern, und doch mag ich ihn nicht leiden. Seine Visage gefällt mir nicht. Dazu kommen die Blicke, die er mit dem Kajütenwächter heimlich wechselt.“

„Hat er das gethan? Ich habe es nicht bemerkt.“

„Natürlich haben sie sich heimliche Blicke zugeworfen, gerade so, als ob sie alte Bekannte seien; und doch thun sie ganz fremd miteinander.“

Das war eine Beobachtung, die ich nicht gemacht hatte. Die Augen des Herkules waren von seiner Eifersucht geschärft worden. Freilich konnte er sich geirrt haben. Darum fragte ich:

„Haben Sie sich da nicht getäuscht? Der Wärter befindet sich dem Mormonen gegenüber in einer so tiefen Stellung, daß eine Vertraulichkeit, wie man sie infolge solchen heimlichen Zuwinkens annehmen müßte, fast ausgeschlossen ist. Sie können einander früher einmal gesehen haben; das wird aber auch alles sein. Vielleicht haben die Blicke, welche Sie beobachteten, nur ein Gruß sein sollen.“

„Reden Sie nicht! Ich kenne meine Augen. Was die sehen, das sehen sie richtig. Wenn die Kerls sich grüßen wollen, so können sie dies frei und offen thun. Wenn sie ihre Grüße aber nicht merken lassen wollen, so müssen sie einen Grund haben, ihr Bekanntsein nicht wissen zu lassen, und dieser Grund kann kein guter, kein ehrlicher sein.“

„Das ist richtig. Ich werde die beiden morgen schärfer beobachten, als ich es heute gethan habe.“

„Thun Sie das! Es steckt gewiß etwas dahinter. Ich habe zwar in Beziehung auf uns und unsere Zukunft keinerlei Sorge, denn unsere Kontrakte sind gut und stellen uns vollständig sicher; aber es ist zwischen Melton und dem Aufwärter irgend etwas vorhanden, was, wenn es sich auf uns beziehen sollte, uns wohl nicht gefallen würde. Ich möchte wissen, was es ist.“

„Hm, ich auch!“

„Vielleicht muß man auch dem Kapitän mißtrauen. Warum führte er den Mormonen, als dieser an Bord kam, nach hinten, um mit ihm zu reden? Konnten sie uns nicht wissen lassen, was sie zu sprechen hatten?“

„Der Kapitän ist ein ehrlicher Mann; das behaupte ich, und ich bin überzeugt, daß ich mich da nicht irre. Warum sollte er seine Schiffs- und Geschäftsangelegenheiten gerade vor unsern Augen und Ohren verhandeln? Aber wenn es wirklich wahr ist, daß der Mormone mit dem Wärter im Einvernehmen steht, so ist mir das interessant, und ich habe große Lust, hinter das Geheimnis zu kommen.“

„Das werden Sie nicht fertig bringen, weil man sich hüten wird, Ihnen die Sache auf die Nase zu binden.“

„Wenn ich nun aber meine Nase, ohne daß man es bemerkt, so tief in diese Sache stecke, daß ich dieselbe kennen lerne?“

„So wird man Ihnen einen tüchtigen Klapps darauf geben!“

„Darüber wird sie nicht allzusehr erschrecken, denn sie hat schon manchen Klapps bekommen. Ich möchte die beiden am liebsten gleich jetzt belauschen.“

„Verrückter Gedanke! Wissen Sie denn, wann und wo sie miteinander sprechen werden? Und sodann befinden wir uns auf einem Schiffe, nicht aber im Walde, wo man sich hinter einen Busch stecken kann, um seine Augen und Ohren im Verborgenen spielen zu lassen.“

„Mag sein. Aber was die Zeit und den Ort betrifft, so kenne ich beide genau. Zeit: heute, und Ort: oben das Deck. Hat der Mormone heimlich mit dem Wärter zu reden, so wird er dies thun, wenn es dunkel ist und wenn er glaubt, daß man es nicht bemerken wird. Er logiert eigentlich neben dem Kapitän, der sich wohl bald in seine Kajüte zur Ruhe begeben wird. Man weiß, wie dünn die Zwischenwände sind. Ließ der Mormone den Wärter heimlich nach der Kajüte kommen, so müßte er befürchten, von dem Kapitän beobachtet zu werden. Er muß sich also einen andern Ort suchen.“

„Wo denn?“

„Haben Sie denn nicht gesehen, daß man vorhin oben ein kleines Zelt errichtet hat? Wozu sollte dasselbe dienen? Für wen kann es sein? Doch nur für den Mormonen. Er wird gesagt haben, daß er lieber auf dem Deck, als in der dumpfen Kajüte schlafe.“

„Und da wollen Sie die beiden belauschen?“

„Wenigstens habe ich große Lust dazu.“

„Lassen Sie das sein, lieber Herr! Es könnte Ihnen schlecht bekommen. Wenn der Pudel über den Milchtopf gerät, der ihm verboten ist, bekommt er die Peitsche.“

„Ja; aber ich bitte sehr höflich, zu bemerken, daß ich kein Pudel bin und daß auch selbst ein Pudel nicht jedesmal erwischt wird. Haben Sie bemerkt, daß das Zelt aus dem Reserve-Großsegel errichtet worden ist?“

„Ich weiß nicht, wie die Segel alle heißen, habe aber gesehen, daß dieses so groß war, daß es nicht nur vollständig für das Zelt reichte, sondern hinter demselben auch noch eine Rolle bildet. Es mag also ein Großsegel sein.“

„Das ist’s ja, was ich meine. Zum Zelte hat das halbe Segel genügt. Die andere Hälfte ist hinter demselben zusammengerollt. Unter dieser Rolle oder diesem Knäuel findet ein Mann sehr gut Platz, und wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich da schlafen.“

„Eine tolle Idee! Man wird Sie entdecken, wenn Sie husten oder niesen!“

„Ich werde beides bleiben lassen.“

„Sie scheinen Ihrer Nase sehr sicher zu sein. Aber selbst wenn man Sie nicht erwischen sollte, werden Sie sich vergeblich Mühe geben. Noch wissen Sie nicht, ob das Zelt wirklich für den Mormonen bestimmt ist, und falls Ihre Voraussetzung richtig sein sollte, ist es noch hundertmal fraglich, ob der Wärter dorthin kommen wird.“

„Das müßte ich mir gefallen lassen, doch bin ich der Meinung, daß die Mühe, welche ich mir geben werde, nicht vergeblich sein wird. Ich habe so eine Ahnung, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß meine Ahnungen mich selten getäuscht haben.“

„Na, dann will ich Ihnen weder zu- noch abreden, Wenn Ihre Idee Ihnen tüchtige Matrosenhiebe einbringt, so ist’s nicht mein Rücken, der sie auszuhalten hat.“

Ich gebe zu, daß das, was der Athlet „Ihre Idee“ nannte, ein sehr fragwürdiges Geisteserzeugnis war, aber es lag mir, sozusagen, in den Fingerspitzen, daß ich diesen Gedanken ausführen müsse. Ich verließ also unsere Koje, um mich nach dem Deck zu schleichen. Das war nicht leicht. Die Kojen waren von einander und von dem engen Gange, durch den ich mußte, durch fast papierdünne Scheidewände getrennt; die Insassen konnten mich also leicht hören. Das war aber das wenigste. Viel bedenklicher war die Begegnung mit einer Person der Schiffsbemannung, oder gar mit einem der beiden, die ich belauschen wollte. Doch kam ich, ohne auf jemand zu treffen, bis an die Luke, welche sich vom Raume aus auf das Deck öffnete. Indem ich auf der Treppe stehen blieb und nur den Kopf vorsichtig hervorstreckte, konnte ich, obgleich es nicht sehr hell war, die zwischen mir und dem Zelte liegende Strecke überblicken. Sie war frei.

Hinten gab der Kapitän dem Steuermann Befehle für die Nacht. Er stand also im Begriffe, sich schlafen zu legen. Die Stimme des Mormonen sprach einige Worte drein; er befand sich folglich auch mit am Steuer. Vorn, in der Nähe des Buges, schwatzten und lachten die wenigen Matrosen; sie konnten mich nicht sehen. Ich schwang mich also schnell aus der Luke und huschte nach dem Zelte hin, um mich unter der übriggebliebenen Hälfte des Segels, aus welchem dasselbe gebildet war, zu verbergen. Das war in Zeit von nicht einer Minute geschehen. Ich lag zwar auf dem harten Deck, aber sonst ganz bequem und wurde von dem Segel so bedeckt, daß mich niemand sehen konnte. Mein Versteck war ein ganz vorzügliches; nur fragte es sich, ob dasselbe mir auch den erwarteten Nutzen bringen werde. Geschehen konnte mir nichts. Im schlimmsten Falle galt es eine kleine Geduldprobe, welche höchstens die Folge haben konnte, daß ich von dem Herkules ausgelacht wurde.

Ich legte mich so, daß ich den Kopf unten in das Zelt schieben konnte, und langte mit dem Arme in das Innere desselben. Ich fühlte ein dünnes, aber weiches Lager, welches aus Decken hergerichtet worden war. Sehen konnte ich nichts.

Nach kurzer Zeit hörte ich, daß der Kapitän dem Mormonen „gute Nacht“ wünschte und nach der Kajüte ging. Der letztere spazierte noch eine Viertelstunde auf und ab und kam dann in das Zelt, um sich niederzulegen. Die eine Voraussetzung, nämlich die, daß das Zelt für ihn bestimmt sei, war also eingetroffen; es galt nun, abzuwarten, ob die andere, daß der Wärter kommen werde, sich ebenso bewahrheitete.

Es verging eine Stunde und noch eine; es wurde Mitternacht. Das Geplauder der Matrosen hatte längst aufgehört. Es war so still geworden, daß ich den Sog des Schiffes hörte. Einmal erklang die Stimme des Sprietmannes, welcher dem Steuerer eine Meldung zurief. Ich begann Langeweile zu fühlen. Da hörte ich eine Bewegung im Innern des Zeltes, nicht als ob der Schläfer sich umwendete, sondern als ob er sich aufrichtete. Ich schob den Kopf vor, um besser hören zu können. Da vernahm ich das Anstreichen eines Zündholzes und dann leuchtete das Flämmchen desselben auf. Beim Scheine des Hölzchens sah ich, daß der Mormone aufrecht saß und sich eine Cigarre anzündete. Er wartete also und hatte jedenfalls bisher noch nicht geschlafen. Hätte er mir nicht den Rücken zugekehrt, so wäre mein Kopf jedenfalls von ihm gesehen worden.

Wieder verging eine Weile, bis ich ihn leise fragen hörte:

„Weller, bist du’s?“

„Ja, Master,“ lautete vorn die ebenso leise Antwort in englischer Sprache.

„Dann rasch herein, damit du nicht gesehen wirst! Ich rücke zu.“

Der Wärter hieß also Weller. Er folgte der Aufforderung Meltons, indem er sagte:

„Habt keine Sorge, Master! Es giebt außer dem Steuermanne und dem Sprietwächter keinen wachen Menschen auf dem Deck, und diese beiden sind so plaziert, daß sie uns weder sehen noch hören können.“

Es entstand eine kurze Pause, während welcher der eine Platz machte und der andere sich niedersetzte. Dann meinte der Mormone:

„Du kannst dir denken, daß ich unendlich neugierig bin. Ich betrat das Schiff mit der größten Spannung, ob du dich an Bord befinden würdest.“

„Was das betrifft, Master, so ist es mir gar nicht schwer geworden, den Platz als Stewart zu bekommen.“

„Der Kapitän kennt dich doch nicht etwa?“

„Er hat nicht die Idee einer Spur von mir.“

„Und auch nicht erfahren, daß du mich kennst?“

„Werde mich hüten, so etwas auszuplaudern! Leider konnte ich die Heuer nicht nur für die Herfahrt bekommen; ich habe sie auch für die Rückfahrt nehmen müssen und bin also eigentlich gezwungen, von Lobos wieder mit nach Frisco zu segeln.“

„Das thut nichts, da es dir nicht schwer fallen wird, in Lobos auszukneifen.“

„Denke es auch und habe mich darum so wenig mit Sachen und Effekten geschleppt, daß ich augenblicklich ans Land gehen könnte, ohne etwas an Bord zurückzulassen.“

„Recht so, obgleich das nur Nebensache ist. Wie aber steht es mit der Hauptsache? Wann ist dein Alter fort?“

„Drei Wochen vor mir und er befindet sich unbedingt am Ziele. Er ist so oft dort gewesen und kennt alle Verhältnisse und Schliche so genau, daß es gar nicht fehlen kann.“

„Aber werden die Yuma ihm zu Willen sein?“

„Bin vollständig überzeugt davon. Wenn es sich um eine solche Beute handelt, ist jeder Rote schnell dabei.“

„Das beruhigt mich. Nur fragt es sich, ob sie auch rasch genug bei der Hand sein werden.“

„Es ist gewiß, Master, daß sie schon jetzt unterwegs sind. Aber hat es denn solche Eile, Master Melton? Es jagt uns kein Mensch. Wir können die Sache in aller Behaglichkeit abmachen.“

„Das dachte ich vorher auch, bin aber anderer Ansicht geworden.“

„Warum? Hat sich etwas ereignet?“

„Ja. Ich habe eine Begegnung gehabt.“

„Das heißt, Ihr habt jemand getroffen. Das kann doch nicht von so großem Einflusse auf unser Vorhaben sein!“

„Vom allergrößten sogar.“

„Dann müßte der Mann, den Ihr meint, von ganz verwunderlicher Wichtigkeit für uns sein.“

„Ist er auch! Es war eine wirkliche Überraschung für mich, ihn hier unten zu sehen, und wenn du seinen Namen hörst, wirst du gerade ebenso erstaunt sein, wie ich es war, als ich ihn erkannte.“

„So sagt mir doch, wer es ist!“

„Das solltest du eigentlich schon wissen, denn du hast ihn hier auf dem Schiffe gesehen.“

„Dann kann es nur der Mann sein, welcher Buchhalter werden soll. Ist es so richtig?“

„Natürlich! Es ist ja sonst niemand mit mir an Bord gekommen. Und du kennst ihn nicht, wirklich nicht? Du hast ihn schon gesehen, und zwar unter solchen Verhältnissen, daß es geradezu verwunderlich ist, daß du ihn für einen Unbekannten hältst. Ich war vollständig überzeugt, daß er von dir erkannt worden sei, und darum winkte ich dir einigemale zu, vorsichtig zu sein und dich so wenig wie möglich von ihm sehen zu lassen, da er sich sonst auch deiner erinnern könnte.“

„Diese Winke sah ich, habe sie aber nicht verstanden. Ihr habt da mit diesem Manne eine Wichtigkeit, die ich nicht begreife. Ein Landstreicher, der froh ist, auf einer entlegenen Hazienda Schreiber werden zu dürfen, kann für uns doch von gar keiner Bedeutung sein!“

„Das würde ich auch sagen, wenn dieser höchst gefährliche Mann überhaupt die Absicht hätte, Buchhalter zu werden.“

„Wollt Ihr etwa sagen, daß er sich verstellt, daß er die Absicht hat, Euch an der Nase zu führen? Dann ist er entweder der größte Dummkopf, den es giebt, oder ein feiner, gescheiter Kerl.“

„Das letztere, das letztere! Denke doch einmal an Fort Uintah und was du dort erlebtest!“

„Viel Erfreuliches ist das nicht gewesen. Es war zu einer Zeit, in welcher dort gespielt wurde, wie nirgends sonst. Ich hatte gute Geschäfte gemacht und mir einen tüchtigen Beutel voll Dollars gespart, verlor sie aber in Uintah im Laufe einer einzigen Stunde. Glücklicherweise war Euer Bruder da, der mir eine gute Hand voll Dollars schenkte und mir dann auch bei dem Wirte eine Stelle als Kellner verschaffte. Ich habe ihn seitdem nicht wieder gesehen. Ihr wißt ja, weshalb er diesen Ort so plötzlich verlassen mußte. Man spricht natürlich nicht gern davon.“

„Warum nicht? Wer ein Mensch ist, und das sind wir ja alle, dem darf Menschliches passieren. Übrigens hat er sich noch ganz gut aus der Affaire gezogen.“

„Das ist richtig. Er hatte sich eine so schöne, runde Summe zusammengespielt, als den Offizier der Teufel ritt, anzunehmen, daß Euer Bruder ein falscher Spieler sei. Es kam zum Streite; er sollte den Gewinn herausgeben, schoß aber den Offizier über den Haufen und machte sich davon. Zwei Soldaten, welche das Geschrei hörten und ihn draußen anhalten wollten, bekamen auch ihre Kugeln, sodaß sie umfielen wie die Hölzer; er gelangte aus dem Fort hinaus, nahm eins der dort grasenden Pferde und machte sich auf demselben aus dem Staube. Es war eine glorreiche That, unter diesen Verhältnissen und mitten aus einem befestigten Orte zu entkommen.“

„Entkommen? Ja, aus Uintah entkam er wohl – –“

„Nicht nur da, sondern später doch auch,“ fiel Weller ihm in die Rede. „Freilich ist es ihm sehr hart an den Kragen gegangen. Er wäre überhaupt nie wieder ergriffen worden, wenn nicht Old Shatterhand sich hinter ihm hergemacht hätte. Muß der Mensch Augen haben! Volle vier Tage lang war man hinter Eurem Bruder her, ohne ihn zu finden, oder gar zu fassen; da mußte Old Shatterhand kommen und die Sache hören. Der erschossene Offizier war ein guter Bekannter von ihm und darum und ohne einen andern Grund zu haben, machte er sich augenblicklich wieder fort auf den Weg, um Euern Bruder zu erwischen.“

„Ja, volle vier Tage später und nachdem es keinem Soldaten oder Pfadfinder gelungen war, die Spur zu entdecken. Dieser Halunke aber hat die Nase eines Bluthundes; er fand die Fährte und jagte meinen Bruder bis nach Fort Edward hinüber, wo er ihn dem Kommandanten übergab. Der arme Teufel sollte gehängt werden, entkam aber noch in der letzten Nacht im Anzuge des Soldaten, der ihn zu bewachen hatte und die Dummheit besaß, sich von ihm erwürgen zu lassen. Du hast doch Old Shatterhand damals auf Fort Uintah gesehen?“

„Nur im Vorüberreiten. Er war vor kaum einer halben Stunde gekommen, hatte die Thatsache gehört und ritt eben wieder fort, als ich unter der Thür stand und von dem Nachbar hörte, daß dieser Jäger angekommen sei.“

„So ist es freilich kein Wunder, daß du ihn heute nicht erkannt hast.“

„Heute?“ fragte der Aufwärter im Tone äußersten Erstaunens. „Was wollt Ihr damit sagen? Doch nicht etwa, daß der sogenannte Buchhalter gar Old Shatterhand sei?“

„Ja; gerade das ist’s, was ich sagen will.“

„Welch ein Irrtum! Dieser Mensch und Old Shatterhand! Wer den Jäger selbst nur im schnellen Vorüberreiten gesehen hat, weiß ganz genau, daß er mit dem Schreiber nicht das mindeste zu thun haben kann!“

„Und dennoch ist er es. Zeit und Ort sind verschieden, und das Gewand, welches er heute trägt, ist auch anders als der Lederanzug, in dem du ihn jedenfalls gesehen hast.“

„Dennoch ist es unmöglich, ganz und gar unmöglich! Der Mensch mit dem dummen Gesicht, dem ich die Koje des Herkules anweisen mußte, soll Old Shatterhand sein? Sir, ich will alles glauben, alles, was Ihr mir sagt, doch dieses eine nicht, nein, niemals!“

„Ich habe unumstößliche Beweise. Hast du das Gewehr des Mannes gesehen?“

„Nein. Es schienen zwei zu sein; sie steckten in einem leinenen Futterale.“

„Es sind zwei, und jedermann weiß, daß Old Shatterhand stets seine beiden Gewehre bei sich hat, einen Bärentöter und einen Henrystutzen, Gewehre, welche ihresgleichen nicht wieder haben. Ich habe im Hotel gar wohl bemerkt, daß ich sie nicht sehen sollte, sie mir aber von dem Wirte, welcher sie in den Händen gehabt hatte, genau beschreiben lassen. Der Westmann trat als armer Teufel auf und hat doch den Wirt mit seiner ganzen Familie mit sich essen und trinken lassen. Wäre er wirklich der, für den er sich ausgiebt, so würde er auf mein Anerbieten sofort und mit Freuden eingegangen sein; er hat sich aber unter dem lächerlichsten Vorwande, den es geben kann, Bedenkzeit ausgebeten. Er hatte mich nie gesehen und beobachtete mich doch immerfort sehr scharf. Ich ließ ihm nicht merken, daß ich dies sah. Die Ähnlichkeit mit meinem Bruder ist ihm aufgefallen. Er kam von der Sierra Verde herab. In diese öde und gefährliche Gegend versteigt sich kein gewöhnlicher Mensch, am allerwenigsten aber einer, der fremd im Lande ist, zumal es jenseits Empörung und infolgedessen die unsichersten Verhältnisse gab. Da hinauf und da hinüber wagt sich nur ein kühner und erfahrener Mann, der sich auf sich und seine Waffen verlassen kann. Bedenke, daß er ohne alle Begleitung, also ganz allein gewesen ist!“

Es läßt sich denken, daß ich mit der größten Spannung Ohrenzeuge dieses Gespräches war. Mein Instinkt hatte mich nicht nur nicht betrogen, sondern, wie ich jetzt einsah, mir und voraussichtlich auch andern einen großen Dienst geleistet. Jetzt wußte ich mit einem Male, warum mir das Gesicht des Mormonen nicht nur wegen des Widerspruchs seiner Züge aufgefallen war. Der Grund lag, wie er selbst sagte, in der Ähnlichkeit mit seinem Bruder, dem Mörder jenes Offiziers, welcher mir sehr nahe gestanden hatte. Die Freundschaft für den Ermordeten hatte mich veranlaßt, dem Thäter zu folgen, den ich, wie soeben gesagt worden war, bis nach Fort Edward getrieben und dort ergriffen hatte. Ich wußte jetzt, woran ich war. Meine Ahnung hatte wieder einmal recht gehabt. Der Mormone war ein Bruder jenes Falschspielers und mehrfachen Mörders, und die Art, wie er sich über diesen und sein Verbrechen geäußert hatte, war Beweis genug, daß auch er mit den Gesetzen auf keinem guten Fuße stand.

Leider aber sah ich ein, daß ich durchschaut worden war, wie ich nun weiter hörte. Daß der eigentümliche Wirt des Hotels die Marotte gehabt hatte, ein Fremdenbuch zu führen, und daß ich meinen Namen in dasselbe gegeben hatte, das waren die ersten Ursachen davon gewesen, daß der Mormone auf den Gedanken gekommen war, ich sei Old Shatterhand. Dazu kam die Schwatzhaftigkeit des Wirtes, welcher meine Gewehre beschrieben hatte, und noch verschiedenes andere, was Melton jetzt erwähnte und aufzählte. Sogar das erwähnte er, daß ich nicht unter dem Dache, sondern im Hofe geschlafen hätte, weil ich als Westmann dies so gewöhnt sei. Er brachte all diese Gründe so gut vor, daß der Aufwärter doch auch zu der Überzeugung gelangte, welche der Mormone hegte. Er sprach seine Zustimmung aus und meinte dann:

„Also angenommen, daß wir es wirklich mit Old Shatterhand zu thun haben, welchen Grund kann der haben, mit nach der Hazienda gehen zu wollen?“

„Es werden mehrere und verschiedene Gründe sein. Hat er erkannt, daß ich der Bruder meines Bruders bin, so wird er glauben, denselben da suchen zu müssen, wo ich mich befinde. Er hängt sich also an mich. Sodann muß ihm als erfahrenem Manne und Kenner der Verhältnisse die Bestimmung auffallen, welcher die Menschenladung dieses Schiffes entgegengeht, wenigstens angeblich entgegengeht. Nach allem, was ich über den Mann gehört habe, muß das in ihm den Gedanken erwecken, sich den Leuten beizugesellen, um ihnen unter Umständen zu raten und zu helfen. Dabei hütet er sich, einen Kontrakt zu unterschreiben, denn er will Herr seiner Freiheit bleiben. Wir haben also mit ihm zu rechnen, und zwar sehr zu rechnen, und wenn ich auch nicht denke, daß er das Gelingen unseres Vorhabens ganz vereiteln kann, so steht doch zu erwarten, daß er uns Hindernisse in den Weg legt, wodurch dasselbe sehr verzögert wird.“

„So habt Ihr einen großen Fehler begangen, indem Ihr ihn mitgenommen habt. Ihr hättet Euch gar nicht mit ihm abgeben, sondern ihn einfach ignorieren und in Guaymas sitzen lassen sollen.“

„Das hätte ich gethan, wenn der Wirt, Don Geronimo, nicht so plauderhaft gewesen wäre, ihm von mir und dem Schiffe, welches ich erwartete, zu erzählen. Ich habe Old Shatterhand zwar gesagt, daß er ohne mich nicht an Bord gekommen wäre, bin aber überzeugt, daß ihn der Kapitän, welcher ein dummer, ehrlicher Kerl ist und unser eigentliches Geschäft nicht kennt, aufgenommen hätte. Und selbst wenn er nicht mit fortgekommen wäre, so traue ich ihm zu, daß er das nächste Schiff benutzt hätte, nach Lobos zu gehen und uns von dort aus nachzufolgen. Wir hätten uns dann keinen Augenblick sicher fühlen können.“

„Wir, so viele, diesem einen gegenüber? Das klingt übertrieben, trotzdem es Old Shatterhand ist. Eine Kugel könnte uns von ihm befreien.“

„Wenn er sich einer Kugel aussetzt, ja; aber das fällt ihm gar nicht ein. Das klügste war das, was ich gethan habe. Ist er als schlauer Fuchs bekannt, so werde ich ihm zeigen, daß andere weit schlauer sein können. Gerade weil er mich überlisten will, muß er überlistet werden. Ich habe mich also verstellt und ganz so gethan, als ob ich ihn wirklich für einen heruntergekommenen, abgelumpten Ausländer halte. Ich habe ihm die Stelle angeboten, um ihn mitzulocken. Auf diese Weise behalte ich ihn stets unter den Augen und kann ihn unschädlich machen, sobald es mir beliebt. Auf diese Weise ist es möglich, ihm zu jeder Zeit eine Kugel zu geben. Und die bekommt er sicherlich, denn ich habe meinen Bruder zu rächen, den er verfolgt und als Mörder außer Landes getrieben hat. Das soll und muß gerächt werden, und da der Kerl jetzt so dumm oder so verwegen ist, sich selbst mir auszuliefern, so werde ich die Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne das zu thun, was ich für meine Pflicht, für meine blutige Pflicht halte.“

Er sagte das in so grimmigem und dabei feierlich schwörendem Tone, daß ich überzeugt war, er werde unbedingt Wort halten. Der Aufwärter meinte langsam und in nachdenklicher Weise:

„Hoffen wir, daß es so kommt! Aber es hat eine ganz eigene Bewandtnis mit diesem Menschen; es ist, als ob er mit dem leibhaftigen Satan im Bunde stehe. Je tiefer er sich in Gefahr befunden hat, desto schneller kam er heraus.“

„Das soll diesmal nicht der Fall sein. Unterwegs dürfen wir ihm nichts anhaben, weil das den Verdacht der andern erregen würde; aber laß uns nur erst auf der Hazienda sein, dann wird mit ihm abgerechnet. Ich brauche mich gar nicht an ihm zu vergreifen; die Yuma-Indianer werden das übernehmen.“

„Und wenn er ihnen entkommt? Wie oft hat er sich in der Gewalt blutdürstiger Roter befunden und ist ihnen entweder entflohen, oder hat es auf ganz unbegreifliche Weise dahin gebracht, daß sie aus grimmigen Feinden sich in seine allerbesten Freunde verwandelten. Hat er nicht auch mit Winnetou auf Leben und Tod gekämpft? Und heute sind beide bereit, ihr Leben für einander zu lassen!“

„Das waren andere Menschen und andere Verhältnisse; das war nicht ich. Ich habe seinen Hals in meiner Hand und presse denselben zusammen, sobald es mir beliebt. Ein Schwur ist ein Unsinn; aber blicke da hinauf zu den Sternen; ich schwöre dir zu: so sicher sie ihre Bahnen gehen, ohne abweichen zu können, so sicher geht dieser Mensch seinem Tode entgegen, denn ich will – –“

Er sprach nicht weiter und hatte eine sehr gute Ursache dazu, denn bei dem letzten Worte brach das Zelt über ihm zusammen. Er hatte, um einen Aufblick nach den Sternen zu ermöglichen, den oberenTeil des Segeltuches zurückziehen wollen und war dabei zu unvorsichtig verfahren. Die Stangen standen unbefestigt auf dem Holze des Deckes; sie gaben infolgedessen dem Drucke nach und fielen um, unter der Tuchlast, die sie getragen hatten, den Mormonen, den Aufwärter und – – auch mich begrabend.

Wollte ich nicht entdeckt sein, so galt es, nicht zu säumen. Ich bohrte mich schleunigst unter den auf mir liegenden Segelfalten heraus und schnellte mich fort nach der Luke hin. Sobald ich mich tief genug in derselben befand, sah ich, daß die beiden auch herausgekrochen kamen, ohne bemerkt zu haben, daß der Einbruch ihres Gebäudes noch einen dritten betroffen hatte. Vom Lauschen war jetzt natürlich keine Rede mehr; ich suchte meine Koje auf. Der Herkules schlief wie ein Bär, und da ich mir Mühe gab, leise zu sein, erwachte er nicht, sondern schlief fort, ohne mich zu hören.

Das war mir lieb, denn ich wußte in diesem Augenblicke nicht, was ich ihm auf seine Fragen hätte antworten sollen. Soviel aber stand fest, daß ich ihm die Wahrheit noch verschweigen mußte, da ich sonst zu erwarten hatte, daß er mir üblen Schaden anrichten werde. Ich legte mich also nieder, nicht um zu schlafen, sondern um über das Gehörte nachzudenken. Das Morgenlicht blickte bereits durch das kleine Lukenfenster, als ich die Augen schloß.

Also auf mein Leben war es abgesehen! Das klang gefährlich, machte mir aber keine Sorge. Ich wußte ja nun, woran ich war, und konnte mich auf alle Fälle hüten. Anders stand es mit der Gefahr, in welcher sich die Auswanderer befanden, denn daß es für sie eine Gefahr gab, davon war ich jetzt vollständig überzeugt. Und diese Gefahr war um so größer, je weniger ich eigentlich wußte, welcher Art sie sei und wo und wann sie eintreten werde. Unterwegs, also bis zur Hazienda, sollte nichts geschehen; das wußte ich. Der Mormone hatte gesagt, daß bis dahin nichts gegen mich unternommen werden dürfe, weil sonst das Mißtrauen der andern erregt werde; also konnte ihnen auch nichts drohen. Aber dann auf der Hazienda! Was aber und wie? Man hatte von den Yuma-Indianern gesprochen, welche das Rachewerk an mir ausführen sollten. Jedenfalls waren es auch sie, von denen den Auswanderern die Gefahr drohte. Ein Indianerüberfall? Das schien mir nicht allzu gefährlich. Doch warum sollten die polnischen Arbeiter überfallen werden? Sie waren so arm, daß, den Juden abgerechnet, bei ihnen nichts geholt werden konnte. Es mußte doch noch eine andere Bewandtnis damit haben, eine Bewandtnis, welche zu durchschauen ich jetzt noch nicht genug Beobachtungen gemacht hatte. Ich hoffte aber, unterwegs genug zu sehen und zu hören, um auf die richtige Spur zu kommen.

Unterwegs? Mußte ich denn mit? War ich verpflichtet dazu? Eigentlich wohl nicht. Ich konnte in Lobos aussteigen und mich aus dem Staube machen. In diesem Falle aber waren die Auswanderer ihrem bösen Schicksale verfallen, und wenn dasselbe über sie hereinbrach, so fiel die ganze Last desselben auf mein Gewissen. Das letztere befahl mir also, mitzugehen, und außerdem war es der mich nie verlassende Thatendrang, welcher es mir gerade als eine Lust erscheinen ließ, die Anschläge des Mormonen kennen zu lernen und zunichte zu machen. Er hatte gesagt: „Er will mich überlisten, folglich muß er selbst überlistet werden. Nun gut, List gegen List und Aberlist gegen Aberlist!“

Als ich erwachte, war der Athlet schon munter und fragte mich:

„Ich schlief fest und hörte Sie nicht zurückkommen. Sind Sie vielleicht ertappt worden?“

„Nein.“

„Aber haben Sie etwas erfahren?“

„Besonders Wichtiges nicht,“ antwortete ich gleichgültig.

„Dachte es,“ lachte er. „Habe es Ihnen übrigens vorhergesagt. Man sollte Sie tüchtig auslachen.“

„Thun Sie das; aber haben Sie die Güte, zu schweigen, damit ich nicht auch von andern ausgelacht werde.“

„Halten Sie mich für eine Plaudertasche?“ fragte er in seiner grilligen Weise. „Ich bin niemals ein Plappermaul gewesen, und es fällt mir auch gar nicht ein, Ihretwegen eines zu werden. Ich werde Sie also nicht verraten, am allerwenigsten gegen die beiden Schufte, die ich nicht leiden kann. Ich habe nun einmal das Gefühl, wenigstens mit dem Mormonen einmal tüchtig zusammenzugeraten.“ – – –

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FÜNFTES KAPITEL

Der Player

Auf unserm Ritte zeigte sich, was gute Pferde zu leisten vermögen. Mir war bange für die Auswanderer; wir trieben also unsere Tiere tüchtig an; glaubten wir doch, daß sie sich dann später nach unserer Ankunft auf der Hazienda tüchtig ausruhen könnten; die Folge war, daß wir schon am Nachmittage des nächsten Tages die Grenze der Hazienda erreichten, die beiden Jünglinge freilich auf schweißtriefenden Rossen, während die unserigen so trocken und munter waren, als ob wir jetzt erst am Beginne des weiten Rittes ständen.

Wir nahmen wieder den Bach zum Führer und sahen dann die Mauern vor uns liegen, welche die Brandstätten der eingeäscherten Gebäude umgaben. Niemand verwehrte uns den Eingang. Dennoch zögerte ich, in den Hof zu reiten. Winnetou verstand mich sofort und sagte:

„Mein Bruder Shatterhand mag erst allein suchen. Es waren rote Männer, welche die Hazienda überfielen. Wenn jemand sich hier befindet und uns gleich mit erblickt, kann er uns für Yumas halten und die Flucht ergreifen, sodaß wir uns nicht erkundigen können und keine Auskunft erhalten.“

Ich ritt also allein in den Hof. Er bildete ein Chaos von rauchgeschwärzten Mauertrümmern, die ich durchsuchte, ohne eine Menschenseele zu finden. Ich kehrte also zurück und versuchte, außerhalb der Mauern auf jemand zu treffen. Kaum war ich um die südwestliche Ecke gebogen, so sah ich einen Mann, einen Weißen, mir langsamen Schrittes entgegenkommen. Er trug einen langen, dunkeln Rock, der ihm fast das Aussehen eines Geistlichen verlieh, und blieb, als er mich erblickte, überrascht stehen.

„Buenos dias!“ grüßte ich. „Gehören Sie zu dieser Hazienda, Sennor?“

„Ja,“ antwortete er, indem er mich mit seinen stechenden Augen musterte.

„Wer ist der Besitzer?“

„Sennor Melton.“

„Also doch! Ich suche ihn. Er ist ein Bekannter von mir.“

„Dann thut es mir leid, daß Sie ihn nicht treffen. Er ist mit Sennor Timoteo Pruchillo, dem früheren Besitzer, nach Ures geritten, um den Kauf gerichtlich festzustellen.“

„So sind doch seine Freunde da?“

„Die beiden Sennores Weller? Nein. Die sind hinauf nach der Fuente de la Roca.“

„Und die deutschen Arbeiter?“

„Sind unter der Anführung der beiden Sennores auch hinauf, wo sie von den Yuma-Indianern erwartet werden. Sie müssen ein Freund von Sennor Melton sein, da Sie nach diesen Personen allen fragen. Darf ich mich erkundigen, wer – –“

Er hielt mitten in der Rede inne. Er hatte seinen Weg fortgesetzt, und ich war an seiner Seite geblieben. Jetzt eben kamen wir um die Ecke. Er sah die drei Indianer, blieb stehen, hielt im Sprechen inne, starrte den Apatschen ganz erschrocken an und rief dann in englischer Sprache, während wir uns bisher des Spanischen bedient hatten:

„Winnetou! Alle Teufel! Den führt der leibhaftige Satan her!“

Während der letzten Worte drehte er sich um und rannte davon, sprang mit einem weiten, kühnen Satze über den Bach hinüber und hetzte dann wie ein gejagtes Wild über den mit Asche bedeckten Waldboden, aus welchem die Stumpfe der verbrannten Bäume und Sträucher ragten. Winnetou hatte ihn auch gesehen und seine Worte gehört. Er trieb sein Pferd an, kam an mir vorüber und sprengte, ohne ein Wort zu sagen, über den Bach, um dem Fliehenden zu folgen. Jedenfalls kannte er den Menschen, und zwar mußte er ihn von einer Seite kennen gelernt haben, daß es ihm unter den gegenwärtigen Verhältnissen geraten schien, sich seiner zu bemächtigen.

Aber das war eine schwierige Sache. Die zahllosen Stummel des abgebrannten Gehölzes waren, da sie gleiche Farbe mit der handhoch liegenden Asche hatten, bei einem so schnellen Ritte von der letzteren nicht zu unterscheiden und konnten das Pferd leicht zum Falle bringen oder an den Füßen so verletzen, daß es zum Reiten untauglich wurde. Das sah Winnetou ein, als es einigemale gestrauchelt war. Er hielt es an, sprang ab und setzte die Verfolgung zu Fuße fort.

Hätte ich gewußt, wer der Mann war und daß wir uns seiner auf alle Fälle zu versichern hatten, so wäre es mir in den ersten Augenblicken ein leichtes gewesen, ihm eine Kugel ins Bein zu geben, sodaß er nicht weiter gekonnt hätte; so aber mußte ich dies unterlassen, zumal ich mir sagte, daß Winnetou dasselbe thun würde, falls er es für nötig halten sollte. Er war ein ausgezeichneter Läufer; ich wußte, daß es unmöglich war, ihn einzuholen; hatten wir doch schon um unser Leben laufen müssen. Hier aber war er im Nachteile, da ihn nicht nur seine Büchse, sondern seine ganze Ausrüstung hinderte, während der andere nichts zu tragen hatte und, von der Angst zur größten Anstrengung angetrieben, eine Schnelligkeit entwickelte, welche ihm unter andern Umständen wohl nicht zu eigen war. Winnetou war nicht im stande, ihm den Vorsprung, den er hatte, so rasch, wie es zu wünschen war, abzugewinnen. Doch wußte ich, daß er ihn bei längerer Verfolgung einholen werde, da er eine Ausdauer besaß, welcher diejenige des andern jedenfalls nicht gleichkam.

Der Lauf ging die Anhöhe hinan, welche hinter den Gebäuden der Hazienda lag und ganz kahl abgebrannt war. Der Flüchtige kam eine volle Minute vor dem Apatschen oben an und verschwand dann jenseits. Als Winnetou die Höhe erreichte, sah ich, daß er zunächst auch weiter wollte; aber er hielt, sich besinnend, an, warf einen die Entfernung abschätzenden Blick nach jenseits hinüber und legte dann das Gewehr an. Er wollte schießen, ließ es aber wieder sinken, machte eine Armbewegung, welche soviel wie „Nein, ich will es doch unterlassen,“ bedeutete, kehrte um und kam die Anhöhe wieder herab. Als er sein Pferd, welches sich nicht von der Stelle gerührt hatte, erreichte, stieg er wieder auf und kam über den Bach herüber.

„Winnetou will ihn doch lieber laufen lassen,“ sagte er. „Drüben im andern Thale giebt es wieder Wald, welcher nicht gebrannt hat; er würde ihn vor mir erreichen, und ich könnte ihn nicht mehr sehen.“

„Mein Bruder würde ihn dennoch ganz gewiß einholen,“ antwortete ich.

„Ja, ich würde ihn ergreifen, aber das kostete eine lange Zeit, vielleicht mehr als einen ganzen Tag, da ich seiner Fährte folgen müßte, welche nur langsam zu lesen ist. Und eine solche Zeit ist die Sache nicht wert.“

„Mein Bruder wollte schießen. Warum hat er es nicht gethan?“

„Weil ich ihn nur verwunden wollte, die Entfernung aber eine so große war, daß ich keinen sichern Schuß hatte. Getroffen hätte ich ihn bestimmt, aber dann vielleicht an einer gefährlichen Stelle, und töten wollte ich ihn doch nicht, weil ich zwar Schlimmes von ihm weiß, aber es ist nicht so viel, daß ich das Recht habe, ihm das Leben zu nehmen.“

„Mein Bruder kennt den Menschen?“

„Ja. Mein Freund Shatterhand hat ihn wohl noch nicht gesehen, aber seinen Namen kennt er auch. Er gehört zu den Bleichgesichtern, welche sich Mormonen nennen; er zählt sich zu den Heiligen der zukünftigen Tage, aber sein Wandel in der Vergangenheit und Gegenwart ist derjenige eines sehr gefährlichen Menschen. Er ist sogar ein Mörder; da er aber keinen meiner Brüder getötet hat, so muß ich ihm das Leben lassen.“

„Und doch hast du ihn verfolgt! Du bist also der Ansicht gewesen, daß es für uns von Vorteil sei, ihn zu fangen.“

„Ja, das waren sofort, als ich ihn erblickte, meine Gedanken. Wenn er sich hier auf der Hazienda befindet, so ist er gewiß ein Verbündeter von Melton; er kennt die Absichten und Geheimnisse desselben, und es wäre uns vielleicht gelungen, ihn zu zwingen, uns dieselben mitzuteilen.“

„Hätte ich das gewußt, so wäre er nicht entkommen; ich hätte, als ich mit ihm sprach, ihn festgenommen oder ihn später durch eine Kugel zum Halten gezwungen. Wer ist der Mensch, den du einen gefährlichen Mann und sogar einen Mörder nennst?“

„Wie sein eigentlicher Name ist, weiß ich nicht; er wird gewöhnlich der Player genannt.“

„Der Player! Ah! Von dem habe ich freilich mehr als genug gehört. Du weißt, daß Melton einen Bruder hat, der als falscher Spieler berüchtigt war. Er erschoß in Fort Uintah einen Offizier und zwei Soldaten, worauf ich ihn bis nach Fort Edward jagte. Ich nahm ihn gefangen und lieferte ihn ab; aber er entkam dann. Mit diesem Bruder Meltons ist der Player sehr bekannt gewesen. Sie haben jahrelang miteinander ihre sauberen Geschäfte getrieben, und man redet allerdings davon, daß es dabei nicht nur Diebstahl und Raub, sondern sogar Mord und Totschlag gegeben habe. Mir sind zwei oder drei Fälle gut bekannt, in denen ich diesen Player für schuldig halte. Also der Halunke befindet sich hier! Dann ist er freilich ein Verbündeter Meltons, den er infolge seiner Bekanntschaft mit seinem Bruder kennen gelernt haben wird, und es ist jammerschade, daß ihm die Flucht gelungen ist.“

„Wollen wir ihm nach? Old Shatterhand wird seine Spur ebenso leicht finden, wie ich; er kann uns nicht entgehen.“

„Davon bin ich überzeugt; aber Winnetou hat ganz richtig gesagt, daß wir auf diesen Fang eine Zeit verwenden müßten, welche wir notwendiger brauchen. Der Player hielt mich für einen guten Bekannten von Melton und hat mir infolgedessen einige Mitteilungen gemacht, welche er jetzt bereuen wird. Ich muß sie meinem roten Bruder mitteilen.“

Ich sagte ihm, was ich gehört hatte. Als ich fertig war, wiederholte er in seiner nachdenklichen Weise:

„Die beiden Weller sind mit den Auswanderern hinauf nach der Fuente de la Roca, und Melton ist mit dem Haziendero nach Ures geritten. Was sollen die Landesbrüder Old Shatterhands an der Fuente?“

„Ja, wenn ich das wüßte! Kennt Winnetou diesen Ort?“

„Ich habe einmal auf dem Wege von Chihuahua nach der Sonora zwei Tage lang da oben gejagt und die Nächte an der Fuente zugebracht. Die Gegend ist mir so bekannt, als ob ich öfters dort gewesen wäre. Der Jagd wegen sind sie nicht hinauf, und Ackerbau, Feldarbeit giebt es in jener wilden Gegend nicht. Wäre es auf solche Arbeit abgesehen, so wären sie hier geblieben, wo sie nötiger sind.“

„So bleibt die Sache also ein Rätsel, dessen Lösung wir höchstens aus dem Umstande zu ziehen vermöchten, daß man an der Fuente mit Yuma-Indianern zusammentreffen will, also mit den Verbündeten Meltons, deren Kameraden auf seine Veranlassung hin hier diese Verwüstung angerichtet haben.“

„Was für Yumas werden es sein? Doch nicht der große Mund mit seiner Schar, die wir gefangen haben!“

„Nein; es handelt sich jedenfalls um eine andere Schar, die aber sehr wahrscheinlich mit der ersteren befreundet ist. Ich vermute sogar, daß der große Mund von ihrer Anwesenheit an der Fuente weiß, und ich möchte behaupten, daß diese Anwesenheit mit dem Überfalle und der Einäscherung der Hazienda in innigem Zusammenhange steht. Und wie der Überfall ein Schandstreich war, so steht zu erwarten, daß es sich da oben an der Fuente auch um ein verbrecherisches Vorhaben handelt.“

„Old Shatterhand spricht aus, was Winnetou denkt. Deine Landesbrüder befinden sich abermals in Gefahr, und ich bin bereit, sogleich nach der Fuente aufzubrechen.“

„Ich würde allerdings nicht säumen, unverzüglich hinzureiten; aber mein Bruder hat gehört, daß Melton mit Don Timoteo nach Ures ist, um den Kauf gerichtlich gültig zu machen. Gelingt es uns, dies zu hintertreiben, so nehmen wir Melton den Boden, auf dem er seine Absichten ausführen will.“

„Mein Bruder möchte also lieber nach Ures? Da läßt er aber doch seine Landeskinder im Stiche!“

„Nein. Melton ist der Urheber von allem, was geschehen ist und von allem, was noch geschehen soll. Die beiden Weller sind ihm untergeordnet und werden jedenfalls nur einleitende Schritte thun können; die eigentliche That aber wird nur in Anwesenheit von Melton ausgeführt werden. Wir können nicht nur den Kauf rückgängig machen, sondern Melton ins Gefängnis bringen. Gelingt uns das, so ist er unschädlich gemacht, und die Wellers werden mit den Yumas droben an der Fuente vergeblich auf ihn warten.“

„Mein weißer Bruder meint also, daß er die Absicht hat, von Ures nicht hierher zu kommen, sondern nach der Fuente zu reiten?“

„Ja.“

„Was soll aber der Player hier? Nicht hier auf ihn warten?“

„Schwerlich! Der Player wird sich als eine Art von Sicherheitsposten hier befinden. Wo er hergekommen ist, weiß ich freilich nicht. Die Sache scheint schon von langer Hand und mit großer Umsicht eingeleitet zu sein. Es handelt sich jedenfalls um das Einnisten der Mormonen in dieser Gegend. Daß dies in so schurkischer Weise geschieht, ist wahrscheinlich nur Meltons Sache und geschieht nicht auf einen von der großen Salzseestadt ausgehenden Befehl. Er hat den Auftrag, sich hier festzusetzen, führt denselben aber auf seine Weise aus. Die Wellers und der Spieler helfen ihm dabei, die ersteren in thätiger, der letztere mehr in unthätiger Weise, indem er hier bleibt und den Wächter macht, um dafür zu sorgen, daß droben an der Fuente keine Störung eintritt.“

„Mein Bruder hat mit seinen Gedanken wohl, wie immer, das Richtige getroffen. Es soll ein Verbrechen geschehen; die Yumas sollen helfen, es auszuführen, aber die Bleichgesichter sind die Anstifter. So ist es immer gewesen. Man rottet die roten Männer aus, weil man ihnen Thaten vorwirft, deren Schuld doch nur die Weißen tragen. Und hier haben wir es nicht einmal mit gewöhnlichen Bleichgesichtern zu thun, sondern mit Leuten, welche sich so außerordentlich fromm stellen und sich den Namen Die Heiligen der letzten Tage gegeben haben!“

Leider hat der Häuptling der Apatschen recht! Wenn die Mormonen solche Menschen wie Melton, die Wellers und den Player nicht nur unter sich aufnehmen, sondern sie sogar als Gründer neuer Niederlassungen aussenden, so gleicht ihre Sekte einer faulen Frucht, welche nicht am Stamme reifen wird, sondern unten am Boden verwesen muß.

„Wie lange hat man von hier bis hinauf nach der Fuente de la Roca zu reiten?“ fragte ich.

„Mit unsern guten Pferden brauchen wir zwei Tage, von Ures aus sind es drei.“

„So ist es also kein Umweg, wenn man nicht den direkten Weg von Ures nimmt, sondern hier über die Hazienda geht?“

„Es wird höchstens einige Stunden austragen.“

„So können wir wieder hierher zurückkommen, und es ist nicht unmöglich, daß es Melton ebenso macht. In diesem Falle müssen wir ihm unterwegs begegnen, falls er seine Geschäfte in Ures schon beendet haben und aufgebrochen sein sollte. Ich denke, wir zögern nicht. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

„Mein Bruder mag bedenken, daß die Pferde der Ruhe bedürfen; wir sind einen ganzen Tag und einen halben auf einem Wege geritten, zu welchem man eigentlich über vier Tage braucht. Unsere Rosse halten den Ritt nach Ures wohl auch noch aus; aber die Mimbrenjo-Pferde sind so ermüdet, daß wir ihnen eine weitere Anstrengung unmöglich zumuten können.“

„Ich mute sie ihnen auch nicht zu. Wir beide werden allein reiten, und die Knaben bleiben hier, wo ihre Gegenwart uns förderlich ist, während ihre Begleitung uns nur hindern würde.“

„Mein Bruder meint, daß sie nach dem Player spähen sollen?“

„Ja. Er kehrt jedenfalls zurück, wenn auch in sehr vorsichtiger Weise. Mich hat er nicht gekannt, also weiß er nicht, daß wir uns in einer ihm feindlichen Absicht hier befinden. Er wird unsere Anwesenheit für eine zufällige halten und nicht gleich hinauf nach der Fuente rennen, um dieselbe dort zu melden. Freilich hat er Angst vor dir und wird also nur heimlich zurückkommen, um zu sehen, ob du noch da oder schon fortgeritten bist. Sieht er uns nicht mehr, so wird er sich sicher fühlen, und die beiden Mimbrenjos können ihn beobachten, um zu erkunden, was er treibt und welche Aufgabe ihm hier auf der verwüsteten Hazienda geworden ist.“

„Es mag geschehen, wie mein Bruder gesagt hat. Sie mögen ihn beaufsichtigen und ihn nicht aus dem Auge lassen, aber vorsichtig und unbemerkt, damit er nicht etwa sie selbst entdeckt. Wenn wir von Ures zurückkehren, können sie uns sagen, wo er steckt, und wir werden ihn festnehmen, um ihn zu zwingen, uns das zu sagen, was wir wissen wollen.“

Winnetou war also mit mir einverstanden. Den Mimbrenjos brauchten wir unsern Entschluß nicht erst mitzuteilen, da sie unsere Worte gehört hatten; doch verstand es sich bei ihrer Jugend ganz von selbst, daß sie in Beziehung auf ihr Verhalten die notwendigen Anweisungen bekamen. Wir beide, Winnetou und ich, ließen unsere Pferde im Bache tüchtig trinken und brachen dann, ohne eigentlich ausgeruht zu haben, nach Ures auf.

Der Weg war mir bekannt; ich hatte ihn ja schon einmal gemacht. Solange es Tag war, ritten wir so rasch wie möglich; als es dunkel geworden war, ließen wir die Pferde drei bis vier Stunden ruhen, bis der Mond aufging und wir wieder in den Sattel stiegen. Der Vortrefflichkeit unserer Pferde hatten wir es zu verdanken, daß wir unser Ziel um die Mittagszeit des folgenden Tages erreichten; aber wir hätten ihnen auch keine weitere Anstrengung zumuten dürfen, denn sie waren nun so ermattet, daß sie uns stolpernden Ganges durch die ersten Gassen trugen und wir, ohne lange zu suchen und zu wählen, vor der ersten besten sich uns bietenden Kneipe abstiegen. So elend dieselbe auch aussah, wir bekamen doch Wein und Tortilla für uns und Mais und Wasser für die Pferde. Um die Zeche brauchte ich nicht zu sorgen. Ich habe zwar bereits gesagt, wie es um meinen Beutel stand; aber Winnetou war stets, wenn nicht mit Geld, so doch mit Goldstaub und Nuggets versehen, sodaß ich in seiner Gesellschaft nicht wohl in Verlegenheit kommen konnte.

WO aber nun hin, um Melton und den Haziendero zu finden? Eine überflüssige Frage! Wer in der Wildnis jeden, den er sucht, zu treffen versteht, für den kann es nicht schwer sein, in einer Stadt von neuntausend Einwohnern zwei Personen zu finden, welche als Fremde sicher die Aufmerksamkeit der Bürger auf sich gezogen hatten. Es fiel mir übrigens nicht ein, lange zu fragen und zu suchen, sondern ich begab mich, als wir für unsere Pferde gesorgt und die fladenartige Tortilla gegessen hatten, mit Winnetou direkt zu dem famosen Beamten, bei dem ich während meiner vorigen Anwesenheit in dieser guten Stadt gewesen war. Der Polizist, welcher mich damals zurechtgewiesen hatte, lungerte wieder vor der Expedition herum, und als wir diese betraten, lag die Sennora wieder in ihrer Hängematte. Hinter ihr hing, wie damals, ihr Gemahl; neben ihr aber war heute eine dritte Hängematte angebracht, in welcher zu meiner Freude einer der beiden Gesuchten saß; nämlich der Haziendero, welcher eine der famosen Cigaretten zwischen den Lippen hielt und sich gemächlich schaukelte. Er schien sich neben der ebenso rauchenden Dame sehr behaglich zu fühlen. Als er uns eintreten sah, rief er, ohne unsern Gruß abzuwarten, mir entgegen:

„Per Dios, der Deutsche! Was wollen denn Sie hier? Ich denke, Sie sind Gefangener der Indianer! Wie kommt es, daß man Sie freigelassen hat?“

„Auch Sie waren gefangen,“ antwortete ich, „und ich sehe Sie frei. Welchem Umstande haben Sie das zu verdanken?“

„Meine Dankbarkeit gehört Sennor Melton, ohne den ich noch, heute gefangen oder wohl tot sein würde. Er wußte den Roten solche Angst vor den Folgen und der Strafe zu machen, daß sie uns freiließen. Hatten Sie auch einen solchen Fürsprecher?“

„Ja, mein Messer.“

„Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, daß ich mich selbst freigemacht habe. Einen Sprecher wie Melton brauchte ich nicht, hätte ihm auch meine Freiheit nicht verdanken mögen. Übrigens irren Sie sich, wenn Sie meinen, daß Sie ihm Dankbarkeit schuldig sind. Ich habe Sie vor ihm gewarnt und damals mit meiner Warnung vollständig recht gehabt.“

„Vollständig unrecht, wollen Sie sagen, Sennor! Sennor Melton hat als Ehrenmann an mir gehandelt, und nach dem, was er an mir gethan hat, möchte ich es fast als Böswilligkeit bezeichnen, daß Sie ihn noch immer verleumden, nachdem ich Sie schon einmal zurechtgewiesen habe!“

„Wenn Sie den Menschen einen Ehrenmann nennen, so ist der größte Schuft ein Caballero. Nennen Sie es denn wirklich eine Ehrenhaftigkeit, wenn er die Indianer auf Sie hetzt, um Ihre Besitzung zu verwüsten?“

„Er? Sie haben diesen unbegreiflichen Gedanken schon einmal gegen mich ausgesprochen, und da meine damalige Entgegnung erfolglos gewesen zu sein scheint, werde ich Ihnen auf das schlagendste beweisen, wie unrecht Sie diesem braven Manne thun. Wie Sie dazu kommen, sich in meine Angelegenheiten zu mischen und mir Ratschläge zu erteilen, welche ich gar nicht von Ihnen verlangt habe, das will ich dahingestellt sein lassen und Ihnen nur das Eine sagen, was Sie jedenfalls noch nicht wissen, nämlich daß er mir meine Hazienda abgekauft hat.“

„Das? Das weiß ich!“

„So? Sie wissen es? Und dennoch wagen Sie es, den Sennor zu verdächtigen! Und Sie erkennen nicht, welch ein edler Zug es von ihm ist, daß er sich zu diesem Kaufe entschlossen hat?“

„Ein edler? Wieso?“

„Durch die Verwüstung, welche die Roten angerichtet haben, hat die Besitzung beinahe allen Wert verloren. Es hätte großer Kapitalien und langer Jahre bedurft, sie wieder in den vorigen Stand zu bringen. Ich war mit einem Schlag ein armer Mann geworden, und kein Mensch hätte mir auch nur einen Centavo für die Hazienda geboten. Dieser Herr aber fühlte sich durch meine hilflose Lage in seinem guten Herzen gerührt und bot sich mir, als wir wieder frei waren, als Käufer an.“

„So! Und Sie waren sehr erfreut über diese außerordentliche Barmherzigkeit?“

„Spotten Sie nicht! Es war wirklich Barmherzigkeit von ihm, daß er mir eine Summe zahlte, welche er binnen zehn Jahren mit dieser Besitzung nicht verdienen kann. Was sage ich, zehn Jahre! Zwanzig und dreißig muß ich sagen! Solange hat er sein schweres Geld hineinzustecken, ohne daß er einen Centavo herauszieht.“

„Darf ich fragen, wieviel er gegeben hat?“

„Zweitausend Pesos. Mit diesem Gelde kann ich neu beginnen, während ich auf der verwüsteten Hazienda hätte verhungern müssen.“

„Der Kauf ist nun gerichtlich abgeschlossen und nicht mehr rückgängig zu machen?“

„Nein. Ich würde übrigens der dümmste Mensch sein, wenn ich den Gedanken hegen könnte, dies zu thun.“

„Er hat die zweitausend Pesos bezahlt?“

„Ja, gleich nachdem wir den Handel besprochen hatten.“

„Also nicht hier in Ures, nach dem gerichtlichen Abschlusse, sondern vorher?“

„Ja, vorher, gleich nach unserer Befreiung. Und zwar in lauter vollklingenden Goldstücken. Und auch dieser Umstand, nämlich daß er mich bezahlt hat, noch bevor das Kaufobjekt ihm gerichtlich zugesprochen war, ist ein glänzender Beweis seines guten Herzens und seiner Ehrenhaftigkeit.“

„Hm! Ich möchte wünschen, ihm persönlich meine Ansicht über dieses gute Herz und diese Ehrenhaftigkeit mitzuteilen. Hoffentlich befindet er sich noch hier?“

„Nein; er ist gestern abgereist.“

„Wohin?“

„Nach der Hazienda natürlich. Dorthin also müssen Sie sich verfügen, wenn Sie ihm das Unrecht, das Sie ihm angethan haben, abbitten wollen.“

„Wissen Sie bestimmt, daß er nach der Hazienda ist?“

„Ja. Wohin sollte er sonst gehen? Er wollte augenblicklich mit der Erneuerung der Besitzung beginnen.“

„Dazu fehlt dort nicht weniger als alles. Er hat also sehr wahrscheinlich das dazu Nötige von hier mitgenommen?“

„Was sollte das sein?“

„Zunächst Arbeiter.“

„Die hat er. Ihre Landsleute, welche ich von Deutschland kommen ließ, befinden sich ja dort.“

„Auch Werkzeuge? Die Ihrigen sind doch wohl alle verbrannt. Dazu die nötigen Sämereien, große Vorräte von Proviant, welche gebraucht werden, weil jetzt nichts mehr dort zu haben ist, Maurer, Zimmerleute und andere Handwerker, um neue Gebäude zu errichten, und vieles, vieles andere noch. Hat er das alles mitgenommen?“

„Nach solchen Dingen habe ich nicht gefragt; es kümmert mich nicht, da die Hazienda nicht mehr mir gehört. Ich weiß nur, daß er fort ist.“

„Wohl gleich nach dem gerichtlichen Abschlusse des Verkaufes?“

„Sogleich. Er verweilte nicht eine Stunde.“

„Ritt er allein?“

„Natürlich! Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich Ihnen diese Fragen, zu denen Sie weder ein Recht noch eine Veranlassung haben, beantworten soll. Sie sind jedenfalls aus andern Gründen hier, und ich muß Sie sehr ersuchen, mich in Ruhe zu lassen!“

Er drehte sich in einer Weise nach der Seite, welche mir sagen sollte, daß er nichts mehr mit mir zu schaffen haben wolle. Ich ließ mich natürlich nicht abhalten, ihm zu antworten:

„Leider kann ich Ihnen die Ruhe, welche Sie zu haben wünschen, noch nicht gönnen. Ich befinde mich aus keinem andern Grunde hier, sondern bin nur in der Absicht hierher gekommen, Sie aufzusuchen, um mit Ihnen über diese Angelegenheit zu sprechen.“

Da fuhr mich jetzt die Dame zornig an:

„Das ist eine Unhöflichkeit, eine Rücksichtslosigkeit! Sie haben gehört, daß Don Timoteo nichts mehr von Ihnen wissen oder hören will, und haben sich also zu entfernen!“

„Sie irren, Sennora. Don Timoteo hat mich anzuhören. Wenn Sie sich dabei langweilen sollten, so steht es Ihnen ja frei, sich zu entfernen.“

„Entfernen? Was fällt Ihnen ein! Man hört es Ihren Worten an und sieht aus Ihrem ganzen Benehmen, daß Sie ein Deutscher sind, ein Barbar. Don Timoteo ist unser Gast, und wir haben dafür zu sorgen, daß er unbelästigt bleibt. Nicht ich werde mich entfernen, sondern ich befehle Ihnen, dies Lokal augenblicklich zu verlassen!“

„Dann bitte, mir nur noch gütigst zu sagen, was für ein Lokal dieser Raum ist.“

„Es steht an der Thür zu lesen, und ich denke, daß Sie es gesehen haben werden. Oder können Sie nicht lesen? Ich würde mich gar nicht darüber wundern.“

„So erlaube ich Ihnen, sich darüber zu wundern, daß ich sehr wahrscheinlich besser lesen kann, als alle Personen, welche sich außer mir und meinem Begleiter hier befinden. Ich bin gegenwärtig im Expeditionslokal Ihres Gatten. Sie haben hier nichts zu suchen, wohl aber ich, der ich mich hier befinde, um seine amtliche Thätigkeit in Anspruch zu nehmen. Wenn also eins von uns beiden die Berechtigung besitzt, den andern zur augenblicklichen Entfernung aufzufordern, so bin ich es, dem dieses Recht zusteht.“

Ich sah ihr an, daß sie auf diese Zurechtweisung zornig losplatzen wollte; aber sie besann sich eines anderen, machte eine höchst wegwerfende Gebärde gegen mich und wendete sich rückwärts nach ihrem Manne, ihn auffordernd:

„Schaff diese Menschen fort, aber sogleich, sofort!“

Da rutschte der Beherrscher von Ures von seiner Hängematte herab, kam zu mir her, stellte sich in achtunggebietender Haltung vor mir auf und sagte, indem er nach der Thür deutete:

„Sennor, wollen Sie augenblicklich gehen? Oder soll ich Sie wegen Widersetzlichkeit einsperren lassen?“

Ehe ich antworten konnte, trat Winnetou mit zwei raschen Schritten zu ihm heran, faßte ihn unter den Armen rechts und links am Oberkörper, hob ihn empor, trug ihn zu seiner Hängematte, legte ihn behutsam hinein und sagte:

„Mein weißer Bruder mag hier bleiben und ruhig warten, bis wir mit ihm reden werden. Und seine weiße Frau mag schweigen, wenn Männer reden. Eine Squaw gehört zu ihren Kindern, nicht aber in den Rat erwachsener Männer. Wir kamen, um mit dem Haziendero zu reden, und er mag wollen oder nicht, so wird er uns anhören müssen. Wer uns hier hinausschaffen will, der mag es versuchen. Hier steht mein weißer Bruder Old Shatterhand, und ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen, dessen Namen auch in Ures bekannt ist!“

Jawohl war er bekannt, denn kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so rief die Dame trotz der Beleidigung, welche der Apatsche ihr und ihrem Manne zugefügt hatte, in einem ganz andern Tone, als demjenigen, welcher vorhin gegen mich in Anwendung gekommen war:

„Winnetou! Der Apatschenhäuptling! Der interessante Indianer! Der berühmte Rote! Ist’s möglich, ist’s wahr, daß er es ist?“

Er war zu stolz, auf ihre Worte zu achten, und that, als ob er sie gar nicht gehört hätte; darum antwortete ich an seiner Stelle:

„Ja, er ist’s, Sennora. Und nun werden Sie trotz einiger Eigentümlichkeiten, welche Ihnen an uns wahrscheinlich nicht gefallen haben, nichts mehr dagegen haben, daß wir hier bleiben und unsere Sache zu Ende bringen. Wo nicht, so riskieren Sie, daß Winnetou Sie ebenso hinausträgt und auf die Straße setzt, wie er Ihren Gemahl in seine Matte zurückgebracht hat.“

Da klatschte sie in die Hände und rief ganz entzückt aus:

„Welch ein Abenteuer, von Winnetou getragen zu werden! Ganz Ures würde davon sprechen und mich beneiden! Ich werde es versuchen!“

„Und ich rate Ihnen ab, Sennora. Auf den Händen getragen oder auf die Straße geworfen zu werden, ist zweierlei. Sehen Sie sich meinen roten Freund schweigend an, damit Sie ihn Ihren Freundinnen beschreiben können! Das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann. Wenn Sie aber wieder das Wort ergreifen, wird Ihnen die höchst interessante Gelegenheit, sich in seiner Nähe zu befinden, augenblicklich entgehen.“

Sie zündete sich eine neue Cigarette an und legte sich dann in ihrer Hängematte mit der Miene eines Menschen zurecht, welcher sich etwa im Zirkus befindet und das größte Wunder der Welt vorgeführt bekommt. Auch ihr löblicher Eheherr und Gatte schien, da er nun wußte, wer ihn so energisch expediert hatte, dies nicht übel zu nehmen, sondern betrachtete den Häuptling mit sichtlicher Befriedigung. Was den Haziendero betrifft, so war ihm, wie auch den beiden andern, der Name Old Shatterhand vollständig „Wurst und Schnuppe“; von Winnetou aber hatte er so oft und soviel gehört, daß der Name auch auf ihn die wünschenswerteste Wirkung hervorbrachte. Er dachte nicht mehr daran, uns zum Fortgehen aufzufordern.

Es war keineswegs ein Wunder, daß mein Gefährte auch hier in Ures als eine Berühmtheit galt. Die Apatschen kommen noch weit südlicher vor, besonders jenseits der Sierra in Chihuahua, wo sie sogar bis hinein ins Cohahuila schweifen, und da Winnetou von Zeit zu Zeit alle diese Stämme seiner Nation zu besuchen pflegte, so waren seine Thaten bis soweit hinab bekannt geworden, und zwar nicht nur unter den Roten, sondern auch bei den Weißen. Ja, der Nimbus, welcher um seinen Namen hing, war bei den letzteren ein noch größerer, als bei den ersteren, und ich habe oft die Beobachtung gemacht, daß besonders die Damenwelt gern von ihm hörte. Er war nicht nur ein hochinteressanter, sondern auch ein schöner Mann, und die Sagen, welche sich an seine erste und auch einzige Liebe knüpften, waren allerdings im stande, ihm das Herz jeder Sennora und Sennorita zu gewinnen.

Sehr zufrieden mit dem Erfolge, den Winnetou durch sein plötzliches Eingreifen erzielt hatte, wendete ich mich an den Haziendero:

„Sie haben meine Fragen für höchst unnütz gehalten, Don Timoteo; dieselben waren aber für mich außerordentlich wichtige, und werden für Sie sogleich ebenso wichtig sein. Die Yumaindianer haben Ihre Hazienda zerstört und Ihnen alles abgenommen. Ich denke, daß man sogar Ihre Taschen durchsucht und ihres Inhaltes entleert hat?“

„Allerdings. Die Roten haben sie vollständig leer gemacht.“

„Auch Meltons Taschen?“

„Ja.“

„Wie hat er Ihnen dann zweitausend Pesos in schweren glänzenden Goldstücken auszahlen können?“

Der Gefragte zeigte ein höchst verblüfftes Gesicht und antwortete langsam und wie einer, der sich in Verlegenheit befindet:

„Ja – woher hat er – dieses Geld – dieses viele Geld – genommen?“

„Fragen Sie nicht so, sondern anders, nämlich: Warum haben die Indianer ihm dieses Geld nicht abgenommen, sondern es ihm gelassen?“

„Alle Wetter! An diese Frage habe und hätte ich nicht gedacht! Sie meinen, daß er das Geld bei sich gehabt hat?“

„Er oder einer von den beiden Weller. Zweitausend Pesos in Goldstücken sind nicht vor Indianeraugen zu verbergen, und zugleich bilden sie für jeden Wilden, selbst wenn er der wohlhabendste Häuptling wäre, einen Reichtum, den er sich gewiß nicht entgehen läßt. Wenn der große Mund auf die Goldstücke verzichtet hat, so muß es sich dabei um eine sehr seltene und sehr wichtige Ursache handeln. Können Sie sich vielleicht denken, was für eine das ist?“

„Nein.“

„Es giebt nur eine, eine einzige. Einem Fremden oder gar einem Feinde läßt kein Roter einen solchen Schatz; Melton muß also ein guter Bekannter, ein Freund, ein Verbündeter des großen Mundes sein.“

„Ich glaube es nicht.“

„Ich behauptete, daß die Roten kommen würden, um Ihre Hazienda zu überfallen, und warnte Sie; Sie glaubten mir nicht, ich aber hatte recht. Ebenso täusche ich mich auch jetzt nicht, obgleich Sie abermals der Ungläubige sind.“

„Melton hat so großmütig an mir gehandelt; es ist mir also ganz und gar unmöglich, anzunehmen, daß er mit den Roten im Bunde steht. Wenn ich mich nicht irre, behaupteten Sie damals sogar, daß er der Anstifter des Überfalles sei.“

„Der Wortlaut dessen, was ich Ihnen sagte, ist mir nicht im Gedächtnisse geblieben; aber wenn ich es damals noch nicht mit dieser Bestimmtheit behauptet haben sollte, so behaupte ich es jetzt.“

„Sie irren sich; Sie müssen sich irren! Melton ist mein Freund! Er hat es durch den Kauf bewiesen!“

„Ja, er hat es bewiesen, aber nicht, daß er Ihr Freund, sondern daß er ein Verräter, ein Judas, ein Schurke ist. Welchen Wert besaß Ihre Hazienda vor dem Überfalle?“

„Das mag ich gar nicht sagen; ich will nicht von diesem entsetzlichen Verluste sprechen.“

„Hätten Sie die Besitzung überhaupt verkauft?“

„Nein; das wäre mir nicht eingefallen.“

„Nun, so haben Sie alles klar vor Augen liegen. Der Mormone ist beauftragt, sich in dieser Gegend festzusetzen, hier Grund und Boden zu erwerben. Ihre Hazienda paßte ihm; sie war ihm aber zu teuer. Um sie billiger zu machen, ließ er sie verwüsten. Der Vertrag, welchen er mit dem großen Munde abschloß, lautete: Aller Raub gehört den Indianern; den verwüsteten Grund und Boden kaufe ich für ein Lumpengeld. Der Überfall gelang; die Beute war wertvoll; so mußten und konnten sie ihm sein Geld lassen. Begreifen Sie das nicht?“

„Nein, denn eine solche Schlechtigkeit wäre ungeheuerlich. Und bedenken Sie doch folgendes: Was nützt ihm der Grund und Boden, das Areal, wenn dasselbe verwüstet und dann wertlos ist?“

„Er bebaut es neu!“

„Das kostet ihm weit mehr, als die Hazienda vorher wert war, die Jahre, welche er warten muß, ehe dieses Geld Zinsen trägt, gar nicht mitgerechnet.“

„Das sage ich mir natürlich auch; aber es muß hier irgend einen Punkt geben, den ich noch nicht zu entdecken vermochte, aber ganz gewiß noch entdecken werde. Sie meinen, daß Melton nach der Hazienda zurück ist; dies ist aber nicht der Fall, denn wir kommen von dort her, und er hätte uns begegnen müssen. Er hat aber einen Mann dort zurückgelassen.“

„Sie wollen sagen zwei, nämlich die beiden Sennores Weller?“

„Nein. Die sind fort; dafür ist ein anderer da. Haben Sie vielleicht von einem Yankee, einem Mormonen, gehört, den man den Player nennt?“

„Nein.“

„Diesen Mann haben wir dort angetroffen. Er sagte uns, daß Melton mit Ihnen nach Ures sei, um den Kauf gerichtlich abzuschließen. Er wußte das; Melton muß es also gesagt haben; er hat mit ihm gesprochen, und zwar hinter Ihrem Rücken. Sie haben nichts von der Anwesenheit dieses Player wissen sollen.“

„Hm! Das wäre freilich befremdend!“

„Waren, als Sie mit Melton die Hazienda verließen, die beiden Weller und die Deutschen noch dort?“

„Ja. Er hat die Deutschen natürlich von mir übernommen. Mit ihrer Hilfe will er die Besitzung neu bearbeiten, neue Felder und neue Wiesen und Weiden, einen neuen Wald anlegen. Die Wellers sind dabei als Aufseher engagiert.“

„Aber sie sind nicht mehr dort, sie sind sofort nach Ihrer Abreise hinauf nach der Fuente de la Roca gezogen.“

„Nach der Fuente?“ fragte er erstaunt.

„Die Wellers mit den Deutschen. Und da oben werden sie von einer Schar von Yumaindianern erwartet!“

„Ist das möglich? Woher wissen Sie das?“ fragte er, aus der Hängematte springend.

„Von dem Player, welcher mich für einen Freund Meltons hielt und es mir darum sagte.“

„Nach der Fuente, nach der Fuente!“ wiederholte er, indem er mit allen Zeichen der Erregung im Zimmer auf und nieder schritt. „Das giebt mir zu denken; das giebt mir wirklich zu denken, wenn es wahr ist, wenn Sie nicht falsch berichtet sind, Sennor.“

„Es ist wahr. Der Player hat mir das Geheimnis nur in der Überraschung anvertraut. Später erkannte er Winnetou und entfloh vor ihm. Er hat ein böses Gewissen. Hier ist der Anfang des Fadens, den ich zu verfolgen gedenke. Ihre Hazienda hat auch im verwüsteten Zustande aus irgend einem Grunde großen Wert für Melton. Nach diesem Grunde forsche ich, und ich werde ihn sicher finden. Darum bin ich nach Ures gekommen, um Melton und Sie zu suchen. Sie habe ich; er aber ist fort, doch nicht nach der Hazienda, sondern jedenfalls hinauf nach der Fuente de la Roca, um dort die Wellers einzuholen.“

Der Haziendero war während meiner Worte immer noch hin und her gegangen. Jetzt drehte er sich plötzlich auf dem Absatze herum und rief aus, indem er vor mir stehen blieb:

„Sennor, ich habe es. Wenn er wirklich da hinauf ist, so habe ich, was Sie wissen wollen, den Punkt, wo der Wert der Hazienda trotz deren Verwüstung für ihn steckt!“

„Nun?“ fragte ich gespannt.

„Zu der Hazienda gehört ein Bergwerk, ein Quecksilberbergwerk. Es ist aber nicht im Betriebe, weil ich keine Arbeiter bekommen konnte und weil die Indianer jene Gegend unsicher machen.“

„Auch das habe ich gehört und – –“

Ich sprach nicht weiter, denn es stieg in mir ein Gedanke auf, welcher mir die Zunge lähmen wollte, ein ungeheuerlicher Gedanke, der aber, zu Melton in Beziehung gebracht, gar nicht so ungeheuerlich war. Es wurde hell in mir; aber mit dieser Helligkeit vergrößerte sich auch die Sorge, welche ich für meine Landsleute gehegt hatte und nun erst recht hegen mußte. Wie hatte ich in Gedanken geforscht und gesucht, ohne zu finden, und doch, wie leicht wäre das Richtige zu treffen gewesen! Ich hatte mit keinem Atem, mit keinem Hauche an jenes alte, eingegangene Bergwerk gedacht. Jetzt nun erkundigte ich mich freilich mit größter Spannung:

„Wo liegt das Bergwerk?“

„Droben in den Yumabergen, fünf Tagereisen von hier.“

„Befindet sich die Fuente de la Roca auf diesem Wege?“

„Ja, freilich, freilich! Das ist es ja, was mich an Sennor Melton irre macht.“

„Ah, sind Sie endlich doch irre geworden? Ich weiß nun, woran ich bin. Melton hat es nicht nur auf das Areal der Hazienda, sondern ganz besonders auf das Quecksilberbergwerk abgesehen. Dort sind Millionen zu finden, wenn man die nötigen Arbeiter dazu hat. Und Sie sind so thöricht gewesen, ihm die Hazienda, die Bergwerke und sogar dazu dreiundsechzig Arbeiter für lumpige zweitausend Pesos zu verkaufen. Nun behaupten Sie, wenn Sie die Güte haben wollen, noch einmal, daß er ein Ehrenmann, ein Caballero ist!“

„Ein Schurke ist er, ein Schuft, ein Dieb und Betrüger, ein Räuber, ein Teufel!“ schrie Timoteo Pruchillo wütend auf. „Und ich bin der größte Esel, den es auf der Erde giebt!“

„Wenn auch nicht der größte, aber ein großer sind Sie allerdings, Don Timoteo. Ich habe Sie gewarnt!“

„Ja, das haben Sie, das haben Sie!“ rief er, indem er sich mit der Faust vor den Kopf schlug. „Hätte ich Ihnen geglaubt!“

„Dann säßen Sie auf Ihrer Hazienda, und wir hätten die Yumas mit blutigen Köpfen zurückgewiesen.“

„Ja, das hätten wir, das hätten wir! Nun aber haben sie mir die Herden genommen, und ich habe nichts, gar nichts mehr!“

„O doch! Zweitausend Pesos haben Sie!“

„Spotten Sie nicht, Sennor!“

„Ich spotte nicht. Sie haben diese zweitausend Pesos und Ihre Herden samt allem, was die Yumas Ihnen abgenommen haben.“

„Sennor, das ist ein grausamer Scherz!“

„Es ist nicht Scherz, sondern Ernst. Ich bin den Yumas nicht nur entkommen, sondern mein Bruder Winnetou hat sie mit den Mimbrenjos, mit denen er mir zu Hilfe kam, sogar gefangen genommen. Sie haben alles hergeben müssen und werden nach den Hütten der Mimbrenjos transportiert, um dort ihre Strafen zu erleiden. Fünfzig Mimbrenjos aber sind mit Ihren Herden unterwegs, um sie nach der Hazienda zu bringen. Wir beide sind vorausgeritten, um Ihnen das zu melden. Wir ahnten freilich nicht, daß Sie die Hazienda verkaufen würden.“

Er stand steif vor Erstaunen, doch war dieses Staunen ein freudiges.

„Die Yuma gefangen – –! Strafe – –! Fünfzig Mimbrenjos – – nach der Hazienda – – mit meinem Vieh – –!“

So stieß er abgebrochen hervor. Dann ergriff er plötzlich meinen Arm, wollte mich nach der Thüre ziehen und bat:

„Kommen Sie, kommen Sie! Schnell, schnell! Wir müssen nach der Hazienda, sofort, sofort!“

„Sie sagen wir? Also meinen Sie mich mit? Was sollte denn ich dort zu suchen haben?“

„Reden Sie nicht so, Sennor, nicht so! Ich weiß wohl, daß Sie allen Grund dazu haben. Ich habe Sie mißachtet, Sie gekränkt und beleidigt. Ich war mit Blindheit geschlagen. Jetzt aber werde ich – – Ah!“ unterbrach er sich, indem er sich an den Beamten wendete. „Da kommt mir ein Gedanke. Ich bekomme meine Herden wieder. Sollte es nicht möglich sein, auch die Hazienda und die Arbeiter mit dem Bergwerke zurückzuerhalten? Der Kauf ist abgeschlossen?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„Ist denn nicht vielleicht ein Fehler vorgekommen, ein unscheinbarer Fehler, welcher ein Loch ergiebt, durch das ich in meinen Besitz zurückkriechen könnte?“

„Nein. Sie selbst haben mich um die größte Vorsicht gebeten und mich gewarnt, ja keinen Fehler zu begehen. Es war Ihnen ja darum zu thun, die zweitausend Pesos nicht etwa wieder hergeben zu müssen.“

„Sie behalten das Geld und bekommen doch die Hazienda!“ tröstete ich ihn. „Er wird gezwungen, Ihnen die Besitzung zurückzuerstatten, und Sie behalten die zweitausend Pesos als Ersatz für den Schaden, den Sie durch den Kauf erlitten haben.“

„Wäre das möglich?“

„Es ist noch viel, viel mehr möglich zu machen. Ich behaupte sogar, daß der Kauf rückgängig gemacht werden kann. Nur müssen wir zu beweisen vermögen, daß Melton die Indianer gedungen hat, die Hazienda zu überfallen und zu verwüsten.“

„Werden Sie diesen Beweis erbringen können, Sennor?“

„Höchst wahrscheinlich. Wenigstens hoffe ich das.“

„O, hätte ich Ihnen doch erst mein Vertrauen geschenkt! Sie sprechen so bestimmt, so sicher. Ihnen scheint alles möglich, was ich für unmöglich halte!“

Da fiel der Apatsche, welcher bisher geschwiegen hatte, ein:

„Für meinen weißen Bruder Old Shatterhand ist nichts unmöglich, was er thun will. Er war gefangen und für den Marterpfahl bestimmt; nun ist er frei und hat seine Peiniger gefangen genommen.“

„Nicht ich, sondern Winnetou hat sie gefangen genommen,“ wehrte ich ab.

„Nein, er ist’s gewesen!“ behauptete er.

„Du hast mir die Mimbrenjos gebracht, ohne welche es nicht hätte geschehen können!“

„Und die Mimbrenjos wären nicht gekommen, wenn Old Shatterhand ihnen nicht einen Boten gesandt hätte!“

„Winnetou, Winnetou wird es gewesen sein, muß es gewesen sein, dem diese That zuzuschreiben ist!“ rief die Dame aus, welche für ihn begeistert war. Seine schönen, ernsten Züge, seine stolze, eherne Gestalt und Haltung hatten den größten Eindruck auf sie hervorgebracht.

„Mag es geschehen sein, wie es will; ich habe mein Eigentum wieder!“ meinte der Haziendero, welcher mehr ans Haben als ans Danken dachte.

„Nein, gerade wie es geschehen ist, daß die Yumas gefangen genommen wurden, das will ich hören!“ sagte die Sennora. „Winnetou wird die Güte haben, es zu erzählen. Ich lade ihn ein, sich neben mir in diese Matte zu setzen.“

Sie deutete auf die neben ihr schwebende Hängematte, in welcher der Haziendero gelegen hatte; sie war frei geworden, weil der letztere jetzt im Zimmer stand.

„Winnetou ist kein Weib,“ antwortete der Häuptling. „Er legt sich nicht in die Fäden und redet nicht von seinen Thaten.“

Sie forderte also mich auf, zu erzählen, und ich that ihr den Willen, indem ich in kurzer Weise das Geschehene berichtete und dabei die Mitwirkung des Apatschen besonders hervorhob. Als ich fertig war, rief sie ganz begeistert aus:

„Das ist ja ganz so, als ob ich es in einem Romane gelesen hätte! Ja, wo Winnetou, der Häuptling der Apatschen, auftritt, da sind solche Abenteuer und Thaten ganz unausbleiblich. Wäre ich ein Mann, ich würde stets mit ihm reiten.“

„Und Winnetou wäre ein Weib, wenn er sich das gefallen ließe!“ antwortete der Apatsche, indem er sich umdrehte und das Zimmer verließ. Ein solches Lob aus solchem Munde war ihm widerwärtig.

„Was hat er nur?“ fragte die Sennora. „Befindet er sich stets in so bissiger Laune?“

„Nein; aber wenn man ihn anbeißen will, so beißt er wieder,“ erklärte ich lachend. „Eine Liebenswürdigkeit wie die Ihrige kann ihn über alle Berge treiben. Wenn man ihn halten will, muß man schweigen und ihn nicht ansehen.“

„Ich werde mir Mühe geben, dies fertig zu bringen, wenn Sie sich bereit erklären, mir einen Dienst zu erweisen. Wann reisen Sie wieder ab?“

„Morgen.“

„In welchem Hause werden Sie wohnen?“

„Das ist noch unbestimmt.“

„Sie werden leicht ein für Sie passendes finden; aber Winnetou lade ich ein, unser Gast zu sein, und stelle ihm unsere zwei besten Zimmer zur Verfügung. Was meinen Sie dazu?“

Den Apatschen wollte sie bei sich haben; ich aber konnte wohnen und bleiben, wo es mir beliebte. Das machte mir Spaß, und darum antwortete ich froh gelaunt:

„Ich halte Ihren Gedanken für originell, Sennora.“

„Nicht wahr? Der arme Wilde muß sich stets im Walde und im Freien herumtreiben; ich will ihm einmal ein feines Quartier bieten, hoffe aber, daß er dafür bereit ist, den Abend in meinem Salon zuzubringen.“

„Versuchen Sie es, indem Sie ihn fragen.“

„Wollen Sie das nicht für mich thun?“

„Wenn es ginge, gern, Sennora; aber es geht nicht. Sie sehen doch ein, daß eine solche Einladung nicht durch eine Mittelsperson überbracht werden darf. Von Ihren schönen Lippen ausgesprochen, hat sie doppelten Wert. Sie werden jedenfalls Damen für den Abend zu sich laden?“

„Natürlich! Den berühmten Winnetou vorstellen zu können, ist ein Vorzug, um den mich alle meine Freundinnen lebenslang beneiden werden.“

Es handelte sich also um eine Schaustellung, und ich freute mich schon im voraus auf die Antwort des Apatschen. Übrigens wurde sogleich schon von zwei anderen Seiten Einwand erhoben. Nämlich der Beamte, welcher gar wohl bemerkt hatte, welchen Eindruck der schöne Indianer auf seine Frau gemacht hatte, mochte eine Anwandlung von Eifersucht empfinden und kam zu ihr herüber, um ihr einige zwar leise, aber eindringliche Bemerkungen in das Ohr zu flüstern. Sie schob ihn, ohne ihn aussprechen zu lassen, einfach zurück. Den andern Einwand erhob der Haziendero, indem er zu mir sagte:

„Bis morgen wollen Sie hier bleiben? Das ist nicht möglich! Sie müssen noch heute mit mir nach der Hazienda. Sie müssen mir behilflich sein, meine Besitzung zurückzuerlangen!“

Da dies in einem Tone gesprochen war, als ob sich die Erfüllung seines Wunsches ganz von selbst verstehe, als ob er das Recht besitze, eine solche Forderung auszusprechen, so antwortete ich: „Ich muß? Wer behauptet das? Es giebt für mich kein Müssen.“

„Das habe ich auch nicht sagen wollen; aber die Rücksicht auf Ihre Ehre und auf mich erfordert, daß Sie keinen Augenblick zögern, das zu vollenden, was Sie angefangen haben.“

„An die Rücksicht auf meine Ehre brauche ich nicht erinnert zu werden. Nichts, was ich thue, geschieht, ohne daß ich meine Ehre dabei in Betracht ziehe. Ich bin keineswegs entehrt, wenn ich mich jetzt um Ihre Hazienda nicht mehr kümmere. Und sodann reden Sie von einer Rücksicht für Sie. Was oder wer verpflichtet mich denn, Sie zu berücksichtigen? Ich kam zu Ihnen und warnte Sie; Sie jagten mich fort; ich mußte sogar die Beleidigungen Ihres unverschämten Majordomo mit Gewalt von mir weisen, und Sie sahen vom Fenster aus zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich bat Sie, Melton nicht mitzuteilen, daß ich Sie vor ihm gewarnt hatte, und als er kam, hatten Sie nichts Eiligeres zu thun, als ihm Wort für Wort alles mitzuteilen. Diese Schwatzhaftigkeit hätte mich in den sicheren Tod getrieben, wenn ich nicht der gewesen wäre, der ich bin; denn Melton ritt mit uns, um mir aufzulauern und mich umzubringen; aber da ich dies erriet, lief er in meine, anstatt ich in seine Hände.“

„Warum werfen Sie mir das vor?“ fragte er. „Vorwürfe können nichts ändern.“

„An dem Geschehenen können sie freilich nichts ändern, aber auf das, was geschehen wird, werden sie jedenfalls Einfluß haben. Ich hoffe sogar, daß meine wohlberechtigten Vorwürfe den von mir beabsichtigten Erfolg haben werden, daß Sie selbst sich ändern.“

„Sennor, Sie werden unhöflich!“

„Nein, sondern nur aufrichtig, und zwar zu Ihrem Besten. Als Sie mich hinausgeworfen hatten, blieb ich doch in der Nähe Ihrer Besitzung. Sie hatten mir verboten, die Grenze derselben zu überschreiten; ich konnte also die notwendigen Beobachtungen nicht bei Ihnen machen und war gezwungen, die Indianer zu belauschen. Dabei geriet ich in die Hände derselben. Ihr Verbot hat mich also in die Gefangenschaft getrieben. Meinen Sie, daß ich Ihnen dafür zu Dank verpflichtet bin? Sie sind übrigens dafür bestraft worden, denn nur meine Gefangenschaft ermöglichte es den Yumas, den Überfall glücklich auszuführen. Dennoch behielt ich trotz meiner eigenen Hilflosigkeit Ihren Verlust im Auge, und als ich mich befreit hatte, dachte ich sofort daran, Ihnen wieder zu Ihrem Eigentume zu verhelfen. Daß mir dies gelungen ist, habe ich erzählt. Ihr Eigentum ist gerettet, und Ihre Herden befinden sich unterwegs zu Ihnen. Das habe ich Ihnen gesagt. Aus meiner Erzählung wissen Sie, welche Anstrengung es gekostet hat und in welche Gefahr besonders Winnetou und ich mich begeben haben, um die Yumas und ihre Beute in unsere Gewalt zu bekommen. Sagen Sie einmal, ob Sie dies gewagt und auch fertiggebracht hätten!“

„Wohl schwerlich, Sennor.“

„Schön! Und nachdem Sie das alles erfahren haben, fordern Sie mich auf, Ihnen weiterzuhelfen. Sie bitten nicht, sondern Sie fordern. Nun frage ich Sie, welches Interesse ich für Sie oder an Ihnen habe? Sie haben gehört, was wir für Sie gethan haben; aber haben Sie auch nur ein einziges Wort des Dankes hören lassen? Ich wurde von Ihnen beleidigt, hinausgeworfen, in die Gefangenschaft getrieben, habe für Sie mein Leben gewagt und soll es wohl auch ferner wagen, und Sie sagen mir kein einziges Wort, während ich mich herzlich bedanke, wenn mir jemand einen Schluck Wasser bietet! Das meinte ich, als ich davon sprach, daß Sie sich zu ändern haben. Ich bin hier ein deutscher Barbar genannt und sogar gefragt worden, ob ich lesen kann, mache aber die Erfahrung, daß man hier nicht einmal weiß, daß einer, für den ein anderer sein Leben in die Schanze geschlagen hat, die heilige Verpflichtung besitzt, sich bei diesem zu bedanken. Und ich habe für Sie noch mehr gethan! Das war eine lange Rede; der kurze Sinn derselben ist: Sehen Sie nun selbst, wie Sie weiterkommen! Ich habe keine Lust, mich als Dank für meine Güte an meine Pflicht und Ehre erinnern zu lassen!“

Ich that, als ob ich gehen wolle; da ergriff er mich beim Arme und bat:

„Bleiben Sie doch, Sennor, bleiben Sie! Was ich unterließ, ist aus Vergeßlichkeit unterblieben!“

„Da kennen Sie sich nicht so gut, wie ich Sie trotz der kurzen Zeit kennen gelernt habe. Es ist nicht Vergeßlichkeit, sondern etwas anderes. Sie halten sich für so erhaben über einen deutschen Barbaren und sogar über einen Mann, wie Winnetou, daß Sie nicht zu bitten, sondern nur zu fordern und zu gebieten haben. Gehen Sie doch einmal hinüber nach Deutschland, um zu erfahren, daß dort jeder Knabe mehr weiß und mehr gelernt hat, als Sie in ihrem ganzen Leben jemals wissen und lernen werden! Und die Herrschaften, welche sich hier so bequem in ihren Matten schaukeln, mögen die finsteren und blutigen Gründe des wilden Westens aufsuchen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß das kleinste Glied des kleinen Fingers von Winnetou mehr Kraft, Geschick und Adel besitzt, als in euerm Ures überhaupt zu finden ist. Ich bin hier nicht heute, sondern schon vorher von oben herab behandelt worden; jetzt schaut einmal von unten herauf, ob ich nicht die Veranlassung und das Recht besitze, euch zur Anklage zu bringen! Ich habe hier um Schutz für die Einwanderer nachgesucht und bin abgewiesen worden. Ihr habt den Kauf abgeschlossen und damit die braven Leute mit ihren Kindern in die Gewalt eines Verbrechers getrieben. Sagt mir einmal, was ich eigentlich hiernach zu thun hätte!“

Ich bekam keine Antwort; sie schwiegen. Da steckte der Apatsche den Kopf zur Thür herein und fragte:

„Ist mein Bruder fertig? Winnetou hat keine Lust, hier länger zu verweilen.“

Rasch war der Haziendero bei ihm, nahm seine Hand und bat:

„Kommen Sie noch einmal herein, Sennor! Ich bitte Sie dringend. Sie wissen, daß ich ohne Ihren Rat nichts machen kann.“

Der Apatsche trat herein, sah ihn ernst an und meinte:

„Hat das Bleichgesicht sich bei meinem Bruder Shatterhand bedankt?“

Es war wirklich, als ob er allwissend sei! Mit seiner kurzen Frage brachte er ganz denselben Vorwurf, über den ich eine so lange Rede gehalten hatte.

„Es fand sich noch keine Gelegenheit dazu. Wir haben uns ja noch nicht ausgesprochen,“ lautete die Entschuldigung. „Sie wollen bis morgen hier bleiben?“

Winnetou nickte. Und doch hatte ich es nicht mit ihm verabredet. Aber es verstand sich ganz von selbst, daß wir auch hier die gleichen Gedanken hatten.

„Darüber vergeht aber eine kostbare Zeit, in welcher Wichtiges gethan werden könnte!“ erinnerte der Haziendero.

„Das Wichtigste ist, daß unsere Pferde Kräfte bekommen,“ entgegnete Winnetou. „Von welchen Leistungen redet überhaupt das Bleichgesicht? Old Shatterhand und Winnetou haben nichts dagegen, wenn es seine Absicht ist, noch heute etwas zu leisten. Er mag es immerhin thun, aber selbst!“

„Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich ohne Ihre Hilfe nichts fertig bringe.“

„So mag das Bleichgesicht Old Shatterhand bitten. Was dieser thut, thue ich auch.“

Bitten fiel dem Haziendero schwer, aber er that es doch; er brachte es sogar fertig, sich für das bisher Geschehene zu bedanken, aber nicht auf freie Anregung seines Herzens, sondern aus Rücksicht auf den Nutzen, den er davon zu haben hoffte. Der Mann konnte nicht dafür, daß er kein Gemüt besaß; Gemüt besitzt überhaupt nur der Germane. Ich hätte ihn nicht im Stiche gelassen, auch wenn ich nicht aus Rücksicht für meine Landsleute gezwungen gewesen wäre, den Fußstapfen Meltons zu folgen. Darum antwortete ich auf seine Bitten:

„Gut, wir wollen uns auch fernerhin Ihrer annehmen. Aber sagen Sie uns einmal, was nach Ihrer Meinung nun zu geschehen hat!“

„Ich denke eben, daß wir gleich aufbrechen sollten, um Melton einzuholen und zu arretieren.“

„Unsere Pferde würden unter uns zusammensinken; zudem müssen Sie bedenken, daß wir ebensolange wie unsere Tiere unterwegs gewesen sind. Wir haben in zwei und einem halben Tag sechs reichliche Tagemärsche zurückgelegt, und ich glaube nicht, daß Sie, Sennor, nach einer solchen Leistung im stande wären, einen Parforceritt hinauf nach der Fuente und in die Yumaberge zu machen. Wir bedürfen sehr der Ruhe, denn wir sind keine Götter, sondern Menschen, und werden also bis morgen bleiben. Wenn Sie es so eilig haben, so können Sie vorausreiten. Nehmen Sie einige Polizisten mit!“

Da schlug die Sennora die Hände zusammen und rief:

„Das ist ein prächtiger Gedanke! Vorausreiten und einige Polizisten mitnehmen! Was sagst du dazu, mein Männchen?“

„Wenn es dir recht ist, so ist der Gedanke allerdings ein sehr glücklicher,“ antwortete der Gefragte.

„Sogar ein außerordentlich glücklicher! Hast du nicht deinen Ayudo, welcher alle deine Arbeiten und Obliegenheiten zu erledigen versteht, so daß du einmal eine kleine Reise unternehmen kannst?“

Er war wohl seit langer Zeit nicht so glücklich gewesen, einmal die Zügel nicht zu fühlen, welche sie mit ihren schönen Händen führte. Eine kleine Reise! Und zwar allein, nicht mit ihr! Welch ein Gaudium! Sein Gesicht glänzte förmlich vor Vergnügen; aber er erkundigte sich doch in vorsichtiger Weise:

„Wohin wollen wir reisen, meine Seele?“

Das Wörtchen „wir“ betonte er besonders. Sie machte ihm das Herz leicht, indem sie antwortete:

„Ich bleibe daheim.“

Hatte sein Gesicht vorher geglänzt, so strahlte es nun vollständig, als er fragte:

„Wohin soll ich gehen?“

„Ich gebe dir Gelegenheit, eben solchen Ruhm zu erwerben, wie Winnetou selbst. Da Don Timoteo einige Polizisten wünscht, so reitest du selbst mit und kommandierst einige Ofiziales de la polizia zu deiner Begleitung.“

Sein Gesicht hörte plötzlich auf, zu strahlen; es zog sich in bedenkliche Falten und wurde ungeheuer lang. Beinahe bebend erklangen seine Worte:

„Ich – ich selbst soll mit in die Berge, und zwar reitend?“

„Natürlich, denn gehen kannst du einen solchen Weg doch nicht!“

„Meinst du nicht, daß ein solcher Ritt etwas – – etwas anstrengend, vielleicht sogar gefährlich ist?“

„Für einen Caballero giebt es keine Gefahr. Also?!“

Sie warf ihm einen gebieterischen Blick zu, auf welchen der arme Teufel nur die eine Antwort hatte:

„Ja, wenn du meinst, so reite ich mit, mein Herz!“

„Ich meine es; freilich meine ich es! In einem kleinen Stündchen hast du alles beisammen, die Wäsche, das Pferd, die Cigaretten, Seife zum Waschen, zwei Pistolen, Handschuhe, das nötige Geld, mit dem ich dich reichlich versehen werde, Schokolade, eine Flinte und ein Kopfkissen, damit du, wenn ihr gezwungen sein solltet, einmal in einem schlechten Bette zu schlafen, nicht tief zu liegen brauchst und schlimme Träume hast. Du siehst, wie ich für dich sorge. Nun sorge auch du dafür, daß meine Erwartungen erfüllt werden. Kehre ruhmbedeckt zurück. Einem Juriskonsulto, wie du bist, kann dies nicht schwer werden. Meinen Sie nicht auch, Sennor?“

Diese Frage war an mich gerichtet; ich antwortete also:

„Ich stimme Ihnen vollständig bei, Sennora, soweit die Rechtsgelehrsamkeit bei einem solchen Ritte zu statten kommt.“

„Hörst du es?“ fragte sie ihren Mann. „Der Sennor ist mit mir einverstanden. Wann werden Sie aufbrechen, Don Timoteo?“

„In einer Stunde,“ antwortete der Gefragte, welcher wohl gerne mit mir und Winnetou, nicht aber mit dem Pantoffelhelden geritten wäre, sich indessen gezwungen sah, auf den lächerlichen Plan der Dame einzugehen.

Der „Juriskonsulto“ machte ein Gesicht, über welches man hätte zugleich weinen und auch lachen mögen. Aus der schönen, kleinen Reise war ein gefährlicher, wenigstens ein anstrengender Ritt geworden. Das Kopfkissen, welches er mitbekommen sollte, war wohl kaum im stande, das Grauen, welches er empfand, zu mildern. Er mochte mir ansehen, daß ich eine Art von Mitleid mit ihm fühlte, denn er warf mir einen flehenden Blick zu, in der Hoffnung, daß ich mich seiner annehmen und den Versuch machen werde, seine Gattin von ihrer für sie pikanten, für ihn aber höchst fatalen Marotte abzubringen, doch vergeblich. Ich war ausnahmsweise einmal hart. Unserer Angelegenheit konnte es keinen Schaden bringen, wenn der Beherrscher von Ures einmal in die Berge ritt, um sich Ruhm zu sammeln und anstatt dessen nur die abgeschundene Haut seiner Beine und einen steifen Rücken mit nach Hause brachte. Ich war bei meiner ersten Anwesenheit mit meinem Gesuche auf eine mehr als ärgerliche Weise abgewiesen worden und glaubte, mir ohne Gewissensbisse das kleine Vergnügen, ihn blamiert zu sehen, dafür gönnen zu dürfen. Darum nahm ich mich seiner nicht im mindesten an und sagte im Gegenteile zu dem Haziendero:

„Höchst wahrscheinlich werden Sie Melton fangen, ehe wir Sie eingeholt haben. Wir sind aber als Zeugen nötig. Wo werden wir Sie treffen?“

„Wir werden an der Fuente de la Roca auf Sie warten,“ antwortete er.

„Welchen Weg nehmen Sie hinauf?“

„Den über die Hazienda.“

Das war mir nicht lieb. Er konnte auf unsere beiden Mimbrenjos oder gar auf den Player stoßen und uns dadurch das Spiel verderben. Doch fiel es mir nicht ein, ihm abzuraten, denn ich wußte, daß der Zweck, den ich verfolgte, durch das Gegenteil viel leichter und sicherer zu erreichen sei. Darum meinte ich zustimmend:

„Sehr gut, Don Timoteo! Sie werden uns dadurch einer ziemlich schweren Arbeit überheben, denn der Player, von dem ich ihnen erzählt habe, treibt sich jedenfalls noch dort herum. Er muß natürlich festgenommen werden, und da er ein sehr verwegener Kerl ist und mit der Büchse ebensogut wie mit dem Messer umzugehen versteht, so ist das mit Lebensgefahr verbunden. Er wird sich ganz verzweifelt wehren, und da ich weiß, daß er es gut und gern mit zwei und auch drei kräftigen Männern aufnimmt, so ist es mir lieb, daß Sie diesen Weg einschlagen. Sie kommen eher hin, werden ihn gefangen nehmen, und wenn wir nachkommen, ist die Arbeit geschehen. Lassen Sie sich aber ja nicht aus dem Hinterhalte erschießen! Er hat seine Mordthaten alle heimlich ausgeführt.“

Diese Worte wirkten, denn Don Timoteo verfärbte sich, und der Beamte war aschfahl geworden. Ich war überzeugt, daß sie die Hazienda meiden würden.

Die Sennora aber rief ihrem untergebenen Vorgesetzten oder vorgesetzten Untergebenen zu:

„Hast du es gehört? Das ist eine That, welche deiner würdig ist. Ich hoffe, daß du den gefährlichen Verbrecher ergreifst und ihn keinem andern überlässest! Du wirst dafür täglich zwei Cigaretten mehr rauchen dürfen als bisher.“

Er machte ein Gesicht, als ob er selbst soeben ergriffen und arretiert worden sei. Sie bemerkte das nicht, warf mir einen fast mitleidigen Blick zu und fuhr fort:

„Sie scheinen auch nicht der Held zu sein, für den wir Sie halten sollen, Sennor, sonst würden Sie sich nicht so darüber freuen, daß der Player schon gefangen ist, wenn Sie hinkommen.“

„Allerdings freue ich mich, und das kann mir niemand übel nehmen. Der Mann ist wirklich mehr als lebensgefährlich. Jede Kugel, welche trifft, macht ein Loch in die Haut.“

„Und Sie sind wohl kein Freund von solchen Löchern?“

„Nein, denn wenn sie zu tief gehen, ist’s zu Ende mit einem.“

„So gebe ich Ihnen freilich den Rat, sich hübsch in acht zu nehmen, daß Ihre liebe Haut nicht verletzt wird. Mein Mann aber weiß, daß dem Mutigen die Welt gehört und dem Kühnen das Glück günstig ist. Meine Seele wird ihn umschweben und beschützen. Meinst du nicht, lieber Mann?“

„Ja,“ nickte er mit einem Gesichte, als ob er Pfefferkörner anstatt Korinthen zerbissen hätte. „Vergiß aber nicht, mir auch ein Kissen auf den Sattel legen zu lassen, damit ich das Pferd nicht allzusehr drücke!“

Sie schlüpfte aus ihrer Hängematte und ging an mir vorüber, ohne mich anzusehen. Ich war in ihren Augen ein feiger Wicht, der sich fürchtete, ein Loch in die Haut zu bekommen. Vor Winnetou aber blieb sie stehen, ließ ihn ihr liebenswürdigstes Lächeln sehen und fragte:

„Sennor Winnetou, Sie haben also wirklich die Absicht, die Nacht hier in Ures zu verbleiben?“

Das Gesicht, mit welchem der Apatsche auf sie niederblickte, war nicht zu beschreiben. Was sich in demselben aussprach, war Mitleid und zugleich Erstaunen darüber, daß sie es wagte, ihn direkt anzureden. Ich verstand seinen Blick und antwortete an seiner Stelle:

„Ja, wir bleiben bis morgen da.“

„Warum antworten denn Sie? Lassen Sie doch Winnetou reden!“ sagte sie, indem sie mir einen verächtlichen Blick zuwarf. „Er hat gehört, daß ich ihn verehre, und wird mich doch wohl seine Stimme hören lassen.“

Sie wiederholte ihre Frage, und da er nun zu antworten gezwungen war, nickte er bejahend.

„So gebe ich mir die Ehre, Sie einzuladen, mein Gast zu sein,“ fuhr sie fort. „Wollten Sie die Einladung annehmen, so würden Sie mich sehr beglücken.“

„Meine weiße Schwester mag glücklich sein,“ antwortete er. „Ich nehme an.“

„Und ich darf Damen zu mir laden, welche Winnetou feiern werden?“

„Winnetou weiß, daß die Bleichgesichter Bären fangen und einsperren, um sie sehen zu lassen; aber er ist kein Bär.“

„Also kein Fest?“ fragte sie mit sehr enttäuschtem Gesichte.

„Nein,“ sagte er, drehte sich um und ging hinaus; ich folgte ihm, und wir entfernten uns, ohne ein Wort des Abschiedes zu verlieren. Wir hatten in der Stadt nichts zu suchen. Einige Kleinigkeiten kauften wir ein; dann holten wir unsere Pferde und führten sie vor die Stadt hinaus ins Freie, wo wir uns wohler befanden als im Innern derselben. Es gab da ein laufendes Wasser und saftiges Gras für die Pferde. Wir legten uns nieder, einen tüchtigen Schlaf zu thun. Noch ehe wir eingeschlafen waren, sahen wir die Helden vorüberreiten. Die Dame hatte also, trotzdem wir fort waren, auf der Ausführung des Planes bestanden. Der kleine Trupp bestand aus fünf Personen, dem Haziendero, drei Polizisten und dem „Juriskonsulto“. Die vier trugen ihre Uniformen, was selbst den ernsten Winnetou zum Lachen nötigte, ihm aber doch kein Wort des Witzes oder Spottes abzuringen vermochte. Die Pferde waren gut; der Haziendero und die drei Polizisten ritten ganz leidlich; der von seiner Gattin „Juriskonsulto“ genannte aber bildete eine weniger reizende Figur. Er hatte ein Kissen unter sich, und eines hinter sich angeschnallt. Beide glänzten aus der Ferne zu uns herüber; sie waren also wohl mit feinem weißen Leinen „neuwaschen“ überzogen worden. Wer sich zu einem Ritte in die wilden Berge hinauf mit solchen Ausrüstungsgegenständen versieht, wird alles andere verrichten, aber nur keine Heldenthaten! „Glück auf den Weg, mein Feldherr!“ dachte ich und machte die Augen zu, fest überzeugt, daß die fünf Reiter nicht über vielen und großen Ruhm auf ihrem Pfade stolpern würden.

Wir schliefen, ohne gestört zu werden, den Nachmittag und die Nacht, also viel besser und länger, als wir in der Stadt, in einem Hause und Bette geschlafen hätten. Die Pferde hatten wir nicht angebunden, da wir ihrer sicher waren; die beiden Tiere waren treu und wachsam wie die Hunde; sie gingen nicht von uns fort, und hätten uns sogar gewiß geweckt, falls jemand in unsere Nähe gekommen wäre. Als wir uns in den Sattel setzten, ging eben die Sonne auf. Wir waren frisch und munter, und auch die Pferde hatten sich vollständig erholt und wieherten freudig in die frische Morgenluft hinaus.

Wir ritten natürlich nach der Hazienda zurück, und zwar folgten wir während der ersten Stunden der Fährte unserer fünf Helden, welche von gestern her noch leidlich im Grase zu sehen war. Dann lenkte dieselbe von unserer Richtung scharf rechts ab.

„Mein Bruder Shatterhand hat sie richtig beurteilt,“ sagte Winnetou. „Sie reiten nicht über die Hazienda, weil sie sich vor dem Player fürchten. Das weiße Weib wird mit ihrem nicht stillstehenden Munde nicht viel Rühmenswertes von ihrem Manne zu erzählen haben. Uns aber werden die Männer vielleicht Ärger bereiten.“

„Möglich!“ antwortete ich. „Aber groß wird er nicht sein, und ich will einen kleinen Ärger sehr gern auf mich nehmen, wenn ich mir bei demselben sagen kann, daß der selbstsüchtige und undankbare Haziendero und der lächerliche Rechtsgelehrte ihrer Strafe entgegenreiten.“

„Ist mein Bruder auf einmal rachsüchtig geworden?“

„Das nicht; aber ich habe mich über beide geärgert und sage mir, daß eine etwas kräftige Belehrung ihnen gar nichts schaden kann. Sie werden dann das, was wir gethan haben, besser beurteilen und also schätzen lernen.“

Unser Ritt verlief, ohne daß sich während desselben etwas Erwähnenswertes ereignete, und es war kurz vor Tagesanbruch, als wir die Grenze der Hazienda erreichten. Das Feuer war nicht bis an die Stelle, wo wir anhielten, gedrungen; es befand sich dort ein Buschwerk, welches sich zum Verstecke eignete, und dieses hatten wir unsern beiden Mimbrenjos als Rendezvous bezeichnet. Sie waren da, und zwar mit ihren Pferden, und kamen, als sie uns hörten, aus dem Gesträuch gekrochen.

„Ihr seid beide da?“ sagte ich. „Das ist ein Zeichen, daß ihr den Player nicht zu bewachen braucht. Liegt der irgendwo fest, oder ist er fort?“

„Er war fort, ist aber wieder zurück, und hat sich nicht weit von hier am Bache schlafen gelegt,“ antwortete der Yumatöter.

„Wie weit er fort war, wißt ihr nicht?“

„Wir wissen es, indem wir es berechnen. Als Old Shatterhand und Winnetou sich entfernt hatten, übergab ich meinem Bruder unsere Pferde und folgte der Spur des Bleichgesichts, welches Player heißt. Meine beiden berühmten Brüder wissen, daß dieselbe über die Höhe hinab in den Wald führt. Dort hat das Bleichgesicht sein Pferd stehen gehabt und es sofort bestiegen, um eiligst fortzureiten. Die Hufspuren zeigten, daß die Schritte nicht langsam gewesen waren. Ich folgte ihnen, bis der Wald zu Ende ging, und sah, daß er von dort aus Galopp geritten war.“

„Wie war die Gegend beschaffen?“

„Mit Gras bewachsen und eben, mit wenigen niedrigen Hügeln.“

„Ging seine Spur geradeaus wie der Weg eines Flüchtlings, welcher möglichst schnell entkommen will?“

„Nein, sondern in Windungen zwischen den Hügeln hindurch, über welche er hätte kommen müssen, wenn er geradeaus geritten wäre.“

„So ist die Absicht, uns zu entkommen, nicht der einzige Grund dafür, daß er Galopp geritten ist; es giebt noch einen andern. Hätte ihn allein die Angst vor uns getrieben, so wäre sein Weg wie der Flug einer Kugel gewesen, welche nicht nach rechts und nicht nach links abweicht. Wer aber so eilig ist, ohne jemand hinter sich zu haben, der ihn treibt, der muß jemand vor sich haben, zu dem er schnell kommen will. Es giebt also in der Richtung, in welcher er davongeritten ist, Leute, denen er sein Zusammentreffen mit uns hat melden wollen.“

„Ja. Ich folgte seiner Fährte nicht aus dem Walde hinaus ins Freie, weil er sonst bei seiner Rückkehr meine Spur gesehen hätte, sondern ging zu meinem jüngern Bruder, um zunächst mit ihm die Pferde zu verstecken und dann nach der Stelle zurückzukehren, an welcher die Fährte des Player aus dem Walde in das Freie trat. Dort legten wir uns weit voneinander, um eine größere Strecke übersehen zu können, auf die Lauer.“

Das war so umsichtig gehandelt, daß ich es nicht hätte besser machen können.

„Haben meine jungen Brüder ihn wiederkommen sehen?“ fragte ich.

„Ja, gestern, als die Sonne gerade auf ihrem höchsten Punkte stand.“

„Also Mittwoch zur Mittagszeit, und Montag kamen wir hier an. Der Ort, wo er gewesen ist, liegt also einen Tagesritt von hier entfernt. In welcher Richtung?“

„Nach Ost.“

„Also nach der Fuente zu. Wir werden wohl erfahren, ob dort auch nur ein einzelner Posten steht, oder ob mehrere sich dort befinden. Es scheint, daß man eine Postenkette von hier aus gelegt hat, damit, falls hier etwas Wichtiges geschieht, die Nachricht davon weitergegeben werden kann.“

„Es müssen sich mehrere Indianer dort befinden, denn der Player hat ein weißes Pferd gehabt und ist auf einem schwarzen zurückgekehrt.“

„Ein weißes? Du hast es doch nicht gesehen!“

„Nein; aber da, wo es im Walde angebunden gewesen ist, hing an einem kleinen Zweige ein weißes Schwanzhaar, weiches nur von einem Schimmel herrühren konnte. Und als er zurückkam, saß er auf einem Rappen, welcher nicht für ein Bleichgesicht, sondern für einen roten Krieger aufgeschirrt war.“

„Hm! So besteht der Posten, zu dem er sich begeben hat, allerdings aus mehreren Indianern. Er hat sein ermüdetes Pferd abgegeben und für dasselbe ein frisches genommen, um schnell zurückkehren zu können. Die Botschaft, welche er brachte, mußte auf einem ebenso frischen Pferde weitergetragen werden. Daraus folgt, daß mehrere ausgeruhte Pferde und also auch mehrere Reiter vorhanden gewesen sind. Das ist gut, zu wissen, obgleich wir ihn wohl zwingen werden, uns Antwort zu geben. Meine Brüder wissen also, wo er sich jetzt befindet?“

„Ja. Wir haben gesehen, wo er sich niederlegte, und da er ermüdet war, wird er den Ort noch nicht verlassen haben, sondern fest schlafen.“

„So führt uns jetzt zu ihm, damit wir ihn überraschen!“

Wir banden unsere Pferde an und folgten den Brüdern in der Richtung nach dem Gemäuer der Hazienda. Es dämmerte bereits, und bald sahen wir den wie einen Priester gekleideten Halunken unweit einer Krümmung des Baches liegen. Es war das eine sehr gut gewählte Stelle, da sie so lag, daß jeder Schall und jedes Geräusch von allen Richtungen nach derselben getragen wurde. Er hatte eine Decke unter dem Kopfe, und neben ihm lag ein Gewehr, welches ich bei unserm ersten Zusammentreffen nicht bei ihm gesehen hatte. Er schlief fest. Wir näherten uns ihm mit unhörbaren Schritten und setzten uns so um ihn nieder, daß wir ein Viereck bildeten und ihn zwischen uns hatten. Sein Gewehr nahm ich natürlich weg und legte es so weit fort, daß er es nicht erlangen konnte. Wir hatten Zeit, da wir unsere Pferde ruhen lassen mußten, und warteten also, ohne ihn aufzuwecken, uns innerlich über sein Erwachen freuend. Da sein langer Rock nicht zugeknöpft war, sahen wir, daß er unter demselben einen Gürtel trug, in welchem ein Bowiekneif steckte. Auch die Griffe von zwei großkalibrigen Revolvern sahen aus demselben hervor.

Indem ich sehr langsam und äußerst vorsichtig vorging, gelang es mir, das Messer und einen der Revolver hervorzuziehen; der andere steckte aber fester, und so kam es, daß er die Berührung fühlte und darüber erwachte. Schnell und ohne Schlaftrunkenheit, wie ein echter Westmann, richtete er sich in sitzende Stellung auf und fuhr mit beiden Händen in den Gürtel, aus welchem ich den zweiten Revolver natürlich vollends rasch herausgezogen hatte. Aber so ganz geistesgegenwärtig, wie zum Beispiel Winnetou in solcher Lage gewesen wäre, war er doch nicht. Er starrte uns mit großen Augen an und öffnete den Mund, um zu sprechen, brachte aber nichts hervor.

„Good morning, Master Player!“ grüßte ich. „Ihr habt sehr fest und gut geschlafen, und das war Euch nach dem weiten Ritte, den Ihr seit Montag gemacht habt, wohl zu gönnen.“

„Was – wißt Ihr – von meinem – – Ritte?“ brachte er nun doch hervor.

„Fragt doch nicht so dumm! Leute wie wir werden doch wissen, wo Ihr gewesen seid! Da oben bei den Roten, um zu melden, wen Ihr hier gesehen habt, und Euern Schimmel gegen einen Rappen umzutauschen.“

„Wahrhaftig, er weiß es! Was wollt ihr hier, Sir? Warum treibt ihr euch nun mehrere Tage lang in dieser tristen Gegend herum, wo für Mensch und Tier nichts mehr zu finden ist?“

„Ganz dasselbe könnte ich Euch fragen, will es aber unterlassen, weil es überflüssig ist. Aber vorstellen möchte ich mich Euch. Oder habe ich Euch meinen Namen schon am Montag genannt?“

„Ist nicht nötig, denn wo man Winnetou sieht, ist sicher auch Old Shatterhand zu finden. Daran dachte ich am Montag nicht sogleich.“

„Glaube es! Denn hättet Ihr daran gedacht, so wäret Ihr nicht ausgerissen. Ihr habt doch jedenfalls gehört, welch ein guter und sogar intimer Freund von Melton und den Wellers ich bin, und da Ihr mit diesen Gentlemen so eng verbunden seid, ist Eure Flucht eigentlich ein Unsinn zu nennen. Es war auch vollständig überflüssig, den Indianern die Botschaft zu überbringen. Wir können das viel besser als Ihr besorgen, denn wir wollen ja auch hinauf.“

„Nach Almaden alto?“ entfuhr es ihm.

Das war der Name des Quecksilberbergwerkes, welches man nach dem berühmten spanischen Quecksilberbergwerke Almaden so genannt hatte. Almaden alto heißt Hoch Almaden – weil es hoch in den Bergen liegt.

„Ja, nach Almaden alto,“ antwortete ich, „und vorher nach der Fuente de la Roca, um meinem Freunde Melton eine Visite zu machen. Er ist krank an den Händen, wie Ihr wißt. Es ist einer so rücksichtslos gewesen, ihm die Hände aus den Gelenken zu drehen, und so muß ich als guter Freund doch einmal hin, um nach seinem Befinden zu fragen. Man kennt doch die Verpflichtungen, welche die Freundschaft einem auferlegt!“

Er wußte natürlich recht gut, was geschehen war; er mußte es erfahren haben. Und so verstand es sich ganz von selbst, daß er meine Worte als das nahm, was sie waren – Hohn. Seine Lage war keine angenehme; das sah er ein; aber wenn er auch wußte, daß er von Winnetou nichts Gutes zu erwarten hatte, so hatte er demselben doch keinen Grund zur persönlichen Rache gegeben, und mir war von ihm ja erst recht nichts geschehen. Darum fühlte er sich wenigstens in Beziehung auf sein Leben und seinen Körper für sicher und nahm an, daß es geraten sei, uns keine Furcht zu zeigen, sondern im Tone begründeter Befremdung zu fragen:

„Was geht mich Euer Verhältnis zu Melton an? Daß Ihr ein Freund von ihm seid, habe ich mir gleich am Montage denken können, da Ihr nach ihm fragtet und von meinem Hiersein unterrichtet waret. Aber was Ihr von mir wollt, das geht mich etwas an! Ihr habt Euch heimlich herangeschlichen, mich umringt und mir die Waffen genommen. Warum das? Ich habe Old Shatterhand stets für einen ehrlichen Mann gehalten!“

„Der bin ich auch, und darum habe ich eine so intime Bekanntschaft mit Melton und den beiden Wellers gemacht; sie werden Euch viel Liebes und Gutes von mir erzählt haben?“

„Sie haben allerdings von Euch gesprochen. Ich hörte von ihnen, daß Ihr in Gefangenschaft der Yumas geraten wäret und am Marterpfahle sterben solltet, und sehe nun zu meinem Erstaunen, daß Ihr Euch schon wieder auf freiem Fuße befindet.“

„O, darüber braucht Ihr nicht zu erstaunen. Ihr werdet wahrscheinlich gehört haben, daß ich schon öfters Gefangener gewesen bin und am Pfahle habe sterben sollen; aber wie es scheint, pflegt es den Roten nicht so leicht zu werden, mich festzuhalten. Ich besitze die für sie fatale Eigentümlichkeit, sie immer wieder ohne Abschied im Stiche zu lassen und darauf unvermutet wiederzukommen, um mich ihnen erkenntlich zu zeigen. So ist es auch diesmal gewesen. Ich bin den Yumas davongelaufen und dann zurückgekehrt, um sie gefangen zu nehmen.“

Ich teilte ihm von dem, was geschehen war, in kurzer Weise so viel mit, wie ich für nötig hielt. Die Wirkung zeigte sich sofort.

„Was? Die Mimbrenjos kommen?“ fragte er, indem er sich entfärbte.

„Ja, sie kommen. Ihr seht schon zwei ihrer jungen Krieger hier bei mir. Das scheint Euch zu erschrecken. Wahrscheinlich steht Ihr mit den Mimbrenjos auf etwas gespanntem Fuße. Wenn das ist, so bin ich gern bereit, mich Eurer anzunehmen, so daß sie Euch nichts anhaben können.“

„Das wäre mir lieb, sehr lieb!“ beteuerte er eifrig. „Ich habe nicht die Absicht, ihnen zu begegnen.“

„Schön! Ich werde Euch helfen, indem ich Euch mit mir nehme in die Yumaberge zu unserm Freunde Melton.“

Seine Verlegenheit wuchs. Er wußte genau, daß meine Worte nur Ironie enthielten und daß keine Rede davon sein konnte, ihn in meinen Schutz zu nehmen; ja, er hatte das Gegenteil von Schutz zu befürchten. Um über meine Absichten klar zu werden, sagte er:

„Nehmt meinen Dank für diese Freundlichkeit, Sir! Aber wenn Ihr es so gut mit mir meint, warum behaltet Ihr mir da meine Waffen vor?“

„Das geschieht zu Euerm Besten, Master Player. Wenn die Mimbrenjos noch vor unserm Aufbruche kommen sollten, könntet Ihr leicht durch Eure bekannte Tapferkeit versucht werden, einen unnötigen Gebrauch von Euern Waffen zu machen. Das würde die Roten gegen Euch aufbringen, und darum haben wir Euch in Rücksicht auf Euer Heil diese Gegenstände einstweilen abgenommen.“

Er wußte nicht, was er sagen sollte, und schwieg. Ich fuhr fort:

„Wir werden noch weiter für Euer Wohl besorgt sein, indem wir Euch ein wenig fesseln, damit Ihr die Mimbrenjos nicht etwa zufälligerweise reizen könnt, und dabei auch Eure Taschen untersuchen, weil sie leicht etwas enthalten könnten, was die Roten Euch übelnehmen.“

„Sir, redet Ihr im Ernste?“ fuhr er auf. „Was habe ich Euch gethan, daß Ihr mich hier überfallen habt und nun sogar aussuchen und binden wollt?“

„Uns? Nichts! Ich habe zum erstenmale das Vergnügen, Euch zu sehen; was könnt Ihr mir da gethan haben! Aber da Ihr Aufrichtigkeit wünscht, so will ich Euch ehrlich sagen, was ich will. Ihr seid da oben in Almaden alto gewesen?“

„Nein, ich war noch nicht oben.“

„Und ich sage Euch: Ihr waret oben, und da Ihr nicht freiwillig reden wollt, werde ich Euch den Mund öffnen. Wenn Ihr meint, mich belügen zu können, so bekommt Ihr Hiebe, daß Euch die Haut dampft. Bindet ihn!“

Indem ich den beide Mimbrenjos diese Aufforderung zurief, nahm ich ihn mit der einen Hand bei der Gurgel und mit der andern beim Gürtel, drückte ihn nieder und hielt ihn fest. Er schrie, was er schreien konnte, schlug mit den Armen um sich und stampfte mit den Beinen, doch nur für wenige Sekunden; dann war er gefesselt.

„Was fällt Euch ein! Was habe ich Euch gethan?“ rief er. „Ihr habt keinen gewöhnlichen Mann vor Euch! Ich bin Mormone; ich gehöre zu den Heiligen der letzten Tage. Nun wißt Ihr, wie Ihr mich zu behandeln habt!“

„Ja, nun wissen wir es!“ antwortete ich. „Ihr seid ein Glaubensbruder von Melton und sollt gerade so wie er behandelt werden!“

„Mein Himmel!“ zeterte er. „Wollt Ihr mir etwa auch die Hände brechen?“

Ich hatte ihm erst Schläge zugedacht, was aber für den Zuschauer sehr peinlich ist. Da er mich selbst auf einen andern und auch bessern Gedanken brachte, ging ich auf denselben ein und nahm seine gefesselten Hände zwischen die meinigen. Die Angst, sich die Hände brechen lassen zu müssen, wirkt jedenfalls besser, als ein Dutzend Hiebe auf den Rücken. Kaum hatte ich zugegriffen und einen kräftigen Druck gegeben, so brüllte er entsetzt auf:

„Nein, halt, nicht brechen, nicht brechen! Ich werde alles sagen!“

„Gut, ich will nachsichtig sein und noch warten. Beantwortet meine Fragen der Wahrheit gemäß! Lügt Ihr aber, so prasseln Euch sofort die Knochen! Also Ihr waret droben in Almaden alto und auch an der Fuente de la Roca?“

„Ja.“

„Ihr kennt die Gegenden so genau, daß Ihr als Führer dienen könnt?“

„Ich kenne sie genau. Ich war öfters dort, noch vor Melton und den Wellers.“

„So seid Ihr also der eigentliche Kundschafter, welcher vorausgeschickt worden ist?“

„Das war ich. Ich habe Melton auf die Hazienda und das Bergwerk aufmerksam gemacht.“

„Die deutschen Emigranten werden nach Almaden alto geschafft, um dort unter der Erde graben zu müssen?“

„Ja.“

„Das war schon bestimmt, ehe sie drüben in ihrem Vaterlande engagiert wurden?“

„Ja.“

„Sind Yumas oben?“

„In Almaden und an der Fuente. Auch unterwegs hält nach jeder Tagesreise ein Posten von fünf Mann.“

„Was sollen die Yumas in Almaden?“

„Sie sollen für den Proviant und den Transport sorgen, und werden dafür aus dem Ertrage des Bergwerkes bezahlt.“

„Wieviel Mann sind es?“

„Dreihundert lagern in Almaden, zwanzig an der Fuente, und viermal fünf sind von hier bis hin als Posten aufgestellt.“

„Wann kommen die Emigranten hin?“

„Sie müssen schon dort sein.“

„Wieviele kommen unter die Erde?“

„Alle.“

„Doch nicht etwa auch die Kinder?“

„Auch diese.“

„Himmel! So haben wir keine Zeit zu verlieren. Ich hätte noch viel zu fragen, kann das aber auch unterwegs tun. Wir können nicht ausruhen, sondern müssen sofort aufbrechen. Ist mein Bruder Winnetou bereit dazu?“

„Winnetou thut alles, was sein Bruder Shatterhand für nötig hält,“ antwortete der Apatsche.

„Was ich für nötig halte, wirst du unterwegs und auch schon jetzt erfahren. Wir haben keine Zeit, eine lange Beratung zu halten. Hört, was zunächst geschehen muß!“

Ich trat zur Seite, so daß der Player nicht hören konnte, was gesprochen wurde, und sagte zu dem kleineren Sohne des „starken Büffels“:

„Mein kleiner, roter Bruder hat gehört, was der Player auf meine Fragen antwortete. Er mag sich auf sein Pferd setzen und schleunigst ausrichten, was ich ihm auftrage. Es gilt zunächst, die vier Yumaposten unterwegs aufzuheben und dazu die zwanzig Mann, welche bei der Fuente stehen. Dazu genügen dreißig Yumakrieger. Mein Bruder reitet zu denen, welche die Herden bringen und holt diese dreißig, welche uns schnell zu folgen haben. Neunzehn bleiben bei den Herden, und einer reitet zum starken Büffel, um ihn um hundert Krieger zu bitten, welche uns so rasch wie möglich nach Almaden nachzufolgen haben. Jetzt fort!“

Der brave Knabe rannte schon mit gleichen Beinen zu seinem Pferde; zwei Minuten später galoppierte er davon. Eine halbe Stunde darauf waren auch wir drei unterwegs, den Player, auf sein Pferd gebunden, in unserer Mitte, also vorerst drei Personen gegenüber dreihundert Feinden. Aber es galt, die Landsleute vor einem entsetzlichen Schicksale zu bewahren; da konnte es weder ein verderbliches Zögern, noch ein ängstliches Abwägen der uns übermächtigen Verhältnisse geben.

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SECHSTES KAPITEL

Der Gefahr entgegen

Wir befanden uns jetzt also unterwegs nach dem alten Quecksilberbergwerke Almaden alto, und mußten über die Fuente de la Roca kommen. Fuente heißt Quelle und Roca Felsen, Fuente de la Roca ist folglich soviel wie Felsenquelle. Da Winnetou dieselbe kannte, brauchte ich nicht die Besorgnis zu hegen, von dem Player falsch geführt zu werden; wir konnten uns nicht verirren. Aber in Beziehung auf die unterwegs aufgestellten Posten mußten wir uns auf seine Aussage verlassen können. Es standen da zwar bloß je fünf Mann, und eine so geringe Anzahl brauchten wir nicht zu fürchten, wenn wir nur die Stelle kannten, an welcher sie sich befanden. Wenn er uns dieselbe aber falsch angab, konnten wir von ihnen leicht überrumpelt werden. Es galt also, ihn so in Respekt zu setzen, daß er es nicht wagte, den Versuch, uns zu täuschen, zu machen.

Die Fuente, an welcher zwanzig Yumas standen, war zwei Tagesritte entfernt; auf der Straße befanden sich vier Posten zu je fünf Mann. Da man nun von Ures bis nach Almaden fünf Tagereisen rechnete und wir von der Hazienda aus nur vier hatten, so standen die Posten eigentlich nur einen Zweidritteltagesritt auseinander, und wenn wir so ritten, wie Winnetou und ich es gewohnt waren, mußten wir heute schon vor Abend auf den ersten treffen, was aber nicht in meinem Plane lag. Ich wollte die fünf Roten des Abends in der Dunkelheit überrumpeln, und so mußten wir also entweder schnell reiten und irgendwo Halt machen, oder einen so langsamen Schritt annehmen, daß wir erst mit der Dunkelheit bei dem Posten anlangten. Ich entschloß mich aus guten Gründen für das erstere.

Was nun die Mimbrenjos betraf, auf deren Hilfe ich hoffte, so war leicht zu berechnen, wann sie bei uns eintreffen konnten. Wenn unser Bote sich beeilte, was gar nicht zu bezweifeln war, und die dreißig Mann seiner Anweisung sofort folgten, worauf ich jedenfalls auch rechnen konnte, so war es für sie möglich, in drei Tagen bei der Hazienda zu sein und dann an irgend einem Punkte, an welchem wir sie erwarten würden, genau nach derselben Zeit einzutreffen, die wir selbst brauchten, um von der Hazienda aus dorthin zu gelangen.

Ob sie den Weg kannten, wußten wir nicht, konnten uns aber auf ihre Findigkeit verlassen; dennoch aber, und damit sie sich nicht mit unnötigem Suchen aufzuhalten brauchten, machten wir eine Fährte, welche noch nach Tagen zu sehen war, und sorgten außerdem für verschiedene Zeichen, aus denen sie erkennen konnten, daß sie sich auf unserer Spur befanden. Die Zeichen bestanden in Steinen, welche wir in auffälliger Weise unterwegs zusammenlegten und in Ästen, welche wir an Stellen, wo es gesehen werden mußte, abbrachen und an einen andersartigen Baum befestigten. Ein Eichenzweig z. B. an einer Tanne, oder ein Fichtenast an einer Buche ist für den Indianer und wohl auch für jeden nachdenkenden Weißen, wenn er offene Augen hat, ein untrüglicher Beweis, daß sich jemand da befunden und den Ast oder Zweig als einen Fingerzeig zurückgelassen hat.

Der Player ritt zwischen Winnetou und mir, der junge Indianer hinter uns. Wenn ich zurückblickte, sah ich, daß der letztere den ersteren scharf im Auge hatte, damit es diesem, trotzdem er sich zwischen uns befand, ja nicht gelingen möge, auf irgend eine Weise seine Fesseln zu lockern.

Die Beschreibung der Gegend, durch welche wir kamen, würde zu Weitläufigkeiten führen. Sie steigt nach der hohen Sierra auf und ist destomehr bewaldet, je höher man kommt. An Wasser hat man keine Not zu leiden, denn wenn es auch hier und da ein unfruchtbares Felsenplateau giebt, so ist man doch bald darüber hinweg.

Ich war noch niemals hier gewesen. Ob Winnetou den Weg kannte, den wir heute zurückzulegen hatten, wußte ich nicht; er sagte nichts. Der Player aber mußte annehmen, daß er uns bekannt sei, da wir ihn nicht nach demselben fragten. Eine solche Frage war ganz unnötig, weil wir die Spur noch sahen, welche er gestern zurückgelassen hatte. Ob er selbst sie noch sehen konnte, bezweifelte, da sie auf längeren Strecken so schwer zu erkennen war, daß Augen, wie Winnetou sie besaß, dazu gehörten, sie zu unterscheiden.

Um die Mittagszeit machten wir an einem Wasser kurzen Halt, um die Pferde zu tränken; dann ging es wieder weiter bis um die Mitte des Nachmittages, wo wir an einer Waldesecke anhielten, weil wir da nach drei Seiten offene Aussicht hatten. Der Player wurde vom Pferde genommen und ins Gras gelegt. Wir setzten uns zu ihm, um zu essen, und er erhielt auch seinen Teil. Wir hatten unterwegs kein Wort mit ihm gesprochen; jetzt war anzunehmen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befanden; es galt, genau zu erfahren, wo derselbe lag, und so machte ich dem bisherigen Schweigen ein Ende, indem ich sagte:

„Als Ihr gestern hier vorüberkamt, habt Ihr wohl nicht gedacht, Master, daß Ihr Euch schon heute wieder hier befinden würdet, und zwar als Gefangener?“

„Ich hier vorübergekommen?“ antwortete er. „Wenn Ihr das annehmet, so befindet Ihr Euch sehr im Irrtume.“

„Macht keine Flausen! Ich weiß nicht nur, daß Ihr hier gewesen seid, sondern ich sehe aus Eurer Fährte, daß Ihr Euch hier umgedreht habt, um zurückzublicken. Besinnt Euch nur! Eure Augen sind nicht scharf genug, die Spur noch zu sehen; die meinigen aber bemerken recht wohl, daß Ihr das Pferd gewendet habt.“

„Es ist nicht wahr!“ behauptete er. „Ich bin noch niemals hier an dieser Ecke gewesen.“

„Hm! Ihr scheint vergessen zu haben, was Euch bevorsteht, falls Ihr auf den dummen Gedanken kommen solltet, uns täuschen zu wollen! Ich bin nichts weniger als ein Menschenfresser; aber wenn jemand mich für einen Dummrian hält, so nimmt er mich von einer Seite, welche meine schwache ist, und muß gewärtig sein, daß ich explodiere. Merkt Euch das! Ihr seid ein schlauer Gast und habt schon manchen Mann übertölpelt; bei uns aber gelingt Euch dieses nicht. Wollt Ihr also eingestehen, daß Ihr hier gewesen seid und hier angehalten habt?“

Er wußte nicht, ob er gestehen oder leugnen solle, und schwieg also.

„Soll ich Euch den Mund wieder öffnen, so wie ich Euch heute früh zum Reden gebracht habe? Um Euch Eure Lage klar zu machen, will ich Euch aufrichtig sagen, daß es uns nicht in den Sinn kommt, Euch etwas zu thun, falls ihr den Verstand besitzt, Euch in dieselbe zu schicken; falls Ihr aber meint, uns betrügen zu können, so habt Ihr Euch eine Rechnung gemacht, welche wir mit einem einzigen Querstriche quittieren. Von mir will ich nicht sprechen; aber meint Ihr etwa der Mann zu sein, der einen Winnetou irre zu führen vermag? Wir wissen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befinden. Wir würden ihn auch ohne Euch entdecken; wir brauchen ja nur Eure Spur weiter zu verfolgen, doch können wir dadurch Zeit gewinnen, daß Ihr uns die Stelle sagt.“

„Das darf ich nicht; es wäre ein Verrat,“ antwortete er.

„Gebt Euch doch nicht auf einmal das Ansehen eines ehrlichen und gewissenhaften Mannes! Wer soviel auf dem Gewissen hat, wie Ihr, dem pflegt es auf etwas mehr oder weniger nicht anzukommen. Übrigens verlange ich nichts Böses von Euch. Was ich von Euch fordere, ist keine Schande, sondern eine gute That. Entschließt Euch kurz; wir haben keine Zeit! Seid Ihr uns zu Willen, dann gut; wo nicht, so werdet Ihr sehen, was geschieht! Wollt Ihr uns nun sagen, wo der Posten sich befindet?“

Bei dieser Frage ergriff ich eine seiner Hände und drückte dieselbe, daß die Knöchel knackten.

„Haltet ein, haltet ein!“ rief er. „Ich will es sagen!“

„Dann gut! Aber redet die Wahrheit! Bis jetzt haben wir keinen Grund, Euch ans Leben zu gehen, und darum versicherte ich Euch, daß es nicht unsere Absicht ist, Euch etwas zu thun; aber falls Ihr uns durch Lügen Fatalitäten bereiten solltet, so gebt Ihr uns die Veranlassung, welche wir jetzt noch nicht haben, und das Messer oder eine Kugel ist Euer Lohn! Wo steht der Posten?“

„Nicht weit von hier,“ antwortete er, den Blick starr und bang auf meine Hand gerichtet, mit welcher ich die seinige noch fest umschlossen hielt.

„Wie lange reitet man bis dorthin?“

„Eine gute halbe Stunde.“

„Beschreibt die Gegend! Aber ein einziger unwahrer Buchstabe oder Laut kostet Euch das Leben!“

„Von hier aus geht es über das Grasland, welches Ihr hier vor Euch liegen seht. Dann kommt man wieder an einen Wald, welcher sich bergauf zieht. Jenseits der Höhe giebt es einen Wassertümpel, und an diesem liegt der Posten.“

„Ist der Wald dicht?“

„Ja. Aber es führt ein lichter Streif, fast wie ein ausgehauener Weg nach der Höhe und nach dem Tümpel.“

„Kann man von der Höhe aus den offenen Plan, über den wir reiten müssen, überblicken?“

„Nein. Die Bäume sind zu hoch.“

„Haben die fünf Indianer an dem Tümpel zu bleiben?“

„Natürlich; aber da sie sich durch die Jagd mit Fleisch versorgen müssen, ist es leicht möglich, daß einer von ihnen sich diesseits der Höhe befindet und uns kommen sieht.“

„Womit sind sie bewaffnet?“

„Mit Pfeilen und Lanzen.“

„Wie heißt ihr Anführer, nämlich der Anführer aller Yumas, um welche es sich handelt, auch der dreihundert, die in Almaden sind?“

„Wer sie jetzt befehligt, weiß ich nicht. Später wollte der große Mund kommen, mit welchem Melton einen Kontrakt abgeschlossen hat.“

„Das genügt. Das übrige über Melton brauche ich jetzt noch nicht zu wissen. Ihr seid schon einmal in Ures gewesen und kennt den Weg, den man von dort aus nach Almaden alto einzuschlagen hat?“

„Ja.“

„Er führt sehr wahrscheinlich auch an dem Tümpel vorüber, an welchem der Posten liegt?“

„So ist es, denn er stößt dort mit dem von der Hazienda kommenden zusammen.“

Ich hatte diese Frage nicht ohne Absicht gethan; ich dachte dabei an den Haziendero, den Juriskonsulto und die drei Polizisten, welche, wie sich jetzt herausstellte, an dem Posten vorüber mußten und sehr wahrscheinlich in die Hände der Roten gefallen waren. Winnetou hatte denselben Gedanken gehabt, denn er stand, als er die Antwort des Player hörte, auf und sagte:

„Wir müssen fort, um die weißen Männer zu retten, welche nicht klug und erfahren genug sind, die Gefahr zu erkennen, welche auf ihrem Wege liegt.“

„So meint mein roter Bruder, daß – –“

Ich sprach meine Frage nicht aus, warf aber dabei auf den Player einen bezeichnenden Blick. Winnetou verstand mich und antwortete:

„Dieses Bleichgesicht hat uns nicht belogen, sondern aus Angst vor der Faust Old Shatterhands die Wahrheit gesagt. Winnetou kennt den Wald, die Höhe und auch den Tümpel, den er sogar bei Nacht finden würde.“

„Aber jetzt ist es noch lange Tag. Wenn wir schon jetzt aufbrechen, können wir, während wir über die offene Prairie reiten, gesehen werden!“

„Winnetou ist nicht so unvorsichtig, sich den Yumas zu zeigen. Er wird nicht geradeaus und auf der Spur des Gefangenen reiten, sondern einen Umweg südwärts machen. Von dort her sind die fünf Weißen aus Ures gekommen, und wir müssen ihre Spur betrachten, welche wir des Abends nicht sehen würden.“

Er hatte recht wie immer. Wir banden den Player wieder auf sein Pferd und verließen den Platz, indem wir aus unserer bisherigen Richtung nach Süden abbogen. Der grüne Plan, über den wir mußten, zog sich lang nach dieser Richtung hin.

Der Tümpel lag, wie wir gehört hatten, eine gute halbe Stunde nach Osten. Wir ritten wenigstens ebensolange südwärts; dann zeigte es sich, daß die Berechnung des Apatschen stimmte, denn wir trafen auf eine breite Fährte, welche nach Nordosten lief. Winnetou stieg ab, untersuchte dieselbe und meldete dann:

„Fünf Reiter. Es sind unerfahrene Weiße, denn sie ritten nicht hinter-, sondern nebeneinander. Der Häuptling der Apatschen meint, daß er die Männer aus Ures vor sich hat.“

„Wie alt ist die Fährte?“ fragte ich.

„Wohl einen ganzen Tag. Wenn Bleichgesichter gegen Indianer ziehen und dabei so breite und lange dauernde Spuren machen, sind sie verloren. Wir haben ihre Fährte entdeckt und werden sie nun auch bald selbst sehen.“

Er stieg wieder auf, und dann folgten wir den Eindrücken der fünf Weißen, vollständig überzeugt, daß wir die unvorsichtigen Personen als Gefangene des Indianerpostens sehen würden.

Der Umweg, welchen wir gemacht hatten, bildete einen nach Süden gerichteten spitzen Winkel. Wir kamen also anstatt gerade aus Westen aus Südsüdwest an den Wald, hinter welchem der Tümpel lag, und durften mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, nicht gesehen worden zu sein. Der Rand des Gehölzes war mit dichtem Unterholze bestanden, in welches wir eindrangen, bis wir eine Stelle fanden, welche sich für unsere Pferde als Versteck eignete. Wir banden dieselben an, hoben den Player aus dem Sattel und befestigten seine Hände und Füße an zwei Bäume. Dann sagte Winnetou zu dem jungen Mimbrenjo:

„Old Shatterhand und Winnetou werden nach dem Tümpel gehen; mein roter, kleiner Bruder aber bleibt hier zurück, bis wir entweder wiederkommen oder er von einem von uns benachrichtigt wird. Er sticht diesem weißen Gefangenen das Messer in das Herz, wenn derselbe ein lautes Wort sprechen oder gar einen Fluchtversuch wagen sollte. Geschieht sonst etwas Unerwartetes, so ist mein Bruder trotz seiner Jugend so entschlossen und klug, daß er selbst weiß, was er zu thun hat. Howgh!“

Man sah dem Jünglinge an, wie stolz ihn das Lob machte. Er zog sein Messer und setzte sich, ohne dem Apatschen eine Antwort zu geben, neben dem Gefangenen nieder. Ich drang mit Winnetou tiefer in den Wald ein, welcher schon jetzt fast steil aufwärts stieg. Nach einer kleinen Weile blieb der Häuptling stehen und fragte, natürlich in leisem Tone:

„Was meint mein Bruder, wie viel Yumas sich bei dem Tümpel befinden werden?“

„Drei,“ antwortete ich, ohne lange Besinnung.

„Old Shatterhand hat recht. Wir sind zwei gegen drei und werden die fünf Weißen leicht und schnell frei machen.“

Es war keineswegs ein Wunder, so genau zu wissen, wie viele Rote wir vor uns hatten. Der Player war hier gewesen, um zu melden, daß er uns an der Hazienda gesehen hatte; darauf war natürlich einer von den fünf fortgeritten, um die Meldung nach der Fuente de la Roca zu bringen. Es waren also nach des Players Entfernung vier zurückgeblieben. Darauf kamen die fünf Reiter aus Ures und wurden festgenommen. Natürlich ritt abermals ein Bote nach der Fuente, um die wichtige Botschaft dorthin zu bringen; es konnten also nur noch drei da sein. Die fünf gefangenen Sonntagsreiter waren mit Proviant reichlich versehen, und man hatte ihnen diesen abgenommen; da verstand es sich ganz von selbst, daß es keinem der drei Yumas, welche die fünf zu bewachen hatten, einfiel, auf die Jagd nach Fleisch zu gehen. Meine Antworten waren also höchst selbstverständlich und keineswegs der Beweis eines außerordentlichen Scharfsinnes. Da wir es nun nur mit drei Gegnern zu thun hatten, gab es leichte Arbeit für uns.

Wir stiegen unter den dichten Bäumen so leise aufwärts, daß unsere Schritte in einer Entfernung von drei oder vier Ellen nicht zu hören waren, und erreichten nach kurzer Zeit die Höhe, welche nicht breit war und sich jenseits sehr bald wieder abwärts senkte. Winnetou kroch mit einer Sicherheit unter den Bäumen nieder, als ob er sich schon viele Male in dieser Gegend befunden habe. Dann drehte er sich halb nach mir um und hob warnend den Zeigefinger, um mir anzudeuten, daß jetzt noch größere Vorsicht als bisher nötig sei, legte sich ins Moos und lauschte nach vorn. Dies und der Umstand, daß es jetzt nach Wasser roch, zeigte mir an, daß wir uns ganz nahe an dem Tümpel befanden.

Ich schob mich weiter vorwärts, kam neben Winnetou zu liegen und konnte nun unter den niedersten Zweigen, welche fast die Erde berührten, hinaus auf eine kleine Lichtung sehen, deren Mitte ein stehendes Wasser einnahm. Jedenfalls gab es da einen Quell, welcher so schwach war, daß er nicht abfloß, sondern gleich wieder in den porösen Waldboden versickerte. Das Plätzchen war von drei Seiten von Bäumen und Büschen eingeschlossen; die vierte stand offen; da ging der natürliche Weg vorüber, welcher von der Hazienda del Arroyo nach der Fuente de la Roca führte. Wir lagen diesseits am Rande des Gebüsches; dann kam ein schmaler, mit Binsen und Schilf bewachsener Streifen, worauf der Tümpel folgte. Jenseits desselben saßen, doch nicht am Wasser, sondern ganz nahe bei den Bäumen, drei Indianer, und dort standen auch, an fünf Stämme festgebunden, die Weißen aus Ures. Wir fanden die Verhältnisse genau so, wie wir sie zu finden erwartet hatten.

Die Roten sprachen mit den Weißen, und zwar in dem sprachlichen Gemisch, dessen man sich in jenen Gegenden zwischen den beiden Rassen zu bedienen pflegt. Nicht nur um das Gespräch zu hören, sondern hauptsächlich um die Weißen zu befreien, mußten wir auf die andere Seite hinüber. Wir krochen also in einem Halbkreise um die Lichtung und kamen dann so nahe an die Gruppe zu liegen, daß wir die Worte nicht nur hören, sondern auch verstehen konnten.

Wie zu erwarten gewesen war, befand sich kein Häuptling, ja nicht einmal ein einigermaßen hervorragender Krieger unter den Roten, von denen keiner eine Flinte besaß. Die Pferde, auch diejenigen der Gefangenen, waren rundum angebunden und fraßen die Blätter und jungen Zweige ab. Zwei der Indianer saßen auf den frischüberzogenen weißen Kissen des Rechtsgelehrten und ließen sich die Delikatessen, welche dessen Frau für ihn eingepackt hatte, mit sichtlichem Behagen schmecken. Er nahm sich in seiner Galauniform ungemein drollig aus; sie paßte auch gar zu wenig zu der Umgebung, in welcher er sich befand. Die Angst, welche so deutlich, wie mit Buchstaben geschrieben, in seinen Zügen zu lesen war, entsprach sehr wenig der Aufgabe, mit welcher ihn seine Sennora in die Berge geschickt hatte. Ich glaubte sogar, Schweißtropfen auf seiner Stirn zu bemerken. Seine Untergebenen, die Polizisten, befanden sich in derselben Stimmung wie er, und der Haziendero machte auch nicht den Eindruck eines Helden, der seiner Fesseln zu lachen vermag. Man hatte ihnen die Taschen ausgeleert und alles, natürlich auch die Waffen, abgenommen. Diese Gegenstände lagen auf einem Haufen, um später geteilt zu werden.

Von den drei Roten schien derjenige, der sich mehr spanische Ausdrücke als die beiden andern angeeignet hatte, das Wort zu führen. Er that dies in einer Weise, aus welcher hervorging, daß es seine Absicht war, den Weißen noch mehr Angst zu machen, als sie schon jetzt besaßen. Eben als ich mich so zurechtgelegt hatte, daß ich, hinter einem Busche steckend, ruhig zuhören konnte, hörte ich ihn sagen:

„Wir sehen euch an, daß ihr sehr tapfere Krieger seid, doch ist es gut gewesen, daß ihr euch nicht gewehrt habt, denn wenn das geschehen wäre, hätten wir euch augenblicklich getötet; nun aber werdet ihr noch einige Tage leben dürfen, denn wir werden euch die Haut in Streifen abschneiden, um Riemen daraus zu machen.“

„Die Haut – Streifen – Riemen!“ schrie der Juriskonsulto auf. „Mein gütiger, mein allgütiger Himmel! Das ist Mord; das ist Qual; das ist die größte Marter, die es giebt!“

„Bist du denn nicht der erste und oberste Mann in der Stadt, welche Ures heißt?“

„Der bin ich, ja; ich habe es Ihnen schon gesagt, wertester Sennor.“

„So wisse, daß es bei uns gebräuchlich ist, je vornehmer der Mann, desto größer die Qual, unter welcher er zu sterben hat. Was sind die drei Männer, die zu dir gehören?“

„Sie sind Polizisten, Untergebene von mir.“

„So werden wir ihnen weniger Martern bereiten. Wir skalpieren sie erst, und dann stechen wir ihnen die Augen aus.“

Die drei stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Der Rote grinste sie höhnisch an und fuhr, zu dem Haziendero gewendet, fort:

„Und du bist Don Timoteo, ein sehr reicher Mann. Dir schneiden wir die Hände ab. Ihr seid unsere Feinde; also müßt ihr alle qualvoll sterben.“

„Ich zahle euch ein Lösegeld, wenn ihr mir die Freiheit gebt!“

„Die roten Männer brauchen kein Geld. Das ganze Land gehört ihnen; was ihr habt, das habt ihr ihnen geraubt. Ihr braucht es ihnen nicht zu schenken, denn sie werden es sich selbst wiedernehmen, und ihr müßt sterben.“

„Auch ich zahle ein Lösegeld!“ rief der Juriskonsulto. „Ich gebe Ihnen hundert Piaster!“

Der Indianer lachte.

„Zweihundert Piaster!“

„Du bist der reichste Mann in Ures und willst so wenig geben?“

„So gebe ich dreihundert, fünfhundert Piaster, wertester Sennor!“

„Du hast gehört, daß wir kein Geld haben wollen, weil wir keines brauchen. Ihr müßt sterben. Ich habe einen Boten fortgeschickt und noch heute wird der schnelle Fisch kommen, um zu bestimmen, welches Todes ihr sterben sollt.“

Bei dieser Drohung kam dem Haziendero ein Gedanke, dem er, um die Roten einzuschüchtern, sofort Ausdruck gab:

„Wenn ihr uns das geringste Leid anthut, wird es euern eigenen Tod zur Folge haben. Wir haben mächtige Freunde, welche uns rächen werden!“

„Wir verachten eure Freunde. Es giebt keinen Weißen, welchen ein Yumakrieger zu fürchten hat.“

„Es giebt einen, den ihr alle fürchtet, Old Shatterhand!“

Der Rote machte eine verächtliche Handbewegung und antwortete:

„Old Shatterhand ist ein weißer Hund, den wir mit einem Hiebe auf die Schnauze töten würden, wenn er zu uns käme. Aber er wird sich hüten, zu kommen, denn er befindet sich nie in dieser Gegend.“

„Du irrst. Er war auf meiner Hazienda, und dann habe ich mit ihm in Ures gesprochen. Er will nach der Fuente und nach Almaden, um die fremden Arbeiter zu befreien.“

Jetzt wurde der Rote aufmerksam. Er schien den Haziendero mit dem Blicke, den er auf ihn richtete, durchbohren zu wollen, sagte dann aber in ungläubigem Tone:

„Du lügst; du willst uns bange machen; aber ein Yuma kennt keine Angst.“

„Ich lüge nicht. Sennor, bestätigen Sie es mir!“

Diese Aufforderung war an den Beamten gerichtet; dieser ergriff den Faden, an welchem er sein Leben hängen wähnte, und bekräftigte:

„Es ist so; Don Timoteo hat die Wahrheit gesagt; Sie können es glauben, wertester Sennor. Old Shatterhand war auch bei mir, und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, befand sich bei ihm.“

Mir war es höchst unlieb, daß die Leute von uns sprachen, sie hätten unter andern Umständen, oder wenn wir uns hier nicht schon befunden hätten, sich und uns den größten Schaden machen können. Dennoch war es interessant, zu sehen, welche Wirkung unsere Namen hervorriefen.

„Uff, uff!“ fuhr der Rote auf, indem er in die Höhe sprang. „Winnetou war bei euch? Und Old Shatterhand befand sich bei ihm?“

„Ja. Old Shatterhand war sogar zweimal bei mir, wertester Sennor. Die beiden berühmtesten Männer sind über die Hazienda del Arroyo geritten, um uns nachzukommen.“

Da streckte der Rote seine Hand gegen seine beiden Kameraden aus und rief:

„Haben meine roten Brüder gehört, was gesagt wurde? Old Shatterhand befindet sich bei Winnetou, und das Bleichgesicht, welches Player genannt wird, meldete uns, daß Winnetou bei der Hazienda gewesen sei. Es stimmt also; es ist, wie die Weißen hier sagen. Winnetou ist mit Old Shatterhand unterwegs hierher. Wir müssen diesen Ort mit den Gefangenen hier verlassen und uns verstecken, alle Spuren vertilgen, und einer von euch muß dem schnellen Fische entgegenreiten, um ihn zu warnen. Die beiden Krieger sind gefährlicher, als hundert andere. Der Player erzählte uns, daß der große Mund Old Shatterhand gefangen und fortgeführt habe; wenn er wieder bei der Hazienda war, so hat er sich selbst befreit und wird Rache gegen uns schnauben wie ein wilder Büffel, welcher selbst den Bären des Gebirges besiegt. Wir befinden uns also in größter Gefahr und – –“

Er kam nicht weiter; es gab für ihn eine Unterbrechung, auf welche er am allerwenigsten vorbereitet war. Winnetou war bei den letzten Worten wie ein Blitz empor-, aus dem Busch und auf ihn zugeschnellt, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in seiner ruhigen und doch so imponierenden, ja, wenn er wollte, niederschmetternden Weise:

„Also hat der Yuma vorhin gelogen, als er sagte, daß ein Yuma keine Angst kenne! Er wollte Old Shatterhand wie einen Hund mit einem Hiebe auf die Schnauze erschlagen, und nun er hört, daß der weiße Krieger sich in der Nähe befindet, will er sich verstecken, weil er weiß, daß Old Shatterhand und Winnetou mehr sind als hundert andere Krieger. Ich sage euch, kein Yuma wird Old Shatterhand schlagen, denn noch ehe er den Arm dazu erhöbe, würde er zerschmettert sein!“

Das war wieder einmal ein Augenblick, an welchem der Apatsche sich in seiner so einfachen und doch so überwältigenden Größe zeigte. Er hatte keine Waffe in der Hand. Seine Silberbüchse hing ihm auf dem Rücken, und sein Messer steckte unberührt im Gürtel; aber er stand so stolz vor dem Yuma, leuchtete ihm mit solchen Augen ins Gesicht und drückte ihm die Hand mit solcher Gewalt auf die Schulter, daß dem Manne die Sprache versagte. Die beiden andern Yumas waren auch aufgesprungen; sie standen ebenso starr vor Überraschung da. Ihre Messer hatten sie bei sich; ihre Lanzen, Bogen und Pfeile lagen seitwärts auf der Erde; diese brauchten wir nicht zu fürchten. Da ermannte sich der Sprecher, trat einen Schritt zurück und fragte:

„Ein fremder, roter Krieger! Wer – – wer – – wer – –“

Er wollte fragen, wer der fremde Indianer sei, brachte aber die Frage, weil er seinen Schreck noch immer nicht überwunden hatte, nicht ganz heraus, erhielt jedoch die Antwort von dem Haziendero, welcher jubelnd ausrief:

„Winnetou, ja Winnetou ist’s! Dem Himmel sei Dank; wir sind gerettet!“

„Win – – Winne – – Winnetou?“ fragte der Yuma mit stockendem Atem. „Der Apatsche ist da?! Uff! Nehmt die Waffen und wehrt euch, ihr Krieger, denn – –“

Er griff nach seinem Messer; die andern beiden waren nicht so schnell; die Angst lähmte nun, da sie seinen Namen hörten, erst recht ihre Glieder. Winnetou schleuderte mit seinem Fuße ihre Lanzen und Pfeile ins Wasser und herrschte ihm zu:

„Schweig, Yuma, und rühre dich nicht! Da steht Old Shatterhand! Oder willst du versuchen, ihm einen Hieb auf die Schnauze zu geben?“

Dieser Ausdruck war mir nur lächerlich erschienen; Winnetou aber hatte sich über denselben geärgert, sodaß er ihn nun schon zum zweitenmale wiederholte. Indem er die letzteren Worte sprach und auf mich zeigte, trat ich zwischen den Büschen hervor und hielt in jeder Hand einen Revolver, beide auf die Yumas gerichtet.

„Das – das ist – – Old Shatterhand?“ fragte der Yuma, die Augen nicht starr, sondern stier auf mich gerichtet.

Er war es, dem ich Widerstand mehr und eher zutraute, als seinen Gefährten; er mußte also auch eher als sie unschädlich gemacht werden; darum stand ich mit einem schnellen Schritte vor ihm und antwortete:

„Ja, das ist – – das ist Old Shatterhand, wie du sogleich fühlen sollst!“

Den Griff des rechten Revolvers fest mit der Hand umschließend, schlug ich ihm denselben auf den Kopf, daß er niederstürzte und sich nicht rührte; dann donnerte ich seine Genossen an:

„Werft die Messer weg, sonst habt ihr augenblicklich eine Kugel!“

Sie gehorchten sofort; es war die erste Bewegung, welche sie machten.

„Legt euch nieder, und rührt euch nicht!“

Auch das thaten sie schnell und ohne Widerrede. Nun wurden die fünf Gefangenen losgemacht und aufgefordert, mittels der Riemen, mit denen sie gefesselt gewesen waren, die drei Roten zu binden. Es läßt sich denken, wie rasch sie diesem Gebote nachkamen. Der hasenherzige Juriskonsulto warf sich natürlich auf den betäubten Indianer, da er diesen nicht zu fürchten brauchte, und rief, indem er ihm die Riemen mit dem Eifer eines Henkers um die Hände und die Füße schlang:

„Ja, gefesselt soll er werden, gebunden und erschlagen wie ein toller Hund, der Schuft, der Schurke! Ich werde ihn in Ketten und Banden nach Ures bringen, damit man dort sieht, daß ich als Sieger mit den wildesten Bestien des Gebirges in ritterlichem Kampfe gestanden habe. Ich kehre als Sieger heim; wer kann mir widerstehen!“

Auch diese Prahlerei war eigentlich lächerlich, doch ärgerte sie mich, da der Mann von seinem Ruhme sprach, ohne ein Wort für seine Retter zu haben. Darum fuhr ich ihn nicht eben höflich an:

„Schweig, Prahlhans! Wer hat den Yuma niedergeworfen, Sie oder ich? Bedanken Sie sich gefälligst bei mir!“

Da richtete er sich auf und antwortete in halb beleidigtem und halb vorwurfsvollem Tone:

„Sennor, ich bin – – nun, Sie wissen doch, was ich bin, und haben nur gethan, was Ihre Schuldigkeit war; das will ich freundlich anerkennen, aber mich dafür bedanken, das habe ich nicht nötig. Nicht wahr, Don Timoteo?“

„Sehr richtig, sehr richtig!“ nickte der edle Haziendero. „Wir sind selber Manns genug und brauchen keinen, der nichts anderes weiß, als sich nur immer in unsere Angelegenheiten zu mischen!“

Das war wirklich stark! Es zuckte mir in den Fäusten. Was hatte ich nicht für diesen „Don“ gethan! Ich mußte wirklich meine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um mich ohne die gehörige Antwort abwenden zu können; aber es gab einen Anwalt für mich, welcher die Nichtswürdigkeit ebenso fühlte, wie ich, und in diesem Falle aber weniger Geduld besaß, als ich. Kaum waren die Worte gesprochen und kaum hatte ich mich umgewendet, so hörte ich hinter mir zwei Schläge. Mich rasch wieder umdrehend, sah ich den Haziendero und den „Juriskonsulto“ am Boden liegen. Winnetou hatte sie mit dem Kolben seines Gewehres niedergeschlagen und holte schon wieder aus, dasselbe auch mit den Polizisten zu thun, welche vor Schreck über seine blitzschnelle That nicht an Flucht oder Gegenwehr dachten.

„Halt, diese nicht!“ rief ich, indem ich ihm ins Gewehr fiel. „Sie können nichts dafür.“

Er ließ den Kolben sinken und antwortete in seinem entschlossensten Tone, indem seine Augen Blitze sprühten:

„Gut, mein Bruder will es so. Sie sollen also verschont bleiben, aber nur dann, wenn sie sich wieder an die Bäume binden lassen, sonst zerschmettere ich ihnen die Köpfe!“

Zugleich stellte er sich zwischen sie und den Haufen, auf welchem nebst den ihnen abgenommenen andern Sachen auch ihre Gewehre lagen. So zornig, wie in diesem Augenblicke, hatte ich den Apatschen noch nie gesehen. War es sein wirklich furchterweckender Anblick, oder war es die Folge alles dessen, was in den letzten zehn Minuten so Außergewöhnliches geschehen war, der eine Polizist trat vor, streckte mir seine Hände hin und sagte:

„Ja, binden Sie uns, Sennor; wir weigern uns nicht, es geschehen zu lassen! Ich weiß, Sie werden uns nichts thun, sondern es geschieht nur, um den beiden undankbaren Sennores zu zeigen, mit wem sie es zu thun haben. Hoffentlich sind sie nicht tot; ich aber glaube, Ihnen unsere Dankbarkeit am besten dadurch beweisen zu können, daß wir uns in Ihre Forderung fügen.“

„Gut! Um Ihres Vorgesetzten willen muß ich auch Sie binden; er könnte Sie sonst auffordern, ihn freizumachen; Sie müßten gehorchen, und ich würde das nicht dulden. Kommen Sie also her; Sie werden bald wieder frei sein!“

Wo Indianerpferde sind, hat man um Riemen niemals Not. Die drei Polizisten waren gezwungen gewesen, ihrem Vorgesetzten trotz dessen Unfähigkeit in die Berge zu folgen; sein Ungeschick hatte sie in die Gefangenschaft der Roten gebracht, aus welcher wir sie befreit hatten. Sie wären uns dafür gern auch in Worten dankbar gewesen, hatten aber bei dem Verhalten ihres Herrn nicht gewagt, dies zu thun, und waren, wie ich jetzt sah, empört darüber. Jedenfalls gönnten sie ihm den Kolbenhieb und hielten es nur infolge ihrer Stellung für geraten, das, was ihn von uns erwartete, auch mit über sich ergehen zu lassen. Sie wurden von mir angebunden, denn Winnetou gab sich nicht dazu her; er hätte sich gar nichts daraus gemacht, wenn der Haziendero und der Juriskonsulto tot gewesen wären. Glücklicherweise aber lagen sie nur in tiefer Ohnmacht. Während ich sie zu den Bäumen zog, um sie dort wieder zu fesseln, ging er fort, ohne zu sagen, wohin; ich wußte jedoch, daß er den Mimbrenjo und die Pferde holen wollte. Bald kam er mit ihm zurück; natürlich brachten sie auch den Player mit. Dem Mimbrenjo brauchte ich nichts mitzuteilen, denn der Apatsche hatte ihn schon von dem Geschehenen unterrichtet.

Unsere Pferde wurden angebunden; dann erhielt unser junger, roter Begleiter die Anweisung, wie er sich als Wächter bei den Gefangenen zu verhalten hatte. Er mußte bei ihnen zurückbleiben, während ich mit Winnetou fortging, wohin und wozu, das war so selbstverständlich, daß weder von ihm noch von mir ein Wort darüber verloren wurde. Es handelte sich nämlich darum, die beiden Yumas, welche von hier als Boten nach der Fuente gesandt worden waren und deren Rückkehr bald in Aussicht stand, unterwegs abzufangen, noch ehe sie den Lagerplatz am Tümpel erreichten. Hätten wir sie dort erwarten wollen, so konnten sie, wenn sie uns eher bemerkten, als wir sie, uns leicht entgehen und sogar gefährlich werden.

Wir drangen natürlich nicht in den dichten Wald ein, sondern gingen den Weg, auf welchem die Erwarteten kommen mußten. Die Gewehre hatten wir zurückgelassen, da dieselben bei der Art, in welcher wir die Yumas in unsere Gewalt bringen wollten, uns nur belästigen konnten.

Unser Weg bestand in einem von der Natur geschaffenen dünnen, lichten Streif, welcher sich jenseits durch den Wald von der Höhe niederzog und unten auf offenes Land führte. Da, wo der Wald zu Ende ging, verbargen wir uns unter den Bäumen. Es wollte Abend werden, und wir hatten uns also mehr auf unsere Ohren, als auf unsere Augen zu verlassen.

Winnetou hatte, seit er von mir verhindert worden war, die Polizisten niederzuschlagen, kein Wort mit mir gesprochen; jetzt endlich fragte er, als wir so wartend da saßen:

„Ist mein Bruder Old Shatterhand zornig auf mich, daß ich den Bleichgesichtern den Kolben auf die Köpfe gegeben habe?“

„Nein,“ antwortete ich. „Der Häuptling der Apatschen hat mir ganz aus der Seele gehandelt.“

„So können eben nur Weiße sein. Ein roter Krieger, selbst wenn er bisher mein gefährlichster Feind gewesen wäre, würde mir, wenn ich ihn von solchen Banden befreite, fortan sein Leben schenken. Alles, was er besitzt, wäre auch mein Eigentum. Die Bleichgesichter aber haben nur schöne Worte und böse Thaten. Was soll mit den Undankbaren geschehen?“

„Was Winnetou über sie bestimmt.“

Da er nichts sagte, schwieg auch ich. Es wurde dunkel, und wir lauschten aufmerksam in die Ferne. Die Boten waren in einem längern Zwischenraume von hier fortgeritten, dennoch stand zu erwarten, daß sie miteinander zurückkehren würden. Diese Vermutung bestätigte sich, denn als wir endlich Huftritte hörten, waren es die von zwei Pferden, nicht von einem einzelnen. Wir verließen unser Versteck und traten an den Weg. Sie waren schon sehr nahe, doch bei der jetzigen Dunkelheit konnten wir sie noch nicht sehen; aber wir hörten, daß sie nebeneinander ritten.

„Winnetou mag den nehmen, welcher auf dieser Seite reitet,“ flüsterte ich. „Ich nehme den drüben.“

Darauf huschte ich auf die andere Seite des Weges hinüber. Sie kamen; sie sahen uns nicht und wollten vorüber; aber die Pferde bemerkten uns mit ihren schärferen Sinnen; sie schnaubten und weigerten sich, weiterzugehen. Wären Winnetou und ich an ihrer Stelle gewesen, so hätten wir Verdacht geschöpft und unsere Tiere augenblicklich herumgerissen und, eine Strecke zurückgekehrt, zu Fuße uns heimlich wieder herangeschlichen, um die Stelle zu untersuchen. Die Indianer aber waren entweder keine erfahrenen und vorsichtigen Leute, oder sie fühlten sich so sicher in der abgelegenen Gegend, daß sie die Gegenwart eines menschlichen Feindes für unmöglich hielten und vielmehr glaubten, daß das Scheuen ihrer Pferde auf der Anwesenheit irgend eines wilden Tieres beruhe. Sie erhoben ihre Stimmen, um dasselbe durch ihr Geschrei zu vertreiben. In diesem Augenblicke trat ich einige Schritte weit hinter das Pferd desjenigen, welcher auf meiner Seite hielt, nahm einen Anlauf und sprang hinter ihm auf, nahm ihn mit der Linken bei der Gurgel und riß ihm mit der Rechten die Zügel aus der Hand. Er vergaß das Schreien und sein Kamerad auch, denn Winnetou hatte mit diesem ganz in derselben Weise gehandelt. Die Kerls waren so erschrocken, daß sie an keinen Widerstand dachten, wenigstens für den Augenblick, und als sie zum Bewußtsein ihrer Lage kamen, war es zu spät, denn wir hatten sie aus dem Sattel gedrängt, saßen nun selbst auf demselben fest und hatten sie quer vor uns liegen, indem wir sie mit festem Griffe bei der Kehle hielten. Wir drückten den Pferden die Sporen in die Weichen und jagten fort, den Berg hinan. Obgleich es bei der jetzigen Dunkelheit nicht ungefährlich war, zu galoppieren, ritten wir so schnell, weil die Indianer sich da weniger wehren konnten und wir unsere Kräfte nicht solange anzustrengen brauchten.

Der Mimbrenjo war so klug gewesen, ein Feuer anzuzünden, sodaß wir nach dem Lagerplatze nicht zu suchen brauchten. Wir sprangen von den Pferden, ohne die Gefangenen aus der Hand zu lassen, und unser kleiner roter Gefährte beeilte sich, sie zu binden. Es war eine seltene Lage, in welcher wir uns befanden. Wir drei hatten elf Gefangene, fünf Yumas, den Player, den Juriskonsulto, den Haziendero und die drei Polizisten, und wollten auch noch wenigstens die zwanzig an der Fuente del Roca befindlichen Yumas unschädlich machen. Trauten wir uns da nicht zuviel zu? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es kommt bei allem, was man thut, darauf an, wie man es anfängt, und neben diesem Umstande hat jeder Mensch auch das Recht, sich ein wenig auf sein Glück zu verlassen.

Die beiden zuletzt ergriffenen Yumas vermochten jetzt wieder Atem zu schöpfen, und das benutzten sie ganz gegen die Sitte der Indianer, ihrem Herzen Luft zu machen. Die mexikanischen Roten sind, wie bereits bemerkt, in keiner Beziehung mit den ritterlichen Indianern des Nordens zu vergleichen. Ein Sioux- oder Schlangenindianer hätte kein Wort verloren, seine Lage aber scharf überdacht und eifrig nachgesonnen, wie er sich aus derselben befreien könne. Die Yumas waren anders. Kaum hatten sie Atem bekommen, so begannen sie zu schimpfen und verlangten, freigelassen zu werden.

Unter andern Umständen hätten sie ganz gewiß keine Antwort erhalten; aber ich wollte aus Gründen, welche sich bald ergeben werden, gern ihre Namen wissen und auch denjenigen von wenigstens einem der drei Yumas, die wir schon vor Abend überrumpelt hatten. Darum antwortete ich dem Roten, der zuletzt geredet hatte:

„Du scheinst zu glauben, daß man den Mund nur zum Sprechen bekommen hat; ein kluger Mann aber weiß ihn auch zum Schweigen zu gebrauchen.“

Winnetou warf mir einen verwunderten Blick zu, sagte aber nichts, da er annahm, daß ich wohl einen Grund haben müsse, den Yuma einer Antwort zu würdigen. Der letztere erwiderte mir zornig:

„Wir sind Krieger der Yumas und leben mit den Weißen in Frieden. Wie könnet ihr es also wagen, eure Hände an uns zu legen!“

„Jeder kann behaupten, ein Krieger zu sein; aber ob es wahr ist, das ist eine andere Sache. Wie lautet denn der berühmte Name, den du trägst?“

„Spotte nicht! Mein Name ist von allen Feinden gefürchtet. Ich werde der schwarze Geier genannt.“

„Und wie heißen deine vier Genossen?“

Er nannte ihre Namen und fügte hinzu.

„Sie sind ebenso berühmt wie ich selbst, und du wirst es bereuen, dich an ihnen vergriffen zu haben.“

„Dein Maul ist größer, als deine Thaten sind. Ich habe eure Namen noch nie gehört, und wenn ihr wirklich so berühmte Leute wäret, wie du mich glauben machen willst, so würdet ihr nicht so blind und dumm in unsere Hände gelaufen sein.“

„Es war dunkel; wir konnten euch nicht sehen, und da wir mit allen Roten und Weißen in Frieden leben, war gar nicht daran zu denken, hier auf einen Feind zu stoßen. Ich verlange, augenblicklich befreit zu werden!“

„Warte noch eine kleine Weile, vielleicht auch eine längere Zeit! Du behauptest, daß die Yumas mit allen Menschen in Frieden leben. Wie kommt es da, daß der große Mund die Hazienda del Arroyo überfallen und verwüstet hat? Lebt ihr wirklich auch mit allen Roten auf gutem Fuße? Ich weiß, daß ihr mit den Mimbrenjos verfeindet seid. Mäßige dich also! Du sprichst mit Männern, denen du nicht einen Tropfen Wassers reichen darfst. Sieh den berühmten Krieger hier an meiner Seite! Es ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und ich selbst werde Old Shatterhand genannt.“

Nach diesen Worten wendete ich mich ab; ich hatte ihm, um mich eines vulgären Ausdruckes zu bedienen, mit unsern Namen den Mund gestopft; er ließ von jetzt an kein Wort mehr hören. Unser Mimbrenjo wollte ihn und seinen Gefährten nach der Stelle schleifen, an welcher die drei andern Yumas lagen; ich gab ihm aber in wohlbegründeter Absicht einen Wink, dies nicht zu thun.

Der Yuma war zum Schweigen gebracht; ich bekam dafür mit anderen zu thun. Der Haziendero und der Juriskonsulto hatten sich von dem erhaltenen Kolbenhiebe erholt, und der letztere redete mich jetzt in zornigem Tone an:

„Wie kommt es, Sennor, daß Ihr mich schlagen laßt und mich wieder angebunden habt! Ihr werdet Euch an geeigneter Stelle darüber verantworten müssen!“

„Schwatzen Sie nicht so albernes Zeug!“ antwortete ich ihm. „Ein Juriskonsulto sollte doch klügere Dinge vorzubringen wissen! Ich habe Sie nicht geschlagen, und Sie befinden sich in derselben Lage, in welcher ich Sie hier vorgefunden habe; wie kann da von einer Verantwortung die Rede sein!“

„Ich war indessen frei, und Sie haben uns wieder fesseln lassen. Das ist unerlaubte Freiheitsberaubung, die mit Gefangenschaft bestraft wird! Ich wiederhole, daß Sie sich in Ures zu verantworten haben werden!“

„Ihr schönes Ures wird nie so glücklich sein, mich noch einmal in seinen Mauern zu haben, und ebenso bin ich überzeugt, daß Sie diese Stadt nie wiedersehen werden, weil Sie die kurze Zeit, welche zu leben Ihnen noch verbleibt, hier an dem Baume, an dem Sie angebunden sind, verbringen werden.“

„Sind Sie bei Sinnen! Sie wollen mich nicht wieder losmachen?“

„Nein. Ich bin einmal so thöricht gewesen, dies zu thun, habe aber dafür so schlechten Dank geerntet, daß es mir nicht einfallen kann, diese Dummheit zum zweitenmale zu begehen. Ich machte sie dadurch ungeschehen, daß ich die Lage der Dinge gerade so wieder herstellte, wie ich sie hier vorgefunden habe; sie soll auch so bleiben; wir reiten morgen früh fort und lassen Sie an Ihren Bäumen hängen.“

„Sie wollen uns einschüchtern, uns Angst machen! Es ist ja unmöglich, daß ein Mensch, ein Weißer, ein Christ so handeln kann!“

„War Ihre Dankbarkeit diejenige eines Menschen, eines Weißen, eines Christen?“

Ich wartete natürlich nur auf eine Bitte, auf ein gutes Wort; das zu sagen, fiel ihnen jetzt noch nicht ein, und der Juriskonsulto rief mir sogar zu:

„Thun Sie immerhin, was Sie wollen, Sennor! Sie werden Ihre Absicht doch nicht erreichen, und ebensowenig Ihrer Strafe entgehen. Wenn Sie uns auch hängen lassen, so giebt es doch Leute, welche uns losbinden werden, wenn Sie fort sind.“

„Welche Leute wären das wohl?“

„Die Indianer, welche hier liegen.“

„Die sind selbst gefangen und gebunden. Übrigens werden wir sie erschießen, ehe wir diesen Ort verlassen.“

„Erschießen? Sie sprechen doch nicht im Ernste! So müssen wir verhungern!“

„Allerdings!“

„Sennor, Sie sind ein Unmensch, ein Wüterich!“

Da konnte ich mich nicht mehr halten, trat ganz nahe zu ihm und sagte ihm ins Gesicht:

„Und Sie sind der allergrößte Schafskopf, welcher mir im Leben vorgekommen ist!“

Jetzt schien er endlich einzusehen, daß er grundfalsch gehandelt hatte; er schwieg, und ich ging zu Winnetou und dem Mimbrenjo, um zu essen. Proviant war genug vorhanden. Der Player, der Haziendero und der Juriskonsulto wurden in ihren Fesseln gefüttert; die drei Polizisten aber band ich los, sodaß sie mit freiem Gebrauche der Glieder essen konnten, und als sie fertig waren, wurden sie zwar wieder gebunden, aber nur zum Scheine und so, daß sie ohne Belästigung schlafen konnten. Als wir drei dann noch ein Weilchen beisammensaßen und bestimmten, in welcher Reihenfolge wir wachen wollten, meinte Winnetou zu mir:

„Mein Bruder hat seinen Stolz überwunden und mit diesen Menschen gesprochen. Warum hat er dem Yuma nicht mit Schweigen geantwortet?“

„Weil die Klugheit höher steht, als der Stolz. Ich wollte die Namen der Yumas erfahren.“

„Was können meinem Bruder Shatterhand die Namen nützen?“

„Ich will erfahren, welche Botschaft der schnelle Fisch von der Fuente del Roca versendet hat. Winnetou hat gehört, daß er dort über die zwanzig Yumas gebietet. Die beiden Boten sind bei ihm gewesen. Er hat erfahren, daß wir bei der Hazienda waren und daß die fünf Weißen hier gefangen worden sind. Es ist für uns höchst wichtig, zu erfahren, was er thun will. Die Boten werden es uns weder freiwillig sagen, noch können wir es ihnen durch Zwang entlocken. Wir müssen List anwenden.“

Er sah mich mit seinen hellen Augen forschend an, doch war es ihm dieses Mal nicht möglich, meine Gedanken zu erraten. Darum fuhr ich fort:

„Der Häuptling der Apatschen versteht die Yumasprache; ich würde mich freuen, wenn er sie so gut zu sprechen verstünde, daß er für einen Yuma gehalten werden kann.“

„Winnetou redet diese Sprache gerade wie ein Yuma.“

„Das ist sehr gut. Ich habe mit Absicht die beiden Boten nicht zu den drei andern Yumas legen lassen; sie sollen nicht miteinander flüstern können. Der Häuptling der Apatschen hat ihre Namen gehört. Der eine Bote heißt schwarzer Geier und derjenige von den drei andern, welcher mir für meine Absicht am geeignetsten erscheint, weil er jedenfalls der am wenigsten Kluge von ihnen ist, wird dunkle Wolke genannt. Wir lassen das Feuer ausgehen, sodaß es finster wird. Dann schleicht Winnetou sich zum schwarzen Geier, giebt sich für die dunkle Wolke aus und – –“

„Uff!“ unterbrach mich der Apatsche mit einer Bewegung der Überraschung. „Jetzt verstehe ich meinen Bruder. Ich bin die dunkle Wolke, und es ist mir gelungen, aus meinen Fesseln zu schlüpfen?“

„Ja, so meine ich es.“

„Der Gedanke ist vortrefflich! Ich will natürlich die roten Brüder auch losbinden, damit sie fliehen können. Während ich mich anstelle, als ob ich die Banden des schwarzen Geiers lösen wolle, wird er mir sagen, was der schnelle Fisch an der Fuente beschlossen hat.“

„Ja, er wird es gewiß sagen, wenn es Winnetou gelingt, ihn zu täuschen.“

„Ich werde ihn täuschen. Er wird mich gewiß für die dunkle Wolke halten, zumal ich nur flüstern kann und nicht laut sprechen darf. Im Flüstern sind die Stimmen aller Menschen ähnlich.“

Infolge dieses Planes wurde kein Holz mehr ins Feuer gelegt; Winnetou streckte sich ebenso wie ich lang aus und gab sich nach einigen Minuten den Anschein, fest zu schlafen; der Mimbrenjo hatte die erste Wache und setzte sich so, daß er der dunklen Wolke den Rücken zukehrte. Wenn der Knabe wachte, konnte es leichter erscheinen, daß ein Gefangener sich befreite, als wenn Winnetou oder ich die Augen offen gehabt hätte, zumal er ihm den Rücken zudrehte. Der kleine Mimbrenjo fing seine Sache sehr klug an. Er gab sich den Anschein, sehr ermüdet zu sein, legte sich auch lang, stemmte den Ellbogen auf die Erde, stützte den Kopf mit der Hand und schloß, nach wiederholten scheinbaren Versuchen wach zu bleiben, die Augen.

Ich hatte die meinigen ein ganz klein wenig offen und sah, daß die Roten ihn scharf beobachteten und sich bedeutungsvolle Blicke zuwarfen. Ebenso sah ich, daß die Polizisten, welche mein Verhalten begriffen hatten, mit dem Juriskonsulto und dem Haziendero flüsterten. Wahrscheinlich gaben sie ihnen den einzigen guten Rat, der hier zu geben war. Die Flamme sank tiefer und tiefer. Ich bemerkte, daß die Yumas sich in ihren Fesseln streckten und wanden, um dieselben zu zerreißen. Dann ging das Feuer aus, und es wurde so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht zu sehen vermochte.

Es könnte scheinen, als ob unser Plan ein Wagnis gewesen sei. Die Yumas waren zwar gefesselt, aber nicht an Bäume angebunden; sie konnten sich jetzt in der Dunkelheit fortwälzen und einander dann mit den Zähnen die Riemen öffnen; aber ich befürchtete das nicht, denn einmal sollte die Dunkelheit nicht lange anhalten, und das andere Mal mußte Winnetou bei dem „schwarzen Geier“ es sofort merken, wenn die Roten an ihrer Befreiung arbeiteten.

Er stieß mich mit der Hand an, um anzudeuten, daß er sich jetzt fortschleichen werde, und er that dies mit solcher Geschicklichkeit, daß ich, der ich neben ihm gelegen hatte, nicht das mindeste davon bemerkte. Er hatte alles von sich gelegt und glitt hinüber nach der Stelle, an welcher der „schwarze Geier“ neben seinem Genossen lag. Bei ihm angekommen, berührte er ihn leise mit der Hand und raunte ihm zu:

„Still! Schwarzer Geier erschrecke nicht und lasse keinen Laut hören!“

Der Rote war über die unerwartete Berührung wahrscheinlich erschreckt, denn es verging eine Weile, in welcher er sich sammelte; dann fragte er ebenso leise:

„Wer ist’s?“

„Dunkle Wolke.“

Jetzt mußte es sich entscheiden, ob die Täuschung gelang oder nicht. Winnetou war gespannt darauf. Da flüsterte der „schwarze Geier“:

„Ich fühlte meines Bruders Hand. Ist sie denn frei?“

„Beide Hände sind frei. Dunkle Wolke war nicht fest gebunden und hat sich losgemacht.“

„So mag dunkle Wolke schnell auch mich befreien! Die Hunde schlafen. Wir fallen über sie her und schlagen sie tot!“

Winnetou nestelte an den Fesseln des Yuma herum und fragte:

„Ist’s nicht besser, sie leben zu lassen? Der schnelle Fisch wird sich freuen, sie lebendig gefangen zu sehen.“

„Dunkle Wolke ist nicht klug. Männer wie Old Shatterhand und Winnetou muß man töten, wenn man sicher sein will. Wer sie leben läßt, befindet sich in Gefahr. Der schnelle Fisch konnte nicht gleich mit uns reiten; er wird am Vormittag mit fünf Kriegern kommen, um die weißen Gefangenen zu holen. Aber warum macht dunkle Wolke nicht schneller! Es ist doch nicht schwer, einen Knoten zu lösen!“

„Der Knoten ist gelöst, aber ein anderer als derjenige, den der schwarze Geier meint.“

Nach diesen Worten huschte Winnetou von ihm weg und kehrte zu uns zurück, um mir das Ergebnis unserer List mitzuteilen. Da unser Zweck erreicht war, blies der Mimbrenjo in die Asche, unter welcher noch einige Holzkohlen glimmten; ein kleines Flämmchen erschien, erhielt Nahrung, und bald brannte das Feuer so hell wie vorher.

Winnetou lag wieder neben mir; wir thaten so, als ob wir schliefen. Es machte uns Spaß, zu sehen, mit welchen Augen der „schwarze Geier“ die „dunkle Wolke“ betrachtete; er sah, daß sie gefesselt war. Das mußte ihn befremden; doch nahm sein besorgtes Gesicht sehr bald den Ausdruck der Beruhigung an; weil er anscheinend eine Erklärung des Rätsels gefunden hatte: der eingeschlafene Mimbrenjo war erwacht und hatte sich bewegt; das hatte die „dunkle Wolke“ gehört und war schnell an ihren Platz zurückgekehrt und einstweilen wieder leicht in ihre Fesseln geschlüpft, um zunächst abzuwarten, ob der Wächter das Feuer wieder anblasen werde oder nicht.

Bald darauf schlief ich ein. Der Mimbrenjo hatte den ersten, Winnetou den zweiten und ich den dritten Teil der Nacht zu wachen. Als letzterer mich weckte, gab es doppeltes Licht; das Feuer brannte, und über uns stand der helle Mond. Mein erster Blick war auf den „schwarzen Geier“ gerichtet. Er stellte sich schlafend, schlief aber nicht, da er noch immer auf die „dunkle Wolke“ wartete. Ich setzte mich so, wie der Mimbrenjo gesessen hatte, den Rücken nach der „Wolke“ gerichtet und dabei mit stillem Vergnügen die wütenden Blicke beobachtend, welche der Geier aus seinen von Zeit zu Zeit sich öffnenden Augen auf den Genossen schleuderte, dessen Verhalten er sich nun längst nicht mehr erklären konnte.

Die Nacht verging; es wurde Tag, und ich weckte Winnetou und den Yumatöter. Der „schwarze Geier“ konnte seine Wut nicht mehr bemeistern. Sein Gesicht war verzerrt, und sein Auge schoß Blitze auf seinen Kameraden, der sich während der Nacht nicht gerührt hatte. Winnetou sah es auch, trat zu ihm und sagte mit dem ihm eigentümlichen halben Lächeln:

Schwarzer Geier glaubt, ein großer Krieger zu sein, hat aber noch nicht gelernt, seine Gedanken zu verhüllen. Ich lese in seinem Gesichte, daß er auf dunkle Wolke zornig ist.“

„Der Häuptling der Apatschen erblickt Dinge, welche nicht vorhanden sind!“

„Was Winnetou erblickt, ist vorhanden. Warum hat dunkle Wolke den Wächter nicht erschlagen? Drei haben gewacht und dunkler Wolke dabei den Rücken zugekehrt. Dunkle Wolke konnte von hinten schlagen oder stechen, und dann die andern Yumas befreien.“

„Winnetou spricht, was ich nicht verstehe!“

„Der schwarze Geier versteht mich recht wohl. Dunkle Wolke war ja bei ihm, um ihm die Riemen aufzuknüpfen, ließ ihn aber im Stiche, um sich wieder schlafen zu legen. Ein guter Schlaf ist besser als die Freiheit!“

Da stieß der Geärgerte nun wütend hervor:

Dunkle Wolke ist kein Krieger, kein Mann, sondern ein altes Weib, welches vor jedem Frosche und vor jeder Kröte flieht!“

Das hörte der Beschimpfte. Er richtete sich soweit auf, wie seine Fesseln ihm erlaubten, und rief zu dem andern hinüber:

„Was hat der schwarze Geier gesagt? Ich sei ein altes Weib? Er selbst ist als das feigste alte Weib im ganzen Stamm bekannt. Wäre er ein Mann, so hätte er sich gestern abend nicht ergreifen lassen!“

„Du bist ja auch gefangen!“ entgegnete der andere. „Warum hast denn du dich fangen lassen? Und bei dir ist’s nicht am Abende, sondern bei Tage gewesen! Welch eine Feigheit, sich von den Fesseln befreit und sie doch wieder angelegt zu haben, weil du dich fürchtetest!“

Und nun begann zwischen beiden ein heftiger Redekampf. Sie hätten einander ermordet, wenn sie nicht gefesselt gewesen wären. Winnetou machte dem Auftritt ein Ende, indem er dem „schwarzen Geier“ Aufklärung gab.

„Du – du bist es gewesen?!“ rief der Geier da betreten aus. „Das ist unmöglich! Ich habe die Wolke an der Stimme erkannt!“

„So bist du nicht nur blind, sondern auch halb taub gewesen, denn es war meine Stimme, welche du gehört hast. Du sagtest mir, was ich wissen wollte; dann schlich ich mich wieder fort.“

„Hört ihr es!“ rief die dunkle Wolke aus. „Er hat den Häuptling der Apatschen für mich gehalten und ihm unsere Geheimnisse mitgeteilt. Schande über ihn! Er muß aus dem Stamme gestoßen werden!“

„Du wirst ebenso wie er nicht mehr zu dem Stamme der Yuma gehören, denn ihr werdet unsere Kugeln schmecken, ehe wir von hinnen reiten; dann wird die Sonne in eure offenen Schädel scheinen, um zu sehen, daß niemals ein Gehirn darin gewesen ist!“

Die Drohung erschreckte die Yumas so, daß sie schwiegen, brachte aber dafür einen andern, nämlich den Juriskonsulto, zum reden. Seine Untergebenen hatten ihm den Standpunkt klar gemacht; er wußte, daß wir die Yumas töten und dann fortreiten wollten, ohne ihn und seine Gefährten loszubinden; als er nun Winnetous letzte Worte hörte, glaubte er diese Zeit gekommen und wendete sich aus Angst in bittendem Tone an mich:

„Sennor Shatterhand, ist es wirklich wahr, daß die Roten erschossen werden?“

„Ja,“ antwortete ich. „Binnen einer Viertelstunde. Dann reiten wir fort.“

„Aber Sie werden uns doch vorher freilassen!“

„Nein. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß uns das nicht einfallen kann.“

„Aber bedenken Sie, daß Sie dadurch zum Mörder an uns werden, mein wertester Sennor!“

„Wie haben denn Sie gehandelt? Übrigens ersuche ich Sie, mich mit ihrem wertesten Sennor zu verschonen. Ich verzichte auf einen Titel, den Sie vorher schon einem Yuma gegeben haben. Es scheint, Sie können nur dann höflich sein, wenn die Angst Sie dazu treibt.“

„Nein, nein! Ich kann höflich sein und werde höflich sein. Sie sollen kein unrechtes Wort mehr von uns hören, wenn Sie uns loslassen. Ich sehe ein, daß wir undankbar waren und ohne Sie verloren gewesen wären, und der Haziendero ist auch zu dieser Einsicht gekommen; nicht wahr, Don Timoteo?“

„Ja, Sennor Shatterhand,“ antwortete der Angeredete. „Ich habe während der letzten Nacht über alles nachgedacht und weiß nun, daß alles, was mir widerfahren ist, nicht geschehen wäre, wenn ich auf Ihre Warnungen gehört hätte.“

Er bat, und der Beamte bat. Die unter Fesseln und stehend am Baume verbrachte Nacht hatte sie mürbe gemacht. Das war es, was ich bezweckt hatte, und so fragte ich endlich in freundlicherem Tone als bisher:

„Aber was werden Sie denn thun, wenn ich Sie loslasse? Nach Ures zurückkehren und Anklage gegen mich erheben, wie Sie mir gedroht haben?“

„Nein, nein!“ antwortete der Haziendero. „Ich bin hier heraufgeritten, um Melton zu erwischen und alles, was er mir abgenommen hat, von ihm zurückzufordern. Diese Absicht kann ich in Ures nicht erreichen. Wenn Sie die Güte haben wollen, uns wieder loszubinden, werden wir mit Ihnen nach Almaden alto reiten, um dort den Betrüger zu bestrafen.“

„Ja, wir reiten mit Ihnen,“ stimmte der Juriskonsulto bei. „Wir werden den Halunken zur Rechenschaft ziehen und große Thaten thun, indem wir mit den Yumas kämpfen!“

„Dann möchte ich Sie doch lieber hängen lassen, denn ich bin überzeugt, daß wir viel leichter und eher zum Ziele gelangen, wenn Sie nicht bei uns sind. Sie würden ja doch nur wieder Dummheiten machen.“

„Nein, nein! Wir versprechen Ihnen, klug wie die Schlangen zu sein und nichts zu thun, ohne vorher Ihre Erlaubnis eingeholt zu haben.“

„Wenn Sie den festen Willen haben, diesem Versprechen nachzukommen, so will ich mich erbitten lassen, doch muß vorher erst noch zweierlei geschehen. Sie unterzeichnen einige Zeilen, welche ich mir für den Gebrauchsfall in mein Buch notiere, des Inhalts, daß Sie nicht die mindeste Ursache haben, Winnetou und mir Vorwürfe zu machen, sondern uns als Ihren Lebensrettern vielmehr zu Dank verpflichtet sind.“

„Die Unterschrift sollen Sie haben. Und was ist das zweite?“

„Daß Sie sich auch an Wiinnetou wenden. Bisher haben Sie nur mich gebeten, Sie freizugeben; er hat aber darüber ebensogut zu bestimmen wie ich.“

Sie folgten dem Winke; der Apatsche antwortete ihnen nicht, sondern sagte, sich in wegwerfendem Tone an mich richtend:

„Die Bleichgesichter sind wie die Flöhe, welche keinen Nutzen bringen und auch niemandem zu schaden vermögen und denjenigen, an dem sie hangen, nur belästigen. Wenn Old Shatterhand solch Ungeziefer mit sich schleppen will, so ist das seine Sache. Der Häuptling der Apatschen hat nichts dagegen.“

Darauf löste ich ihnen die Riemen. Daß sie doch wirklich Angst gehabt hatten, zeigte sich jetzt, als sie meine Hände ergriffen, um sich zu bedanken. Ich hatte nicht nötig, sie von mir abzuwehren, denn ihre Dankesbezeugungen wurden von anderer Seite unterbrochen, von einer Seite, an welche ich jetzt am allerwenigsten gedacht hätte. Nämlich genau an derselben Stelle, an welcher ich gestern mit Winnetou den Tümpel erreicht hatte, teilte sich jetzt das Gebüsch, und wen sahen wir? Den jungen Mimbrenjo, den ich fortgeschickt hatte, um die fünfzig Krieger, welche sich bei den Herden befanden, zu benachrichtigen. Da er so schnell zurückkehrte, mußte etwas, und zwar nichts Gutes geschehen sein. Er reichte seinem Bruder die Hand und meldete dann, sich an Winnetou und mich wendend:

„Meine beiden großen Brüder haben so deutliche Spuren hinterlassen, daß ich ihnen leicht zu folgen vermochte. Leider wurde es gestern dunkel, ehe ich diesen Ort zu erreichen vermochte, und ich mußte, um die Fährte nicht zu verlieren, den Morgen kurz vor dem Ziele erwarten.“

„Mein junger Bruder,“ antwortete ich, „muß kurz, nachdem er uns verlassen hatte, wieder umgekehrt sein, um uns nachzureiten. Ich sandte ihn seinen Brüdern entgegen. Warum hat er den Auftrag nicht ausgeführt?“

„Er hat ihn ausgeführt. Wie könnte er es wagen, gegen die Befehle Old Shatterhands und Winnetous zu handeln! Ich bin auf meine Brüder getroffen und habe sie mitgebracht.“

„Unmöglich! Die Herden können, da sie so langsam gehen, nach meiner Berechnung frühestens morgen bei der Hazienda eintreffen.“

„Unsere Krieger konnten eher kommen, weil sie die Herden verlassen mußten. Sie sind von den Yumas überfallen worden.“

„Was? Es scheint, die Gegend wimmelt geradezu von Yumaschwärmen. Wir hatten den großen Mund mit seinen Leuten; droben in Almaden alto stehen dreihundert, und nun giebt es einen dritten Trupp, welcher die Herden überfallen hat! Das ist doch sonderbar!“

„Old Shatterhand wird es noch weit sonderbarer finden, daß der große Mund sich bei dem Trupp befunden hat.“

„Der große Mund?“ fragte ich beinahe erschrocken. „Der befindet sich doch in den Händen deines Vaters und soll nebst den andern gefangenen Yumas nach den Weideplätzen der Mimbrenjos transportiert werden!“

„So war es; aber es ist ihm jedenfalls gelungen, sich frei zu machen. Dann hat er mit vielen Yumakriegern die Herden überfallen.“

„Die Treiber haben sich natürlich gewehrt?“

„Nur kurze Zeit. Sie zählten nur fünfzig, und der große Mund hatte mehrere hundert Krieger bei sich. Einige Mimbrenjos wurden getötet und mehrere verwundet; sie sahen ein, daß Widerstand zu nichts führen könne, und ergriffen die Flucht nach der Hazienda, wo sie Old Shatterhand und Winnetou wußten. Darum sind sie viel eher dort angekommen, als mein großer, weißer Bruder gedacht hat.“

„Warum sind sie nach dieser Richtung geflohen und nicht nordwärts, wo sie deinen Vater wußten?“

„Weil der große Mund ihnen den Weg verlegte; weil sie annehmen mußten, daß es nun sehr fraglich sei, ob sie meinen Vater treffen würden, und weil sie nach der Hazienda nicht soweit hatten, wie zu ihm. Auch glaubten sie, von Old Shatterhand und Winnetou notwendig gebraucht zu werden. Ich traf schon am Walde der großen Lebenseiche auf sie und kehrte schnell um, sie meinen beiden berühmten Brüdern nachzubringen. Sie harren unten am Waldesrande, wo die Fährte, welcher wir gefolgt sind, unter die Bäume tritt. Ich vermutete den ersten Yumaposten hier und schlich voran, ihn zu erkundschaften.“

„So weiß man also nicht, auf welche Weise der große Mund frei geworden ist?“

„Nein.“

„Dann kann es mit deinem Vater und seinen Kriegern schlimm stehen. Wer weiß, in welcher Gefahr er sich befunden hat und noch befindet. Ihr seid doch wohl so klug gewesen, einige Leute abzusenden, um dies zu erkunden?“

„Ja. Zwei sind fort, um meinen Vater aufzusuchen, und zwei andere sind nach unsern Weideplätzen, um dafür zu sorgen, daß sich schnell zweihundert frische Krieger hinauf nach Almaden alto aufmachen. Hätten wir noch mehr thun sollen?“

„Nein. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen und bei der Eile, welche nötig ist, habt ihr genug gethan. Hol deine Krieger herbei! Sie kommen mir wie gerufen, obgleich der Grund der Schnelligkeit für uns jedenfalls ein betrübender ist.“

Keiner unserer Gefangenen hatte ein Wort des Gespräches gehört, da wir, wie sich ganz von selbst versteht, in vorsichtiger Entfernung von ihnen gestanden hatten. Jetzt blickte ich Winnetou an, und er sah mich an. Ich hatte in Gegenwart des Knaben keinen Vorwurf aussprechen wollen; jetzt aber, als dieser fort war, nahm das Gesicht Winnetous den allerstrengsten Ausdruck an, den ich jemals bei ihm beobachtet hatte, und er sagte:

„Der starke Büffeh ist wert, aus der Reihe der Häuptlinge gestoßen zu werden! Kann Old Shatterhand das, was er gehört hat, für möglich halten?“

„Eigentlich nicht, aber unser Freund hat es doch ermöglicht. Wie zornig machte ihn der Gedanke, daß ich den großen Mund entkommen lassen wolle! Und nun ist er ihm selbst entflohen!“

„Mein Bruder mag dazu nehmen, daß die Yumas alle gefesselt waren und keine Waffen hatten.“

„Und daß sie von über hundert Mimbrenjokriegern bewacht wurden! Und doch ist der vornehmste und für uns wichtigste von ihnen entkommen!“

„Vielleicht er nicht allein!“

„Ja, es ist sogar wahrscheinlich, daß alle seine Leute mit ihm befreit worden sind. Da er den Herden mit einer überlegenen Anzahl nachgefolgt ist, muß man vermuten, daß eine bedeutende Schar von Yumas auf die Mimbrenjos gestoßen ist, natürlich zufällig, und die Gefangenen befreit hat.“

„So mußte sich der starke Büffel bis auf den letzten Mann wehren!“

„Und den großen Mund lieber töten, als ihn entkommen lassen! Wir werden den gefährlichen Gegner nun bald wieder zu sehen bekommen. Er kann sich sagen, wohin wir wollen, und wird uns entweder unverweilt folgen oder gar von da aus, wo er auf die Herden getroffen ist, den geraden Weg hinauf nach Almaden einschlagen. Da wir unser so wenig sind, müssen wir ihm zuvorzukommen suchen. Jeder einzelne von uns hat für zehn zu gelten, und was wir nicht durch Gewalt erreichen können, müssen wir durch doppelt scharfe List zu erlangen trachten.“

Jetzt kamen die Mimbrenjos. Ich zählte vierzig. Einige von ihnen waren verwundet; da vier von ihnen als Boten unterwegs waren, hatten sie bei dem Zusammentreffen mit dem „großen Munde“ sechs Tote verloren. Sie begrüßten uns stumm, schienen überhaupt sehr kleinlaut zu sein und Vorwürfe von uns zu erwarten; wir enthielten uns aber derselben, welche doch nichts nützen konnten, und ließen uns nur erzählen, wie es bei dem Überfalle zugegangen war. Sie hätten sich, trotzdem sie von einer solchen Übermacht angegriffen worden waren, wohl länger gewehrt, hatten sich aber klugerweise gesagt, daß mir ihre gesunden Glieder nützlicher sein würden, als den Feinden ihr Tod. Sie verdienten keinen Tadel; die Schuld traf ihren Häuptling ganz allein. Zwar wußten wir nicht, unter welchen Umständen ihm der „große Mund“ entkommen war, aber es stand doch fest, daß er ihn auf keinen Fall hätte entfliehen lassen dürfen.

Am liebsten wäre ich jetzt gleich nach der Fuente aufgebrochen; aber wir mußten vorher den „schnellen Fisch“ erwarten und festnehmen. Wir konnten es allerdings auch so einrichten, daß wir unterwegs auf ihn trafen, aber da hätte er uns von weitem sehen und uns entgehen können. Ich schickte also den jungen Yumatöter hinunter nach der Stelle, an welcher ich gestern mit Winnetou die beiden Boten festgenommen hatte; er konnte dort weit ostwärts blicken und sollte, sobald er die Erwarteten sah, uns sofort benachrichtigen.

Diese zählten sechs Mann. Da ich sie weder töten noch verwunden und auch ihre Pferde unverletzt haben wollte, so war mir die so unerwartete Ankunft der vierzig Mimbrenjos außerordentlich gelegen. Ich konnte den „schnellen Fisch“ mit einer solchen Übermacht empfangen, daß ihm der Gedanke an Gegenwehr sogleich vergehen mußte.

Es war wohl gegen neun Uhr vormittags, als der Yumatöter gelaufen kam, um zu melden, daß er sechs Reiter gesehen habe. Ich machte mich mit fünfzehn Mimbrenjos die Höhe hinunter und legte mich mit ihnen in den Hinterhalt. Wir sahen die sechs im Trabe näher kommen. Als sie den Fuß der Höhe erreichten, ließen sie ihre Pferde langsamer gehen, was uns die Ausführung unserer Absicht erleichterte. Wir drangen von beiden Seiten aus den Büschen auf sie ein, rissen sie von den Pferden und nahmen ihnen die Waffen ab, noch ehe sie recht wußten, wie ihnen geschah. Dann wurden sie nach dem Tümpel geschafft, dessen von Bäumen und Sträuchern freie Ufer kaum Platz für so viele Menschen hatten, wie jetzt hier beisammen waren.

Die schon früher gefangenen Yumas erhoben ein Wehegeheul, als wir die sechs zu ihnen brachten. Der „schnelle Fisch“ war noch jung und mußte sich schon ausgezeichnet haben, da ihm ein so wichtiger Posten anvertraut worden war. Er kannte mich nicht; als er aber Winnetou erblickte, ging ein sichtbarer Schreck über sein Gesicht, und er rief aus:

„Der Häuptling der Apatschen! Man hat mir doch gesagt, daß er unten bei der Hazienda del Arroyo zu finden sei!“

Winnetou antwortete in ironischer Höflichkeit:

„Meint der schnelle Fisch, daß der Häuptling der Apatschen Ackerbauer und Viehzüchter geworden sei und seine Wohnung für immer in einer Hazienda oder Estanzia aufgeschlagen habe? Ich hörte, daß der Fisch von meiner Anwesenheit benachrichtigt worden sei und mich sehen wolle; da er nun ein so berühmter Krieger ist, habe ich es für meine Pflicht gehalten, ihm den weiten Weg zu ersparen, und bin heraufgekommen, ihn zu begrüßen. Er mag zugleich meinen Bruder Old Shatterhand kennen lernen, welcher da neben mir steht.“

Der Yuma fuhr zurück, betrachtete mich mit großen Augen und rief, die einzelnen Silben auseinander ziehend:

„Das – ist – Old – Shat – ter – hand?! Ist er denn nicht Gefangener des großen Mundes, unsers obersten Häuptlings?“

„Wie du siehst, bin ich nicht gefangen,“ antwortete ich. „Der große Mund trägt seinen Namen mit vollem Rechte: Sein Mund ist groß, und seine Worte klingen erhaben, aber Old Shatterhand vermag er samt seinen hundert Yumas nicht zu halten. Ich bin ihm entkommen und habe ihn dann selbst gefangen genommen.“

Ich hielt es natürlich nicht für nötig, ihm mitzuteilen, daß der große Mund inzwischen wieder entkommen war. Meine Worte mußten ihn erschrecken, und er fragte:

„Der Häuptling ist gefangen? Wo befindet er sich?“

„In den Händen des starken Büffels, eures Todfeindes, der ihn und alle Yumakrieger, die wir ergriffen haben, nach den Weideplätzen der Mimbrenjos schafft, wo sie am Marterpfahle sterben werden. Wir aber sind indessen in die Berge geritten, um den schnellen Fisch kennen zu lernen. Ich wollte zu ihm gehen, um mich ihm zu zeigen; da er aber so freundlich gewesen ist, zu uns zu kommen, so können wir ihm unsere Huldigungen schon hier erweisen und werden ihm dann das Ehrengeleite zurück nach der Fuente de la Roca geben.“

Ja, wir konnten nun nach der Felsenquelle aufbrechen, da wir hier nichts mehr zu thun hatten und Eile überhaupt not that. Je eher es uns gelang, die Emigranten zu befreien, destoweniger lang hatten sie zu leiden. Freilich, ob mir mit meinen wenigen Mimbrenjos diese Aufgabe gelingen würde, das war mehr als zweifelhaft. Wir hatten noch drei Posten zu je fünf Mann und dazu die an der Fuente befindlichen Yumas aufzuheben. Selbst wenn uns dies gelang, hatten wir dann mehr Gefangene zu bewachen, als wir selbst zählten, und sollten es dann noch mit Melton, den beiden Wellers und den dreihundert Yumas, welche in Almaden alto standen, aufnehmen. Das war weit mehr, als man von Menschen erwarten konnte; aber ich hatte meinen Winnetou bei mir, welcher wirklich, wie gesagt worden war, für hundert zählte, verließ mich, wie auch schon erwähnt, auf mein gutes Glück und hielt es trotz der eingetretenen ungünstigen Umstände doch für nicht unmöglich, daß die zur Hilfe gerufenen Mimbrenjos noch rechtzeitig eintreffen würden.

Bei der Minderzahl, in welcher wir uns befanden, mußten wir unsere Zuflucht zunächst und vor allen Dingen zur List nehmen, und da richtete ich mein Augenmerk auf den Player, dessen Charaktereigenschaften ein Verrat an seinen Genossen recht wohl zuzutrauen war. Wenn ich ihm unsere Nachsicht in Aussicht stellte, stand zu erwarten, daß er dieses Mittel zu seiner Befreiung gern ergreifen werde. Da durfte ich ihn nun freilich nicht mit den gefangenen Yumas verkehren lassen, da diese ihn gewiß abgehalten hätten, mir zu Willen zu sein. Ich richtete es also so ein, daß er, als wir aufgebrochen waren, von ihnen abgesondert ritt und den Yumatöter als Wächter bei sich hatte.

Es waren eigentlich nur vier Personen, auf welche ich mich vollständig verlassen konnte, Winnetou, ich und die beiden Söhne des starken Büffels. Von den andern Mimbrenjos stand zwar auch zu erwarten, daß sie ihre Schuldigkeit nach Kräften thun würden, aber zu diesen Kräften hatte ich eben kein rechtes Vertrauen; ich zweifelte daran, daß sie der Aufgabe, welche wir zu lösen hatten, vollständig gewachsen seien, und betrachtete sie, wenn auch nicht gerade als Statisten, so doch als Leute jener unselbständigen Art, welche nur das zu thun pflegen, worauf man sie mit der Nase stößt. Es waren alte Krieger unter ihnen, doch schienen dieselben nicht die Intelligenz zu besitzen, welche ich nach den Erfahrungen, die ich gemacht hatte, dem soviel jüngeren Yumatöter und seinem Bruder zutraute. Und was nun gar den Haziendero, den Juriskonsulto und dessen Polizisten betraf, so war ich überzeugt, daß ihre Gegenwart uns eher hinderlich als förderlich sein werde.

Es fiel uns natürlich nicht ein, die Yumas nach dem Wege zu fragen; sie durften überhaupt nicht wissen, wieweit wir unterrichtet waren und in welchen Beziehungen wir uns in Ungewißheit befanden. Winnetou kannte die Fuente und ihre Umgebung und schlug sicher den geradesten Weg nach derselben ein. Er mochte meine Gedanken aus den Blicken erraten, die ich von Zeit zu Zeit vorwärts warf, denn er sagte bei einer solchen Gelegenheit zu mir:

„Mein Bruder braucht keine Sorge zu haben, daß wir die Fuente verfehlen werden. Ich treffe sie so gewiß, wie meine Kugel ihr Ziel zu finden pflegt: ohne daß wir einen einzigen Schritt des Umweges machen.“

„Davon bin ich fest überzeugt. Jedoch fragt es sich, ob wir zur wünschenswerten Zeit dort ankommen, weil wir unsern heutigen Ritt so spät beginnen konnten.“

„Old Shatterhand mag sich auch in dieser Beziehung beruhigen. Wir kommen zwar erst des Nachts dort an, aber das ist doch besser, als wenn wir die Felsenquelle schon am Tage erreichten, wo wir gesehen werden könnten. In der Dunkelheit bleibt unser Nahen unbemerkt, und wir werden die Yumas so vollständig überraschen, daß uns keiner entgehen und die Kunde von unserer Anwesenheit weitertragen kann.“

Der Weg war sehr bequem; er führte stundenlang über einen weiten Llano, welcher mit kurzem Grase bewachsen war. Dunkle Streifen, die bald im Norden und bald im Süden am Horizonte erschienen, deuteten an, daß der Llano mit Wald eingefaßt war. Der Boden hatte die nötige Feuchtigkeit, um Gras hervorzubringen, doch kamen wir an keinem fließenden oder stehenden Wasser vorüber.

Zur heißesten Tagesstunde wurde angehalten, um die Pferde verschnaufen und weiden zu lassen; dann ging es weiter. Obgleich man es nicht sehr bemerkte, stieg der Llano immer bergan, bis er an einem Laubwalde endete, welcher die Lehnen sanfter Höhen umsäumte. Wir ritten zwischen denselben empor; sie bildeten sich zu Bergen aus, welche mit dichtem Nadelholz bestanden waren. Die Thäler, durch welche wir kamen, wurden von kleinen Bächen durchflossen und verwandelten sich infolge der zunehmenden Steilheit der anliegenden Höhen in Schluchten, in denen es schon düster war, als die Spitzen der Berge noch im Abendrote erglänzten.

Nun mußten wir langsamer reiten als bisher. Winnetou war als Führer an unsrer Spitze. Es trat vollständige Dunkelheit ein; aber er leitete uns mit solcher Sicherheit, daß die Finsternis uns nur dadurch beschwerlich wurde, daß wir unsere Gefangenen nun mit doppelter Aufmerksamkeit zu bewachen hatten.

Wohl drei Stunden waren seit der Dämmerung vergangen, da hielt er an einem Wasser an, welches in einem breiten und sehr bequem zu passierenden Thale floß. Ich hatte den letzten des Zuges gemacht und ritt nun vor zu ihm, da ich mir sagte, daß wir wahrscheinlich in der Nähe der Felsenquelle angekommen seien. Als ich ihn erreichte, sagte er:

„Mein Bruder wird bemerkt haben, daß dieses Thal nach Norden streicht, während die Fuente und auch Almaden östlich liegen. In einiger Entfernung von hier aber führt ein Seitenthal nach rechts, also aus Osten; aus diesem kommt das Wasser, an welchem wir uns befinden; dort entspringt es zwischen Felsen, und darum wird die Stelle, an welcher es aus den Steinen tritt, die Fuente de la Roca genannt. Die Feinde werden dort alle beisammen sein, denn es steht nicht zu erwarten, daß sie bei der gegenwärtigen Finsternis noch umherschweifen. Wir müssen unsre Gefangenen hier zurücklassen, denn nähmen wir sie weiter mit, so könnten sie auf den Gedanken kommen, uns durch Rufen und Schreien zu verraten. Was bestimmt nun mein Bruder, was geschehen soll? Sollen gleich soviele Mimbrenjos, als wir zur Überwältigung der Gegner brauchen, mitgehen, oder hält er es für besser, daß ich mich erst einmal allein anschleiche, um zu erfahren, wie wir den Überfall am besten vorzunehmen haben?“

„Das letztere wird das bessere sein. Mein Bruder Winnetou mag erst auf Kundschaft gehen. Wieweit ist die Felsenquelle von hier entfernt?“

„In einer Viertelstunde bin ich dort und kann also in einer ganzen Stunde recht gut wieder zurück sein.“

Er stieg vom Pferde, übergab mir seine Silberbüchse und verschwand in der Dunkelheit. Wir andern stiegen natürlich ab, nahmen die Gefangenen von den Pferden und legten sie nebeneinander, weil sie so besser beaufsichtigt werden konnten. Als ich mich niedergesetzt hatte, kam der Juriskonsulto zu mir und sagte:

„Ich habe bemerkt, daß der Apatsche fort ist. Wohin ist er gegangen, Sennor?“

„Nach der Fuente.“

„Was will er dort?“

„Er will sich an die Yumas schleichen, um zu erfahren, wie wir sie zu fassen haben.“

„Das ist doch überflüssig! Wenn wir gleich hingeritten wären, so hätten wir sie sicher überrumpelt; so aber befürchte ich, daß sie ihn bemerken und uns entwischen.“

„Ihre Befürchtung ist vollständig überflüssig. Sie werden ihn ebensowenig bemerken, wie die Mitternacht den Mittag zu sehen bekommt.“

„Wer hat denn eigentlich bestimmt, daß er vorangehen soll?“

„Er und ich natürlich.“

„Das finde ich weniger natürlich, Sennor. Er ist ein Indianer, der nichts gilt; Sie sind zwar ein Weißer, aber fremd hier zu Lande. Dagegen bin ich ein Vertreter der hiesigen Obrigkeit und muß, wenn es sich um die Ergreifung von roten Verbrechern handelt, verlangen, daß nichts ohne mein Wissen und meine Genehmigung unternommen wird. Sie hätten mich also vorher fragen sollen!“

„Meinen Sie? Da passen wir freilich nicht gut zusammen, denn ich pflege zu handeln, ohne viel zu fragen.“

„Das bitte ich, zu ändern! Ich ersuche Sie sehr, immer an meine Würde zu denken und mich nicht nur um Rat, sondern, wie es ganz selbstverständlich ist, um meine Erlaubnis zu fragen, ehe Sie eine Bestimmung treffen, welche von Amts wegen von mir und nicht von einem andern auszugehen hat!“

„Hm! Sie führen da eine sonderbare Sprache, Sennor. Ihr Amt geht, trotzdem sie sich in Uniform befinden, mich ganz und gar nichts an. Was Ihre Würde betrifft, so habe ich von derselben keine Spur bemerkt, als Sie als Gefangener und halb Verlorener am Baume hingen. Sie werden unserer Hilfe bedürfen, nicht aber wir Ihrer Befehle. Das klügste, was Sie thun können, ist schweigen. Da haben Sie meine Anwort!“

„Mit welcher ich mich unmöglich beruhigen kann, Sennor! Wenn Sie sich einbilden, unser Kommandant zu sein, so – – –“

„Schweigen Sie!“ unterbrach ich ihn in strengem Tone. „Ich bilde mir allerdings ein, nebst Winnetou hier Kommandant zu sein. Ist Ihnen das nicht recht, so kehren Sie gefälligst um, und reiten Sie dorthin zurück, woher Sie gekommen sind! Sie meinen, sich mit meiner Entscheidung nicht beruhigen zu können? Wenn Sie sich nicht augenblicklich auf die Schöße Ihrer Uniform setzen und sich dann still verhalten, laß ich Sie binden. Dann können Sie, wenn wir fort sind, Befehle erteilen, soviel Sie wollen und an wen Ihnen beliebt!“

Das wirkte. Er ging zu seinem Haziendero und setzte sich bei ihm nieder. Sich jetzt noch laut zu widersetzen, das wagte er nicht, doch hörte ich ihn mißmutig vor sich hinbrummen. Dieses Vergnügen konnte ich ihm gönnen.

Es währte nicht so lange, wie Winnetou angenommen hatte. Noch waren nicht drei Viertelstunden vergangen, so kehrte er zurück und meldete:

„Es sitzen vierzehn Yumas an der Quelle; zwanzig sind es gewesen; fünf und den schnellen Fisch haben wir ergriffen, folglich sind sie alle beisammen.“

„Wird ihr Ergreifen leicht oder schwer sein?“

„Leicht. Sie dünken sich sicher und haben ihre Waffen zur Seite liegen. Die Pferde weiden abwärts von dem Quell am Wasser.“

„So müssen wir an ihnen aufwärts vorüber. Werden sie uns nicht wittern?“

„Nein, denn die Luft steht in dem Thälchen still, und wir gehen am andern Ufer. Ich werde euch so führen, daß wir sie einschließen, ohne daß sie es bemerken.“

Wir suchten uns fünfundzwanzig Mimbrenjos aus, welche ihre Gewehre mitzunehmen hatten, da die Yumas mit den Kolben niedergeschlagen werden sollten. Die übrigen blieben mit den jungen Häuptlingssöhnen und unsern famosen weißen Begleitern aus Ures zurück, um die Gefangenen zu bewachen.

Indem wir am Wasser aufwärts schritten, bildeten wir eine Einzelreihe. Jeder Nachfolgende ging hart hinter seinem Vordermanne, damit wir die Fühlung nicht verlieren möchten. Bald kamen wir in das rechts abbiegende Nebenthal und mußten nun höchst vorsichtig sein. Jeder legte die Rechte auf die Schulter seines Vorangehenden und hielt sich mit der Linken von den Bäumen ab, an denen wir vorüberkamen. Der Schein eines Feuers glänzte uns entgegen. Über dem Wasser drüben hörten wir die Pferde stampfen.

Wir schritten nicht gerade auf das Feuer zu, sondern wurden von Winnetou in einem Bogen geführt. Als wir dann die Fuente erreichten, sahen wir, daß der Ort für unsern Zweck gar nicht geeigneter sein konnte. Der Felsen spaltete sich zu einer Nische, in deren Hintergrund der Quell aus dem Gesteine hervorsprudelte. Das Feuer brannte vor der Nische; die Indianer aber saßen in der Nische selbst, außer dreien, welche mit braten beschäftigt waren. Wir brauchten also nur die drei niederzuschlagen; die andern elf waren uns sicher, wenn wir uns vor der Nische, aus der es der Höhe der Felsen wegen kein Entrinnen gab, aufstellten. Ihre Waffen lagen in einem Haufen vor der Nische.

Ich befahl, einen Halbkreis zu bilden, die drei am Feuer Winnetou und mir zu überlassen, und sprang, als der Befehl leise von einem zum andern gegangen war, vorwärts. Wir hatten nur wenige Schritte zu thun. Als die Yumas das Geräusch unserer Füße hörten, waren sie auch schon eingeschlossen, und mein und Winnetous Kolben trafen die drei Roten so, daß dieselben zusammenknickten.

Die andern sprangen erschrocken auf, um aus der Nische hervor und nach ihren Waffen zu eilen, erkannten aber, daß dies unmöglich war, denn wir standen vor derselben und hielten ihnen mehr als zwanzig Gewehrläufe entgegen. Die kurze Verhandlung, welche wir mit ihnen führten, braucht nicht des näheren geschildert zu werden; sie mußten sich ergeben und wurden mit ihrem eigenen Riemenzeuge gebunden.

Hier an der Fuente befand sich, wie wir gewußt hatten und nun auch sahen, der Hauptposten von den fünf, welche zwischen der Hazienda und der Almaden alto gelegt waren. Wir fanden in der Nische mehrere Ledersäcke, welche mit Proviant und allem gefüllt waren, was für Indianer zu einem längeren Aufenthalte nötig ist. Der Ort selbst war in jeder Beziehung, außer für den Zweck der Verteidigung, gut gewählt. Wozu die Posten eigentlich gelegt waren, konnten wir uns denken, wenn ihr Zweck auch ein mehr zukünftiger als gegenwärtiger war. Auf dieser Linie sollte nämlich die Ausbeute des Quecksilberbergwerkes über die Hazienda nach Ures und von dort aus alle Bedürfnisse für Almaden zurücktransportiert werden; die Posten hatten für die Sicherheit des Weges zu sorgen.

Als wir uns im Besitze der Quelle befanden, ging Winnetou zurück, um die andern zu holen. Nach Verlauf einer Stunde waren sie bei uns. Es gab selbstverständlich lebhafte Scenen, welche für uns teils unangenehm, teils heiter waren, aber keine Bedeutung hatten, weshalb ihre Schilderung besser unterlassen bleibt.Wir schliefen tüchtig, die Wachen natürlich ausgenommen, und brachen am nächsten Morgen zeitig auf.

Nun befanden wir uns eigentlich in einer kleinen Verlegenheit. Niemand von uns war in Almaden gewesen, und die Yumas wollten wir nicht fragen. Wir hätten sie zwar zwingen können, uns zu führen, wären dabei aber jedenfalls auf Hinterlist und Hartnäckigkeit gestoßen. Man wird sagen: Der Haziendero hat doch jedenfalls den Weg nach seiner Besitzung gekannt. Ja, das ist richtig; aber wir wollten ihm auch nicht eine Spur von Unsicherheit merken lassen. Sobald wir ihm nur das Geringste zu danken hatten, stand zu erwarten, daß er und sein Juriskonsulto wieder in ihr altes Wesen zurückfallen würden. Zudem glaubte ich, mich auf den Player besser, als auf ihn verlassen zu können. Dieser war, sozusagen, als Spion oben in Almaden gewesen und hatte die Gegend jedenfalls in einer für seine Zwecke dienlichen Weise durchsucht; für meinen Zweck kannte er sie wahrscheinlich also genauer, als der Haziendero, und es zeigte sich auch in der Folge, daß ich da ganz richtig vermutet hatte.

Für den ersten Teil des Rittes brauchten wir keine Erkundigungen einzuziehen; es verstand sich ganz von selbst, daß unser Weg von der Fuente aus thalaufwärts führte, und wohin wir uns, wenn das Thal zu Ende war, zu wenden hatten, das konnte ich dem Scharfsinne Winnetous überlassen, welcher voranritt. Für die spätere Strecke mußte ich dadurch sorgen, daß ich den Player ausforschte.

Um diesen willig zu machen, mir Aufklärung zu erteilen, war es notwendig, ihn in Angst zu versetzen. Ich hatte den Yumatöter, welcher stets neben ihm ritt, davon unterrichtet, und gesellte mich, scheinbar absichtslos, im Laufe der ersten Viertelstunde zu ihm. Da der junge Indianer zwar den gebräuchlichen Mischdialekt sprach, aber dabei weniger indianische Ausdrücke anwendete als andere, so konnte der Player recht gut verstehen, was zwischen uns beiden gesprochen wurde. Als wir eine kleine Weile schweigend nebeneinander geritten waren, fragte mich der Yumatöter:

„Wird mein berühmter weißer Bruder erlauben, daß ich zu ihm spreche, obgleich ich ein so junger Krieger bin?“

„Mein roter Bruder mag getrost sagen, was er zu sagen hat,“ antwortete ich.

„Die Krieger der Mimbrenjos, meine Brüder, sind zu Hunderten mit ihren tapfersten Häuptlingen ausgezogen, um droben in Almaden auf uns zu treffen. Denkt Old Shatterhand, daß sie schon dort sein werden, wenn wir bei dem Bergwerke ankommen?“

Mit voller Absicht erzählte der junge Indianer, daß uns unsere Verbündeten erwarteten; der Player sollte wissen, daß wir Hilfsmittel genug besaßen, unsere Absichten ins Werk zu setzen.

„Nein,“ erwiderte ich. „Sie sind noch nicht dort.“

„Aber sie sind doch zu gleicher Zeit mit uns aufgebrochen und haben nicht so weit wie wir!“

„Der Yumatöter muß sich sagen, daß sie vor unserer Ankunft doch nichts unternehmen dürfen. Wenn sie sich aber den dreihundert Yumas, welche droben in Almaden sind, zeigen wollten, so würde augenblicklich der Kampf beginnen, welcher nur unter Winnetous und meiner Führung stattfinden soll. Das aber könnte alles verderben.“

„Verderben? Die hunderte Mimbrenjos werden die dreihundert Yumas doch leicht besiegen. Oder zweifelt Old Shatterhand daran?“

„Nein; es ist gar nicht möglich, Zweifel zu hegen. Erstens sind deine Brüder den Feinden in Beziehung auf ihre Zahl doppelt überlegen, und zweitens besitzen sie alle Schießwaffen, was ich von den Yumas nicht annehmen kann. Die letzteren müssen also unbedingt unterliegen.“

„So meine ich, daß unsere Krieger die Erlaubnis haben sollten, sofort anzugreifen, auch wenn wir uns noch nicht bei ihnen befinden.“

„Mein junger Bruder muß bedenken, welchen Zweck ich verfolge. Ich will Melton und die beiden Wellers fangen; ich werde sie ganz gewiß ergreifen, wenn die Mimbrenjos nach unserer Verabredung handeln. Greifen sie aber eher an, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die drei für mich sehr wichtigen Personen die Flucht ergreifen.“

„Sie werden von den Mimbrenjos daran gehindert werden.“

„Ja, das sollte man zwar meinen, ist aber nicht so sicher, wie mein junger Bruder denkt. Die drei Weißen werden sich hüten, sich am Kampfe zu beteiligen und dadurch ihr Leben in Gefahr zu bringen. Sie werden sich vielmehr aus dem Bereiche der Gefahr ziehen und von weitem, in Sicherheit, den Ausgang des Kampfes abwarten. Sehen sie, daß derselbe für sie ungünstig enden will, so reiten sie fort, und wir haben das Nachsehen.“

„Kann das nicht auch geschehen, wenn Old Shatterhand und Winnetou sich dabei befinden?“

„Nein, denn wir werden so klug sein, uns schon vor dem Kampfe der drei Bleichgesichter zu versichern. Sie ahnen nichts von unserer Annäherung, halten sich also nicht versteckt und werden uns offen und ahnungslos in die Hände laufen. Darum habe ich den Mimbrenjos den Befehl gegeben, sich, bis wir zu ihnen stoßen, in solcher Entfernung von Almaden zu halten, daß ihre Anwesenheit dort nicht bemerkt werden kann. Nach unserer Ankunft werden wir sofort reine Arbeit machen.“

Damit war unser Gespräch beendet, und es kam nun darauf an, ob es die gewünschte Wirkung auf den Player hervorgebracht hatte. Er blickte in düsterem Sinnen vor sich nieder und schien höchst bedenklich geworden zu sein. Es fiel mir nicht ein, ihn anzureden; er mußte selbst anfangen. Und das that er schon nach kurzer Zeit, indem er sich in englischer Sprache fragend an mich wendete:

„Master, wollt Ihr mir vielleicht sagen, ob der Yumatöter englisch versteht?“

„Vielleicht einige wenige Worte, mehr nicht,“ antwortete ich.

„Dann erlaubt mir, Euch zu sagen, daß ich gehört habe, was Ihr jetzt gesagt habt. Welchen Grund habt Ihr denn eigentlich, Euch so feindlich zu uns zu stellen?“

„Das könnt Ihr noch fragen? Master Player, nehmt es mir ja nicht übel, wenn ich diese Eure Frage für thöricht halte.“

„Habe ich Euch jemals etwas gethan?“

„Nein; aber mit euern Kollegen habe ich eine tüchtige Rechnung auszugleichen. Die Quittung werde ich ihnen mit einigen Kugeln geben.“

„Und ich? Was gedenkt Ihr dann mit mir zu thun?“

„Das kann ich jetzt noch nicht wissen. Ich muß erst erfahren, wie groß der Anteil ist, den Ihr an der Vergewaltigung meiner Landsleute habt.“

„Und wenn ein solcher Anteil nun vorhanden wäre?“

„Das würde Euch auch einen guten und wohlgezielten Schuß eintragen.“

„Alle Wetter! Wer hat Euch denn zum Richter über mich bestellt?“

„Ich selbst. Es ist aber gar nicht nötig, daß ich die Entscheidung fälle, welche Euch das Leben kosten wird. Die Auswanderer sind es, an denen Ihr Euch vergangen habt; ich liefere Euch ihnen aus und bin überzeugt, daß sie wenig Federlesens mit Euch machen werden. Oder denkt Ihr etwa, Nachsicht von ihnen erwarten zu dürfen?“

„Wenn ich in ihre Hände gerate, bin ich allerdings verloren. Aber wer zwingt Euch denn, mich ihnen auszuliefern?“

„Niemand; es ist mein Entschluß, mein freier Wille. Ich kann Euch ihnen ausliefern oder aber Euch auch laufen lassen, ganz wie es mir beliebt.“

„So möchte ich Euch bitten, letzteres zu thun!“

„Euch die Freiheit geben? Was fällt Euch ein!“

Ich machte dabei eine energische Armbewegung, welche ihm sagen sollte, daß daran nicht zu denken sei. Er kaute eine Weile an der Unterlippe und fuhr dann fort:

„Master, ich habe oft und viel von Euch gehört, und bei allem, was man über Euch redet und von Euch erzählt, steht die Menschlichkeit obenan, mit welcher Ihr selbst den ärgsten Feind behandelt. Wie kommt es da, daß Ihr diese schöne Eigenschaft nicht auch jetzt, gegen mich, in Anwendung bringen wollt?“

„Pah! Ich will menschlich gegen Euch sein; aber Ihr scheint Euch einen falschen Begriff von Menschlichkeit zu machen. Menschlich ist derjenige, welcher seinen Nächsten eben als Mensch behandelt, und das thue ich allerdings. Das heißt: einen guten Menschen behandle ich gut und einen schlechten schlecht.“

„Ihr haltet mich also für schlecht?“

„Natürlich!“

„Da irrt Ihr Euch, Master! Ich bin nicht schlecht, gebe aber gern zu, daß ich leichtsinnig gehandelt habe. Ich wollte schnell ein reicher Mann werden und habe mich deshalb dem Unternehmen Meltons angeschlossen. Als ich dies that, wußte ich nicht, daß Eure Landsleute ihr ganzes Leben unter der Erde verbringen sollen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen! Ist das nicht ein Milderungsgrund?“

Ich gab mir den Anschein, als ob ich seiner Versicherung Glauben schenkte, und antwortete:

„Hm! Es ist allerdings ein Leichtsinn, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, ohne genau zu wissen, auf welche Weise dasselbe zu stande kommen soll. Es wird mir schwer, Euch eine solche Unvorsichtigkeit zuzutrauen.“

„Traut sie mir in Gottes Namen zu, Master! Ich schwöre, daß ich nur gewußt habe, daß die Deutschen im Bergwerke arbeiten sollen, daß man sie aber für immer in demselben vergraben will, davon habe ich keine Ahnung gehabt.“

„Aber als Ihr es erfuhrt, seid Ihr natürlich einverstanden gewesen?“

„Nein. Ich habe mich mit aller Gewalt dagegen gesträubt, konnte es aber leider nicht ändern. Aber ich nahm mir fest vor, ihnen später, soviel in meiner Macht stand, ihre Lage zu erleichtern.“

„So! Nun, wenn das der Fall ist, so seid Ihr allerdings nicht der schlechte Mensch, für den ich Euch gehalten habe. Habt Ihr denn eine Ahnung, was es heißt, fürs ganze Leben in einem Schachte eingesperrt zu sein?“

„Natürlich kann ich mir das denken.“

„In einem Quecksilberwerke nämlich! Dies fürchterliche Gift übt eine entsetzliche Wirkung auf den Körper aus. Wie hätten meine armen Landsleute nach einigen Jahren ausgesehen, wenn sie nicht indessen gestorben wären! Und was für einen Tod hätten sie gehabt!“

„Schiebt das nicht auf mich, Master! Der teuflische Plan ist in dem Gehirn Meltons entstanden.“

„Ihr sagt ganz richtig: teuflisch ist der Plan. Die Urheber werden aber auch eine Strafe erleiden, welche ihrem Verbrechen angemessen ist. Ich werde sie den Mimbrenjo-Indianern übergeben und sie am Marterpfahle hinrichten lassen. Die Schurken werden tagelang sterben. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Sie haben es verdient; ich aber sage mich von ihnen los!“

„Das ist zu spät. Der Anteil, welchen Ihr an dem Werke habt, kann nicht ungeschehen gemacht werden.“

„Er kann es, Master, er kann es, wenn Ihr nur wollt, indem ich mich auf Eure Seite stelle, indem ich Euer Verbündeter werde.“

„Ich danke für einen solchen Verbündeten!“

„Wirklich? Meint Ihr, daß ich Euch nicht von Nutzen sein kann?“

„Ich möchte wissen, in welcher Weise Ihr mir förderlich werden könntet! Die Verhältnisse liegen so, daß ich keiner Hilfe bedarf. Mein Plan ist einfach und dabei leicht auszuführen. Wir reiten nach Almaden, schießen die Yumas zusammen, nehmen die weißen Halunken gefangen und veranstalten den mit uns verbündeten Mimbrenjos ein Schauspiel mit Marterpfählen. Da Ihr so viel von mir gehört haben wollt, werdet Ihr mir wohl zutrauen, daß ich dies ohne Eure Hilfe fertig bringe.“

„Ich gebe freilich zu, daß Ihr der Mann dazu seid, auch ohne mich ans Ziel zu kommen; aber Ihr werdet dabei auf Schwierigkeiten stoßen, welche ich, falls Ihr Euch meiner Hilfe bedienen wolltet, leicht beseitigen könnte.“

„Was für Schwierigkeiten könnten das wohl sein?“

„Kennt Ihr denn den Weg hinauf nach Almaden?“

„Ich brauche ihn nicht zu kennen. Der Haziendero ist ja bei uns.“

„Kennt Ihr die Stellen, wo die drei Yumaposten liegen, die Ihr noch aufzuheben habt?“

„Wir werden sie finden.“

„Ja, ein Pfadfinder, wie Ihr seid, wird sie finden, aber nach langem Suchen. Dabei geht die kostbare Zeit verloren. Ebenso müßt Ihr in Betracht ziehen, daß Euch kein Mann entkommen darf, denn wenn es einem gelänge, Euch zu entgehen, so würde er Euch voran nach Almaden eilen und Eure Ankunft melden. Ob das weitere dann so glatt für Euch verlaufen würde, das bezweifle ich sehr. Und dann wollt Ihr, ehe es zum Kampfe kommt, Euch Meltons und der zwei Weller versichern. Ihr scheint das für sehr leicht zu halten.“

„Allerdings. Ich will gar nicht von meinen früheren Erlebnissen und Erfahrungen reden; es muß schon das, was in den letzten Tagen geschehen ist, Euch sagen, daß wir es ohne große Mühe und Gefahr durchsetzen werden.“

„Es wird Euch allerdings keine Gefahr bringen, da Ihr Meister in solchen Dingen und zumal im Anschleichen seid. Ich selbst bin ja auch in dieser Weise von Euch überrumpelt worden. Desto mehr Mühe aber wird es Euch machen, diese drei Männer zu erwischen, da Ihr nicht wißt, wo sie wohnen, wo sie sich verborgen halten.“

„Das werden wir wohl zu entdecken vermögen.“

„Vielleicht, aber wohl nur dann, wenn es zu spät ist und diejenigen, welche Ihr fangen wollt, Wind von Euch bekommen haben.“

„Ihr redet in Rätseln, Master Player. Erst sprecht Ihr vom Wohnen und dann vom Verbergen. Wie hängt das wohl zusammen? Ein Versteck ist doch keine Wohnung!“

„Gewöhnlich nicht, hier aber doch. Die drei haben den Verhältnissen nach eine ganz bequeme Wohnung; dieselbe liegt aber so versteckt, daß selbst Euer bekannter Spürsinn nicht ausreicht, sie zu entdecken.“

„Es wird Spuren geben, nach denen wir uns richten können.“

„Nein, denn die Gegend ist ganz ausnahmslos so felsig, daß es keinen Fußstapfen geben kann.“

„So legen wir uns auf die Lauer. Melton wird seine Wohnung, welche Ihr ein Versteck nennt, doch zuweilen verlassen, so daß wir ihn zu sehen bekommen.“

„Das thut er allerdings, aber nur des Nachts, weil er gewarnt worden ist. Meine Botschaft, daß ich Winnetou an der Hazienda gesehen habe, ist von Posten zu Posten weiter getragen worden und so zu ihm gekommen. Es lag zwar gar kein Grund vor, anzunehmen, daß er von unserem Unternehmen mehr wisse, als ich Euch in der Übereilung gesagt hatte; aber das war doch genug, um anzunehmen, daß er Verdacht geschöpft habe und weiter nachforschen werde. Als ich da unten mit Euch sprach, ahnte ich nicht, daß Ihr Old Shatterhand wäret, doch wußten wir, daß Winnetou von Old Shatterhand unzertrennlich ist und sehr wahrscheinlich versuchen werde, Euch zu befreien. Gelang ihm dies, so war anzunehmen, daß Ihr sofort nach Almaden aufbrechen würdet. Melton und die Weller werden sich also auf alle Fälle so verhalten, wie die Vorsicht ihnen gebietet. Sie gehen des Nachts aus. Bei dem Wege in das Bergwerk, den sie zu machen haben, ist es ganz gleich, ob sie ihn des Nachts oder am Tage thun.“

„So! Ihr kennt also den Ort, wo sie wohnen?“

„Ja.“

„Meint Ihr nicht, daß ich Euch zwingen kann, ihn mir zu entdecken? Ich stelle Euch die Wahl zwischen dieser Mitteilung und dem Tode!“

„Das nützt Euch nichts. Habt Ihr einmal die Absicht, mich in gleicher Weise wie Melton zu behandeln, so ist mir der Tod ohnedies gewiß. Ich werde nur dann sprechen, wenn ich auf Schonung rechnen kann.“

Ich war überzeugt, daß seine Festigkeit keine bedeutende sei und ich, um ihm das Geheimnis zu entlocken, nur seine Hände zu drücken brauchte; aber die immerwährende Wiederholung desselben Einschüchterungsmittels widerstrebte mir, und ich wollte ja mehr von ihm erfahren, als die Wohnung Meltons allein. Darum hielt ich es für das beste, mich ihm geneigt zu zeigen, und sagte:

„Nun, angenommen, daß wir Euch das Leben schenken, auf wessen Gewissen fällt dann die Verantwortung von allem, was Ihr später thun werdet? Auf das unserige. Wenn Ihr sterbt, so könnt Ihr nichts Böses mehr thun.“

„Seid überzeugt, daß ich bessere Wege einschlagen werde, wenn Ihr mich leben laßt! Ich war, wie schon gesagt, nicht böse, sondern nur leichtsinnig und würde es Euch Zeit meines Lebens danken, wenn Ihr einmal Gnade für Recht ergehen lassen wolltet. Macht wenigstens den Versuch!“

„Hm! Ein Versuch ist noch nicht die vollendete That; man kann dann immer noch thun, was man will. So könnte ich denn allerdings einmal versuchen, ob mit Euch auf ehrlichem Wege auszukommen ist.“

„Thut das, thut das, Master! Ich gebe Euch mein Wort, daß der Versuch gelingen wird.“

„So sagt mir zunächst einmal, wie Ihr Euch diesen Versuch wohl denkt!“

„Bindet mich zunächst los, und dann werde ich – –“

„Halt!“ unterbrach ich ihn. „Vom Losbinden kann keine Rede sein. Ihr bleibt unter allen Umständen zunächst noch Gefangener.“

„Aber wie kann ich Euch behilflich sein, wenn ich mich nicht bewegen kann!“

„Jetzt ist Eure einzige Bewegung das Reiten, und das könnt Ihr, wie Ihr bewiesen habt, auch in Fesseln. Sollten die Dienste, welche Ihr uns anbietet, eine Bewegung, in welcher Euch die Fesseln hindern würden, notwendig machen, so werden wir Euch dieselben abnehmen. Das höchste, was ihr außer dem Reiten jetzt zu thun vermögt, ist, uns den Weg anzugeben, den wir reiten müssen.“

„Das werde ich,“ brummte er, mißmutig darüber, daß ich ihm gleich seinen ersten Wunsch abgeschlagen hatte.

„Und zwar richtig anzugeben,“ fügte ich mit Nachdruck hinzu. „Wollet Ihr uns irre leiten, vielleicht um Zeit zu gewinnen, so würden wir es sofort bemerken und Euch die Riemen straffer anziehen. Wann werden wir den nächsten Yumaposten erreichen?“

„Noch vor Abend.“

„Wie ist die Örtlichkeit beschaffen, in welcher er liegt?“

„Er befindet sich an einem Waldesrande. Vorher müssen wir über eine freie Ebene.“

„So kann der Posten diese Ebene überblicken?“

„Ja. Wenn ihr ihn überraschen wollt, müßt ihr dieselbe also vermeiden.“

„Das kommt auf ihre Länge oder Breite an. Sobald wir sie erreichen, werdet Ihr uns darauf aufmerksam machen. Sagt mir zunächst doch einmal, warum Ihr auf der Hazienda geblieben und nicht mit nach Almaden geritten seid?“

„Ich hatte den Auftrag, dort die Retorten zu erwarten, welche aus Ures kommen werden.“

„Dieselben sollten dann über die Postenkette nach Almaden transportiert werden?“

„Ja.“

„Wenn Ihr Retorten braucht, so vermute ich, daß in Almaden das Quecksilber in Form von Schwefelquecksilber, also als Zinnober gefunden wird?“

„So ist es; es kommt jedoch stellenweise auch gediegen vor.“

„Der Zinnober soll in den Retorten also in Schwefel und Quecksilber zerlegt werden. Durch welche Zuschläge soll das geschehen? Eisenhammerschlag ist nicht zu haben; ich vermute folglich Kalk?“

„Ja, es soll Kalk verwendet werden.“

„Giebt es welchen da oben?“

„Massenhaft. Die Berge und Felsen bestehen meist nur aus Kalk, in welchem es zahlreiche Höhlen giebt.“

Bei dem Worte Höhlen kam mir ein Gedanke. Es war für uns äußerst beschwerlich und hinderlich, die Gefangenen im Freien zu bewachen. War es möglich, sie oben in einer Höhle unterzubringen, so bedurften wir viel weniger Leute, die vielen Roten unter Aufsicht zu halten. Darum erkundigte ich mich:

„Kennt Ihr vielleicht eine Höhle, welche in der Nähe des Schachtes liegt?“

„Ja.“

„Ist sie groß?“

„Sie kann wohl an die hundert Menschen fassen.“

„Wieviel Eingänge hat sie?“

„Nur einen. Sie hat aber keine Hinterwand und scheint tief in den Kalkfelsen zu gehen, man kann aber nicht weiter, weil man an einen Abgrund kommt, dessen Breite man nicht zu ermessen vermag.“

„Ist er tief?“

„So tief, daß man einen Stein, den man hinabwirft, nicht unten auftreffen hört. Rechts giebt es eine kleine Nebenhöhle, welche voller Wasser steht. Ich habe es versucht; es ist trinkbar und sehr kühl.“

„Natürlich wissen Eure Freunde auch von dieser Höhle?“

„Kein Wort! Ich habe ihnen nichts gesagt, denn ich hatte – –“

Er hielt inne. Er schien jetzt mehr gesagt zu haben, als er eigentlich wollte.

„Weiter! Denn ich hatte – – – ?“

„Ich hatte meine Gründe dazu,“ vervollständigte er sich. „Ich brauchte einen solchen Ort für mich allein.“

„Wozu?“

Er gab nicht sofort Antwort. Da er nachsann, vermutete ich, daß er die Wahrheit nicht sagen wollte und auf eine Ausrede dachte. Dann erklärte er:

„Mein Grund wird Euch beweisen, daß ich wirklich kein schlechter Mensch bin. Ich dachte an die deutschen Arbeiter. Vielleicht konnte es mir gelingen, einen oder einige von ihnen zu befreien; ich brauchte ein Versteck, um sie zu verbergen, und da kam mir die Höhle als ungemein passend vor. Darum sagte ich nichts von ihr.“

„Das macht Eurem guten Herzen allerdings alle Ehre. Wann habt Ihr sie denn entdeckt?“

„Schon als ich vor einem Jahre zum erstenmal oben war.“

„Ihr wart von Melton geschickt worden, und habt ihm nach Eurer Rückkehr natürlich Bericht erstattet?“

„Ja.“

„Damals habt Ihr doch noch nichts von den deutschen Arbeitern gewußt?“

„Nein.“

„Und wollt ihm doch gerade wegen dieser die Höhle verheimlicht haben! Ihr seht, daß man mit Euern Versicherungen vorsichtig umzugehen hat. Ihr habt einen ganz andern Grund gehabt, von der Höhle zu schweigen; ich will aber nicht in Euch dringen, ihn mir zu sagen, da er mir sehr gleichgültig sein kann. Aber laßt dies den letzten Versuch sein, mir Schwarz für Weiß vorzumachen! Ich bin nicht der Mann, der so leicht zu täuschen ist, und würde das nächste Mal nicht so bereitwillig sein, wie jetzt, mich zufrieden zu geben.“

Den eigentlichen Grund für seine Geheimhaltung der Höhle glaubte ich erraten zu können. Er hatte wohl die Absicht gehabt, seine Compagnions zu bestehlen und das entwendete Quecksilber und Zinnober in der Höhle zu verbergen, bis sich Gelegenheit finden würde, es unbemerkt fortzuschaffen. Daß er sich sträubte, mir dies zu gestehen, war kein Beweis, daß er es unehrlich in Beziehung auf seine mir gemachten Versprechungen meinte. Darum fühlte er sich durch meine letzten Worte beunruhigt und entschloß sich, um mein Mißtrauen zu zerstreuen, mir einen Umstand mitzuteilen, den ich noch nicht kannte und welcher für mich höchst wertvoll war.

„Ich mache Euch weder Schwarz für Weiß noch Weiß für Schwarz vor,“ sagte er. „Ich gebe zu, daß Ihr Ursache habt, mir zu mißtrauen; aber es kann Euch doch nichts nützen, Dinge zu erfahren, welche mit Euern Absichten in keinem Zusammenhange stehen.“

„Das weiß ich wohl, und darum habe ich nicht in Euch gedrungen, mir wegen der Höhle die Wahrheit zu sagen. Ich meine nur, daß Ihr Euch hüten sollt, mich in Dingen, die mich angehen, täuschen zu wollen. Ihr wißt, daß von Euerm Verhalten Euer Leben abhängt.“

„Es fällt mir nicht ein, Euch zu täuschen. Mein Leben ist mir lieb; ich will es mir erhalten und werde Euch darum ehrlich dienen. Dafür will ich Euch den vollgültigen Beweis geben, indem ich Euch etwas verrate, was Euch jedenfalls freudig überraschen wird.“

„Was?“

„Da oben in Almaden giebt es weder Gras noch Baum, und so muß alles, was man zur Nahrung braucht, weit hergeschafft werden. Wie Melton überhaupt für alles schon vorher gesorgt hat, ehe die Hazienda ihm gehörte, so hat er auch Proviant gekauft, welcher in fünf Maultierwagen von Ures nach Almaden gegangen ist.“

„Das zu hören, ist mir allerdings sehr wichtig. Wer führt den Transport? Denn ich nehme an, daß die Fuhrleute den Weg nach Almaden nicht kennen.“

„Melton hat ihnen einige Indianer entgegengeschickt.“

„Habt Ihr die Leute mit ihren Wagen und Maultieren gesehen?“

„Nein, denn sie haben einen Weg eingeschlagen, auf welchem sie nicht auf mich treffen konnten. Der Weg, welcher über die Hazienda führt und den auch Ihr bis jetzt benutzt habt, ist für Fuhrwerk stellenweise nicht passierbar; darum mußten diese Wagen einen andern einschlagen, welcher weiter südlich liegt und länger ist, dann aber mit dem unserigen zusammentrifft.“

„Kennt Ihr die Gegend, wo beide Wege sich vereinigen?“

„Sehr gut, da ich es bin, der den andern, den bequemeren Weg ausfindig machen mußte. Wir werden übermorgen an diese Stelle kommen.“

„Meint Ihr, daß die Wagen dann schon vorüber sein werden?“

„Ich bezweifle es. Wenn ich genau nachrechne und ihnen kein Unfall widerfahren ist, halte ich es für wahrscheinlich, daß sie die Stelle schon morgen abend erreichen werden.“

„So hätten wir sie dann vor uns und könnten uns mit Proviant versehen?“

„Nicht nur mit Proviant. Die Wagen enthalten auch noch viele andere Gegenstände, welche in Almaden gebraucht werden.“

„Wenn sich das bewahrheitet, so will ich zugeben, daß Ihr mir mit der Mitteilung einen dankenswerten Dienst erwiesen habt, obgleich wir auch ohne dieselbe auf die Wagen getroffen wären. Aber aus Euern Worten entnehme ich noch etwas, was für uns ebenso wichtig, wenn auch bedeutend unangenehmer ist. In der Gegend von Almaden wächst kein Baum, kein Gras. Wie weit erstreckt sich die Unfruchtbarkeit?“

„Beinahe eine Tagereise weit nach allen Seiten.“

„Aber wo Wasser ist, da wächst doch wenigstens Gras, und Ihr spracht vorhin von Wasser!“

„Das befand sich in der Höhle. Wasser giebt es freilich in Almaden, aber nur unterirdisch. Das Oberirdische ist eine steinharte, dürre Kalkfelseneinöde.“

„Und doch sind dreihundert Indianer oben! Haben die denn keine Pferde?“

„Sie haben sie nicht mitgenommen. Sie mußten die Pferde unter der Aufsicht einiger Wächter zurücklassen.“

„So werden auch wir dazu gezwungen sein, und das ist unangenehm. Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, wo die Pferde der Yumas sich befinden?“

„Es ist nicht direkt darüber gesprochen worden, aber da ich es bin, der die ganze Gegend ausgekundschaftet hat, so kann ich mir denken, wo man sie zu suchen hat. Die Yumas sind von Norden gekommen und haben die Tiere also nordwärts von Almaden zurücklassen müssen, und zwar haben sie das jedenfalls hart an der Linie gethan, auf welcher das fruchtbare und unfruchtbare Land zusammenstößt. Es giebt dort nur eine einzige Stelle, an welcher man dreihundert Pferde auf längere Zeit mit wenig Wächtern zusammenhalten kann, und diese Stelle kenne ich genau. Wir stoßen natürlich nicht auf sie, da wir von Westen kommen und, an der Kalkeinöde angelangt, eine Tagesreise von ihr entfernt sein werden. Habt Ihr vielleicht die Absicht, die Pferde wegzunehmen? In diesem Falle werdet Ihr mich bereit finden, Euch zu ihnen zu führen, und das muß Euch wieder ein Beweis dafür sein, daß ich es wirklich ehrlich mit Euch meine.“

„Werde es mir überlegen,“ antwortete ich kurz, indem ich damit die lange Unterhaltung abbrach. Ich hatte zwar noch mancherlei zu fragen, konnte das aber auch später und gelegentlich thun, da ich ihn nicht vermuten lassen wollte, wie wenig ich eigentlich über die Verhältnisse unterrichtet war, welche ich doch genau kennen mußte, um unsere Absichten zu erreichen.

Ehe ich mich von ihm trennte, um wieder auf die Seite Winnetous zu kommen, lockerte ich die Riemen ein wenig, welche seine Hände zusammenhielten. Es sollte das, ohne daß ich etwas dazu sagte, für ihn ein Zeichen sein, daß die moralische Umkehr, welche er mir versprochen hatte, auf mich einen guten und für ihn einen nützlichen Eindruck gemacht hatte.

Über den heutigen Ritt glaube ich, hinweggehen zu können, da er nichts Erwähnenswertes brachte. Um die Mitte des Nachmittags hatten wir eine steile Bergeslehne erklommen und langten auf einer Hochebene an, welche im Norden und Süden von Höhen eingeschlossen war; ihr östliches Ende konnten wir nicht sehen. Da ließ der Player mich zu sich kommen und teilte mir mit:

„Das ist die Ebene, jenseits welcher der Posten am Waldesrande liegt.“

„Wie lange reitet man dorthin?“

„So wie wir reiten, werden es fast zwei Stunden sein.“

„Liegt der Posten in gerader Richtung von hier?“

„Ja.“

„So will ich Euch Gelegenheit geben, mir noch augenfälliger als bisher zu beweisen, daß ich mich auf Euch verlassen kann.“

„Thut das, Master! Was verlangt Ihr von mir?“

„Ich werde voranreiten, um die Indianer dingfest zu machen, und Ihr sollt mich an den Ort begleiten, an welchem ich sie zu suchen habe.“

„Sehr gern! Aber sie werden Euch kommen sehen!“

„Wieso? Ah, Ihr denkt, ich reite geradeaus? Das fällt mir nicht ein, denn da würden sie mich allerdings bemerken. Wir machen einen Umweg, bis wir den Waldesrand erreichen, und schleichen uns dann an demselben bis zum Posten hin. Aber ich mache Euch darauf aufmerksam, daß der leiseste Versuch eines Verrates Euch sofort eine Kugel oder einen Messerstich einbringen würde!“

„Kommt mir nun doch nicht immerfort wieder mit Euern Drohungen! Ihr habt keinen Grund mehr dazu. Ich habe mir vorgenommen, mein Leben dadurch zu retten, daß ich Euch treu diene, und müßte ein Dummkopf sein, wenn es mir einfallen könnte, es durch Falschheit noch mehr in Gefahr zu bringen, als es vorher auf dem Spiele gestanden hat!“

Ich suchte mir zu dem Yumatöter und seinem Bruder noch sechs oder sieben Mimbrenjos aus, mit denen ich den Streich ausführen wollte. Nachdem ich Winnetou gebeten hatte, in dem bisherigen Schritte weiterreiten zu lassen, wendeten wir uns im Galoppe nach Süden ab. Konnten wir den beabsichtigten Umweg nicht auch nach Norden machen? Allerdings; aber dann hätten wir später beim Anschleichen, wobei wir die südliche Richtung einhalten mußten, die Sonne seitlich vor uns gehabt; so wie wir aber jetzt ritten, bekamen wir sie in den Rücken und konnten nicht geblendet werden. Es giebt eben bei solchen Erlebnissen so vieles zu bedenken und zu berücksichtigen, wovon ein Laie keine Ahnung hat.

Wir jagten also eine tüchtige Strecke über die Sehweite eines scharfen Auges südwärts und wendeten uns dann wieder gerade nach Osten. Nach einer Stunde erblickten wir in der Ferne den Wald und hielten auf denselben zu. Dabei fragte ich den Player:

„Sind wir denn von unserer eigentlichen Marschrichtung weit genug entfernt, sodaß die Yumas uns nicht sehen können?“

„Ja. Seht dort die dunkle Bergkuppe, welche hinter dem Walde aufsteigt! Sie dient mir als Marke. Ich weiß genau, wo wir uns befinden. Ihr habt vom Anschleichen gesprochen. Was thun wir während der Zeit mit den Pferden?“

„Die lassen wir an einer sichern Stelle zurück. Es fragt sich nur, wie lange wir noch im Sattel bleiben dürfen.“

„Wenn wir den Yumas so nahe gekommen sind, daß ich befürchten muß, zu Pferde gesehen zu werden, dann sage ich es Euch.“

Wir kamen bald an den Wald und ritten nun nordwärts. Dabei stießen wir auf die Fährte eines einzelnen Reiters, welche so frisch war, daß ich annehmen mußte, ihn ganz nahe vor uns zu haben. Und richtig, als wir um eine Biegung des Gebüsches kamen, sahen wir ihn reiten. Es war ein Indianer, welcher ein erlegtes Wild hinter sich aufgebunden hatte. Er ritt im langsamen Schritte, hielt aber dabei den Kopf in so eigentümlicher Weise zur Seite, daß ich annahm, er halte seine ganze Aufmerksamkeit nach rückwärts gerichtet. Der Mann mußte uns gesehen haben, stellte sich aber unbefangen, um abzuwarten, wie wir uns verhalten würden. An Feindseligkeit dachte er wohl schwerlich. Meine Indianer hielt er sehr wahrscheinlich für Yumas und uns zwei Weiße für Verbündete Meltons. Daß er nicht anhielt, um uns zu erwarten, hatte wohl keinen besondern Zweck, sondern lag einfach in der eigenen Art und Weise, in welcher die Roten zu handeln pflegen. Ich durfte ihn nicht weiterreiten lassen, mußte aber auch dafür sorgen, daß er nicht zu früh entdeckte, daß die vermeintlichen Yumas feindliche Mimbrenjos seien. Darum mußten meine Begleiter eine langsame Gangart annehmen, und ich jagte ihm allein in voller Carriere nach.

Da hielt er an, wendete sich um, griff nach seinem Bogen und legte einen Pfeil auf mich an. Ich parierte mein Pferd bei dieser Drohung nicht, sondern winkte nur abwehrend und rief dabei die beiden, ihm sehr wohlbekannten Namen Melton und großer Mund zu. Der erstere war nach unsern Begriffen sein jetziger Arbeitgeber und der letztere sein oberster Häuptling; er mußte mich für einen Freund oder wenigstens für einen guten Bekannten derselben halten und senkte Bogen und Pfeil. Ich begrüßte ihn indianisch, indem ich mein Pferd im vollen jagen drei Schritte vor ihm parierte und ihn dann fragte:

„Hat mein Bruder eine gute Jagd gemacht? Die vier Yumakrieger, zu denen er will, werden Hunger haben.“

„Die Jagd war ergiebig, wie mein weißer Bruder sieht,“ antwortete er. „Wird er mir sagen, woher er kommt?“

„Von der Hazienda del Arroyo. Ich habe dich von dem schnellen Fisch zu grüßen, welcher mit seinen Kriegern an der Quelle des Felsens liegt. Ist der Posten, zu welchem du gehörst, vollzählig vorhanden?“

„Ja.“

„Und wie steht es droben in Almaden? Befinden sich deine dreihundert Brüder dort wohl?“

„Wir haben nicht gehört, daß etwas Unerwünschtes dort geschehen ist. Wenn mein weißer Bruder von der Hazienda kommt, so wird er wissen, daß sich ein Bleichgesicht, welches Player heißt, dort befindet und Winnetou, den Häuptling der Apatschen gesehen haben will. War der Apatsche wirklich dort?“

„Ja.“

„Er wird wieder fort sein, um Old Shatterhand zu befreien, den der große Mund gefangen hat?“

„Old Shatterhand hat sich ohne seine Hilfe befreit.“

„Uff! Und haben diese beiden Krieger sich getroffen?“

„Ja.“

„Uff, uff! So steht zu erwarten, daß sie zu uns kommen. Das muß sogleich nach Almaden gemeldet werden. Es muß einer von uns fortreiten!“

„Das ist nicht nötig, da ich die Botschaft selbst nach Almaden bringen werde.“

„Das ist gut; aber wird mein weißer Bruder so schnell reiten, wie es nötig ist, wenn die Kunde von – – –“

Er hielt plötzlich inne und die weit offenen Augen auf meine Gefährten gerichtet, welche nun soweit herangekommen waren, daß er ihre Gesichter erkennen konnte. Dann fuhr er, mißtrauisch mit der Hand nach seinem Messer fahrend, fort-

„Was sehe ich! Ich habe mit gegen die Mimbrenjos gekämpft und dabei den starken Büffel und seine Söhne gesehen. Wenn ich nicht blind bin, so sind diese es, welche sich bei meinem weißen Bruder befinden. Was soll ich davon denken?“

„Denke, daß du verloren bist, wenn du nur einen Schritt von dieser Stelle weichst!“ antwortete ich, indem ich mit einem schnellen Griffe meinen Stutzen vornahm und auf ihn anlegte. „Ich bin Old Shatterhand und verbiete dir, dich zu bewegen!“

Ich sah trotz der dunklen Farbe seines Gesichtes, daß er erbleichte. Er ließ vor Schreck die Zügel fallen und zog die Hand vom Messer zurück, indem er stammelte:

„Old Shat – ter – hand! Und – das – ist – das – – Zau – – bergewehr!“

Er sah die auffällige und eigenartige Konstruktion des Schlosses an meinem Stutzen, über welchen unter den Indianern so viele Sagen verbreitet waren, und glaubte infolgedessen sofort meinen Worten.

„Ja, das ist meine Zauberflinte, aus deren Lauf du sofort zehn Kugeln in den Kopf und Leib bekommen wirst, wenn du nicht ganz genau das thust, was ich dir befehle!“

Ohne in seiner Verwirrung auf diese Drohung zu antworten, fragte er wie abwesend:

„Old Shatterhand ist da, Old Shatterhand! Wo ist da Winnetou?“

„Er wird auch gleich kommen und bringt die Krieger der Mimbrenjos mit. Steig vom Pferde!“

Meine Begleiter waren indessen herangekommen und umringten ihn. Man sah ihm an, daß er noch immer nicht ganz wieder bei sich war. Er stieg wie im Traume vom Pferde und sah schweigend zu, daß man einige an seinem Sattel befestigte Reserveriemen losmachte und ihn mit denselben band. Hierauf machte mir der Player die Bemerkung, daß wir nun dem Posten nahe genug gekommen und also zur Vorsicht angehalten seien. Es wurde also abgestiegen; zwei Mimbrenjos bekamen die Pferde und den Yuma zur Bewachung, und wir andern setzten unsern Weg zu Fuße fort.

Natürlich hielten wir uns dabei nicht im Freien, sondern unter den Bäumen. Als wir ungefähr zehn Minuten gegangen waren, sagte der Player:

„Nun nur noch ein kurze Strecke, Master, so kommen wir an einen kleinen Teich, an welchem die Yumas liegen müssen.“

„Gut! Ich will Euch zeigen, daß ich Euch Vertrauen schenke. Eigentlich müßte ich Euch hier zurücklassen, da Ihr auf den Gedanken kommen könntet, uns das Spiel zu verderben; aber ich will Euch mitnehmen, sage Euch jedoch: Gelingt es uns nicht, den Posten aufzuheben und Ihr seid schuld daran, so ist’s mit Euch zu Ende!“

„Keine Sorge! Es fällt mir gar nicht ein, so mit offenen Augen in mein Verderben zu rennen.“

Wir schlichen nun langsam und höchst vorsichtig weiter. Dabei gab ich dem Yumatöter einen nur von ihm bemerkten Wink, den Player ja nicht aus dem Auge zu lassen, denn dieser konnte, während wir uns auf die Yumas warfen, versuchen, uns zu echappieren. Dann sahen wir zwischen den Bäumen vor uns den Spiegel des Teiches glänzen. Vier Rote lagen faullenzend an demselben. Ihre Pferde hatten sich zerstreut, denn wir bemerkten von unserm Standorte aus nur zwei derselben.

Von Baum zu Baum huschend, näherten wir uns noch mehr und fielen dann über die vor Schreck sich gar nicht Wehrenden her. Der Player stand mit gebundenen Händen dabei und machte ein Gesicht, als ob er sich über den so gelungenen Überfall seiner bisherigen Verbündeten herzlich freue.

Als wir fertig waren, ging einer der Mimbrenjos fort, um seine zwei Kameraden mit den Pferden und dem fünften Yuma herbeizuholen, und da sahen wir auch schon unsern Zug von Westen her über die offene Ebene kommen. Er hielt an dem Teiche an, da wir die Nacht hier zubringen wollten.

Am nächsten Morgen ging es weiter. Der Player machte den Führer und war ehrlich gegen uns. Gegen Abend führte er uns zu dem nächsten Posten, welcher in ähnlicher Weise wie die vorigen überrumpelt wurde. Wir hatten nun nur noch einen vor uns und also noch zwei Tageritte nach Almaden.

Am darauffolgenden Morgen kamen wir durch ein breites, nach Osten streichendes Thal, in welches ein aus Süden kommendes mündete. An der Stelle, wo beide sich vereinten, war das Gras auf eine weite Strecke zerstampft oder abgefressen, und wir sahen Wagenspuren und zwei schwarzgebrannte Feuerstätten.

„Habe ich es Euch nicht gesagt?“ meinte der Player. „Das sind die Proviantwagen gewesen, und meine Rechnung war also ganz richtig. Sie haben gestern abend hier gehalten. Hier ist die Stelle, an welcher die beiden Wege zusammenstoßen.“

Ich zählte die Geleise und fand, daß wir wirklich fünf Wagen vor uns hatten. Aus wieviel Mann die Yumaeskorte bestand, konnten wir nicht sehen, da die zahlreichen Stapfen nicht auseinanderzulesen waren.

Jetzt brauchten wir nur den Geleisen zu folgen. Sie waren dem weichen Boden deutlich eingeprägt, und nun sahen wir auch, daß sich sechs Reiter dabei befanden.

„Melton hat also sechs Führer geschickt,“ sagte ich zum Player; „eigentlich eine mir unerklärliche Berechnung. Sechs Führer sind entschieden nicht nötig, und als Eskorte, um die Wagen zu beschützen, sind sie zu wenig.“

„Das mag sein,“ antwortete er. „Aber Rote sind es jedenfalls nur fünf.“

„Wer ist da der sechste?“

„Entweder der Kaufmann selbst, bei dem die Sachen in Ures gekauft worden sind, oder ein Vertreter desselben. Melton hat nämlich nur die Hälfte des Preises bezahlt und will die andere Hälfte erst nach glücklich erfolgter Ablieferung entrichten; also mußte jemand mitkommen, der das Geld in Empfang zu nehmen hat.“

„Die Frischheit der Geleise zeigt, daß wir die Wagen nicht weit vor uns haben. Es handelt sich nun darum, daß wir sie auf einem Terrain erreichen, wo wir die roten Begleiter festnehmen können, ohne daß einer entkommt. Wo giebt es eine solche Stelle?“

Er sann eine kleine Weile nach, um sich in Gedanken zu orientieren, und antwortete dann:

„Wenn Ihr genug Geduld besitzet, bis gegen Mittag zu warten, so kommen wir auf freies Land, wo Ihr Euern Zweck erreichen werdet. Bis dahin aber führt der Weg immer eng zwischen Bergen hin, wo Ihr Euch nicht ausbreiten und das Entkommen eines einzelnen verhindern könnt.“

Das gab freilich eine Zeitversäumnis, die mir nicht lieb war; aber wenn wir uns der Wagen bemächtigten, so durften wir dann nicht schneller reiten, als die Maultiere sich mit ihren Lasten bewegen konnten, und verloren dabei höchst wahrscheinlich einen ganzen Tag; da kam es also auf die Versäumnis einiger Stunden auch nicht an.

Um zu sehen, wieweit die Wagen voran seien, ritt Winnetou fort. Wir erreichten ihn nach drei Viertelstunden, wo er halten geblieben war, um uns herankommen zu lassen. Er hatte die Wagen gesehen und auch die Begleitung derselben, welche, wie er bestätigte, aus fünf roten und einem weißen Reiter bestand. Die Knechte, welche Zügel und Peitsche führten, saßen vorn auf den Wagen.

Wir hielten uns so, daß wir sie in nicht viel mehr als fünf Minuten erreichen konnten, und kamen, wie der Player gesagt hatte, gegen Mittag durch ein Thal, welches sich zu einer ziemlich weiten Ebene verbreiterte, um sich darauf wieder zu seiner vorigen Enge zusammenzuziehen. Da sahen wir die Wagen einzeln hintereinander fahren. Voran ritten die fünf Roten; der Weiße folgte einsam hinter dem Zuge. Da ich vorher die Posten aufgehoben hatte, wollte Winnetou die Gefangennahme der fünf Wegweiser besorgen, wozu er zehn Mimbrenjos mit sich nahm. Er jagte, während wir im Schritt nachfolgten, mit den Leuten den Wagen nach, an ihnen rechts und links vorüber und hielt dann, die Roten umzingelnd, bei diesen an. Wir sahen, daß sie sich zur Wehr setzten, freilich mit unzulänglichen Waffen, denn was waren ihre Tomahawks und Lanzen gegen die Gewehre unserer Mimbrenjos und gar gegen die Silberbüchse Winnetous. Es fielen Schüsse. Der Zug hielt. Die Knechte brüllten vor Ärger oder Angst, und der Weiße wendete sein Pferd, um auszureißen. Da sah er uns, die wir ihm den Rückweg verlegten, und galoppierte nach links davon.

Auf ihn war es gar nicht abgesehen. Er durfte um unsertwillen nicht fort und mußte auch zu seinem eigenen Besten angehalten werden. Was sollte aus ihm, dem unerfahrenen, einzelnen Menschen hier in den Bergen werden? Mein Pferd war das schnellste, und so jagte ich ihm nach. Indem er zurückblickte, sah er das und trieb sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit an. Es half ihm aber nichts; ich holte ihn doch bald ein, drängte mein Pferd an das seinige, riß ihm die Zügel aus der Hand und hielt dann beide Tiere an, ihn fragend:

„Wo wollen Sie denn hin, Sennor? Es giebt doch gar keinen Grund zu solcher Eile!“

Er war ein noch ziemlich junger, hagerer Mensch, dem man den Geschäftsmann von der Nasenspitze lesen konnte. Bis an die Zähne in Waffen steckend, streckte er mir doch beide Hände flehend entgegen und bat:

„Nicht morden, nicht morden, Sennor! Ich habe Ihnen nichts gethan und wehre mich auch nicht; also schonen Sie mein Leben!“

„Haben Sie keine Angst, Sennor! Wir hegen nicht die Absicht, Ihnen an den Kragen zu gehen; es ist nur auf Ihre fünf Yumaindianer abgesehen.“

„Nicht auf mich?“ fragte er, indem er tief aufatmete und sich den Angstschweiß von der Stirn strich.

„Nein, lieber Jüngling, nicht auf Sie. Ihr wertes Leben ist uns im Gegenteile lieb und teuer; es wird Ihnen nicht ein einziges Haar gekrümmt werden. Kehren Sie also getrost mit mir zu Ihren Wagen zurück!“

Er betrachtete mich dennoch mit unsicherem, zweifelndem Blicke und meinte:

„Wer sind Sie denn?“

„Ein ehrlicher Mensch. Soviel will ich Ihnen einstweilen sagen. Ihre Yumas aber waren Schurken, die wir festnehmen mußten. Also kommen Sie!“

„Gut, ich will Ihnen trauen und also zurückkehren, da ich annehme, daß – – mein Himmel! Was sehe ich! Dort liegen alle fünf im Grase, erschossen, gestorben, ermordet und tot!“

Es war leider so, wie er sagte; die Roten waren tot. Ich hätte sie geschont, die Mimbrenjos aber hatten kein Federlesens gemacht.

„Sie sind erschossen worden, weil sie sich zur Wehr gesetzt haben,“ erklärte ich ihm. „Hätten sie das unterlassen, so wäre kein Blut geflossen.“

„So bitte ich Sie dringend, Sennor, zu konstatieren, daß ich mich nicht zur Wehr gesetzt habe!“

„Das will ich Ihnen gern mit hundert Eiden bezeugen. Sie sind in Wirklichkeit so menschenfreundlich gewesen, von Gegenwehr abzusehen. Wie heißen Sie denn eigentlich?“

„Nennen Sie mich Don Endimio de Saledo y Coralba!“

„Ich werde Sie der Kürze wegen einstweilen nur Sennor Endimio nennen und bitte Sie, mir auch noch zu sagen, was Sie sind.“

„Ich bin Kaufmann.“

„So! Und was stellen Sie hier bei diesen Wagen vor? Den Oberkutscher?“

„Ganz und gar nicht, Sennor! Wie können Sie einen Don Endimio de Saledo y Coralba mit der Bezeichnung Kutscher in Berührung bringen! Ich bin der auserwählte Bevollmächtigte Sennor Manfredos, des Kaufmanns, welcher die Waren zu liefern hat, die sich in diesen Wagen befinden.“

„Schön! Ich ersuche Sie nun nochmals, mit mir zu den Wagen zurückzukehren!“

„Gern – – aber da sehe ich, daß die Indianer, die sich bei Ihnen befinden, zur Hälfte gebunden sind. Das muß meinen Verdacht von neuem erwecken!“

„Die freien Reiter sind Mimbrenjos, und die gefesselten sind Yumas.“

„Soll ich etwa auch gefangen genommen werden?“

„Nein. Sie brauchen, wie ich Ihnen schon versicherte, keine Angst zu haben.“

Wir kehrten also zu den Wagen zurück, wo man auf uns gewartet hatte. Es war nicht nötig gewesen, sie zu umzingeln, da wir nicht zu befürchten brauchten, daß die fünf Knechte davonlaufen würden. Dieselben waren übrigens mutiger als der famose Endimio; sie standen beisammen, mit den Gewehren in den Händen, bereit, sich zu wehren, falls wir ihnen die Veranlassung dazu geben würden.

„Lassen Sie Ihre Flinten in Ruhe, Sennores!“ rief ich ihnen zu. „Und kommen Sie zu mir, um zu hören, daß wir uns als Ihre Freunde betrachten.“

Der Player hatte angenommen, daß die Leute die Besitzer der Wagen seien; es stellte sich heraus, daß sie nur Knechte waren und die Fuhrwerke dem Kaufmann gehörten. Sie waren echte Peons, kräftige, halbwilde Männer, denen aber die Gutmütigkeit aus den Augen sah. Ich erklärte ihnen so kurz wie möglich, um was es sich handelte, und hatte dabei Gelegenheit, einigemale den Namen Winnetous zu nennen, worauf sie ihre Augen auf den Apatschen richteten. Als ich geendet hatte, sagte der älteste von ihnen, der eine gewaltige Hiebnarbe im Gesicht hatte:

„Es bedarf gar keiner Entschuldigung und Aufklärung, Sennor. Wenn Winnetou dabei ist, so sind Ihre Wege und Absichten ehrliche, denn der Häuptling der Apatschen giebt sich zu nichts Schlechtem her. Meine alte Seele ist erfreut, diesen großen Häuptling endlich einmal erblicken zu dürfen, und es fehlt nur das eine, daß auch Shatterhand da wäre, der sich sonst gewöhnlich bei Winnetou befindet.“

„Er ist ja da! Hier auf meinem Pferde sitzt er.“

„Sie, also Sie wären Old Shatterhand? Ich bin glücklich, einen so berühmten Mann zu sehen. Sennor, wir glauben jedem Worte, welches Sie gesagt haben, und bitten Sie um Ihren Rat, was wir thun sollen.“

„Der soll Ihnen gern werden. Vorher aber sagen Sie mir, wie es kommt, daß Sie mir so schmeichelhafte Worte widmen. Daß Winnetou auch hier in dieser Gegend bekannt ist, habe ich gewußt; ich war aber noch niemals hier.“

„Ist auch nicht nötig, denn ich war drüben, jenseits der Grenze, in den Vereinigten Staaten. Bin mehrere Jahre in Texas gewesen und sogar hinauf bis Kansas gekommen. Da dürfen Sie sich nicht drüber wundern, daß ich Sie kenne, Sennor.“

„Was waren Sie da drüben?“

„Alles mögliche, habe es aber zu nichts gebracht und bin ein so armer Teufel geblieben, daß ich jetzt in meinen alten Tagen den Fahrknecht machen muß. Weil ich aber von drüben her das Abenteuerliche gewöhnt bin, habe ich wenigstens eine Stelle angenommen, in welcher man auch einmal eine ungewöhnliche oder gar gefährliche Fuhre auszuführen hat, und meine vier Kameraden sind gleicher Gesinnung mit mir. Wir haben uns auf die Fahrt nach den Bergen förmlich gefreut. Und richtig, es scheint von jetzt an Ereignisse zu geben!“

„Sie hatten allerdings Grund zu dieser Freude, da Ihr Prinzipal Ihnen einen so tüchtigen Vertreter mitgegeben hat.“

Ich winkte bei diesen Worten nach Endimio hin, welcher sich scheu noch in einiger Entfernung hielt.

„O,“ lachte der Alte, „der reißt aus, wenn er eine Fliege summen hört! Doch nun vor allen Dingen zu unserer Sache! Unser Frachtgut ist bestellt und halb bezahlt. Wir haben es in Almaden abzuliefern und die andere Hälfte des Geldes in Empfang zu nehmen. Sie aber sind dagegen, Sennor. Was sollen wir thun?“

„Ich bin nicht dagegen, wünsche jedoch, daß Sie es dem Adressaten nur in meiner Gegenwart abliefern.“

„Das soll ein Wort sein! Ich bin einverstanden.“

„Auch möchte ich gern wissen, worin dies Frachtgut besteht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich einiges davon für mich nehmen werde.“

„Thun Sie das immerhin. Dann aber wird Melton nicht zahlen wollen.“

„Er wird zahlen, dafür garantiere ich.“

„Dann nehmen Sie meinetwegen alles mit samt den Wagen und Maultieren! Wenn Old Shatterhand gutsagt, sind wir sicher.“

„Ich bin Ihnen für dieses Vertrauen herzlich dankbar, muß Ihnen aber aufrichtig erklären, daß ich überhaupt kein reicher Mann bin und besonders jetzt nicht soviel Geld bei mir habe, um auch nur hundert Cigaretten bezahlen zu können.“

„Thut nichts, thut gar nichts! Die Fracht steht trotzdem zu Ihrer Verfügung, und was Sie bestimmen, das wird geschehen. Wenn es Ihnen an Cigarren und Tabak fehlt, was in diesen Bergen freilich vorkommen kann, so greifen Sie nur zu. Wir haben genug mit, um Sie auf Jahre hinaus zu versehen.“

„Halt!“ rief da der Haziendero aus. „Ich protestiere dagegen, daß sich jemand an der Fracht vergreift.“

„Wer sind Sie denn?“ fragte der alte Peon, indem er ihn verwundert ansah.

„Ich bin Don Timoteo Pruchillo, Besitzer der Hazienda del Arroyo.“

„Die haben Sie doch verkauft, wie ich gehört habe!“

„Infolge eines Verbrechens, welches an mir begangen worden ist. Ich will Schadenersatz haben und lege Beschlag auf diese Wagen und auf alles, was sie enthalten.“

„Das geht nicht an, weil, wie Sie gehört haben, Sennor Shatterhand über diese Sachen bestimmen wird.“

„Sie gehen ihn nichts an. Er hat nicht das geringste Recht zu irgend einer Bestimmung.“

„Und Sie besitzen noch weniger Recht, Ihre Hand an unsere Fracht zu legen. Melton hat sie bestellt, und wir haben sie ihm zu bringen. Wie Sie privatim mit ihm stehen, muß mir sehr gleichgültig sei. Fechten Sie das mit ihm aus, aber nicht mit uns!“

Das schob sich der wackere Juriskonsulto herbei, pflanzte sich dem Peon gegenüber auf und fragte in kurzem Amtstone:

„Wie heißen Sie?“

„Man nennt mich den alten Pedrillo.“

„Kennen Sie mich?“

„Ja.“

„So wissen Sie, daß Sie mir zu gehorchen haben!“

„Ich habe Ihnen nicht einmal in Ures zu gehorchen, denn ich bin nicht irgend einer Person, sondern nur dem Gesetze unterthan. Hier oben aber gelten Sie soviel wie gar nichts.“

„Mensch, zwinge mich nicht, dich zu bestrafen!“

„Und zwingen Sie mich nicht, Sie auszulachen! Man kennt Sie. Hier giebt’s nur zwei, denen wir gehorchen werden, nicht weil sie uns zu befehlen haben, sondern weil ihnen unsere Achtung gehört, nämlich Old Shatterhand und Winnetou. Was andere Mäuse pfeifen, mag zwar ihnen gefallen, uns aber nicht.“

„Mensch,“ fuhr ihn der Beamte an, „vergiß nicht, was du bist, ein Knecht, nichts als ein Knecht! Hier aber steht der Bevollmächtigte deines Herrn, welcher wohl wissen wird, auf wessen Seite die Macht und das Recht zu suchen ist!“

Er deutete bei diesen Worten auf Endimio. Als dieser aller Augen auf sich gerichtet sah, geriet er in Verlegenheit und sagte:

„Ich bin der Beauftragte Sennor Manfredos, das ist wahr; aber ich habe Pedrillo mit der Ausführung meiner Aufträge betraut – –“

Er wurde durch einen lauten Ausruf des Players unterbrochen, welcher nach der Stelle deutete, wo das Thal wieder enger wurde. Dort wurde ein Reiter, ein Weißer, sichtbar, welcher einen Augenblick lang halten blieb und dann, als er die Wagen sah, sich umdrehte, um zu winken und darauf auf uns zugeritten kam.

„Weller, dort kommt Weller!“ hatte der Player gerufen.

„Weller? Der Betrüger? Der Schurke?“ fragte der Haziendero. „Den muß ich haben, und zwar sofort!“

Er rannte dem Nahenden entgegen, in welchem auch ich den jungen Weller erkannte. Diese Übereilung konnte üble Folgen haben, doch hoffte ich, daß der Haziendero nicht gleich meinen Namen nennen werde, und trat, um nicht zu früh von Weller bemerkt zu werden, hinter einen Wagen.

Die beiden trafen in einer Entfernung von ungefähr hundert Schritten von uns zusammen, und wir hörten die Worte, welche zwischen ihnen gewechselt wurden. Der Haziendero schrie den jungen Weller wütend an:

„Recht so, daß Sie kommen, Sie Dieb, Sie Räuber und Mörder! Ich verlange meine Hazienda zurück, und zwar genau so, wie sie dastand, ehe sie niedergebrannt wurde!“

„Sie hier, Don Timoteo?“ fragte der andere erstaunt, ohne zunächst die Schimpfworte zu beachten. „Ich denke, Sie befinden sich in Ures! Was wollen Sie auf dem Wege nach Almaden?“

„Was ich will? Den Raub will ich zurück, den Ihr mir abgenommen habt!“

„Ich verstehe Sie nicht! Wie können Sie gegen mich, Ihren Freund, solche Worte führen!“

„Schweig, Schurke, und wage es ja nicht wieder, dich meinen Freund zu nennen! Ich bin ausgezogen, mich an dir zu rächen. Schau hin; dort stehen sie alle, die mit mir gekommen sind! Siehst du den Juriskonsulto von Ures?“

Der Gefragte blickte kopfschüttelnd nach den Wagen und antwortete: „Den kenne ich nicht.“

„Auch seine Polizisten nicht?“

„Nein. Was soll hier die Polizei?“

„Euch ergreifen, euch festnehmen, sowie wir schon eure Mitschuldigen festgenommen haben.“

„Mitschuldigen? Wer ist das?“

„Die Yumas. Stell‘ dich doch nicht so, als ob du nicht sähest, daß sie gebunden sind!“

„Gebunden? Wahrhaftig, sie sind gefesselt! Sogar der schnelle Fisch! Wer sind denn die andern Roten?“

„Das sind die Mimbrenjos, welche mit uns gegen euch gezogen sind. Und dort hinter dem letzten Wagen steckt Winnetou, der Häuptling der Apatschen!“

„Der Schwätzer wird alles verderben!“ raunte mir Winnetou unwillig zu. „Mein Bruder mag dann schnell auf sein Pferd springen!“

„Winnetou ist hier?“ fragte Weller. „Ist’s möglich! Ich sehe ihn nicht.“

„O, nicht bloß dieser ist da, sondern noch einer, über den du erschrecken wirst. Da ist auch noch Old Shatterhand, der euern Yumas entkommen ist.“

„Old Shatterhand? Verdammt! Gut, daß du mir das sagst, Dummkopf!“

Wir hörten zunächst einen Schrei und dann den Galopp eines Pferdes und traten hinter dem Wagen hervor. Dort lag der Haziendero am Boden, niedergeschlagen von Weller, der davonjagte, zurück des Weges, den er gekommen war. Ich sprang zu meinem Pferde, schwang mich auf und jagte ihm nach. Zu gleicher Zeit that Winnetou dasselbe; er folgte mir auf den Fersen. Wir hörten den Flüchtling schreien:

„Old Shatterhand, Winnetou und die Mimbrenjos! Old Shatterhand, Winnetou und die Mimbrenjos!“

Warum that er das? Etwa aus Schreck und Entsetzen? Er war doch während seines Wortwechsels mit dem Haziendero nicht so erschrocken gewesen! Er schrie die Namen noch, als er in die Enge verschwand, und als wir beide in dieselbe eindrangen, schrie er sie immer noch.

Wir kamen ihm rasch näher. Es ging thalaufwärts; rechts und links war Wald. Er blickte sich um und sah uns höchstens dreihundert Schritte hinter sich. Er erkannte, daß er verloren sei, wenn er die Flucht auf diese Weise fortsetzte, hielt sein Pferd an, sprang ab und eilte links in den Wald. Sofort schwang ich mich auch aus dem Sattel und sah dabei, daß der Apatsche auch heruntersprang.

„Winnetou, ihm direkt nach!“ rief ich diesem zu und rannte dann unter die Bäume und die Steigung empor.

Es geschah das mit guter Berechnung. Wenn wir beide dem Fliehenden nachliefen, so konnten wir beim Geräusche unserer Schritte das Geräusch der seinigen nicht hören. Es war geraten, ihm zuvorzukommen und dann zu lauschen. Das wollte ich thun, während Winnetou ihn mir getrieben brachte.

Wir befanden uns unten an der linken Thalwand, welche ziemlich dicht mit Bäumen besetzt war und auch ziemlich steil zur Höhe stieg. Ich nahm an, daß Weller zunächst in gerader Richtung emporklettern werde, und nahm mir als Marke eine starke Buche, welche, wenn er diese Richtung wirklich einhielt, an seinem Wege lag. Ich war soweit hinter ihm gewesen und hatte also nach der Buche einen viel weitern Weg zurückzulegen als er.

Diesen Unterschied mußte ich durch doppelte Schnelligkeit auszugleichen versuchen. Ich glaube nicht, daß ich mich jemals im Leben so von Baumstamm zu Baumstamm, von Stein zu Stein geschnellt habe. Als ich die Buche erreichte, war ich atemlos, und es schwindelte mir. Ich warf mich hinter dem Stamm auf den Boden nieder und versuchte, zu lauschen. Zunächst summte mir das aufgeregte Blut in den Ohren, doch der feste Wille vermag selbst so etwas zu unterdrücken. Dann vernahm ich Schritte, zweierlei Schritte, nämlich diejenigen eines Menschen, der sich leise und vorsichtig, darum nicht zu eilig, der Buche näherte, und dann diejenigen einer andern Person, welche laut und rasch durch die Bäume und Sträucher drang. Der erstere war Weller und der letztere Winnetou; ich war dem Flüchtlinge also doch zuvorgekommen, ein Beweis, was der Mensch, wenn es sein muß, weit über seine gewöhnlichen Kräfte hinaus zu leisten vermag.

Er kam; schon sah ich ihn! Er ahnte nicht, daß einer von den beiden, welche er hinter sich glaubte, schon vor ihm war. Er lenkte seine Schritte nicht genau der Buche zu, sondern wollte rechts vor derselben vorüber. In dem Augenblicke, in welchem er mir am nächsten war, sprang ich auf, schnellte mich hin zu ihm, faßte ihn beim Haare, denn der Hut war ihm von den Zweigen herabgeschlagen worden, und riß ihn an denselben nieder. Er stieß einen überlauten Schrei aus.

„Hat mein Bruder ihn fest?“ rief mir Winnetou zu, als er diesen Schrei hörte.

„Ja,“ antwortete ich, indem ich Weller das Knie auf die Brust setzte, daß ihm der Atem ausgehen wollte.

„Ich komme gleich. Halte ihn nur fest!“

Es bedurfte dieser Aufforderung des Apatschen gar nicht, denn ich hatte den einstigen Kajütenwärter unter einem so starken Drucke, daß er jede Bewegung vergaß. Da kam Winnetou. Als er den Gefangenen sah, sagte er:

„Es war ein guter Gedanke meines Bruders, ihm vorauszuspringen. Ich wußte, daß Old Shatterhand ein vortrefflicher Läufer ist; aber daß er fliegen kann, habe ich nicht gedacht. Warum hast du dem Manne nicht die Faust gegeben, um ihn zu betäuben?“

„Weil es nicht nötig ist. Der Kerl ist nur ein Knabe in meinen Händen und soll nicht die Wohlthat der Bewußtlosigkeit haben.“

Weller hatte sein Gewehr in der Hand getragen; es war ihm, als ich ihn faßte, entfallen. Winnetou hob es auf. Ich zog den Burschen in die Höhe, stellte ihn auf die Beine und sagte:

„Vorwärts jetzt! Und wenn du nicht gehorchst, werden wir uns Gehorsam zu verschaffen wissen!“

Ich hätte ihn, selbst wenn ich im Besitze eines Riemens gewesen wäre, nicht gebunden; aber ich hatte keinen mit und Winnetou auch nicht. Der Mensch wäre übrigens eine solche Vorsichtsmaßregel gar nicht wert gewesen. Ich nahm ihn beim Kragen und schob ihn vor mir her. Als wir unten ankamen, standen unsere Pferde noch genau da, wo wir abgestiegen waren, dasjenige von Winnetou hinter dem meinigen. Wellers Pferd war vorwärts gelaufen und wurde von einigen Mimbrenjos, welche uns nachgeritten waren, herbeigeholt. Die Freude des Haziendero, als wir den Ergriffenen brachten, war groß und machte sich in dem Jubelrufe Luft:

„Sie haben ihn! Sie bringen ihn! Das ist prächtig; das ist herrlich! Nun soll er den Schlag, den er mir mit dem Gewehr gegeben hat, sogleich wiederbekommen!“

Er wollte ihm einen Hieb versetzen; ich stieß ihn aber zurück und sagte:

„Laßt das sein, Sennor! Sie haben eine Dummheit begangen, als Sie ihm entgegengingen. Dadurch wurde er auf uns aufmerksam und wäre uns beinahe entflohen. Das Richtige war, still zu sein und ihn ganz herbeizulassen.“

„Sie scheinen ein Gaudium daran zu finden, andere Leute immer nur zu tadeln! Sie sind ein – –“

Er wollte wahrscheinlich grob werden; ich unterbrach ihn aber in scharfem Tone:

„Schweigen Sie auf der Stelle, sonst –“

Ich hatte im Ärger wirklich den Arm erhoben. Da fuhr er erschrocken zurück und retirierte hinter einen Wagen, wo der liebe Juriskonsulto sich zu ihm gesellte und sie sich dann wahrscheinlich gegenseitig ihre Not klagten. Verkannte Genies haben ja immer zu klagen.

Winnetou hatte den Gefangenen indessen an eine Deichsel binden lassen. Die Mimbrenjos umringten ihn und schimpften auf ihn ein. Ich trieb sie zurück, denn was ich mit ihm zu sprechen hatte, brauchten sie nicht zu hören. Nur Winnetou blieb da, um meinem Versuche, dem Gefangenen etwas zu entlocken, beizuwohnen.

Letzterer zeigte ein finsteres, verschlossenes Gesicht und hielt die Augen zu Boden gesenkt. Ich erwartete keineswegs, daß er mir ein umfassendes Geständnis ablegen werde, glaubte aber, ihm doch wenigstens einige Äußerungen zu entlocken, aus denen ich einige Schlüsse ziehen könnte.

„Sie sind erst seit wenigen Minuten bei uns, Sennor Weller,“ sagte ich, „und haben also noch nicht Zeit gefunden, über Ihre Lage nachzudenken; ich will Ihnen lieber gleich sagen, daß dieselbe eine gefährliche ist. Es handelt sich um Tod oder Leben. Die Entscheidung wird sich nach Ihrem Verhalten richten. Sagen Sie mir, warum Sie so unvorsichtig gewesen sind, Almaden zu verlassen und uns in die Hände zu reiten!“

Es dauerte eine ganze Weile, ehe er antwortete. Er überlegte wahrscheinlich, ob er überhaupt reden solle oder nicht, und wenn geantwortet werden mußte, wie weit er dann mit seinen Worten gehen dürfe. Als er mit sich ins reine gekommen war, erwiderte er:

„Ich erhielt den Befehl dazu von Sennor Melton.“

„So muß Ihr Ritt einen Zweck gehabt haben?“

„Einen doppelten sogar! Wir warteten auf die Wagen, bei denen wir uns jetzt befinden; sie kamen nicht, und so mußte man sehen, welche Ursache die Verzögerung haben möge.“

„Das war der eine Zweck. Nun der andere?“

Er öffnete schon die Lippen zur Antwort, schloß sie aber wieder. Wahrscheinlich hatte er vorhin mehr gesagt, als er jetzt gutheißen konnte. Endlich antwortete er:

„Das ist etwas, was Sie nicht interessiert.“

„O, ich gestehe Ihnen, daß mich alles, was Sie betrifft, aufs höchste interessiert; habe ich doch die Erfahrung gemacht, daß Sie meiner Person ein gleich großes und gleich eifriges Interesse zuwenden. Bei dieser Gegenseitigkeit der Teilnahme halte ich es für meine Pflicht, mich nach Ihrem und Ihrer Freunde Befinden zu erkundigen. Wie geht es in Almaden? Sind die Arbeiter schon unter die Erde gebracht?“

„Ja,“ entfuhr es ihm wohl wider Willen.

„Arbeiten sie schon?“

„Nein.“

„Ich verstehe; sie müssen erst zahm gemacht und an die quecksilberhaltige Schachtluft gewöhnt werden. Hunger und Durst thun weh; diese beiden Mittel werden sie schon willig machen.“

Da er schwieg und mir nicht widersprach, so durfte ich annehmen, das Richtige getroffen zu haben, und fuhr fort:

„Wie gefällt Ihnen Ihre Wohnung da oben? Sie liegt ungemein versteckt, und da ich beabsichtige, Sie dorthin zurückzubringen, liegt es in Ihrem Interesse, mir sie und ihre Lage zu beschreiben.“

Jetzt antwortete er schnell, ja augenblicklich:

„Das kann mir nicht einfallen.“

„Das werden wir sehen. Sind Sie allein von Almaden fort?“

„Ja,“ antwortete er ebenso rasch.

„Ich erinnere mich aber, gesehen zu haben, daß Sie einen Wink nach rückwärts gaben?“

„Das kann nur Täuschung gewesen sein. Vielleicht habe ich irgend ein Geräusch gehört und deshalb zurückgeblickt.“

„Mag sein. Aber warum schrieen Sie so laut während Ihrer Flucht?“

„Vor – – Angst.“

„Ein solches Geständnis fällt Ihnen wohl sehr schwer, und Sie machen es vielleicht auch nur, um die Wahrheit zu verbergen. Sollte jemand dagewesen sein, für dessen Ohren Ihre Rufe bestimmt waren? Es sollte mich sehr wundern, wenn Sie den Ritt so ganz allein unternommen hätten. Man kann so gar leicht in die Lage kommen, einen Gefährten zu brauchen. Sie wohnen mit Ihrem Vater doch bei Sennor Melton?“

„Thun Sie doch keine überflüssigen Fragen! Sie können sich ja sagen, daß ich Ihnen dieselben nicht beantworten werde.“

„Wenn nun Ihr Leben davon abhängt, ob Sie antworten oder nicht?“

„So bekommen Sie trotzdem keine Auskunft. Es kann mir nicht einfallen, meinen Vater zu verraten. Und was mein Leben betrifft, so steht dasselbe zwar augenblicklich in Ihrer Hand, aber ich weiß, daß Sie kein Mörder sind, und bin auch außerdem überzeugt, daß ich es auf hohe Jahre bringen werde.“

„Ganz wie Sie denken oder wollen! Ich werde Sie nicht länger belästigen und die Wohnung Ihres Vaters jedenfalls auch ohne Ihr Zuthun finden.“

Der Umstand, daß er einen Wink nach rückwärts gegeben und nachher unsere Namen so laut gerufen hatte, erregte doch mein Bedenken. Seine Spur mußte noch zu sehen sein; die Mimbrenjos, welche sein Pferd geholt hatten, mußten sie gesehen haben, doch als ich mich bei ihnen erkundigte, erklärten sie, es sei eine einfache und keine Doppelfährte gewesen. Das beruhigte mich wenigstens einstweilen.

Ich hatte übrigens mehr zu thun als mich ausschließlich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Es gab soviel Fragen in Beziehung auf den Wagen und ihren Inhalt. Ich sollte alles wissen und alles entscheiden und hielt es für das beste, jetzt noch keine Bestimmung zu treffen. Wir gesellten uns zu dem Wagenzuge und konnten uns später nach den Umständen richten. Soviel aber stand schon jetzt fest, daß ich in den fünf Wagenführern eine höchst brauchbare und zuverlässige Unterstützung gefunden hatte.

Vom Augenblicke unseres Aufbruches an war Wellers Fährte meine Wegweiserin. Ich ritt voran, um sie zu lesen, was vorerst nicht möglich war, da wir sie bei der Verfolgung verwischt hatten. Als wir aber über die Stelle, an welcher sein Pferd stehen geblieben war, hinausgelangten, besaß sie die vollste Deutlichkeit. Da erblickte ich denn zu meiner Überraschung eine dreifache Spur. Zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer war zurückgeritten. Natürlich machte ich Winnetou darauf aufmerksam, und er war augenblicklich derselben Ansicht, welche ich darüber hegte: Weller hatte einen Begleiter gehabt. Er war aus irgend einem Grunde demselben eine kurze Strecke vorausgeeilt, hatte uns gesehen und war auf uns zugekommen. Dem Begleiter hatte er einen Wink gegeben, daß er die gesuchten Wagen vor sich sehe und ihn später durch seine Rufe zur schleunigen Flucht angetrieben, und von unserer Anwesenheit benachrichtigt.

Als wir unsere Ansicht weitersprachen, stellte es sich heraus, daß, während unser aller Aufmerksamkeit auf Weller und den Haziendero gerichtet gewesen war, einer der Polizisten einen zweiten Reiter, auch einen Weißen, gesehen hatte, welcher an derselben Stelle erschienen, dann aber schnell wieder verschwunden war. Daß der Polizist und Pfiffikus uns diese Mitteilung erst jetzt machte, konnte ihm kaum verziehen werden, denn der andere Reiter war entweder Wellers Vater, oder gar Melton selbst gewesen. Ihn zu verfolgen, hielt ich nicht für ratsam. Dies hätte durch mich und Winnetou geschehen müssen, und wenn wir uns entfernten, konnte hinter uns unsere ganze, so sonderbar zusammengewürfelte Gesellschaft auseinanderfliegen. Wir waren gezwungen, bei den Wagen zu bleiben, und mußten also langsamer reiten; der Mann kam uns also weit voran und machte gewiß durch die Nachricht von unserm Kommen ganz Almaden rebellisch. Es war uns also nicht mehr möglich, unsere Gegner zu überraschen. Ja, ich begann im Gegenteile schon mit dem Umstande zu rechnen, daß sie unsere Ankunft dort gar nicht abwarten, sondern uns entgegenziehen und sich in den Hinterhalt legen würden, um uns an einem dazu passenden und für sie günstigen Orte zu überfallen und aufzureiben.

Am meisten ärgerte mich, daß der Betreffende wußte, wer wir waren, da der junge Weller unsere Namen genannt hatte. Er befleißigte sich also wahrscheinlich der größten Eile, uns einen schlimmen Empfang zu bereiten. Selbstverständlich nahm ich den Haziendero gehörig vor, denn er war schuld an allem, wollte das aber nicht einsehen.

Wir nahmen unsern Weg wieder unter die Füße, oder vielmehr unter die Pferdehufe. Aus guten Gründen ließ ich Winnetou nicht allein voranreiten, sondern gesellte mich zu ihm. Es war nämlich auch möglich, daß der Reiter seine Flucht nicht gleich fortgesetzt hatte, sondern beflissen gewesen war, uns zu beobachten. In diesem Falle steckte er mit seinem Pferde im Walde, und es galt also, seine Spur auf das schärfste ins Auge zu nehmen. Es zeigte sich aber, daß er fortgeritten war. Hinter uns beiden ritt der Yumatöter mit seinem Bruder, welche den Player zwischen sich hatten. Diesen mußte ich in meiner Nähe haben, da er unser eigentlicher Führer war. Weller steckte zwischen den Mimbrenjos.

Unser Weg stieg bergan. Wir hatten zunächst zu beiden Seiten Wald, dann nur noch zur linken Hand, bis er auch hier zu Ende ging. Nun begann eine grasige Ebene, in welcher die Spuren so deutlich wie die Worte in einem großgedruckten A-b-c-Buche zu lesen waren. Es blieb wie bisher: zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer von ihnen ritt jetzt vor uns her. Er war durch den Wald im schärfsten Schritte geritten; auf der Ebene angelangt, hatte er sein Pferd in Galopp gesetzt. Vorher aber war er, wie wir sahen, abgestiegen. Wozu? Um dies zu erfahren, stiegen auch wir beide ab, nämlich Winnetou und ich, um die Stelle zu untersuchen. Die Spitzen seiner Füße waren gegen die Seiten des Pferdes gerichtet und abwechselnd mit den Fersen bald mehr, bald weniger in den Boden eingedrückt. Ich warf Winnetou einen fragenden Blick zu, und er nickte zustimmend, denn er sah, daß ich gleicher Meinung mit ihm war: der Reiter hatte hier nämlich den Sattelgurt fester geschnallt, um bei der Eile, die er nun vorhatte, sicheres Reiten zu haben. Nach diesem Nicken deutete der Apatsche zur Seite, wo das Gras so niedergedrückt war, als ob zwei lange, oben dünne und unten breite Gegenstände dagelegen hätten.

„Uff!“ sagte er dabei. „Wundert sich mein Bruder Shatterhand nicht auch darüber?“

„Allerdings. Der Mann hat zwei Gewehre gehabt, welche er, als er den Gurt fester schnallen wollte, weglegte, um die Hände frei zu haben.“

„Ich kenne nur einen, der zwei Gewehre bei sich trägt, und der bist du. Das eine ist sein Eigentum, das andere hat ihm nicht gehört.“

„Wahrscheinlich nicht. Wozu soll er zwei Gewehre von Almaden mitschleppen? Er ist also unterwegs zu dem zweiten gekommen; er hat es irgend jemand weggenommen. Wer dieser jemand ist, werden wir höchst wahrscheinlich bald erfahren. Reiten wir weiter!“

Wir setzten unsern Weg fort, bald darauf teilte sich die Fährte, welcher wir folgten; die Doppelspur, welche uns entgegenkam, ging nordwärts ab, während die des einzelnen Reiters, welcher vor uns floh, die bisherige östliche Richtung beibehielt. Wir hielten wieder an.

„Welche Richtung ist die richtige nach Almaden?“ fragte ich den Player.

„Die nach Osten,“ antwortete er.

„Aber Ihr seht, daß der junge Weller mit seinem Begleiter hier aus Norden gekommen ist.“

„Sie sind vorn geraden Wege abgewichen. Sie müssen irgend eine Ursache gehabt haben, einen Umweg zu machen.“

„Ich ahne, daß die Ursache mit der zweiten Flinte zusammenhängt, und werde danach forschen. Reitet weiter! Ich will der Doppelspur nordwärts folgen, und mein junger Bruder, der Yumatöter, mag mich begleiten.“

Winnetou nahm es mir keineswegs übel, daß ich nicht ihn aufforderte, mit mir zu gehen. Er hielt es wie ich für erforderlich, daß wir uns nicht zugleich entfernten, sondern einer von uns bei dem Zuge blieb. Der Yumatöter aber war stolz darauf, schon wieder von mir ausgezeichnet zu werden.

Wir jagten im Galopp über das Gras dahin, um so schnell wie möglich unsere Absicht zu erreichen. Schon nach zehn Minuten sah ich, daß die Aufklärung uns nahe war. Um den Scharfsinn des jungen Mimbrenjo auf die Probe zu stellen, sagte ich:

„Wir werden bald umkehren können. Weiß mein Bruder, woraus ich das erkenne?“

Er betrachtete die Spur, welcher wir folgten, schärfer und antwortete dann:

„Ich sehe nichts anderes, als was ich bisher gesehen habe.“

„Mein Bruder muß nicht zur Erde, sondern gegen den Himmel blicken!“

Dabei deutete ich auf sechs bis acht Punkte, welche weit vor uns in der Luft zu sehen waren; sie schwebten bald auf und nieder, bald zogen sie Kreise.

„Uff, das sind Geier!“ rief er aus. „Sie halten sich oberhalb einer gewissen Stelle; sie haben also ein Aas unter sich liegen.“

„Nein, kein Aas. Auf ein Aas stoßen die Geier sofort nieder. Diese aber thun das nicht; sie bleiben oben schweben, folglich lebt das Wesen noch, welches sie sich als Beute ausersehen haben.“

Als wir näher kamen, sahen wir noch andere Geier, diese Gesundheitspolizisten der Natur. Sie bildeten, am Boden sitzend, einen Kreis, in dessen Mitte ein Körper lag, welcher, wie wir sahen, als wir näher kamen, ein menschlicher war.

„Ein Mensch!“ rief der Mimbrenjo aus. „Ein Ermordeter, eine Leiche!“

„Keine Leiche! Wäre er tot, so hätten sich die Geier längst über ihn hergemacht. Er muß sich vor kurzem noch bewegt haben.“

Die Vögel flogen, noch ehe wir die Stelle erreichten, auf. Bei dem Verunglückten angekommen, hielten wir an und sprangen ab.

„Gütiger Himmel!“ rief ich aus, als ich den ersten Blick auf ihn geworfen hatte. „Ist das möglich! Es ist einer von denen, die wir retten wollen,“ fuhr ich fort, indem ich niederkniete, um den Bedauernswerten zu untersuchen.

Es war der Herkules. Und wie sah er aus! Sein Anzug war zerfetzt, entweder im Kampfe oder aus andern Ursachen. Er hatte einen Hieb auf den Kopf bekommen; sein Schädel war angeschwollen bis weit in die Stirn herein und sah blutig rot aus. Ob der Knochen zerschmettert war, konnte ich nicht sehen. Sonst bemerkte ich glücklicherweise keine Wunde. Als ich den Kopf zu untersuchen begann, verursachten meine Berührungen Schmerzen, denn der Herkules brüllte laut und bäumte den Oberkörper auf. Sobald ich die Hände von der Wunde ließ, fiel er zurück und war still.

„Wir müssen zurück,“ sagte ich. „Hier ist nichts zu machen. Wir müssen vor allen Dingen Wasser haben.“

„Aber, wenn er unterwegs stirbt?“

„So dient es zu unserer Beruhigung, daß er hier auch gestorben wäre. Ich nehme ihn zu mir aufs Pferd.“

„Diesen großen, schweren Mann!“

„Es muß gehen, denn anders ist er nicht zu transportieren.“

Es war wahr; den Goliath zu mir quer über den Sattel zu bringen, verursachte uns eine Anstrengung, welche den Verwundeten natürlich auch angriff. Er brüllte vor Schmerz, kam dabei aber nicht zum Bewußtsein. Endlich hatte ich ihn oben, und dann ging es fort, zurück, doch nicht auf demselben Wege, den wir gekommen waren, denn das wäre ein Umweg gewesen, da unser Zug sich inzwischen fortbewegt hatte. Er ging nach Osten; wir waren nach Norden geritten und mußten also in der Diagonale nach Südosten zurückkehren.

Mein Pferd hatte eine schwere Last zu tragen, war aber stark genug, trotz derselben Galopp zu gehen. Ich mußte galoppieren, weil diese Gangart die steteste ist und den Verwundeten am wenigsten angriff. Er war still und lag wie tot quer vor mir. Als wir unsern Zug erreichten, gingen nicht nur die Kräfte meines Pferdes, sondern auch die meinigen fast zu Ende.

Natürlich erregte die Last, welche wir mitbrachten, Aufsehen. Man rief und schrie durcheinander und drängte sich herbei, den Verletzten zu betrachten. Winnetou war, wie gewöhnlich, ruhig. Er wies die Neugierigen streng zurück, half die Last mir abnehmen und untersuchte dann den Schädel. Es war nicht nötig, ihm dabei zu helfen, denn der Apatsche verstand sich auf Verwundungen wie kein anderer.

„Der Knochen ist nicht zerschmettert,“ erklärte er nach einiger Zeit. „Der Mann wird leben bleiben, wenn er das Fieber überwindet. Man gebe mir Wasser!“

Die Fuhrleute hatten aus Rücksicht für ihre Maultiere volle Eimer unter ihren Wagen hängen, sodaß dem Verlangen Winnetous nachgekommen werden konnte. Der Indianer besaß eine so zarte Hand, daß der Verwundete unter der Berührung derselben nicht ein einzigesmal erwachte. Nachdem er gekühlt und verbunden worden war, wurde ihm in einem der Wagen ein Lager hergerichtet. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung.

Wer erwartet hätte, daß Winnetou, als wir wieder nebeneinander ritten, mich nach dem Herkules fragen würde, der hätte sich geirrt. Er blickte sinnend vor sich nieder. Ich kannte das Gesicht, welches er dabei machte. Er bemühte sich, ohne meine Hilfe auf die richtige Fährte zu kommen. Nach einer Weile hob er den Kopf; der halbbefriedigte Blick, den er dabei zu mir herübergleiten ließ, sagte mir, daß er mit sich im reinen sei. Darum fragte ich nun:

„Mein roter Bruder hat die Erklärung gefunden, die er von mir hätte bekommen können. Wer ist denn der Verwundete?“

„Er gehört zu den Bleichgesichtern, welche Melton überlistet hat.“

„Allerdings. Er ist der einzige, dem ich meinen Verdacht mitteilte.“

„Er wird auch der einzige sein, der dem Schicksale der andern entgangen ist. Old Shatterhand weiß natürlich, wer ihn verwundet hat?“

„Allerdings. Weller und sein uns unbekannter Begleiter sind es gewesen; das zweite Gewehr war das seinige, welches sie ihm abgenommen haben.“

„So wird er, wenn er wieder zu sich kommt, uns sagen können, wer der andere gewesen ist.“

„Wird dies bald geschehen?“

„Das ist nicht leicht zu sagen. Das Bleichgesicht ist ein Riese und hat einen sehr harten Kopf; jeder andere wäre zerschmettert worden. Der Knochen ist ganz, aber wer kann wissen, in welchem Zustande sich das Gehirn unter demselben befindet? Es wäre mir sehr lieb, wenn er zur Besinnung käme und sprechen könnte, denn er ist in Almaden gewesen und würde uns sagen, was dort vorgegangen ist.“

„Meine Warnung hat ihn doch vorsichtig gemacht, sonst wäre ihm das gleiche Schicksal mit den andern geworden. Er ist entkommen, und Weller und der andere haben ihn verfolgt. Das ist klar.“

„So ist es. Aber es kommt noch eins dazu. Meint mein Bruder, daß die beiden Bleichgesichter nur diesen einen Grund gehabt haben, Almaden zu verlassen?“

„Nein. Hätten sie nur diesen gehabt, so wären sie wieder umgekehrt, als sie meinten, den Flüchtling erschlagen zu haben; sie sind aber weitergeritten. Wahrscheinlich haben sie die Wagen mit großer Ungeduld erwartet und sind, da dieselben nicht zur rechten Zeit ankamen, ihnen entgegengeritten.“

„Das denke auch ich. Will mein Bruder nicht einmal mit Weller reden? Es ist vielleicht gut, zu hören, was er über den Verwundeten sagt.“

Das war eine Aufforderung, welcher ich sehr gern nachkam, denn ich war selbst begierig, zu hören, ob der Mensch ein Eingeständnis machen werde. Ich wartete, bis wir den Zugtieren eine Rast gönnen mußten, was an einem fließenden Wasser geschah. Der Herkules war noch nicht zu sich gekommen. Während Winnetou sich mit ihm beschäftigte, ging ich zu Weller, welcher gebunden am Boden lag, und fragte:

„Ihr kennt doch wohl den armen Teufel dort, dem man den Kopf so arg zugerichtet hat?“

„Natürlich kenne ich ihn,“ fuhr er mich an; „Ihr wißt ja, daß ich auf dem Schiffe die Ehre hatte, ihn und Euch zu bedienen.“

„Das wissen wir Euch keinen Dank, und es wäre für uns und für Euch auch besser gewesen, wenn Ihr Euch später nicht um uns gekümmert hättet. Nun wird der Herkules Eure Aufmerksamkeit vielleicht mit dem Leben bezahlen! Der Kolbenhieb, welcher meinem Landsmanne das Leben rauben sollte, stammt von Euch.“

„Von mir? Welch ein Gedanke! Master, Ihr wollt ein so scharfsinniger Mann sein und laßt Eure Gedanken doch so in die Irre gehen! Wie kommt Ihr denn eigentlich darauf, daß ich es bin, der ihn hat erschlagen wollen?“

„Ihr oder der andere, welcher bei Euch war. Einer von euch beiden ist’s gewesen.“

„Die Behauptung höre ich; aber wo ist der Beweis? Wie nun, wenn er von einem andern überfallen worden und ich erst später an ihm vorübergekommen wäre?“

„Macht das einem Kinde weiß, aber nicht mir! Euer Vater hat ja sein Gewehr!“

Es stand bei mir fest, daß sein Begleiter entweder sein Vater oder Melton gewesen war, und ich glaubte, das erstere für richtiger halten zu müssen. Er ließ sich dadurch, daß ich auf den Busch schlug, zu der schnellen und unüberlegten Frage verleiten:

„So habt Ihr ihn also doch erkannt? Nun meinetwegen! Ich habe nichts davon, wenn ich es leugne. Ja, es war mein Vater. Und wißt Ihr, warum ich Euch das sage? Ich gebe Euch den guten Rat, umzukehren und Euch nicht länger um Almaden zu kümmern. Euer Vorwitz wird Euch teuer zu stehen kommen.“

„Wollen das abwarten!“

„Ihr braucht gar nicht zu warten; ich sage es Euch schon jetzt. Ihr kennt die Verhältnisse nicht und wißt also nicht, was Euch in Almaden erwartet.“

„So bitte ich Euch sehr, es mir zu sagen!“

„Fällt mir nicht ein! Nur das eine will ich Euch sagen: Euer Leben hängt davon ab, wie Ihr mich behandelt. Man wird Euch zwingen, mich frei zu geben, und dann werde ich bestimmen, was mit Euch geschehen soll.“

„Ah, Ihr meint, daß ich Euer Gefangener sein werde?“

„Ja, wenn Ihr nicht vorher erschossen werdet.“

„Nun, so heiß, wie Ihr denkt, wird es wohl nicht werden. Mit den dreihundert Yumas, welche es in Almaden giebt, nehmen wir es gern auf.“

„Dreihundert – –? Wie, Ihr wißt – –?“

„Ja, wir wissen sehr genau, was uns in Almaden erwartet und was Ihr uns so klug verschweigen wollt. Ich sage Euch, nicht mein Leben schwebt in Gefahr, sondern das Eurige hängt an einem Faden. Ihr befindet Euch sehr im Irrtum, wenn – –“

Ich hielt mitten in der Rede inne, denn in diesem Augenblicke erscholl von dem Wagen, in welchem sich der Herkules befand, ein überlauter, ein gräßlicher Schrei. Ich eilte hin. Der Verwundete saß aufrecht unter dem aufgespannten Wagentuch, stierte mit blutunterlaufenen Augen heraus und schrie:

„Gieb sie her; gieb sie her! Judith, Judith, folge mir; er betrügt dich doch!“

Er ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen, daß man es fünfzehn Schritte weit hörte. Er war zwar erwacht, aber noch nicht bei Sinnen und phantasierte von seiner Geliebten.

Ich ergriff seine beiden Fäuste, hielt dieselben sanft aber fest und redete ihm gütlich zu. Er lauschte. Seine Augen nahmen nach und nach einen andern Ausdruck an, und im klagenden Tone sagte er:

„Er bethört sie; er bethört sie! Sie denkt nicht an seine Schlechtigkeit, sondern an sein Geld.“

Indem ich ihm weiter zuredete, beabsichtigte ich, ihn zu beruhigen; aber die Wirkung war nicht die erwünschte.

„Wer spricht da?“ fragte er zornig. „Ich kenne Sie! Sie wollen mir Vorwürfe machen. Sie haben mich gewarnt, und ich habe es nicht beachtet. Nun habe ich den Lohn. Melton hat mir Judith genommen, und Weller hat – –“

Er stockte. Der letztgenannte Name erweckte eine neue Vorstellung in ihm.

„Weller!“ schrie er dann. „Wo sind sie? Wo sind die beiden Weller? Der Alte hielt mich fest, und der Junge schlug mich nieder. Wo, wo sind sie, damit ich sie erwürgen, erdrosseln kann!“

Das Bewußtsein war ihm mit einemmal zurückgekehrt. Er sah mich an; er sah an mir vorüber, zum Wagen hinaus. Da fiel sein Blick nach der Richtung, in welcher der junge Weller lag; er erkannte ihn und stieg mit der Eile eines Wütenden aus dem Wagen. Ich wollte ihn halten, aber meine Kraft reichte nicht aus. Winnetou faßte ihn auch, doch vergeblich, denn im gegenwärtigen Zustande vervielfältigten sich seine Kräfte in einer Weise, daß er uns beide mit Leichtigkeit abschüttelte. Dabei brüllte er:

„Dort, dort liegt er, der Mörder, der mich aus dem Schlafe weckte und dann niederschlug. Ich zermalme ihn!“

Er sprang auf Weller, der vor Angst aufschrie, zu, warf sich auf ihn nieder und krallte ihm die beiden Hände um den Hals. Wir wollten ihn wegreißen – vergebliches Beginnen! Bei seiner jetzigen Aufregung hätten ihn, wie man zu sagen pflegt, zehn Pferde nicht fortzuziehen vermocht. Er hielt den Hals seines Feindes wie mit Eisenklammern umfaßt und stieß dabei Laute aus, welche nicht mit der Stimme eines Tieres und noch viel weniger mit derjenigen des Menschen verglichen werden konnten. Wir zogen und zerrten an ihm; er achtete es nicht. Das Gesicht Wellers nahm eine dunkle und immer dunklere Färbung an; er war am Ersticken. Da nahmen wir alle unsere Kräfte zusammen und zerrten den Herkules auf, aber mit ihm auch Weller, dessen Hals er so fest wie zuvor umklammert hielt. Wir versuchten, seine Finger zu lösen, vergeblich, bis ich auf den Gedanken kam, ihn durch Schmerzen von Weller abzubringen. Ich gab ihm also einen, allerdings nur leisen Schlag auf den Kopf, und sogleich ließ er den andern los und griff mit beiden Händen nach der Stelle, welche ich berührt hatte. Er stand da, vor Schmerz schreiend; sein Geschrei ging in Wimmern über; dann knickte er langsam zusammen, kam auf die Erde zu liegen, schloß die Augen und war still. Der übergroßen Anstrengung war eine ebenso große Ermattung gefolgt. Als ich ihn so daliegen sah, fiel mir auf, was ich vorher nicht so beachtet hatte, nämlich sein elendes Aussehen, welches von seiner Verwundung allein nicht herrühren konnte.

Natürlich untersuchten wir nun den Gewürgten. Er war tot, erwürgt von den Händen dessen, den er für tot, für ermordet gehalten hatte. Wie schnell und wie schrecklich war mein Wort, welches ich ihm in ganz anderer Voraussetzung gesagt hatte, in Erfüllung gegangen: „Nicht mein Leben schwebt in Gefahr, sondern das Eurige hängt an einem Faden!“

Wir bedauerten es, daß es so gekommen war, fühlten aber kein Mitleid mit dem Toten. Er wurde kurzweg in die Erde verscharrt; dann setzten wir unsere Fahrt fort, nachdem wir den Herkules wieder in den Wagen gebettet hatten.

Über den übrigen Teil der Reise kann ich kurz hinweggehen, indem ich bemerke, daß wir nach Aufhebung der übrigen Posten in die Region gelangten, in welcher die Vegetation aufzuhören begann. Was ich für möglich gehalten hatte, war nicht eingetroffen, nämlich, daß unsere Feinde uns entgegenkommen könnten, um uns zu überfallen. Sie erwarteten uns in Almaden, denn sie meinten, weil wir dort unbekannt mit der Örtlichkeit seien, könnten sie uns leichter als anderswo den Garaus machen.

Der Player erwies sich, was ich vorher sehr bezweifelt hatte, als ehrlich. Als wir auf seine Angabe hin den letzten Posten gefunden und überwältigt hatten, sagte er zu Winnetou und mir:

„Jetzt rate ich euch, mit den Pferden nicht weiter zu gehen, weil ihr in Almaden zwar Wasser, aber kein Futter findet. Ihr müßt einen Ort aufsuchen, an welchem ihr sie zurücklassen könnt.“

„Ist euch auf dieser Seite ein solcher bekannt?“ fragte ich.

„Ja.“

„Er muß aber so gelegen sein, daß man einen Angriff leicht abwehren kann!“

„Bei dem Orte, den ich meine, kann von einem Angriffe gar keine Rede sein. Er liegt so versteckt mitten im Walde, daß es unmöglich ist, euch zu finden.“

„Dann paßt er eben nicht für uns, oder meint Ihr etwa, daß wir die Pferde und die Maultiere hier zurücklassen müssen, die Wagen aber mitnehmen sollen? Wie wollen wir die schweren und großen Wagen nach einer Örtlichkeit bringen, welche vom Walde rundum umgeben ist?“

„Da habt Ihr freilich recht, Master.“

„Und wenn wir dies zustande brächten, so müßten wir doch mit der Möglichkeit rechnen, daß unsere Spuren gesehen und wir entdeckt würden. Wagenspuren sind sehr lange sichtbar. Der Wald, welcher uns beschützen Soll, würde auch den Angreifern Deckung bieten. Der Ort also, den Ihr für so passend für uns haltet, könnte im Gegenteile für uns sehr gefährlich werden.“

„Wie soll er denn beschaffen sein?“

„Er muß frei liegen, damit wir die Annäherung eines Feindes leicht und rechtzeitig bemerken können, und doch soviel Bäume haben, daß wir, unter ihnen verborgen, von weitem nicht sogleich gesehen werden.“

„Also genug Wasser, reichlich Gras, Bäume oder Sträucher und doch rundum frei. So ein Ort ist nicht leicht zu finden. Und doch,“ fügte er nach einigem Sinnen hinzu, „weiß ich einen; aber er liegt von hier ab.“

„Das kann uns nur lieb sein. Man erwartet uns in Almaden aus der geraden Richtung. Da kann es nur von Vorteil für uns sein, wenn wir uns abseits von derselben befinden.“

„Wir haben wenigstens noch drei Stunden zu fahren, so daß wir erst gegen Abend hinkommen.“

„Auch das schadet nichts, da wir heute doch nichts mehr unternehmen können. Übrigens dürft Ihr nicht denken, daß wir gleich so mir nichts dir nichts in voller Gesellschaft nach dem Bergwerke gehen. Erst muß ein Kundschafter hin. Das ist so Regel bei Winnetou und mir.“

„Damit verschwendet ihr doch viel Zeit!“

„Es ist besser, man verwendet eine gewisse Zeit auf Vorsichtsmaßregeln, als daß man in schädlicher Eile ins Verderben rennt.“

„Wollt ihr nicht in Betracht ziehen, daß dem Kundschafter manches geschehen kann, was einer aus vielen Personen bestehenden Truppe nicht geschehen würde?“

„Und wollt ihr nicht bedenken, daß es Lagen giebt, in denen ein einzelner viel weniger Gefahr läuft, als ein zahlreicher Trupp? Übrigens werden wir keinen Dummkopf schicken. Ich denke, daß Winnetou den Kundschaftergang übernehmen wird.“

„Nein, nicht ich, sondern mein Bruder Shatterhand,“ fiel da der Apatsche ein. „Winnetou muß bei dem kranken Bleichgesichte bleiben, wenn es gerettet werden soll.“

Er hatte die Heilung des Herkules übernommen und wollte seinen Patienten nicht verlassen. Das war eine Menschenfreundlichkeit und Pflichttreue, welche mich veranlaßte, ihm zu Willen zu sein, obgleich ich die Überzeugung hegte, daß er ein besserer Kundschafter sei als ich.

Wir wichen nun aus der bisherigen Richtung ab und kamen gegen Abend an ein Wäldchen, welches von allen Seiten von Prairie umgeben war. Es hatte vielleicht zweitausend Schritte im Durchmesser, bot uns also Platz genug. Stellenweise standen die Bäume so weit auseinander, daß wir mit den Wagen dazwischen konnten; es war also möglich, sie zu verstecken, und Wasser gab es auch. In den letzten zwei Stunden hatten wir, hinter den Wagen hergehend, uns Mühe gegeben, ihre Spuren soviel wie möglich auszulöschen.

Bis wir uns in dem Wäldchen eingerichtet hatten, war es Nacht geworden. Feuer brannten wir nicht an; die Wagen enthielten genug Proviant, zu dessen Zubereitung wir keines Feuers bedurften. Noch war ich beim Essen, da kam Winnetou, der sich beim Herkules befunden hatte, zu mir und sagte:

„Mein Bruder mag mit zu dem Kranken kommen, der mit ihm sprechen will. Er weiß, was er sieht und hört und redet. Er fragte mich, und ich habe ihm gesagt, was er wissen wollte.“

Der Patient lag neben dem Wagen, in welchem er transportiert worden war, im weichen Grase; man hatte ihm den Kopf auf Decken gebettet. Als ich mich zu ihm setzte, streckte er mir die Hand entgegen und sagte langsam und mit krankhaft leiser Stimme:

„Ich hörte von dem Indianer, welcher mit mir sprach, daß Sie hier und daß ich Ihnen mein Leben zu verdanken habe. Geben Sie mir Ihre Hand! Wie freute ich mich, als ich jetzt von dem Indianer hörte, daß Sie hier seien! Sie waren doch gefangen! Wie sind Sie frei gekommen?“

Ich erzählte ihm, was geschehen war, und dehnte meinen Bericht bis auf die gegenwärtige Stunde aus. Er wußte nicht, was seit dem Augenblicke, an welchem Weller ihn niedergeschlagen hatte, von ihm und mit ihm geschehen war, und fragte, als ich geendet hatte, ganz erstaunt:

„Ist das, was Sie erzählen, wahr? Ich habe Weller erwürgt?“

„Ja. Sie sagten im Fieber, er habe Sie niedergeschlagen. War er es wirklich?“

„Ja. Was ich im Delirium that, brauche ich nicht zu verantworten.“

„Was müssen Sie erlebt haben! Sie werden mir es später erzählen; jetzt sind Sie zu schwach dazu.“

„O nein. Mein Kopf thut zwar weh, aber ich habe, wie Sie wissen, die Natur eines Elefanten. Wenn ich langsam und leise rede, greift es mich nicht an. Lassen Sie mich immerhin erzählen. Wenn Sie gekommen sind, meine Gefährten zu retten, müssen Sie doch baldigst wissen, was geschehen ist.“

„Ich bin allerdings sehr gespannt, es zu hören. Sie wurden von dem großen Munde gefangen genommen und dann wieder frei gegeben. Melton und die Weller kamen auch frei, ebenso der Haziendero. Was geschah nachher?“

„Sie hatten ganz recht, uns zu warnen; es war auf uns abgesehen. Melton kaufte dem Haziendero seinen Besitz ab, und damit wurden wir seine Arbeiter.“

„Ja, ich erinnere mich, den Passus des Kontraktes gelesen zu haben, daß alle Rechte des Haziendero auf seinen etwaigen Rechtsnachfolger überzugehen hätten. Das war, wie ich heute weiß, gleich von vornherein so berechnet. Aber Sie waren für die Hazienda, also für Vieh- und Feldwirtschaft engagiert und brauchten nicht ins Bergwerk zu gehen!“

„Meinen Sie, daß letzteres unser Willen gewesen ist? Wir haben von dem Quecksilber nicht das mindeste gewußt. Melton belog uns, indem er sagte, daß eine kleine Tagereise hinter der Hazienda eine kleine, zu ihr gehörige Estancia liege, wo wir einstweilen beschäftigt werden sollten. Die Wellers sollten uns hinführen, während er mit dem Haziendero nach Ures ritt, um den Kauf rechtsgültig zu machen. Wir erklärten uns einverstanden, da auf der Hazienda für jetzt nur Hunger zu holen war, und brachen mit den Wellers auf. Aber nach vollendetem Tagemarsche fanden wir anstatt einer Estancia ein Indianerlager, dreihundert Mann mit über vierhundert Pferden. Auf einen Teil der überschüssigen Pferde wurden wir gefesselt; die anderen waren Packpferde, welche Lasten zu tragen hatten. Dann wurden wir fortgeschafft, Tag für Tag weiter, bis nach Almaden. Dort giebt es ein vermaledeites Loch, das Mundloch eines Schachtes, in welches gestiegen werden mußte.“

„Habt ihr euch denn auch da nicht gewehrt?“

„Von mir will ich nicht reden, denn wenn ich hineingestiegen wäre, so befände ich mich unter der Erde und nicht hier bei Ihnen; aber die andern, die Kinder, Weiber und Väter, was konnten sie machen? Die paar Menschen gegen die dreihundert Wilden! Übrigens bedrohte man uns mit dem Tode, sofern wir uns weigerten. Die Frauen und Kinder konnten an keine Gegenwehr denken, und um ihretwillen und um ihnen keine Mißhandlungen zuzuziehen, ergaben sich auch die Männer drein.“

„Was geschah dann mit ihnen unten?“

„Weiß ich es? Ich bin nicht mit unten gewesen.“

„Ah so! Sie waren nicht mit in dem Schacht! Wie haben Sie das angefangen?“

„Sehr einfach. Als man mir die Riemen abgenommen hatte und mich nach dem Loche schob, brach ich durch die Indianer und rannte fort, nachdem ich mehrere niedergeschlagen und einem von ihnen, der ein Gewehr besaß, dieses entrissen hatte. Man schoß nicht auf mich, weil man mich lebendig haben wollte; das war meine Rettung. Die Roten rannten mir nach. Ich bin ein starker Kerl, aber ein schlechter Läufer, doch gab mir die Angst die nötige Schnelligkeit. Dennoch hätten mich die leichtfüßigen Schurken eingeholt, wenn ich nicht durch den Erdboden durchgebrochen wäre. Da sahen sie mich nicht mehr und ließen mich stecken.“

„Sonderbar! Wenn sie hinter Ihnen her waren, müssen sie doch auch an die Stelle, wo Sie durchgebrochen sind, gekommen sein?“

„Ja, aber ich war nicht geradeaus gerannt, sondern hatte eine doppelte Schwenkung gemacht. Ich kam nämlich an eine Felsenecke, bog um dieselbe herum, um den Indianern aus dem Gesicht zu kommen, und schwenkte dann noch um eine zweite Ecke, hinter welcher der Boden unter mir wich, so daß ich in die Tiefe fuhr.“

„Ich habe erfahren, daß der Felsen dort aus Kalkstein besteht; der ist bekanntlich, wo er auftritt, gern von natürlichen Höhlungen durchzogen.“

„Eine Höhlung war dies nicht, sondern ein Gang, ein Stollen, der schräg abwärts in die Erde läuft.“

„Haben Sie ihn untersucht?“

„Das konnte ich nicht, denn es war dunkel, und ich hatte kein Licht. Eine Strecke bin ich abwärts gegangen, aber nicht weit, da es mir gefährlich erschien, weiter zu gehen. Dann ging ich aufwärts, Schritt um Schritt und vorsichtig tastend, ehe ich den Fuß weitersetzte. Das war gut, denn sonst wäre ich in die Tiefe gestürzt, da ich sehr bald an einem Abgrunde stand.“

Bei diesen Worten fiel mir die Höhle ein, von welcher der Player gesprochen hatte; sie mündete zu Tage und endete hinten in einem Abgrunde. Darum fragte ich:

„Können Sie mir die Örtlichkeit genau beschreiben, wo Sie eingebrochen sind?“

„Ich kann Ihnen ganz Almaden beschreiben.“

„Das ist mir lieb. Haben Sie denn Gelegenheit gehabt, sich die Gegend anzusehen, obgleich Sie sich nicht erblicken lassen durften?“

„Ich habe es gewagt, um Judiths willen. Sie war nämlich die einzige, welche unterwegs nicht gefesselt wurde und dann auch nicht in den Schacht zu steigen brauchte. Gerade als man mich losband, damit ich hinunter sollte, verhöhnte sie mich und sagte mir, daß ich unten Quecksilber graben müsse, während sie oben die Wirtschafterin des Bergwerksherrn sein werde. Das machte mich verwegen, und die Wut darüber gab mir die Kraft, mich durchzuschlagen und dann nach ihr zu suchen.“

„Wie kamen Sie aus dem tiefen Loche?“

„Indem ich Steine aufeinander baute.“

„Haben Sie die Judith gefunden?“

„Ihren Aufenthaltsort vermochte ich nicht ausfindig zu machen, denn ich durfte mich nur des Nachts hervorwagen; aber begegnet bin ich ihr einmal. Sie erschrak zuerst; dann wurde sie freundlich. Dabei versprach sie mir, mir ihre Wohnung zu zeigen; nur müsse sie erst nachsehen, ob Melton fest schlafe, weil dieser mich nicht gewahren dürfe.“

„Das glaubten Sie ihr?“

„Ja. Aber als sie fort war, kamen mir Bedenken; ich verließ den Ort, an welchem ich auf sie warten sollte, und versteckte mich in der Nähe. Sie kam nicht wieder, dafür aber Melton mit den beiden Weller und einigen Indianern, die mich ergreifen wollten.“

„So hat Ihre Angebetete Sie verraten. Wie kann ein Mann wie Sie noch Liebe zu einem solchen Geschöpfe hegen! Wie lange haben Sie denn Ihr Versteck benutzt?“

„Bis vor zwei Tagen; dann trieb mich der Hunger fort, und ich schlug ganz natürlich den Weg ein, auf welchem wir gekommen waren. Wenn es mir glückte, eine bewohnte Gegend zu erreichen, wollte ich meinen armen Gefährten von dort aus Hilfe bringen. Nun aber sind ja Sie da; das ist besser.“

„Wovon ernährten Sie sich denn?“

„Von den wenigen Pflanzen, welche es dort giebt. Ein wenig Wasser fand ich in meinem Verstecke, wo ich es von den Wänden leckte.“

„Schrecklich! Ein Wild konnten Sie nicht schießen?“

„Ich besaß keine Munition. Als ich wie ein Tier alle Halme verzehrt hatte, die es im Umkreise gab, mußte ich fort.“

„Wurden Sie nicht angehalten?“

„Nein.“

„So haben die Indianer die Gegend nicht eingeschlossen?“

„Bis dahin war dies nicht der Fall; aber ich sah und hörte, daß sie dieselbe immerfort nach mir durchstreiften. Ich mußte einen ganzen Tag lang durch wüste Einöde wandern, ehe ich wieder Gras und Bäume fand. Da begegnete ich einem einzelnen Indianer, welcher jedenfalls nach Almaden wollte, aber er traute sich nicht an mich heran, da er nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet war und bei mir eine Flinte sah. Jedenfalls hat er in Almaden gemeldet, daß er mich gesehen hatte, und die beiden Weller sind schnell hinter mir hergeritten. Was dann weiter geschah, das wissen Sie.“

„Ja, das weiß ich, und was ich noch nicht weiß, das werden Sie mir sagen können. Oder fühlen sie sich zu matt dazu?“

Er hatte natürlich nur langsam und in Pausen gesprochen, versicherte aber:

„Wenn ich leise rede, halte ich es noch länger aus. Ich habe einen Büffelschädel und werde den Hieb bald überwinden.“

„Ja, die Weller haben ihren harten Schädel nicht gekannt und Sie für tot gehalten. Nun bitte ich, sich genau auf Almaden und Ihr dortiges Versteck zu besinnen und mir dasselbe zu beschreiben.“

„Wir kamen über ein wüstes, wellenförmiges Land, welches eine Tagreise breit ist. Hinter demselben senkt sich der Boden ziemlich schnell und bildet eine weite, fast kreisrunde Vertiefung, welche früher ein See gewesen zu sein scheint. In diesem See hat eine große Felseninsel gelegen, welche heute das eigentliche Almaden darstellt, und wie ein riesiger Felsenquader aussieht. Man kann auf zwei Seiten hinaufgelangen. Oben auf dem Plateau, fast auf der Mitte desselben, steht ein rohes Steinhaus, welches nur aus den vier Wänden und dem Dache besteht. In diesem Hause ist die Mündung des Schachtes.“

Won welchen beiden Seiten kann man nach oben?“

„Von Nord und Süd. Die Ostseite steigt ganz lotrecht auf; an der westlichen kann man eine kleine Strecke emporgelangen, und da liegt auch mein Versteck.“

„Wie kann ich es am besten finden?“

„Fast genau in der Mitte der Westseite liegt ein großer Felsblock, welcher sich vor Zeiten, wie man sieht, oben losgerissen hat und herabgestürzt ist, hart an der eigentlichen Wand des Berges; links schließt er fest an dieselbe an, während er rechts mit ihr eine breite Lücke bildet, welche aber ganz mit Geröll ausgefüllt ist. Auf der ersteren Seite, also links, nördlich von dem Blocke, ist der Berg in der Weise aus- oder auch angewaschen, als ob früher ein Wasser von oben herabgeflossen wäre. Das Wasserbett windet sich bald nach der einen, bald nach der andern Seite, und um zwei dieser Ecken, welche dadurch gebildet werden, bin ich damals gerannt, als ich verfolgt wurde und plötzlich in der Erde verschwand. Sie können gar nicht fehlgehen.“

„Ich muß also links von dem Felsblocke in dem früheren Wasserbette aufwärts steigen?“

„Ja. Sie sehen es schon aus der Ferne ganz deutlich liegen. Auf der dritten Windung bin ich eingebrochen. Das Loch ist nicht ganz offen. Ich habe es, ehe ich ging, soviel es mir möglich war, mit Steinen zugedeckt; aber das Auge von Old Shatterhand wird die Stelle sofort entdecken.“

„Und der Gang oder Stollen, in welchem Sie sich befanden, ist gemauert?“

„Da, wo ich eingebrochen bin, ja; das konnte ich sehen, weil ich durch das Loch Licht von oben hatte. Ob es weiterhin auch noch Mauer giebt, kann ich nicht genau sagen.“

„So weiß ich in dieser Beziehung genug und möchte nun nur noch eins fragen: Ihre liebe Judith ist frei, wie Sie mir erzählen. Wo befindet sich denn ihr Vater, der frühere Pfandleiher und Rauhwarenhändler?“

„Im Schachte gefangen wie die übrigen.“

„Und Judith hat für ihren Vater kein gutes Wort eingelegt?“

„Nein.“

„So nehmen Sie es mir nicht übel: sie hat zwar ein reizendes Äußere, ist aber ein unnatürliches Geschöpf. Sollte sie mir in die Hände geraten, so werde ich wohl nicht allzu zart mit ihr umspringen.“

Da fragte der nicht nur am Kopfe, sondern immer noch auch im Herzen verwundete Herkules schnell und besorgt:

„Sie wollen ihr doch nichts thun?“

„Was das betrifft, so gestehe ich aufrichtig, daß ich, wenn sie ein männlicher anstatt ein weiblicher Taugenichts wäre, für nichts, auch nicht für einen tüchtigen Stock gutstehen würde.“

„Um Gottes willen, sprechen Sie nicht so! Wie ich Sie kennen gelernt habe, so zweifle ich keinen Augenblick, daß sie mit Melton in Ihre Hände geraten wird. Welch ein Jammer, wenn Sie sie dann prügeln lassen! Bedenken Sie, daß sie meine Braut war!“

„Die Sie schmählich verraten und verlassen hat! Der Jammer könnte ihr gar nichts schaden und würde ihr sehr wahrscheinlich besser bekommen, als das ewige trostlose Anhimmeln Ihrerseits. Aber Ihr Herz hat einen noch größeren Hieb bekommen, als Ihr Kopf; Sie sind doppelt krank und dreifach zu beklagen, und so will ich Sie durch das Versprechen beruhigen, daß ich Ihren Engel wenigstens nicht verhauen lassen werde,“

„Sie verstehen nichts von Frauenliebe!“

„Hören Sie, liebster Freund und unglücklicher Liebhaber, ein Mann, dem eine solche Geschwulst auf dem Kopfe sitzt, der sollte wohl von Heftpflastern und Brausepulver, nicht aber von Frauenliebe reden. Ich gestatte meinem Herzen auch eine Stimme, und ich bin so glücklich, eine Mutter zu haben, welche mir in jeder Minute meines Lebens bewiesen hat, daß echte, wahre Frauenliebe, hier Mutterliebe, ein herrliches Abbild der Liebe Gottes ist; vielleicht lerne ich auch einmal die Liebe eines andern Weibes kennen; jedenfalls aber wird das Weib dann nicht die geringste Ähnlichkeit mit Ihrer Judith besitzen. Ich wünsche Ihnen für Ihr Herz eine so gründliche Heilung, wie Sie von Winnetou für Ihren armen, schwachen Kopf erwarten können!“

Der trotz seines starken Körpers innerlich so schwache Mann hatte mich in Zorn gebracht. Ich ließ ihn liegen und ging zu dem Player, um zu erfahren, ob ich in Beziehung auf seine Höhle richtig oder falsch vermutet hatte. Er hatte mein Gespräch mit dem Herkules bemerkt und fragte, als ich zu ihm kam:

„Höchst wahrscheinlich hat der Mann Euch von Almaden erzählt. Es wundert mich, daß er von dort entkommen konnte. Wie ist das möglich geworden?“

Da ich nicht für nötig hielt, es ihm zu sagen, machte ich eine Ausrede:

„Haltet Ihr es für so schwer, von dort zu fliehen?“

„Sogar für unmöglich, wenn man sich unten im Schachte befindet.“

„Hat das Bergwerk nur diesen einen Zugang? Führt kein Stollen von unten her zu Tage?“

„Nein. Das Werk ist alt und scheint von den spanischen Eroberern angelegt worden zu sein. Sollte es damals einen Stollen gegeben haben, so ist derselbe jedenfalls längst verschüttet.“

Als ich ihn nun um eine Beschreibung von Almaden alto bat, gab er sie mir genau so, wie ich sie von dem Herkules erhalten hatte, und fügte hinzu:

„Aber wozu die Beschreibung! Ich höre, daß Ihr als Kundschafter vorausgehen werdet; Ihr nehmt mich natürlich als Führer mit, und da zeige ich Euch dann alles besser, als ich es Euch beschreiben kann.“

„Ich werde Euch wohl kaum aus Eurer Ruhe reißen, denn ich bedarf keines Führers.“

„Nicht? Aber Euer Gang ist höchst gefährlich, und Ihr waret noch niemals dort. Wie leicht könntet Ihr da Euern Gegner in die Hände geraten!“

„Sorgt Euch nicht um mich! Ich habe schon gefährlichere Wege glücklich zurückgelegt, und wenn Ihr mit mir von Melton erwischt würdet, könntet Ihr leicht an Euch selbst erfahren, wie schwer es ist, aus Almaden zu entkommen. Was ich zu wissen brauche, das weiß ich jetzt. Wollt Ihr ein übriges thun, so bitte ich Euch, mir die Lage der Höhle zu beschreiben.“

„Ja, die Höhle! Ihr kommt von Westen nach Almaden. Da steht Euch die schroffe Felsenwand gerade entgegen. Ganz unten, fast genau in der Mitte derselben, liegt ein Felsenblock, welcher abgestürzt und da liegen geblieben ist. Zu seiner rechten Seite hat es zwischen ihm und der Felswand früher einen freien Raum gegeben, welcher jetzt fast ganz mit Geröll angefüllt ist. Steigt da das Geröll hinauf und räumt davon im Hintergrunde die oberste Schicht weg, so wird sich Euch dadurch der Eingang zu der Höhle öffnen.“

„Und sie ist vollständig leer?“

„Vollständig, abgerechnet das Wasser, welches in der Nebenhöhle steht. Vielleicht kann die Höhle Euch in irgend einer Weise nützlich sein. Das war das einzige und letzte, was Ihr wissen wollt?“

„Ja.“

„Ich dächte, es müsse Euch sehr daran liegen, zu erfahren, wo Melton wohnt.“

„Allerdings, aber ich denke, es auszukundschaften.“

„Glaubt das nicht! Der Ort liegt so versteckt, daß selbst das schärfste Auge ihn nicht bemerken kann. Es ist kein Haus, sondern schon mehr ein Versteck, ein vorläufiger Aufenthalt, da Melton die Absicht hat, sich später ein Wohnhaus zu bauen. Es liegt wie ein Schwalbennest, aber nicht nach außen, sondern einwärts gerichtet, an der Wand und kann von unten nicht erreicht werden.“

„Weiß schon!“ schlug ich auf den Busch. „Es hängt an der östlichen Felsenwand.“

„Wie? Ihr wißt das schon?“ fragte er erstaunt. „Wer hat es Euch verraten?“

„Ihr. Ihr sagtet, daß es an der Felsenwand hängt und von unten nicht zu erreichen ist, das übrige kann man sich sehr leicht ergänzen. Wenn die Wohnung von unten nicht erreicht werden kann, so muß sie an einer Seite liegen, welche nicht zu erklettern ist. Von Nord und von Süd kann man auf das Plateau gelangen; diese beiden Seiten sind also ausgeschlossen. Auf der westlichen Seite liegt Eure Höhle, deren Geheimnis Ihr vor Melton sicher nicht bewahren könntet, wenn sich hier, oben über ihr, sein Versteck befände, denn er würde Euch kommen und gehen sehen. Also bleibt nur noch die Ostseite übrig; da muß er wohnen.“

„So ist es allerdings. Master, jetzt glaube ich, daß Ihr, wenn man Euch nur ein A zeigt, das ganze Alphabet aus diesem einen Buchstaben holt!“

„So schlimm ist es nicht; aber ich bin durch die scharfe Not sehr oft gezwungen worden, ebenso scharf nachzudenken, und das Berechnen, erst so schwer, wird mit der Zeit zur Leichtigkeit. Die Not ist, wie überall, so auch hier die beste Lehrmeisterin.“

„Wollen doch sehen, ob sie wirklich eine so gute Lehrerin ist. In diesem Falle könnt Ihr vielleicht auch berechnen, welcher Weg zu dem Verstecke Meltons führt, ohne daß ich Euch eine Andeutung mache?“

„Ohne! Ich brauche nur hinzugehen und mir das Plateau des Berges anzusehen.“

„Das sagt Euch gar nichts. Ihr würdet nichts bemerken.“

„Doch! Zum Beispiel ob dieses Plateau irgend eine offene oder heimliche Vertiefung hat. Sodann würde ich sehen, aus was der Boden da oben besteht, ob aus reinem, nacktem Fels oder nicht.“

„Aus dem Schutte, welcher aus dem Schächte geschafft und rings zerstreut worden ist! Aus so einem einfachen Umstande könnt Ihr doch unmöglich berechnen, auf welche Weise man in das Versteck Meltons kommt!“

„Nennt es berechnen, schließen oder erraten, es ist ganz dasselbe; ich kenne den Weg.“

„So ist es Euch von irgend jemanden verraten worden!“

„Ich habe nur mit Euch darüber gesprochen und weiß nur das wenige, was Ihr mir gesagt habt.“

„Ihr macht mich immer begieriger. Wollt Ihr mir sagen, was Ihr berechnet oder erraten habt?“

„Warum nicht? Es ist ja für Euch kein Geheimnis, daß man ein Stück in den Schacht hinunterzusteigen hat, um in die Wohnung, von welcher wir reden, zu gelangen.“

„Bei Gott, er weiß es, er weiß es!“ rief da der Player so laut aus, daß alle auf uns aufmerksam wurden. „Wie ist das nur möglich, wenn Ihr keine andere Quelle als meine Äußerungen habt?“

„Es ist wenigstens ebenso leicht wie das, was ich vorher erraten habe. Ihr habt doch gesagt, daß der Zugang nicht von unten sei, also muß er oben zu suchen sein. Da man das Versteck nicht sehen kann, so liegt es auch nicht ganz oben in der Nähe der Felsenkante, da man es entdecken würde, falls man über dieselbe herunterblickte; es muß also etwas abwärts zu suchen sein. Aus letzterem und dem vorigen Grunde folgt nun wieder, daß der Weg nicht offen auf dem Plateau hinführen kann, sondern unter der Oberfläche liegen muß. Liegt er so tief, so hat er unbedingt einen Eingang, in welchen man hinabsteigt; es giebt aber kein Loch, keine offene oder versteckte Vertiefung außer dem Schachte, und also muß mit Sicherheit angenommen werden, daß der betreffende Weg unten im Schachte beginnt. Habt Ihr eine Ahnung, wie die Indianer postiert sind?“

„Nein. Aber den Ort, wo allem Erwarten nach ihre Pferde untergebracht sind, kann ich Euch zeigen.“

„Dazu ist später Zeit. Der alte Weller meldet unsere Ankunft, also werden die Roten sich meist auf die Westseite von Almaden gezogen und uns von da aus Kundschafter entgegengeschickt haben. Steht das Schachthaus und das Mundloch unbewacht?“

„Nein. Es halten da stets zwei Indianer Wache, um den etwaigen, allerdings fast unmöglichen Ausbruch eines Arbeiters zu verhüten.“

Ich hätte nun auch nach dem Haziendero fragen können. Er, als der frühere Besitzer von Almaden, mußte doch die Örtlichkeiten kennen. Aber einesteils wollte ich mit diesem Ignoranten überhaupt nichts zu thun haben, und andernteils hätte ich gewärtig sein müssen, daß er mir verkehrte Auskünfte gab und mich durch dieselben irre führte.

Eine Besprechung mit Winnetou war nicht nötig. Wenn einer von uns beiden einmal etwas unternahm, so wußte der andere, daß es nach Kräften ausgeführt wurde. Guter Rat wurde weder begehrt noch gegeben. Der Apatsche fragte mich nur, wann ich aufbrechen würde.

„Noch vor Tage,“ antwortete ich. „Ich muß einen Umweg machen. Die Yumas erwarten uns von Westen her; darum werden wir von Süden kommen, wo man nicht auf uns achtet. Trotz dieses Umweges, hoffe ich, daß wir am Abende dort ankommen.“

„Mein Bruder Shatterhand spricht wir. Wird er nicht allein reiten?“

„Nein. Ich muß einen Begleiter haben, der auf die Pferde achtet und auf die Waffen, falls ich diese einmal zurücklassen muß.“

„Auf die Pferde? Will mein Bruder reiten, obgleich es kein Gras giebt?“

„In unsern Wagen giebt es Reis und Mais genug. Wir, nehmen uns ein Quantum mit, um füttern zu können.“

„Und wer wird der Begleiter sein?“

„Der junge Bruder des Yumatöters. Wir haben nichts Leichtes vor; ich bin aber überzeugt, daß er höchst eifrig sein wird, sich meines Vertrauens wert zu machen.“

„Winnetou kennt die gute Absicht seines weißen Bruders. Der junge Mimbrenjo soll wo möglich auch bald einen Namen haben wie sein Bruder, welcher durch Old Shatterhand so schnell zum Krieger geworden ist.“

Das war auch wirklich meine Absicht. Allerdings war es gewagt, einen unerfahrenen Knaben bei einem so gefährlichen Ritte mitzunehmen, aber ich hatte zu ihm wenigstens ebensoviel Vertrauen, wie zu einem der älteren Mimbrenjokrieger.

Was wir brauchten, wurde noch am Abende bereit gelegt, Proviant für uns und Futter für die Pferde. Noch ehe es tagte, waren wir zum Aufbruche bereit. Wie erstaunte ich da, als Winnetou zu uns trat und sagte:

„Es kann kommen, daß meine beiden Brüder gezwungen sind, eine große Schnelligkeit zu entwickeln; da paßt das Pferd des jungen Mimbrenjo nicht zu dem schnellen Hengste Old Shatterhands; er mag also für den Ritt das meinige nehmen; es wird ihn sicher zu uns zurückbringen.“

Daß der Apatsche sein kostbares Pferd einem andern, und noch dazu einem Knaben anvertraute, das war ein Wunder und dabei zugleich ein sicheres Zeichen, daß er dem kleinen Mimbrenjo ungemein wohl wollte. Dieser durfte unmöglich das großmütige Anerbieten ablehnen, und so flogen wir denn, beide gleich gut beritten und zunächst eine südliche Route einschlagend, in den frischen Morgen hinein. – – –

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Kolma Putschi

Kolma Putschi

Einen Tag, nachdem wir Harbours Farm verlassen hatten, war uns das Unglück beschieden, daß Treskows Pferd stürzte und den Reiter abwarf. Es sprang rasch wieder auf, rannte fort und schleifte Treskow, welcher mit einem Fuße im Bügel hängen geblieben war, neben sich her. Zwar waren wir schnell zur Hand, das Tier zu halten, aber doch schon zu spät, um zu verhüten, daß er mit dem Hufe einen Schlag erhielt, der ihn glücklicherweise nicht am Kopfe sondern an der Schulter traf. Die Wirkung dieses Schlages äußerte sich, wie dies zwar selten aber doch zuweilen vorzukommen pflegt, nicht nur auf die getroffene Stelle sondern auch auf die ganze betreffende Seite des Körpers. Der Verletzte war auf derselben wie gelähmt; er konnte sogar das Bein kaum bewegen, und es zeigte sich als ganz unmöglich, ihn wieder auf das Pferd zu bringen. Wir konnten nicht weiterreiten.

Zum Glücke gab es in der Nähe ein Wasser, wohin wir ihn brachten und nun gezwungen waren, Lager zu machen, auf wie lange, das mußte abgewartet werden.

Winnetou untersuchte ihn. Weder das Schulterblatt noch irgend ein Knochen war verletzt, doch hatte die getroffene und sehr geschwollene Stelle ein dunkle Färbung angenommen. Wir konnten uns nur mit kalten Umschlägen und Massage behelfen, welche letztere sich außerordentlich schmerzhaft zeigte, zumal Treskow keine widerstandsfähige Natur besaß und nicht in die Klasse der Westmänner gerechnet werden konnte, welche in der Schule, die hinter ihnen liegt, gelernt haben, Schmerzen lautlos zu ertragen.

Er wimmerte bei jeder Berührung und Bewegung; wir kehrten uns aber nicht daran und hatten den Erfolg, daß die Lähmung wich und er schon am nächsten Tage den Arm und das Bein bewegen konnte. Nach weiteren zwei Tagen hatte sich die Geschwulst fast gesetzt, und die Schmerzen waren soweit gewichen, daß wir weiterreiten konnten.

Wir hatten durch diesen leidigen Fall drei volle Tage eingebüßt, eine Zeit, die wir unmöglich einbringen konnten. Old Surehand vor seiner Ankunft oben im Park noch einzuholen, was wir doch beabsichtigt hatten, das mußten wir nun aufgeben. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte dies ja nichts zu sagen gehabt; aber er war ganz allein, was schon an und für sich seine große Bedenken hatte, und sodann befanden sich Leute hinter ihm, denen nicht zu trauen war. Ja, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß der „General“ auch hinauf wollte und zwar zu derselben Zeit und nach demselben Parke, so hätte er sich vor ihm in acht nehmen können; aber er wußte das nicht. Auch dem alten Wabble traute ich nicht. Ich wußte freilich nicht, wohin der alte König der Cow-boys mit seinen Begleitern eigentlich gewollt hatte; ich konnte nur unbestimmte Ahnungen darüber hegen; aber nach dem, was geschehen war, mußte ich annehmen, daß er sich der Rache wegen an unsere Ferse geheftet hatte. Der Umstand, daß wir sein Pferd behalten hatten, konnte gar nichts daran ändern, sondern die Ausführung dieses Vorhabens höchstens verzögern, und diese Verzögerung konnten wir nicht mehr in Anschlag bringen, weil unsere dreitägige Versäumnis ihm Gelegenheit gegeben hatte, den ihm abgewonnen Vorsprung einzuholen. Ebenso mußte ich an Tibo taka denken. Das Ziel seines Rittes war uns eigentlich unbekannt; daß er nach Fort Wallace wollte, war jedenfalls eine Lüge gewesen. Ich nahm, grad so wie Winnetou, an, daß der weiße Medizinmann auf irgend einem, uns noch unbekannten Wege von dem „Generale“ aufgefordert worden sei, nach Colorado zu kommen und dort an einem bestimmtem Punkte mit ihm zusammenzutreffen. Ein einzelner Mann, der noch dazu durch die Anwesenheit seiner Frau an jeder freien Bewegung gehindert wurde, war eigentlich gar nicht zu fürchten; aber dem Bösen ist das, was man Glück zu nennen pflegt, oft wenigstens scheinbar oder vorübergehend günstiger als dem Guten, und so schien es geraten, auch diesen Menschen mit in die Berechnung zu ziehen.

Wir waren also auf unserm weitern Ritte sehr vorsichtig und kamen über die Grenze hinüber und ein gutes Stück ins Colorado hinauf, ohne irgend welche Belästigung zu erfahren oder eine Spur der erwähnten Personen entdeckt zu haben.

Jetzt befanden wir uns in der Nähe des Rush-Creek, und Winnetou kannte da ein altes, längst verlassenes Camp welches wir gegen Abend erreichen wollten. Dieser Platz hatte nach der Beschreibung des Apatschen einen nie versiechenden Quell und war mit einer Steinumwallung umgeben, welche guten Schutz gewährte, obgleich sie nicht eine Mauer bildete, sondern in der Weise aufgeschichtet war, wie die Landleute mancher Gegenden die in ihrem Acker gefundenen Steine rund um denselben aufeinanderlegen. Für den Westmann bietet ein solcher Wall, auch wenn er nicht hoch ist, eine stets willkommene Deckung gegen etwaige Angriffe.

Kurz nach Mittag entdeckten wir eine Fährte von gegen zwanzig Reitern, welche aus Nordost herüberkam und auch nach dem Rush-Creek zu gehen schien. Die Spuren zeigten, daß die Pferde beschlagen gewesen waren; dieser Umstand und die schlechte und oft unterbrochene Ordnung, welche die Männer eingehalten hatten, ließen vermuten, daß sie Weiße waren. Wir wären dieser Fährte gefolgt, auch wenn sie nicht so genau in unsere Richtung geführt hätte. Man muß im wilden Westen stets wissen, was für Menschen man vor sich hat. Daß sie hinauf in die Berge wollten, war für uns ganz selbstverständlich, zumal man grad damals von bedeutenden Gold- und noch größeren Silberfunden sprach, die in den Mountains gemacht worden seien. Wahrscheinlich hatten wir da die Fährte einer Gesellschaft jener Abenteurer, welche sich infolge solcher Gerüchte schnell zusammenfinden und dann ebenso rasch wieder auseinander gehen, verwegene und gewissenlose Gesellen, welche vom Leben alles erwarten und sich doch sehr wenig daraus machen, wenn sie nichts bekommen.

Die Fährte war wenigstens fünf Stunden alt; wir hatten also Grund, anzunehmen, daß wir heut mit diesen Leuten nicht zusammentreffen würden. Wir folgten ihr also ohne alle Besorgnis, bis wir an eine Stelle kamen, wo sie angehalten hatten. Mehrere leere Konservenbüchsen, die man weggeworfen und dann unvorsichtig liegen lassen hatte, verrieten, daß an diesem Orte Mittag gehalten worden war. Auch eine leere Flasche lag da. Wir waren abgestiegen, um die Stelle genau zu untersuchen, fanden aber nichts, was uns zu ungewöhnlichen Befürchtungen Veranlassung geben konnte. Dick Hammerdull hob die Flasche auf, hielt sie gegen das Licht, sah, daß sich noch ein Schluck drin befand, setzte sie an den Mund und warf sie schnell wieder fort. Sprudelnd und Gesichter schneidend rief er aus:

„Pfui! Wasser, abgestandenes, altes, halbwarmes Wasser! Hatte mir eingebildet, einen Schluck guten Brandy zu finden! Das können keine Gentlemen sein! Wer eine Flasche bei sich hat und nur Wasser drin, der kann keine Ansprüche auf meine Achtung haben, der ist ein ordinärer Mensch! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm!“ brummte der Lange. „Wenn du Schnaps erwartet hast, so kannst du mir in der Seele leid thun, lieber Dick. Denkst du denn, daß dir hier im Westen jemand eine volle Brandyflasche her vor die Nase legt?“

„Ob voll oder leer, das bleibt sich gleich, wenn nur etwas darinnen ist. Aber Wasser, das ist geradezu schändlich an mir gehandelt!“

Der klügste Mann begeht zuweilen eine Dummheit, und vielleicht grad dann, wenn er alle Veranlassung hat, klug zu sein. So auch wir! Von den andern will ich schweigen, aber daß wir beide, Winnetou und ich, diese Flasche unbeachtet ließen, das war eine geradezu unverzeihliche Nachlässigkeit von uns. Die leeren Konservenbüchsen hatten ja nichts zu sagen; aber die Flasche hätte unsere Aufmerksamkeit erregen müssen. Hätte sich Branntwein drin befunden gehabt, nun, so wäre er eben ausgetrunken und die Flasche dann fortgeworfen worden; aber es war Wasser drin gewesen, Wasser! Man hatte sie also nicht des Brandy wegens, sondern als Wasserflasche mitgenommen, sie als Feldflasche benutzt, welche man füllt und in die Satteltasche schiebt, um da, wo es kein Wasser giebt, seinen Durst löschen zu können. Im wilden Westen ist oder war wenigstens damals eine Flasche eine Seltenheit; sie wurde nicht weggeworfen, sondern aufgehoben. Auch diese hier war nicht weggeworfen, sondern vergessen worden; das hätte uns eigentlich unser kleiner Finger sagen müssen. Wenn der Besitzer, den Verlust bemerkend, umkehrte, um sie zu holen, so mußte er uns entdecken. Das war es, was wir uns hätten denken sollen und woran wir doch nicht dachten. Ich kann mich noch heut über meine damalige Unachtsamkeit ärgern. Die Folgen traten freilich sehr prompt ein!

Die Leute hatten an dieser Stelle über drei Stunden lang kampiert; die fortführende Fährte war nicht zwei Stunden alt; wir folgten ihr dennoch vielleicht eine halbe Stunde lang über eine grasige Savanne, bis wir am Horizonte und zu beiden Seiten Buschwerk sahen, hinter welchem rechter Hand eine bewaldete Höhe lag, ein Vorberg des Sandythales, über dessen Creek wir heut früh gekommen waren. Winnetou deutete nach dieser Höhe und sagte:

„Dort an dem Berge müssen wir vorüber, wenn wir nach dem Camp wollen. Meine Brüder mögen mir folgen!“

Er lenkte nach rechts ab.

„Und die Fährte hier?“ fragte ich. „Bleiben wir nicht auf ihr?“

„Heut nicht. Morgen werden wir sie wiedersehen.“

Seine Berechnung war ganz richtig; wir wären früh zu ihr zurückgekehrt, wenn wir nicht die Unterlassungssünde in Beziehung auf die Flasche begangen hätten. Wir folgten ihm ganz ahnungslos, der selbst nicht ahnte, wie verhängnisvoll das Camp uns werden sollte.

Immer durch Buschland reitend, kamen wir nach einer Stunde an dem erwähnten Berg vorüber, hinter welchem sich eine Höhe nach der andern aufbaute oder kulissenartig vorschob. Wir folgten dem Apatschen, uns seiner sichern Führung anvertrauend, zwischen sie hinein und kamen gegen Abend in ein breites, sanft ansteigendes Thal, aus dessen Mitte uns ein stiller Weiher entgegenglänzte, in dessen Abflusse zahllose kleine, silberhelle Fischchen spielten. Schattige Bäume standen, bald einzeln, bald in Gruppen, rings umher, und hinter dem Teiche sahen wir Steinanhäufungen, welche von weitem wie die Ruinen eines früher bewohnten Ortes erschienen.

„Das ist das Camp, welches ich meine,“ erklärte Winnetou. „Hier sind wir sicher vor jedem Überfalle, wenn wir einen Posten an den Eingang zum Thale stellen.“

Er hatte recht. Es konnte kaum einen Ort geben, der sich besser zum sichern Lager eignete als dieses Camp. Wenn ich bis jetzt irgendwelche Sorge für uns gehabt hätte, sie wäre beim Anblicke dieser Stelle sofort verschwunden. Wir ritten, des weichen Bodens wegen beinahe unhörbar, einer hinter dem andern an dem Weiher hin; da hielt Winnetou, welcher voran war, plötzlich sein Pferd an, hob den Finger, um Schweigen zu gebieten, und lauschte.

Wir folgten seinem Beispiele. Jenseits der Steine erklangen Töne, die in der Entfernung, in welcher wir uns befanden, allerdings nur von einem scharfen Ohre gehört werden konnten. Der Apatsche stieg ab und gab mir das Zeichen, dies auch zu thun. Wir ließen unsere Pferde bei den Gefährten zurück und schlichen uns leise zu den Steinen hin. Je näher wir diesen kamen, desto deutlicher wurden die Klänge. Es war eine hohe männliche Bariton- oder eine sehr tiefe weibliche Altstimme, welche in Indianersprache langsam und klagend ein Lied sang. Das war nicht eine Indianerweise, aber auch keine Melodie nach unseren Begriffen; das lag vielmehr in der Mitte zwischen beiden, als hätte ein Roter sich der Sangesweise der Bleichgesichter anbequemt und in die Sprache und den eigenartigen Ausdruck der Indianer übertragen. Ich hätte sofort wetten mögen, daß derjenige oder diejenige, welcher oder welche da vor uns sang, das Lied und auch die Melodie selbst erfunden habe. Es war ein Sang, der sich, dem, Sänger fast unbewußt, aus der Seele löst, um ebenso ins Geheimnisvolle zu verklingen, wie er aus dem Geheimnisvollen erklungen ist.

Wir schoben uns näher und näher, bis wir eine schmale Bresche im Steinwalle erreichten, durch welche wir sehen konnten.

„Uff, uff!“ sagte Winnetou, vor Überraschung beinahe laut.

„Uff, uff!“ sagte auch ich, mit ihm zu gleicher Zeit, denn ich war so erstaunt wie er selbst.

Die Steine bildeten eine von Bäumen beschattete und mit einigen Büschen besetzte Umwallung von vielleicht vierzig Meter Durchmesser, deren Boden von hohem fettem Grase bewachsen war. Am Rande dieser Umwallung, ganz nahe bei der Bresche, an welcher wir lagen, saß – Winnetou, der Häuptling der Apatschen!

Ja, gewiß, in etwas größerer Entfernung hätte man den Indianer da drin für Winnetou halten müssen. Sein Kopf war unbedeckt. Er hatte seine langen, dunkeln Haare in einen Schopf gebunden, von welchem sie ihm jetzt, da er saß, über den Rücken bis auf die Erde niederfielen. Sein Jagdrock und seine Leggins waren aus Leder gefertigt; dazu trug er Mocassins. Um die Hüften hatte er sich eine bunte Decke geschlungen, in welcher außer dem Messer keine andere Waffe steckte. Neben ihm lag ein Doppelgewehr. Am Halse hingen an Schnüren und Riemen verschiedene notwendige Gegenstände, doch darunter keiner, den man für eine Medizin hätte halten können.

War das nicht alles fast genau so wie bei Winnetou? Freilich war der Indianer da drin älter wie der Apatsche, aber man sah noch heut, daß er einst gewiß schön gewesen war. Seine Gesichtszüge waren ernst und streng, hatten aber doch etwas an sich, was mir frauenhaft weich vorkam. Alles in allem war ich im ersten Augenblicke erstaunt über diese Ähnlichkeit mit Winnetou gewesen, und nun dieses Erstaunen vorüber war, bemächtigte sich meiner ein Gefühl, welches ich nicht beschreiben kann. Ich befand mich vor etwas Rätselhaftem, vor einem verschleierten Bilde, dessen Schleier nicht zu sehen war.

Der Rote sang noch immer halblaut fort. Wie stimmte aber das weiche, tief empfundene Weh des Liedes mit dem kühnen, energischen Schnitte seines Gesichtes? Wie war der harte, unerbittliche Zug, der seine vollen Lippen umlagerte, mit dem wunderbaren, milden Glanze seiner Augen in Harmonie zu bringen, der Augen, von denen ich behaupten möchte, daß sie gewiß und wahrhaftig schwarz gewesen seien, während es sonst niemals wirklich schwarze Augen giebt? Dieser Rote war nicht das, was er schien, und schien nicht das, was er war. Hatte ich ihn schon gesehen? Entweder nirgends oder hundertmal! Er war mir ein Geheimnis, aber inwiefern und warum, das vermochte ich nicht zu sagen.

Winnetou hob die Hand in die Höhe und flüsterte:

„Kolma Puschi!“

Auch seine Augen hatten sich erweitert, um den fremden Indianer mit einem Blicke zu umfassen, wie ich selten einen Blick aus den Augen des Apatschen gesehen hatte.

Kolma Puschi! Also ich hatte richtig geahnt. Wir sahen eine rätselhafte, eine wirklich rätselhafte Persönlichkeit vor uns. Es gab oben in den hohen Parks einen Indianer, den kein Mensch näher kannte, der zu keinem Volke gehörte und der in stolzer Weise jeden Umgang von sich wies. Er jagte bald hier und bald dort, und wo man ihn sah, da verschwand er, wie Schillers „Mädchen aus der Fremde“, ebenso schnell, wie er gekommen war. Nie hatte er sich einem roten oder weißen Menschen feindlich gezeigt, aber es konnte sich auch niemand rühmen, ihn auch nur einen Tag lang zum Gefährten gehabt zu haben. Einige hatten ihn zu Pferde, einige nur zu Fuße gesehen, stets aber hatte er den Eindruck eines Mannes gemacht, der seine Waffen zu führen verstand und mit dem also nicht zu spaßen sei. Seine Person galt den Indianern und den Weißen als für alle Fälle neutral, als unverletzlich; ihn feindlich zu behandeln, hätte nichts anderes geheißen, als den großen Manitou in Zorn zu versetzen und seine Rache heraufzubeschwören. Gab es doch Indianer, welche behaupteten, dieser rote Mann sei kein Mensch mehr, sondern der Geist eines berühmten Häuptlings, den Manitou aus den ewigen Jagdgefilden zurückgeschickt habe, um nachzuforschen, wie es seinen roten Kindern ergehe. Es gab keinen Menschen, der seinen Namen hatte erfahren können, und da man doch für jeden Gegenstand und für jede Person einen Namen haben muß, so hatte man ihn seiner nachtschwarzen, tiefdunkeln Augen wegen Kolma Puschi, d. i. Dunkelauge oder Schwarzauge, genannt. Wer aber ihm diesen Namen gegeben, ihn zum erstenmal ausgesprochen und weitergetragen hatte, das wußte freilich auch niemand.

Also diesen geheimnisvollen Indianer hatten wir jetzt vor uns. Winnetou kannte ihn auch nicht, hatte ihn auch noch nicht gesehen, behauptete aber doch sofort, daß es Kolma Puschi sei. Es fiel mir gar nicht ein, an der Wahrheit dieser Behauptung zu zweifeln, denn jeder, der diesen Roten vor die Augen bekam und vorher auch nur einmal von Kolma Puschi gehört hatte, mußte sich nach dem ersten Blicke sagen, daß er dieser und kein anderer sei.

Wir hatten keine Veranlassung, ihn lange zu belauschen, und da wir unsere Gefährten nicht lange warten lassen wollten, so erhoben wir uns von der Erde und machten dabei absichtlich ein Geräusch. Schnell wie ein Blitz griff er nach seinem Gewehre, richtete die Läufe auf uns, ließ die Hähne knacken und rief:

„Uff! Zwei Männer! Wer?“

Das war ebenso kurz, wie es gebieterisch klang. Winnetou öffnete schon den Mund, um zu antworten; da ging mit dem Fremden eine plötzliche Veränderung vor. Er ließ sein Gewehr, es mit der einen Hand am Oberlaufe haltend, mit dem Kolben zu Boden sinken, breitete den andern Arm wie bewillkommnend aus und rief:

„Intschu tschuna! Intschu tschuna, der Häuptling der Apa – – doch nein! Das ist nicht Intschu tschuna; das kann nur Winnetou sein, sein Sohn, sein noch viel größerer, noch berühmterer Sohn!“

„Du hast Intschu tschuna, meinen Vater, gekannt?“ fragte Winnetou, indem wir durch die Bresche in den Kreis traten.

Es war, als besinne er sich, ob er es leugnen oder zugeben solle. Da das erstere aber nun nicht mehr möglich war, antwortete er: „Ja, ich habe ihn gekannt; ich habe ihn gesehen, einmal oder zweimal, und du bist sein Ebenbild.“

Seine Stimme hatte einen weichen und doch kräftigen, entschiedenen Ton; sie war fast noch sonorer, noch klangreicher als diejenige des Apatschen und hatte unbedingt eine höhere, beinahe weibliche Lage.

„Ja, ich bin Winnetou; du hast mich erkannt. Und du wirst Kolma Puschi genannt?“

„Kennt mich Winnetou?“

„Nein; ich habe dich noch nie gesehen; ich errate es. Erlaubt uns Kolma Puschi, von dem wir stets nur Gutes hörten, an seiner Seite Platz zu nehmen?“

Der Genannte richtete seine Augen nun auch auf mich. Nachdem er einen scharf forschenden Blick über mich hatte gleiten lassen, antwortete er:

„Auch ich habe nur Gutes von Winnetou gehört. Ich weiß, daß oft ein berühmtes Bleichgesicht bei ihm ist, welches noch nie eine böse That begangen hat und Old Shatterhand genannt wird. Ist das dieser Weiße?“

„Er ist’s,“ nickte Winnetou.

„So setzt euch nieder, und seid Kolma Puschi willkommen!“

Er gab uns seine Hand, die mir ungewöhnlich klein vorkam. Winnetou machte ihm die Mitteilung-

„Wir haben Gefährten bei uns, welche draußen am Wasser warten. Dürfen auch sie herbeikommen?“

„Der große Manitou hat die Erde für alle guten Menschen geschaffen; es ist hier Platz genug für alle, die euch begleiten.“

Ich ging, um sie zu holen. Die Umwallung hatte auf der andern Seite einen breitern Eingang als die Bresche, durch welche wir gestiegen waren; als wir durch ihn in den Kreis gelangten, saßen Winnetou und Kolma Puschi nebeneinander unter einem Baume. Der letztere sah uns erwartungsvoll entgegen. Sein Auge glitt über die Nahenden mit dem gewöhnlichen Interesse hinweg, welches man für Unbekannte zeigt, mit denen man für kurze Zeit zu verkehren hat; als es aber auf Apanatschka fiel, welcher zuletzt hereingeritten kam, blieb sein Blick wie festgebannt an diesem hangen. Es riß ihn – wie eine unsichtbare Gewalt – mit einem Rucke vom Boden auf; er that, den Blick keinen Moment von ihm wendend, mehrere Schritte auf Apanatschka zu, blieb dann stehen, verfolgte jede seiner Bewegungen mit unbeschreiblicher Spannung, trat dann sehr schnell auf ihn zu und fragte in fast stammelnder Weise:

„Wer – wer bist du? Sag – – sag es mir!“

Der Gefragte antwortete mit gleichgültiger Freundlichkeit: „Ich bin Apanatschka, der Häuptling der Kanean-Komantschen.“

„Und was – was willst du hier in Colorado?“

„Ich wollte nach Norden, um die heiligen Steinbrüche zu besuchen, und traf dabei auf Winnetou und Old Shatterhand, welche in die Berge wollten. Da habe ich meinen Pfad geändert und bin mit ihnen geritten.“

„Uff, uff! Häuptling der Komantschen! Es kann nicht sein; es kann nicht sein!“

Er starrte Apanatschka noch immer so forschend an, daß dieser fragte:

„Kennst du mich? Hast du mich schon einmal gesehen?“

„Ich muß, ich muß dich gesehen haben, doch wird es wohl im Traum gewesen sein, im Traume meiner Jugend, die schon längst vergangen ist.“

Er gab sich Mühe, seine Aufregung zu beherrschen, reichte ihm die Hand und fuhr fort:

„Sei auch du mir willkommen! Es ist heut ein Tag, wie wenig Tage sind!“

Er kehrte zu Winnetou zurück, bei dem ich inzwischen Platz genommen hatte, und ließ sich, Apanatschka immer noch betrachtend, in einer Weise auf seinen frühern Sitz nieder, als ob er sich noch heut im „Traume seiner Jugend“ befinde. Ein solches Verhalten ist bei einem Indianer eine Seltenheit, welche nicht unbeachtet bleiben kann. Sie fiel Winnetou nicht weniger auf als mir, doch ließen wir uns nichts davon merken, so hochinteressant die Scene für uns beide gewesen war.

Die Pferde wurden zur Tränke geführt und dann mit grünem Laubwerk zum Fressen wohl versorgt. Zwei Mann sammelten Dürrholz zum Feuer, welches angesteckt wurde, sobald es dunkelte, und um dieselbe Zeit ging Pitt Holbers fort, um als der erste am Thaleingang Posten zu stehen. Er sollte von Treskow abgelöst werden, worauf wir nach der gewöhnlichen Reihe folgen wollten.

Wir saßen alle in einem weiten Kreise, in dem das Feuer brannte. Wir waren mit Proviant versehen und teilten Kolma Puschi davon mit, da wir glaubten, daß er nichts zu essen habe.

„Meine Brüder sind freundlich zu mir,“ sagte er; „aber ich könnte ihnen auch Fleisch geben, daß sie alle satt würden.“

„Wo hast du es?“ fragte ich.

„Bei meinem Pferde.“

„Warum hast du es nicht mit hierher genommen?“

„Weil ich nicht hier bleiben, sondern weiterreiten wollte. Es steht an einem Orte, wo es sicherer ist als hier.“

„Hältst du dieses Camp nicht für sicher?“

„Für einen einzelnen nicht; da ihr aber so zahlreich seid, daß ihr Wachen ausstellen könnt, habt ihr nichts zu befürchten.“

Ich hätte dieses Gespräch gern fortgesetzt; er verhielt sich aber so einsilbig, daß ich davon abließ, ihn zu animieren. Natürlich fragte er, wohin wir wollten. Als er erfuhr, daß der Park von San Louis unser Ziel sei, wurde er noch schweigsamer als vorher; das konnte uns weder auffallen noch beleidigen. Im wilden Westen ist der Mensch selbst gegen gute Bekannte vorsichtiger als anderswo. Nur Dick Hammerdull war unzufrieden, daß von diesem fremden Indianer so wenig zu erfahren war; er wollte mehr erfahren und fragte ihn in seiner vertraulichen Weise:

„Mein roter Bruder hat gehört, daß wir von Kansas heraufgekommen sind. Dürfen wir nun wissen, woher er gekommen ist?“

„Kolma Puschi kommt von daher und von dorther; er ist wie der Wind, der alle Wege hat,“ lautete die unbestimmte Antwort.

„Und wohin wird er von hier aus gehen?“

„Dahin und dorthin, wohin sein Pferd die Schritte lenkt.“

Well! Ob dahin oder ob dorthin, das ist ja ganz egal; das bleibt sich vollständig gleich; aber man muß doch wenigstens wissen, wohin das Pferd zu laufen hat! Oder nicht?“

„Wenn Kolma Puschi es weiß, ist es genug.“

„Oh! Ich brauch es also nicht zu wissen?“

„Nein.“

„Das ist sehr aufrichtig; das ist nicht nur aufrichtig, sondern sogar grob! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes – –“

Er bemerkte, daß Holbers jetzt nicht da war, und verschluckte also das letzte Wort seiner Frage. Kolma Puschi wendete sich vollständig zu ihm hin und sagte in ernstem Tone zu ihm:

„Das Bleichgesicht, welches Hammerdull genannt wird, nennt mich grob. War es vorher fein und höflich, mir den Mund öffnen zu wollen, wenn ich es liebe, daß er geschlossen bleibt? Der dicke Mann scheint den Westen nicht genau zu kennen. Es ist da stets gut, wenn niemand weiß, woher man kommt und wohin man will. Wer sein Ziel verschweigt, dem kann die Gefahr nicht vorauseilen, um ihn dort zu überfallen. Das mag Hammerdull sich merken!“

„Danke!“ lachte der Zurechtgewiesene. „Schade, jammerschade, Mr. Kolma Puschi, daß Ihr kein Schulmeister geworden seid! Die Begabung hättet Ihr dazu! Übrigens war es nicht bös von mir gemeint. Ihr gefallt mir außerordentlich, und ich würde mich freuen, wenn Euer Weg derselbe wie der unsere wäre. Darum habe ich gefragt.“

„Daß mein dicker, weißer Bruder es nicht bös gemeint hat, weiß ich, sonst hätte ich ihm überhaupt nicht geantwortet. Ob mein Weg derselbe ist, das wird sich finden; ich überlege es mir. Howgh!“

Damit war die Unterhaltung zu Ende. Weil wir am andern Morgen sehr zeitig aufbrechen wollten, legten wir uns bald schlafen; das war, als Pitt Holbers, welcher von Treskow abgelöst worden war, wieder in das Lager kam.

Wie lange ich geschlafen hatte, weiß ich nicht; ein vielstimmiges Brüllen weckte mich, und als ich die Augen öffnete, geschah es nur, um einen Augenblick lang einen vor mir stehenden Menschen zu sehen, welcher mit dem Gewehrkolben ausholte. Ehe ich eine Bewegung machen konnte, traf mich der Hieb, und es war aus mit mir – – -glücklicherweise nicht für immer.

Lieber Leser, bist du eine so empfindsame Natur, daß es dir möglich ist, mir nachzufühlen, wie es ist, wenn man aus einer tiefen Betäubung erwacht und dabei zu der freundlichen Erkenntnis kommt, daß man einen Dummkopf besitzt, der so unbedachtsam gewesen ist, einen niedersausenden Gewehrkolben aufzufangen? Ich sage mit Absicht, „einen Dummkopf“, denn dümmer als nach einem solchen Hiebe kann es keinem menschlichen Kopfe sein! Zunächst fühlt man ihn gar nicht; man lebt nur bis zum Hals herauf und kommt erst nach und nach durch ein gewisses Summen und Brummen zu der Einsicht, daß man nicht gänzlich geköpft, sondern nur an den obersten Teil des Körpers geschlagen worden ist. Daß dieser Teil der Kopf ist, wird einem nicht sogleich, sondern erst dann – – nicht klar, sondern einstweilen noch unklar, wenn das Brummen sich in ein Drücken und Schrauben verwandelt, als ob der in eine Weinpresse gespannte Schädel mit einem halben oder auch ganzen Gros Propfenzieher bearbeitet werde. Im nächsten Stadium bringt jeder Pulsschlag, welcher das Gehirn mit Blut versorgt, das Gefühl hervor, als ob man mit dem Kopfe unter den Stampfen einer Ölmühle oder eines Hammerwerkes liege, und dazwischen wühlen Löwenkrallen im Domizile des Verstands herum. Ich sehe ein, daß es eines intelligenten Menschen unwürdig ist, den Zustand zu beschreiben, in welchem man sich nach einem solchen Hiebe befindet; ich will nur sagen: dumm, im höchsten Grade dumm!

So erging es auch mir. Nachdem ich die oben beschriebenen Grade durchgemacht hatte, bekam ich alle möglichen Farben, vielleicht auch Röntgens Strahlen, vor die Augen, und die Brandung von hundert Meeresküsten tobte mir um die Ohren. Ich konnte weder sehen noch hören und that, was in diesem Falle des Beste und Allergescheiteste war; ich fiel in die Betäubung zurück.

Als ich dann, zum zweitenmal, wieder zu mir kam, fühlte ich mich zu meiner Freude im leidlichen Besitze meiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten; nur daß ich noch nicht ganz genau zu unterscheiden vermochte, ob mir zwischen und aus den Schultern ein Kopf oder ein Gewehrkolben gewachsen war. Ich machte natürlich von diesen Fähigkeiten sofort Gebrauch, indem ich zunächst die Augen öffnete. Das, was ich sah, war nicht sehr tröstlich zu nennen. Ein großes, helles Feuer brannte, und vor mir saß Old Wabble, der seine haßerfüllten Augen auf mich gerichtet hielt.

„Ah, endlich, endlich!“ rief er aus. „Habt Ihr ausgeschlafen, Mr. Shatterhand? Von mir geträumt, nicht wahr? Ich bin überzeugt, Euch im Traume als Engel erschienen zu sein, und bin gern bereit, diese Rolle jetzt weiter zu spielen; th’is clear! Als was für einen Engel werdet Ihr mich da wohl kennen lernen? Als Rache- oder Rettungsengel?“

Pshaw!“ antwortete ich. „Ihr habt zu keinem von beiden das Geschick.“

Es fuchste mich gewaltig, diesem Menschen antworten zu müssen; aber ein stolzes Schweigen wäre das Verkehrteste gewesen, was es geben konnte. Ich ließ natürlich meine Augen rundum schweifen. Wir waren alle gefangen, selbst Treskow, der Wache gestanden hatte. Wahrscheinlich war er nicht aufmerksam genug gewesen und hatte sich überrumpeln lassen. Wir waren alle gefesselt. Links von mir lag Winnetou, rechts der dicke Hammerdull. Die Waffen hatte man uns abgenommen und die Taschen alle geleert. Von den zwanzig Kerlen, die rund um uns saßen, kannte ich außer Old Wabble keinen. Das waren die Leute, deren Fährte wir heut gesehen hatten. Wie kamen sie hierher nach diesem Camp? Sie waren uns doch voraus gewesen und hatten sich links gehalten, während wir rechts abgeritten waren! Da fiel mir die Wasserflasche ein, und es wurde mir mit einem Male klar, was wir in Beziehung auf sie für einen Fehler begangen hatten.

Der alte König der Cow-boys hatte sich grad vor mich hingesetzt. Die Freude, mich gefangen zu haben, lachte höhnisch aus jeder Runzel und Falte seines verwitterten Gesichtes. Das schlangengleich in einzelnen Strähnen von seinem Kopfe fallende lange, graue Haar verlieh ihm das Aussehen einer greisenhaften, männlichen Eumenide oder Gorgone, aus deren krakenähnlichen Fangarmen kein Entrinnen ist. Die oft wechselnde Beleuchtung des bald hoch aufflackernden und bald zusammensinkenden Feuers gab ihm etwas so grotesk Phantastisches und ließ seine langgliederige, wabbelnde Gestalt so wunderlich erscheinen, daß ich hätte glauben mögen, mich innerhalb einer Märchenscene zu befinden, wenn mir nicht so sehr bewußt gewesen wäre, daß ich es leider nur mit der nackten, unpoetischen Wirklichkeit zu thun hatte.

Ich hätte ihm auf seine Frage wohl keine bessere Antwort geben können als die, welche er bekommen hatte; er nahm sie als das, was sie war, nämlich eine Verhöhnung, und fuhr mich zornig an:

„Seid nicht so frech, sonst schnalle ich Euch die Fesseln so fest, daß Euch das Blut aus der Haut spritzt! Ich habe keine Lust, mich von Euch lächerlich machen und beleidigen zu lassen. Ich bin kein Indianer! Versteht Ihr, was ich damit sagen will?“

„Ja, daß Ihr überhaupt nicht zu den Wesen gehört, die man Menschen nennt!“

„Zu welchen denn?“

„Steigt so weit wie möglich im Tierreiche herunter und sucht Euch da das häßlichste, gemiedenste Geschöpf heraus, so habt Ihr, was Ihr seid!“

Er ließ ein heiseres Lachen hören und rief:

„Der Kerl ist wirklich so albern, daß er mich nicht verstanden hat! Ich habe gesagt, Ihr sollt bedenken, daß ich kein Indianer bin. Die Roten schleppen ihre Gefangenen lange Zeit mit sich herum, um sie nach ihren Weideplätzen zu bringen; sie füttern sie gut, um sie zum Aushalten vieler Qualen kräftig zu machen. Dadurch wird, wie ich in Eurer Gesellschaft selbst erfahren habe, den Gefangenen Gelegenheit geboten, einen zur Flucht günstigen Augenblick abzuwarten. Wer keine Hoffnung zum Entkommen hat und schnell und schmerzlos sterben will, der pflegt darum das alte, abgegriffene Mittel anzuwenden, die Indsmen, in deren Hände er geraten ist, so zu beleidigen, daß sie sich im Zorne darüber vergessen, ihn augenblicklich zu töten. Wenn Ihr etwa glaubt, zwischen diesem Entweder und diesem Oder wählen zu können, so befindet Ihr Euch im Irrtum. Ihr findet bei mir keine Gelegenheit zur Flucht, weil es mir gar nicht einfallen kann, Euch lange mit mir herumzuzerren; aber Ihr bringt mich auch nicht so weit, Euch rasch die Kugel oder das Messer zu geben und also auf den Genuß zu verzichten, den ich haben werde, wenn Ihr so recht hübsch langsam aus diesem Leben in Eure berühmte Seligkeit hinüberschmachtet. Ich habe es nämlich mit Euch so gut vor, daß es Euch selbst da drüben in der Seligkeit unmöglich sein wird, es mir genug zu danken. Könnt Ihr Euch noch besinnen, was Ihr mir während jenes nächtlichen Rittes durch den Llano estacado alles vom ewigen Leben vorgefaselt habt?“

Ich antwortete nicht, und er fuhr fort:

„Nach Eurer Ansicht muß es da drüben so wundervoll sein, daß es mich als Euern besten Freund, der ich doch jedenfalls bin, von Herzen jammert, Euch hier im Erdenleben schmachten zu sehen. Ich werde Euch also die Thüre Eures Paradieses öffnen und durch einige kleine Unbehaglichkeiten, die ich Euch dabei bereite, dafür sorgen, daß Euch die jenseitigen Herrlichkeiten um so vollkommener erscheinen.“

„Habe nichts dagegen,“ bemerkte ich in möglichst gleichgültigem Tone.

„Das bin ich überzeugt! Darum hoffe ich, daß Ihr mir für die Liebe, welche ich Euch damit erweise, einen Gefallen thut. Ich möchte nämlich gar zu gern wissen, wie es da drüben ist. Wolltet Ihr mir nach Eurer seligen Abreise einmal als Geist oder Gespenst erscheinen, um mir Auskunft zu erteilen, so würde mich das zu großer Dankbarkeit verpflichten, und Ihr könntet meinerseits des herzlichsten Willkommens sicher sein. Wollt Ihr das thun, Mr. Shatterhand?“

„Gern! Ich werde sogar noch mehr thun, als Ihr verlangt; ich werde noch vor meinem Tode über Euch kommen, und zwar in einer Weise, daß Ihr tausend Gespenster anstatt nur eines sehen werdet!“

Well, darüber sind wir also einig,“ lachte er. „Ihr seid freilich ein Kerl, der nie den Mut verliert; aber wenn Ihr auch jetzt noch irgend welche Hoffnung hegt, so kennt Ihr Fred Cutter schlecht, den Ihr Old Wabble nennt. Ich habe mir vorgenommen, meine Rechnung mit Euch abzuschließen, und der Strich, den ich darunter mache, wird ein Strich durch Euer Leben sein. Davor wird Euch alle Eure eingebildete Klugheit nicht bewähren können, mit der es überhaupt nicht so weit her ist, wie Ihr denkt. Ihr habt gestern nachmittag einen Pudel geschossen, der seinesgleichen sucht. Jedenfalls aber fehlt es Euch an dem nötigen Hirn, zu begreifen, was Ihr unter diesem Pudel zu verstehen habt!“

Pshaw, eine Flasche, weiter nichts!“

„Richtig! Ihr seid doch nicht ganz so albern, wie ich dachte, und wenn Ihr nicht schon vor der letzten Thüre ständet, könnte vielleicht ein ganz leidlicher Westmann aus Euch werden. Ja, die Flasche, die ist verhängnisvoll für Euch geworden! Es ist schon mancher an der Flasche, nämlich am Inhalte derselben, zu Grunde gegangen; aber daß jemand in einer leeren Flasche nach den ewigen Jagdgründen befördert wird, das ist wohl noch nicht dagewesen! Habt Ihr denn nicht daran gerochen?“

Da antwortete Dick Hammerdull an meiner Stelle:

„Ist uns nicht eingefallen. Denkt Ihr denn wirklich, daß wir etwas, was Ihr in den Händen gehabt habt, an unsere Nase bringen?“

„Sehr schön gesprochen, Dicker; aber die Lust zum Scherzen wird dir noch vergehen! Ihr habt die Bouteille für eine weggeworfene Schnapsflasche gehalten; sie war aber meine Wasserflasche, die ich vergessen hatte. Wenn Ihr wißt, was ein Schluck Wasser da, wo es keines giebt, zu bedeuten hat, so werdet Ihr Euch nicht darüber wundern, daß ich sofort halten ließ und zurückritt, als ich ihren Verlust bemerkte. Es giebt Gegenden, wo das Leben an einigen Tropfen Wasser hängt. Als ich den Rand der Prairie erreichte, auf welcher wir zu Mittag gelagert hatten, sah ich Euch und erkannte Euch nicht gleich. Ihr rittet aber weiter und kamt mir dadurch näher; da sah ich freilich zu meiner Freude, daß ich die Gentlemen vor mir hatte, welche ich suchte. Ich jagte also sofort zurück und holte meine Leute. Wir folgten Euch bis an dieses Thal, wo Euer Posten so entgegenkommend war, sich von uns überfallen zu lassen. Wir schlichen zu Fuß herein und umzingelten Euch. Ihr schlieft den Schlaf der Gerechten und träumtet von so vortrefflichen Dingen, daß es mir unendlich leid thut, Euch aufgeweckt zu haben. Wir bieten Euch auf Eurem weiteren Ritte unsere Gesellschaft an. Mr. Shatterhand wird sich leider nicht daran beteiligen können, da er im Begriffe steht, abzureisen. Er wird in diesem schönen Thale, sobald es Tag geworden ist, die Himmelsleiter besteigen und also verhindert sein, an unserer Seite zu – – –“

„Schwatzt nicht so lang und so unnützes Zeug!“ fiel ihm da einer in die Rede, welcher mit übereinander geschlagenen Armen am Stamme eines Baumes lehnte. „Was geschehen soll, das kann geschehen, ohne daß man vorher darüber viele Worte macht. Was Ihr mit Old Shatterhand abzuschließen habt, geht uns nichts an; die Hauptsache ist für uns das Versprechen, welches Ihr uns gegeben habt.“

„Das werde ich halten!“ antwortete Old Wabble.

„So macht, daß Ihr darauf zu sprechen kommt!“

„Das hat Zeit!“

„Nein. Wir wollen wissen, woran wir sind.“

„Das wißt ihr schon!“

„Nein. Bevor Ihr nicht mit Winnetou gesprochen habt, hat alles andere keinen Wert für uns. Ihr habt uns da unten in Kansas aus den besten Geschäften gerissen; nun da wir die Kerls gefangen haben, wollen wir vor allen Dingen erfahren, ob die Hoffnungen, welche Ihr uns gemacht habt, in Erfüllung gehen können.“

„Warum sollten sie das nicht können!“

„So wendet Euch an Winnetou, schwatzt aber nicht so lange mit Old Shatterhand! Der Apatsche ist doch wohl der Mann, den wir brauchen!“

„Nur langsam, Cox, langsam! Wir haben soviel Zeit, daß Ihr das wohl erwarten könnt.“

Also Cox hieß der Mann, welcher am Baume stand! Ich vermutete, da er von Kansas und den dortigen guten Geschäften gesprochen hatte, daß die Leute, welche uns überfallen hatten, zu den Tramps gehörten, denen wir da unten so geflissentlich ausgewichen waren. Cox war sehr wahrscheinlich der Anführer dieser Truppe und von Old Wabble veranlaßt worden, mit ihm zu reiten, um uns zu verfolgen – unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen, das war noch zu erfahren. Ich hatte, wie sich später zeigte, mit diesen Vermutungen das Richtige getroffen.

Unsere Lage war eine schlimme. Die Kerls, in deren Händen wir uns befanden, waren mehr zu fürchten als die heruntergekommenste Indianerhorde. Und von uns allen war ich derjenige, welcher die schlechtesten Aussichten hatte. Ich sollte hier ermordet werden und war vollständig überzeugt, daß, wenn nicht ein für mich günstiger Umstand eintrat, Old Wabble seine Drohung ausführen werde. Mein Leben hing diesmal an einem Haare.

Cox näherte sich dem Apatschen und sagte zu ihm:

„Mr. Winnetou, die Sache ist nämlich die, daß wir ein Geschäft mit Euch haben. Hoffentlich weigert Ihr Euch nicht, darauf einzugehen!“

Winnetou sah ebenso wie ich ein, daß Schweigen nicht am Platze sei. Wir mußten uns über die Absichten dieser Menschen klar werden und also mit ihnen reden. Darum antwortete der Apatsche:

„Was für ein Geschäft meint das Bleichgesicht?“

„Ich will es kurz machen und aufrichtig sein. Old Wabble hat eine Rache gegen Old Shatterhand, die er sich nicht getraute, allein auszuführen. Er kam zu uns und forderte uns auf, ihm zu helfen. Wir waren natürlich bereit dazu, doch nur unter der Bedingung, daß ein guter Lohn für uns abfällt. Er versprach uns Gold, viel Gold dafür. Hoffentlich habt Ihr mich verstanden?“

„Uff!“

„Ich weiß nicht, was Ihr mit diesem Uff sagen wollt, hoffe aber, daß es eine Zustimmung bedeutet. Es sind hier in Colorado sehr schöne Placers entdeckt worden. Wir wollten, wenn wir in Kansas fertig waren, auch herauf, um zu prospekten; das ist aber eine sehr trügerische Sache. Wer nichts findet, bekommt eben nichts und zieht mit langer Nase ab. Da hat uns aber Old Wabble auf einen kostbaren Gedanken gebracht: Ihr, Mr. Winnetou, wißt gewiß viele Stellen, wo Gold zu finden ist?“

Winnetou, dem es vor allen Dingen um meine Rettung zu thun war, bedachte sich keinen Augenblick, zu antworten:

„Es giebt rote Männer, welche Plätze kennen, an denen Gold in Menge liegt.“

„Auch Ihr?“

„Ja.“

„Ihr werdet uns einen solchen Platz zeigen!“

„Die Roten Männer pflegen solche Stellen nicht zu verraten.“

„Und wenn man sie aber zwingt?“

„So sterben sie lieber.“

Pshaw! Es stirbt sich nicht so leicht!“

„Winnetou hat nie den Tod gefürchtet!“

Nach allem, was ich von Euch gehört habe, glaube ich das. Aber es handelt sich dieses Mal nicht nur um Euch, sondern um alle Eure Begleiter. Old Shatterhand muß sterben; das ist nicht zu ändern, weil wir es Old Wabble versprochen haben; aber Euch und die andern könnt Ihr dadurch retten, daß Ihr uns ein gutes Placer entdeckt.“

„Ist das fest bestimmt?“

„Ja.“

„Werdet Ihr uns Wort halten?“

„Ich gebe Euch mein Wort darauf!“

„Das Bleichgesicht mag warten; ich werde überlegen!“

Winnetou schloß zum Zeichen, daß er nachdenken wolle, die Augen. Es trat eine Pause ein. Er kannte Goldlager, ja; aber selbst die ärgste Drohung hätte ihn nicht vermocht, eines zu verraten. Er mußte die Tramps täuschen und sich willig zeigen. Es galt für ihn zweierlei: erstenss mich, dessen Tod eine fest beschlossene Sache war, zu retten und zweitens Zeit zu gewinnen, um einen für unsere Befreiung günstigen Umstand abzuwarten.

„Nun, wann bekomme ich Antwort?“ fragte Cox, als ihm die Pause zu lang wurde.

„Die Bleichgesichter werden kein Gold bekommen,“ sagte Winnetou, indem er die Augen wieder aufschlug.

„Warum? Du weigerst dich also, ein Placer zu verraten?“

„Nein.“

„Wie habe ich das zu verstehen? Du weigerst dich nicht, und doch werden wir nicht bekommen, was wir suchen! Das ist ein Widerspruch!“

„Es ist kein Widerspruch. Winnetou weiß nicht nur ein Placer, sondern eine große, reiche Bonanza; er würde sie nicht verraten, wenn es sich nur um ihn handelte; da es aber das Leben so vieler Männer gilt, würde er euch die Stelle sagen, wenn er sich getraute, sie zu finden.“

„Wie? Du weißt sie und kannst sie doch nicht finden? Sollte man so etwas für möglich halten!“

„Es ist möglich, weil Winnetou nicht nach dem Besitze des Goldes trachtet. Wenn er welches gefunden hat, denkt er sehr bald nicht mehr daran. In Colorado kenne ich nur einen einzigen Ort; das ist diese Bonanza; sie ist unermeßlich reich; aber ich habe den Weg, welcher zu ihr führt, vergessen.“

All devils! Eine unermeßlich reiche Bonanza und den Weg zu ihr vergessen! Das ist noch gar nicht dagewesen! Das ist geradezu zum Tollwerden! Das kann nur einem Indianer passieren! Kannst du denn nicht wenigstens sagen, in welcher Gegend es ungefähr ist?“

„Das weiß ich wohl. Es ist am Squirrel-Creek. Ich ritt damals mit Old Shatterhand am Wasser hin; da sahen wir es unter dem Moose des Ufers glänzen. Wir stiegen ab und untersuchten den Ort. Da lag Gold, viel Gold, das Wasser hatte es an dieser Stelle zusammengeschwemmt. Es gab da kleine Nuggets und auch größere Stücke.“

„Wie groß – wie groß?“ fragte Cox, und alle lauschten andächtig.

„Bis zur Größe einer großen Kartoffel. Manche waren auch noch größer.“

„Donnerwetter! Da liegen ja Millionen, viele Millionen dort beisammen! Und die habt ihr liegen lassen?!“

„Warum sollten wir das Gold mitnehmen?“

„Warum? Warum ihr es hättet mitnehmen sollen? Hört, ihr Männer, diese zwei Menschen finden eine riesenhafte Bonanza, und da fragt dieser Mann, warum sie das Gold hätten mitnehmen sollen! Und das ist Winnetou, der so viel gepriesene, wundergescheite Kerl!“

Ein allgemeines Murmeln des Erstaunens antwortete. Man kann sich überhaupt denken, mit welcher Aufmerksamkeit diese Leute den Worten des Apatschen folgten. Es fiel ihnen gar nicht ein, an der Wahrheit derselben zu zweifeln. Man wußte überall, daß Winnetou ein Freund der Wahrheit sei. Ich war überzeugt, daß er auch jetzt keine Lüge sagte; es gab jedenfalls eine solche reichhaltige Bonanza, doch lag sie sehr wahrscheinlich nicht am Squirrel-Creek, sondern ganz anderswo.

„Warum wundert sich der weiße Mann so sehr?“ fragte der Apatsche. „Es sind überall Placers vorhanden, wo Winnetou und Old Shatterhand sich Gold holen können. Wenn sie welches brauchen, suchen sie dasjenige Placer auf, welches ihnen zu der betreffenden Zeit am nächsten liegt. Jetzt wollten wir hinauf nach dem Squirrel-Creek, um dort einige Taschen voll zu holen.“

„Ah! Ihr wolltet welches holen! Das haben wir uns doch gedacht, daß ihr nur aus diesem oder einem ähnlichen Grunde hinauf in die Berge wolltet! Aber – wie stimmt das? Du hast ja gesagt, daß du nicht mehr weißt, wo die Bonanza liegt!“

„So ist es. Ich habe es vergessen; aber Old Shatterhand, mein Bruder, hat sich die Stelle sehr gut gemerkt.“

Jetzt war es heraus, was er hatte sagen wollen und was mich vom Tode erretten sollte. Wenn sie die Bonanza haben wollten, deren Lage ich allein genau kannte, mußten sie mein Leben schonen. Er war natürlich so klug, diese Worte so wenig zu betonen, daß ihre Absichtlichkeit nicht erraten wurde. Daß er den gewollten Zweck erreichte, zeigte sich auf der Stelle, denn Cox rief schnell aus:

„Das ist gut, sehr gut! Das ist ja ganz dasselbe! Ob Winnetou oder Old Shatterhand diese Stelle genau kennt, das macht gar keinen Unterschied, da beide unsere Gefangenen sind. Kann Winnetou uns nicht hinführen, so wird Old Shatterhand unser Führer sein!“

„Das sagt Ihr, ohne mich zu fragen, Mr. Cox?“ sagte Old Wabble.

„Warum sollte ich Euch fragen?“

„Weil Old Shatterhand mir gehört.“

„Das bestreitet Euch kein Mensch!“

„Oho! Ihr selbst bestreitet es.“

„Wie so?“

„Weil Ihr ihn mit nach dem Squirrel-Creek nehmen wollt. Er soll doch heut, und zwar hier in diesem Thale sterben!“

„Soll? Nein, sondern er sollte; nun aber ist nicht mehr daran zu denken. Er wird leben bleiben und uns zu der Bonanza führen.“

„Das gebe ich nicht zu; das verbitte ich mir!“

„Seid Ihr gescheit, oder seid Ihr verrückt! Ich glaube, Ihr habt den Verstand verloren, alter Wabble!“

„Grad weil ich mehr Verstand habe als Ihr, gebe ich es nicht zu!“

„Mehr Verstand? Oho! Wollt Ihr auf die Bonanza verzichten?“

„Ja.“

All devils! Ihr seid wirklich wahnsinnig geworden!“

„Fällt mir nicht ein! Ich weiß, was ich thue. Ich habe Euch angeworben, mir Old Shatterhand zu fangen; dafür habe ich Euch den Rat gegeben, Winnetou zu zwingen, Euch ein Placer zu zeigen. Die Bonanza würde also Euch allein gehören und nicht mir auch mit. Wegen etwas aber, woran ich keinen Anteil habe, gebe ich Old Shatterhand, nachdem wir ihn so glücklich erwischt haben, nicht wieder her.“

„Ihr sollt ihn ja nicht hergeben!“

„Doch!“

„Nein!“

„Das denkt Ihr nur; ich aber verstehe mich besser darauf. Glaubt Ihr denn wirklich, ihn mit hinauf nach der Bonanza zu bringen?“

„Natürlich!“

„Fällt ihm nicht ein!“

„Möchte doch sehen, wie er es anfangen wollte, sich zu weigern!“

„Sich weigern? Daran denkt er mit keinem Atem. Aber fliehen wird er, ausreißen!“

Da schlug Cox ein lautes Gelächter auf und rief:

„Ausreißen, uns ausreißen! Habt ihr es gehört, ihr Leute, ein Mann, der unser Gefangener ist, soll uns entfliehen, soll ausreißen können!“

Sie stimmten alle in sein Lachen ein; Old Wabble aber schrie zornig:

„Wie dumm ihr seid, die ihr mich dumm genannt habt, das ist doch kaum zu sagen! Wenn ihr euch einbildet, diesen Kerl festhalten zu können, so könnt ihr mir unendlich leid thun! Der zersprengt mit seinen Fäusten eiserne Ketten, und wenn er mit Gewalt nichts ausrichtet, so legt er sich auf die List, in welcher er der größte Meister ist.“

„Eiserne Ketten haben wir nicht und brauchen wir nicht; lederne Riemen sind besser, viel besser! Und List! Ich möchte den Menschen sehen, der zwanzig solchen Männern, wie wir sind, durch List entkommt! Und wenn er es noch so pfiffig anfängt, vierzig Augen bewachen ihn; was da das eine nicht sieht, das sieht das andere. Der listigste Anschlag, den er versuchen könnte, würde von uns entdeckt werden.“

„Es ist wirklich lächerlich, großartig lächerlich, was manche Menschen sich einbilden! Habt Ihr denn nicht gehört, wie oft er bei den Indianern gefangen war und ihnen wieder und immer wieder entkommen ist?“

„Wir sind keine Indianer!“

„Aber Weißen ist es ebenso ergangen! Ich sage euch, dieser Schurke macht alles, alles möglich, was allen andern Menschen unmöglich wäre! Der ist nicht zu halten. Den muß man erschießen, gleich nachdem man ihn ergriffen hat. Wenn man das nicht thut, läuft er einem wie Wasser aus den Händen! Ich kenne das, denn ich bin lange Zeit mit ihm geritten!“

„Ihr macht aus der Mücke einen Elefanten. Ich wiederhole es noch einmal: Ich möchte den Menschen sehen, der mir entflieht, wenn ich ihn festhalten will! Es bleibt dabei; er führt uns nach der Bonanza!“

„Und ich gebe das nicht zu!“

Sie standen sich wie kampfgerüstet gegenüber, Old Wabble, der Spötter, der Leugner, der Lästerer, und Cox, der gewaltthätige Anführer der Tramps, der sich ohne Skrupel hatte dingen lassen, mich zu fangen und dem Mörder zu übergeben. Es war ein interessanter, ein hochinteressanter Augenblick, so interessant, daß ich vergaß, daß es mein Leben war, um welches sie sich stritten. Es kam aber nicht zu Thätlichkeiten. Cox legte dem alten Wabble die Hand auf die Achsel und sagte in drohendem Tone:

„Glaubt Ihr denn wirklich, daß ich danach frage, ob Ihr es zugeben werdet?“

„Ich hoffe es!“

Pshaw! In dieser Beziehung habt Ihr leider gar nichts zu hoffen!“

„So wollt Ihr mich um Old Shatterhand betrügen, wollt wortbrüchig werden?“

„Nein. Wir halten Wort.“

„Es hat aber jetzt ganz anders geklungen!“

„Aber auch nur geklungen. Wir haben Euch versprochen, Old Shatterhand zu fangen und ihn Euch auszuliefern. Gefangen haben wir ihn, und Ihr könnt versichert sein, daß wir ihn Euch auch übergeben werden, aber nur nicht heut!“

„Hole Euch der Teufel mit diesem Eurem Versprechen! Ihr werdet es doch nicht halten können; das habe ich gesagt und sage es immer wieder!“

„Wir halten es. Und wenn Ihr es etwa verhindern wolltet, daß wir ihn mitnehmen, so schaut Euch hier im Kreise um! Wir sind zwanzig Mann!“

„Ja, darauf fußt Ihr freilich!“ schrie er ergrimmt.

„Ihr seht also, daß Ihr Euch fügen müßt. Es ist ja nur für kurze Zeit!“

„Für kurze Zeit? Für immer wird es sein! Ich sage ja, daß er entfliehen wird! Es ist am besten, ich frage gar nicht viel, sondern schieße ihm eine Kugel in den Kopf. Da hat aller Streit ein Ende!“

„Das wagt ja nicht, Mr. Wabble! Wenn Ihr Old Shatterhand erschießt oder ihn nur im geringsten verletzt, so ist Euch im nächsten Augenblicke eine Kugel von mir sicher. Das mögt Ihr Euch wohl merken!“

„Ihr wagt es mir zu drohen?“

„Wagen? Dabei ist gar nichts gewagt! Wir sind mit Euch gezogen und wollen gute Kameradschaft mit Euch halten. Aber es handelt sich um eine Bonanza, welche wahrscheinlich Millionen wert ist. Da frage ich den Teufel nach Eurem Leben, wenn Ihr uns um diese Masse von Gold bringt! Also, daß Ihr es wißt: Old Shatterhand reitet mit uns, und wenn Ihr ihn auch nur so wenig verletzen solltet, daß ein Ritz in seiner Haut entsteht, lauft Ihr die Himmelsleiter hinan, auf die Ihr ihn stellen wolltet!“

„Ihr droht mir mit dem Tode! Ist das die Kameradschaft, von der Ihr redet?“

„Ja, das ist sie! Oder ist es kameradschaftlich von Euch, daß Ihr uns um die Bonanza bringen wollt?“

„Nun gut, so muß ich mich fügen, doch nicht, ohne daß ich eine Bedingung stelle.“

„Welche?“

„Ich will dann, wenn die Bonanza gefunden wird, auch an ihr Teil haben; th’is clear!“

Well! Einverstanden! Ihr seht also, daß wir es gut mit Euch meinen!“

„Das könnt Ihr auch, denn wenn Ihr solche Klumpen Gold bekommt, so habt Ihr das niemand als nur mir zu verdanken. Übrigens werde ich mich wegen Shatterhand nicht auf Euch, sondern auf mich selbst verlassen.“

Und sich zu mir wendend, fuhr er in sehr höhnischem Tone fort:

„Ich habe nämlich ein vortreffliches Mittel, Euch von der Flucht abzuhalten.“

Er deutete auf den Henrystutzen und den Bärentöter und fügte hinzu:

„Ohne diese Gewehre reißt Ihr uns sicherlich nicht aus! Ich kenne Euch und weiß, daß Ihr sie auf keinen Fall aufgebt. Ich habe sie ja schon einmal besessen, leider nur für kurze Zeit. Nun sind sie für immer mein!“

„Wie lange wird dieses immer dauern?“ fragte ich.

„So lange ich lebe, natürlich!“

„Das würde eine sehr kurze Zeit sein, denn ich nehme mit Sicherheit an, daß der Tod ganz nahe hinter Euch steht. Aber auch so lange braucht Ihr Euch mit den Gewehren gar nicht zu belästigen; das kann ich Euch schon jetzt sagen. Ich bin überzeugt, daß ich sie sehr bald zurückbekomme.“

Pshaw! Rechnet dieses Mal ja nicht auf Euer gewöhnliches Glück!“

„Auf Glück und Zufall rechne ich niemals. Ich spreche nur darum so, weil ich weiß, daß meine Zeit, zu sterben, jetzt noch lange nicht gekommen ist.“

„So? Steht Ihr etwa mit dem Himmel in so gutem Einvernehmen, daß er Euch, wenn Ihr drüben gebraucht werdet, einen expressen Boten schickt, um Euch gehorsamst einzuladen, Euch an der Seligkeit zu beteiligen?“

„Lästert nicht! Ich bin zum Tode noch nicht reif, weil ich noch viel zu wirken habe.“

„Oh! Und da denkt Ihr, daß der liebe Gott wartet, bis Ihr fertig seid? Ein sehr gefälliger Gott; das muß ich sagen! Nicht?“

Er erhielt natürlich keine Antwort. Da stieß er mich mit dem Fuße an.

„Wollt Ihr wohl reden, wenn ich frage! Es ist eine große und ganz unverdiente Ehre für Euch, wenn Old Wabble mit Euch spricht! Als Ihr mich ohne Gewehr aus dem Kih-peta-kih fortschicktet, ohne Pferd und Gewehr sogar, dachtet Ihr wohl nicht, daß ich Euch so bald fassen würde? Ich ging zu den Osagen. Da bekam ich ein anderes Pferd und eine andere Flinte; aber die Kerls hatten keinen Unternehmungsgeist. Dieser Honskeh Nonpeh, dem der Befehl übergeben worden war, hatte keine Lust, Euch zu folgen; er stellte sogar lächerlicherweise alle Feindseligkeiten gegen die Bleichgesichter ein und zog mit seinen Kriegern heim. Eine Schande! Doch hat mich das nur kurze Zeit aufhalten können. Ich ritt zu den Tramps und engagierte, wie Ihr gehört habt, hier diese Gentlemen, natürlich auf Eure Kosten, die Ihr so gewiß bezahlen müßt, wie ich hier vor Euch stehe. Jetzt habe ich mein Pferd und Gewehr wieder und Eure Pferde und Gewehre dazu. Ihr seid nun nichts, gar nichts mehr in meinen Augen und nur noch diese Fußtritte wert!“

Er stieß mir und dann auch Winnetou den Fuß mit aller Kraft gegen den Leib. Schon hob er ihn, um auch Hammerdull einen Tritt zu versetzen, ließ ihn aber wieder sinken; der Dicke war ihm ja gleichgültiger als wir, sagte aber, als Old Wabble sich abwendete, in seiner drolligen Weise, die er auch in der schlimmsten Lage nicht aufgab:

„Das war Euer Glück, verehrtester Mr. Wabble!“

„Was?“ fragte der Alte.

„Daß Ihr den Fuß zurückgezogen habt.“

„Warum?“

„Weil ich grad an dem Leib im höchsten Grade empfindlich bin.“

„Das wollen wir doch gleich einmal versuchen!“

Er gab ihm einen derben Tritt. Der Dicke war trotz seines Leibesumfanges ein sehr behendes und gewandtes Kerlchen. Ihm waren wie auch uns, die Füße zusammen- und die Hände auf den Rücken gebunden worden. Indem er die Kniee beugte und die Füße an den Leib zog und dabei die Hände unter dem Rücken gegen die Erde stemmte, schnellte er sich wie eine Feder auf und fuhr Old Wabble mit dem Kopfe an den Leib. Der Stoß war ein so kräftiger, daß Hammerdull auf seinen Platz zurückstürzte, der alte Cow-boy aber hintenüber und in das Feuer flog. Der letztere sprang zwar schnell wieder auf, aber der kurze Augenblick hatte doch genügt, ihm die Hälfte seiner langen, weißen Haarmähne weg- und die Bekleidung seines Oberkörpers anzusengen. Ein allgemeines Gelächter erscholl. Darüber ergrimmt, richtete Old Wabble seinen Zorn nicht gegen Hammerdull, sondern gegen die Tramps, die sich über ihn lustig machten. Während er eine geharnischte Stafpredigt gegen sie losdonnerte, wendete sich der Dicke an Pitt Holbers:

„War das nicht fein gemacht? Hast du nicht deine Freude drüber, alter Pitt?“

„Hm, wenn du denkst, daß es ein guter Coup war, so hast du recht!“ antwortete sein langer Freund in seiner wohlbekannten, trockenen Weise.

„Glaubt dieser Mensch, mir einen Fußtritt versetzen zu können, ohne daß ich mich wehre! Was sagst du dazu?“

„Ich hätte ihn auch ins Feuer geworfen, grad wie du!“

„Ob ins Feuer oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist übrigens ganz egal, denn hineingeflogen ist er doch; das hast du ja gesehen!“

Nun erst kam Old Wabble herbei, um sich an dem Dikken zu rächen, Cox aber hielt ihn davon ab, indem er sagte:

„Laßt die Leute in Ruhe, so wird Euch so etwas nicht wieder geschehen! Old Shatterhand gehört Euch; die andern aber sind unser, und ich will nicht, daß sie unnütz maltraitiert werden.“

„Ihr seid doch plötzlich recht human geworden!“ knurrte der Alte.

„Nennt es, wie Ihr wollt. Diese Männer müssen mit uns reiten, und ich kann mich nicht mit verletzten und zerstoßenen Menschen schleppen. Wir haben übrigens mehr zu thun, als uns hier mit ihnen herumzuzanken. Wir wissen ja noch gar nicht, wo sie ihre Pferde haben. Sucht nach ihnen!“

Die Pferde waren aus der Umwallung in das Freie gebracht und dort angepflockt worden; sie wurden bald gefunden. Die Tramps hatten schon, während ich in der Betäubung lag, gegessen und wollten nun noch bis zum Morgen schlafen. Cox bestimmte zwei Männer zum Wachen, und dann legte man sich nieder. Old Wabble hatte den mir höchst unangenehmen Gedanken, sich zwischen mich und Winnetou hineinzuschieben und meinen Arm mit dem seinigen durch einen Extrariemen zu verbinden. Diese große Vorsicht des Alten war sehr geeignet, keinen Gedanken an Flucht in mir aufkommen zu lassen.

Und doch dachte ich an Flucht, und wie sehr!

Es giebt keine Lage, die so schlimm ist und den Menschen so fest umfängt, daß er nicht aus ihr befreit werden könnte, durch eigene Kraft oder, wo das nicht möglich ist, durch fremde Hilfe. Auch jetzt verzweifelte ich keineswegs. War doch schon der augenblickliche Tod, den Old Wabble für mich bestimmt hatte, an mir vorübergegangen! Bis zum Squirrel-Creek hatten wir einen weiten Ritt; warum sollte sich uns bis dorthin nicht eine Gelegenheit zum Entkommen bieten. Übrigens richtete ich meinen Blick gar nicht so weit hinaus, sondern vielmehr ganz in die Nähe. Ich hegte eine Hoffnung, eine Hoffnung, deren Name ein indianischer war, nämlich der Name Kolma Puschi.

Wenn man mich fragt, warum dieser Name seit der Zeit, in welcher wir uns schlafen legten, nicht wieder genannt worden ist, so muß ich antworten: Dies hatte seinen Grund, und dieser Grund bestand in dem Umstande, daß Kolma Puschi nicht mehr da war. Als ich aus der Ohnmacht erwachte, war es natürlich mein erstes gewesen, mich umzusehen, und da hatte ich sogleich bemerkt, daß der rätselhafte Indianer nicht mehr anwesend war.

Wo befand er sich? Wo war er hin?

Zunächst wollte ein böser Verdacht in mir aufsteigen: Stand er vielleicht mit den Tramps in Verbindung? Dieses Mißtrauen mußte ich aber gleich wieder zurückweisen. Der Ruf, in welchem Kolma Puschi stand, ließ es als ganz unmöglich erscheinen, daß er sich mit derartigen Menschen in Beziehung setzte.

Da gab es eine zweite Frage: Hatte er die Tramps kommen hören und sich bei ihrer Annäherung schnell aus dem Staub gemacht? Auch das konnte ich ihm nicht zutrauen. Welchen Grund hätte er in diesem Falle haben können, uns nicht zu wecken und zu warnen? Nein, seine Entfernung mußte eine andre Ursache haben.

Er war von Dick Hammerdull gefragt worden, ob er mit uns reiten wolle, und hatte geantwortet, daß er sich dies erst überlegen werde. Er hatte sein Pferd nicht hier, sondern irgendwo anders stehen und sich, als wir eingeschlafen waren, heimlich entfernt, um entweder es zu holen oder überhaupt nicht wiederzukommen. Im letzteren Falle war seine Entfernung deshalb ohne Abschied geschehen, um allen zudringlichen Fragen und Erkundigungen aus dem Wege zu gehen; er hatte ja in der kurzen Zeit unsers Beisammenseins wiederholt gezeigt, daß dergleichen Forschungen ihm unangenehm seien.

In dem Falle, daß er fortgegangen war, um nicht wiederzukommen, hatten wir nichts von ihm zu erwarten; hatte er aber nur sein Pferd holen wollen, so war dies grad kurz vor der Zeit des Überfalles geschehen, und er hatte bei seiner Rückkehr infolge des Lärmes, den die Tramps machten, sich gleich denken müssen, daß etwas vorgekommen sein müsse, was ihn zur Vorsicht mahne. Dann hatte er sich höchst wahrscheinlich herbeigeschlichen, die Veränderung der Scene entdeckt und alles, was geschah und gesprochen wurde, belauscht. War er nun der Mann, für den ich ihn infolge seines Rufes hielt, so mußte er da unbedingt den Entschluß gefaßt haben, sich unser anzunehmen, und zwar dies um so mehr, als er nicht nur große Freude über seine Begegnung mit Winnetou, sondern auch ein noch viel regeres, wenn auch geheimnisvolles Interesse für Apanatschka gezeigt hatte. Personen, für welche man eine solche Teilnahme empfindet, läßt man nicht in einer Lage stecken, wie die unserige war; das versteht sich ganz von selbst.

Wenn diese meine Kombination die richtige war, steckte Kolma Puschi jetzt hier in der Nähe, und ich konnte, sobald die Tramps eingeschlafen waren, irgend ein Zeichen von ihm erwarten; es läßt sich also denken, daß ich mich in einer ziemlichen Spannung befand. Übrigens stand bei mir vollständig fest, daß Winnetou, dessen Scharfsinn ja unvergleichlich war, genau dieselben Gedanken hegte und ebenso auf Kolma Puschi wartete wie ich.

Es widerfuhr mir die Freude, daß diese Erwartungen nicht getäuscht wurden. Die beiden Wächter saßen diesseits und jenseits des Feuers, welches sie unterhielten; der jenseitige legte sich später um; er mochte müde sein; der diesseitige kehrte mir den Rücken zu und deckte, da unsere drei Plätze in einer geraden Linie lagen, mich vor den Augen des andern. Das war ein günstiger Umstand, von dem ich hoffte, daß der Indianer ihn eintretenden Falles ausnutzen werde. Es strich jetzt ein Wind durch das Thal, welcher die Büsche und Bäume bewegte, daß sie rauschten. Dieses Rascheln mußte das Geräusch, welches ein heimlich herankriechender Mensch vielleicht verursachte, unhörbar machen.

Zuweilen den Kopf hebend, beobachtete ich den Kreis der Schläfer und war nach einer halben Stunde überzeugt, daß außer den Wächtern, Winnetou und mir kein Mensch mehr munter war. Ich muß erwähnen, daß mir zur Rechten Hammerdull und zur Linken der alte Wabble lag; dann kam Winnetou und neben diesem Pitt Holbers, auf welchen mehrere Tramps folgten.

Grad, als ich dachte: jetzt wäre die beste Zeit, daß er käme, wenn er überhaupt kommen kann und will, bemerkte ich rechts hinter mir eine leise, langsame Bewegung, und es schob sich ein Kopf zu dem meinigen heran; es war der Erwartete.

„Old Shatterhand mag sich ja nicht bewegen!“ flüsterte er mir zu. „Hat mein weißer Bruder an mich gedacht.“

„Ja,“ antwortete ich ebenso leise.

„Und geglaubt, daß ich komme?“

„Ja.“

„Kolma Puschi wollte eigentlich hin zu Winnetou, hätte aber dort bei ihm keine Deckung gehabt. Darum kroch ich zu Old Shatterhand, wo wir uns im Rücken der Wache befinden. Mein weißer Bruder mag mir sagen, was er wünscht; ich bin bereit, es zu hören!“

„Willst du uns befreien?“

„Ja.“

„Wo?“

„Das mag Old Shatterhand bestimmen; er wird es am besten wissen.“

„Hier noch nicht. Es muß so passen, daß wir die Gefährten auch gleich losmachen können. Aber wird mein roter Bruder uns folgen wollen?“

„Gern.“

„Wie lange und wie weit?“

„So lange und so weit, bis ihr frei geworden seid.“

„Hast du vielleicht gehört, was gesprochen worden ist?“

„Ja. Kolma Puschi lag hinter den Steinen und hörte alles.“

„Auch daß wir nach dem Squirrel-Creek wollen?“

„Auch das. Die Weißen wollen die Bonanza haben, die sich nicht dort befindet.“

„Kennt mein roter Bruder den Squirrel-Creek?“

„Es sind mir hier und noch viel weiterhin alle Gegenden bekannt.“

„Giebt es auf dem Wege nach diesem Creek vielleicht einen passenden Ort zu unserer Befreiung heut abend? Es müssen da viel mehr Bäume und Büsche stehen als hier, wo wir nur schwer an die Wächter kommen können und ein einziger Blick von ihnen genügt, uns alle zu übersehen.“

„Kolma Puschi kennt einen solchen Ort, den ihr grad zur passenden Zeit erreichen könnt, so daß es nicht auffällig ist, wenn ihr dort anhaltet. Aber werden die weißen Männer euch dorthin folgen?“

„Gewiß. Sie scheinen in dieser Gegend unbekannt zu sein, und wenn wir sie nach dem Squirrel-Creek bringen sollen, sind sie unbedingt gezwungen, sich unserer Führung anzuvertrauen.“

„So mag Old Shatterhand von hier aus genau nach Westsüdwest reiten und da, wo er auf ihn trifft, über den Rush-Creek gehen. Er hat dann diesem Flusse am andern Ufer so lange zu folgen, bis er die Stelle erreicht, wo der Nordfork und der Südfork dieses Creeks zusammenfließen. Von da aus geht es um den letzten Bogen des Südforks herum und hierauf genau Westnordwest über eine langsam ansteigende Prairie, auf welcher oft Gesträuch zu finden ist, nach einer schon von sehr weit zu sehenden Felsenhöhe, an deren Fuße mehrere Springs aus der Erde fließen. Auf dem Felsen und um die Springs stehen viele Bäume, und die nördlichste dieser Quellen ist der Ort, an dem ihr lagern sollt.“

„Gut; ich werde diesen Spring finden.“

„Und Kolma Puschi wird auch hinkommen.“

„Aber ja nicht vor, sondern nach uns!“

„Denkt Old Shatterhand, daß ich das nicht weiß? Meine Fährte würde mich verraten. Was hat Old Shatterhand mir noch zu sagen?“

„Jetzt nichts, weil ich nicht weiß, wie sich die Einzelheiten unsers Lagers heut abend gestalten werden. Hoffentlich wirst du dich zu uns heranwagen können, dann aber nur zu Winnetou oder mir, weil keiner von den andern das nötige Geschick besitzt, die Hilfe, welche du uns leistest, augenblicklich und energisch auszunützen.“

„Ja. Ich danke meinem roten Bruder Kolma Puschi und bin, sobald wir freigeworden sind, bereit, für ihn in jeder Not mein Leben zu wagen.“

„Der große Manitou lenkt die Schritte seiner Kinder wunderbar; darum ist es möglich, daß Kolma Puschi auch einmal der Hilfe Winnetous und Old Shatterhands bedarf. Ich bin euer Freund, und ihr mögt meine Brüder sein!“

Er schob sich so geräuschlos zurück, wie er gekommen war. Auf der andern Seite Old Wabbles ertönte jetzt das halblaute Räuspern des Apatschen; das galt mir. Er wollte mir damit sagen, daß er den Besuch Kolma Puschis beobachtet habe. Ihm, dessen Sinne von einer geradezu unvergleichlichen Schärfe waren, hatte das freilich nicht entgehen können.

Wir waren beide befriedigt und wußten, daß unsere jetzige Lage nicht von langer Dauer sein werde; wir konnten ruhig einschlafen. Vorher aber gingen mir allerlei Gedanken über Kolma Puschi im Kopfe herum. Er sprach ein fast geläufiges Englisch; er hatte sich der Ausdrücke Westsüdwest und Westnordwest bedient, was mir noch bei keinem Indianer vorgekommen war. Woher kam diese Geläufigkeit bei ihm, der mit niemanden verkehrte und ein so sehr einsames, abgeschlossenes Leben führte? Ließ das auf einen frühern, engern Umgang mit den Weißen schließen? Wenn ja, so war er jedenfalls durch schlimme Erfahrungen von ihnen zurück und in die Abgeschiedenheit gestoßen worden, in welcher er jetzt lebte.

Als ich am Morgen erwachte, waren die Tramps dabei, die bei uns gemachte Beute zu verteilen; sie betrachteten natürlich alles, was sie uns abgenommen hatten, als ihr gutes Eigentum. Old Wabble hatte alle meine Sachen; Cox nahm Winnetous Silberbüchse für sich, ohne daran zu denken, daß diese ihn später überall, wo man sie in seinen Händen sah, als Räuber und Mörder, wenigstens aber als Dieb verraten müsse. Auch den Hengst Iltschi des Apatschen bestimmte er für sich und gab Old Wabble den guten Rat:

„Den andern Rapphengst, den jedenfalls Old Shatterhand geritten hat, sollt Ihr bekommen, Mr. Cutter. Ihr könnt daraus ersehen, daß ich es gar nicht übel mit Euch meine.“

Old Wabble aber schüttelte den Kopf und antwortete:

„Danke sehr; ich mag ihn nicht!“

Er wußte wohl, warum. Er hatte meinen Hatatitla kennen gelernt.

„Warum nicht?“ fragte Cox erstaunt. „Ihr seid doch ein besserer Pferdekenner und müßt wissen, daß kein andres Tier mit diesen beiden Rappen zu vergleichen ist.“

„Das weiß ich freilich, nehme aber doch lieber diesen hier.“

Er deutete dabei auf Schahko Mattos Pferd. Cox bestimmte also einen andern, der das meinige bekommen sollte. Ebenso ging es mit unsern andern Pferden, welche alle besser waren als diejenigen der Tramps, die alte Stute Dick Hammerdulls ausgenommen, die niemand haben wollte.

Ich freute mich schon auf die Scene, die daraus folgen mußte; unsere braven Hengste litten ja keinen fremden Menschen im Sattel.

Unser Proviant war uns auch abgenommen worden. Es wurde gegessen; auch wir bekamen ein freilich unzureichendes Frühstück; man tränkte die Pferde, und dann sollte aufgestiegen und fortgeritten werden. Wir wurden auf die Gäule gebunden, die Hände nach vorn, so daß wir die Zügel halten konnten; nun führte man die Beutepferde vor.

Die Osagenpferde machten denen, die sie reiten wollten, nicht viel zu schaffen; schlimmer schon war es mit Apanatschkas dunklem Rotschimmel; er ging, kaum daß der Reiter aufgestiegen war, sofort durch, und es dauerte lange, ehe Mann und Roß zurückkehrten. Jetzt stieg Cox auf Winnetous Iltschi. Dieser ließ das so ruhig geschehen, als ob er der allerfrömmste Rekruten- und Manegegaul sei. Schon wollte der Tramp es sich recht gemütlich im Sattel machen, da flog er in einem weiten Bogen durch die Luft, und gar nicht weit davon ertönte ein lauter Schrei: mein Hatatitla hatte seinen Kerl ganz ebenso prompt herabbefördert.

Die beiden Gestürzten standen fluchend auf und sahen zu ihrer Verwunderung die Rappen so unbeweglich dastehen, als ob gar nichts geschehen sei; sie schwangen sich also wieder auf, wurden aber zu ganz gleicher Zeit zum zweitenmal abgeworfen. Es wurde noch ein dritter Versuch gemacht, doch mit ganz demselben Mißerfolge. Old Wabble hatte heimlich kichernd zugesehen; jetzt brach er in ein lautes Lachen aus und rief dem Anführer zu:

„Nun wißt Ihr wohl, Mr. Cox, warum ich den schwarzen Teufel nicht haben wollte? Diese Rappen sind so dressiert, daß sich selbst der beste Reiter der Welt keine Minute auf ihnen halten kann.“

„Warum sagt Ihr mir das jetzt erst?!“

„Weil ich Euch das Vergnügen gönnen wollte, auch einmal mit dem Parterre Bekannschaft zu machen. Seid Ihr zufriedengestellt?“

„Der Teufel hole Euch! Lassen sie denn wirklich niemanden oben?“

„Keinen Menschen!“

„Fatal! Was ist da zu thun?“

„Wenn Ihr nicht unterwegs verschiedene Ärgernisse haben wollt, so setzt einstweilen ihre früheren Besitzer darauf! Später kann man ja den Versuch machen, ob die Rakker gefüge zu machen sind.“

Dieser Rat wurde befolgt. Wir bekamen unsere Pferde, und dann wurde aufgebrochen. Als wir dem Thaleingange zuritten, kam Cox an meine Seite und sagte:

„Ich denke, daß es Euch nicht in den Sinn kommt, Euch durch Widersetzlichkeit Eure Lage zu erschweren! Kennt Ihr den richtigen Weg?“

„Ja.“

„Hoffentlich führt Ihr uns nicht irr!“

„Fällt mir nicht ein!“

„Wohin geht es heut?“

„Nach einem Spring jenseits des Rush-Creek.“

Mir war es außerordentlich lieb, daß er es für ganz selbstverständlich hielt, daß ich den Führer zu machen hatte, weil ich nach der Aussage des Apatschen mir die Lage der Bonanza gemerkt hatte. Um nun zu wissen, wie es mit den Ortskenntissen der Tramps stehe, erkundigte ich mich:

„Ihr kennt doch wohl die Gegend nach dem Squirrel-Creek hinauf?“

„Nein.“

„Oder einer Eurer Leute?“

„Auch nicht,“ war er so dumm, zu antworten.

„So ist niemand von euch schon dort gewesen?“

„Keiner! Ihr werdet uns also den Weg zeigen.“

„Das mag Winnetou thun!“

„Der hat sich die Stelle nicht gemerkt, wo das Gold liegt.“

„Und Ihr seid der Ansicht, daß ich sie Euch wirklich zeigen werde?“

„Natürlich!“

„Sonderbarer Mensch, der Ihr seid!“

„Wieso?“

„Was habe ich davon, wenn ich Euch zu dem Gold verhelfe? Nichts, gar nichts! Der Tod ist mir zugesprochen; es geht mir an das Leben, ob Ihr die Bonanza bekommt oder nicht. Denkt Ihr da, daß es mir Vergnügen macht, euch alle dafür, daß ihr uns überfallen und ausgeraubt habt und daß ich ermordet werde, zu Millionären zu machen?“

„Hm!“ brummte er, ohne weiter etwas zu sagen.

„Ihr scheint die Sache noch gar nicht von dieser Seite betrachtet zu haben?“

„Freilich nicht; aber Ihr habt Rücksicht auf Eure Kameraden zu nehmen.“

„Wieso?“

„Wenn wir die Bonanza nicht bekommen, müssen sie alle sterben!“

„Was geht das mich an, da ich sterben muß? Wer nimmt Rücksicht auf mich? Was habe ich, wenn ich tot bin, davon, daß die andern leben?“

Chimney corner! Ihr werdet doch nicht so grausam mit ihnen sein!“

„Ich? Grausam? Ihr scheint ein sehr lustiger Kerl zu sein! Spricht der Mensch von Grausamkeit und ist es doch selbst, der sie ermorden will, falls er das Gold nicht bekommt! Ihr braucht uns ja nur freizugeben, so kann von Grausamkeit gar keine Rede sein!“

„Daß ich verrückt wäre!“

„So macht auch mir nicht die Vorwürfe, die nur Euch gehören!“

Er sah einige Zeit vor sich nieder und sagte dann:

Well, wollen aufrichtig miteinander reden! Ist Euch wirklich der Gedanke gekommen, uns die Lage des Placers zu verheimlichen?“

„Ja, selbstverständlich!“

„Schlagt ihn Euch aus dem Kopfe! Es würde das unbedingt zum Tode Eurer Kameraden führen und außerdem auch Euer Schaden sein.“

„Wieso der meinige?“

„Weil es noch gar nicht sicher ist, daß ich Euch dem alten Wabble ausliefere.“

„Ah!“ dehnte ich verwundert.

„Ja,“ nickte er. „Zufällig reitet er da vorn und hört also nicht, was ich mit Euch spreche. Wenn Ihr uns die Bonanza zeigt, und wenn sie so reich ist, wie Winnetou sie beschrieben hat, bin ich im stande, nicht nur Eure Gefährten, sondern auch Euch freizulassen.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Wollt Ihr es mir versprechen?“

„Fest versprechen kann ich es leider nicht.“

„So nützt mir Eure ganze Rede nichts. Ich will wissen, woran ich bin!“

„Sie nützt Euch doch! Es kommt auf den Reichtum der Bonanza an. Sind wir in dieser Beziehung zufrieden, so werdet auch ihr mit mir zufrieden sein. Ihr müßt ja am besten wissen, wie es steht.“

„Was das betrifft, so weiß ich freilich, daß es sich um Millionen handelt.“

„Nun, da ist es so gut, als ob Ihr jetzt schon frei wäret.“

„Was aber wird Old Wabble dazu sagen?“

„Das geht Euch nichts an; den überlaßt nur mir! Wenn es ihm einfällt, mir Scherereien zu machen, so jage ich ihn einfach zum Teufel.“

„Das geht aber nicht an; er soll ja Teilnehmer der Bonanza sein.“

„Unsinn! Habt Ihr denn nicht gemerkt, daß ich ihm das nur weisgemacht habe? Ich bin nicht so dumm, ihm mein Wort zu halten!“

Er war dennoch dumm; er war sogar noch dümmer, als er mit diesen seinen Worten bezeichnen wollte. Wenn er dem alten Wabble sein Wort brach, wie konnte ich da annehmen, daß er das mir gegebene Versprechen halten werde! Es fiel ihm gar nicht ein, mich, wenn er die Bonanza hatte, freizulassen. Ja, noch mehr: da es keine Zeugen seiner an uns verübten Gewaltthat geben durfte, konnten auch meine Begleiter ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Er wollte sich nur jetzt meiner Bereitwilligkeit versichern; hatte er dann das Placer, so kam es ihm auf einen Wortbruch und auf ein weiteres Verbrechen nicht an. Was mich dabei am meisten empörte, war, daß dieser freche Patron es wagte, gegen mich einen so vertraulichen Ton anzuschlagen. Ich hätte ihm am liebsten ins Gesicht gespien, mußte aber, die Verhältnisse berücksichtigend, ruhig dazu sein.

„Nun, habt Ihr es Euch überlegt?“ erkundigte er sich nach einer Weile.

„Ja.“

„Was wollt Ihr thun?“

„Sehen, ob Ihr mir Wort halten werdet.“

„Mir das Placer also zeigen?“

„Ja.“

Well! Ihr könnt ja gar nichts Klügeres thun. Übrigens könnte es, selbst wenn ich mein Wort bräche, Euch dann, wenn Ihr tot seid, ganz gleich sein, ob wir das Gold haben oder ob es in der Erde liegen bleibt.“

Das war ein wunderbar befriedigender Abschluß dieses Gespräches! ja, da konnte und mußte es mir allerdings gleichgültig sein! Glücklicherweise hatte ich dabei die eine große Genugthuung, daß es am Squirrel-Creek gar kein Placer gab und daß also nicht ich sondern er der Betrogene sein würde. Ich freute mich schon im voraus auf sein Gesicht!

Er hatte sich noch nicht lange von mir entfernt, so bekam ich Gelegenheit, ein beinahe ebenso interessantes Gespräch zu hören. Hinter mir ritten nämlich Dick Hammerdull und Pitt Holbers mit einem Tramp zwischen sich. Man nahm es mit der Reihenfolge und der Bewachung nicht so überaus streng-, wir waren ja gefesselt und nach der Meinung der Tramps also nicht im stande, zu entfliehen; darum durften wir nach unserm Gusto reiten.

Die beiden Toasts unterhielten sich mit ihrem Begleiter; das heißt, Dick Hammerdull sprach mit ihm, und Pitt Holbers gab dann, wenn er gefragt wurde, eine trockene Antwort dazu. So lange sich Cox neben mir befand, hatte ich nicht auf das, was hinter mir gesprochen wurde, achtgeben können; jetzt hörte ich Dick sagen:

„Und so glaubt Ihr also wirklich, uns ganz fest zu haben?“

„Ja,“ antwortete der Tramp.

„Hört, da bekennt Ihr Euch zu einer ganz falschen Konfession! Wir denken nicht daran, uns als Eure Gefangenen zu betrachten.“

„Ihr seid es aber doch!“

„Unsinn! Wir reiten ein bißchen mit Euch spazieren. Das ist alles.“

„Und seid gefesselt!“

Zu unserm Vergnügen!“

„Danke für das Vergnügen! Und dazu ausgeraubt!“

„Ja, ausgeraubt! Es ist geradezu traurig!“ lachte der Dicke.

Er und Pitt hatten nämlich vor unserm Aufbruche nach dem Westen ihr Geld eingenäht; darum lachte er jetzt.

„Wenn Euch das so lächerlich vorkommt, ist’s ja gut für Eure Laune,“ sagte der Tramp ärgerlich. „Ich an Eurer Stelle würde viel ernster sein!“

„Ernst? Was für einen Grund hätten wir denn, die Köpfe hängen zu lassen? Gar keinen! Wir befinden uns heut so wohl wie stets und immer.“

Da stieß der Tramp einen Fluch aus und rief.

„Ihr wollt mich wohl foppen, ihr Kerls! Ihr müßt euch doch gewaltig darüber ärgern, daß ihr in unsere Hände verfallen seid!“

„Ob wir uns ärgern oder Ihr, das bleibt sich gleich; das ist uns ganz egal; jedenfalls aber seid Ihr es nicht, der sich nicht ärgert. Meinst du das nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Ja, ich denke ganz dasselbe, lieber Dick,“ antwortete der Lange.

„Ich mich ärgern?“ rief der Tramp. „Ihr seid ja ganz verkehrt!“

„O nein! Wir wissen sogar, daß Ihr Euch noch viel mehr ärgern werdet.“

„Wann und worüber?“

„Wann? Wenn wir uns von Euch verabschiedet haben. Und worüber? Darüber, daß Ihr nicht länger so gemütliche und fidele Leute bei Euch habt.“

„Das ist Galgenhumor, nichts als Galgenhumor! Ihr ahnt doch wohl, welchem Schicksale Ihr entgegengeht!“

„Nicht daß ich wüßte! Welches berühmte Schicksal ist es denn?“

„Ihr werdet ausgelöscht werden, alle ausgelöscht!“

Pshaw! Das thut nichts; das thut sogar gar nichts, denn wenn wir ausgelöscht werden, so brennen wir uns ganz gemütlich wieder an!“

„Verrückt, geradezu verrückt!“

„Verrückt! Hört, wenn Ihr uns für verrückt haltet, da muß ich freilich einmal den Scherz beiseite lassen und Euch ein ernsthaftes Wort sagen! Wenn einer von uns dreien verrückt ist, so seid Ihr es; darauf kann ich schwören! Oder ist es etwa nicht der reine, unheilbare Wahnsinn, zu glauben, daß Ihr uns fest und sicher habt? Ich bin zwar ein dicker Kerl, dennoch aber schlüpfe ich Euch durch die kleinste Masche davon. Pitt Holbers hier, der Lange, ist gar nicht festzuhalten; er ragt mit seiner Nase hoch über Eure Schranken und Netze hinaus. Old Shatterhand und Winnetou, diese beiden erst! Wer sich einbildet, sie festzuhalten, der hat den Verstand bis auf den allerletzten Rest verloren. Ich erkläre Euch hiermit mit der größten Feierlichkeit, die Ihr von mir verlangen könnt, daß wir Euch davonfliegen werden, ehe Ihr es denkt. Dann steht Ihr da und sperrt die Mäuler auf. Oder wir fliegen nicht davon, sondern machen es noch besser, viel besser: Wir drehen den Spieß grad um und nehmen Euch gefangen. Dann klappen Euch die Mäuler wieder zu! Länger als höchstens einen Tag bei Euch zu sein, das wäre eine Schande, die ich bei meiner zarten Konstitution nicht überleben könnte. Wir brechen aus! Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm!“ brummte der Lange. „Wenn du denkst, daß wir es thun werden, so hast du recht, lieber Dick. Wir werden ausbrechen!“

„Uns entfliehen, uns entkommen?“ lachte der Tramp höhnisch. Ach sage Euch, wir halten Euch so fest und so sicher, wie auch ich zufällig Holbers heiße!“

„Ah, auch Holbers? Schöner Name! Nicht? Heißt Ihr auch Pitt?“

„Nein. Mein Vorname ist Hosea. Interessiert Euch das vielleicht?“

„Hosea? Uff! Natürlich interessiert es uns!“

„Ihr schreit Uff! Hat Euch mein Vorname etwa wehe gethan?“

Anstatt ihm diese Frage zu beantworten, wendete Dick sich an Holbers:

„Hast du es gehört, Pitt Holbers, altes Coon, daß dieser Mann den schönen, frommen und biblischen Namen Hosea hat?“

„Wenn du denkst, daß ich es gehört habe, so ist das richtig,“ antwortete der Gefragte.

„Und was sagst du dazu?“

„Nichts.“

„Gar nichts?“

„Nein, gar nichts!“

„Also wirklich gar nichts! Eigentlich hast du da recht, lieber Pitt, denn wenn der Mann ein Tramp ist, halte ich das Schweigen auch für viel besser; aber ich bin nun einmal ein neugieriger Kerl, und ich gestehe dir aufrichtig, daß es mir schwer fällt, den Mund zu halten.“

„Was sind das für geheimnisvolle Redensarten?“ fragte da der Tramp. „Stehen sie etwa mit mir, mit meinem Namen in Verbindung?“

„Wie es scheint, ja.“

„Wie so?“

„Sagt einmal, ob es in Eurer Familie noch ähnliche Bibelnamen giebt?“

„Es giebt noch einen.“

„Welchen?“

„Joel.“

„Uff! Wieder einer von den Propheten! Euer Vater scheint ein sehr frommer, bibelfester Mann gewesen zu sein! Oder etwa nicht?“

„Nicht daß ich wüßte. Er war ein sehr gescheiter Kerl, der sich von den Pfaffen nichts weismachen ließ, und ich bin nach ihm geraten.“

„So war aber wohl Eure Mutter eine gläubige Frau?“

„Leider ja.“

„Warum leider?“

„Weil sie mit ihrem Beten und Plärren dem Vater das Leben so verbittert hat, daß er sich gezwungen sah, es sich durch den Brandy zu versüßen. Es ist eben unmöglich, daß ein kluger Mann es bei einer Betschwester aushalten kann; er läßt sie daheim sitzen und geht in das Wirtshaus. Das ist ja das beste, was er thun kann!“

„Ah! Er hat es sich wohl so lange versüßt, bis es ihm zu süß wurde?“

„Ja; er bekam es überdrüssig, und als er eines schönen Tages sah, daß er einen Strick zu viel besaß, der zu nichts anderem zu gebrauchen war, hing er ihn an einen Nagel, machte eine Schlinge und steckte den Kopf hinein, und zwar so lange, bis er abgeschnitten wurde.“

Es zuckte mir in den leider gefesselten Händen, als ich diesen Kerl hinter mir in dieser cynischen Weise von dem Tode seines selbstmörderischen Vaters sprechen hörte. Hammerdull hütete sich, eine hier freilich sehr unnütze sittliche Entrüstung zu zeigen und etwa zu sagen, daß sich selbst der verkommenste Indianer schämen würde, derart von seinem toten Vater zu reden; er verfolgte den heimlichen Zweck dieses Gespräches weiter, indem er lachend fortfuhr:

„Ja, es giebt freilich nur ganz seltene Fälle, daß jemand, der die Angewohnheit hat, den Kopf in solche Schlingen zu stecken, sie sich wieder abgewöhnen kann. Aber, Mr. Holbers, wenn ich mich recht entsinne, so sagtet Ihr vorhin, daß Ihr nach Eurem Vater geraten seid?“

„Ja, das sagte ich.“

„So hütet Euch vor ähnlichen Stricken!“

Pshaw! Wenn ich ihm in allem ähnlich bin, in dieser Beziehung sicher nicht. Das Leben ist so schön, daß ich es mir so lange wie möglich zu erhalten suchen werde. Wenigstens wird es mir nie einfallen, den Kopf in eine Schlinge zu stecken. Ich wüßte auch nicht, warum; ich hätte gar keine Veranlassung dazu, da ich nicht so dumm gewesen bin, mir ein immer betendes und ewig plärrendes Weib zu nehmen.“

„Ich bleibe trotzdem bei meiner Warnung! Es soll ja vorkommen, daß jemand an einem Stricke hängen bleibt, ohne daß er selbst auf den Gedanken gekommen ist, den Kopf hineinzustecken. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon, daß dies vorgekommen ist und auch wieder vorkommen kann?“

„Hm! Wenn du denkst, daß es vorgekommen ist, so gebe ich das zu, wenn du aber meinst, daß es sich auch wieder ereignen kann, so gebe ich dir doppelt recht. Dieser Namensvetter von mir, der ein so kluger Mann wie sein Vater ist, wird mich wahrscheinlich verstehen.“

Zounds!“ rief da der Tramp. „Soll das etwa eine zarte Anspielung auf das Gehängtwerden sein?“

„Warum nicht?“ fragte Hammerdull.

„Weil ich mir solche Scherze verbitte!“

„Ich sehe nicht ein, wie ihr da gleich in Zorn geraten könnt. Wir haben doch nur im allgemeinen sagen wollen, daß es Stricke gegeben hat und auch jetzt noch giebt, an denen man, ohne es eigentlich zu wollen, ganz unerwartet hängen bleiben kann, und wenn ich Euch vor solchen Stricken gewarnt habe, so konnte das doch nur gut gemeint sein!“

„Danke sehr! Solche Warnungen sind bei mir nicht nötig!“

Well! Um aber wieder auf Eure Mutter zu kommen, so möchte ich gerne wissen, ob sie außer ihrer Frömmigkeit nicht auch noch andere Eigenschaften besessen hat, die Euch im Gedächtnisse geblieben sind.“

„Andere Eigenschaften? Ich verstehe Euch nicht. Wie meint Ihr das?“

„Nun, so in erziehlicher Beziehung. Fromme Leute pflegen streng zu sein.“

„Ach so!“ lachte der Tramp, der von dem Gedankengange Hammerdulls keine Ahnung hatte. „Leider ist das richtig, was Ihr sagt. Wenn sich alle braunen und blauen Flecke, die Euch dies beweisen könnten, noch auf meinem Rücken befänden, könnte ich mich vor Schmerz nicht hier auf meinem Pferde erhalten.“

„Ach, so war ihre Erziehungsweise also eine sehr eindringliche?“

„Ja, sie drang oftmals durch die Haut.“

„Auch bei Joel, Eurem Bruder?“

„Ja.“

„Lebt der noch?“

„Freilich; der denkt gar nicht daran, schon tot zu sein!“

„Wo befindet er sich gegenwärtig, mit den schönen Erinnerungen auf dem Rücken und höchstwahrscheinlich auch auf anderen Körperteilen?“

„Hier.“

„Was? Hier bei uns?“

„Gewiß. Seht nur nach vorn! Der, welcher neben Cox reitet, ist’s.“

Good lack! Es sind also beide Propheten da? Hosea und Joel, alle zwei? Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Nichts,“ antwortete der Lange noch kürzer, als er gewöhnlich zu antworten pflegte.

„Was habt Ihr denn eigentlich mit mir und meinem Bruder?“ erkundigte sich der Tramp, dem dieses Gespräch nun endlich doch auffiel.

„Das werdet Ihr wahrscheinlich bald erfahren. Sagt mir vorher nur erst, was Euer Vater gewesen ist!“

„Alles mögliche, was ein Mann sein kann, der sich so über sein Weib ärgern muß.“

„Das heißt wahrscheinlich: alles und nichts. Ich meine aber, was er war, als er eines Tages fand, daß er den betreffenden Strick übrig habe.“

„Da hatte er vor kurzem ein Heiratsbureau gegründet.“

„Sonderbar! Jedenfalls um andern auch eine Portion Ärger zukommen zu lassen? Das war für das Allgemeinwohl ja sehr hübsch von ihm!“

„Ja, die Absicht war gut, der Erfolg aber schlecht.“

„Ah! Es fand sich keine Menschenseele ein, die nach der Vereinigung mit einer andern schmachtete?“

„Keine, keine einzige!“

„Drum fand er wohl den Strick?“

„Ja; er wendete dem Leben, welches ihm nichts zu essen bot, den Rücken.“

„Feiner Kerl! Im höchsten Grade gentlemanlike! Wenn ich ihn hier hätte, könnte sein Rücken bald ganz in denselben Erinnerungen schwelgen wie der Eurige! Frau und Kinder feig zu verlassen! Pfui Teufel!“

„Schwatzt nicht so dummes Zeug! Als er fort war, ging es uns besser.“

„Richtig! Wenn der Mann das Geld nicht mehr vertrinken kann, welches die Frau verdient, geht es der Witwe und den Waisen besser!“

„Hört, wie kommt Ihr zu dieser Rede? Meine Mutter war allerdings die eigentliche Verdienerin.“

„Ja; sie arbeitete wie ein Pferd!“

„Woher wißt Ihr das?“

„Sie lebte und wohnte in dem kleinen Smithville, Tennessee, als ihr Mann, Euer lieber Vater, damals von sich selbst aufgehangen wurde?“

„Richtig! Aber sagt, woher Ihr das alles –“

„Und ist nachher mit ihren Kindern nach dem Osten gezogen,“ unterbrach ihn Dick Hammerdull unbeirrt.

„Auch das stimmt! Nun teilt mir endlich –“

„Wartet nur! Sie hat so gearbeitet und so viel verdient, daß sie sogar einen kleinen, blutarmen Neffen zu sich nehmen und aufziehen konnte, der nachher, als ihm ihre strenge Erziehungsweise zu schmerzlich wurde, eines schönen Sommertags verschwand. Ist es so oder nicht?“

„Es ist so. Mir unbegreiflich, daß Ihr das alles wißt!“

„Ihr hattet auch eine Schwester?“

„Ja.“

„Wo ist sie?“

„Sie ist jetzt tot.“

„So seid Ihr und Euer honorabler Prophet Joel die einzigen Erben Eurer Mutter gewesen?“

„Natürlich!“

„Wo ist das Erbe?“

„Zum Teufel! Wo soll es anders sein? Was konnten wir mit den paar hundert Dollars anders machen, als sie vertrinken!“

Well – Ihr scheint wirklich genau nach Eurem Vater geraten zu sein! Ich sage jetzt zum drittenmal: Hütet Euch vor dem Strick! Was meinst du, Pitt Holbers, altes Coon? Sollen sie es bekommen?“

„Hm,“ brummte der Gefragte, im höchsten Grade verdrießlich, „ich thue, was du willst, lieber Dick.“

Well, so bekommen sie es nicht! Bist du damit einverstanden?“

Yes; sie sind es nicht wert.“

„Ob sie es wert sind oder nicht, das bleibt sich ganz gleich; aber es wäre geradezu eine Affenschande, wenn sie es bekämen!“

„Was habt Ihr nur für Heimlichkeiten? Von wem sprecht Ihr eigentlich?“ erkundigte sich der Tramp.

„Von Hosea und Joel,“ antwortete Hammerdull.

„Also von mir und meinem Bruder?“

„Ja.“

„Wir beide sind es, die etwas nicht bekommen sollen?“

„Ja.“

„Was?“

„Unser Geld.“

„Euer Geld? Der Teufel mag Euch begreifen! Wir haben Euch ja alle Eure Taschen leer gemacht!“

Pshaw! Denkt Ihr, daß wir alles, was wir besitzen, mit hier herauf nach dem fernen Westen nehmen? Pitt hat ein Vermögen, und ich habe auch ein Vermögen; diese vielen, vielen Tausende von Dollars haben wir zusammengethan, um sie Euch und Euerm vortrefflichen Joel zu schenken; jetzt aber sind wir zu dem Entschluß gekommen, daß Ihr nichts, gar nichts, aber auch nicht einen einzigen Cent davon erhalten sollt.“

Ich sah mich nicht um, aber ich konnte mir das erstaunte Gesicht des Tramp vorstellen. Es verging eine ganze Weile, ehe ich ihn fragen hörte:

„Euer – – Vermögen sollten – – sollten wir – – bekommen?“

„Ja.“

„Ihr wollt Unsinn mit mir treiben!“

„Fällt mir gar nicht ein!“

Er schien in den Gesichtern der beiden Toasts zu forschen, denn es verging wieder eine lange Pause, ehe ich ihn in erstauntem Tone sagen hörte:

„Ich weiß wahrhaftig nicht, woran ich mit euch bin! Ihr macht so ernsthafte Gesichter, und doch kann es nichts als nur ein dummer Spaß sein!“

„Hört einmal, was ich Euch sage: Wenn Ihr Euch für einen Kerl haltet, zu dem wir uns gemütlich herablassen können, um mit ihm zu scherzen, so kennt Ihr weder Euch noch uns! Ihr seid teils Schafkopf, teils Halunke; wir aber sind kluge und achtbare Leute, welchen es nicht einfällt, sich mit Eseln und Schurken zu belustigen. Also daß wir uns ein Amusement mit Euch machen wollen, das liegt ganz außerhalb des Bereiches dessen, was auf dieser alten Erde möglich ist!“

Zounds! Vergeßt ja nicht, daß ihr unsere Gefangene seid! Beleidigen lasse ich mich nicht. Wenn ihr so mit Schurken und Halunken um euch werft, kann euch diese Kühnheit schlecht bekommen!“

Pshaw! Regt Euch ja nicht unsertwegen auf, wir haben keine Angst! So lange wir uns kennen, sind wir gewöhnt gewesen, alles beim richtigen Namen zu nennen. Es kann uns gar nicht einfallen, einen Schuft als Ehrenmann zu bezeichnen!“

„Und wenn ich Euch mit Strafen drohe?!“

„Unsinn! Seid Ihr etwa unser Schulmeister, und wir sind Eure Schuljungens? Was Ihr heut an uns verübt, das können wir morgen rächen, wenn wir wollen; darauf mögt Ihr Euch verlassen! Also der Schurke, der Halunke, der bleibt stehen! Und was den Schafskopf betrifft, so nehme ich auch ihn nicht zurück, denn Ihr seid einer, und zwar was für einer! Das habt Ihr bewiesen!“

„Wodurch bewiesen? Heraus damit!“

„Dadurch, daß Ihr noch immer nicht begreift, was es mit dem, was ich Euch gesagt habe, für eine Bewandtnis hat.“

„Der Teufel mag Euch verstehen und begreifen!“

„Der hat keine Zeit dazu. Ihr steht uns näher als er und seid auch nicht viel besser als er! Ihr habt uns doch Euern Familiennamen gesagt!“

„Ja, Holbers.“

„Und mein Freund heißt?“

„Auch so.“

„Und sein Vorname?“

„Pitt, wie ich gehört habe. Pitt Holbers. Das ist ganz – ah, ah!“

Er hielt inne. Ich hörte ihn halblaut durch die Zähne pfeifen, und dann fuhr er hastig fort:

„Pitt, Pitt, Pitt – so hieß doch auch der junge, der Cousin, den die Mutter zu sich nahm und – – – Thunder-storm! Wär es denn möglich? Ist dieser ewig lange Mensch hier vielleicht jener kleine Pitt?“

„Er ist’s! Endlich habt Ihr die Hand an der richtigen Thürklinke! Das hat viel, sehr viel Mühe und Arbeit gekostet, ehe Ihr darauf gekommen seid! Ihr dürft Euch auf Eure Klugheit nichts einbilden!“

Diese Beleidigung überhörend, rief der Tramp:

„Was? Wirklich? Du bist der dumme Pitt, der sich für uns alle immer so gutwillig von der Mutter prügeln ließ? Dem diese Stellvertretung endlich so wehe that, daß er die Flucht ergriff?“

Pitt mochte nur mit dem Kopfe nicken; ich hörte kein Wort.

„Das ist doch toll!“ fuhr sein Vetter fort. „Und jetzt sehe ich dich als unsern Gefangenen wieder!“

„Den ihr ermorden wollt!“ fügte Hammerdull hinzu.

„Ermorden? Hm! Davon wollen wir jetzt nicht reden. Erzähle mir jetzt lieber, Pitt, wo du damals hingelaufen bist und was du seit jener Zeit bis jetzt getrieben hast! Ich bin neugierig darauf!“

Pitt hustete einige Male und sagte dann, ganz und gar nicht in der trockenen Weise, in welcher er sonst zu sprechen pflegte:

„Ich begreife nicht, wie ich dazu komme, von Euch du genannt zu werden. Das duldet man doch nur von Gentlemen, nicht aber von Menschen, welche ihre Ehre, ihre Reputation so weit von sich geworfen haben, daß sie sich nicht schämen, unter die Tramps gegangen zu sein! Ich muß leider zugeben, daß ich der Sohn vom Bruder Eures Vaters bin, kann aber zu meiner Rechtfertigung sagen, daß nicht ich diese Verwandtschaft zu verantworten habe. Es macht mir große Freude, sagen zu können, daß ich gegen meinen Willen Euer Verwandter bin.“

„Oho!“ fiel der Tramp zornig ein. „Du willst dich meiner schämen? Aber geschämt hast du dich nicht, dich von uns ernähren zu lassen?“

„Von Euch? Doch nur von Eurer Mutter. Und das, was sie mir gab, habe ich mir redlich abverdienen müssen. Während Ihr tolle Streiche verübtet, mußte ich arbeiten, daß mir die Schwarte knackte; nebenbei erhielt ich die Prügel für Euch, so ungefähr als das, was man das Dessert, den Nachtisch nennt. Zu danken habe ich Euch also nicht das geringste. Dennoch wollte ich Euch eine große Freude machen. Wir suchten Euch, um Euch unsere Ersparnisse zu schenken, denn wir sind Westmänner, welche kein Geld brauchen. Ihr wäret reich dadurch geworden. Nun wir Euch aber als Tramps, als elende, herabgekommene Subjekte finden, soll mich unser Herrgott behüten, dieses schöne und viele Geld, mit welchem wir bessere und würdigere Menschen glücklich machen können, in Eure Hände zu legen. Wir haben uns seit unserer Kindheit hier zum erstenmal wiedergesehen und sind aber auch sofort wieder geschiedene Leute. Ich wünsche von ganzem Herzen, daß ich niemals wieder den Ärger und die Kränkung haben möge, mit Euch zusammenzutreffen!“

Der sonst so wortkarge Pitt Holbers hatte diese lange Rede in einer so fließenden Weise gehalten, daß ich mich schier wunderte. Das Verhalten des feinsten Gentleman hätte nicht korrekter sein können als das seinige. Das erkannte Dick Hammerdull dadurch an, daß er ihm, ohne eine Pause eintreten zu lassen, eiligst zustimmte:

„Recht so, lieber Pitt, recht so! Du hast mir ganz aus der Seele gesprochen. Wir können bessere Menschen damit glücklich machen. Ich hätte dieselben Worte gesagt, wirklich ganz genau dieselben Worte!“

Einem Fremden hätte der Tramp jedenfalls in anderer Weise geantwortet, nun er aber wußte, daß Pitt sein Verwandter sei, zog er den Spott dem Zorne vor und sagte, indem er dabei höhnisch lachte:

„Wir sind gar nicht neidisch auf die guten, die bessern Menschen, die euer Geld bekommen sollen. Die paar Dollars, die ihr zusammengewürgt haben werdet, brauchen wir nicht. Wir werden ja Millionen besitzen, sobald wir die Bonanza gefunden haben!“

„Wenn ihr sie findet!“ kicherte Hammerdull.

„Freilich nicht wir, sondern Old Shatterhand!“

„Und der zeigt sie euch!“

„Natürlich!“

„Ja, ja! Ich sehe schon, wie er mit dem Zeigefinger auf die Erde deutet und zu euch sagt: Da liegen sie, Klumpen über Klumpen, einer immer größer als der andere. Seid doch ja so gut und nehmt sie heraus! Einen größern Gefallen könnt ihr uns armen Gefangenen gar nicht thun! Dann schießt ihr uns alle über den Haufen, damit wir nichts verraten können, nehmt die Million heraus, kehrt nach dem Osten zurück, deponiert sie auf der Bank, lebt von den Zinsen herrlich und in Freuden wie der reiche Mann im Evangelium und laßt alle Tage Pflaumenkuchen für eure Schnäbel backen. So denke ich mir das, und so wird es auch geschehen. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Ja, besonders das mit dem Pflaumenkuchen wird seine Richtigkeit haben,“ antwortete Pitt, jetzt wieder in seiner trockenen Weise.

„Redet nicht so dummes Zeug!“ fuhr Hosea die beiden Freunde an. „Es ist doch nur der grimmige Ärger, der Neid, welcher aus euch spricht! Wie gern, wie sehr gern möchtet ihr doch die Bonanza für euch haben! Das ist so selbstverständlich wie nichts anderes in der Welt!“

„Diese Bonanza, grad diese? O, die gönnen wir euch von ganzem Herzen! Wir freuen uns schon auf die Augen, die ihr machen werdet, wenn wir an Ort und Stelle sind. Ich habe nur ein Bedenken, ein sehr großes Bedenken bei dieser ganzen Geschichte.“

„Welches?“

„Daß ihr vor lauter Wonne das Zugreifen vergessen werdet.“

„O, wenn es nur das ist, so zerbrecht Euch ja nicht den Kopf darüber. Wir lassen nichts liegen, denn das Zugreifen haben wir gelernt!“

„Sehr richtig; wir wissen es!“

„Nicht wahr? Also macht Euch keine Sorge! jetzt aber muß ich hin zu meinem Bruder, um ihm zu sagen, daß ich den Pitt gefunden habe, den Vetter Pitt, der es nicht zugiebt, daß ich ihn du nenne!“

Er trieb sein Pferd vorwärts und ritt, an mir vorüber, nach der Spitze des Zuges, wo sich Joel, der brüderliche Schuft, befand.

„Hättest du das gedacht?“ hörte ich Hammerdull hinter mir fragen.

„Nein!“ antwortete Pitt kurz.

„Saubere Verwandtschaft!“

„Bin großartig stolz auf sie!“

„Höchst ärgerlich!“

„O nein! Ich ärgere mich nicht, weil sie mir höchst gleichgültig sind.“

„Ach, das meine ich nicht!“

„Was denn?“

„Unser Geld.“

„Wieso?“

„Wen schenken wir es nun? Ich mag nicht reich sein; ich mag nicht auf dem Geldsacke hocken und vor Angst darüber, daß er mir gestohlen werden könnte, den schönen, gesunden Schlaf einbüßen.“

„Ja, nun können wir uns wieder die Köpfe zerbrechen!“

„Wieder von vorn anfangen, darüber nachzudenken, wer uns das Geld abnehmen wird! Es ist eine dumme, eine ganz dumme Geschichte!“

Da wendete ich den Kopf und sagte:

„Macht Euch doch keine unnötigen Sorgen!“

Sie kamen sofort rechts und links zu mir heran, und der Dicke fragte:

„Keine Sorge? Wißt Ihr vielleicht jemand, den wir beschenken können?“

„Hunderte könnte ich Euch vorschlagen; das meine ich aber nicht. Habt Ihr denn das Geld?“

„Leider nicht. Der General hat es; das wißt Ihr doch, Mr. Shatterhand.“

„Also grämt Euch jetzt noch nicht! Wer weiß, ob wir ihn fangen!“

„Oh, Ihr und Winnetou seid ja da! Da ist es so gut, als ob wir ihn schon hätten! Habt Ihr gehört, was wir jetzt,gesprochen haben?“

„Ja.“

„Daß wir Pitts Vettern gefunden haben?“

„Ja.“

„Was sagt Ihr dazu, Sir?“

„Daß Ihr sehr unvorsichtig gewesen seid.“

„Inwiefern? Hätten wir verschweigen sollen, wer Pitt Holbers ist?“

„Nein. Aber Ihr habt gethan, als wißtet Ihr ganz genau, daß wir bald frei sein werden.“

„War das ein Fehler?“

„Ein sehr großer! Es wird dadurch leicht ein Verdacht erweckt, der uns sehr hinderlich werden, vielleicht alles verderben kann.“

„Hm! Das ist wahr. Aber soll ich diesen Kerls den Gefallen thun, vor Traurigkeit die Nase bis auf den Sattel herunterhängen zu lassen?“

„Wenn auch das nicht!“

„Ihr habt doch selbst sehr selbstbewußt zu Cox und Old Wabble gesprochen!“

„Aber nicht in so auffälliger Weise wir Ihr jetzt zu diesem Hosea Holbers, welcher glücklicherweise nicht pfiffig genug ist, mißtrauisch zu werden. Eure Ironie in Beziehung auf die großen Goldklumpen war höchst gefährlich für uns. Die Tramps müssen bis zum letzten Augenblicke glauben, daß ich die Bonanza kenne.“

„Ja, aber wann wird dieser letzte Augenblick kommen?“

„Vielleicht schon heut.“

Huzza! Ist’s wahr?“

„Ich denke!“

„In welcher Weise?“

„Das kann ich jetzt noch nicht genau wissen. Kolma Puschi, der Indianer, wird kommen und mich freimachen.“

„Der? Wer hätte das gedacht! Wißt Ihr das genau?“

„Ja; er hat es mir versprochen. Wie ich mich dann, wenn ich frei bin, verhalten werde, das wird sich nach den Umständen richten. Ihr dürft nicht einschlafen, müßt Euch aber schlafend stellen. Sagt das nach und nach den Kameraden! Ich will nicht mit ihnen sprechen, weil dies Verdacht erregen könnte. Also, Ihr braucht vor diesen Tramps nicht demütig zu thun, dürft Euch aber auch nicht zuversichtlich zeigen.“

Sie wußten nicht, daß Kolma Puschi heimlich bei mir gewesen war, und frugen mich, woher ich wisse, daß er kommen werde; ich forderte sie aber auf, wieder hinter mir zu reiten und die Sache ruhig abzuwarten. Es war besser, wenn die Tramps mich so wenig wie möglich mit meinen Gefährten sprechen sahen.

Die Brüder Holbers hielten jetzt ihre Pferde an, bis sie sich bei Dick und Pitt befanden. Da zeigte Hosea auf den letzteren und sagte:

„Das ist er, der Prügelvetter von damals, dem jetzt der Stolz verbietet, du zu mir zu sagen.“

Joel warf einen sehr geringschätzenden Blick auf Pitt und antwortete:

„Er wird noch froh sein, wenn wir ihm erlauben, überhaupt mit uns reden zu dürfen! Also Geld hat er uns schenken wollen?“

„Ja, ein ganzes Vermögen sogar!“

„Und das hast du geglaubt?“

„Fällt mir nicht ein!“

„Sieh ihn doch an! Der, und ein Vermögen! Die reine Dummpfiffigkeit! Er hat uns ködern wollen. Werden uns freilich sehr hüten, auf so einen kindischen Blödsinn hereinzufallen! Komm!“

Sie ritten wieder nach vorn. Dick Hammerdull scherzte:

„Also dummpfiffig sind wir, Pitt Holbers, altes Coon! Das sind zwei Eigenschaften, in welche wir uns teilen können. Wenn es dir recht ist, nehme ich die Pfiffigkeit für mich; du bekommst das übrige.“

„Bin einverstanden! So muß es unter Freunden sein! Dann hat einer dem andern sein Kapital geborgt!“

„Donner! Das war nicht übel geantwortet! Danke dir!“

„Bitte! Gern geschehen!“

Ich wurde jetzt nach vorn gerufen, um mich als Führer an die Spitze des Zuges zu setzen, denn ich hatte bisher nur hier und da durch ein lautes Wort angegeben, welche Richtung zu nehmen sei. Wir waren ziemlich scharf geritten und nun in die Nähe des Zusammenflusses der beiden Rush-Forks gekommen. Die Gegend war wasserreich, und darum wurde die Prairie sehr oft durch größere und kleinere Gruppen von Büschen und Bäumen unterbrochen. Es war also notwendig, daß ich voranritt. Damit mir das aber ja nicht eine Gelegenheit zur Flucht geben möge, nahmen Cox und Old Wabble mich eng in ihre Mitte. Wir hatten wieder einmal eine solche Bauminsel vor uns, als Old Wabble die Hand ausstreckte und rief-

„All devilsl Wer kommt da? Männer, nehmt euch in acht! Haltet die Gefangenen eng zusammen, denn da kommt einer, der alles daran setzen wird, sie zu befreien!“

„Wer ist’s?“ fragte Cox.

„Ein guter Freund von Winnetou und Shatterhand. Old Surehand heißt er. Wenigstens möchte ich darauf schwören, daß er es ist.“

Es kam ein Reiter hinter dem Wäldchen hervor und in voller Carriere auf uns zugej agt. Er war noch weit von uns entfernt; wir konnten sein Gesicht nicht erkennen; aber wir sahen sein langes Haar wie einen hinter ihm wehenden Schleier fliegen. Das gab ihm freilich eine große Ähnlichkeit mit Old Surehand; aber ich sah sofort, daß er nicht die volle, kräftige Gestalt desselben hatte. Es war nicht Old Surehand, sondern Kolma Puschi, welcher uns entgegenkam. Er wollte uns zeigen, daß er auf dem Platze sei.

Er that zunächst, als sähe er uns nicht; dann stutzte er, hielt sein Pferd an und betrachtete uns. Hierauf stellte er Sich, als ob er zur Seite ausweichen wolle, lenkte aber wieder zurück und wartete auf unsere Annäherung. Als wir so weit gekommen waren, daß wir sein Gesicht erkennen konnten, sagte Old Wabble, hörbar im Tone der Erleichterung:

„Es ist nicht Old Surehand, sondern ein Indianer. Das ist gut, sehr gut! Zu welcher Horde er wohl gehören mag?“

„Dumme Begegnungl“ meinte Cox.

„Warum? Viel besser, als wenn es ein Weißer wäre. Braucht sich aber eigentlich auch nicht grad auf unserm Wege herumzutreiben; thi’s clear! Wir müssen ihn etwas scharf drannehmen, daß es ihm nicht etwa einfällt, uns nachzuspionieren.“

Jetzt hatten wir ihn erreicht und hielten an. Er grüßte mit stolzer Senkung seiner Hand und fragte:

„Haben meine Brüder vielleicht einen roten Krieger gesehen, welcher einen Sattel trägt und sein Pferd sucht, welches ihm in dieser Nacht entflohen ist?“

Cox und Old Wabble schlugen ein helles Gelächter auf, und der erstere antwortete:

„Einen roten Krieger, der einen Sattel trägt! Schöner Krieger!“

„Warum lacht mein weißer Bruder?“ fragte der den Tramps unbekannte Indianer ernst und erstaunt. „Wenn ein Pferd entwichen ist, hat man es doch zu suchen!“

„Sehr wahr! Aber wer seine Pferde ausreißen läßt und dann mit dem Sattel hinterher läuft, kann kein sehr berühmter Krieger sein! Ists etwa ein Kamerad von dir?“

„Ja.“

„Habt ihr noch mehr Kameraden?“

„Nein. Während wir in der Nacht schliefen, riß es sich los und war früh nicht mehr zu sehen. Wir brachen auf, nach ihm zu forschen; nun finde ich nicht sein Pferd und auch nicht ihn.“

„Nicht sein Pferd und auch nicht ihn! Lustige Geschichte! Ihr scheint ja zwei außerordentlich tüchtige Kerls zu sein! Da muß man wirklich Respekt bekommen. Zu welchem Stamme gehört ihr denn?“

„Zu keinem.“

„Also Ausgestoßene! Lumpengesindel! Na, ja, ich will menschlich und barmherzig sein und euch helfen. Ja, wir haben ihn gesehen.“

„Wo?“

„So ungefähr zwei Meilen hinter uns. Du brauchst nur auf unserer Fährte zurückzureiten. Er hat uns nach dir gefragt.“

„Welche Worte hat der Krieger da gesagt?“

„Sehr schöne, ehrenvolle Worte, auf welche du sehr stolz sein kannst. Er fragte, ob wir nicht den stinkigsten roten Hund gefunden hätten, den das Ungeziefer durch die Prairie treibt.“

„Mein weißer Bruder hat den Krieger falsch verstanden.“

„Ah? Wirklich? Wie sollte er anders gesagt haben?“

„Ob die Bleichgesichter nicht den Hund gesehen haben, welcher das stinkige Ungeziefer durch die Prairie treibt. So werden die Worte gewesen sein, und der Hund wird das Ungeziefer finden.“

Er nahm das Pferd vorn hoch – eine leise Bewegung der Schenkel – – es flog in einem weiten Bogen durch die Luft und trug ihn dann in schlankem Galoppe weiter, auf unserer Fährte hin, wie ihm gesagt worden war. Alle sahen ihm nach, während er sich nicht ein einziges Mal umblickte. Cox murrte:

„Verfluchter, roter Balg! Was mag er wohl gemeint haben? Habt Ihr diese Umdrehung meiner Worte verstanden, Mr. Cutter?“

„Nein,“ antwortete der alte Wabble. „Indianerwort! Er hat nur etwas sagen wollen und sich selbst nichts dabei gedacht.“

Well! So mag er die zwei Meilen reiten und dann weitersuchen. Ein roter Krieger mit einem Sattel auf dem Rücken! Zwei feine Kerls! Diese armselige Bande kommt immer mehr herunter!“

Wir ritten nach diesem kurzen Intermezzo weiter. Diese Tramps waren keine Westmänner; aber daß auch Old Wabble die Worte des Roten für bedeutungslos gehalten hatte! Mir an seiner Stelle hätten sie ein solches Mißtrauen eingeflößt, daß ich dem Indsman ganz gewiß nachgeritten wäre, um ihn zu beobachten. Wer solche Antworten nicht als Warnungen oder Winke nimmt, der ist den Gefahren des wilden Westens nicht gewachsen.

Wir waren noch nicht weit geritten, als es wieder eine Begegnung gab, und zwar eine für uns sehr wichtige, auf welche, wenigstens heut, keiner von uns gefaßt war und die uns infolge dessen im höchsten Grade überraschend kam.

Wir ritten an einem schmalen Buschstreifen hin, welcher sich wie ein geschlängeltes Band über die Savanne zog, und hatten das Ende desselben erreicht, als wir zwei Reiter sahen, welche mit einem Packpferde, von rechts herüberkommend, auf uns stoßen mußten. Da sie uns auch schon gesehen hatten, gab es kein Verbergen, wedervon ihrer noch von unserer Seite. Wir ritten also weiter und sahen, daß der eine Reiter sein Gewehr zur Hand nahm, wie es immer geschieht, wenn es sich um ein Zusammentreffen mit Fremden handelt.

Als wir ungefähr noch dreihundert Schritte entfernt von ihnen waren, hielten sie an, sichtlich in der Absicht, uns vorüber zu lassen, ohne von uns angeredet zu werden. Old Wabble aber sagte:

„Die wollen nichts von uns wissen, also reiten wir grad hin zu ihnen!“

Dies geschah. Wir waren nur eine kurze Strecke weiter geritten, so hörte ich hinter mir mehrere laute Ausrufe.

„Uff, uff!“ ertönte Schahko Mattos Stimme.

„Uff!“ rief nur einmal Apanatschka, aber um so ausdrucksvoller. Seine Überraschung mußte eine große sein.

Jetzt sah ich schärfer hin, als ich es bisher gethan hatte, und war ebenso erstaunt wie diese beiden. Der Reiter mit dem Gewehre in der Hand war nämlich der weiße Medizinmann der Naiini-Komantschen, unser vielbesprochener Tibo taka, und der andere konnte niemand als nur seine rote Squaw, die geheimnisvolle Tibo wete sein. Ein Packpferd hatten sie ja auf Harbours Farm auch bei sich gehabt.

Der Medizinmann wurde unruhig, als er sah, daß wir nicht grad weiterritten, sondern auf ihn zukamen, doch nur für einige Augenblicke; dann trieb er uns sein Pferd entgegen und rief, indem er die Hand durch die Luft schwenkte:

„Old Wabble, Old Wabble! Welcome! Wenn Ihr es seid, so habe ich nichts zu fürchten, Mr. Cutter!“

„Wer ist der Kerl?“ fragte der alte Cow-boy. „Ich kenne ihn nicht.“

„Ich auch nicht,“ antwortete Cox.

„Werden ja sehen, wenn wir bei ihm sind!“

Old Wabble war an seiner ungeheuer hagern und langen Gestalt und noch mehr an seinem weit herabhängenden weißen Haar, von welchem er freilich gestern die Hälfte durch das Feuer verloren hatte, schon von weitem zu erkennen. Als wir näher kamen, erkannte der Medizinmann auch uns. Er wußte zunächst nicht, ob er fliehen oder bleiben solle, als er aber sah, daß wir gefesselt waren, schrie er vor Freude förmlich auf:

„Old Shatterhand, Winnetou, Schahko Matto und – und und – –“ er wollte den Namen seines angeblichen Sohnes doch nicht nennen – – „und ihre Kerls, alle gebunden! Das ist ja ein wunderbares, ein ganz wunderbares Ereignis, Mr. Cutter! Wie hat sich das zutragen können? – Wie habt Ihr das zustande gebracht?“

Jetzt hatten wir ihn erreicht, und da fragte Old Wabble:

„Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir? Ihr kennt mich? Es ist mir zwar, als ob ich Euch auch kennen sollte, aber ich kann mich nicht besinnen.“

„Denkt doch an den Llano estacado!“

„Wo und wie und wann denn da?“

„Als wir Gefangene der Apatschen waren.“

„Wir! Wer ist da gemeint?“

„Wir Komantschen.“

„Was? Wie? Ihr zählt Euch zu den Komantschen?!“

„Damals, ja, aber jetzt nicht mehr.“

„Und sagtet soeben, daß Ihr jetzt nichts zu fürchten hättet?“

„Ganz recht! Ihr könnt ja unmöglich Freund meiner Feinde sein, denn Ihr habt damals Old Shatterhands Gewehre gestohlen und seid der Kamerad des Generales gewesen. Und auf Harbours Farm erfuhr ich von Bell, dem Cowboy, daß Ihr wieder einen bösen Zusammenstoß mit Winnetou und Old Shatterhand gehabt hättet. Darum bin ich so erfreut, Euch so unerwartet zu begegnen.“

Well! Das ist ja alles gut, aber – –“

„Besinnt Euch nur!“ fiel ihrff der gewesene Komantsche in die Rede. „Ich war damals als Indianer freilich rot gefärbt und so ist – –“

All devils! Rot gefärbt? jetzt besinne ich mich! Ihr seid doch wohl nicht der damalige Medizinmann der Komantschen?“

„Der bin ich allerdings.“

„Ist das die Möglichkeit?! Ein Medizinmann, der, wie ich jetzt sehe, ursprünglich ein Bleichgesicht ist! Interessant, höchst interessant! Das müßt Ihr mir erzählen! Wir werden also hier einen Halt machen, denn das ist ein Abenteuer, wie man selten eins erlebt!“

„Danke, Mr. Cutter, danke sehr! Ich darf mich nicht aufhalten; ich muß weiter, doch hoffe ich, daß wir uns wiedersehen. Ich muß Euch sagen, daß der heutige Tag der glücklichste meines Lebens ist, denn ich sehe, daß Leute in Eure Hände geraten sind, die, wenn es auf mich ankäme, auf der Stelle ausgelöscht würden. Haltet sie fest; – haltet sie fest!“

Während des bisherigen Redewechsels hatte ich den zweiten Reiter betrachtet. Es war die Squaw, und zwar ohne den Schleier, hinter den auf Harbours Farm ihr Gesicht versteckt worden war. Sie trug zwar ein Männerhabit, aber sie war es doch. Das war dieselbe hohe, breitschulterige Gestalt wie damals im Kaarn-kulano. Das war das tiefbraune, durchfurchte und schrecklich eingefallene, fast kaukasisch geschnittene Gesicht, und das waren dieselben trostlosen, starren und doch wild flackernden Augen, bei deren Blick ich sofort an das Irrenhaus gedacht hatte. Sie saß nach Männerart auf dem Pferde, fest und sicher, wie eine geübte Reiterin. Sie lenkte es heran zu uns. Wir hatten unwillkürlich einen Halbkreis um den Medizinmann gebildet, bei dessen einem Ende sie bei dem letzten Worte ihres Mannes angekommen war. Dort hielt sie an, sagte kein Wort und richtete den stieren Blick ins Leere. Ich sah zu Apanatschka hin. Er saß, vollständig unbeweglich, wie eine Statue auf dem Pferde. Für ihn schien niemand vorhanden zu sein als nur diejenige, welche er gewohnt war, seine Mutter zu nennen. Dennoch machte er nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu nähern.

Der Medizinmann hatte mit bemerkbarem Unbehagen seine Squaw herankommen sehen; doch beruhigte ihn ihre vollständige Teilnahmlosigkeit; er wendete sich wieder an Old Wabble:

„Ich muß, wie ich schon sagte, fort; aber sobald wir uns wiedersehen, werdet Ihr erfahren, warum ich mich so riesig darüber freue, daß Ihr diese Kerls gefangen habt. Was wird mit ihnen geschehen?“

„Das wird sich finden,“ antwortete der Alte. „Ich kenne Euch zu wenig, als daß ich Euch diese Frage beantworten könnte.“

Well! Ich bin auch schon so befriedigt, denn ich denke, daß Ihr nicht viele und große Komplimente mit ihnen machen werdet. Sie verdienen den Tod, nur den Tod; das sage ich Euch, und Ihr könnt keine größere Sünde begehen, als wenn Ihr ihnen das Leben laßt. Daß ich sie hier in Banden sehe, ist zehn Jahre meines Lebens wert. Welch eine Augenweide für mich! Darf ich sie einmal genau betrachten, Mr. Cutter?“

„Warum nicht? Seht sie Euch so lange an, wie es Euch gefällt!“

Der Medizinmann ritt nahe an den Osagen heran, lachte ihm in das Gesicht und sagte:

„Das ist Schahko Matto, der so viele Jahre lang vergeblich getrachtet hat, uns zu entdecken! Armer Wurm! Du, und solche Leute fangen, wie wir beide waren und noch heute sind! Dazu reicht ja doch dein armseliges bißchen Hirn nicht aus! Das war doch ein famoser Streich damals, nicht? So viele und dabei so billige Felle zu kaufen, das ist wohl nie wieder einem Menschen gelungen!“

„Mörder! Dieb!“ knirschte ihn der Häuptling an. „Hätte ich meine Hände frei, so erwürgte ich dich!“

„Das glaube ich gern. Würge nur zu, und ersticke selbst daran!“

Nun wendete er sich an Treskow:

„Das ist wohl der famose Polizist, von dem mir der Cowboy sagte, daß er in der Stube sitze? Alberner Kerl! Wonach schnüffelst du denn eigentlich? Lächerliche und vergebliche Arbeit! Nur noch einige Wochen, und es ist alles verjährt. Darum kommen wir wieder. Merkst du das nicht?“

„Laßt diese Wochen vorübergehen!“ antwortete Treskow. „Ihr taucht zu zeitig auf, Monsieur Thibaut.“

Mille tonnerre! Ihr kennt meinen Namen? Ist die Polizei denn plötzlich allwissend geworden? Ich gratuliere, Sir!“

Er ritt zu Apanatschka hin, warf ihm ein kurzes „Ekkuehn!“ in das Gesicht und hielt dann bei Winnetou an.

„Das ist der Häuptling der Apatschen, überhaupt der berührnteste aller Häuptlinge!“ sagte er höhnisch. „Man sieht es dem Bengel gar nicht an, was aus so einem Hunde werden kann! Wir kennen uns; nicht wahr? Ich hoffe, du bist dieses Mal auf dem Wege zu den ewigen jagdgründen. Wenn nicht, so hüte dich, mir zu begegnen! Sonst schieße ich dir eine Kugel durch den Kopf, daß die Sonne Gelegenheit bekommt, dir von zwei Seiten ins Gehirn zu scheinen!“

Winnetou antwortete nicht; er hatte ihn gar nicht angesehen. Er hätte sich trotz der Fesseln die Beleidigung sicher nicht gefallen lassen, wenn dieser Mensch ihm nicht gar zu verächtlich gewesen wäre. Der Medizinmann nutzte die ihm gebotene Gelegenheit bis auf die Neige aus, indem er sein Pferd nun zu mir lenkte. Als Weißer war ich nicht verpflichtet, die stoische Unempfindlichkeit Winnetous zu zeigen, und was meinen Stolz betrifft, so hätte dieser mich wohl veranlassen können, hoch über den einstigen Escamoteur hinwegzusehen; aber die Klugheit drängte mir ein anderes Verhalten auf. ich mußte versuchen, ihn zu unvorsichtigen Äußerungen zu bringen; darum wendete ich, als er kam, ihm mein Gesicht zu und sagte in belustigtem Tone:

„Nun wird die Reihe des berühmten Tibo taka wohl an mich kommen? Hier sitze ich, gefesselt wie ich bin. Ihr habt also Gelegenheit, Euer Herz einmal vollständig auszuschütten. Fangt also an!“

Diable!“ zischte er mich wütend an. „Dieser Kerl wartet gar nicht einmal, bis ich ihn anrede! So eine Frechheit findet doch nicht ihresgleichen! Ja, ich habe mit dir zu reden, Halunke, und das werde ich freilich gründlich thun. Du sitzest mir ganz recht!“

Well! Ich bin bereit, möchte Euch aber, ehe Ihr beginnt, um Euer selbst willen einen wohlgemeinten Rat erteilen.“

„Auch das? Welchen denn? Heraus damit!“

„Seid nicht ganz und gar unvorsichtig, wenn Ihr mit mir redet! Ihr werdet wahrscheinlich noch von früher wissen, daß ich meine Mucken habe!“

„Ja, die hast du; aber die werden dir bald ausgetrieben werden. Ärgert es dich vielleicht, daß ich dich duze? Du kannst dich gegen mich auch des traulichen Du’s bedienen!“

„Danke! Brüderschaft mache ich nie, am allerwenigsten aber mit stupiden, blödsinnigen Idioten, von denen ich mir das Du gefallen lasse, weil sie nicht anders lallen können.“

„Mir das, miserabler Wicht? Denkst du, weil meine Kugel dich einmal gefehlt hat, kann sie dich niemals treffen?“

Er richtete sein Gewehr auf mich und spannte den Hahn; da war Cox im Nu bei ihm, stieß ihm die Waffe weg und warnte:

„Thut die Flinte weg, Sir, sonst muß ich mich ins Mittel legen! Wer Old Shatterhand verletzt, bekommt von mir eine Kugel!“

„Von Euch? Ah! Wer seid Ihr denn?“

„Ich heiße Cox und bin der Anführer dieser Truppe.“

„Ihr? Ich denke, Old Wabble ist’s?“

„Ich bins; das ist genug!“

„Dann entschuldigt, Sir! Ich habe es nicht gewußt. Aber soll man es sich gefallen lassen, wenn man in dieser Weise beleidigt wird?“

„Ich denke, ja! Mr. Cutter hat Euch ohne meine Erlaubnis gestattet, mit diesen Leuten nach Eurem Gutdünken zu reden, und ich habe das bisher geduldet. Wenn sie sich aber Eure Höflichkeiten nicht unerwidert gefallen lassen, so seid Ihr selber schuld. Berühren oder gar verletzen lasse ich sie nicht!“

„Aber reden kann ich mit diesem Manne weiter?“

„Ich habe nichts dagegen.“

„Und ich auch nicht,“ fügte ich hinzu. „Eine Unterhaltung mit einem indianischen Possenreißer ist stets belustigend. Der alte Hanswurst macht mir ungeheuern Spaß!“

Er hob die Hand und ballte sie zur Faust, ließ sie aber wieder sinken und sagte in stolzem Tone:

Pshawl Du sollst mich doch nicht wieder ärgern! Wärest du doch nicht schon Gefangener und begegnetest mir auf der Prairie! Ich wollte dir für den damaligen Besuch im Kaamkulano einen Lohn auszahlen, der alle deine Begriffe übersteigen würde!“

„Ja; die Eurigen und alle Eure geistigen Mittel scheint er schon überstiegen zu haben! Hört, redet einmal aufrichtig! Würdet denn Ihr wohl so etwas fertig bringen, wie dieser Besuch war? Die Hand aufs Herz, Verehrtester! Ich will Euch nicht etwa kränken, denn wem nichts gegeben ist, dem ist eben nichts gegeben, aber ich denke, daß es bei Euch da oben unter dem Hute nicht dazu ausreichen würde!“

„Donnerrrrrr!“ knirschte er. „Mir das so gefallen lassen zu müssen! Wenn ich doch nur könnte und dürfte, wie ich wollte – –!“

„Ja, ja; es fehlt Euch überall! Nicht einmal den Wawa Derrick habt Ihr allein spedieren können; Ihr habt Euch helfen lassen müssen!“

Seine Augen wurden größer; er richtete sie starr auf mich. Er schien mir durch und durch blicken zu wollen, und als ich trotzdem mein unbefangen lächelndes Gesicht beibehielt, rief er aus:

„Was hat dir der verfluchte Kerl, der junge Bender, denn damals weisgemacht?“

Ach! Bender! Dieser Name fängt mit B. an. Ich dachte sofort an die Buchstaben J B. und E. B. droben am Grabe des ermordeten Padre Diterico. Wer war aber unter dem Namen Bender gemeint? So freilich durfte ich nicht fragen; ich gab meiner Erkundigung also eine andere Fassung, indem ich sie so schnell aussprach, daß er keine Zeit zum vorsichtigen Überlegen fand:

„Damals? Wann denn?“

„Damals im Llano estacado, wo er bei dir war und mit seinem eigenen Bru – –“

Er hielt erschrocken inne. Mir ging im kürzesten Teile einer Sekunde, den das menschliche Gehirn noch zu empfinden oder zu messen vermag, ein blitzheller Gedanke auf, und ich setzte seinen unterbrochenen Satz ebenso schnell fort.

„– – mit seinem eigenen Bruder kämpfte? Pshawl Was er mir damals sagte, wußte ich schon längst, wußte es noch viel besser als er selbst! Ich hatte schon viel früher Gelegenheit gehabt, nach dem Padre Diterico zu forschen!“

„Di – te – – ri – – –?!“ dehnte er erschrocken.

„Ja. Solltet Ihr diesen Namen nicht gern aussprechen, so können wir auch Ikwehtsipa sagen, wie er in seiner Heimat bei den Moqui genannt wurde.“

Zunächst war er wortlos; aber es arbeitete in seinem Gesichte; er schluckte und druckte und druckte und schluckte wie einer, dem ein übergroßer Bissen im Schlunde steckengeblieben ist; dann stieß er einen lauten, heisern Schrei aus und brüllte:

„Hund, du hast mich jetzt wieder überlistet, wie du uns damals alle überlistet hast! Du mußt und mußt, und mußt unschädlich gemacht werden! Nimm das dafür!“

Er riß das Gewehr wieder empor; der Hahn knackte und – – –

Cox spornte sein Pferd wieder heran; er wäre aber doch zu spät gekommen, mich vor der Kugel des Wütenden zu retten, wenn ich mir nicht selbst geholfen hätte. Ich bog mich vor, um die Zügel mit gefesselten Händen ganz vorn und kurz fassen zu können, preßte die Füße in die Weichen des Pferdes und rief:

„Tschka, Hatatitla, tschka!“

Dieser Zuruf, den der Rappe sehr wohl verstand, mußte die Nachteile, welche meine Fesseln mir als Reiter brachten, ausgleichen. Der Hengst zog den Körper wie eine Katze zusammen und brachte mich mit einem gewaltigen Satze so eng, daß sich die Pferde streiften, an Thibaut vorüber. Mein Bein traf mit aller Kraft dieses Satzes das seinige und, mitten im Sprunge die Zügel fallen lassend, stieß ich ihm die zusammengebundenen Fäuste so in die Seite, daß er, grad als sein Schuß losging, halb abgestreift und halb abgeschleudert auf der andern Seite aus dem Sattel und in einem weiten Bogen auf die Erde flog.

Es gab in diesem Augenblicke unter den Anwesenden außer Winnetou und der Wahnsinnigen keinen, der nicht einen Schrei des Schreckes, der Überraschung, der Anerkennung ausgestoßen hätte. Mein prächtiger Hengst aber hatte nur diesen Satz gethan, keinen einzigen weitern Schritt, und stand dann so ruhig, wie aus Erz gegossen, da. Ich drehte mich nach dem Medizinmann um. Er raffte sich auf und holte sein Gewehr, welches ihm entfallen war. Seine Augen funkelten vor Wut. Cox nahm ihm das Gewehr aus der Hand und zürnte:

„Ich werde Euer Gewehr halten, bis Ihr fortreitet, Sir, sonst richtet Ihr noch Unheil an! Ich habe Euch gesagt, daß ich keine Feindseligkeit, wenigstens keine thätliche, gegen Old Shatterhand dulde!“

„Laßt ihn nur; laßt ihn immer!“ sagte ich. „Wenn er sich wieder an mich wagt, kommt es noch besser! Ich habe ihn übrigens gewarnt, sich in acht zu nehmen. Der Mensch ist wirklich ganz unheilbar stupid!“

Da keuchte der vor Wut förmlich Zitternde:

„Tötet Ihr ihn, Mr. Cox! Werdet Ihr ihn töten?“

„Ja,“ nickte der Gefragte. „Sein Leben ist Old Wabble zugesprochen.“

„Gott sei Dank! Sonst hätte ich ihn doch noch erschossen, sobald Ihr mir das Gewehr wiedergebt, auch auf die Gefahr hin, dann von Euch erschossen zu werden. Ihr glaubt gar nicht, was für ein oberster aller Teufel dieser Schurke ist! Da ist Winnetou doch der wahre, reine Engel dagegen! Also erschießt ihn; erschießt ihn ja!“

„Was das betrifft, so könnt Ihr sicher sein, daß Euer Wunsch in Erfüllung geht!“ versicherte Old Wabble. „Er oder ich! Von uns zweien hat nur einer Platz auf der Erde, und da ich dieser eine bin, so ist er der andere, der weichen muß. Ich schwöre alle möglichen Eide darauf.“

„So machts nur bald und kurz mit ihm, sonst geht er Euch noch durch!“

Die Squaw war indessen, sich durch nichts, auch durch den Schuß nicht stören lassend, nach dem Busche geritten, hatte einige Zweige abgebrochen, sie kranzförmig zusammengewunden und sich um den Kopf gelegt. Jetzt kam sie zurück, lenkte ihr Pferd zum ersten, besten Tramp, der ihr der nächste war, und sagte, nach dem Kopfe deutend:

„Siehst du, das ist mein Myrtle-wreath! Dieses Myrtle-wreath hat mir mein Wawa Derrick aufgesetzt!“

Da vergaß der frühere Komantsche mich und eilte auf sie zu, aus Angst, daß sie durch ihre Reden eines seiner Geheimnisse verraten könne. Ihr mit der Faust drohend, rief er ihr zu:

„Schweig, Verrückte, mit deinem Unsinn!“ Und sich an die Tramps wendend, erklärte er: „Das Weib ist nämlich wahnsinnig und redet Dinge, welche einem auch den Kopf verdrehen können.“

Er erreichte bei ihnen seinen Zweck, hatte seine Aufmerksamkeit aber dann gleich auf einen andern, nämlich auf Apanatschka zu wenden. Dieser hatte bis jetzt die schon beschriebene Ruhe und Unbeweglichkeit einer Bildsäule bewahrt; nun aber ritt er, als er die Squaw sprechen hörte, zu ihr hin und fragte sie:

„Kennt mich Pia heut? Sind ihre Augen offen für ihren Sohn?“

Sie sah ihn traurig lächelnd an und schüttelte den Kopf. Dennoch fuhr Tibo taka sofort auf Apanatschka los und herrschte ihm zu:

„Was hast du mit ihr zu reden? Schweig!“

„Sie ist meine Mutter,“ antwortete Apanatschka ruhig.

„Jetzt nicht mehr! Sie ist eine Naiini, und du hast den Stammverlassen müssen. Ihr geht einander nichts mehr an!“

„Ich bin Häuptling der Komantschen und laß mir von einem Weißen, der sie und mich betrogen hat, nichts befehlen. Ich werde mit ihr sprechen!“

„Und ich bin ihr Mann und verbiete es!“

„Verhindere es, wenn du kannst!“

Tibo taka wagte es nicht, sich an Apanatschka, obgleich dieser gefesselt war, zu vergreifen; er wendete sich an Old Wabble:

„Helft mir, Mr. Cutter! Ihr seid der Mann, dem ich Vertrauen schenke. Er, mein früherer Pflegesohn, ist es, wegen dem meine Frau wahnsinnig geworden ist. So oft sie ihn sieht, wird es mit ihr schlimmer. Er mag sie in Ruhe lassen. Also, helft mir, Sir!“

Old Wabble war wohl eifersüchtig darauf, daß Cox sich als Anführer bezeichnet hatte; jetzt bot sich ihm eine willkommene Gelegenheit, zu zeigen, daß er auch etwas zu sagen habe; er ergriff dieselbe und wies Apanatschka in befehlendem Tone zurück:

„Mach, daß du wegkommst von ihr, Roter! Du hast gehört, daß sie dich nichts angeht. Weg also; packe dich!“

In diesem Tone mit sich sprechen zu lassen, das lag Apanatschka freilich fern. Er maß den alten Cow-boy mit einem verächtlichen Blicke und fragte dann:

„Wer spricht da zu mir, dem obersten Häuptling der Komantschen vom Stamme der Kanean? Ist’s ein Frosch, welcher quakt, oder eine Krähe, welche schreit? Ich sehe niemand, der mich hindern könnte, mitder Squaw zu sprechen, welche meine Mutter war!“

„Oho! Frosch! Krähe! Drücke dich höflicher aus, Bursche, sonst wirst du erfahren, wie man einen König der Cow-boys zu achten hat!“

Er drängte sich mit seinem Pferde zwischen Apanatschka und die Frau. Der Komantsche wich einige Schritte zurück und lenkte sein Pferd auf die andere Seite; der Alte folgte ihm auch dorthin. Apanatschka ritt weiter, Old Wabble auch. So bewegten sie sich in zwei Kreisen um die Frau, und zwar derart, daß sie den Mittelpunkt bildete, den Cutter stets gegen den Komantschen deckte. Dabei hielten sich die beiden fest in den Augen.

„Laßt das sein, Cutter!“ rief Cox diesem zu. „Laßt das Vater und Sohn miteinander abmachen! Euch geht es doch gar nichts an!“

„Ich bin zur Hilfe aufgefordert worden!“ antwortete der Alte.

„Seid Ihr der Anführer, oder bin ich es?“

„Ich bin es, denn ich habe Euch engagiert!“

„Und das glaubt Ihr durchzusetzen?“

Yes, sehr! Einen Roten, der noch dazu gefesselt ist, werde ich schon im Zaum halten können!“

„Gefesselt? Pshaw! Denkt an Old Shatterhand und den Fremden! Der Rote ist ein ganz anderer Kerl, als Ihr seid.“

„Er mag’s versuchen!“

Well! Ganz, wie Ihr wollt! Mich soll es nichts mehr angehen!“

Nun waren alle Augen auf die beiden Gegner gerichtet, welche sich noch immer auf ihren Kreislinien bewegten, Old Wabble auf der innern und Apanatschka auf der äußern. Die Frau hielt ganz geistesabwesend in der Mitte. Tibo taka stand in der Nähe und war wohl am meisten auf den Ausgang dieser eigenartigen Scene gespannt. Nach Verlauf einiger Zeit fragte Apanatschka:

„Wird Old Wabble mich endlich zu der Squaw lassen?“

„Nein!“ erklärte der Alte.

„So werde ich ihn zwingen!“

„Versuche es doch!“

„Und dabei den alten Indianermörder gar nicht schonen!“

„Ich dich auch nicht!“

„Uff! So behalte die Squaw für dich!“

Er wendete sein Pferd und that, als ob er seinen Kreis verlassen wolle. Wie ich Apanatschka kannte, war dies nur eine Finte; er wollte die Aufmerksamkeit des Alten, wenn auch nur für einen Augenblick, von sich ablenken. Die Entscheidung nahte, Old Wabble ließ sich auch wirklich täuschen. Er wendete auch nach dorthin, wo Cox hielt, und rief in selbstgefälligem Tone:

„Nun, wer hatte recht? Fred Cutter, und sich von einem Roten werfen lassen! Das ist ein Ding der Unmöglichkeit; th’is clear!“

„Paßt auf; paßt auf! er kommt!“ ertönten da die warnenden Stimmen mehrerer Tramps.

Der Alte wendete sich selbst zurück, nicht aber das Pferd. Er sah ihn in gewaltigen Sprüngen auf sich zureiten und schrie vor Schreck laut auf, denn auszuweichen, das war für ihn schon zu spät. Es waren nur wenige Augenblicke, in denen sich dies und das Folgende abspielte, und die Seelen aller Zuschauer traten in die Augen. Mein und meines Hatatitla Sprung, vorhin gegen den Medizinmann gerichtet, war nur ein im Westen sogenannter Force- and adroitness-Sprung gewesen; Apanatschka hatte es viel anders, viel verwegener vor: Den gellenden Angriffsschrei der Komantschen ausstoßend, flog er auf den Alten zu und genau in querer Richtung so über dessen Pferd hinweg, als ob sich gar kein Reiter im Sattel befände. Er wagte sein Leben dabei, weil ihm die Hände zusammen- und die Füße an das Pferd gebunden waren und weil er an Old Wabble prallen mußte. Doch kam er glücklich hinüber. Als sein Pferd den Boden berührte, hätte es sich beinahe überschlagen, – er warf sich schnell nach hinten und riß es dabei vorn empor; es schoß noch eine kleine Strecke fort und wurde dann gehalten. Ich holte tief, tief Atem, denn es war mir um ihn sehr angst gewesen.

Und Old Wabble? Der war wie von einer Kanonenkugel aus dem Sattel geprellt und dabei sein Pferd mit umgerissen worden; es wälzte sich einige Male hin und her und stand dann unbeschädigt wieder auf; er aber blieb besinnungslos am Boden liegen. Es gab eine Aufregung, ein Durcheinander sondergleichen; wir hätten jetzt unschwer die Flucht ergreifen können und wären gewiß auch glücklich entkommen, doch ohne unser Eigentum; darum blieben wir.

Cox kniete bei dem Alten und bemühte sich um ihn. Er war nicht etwa tot und erwachte auch sehr bald aus seiner Betäubung; aber als er dann aufstehen und sich dabei auf die Arme stützen wollte, konnte er dies nicht. Er mußte aufgerichtet werden, und als er nun bebend, schlotternd und wabbelnd dastand, fand es sich, daß er nur einen Arm bewegen konnte; der andere hing ihm am Leibe herab; er war gebrochen.

„Habe ich Euch nicht gewarnt!“ wurde er von Cox angefahren, was freilich das Geschehene nicht ändern oder verbessern konnte. „Nun habt Ihr die Folgen! Was zählt euer Cow-boy-Königstitel, wenn Ihr gegen Euren alten, über neunzigjährigen Körper einen Gegner habt, wie dieser Apanatschka ist!“

„Schießt ihn über den Haufen, den verfluchten Kerl, der mich mit seiner Finte übertölpelt hat!“ stieß der Alte grimmig hervor.

„Warum denn gleich erschießen?“

„Ich befehle es! Hört Ihr, ich befehle es! Nun, wird es bald?!“

Es gab natürlich keinen, der ihm gehorchte. Da schrie und tobte er eine Weile aus vollem Halse, bis er seinerseits von Cox angebrüllt wurde:

„Nun gebt einmal Ruhe, sonst lassen wir Euch stehen und reiten fort! So wie Ihr brüllen j a die wilden Tiere! Bekümmert Euch lieber um Euren Arm! Man muß sehen, wie da zu helfen ist!“

Er sah ein, daß dies das Richtige war, und ließ sich die alte Jacke vom Leibe ziehen, was aber nicht ohne große Schmerzen ging. Nun tasteten Cox und nach ihm andere Tramps an dem Arm herum, wobei der Alte vor Schmerzen bald brüllte und bald stöhnte. Keiner verstand etwas. Da wendete sich Cox an uns:

„Hört, Mesch’schurs, ist einer unter euch, der sich auf Wunden und dergleichen versteht?“

„Unser Haus- und Hofarzt ist stets Winnetou,“ antwortete Dick Hammerdull. „Wenn Ihr an seiner Nachtklingel zieht, wird er sogleich erscheinen.“

Da irrte sich der Dicke, denn als der Apatsche aufgefordert wurde, den Arm zu untersuchen, erklärte er abweisend:

„Winnetou hat nicht gelernt, Mörder zu kurieren. Warum werden wir jetzt, da man unserer Hilfe bedarf, auf einmal Mesch’schurs genannt? Warum sind wir das nicht schon vorher gewesen? Hat der alte Cow-boy vorhin seinen Willen durchgesetzt, so mag er auch jetzt thun, was ihm beliebt. Winnetou hat gesprochen!“

„Er ist aber doch auch ein Mensch!“

Sonderbarer Einwurf, das! Vom Anführer dieser Menschen! Winnetou antwortete natürlich nicht. Wenn er einmal sagte, daß er gesprochen habe, so war er fest entschlossen und es gab für ihn kein weiteres Wort. Dick Hammerdull bemächtigte sich der Rede:

„Ihr findet auf einmal, daß ein Mensch unter euch ist? Ich denke, daß wir auch keine wilden Tiere, die man nach Belieben fangen oder wegschießen kann, sondern Menschen sind! Werden wir als solche behandelt?“

„Hm! Das ist eine ganz andere Sache!“

„Ob es eine andere oder keine andere ist, das bleibt sich gleich, wenn sie nur eben anders ist! Laßt uns frei, und gebt unsere Sachen alle heraus, so wollen wir den alten Kerl so zusammenkurieren, daß Ihr Eure Freude an ihm habt. Übrigens ist kein Geschöpf auf Erden so leicht zu verbinden wie grad Cutter; er besteht ja nur aus Haut und Knochen. Zieht ihm das Fell herunter und wickelt es ihm um den Knochenbruch, so bleibt noch eine ganze Menge Haut für andere, ihm auch sehr anzuwünschende Brüche übrig! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, ja,“ nickte der Lange. „Und wenn es einige Hundert wären, ich würde ihm keinen einzigen mißgönnen, lieber Dick.“

Cutter stöhnte und wimmerte zum Erbarmen. Die Knochenspitzen stachen ihm, sobald der Arm berührt wurde, in das Fleisch; Cox ging zu ihm hin, kam aber sehr bald wieder und sagte zu mir:

„Ich höre von Old Wabble, daß Ihr auch so etwas wie Chirurgus seid. Nehmt Euch doch seiner an!“

„Ist das sein Wunsch?“

„Ja.“

„Und Ihr traut es mir auch wirklich zu, daß ich mich seiner erbarme?“

„Ja.“

„Obgleich ich ein von ihm dem Tode geweihter Mann bin?“

„Ja. Vielleicht besinnt er sich noch anders und läßt Euch laufen.“

„Schön! Ich höre, daß er der allervortrefflichste Mensch ist, den es nur geben kann. Mich vielleicht, nämlich „vielleicht“ laufen lassen! Wißt Ihr denn nicht, was Ihr mit diesen Worten ausgesprochen habt! Eine Dummheit, die ihresgleichen sucht, eine Unverfrorenheit, die bis zum Himmel reicht! Eine so unverschämte, beispiellose Frechheit, daß einem die Gedanken darüber vergehen möchten! Habt Ihr denn gar nicht bemerkt, daß wir vorhin alle hätten davonreiten können, wenn es nur unser Wille gewesen wäre? Glaubt Ihr denn wirklich, in uns nur Schafe mit euch herumzuschleppen, die man führt, wohin man will, und schlachtet, wann es einem beliebt? Wenn ich nun sage, daß ich dem Alten nur dann helfen werde, wenn ihr uns freigebt?“

„Darauf gehen wir natürlich nicht ein!“

„Und wenn ich nur die Forderung stelle, daß ich nicht ermordet, sondern gleich meinen Gefährten hier behandelt werden soll?“

„Vielleicht läßt sich mit ihm darüber reden!“

„Vielleicht! Kann mir mit einem Vielleicht gedient sein?“

Well! Soll ich hingehen und ihn fragen?“

„Ja.“

Er verhandelte längere Zeit mit Old Wabble, kam dann zurück und benachrichtigte mich:

„Er hat einen starren Kopf; er bleibt dabei, daß Ihr sterben müßt; lieber will er Schmerzen ertragen. Er hat einen zu großen Haß auf Euch geworfen.“

Das war meinen Gefährten doch zu stark; das hatten sie nicht für möglich gehalten; sie ergingen sich darüber in allen möglichen, nur aber keinen freundlichen Ausdrücken.

„Ich kann es nicht ändern!“ meinte Cox. „Nun werdet Ihr Euch natürlich seiner nicht annehmen, Mr. Shatterhand?“

„Warum nicht? Ihr habt vorhin gesagt, er sei doch auch ein Mensch. Das war falsch. Das richtige ist, daß ich von mir sage: Ich bin auch ein Mensch und werde menschlich handeln. Ich will also über alles andere hinweg und in ihm nur den Leidenden sehen. Was Ihr dabei, von ihm ganz abgesehen, für eine unendlich traurige und doch zugleich lächerliche Rolle spielt, das wird Euch baldigst unter die Nase gerieben werden; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Etwa von Euch?“

„Ob von mir oder von anderer Seite, das bleibt sich gleich, wie unser Hammerdull zu sagen pflegt. Ich meine nur im allgemeinen, daß für jeden Menschen einmal die Stunde schlägt, in welcher mit ihm abgerechnet wird, für Euch und mit Euch also auch! Kommt!“

Meine Kameraden wollten mich zurückhalten; sie zankten sich geradezu mit mir, am meisten Treskow; ich ließ sie schließlich aber denken und sagen, was sie wollten, wurde vom Pferde gebunden und ging zu Cutter hin. Er machte die Augen zu, um mich nicht sehen zu müssen. Man hatte mir natürlich die Hände freigegeben. Der Armbruch war ein doppelter und bei seinem Alter fast unheilbarer und sehr gefährlicher.

„Wir müssen fort von hier,“ entschied ich, „denn wir brauchen Wasser. Wir haben aber nicht weit zu reiten, denn der Fluß ist in der Nähe. Reiten wird er können; es ist ja bloß der Arm verletzt.“

Cutter ließ eine ganze Reihe von Flüchen hören und schwor Apanatschka die grauenhafteste Rache zu.

„Ihr seid wirklich nicht mehr unter die Menschen zu rechnen!“ unterbrach ich ihn. „Reicht denn Euer Verstand wirklich nicht hin, um einzusehen, daß Ihr Euch alles selbst zuzuschreiben habt?“

„Nein; dazu reicht er wirklich nicht!“ höhnte er.

„Hättet Ihr den Komantschen nicht herausgefordert, so wäret Ihr nicht von ihm vom Pferd geritten worden.“

„Aber mußte ich dabei den Arm brechen?!“

„Auch daran seid Ihr selber schuld.“

„Wieso denn? Ich bin begierig darauf, wie Eure große Weisheit mir das erklären wird.“

„Euer Arm wäre heil geblieben, wenn Ihr mir nicht meine Gewehre genommen hättet.“

„Wie kommen die Gewehre mit dem Armbruch in Verbindung?“

„Ich sah ganz deutlich, wie Ihr vom Pferde gerissen wurdes; Ihr hattet sie umhängen; beim Aufschlag auf die Erde kam Euer Arm zwischen sie, und da hatten sie die Wirkung zweier Brechstangen; daher auch der Doppelbruch. Hättet Ihr Euch nicht mit meinem Eigentum befaßt, so wäret Ihr heil vom Boden aufgestanden.“

„Das sagt Ihr nur, um mich zu ärgern. Pshaw!“

„Nein; es ist die Wahrheit, ganz gleich, ob Ihr es glaubt oder nicht.“

„Ich glaube, was ich will, und nicht, was Euch gefällt! jetzt werdet Ihr wieder gebunden, und dann geht es nach dem Flusse. Verdammt sei dieser Fremde mit seinem Weibe! Wären sie nicht gekommen, so hätte das alles nicht geschehen können! Und da soll es eine Vorsehung, einen Gott geben, der nicht besser auf seine Menschen Achtung giebt!“

Also selbst jetzt konnte sich dieser schreckliche Mensch nicht enthalten, Gott zu leugnen oder vielmehr zu lästern! Ich ließ mich bereitwillig wieder anbinden, obgleich ich so schöne Gelegenheit gehabt hätte, zu entfliehen. Als ich beim alten Wabble stand, war ich vollständig frei gewesen. In der Nähe lagen meine Gewehre noch an der Erde, und mein Rappe wartete auf mich. Es wäre das Werk einer halben Minute gewesen, mit den Waffen auf das Pferd und dann fortzukommen. Aber was dann? Ich wäre natürlich dann dem Zuge gefolgt, um die Gefährten des Nachts zu befreien; aber die Tramps hätten das vorausgesehen und sie mit zehnfacher Aufmerksamkeit bewacht. Jetzt aber waren sie ahnungslos, und so mußte uns heut abend unsere Befreiung durch Kolma Puschi viel, viel leichter werden. Darum hatte ich diese Gelegenheit zur Flucht so unbenützt vorübergehen lassen.

Apanatschka befand sich neben der Squaw und sprach mit ihr, ohne allen Erfolg. In der Nähe hielt Thibaut und beobachtete sie mit verhaltenem Zorne; er getraute sich nicht, dem Komantschen hinderlich zu sein. Die ihm von mir erteilte Lehre hatte gewirkt. Selbst als ich jetzt zu ihnen hinritt, sagte er nichts, machte sich aber noch näher herbei.

Ich hörte zu; es waren die gewöhnlichen Worte, welche Apanatschka aus ihr herausbrachte, sonst nichts.

„Ihr Geist ist fort und will nicht wiederkommen!“ klagte er. „Der Sohn kann nicht mit seiner Mutter sprechen; sie versteht ihn nicht!“

„Laß es mich einmal versuchen, ob ihre Seele zurückzurufen ist!“ forderte ich ihn auf, indem ich auf ihre andere Seite ritt.

„Nein, nein!“ rief Thibaut. „Old Shatterhand darf nicht mit ihr reden; ich dulde das nicht.“

„Ihr werdet es dulden!“ fuhr ich ihn drohend an. „Apanatschka, bewache ihn, und wenn er die geringste drohende Bewegung macht, so reitest du ihn nieder, aber gleich so, daß er Arme und Beine bricht! Ich helfe mit!“

„Mein Bruder Shatterhand kann sich auf mich verlassen,“ antwortete Apanatschka; „er mag mit der Squaw sprechen, und wenn der weiße Medizinmann nur eine Hand bewegt, wird er im nächsten Augenblicke eine unter den Pferdehufen zertretene Leiche sein!“

Er postierte sich ganz nahe an Thibaut hin, und da ich wußte, daß er seine Drohung wahr machen würde, so fühlte ich mich sicher.

„Bist du heut im Kaam-kulano gewesen?“ fragte ich die Frau.

Sie schüttelte den Kopf und sah mich mit so geistesleeren Augen an, daß sie mir förmlich wehe thaten. Selbst die Leere kann aggressiv wirken.

„Hast du einen Nina Ta-a-upa?“ fragte ich weiter.

Sie schüttelte abermals den Kopf.

„Wo ist dein To-ats?“

Abermaliges Schütteln.

„Hast du deine Kokheh gesehen?“

Ganz dasselbe gedankenlose Schütteln wieder überzeugte mich, daß sie für Fragen, welche das Komantschenleben betrafen, jetzt unempfänglich sei. Ich machte einen andern Versuch.

„Hast du Wawa Ikwehtsi’pa gekannt?“

„Ik – – weh – – tsi’pa – –“ hauchte sie.

„Ja. Ik – – weh – – tsi – – ‚pa – –“ wiederholte ich jede Silbe mit Betonung.

Da antwortete sie, zwar wie im Traume, aber doch:

„Ikwehtsi’pa ist mein Wawa.“

Also hatte ich richtig vermutet: Sie war die Schwester des Padre.

„Kennst du Tehua? Te – – hu – – a!“

„Tehua war Ikokheh.“

„Wer ist Tokbela? Tok – – be – – la!“

„Tokbela ist nuuh.“

Sie war aufmerksam geworden. Die auf ihre Kindheit und Jugend bezüglichen Worte machten Eindruck auf sie. Ihr Geist kehrte in die vor ihrem Irrsinn liegende Zeit zurück und suchte vergeblich Licht in diesem Dunkel. Darin bestand ihr Wahnsinn. Wenn ein Klang aus jener Zeit an ihr Ohr tönte, war es leicht begreiflich, daß da ihr Geist aus der Tiefe des Vergessens stieg. Ihr Blick war nicht mehr leer; er begann, sich zu füllen. Da wir aufbrechen wollten und die Zeit also höchst kostbar war, brachte ich nun gleich die Frage, welche heut für mich die wichtigste war:

„Kennst du Mr. Bender?“

„Bender- Bender – – – Bender – – –“ sagte sie mir nach, indem ein freundliches Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.

„Oder Mrs. Bender?“

„Bender – – Bender – –!“ wiederholte sie, wobei ihr Auge immer heller, ihr Lächeln immer freundlicher und ihre Stimme immer klarer und bestimmter wurde.

„Vielleicht Tokbela Bender?“

„Tokbela – – Bender – – bin ich nicht!“

Jetzt sah sie mich voll und mit Bewußtsein an.

„Oder Tehua Bender?“

Da schlug sie die Hände froh zusammen, als ob sie etwas Längstgesuchtes jetzt gefunden hätte, und antwortete mit fast wonnigem Lächeln:

„Tehua ist Mrs. Bender, jawohl, Mrs. Bender!

Hat Mrs. Bender ein Baby?

Zwei Babies!

Mädchen?“

„Zwei Babies sind Knaben. Tokbela trägt sie auf den Armen.“

„Wie nennst du diese Babies? Die Babies haben Namen!

Babies sind Leo und sind Fred.

Wie groß?

Fred so und Leo so!“

Sie deutete mir mit den Händen an, wie hoch die Knaben, vom Sattel an gerechnet, gewesen waren. Der Erfolg meiner Fragen war über alles Erwarten günstig. Ich sah die Augen Thibauts, den Apanatschka noch immer in Schach hielt, mit mühsam verhaltener Wut auf mich gerichtet, wie diejenigen eines blutdürstigen Raubtieres, welches im Begriff steht, sich auf seine Beute zu stürzen; aber daraus durfte ich mir nichts machen. Die Erinnerung der Frau war zurückgekehrt, und wenn ich das klug und schnell ausnützte, konnte ich heut so ganz ohne Erwarten alles erfahren, was ich wissen mußte, um in das Leben Old Surehands und Apanatschkas Licht zu bringen. Es war ja, als ob grad ich dazu bestimmt sei, dies Licht zu schaffen. Schon neigte ich mich der Squaw wieder zu, um eine neue Frage auszusprechen, als ich zu meinem größten Leidwesen daran verhindert wurde. Zwei Tramps brachten mir den Bärentöter und den Henrystutzen, wobei der eine mir sagte:

„Old Wabble will, daß Ihr Eure Unglücksgewehre, welche den Leuten die Knochen zerschlagen, selber schleppen sollt. Wir werden sie Euch umhängen.“

„Das muß ich selber thun. Macht mir nur für einen Augenblick die Hände frei! Dann könnt ihr sie mir wieder zusammenbinden.“

Sie thaten dies, und daß ich nun wenigstens diese beiden Waffen wieder hatte, söhnte mich mit dem Umstande aus, daß mein Gespräch mit der Squaw ein Ende hatte nehmen müssen, denn die Tramps bestiegen ihre Pferde; es sollte aufgebrochen werden. Auch wenn dieser Aufbruch nicht gewesen wäre, hätte ich auf fernere Fragen verzichten müssen, denn in der kurzen Zeit, während ich mir die Gewehre umhing, hatte das Gesicht des armen Weibes schon wieder den trostlosen, geistesleeren Ausdruck angenommen wie vor meiner Unterredung mit ihr.

Ich wollte Apanatschka beobachten, wie er sich jetzt zu Tibo taka und Tibo wete verhalten werde; er kam aber zu mir und fragte mich:

„Der weiße Medizinmann wird sich nun von den Tramps trennen wollen?“

„Höchst wahrscheinlich.“

„Er nimmt die Squaw mit?“

„Ja, natürlich!“

„Uff! Kann sie nicht mit uns reiten?“

„Nein.“

„Warum sollte sie das nicht können?“

„Apanatschka mag mir erst vorher sagen, warum er den Wunsch hat, daß sie bei uns bleiben soll.“

„Weil sie meine Mutter ist.“

„Die ist sie nicht.“

„Wenn sie es wirklich nicht sein sollte, so hat sie mich doch lieb gehabt und mich so gehalten, als ob ich ihr Kind sei.“

„Gut! Aber pflegen die Krieger der Komantschen, auch wenn sie Häuptlinge sind, ihre Squaws oder Mütter mitzunehmen, wenn sie so viele, viele Tagesreisen weit reiten und schon vorher wissen, daß sie mancherlei Gefahren zu bestehen haben werden?“

„Nein.“

„Warum will Apanatschka diese Squaw bei sich haben? Ich vermute, daß es für ihn einen ganz besonderen Grund dazu giebt.“

„Es giebt einen Grund: Sie soll nicht bei dem Bleichgesichte bleiben, der sich für einen roten Mann ausgegeben und die Krieger der Naiini viele Jahre lang damit betrogen hat.“

„Er wird sie nicht hergeben.“

„So zwingen wir ihn!“

„Das ist unmöglich. Apanatschka vergißt, daß wir gefangen sind.“

„Wir werden es nicht lange sein!“

„Dürfen wir das den Tramps sagen? Und würden sie selbst für diese kurze Zeit eine Squaw bei sich dulden?“

„Nein. Aber wo will der weiße Medizinmann mit der Squaw hin? Was will er mit ihr thun? Wenn wir ihn mit ihr fortlassen, werde ich die niemals wiedersehen, welche ich für meine Mutter gehalten habe!“

„Apanatschka irrt; er wird sie wiedersehen.“

„Wann?“

„Vielleicht schon in sehr kurzer Zeit. Mein Bruder Apanatschka mag an alles denken! Der weiße Medizinmann giebt sie nicht her; die Tramps nehmen sie nicht mit, und uns würde sie nur stören, ganz abgesehen davon, daß wir heut gefangen und gar nicht unsere eigenen Herren sind. Wenn Tibo taka sie aber mit sich nimmt, fällt dies alles fort, und du wirst sie in kurzer Zeit wiedersehen.“

„Aber der weite Ritt ist zu schwer für sie!“

„Mit uns müßte sie vielleicht noch weiter reiten!“

„Und Tibo taka wird nicht gut und freundlich mit ihr sein!“

„Das war er auch am Kaam-kulano nicht; sie ist es also gewöhnt. Übrigens ist ihr Geist nur selten bei ihr, und es wird ihr also nicht bewußt, wenn er nicht freundlich mit ihr ist. Und sodann scheint er die weite Reise zu einem Zwecke unternommen zu haben, der ihre Gegenwart erheischt; er wird folglich so aufmerksam und sorglich für sie sein, daß sie keinen Schaden nimmt. Mein Bruder Apanatschka mag sie also mit ihm reiten lassen! Das ist der beste Rat, den ich ihm geben kann.“

„Mein Bruder Old Shatterhand hat es gesagt, und so mag es geschehen; er weiß stets, was für seine Freunde nützlich ist.“

Jetzt war man endlich damit fertig geworden, Old Wabble die Jacke wieder anzuziehen und ihn auf das Pferd zu bringen; nun konnte man weiterreiten. Es war ein Unsinn, seinen Arm wieder in den Ärmel zu zwingen. Wenn man ihm die Jacke einstweilen nur umhing, wurden ihm die großen Schmerzen erspart. Es konnte mir aber gar nicht einfallen, ein Wort dagegen zu sagen. Er hatte die Schmerzen mehr als reichlich verdient, und wenn er sie nun bis auf die Neige auskostete, so fühlte ich in mir keine Pflicht, etwas dagegen einzuwenden.

Tibo taka bestieg auch sein Pferd, auf welches er, seit ich ihn von demselben geworfen hatte, nicht wieder gekommen war. Er ritt zum alten Wabble hin, um Abschied zu nehmen.

„Nehmt meinen Dank, Mr. Cutter, daß Ihr Euch so kräftig meiner angenommen habt!“ sagte er. „Wir werden uns wiedersehen, und dann sollt Ihr so vieles und verschiedenes – –“

„Seid so gut, und schweigt!“ unterbrach ihn der Alte, „Euch hat mir der Teufel in den Weg geführt, wenn es überhaupt einen Teufel giebt, was ich gar nicht glaube. Euretwegen ist mir der Arm wie Glas zerschlagen worden, und wenn Euch dieser Teufel, den es für Euch dann hoffentlich giebt, so einige Jahrmillionen lang in der Hölle braten wollte, so würde ich ihn für den einsichtsvollsten Gentleman halten, den es unter allen guten und bösen Geistern giebt.“

„Euer Arm thut mir leid, Mr. Cutter. Hoffentlich heilt er schnell und gut. Die schönsten Pflaster habt Ihr ja in den Händen.“

„Welche wären das?“

„Die Kerls, welche Eure Gefangenen sind. Legt täglich ein solches Pflaster auf, so werdet Ihr sehr bald wieder gesund sein.“

„Das soll wohl heißen, daß ich täglich einen erschießen soll?“

„Ja, nichts anderes.“

Well, der Rat ist gut, und vielleicht befolge ich ihn; am meisten würde es mir Vergnügen gewähren, wenn Ihr die Gewogenheit hättet, das erste Pflaster sein zu wollen; aber auch nach dem wenigen, was ich hier von Euch gesehen und gehört habe, kann es mir nur lieb sein, Euch jetzt loszuwerden; th’is clear. Macht Euch also aus dem Staube, und laßt Euch nicht mehr vor meinen Augen sehen!“

Da ließ der Medizinmann ein höhnisches Gelächter hören und erwiderte:

„Das müssen wir abwarten, alter Wabble. Mir liegt auch nichts daran, mit so einem alten Schurken, wie Ihr seid, jemals wieder zusammenzutreffen; aber wenn es doch einmal, natürlich ganz gegen meinen Willen, geschehen sollte, so wird mein Willkommen nicht weniger freundlich sein, als es jetzt Euer Abschied ist. Reitet in die Hölle!“

„Verfluchter Kerl! Schickt ihm doch eine Kugel nach!“ brüllte der Alte.

Es fiel niemandem ein. Thibaut ritt, von der Squaw gefolgt, unbelästigt von dannen, nach links hinüber, also in derselben Richtung, welche er eingehalten hatte, als er uns vorhin begegnet war.

„Ob wir ihn aber auch wiedersehen werden!“ sagte Apanatschka halblaut vor sich hin.

„Sicher,“ antwortete ich.

„Hat mein weißer Bruder wirklich so bestimmte Gründe, dies zu denken?“

„Ja.“

Winnetou, welcher sich jetzt neben uns befand und die Frage des Komantschen und meine Antwort gehört hatte, fügte hinzu:

„Was Old Shatterhand gesagt hat, wird geschehen. Es giebt Dinge, die man nicht genau vorher wissen kann, aber um so bestimmter vorher fühlt. Dieses Vorgefühl hat er jetzt, und ich habe es auch; es wird zutreffen!“

Ich mußte mich wieder an die Spitze des Zuges setzen, und bald war der Fluß erreicht, wo wir abstiegen. Während einige Tramps nach einer bequemen Furt suchten, wurde ich wieder vom Pferde genommen, um den alten Wabble zu verbinden. Das nahm geraume Zeit in Anspruch, und ich kann mich nicht rühmen, mein Werk mit allzu großer Zartheit ausgeführt zu haben. Der alte Cow-boy heulte oft laut auf vor Schmerzen und bedachte mich mit Schimpfworten und Redensarten, welche man auf dem Papiere unmöglich wiedergeben kann.

Als ich mit ihm fertig war und wieder auf dem Pferde saß, war eine Furt gefunden worden. Wir setzten hinüber und folgten auf der andern Seite dem Wasser, bis wir den Zusammenfluß der beiden Arme erreichten. Wir umritten den Bogen des Südforks und dann westnordwestlich über die Prairie, von welcher Kolma Puschi gesprochen hatte.

Sie war nicht eben, sondern bildete eine langsam ansteigende, zuweilen mit Senkungen versehene Fläche, welche parkähnlich mit Gesträucheilanden bestanden war. Hier gab es eine Menge wilder Truthühner, von denen die Tramps nach und nach ein halbes Dutzend erlegten, aber wie! Es war die wahre Sauschießerei!

Am Spätnachmittag sahen wir grad vor uns eine Höhe aufsteigen, gewiß diejenige, an deren Fuße die Quellen lagen, deren nördlichste ich zu suchen hatte. Ich hielt mich jetzt also mehr rechts und erst dann wieder links, als der Berg genau im Süden vor uns lag. Auf diese Weise mußten wir den erwähnten Spring zuerst zu sehen bekommen. Ich war sehr neugierig darauf, ob der Scharfsinn Kolma Puschis sich bewahrheiten und die Lage und Umgebung der Quelle eine für unsern heutigen Zweck passende sein werde.

Je näher wir kamen, desto deutlicher sahen wir, daß der Berg bewaldet war und uns einige Ausläufer dieses Waldes entgegenschickte. Es begann schon zu dunkeln, als wir ein kleines Wasser erreichten, dem wir im Galoppe entgegenritten, um noch vor Einbruch der Finsternis bei seinem Ursprunge anzukommen. Wir langten bei diesem Ziele an, als eben die letzten Schimmer der Dämmerung zu erlöschen begannen. Das war mir lieb, denn nun konnten die Tramps, falls ihnen der Ort nicht gefiel, nicht daran denken, bei finsterer Nacht einen andern aufzusuchen.

Ob wir uns an dem Spring befanden, den Kolma Puschi gemeint hatte, das wußte ich nicht genau, dachte aber, daß er es sein werde. Er kam unter einem kleinen, mit Moos bedeckten Steingewirr hervor, und zwar an einem engen Grasplatze, welcher von den Bäumen und Sträuchern in drei Abteilungen geteilt wurde. Diese Abteilungen boten zusammen für uns und die Pferde grad Raum genug, mehr nicht, was unsere Bewachung ungemein erschwerte. Uns konnte dies sehr lieb sein; Old Wabble aber, dem dieser Übelstand keineswegs entging, sagte, indem er abstieg, in mißmutigem Tone:

„Dieser Lagerplatz gefällt mir nicht. Wenn es nicht schon so finster wäre, würden wir weiterreiten, bis wir einen bessern fänden.“

„Warum sollte er uns nicht gefallen?“ fragte Cox.

„Der Gefangenen wegen. Wer soll sie bewachen?“

„Wir natürlich!“

„Da brauchen wir drei Wächter auf einmal!“

Pshaw! Wozu wären die Fesseln da? Macht, daß wir sie von den Pferden bringen! Sobald sie liegen, sind sie uns sicher und gewiß!“

„Aber wir müssen doch drei Abteilungen machen!“

„Wer sagt das?“

„Der Platz zerfällt ja in drei Teile! Wollt Ihr etwa die Bäume niederhauen?“

„Fällt mir nicht ein! Die Gefangenen kommen alle hier in die eine Abteilung; die beiden andern sind für uns.“

„Und die Pferde?“

„Die schaffen wir hinaus ins Freie, wo sie angehobbelt werden. Da genügt ein Wächter für sie und einer für die Gefangenen.“

„Ja, wenn wir zwei Feuer anbrennen!“

„Ist auch nicht nötig! Ihr werdet gleich sehen, daß ich recht habe.“

Wir wurden von den Pferden genommen, wieder gefesselt und nach der einen Abteilung gebracht; dann ließ Cox da, wo die Abteilungen zusammenstießen, ein großes Feuer anbrennen, welches allerdings alle drei Teile erleuchtete. Hierüber sehr befriedigt, fragte er den alten Wabble:

„Na, habe ich recht gehabt oder nicht? Es genügt, wie Ihr seht, ein einziger Mann, die Kerls zu bewachen. Das ist alles, was Ihr verlangen könnt.“

Der Alte brummte etwas Unverständliches in den Bart und gab sich zufrieden. Und ich? Nun, ich war auch zufrieden, zufriedener wohl als er, denn das Lager hätte für unsere Zwecke gar nicht besser passen können, zumal bei der Einrichtung, welche Cox demselben gegeben hatte.

Ich war in die Mitte der kleinen Lichtung gelegt worden, hatte mich aber sogleich nach dem Rande derselben gewälzt, ein Manöver, welches auch von Winnetou ausgeführt und zu unserer Freude von den Tramps gar nicht beachtet wurde. Wir lagen mit den Köpfen am Rande des Gebüsches, und zwar hatten wir uns eine Stelle gewählt, wo die Sträucher nicht eng nebeneinander standen und es Kolma Puschi wahrscheinlich möglich war, zwischen und unter ihnen bis zu uns hindurch zu kriechen. Der Platz war so klein, daß wir alle, die wir zusammengehörten, so eng beieinander lagen, daß wir uns nicht nur berühren, sondern auch durch leise Worte verständigen konnten.

Bald erfüllte der Duft des Truthahnbratens die Luft. Die Tramps aßen, soviel sie konnten; wir aber erhielten – – -nichts.

„Die Kerls liegen so eng beisammen, daß man gar nicht zwischen ihnen hindurchkommen kann, um sie zu füttern,“ sagte Old Wabble. „Sie mögen warten bis morgen früh, wenn es Tag geworden ist. Sie werden bis dahin nicht vor Durst und Hunger sterben; th’is clear!“

Was das Verhungern und Verdursten betrifft, so hatte ich keine Sorge, denn ich war überzeugt, daß wir noch während der Nacht uns satt essen und trinken würden. Dick Hammerdull, der wieder in meiner Nähe lag, nahm das aber nicht so leicht und sagte zornig:

„Ist das ein Benehmen! Nichts zu essen und kein Schluck Wasser! Wem da die Lust, Gefangener zu sein, nicht vergehen soll, den möchte ich kennen lernen! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn ich nichts bekomme, so meine ich auch nichts,“ antwortete der Lange. „Hoffentlich hört diese fatale Geschichte nun bald auf!“

„Ob sie aufhört oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn sie nur ein Ende nimmt. Darf man wissen, was Ihr dazu sagt, Mr. Shatterhand?“

„Wir werden sehr wahrscheinlich noch in dieser Nacht ein gutes Truthahnessen haben,“ antwortete ich. „Schlaft nur nicht ein, und vermeidet alles, was geeignet sein könnte, den Verdacht der Tramps zu erregen!“

Well! So will ich mich ruhig fügen. Wo noch Hoffnung vorhanden ist, da ist weiter nichts nötig, als daß man diese Hoffnung gemacht bekommt.“

Da er sich mit dieser geistreichen Erwägung beruhigte, sagten auch die andern nichts, und wir hörten neidlos zu, wie gut es den Tramps schmeckte; sehen konnten wir es nicht, desto besser aber mit dem Gehör vernehmen.

Eine großartige Nachlässigkeit von ihnen war es, daß man mir meine Gewehre gelassen hatte. Die „Gewehre, welche andern die Knochen zerbrechen“, waren, als man mich vom Pferde band, gar nicht beachtet worden; ich hatte sie mit den gefesselten Händen mit nach unserm Platze genommen und dort neben mir hingelegt. Auf diesen Umstand hindeutend, flüsterte mir der Apatsche zu:

„Wenn nur mein Bruder Shatterhand allein loskommt, haben wir gewonnen, denn gegen deinen Stutzen können sie alle nichts machen.“

Als der erste Wächter, welcher am Feuer saß, das Turkeyfleisch in nicht sehr appetitlicher Weise mit den Zähnen von den Knochen gerissen und verzehrt hatte, waren auch seine Kameraden mit dem Essen fertig und rüsteten sich zum Schlafe. Der alte Cow-boy-König kam zu uns herübergewabbelt und brachte Cox mit; sie wollten noch unsere Fesseln sehen. Als sie sich überzeugt hatten, daß sich dieselben in dem von ihnen gewünschten Zustande befanden, sagte Cutter zu mir:

„Es ist alles in Ordnung, und ich denke, daß Ihr auch ohne Abendessen einen guten Schlaf thun werdet. Träumt recht angenehm von mir!“

„Danke!“ antwortete ich. „Was ich träumen werde, kann ich Euch schon jetzt sagen, falls Ihr die Güte haben solltet, Euch dafür zu interessieren.“

„Ach? Wovon denn?“

„Davon, daß ich mich, nachdem ich Euch heut den einen Arm verbunden habe, auch noch mit dem andern sehr eingehend beschäftigen werde.“

„Ich verstehe Euch nicht. Wie meint Ihr das?“

„Denkt darüber nach!“

Pshaw! Über etwas, was Old Shatterhand gesagt hat, nachzudenken, das fällt mir gar nicht ein! Ah, jetzt errate ich es doch!“

„Wirklich? Sollte mich wundern, denn zu den Leuten, welche durch Scharfsinn und Findigkeit Staunen erregen, habt Ihr ja nie gehört.“

„Du auch nicht, Halunke!“ rief er zornig aus. „Wenn du von meinem Arme sprachst, hast du jedenfalls gemeint, daß ich das Wundfieber bekomme. Du würdest dich wohl sehr darüber freuen, wenn Fred Cutter rechte Schmerzen auszustehen hätte und nicht schlafen könnte?!“

„Denke nicht daran!“

„Doch, doch! Aber deine Vorausfreude wird in das Wasser fallen. Meine alte Konstitution ist besser und kräftiger, als du denkst. Ich habe eine Bärennatur und möchte das Fieber sehen, welches sich an mich wagen könnte. Jedenfalls werde ich viel besser schlafen als du!“

Well! Dann gute Nacht, Mr. Cutter!“

„Gute Nacht, Schurke!“

„Und ein fröhliches Erwachen nach dem Schlafe!“

„Wünsche dir dieselbe Fröhlichkeit!“

„Danke, zumal ich weiß, daß dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird!“

Er lachte hämisch auf und sagte zu dem zweiten Posten, welcher soeben den ersten abgelöst hatte, in streng warnendem Tone:

„Diesen Kerl da, der soeben gesprochen hat, scheint der Hafer zu stechen. Gieb auf ihn besonders acht, und falls er sich nur einmal falsch bewegen sollte, kommst du sofort zu mir, um mich zu wecken!“

Er entfernte sich mit Cox, und der Wächter setzte sich so, daß er mich grad in den Augen hatte, was mir freilich nicht willkommen sein konnte.

„Dumm wie ein Coyote!“ flüsterte Winnetou mir zu.

Er hatte recht. Daß Old Wabble meine Worte weder als eine Drohung noch als ein Zeichen der Hoffnung auf Befreiung, sondern nur als eine leere, höhnische Redensart aufgefaßt hatte, ließ sein Divinations-Vermögen in keinem imponierenden Lichte erscheinen. Ein guter Westmann hätte unbedingt irgend einen Hintergedanken geahnt und seine Gegenmaßregeln darnach getroffen.

Man hatte einen großen Haufen Dürrholz gesammelt und neben dem Feuer aufgestapelt. Um davon zu nehmen und die Flammen zu nähren, mußte der Wächter sich umdrehen. Die kurzen Augenblicke, in denen er dies von Zeit zu Zeit that, waren die einzigen Pausen, in denen er uns nicht beobachtete, und mußten von uns benutzt werden, falls Kolma Puschi hatte Wort halten und nach dem Spring kommen können. Wenn ich über diesen Punkt besondere Sorge gehabt hätte, so wurde sie bald zerstreut; denn schon als der Posten zum zweitenmal Holz nachlegte, hörte ich hinter mir ein leises Geräusch, ein Mund legte sich nahe an mein Ohr und sagte:

„Kolma Puschi ist hier. Was soll ich thun?“

„Warten, bis ich mich auf die andere Seite lege,“ antwortete ich ebenso leise. „Dann schneidest du mir die Hände frei und giebst mir dein Messer!“

Der Posten drehte sich uns wieder zu, und dasselbe fast unhörbare Rascheln sagte mir, daß Kolma Puschi zurückgekrochen sei.

Die Zeit des Handelns war noch nicht gekommen. Wir mußten warten, bis wir annehmen konnten, daß die Tramps alle schliefen. Ich ließ über eine Stunde vergehen, bis mehrfaches Schnarchen, Blasen und wohlbekannte Gaumentöne vermuten ließen, daß niemand außer Old Wabble munter sei. Wir wurden durch einen dünnen Buschstreifen von den Schläfern getrennt; ich konnte sie also nicht sehen. Es mischte sich in die beschriebenen Töne zuweilen ein kurzes Ächzen oder Stöhnen, welches jedenfalls von dem Cow-boy kam. Sein Arm schmerzte ihn. Sollte ich warten, bis auch er, wenigstens einmal für kurze Zeit, eingeschlafen war? Vielleicht fand er bis zum Morgen keinen Schlaf! Nein; wir durften diese Nacht nicht vorüberstreichen lassen. Glücklicherweise verriet mir sein Stöhnen, daß er jenseits der Sträucher an einer Stelle lag, von welcher aus er den Posten hüben bei uns nicht sehen konnte.

Ich legte mich also auf die andere Seite und hielt die Hände so, daß sie unserm Retter so bequem wie möglich lagen. Bald darauf wendete sich der Posten dem Feuer zu. Sofort fühlte ich, daß eine Messerklinge schneidend durch die Riemen ging und gleich darauf wurde mir das Heft in die Hand gedrückt. Mich rasch aufsetzend, zog ich die Füße an und schnitt dort auch die Riemen durch. Kaum hatte ich mich ebenso schnell wieder niedergelegt und ausgestreckt, so war der Posten mit dem Nachlegen fertig und drehte sich uns wieder zu. Es galt, zu warten; ich aber fühlte mich schon frei.

„Jetzt mich losschneiden!“ flüsterte mir Winnetou zu, der meine Bewegungen natürlich beobachtet und den Erfolg derselben gesehen hatte.

Er legte sich so, daß er mir die Hände zukehrte. Als der Posten das nächste Mal nach dem Dürrholz griff, bedurfte es nur zweier Sekunden, so war auch der Apatsche an den Händen und an den Füßen frei.

Jetzt war es grad, genau und ganz so gut, als ob wir alle schon auf unsern Pferden säßen und von hier weiter ritten! Ich hatte ja meine Gewehre! Aber ich wollte kein Blut vergießen, und so mußten wir uns noch eine Weile gedulden. Indem wir zwei so dalagen, als ob wir noch gefesselt seien, raunte ich dem Apatschen zu:

„Jetzt zunächst den Posten! Wer nimmt ihn?“

„Ich,“ antwortete er.

Es galt, den Mann lautlos, ohne alles Geräusch, unschädlich zu machen. Unsere Kameraden lagen zwischen ihm und uns; man mußte über sie wegspringen. Wenn dabei das geringste Geräusch entstand und er sich umdrehte und um Hilfe schrie, wurde die Befreiung unserer Leute, wie ich sie ausführen wollte, unmöglich. Winnetou war der richtige und unter uns wohl auch der einzige Mann, diese Schwierigkeit zu überwinden. Ich fühlte mich außerordentlich gespannt auf diesen Augenblick.

Der Wächter ließ dieses Mal das Feuer weiter niedergehen als vorher. Endlich, endlich wendete er sich von uns ab und dem Holzhaufen wieder zu! Wie ein Blitz war Winnetou in der Höhe und mit einem wahren Panthersprunge über unsere Gefährten hinüber. Ihm das Knie in den Rücken legend, faßte er ihn mit beiden Händen um den Hals. Der Mann war vor Schreck steif; er machte keine Bewegung der Abwehr; es war kein Laut, nicht der geringste Seufzer zu hören. Jetzt sprang ich, weil Winnetou keine Hand frei hatte, hinüber und schlug dem Tramp die Faust zweimal an den Kopf. Der Apatsche öffnete langsam und versuchsweise seine Hände; der Kerl glitt mit dem Oberkörper nieder und blieb, lang ausgestreckt, wie eine Leiche liegen. Der erste Teil des Werkes war gelungen!

Unsere Kameraden waren wach geblieben; sie hatten die Überwältigung des Postens gesehen. Da ich nicht reden, auch nicht ganz leise, wollte, winkte ich ihnen mit den Händen Schweigen zu und machte mich dann mit Winnetou an das Lösen ihrer Fesseln, die ich nicht zerschneiden wollte, weil wir sie später mit brauchten, um die Tramps zu binden. Was mich während dieser kurzen Beschäftigung wunderte, war, daß sich Kolma Puschi nicht sehen ließ. War er, der Geheimnisvolle, etwa schon wieder fort? Das mußte sich ja zeigen!

Als alle Befreiten still bei einander standen, kroch ich mit dem Apatschen langsam um das Feuer, um nach den Tramps zu sehen. Sie schliefen alle. Auch Old Wabble lag lang ausgestreckt im Grase; er war gefesselt, hatte einen Knebel im Munde, und neben ihm saß – – Kolma Puschi, unser Erretter! Wir mußten über das Meisterstück, welches dieser Rote so geräuschlos vollbracht hatte, staunen.

Er hielt seine dunkeln Augen nach der Stelle, von welcher er wußte, daß wir von dort aus lauschen würden. Als er uns sah, nickte er uns lächelnd zu. Ich hätte ihn ob dieser Ruhe, Kaltblütigkeit und Sicherheit umarmen mögen!

Es galt natürlich zunächst, uns zu bewaffnen. Ich holte meinen Stutzen und machte ihn schußfertig. Da die Tramps auch eng bei einander lagen, hatten sie zur Vermeidung der Unbequemlichkeiten ihre Gewehre zusammengestellt; wir nahmen sie in der Zeit von einer Minute in unsern Besitz. Jeder von den Kameraden fand das seinige dabei; nur Winnetous Silberbüchse lag bei Cox, der sich nicht von ihr hatte trennen wollen. Der Apatsche kroch wie eine Schlange hin und holte sie sich; das war auch ein Bravourstück von ihm!

Nun wir alle bewaffnet waren, wurden die Schläfer so umstellt, daß uns keiner entwischen konnte. Dick Hammerdull warf neues Holz in das Feuer, daß es hoch aufleuchtete.

„Nun erst den Posten draußen bei den Pferden,“ sagte ich leise zu Winnetou, indem ich durch die Büsche deutete.

Kolma Puschi sah diese meine Handbewegung, kam leise zu uns her und meldete:

„Das Bleichgesicht, welches Old Shatterhand meint, liegt gebunden bei den Pferden. Kolma Puschi hat es mit dem Gewehre niedergeschlagen. Meine Brüder mögen einen Augenblick warten, bis ich wiederkomme!“

Er huschte fort. Als er nach wenigen Sekunden zurückkehrte, hatte er eine Menge Riemen in den Händen; er warf sie hin und sagte:

„Kolma Puschi hat unterwegs einen Bock erlegt und sein Fell zu Riemen zerschnitten, weil er glaubte, daß sie hier gebraucht würden.“

Ein außerordentlicher Mann! Winnetou reichte ihm schweigend die Hand, und ich that dann dasselbe. Dann konnten wir die nichtsahnenden Schläfer wecken. Dick Hammerdull war natürlich derjenige, welcher uns bat, dies thun zu dürfen. Wir nickten ihm zu. Er stieß ein Geheul aus, welches der Größe seines weit aufgerissenen Mundes entsprechend war. Die Kerls sprangen alle auf; sie sahen uns mit angeschlagenen Gewehren stehen und waren vor Schreck bewegungslos. Nur Old Wabble blieb liegen, weil er gefesselt und geknebelt war. Dieses erste Entsetzen benutzend, rief ich ihnen zu:

Hands up, oder wir schießen! All hands up!“

Hands up, die Hände in die Höhe!“ ist ein sehr gefährlicher Befehl, zumal im wilden Westen. Wer diese Worte hört und nicht augenblicklich beide Hände hoch hält, bekommt die Kugel; das weiß jedermann. Es kommt vor, daß nur zwei oder drei verwegene Menschen einen Bahnzug überfallen. Wehe dem Passagier, welcher auf den Ruf „Hands up!“ nicht unverweilt die Arme hebt! Er wird sofort erschossen. Während einer der Räuber auf diese Weise mit seinem Revolver alle Reisenden in Schach hält, werden diese von dem oder den andern ausgeplündert und müssen mit hochgehobenen Händen stehen bleiben, bis die Taschen auch des letzten untersucht und geleert worden sind. Dieses „Hands up!“ trägt allein die Schuld daran, daß viele, wenn sie überrascht worden sind, gegen wenige gar nichts machen können. Selbst der sonst mutige Mann wird lieber die Arme heben als nach seiner Waffe greifen, denn ehe er sie erlangen kann, hat er die tödliche Kugel im Kopfe. Das weiß, wie gesagt, dort jedermann.

So auch hier! Ich hatte den Befehl kaum zum zweitenmal ausgesprochen, so fuhren alle Hände hoch empor.

„Schön, Mesch’schurs!“ fuhr ich fort. „Nun laßt euch sagen: Bleibt genau so stehen wie jetzt! Denn wer nur eine seiner Hände sinken läßt, bis wir mit euch allen fertig sind, der sinkt auch ganz, nämlich tot ins Gras! Ihr wißt wieviel Schüsse hier mein Stutzen hat. Es kommt mehr als eine Kugel auf jeden von euch! Dick Hammerdull und Pitt Holbers werden euch binden. Es giebt da keine Gegenwehr. Dick, Pitt, fangt an!“

Es war eine ernste Situation, aber doch machte es mir, überhaupt uns allen, innerlich Spaß, diese Leute wie beim Freiturnen oder bei einem Gesellschaftsspiele mit hoch erhobenen Armen stehen zu sehen, um ohne alle Gegenwehr zu warten, bis einer nach dem andern von ihnen an den Händen und Füßen gebunden und in das Gras gelegt wurde. Da waren uns freilich die Riemen sehr willkommen, welche Kolma Puschi mitgebracht hatte.

Erst als der letzte niedergelegt wurde, ließen wir die Gewehre sinken. Unser Retter ging mit Schahko Matto fort, um auch den Posten bei den Pferden zu holen. Nachdem dieser gebracht worden war, nahmen wir Old Wabble und auch dem Wächter am Feuer den Knebel aus dem Munde, denn dem letzteren hatten wir aus Vorsicht auch einen geben müssen.

Jetzt waren nun nicht mehr sie, sondern wir die Herren der Situation. Sie fühlten sich so deprimiert, daß keiner von ihnen ein Wort hören ließ. Bloß Old Wabble stieß zuweilen einen Fluch aus; das war aber auch alles, was er that. Um Platz zu bekommen, schoben wir sie so eng wie möglich aneinander, wodurch wir einen für uns genügenden Raum am Feuer gewannen. Es waren noch zwei ganze Turkeys da, welche wir für uns zurichteten. Während dies geschah, konnte Dick Hammerdull es nicht über sich gewinnen, ruhig zu bleiben. Er hatte in berechnender Weise die Gebrüder Holbers nebeneinander gelegt und suchte sie jetzt auf.

Good evening, ihr Onkels und Cousins!“ grüßte er sie in seiner gravitätisch drolligen Weise. Ach gebe mir die Ehre, euch zu fragen, ob ihr noch wißt, was ich euch unterwegs gefragt habe?“

Er bekam keine Antwort.

„Richtig! Es stimmt!“ nickte er. „Ich sagte, entweder flögen wir euch davon, und dann ständet ihr mit aufgesperrten Mäulern da; oder wir drehten den Spieß grad um und nähmen euch gefangen, und dann klappten euch die Mäuler wieder zu. Ist es nicht so, Pitt Holbers, altes Coon? Habe ich das gesagt oder nicht?“

Holbers saß, einen Puter rupfend, am Feuer und antwortete trocken:

„Ja, das hast du gesagt, lieber Dick.“

„Also richtig! Wir haben sie gefangen, und nun liegen sie mit zugeklappten Mäulern da und haben nicht den Mut, sie wieder aufzumachen. Die armen Teufel haben die Sprache verloren!“

„Fällt uns nicht ein!“ fuhr ihn da Hosea an. „Wegen euch verlieren wir die Sprache noch lange nicht; aber laßt uns in Ruhe!“

„Ruhe? Pshaw! Ihr habt ja bis jetzt geschlafen! Das plötzliche Erwachen war freilich etwas sonderbar, nicht? Was wolltet ihr doch nur mit euern Händen so hoch droben in der Luft? Es sah aus, als ob ihr Sternschnuppen fangen wolltet. Ganz eigenartige Pose!“

„Die Eurige war nicht besser, als wir Euch gestern festgenommen hatten! Ihr konntet da nicht einmal die Hände heben!“

„Das thue ich auch sonst niemals, weil ich kein Schnuppenfänger bin. Übrigens, wie habt ihr doch gelacht, als ich euch heut sagte, wir ritten nur zu unserm Vergnügen mit euch und würden auf keinen Fall länger als einen Tag eure Gefangenen sein! Hoffentlich kommt euch die Sache jetzt auch noch so lustig vor! Oder nicht?“

„Ich sage Euch noch einmal, daß Ihr uns in Ruhe lassen sollt!“

„Verehrtester Hosea, nicht so hitzig! Du siehst ja, wie gefaßt und still dein lieber Joel ist! Wenn ich ihn richtig beurteile, so denkt er über die Erbschaft meines alten Pitt Holbers nach.“

Da brach Joel sein Schweigen auch:

„Er mag behalten, was er hat! Wir brauchen nichts von ihm, dem Prügeljungen, denn wir werden reich sein; wir werden noch – –“

Da er inne hielt, fuhr Dick Hammerdull, fröhlich lachend, fort:

„– – noch nach dem Squirrel Creek reiten und die Bonanza holen? Nicht wahr, das wolltet Ihr sagen, Sir Joel, der Prophet?“

„Ja, das werden wir!“ schrie der Geärgerte. „Es wird uns nichts auf Erden abhalten können, dies zu thun! Verstanden?“

„Ich denke, wir werden euch ein wenig davon abhalten!“

„Möchte wissen, auf welche Weise!“

„Indem wir euch erschießen.“

„Dann wäret ihr Mörder!“

„Thut nichts! Ihr sagtet mir ja auch, daß ihr uns auslöschen würdet. Ich war da freilich der Ansicht, daß wir uns wieder anzünden würden. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Ich meine nur, daß du den Schnabel halten sollst!“ belehrte ihn der Gefragte vom Feuer her. „Diese Kerls sind es ja gar nicht wert, daß du mit ihnen sprichst. Komm lieber her, und rupfe mit!“

„Ob ich mit rupfe oder nicht, das ist ja ganz egal; aber ungerupft schmeckt mir der Puter nicht, und darum komme ich!“

Er setzte sich zu seinem Pitt ans Feuer und half ihm bei der Arbeit.

Kolma Puschi hatte sich inzwischen entfernt. Er war zu seinem irgendwo versteckten Pferde gegangen und brachte das Fleisch, welches er heut geschossen hatte, um es uns zu schenken. Dann trat er vor Cox hin und sagte zu ihm:

„Das Bleichgesicht hat heut von einem stinkigen Hunde und von Ungeziefer gesprochen. Kolma Puschi antwortete, der Hund werde das stinkige Ungeziefer jagen, bis es gefangen wird. Nun liegt es vor ihm da, wie er es vorher verkündet hat!“

Cox knurrte etwas vor sich hin, was man nicht verstehen konnte. Der Indianer fuhr fort:

„Das Bleichgesicht nannte die roten Männer eine armselige Bande, welche immer mehr herunterkomme. Wer ist tiefer herabgekommen, und wer ist verachtenswerter, der Weiße, welcher wie ein räudiger, hungriger Hund als Tramp das Land durchstänkert, oder der Indianer, welcher als unausgesetzt Bestohlener und immerfort Vertriebener durch die Wildnis irrt und den Untergang seiner unschuldigen Nation beklagt? Du bist der Hund, und ich, ich bin der Gentleman. Das wollte ich dir sagen, obgleich ein roter Krieger sonst nicht mit Hunden spricht. Howgh!“

Er wendete sich, ohne eine Antwort zu bekommen, von ihm ab und setzte sich zu uns, die wir ihm von Herzen gern und vollständig recht geben mußten. Er hatte wenigstens Winnetou und mir ganz aus der Seele gesprochen. Die andern stimmten ihm bei für diesen einen vorliegenden Fall, im allgemeinen aber wohl kaum. Zu den Verhältnissen, die man aus der Ferne richtiger beurteilt als in der Nähe, gehört dasjenige zwischen der roten und der weißen Rasse. Der echte Yankee, der Native, wird nun und nimmermehr zugeben, daß er schuld am Untergange der Indsmen, am gewaltsamen Tode seines roten Bruders sei!

Während wir aßen, lagen die Gefangenen ruhig. Nur zuweilen klang eine leise Bemerkung, welche einer dem andern zuflüsterte, zu uns herüber, ohne daß wir sie verstanden. Es war uns vollständig gleichgültig, was sie miteinander sprachen. Old Wabble warf sich wiederholt von einer Seite auf die andere. Seine Seufzer verwandelten sich nach und nach in ein immer häufiger wiederkehrendes und immer lauter werdendes Stöhnen. Er fühlte Schmerzen, wohl durch die Riemen vermehrt, mit denen Hammerdull und Holbers ihn fester, als eigentlich nötig war, gebunden hatten, nachdem er schon vorher von Kolma Puschi auf leichtere Weise gefesselt worden -war. Endlich rief er uns in ergrimmtem Tone zu:

„Hört ihr denn nicht, was ich für Schmerzen leide! Seid ihr Menschen, oder seid ihr Schinder, die kein Gefühl besitzen!“

Ich machte eine Bewegung, aufzustehen und nachzusehen, ob ich ihm seine Lage ohne Gefahr für uns erleichtern könne; da aber hielt mich Treskow zurück, indem er kopfschüttelnd sagte:

„Ich begreife Euch nicht, Mr. Shatterhand! Vermutlich wollt Ihr hin, um ihm die Hölle in ein Paradies zu verwandeln? Ich lasse jede Art erlaubter oder verständiger Humanität gelten; aber Euer Erbarmen für diesen Menschen ist geradezu eine Sünde!“

„Er ist schlecht, doch immerhin ein Mensch!“ warf ich ein.

„Er? Pshaw! Denkt an das, was Ihr heut sagtet, als Ihr ihn verbinden wolltet: Ihr hieltet für maßgebend, nicht daß er ein Mensch sei, sondern daß Ihr einer seiet. Ja, Ihr seid ein Mensch, und zwar ein in Beziehung auf ihn sehr schwacher Mensch. Nehmt mir das nicht übel! Nun geht hin, und bindet ihn in der ganzen Menschheit Namen los, wenn ich unrecht habe!“

„Mein Arm, mein Arm!“ wimmerte der Alte in kläglichem Tone.

Da rief Hammerdull ihm zu:

„Nun kannst du wohl klagen, alte Schleiereule! Wie steht es da mit deiner Konstitution, mit deiner großartigen Bärennatur, mit der du vorhin prahltest? jetzt singst du schon nach Gnade!“

„Nicht nach Gnade!“ antwortete Old Wabble. „Nur die Fesseln lockern sollt ihr mir!“

„Ob sie locker sind oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn sie dir nur den Spaß so gründlich verderben, wie du es verdienst. Jede Sache hat einen Zweck, den sie erreichen muß; die Riemen haben ihn auch!“

Kolma Puschi aß natürlich auch mit, ohne dabei ein Wort zu sagen. Er verhielt sich fast noch schweigsamer als Winnetou, und nur einmal, als die Rede auf unser Zusammentreffen mit dem weißen Medizinmann und seiner Squaw kam, sagte er:

„Kolma Puschi ist, nachdem er von dem Bleichgesichte Cox beleidigt worden war, der Fährte seiner Brüder gefolgt, um sich zu überzeugen, daß sie den richtigen Weg geritten seien. Da kam er auf den Platz, wo sie gehalten haben. Er sah die Spur von drei Pferden, welche von rechts her auf ihre Fährte stieß und dann nach links weiterführte. War das der weiße Mann mit seiner roten Squaw, von welchem ihr jetzt gesprochen habt?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Dieser Weiße ist ein roter Komantsche gewesen?“

„Ja.“

„Uff! Was hat er als Komantsche hier im Norden zu thun?“

„Das wissen wir nicht.“

„Warum hat er die Farbe aus seinem Gesicht entfernt? Warum kommt er nicht als roter, sondern als weißer Mann?“

„Wohl seiner Sicherheit wegen. Als Komantsche würde er hier der Feind aller Bleichgesichter und noch mehr aller Indianer sein.“

„Diese Worte scheinen die Wahrheit zu treffen, doch hat Kolma Puschi auch noch andere Gedanken.“

„Dürfen wir sie erfahren?“

„Ein roter Krieger darf nur solche Gedanken aussprechen, von denen er weiß, daß sie richtig sind. Ich denke jetzt nach!“

Er zog sein Gewehr lang an sich und legte sich wie zum Schlafen nieder. Ich nahm das als Zeichen, daß er nicht weitersprechen wolle. Später sah ich freilich ein, daß es viel besser gewesen wäre, wenn ich dieses Gespräch mit ihm fortgesetzt hätte. Dabei wäre mir jedenfalls der Name Thibaut über die Lippen gekommen, ein Name, welcher eine von mir ungeahnte Wirkung auf ihn hervorgebracht hätte. Der sogenannte „Herr der Schöpfung“ mag sich trotz des vielgerühmten Reichtums seiner geistigen Eigenschaften ja nicht vermessen, daß er von keiner andern Führung abhängig sei als nur von seinem Willen! Mag er es noch so sehr bezweifeln, es giebt einen Willen, der hoch über allem irdischen Wollen erhaben ist.

Nach dem Essen wurden die Taschen der Gefangenen geleert. Nachdem wir das uns geraubte Eigentum wieder genommen hatten, bekam jeder zurück, was uns nicht gehörte. Daß die Tramps dabei nicht überzart behandelt wurden, war nicht zu verhindern. Old Wabble hatte sich in den Besitz aller meiner Sachen gesetzt und war wütend darüber, daß er sie nun wieder hergeben mußte. Größer noch als dieser Zorn aber schienen die Schmerzen zu sein, welche er fühlte. Er bat mich wiederholt um Linderung derselben. Ich war schwach genug, die Vorwürfe Treskows zu scheuen, mochte das jammern aber endlich doch nicht mehr hören und sagte zu ihm:

„Ich will mich erweichen lassen, wenn Ihr mir meine Fragen beantwortet.“

„Fragt, fragt; ich werde reden!“ bat er.

„Ihr wolltet mich wirklich töten?“

„Ja.“

„Was seid Ihr doch für ein Mensch! Ich bin mir keines einzigen Unrechtes bewußt, welches ich Euch gethan hätte, und doch trachtet Ihr mir nach dem Leben! Noch heut wolltet Ihr lieber alle möglichen Schmerzen tragen, nur mich nicht freigeben. Wie stolz fühltet Ihr Euch im Besitze meiner Gewehre! Ihr meintet, sie nun für immer zu besitzen, und ich sagte Euch voraus, daß ich sie sehr bald wieder haben würde. Schon heut nachmittag mußte ich sie tragen, und jetzt sind sie ganz wieder mein!“

„Ich wollte, sie lägen mit Euch in der Hölle! Ich habe die paar Stunden, in denen sie mir gehörten, mit einem gesunden Arm bezahlt!“

„Und mit vielen Schmerzen, die Ihr noch erleiden werdet. Denn Ihr dürft nicht etwa denken, daß Ihr schon am Ende derselben angekommen seid! Ihr fühltet Euch Eurer Sache so sicher, daß Ihr mich auffordertet, Euch nach meinem Tode als Gespenst zu erscheinen. Wißt Ihr noch, was ich Euch darauf geantwortet habe?“

„Mag es nicht hören!“

„Ihr müßt es hören! Ich sagte: Ich werde noch vor meinem Tode über Euch kommen. Das ist jetzt eingetroffen. So wird der einfachste Mensch zum Propheten, wenn er nur weiß, daß das Gute dem Bösen stets überlegen ist! Gebt Ihr zu, schlecht an mir gehandelt zu haben?“

„Ja doch, ja!“

„Wollt Ihr den jetzigen Weg verlassen und einen bessern betreten?“

„Ja und ja und ja! Macht mir nur die Riemen locker, und laßt das verdammte Schulmeistern sein! Ich bin kein Kind!“

„Leider nein! Was Ihr für Schulmeisterei haltet, ist etwas ganz anderes. Auch müßt Ihr Euch hüten, meine Milde für Schwäche zu halten. Ich fühle Mitleid, nichts als Mitleid mit Euch. Ich gebe mich nicht der geringsten Hoffnung hin, durch Worte bessernd auf Euch einwirken zu können. Worte, und seien es die schönsten, ergreifendsten, prallen von Euch ab. Es wird ein ganz anderer, als ich bin, mit Euch reden, nicht durch Worte, sondern durch die That. Wenn Ihr dann unter der Wucht derselben zusammenbrecht, will ich mir sagen können, daß ich nichts, aber auch gar nichts versäumt habe, Euch zu retten. Das ist es, warum ich wieder und immer wieder mit Euch rede. Und nun kommt her! Es handelt sich nicht bloß um die Fesseln, sondern mehr noch um die Hitze, die Ihr im Arme habt!“

Ich übernahm, während die Gefährten sich schlafen legten, die Wache und benützte diese ganze Zeit, den Arm des Alten mit Wasser zu kühlen. Kolma Puschi hatte freiwillig die Wache nach mir übernommen. Als ich, um ihn zu wecken, von Old Wabble fortging, hörte ich ihn hinter mir her brummen:

„Heulmaier, alberner! Schäfleinshirte!“

Diese Art, mir zu danken, konnte mich nicht beleidigen. Ich hatte auf keinen Erfolg gehofft, und doch that es mir unendlich leid um den alten Mann, daß ich ihn für unrettbar verloren halten mußte.

Als ich geweckt wurde, war es schon eine Stunde Tag. Ein kurzer Umblick genügte, mich zu überzeugen, daß alles in Ordnung sei, nur daß ich Kolma Puschi vermißte. Schahko Matto hatte nach ihm die Wache gehabt. Als ich diesen fragte, antwortete er:

„Kolma Puschi sagte mir, daß er nicht länger bleiben könne; der große Geist rufe ihn fort von hier. Ich soll Old Shatterhand, Winnetou und auch Apanatschka von ihm grüßen und ihnen sagen, daß er sie wiedersehen werde.“

„Hast du ihn fortreiten sehen?“

„Nein. Er ging fort. Ich wußte nicht, wo er sein Pferd hatte, und durfte diesen Platz nicht verlassen, weil ich Wächter war. Dann aber bin ich seiner Spur gefolgt. Sie führte mich in den Wald, nach der Stelle, an welcher sein Pferd versteckt gewesen ist. Wenn wir wissen wollen, wohin er geritten ist, werden wir leicht seine Fährte finden. Soll ich gehen, um sie aufzusuchen und Euch zu zeigen?“

„Nein. Wäre er unser Feind, müßten wir ihm folgen. Aber er ist unser Freund. Sollten wir das Ziel seines Rittes erfahren, würde er es uns freiwillig gesagt haben. Den Willen eines Freundes muß man achten.“

Bevor ich von dem Fleische frühstückte, welches Kolma Puschi zurückgelassen hatte, ging ich hinaus, wo die Pferde angehobbelt waren. Sie befanden sich auf einer Grasbucht zwischen den gestern erwähnten Ausläufern des Waldes, wohin sie bei Tagesanbruch geschafft worden waren. Von da aus konnte man weit nach Norden sehen, woher wir gekommen waren. Indem ich nach dieser Richtung blickte, sah ich drei Punkte, welche sich unserm Lager näherten. Sie wurden schnell größer, bis ich zwei Reiter und ein Packpferd erkannte. Sollte es Thibaut mit der Squaw sein, die gestern doch nach Südwest geritten waren? Und wenn diese Vermutung richtig war, welche Gründe konnten ihn wohl bewogen haben, umzukehren und unserer Spur zu folgen?

Ich ging natürlich nach dem Lager, um Winnetou zu benachrichtigen.

„Dieser Mann braucht keine andern Gründe als nur seinen Haß zu haben,“ sagte er. „Tibo taka will wissen, ob Old Shatterhand schon tot ist oder noch lebt. Wir werden uns verstecken.“

Wir krochen hinter die Büsche und warteten. Es dauerte nicht lange, so hörten wir die Schritte eines Pferdes. Thibaut hatte die Frau mit dem Packpferde eine kleine Strecke zurückgelassen und kam allein nach der Quelle, um zu rekognoszieren. Er sah Old Wabble und die Tramps gefesselt am Boden liegen und rief erstaunt aus:

Behold! Sehe ich recht! Ihr seid gebunden? Wo sind denn die Kerls, welche gestern Eure Gefangenen waren?“

Old Wabble wußte nicht, daß wir auf das Kommen dieses Mannes vorbereitet waren und uns nur seinetwegen scheinbar entfernt hatten. Er rief ihm hastig und mit unterdrückter Stimme zu:

„Ihr seid hier? Ah, Ihr! Seit wann seid Ihr da?“

„Seit diesem Augenblicke. Ich komme eben erst.“

„Dann schnell herunter vom Pferde, und schneidet uns los!“

„Losschneiden? Ich denke, Ihr betrachtet mich als Euren Feind!“

„Unsinn! Das war gestern nur so eine Redensart. Macht rasch!“

„Wo sind denn Eure Gefangenen?“

„Sie haben sich in der Nacht befreit und uns überrumpelt. Zaudert doch nicht so ewig, sondern macht uns los, nur los!“

„Wo stecken sie denn? Wenn sie nun kommen und mich überraschen?“

„So sind wir, wenn Ihr schnell macht, frei und schlagen sie nieder!“

Well! Dieser Old Shatterhand besonders ist mir im Wege. Er muß unbedingt ausgelöscht werden. Darum komme ich Euch nach. Es ahnte mir, daß Ihr Unglück mit ihm haben würdet. Der muß erschossen werden, sobald man ihn erwischt, keinen Augenblick später, sonst verschwindet er gewiß. Also rasch! Ihr sollt frei sein!“

Er war während dieser Worte vorn Pferde gestiegen und zu Old Wabble getreten. Jetzt zog er sein Messer. Da steckte grad vor seinen Augen Dick Hammerdull den Gewehrlauf aus dem Busche heraus und rief:

„Mr. Tibo taka, wartet noch ein bißchen! Es wohnen gewisse Leute hier im Gebüsch!“

„Verdammt! Zu spät!“ fluchte Old Wabble wütend.

Thibaut wich einige Schritte zurück und sagte:

„Wer steckt da im Gesträuch? Thut Eure Flinte weg!“

„Wer drin steckt, bleibt sich gleich. Und ob ich sie wegthue oder nicht, ist ganz egal; sie geht doch los, wenn Ihr nicht augenblicklich Euer Messer fallen laßt! Ich zähle nur bis drei. Also, eins – – zwei – –“

Thibaut warf das Messer weg, retirierte so weit, bis er sein Pferd zwischen sich und dem gefährlichen Busche hatte, und rief:

„So thut das Gewehr doch weg! Ich mag mit Euch gar nichts zu schaffen haben. Ich reite augenblicklich fort!“

„Augenblicklich? Nein, lieber Freund; bleibt noch ein Weilchen da!“

„Wozu?“

„Es giebt Leute, welche Euch gern guten Morgen sagen wollen.“

„Wer denn? Und wo?“

„Gleich hinter Euch.“

Thibaut drehte sich schnell um und sah uns alle stehen, die wir, während er mit Hammerdull sprach, leise aus den Büschen getreten waren. Er erschrak. Ich ging bis hart zu ihm heran und sagte:

„Also ausgelöscht soll ich partout werden! Ihr scheint mich halb und halb zu kennen, aber ganz noch nicht. Wie wäre es wohl, Monsieur Thibaut, wenn wir die Rollen wechselten und ich Euch auslöschte?&

All devils! Das werdet Ihr nicht! Ich habe Euch nichts gethan!“

„Ob Ihr mir schon etwas gethan habt, das ist Nebensache. Ihr wollt mir an das Leben; das genügt. Ihr kennt doch die Gesetze der Prairie!“

„Es war nur Scherz von mir, Mr. Shatterhand!“

„So mache auch ich Scherz mit Euch. Hier liegen noch einige Riemen. Gebt die Hände her! Ihr werdet gefesselt, ganz so, wie diese Tramps.“

„Unmöglich!“

„Das ist nicht nur möglich, sondern es wird gleich wirklich geschehen. Pitt Holbers und Dick Hammerdull, bindet ihn! Wenn er sich weigert, bekommt er meine Kugel. Muß ich erschossen werden, sobald man mich erwischt, so giebt es bei mir auch kein Federlesens. Also, rasch!“

Hammerdull war auch herbeigekommen; er und Holbers banden den Mann, der sich nicht getraute, Widerstand zu leisten, wenigstens durch die That, in Worten aber sich außerordentlich sträubte:

„Das ist eine Gewaltthat, die Ihr nicht verantworten könnt, Mesch’schurs! Das habe ich wahrlich nicht verdient!“

„Auch nicht damit, daß Ihr Old Wabble gestern den Rat gabt, jeden Tag einen von uns zu erschießen?“

„Das war ja aber auch nur Scherz!“

„Ihr scheint ein außerordentlicher Spaßvogel zu sein, was auf eine gute Unterhaltung mit Euch schließen läßt. Wir wollen Euch darum bei uns festhalten, und Ihr müßt einsehen, daß dies am besten mit Hilfe dieser Riemen geschieht. Scherz um Scherz; das ist ganz richtig!“

„Aber ich bin nicht allein!“

„Das wissen wir.“

„Nichts könnt Ihr wissen, nichts!“

„Wir sahen Euch kommen. Draußen wartet Eure Squaw.“

„Soll die etwa auch gebunden werden?“

„Nein. Mit Ladies treiben wir keine solchen Scherze. Wir werden sie vielmehr als sehr willkommenen Gast empfangen. Fügt Euch ruhig in unsern Willen! Es kommt ganz auf Euer Verhalten an, was wir über Euch bestimmen. Seid Ihr fügsam, habt Ihr vielleicht gar nichts zu befürchten. Legt ihn allein, nicht hin zu den Tramps!“

Well! Gewalt geht vor Recht. Ich muß mich also fügen!“

Er wurde abseits der anderen Gefangenen hingelegt, daß er sich nicht mit ihnen unterhalten konnte. Dann verließ ich mit Winnetou das Lager, um die Squaw aufzusuchen. Sie hielt, noch im Sattel sitzend und den Zaum des Saumtieres in der Hand, draußen bei unsern Pferden. Unser Kommen machte nicht den geringsten Eindruck auf sie. Es war, als ob wir gar nicht vorhanden seien. Wir brachten sie nach der Quelle, wo sie unaufgefordert abstieg und sich neben Thibaut setzte. Daß er gefesselt war, schien sie gar nicht zu bemerken.

Das Packpferd hatten wir draußen gelassen; ich führte auch ihr und sein Reitpferd wieder hinaus. Er sollte nicht sehen, daß wir sein Gepäck untersuchten. Es war doch möglich, daß wir etwas fanden, was uns von Nutzen war. Als ich zur Quelle zurückkehrte, befand sich Cox mit Treskow in Verhandlung. Der letztere hatte wieder einmal seine juridische Anschauung vertreten und sich dabei aufgeregt, während die anderen ruhig wartend saßen. Er rief mir entgegen:

„Denkt Euch nur, Mr. Shatterhand, Cox verlangt, freigelassen zu werden!“

„Da braucht Ihr nicht zu sagen: Denkt Euch nur. Ich denke mir das ohnedies.“

„Aber was sagt Ihr dazu?“

„In diesem Augenblicke nichts.“

„Aber später?“

„Später werde ich mir denken, was Winnetou sich denkt.“

„Damit drehen wir uns im Kreise. Was denkt Winnetou?“

„Was recht ist.“

„Schön! Einverstanden! Das juridische Recht aber sagt, daß – –“

Pshaw!“ unterbrach ich ihn. „Wir sind hier nicht Juristen, sondern zunächst und vor allen Dingen hungrige Leute. Laßt uns essen!“

„Ach, essen! Damit wollt Ihr mir nur ausweichen!“

„Gar nicht! Ich will Euch dabei nur zeigen, was nach meiner Ansicht juridisch ist.“

„Nun was?“

„Gestern abend aßen die Tramps, und wir bekamen nichts; jetzt essen wir, und sie bekommen nichts. Ist das nicht die allerjuridischste Rechtshandhabung, die sich denken läßt?“

„Hole Euch – der Teufel, möchte ich auch bald sagen! Ich wette meinen Kopf, daß Ihr imstande seid, die Kerle laufen zu lassen!“

„Und ich wette nicht, weiß aber, daß geschehen wird, was richtig ist.“

Wir ließen es uns schmecken und teilten der Squaw das Beste mit, was wir hatten; sie nahm es aus den Händen Apanatschkas, ohne ihn zu kennen. Weiter erhielt niemand etwas. Als ich und Winnetou fertig waren, gingen wir beide hinaus, um das Gepäck Thibauts zu untersuchen. Das Packpferd hatte Eßwaren, einige Frauengewänder, wenig Wäsche und dergleichen getragen; etwas Besonderes fanden wir da nicht. Beim Pferde der Frau war auch nichts zu entdecken. Wir wendeten uns nun zu dem Pferde des Mannes.

Am Sattelknopfe hing sein Gewehr. In der rechten Satteltasche steckte eine geladene Doppelpistole und ein blechernes Kästchen mit verschiedenen Farben, zum Bemalen des Gesichts jedenfalls, weiter nichts. In der linken fanden wir Patronen, ein Rasierzeug mit Seife und wieder ein Blechkästchen, viel dünner als das vorige. Es enthielt ein langes, schmales, viereckiges, sehr gut gegerbtes, weißes Lederstück mit roten Strichen und Charakteren.

„Ah, ein sprechendes Leder wie die Roten sagen!“ meinte ich zu Winnetou. „Das bringt uns vielleicht eine Entdekkung.“

„Mein Bruder zeige es her!“ sagte er.

Ich gab es ihm. Er betrachtete es lange und aufmerksam, schüttelte den Kopf, betrachtete es abermals, schüttelte wieder und sprach endlich: „Dies ist ein Brief, den ich nur halb verstehe. Er ist ganz nach der Weise der roten Männer mit der Messerspitze geschrieben und mit Zinnober gefärbt. Diese vielgewundenen Linien sollen Flüsse vorstellen; das Leder ist eine Landkarte. Hier ist der Republican-River, hier der doppelte Salmon; dann kommt der Arkansas mit dem Big Sandy-Creek und dem Rush-Creek, hierauf der Adobe – und der Horse-Creek, südlich der Apishapa-River und der Huerfano-Fluß. So kommt ein Creek und ein Fluß nach dem andern bis hinauf zum Park von San Louis. Diese Wasser kenne ich alle; aber es giebt Zeichen dabei, welche ich nicht verstehe, Punkte, Kreuze verschiedener Gestalt, Ringel, Dreiecke, Vierecke und andere Figuren. Sie stehen auf der Karte da, wo sich in der Wirklichkeit keine Stadt, kein Ort, kein .Haus befindet. Ich kann nicht entdecken, was alle diese vielen Zeichen zu bedeuten haben.“

Er gab mir das Leder zurück, welches mit wirklich großer Sorgfalt und Feinheit graviert und gefärbt worden war. Man konnte den kleinsten, feinsten Strich ganz deutlich sehen. Auch ich konnte mir die Zeichen nicht erklären, bis ich das Leder umwendete. Da waren sie wiederholt, untereinander aufgezählt, und daneben standen Namen, welche keine Orts- sondern Personennamen waren. Höchst sonderbar! Ich sann und sann, lange vergeblich, bis mir endlich auffiel, daß einige von ihnen Namen von Heiligen waren. Nun hatte ich es! Ich zog mein Taschenbuch heraus, welches ein Kalendarium enthielt, verglich die Namen mit den Entfernungen der Zeichen auf der Karte und konnte nun dem Apatschen erklären:

„Dieser Brief ist an den Medizinmann geschrieben worden und soll ihm sagen, wo und an welchem Tage er den Absender desselben treffen soll. Eine gewöhnliche Anführung der Monatstage würde alles verraten. Die Christen benennen, wie ich dir schon einigemal gesagt habe, alle Tage des Jahres mit den Namen frommer oder heiliger Männer und Frauen, welche längst gestorben sind. Diese Bezeichnung hat der Schreiber gewählt. Eine Enträtselung ist um so schwieriger, als und weil die Namen nicht auf der Karte, sondern auf der andern Seite stehen. Hier lese ich: Aegidius, Rosa, Regina, Protus, Eulogius, Josef und Thekla; das bedeutet den I., 4., 7., II., 13., 18. und 23, September. An diesen Tagen wird der Absender des Briefes da sein, wo die Zeichen, welche neben den Namen stehen, sich auf der Karte befinden. Wir haben also den ganzen Reiseplan des Absenders und des Empfängers mit Orts- und Zeitangabe hier in den Händen. Hast du mich verstanden?“

„Ich verstehe meinen Bruder genau, nur daß ich nicht weiß, auf welchen Tag des Jahres diese Männer- und Frauennamen fallen.“

„Das schadet nichts, wenn ich es nur weiß. Dieses Leder kann großen Wert für uns bekommen; behalten aber dürfen wir es nicht.“

„Warum?“

„Tibo taka soll nicht ahnen, daß wir seinen Weg kennen.“

„So muß mein weißer Bruder die Schrift des Leders abschreiben!“

„Ja, das werde ich sogleich thun.“

Winnetou mußte den Brief halten, und ich kopierte ihn in mein Notizbuch, indem ich den Pferdesattel als Unterlage nahm. Dann legten wir das Leder in den Blechkasten zurück, den wir in die Satteltasche steckten. Als dies geschehen war, gingen wir wieder nach dem Lagerplatze.

Eben als wir um die letzte Buschecke biegen wollten, kam uns die Squaw entgegen. Sie war drin aufgestanden und fortgegangen, ohne daß Thibaut sie hatte halten können, weil er gefesselt war; seine Zurufe hatte sie nicht beachtet. Wie sie so an uns vorüberschritt, hocherhobenen Kopfes, doch gesenkten Auges, ohne uns zu beachten, langsam und gemessen Fuß um Fuß weitersetzend, hatte sie das Aussehen einer Somnambule. Ich drehte mich wieder um und ging ihr nach. Sie blieb stehen, brach einen schwanken Zweig ab und wand ihn sich um den Kopf. Ich richtete einige Fragen an sie, ohne daß ich eine Antwort bekam; sie schien mich gar nicht zu hören. Ich mußte ein bekanntes Wort bringen und fragte:

„Ist das dein Myrtle-wreath?“

Da schlug sie die Augen zu mir auf und antwortete tonlos:

„Das ist mein Myrtle-wreath.“

„Wer hat dir dieses Myrtle-wreath geschenkt?“

„Mein Wawa Derrick.“

„Hatte Tehua Bender auch ein Myrtle-wreath?“

„Auch eins!“ nickte sie lächelnd.

„An demselben Tage, als du eins hattest?“

„Nein.“

„Später?“

„Nein.“

„Also eher?“

„Viel, viel eher!“

„Sahst du sie mit ihrem Myrtle-wreath?“

„Ja. Sehr schön war Tehua, sehr schön!“

Meinen Gedankengang verfolgend, fragte ich, so seltsam dies hier vom Papiere klingen mag, weiter:

„Hast du einen Frack gesehen?“

„Frack – ja!“ antwortete sie nach einigem Sinnen.

„Einen Hochzeitsfrack?“

Da schlug sie die Hände zusammen, lachte glücklich und rief:

„Hochzeitsfrack! Schön! Mit einer Blume!“

„Wer trug ihn? Wer hatte ihn angezogen?“

„Tibo taka.“

„Da standest du an seiner Seite?“

„Bei Tibo taka,“ nickte sie. „Meine Hand in seiner Hand.

Dann –“

Sie zuckte wie unter einem plötzlichen Schauder zusammen und sprach nicht weiter. Meine nächsten Fragen blieben ohne Antwort, bis mir einfiel, daß Schahko Matto erzählt hatte, Tibo taka habe, als er zu den Osagen kam, einen verbundenen Arm gehabt. Ich folgte dieser Association der Ideen und erkundigte mich:

„Der Frack wurde rot?“

„Rot,“ nickte sie, wieder schaudernd.

„Vom Wein?“

„Nicht Wein, Blut!“

„Dein Blut?“

„Blut von Tibo taka.“

„Wurde er gestochen?“

„Kein Messer!“

„Also geschossen?“

„Mit Kugel.“

„Von wem?“

„Wawa Derrick. Oh, oh, oh! Blut, viel Blut, sehr viel Blut!“

Sie geriet in eine große Aufregung und rannte fort von mir. Ich ging ihr nach; sie wich mir aber, schreiend vor Angst, aus, und ich war gezwungen, es aufzugeben, weitere Antworten von ihr zu bekommen.

Ich war jetzt überzeugt, daß an ihrem Hochzeitstage ein Ereignis eingetreten sei, welches sie um ihren Verstand gebracht hatte. Ihr Bräutigam war Thibaut, ein Verbrecher. War er an diesem Tage entlarvt und von ihrem eigenen Bruder geschossen worden? Hatte Thibaut deshalb diesen Bruder später ermordet? Ich fühlte natürlich tiefes, tiefes Mitleid mit der Unglücklichen, deren Wahnsinn jedenfalls unheilbar war, zumal jener Tag um vielleicht dreißig Jahre zurückzuliegen schien. Der Frack ließ darauf schließen, daß die Hochzeit, obgleich sie selbst zur roten Rasse gehörte, in sehr anständiger Gesellschaft entweder gefeiert worden war oder gefeiert hatte werden sollen. Sie war ja Christin gewesen, die Schwester eines berühmten roten Predigers; das gab wohl eine hinreichende Erklärung.

Auch ihre Schwester Tehua schien gut verheiratet gewesen zu sein. Vielleicht hatte die Wahnsinnige ihren Bräutigam bei dieser Schwester kennen gelernt. Schade, daß ich heut weiter nichts erfahren konnte!

Ich ließ sie bei ihrem Pferde stehen, mit welchem sie wie ein Kind zu spielen begann, und ging nach dem Lager, wo Winnetou schon vor mir eingetroffen war. Als ich kam, waren alle Augen auf mich gerichtet; ich ersah daraus, daß man auf mich gewartet hatte.

„Endlich, endlich!“ rief Cox mir zu. „Wo steckt Ihr nur? Es soll ja über unsere Freilassung gesprochen werden! Und da lauft Ihr fort!“

Da machte Treskow ihm sofort den Standpunkt klar:

„Ehe davon die Rede sein kann, wollen wir erst von eurer Bestrafung sprechen!“

„Bestrafung? Oho? Was haben wir Euch gethan?“

„Überfallen, gefangen genommen, ausgeraubt, gefesselt und hierhergeschleppt! Ist das etwa nichts? Darauf steht Zuchthaus.“

„Das sagt Ihr als Jurist?“

„Ja.“

„Wollt Ihr uns nach Sing-Sing schleppen? Versucht das doch einmal!“

„Hier werden keine Versuche gemacht, sondern Urteile gesprochen und auch gleich ausgeführt. Die Jury wird sogleich beisammen sein!“

„Die erkennen wir nicht an!“

„Darüber lachen wir! Kommt, Mr. Shatterhand! Wir dürfen die Sache nicht aufschieben, und ich hoffe, daß Ihr uns dieses Mal nicht wieder mit einem humanen Streiche in die Quere kommt. Die Kerls sind es nicht wert!“

Da hatte er freilich recht. Strafe mußte hier sein; aber was für eine? Gefängnis? Gab es nicht. Geldstrafe? Diese Menschen hatten ja nichts. Ihnen die Pferde und Waffen nehmen? Da waren sie verloren, und wir standen in ihren Augen als Diebe da. Prügel? Hm, ja, eine sehr heilsame Arznei! Wie denke ich überhaupt über die Prügelstrafe? Sie ist für jeden Menschen, der noch einen moralischen Halt besitzt, fürchterlich; sie kann sogar diesen letzten Fall vollends zerstören. Aber der Vater straft sein Kind, der Lehrer seinen Schüler mit der Rute, um ihm grad diesen moralischen Halt beizubringen! Ist ein solches Kind etwa schlimmer, gefährlicher, ehrloser als der Verbrecher, welcher nicht geschlagen werden darf, obgleich er zwanzigmal rückfällig im Gefängnisse sitzt und sofort wieder „mausen“ wird, sobald er entlassen ist? Wenn ein Rabenvater, wie es vorgekommen ist, sein vor Hunger abgeschwächtes Kind wochenlang an das Tischbein bindet und ohne allen Grund täglich wiederholt mit Stökken, Ofengabeln, Stiefelknechten und leeren Bierflaschen prügelt und dafür einige Monate Gefängnis bekommt, ist diese Strafe seiner Roheit oder vielmehr seiner Bestialität kongruent? Denn eine Bestie ist so ein Kerl! Er bekommt im Gefängnisse umsonst Wohnung, reichliche Nahrung, warme Kleidung, Ruhe, Ordnung, Reinlichkeit, Bücher zum Lesen und noch anderes mehr. Er sitzt die paar Monate ab und lacht hernach darüber! Nein, so eine Bestie müßte als Bestie behandelt werden! Prügel, Prügel, aber auch tüchtige Prügel und womöglich täglich Prügel, das würde für ihn das einzig Richtige sein! Hier macht die Humanität das Übel nur ärger. Oder wenn ein entmenschtes, schnapssüchtiges Weib ihre Kinder mit Absicht und teuflischer Ausdauer zu Krüppeln macht, um mit ihnen zu betteln oder sie gegen Geld an Bettler zu verborgen, was ist da wohl richtiger, eine zeitweilige Einsperrung nach allen Regeln und allen Errungenschaften des humanitären Strafvollzuges oder eine Gefängnispönitenz mit kräftigen Hieben rundum garniert? Wer als Mensch sündigt, mag human bestraft werden; für die Unmenschen aber müßte neben dem Kerker auch der Stock vorhanden sein! Das ist die Meinung eines Mannes, der jeden nützlichen Käfer von der Straße aufhebt und dahin setzt, wo er nicht zertreten wird, eines Weltläufers, der überall, wohin er seinen Fuß setzte, bedacht war für den Nachruf. „er war ein guter Mensch“, und endlich eines Schriftstellers, der seine Werke nur in der Absicht schreibt, ein Prediger der ewigen Liebe zu sein und das Ebenbild Gottes im Menschen nachzuweisen!

Also Prügel für die Tramps! Ich gestehe, daß es mir widerstrebte, zumal ich Partei war; aber es gab nichts anderes, und sie hatten sie verdient.

Winnetou mochte meine Gedanken und Bedenken erraten, denn er fragte mich, indem ein sehr energisches, fast hartes Lächeln um seine Lippen spielte:

„Will mein Bruder ihnen etwa verzeihen?“

„Nein,“ antwortete ich. „Wir würden sie dadurch nur in ihrer Schlechtigkeit bestärken. Aber welche Strafe sollen sie bekommen?“

„Den Stock! Howgh!“

Wenn er Howgh sagte, war es abgemacht; da gab es keine Widerrede von Erfolg. Treskow fiel augenblicklich zustimmend ein:

„Ja, den Stock! Der ist es, den sie brauchen; alles andere würde unnütz oder gar schädlich sein. Nicht wahr, Mr. Hammerdull?“

„Ja, hauen wir sie!“ antwortete der Dicke. „Und Hosea und Joel, die Brüder mit den frommen Namen, die müssen zuerst darankommen. Sie sollen Hiebe anstatt des Geldes erhalten, über welches sie gelacht haben. Oder nimmst du dich deiner Vettern an, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Fällt mir nicht ein!“ antwortete der Lange.

„Ja, wir werden ihnen die Verwandtschaft mit dir in das Register schreiben, in dem es keine Blätter umzuwenden giebt, und zwar so dick und blau, daß sie es nicht etwa wegradieren können! Howgh!“

Wir mußten über seine Begeisterung ebenso wie über seine Ausdrucksweise lachen. Die andern waren auch einverstanden, und nur der Osage sagte:

„Schahko Matto bittet, schweigen zu dürfen.“

„Warum?“ fragte ich.

„Weil er auch euer Feind gewesen ist und euch nach dem Leben getrachtet hat.“

„Aber jetzt bist du unser Freund und von den Tramps auch überfallen und beraubt worden. Deine Absicht, die du überhaupt nicht ausgeführt hast, faßtest du als Häuptling deines Stammes, als Krieger; sie aber sind ehrlose und verworfene, von der Gesellschaft ausgestoßene Subjekte, die nur noch ein einziges Gefühl besitzen, das für die Prügel nämlich.“

„Wenn Old Shatterhand in dieser Weise spricht, soll er auch meine Meinung hören: Man bereite ihnen dieses Gefühl vom Ersten bis zum Letzten!“

„Schön! Alle einverstanden!“ rief Hammerdull. „Komm, lieber Pitt, wir wollen Flöten schneiden, damit die Musik beginnen kann!“

Die beiden standen auf und entfernten sich, um passende Schößlinge auszusuchen. Wir hatten nicht so laut gesprochen, daß die Tramps uns verstehen konnten; als sie jetzt merkten, daß unsere Beratung zu Ende sei, erkundigte sich Cox in keineswegs seiner Lage angemessener Weise:

„Nun, wie steht’s? Wann bindet ihr uns los?“

„Wenn es uns beliebt,“ anwortete Treskow. „Einstweilen aber beliebt es uns noch nicht.“

„Wie lange sollen wir da noch liegen bleiben? Wir wollen fort!“

„Was ihr wollt, geht uns nichts an. Heut geht es wohl nach unserm Willen!“

„Wir sind freie Westmänner; merkt euch das! Wenn ihr das etwa nicht berücksichtigen wolltet, bekommt ihr es noch einmal mit uns zu thun!“

„Schurke! Willst du dich heut noch lächerlicher als gestern machen, wo du dich aufspieltest, als ob wir Hunde seien, die du an der Leine nur so nach Belieben herumschleppen dürfest! Hat es dir in deinem Schädel denn nicht gedämmert, daß wir schon eine Stunde nach eurem Überfalle die Zeit und den Ort unserer Befreiung kannten? Hast du denn wirklich die lachende Ironie nicht herausgehört, mit welcher Old Shatterhand deine Frechheiten von oben herab beantwortete? Der stinkigste Hund, wie du Kolma Puschi nanntest, begegnete uns nur aus kluger Berechnung. Er wollte sich überzeugen, daß wir euch wirklich nach der Falle führten, in welcher wir euch Gimpel fangen wollten. Daß du das alles nicht bemerkt oder erraten hast, läßt dich als Ausbund der erbarmungswürdigsten Stupidität erscheinen. Und nun fällt es dir gar noch ein, uns zu drohen! Ihr armseligen Kreaturen! Die Pfeifen werden schon geschnitten, nach denen ihr bald tanzen oder singen sollt! Und da ihr jedenfalls in eurer Dummheit auch nicht wißt, was ich mit diesen Worten meine, so will ich es euch deutlicher und ohne Gleichnis sagen: Es werden Stöcke abgeschnitten, denn ihr sollt Prügel bekommen, köstliche Prügel, so lange Prügel, bis ihr aus eurer Blödsinnigkeit herausgehauen seid. So; nun wißt ihr, was geschehen soll!“

Diese lange Rede des zornbegeisterten Juristen brachte eine Wirkung hervor, welche jeder Beschreibung spottet; ich halte es überhaupt für gemütlicher, über die nächste, für die Tramps äußerst ungemütliche Stunde so schnell wie möglich hinwegzugehen. Dick Hammerdull nahm sich der Sache mit solcher Anstrengung und Hingebung an, daß er am Ende der geräuschvollen Motion wie ein angelaufenes Fenster im Schweiße stand, und auch Pitt Holbers entwickelte in der Handhabung der schmerzerweckenden „Pfeifen“ eine Virtuosität, die er sich bisher wohl selbst nicht zugetraut hatte.

Der äußere Zustand der Tramps war infolge dieser großartigen Thätigkeit der beiden „verkehrten Toasts“ ein etwas ramponierter, ihr innerer aber nur mit dem landläufigen Ausdrucke „Rache kochend“ zu bezeichnen. Wir kehrten uns nicht daran. Old Wabble war von den Stöcken verschont geblieben, was er freilich nur mir allein zu verdanken hatte. Ich wollte den alten, schon so verletzten Mann nicht auch noch schlagen lassen. Er wußte es mir aber keinen Dank, sondern räsonnierte mit den Tramps um die Wette. Thibaut hatte den scheinbar unbeteiligten Zuschauer gemacht, doch hätte ihm eine Portion Prügel auch nichts schaden können. Ich hob mir diesen Mann für später auf. Er mußte mir ganz sicher kommen.

Als wir nun an den Aufbruch dachten, bat mich Apanatschka, die Squaw doch heute mitzunehmen, da wir nicht mehr gefangen seien und nur von Tibo taka eine Einrede zu erwarten hätten. Es gelang mir nur schwer, ihn von diesem Wunsche abzubringen; die Frau konnte uns nur hinderlich sein, und da wir die Reiseroute ihres Mannes besaßen, hatten wir die Gewißheit, ihr bald wieder zu begegnen.

Wir befanden uns vollständig wieder im Besitze unsers Eigentums. Keinem fehlte der geringste Gegenstand. Der Gerechtigkeit war, soweit die Umstände es gestatteten, Genüge geschehen, und so schieden wir befriedigt von dem Spring, der uns in ganz anderer Weise hatte kommen sehen. Weniger befriedigt waren die, welche wir da zurückließen. Wir ließen sie in ihren Fesseln liegen; sie mochten sich ihrer nach unserer Entfernung entledigen, wie sie konnten. Herzlich waren die Wünsche keineswegs, welche sie uns hören ließen. Old Wabble drohte mir trotz seines gebrochenen Armes noch zu allerletzt mit Rache und dem Tode. Wenn es mir nicht schon vorher bewußt gewesen wäre, hätte ich jetzt einsehen müssen, daß jede menschliche Regung für ihn Verschwendung sei. Er war so hart gesotten, daß er unmöglich, wenn auch nur für einen einzigen Augenblick, wieder weich werden konnte. Ich hätte nie geglaubt, daß es einen solchen Menschen geben könne!

Ehe wir aufstiegen, versuchte Apanatschka, von der Frau, welche draußen bei den Pferden stand, ein Wort des Abschiedes zu erlangen, doch vergeblich. Sie kannte ihn nicht und wich vor ihm zurück, als ob er ein ihr feindliches Wesen sei. Erst dann, als wir uns in Bewegung setzten, schien sie aufmerksam zu werden. Sie kam uns eine ganze Strecke nachgelaufen, nahm den grünen Zweig vom Kopfe und rief, ihn fortwährend schwenkend:

„Das ist mein Myrtle-wreath; das ist mein Myrtle-wreath!“ – – –

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Schahko Matto

Schahko Matto

Wie oft sind mir von den Gefährten meiner Erlebnisse und später von den Lesern meiner Bücher Vorwürfe darüber gemacht worden, daß ich schlechte Menschen, welche uns nichts als Feindschaft erwiesen und nichts als Schaden bereiteten, dann, wenn sie in unsere Hände gerieten und wir uns also rächen konnten, zu mild und nachsichtig behandelt habe! Ich bin objektiv genug gewesen, diese Vorwürfe in jedem einzelnen Falle auch von der Seite aus zu betrachten, von welcher aus sie berechtigt zu sein schienen, habe aber stets gefunden und finde auch heute noch, daß mein Verhalten das richtige gewesen ist. Es ist ein großer Unterschied zwischen Rache und Strafe. Ein rachsüchtiger Mensch ist kein guter Mensch; er handelt nicht nur unedel, sondern verwerflich; er greift, ohne irgend ein Recht dazu zu besitzen, der göttlichen und der menschlichen Gerechtigkeit vor und läßt dadurch, daß er seinem Egoismus, seiner Leidenschaft die Zügel überwirft, nur merken, wie verächtlich schwach er ist. Ganz anders steht es um die Strafe. Sie ist eine ebenso natürliche wie unausbleibliche Folge jeder That, die von den Gesetzen und von der Stimme des Gewissens verurteilt wird. Nur darf nicht jedermann, auch nicht einmal derjenige, an dem sie begangen wurde, denken, daß er zum Richter berufen sei. Sie kann in dem einen Falle unerlaubt sein, in dem andern leicht den Charakter eines ebenso verwerflichen Racheaktes annehmen. Welcher Mensch ist so rein, so frei von Schuld und sittlich so erhaben, daß er sich, ohne von der Staatsgewalt dazu berufen zu sein, zum Richter über die Thaten seines Nächsten aufwerfen darf?

Dazu kommt, daß man sich wohl hüten soll, denjenigen, der einen Fehler, eine Sünde, ein Verbrechen begeht, für den allein Schuldigen zu halten. Man forsche nach der Vorgeschichte jeder solchen That! Sind nur körperliche und geistige Mängel angeboren? Können nicht auch sittliche es sein? Sodann bedenke man wohl, welche Macht in der Erziehung liegt! Ich meine da die Erziehung im weiteren Sinne, nicht bloß die Einwirkung der Eltern, Lehrer und Verwandten. Es sind die tausend und abertausend Verhältnisse des Lebens, welche oft tiefer und nachhaltiger auf den Menschen wirken als das Thun oder Lassen derjenigen Personen, welche nach landläufiger Ansicht seine Erzieher sind. Ein einziger Abend im Theater, das Lesen eines einzigen schlechten Buches, die Betrachtung eines einzigen unsittlichen Bildes kann alle Früchte einer guten, elterlichen Erziehung in Fäulnis übergehen lassen. Welche Menge, ja Masse von Sünden hat die millionenköpfige Hydra, welche wir Gesellschaft nennen, auf dem Gewissen! Und gerade diese Gesellschaft ist es, welche mit wahrer Wonne zu Gerichte sitzt, wenn der Krebs, an dem sie leidet, an einem einzelnen ihrer Glieder zum Ausbruche kommt! Mit welch‘ frommem Augenaufschlage, mit welchem abweisenden Nasenrümpfen, mit welcher Angst vor fernerer Berührung zieht man sich da von dem armen Teufel zurück, der das Unglück hatte, daß die allgemeine Blutentmischung grad an seinem Körper zur Entzündung und zur Eiterung führte!

Wenn ich da von den Verhältnissen der „civilisierten“ Gesellschaft spreche, so muß meine Ansicht in Beziehung auf die sogenannten halb und ganz wilden Völker noch viel milder sein. Der wilde oder verwilderte Mensch, der nie einen rechten, sittlichen Maßstab für sein Thun besaß oder dem dieser Maßstab abhanden gekommen ist, kann für seine Gebrechen natürlich noch viel weniger verantwortlich gemacht werden als derjenige Sünder, welcher ins Straucheln kam und fiel, obgleich ihm alle moralischen Stützen unserer vielgerühmten Gesittung zur Verfügung standen. Ein von den Weißen abgehetzter Indianer, der zur Verteidigungswaffe greift, ist des Mitleides aber nicht der Peitsche wert. Ein wegen irgend eines Vergehens von der very moral and virtuous society für immer ausgestoßener Mensch, der nur im „wilden Westen“ Aufnahme findet und dort immer tiefer sinkt, weil es ihm da an allem Halt gebricht, steht als Westläufer zwar unter den strengen, blutigen Gesetzen der Prairie, ist aber in meinen Augen der Nachsicht und Entschuldigung bedürftig. Auch Winnetou, der stets groß- und edelmütige, versagte so einem Entarteten die Schonung nie, wenn ich ihn darum bat. Ja, es kam sogar vor, daß er sie aus eigenem Antriebe und Entschlusse übte, ohne meine Bitte erst abzuwarten.

Diese Milde hat uns zuweilen in spätere Verlegenheiten gebracht; das gebe ich wohl zu; aber die Vorteile, welche wir indirekt durch sie erreichten, wogen das reichlich wieder auf. Wäre es auch nur gewesen, um andern ein Beispiel zu geben, so hätten wir viele und erfreuliche Erfolge zu verzeichnen. Wer sich uns anschließen wollte, mußte auf die Grausamkeiten und Härten des Westens verzichten und wurde, ohne es eigentlich zu wissen und zu wollen, dann wenn nicht in Worten, so doch in Thaten ein Lehrer und Verbreiter der Humanität, welche er bei uns, sozusagen, eingeatmet hatte.

Old Wabble war auch einer jener Entarteten, dem wir mehr Nachsicht schenkten, als er an uns verdient hatte. Hieran war neben der von uns grundsätzlich und allgemein geübten Milde der erste Eindruck, den seine ungewöhnliche Persönlichkeit besonders auf mich gemacht hatte, schuld. Sein hohes Alter trug auch dazu bei, und zudem hatte ich in seiner Gegenwart stets ein ganz eigenartiges Gefühl, welches mich abhielt, ihn nach seinen Thaten und seiner so frech gezeigten Gottlosigkeit zu behandeln. Es war, als ob ich nach einem von mir unabhängigen und doch in mir wohnenden Willen handeln müsse, welcher mir verbot, mich an ihm zu vergreifen, weil er, wenn er sich nicht bekehre, für ein ganz besonderes göttliches Strafgericht aufgehoben sei. Darum hatte ich ihn auch am Morgen nach dem versuchten Morde und Pferdediebstahle auf Fenners Farm wieder freigelassen und damit, wie es schien, auch ganz nach dem Willen Winnetous gehandelt. Dick Hammerdull und Pitt Holbers waren freilich nicht damit einverstanden und Treskow als Polizist noch weniger als sie. Doch wurden mir von diesen dreien wenigstens nicht die Vorwürfe gemacht, welche ich von dem Besitzer der Farm zu hören bekam, der gar nicht begreifen konnte, daß ein Mensch, vor dessen Kugel mich nur die scharfen Augen des Apatschen errettet hatten, ohne alle Strafe von uns entlassen worden war. Eine solche Dummheit, wie er es nannte, war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen, und er schwur, daß er die Rache in seine Hände nehmen und Old Wabble wie einen Hund niederschießen werde, wenn der Alte es wagen sollte, sich noch einmal auf der Farm sehen zu lassen. Im übrigen aber zeigte Fenner uns auch heut, wie willkommen ihm unser Besuch gewesen war; er versah uns so reichlich mit Proviant, daß wir, als wir von ihm Abschied nahmen, dies mit der Überzeugung thun konnten, daß wir wenigstens für fünf Tage zu essen hatten und also ebensolange davon befreit waren, unsere Zeit auf das Fleischmachen durch die Jagd zu verwenden. Was das zu bedeuten hat, merkt man erst dann, wenn man wegen der Nähe roter oder weißer Feinde nicht schießen darf und also entweder hungern muß oder Gefahr läuft, sich zu verraten. Der Umstand, daß wir mit Speisevorrat versehen waren, kam uns auch schon deshalb gelegen, weil wir, ohne uns aufhalten zu müssen, schnell reiten konnten, um Old Surehand einzuholen.

Eigentlich hätten wir gleich nach dem Aufbruche von der Farm nach der Spur Old Wabbles suchen müssen. Er hatte uns gezeigt, was von ihm für uns, besonders aber für mich, zu erwarten war, und wenn man einen Feind in der Nähe weiß, dem man den Kopf zum Ziele für seine Kugel bieten soll, so ist es immer vorteilhaft, zu wissen, wo man ihn zu suchen hat. Aber wir wollten Old Surehand so schnell wie möglich einholen, denn wir hatten den „General, und Toby Spencer vor uns, die mit ihren Leuten auch hinauf nach Colorado ritten, und so mußte uns der alte „König der Cowboys“ jetzt eine Person untergeordneterer Bedeutung sein.

Da der Republikan-River hinter Fenners Farm einen großen Bogen beschreibt, den wir abschneiden wollten, verließen wir seine Nähe und ritten grad in die Rolling-Prairie hinein, um ihn später wieder zu erreichen. Wir sahen da die Spuren der Cow-boys, welche während der letzten Nacht nach Old Wabble und seinen Begleitern gesucht hatten, ohne sie zu finden. Später hörten diese Fährten auf, und wir fanden bis gegen Abend keine Spur eines menschlichen Wesens mehr.

Um diese Zeit mußten wir auf das andere Ufer des Flusses hinüber, und obgleich der Republikan-River, wie alle Flüsse von Kansas, breit und seicht ist und also fast überall unschwer übersetzt werden kann, so hatte uns Winnetou doch nach einer Furth gelenkt, welche er von früher her kannte. Sie war so seicht, daß ihr Wasser in seiner ganzen Breite den Pferden nicht bis an die Leiber reichte.

Am andern Ufer angekommen, durchquerten wir den Saum des Gebüsches, welches sich am Flusse hinzog, und gelangten dann wieder auf die offene Prairie. Kaum hatten wir das Gesträuch hinter uns, so erblickten wir eine Fährte, welche sich in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Schritten in zu dem Flusse paralleler Richtung hinzog. Dick Hammerdull deutete mit dem Finger auf sie hin und sagte zu seinem hagern Freunde:

„Siehst du den dunkeln Strich da drüben in dem Grase, Pitt Holbers, altes Coon? Was meinst du, was das ist? Bloß ein Gedankenstrich oder eine menschliche Fährte?“

„Wenn du meinst, daß es eine Fährte ist, so habe ich nichts dagegen, lieber Dick,“ antwortete der Gefragte in seiner trockenen Weise.

„Ja, es ist eine Spur. Wir müssen hin, um zu sehen, aus welcher Richtung sie kommt und nach welcher sie führt.“

Er glaubte, daß wir derselben Ansicht seien und hinreiten würden; aber Winnetou lenkte, ohne ein Wort zu sagen, nach rechts und führte uns, ohne sich um die Spur zu kümmern, dem nahen Ufer entlang. Hammerdull konnte das nicht begreifen und wendete sich deshalb an mich:

„Warum wollt ihr denn nicht hin, Mr. Shatterhand? Wenn man im wilden Westen eine unbekannte Fährte sieht, muß man sie doch lesen; die Sicherheit gebietet das!“

„Allerdings,“ nickte ich zustimmend.

„Also! Wir müssen unbedingt erfahren, welche Richtung sie hat!“

„Von Ost nach West natürlich.“

„Wieso von Ost nach West? Das kann kein Mensch wissen, bevor er sie genau untersucht hat. Sie kann auch von West nach Ost gehen.“

„Wenn kein Mensch das wissen kann, so sind wir beide, Winnetou und ich, keine Menschen, denn wir wissen es.“

„Unmöglich, Sir!“

Pshaw! Wir haben jetzt einige Tage lang den Wind aus West gehabt, und ihr könnt euch überzeugen, daß infolgedessen alles Gras mit den Spitzen nach Osten liegt. Jeder gute Westmann weiß, daß eine Fährte mit diesem Striche nicht so deutlich ist als eine solche gegen denselben. Die Spur da drüben ist wenigstens fünfhundert Schritte entfernt; daß wir sie trotz dieser weiten Entfernung sehen, ist ein Beweis, daß sie gegen den Strich, also von Osten nach Westen geritten ist.“

All devils, ist das scharf gedacht! Darauf wäre ich nicht gekommen! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, daß ich dich für dumm genug halte, nicht auf diesen pfiffigen Gedanken zu verfallen, so hast du recht“ nickte Holbers.

„Recht oder nicht, das bleibt sich gleich. Jedenfalls hast du die Klugheit auch nicht schockweise von den Bäumen geschüttelt; das merke dir! Aber, Mr. Shatterhand, wir müssen die Fährte dennoch untersuchen, denn es gilt, zu erfahren, von wem und von wie viel Personen sie kommt.“

„Warum deshalb fünfhundert Schritte weit aus unserer Richtung abweichen? Ihr seht doch, daß wir sehr bald mit ihr zusammentreffen werden!“

„Richtig! Auch daran habe ich nicht gedacht. Da hat man sich so viele Jahre lang für einen guten Westmann gehalten und muß nun hier am alten Republikan-River einsehen, daß man noch viel zu lernen hat! Ist das nicht wahr, Mr. Shatterhand?“

„Lobenswerte Selbsterkenntnis! Aber wer seine Fehler und Mängel erkennt, befindet sich schon auf dem Wege der Besserung; das ist ein Trost für jeden Menschen, der sich sagt, daß er noch fern vom Meister stehe.“

Wir hatten uns noch nicht weit von der Furt entfernt, so machte der Fluß einen scharfen Winkel nach Norden und gab die Prairie nach Westen frei. Ein grüner Streifen, welcher aus dieser letzteren Richtung kam und im Norden auf den Buschsaum des Republikan-River stieß, ließ einen kleinen Wasserlauf vermuten, der sich rechts, weit von uns, mit dem Flusse vereinigte. Dieser Bach wand sich in vielen Krümmungen seinem Ende zu. Der äußerste Punkt des letzten Bogens, den er schlug, war durch ein Wäldchen bezeichnet, welches, vielleicht eine englische Meile weit, uns gegenüber lag. Wir hielten an, denn die Fährte, von welcher wir gesprochen hatten, kam plötzlich von links herüber an die Ecke des Flusses, an welcher wir uns befanden. Es war die Spur eines einzelnen Reiters, welcher hier eine kurze Zeit gehalten hatte. Er war nicht abgestiegen. Die Stapfen der Vorderhufe seines Pferdes bildeten einen Halbkreis, auf dessen Mittelpunkte die Hinterhufe gestanden hatten. Daraus war zu schließen, daß der aus Osten gekommene Mann sich nach den drei andern Himmelsrichtungen umgesehen, also wohl irgend etwas gesucht hatte. Hierauf war er in schnurgeradem Galoppe nach dem vorhin erwähnten Wäldchen geritten. Folglich mußte dieses der Ort sein, den er gesucht hatte. Dieser Gedanke lenkte unsere Blicke in die angegebene Richtung. Wenn ich sage „unsere Blicke“, so meine ich Winnetou und mich, denn unsere drei Gefährten dachten nicht so scharf wie wir.

Eigentlich konnte es uns sehr gleichgültig sein, wer der Reiter gewesen war, und zunächst bot das Wäldchen auch gar keinen Grund zur besondern Aufmerksamkeit; aber die Fährte war kaum eine halbe Stunde alt, und das war für uns Grund genug, die gebotene Vor- oder vielmehr Umsicht walten zu lassen.

„Uff! Wo-uh-ke-za!“ ließ sich da der Apatsche hören, indem er den Arm hob, um mir einen ganz bestimmten Punkt des Wäldchens zu bezeichnen.

„Wo-uh-ke-za“ ist ein Dakota-Wort und bedeutet eine Lanze. Warum bediente sich Winnetou nicht des betreffenden Apatschenwortes? Ich sollte den Grund sehr bald erfahren und da wieder einmal, wie schon oft, bemerken, was für scharfe Augen er besaß. Der Richtung seines ausgestreckten Armes folgend, bemerkte ich am Rande des Wäldchens einen Baum, welcher einen seiner Äste weit vorstreckte; auf diesen Ast war senkrecht eine Lanze befestigt; das sah auch ich, obgleich weder Hammerdull noch Holbers oder Treskow sie erkennen konnten. So weit von uns entfernt, glich sie einem Bleistiftstriche am von der untergehenden Sonne rot gefärbten Himmel. Wären wir nicht durch die Fährte auf das Wäldchen aufmerksam gemacht worden, so hätte keiner von uns diese Lanze bemerkt. Sie mußte jedem entgehen, der nicht ganz nahe am Wäldchen vorüberkam. Als, Dick Hammerdull von ihr hörte, sagte er:

„Ich kann sie nicht sehen; aber wenn es wirklich so ein Spieß ist, wie ihr denkt, so weiß jedermann, daß Lanzen nicht auf Bäumen wachsen. Es muß also ein Zeichen sein!“

„Das Zeichen eines Dakota,“ nickte Winnetou.

„So ist es eine Dakota-Lanze?“ fragte der Dicke im höchsten Grade erstaunt.

„Ja; nur weiß ich noch nicht, von welchem Volke der Dakota.“

„Ob Volk oder nicht, das bleibt sich ganz egal! Es ist schon überhaupt ein staunenswertes Wunder, daß es Augen giebt, die auf eine Meile hin diese Lanze als Spieß erkennen können. Die Hauptsache ist die Frage, ob wir etwas mit ihr zu schaffen haben.“

Da diese Worte an mich gerichtet waren, so antwortete ich:

„Sie kann uns natürlich nicht gleichgültig sein. Es giebt außer den Osagen hier keine Dakota, und weil wir wissen, daß die Osagen jetzt die Kriegsbeile ausgegraben haben und diese Lanze ein Zeichen für irgend jemand bildet, so versteht es sich ganz von selbst, daß wir die Bedeutung dieses Zeichens kennen lernen müssen.“

„So reiten wir hinüber?“

„Ja.“

„So kommt!“

Er wollte seine alte Stute in Bewegung setzen; ich griff ihm aber in die Zügel und warnte:

„Wollt Ihr Eure Haut zu Markte tragen? Die Lanze hat als Zeichen sehr wahrscheinlich zu bedeuten, daß Osagen da drüben stecken und auf irgend jemand warten oder vielmehr gewartet haben, denn der Reiter, dessen Spuren wir hier sehen, ist zu ihnen hinübergeritten und scheint sich vorher nach der Lanze umgeschaut zu haben. Wenn wir ihm direkt auf seiner Fährte folgen, müssen wir gesehen werden. Hoffentlich seht Ihr das ein, Dick Hammerdull!“

„Hm! Ob ich es einsehe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber richtig ists, was Ihr da sagt, Mr. Shatterhand. Meint Ihr denn, daß sie uns noch nicht gesehen haben?“

„Ja, das meine ich. Wir stechen von dem Gesträuch, an dem wir uns hier befinden, nicht im geringsten ab und können also noch nicht bemerkt worden sein. Dennoch müssen wir schleunigst von hier fort. Kommt also; Ihr seht, das Winnetou diese Stelle schon verlassen hat!“

Der Apatsche, wie stets ein Mann der That, hatte nicht auf unsere Rede geachtet und war, sich vorsichtigerweise nordwärts wendend, fortgeritten. Wir folgten ihm, bis wir das Wäldchen aus den Augen verloren hatten, und wendeten uns dann nach Westen, um den Bach zu erreichen. Als wir bei ihm angekommen waren, brauchten wir ihm nur aufwärts zu folgen, um im Schutze der Büsche von Norden her an das Wäldchen zu kommen. Da hielt Winnetou an, stieg vom Pferde, gab mir seine Silberbüchse aufzuheben und sagte:

„Meine Brüder werden hier warten, bis ich wiederkomme und ihnen sage, wen ich am Baume der Lanze gesehen habe!“

Er hatte also vor, als Kundschafter nach dem Wäldchen zu gehen, und kroch in das Gesträuch, um die Lösung seiner nicht leichten Aufgabe anzutreten. Er nahm dergleichen Obliegenheiten am liebsten in seine eigene Hand, und man hatte auch allen Grund, sie ihm zu überlassen, da er im Anschleichen und Kundschaften ein geradezu unerreichbarer Meister war. Wir trieben unsere Pferde, nachdem wir abgestiegen waren, in das Gebüsch bis an den Bach, wo sie trinken konnten, und setzten uns da nieder, um auf die Rückkehr des Apatschen zu warten. Seine Abwesenheit konnte, falls wirklich Osagen in dem Wäldchen waren, mehrere Stunden dauern; doch war höchstens eine halbe vergangen, als er wieder bei uns erschien und uns meldete:

„Ein Bleichgesicht sitzt unter dem Baume der Lanze und wartet auf die Rückkehr eines roten Kriegers, welcher einen halben Tag lang dort gewesen und dann fortgeritten ist, um Fleisch zu machen.“

Mir genügten diese Angaben, welche den großen Scharfsinn des Apatschen bestätigten, vollständig. Dick Hammerdull aber, dem sie nicht ausführlich genug erschienen, erkundigte sich:

„Ist der Häuptling der Apatschen mitten drin im Wäldchen gewesen?“

Winnetou nickte. Der Dicke fuhr fort:

„Er hat also keinen Indianer gesehen?“

Winnetou schüttelte den Kopf.

„Wer mag wohl der Weiße sein, welcher unter dem Baume sitzt?“

„Old Wabble,“ antwortete der Apatsche kurz.

„Donner und Doria! Was mag der alte Cowboy dort wollen?“

Winnetou zuckte die Achsel; dann fragte Hammerdull weiter:

„Was für ein Indianer ist es wohl, auf den Old Wabble wartet?“

Schahko Matto, der Kriegshäuptling der Osagen.“

„Schahko Matto? Kenne den Kerl nicht. Habe noch nie von ihm gehört. Kennt ihn der Häuptling der Apatschen?“

Winnetou nickte wieder. Er ließ sich nie gern in dieser Weise ausfragen, und ich wartete mit stillem Vergnügen auf den Zeitpunkt, an welchem seine Geduld zu Ende gehen würde. Der kleine Dicke aber setzte seine Erkundigungen neugierig fort:

„Ist der Rote ein tapferer oder feiger Kerl?“

Diese Frage war höchst überflüssig. Schahko Matto heißt „sieben Bären“; es sind da Grizzlies gemeint. Auch pflegt ein feiger Indianer nicht auf Kundschaft zu gehen. Wer sieben graue Bären erlegt hat und ohne alte Begleitung den Kriegspfad betritt, muß Mut besitzen. Darum beantwortete Winnetou diese Frage nicht, und dies war für Hammerdull Grund, sie zu wiederholen. Als er auch hierauf keine Antwort bekam, sagte er:

„Warum spricht Winnetou nicht weiter? Es ist doch höchst vorteilhaft, zu wissen, ob man es mit einem feigen oder tapfern Mann zu thun hat. Darum habe ich meine Frage zweimal ausgesprochen.“

Da wendete Winnetou, welcher bisher vor sich hingeblickt hatte, ihm sein Gesicht voll zu und entgegnete in jenem milden und doch so ungeheuer abweisenden Tone, den ich nur bei ihm gehört und gefunden habe:

„Warum hat mein Bruder Old Shatterhand mich nicht gefragt? Warum ist er still gewesen? Man soll erst denken und dann sprechen, denn es ist eine Verschwendung der Zeit, sich nach Dingen zu erkundigen, die man sich so leicht denken kann. Zum Denken gehört nur ein Mann, zum Sprechen aber sind wenigstens zwei nötig. Warum sollen sich zwei mit Sprechen befassen, wenn einer dieselbe Sache durch Nachdenken erledigen kann? Mein weißer Bruder Hammerdull muß sehr viel Gehirn besitzen und ein guter Denker sein; wenigstens ist er dick genug dazu!“

Ich sah, daß der Zurechtgewiesene zunächst zornig auffahren wollte; aber die Hochachtung, welche er Winnetou widmete, veranlaßte ihn, sich zu beherrschen, und so antwortete er in ruhigem Tone:

„Ob dick genug oder nicht, das bleibt sich nicht nur gleich, sondern das ist sogar ganz und gar egal; nur muß ich so frei sein, zu bemerken, daß ich nicht mit dem Bauche denken kann, weil das Gehirn bekanntlich nicht im Leibe, sondern im Kopfe zu suchen ist. Habe ich da nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon? Sag mir das doch!“

„Nein,“ antwortete der Gefragte in seiner kurzen Weise.

Es geschah nicht oft, daß der Dünne dem Dicken einmal unrecht gab; darum rief Dick Hammerdull sehr verwundert aus:

„Nicht? Ich habe nicht recht? Warum nicht?“

„Weil du Fragen ausgesprochen hast, welche vermuten lassen, daß du das Gehirn allerdings nicht im Kopfe, sondern in derjenigen Körpergegend hast, wo bei andern, richtig gebauten Leuten die Milz oder die Leber liegt.“

„Was? Du willst mich foppen? Höre, Pitt Holbers, altes Coon, wenn du dich auf diese schlechte Seite legst, so kann es leicht – –“

Ich unterbrach ihn durch einen Wink meiner Hand, welcher ihm Schweigen gebot, denn Winnetou hatte seine Silberbüchse genommen und den Zügel seines Pferdes ergriffen, um die Stelle zu verlassen, an welcher wir uns befanden. Er sah es gar nicht ungern, wenn Dick und Pitt sich halb scherz- und halb ernsthaft miteinander stritten; aber jetzt gab es wichtigeres zu thun. Wir nahmen auch unsere Pferde und folgten ihm hinaus an den Rand des Gebüsches. Er führte uns, ohne in den Sattel zu steigen, lang an demselben hin, bis wir in die Nähe des Wäldchens gelangt waren, dort wieder in das Gesträuch hin und sagte, seine Stimme dämpfend:

„Old Shatterhand wird mit mir gehen. Die andern weißen Brüder bleiben hier, bis ein Pfiff dreimal erschallt. Dann kommen sie nach dem Baume der Lanze geritten, wo sie uns mit zwei Gefangenen finden werden, und bringen unsere Pferde mit!“

Das war mit solcher Bestimmtheit gesagt, als ob er allwissend sei und das, was geschehen würde, ganz genau vorher bestimmen könne. Er legte seine Büchse ab, ich meine beiden Gewehre auch, und dann folgten wir, ohne das Buschwerk wieder zu verlassen, dem Bache, welcher uns, seinem Laufe aufwärts, nach dem Wäldchen führen sollte.

Die Dämmerung brach herein, und da wir uns im Dikkicht befanden, war es um uns dunkler als draußen auf der Prairie; dennoch braucht eigentlich gar nicht gesagt zu werden, daß unser Vordringen ohne das geringste Geräusch vor sich ging. Wir erreichten die Stelle, wo die Ufer des Baches sich nach rechts wendeten und wir das Wäldchen vor uns hatten, wo es kein Unterholz gab und das Anschleichen also bequemer war. Von Stamm zu Stamm schlüpfend, näherten wir uns dem Baume, auf dessen Ast wir die Lanze gesehen hatten. Da er am Rande des Gehölzes stand, wo es wieder Büsche gab, war es dort heller als bei uns unter dem dichten Wipfeldache, und so konnten wir, ohne selbst bemerkt zu werden, sehen, wer sich an dem oft erwähnten Signalbaume befand.

Dort gab es einen alten, verlassenen Kaninchenbau, welcher einen kleinen, aber doch über meterhohen Hügel bildete, an welchem der einstige „König der Cowboys“ saß. Sein Pferd weidete draußen auf der Prairie, ein Beweis, daß Old Wabble sich hier an diesem Orte sicher fühlte, denn wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte er sein Tier innen im Gehölz versteckt, wo wir ein zweites Pferd erblickten, welches mit den Zügeln an einem Baume angebunden war. Es war indianisch aufgezäumt und, so viel wir bei der zunehmenden Dunkelheit sehen konnten, ein vorzüglich gebauter dunkelbrauner Hengst. Zwischen Haut und Sattel lag – eine Seltenheit für ein Indianerpferd – eine dunkle Lederdecke mit ausgeschnittenen Figuren, welche, durch untergelegtes weißes Leder hervorgehoben, sieben Bären darstellten. Das war der Grund, daß Winnetou mit solcher Bestimmtheit hatte sagen können, daß Old Wabble auf Schahko Matto warte, denn nur diesem, dessen Namen „sieben Bären“ bedeutete, konnte der Hengst gehören.

Die gegenwärtigen Umstände machten es zweifellos, daß der Häuptling nur fortgegangen war, um irgend ein Wild zu beschleichen; der Proviant war ihm ausgegangen. Daß er das wertvolle Pferd zurückgelassen hatte, deutete darauf, daß auch er diese Gegend und das Wäldchen für vollständig sicher hielt. Bei Winnetou und mir aber wäre eine solche Sorglosigkeit vollständig unmöglich gewesen. Daß Old Wabble hierher gekommen war und nun so ruhig auf ihn wartete, ließ auf ein ganz besonderes Einvernehmen zwischen beiden schließen, und welcher Art dasselbe war, das läßt sich leicht erraten. Old Wabble hatte in früheren Zeiten den Beinamen „Indianerschinder“ getragen und war als solcher von allen Roten gehaßt und gefürchtet worden; der Häuptling eines roten Stammes konnte trotz dieses Hasses nur dann mit ihm in Verbindung treten, wenn er große Vorteile davon erwartete, und da die Osagen sich jetzt auf dem Kriegsfuße befanden, so konnte es sich nur um irgend eine Teufelei handeln, welche sehr wahrscheinlich gegen Weiße gerichtet war. Es verstand sich dabei ganz von selbst, daß dies nicht das erste Zusammentreffen in dieser Angelegenheit zwischen Schahko Matto und dem Alten war, und ich hielt es für sehr wahrscheinlich, daß Old Wabble sich von den Osagen als Spion benutzen ließ. So eine Infamie war ihm schon zuzutrauen.

Wenn Winnetou mit solcher Bestimmtheit vorhergesagt hatte, daß unsere Gefährten zwei Gefangene bei uns finden würden, so war er überzeugt gewesen, daß der Osage uns nicht lange auf seine Rückkehr warten lassen werde. Dies war auch meine Ansicht, weil von der Erlegung eines Wildes nach eingebrochener Dunkelheit nicht mehr die Rede sein konnte. Als ob er die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen habe, sahen wir, zwischen den Stämmen hindurch und hinaus auf die Prairie blickend, beim letzten Dämmerlichte einen Indianer, welcher so sorglos und grad auf das Wäldchen zugeschritten kam, daß er ganz gewiß nicht den Gedanken hegte, es könne sich ein ihm feindliches Wesen hier befinden.

Je mehr er sich in dem eigentümlichen Gange, welcher eine Folge der dünnen, absatzlosen Mokassins ist, uns näherte, desto deutlicher konnten wir ihn erkennen. Er war nicht groß, aber ungemein breit gebaut und machte trotz der ungewöhnlichen Krümmung seiner Beine und seines Alters – er mochte über fünfzig zählen – den Eindruck eines körperlich außerordentlich kräftigen Menschen. In der einen Hand trug er das Gewehr, in der andern ein erlegtes Prairiehuhn. Als er das Wäldchen fast erreicht hatte, mußte er trotz des jetzt herrschenden Dreivierteldunkels die Fährte des Alten sehen. Er blieb stehen und rief, gegen das Gehölz gerichtet, in leidlich gutem Englisch:

„Wer ist der Mann, der diese Spur machte und sich jetzt unter den Bäumen befindet?“

Winnetou legte mir die Hand auf den Arm, ihn leise drükkend, ein Ersatz des mitleidigen Lächelns, welches ich nicht sehen konnte, ihm abgelockt durch das unbegreiflich thörichte Verhalten des Osagen, dessen Frage vollständig überflüssig war. Entweder befand sich sein Verbündeter im Wäldchen, welches er in diesem Falle getrost betreten konnte, oder es war ein Feind darin versteckt, vor dessen Anschlägen ihn die Frage unmöglich schützen konnte. Was er erwartet hatte, das geschah: der alte Cowboy antwortete mit lauter Stimme:

„Ich, Old Wabble, bin es; komm herein!“

„Sind noch andere Bleichgesichter bei dir?“

„Nein. Du mußt doch an meiner Spur sehen, daß ich allein gekommen bin!“

Das war nicht richtig. Er konnte auch Gefährten haben, die sich vorher von ihm getrennt und dann von einer entfernten Stelle aus, gerad so wie wir, nach dem Gehölz begeben hatten. Wir wußten, daß Old Wabble sich nicht allein am Republikan-River befand. Wo waren jetzt seine Begleiter? Durften sie von seiner Zusammenkunft mit dem Osagen nichts wissen, oder hatte er sie aus einem andern vielleicht uns betreffenden Grund zurückgelassen? Ich hoffte, das zu erfahren.

Schahko Matto kam herein, ging mit tastenden Schritten zu ihm hin, setzte sich bei ihm nieder und fragte:

„Wann ist Old Wabble hier angekommen?“

„Vor fast zwei Stunden,“ antwortete der Alte.

„Hat er das Zeichen, welches wir verabredeten, sofort bemerkt?“

„Nicht gleich. Ich sah mich drüben an der Flußecke um und dachte, daß das Wäldchen hier ein guter Versteck sein müsse. Darum ritt ich her und sah, als ich näher gekommen war, dann auch die Lanze stecken. Du hast diesen Ort sehr gut gewählt.“

„Wir sind hier sicher, denn ich weiß, daß sich außer mir und dir kein Mensch im weiten Umkreis befindet. Ich bin schon seit gestern hier. Das war der Tag, an dem du kommen wolltest. Weil ich bis heut auf dich warten mußte, ist mein Fleisch zu Ende gegangen, und ich war gezwungen, fortzugehen, um diesen Vogel zu schießen.“

Das klang wie ein Vorwurf. Old Wabble antwortete:

„Der Häuptling der Osagen wird mir nicht zürnen, daß er warten mußte. Ich werde ihm dann sagen, weshalb ich später gekommen bin, und hege die Überzeugung, daß diese Nachricht ihm große Freude bereiten wird; th’is clear.“

„Ist Old Wabble auf Fenners Farm gewesen?“

„Ja. Wir kamen gestern kurz vor Mittag dort an. Der Besuch der andern drei Farmen, die ihr auch überfallen wollt, hat uns länger aufgehalten, als wir dachten. Du hättest trotzdem nur bis heute nacht auf uns zu warten gehabt. Daran, daß ich nun erst vorhin kommen konnte, trägt ein großer und sehr wichtiger Fang die Schuld, welchen du machen kannst, wenn du auf die Vorschläge eingehst, welche ich dir machen werden.“

„Was für einen Fang meint Old Wabble?“

„Davon später. Zunächst will ich dir berichten, wie ich die vier Farmen, auf welche ihr es abgesehen habt, gefunden habe.“

Wir hatten uns leise bis an die andere Seite des Kaninchenbaues vorgeschoben und hörten jedes Wort, zumal die beiden unvorsichtigen Männer gar nicht auf den Gedanken kamen, leise zu sprechen. Aus dem, was wir belauschten, bekam ich zunächst die Gewißheit, daß ich recht gehabt hatte, als ich annahm, daß Old Wabble den Spion der Osagen mache. Es handelte sich um den Überfall und die Beraubung von vier großen Farmen, Fenners Besitztum eingerechnet. Es war die alte leider immer wiederkehrende Geschichte: Die Osagen waren von den Weißen in Beziehung auf die ihnen zukommenden Lieferungen betrogen worden und hatten, um sich einigermaßen zu entschädigen und das nötige Fleisch zu haben, die Rinder einer Farm weggetrieben. Man hatte sie verfolgt und eine Anzahl ihrer Krieger getötet. Nach ihren Anschauungen forderte das ihre Rache heraus, und so wurde am Beratungsfeuer der Kampf gegen die Bleichgesichter beschlossen. Zunächst sollten die vier größten Farmen am Republikan-River überfallen werden. Da auf diesen aber eine ansehnliche Zahl von Cowboys bedienstet waren und die Roten diese halbwilden und verwegenen Kerls mehr als alle andern Gegner fürchten, mußten Kundschafter ausgesandt werden, die zu erfahren suchen sollten, mit wieviel Cowboys ungefähr man es zu thun haben werde. Die Klugheit verbot, Indianern, wenigstens Kriegern des eigenen Stammes, diese Aufgabe zu erteilen. Schon richtete Schahko Matto sein Augenmerk auf einige Mischlinge, von denen er wußte, daß sie in Beziehung auf den Unterschied zwischen gut und böse gar nicht wählerisch seien, wenn sie nur ihren Vorteil dabei fänden, da führte der Zufall ihm Old Wabble und seine Begleiter zu. Er schien mit ihm schon früher einmal in einer ähnlichen Verbindung gestanden zu haben; das Gespräch brachte zwar nichts Bestimmtes darüber, doch mußte es so sein, denn sonst hätte der Osage dem Alten einen solchen Vorschlag, auf den sofort eingegangen wurde, nicht gemacht. Das Übereinkommen lautete sehr einfach dahin, daß die Osagen die Skalpe, Waffen und Herden der Überfallenen bekommen sollten, während Old Wabble für sich und seine Leute alles übrige in Anspruch nahm. Natürlich war es seinerseits nur auf Geld und sonstige Gegenstände abgesehen, welche leicht verkauft werden konnten. Wer von beiden, Schahko Matto oder Old Wabble, der eigentliche Halunke war, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Wir bemerkten, daß der Häuptling den „König der Cowboys“ nicht ein einziges Mal „mein weißer Bruder“, sondern stets nur bei seinem Namen nannte, ein Beweis, daß derartige Subjekte bei den Indsmen auch nicht mehr Achtung besitzen als bei den civilisierten Bleichgesichtern.

Als Old Wabble seinen Spionenritt begann, waren die Osagen noch nicht mit ihrer „Mobilmachung“ zu Ende, und da die Erkundung der Verteidigungsverhältnisse der vier Farmen von größter Wichtigkeit für das Gelingen war, so hatte sich der Häuptling selbst und allein aufgemacht, um den Bericht des Alten an der Biegung des Republikan-River entgegenzunehmen. Die Lanze sollte die Stelle bezeichnen, an welcher Schahko Matto zu treffen sei.

Nun hatten sie sich hier im Wäldchen zusammengefunden, und Old Wabble erstattete seinen Bericht dahin, daß die Farmen mit nur geringem Verluste an roten Kriegern wegzunehmen seien. Er machte Vorschläge, welche ich übergehen kann, weil infolge unsers heutigen Einschreitens die geplanten Überfälle aufgegeben werden mußten. Der Häuptling ging teilweise auf dieselben ein und kam dann auf den „wichtigen Fang“ zurück, den Old Wabble ihm beim Beginne des Gespräches in Aussicht gestellt hatte. Der alte Cowboy antwortete in seiner schlauen, wohlberechnenden Weise:

„Der Häuptling der Osagen muß mir einige Fragen beantworten, ehe ich ihm sagen kann, um was es sich handelt. Kennst du den Apatschenhäuptling Winnetou?“

„Diesen Hund? Ich kenne ihn.“

„Du nennst ihn einen Hund. Hat er sich dir gegenüber etwa einmal feindlich gezeigt?“

„Mehr als einmal! Wir hatten vor drei Sommern die Kriegsbeile gegen die Cheyennes ausgegraben und in mehreren Kämpfen schon viele ihrer Krieger getötet; da kam der Apatsche und stellte sich neben ihrem Häuptling an ihre Spitze. Er ist feig wie ein Coyote, aber schlau wie tausend alte Weiber. Er that, als ob er mit uns kämpfen wolle, zog sich aber zurück und war, als wir ihm folgten, plötzlich jenseits des Arkansas verschwunden. Während wir ihn und die entflohenen Kröten der Cheyennes dort suchten, ritt er mit größter Eile zu unsern Wigwams, nahm unsere Herden weg und alles, was daheim geblieben war, gefangen. Als wir dann ankamen, hatte er aus unsern Lagerplätzen Festungen gemacht, in denen unsere zurückgebliebenen Krieger, Greise, Frauen und Kinder steckten und in denen er mit den Cheyennes stand, uns zu einem Frieden zu zwingen, der ihm keinen Tropfen Blutes, uns aber allen Ruhm unserer Tapferkeit gekostet hat. Wolle doch der große Geist es geben, daß dieser räudige Pimo einmal in meine Hände gerät!“

Die Kriegsthat, von welcher der Häuptling jetzt erzählte, war ein wahres Meisterstück meines Winnetou gewesen. Ich hatte mich zu jener Zeit leider nicht bei ihm befunden, kannte aber aus seinem Munde alle Einzelheiten dieses hochinteressanten Schachzuges, durch welchen er die uns befreundeten Cheyennes nicht nur vom gewissen Untergange errettet, sondern sie, obgleich sie viel schwächer als ihre Feinde gewesen waren, zum vollständigen Siege über dieselben geführt hatte, und zwar ohne daß ein einziger Tropfen Blutes dabei vergossen worden war. Der Grimm, welchen Schahko Matto gegen ihn hegte, war wohl zu begreifen.

„Warum habt ihr euch noch nicht an ihm gerächt?“ fragte Old Wabble. „Es ist doch so leicht, ihn zu ergreifen? Er befindet sich nur selten in den Wigwams seiner Apatschen, sondern wird vom bösen Geiste immer fortgetrieben, über die Savannen und Gebirge. Er liebt es nicht, Begleiter bei sich zu haben; also braucht man da bloß zuzugreifen, wenn man ihn haben will.“

„Du redest, ohne über deine Worte nachgedacht zu haben. Eben weil er sich unablässig unterwegs befindet, kann man ihn nicht fassen. Das Gerücht hat uns schon oft den Ort bezeichnet, an welchem er gesehen worden war; aber wenn wir dann hinkamen, war er stets schon wieder fort. Er gleicht dem Ringer, den man nicht fassen und nicht halten kann, weil er seinen Körper eingefettet hat. Und wenn man einmal glaubt, ihn ganz sicher zu haben, so befindet sich das Bleichgesicht, welches Old Shatterhand genannt wird, an seiner Seite. Dieser Weiße ist der größte Zauberer, den es giebt, und wenn er und der Apatsche bei einander sind, so besitzen hundert Osagen nicht Macht genug, sie anzugreifen oder gar sie festzunehmen.“

„Ich werde dir beweisen, daß dies ein Irrtum von dir ist. Du betrachtest diesen Old Shatterhand auch als euern Feind?“

„Uff! Wir hassen ihn noch viel, viel mehr als Winnetou. Der Häuptling der Apatschen ist doch wenigstens ein roter Krieger, der mit uns zur großen Nation der Indsmen gehört; Old Shatterhand aber ist ein Weißer, den wir schon deshalb hassen müssen. Er hat schon zweimal den Utahs gegen uns beigestanden; er ist der grimmigste Feind der Ogellallah, welche unsere Freunde und Brüder sind. Er hat mehrere unserer Krieger, als sie ihn festnehmen wollten, lahm geschossen, sodaß sie nun wie alte Weiber sind. Das ist schlimmer, als wenn er sie getötet hätte. Dieser Hund sagt nämlich, daß er seinen Feinden nur dann das Leben nehme, wenn er von ihnen dazu gezwungen werde; er giebt ihnen die Kugeln seines Zaubergewehres entweder in die Knie oder in die Hüfte und nimmt ihnen also für ihr ganzes Leben die Fähigkeit, zu den Männern, zu den Kriegern gerechnet zu werden. Das ist entsetzlicher als der langsamste Martertod. Wehe ihm, wenn er einmal in unsere Hände geraten sollte! Aber das wird wohl nie geschehen, denn er und Winnetou gleichen den großen Vögeln, die hoch über dem Meere schweben: sie kommen nie herunter, daß man sie fangen kann.“

„Du irrst abermals. Sie kommen sehr oft herunter; ich weiß sogar, daß sie grad jetzt wieder unten und leicht zu fassen sind.“

„Uff! Ist es die Wahrheit, die du sagst?“

„Ja.“

„Hast du sie gesehen?“

„Ich habe sogar mit ihnen gesprochen.“

„Wo, wo? Sag es mir schnell!“

Er stieß diese Aufforderung sehr rasch und eifrig hervor.

Wir hörten, wie begierig er darauf war, seinen heißen Wunsch, sich unser einmal bemächtigen zu können, in Erfüllung gehen zu sehen. Old Wabble antwortete um so ruhiger und bedächtiger:

„Ich kann dir behilflich sein, Winnetou, Old Shatterhand und noch drei andere Bleichgesichter zu ergreifen, denn ich weiß, wo sie zu finden sind; aber ich kann dir dieses Geheimnis nur unter einer Bedingung mitteilen.“

„So sag, was für eine Bedingung dies ist!“

„Wir nehmen sie alle fünf gefangen; Ihr bekommt die drei andern Weißen und überlaßt mir Old Shatterhand und den Häuptling der Apatschen.“

„Wer sind die drei andern Bleichgesichter?“

„Zwei Westmänner, welche Hammerdull und Holbers heißen, und ein Polizist, der sich Treskow nennt.“

„Die kenne ich nicht. Wir sollen diese fünf Männer fangen und nur die drei bekommen, die uns so gleichgültig sind, dir aber die zwei überlassen, an denen uns so viel gelegen ist? Wie kannst du das von mir verlangen!“

„Ich muß es fordern, weil ich gegen Winnetou und Old Shatterhand eine Rache habe, die so grimmig und unerbittlich ist, daß ich, um sie auszuführen, mein Leben geben würde!“

„Wir haben nicht geringeren Zorn gegen sie!“

„Das mag sein; aber ich bin es, der sie in der Falle hat, und so gebührt mir der Vorzug, die zu nehmen, die ich will.“

Der Häuptling dachte eine kleine Weile nach und sagte dann:

„Wo befinden sie sich?“

„Ganz in der Nähe; th’is very clear.“

„Uff, uff! Wer hätte das gedacht? Aber hast du sie schon sicher? Befinden sie sich schon in der Falle, von welcher du sprichst?“

„Ich brauche nur eine Anzahl deiner Krieger, um sie festzunehmen.“

„Krieger brauchst du von mir? Geht es nicht ohne das?“

„Nein.“

„So hast du sie auch noch nicht fest. Meine Krieger sollen dir zu der Falle behilflich sein, welche du diesen Hunden stellen willst; ohne meine Leute würde dir dieser Fang entgehen. Wie darfst du da eine so hohe Forderung stellen und grad diejenigen für dich verlangen, an denen uns am meisten gelegen ist!“

„Weil ihr gar nichts bekommt, wenn du mir nicht den Willen thust.“

„Uff! Und was bekommst denn du, wenn du keine Krieger der Osagen hast? Nichts, gar nichts! Du verlangst zu viel von mir!“

Sie stritten eine Weile hin und her. Schahko Matto war zu klug, sich übertölpeln zu lassen, und da Old Wabble einsah, daß er auf seine Rache sehr wahrscheinlich ganz verzichten müsse, wenn er nichts von seiner Forderung ablasse, so zog er es vor, in Beziehung auf eine Person zurückzutreten, um der andern desto sicherer zu sein, und erklärte:

„Nun gut! Damit du siehst, daß ich dir entgegenkomme, will ich euch zu den drei Weißen noch Winnetou überlassen; aber Old Shatterhand muß ich haben, unbedingt haben! Er ist es, dessen Rechnung bei mir höher, viel höher angelaufen ist als diejenige des Apatschen, und wenn du mir seine Person verweigerst, so lasse ich lieber alle fünf entkommen. Das ist mein letztes Wort. Nun thue, was du nicht lassen kannst!“

Der Osage zeigte keine große Lust, auf diese Forderung einzugehen; er wollte auch mich gern haben, sagte sich schließlich aber doch, daß es besser sei, sich mit dem, was ihm geboten wurde, zu begnügen, als die Gelegenheit, sich an Winnetou rächen zu können, unbenutzt vorübergehen zu lassen, und stimmte also mit den Worten bei:

„Old Wabble soll seinen Willen haben und Old Shatterhand bekommen. Nun will ich aber auch endlich wissen, wo die fünf Männer sich befinden und auf welche Weise wir sie fangen können.“

Der alte Cowboy sagte, daß er uns auf Fenners Farm getroffen hatte, hütete sich aber, von der unrühmlichen Lage zu sprechen, in welche er dabei gekommen war. Als er seine Erzählung beendet hatte, fügte er hinzu:

„Du weißt nun, daß ich nicht zur rechten Zeit hier bei dir eintreffen konnte. Ich mußte alles erfahren, was diese fünf Kerls betrifft, und durfte nichts versäumen, was geschehen mußte, wenn dieser Fang uns gelingen soll. Die Cowboys auf der Farm wußten nicht, wie ich mit Winnetou und Old Shatterhand stehe. Einer von ihnen hatte in dem Gebäude erfahren, weshalb diese beiden an den Republikan-River gekommen sind, und es den andern gesagt. Ich habe sie ausgehorcht und mich dann, als es dunkel war, an das Fenster geschlichen. Fenner saß mit ihnen in der Stube. Sie erzählten verschiedene ihrer Erlebnisse. Dazwischen fiel zuweilen eine Bemerkung über die Absichten, die sie jetzt verfolgen. Sie wollen nach Colorado hinauf, wohin ihnen ein anderer Weißer, der stets auch ein unerbittlicher Feind der roten Männer war, vorangeritten ist. Sie werden, ich konnte nicht hören, wo, mit ihm zusammentreffen und dann einen Trupp von Bleichgesichtern überfallen, die – –“

„Wer ist der Weiße, von dem du sprichst?“ unterbrach ihn der Häuptling der Osagen.

„Er wird gewöhnlich Old Surehand genannt.“

„Old Surehand? Uff! Diesen Hund haben wir einmal drei Tage lang gejagt, ohne ihn erwischen zu können. Er hat uns dabei zwei Krieger und mehrere Pferde erschossen und ist seitdem nicht wieder in unser Gebiet gekommen. Er meidet diese Gegend, weil er Angst vor unserer Rache hat.“

„Da befindest du dich schon wieder im Irrtum. Er war vor einigen Tagen auf Fenners Farm, und weil er von da aus hinauf nach Colorado ist, muß er durch euer Gebiet geritten sein. Er scheint sich also nicht vor euch zu fürchten.“

„So muß er vom bösen Geiste die Gabe bekommen haben, sich unsichtbar zu machen! Dafür aber wird er, wenn er nicht über das große Gebirge geht, uns bei seiner Rückkehr in die Hände fallen. Er bleibt uns also sicher. Er muß aus Furcht vor uns nur bei Nacht geritten sein, sonst hätten wir ihn gesehen.“

„Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hättet ihr am Tage seine Spur sehen müssen. Furcht kennt dieser Kerl gar nicht. Wie wenig man sich überhaupt vor euch fürchtet, das könnt ihr wieder daraus erkennen, daß Winnetou und Old Shatterhand, eure Todfeinde, hierhergekommen sind, obgleich sie wissen müssen, daß ihr die Kriegsbeile ausgegraben habt.“

„Schweig! Das thun sie nicht aus Mangel an Furcht vor uns, sondern weil der große Geist sie verblendet hat, um sie uns in die Hände zu treiben. Die Hauptsache ist, zu wissen, wo sie sich befinden und welchen Weg sie einschlagen wollen.“

„Meinst du, daß ich zu dir komme, ohne dies erfahren zu haben? Ich habe meine Maßregeln so gut getroffen, daß sie uns nicht entgehen können. Wie lange sie auf Fenners Farm geblieben sind, das weiß ich allerdings nicht, denn ich mußte leider fort; sicher aber ist, daß sie heut dort aufgebrochen sind, weil sie Old Surehand einholen wollen. Sie werden selbstverständlich dem Flusse folgen, und weil sie an das andere Ufer übergehen müssen, habe ich an den Stellen, die sich besonders dazu eignen, einen meiner Begleiter als Wächter zurückgelassen. Dies ist auch der Grund, daß ich allein hier angekommen bin. Diese Wächter haben die Weisung, den Flußübergang der fünf Halunken abzuwarten, ihnen heimlich zu folgen und dann hierherzukommen, um uns zu melden, wohin die Kerls geritten sind. Sag, ob das nicht schlau von mir gewesen ist!“

„Old Wabble hat sehr klug gehandelt!“ stimmte der Osage bei.

Wir beiden Lauscher waren da freilich anderer Meinung. Der alte „King of the cowboys“ hatte ganz im Gegenteile, indem er annahm, daß wir dem Flusse folgen würden, einen großen Pudel geschossen. Wir hatten, wie bereits erwähnt, den Bogen, welchen der Republikan-River machte, in gerader Linie abgeschnitten und waren seinen Wächtern weit vorausgekommen. Jetzt konnten sie nun auf uns warten, so lange es ihnen beliebte, und an ihrer Stelle sollte Old Wabble uns zu sehen bekommen!

„Der Häuptling der Osagen,“ fuhr er fort, „wird zugeben, daß ich alles gethan habe, was ich thun konnte. Nun ist nur noch nötig, daß deine Krieger zur Stelle sind, wenn sie gebraucht werden.“

„Ich werde sofort aufbrechen, sie zu holen,“ sagte Schahko Matto.

„Wo befinden sie sich? Sind sie weit von hier?“

„Sie haben den Befehl, sich am Wara-tu zu versammeln, welches am großen Pfade der Büffel liegt. Dieser Ort ist von den Flüssen, denen die Bleichgesichter gern folgen, so weit entfernt, daß alle meine Krieger dort zusammenkommen können, ohne von einem Weißen gesehen zu werden. Also können die Bleichgesichter, welche zwar wissen, daß wir die Beile des Krieges ausgegraben haben, nicht ahnen, von welcher Stelle aus und in welcher Richtung sie unsern Angriff zu erwarten haben.“

„Ich weiß nicht, wo das Wara-tu liegt. Wie lange mußt du reiten, um hinzukommen?“

„Mein Pferd hat sich ausgeruht und ist der beste Renner der Osagen. Ich kann lange vor Tagesanbruch dort sein und dir bis Mittag so viel Krieger bringen, wie zur Gefangennahme der vier Weißen und des Apatschen nötig sind.“

„Wie viel werden das wohl sein?“

„Zwanzig sind mehr als genug.“

„Das glaube ja nicht. Ja, wenn der verdammte Henrystutzen Old Shatterhands nicht wäre, der von euch für eine Zauberflinte gehalten wird! Ich weiß zwar, daß von einem Zauber da keine Rede ist, aber dieser Stutzen in den Händen seines Besitzers hat wenigstens ganz denselben Wert wie zwanzig oder dreißig gewöhnliche Gewehre in den Händen gewöhnlicher Westmänner. Dir kann ich es sagen, daß ich Old Shatterhand den Stutzen einmal gestohlen habe; es ist mir aber nicht gelungen, einen einzigen Schuß daraus zu thun. Die Konstruktion ist eine so geheimnisvolle, daß ich mir damals vergeblich den Kopf damit zerbrochen habe. Es war keine Feder, keine Schraube in Bewegung zu setzen.“

„Uff, uff! Du hast ihm das Gewehr gestohlen und es nicht behalten?“

„Ja. Du magst dich zwar mit Recht darüber wundern, daß ich mich zwingen ließ, es wieder herzugeben; aber es war damals grad so, als ob alle Teufel gegen mich wären; th’is clear. Ich hätte es zerschlagen und zerbrechen sollen. Ich habe diesen Gedanken auch wirklich gehabt, aber der General wollte nicht. Dieser Schuft hatte die Absicht, das Gewehr für sich zu behalten, und so gab er es nicht zu, daß ich – –“

Er hielt mitten im Satze inne; es mochte ihm einfallen, daß es besser sei, von jener für ihn so schlecht abgelaufenen Begebenheit lieber zu schweigen. Darum fragte der Häuptling:

„Old Wabble spricht von einem Generale. Warum läßt er seine Rede so plötzlich zu Ende gehen?“

„Weil nichts dabei herauskommt. Es giebt Menschen, die man am liebsten gar nicht in den Mund nimmt; aber ich hoffe, daß dieser General mir vor meinem Tode noch einmal in die Hände läuft. Dann soll er zehnmal mehr Hiebe bekommen als damals in Helmers Home, wo er die Niederträchtigkeit beging, es zu verraten, daß ich – – – Pshaw! Es wurmt mich noch heut so sehr, als ob es erst gestern geschehen wäre; aber was nützt es, so viele Worte darüber zu verlieren; wir haben jetzt anderes und nötigeres zu besprechen! Also der Häuptling der Osagen will jetzt fortreiten, um zwanzig Krieger zu holen? Die genügen nicht, es müssen wenigstens fünfzig sein; th’is clear.“

Der Häuptling hatte vorhin von bloß zwanzig gesprochen, wohl nur, um nicht den Schein der Furchtsamkeit auf sich zu laden; jetzt stimmte er schnell bei.

„Old Wabble muß wissen, was er sagt. Wenn er denkt, daß wir fünfzig Krieger haben müssen, so soll er seinen Willen haben. Ich werde fortreiten, um sie zu holen.“

„Und. ich soll hier bleiben, bis du zurückkehrst?“

„Ja.“

„Wäre es nicht besser, wenn ich mit dir ritte?“

„Nein. Du mußt hier bleiben, um deine Leute zu empfangen. Sie kennen die Stelle, an welcher du dich befindest, nicht genau; darum ist es notwendig, daß du ein großes Feuer anzündest, welches weithin leuchtet.“

„Das darf ich nicht, denn Old Shatterhand und Winnetou würden es sehen, wenn sie kämen. Besser ist es, daß – –“

Er konnte nicht weitersprechen, denn er wurde in diesem Augenblicke von Winnetou mit beiden Händen am Halse gepackt. Schahko Matto war nämlich aufgestanden und zu seinem Pferde getreten, um es loszubinden; darum war die Zeit zum Handeln für uns gekommen. Während der Apatsche Old Wabble auf sich nahm, huschte ich hinter dem Häuptling her, richtete mich in seinem Rücken auf, nahm ihn mit der linken Hand beim Genick und versetzte ihm mit der rechten Hand den bekannten Jagdhieb, so daß er zusammenknickte und zu Boden fiel. Ich trug ihn nach der Stelle, wo er gesessen hatte und wo Winnetou eben mit Old Wabble fertig geworden war. Es dauerte nicht zwei Minuten, so waren sie gefesselt, und Winnetou ließ drei scharfe Pfiffe als das verabredete Zeichen hören. In kurzer Zeit kamen unsere drei Kameraden mit unsern Pferden und Gewehren; die beiden Gefangenen, welche sich noch im Zustande der Betäubung befanden, wurden quer über ihre Tiere gelegt und dort wie Säcke festgebunden. Dann verließen wir das Wäldchen, wo wir wegen der Begleiter Old Wabbles nicht bleiben durften. Wenn diese oder auch nur einer von ihnen sich zum „Baum der Lanze“ fand, ohne daß wir es bemerkten, so konnten oder vielmehr mußten wir in die größte Gefahr geraten. Darum ritten wir zunächst einige Zeit am Bache aufwärts, überschritten ihn dann und hielten grad in die Prairie hinein, bis wir eine kleine isolierte Buschinsel erreichten, wo wir Halt machten. Der Boden war hier feucht und von den Büffeln ziemlich tief ausgewälzt, sodaß wir es wagen konnten, zwischen den Sträuchern auf dem Grunde der Vertiefung ein kleines Feuer anzubrennen, dessen Schein nicht hinaus auf die Prairie drang.

Als wir die beiden Gefangenen von den Pferden gebunden hatten und neben dem Feuer niederlegten, war die Betäubung längst von ihnen gewichen. Sie hatten unterwegs geschwiegen; als sie jetzt unsere Gesichter sahen, sagte zwar der Häuptling auch jetzt kein Wort, aber Old Wabble rief erschrocken aus, indem er, allerdings vergeblich, an seinen Fesseln zerrte:

„Donnerwetter, das sind die frommen Hirten wieder, die dieses Mal nicht ein, sondern zwei Lämmlein auf die Weide führen! Was fällt euch denn ein, mich wieder festzunehmen! Haben euch die feurigen Kohlen doch gereut, die ihr euch einbildet, mir aufs alte, graue Haupt gelegt zu haben?“

Winnetou war zu stolz, eine Antwort zu geben; ich folgte seinem Beispiele. Aber Dick Hammerdull wußte, was der Alte gegen uns geplant hatte, denn ich hatte zu ihm und den beiden anderen unterwegs davon gesprochen; er war voller Zorn auf Old Wabble, hielt es für feig, die höhnenden Worte desselben ruhig hinzunehmen, und antwortete deshalb:

„Laßt es euch doch nicht einfallen, euch Schäflein zu nennen! Ihr seid ärger als die schlimmsten Raubtiere, die nur töten, weil sie leben müssen! Da ein Feuer brennt, habe ich große Lust, Euch wirkliche glühende Kohlen auf Eure alte Perücke zu legen. Ihr braucht gar nicht viele Worte zu machen, so thue ich es; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Das würde der fromme Shatterhand nicht dulden!“ lachte der Cowboy.

„Ob er es duldet oder nicht, das ist ganz egal. Wenn gestern Euer Maß noch nicht voll war, so ist es heut am Überlaufen, und wenn Ihr meint, Eure Lage durch Frechheit verbessern zu können, so befindet Ihr Euch in einem Irrtum, den ich Euch sofort beweisen werde, wenn Ihr noch ein Wort sagt, welches mir nicht paßt!“

„Wirklich? So laßt Euch wenigstens fragen, mit welchem Rechte Ihr uns als Gefangene betrachtet und behandelt!“

„Fragt nicht so dumm, alter Sünder! Old Shatterhand und Winnetou haben im Wäldchen hinter Euch gelegen und jedes Eurer Worte gehört. Wir wissen also ganz genau, was Ihr mit uns vorhattet, und denken, daß wir allen Grund haben, Euch unschädlich zu machen!“

Diese Mitteilung ließ den Mut des alten Wabble sinken. Wenn wir wußten, daß man uns hatte gefangennehmen wollen, um uns zu töten, so reichte selbst seine Frechheit nicht aus, der Angst vor unserer Rache die Wage zu halten. Zwar hatte ich ihm seinen Mordanschlag auf mich verziehen, und es war ja immerhin möglich, daß ich, falls es sich nur um mich selbst handelte, mich noch einmal zur Verzeihung geneigt zeigte; aber der heutige Plan war gegen uns alle gerichtet gewesen, und so sah der Cowboy gar wohl ein, daß es unmöglich war, ferner durch Hohn etwas zu erreichen. Er sprach also nicht weiter, und so mußte auch Dick Hammerdull schweigen.

Nun geschah etwas, was mir abermals bewies, wie geistesverwandt mir der Häuptling der Apatschen war und mit welcher wunderbaren Übereinstimmung sich unsere Gedanken zu begegnen pflegten. Gleich als wir das Wäldchen verließen, hatte ich an Fenner und an die andern Farmen gedacht, welche überfallen werden sollten. Die Besitzer waren ahnungslos; sie mußten gewarnt werden. Zwar war der Häuptling der Osagen in unsere Hände geraten, und wir konnten erwarten, daß dadurch die Ausführung seiner räuberischen Pläne einen Aufschub erleiden werde; aber wir waren so wenig Herren der gegenwärtigen Verhältnisse und auch unserer Zeit, daß allstündlich ein unvorhergesehenes Ereignis eintreten konnte, durch welches der Vorteil, den wir errungen hatten, uns wieder entrissen wurde. Der geplante Überfall war jetzt aufgeschoben, keineswegs aber ganz aufgehoben, und so mußte wenigstens Fenner, der die Warnung dann weiterschicken konnte, benachrichtigt werden. Aber durch wen? Durch Treskow keinesfalls. Hammerdull und Holbers waren zwar Westmänner, aber etwas so Wichtiges mochte ich doch keinem von ihnen anvertrauen; es handelte sich nicht nur um den glücklichen Hin-, sondern auch um den vielleicht noch schwierigern Wiederherritt. Also blieb nur Winnetou oder ich. Mir war es lieber, wenn der Apatsche die Botschaft Übernahm, denn er paßte weniger als ich zu den drei Gefährten, mit denen ohne meine Vermittelung zusammen zu sein er gezwungen gewesen wäre, wenn ich den Ritt nach Fenners Farm unternommen hätte. Ich sah, daß er das Pferd Schahko Mattos mit scharfen Kennerblicken nicht nur betrachtete, sondern, sozusagen, abwog und taxierte. Nun stand er auf, ging zu dem Tiere hin, griff in die Satteltaschen, warf alles heraus, was sie enthielten, steckte mehrere Stücke Fleisch hinein, warf seine Silberbüchse über und wendete sich dann mit der Frage an mich:

„Was sagt mein Bruder zu diesem Osagenhengste?“

„Seine Lunge ist gesund,“ antwortete ich; „seine Sehnen dauern aus, und seine Beine gleichen den Läufen der Antilope. Der Rappe meines roten Bruders mag sich für den Ritt nach Colorado Kräfte sammeln; ich werde ihn unter meine besondere Aufsicht nehmen, und so mag Winnetou diesen Dunkelbraunen besteigen, der ihn schnell hin- und wiederbringen wird.“

„Uff! Mein Bruder Shatterhand weiß, wohin ich will?“

„Ja. Wir werden hier liegen bleiben und warten. Du kommst morgen wieder, ehe die Sonne untergeht.“

„Howgh! Meine Brüder leben wohl!“

Er schwang sich in den Sattel und ritt von dannen. Er wußte, daß er mir nichts weiter zu sagen brauchte, am allerwenigsten aber Verhaltungsmaßregeln zu erteilen hatte. Anders freilich stand es mit meinen drei Kameraden, welche mich, kaum daß er den Rücken gewendet hatte, nach dem Zwecke und dem Ziele seines nächtlichen Rittes fragten. Ich teilte ihnen das Nötige leise mit, denn die Gefangenen brauchten nicht zu erfahren, daß die Besitzer der bedrohten Farmen gewarnt werden sollten. Hierauf aßen wir, und dann verteilte ich die Wachen, und zwar so, daß ich bis nach Mitternacht schlafen konnte. Die Zeit zwischen da und dem Morgen ist im Prairieleben stets die kritische; da wollte ich munter sein, weil ich mir mehr traute als den Kameraden.

Nachdem ich meinen drei Genossen die größte Aufmerksamkeit in Beziehung auf die Gefangenen und auf das Feuer eingeschärft hatte, legte ich mich nieder und schlief augenblicklich ein. Es gab ja keine Sorge, welche mir den Schlaf hätte verscheuchen können, Ich schlief so lange, bis mich Dick Hammerdull weckte, welcher die dritte Wache hatte. Ich fand alles in Ordnung und stieg, während mein Vormann sich niederlegte, aus der Vertiefung heraus, um außerhalb der Büsche auf und ab zu schreiten. Dabei überlegte ich mir, was mit den beiden Gefangenen zu geschehen habe.

An das Leben wollte ich ihnen nicht, obgleich wir durch die Gesetze der Savanne vollberechtigt waren, sie dadurch, daß wir sie töteten, für uns und andere unschädlich zu machen. Aber durfte ihr Mordanschlag ganz ohne Ahndung bleiben? Und wenn nicht, welche Strafe sollten wir für sie wählen? Es kam mir der Gedanke, sie soweit mit uns hinauf nach Colorado zu nehmen, daß inzwischen die geeignete Zeit zum Überfalle der Farmen verstreichen mußte; aber es gab gewichtige Bedenken dagegen. Die Gegenwart zweier gefesselter Menschen mußte uns sehr aufhalten und in vielen Beziehungen unbequem werden, ganz abgesehen davon, daß wir sie grad dahin schleppten, wohin sich ihre Rachsucht dann richten mußte. Am besten war es, ich ließ diese Gedanken für einstweilen fallen und wartete, was Winnetou für eine Meinung äußern werde.

Den Ort, wo sich die Osagen jetzt befanden, kannte ich ganz genau; ich war mit Winnetou schon wiederholt dort gewesen. Die im Herbst nach Süden und im Frühjahre wieder nach Norden ziehenden Büffelherden pflegten immer genau dieselben Wege einzuhalten, Wege, welche stellenweise tief ausgetreten wurden und während des ganzen Jahres kenntlich blieben. An einem solchen Büffelpfade lag das Wara-tu, zu deutsch „Regenwasser“. Es war eine Stelle, ähnlich derjenigen, an welcher wir uns jetzt befanden, nur daß sie weit mehr Gebüsch und Graswuchs hatte und viel tiefer lag, so daß sich das Regenwasser sammeln konnte, ohne selbst in der heißen Jahreszeit ganz zu verdunsten. Winnetou hatte uns absichtlich nach dem Orte geführt, an welchem wir lagerten, denn dieser lag genau in der Richtung, welche von dem Wäldchen, in dem wir die Gefangenen gemacht hatten, nach dem Wara-tu führte. Er schien gewillt zu sein, das „Regenwasser“ nach seiner Rückkehr einmal, wenn auch nur von weitem, in das Auge zu nehmen.

Die Nacht verging, und der Morgen brach an; ich weckte dennoch die Gefährten nicht, sondern ließ sie weiterschlafen. Wir hatten ja nichts vor und konnten die Kräfte, welche der Schlaf uns brachte, später wahrscheinlich gut gebrauchen. Als sie später erwachten, aßen wir als Morgenbrot ein Stückchen Fleisch. Die Gefangenen bekamen nichts; eine Hungerkur von einigen Tagen konnte solchen Menschen gar nichts schaden; ich hatte oft genug gehungert, ohne andern nach dem Leben getrachtet zu haben. Dann legte ich mich wieder zum Schlafen nieder, und so verging uns der Vor- und auch der Nachmittag unter abwechselndem Schlafen und Wachen, bis gegen Abend, wie ich gestern vorausgesetzt hatte, Winnetou zurückkehrte. Er war gegen zwanzig Stunden unterwegs gewesen, hatte keinen Augenblick geschlafen und sah doch so frisch und munter aus, als ob er sich ebenso ausgeschlafen und ausgeruht hätte wie wir. Auch der Dunkelbraune, den er geritten hatte, schien gar nicht überanstrengt zu sein, und ich sah, mit welchem befriedigten, ja stolzen Blicke sein bisheriger Besitzer, der Häuptling der Osagen, dies bemerkte. Ich hatte mir vorgenommen, diesen seinen Stolz in Wut zu verwandeln. Nach den Gesetzen der Savanne gehört der Gefangene nebst allem, was er bei sich hat, demjenigen, in dessen Hände er gefallen ist. Wir brauchten gute Pferde. Winnetous und mein Rappen waren vorzüglich. Dick Hammerdulls Stute war zwar grundhäßlich, aber stark und ausdauernd; er wäre auch nicht dazu zu bewegen gewesen, sich von ihr zu trennen. Treskows Pferd war unter denen, die uns zur Verfügung gestanden hatten, das beste gewesen, hatte sich aber schon in der kurzen Zeit bis heut als ungenügend erwiesen. Ganz dasselbe war mit dem Gaule von Pitt Holbers der Fall. Wir hatten das zwar noch nicht zu beklagen gehabt; aber wenn einmal, was kaum zu vermeiden war, der Fall eintreten sollte, daß die Erreichung eines wichtigen Zweckes oder gar unsere Rettung von der Schnelligkeit unserer Pferde abhing, so hatten wir in den beiden genannten Pferden zwei Hemmschuhe, die uns verderblich werden konnten. Schahko Matto sollte seinen Dunkelbraunen nicht wiederbekommen; das war bei mir eine fest beschlossene Sache und zugleich eine Strafe für ihn, die er jedenfalls verdient hatte.

Winnetou sprang vom Pferde, nickte uns grüßend zu und setzte sich neben mich. Wir wechselten die Blicke und wußten nun ohne Worte, woran wir waren: er hatte seine Warnung glücklich nach Fenners Farm gebracht, und hier bei uns war nichts Erwähnenswertes vorgekommen; dies hatten wir uns durch diesen Wechselblick gesagt, und Worte waren also unnötig. Treskow, Hammerdull und Holbers freilich sahen ihn erwartungsvoll an; sie waren enttäuscht, daß er nichts sagte, wagten aber doch nicht, ihn mit Fragen zu belästigen.

Wenn er über seinen soeben beendeten Ritt jedes Wort für überflüssig hielt, so kannte ich ihn doch gut genug, um zu wissen, daß in anderer Beziehung sein Schweigen nicht lange dauern würde. Wir mußten wissen, wie es mit den am „Regenwasser“ lagernden Osagen stand, doch lag dieser Ort nicht in der Richtung, welche wir auf dem Wege nach Colorado einzuschlagen hatten. Auch konnten wir, wenn wir die Osagen beschleichen wollten, die beiden Gefangenen nicht mit bis in die Nähe dieser Roten nehmen, wo wir mit der Möglichkeit zu rechnen hatten, daß sie uns wieder abgenommen wurden. Diese Angelegenheit mußte Winnetou ebenso beschäftigen wie mich, und so war ich überzeugt, recht bald darüber eine Äußerung von ihm zu hören. Ich hatte mich da auch nicht geirrt, denn er saß noch keine fünf Minuten neben mir, so fragte er mich:

„Mein Bruder Scharlih hat gut ausgeruht. Ist er bereit, jetzt gleich nach dem Wara-tu zu reiten?“

„Ja,“ antwortete ich natürlich.

„Wir nehmen die Gefangenen bis an die Grenze von Colorado mit, müssen aber wissen, wie es hinter uns mit den Kriegern der Osagen steht. Das wird mein Bruder zu erfahren wissen.“

„Reitet mein Bruder Winnetou mit ihnen von hier aus auf geradem Wege fort?“

„Ja.“

„Wann?“

„Sobald das hungrige Pferd des Osagen Gras gefressen hat.“

„Will Winnetou nicht lieber warten bis morgen früh? Er hat die ganze Nacht nicht schlafen können, und wir wissen nicht, ob die nächste Nacht uns Ruhe bringen wird.“

„Der Häuptling der Apatschen ist gewohnt, nur dann zu schlafen, wenn er Zeit hat. Mein Bruder Shatterhand hat auch so einen eisernen Körper; er weiß also, daß ich nicht müde bin.“

„Gut, wie du willst! Wo treffen wir uns?“

„Mein Bruder Scharlih kennt das große Loch, welches die Dakota Kih-pe-ta-kih nennen?“

„Ja. Es wird so genannt, weil es die Gestalt eines sitzenden alten Weibes hat. Willst du mich dort erwarten?“

„Ja. Da du einen Umweg machen mußt und auch Zeit zur Beobachtung der Osagen brauchst, werden wir eher dort ankommen als du und Hammerdull.“

„Hammerdull? Der soll mit? Ich soll nicht allein reiten?“

„Nein.“

„Denkt mein Bruder, daß diese Begleitung für mich nötig ist?“

„Ja, doch nicht der Zahl der Osagen wegen. Old Shatterhand würde sich nicht vor ihnen fürchten, wenn ihre Zahl zehnmal größer wäre, als sie ist; aber es ist leicht möglich, daß er einen Gehilfen braucht, und wenn es auch nur wäre, um sein Pferd zu bewachen, welches er doch nicht so weit, wie er sich vorwagen muß, mitnehmen kann. Giebt mir mein Bruder Scharlih recht?“

„Ja, obgleich ich sehr wohl weiß, daß mehr deine Liebe als deine Sorge mir diesen Begleiter an die Seite stellt.“

Er sah sich durchschaut und nickte lächelnd. Dann wendete er sich an den gefangenen Häuptling der Osagen, mit dem er bis zu diesem Augenblicke noch kein Wort gesprochen hatte:

„Schahko Matto mag meine Frage beantworten: Ihr habt vier Farmen der Bleichgesichter überfallen wollen?“

Der Osage antwortete nicht, und so wiederholte Winnetou die Frage. Als er auch hierauf keine Antwort bekam, sagte er:

„Der Häuptling der Osagen hat solche Angst vor dem Häuptling der Apatschen, daß ihm die Worte im Munde stecken bleiben.“

Er erreichte den Zweck, den diese Worte hatten, denn Schahko Matto fuhr ihn zornig an:

„Ich, der oberste Häuptling der Osagen, habe sieben graue Bären mit dieser meiner Hand getötet; mein Name sagt es jedem, der es hören will. Wie kann ich mich da vor einem Coyoten fürchten, der zum Volke der Pimo gehört?“

Das Wort Pimo war hier als Schimpfwort für Winnetou gebraucht; er blieb trotzdem ruhig und fuhr fort:

„Schahko Matto wird nicht zugeben, daß er beabsichtigt hat, die Farmen zu überfallen?“

„Nein. Ich gebe es nicht zu; es ist nicht wahr.“

„Wir wissen dennoch, daß es so ist, denn wir haben hinter euch gelegen, ehe du mit dem Prairiehuhne kamst, und dann jedes Wort vernommen. Deine Lanze ist auf dem Aste stecken geblieben. Sie soll denen, die sie später sehen, verkünden, wie dumm ein Mensch sein kann, der sich einen Häuptling nennt. Winnetou hat noch nie gehört, daß ein Mensch, der sich verstecken will, sein Versteck mit einem Zeichen versieht, welches jedem Menschen sagt, daß sich jemand hier verborgen hat. Du brauchst den Überfall der Farmen nicht einzugestehen, denn er wird nicht stattfinden können. Ich bin gestern abend fortgeritten und habe die Bleichgesichter gewarnt. Sie würden die Hunde der Osagen, wenn sie ja noch kämen, mit Peitschen erschlagen. Ich habe auch gesagt, daß Old Wabble dein Spion gewesen ist. Wenn er sich noch einmal sehen läßt, bekommt er keine Kugel, sondern einen Strick um den Hals, wie es sich für einen Spion geziemt.“

Der Osage antwortete nicht, doch sah man es ihm an, wie grimmig er darüber war, daß Winnetou seine Pläne verraten hatte. Der alte König der Cowboys aber rief:

„Ich ein Spion? Das ist die größte Lüge, die es giebt! Wenn Winnetou mich als Spion bezeichnet hat, so ist er der größte Schuft, den man auf Erden finden kann!“

Der Geschmähte antwortete nicht. Mir aber, dem Freunde des unvergleichlichen Apatschen, war diese Frechheit denn doch zu groß, als daß ich sie ungestraft hätte hingehen lassen können. Dieser Kerl verdiente Hiebe, solche Hiebe, daß ihm die Haut zerplatzen mußte! Ich gab aber Holbers einen andern Befehl:

„Pitt, schnürt ihm die Fesseln so fest um die Gelenke, daß er schreien muß, und macht sie nicht eher wieder lockerer, als bis er um Gnade wimmert!“

Pitt Holbers wollte gehorchen, doch Winnetou, der Edle, verbot es ihm mit den Worten:

„Es soll nicht geschehen! Dieser Mann kann mich nicht beleidigen. Seine Tage sind ihm nur noch spärlich zugezählt; er steht der Grube, die ihn verschlingen wird, viel näher, als er denkt, und einen Sterbenden soll niemand quälen!“

„Ah!“ lachte der Alte höhnisch. Jetzt fängt sogar der Rote an, zu predigen! Und wenn die Grube sich jetzt hier vor mir öffnete, ich würde sie nicht fürchten, sondern lachen. Das Leben ist nichts; der Tod ist nichts, und euer jenseits ist der größte Schwindel, von klugen Pfaffen für Kinder und für alte Weiber ausgedacht! Ich habe es euch schon einmal gesagt, und ich denke, daß ihr euch meiner Worte noch erinnern werdet: Ich bin ins Leben hereingehinkt, ohne um Erlaubnis gefragt zu werden, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nun meinerseits beim Hinaushinken irgend wen um Erlaubnis frage! Ich brauche dazu weder Religion noch Gott!“

Ja, er hatte diese Worte, ganz dieselben Worte schon einmal gesagt; ich erinnerte mich genau an sie. Und wie es mir damals vor ihm förmlich gegraut hatte, so war es mir auch jetzt, wo ich sie wieder hören mußte, als ob mir mit einem Stücke Eis über den Rücken gestrichen würde. Konnte solche Lästerung ungeahndet bleiben? Nein, und abermals nein! Ich wendete mich ab und trat zu Dick Hammerdull, um ihm so leise, daß die Gefangenen es nicht hören konnten, mitzuteilen, daß er jetzt mit mir nach dem Wara-tu reiten solle. Er war sehr erfreut darüber, da er meine Aufforderung als ein Vertrauenszeugnis betrachtete. Wir versahen uns für einen Tag mit Fleisch und stiegen dann auf unsere Tiere, um, ohne daß wir es ahnten, einer Begegnung entgegenzureiten, die ich jetzt und hier in Kansas nicht für möglich gehalten hätte.

Als wir den Lagerplatz verließen, stand die Sonne bereits am Horizonte. In einer halben Stunde mußte es dunkel sein. Das konnte uns aber nicht stören; der Westmann ist es gewöhnt, keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht zu machen, und wenn er die nötige Übung besitzt, so dienen ihm selbst in mondloser Nacht die Sterne des Himmels als Wegweiser, die so untrüglich sind, daß er sich niemals irren kann. Wie der Mensch tausend und abertausend Gedanken denken könnte und denken sollte, die ihm niemals in den Sinn kommen, so habe ich niemals auch den Gedanken aussprechen hören, wie für uns wunderbar es ist, daß jene Millionen Himmelslichter, welche Körper bedeuten, gegen die unsere Erde nur ein winziges Stäublein ist, uns doch als nie irrende Führer durch die pfadlosesten Gegenden und durch die irdischen Nächte dienen. Genau so wahr und ohne Falschheit ist auch der Fingerzeig, mit welchem sie den Blick des Sterblichen nach dem jenseits lenken und die große, angstvolle Frage nach dem spätern Leben mit einem Glück und Ruhe bringenden ja beantworten.

Die Sonne sank; das Abendrot verglomm; die letzten matten Streifen der Dämmerung verschwanden wie sterbende Hoffnungen am Horizonte. Glücklicherweise giebt es einen Osten, der uns Licht und Hoffnung wiederbringt! Es trat die erste, tiefe Dunkelheit des Abends ein, welche, weil noch kein Stern am Himmel steht, finsterer als die Nacht selber ist. Ein Städtebewohner hätte vom Pferde steigen und auf die Sterne warten müssen, wollte er nicht den Hals riskieren. Wir aber flogen im Galopp über die hier nicht mehr „rollende“, sondern tischebene Prairie. Unsere geübten Augen waren scharf und diejenigen unserer Pferde noch schärfer. Einmal lief mein Rappe, ohne daß ich den Grund ersah, einen Bogen; ich ließ ihm den Willen, denn ich wußte wohl, daß er es nicht ohne Veranlassung that. Wahrscheinlich flogen wir an einer Kolonie von Prairiehunden vorüber. Diese Tiere wohnen oft zu Hunderten beisammen und unterhöhlen den Boden derart, daß jeder Reiter, welcher nicht will, daß sein Pferd die Beine bricht, einen Umweg machen muß. Der Klang der Hufe war ein harter; es gab kein Gras; wir befanden uns nun schon im westlichen Teile des Staates, welcher kahler, trockener und weniger fruchtbar als der östliche ist.

Es gab keinen Baum und keinen sonstigen Gegenstand, der als Merkmal dienen konnte, und wenn es so etwas gegeben hätte, wir hätten es in dieser Finsternis nicht sehen können. In solcher Lage muß man sich nach jenem Sinne richten, der nur Lieblingen der Wildnis angeboren ist und den noch kein Gelehrter zu definieren vermochte. „Ortssinn“ ist nicht bezeichnend genug dafür; „Orientierungssinn“ kommt dem Wesen vielleicht schon näher. Ist es Instinkt? Wohl jenes geheimnisvolle, innerliche Schauen, welches den Wandervogel den geradesten Weg von Schweden nach Ägypten finden läßt? Ich weiß es nicht; aber so oft ich mich auf dieses verborgene, unbegreifliche Auge verlassen habe, wurde ich von ihm genau an das Ziel geführt.

Dick Hammerdull verließ sich ganz auf mich. Er fragte mich einige Male, ob ich auch den richtigen Weg hier wisse; ich konnte ihm natürlich nichts anderes antworten, als daß es in dieser unbewohnten Gegend gar keine Wege gebe; also konnte ich weder auf dem richtigen, noch auf einem falschen sein. Er klagte in seiner drolligen Weise:

„Jagt doch nicht so, Mr. Shatterhand! Wollen langsamer reiten! Es ist doch grad, als ob wir durch eine umgestürzte, meilenlange Feueresse galoppierten. Mein Hals ist auch was wert, und wenn ich mit dem Pferde stürze und ihn mir zerbreche, so habe ich keinen zweiten. Haben wir denn gar so große Eile, Sir?“

„Allerdings.“

„Warum?“

„Weil wir noch lange vor dem Morgenlichte das Wara-tu erreichen müssen. Dieser Ort liegt nämlich in einer ziemlich weiten, offenen Ebene. Bei Tage würden die Osagen uns also kommen sehen.“

„Ob sie uns sehen oder nicht, das bleibt sich ganz egal; aber beeilen müssen wir uns da allerdings, denn wenn sie uns bemerken, so haben wir den weiten Ritt umsonst gemacht. Pitt Holbers, altes Coon, denkst du – –“

Ich lachte laut auf. Er hielt mitten in seinem Fragesatze inne und lachte mit. Er war es so gewöhnt, seinen alten Pitt zu Rate zu ziehen, daß er auch jetzt die bewußte Frage an den leider Abwesenden hatte richten wollen.

Später erschien ein Stern und noch einer; zu diesen zweien gesellten sich mehr und immer mehr, bis wir den schönsten Astralhimmel über uns hatten und also aus Dick Hammerdulls „meilenlanger Feueresse“ herausgekommen waren. Nun ritt es sich freilich besser als vorher, und das war sehr gut, denn das Terrain war, ohne besondere Wellen zu zeigen, „faltig“ geworden, wie der Militärausdruck lautet. Es gab zahlreiche Senkungen, welche so unregelmäßig verliefen, daß wir, immer die gerade Richtung einhaltend, ihnen bald folgen und bald sie durchqueren mußten. Das war natürlich anstrengend für unsere Tiere; aber sie hatten sich einen ganzen Tag lang ausgeruht; meinem Hatatitla war nichts anzumerken, und Hammerdulls Stute lief so beharrlich nebenher, als ob sie der Seitenschatten meines Hengstes sei. Natürlich ließen wir die Tiere auch zuweilen langsam gehen, und einmal, als wir an ein Wasser kamen, durften sie trinken, doch ritten wir durchschnittlich so schnell, daß Holbers und Treskows Pferde gewiß zurückgeblieben wären.

So ging Mitternacht vorüber, und die Sterne verschwanden, nicht weil es Zeit für sie gewesen wäre, unterzugehen, sondern weil sich der Himmel mit Wolken bedeckte, welche ihn ganz umzogen und immer dichter wurden. Es bereitete sich ein Gewitter vor.

„Das hat noch gefehlt!“ zürnte Hammerdull. „Es wird wieder schwarz um uns, schwärzer als vorher. Ich schlage vor, hier anzuhalten und uns niederzusetzen!“

„Warum?“

„Nun, wird der Name Wara-tu nicht mit Regenwasser übersetzt?“

„Allerdings.“

„Gut! Warum also weiterreiten? Wenn wir uns hier mitten in die alte Prairie setzen und einige Zeit warten, bekommen wir so viel Regenwasser, wie wir uns nur wünschen können.“

„Macht keine dummen Witze! Mögt Ihr über diesen Umschlag des Wetters raisonnieren, mir kommt er sehr gelegen.“

„Das begreife, wer da will!“

„Seht Ihr denn nicht ein, daß es uns bei dieser Finsternis viel leichter wird, an die Osagen zu kommen, als wenn es noch so sternenhell wie vorhin wäre?“

„Hm, ja; daran habe ich nicht gedacht. Ihr habt sehr recht, vorausgesetzt, daß Ihr Euch trotz der Dunkelheit zutraut, das Wara-tu überhaupt zu finden.“

„Noch eine gute halbe Stunde, so haben wir es.“

„Schon? Es muß doch weiter sein!“

„Warum?“

„Schahko Matto wollte doch am Abend fortreiten und seine Krieger erst am nächsten Mittag bringen.“

„Es stimmt dennoch. Die Stelle, wo wir lagerten, liegt von hier aus eine Stunde näher als der „Baum der Lanze“. Der Osage hätte nicht sofort nach seiner Ankunft bei dem Wara-tu wieder aufbrechen können; er mußte wenigstens eine halbe Stunde dort verweilen. Und sodann hätte er mit den schlechteren Pferden seiner Leute den Rückweg nicht so rasch zurücklegen können wie den Hinweg auf seinem schnellen Dunkelbraunen. Das alles hat er in Berechnung gezogen, als er Old Wabble sagte, wie lange er ausbleiben würde. Nehmt dazu, wie wir beide geritten oder vielmehr gejagt sind, so werdet Ihr Euch nicht wundern, wenn ich Euch sage, daß wir nur noch zwei Meilen haben, bis wir am Ziele sind.“

Well – wenn wir es finden und bei dieser ägyptischen Sonnen-, Mond- und Sternenfinsternis nicht darüber hinausreiten!“

„Habt keine Sorge, lieber Dick! Ich kenne mich hier aus.“

„Ob Ihr Euch auskennt oder nicht, das ist ganz einerlei, das ist sogar ganz egal, wenn Ihr Euch nur zurechtfindet!“

Ich sprach zu ihm mit großer Sicherheit; es mußte sich bald zeigen, ob ich mir nicht zu viel zugetraut hatte. Es galt, ein langgestrecktes, breites, muldenförmiges Thal zu durchqueren; wenn wir nicht auf dasselbe trafen, hatten wir uns verritten. Schon wollte ein Zweifel in mir aufsteigen, da begann der Boden sich ziemlich rasch zu senken. Wir stiegen ab und führten, der Senkung folgend, unsere Pferde. Unten angekommen, setzten wir uns wieder auf, ritten quer über die Mulde und dann drüben die Lehne hinauf. Nun konnte ich in frohem Tone sagen:

„Wir sind so genau und richtig geritten, als ob wir den hellsten Sonnenschein hätten. Jetzt noch fünf Minuten lang Galopp über eine glatte, ununterbrochene Ebene, und wir stoßen mit der Nase grad an das Wara-tu.“

„Bitte, nehmt die Eurige dazu, Sir! Ich habe meine Nase zu ganz andern Zwecken im Gesicht. Übrigens freue auch ich mich unendlich, daß wir bei diesem Mangel aller Laternen nicht an den Nordpol geraten sind. Es giebt Gebüsch am Wara-tu?“

„Viel, und sogar einige Bäume.“

„Reiten wir ganz hinan?“

„Um diese Frage beantworten zu können, muß ich erst rekognoszieren. Wenn es nicht so finster wäre, hätte ich Euch mit den Pferden da hinter uns in der Thalmulde lassen und mich allein mühsam anschleichen müssen. Ihr seht, wie gut für uns das Gewitter ist, welches den Himmel ganz bedeckt hat und nun bald losbrechen wird. Es ist, als ob es sich bloß wegen uns zusammengezogen hätte. Reiten wir jetzt langsamer; wir müssen nun sehr vorsichtig sein!“

Wir zügelten unsere Pferde und waren dann kaum noch eine Minute weitergeritten, so zuckte grad vor uns ein Wetterleuchten über den Horizont, bei welchem wir ein scheinbar lang gezogenes Buschwerk sahen, dem wir uns auf vielleicht fünfhundert Schritte genähert hatten.

„Wir sind am Ziele,“ sagte ich, indem ich aus dem Sattel stieg. „Die Pferde mögen sich legen. Ihr bleibt bei ihnen zurück und nehmt hier meine Gewehre.“

„Wollen wir ein Zeichen verabreden, oder werdet Ihr mich sicher finden, Sir?“ erkundigte sich Hammerdull.

„Habe ich das Wara-tu gefunden, so finde ich Euch auch. Ihr seid ja dick genug!“

„Jetzt macht Ihr die schlechten Witze, Mr. Shatterhand. Nun habt Ihr das schöne Wara-tu vor Euch. Stoßt mit der Nase an!“

Ich gab meinem Pferde mit der Hand das Zeichen, sich zu legen; es gehorchte, ebenso die Stute Hammerdulls. Dann schritt ich vorsichtig auf die Büsche zu.

Man denke sich eine schüsselförmige, mit Wasser ziemlich gefüllte Vertiefung von vielleicht fünfzig Meter Durchmesser, rings von teils dicht, teils einzeln stehenden Sträuchern umgeben, aber zwischen dem Wasser und dem Gesträuch einen ziemlich breiten, buschfreien Ring, der sich aus lauter muschelartigen Eindrücken zusammensetzte, welche durch das Wälzen wilder Büffel entstanden waren. Diese Tiere pflegen sich instinktmäßig im weichen Boden zu wälzen, um sich mit einer schlammigen Kruste zu bedecken, die ihnen Schutz vor mancherlei Insekten bietet. Das war das Wara-tu, welches ich jetzt zu umschleichen hatte. Umschleichen? Nein; dazu sollte es gar nicht kommen.

Ich erreichte die ersten Büsche mit Leichtigkeit und – -roch und hörte zugleich links von mir Pferde. Mich niederduckend, wandte ich mich nach dieser Richtung, denn es ist in solchen Fällen stets geraten, sich auch um die Pferde der Feinde zu bekümmern. Sie waren alle angehobbelt, außer einem, welches an zwei in die Erde getriebenen Pflöcken hing. Hinter den Büschen brannten mehrere Feuer, deren Schein in der Weise durch eine Strauchöffnung drang, daß er dieses Pferd traf. Dies genügte, mir seinen Bau zu zeigen. Es war ein edler, sehr dunkler Rotschimmel, dessen prächtige Mähne so in Knoten und immer kleiner werdende Knötchen geknüpft war, wie ich es bei den Naiini-Komantschen gesehen hatte. Wie kamen die Osagen zu dieser Art und Weise einer Mähnenzierde? Doch war das jetzt Nebensache; wichtiger fand ich den Umstand, daß keine einzige Wache bei den Pferden war. Diese Indsmen mußten sich ungeheuer sicher fühlen! Ich kehrte, um dem Feuerscheine auszuweichen, einige Schritte zurück, legte mich auf die Erde nieder und schob mich dann in das Gebüsch hinein.

Es kommt zuweilen vor, daß einem etwas, was man für sehr schwierig gehalten hat und was auch wirklich schwierig ist, durch das Zusammentreffen günstiger Umstände sehr leicht gemacht wird. So war es heut hier am Wara-tu. Kaum in das Buschwerk eingedrungen, sah ich die ganze Scene bis auf das Kleinste deutlich vor mir liegen.

Von vier großen Feuern hell beleuchtet, hatten sich wohl über zweihundert Osagen auf dem erwähnten, freien Ring rund um das Wasser gelagert und sahen mit großer Spannung sechs Kriegern zu, welche soeben begonnen hatten, den Büffeltanz aufzuführen. Indem ich meine Augen rundum gleiten ließ, blieb es an einem der wenigen hier stehenden Bäume haften, an welchem ein nicht im Gesicht bemalter Indianer lehnte. Er war angebunden, also Gefangener. Sein Gesicht war hell beleuchtet; ich erschrak, als ich es sah, aber mehr in freudiger als in entgegengesetzter Weise. Dieses Gesicht kannte ich genau, sogar sehr genau; es war ein mir sehr lieb gewordenes. Und nun konnte ich mir auch die Anwesenheit des Pferdes mit der fremdgeknüpften

Mähne erklären: der Rotschimmel gehörte dem Gefangenen. Diese hohe, breite, volle Gestalt, dieser markige und doch so leichtbewegliche Gliederbau, dieses kaukasisch gemeißelte Gesicht mit der stolzen, selbstbewußten Ruhe in den Zügen, das konnte nur einer sein, den ich lange nicht gesehen, an den ich aber umso öfter gedacht hatte, nämlich Apanatschka, der junge, edle Häuptling der Naiini-Komantschen!

Was hatte ihn nach Kansas heraufgeführt? Wie war er in die Hände der Osagen gefallen? Osagen und Komantschen! Ich wußte, welche unerbittliche Feindschaft zwischen diesen beiden Völkern herrschte; er war verloren, wenn es mir nicht gelang, ihn zu retten! Retten? Pshaw, kinderleicht! Kein Mensch achtete jetzt auf ihn, denn aller Augen waren auf die Tänzer gerichtet. Zwei Büsche standen hinter dem Baum, an den er gebunden war, Deckung genug für mich, von hinten nahe an ihn zu kommen!

So schnell mir diese Gedanken kamen, so schnell wurden sie ausgeführt. Ich schob mich aus dem Gesträuch zurück, stand auf und eilte zu Hammerdull.

„Auf mit den Pferden!“ gebot ich ihm. „Setzt Euch auf Eure Stute! Kommt!“

„Was ist los?“ fragte er. „Müssen wir fort?“

„Die Osagen haben einen Gefangenen, den ich kenne und den ich befreien muß.“

Heavens! Wer ist’s, Mr. Shatterhand?“

„Das später; kommt nur, kommt!“

Mein Rappe sprang auf mein Zeichen auf, ich nahm ihn beim Zügel und zog ihn fort. Hammerdull hatte sich trotz seiner Dickheit schnell in den Sattel geschwungen und folgte mir. Ich führte ihn nicht dorthin, wo ich gewesen war, sondern genau nach dem Außenpunkte des Gebüsches, welcher hinter Apanatschkas Rücken lag.

„Wartet hier! Ich bringe noch ein Pferd.“

Mit diesen Worten schnellte ich mich wieder fort. Ich mußte mich beeilen, denn die Befreiung des Gefangenen hatte zu geschehen, noch ehe der Büffeltanz, welcher die ganze Aufmerksamkeit der Osagen in Anspruch nahm, zu Ende war. Ich lief nach der andern Seite zu dem Rotschimmel, löste ihn von den Pflöcken und wollte mit ihm fort. Er weigerte sich, blieb stehen und schnaubte laut. Das konnte mir und meinem Vorhaben gefährlich werden. Glücklicherweise wußte ich, was ich zu thun hatte, ihn mir willig zu machen.

„Eta, kavah, eta eta!“ schmeichelte ich ihm, indem ich ihm den fischglatten Hals streichelte.

Als er die bekannten Laute hörte, gab er sofort den Widerstand auf und ging mit mir. Als ich mit ihm bei Hammerdull ankam, zuckte der erste Blitz über den Himmel und krachte der erste Donnerschlag. Nun aber schnell, sehr schnell, sonst wird der Tanz wegen des Gewitters eher beendet!

„Haltet auch dieses Pferd, welches der befreite Gefangene besteigen wird,“ forderte ich den Dicken auf, „sobald ich komme, gebt Ihr mir meine Gewehre!“

Well! Bringt ihn nur erst, und bleibt nicht selber stecken!“ antwortete er.

Wieder leuchtete der Blitz, und wieder krachte der Donner. Ich drang so rasch und doch so leise wie möglich in das Gebüsch, warf mich zu Boden und schob mich unten an der Erde fort. Noch währte der Tanz, den jetzt alle Osagen mit einem lauten, in der Fistel gebildeten „Pe-teh, Pe-teh, Peteh!“ begleiteten, wobei sie taktmäßig in die Hände klatschten. Da konnten sie das Rauschen der Zweige nicht hören; ich kam also sehr rasch vorwärts und viel schneller hinter den Gefangenen, als ich es für möglich gehalten hatte. Ich sah kein einziges Auge auf ihn gerichtet; auch er sah wahrscheinlich dem Tanze zu. Um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, berührte ich zunächst seinen Unterschenkel. Er zuckte leicht zusammen, doch nur für einen Augenblick.

„Go-oksch!“ sagte ich so laut, daß er es trotz des Gesanges, sonst aber weiter niemand, hören konnte.

Er senkte den Kopf – ein nur mir bemerkbares Nicken, zum Zeichen, daß er meine Hand gefühlt und mein Wort verstanden habe. Er war mit drei Riemen an den Baum gefesselt; einer war um seine Fußgelenke und den Stamm, ein zweiter um seinen Hals und den Stamm geschlungen, während man ihm mit dem dritten die nach rückwärts um den Baum gezogenen Hände zusammengebunden hatte. Grad so wie jetzt hinter Apanatschka, hatte ich einst hinter Winnetou und seinem Vater Intschu tschuna gesteckt, um sie von den Bäumen loszuschneiden, an die sie von den Kiowas gebunden worden waren [Fußnote]. Ich war überzeugt, daß Apanatschka sich nicht weniger klug verhalten werde wie damals die beiden Apatschen, und zog das Messer. Zwei Schnitte gnügten, den untern Riemen und dann auch die Handfessel zu durchschneiden; aber um an den Halsriemen zu kommen, mußte ich aufstehen, und das war gefährlich, weil ich da gesehen werden mußte, wenn in diesem Augenblicke auch nur ein einziger Osage nach dem Gefangenen schaute. Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Einer der Tänzer war infolge seiner allzu lebhaften Bewegungen dem Wasser zu nahe gekommen; der weiche Uferrand wich unter seinem Fuße, und er fiel in den Tümpel. Ein allgemeines Gelächter erscholl, und alle Augen richteten sich auf den triefenden Büffelimitator. Das benutzte ich. Schnell in die Höhe – ein Schnitt – dann ebenso schnell wieder nieder! Niemand hatte mich gesehen.

„Beiteh, took ominu!“ forderte ich ihn in demselben Tone wie vorher auf und kroch einige Schritte zurück.

Ihn scharf im Auge behaltend, sah ich, daß er noch eine kleine Weile stehen blieb; dann duckte er sich plötzlich nieder und huschte zu mir ins Gesträuch. Nun konnte es mir sehr gleichgültig sein, was jetzt geschah; erwischen sollten sie uns nicht! Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn, jetzt noch in niedergeduckter, kauernder Haltung, mit mir fort. Da erleuchtete der Blitz das ganze Gebüsch; ein schrecklicher Donner erdröhnte, und mit einem Male klatschte wie ein stürzender See der Regen vom Himmel herab. Mit dem Tanze war es aus; man mußte die Flucht des Komantschen bemerken. Ich richtete mich auf, riß ihn auch empor und zog ihn mit mir fort, durch die Büsche, hinaus zu Hammerdull. Hinter uns schrieen, riefen und brüllten hundert Stimmen. Der Dicke reichte mir meine Gewehre, die ich überhing. Apanatschka sah sein Pferd und sprang, ohne sich einen Augenblick darüber zu verwundern, sogleich in den Sattel. Ich war im Nu auch oben, und dann ritten wir fort, nicht etwa sehr eilig, denn das war nicht nötig, weil der laut aufschlagende Regen die Schritte unserer Pferde gar nicht vernehmlich werden ließ.

Wir ritten nicht nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren, sondern dahin, wo ich mit Winnetou zusammentreffen sollte, nämlich nach dem Kih-pe-ta-kih, bis wohin wir von dem Wara-tu ungefähr vier gute Reitstunden hatten. Wenn ich mir die Entfernungen genau berechnete und dabei in Betracht zog, daß Winnetou wohl keinen zwingenden Grund gehabt hatte, allzuzeitig von unserm gestrigen Lagerplatze aufzubrechen, erschien es mir als wahrscheinlich, daß wir eher als er an der „alten Frau“ eintreffen würden. Er hatte angenommen, daß uns die Beschleichung der Osagen eine geraume Zeit kosten werde, und nun war alles so unerwartet schnell gegangen! Welchen Zweck hatte eigentlich unser Ritt nach dem Wara-tu gehabt? Zu erfahren, wie viel Osagen da versammelt waren, und wenn es ohne Gefahr für uns geschehen konnte, Fenners wegen sie wissen zu lassen, daß die Bleichgesichter vor dem Überfalle gewarnt worden seien. Und nun hatte sich uns ein Erfolg geboten, über den ich mich außerordentlich glücklich fühlte, und zwar nicht allein aus dem Grunde, daß ich Apanatschka da unten im Llano liebgewonnen hatte; es lag etwas in mir, eine Stimme oder eine Ahnung, welche mir einreden wollte, daß ich mich für diesen wackern, jungen Häuptling der Naiini-Komantschen noch mehr als bisher interessieren werde, daß mein Verhältnis zu ihm noch eine andere Gestalt anzunehmen habe. Solchen Stimmen pflege ich zu trauen; sie täuschen selten.

Er hatte mich nicht deutlich sehen können und wußte also noch nicht, wer sein Befreier war. Während ich jetzt mit Dick Hammerdull voranritt und er hinter uns her, strömte der Regen so dicht hernieder, daß er nur die Umrisse unserer Gestalten erkennen konnte und sich dicht hinter uns halten mußte, wenn er uns nicht verlieren wollte. Es machte mir Spaß, ihn auch jetzt noch über mich im unklaren zu lassen. Darum bog ich mich zu Hammerdull hinüber und sagte mit unterdrückter Stimme zu ihm:

„Wenn der Fremde fragt, so sagt ihm nicht, wer ich bin!“

„Wer ist er denn?“

„Ein Häuptling der Komantschen. Doch sagt ihm nicht, daß Ihr das wißt, sonst ahnt er, daß ich ihn kenne.“

„Darf er erfahren, daß wir zu Winnetou reiten?“

„Nein. Von dem Apatschen dürft Ihr gar nicht sprechen.“

Well! Soll alles ganz richtig verschwiegen werden!“

Die Osagen hatten sich sehr wahrscheinlich schnell alle auf die Pferde geworfen und schwärmten nun trotz des Regens durch die ganze Umgegend des Wara-tu; eigentümlicherweise aber kam uns keiner von ihnen nahe, obgleich wir ziemlich langsam ritten. Es war in dieser geradezu vom Himmel stürzenden Wasserflut sehr schwer, nicht in eine falsche Richtung zu geraten. Die Finsternis war, wie man sich auszudrücken pflegt, mit den Händen zu greifen, und soviel und blendend hell es blitzte, war das für die Orientierung doch nicht günstig, sondern erschwerend, weil der plötzliche Wechsel zwischen tiefer Finsternis und grellem Lichte das Auge angreift und der Blitz dann die Gegenstände nicht wahr erscheinen läßt. Und dieser suppendicke Regen hielt über zwei Stunden an. Es war da ganz unmöglich, eine Unterhaltung zu führen; wir mußten uns auf die allernötigsten Zurufe beschränken.

Da brauchte ich freilich nicht zu befürchten, daß Apanatschka mich eher erkennen werde, als es in meiner Absicht lag, zumal ich einen ganz andern Anzug trug als zur Zeit, in welcher er mich kennen lernte, und die sehr breite Krempe meines Hutes so weit heruntergeschlagen hatte, daß ich ganz verstellt sein mußte.

Endlich, endlich hörte der Regen auf, aber die Wolken wichen noch nicht, und es blieb so dunkel wie vorher. Ich trieb mein Pferd an, um vorzeitigen Erkundigungen zu entgehen, und so kam es, daß Apanatschka sich an Dick Hammerdull machte. Sie unterhielten sich. Ich hatte nicht vor, auf ihre Reden zu achten, fing aber doch einige Ausdrücke des Dikken auf, welche mein Interesse erregten. Darum ließ ich meinen Schwarzen jetzt weniger ausgreifen und horchte hinter mich, doch ohne dies durch meine Haltung zu verraten. Apanatschka bediente sich des zwischen Weißen und Roten gebräuchlichen Idiomes, welches aus englischen, spanischen und indianischen Wörtern zusammengesetzt ist und von jedem guten Westmanne verstanden und gesprochen wird. Er schien eben erst gefragt zu haben, was ich sei, denn ich hörte den Dicken antworten:

„Ein Player, ist er, weiter nichts.“

„Was ist das, ein Player?“

„Ein Mann, der überall herumzieht und Bären- oder Büffeltänze tanzt, wie du vorhin von den Osagen gesehen hast.“

„Uff! Die Bleichgesichter sind doch sonderbare Leute. Die roten Männer sind zu stolz, für andere zu tanzen. Willst du mir sagen, wie sein Name ist?“

„Er heißt Kattapattamattafattagattalattarattascha.“

„Uff, uff, uff! Ich werde ihn sehr oft hören müssen, ehe ich ihn nachsprechen kann. Warum spricht das gute Bleichgesicht, welches mich gerettet hat, nicht mit uns?“

„Weil er nicht hören kann, was wir ihm sagen.“

„Ist er taub?“

„Vollständig taub!“

„Das thut meinem Herzen leid, weil er den Dank nicht hören kann, den Apanatschka ihm bringen möchte. Hat er eine Squaw, und hat er Kinder?“

„Er hat zwölf Squaws, denn jeder Player muß zwölf Frauen haben, und zweimal zwanzig Söhne und Töchter, die auch alle taub sind und nicht hören.“

„Uff, uff! So kann er mit seinen Frauen und Kindern nur durch Zeichen sprechen?“

„Ja.“

„So muß er zehnmal zehn und noch viel mehr verschiedene Zeichen haben! Wer soll sich diese alle merken! Er muß ein sehr mutiger Mann sein, daß er sich in die Wildnis wagt, ohne hören zu können, denn die Gefahren, welche es hier giebt, werden doppelt groß, wenn man sich nur auf seine Augen verlassen muß.“

Ob Dick Hammerdull, indem er mich für taub ausgab, irgend eine bestimmte, lustige Absicht hegte, oder ob ihm diese Behauptung ohne bestimmten Grund auf die Lippen gekommen war, das „blieb sich ganz egal“, wie er sich auszudrücken pflegte, denn es trat jetzt ein Umstand ein, durch welchen seine Unwahrheit offenbar wurde. Es kam mir nämlich trotz des Geräusches, welches durch die Schritte unserer Pferde verursacht wurde, So vor, als ob ich vor uns Hufschlag hörte. Ich hielt sofort an und gebot dem Dicken und Apanatschka, natürlich mit leiser Stimme, ihre Pferde auch zu zügeln. Ja, ich hatte recht gehört: Es gab einen Reiter, welcher sich uns näherte, doch ohne gerade und direkt auf uns zuzukommen. Da entstand die Frage, ob wir ihn vorüberlassen sollten oder nicht. Ich war aus naheliegenden Gründen geneigt, anzunehmen, daß es ein Osage sei. Wenn ich mich da nicht täuschte, so konnte er uns als Bote zwischen uns und seinen Kriegern nützlich sein, da diese doch erfahren mußten, daß wir ihren Häuptling ergriffen hatten, und so beschloß ich, ihn gefangen zu nehmen.

„Bleibt hier, und haltet mein Pferd und meine Gewehre,“ raunte ich den beiden zu, indem ich abstieg und Apanatschka meinen Schwarzen und Hammerdull die Gewehre gab. Dann eilte ich nach links hinüber, wo ich, wenn mich mein Gehör nicht täuschte, auf den Nahenden treffen mußte. Er kam; ich duckte mich nieder, ließ ihn so weit vorüber, daß ich einen Anlauf nehmen konnte, holte aus und sprang von hinten auf sein Pferd. Ich hatte, als er an mir vorbeikam, gesehen, daß er ein Indianer war. Der ahnungslose Mann war, als er mich so plötzlich hinter sich fühlte, in der Weise überrascht, daß er nicht die geringste Bewegung zu seiner Verteidigung machte. Ich nahm ihn so fest bei der Kehle, daß er die Zügel fallen und die Arme sinken ließ. Leider verhielt sich sein Pferd weniger passiv als er. Es fühlte die plötzlich verdoppelte Last, stieg vorn empor und begann dann zu bocken und mit allen vieren auszuschlagen. Das war für mich keine Kleinigkeit. Ich saß hinter dem Sattel, hatte den Reiter festzuhalten und mußte versuchen, die Zügel zu erwischen. Am Tage wäre das leichter gewesen, aber in der jetzt herrschenden Dunkelheit konnte ich die Zügel nicht sehen und war nur darauf angewiesen, mich zu bemühen, ja nicht abgeworfen zu werden. Da tauchte an meiner Seite eine Gestalt auf, welche nach dem Maule des Indianerpferdes griff. Ich machte meine rechte Hand frei, langte mit derselben nach dem Revolver in meinem Gürtel und fragte:

„Wer ist das? Soll ich schießen?“

„Ich bin Apanatschka,“ antwortete der Gefragte. „Old Shatterhand mag den Osagen herabwerfen!“

Er hatte aus dem Stampfen der Hufe gehört, in welcher Lage ich mich befand, war von seinem Pferde gesprungen, hatte Hammerdull die Zügel des meinigen gegeben und sich dann beeilt, mir zu Hilfe zu kommen. Es gelang ihm, den Zaum des Indianerpferdes zu erfassen und dieses zum Stehen zu bringen. Ich ließ den Gefangenen herabfallen und sprang nach, um ihn sofort wieder zu packen, da seine Bewegungslosigkeit nur eine Finte sein konnte, mit welcher er mich täuschen wollte. Er leistete aber auch jetzt keinen Widerstand. Er war nicht etwa besinnungslos; der Schreck schien ihm die Gewalt über sich genommen zu haben.

„Apanatschka hat mich erkannt?“ fragte ich den Komantschen.

„Als du mir dein Pferd zum Halten gabst, glaubte ich, deinen Hatatitla zu sehen,“ antwortete er. „Sodann bemerkte ich, daß dein Gefährte nicht ein sondern zwei Gewehre von dir empfing, und wenn ich dann noch im Zweifel war, so mußte ich, als ich dich hier hinter dem roten Krieger sitzen sah, endlich wissen, wer du bist. So einen Sprung pflegt, noch dazu des Nachts, nur Winnetou oder Old Shatterhand zu wagen, obgleich der letztere weiße Jäger leider nicht mehr hören kann! Was soll mit diesem Gefangenen, der jedenfalls ein Osage ist, geschehen?“

„Ich ahne, daß er ein Kundschafter ist, den wir mit uns nehmen müssen.“

Wir riefen Hammerdull herbei. Der Indianer bekam jetzt seine Beweglichkeit wieder; er versuchte, Widerstand zu leisten, der ganz unnütz war; er wurde auf sein Pferd gebunden, und dann setzten wir den unterbrochenen Ritt fort.

Man denke ja nicht, daß nun, wie es unter Weißen unvermeidlich gewesen wäre, zwischen mir und Apanatschka viel Worte gemacht wurden. Wenn sich zwei Freunde so lange nicht gesehen haben und unter Umständen, wie die heutigen, sich so unerwartet wiedersehen, so sollte man meinen, daß zunächst die Herzen in ihr Recht zu treten hätten. Das war ja auch der Fall, aber sie machten von diesem Rechte nicht durch überflüssige Worte Gebrauch. Als wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten, lenkte der Naiini-Komantsche sein Pferd dicht an das meinige heran, langte zu mir herüber, ergriff meine Hand und sagte im Tone innigster Freude:

„Apanatschka dankt dem großen, guten Manitou, daß er ihm erlaubt hat, den besten unter allen weißen Kriegern wiederzusehen. Old Shatterhand hat mich vom sichern Tode errettet!“

„Seit ich von meinem jungen Freunde, dem tapfern Häuptling der Naiini, scheiden mußte, hat meine Seele sich stets nach ihm gesehnt,“ antwortete ich. „Der große Geist liebt seine Kinder und erfüllt ihre Wünsche grad dann, wenn sie es für unmöglich halten!“

Weiter wurde nichts gesprochen. Er hielt mich fest, und so ritten wir Hand in Hand eng nebeneinander, bis die Nacht dem grauenden Morgen wich und ich sehen konnte, daß ich auch auf diesem Ritte die rechte Richtung nicht verfehlt hatte. Das war mir sehr lieb, weil ich gern noch vor Winnetou am Ziele ankommen wollte.

Das Kih-pe-ta-kih liegt im Westen von Kansas, welcher bekanntlich zur Kreideformation gehört. Dort und im Südwesten wird in neuerer Zeit viel Salz gewonnen. Tritt an einer Stelle das Salz in größerer Menge auf und wird vom Regen- oder von irgend einem Quellwasser ausgelaugt, so können unterirdische Höhlungen entstehen, deren Decke nachstürzt, weil sie keinen festen Halt besitzt. Diese Einstürze haben gewöhnlich tiefe, senkrechte Wände und sehr scharfe Kanten; sind die Wände dicht, so bildet sich mit der Zeit ein See, welcher die ganze Vertiefung ausfüllt; sind sie aber porös, so sickert das Wasser durch, und nur der tief gelegene Boden hält eine Feuchtigkeit fest, welche das Entstehen und Gedeihen eines mehr oder minder kräftigen Pflanzenwuchses begünstigt. Hat diese Vegetation erst aus salzbegehrenden Pflanzen bestanden, so siedeln sich später in demselben Grade salzfeindliche Pflanzen an, als der Salzgehalt des Bodens verschwindet. Liegt eine solche Senkung in einer vollständig ebenen Gegend, so macht sie von weitem einen eigenartigen Eindruck, weil nur die Wipfel der Bäume zu sehen sind, welche unten im tief liegenden Grunde Wurzel geschlagen haben.

Eine solche Stelle war das Kih-pe-ta-kih, welcher Dakotaname alte Frau bedeutet. Der von der unfruchtbaren Ebene scharf abgegrenzte, vegetationsreiche Ort zeigte nämlich in seinen Umrissen die Konturen einer am Boden hockenden Indianer-Squaw.

Die Sonne stieg eben hinter uns am Horizonte auf, als wir diese grüne Squaw vor uns erscheinen sahen. Wir erreichten die Stelle an der linken Hüfte der Figur, während Winnetou von rechts her zu erwarten war. Ich ließ aus Vorsicht halten und ging einmal um die ganze Frau herum. Es war keine Spur eines menschlichen Wesens zu sehen, und so führten wir unsere Pferde an einer weniger steilen Stelle auf den Grund hinab, wo wir den Gefangenen von seinem Gaule nahmen und an einen Stamm festbanden. Der Ausdruck Gaul war eigentlich eine Beleidigung für dieses Pferd, welches jedenfalls zu den besten der Osagen gehörte. Erwähnen muß ich, daß der Rote wirklich ein Osage war. Er hatte sich mit den Kriegsstreifen bemalt und ließ auf keine der an ihn gerichteten Fragen eine Antwort hören.

Ich hätte nun Zeit gehabt, Apanatschka nach seinen Erlebnissen zu fragen, welche zwischen unserer Trennung und dem jetzigen Wiedersehen lagen, zog es aber vor, lieber zu warten, bis er selbst anfangen würde, davon zu sprechen. Einem Charakter, wie er war, gegenüber durfte ich keine Neugierde verraten. Mein dicker Hammerdull war von weniger vornehmer Gesinnung. Er hatte sich kaum niedergesetzt, so wendete er sich mit der Frage an ihn:

„Ich höre, daß mein roter Bruder ein Häuptling der Komantschen ist. Wie konnte es geschehen, daß er in die Gefangenschaft der Osagen geriet?“

Der Gefragte deutete, indem ein leises Lächeln über sein Gesicht ging, mit der Hand nach seinen beiden Ohren.

„Hat ein Kampf zwischen dir und ihnen stattgefunden?“ erkundigte sich der zudringliche Dick weiter.

Apanatschka antwortete mit derselben Gebärde. Da wendete sich Hammerdull an mich:

„Er scheint mir nicht antworten zu wollen; fragt Ihr ihn doch einmal, Mr. Shatterhand!“

„Das würde auch vergeblich sein,“ erwiderte ich.

„Warum?“

„Versteht Ihr denn nicht, was er meint? Er kann nicht hören.“

Da ging dem Dicken ein Licht auf. Er zog den Mund breit, ließ ein lustiges Lachen hören und sagte:

Well! So hat er wohl auch zwölf Frauen und zweimal zwanzig Söhne und Töchter wie Ihr?“

„Sehr wahrscheinlich!“

„Da will ich mich nur in acht nehmen, daß ich nicht auch noch taub werde, sonst hören wir alle drei nichts mehr! Es geht so schon still genug hier zu. Habt Ihr nichts für mich zu thun, Sir, damit mir die Zeit nicht gar so lange wird?“

„Doch. Steigt hinauf, und schaut nach Winnetou aus! Ich möchte es gern vorher wissen, wenn er kommt.“

„Ob Ihr es wißt oder nicht, das ist ganz egal; aber ich werde es Euch sagen.“

Er ging, und nun, als er sich entfernt hatte, schien Apanatschka wenigstens eine Bemerkung für nötig zu halten, um kein für ihn ungünstiges Urteil in mir aufkommen zu lassen. Er ließ einen verächtlichen Blick über den Gefangenen streifen und sagte:

„Die Söhne der Osagen sind keine Krieger; sie fürchten die Waffen tapferer Männer und fallen nur aber wehrlose Leute her.“

„Ist mein Bruder wehrlos gewesen?“ fragte ich.

„Ja. Ich hatte nur ein Messer bei mir, weil mir jede weitere Waffe verboten war.“

„Ah! Mein Bruder war unterwegs, um sich den heiligen Yatkuan zu holen?“

„So ist es. Apanatschka wurde von dem Rate der Alten ausersehen, nach Norden zu reiten, um die heiligen Steinbrüche aufzusuchen. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß, so lange es rote Männer giebt, kein Krieger, welcher von seinem Stamme nach dem Yatkuan ausgeschickt wird, eine andere Waffe als nur das Messer führen darf. Er hat keinen Pfeil und keinen Bogen, kein Gewehr und keinen Tomahawk nötig, weil er kein Fleisch, sondern nur Pflanzen essen darf und sich gegen keinen Feind zu verteidigen braucht, weil es verboten ist, einen Mann, der nach den heiligen Steinbrüchen reitet; unfriedlich zu behandeln. Apanatschka hat noch nie von einem Falle gehört, daß dieses Gesetz, welches bei allen Stämmen Geltung hat, übertreten worden ist. Die Hunde der Osagen aber haben die Schande auf sich geladen, mich zu überfallen, gefangen zu nehmen und zu fessseln, obgleich ich nur das Messer hatte und ihnen durch das Wampum des Kalumets bewies, daß ich mich auf dem Wege der großen Medizin befand.“

„Du hast ihnen das Wampum vorgezeigt?“

„Ja.“

„Ich sehe es nicht. Du hast es nicht mehr?“

„Nein. Sie haben es mir abgenommen und in das Feuer geworfen, von dem es verzehrt worden ist!“

„Unglaublich! So etwas ist allerdings noch niemals vorgekommen! Sie haben damit ihre Ehre in die Flammen geworfen und für alle Zeit vernichtet. Sie mußten dich, selbst wenn du ihr größter Feind gewesen wärst, als Gast behandeln!“

„Uff! Ich sollte sogar getötet werden!“

„Hast du dich gewehrt, als sie dich ergriffen?“

„Durfte ich das?“

„Nein.“

„Hätte ich mich gewehrt, so wäre das Blut vieler von ihnen geflossen; da ich mich aber auf mein Wampum und die uralten Gesetze verließ, die noch niemand zu übertreten wagte, bin ich ihnen willig wie ein Kind in ihr Lager gefolgt. Von nun an darf jedem Osagen, der einem ehrlichen Krieger begegnet, ins Gesicht gespieen werden und – –“

Er wurde unterbrochen, denn Dick Hammerdull kam und meldete, daß Winnetou zu sehen sei. Ich wollte den Apatschen mit dem Naiini-Komantschen überraschen, bat also Apanatschka, hier bei dem Gefangenen zu bleiben, und ging mit Dick Hammerdull nach der andern Seite des Kih-pe-takih, wo die Angemeldeten erscheinen mußten. Ich hatte natürlich erwartet, fünf Personen zu sehen, nämlich Winnetou, Treskow, Holbers, Old Wabble und Schahko Matto, bemerkte aber zu meiner Verwunderung, daß sich noch ein Indianer bei ihnen befand. Als sie näher gekommen waren, sah ich, daß dieser auch auf das Pferd gebunden war. Winnetou hatte also noch einen Gefangenen gemacht; die Kriegsfarben in seinem Gesichte zeigten, daß er auch ein Osage war.

Ich trat, damit der Apatsche nicht erst rekognoszieren solle, soweit vor das Gesträuch, daß er mich erkennen mußte. Er lenkte also gerade auf mich zu, hielt bei uns an und fragte:

„Befindet sich mein Bruder schon vor mir hier, weil ihm etwas Böses begegnet ist?“

„Nein, sondern weil alles schneller und besser ging, als ich denken konnte.“

„So geleite er uns zu seinen Pferden! Ich habe ihm sehr Wichtiges zu berichten.“

Schahko Matto hatte diese Worte gehört; ich fing einen triumphierenden Blick auf, den er auf mich warf, und ließ infolgedessen die Bemerkung hören:

„Die Pferde befinden sich auf der andern Seite; wir werden aber gleich hier unten lagern.“

Der scharfsinnige Winnetou ahnte sofort, daß es sich um eine Heimlichkeit handle; er warf einen kurzen Blick in mein Gesicht und ließ dann ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen. Der Häuptling der Osagen aber machte mir in barschem Tone die Bemerkung:

„Old Shatterhand wird erfahren, was geschehen ist, und mich in kurzer Zeit freilassen müssen!“

Ich antwortete nicht und stieg in die Vertiefung hinab. Die andern folgten mir, indem Hammerdull und Holbers die Pferde der beiden Indianer führten. Dabei hörte ich, daß der Dicke zu seinem langen Busenfreunde sagte:

„Also bei euch ist etwas sehr Wichtiges passiert, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, daß es wichtig ist, so hast du es erraten,“ lautete die Antwort.

„Ob erraten oder nicht, das bleibt sich gleich. So wichtig ist es aber jedenfalls nicht wie das, was – –“

„Laßt das Plaudern!“ unterbrach ich ihn. „Ehe die Reihe, zu reden, an Euch ist, sind vorher schon noch andere da!“

Er merkte, daß er im Begriffe gestanden hatte, einen Fehler zu begehen, und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf dem Grunde des Einsturzes angekommen, banden wir die Gefangenen von den Pferden, legten sie auf den Boden und setzten uns zu ihnen nieder. Winnetou, welcher nicht wissen konnte, womit ich hinter dem Berge hielt, warf mir heimlich einen fragenden Blick zu, worauf ich die Aufforderung an ihn richtete:

„Mein Bruder lasse mich das Wichtige wissen, was er mir mitzuteilen hat!“

„Soll ich mit offenem Munde sprechen?“

Er meinte damit, ob er ohne alle Rücksicht auf das, was ich noch zu verschweigen hatte, reden könne.

„Ja,“ nickte ich. „Hoffentlich ist es nichts Unangenehmes, was geschehen ist!“

Was ich erwartet hatte, das geschah: Old Wabble fiel schnell und in höhnischem Tone ein:

„Sehr unangenehm sogar, höchst unangenehm für Euch! Wenn Ihr etwa glaubt, uns noch immer sehr fest und sicher in den Händen zu haben, so irrt Ihr Euch gewaltig!“

Pshaw!“ lachte ich. „Die Karten stehen für uns ja noch besser als vorher!“

„Wieso?“

„Wir haben heut einen Gefangenen mehr als gestern!“

„Und Ihr meint, das sei vorteilhaft für euch? Laßt Euch doch von Winnetou sagen, wie die Sachen stehen!“

Der Apatsche überwand in diesem Falle einmal seinen Stolz, indem er in wegwerfendem Tone sagte:

„Der alte Cowboy hat ein Gift auf seiner Zunge; ich will ihn nicht hindern, es über uns auszuspritzen.“

„Ja, es ist ein Gift, und zwar ein solches, an dem ihr alle zu Grunde gehen werdet, wenn ihr uns nicht sofort die Freiheit gebt; th’is clear!“

„Unnütze Redensart, um uns bange zu machen!“ lachte ich.

„Lacht immerhin! Das Lachen wird euch gleich vergehen, wenn ihr hört, was während eurer glorreichen Abwesenheit geschehen ist.“ Er deutete auf den neugefangenen Roten und fuhr fort: „Den Kriegern der Osagen dauerte die Rückkehr ihres Häuptlings zu lange; darum sandten sie diesen Mann zu ihm, um den Grund seines langen Bleibens zu erfahren. Er kam nach dem Wäldchen, wo ihr uns überfallen habt; wir waren fort; er folgte aber unserer Spur und entdeckte unsern gestrigen Lagerplatz. Merkt Ihr noch nichts?“

„Ich merke nur, daß er dabei ergriffen wurde.“

„Schön! Aber etwas wißt Ihr nicht, nämlich daß er nicht allein gewesen ist. Es war ein zweiter Osage bei ihm, welcher klüger und vorsichtiger war als er. Dieser entkam und ist nun zurückgeeilt, um einige hundert Verfolger zu holen, die Euch sicher jetzt schon auf den Fersen sind. Ich gebe Euch den Rat, uns augenblicklich freizulassen; das ist das beste, was Ihr thun könnt; denn wenn diese Menge von Osagen kommt und uns noch in euern Händen findet, so werden sie keine Schonung üben, sondern euch auslöschen, wie der Sturm schwache Zündhölzer auszublasen pflegt!“

„Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt?“ fragte ich.

„Einstweilen ja; aber wenn Ihr so albern seid, meinen guten Rat nicht zu beachten, so kommt noch mehr!“

„Dann doch lieber gleich heraus mit diesem Mehr!“

„Nein. Erst will ich sehen, ob Old Shatterhand wenigstens einmal nur den hundertsten Teil der großen Klugheit besitzt, die man ihm irrtümlicherweise zuzuschreiben pflegt.“

„Soviel ist gar nicht notwendig, denn schon der zehntausendste Teil reicht für mich vollständig zu, Eure Drohung zu verlachen. Auch angenommen, daß alles ganz genau so ist, wie Ihr sagt, so befindet Ihr Euch noch in unserer Gewalt, und Eure Osagen sind noch nicht da. Was hindert uns, euch auszulöschen, so wie der Wind Zündhölzer ausbläst?“

Pshaw! Das thut Ihr nicht, denn Ihr seid ein viel zu guter und viel zu liebevoller Christ dazu und sagt Euch ganz gewiß, daß die Osagen unsern Tod blutig rächen würden.“

„Diese paar Leute? Was sind die gegen Winnetou, von mir gar nicht zu reden!“

„Ja, Eure Einbildung ist groß genug, das weiß man schon! Aber ich ahne, was Euch solchen Mut einflößt!“

„Nun, was?“

„Ihr seid auch, wie Winnetou, auf Fenners Farm gewesen und habt dort um Hilfe gebeten. Wahrscheinlich sind nun einige arme Cow-boys unterwegs, mit denen Ihr uns schrecken wollt.“

Pshaw! Wenn Ihr einigermaßen rechnen könntet, so müßtet Ihr wissen, daß ich von Fenners Farm jetzt noch nicht wieder hier sein könnte. Ich war an einem ganz, ganz anderen Orte und habe Euch zum Beweise, mit welcher Liebe ich dort an Euch dachte, jemand mitgebracht.“

„Möchte wissen, wer das ist. Laßt ihn doch sehen!“

„Sofort! Diese Freude kann ich Euch und Schahko Matto schon gern machen.“

Ich sagte Dick Hammerdull einige Worte in das Ohr. Er nickte lachend, stand auf und entfernte sich. Alle, selbst Winnetou, obgleich sich dieser gar nichts merken ließ, waren gespannt darauf, wen der Dicke bringen würde. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, führte er unsern gefangenen Osagen am Arme.

„Uff!“ rief Schahko Matto erschrocken.

All devils!“ schrie Old Wabble. „Das ist ja der – –“

Er hielt es für geraten, mitten im Satze abzubrechen. Ich winkte Hammerdull, den Roten wieder fortzuführen, weil dieser durch ein Wort die Anwesenheit Apanatschkas verraten konnte, und fragte den alten Cowboy:

„Das war der Rote, welcher die Hunderte von Osagen holen sollte. Denkt ihr jetzt noch, daß sie kommen werden?“

„Der Teufel hole Euch!“ zischte er mich an.

„Uff!“ fiel Schahko Matto ein. „Old Wabble hat ja den Naiini ganz vergessen!“

„Das fällt mir gar nicht ein!“ entgegnete dieser und fügte, zu mir gewendet, hinzu: „Ich habe schon bemerkt, daß ich noch eine Karte habe, die Ihr gewiß nicht übertrumpfen könnt, für so klug und weise Ihr Euch immer halten mögt!“

„Die möchte ich kennen lernen!“

„Werde Euch gleich behilflich dazu sein! Ihr werdet Euch sicher noch mit großem Vergnügen an den Llano erinnern, wo Ihr die Ehre hattet, von – – –“

„Von Euch bestohlen zu werden,“ fiel ich ihm in die Rede.

„Auch richtig, doch wollte ich etwas anderes sagen,“ lachte er. „Es gab dort einen jungen Naiini-Häuptling. Wie hieß er doch nur gleich?“

„Apanatschka,“ antwortete ich, mich ganz ahnungslos stellend.

Yes, Apanatschka! Ihr hattet ihn sehr lieb, nicht?“

„Ja.“

„Da Ihr Euch eines ausgezeichnet guten Herzens rühmt, vermute ich, daß diese Eure Liebe sich nicht verringert hat?“

„Sie ist im Gegenteile inzwischen noch gewachsen!“

Er sprach in überlegenem Tone, weil er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein, und ich ging auf diesen Ton ein, weil ich bemerkte, daß Apanatschka mir in der Rolle, die ich ihm zugedacht hatte, entgegenkam. Hammerdull war, als er den Osagen fortgeführt hatte, nicht wiedergekommen; ich sah an seiner Stelle den Naiini-Häuptling im Gebüsch stehen. Er mochte vermutet haben, daß ich nun auch mit seiner Person eine Überraschung beabsichtige, und hatte sich herbeigeschlichen, ohne abzuwarten, bis ich ihn holen ließ. Ein Blick in Winnetous Gesicht verriet mir, daß die scharfen Augen des Apatschen ihn auch schon entdeckt hatten.

„Noch gewachsen?“ wiederholte Old Wabble meine Worte. „Ihr wollt wahrscheinlich damit sagen, daß Ihr ihn noch heut wie damals als Euern Freund und Bruder betrachtet?“

„Ganz gewiß!“

„Für den Euch kein Opfer zu groß sein würde?“

„Ja. Ich will damit sagen, daß ich ihn in keiner Gefahr stecken lassen würde, und wenn ich mein Leben wagen sollte.“

„Schön! Ich kann Euch nun zufälligerweise sagen, daß er sich in der größten Gefahr befindet, die es für ihn geben kann.“

„Ah, wirklich?“

„Ja.“

„Welche wäre das?“

„Er ist Gefangener der Osagen.“

„Das glaube ich nicht.“

Old Wabble hatte mich angesehen, als ob er glaube, daß ich sehr erschrecken werde; als aber meine Antwort so schnell und in so gleichgültigem Tone erfolgte, versicherte er eifrig:

„Ihr denkt wahrscheinlich, ich mache Euch etwas vor; es ist aber wahr, wirklich wahr!“

„Unsinn!“

„Tragt den Osagen hier, den Winnetou gestern abend gefangen nahm! Er hat uns die Botschaft gebracht, über die wir uns grad so sehr gefreut haben, wie sie Euch ungelegen kommen muß.“

„Es ist dennoch Lüge, daß er gefangen ist!“

„Ich schwöre es Euch mit hundert Eiden zu!“

Pshaw! Old Wabbles Eide gelten bei mir weniger als nichts! Aber sagt, ist die Gefangennahme Apanatschkas etwa die Karte, die ich nicht übertrumpfen kann?“

„Natürlich!“

„So ahne ich, was Ihr meint. Ihr seid der Ansicht, daß wir Euch gegen ihn auslösen werden?“

„Seht, wie klug Ihr werdet, wenn man Euch mit der Nase an die richtige Stelle stößt! Ihr habt es allerdings erraten.“

„So thut es mir um Euretwillen leid, daß es eine Stelle giebt, an welche ich nun Eure Nase stoßen muß.“

„Was für eine denn?“

„Der Busch, da rechts von Euch. Seid so gut, Eure Nase einmal dorthin zu richten!“

Er wendete den Kopf nach der angegebenen Seite. Apanatschka hatte jedes unserer Worte gehört und verstanden; er schob das Gezweig mit den Armen zur Seite und trat zu uns heraus. Wenn ein Blitz vor ihnen niedergefahren wäre, hätten Schahko Matto und Old Wabble nicht mehr erschrecken können, als sie jetzt beim Anblicke des Komantschenhäuptlings erschraken.

„Nun?“ fragte ich. „Wer hat den größten Trumpf?“

Keiner antwortete. Da ertönte die Stimme eines, der nur dann zu sprechen pflegte, wenn sein Busenfreund Dick Hammerdull ihn fragte, nämlich die Stimme des langen Pitt Holbers:

Heigh-day, ist das ein Gaudium! Niemand wird ein- und ausgelöst; Old Wabble hat verspielt!“

Der, dessen Name da genannt wurde, knirschte mit den Zähnen, daß wir es alle hörten, stieß einen gräßlichen Fluch aus und schrie mit vor Wut überschnappender Stimme zu mir herüber:

„Hund, tausendmal verfluchter, du stehst mit der Hölle und allen ihren Teufeln im Bunde! Du mußt ihr dein Leben und deine Seele verschrieben haben, sonst könnte dir nicht alles so nach Wunsch gelingen! Ich speie vor dir aus! Ich hasse dich mit einem Hasse, wie ihn noch nie ein Mensch empfunden hat, dich, hörst du, dich, verdammter Dutchman, du!“

„Und dich bedaure ich aus vollstem, tiefstem Herzen,“ antwortete ich ruhig. „Ich habe viele, viele beklagenswerte Menschen kennen gelernt, der beklagenswerteste von allen diesen der bist du! Du ahnest und begreifst gar nicht, wie unbeschreiblich groß das Mitleid ist, welches du erwecken mußt. Möge Gott dereinst nur einen kleinen, kleinen Teil des Mitleids, des Erbarmens für dich haben, welches ich jetzt für dich hege! Das ist die Antwort, die ich dir auf deinen Fluch erteile, weil ein Fluch aus deinem Munde für jeden, gegen den du ihn richtest, zum Segen werden muß! Nun bin ich mit dir fertig. Du bist ein so armseliges Menschenkind, daß jedes Auge schmerzt, welches gezwungen ist, dich anzusehen. Mach dich aus dem Staube!“

Ich ging zu ihm hin, zerschnitt seine Fesseln und wendete mich ab. Wenn ich geglaubt hätte, daß er nun schnell aufspringen und davonlaufen werden, so wäre ich von einem Irrtume ergriffen gewesen; ich hörte nämlich, daß er sich langsam und gemächlich erhob; dann fühlte ich seine Hand auf meiner Schulter, und er sagte im Tone hellen Spottes:

„Also das Auge thut dir wehe, wenn du mich ansehen mußt? Darum giebst du mich frei? Bilde dir ja nur nicht ein, moralisch so unendlich hoch über mir zu stehen! Wenn der Gott wirklich lebt, an welchen du dich rühmst, so fest zu glauben, so stehe ich in seinen Augen ebenso hoch wie du, sonst wäre er ein noch schlechterer Kerl als so einer, für welchen du mich hältst! Er hat mich und dich geschaffen und in die Welt gesetzt, und wenn ich anders geraten bin als du, so bin nicht ich, sondern er ist schuld daran. An ihn hast du dich also mit deiner Entrüstung zu wenden, nicht an mich, und wenn es in Wirklichkeit ein ewiges Leben und ein jüngstes Gericht gäbe, über das ich aber lache, so hat, weil er mich mit meinen sogenannten Fehlern und Sünden ausstattete, nicht er über mich, sondern ich über ihn den Stab zu brechen. Du wirst also wohl endlich einsehen, was eure Frömmigkeit und Gottesfurcht für kindische, belachenswerte Dummheiten sind! Du glaubst wohl freilich, aus Güte zu handeln; im Grunde genommen aber treibt dich nichts als die Erkenntnis, die auch ich hege, nämlich daß kein Mensch gut und keiner böse ist, weil Gott, der Erfinder der Erbsünde, allein schuld daran wäre. Leb‘ also wohl, du Mann der Liebe und der Barmherzigkeit! Ich bin trotz deiner Albernheit heut wieder einmal sehr zufrieden mit dir. Aber denke deshalb ja nicht, daß ich, falls wir uns wiedersehen, anders als durch eine Kugel zu dir reden werde! Wir haben hier auf der Savanne nicht neben einander Platz; einer muß fort, und da du so große Scheu und Angst vor Menschenblut hast, so werde ich dir bei unserm nächsten Wiedersehen die Adern öffnen. Den andern gilt dasselbe Wort. Mesch’schurs, lebt wohl für nächste Tage! Ihr werdet bald von mir zu hören bekommen!“

Es waren den Gefangenen natürlich ihre Waffen abgenommen worden. Die Flinte Old Wabbles hing am Sattel seines Pferdes, und sein Messer hatte sich Dick Hammerdull in den Gürtel gesteckt. Der alte Cowboy trat zu dem Dicken und streckte die Hand aus, um sein Messer zu nehmen; dieser aber bog sich ab und fragte: „Was wollt Ihr da? In meinem Gürtel habt Ihr nichts zu suchen!“

„Ich will mein Messer haben.“ erklärte Old Wabble trotzig.

„Das gehört jetzt uns, aber nicht mehr euch!“

„Oho! Ich habe es also mit Spitzbuben, mit Dieben zu thun?“

„Nimm dein loses Maul in acht, sonst springe ich dir ins Gesicht, alter Gauner! Du kennst die Gesetze der Prairie und weißt also, wem die Waffen eines Gefangenen gehören!“

„Ich bin jetzt nicht mehr Gefangener, sondern frei!“

„Ob frei oder nicht, das geht mich gar nichts an. Wenn Old Shatterhand dir die Freiheit wiedergegeben hat, so ist damit noch nicht gesagt, daß du auch deine Waffen wiederbekommen mußt.“

„Behalte es, und sei verdammt, dicker Mops! Ich werde bei den Osagen ein anderes bekommen!&

Er ging zu seinem Pferde, nahm das Gewehr vom Sattel, hing es sich über und wollte aufsteigen. Da stand Winnetou auf, streckte die Hand gegen ihn aus und befahl:

„Halt! Das Gewehr wieder hin!“

Es lag in der Haltung und dem Gesichte des Apatschen etwas so Unwiderstehliches, daß Old Wabble, seinem sonstigen Wesen ganz entgegen, gehorchte. Er hing die Rifle wieder an den Sattel, wendete sich dann aber zu mir um und protestierte:

„Was soll das heißen? Pferd und Gewehr gehören doch mir!“

„Nein,“ entgegnete Winnetou. „Indem mein Bruder Shatterhand dir die Freiheit wiedergab, hat er dir nur den Ekel zeigen wollen, den jeder Mensch vor dir empfinden muß. Wir stimmen ihm alle bei, denn es graut uns, dich mit der Hand, dem Messer oder einer Kugel zu berühren. Wir überlassen dich nicht unserer Rache, sondern der Gerechtigkeit des großen Manitou. Du würdest auch dein Pferd und deine Waffen erhalten, aber da du gedroht hast, uns zur Ader lassen zu wollen, so bekommst du nichts als nur die Freiheit wieder. Du wirst jetzt augenblicklich gehen; bist du aber nach zehn Minuten noch hier in der Nähe zu sehen, so wird ein Riemen dir um den Hals und dann um den Ast eines dieser Bäume gelegt. Ich habe gesprochen. Howgh! Nun augenblicklich fort!“

Old Wabble lachte laut auf, verbeugte sich tief und antwortete:

„Ganz wie ein König gesprochen; nur schade, daß es in meinen Ohren wie Hundebellen klingt! Ich gehe; wir sehen uns aber wieder!“

Er drehte sich um, stieg den an dieser Stelle eingefallenen Rand der Senkung hinauf und verschwand. Als ich ihm der Vorsicht wegen in kurzer Zeit hinauffolgte, sah ich ihn in seiner schlotternden, wabbelnden Weise langsam über die Ebene schreiten. Ich hatte diesen Mann früher nicht nur wegen seines hohen Alters geachtet, sondern ihn dem Rufe gemäß, in dem er damals stand, auch für einen sehr tüchtigen Westmann gehalten; jetzt aber war meine Ansicht über ihn in beiden Beziehungen eine ganz andere geworden. Er wäre, selbst wenn man ihn für einen bessern Menschen hätte halten müssen, als „man of the west“ doch für uns unbrauchbar gewesen. Daß ich ihn auch diesmal wieder straflos hatte gehen lassen, war weniger die Folge eines Überlegungsaktes als vielmehr einer augenblicklichen Regung oder Empfindung, eines Ekels gewesen, der es mir unmöglich gemacht hatte, noch ein Wort an ihn zu richten.

Winnetou hatte sich einverstanden mit diesem meinem Verhalten erklärt. Hammerdull und Holbers waren es nicht, das wußte ich; sie wagten nur nicht, mir Vorwürfe darüber zu machen. Treskow aber, dessen juristisches oder polizeiliches Fühlen durch meine wiederholte Milde beleidigt worden war, sagte, als ich wieder zu ihnen hinabgestiegen war, zu mir:

„Nehmt es mir nicht übel, Mr. Shatterhand, daß ich Euch unbedingt tadeln muß. Vom christlichen Standpunkte aus will ich gar nicht sprechen, obgleich Ihr auch da nicht korrekt gehandelt habt, denn auch das Christentum lehrt, daß jeder bösen That die Strafe zu folgen habe; aber versetzt Euch doch einmal an die Stelle eines Kriminalisten, eines Vertreters der weltlichen Gerechtigkeit! Was würde ein solcher sagen, daß Ihr einen Halunken von der Verdorbenheit und Unverbesserlichkeit dieses Fred Cutter immer und immer wieder entkommen laßt? Dieser Mensch hat in seinem Leben schon mehr als hundertmal den Tod verdient, auch selbst dann, wenn nur seine Thaten als „Indianertöter“ in Betracht gezogen werden. Und wenn Ihr sagt, daß dies uns nichts angehe, so ist doch erwiesen, daß er Euch und uns wiederholt nach dem Leben getrachtet und auch jetzt wieder mit dem Tode bedroht hat. Was soll nun ein Jurist dazu sagen, daß Ihr Euch förmlich Mühe gebt, ihn der verdienten Strafe zu entziehen? Es ist mir ganz unmöglich, mich in die Gründe Eures Verhaltens hineinzudenken; ich kann Euch einfach nicht begreifen!“

„Bin ich Jurist, Mr. Treskow?“ antwortete ich.

„Ich glaube nicht.“

„Oder gar Kriminalist?“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Also! Es ist trotzdem gar nicht meine Absicht, ihn der wohlverdienten Strafe zu entziehen, nur will ich weder der Richter noch gar der Henker sein. Ich bin fest überzeugt, daß schon längst der verhängnisvolle, weiße Stab über seinem Haupte schwebt, um von einer ganz andern, mächtigern und höhern Hand gebrochen zu werden. Es hält mich ein Etwas in mir, dem ich nicht widerstehen kann, davon ab, dem gerechten Walten Gottes vorzugreifen, und wenn Ihr dieses mein Verhalten nicht verstehen könnt, so werdet Ihr doch wenigstens nicht bestreiten, daß es im Innern, in der Seele, im Herzen des Menschen Gesetze giebt, welche unübertretbarer, unerbittlicher und mächtiger als alle Eure geschriebenen Paragraphen sind.“

„Mag sein! Ich bin in dieser Beziehung nun einmal nicht so zartfühlend wie Ihr. Nur muß ich Euch auf die Präcedenzien aufmerksam machen, welche aus Eurem Gehorsam gegen diese geheimnisvollen und mir unverständlichen innerlichen Gesetze hervorgehen!“

„Wieso hervorgehen? Nennt mir einen solchen Fall!“

„Ihr habt Old Wabble begnadigt. Was thun wir nun mit dem Häuptling der Osagen, seinem Mitschuldigen? Soll der etwa auch ohne alle Strafe freigelassen werden?“

„Wenn es auf mich ankommt, ja.“

„Dann hole der Kuckuck alle eure sogenannten Gesetze der Savanne, die ihr nicht gelten laßt, obgleich ihr ihnen eine so beispiellose Strenge nachrühmt!“

„Ich bin erst in fünfter, sechster Stelle Westmann, in erster aber Christ. Die Osagen sind von den Weißen betrogen worden; sie haben sich durch den geplanten Überfall schadlos halten wollen; sie sind nach ihren Anschauungen vollständig berechtigt dazu. Sollen wir Schahko Matto nun für die bloße Absicht bestrafen, die noch gar nicht ausgeführt worden ist?“

„Gut, sehen wir von diesem Überfalle ab! Er hat uns aber nach dem Leben getrachtet, uns fangen und töten wollen!“

„Hat er diese Absicht ausgeführt?“

„Allerdings nicht; aber Ihr werdet wissen, daß schon der Versuch eines Verbrechens strafbar ist!“

„Hm, der Jurist, wie er im Buche steht!“

„Dazu bin ich berechtigt und verpflichtet, und ich bitte Euch, Euch auf denselben Standpunkt mit mir zu stellen!“

„Schön, das will ich thun! Also angenommen, daß schon der Versuch eines Verbrechens strafbar sei, ist die Absicht des Häuptlings der Osagen, die Farmen zu überfallen und uns zu töten, schon in das Stadium des Versuches getreten?“

Er zögerte mit der Antwort und brummte dann:

„Absicht – – Absicht – – Versuch – – vielleicht wenigstens der sogenannte entfernte Versuch – – hm, auch dieser nicht! Laßt mich doch mit solchen Haarspaltereien in Ruhe, Mr. Shatterhand!“

„Ah, Euer Standpunkt beginnt, zu wackeln! Sagt klar und bestimmt heraus: Ist die bloße Absicht strafbar?“

„Moralisch, ja, aber gerichtlich nicht.“

Well! Ist also Schahko Matto zu bestrafen?“

Er wand sich hin und her und rief zornig aus:

„Ihr seid der schlimmste Advokat, mit dem es ein Richter zu thun haben kann! Ich mag von der Sache gar nichts mehr wissen!“

„Nur langsam, langsam, Mr. Treskow! Ich bin strenger, als Ihr glaubt. Wenn wir auch die Absicht nicht bestrafen können, so bin ich doch dafür, daß wir Präventivmaßregeln ergreifen, welche der Strafe geschwisterlich ähnlich sind.“

„Das läßt sich freilich hören! Was schlagt Ihr vor?“

„Jetzt noch nichts. ich bin nicht der einzige, der da zu sprechen hat!“

„Sehr richtig!“ stimmte da Dick Hammerdull schnell bei.

„Irgend eine Belohnung muß der Rote bekommen; das versteht sich doch ganz von selbst! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, wenn du denkst, daß er einen tüchtigen Klapps verdient hat, so sollst du recht haben, lieber Dick,“ antwortete der Lange.

„So laßt uns beraten, was wir mit ihm thun!“ schlug Treskow vor, indem er, seine strengste Miene zeigend, sich niedersetzte.

Hochinteressant war das Spiel der Gesichtszüge, mit welchem Schahko Matto unsern Meinungsaustausch verfolgt hatte. Es war ihm kein Wort entgangen, und so wußte er, in welcher Weise ich mich seiner angenommen hatte. Sein erst so finster blickendes Auge ruhte jetzt mit einem ganz andern, fast freundlichen Ausdrucke auf mir; es war klar, daß er Dankbarkeit gegen mich empfand. Mir konnte das freilich gleich sein, denn persönliche Gefühle hatten mich nicht geleitet, als ich seinetwegen mit Treskow in Konflikt geraten war. Als dieser uns jetzt in so ernstem Tone zur Beratung aufforderte, brach der Häuptling der Osagen sein Schweigen, indem er sich an mich wendete:

„Wird, nachdem die Bleichgesichter gesprochen haben, Old Shatterhand vielleicht bereit sein, auch mich zu hören?“

„Sprich!“ forderte ich ihn auf.

„Ich habe Worte vernommen, welche ich nicht verstehen kann, weil sie mir fremd sind; um so deutlicher aber hörte ich, daß Old Shatterhand für mich gewesen ist, während das andere Bleichgesicht gegen mich war. Da Winnetou, der Häuptling der Apatschen, zu dem Streite geschwiegen hat, denke ich, daß er seinem Freunde und Bruder recht giebt. Beide sind zwar die Feinde der Osagen, aber alle roten und weißen Männer wissen, wie gerecht diese beiden berühmten Krieger denken und wie gerecht sie handeln, und so fordere ich sie auf, auch heut gerecht zu sein!“

Weil er jetzt eine Pause eintreten ließ und mich ansah, als ob er eine Antwort von mir erwarte, erklärte ich ihm:

„Der Häuptling der Osagen täuscht sich nicht in uns; er hat keine Ungerechtigkeit von uns zu erwarten. Ich mache ihn vor allen Dingen darauf aufmerksam, daß wir nicht Feinde der Osagen sind. Wir wünschen, mit allen roten und allen weißen Menschen in Frieden zu leben; wenn uns aber jemand in den Weg tritt, uns wohl gar nach dem Leben trachtet, sollen wir uns da nicht wehren? Und wenn wir dies thun und ihn besiegen, hat dieser Mann dann das Recht, zu behaupten, daß wir seine Feinde seien?“

„Mit diesem Manne hat Old Shatterhand wahrscheinlich mich gemeint. Wer aber ist es, der mit Recht von sich sagen kann, er sei angegriffen worden? Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, möchte fragen, wozu die Bleichgesichter Richter und Gerichte haben?“

„Kurz gesagt, um Recht zu sprechen, um Gerechtigkeit zu üben.“

„Wird dieses Recht gesprochen, diese Gerechtigkeit geübt?“

„Ja.“

„Glaubt Old Shatterhand, was er da sagt?“

„Ja. Zwar sind die Richter auch nur Menschen, welche sich irren können, und darum – –“

„Uff, uff!“ fiel er mir schnell in die Rede – – „darum irren sich diese Richter stets dann, wenn es sich darum handelt, gegen die roten Männer gerecht zu sein! Old Shatterhand und Winnetou haben an tausend Lagerfeuern gesessen und zehnmal tausendmal die Klagen gehört, welche der rote gegen den weißen Mann zu erheben hat; ich will weder eine einzige dieser Klagen wiederholen, noch ihnen eine neue hinzufügen; aber ich bin der Häuptling meines Stammes und darf also davon sprechen, was das Volk der Osagen gelitten und auch jetzt wieder von neuem erfahren hat. Wie oft schon sind wir von den Bleichgesichtern betrogen worden, ohne einen Richter zu finden, der sich unsers guten Rechts erbarmte! Vor jetzt kaum einem Mond ist wieder ein großer Betrug an uns begangen worden, und als wir Gerechtigkeit verlangten, wurden wir verlacht. Was thut der weiße Mann, wenn ihm ein Richter die Hilfe versagt? Er wendet sich an ein höheres Gericht. Und wenn ihn auch dieses im Stiche läßt, so macht er seinen eigenen Richter, indem er seinen Gegner lyncht oder Vereinigungen von Leuten gründet, Komitees genannt, welche heimlich und gegen die Gesetze Hilfe schaffen, wenn öffentlich und durch die Gesetze keine zu finden ist. Warum soll nicht auch der rote Mann thun dürfen, was der weiße thut? Ihr sagt Lynch, wir sagen Rache; ihr sagt Komitee, wir sagen Beratung der Alten; es ist ganz dasselbe. Aber wenn ihr euch dann selbst geholfen habt, so nennt ihr das erzwungene Gerechtigkeit, und wenn wir uns selbst geholfen haben, so wird es von euch Raub und Plünderung genannt. Die richtige Wahrheit lautet folgendermaßen: Der Weiße ist der Ehrenmann, welcher den Roten unaufhörlich betrügt und bestiehlt, und der Rote ist der Dieb, der Räuber, welchem von dem Weißen stets das Fell über die Ohren gezogen wird. Dabei sprecht ihr ohne Unterlaß von Glaube und von Frömmigkeit, von Liebe und von Güte! Man hat uns kürzlich wieder um das Fleisch, das Pulver und um vieles andere betrogen, was wir zu bekommen hatten. Als wir zum Agenten kamen, ihn um seine Hilfe zu bitten, fanden wir nur höhnisch lachende Gesichter und drohend auf uns gerichtete Flintenläufe. Da holten wir uns Fleisch, Pulver und Blei, wo wir es fanden, denn wir brauchen es, wir können ohne es nicht leben. Man verfolgte uns und tötete viele unserer Krieger. Wenn wir nun jetzt ausgezogen sind, den Tod dieser Krieger zu rächen, wer ist schuld daran? Wer ist der Betrogene und wer der Betrüger? Wer ist der Beraubte und wer der Räuber? Wer ist der Angegriffene und wer der Feind? Old Shatterhand mag mir auf diese Fragen die richtige Antwort geben!“

Er richtete den Blick erwartungsvoll auf mich. Was sollte und was konnte ich ihm antworten, nämlich als ehrlicher Mann antworten? Winnetou entzog mich dieser heiklen Lage, indem er, der bis jetzt Schweigsame, das Wort ergriff:

„Winnetou ist der oberste Häuptling sämtlicher Stämme der Apatschen. Keinem Häuptlinge kann das Wohl seiner Leute mehr am Herzen liegen als mir das Glück meines Volkes. Was Schahko Matto jetzt sagte, ist mir nichts Neues; ich habe es selbst schon viele, viele Male gegen die Bleichgesichter vorgebracht – – ohne allen und jeden Erfolg! Aber muß denn jeder Fisch eines Gewässers, in dem es viele Raubfische giebt, vom Fleische anderer Fische leben? Muß jedes Tier eines Waldes, eines Gehölzes, in welchem Skunks hausen, notwendig auch ein Stinktier sein? Warum macht der Häuptling der Osagen keinen Unterschied? Er verlangt Gerechtigkeit und handelt doch selbst höchst ungerecht, indem er Personen befeindet, welche nicht die mindeste Schuld an der Ungerechtigkeit tragen, die an ihm und den Seinen verübt worden ist! Kann er uns nur einen Fall, einen einzigen Fall sagen, daß Old Shatterhand und ich die Gegner eines Menschen gewesen sind, ohne daß wir vorher von ihm angegriffen wurden? Hat er nicht im Gegenteile oft und oft erfahren und gehört, daß wir selbst unsere ärgsten Feinde so sehr und so viel schonen, wie uns irgend möglich ist? Und wenn er das bis heut noch nicht gewußt hätte, so wäre es ihm vorhin vor seinen Augen und Ohren gesagt und bewiesen worden, als mein Freund und Bruder Shatterhand für ihn sprach, obgleich er ihm nach dem Leben getrachtet hatte! Was uns der Häuptling der Osagen mitteilen will, das wissen wir schon längst und so gut, daß er kein Wort darüber zu verlieren braucht; aber was wir ihm zu sagen haben, das scheint er noch nicht zu wissen und noch nie gehört zu haben, nämlich daß man nicht Ungerechtigkeit geben darf, wenn man Gerechtigkeit haben will! Er hatte uns für den Marterpfahl bestimmt, und er weiß, daß wir ihm jetzt den Skalp und das Leben nehmen könnten; er soll beides behalten; er wird sogar seine Freiheit wiederbekommen, wenn auch nicht gleich am heutigen Tag. Wir werden seine Feindschaft mit Güte, seinen Blutdurst mit Schonung vergelten, und wenn er dann noch behauptet, daß wir Feinde der Osagen seien, so ist er nicht wert, daß sein Name von einem roten oder weißen Krieger jemals wieder auf die Lippen genommen wird. Schahko Matto hat vorhin eine lange Rede gehalten, und ich bin seinem Beispiele gefolgt, obgleich weder seine noch meine Worte nötig waren. Nun habe ich gesprochen. Howgh!“

Als er geendet hatte, trat eine lange, tiefe Stille ein. Nicht seine Rede allein, sondern noch vielmehr seine Person und seine Sprech- und Ausdrucksweise war es, welche diese Wirkung hervorbrachte. Ich war außer ihm wohl der einzige, welcher wußte, daß er nicht bloß zu dem Osagen gesprochen hatte. Seine Worte waren auch an die andern, besonders an Treskow gerichtet gewesen. Schahko Matto lag mit unbewegten Mienen da; ihm war nicht anzusehen, ob die Entgegnung des Apatschen überhaupt einen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Treskow hielt die Augen niedergeschlagen und den Blick wie in Verlegenheit zur Seite gerichtet. Endlich hob er ihn zu mir empor und sagte:

„Es ist eine ganz eigene Sache um Euch und Winnetou, Mr. Shatterhand. Man mag wollen oder nicht, so muß man schließlich doch so denken, wie Ihr denkt. Wenn Ihr den Häuptling der Osagen mit seinen beiden Kerls jetzt ebenso laufen lassen wollt, wie Ihr Old Wabble freigegeben habt, so bin ich jetzt derjenige, der nichts dagegen hat! Ich befürchte nur, daß er uns dann mit seinem Volke nachgeritten kommt, um uns, falls er Glück hat, schließlich doch noch festzunehmen.“

„Warten wir das ab! Wenn ich Euch recht verstehe, so haltet Ihr eine Beratung jetzt nicht mehr für notwendig?“ fragte ich.

„Ist nicht nötig. Thut, was Ihr wollt!“

„Welk so mache ich es kurz! Hört also, was ich im Einvernehmen mit Winnetou bestimme! Schahko Matto reitet mit uns, bis wir annehmen, ihn freigeben zu dürfen; er wird zwar gefesselt sein, doch mit der Rücksicht behandelt werden, welcher jeder brave Westmann dem Häuptlinge eines tapfern Volkes schuldig ist. Seine beiden Krieger sind frei; sie mögen nach dem Wara-tu zurückkehren, um den Osagen zu erzählen, was geschehen ist. Sie mögen dort sagen, daß die Bleichgesichter gewarnt worden sind und daß, wenn der Überfall der Farmen trotzdem versucht werden sollte, der Häuptling von uns erschossen wird. Macht ihnen die Riemen auf!“

Diese Aufforderung war an Hammerdull und Holbers gerichtet, welche ihr bereitwillig nachkamen. Als die beiden Osagen sich frei fühlten, sprangen sie auf und wollten schnell zu ihren Pferden; dem aber wehrte ich ebenso schnell ab:

„Halt! Ihr werdet nach dem Wara-tu nicht reiten, sondern gehen. Eure Pferde und Gewehre nehmen wir mit. Ob ihr sie wiederbekommt, das hängt ganz von dem Verhalten Schahko Mattos ab. Also geht, und verkündet euern Brüdern, daß Old Shatterhand es gewesen ist, welcher gestern Apanatschka, den Häuptling der Naiini-Komantschen, befreit hat!“

Es wurde ihnen schwer, diesem Befehle Gehorsam zu leisten. Sie sahen ihren Häuptling fragend an; er forderte sie auf:

„Thut, was Old Shatterhand euch gesagt hat! Sollten die Krieger der Osagen dann im Zweifel darüber sein, wie sie sich zu verhalten haben, so mögen sie Honskeh Nonpeh fragen, dem ich den Befehl übergebe. Er wird das Richtige treffen!“

Als er diese Weisung erteilte, nahm ich sein Gesicht scharf in die Augen. Es war vollständig undurchdringlich; kein Zug desselben verriet, ob diese Abtretung des Kommandos an einen andern für uns später Kampf oder Frieden zu bedeuten haben werde. Die zwei Freigelassenen stiegen die Böschung hinan und entfernten sich in der Richtung, welche Old Wabble vorhin auch eingehalten hatte. Sie gingen auf seiner Spur, und es war vorauszusehen, daß sie ihn bald einholen würden.

Daß ich ihre Pferde zurückbehalten hatte, war nicht aus nur einem Grunde geschehen. Wären sie beritten gewesen, so hätten sie das Wara-tu viel schneller als zu Fuße erreicht, und die zu erwartende Verfolgung hätte einige Stunden eher beginnen können; wir gewannen also Zeit. Ferner waren sie als Boten, welche schnell und weit zu reiten hatten, mit sehr guten Pferden versehen gewesen, und grad solche Tiere konnten wir brauchen. Auch ihre Waffen konnten uns von Nutzen sein. Apanatschka, welcher, wie bereits erwähnt, nur mit einem Messer versehen gewesen war, bekam das Gewehr Schahko Mattos, welches mit nicht ganz schlechten Eigenschaften behaftet zu sein schien. Es verstand sich von selbst, daß er sein ursprüngliches Vorhaben, nach den heiligen Steinbrüchen zu reiten, einstweilen aufgab und sich dafür entschloß, uns hinauf nach Colorado zu begleiten. Da wir fast mit Sicherheit annehmen konnten, daß die Osagen, sobald die zwei Boten sie benachrichtigten, daß ihr Häuptling unser Gefangener sei, sofort nach dem Kih-pe-ta-kih kommen und uns von da aus folgen würden, um ihn zu befreien, konnte unsers Verweilens hier nicht länger sein. Schahko Matto wurde auf sein Pferd gebunden, doch in so schonender Weise, wie die Verhältnisse es uns erlaubten. Pitt Holbers und Treskow bestiegen die zwei Osagenpferde; die andern wurden als Packtiere benutzt, und so verließen wir die „alte Frau“, bei welcher uns nur eine so kurze Rast vergönnt war.

Der nun folgende Ritt mußte uns weit vom Republikan-River abbringen, weil dieser Fluß sich nun nordwärts nach Nebraska wendete. Wir hielten uns gradwestlich, um den Salmon-River zu erreichen. Dabei befanden wir uns zwischen zwei Übeln, von denen das eine vor und das andere hinter uns lag. Das vor uns liegende bestand aus der Truppe des „Generales“, von welcher wir bald eine Spur zu finden hofften, das hinter uns befindliche aus den Osagen, deren Kommen mehr als wahrscheinlich war. Keines von diesen beiden Übeln aber war geeignet, uns in große Unruhe zu versetzen. Daß es noch ein drittes, uns viel näherliegendes, geben könne, das ahnten wir nicht, obgleich wir ihm grad und genau entgegenritten.

Wir hätten, um die Osagen irre zu führen, uns für einige Zeit südlich wenden können; aber einesteils hatten wir vor diesen Indsmen keine Angst, und andernteils wäre durch einen solchen Umweg die Zeit unsers Zusammentreffens mit Old Surehand weiter, als wir wünschen durften, hinausgeschoben worden. Darum behielten wir die westliche Richtung bis zum Nachmittage des nächsten Tages bei, wo wir eine Begegnung hatten, welche uns veranlaßte, unserer ursprünglichen Absicht entgegen doch nach Süden einzubiegen.

Wir trafen nämlich auf drei Reiter, von denen wir erfuhren, daß eine sehr zahlreiche Bande von Tramps durch die ganze vor uns liegende Gegend schwärme. Die Männer waren einem Teile dieser Bande in die Hände gefallen und nicht nur vollständig ausgeraubt worden, sondern der eine von ihnen zeigte mir auch eine nicht ungefährliche Schußwunde, welche er bei dieser Gelegenheit in den Oberschenkel erhalten hatte. Wer von den Tramps gehört oder gar sie persönlich kennen gelernt hat, der wird es begreiflich finden, daß wir gar keine Lust hatten, solchen zügel- und gewissenlosen Menschen zu begegnen, vor denen jeder brave Westmann sich wie vor Ungeziefer hütet, weil er es für eine Schande hält, seine Kraft mit der ihrigen zu messen. Wie der geübteste und eleganteste Florettfechter unmöglich gegen die Düngergabel eines rüden Stallknechtes aufkommen kann, so hütet sich jeder ehrliche Prairieläufer, mit diesen von der Gesellschaft für immer Ausgestoßenen in Berührung zu kommen, nicht etwa aus Furcht oder gar Angst, sondern aus Abscheu vor der Gemeinheit ihres Auftretens.

So auch wir. Wir schwenkten kurz entschlossen nach Süden ab und gingen schon gegen Abend über den Nordarm des Salmon-River, an dessen rechtem Ufer wir für die Nacht Lager machten.

Hier war es, wo Apanatschka sein bisheriges Schweigen brach und mir erzählte, was er nach unserer Trennung im Llano estacado erlebt hatte. Es war nichts besonders Erwähnenswertes. Sein Ritt mit Old Surehand nach Fort Terrel war, wie bereits erwähnt, ohne Erfolg gewesen, da sie den dort gesuchten Dan Etters nicht gefunden hatten; es war dort überhaupt kein Mensch gewesen, der diesen Namen einmal gehört oder den Träger desselben gar persönlich gesehen hatte. Als Apanatschka dies erzählte, sagte ich:

„So ist meine damalige Voraussage also eingetroffen. Ich traute dem sogenannten Generale nicht; es kam mir gleich so vor, als ob er Old Surehand über diesen Etters täuschen wolle. Er hatte irgend eine bestimmte Absicht dabei, welche ich leider nicht erraten konnte. Es schien mir, als ob er das Verhältnis Old Surehands zu Etters genauer kenne, als er merken lassen wollte; ich machte unsern Freund darauf aufmerksam; er wollte es aber nicht glauben. Hat er mit meinem roten Bruder Apanatschka vertraulich darüber gesprochen?“

„Nein.“

„Er hat gar keine, keine einzige Äußerung darüber fallen lassen, warum er so eifrig nach diesem Etters suchte?“

„Keine.“

„Und dann habt ihr euch am Rio Pecos getrennt und du bist zu deinem Stamme heimgekehrt?“

„Ja; ich bin nach dem Kaam-kulano geritten.“

„Wo deine Mutter dich gewiß mit Freude empfing?“

„Sie erkannte mich im ersten Augenblick und nahm mich liebreich auf, dann aber ging ihr Geist schnell wieder von ihr fort,“ antwortete er, schnell trüb gestimmt, wie ich bemerkte.

Dennoch fragte ich, ohne auf diese seine Stimmung Rücksicht zu nehmen:

„Erinnerst du dich noch der Worte, die ich aus ihrem Munde gehört hatte?“

„Ich kenne sie. Sie sagt sie ja stets.“

„Und glaubst du noch heut so wie damals, daß diese Worte zur indianischen Medizin gehören?“

„Ja.“

„Ich habe es nie geglaubt und glaube es auch jetzt noch nicht. Es wohnen in ihrem Geiste Bilder von Personen und Ereignissen, welche nicht deutlich werden können. Hast du denn gar nicht einmal einen Augenblick bei ihr bemerkt, an welchem diese Bilder heller wurden?“

„Nie. Ich bin nicht oft mit ihr beisammen gewesen, denn ich mußte mich nach meiner Heimkehr bald von ihr trennen.“

„Warum?“

„Die Krieger der Naiini, und besonders Vupa Umugi, der Häuptling derselben, konnten es mir nicht verzeihen, daß mein weißer Bruder Shatterhand mich für würdig erachtet hatte, die Pfeife der Freundschaft und der Treue mit mir zu rauchen. Sie machten mit das Leben im Thal der Hasen schwer, und so ging ich fort.“

„Wohin?“

„Zu dem Komantschenstamme der Kaneans.“

„Würde mein Bruder sofort von ihnen aufgenommen?“

„Uff! Wenn es nicht Old Shatterhand wäre, der mich so fragt, so würde ich lachen! Ich war zwar der jüngste Häuptling der Naiini gewesen, aber es hatte keinen Krieger gegeben, der mich besiegen konnte. Darum sprach keine einzige Stimme gegen mich, als die Männer der Kaneans über meine Aufnahme berieten. Jetzt bin ich der oberste Häuptling dieses Stammes.“

„Das höre ich gern; das macht mir Freude, denn ich liebe dich. Konntest du deine Mutter nicht von den Naiini weg und zu dir nehmen?“

„Ich wollte es thun, aber der Mann, dessen Squaw sie ist, gab es nicht zu.“

„Der Medizinmann? Du nennst ihn nicht deinen Vater, sondern den Mann, dessen Squaw sie ist. Es ist mir schon damals aufgefallen, daß du ihn nicht lieben kannst.“

„Ich konnte ihm mein Herz nicht geben, jetzt aber hasse ich ihn, denn er verweigert mir die Squaw, welche mich geboren hat.“

„Weißt du genau, daß sie deine Mutter ist?“

Er warf mir einen Blick der Überraschung zu und sagte:

„Warum fragst du so? Ich bin überzeugt, daß mein Bruder Shatterhand nie ein Wort sagt, zu welchem er keinen Grund hat; alles, was er thut oder spricht, ist vorher von ihm reiflich überlegt worden; darum wird er auch ganz gewiß eine Ursache haben, mir diese sonderbare Frage vorzulegen.“

„Die habe ich allerdings; aber sie ist nicht eine Frucht der Überlegung, sondern die Folge einer Stimme, welche ich schon früher in meinem Innern gehört habe und auch noch heute höre. Will mein Bruder Apanatschka mir Antwort geben?“

„Wenn Old Shatterhand fragt, werde ich antworten, auch ohne zu begreifen, warum er gesprochen hat. Die Squaw, von welcher wir reden, ist meine Mutter; ich habe das nie anders gewußt, und ich liebe sie.“

„Und ist sie wirklich die Squaw des Medizinmannes?“

Er erwiderte abermals im Tone der Verwunderung:

„Auch diese Frage verstehe ich nicht. Man hat beide, so lange ich es weiß, für Mann und Weib gehalten.“

„Auch du?“

„Ja.“

„Und du liebst ihn nicht?“

„Ich habe dir bereits gesagt, daß ich ihn hasse.“

„Und bist doch überzeugt, daß er dein Vater ist?“

„Man hat ihn stets meinen Vater genannt.“

„Er selbst auch? Denk genau darüber nach!“

Er senkte den Kopf, schwieg eine Weile, hob ihn dann mit einer raschen Bewegung und sagte:

„Uff! jetzt fällt es mir zum erstenmal auf, daß er mich niemals, kein einziges Mal Schi Yeh genannt hat.“

„Aber deine Mutter hat Se Tseh zu dir gesagt?“

„Auch nicht!“

Die Ausdrücke für „mein Sohn“ sind nämlich bei den meisten Indianerstämmen verschieden, je ob sie von dem Vater oder der Mutter angewendet werden. In dem vorliegenden Falle wird Schi Yeh vom Vater, Se Tseh aber von der Mutter gebraucht. Apanatschka fuhr fort:

„Beide haben stets nur Omi zu mir gesagt, und nur die Mutter nannte mich allerdings zuweilen Se Tseh, aber nur dann, wenn sie mit andern von mir sprach.“

„Sonderbar, höchst sonderbar! Nun möchte ich nur noch wissen, ob er sie Ivo Uschingwa und sie ihn Iwuete zu nennen pflegt.“

„Du“.

Er sann wieder eine Weile nach und antwortete dann:

„Es ist mir, als ob sie, als ich noch jung, noch sehr jung war, sich so genannt hätten; seit jener Zeit aber habe ich diese Worte nicht wieder von ihren Lippen gehört.“

„So hat sie also seit jener Zeit stets nur die Namen Tibo taka und Tibo wete gebraucht?“

„Ja.“

„Und du hältst diese Worte für Medizinausdrücke?“

„Ja.“

„Warum?“

„Weil der Vater stets sagte, daß sie Medizin seien. Sie müssen es auch sein, denn es giebt keinen einzigen roten oder weißen Mann, welcher weiß, was das Wort Tibo zu bedeuten hat. Oder sollte mein Bruder Shatterhand es wissen?“

Ich wußte es allerdings auch nicht. Zwar mußte ich an die französischen Namen Thibaut und Thibault denken, aber es schien mir doch zu gewagt, das freilich fast gleichklingende Wort Tibo damit in Beziehung zu bringen. Ich wollte eine dieses sagende Antwort geben, kam aber nicht dazu, weil mir, und zwar zu gleicher Zeit und mit gleicher Eile, zwei Personen zuvorkamen, welche dem ersten Teile unseres Zwiegespräches keine Aufmerksamkeit geschenkt hatten, dann aber, sobald sie von mir die Namen Tibo taka und Tibo wete hörten, sich uns mit um so größerem Interesse zuwendeten.

Es wird noch erinnerlich sein, daß ich damals im Llano estacado Apanatschka versprechen mußte, die geheimnisvollen Worte keinem Menschen mitzuteilen; ich hatte mein Versprechen so treu gehalten, daß ich sogar gegen Winnetou verschwiegen gewesen war. Darum erregte es meine Verwunderung, als er uns jetzt in die Rede fiel:

„Tibo taka und Tibo wete? Diese Worte kenne ich!“

Und noch hatte er nicht ganz ausgesprochen, so rief auch der Häuptling der Osagen: „Tibo taka und Tibo wete kenne ich! Sie sind im Lager der Osagen gewesen und haben uns viele Felle und die besten Pferde gestohlen.“

Apanatschka war natürlich ebenso erstaunt wie ich. Er wendete sich zunächst an Winnetou:

„Woher kennt der Häuptling der Apatschen diese Worte? Ist er, ohne daß ich es erfahren habe, im Lager der Naiini gewesen?“

„Nein; aber Intschu tschuna, mein Vater, hat einen Mann und ein Weib getroffen, welche Tibo taka und Tibo wete hießen. Er war ein Bleichgesicht, sie eine Indianerin.“

„Wo hat er sie getroffen? Wo ist das gewesen?“

„Am Rande des Estacado. Sie und ihre Pferde waren dem Tode des Verschmachtens nahe, und die Frau hatte einen kleinen Knaben in ihr Tuch gewickelt. Mein Vater, der Häuptling der Apatschen, hat sich ihrer angenommen und sie zum nächsten Wasser geführt, um sie zu speisen und zu tränken, bis sie sich erholten. Dann wollte er sie zur nächsten Ansiedelung der Bleichgesichter bringen; sie aber baten ihn, ihnen lieber zu sagen, wo die Komantschen zu finden seien. Er ritt mit ihnen zwei Tage weit, bis er die Spuren der Komantschen entdeckte. Da diese seine Todfeinde waren, mußte er umkehren, gab ihnen aber Fleisch und einen Kürbis voll Wasser mit und erteilte ihnen eine so genaue Anweisung, daß sie die Komantschen finden mußten.“

„Wann hat sich das ereignet?“

„Vor langer Zeit, als ich noch ein kleiner Knabe war.“

„Was hat mein Bruder sonst noch über diese beiden Personen und ihr Kind erfahren?“

„Daß die Frau ihre Seele verloren hatte. Ihre Reden sind verworren gewesen, und wo es ein Gebüsch gab, da nahm sie einen Zweig, um ihn sich um den Kopf zu winden.“

„Weiter weiß Winnetou nichts von ihnen?“

„Weiter nichts; es ist das alles, was mein Vater mir über diese Begegnung erzählt hat.“

Der Apatsche bekräftigte durch eine Handbewegung, daß er nichts mehr zu sagen habe, und fiel dann in seine frühere Schweigsamkeit zurück. Da ergriff Schahko Matto eifrig das Wort:

„Aber ich kann noch mehr sagen; ich weiß mehr von. diesen Dieben, als Winnetou, der Häuptling der Apatschen, wissen kann!“

Apanatschka wollte weiter sprechen; ich winkte ihm aber, zu schweigen. Jedenfalls war er der kleine Knabe gewesen, und da der Mann und die Frau, welche als seine Eltern galten, von dem Osagen des Diebstahls geziehen wurden, wollte ich eine voraussichtliche direkte und große Beleidigung dadurch verhüten, daß ich an seiner Stelle das Wort ergriff:

„Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, mag uns erzählen, was wir über die Personen, welche wir meinen, von ihm hören können! Es wird wahrscheinlich nicht viel Gutes sein.“

„Old Shatterhand hat recht; es ist nichts Gutes,“ nickte er. „Hat er vielleicht einen Mann gekannt, welcher Raller hieß und bei den Bleichgesichtern das war, was sie einen Offizier nennen?“

„Es ist mir kein Offizier dieses Namens bekannt.“

„Dann ist es so, wie ich mir später gedacht habe: er hat uns damals einen falschen Namen genannt und ist nur in der Absicht, uns zu betrügen, zu uns gekommen. Wir haben überall nach ihm geforscht; ich bin sogar in den Forts und auch in den großen Städten der Weißen gewesen, mich nach ihm zu erkundigen, aber nirgends hat es einen Offizier gegeben, welcher Raller hieß.“

„Es sind da wahrscheinlich zwei Fälle möglich: Entweder war er Offizier und hieß nicht Raller, oder er hieß so und war nicht Offizier. Was wollte er bei den Kriegern der Osagen?“

„Er kam ganz allein zu uns; er trug die Kleidung der Offiziere und sagte, daß er der Bote des großen, weißen Vaters in Washington sei. Es war ein neuer weißer Vater gewählt worden, der diesen Boten zu uns schickte, um uns sagen zu lassen, daß er die roten Männer liebe, daß er Frieden mit ihnen hegen und besser für sie sorgen wolle als die frühern weißen Väter, welche nicht gut und ehrlich gegen sie gewesen seien. Das gefiel den Kriegern der Osagen wohl, und sie nahmen den Boten als Freund und Bruder auf und behandelten ihn mit größerer Ehrfurcht und Aufmerksamkeit, als sie selbst ihrem größten und ältesten Häuptling zu erweisen gewohnt waren. Er schloß einen Vertrag mit ihnen ab; sie sollten ihm Felle und Häute liefern, wofür er ihnen schöne Waffen, Pulver, Blei, Messer, Tomahawks, fertige Anzüge und auch prächtige Kleider und Schmucksachen für die Squaws versprach. Er gab ihnen zwei Wochen Zeit, diesen Vertrag zu überlegen, und ritt fort. Er kehrte schon vor dieser Frist zurück und brachte einen weißen Mann, eine sehr schöne, junge, rote Squaw und einen kleinen Knaben mit. Der Weiße trug den Arm in der Binde; er war durch einen Schuß verwundet worden, doch zeigte die Untersuchung, daß die Wunde in guter Heilung stand. Das junge Weib war seine Squaw und der Knabe sein Sohn. Der schöne Körper der Squaw war leer, denn der Geist hatte ihn verlassen. Sie sprach von Tibo taka, von Tibo wete und wand sich Zweige um den Kopf. Auch von einem Wawa Derrick redete sie zuweilen. Wir wußten nicht, was sie damit meinte, und auch der Weiße, dessen Squaw sie war, sagte, daß er ihre Reden nicht verstehe. Sie wurden bei uns aufgenommen, als ob sie Bruder und Schwester der Osagen seien; dann ging Raller wieder fort.“

Schahko Matto machte hier eine Pause, welche ich benutzte, ihn zu fragen:

„Wie war das Verhalten der beiden Weißen zueinander? Ließ es auf Freundschaft oder nur auf gewöhnliche Bekanntschaft schließen? Es kommt wahrscheinlich sehr viel darauf an.“

„Sie waren Freunde, so lange sie glaubten, beobachtet zu sein; hielten sie sich aber für unbemerkt, so zankten sie sich.“

„Hatte der Mann der Squaw vielleicht ein Merk- oder Kennzeichen an seinem Körper?“

„Nein, aber der Offizier, welcher sich Raller nannte, hatte eins; es fehlten ihm zwei Zähne.“

„Wo?“ fragte ich rasch.

„Oben vorn, rechts und links einer.“

„Ah! Etters!“ rief ich aus.

„Uff! Das war Dan Etters!“ ließ sich auch der sonst so stille Winnetou schnell hören.

„Etters?“ fragte der Häuptling der Osagen. „Ich glaube nicht, diesen Namen je gehört zu haben. Hat der Mann so geheißen?“

„Ursprünglich wohl nicht. Er war oder ist ein großer Verbrecher, welcher viele falsche Namen getragen hat. Wie wurde denn der andere, der verwundete Weiße von ihm genannt? Raller muß doch einen Namen genannt haben, wenn er mit ihm sprach oder ihn gar rief.“

„Wenn sie einig waren, nannte er ihn Lo-teh; aber wenn sie glaubten, allein zu sein, und sich zankten, sagte er sehr oft zornig E-ka-mo-teh zu ihm.“

„Ist das kein Irrtum? Hat der Häuptling der Osagen sich diese beiden Namen gut gemerkt? Haben sie sich während der langen Zeit, welche inzwischen vergangen ist, vielleicht in deinem Gedächtnisse verändert?“

„Uff!“ rief er aus. „Schahko Matto pflegt sich die Namen von Menschen, welche er haßt, so zu merken, daß sie bis zu seinem Tode ihm unverändert im Kopfe bleiben.“

Ich stemmte unwillkürlich den Ellbogen auf das Knie und legte den Kopf in die Hand. Es war mir ein Gedanke gekommen, so kühn und doch so naheliegend; ich zögerte, ihn auszusprechen. Winnetou sah mich an, ließ ein Lächeln um seine Lippen gleiten und sagte:

„Meine Brüder mögen Old Shatterhand genau betrachten! Grad so wie jetzt pflegt er auszusehen, wenn er eine wichtige Fährte entdeckt hat. Ich kenne ihn.“

Ich war mir gar nicht bewußt, ein besonders geistreiches Gesicht gemacht zu haben; ich weiß vielmehr, daß ich, wenn sich die Seele zum Nachdenken zurückzieht, eigentlich eine recht dumme Physiognomie zu zeigen pflege. Dies mochte Dick Hammerdull auch finden, denn er sagte zu Winnetous Bemerkung:

„Es scheint grad das Gegenteil der Fall zu sein. Mr. Shatterhand sieht aus, als#ob er eine wichtige Spur nicht gefunden, sondern sie soeben ganz und gar verloren hätte. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm!“ brummte der Lange, indem er in seiner trockenen Weise meine Partei ergriff; „wenn du denkst, daß dein Gesicht gescheiter aussieht als das seinige, so bist du der leibhaftige Hornfrosch, der sich für ein lebendiges Götterbild hält!“

„Schweig!“ fuhr ihn der Dicke an. „Was verstehst denn du von den Göttern und ihren Bildern? Mich mit einem Hornfrosch zu vergleichen! Das ist eine Majestätsbeleidigung, für welche du wenigstens zehn Jahre Eastern penitentiary bekommen solltest!“

„Schweig du selbst!“ entgegnete Pitt Holbers. „Die Majestätsbeleidigung wurde nicht von mir, sondern von dir begangen, indem du das Gesicht Old Shatterhands mit dem deinigen verwechseltest. Nicht er, sondern du siehst grad so aus, als ob du nicht nur eine Spur verloren, sondern überhaupt niemals eine gefunden hättest. Du bist zwar mein Freund, aber Mr. Shatterhand lasse ich auch von dir nicht ungestraft beleidigen!“

Es war ihm Ernst mit dieser Reprimande, sonst hätte er nicht ganz gegen seine Gewohnheit eine so lange Rede gehalten. Ich belohnte ihn mit einem dankenden Blicke, obgleich ich Dick Hammerdull nicht ernst genommen hatte, und sagte, zu Winnetou und Schahko Matto gewendet:

„Ich befinde mich wahrscheinlich im Irrtum, aber es ist mir ein Gedanke gekommen, den ich nicht so ohne alle Prüfung von mir weisen möchte. Ich glaube nämlich jetzt zu wissen, was das geheimnisvolle Wort Tibo bedeutet. Es kommt dabei nur darauf an, daß der Häuptling der Osagen die beiden Namen, welche er vorhin nannte, richtig behalten hat. Der erste hieß Lo-teh. Es ist eine Eigentümlichkeit der Sprache Schahko Mattos, daß er den ersten Laut dieses Wortes halb wie L und halb wie R aussprach. Wahrscheinlich hat er Lothaire gemeint, ein Wort, welches ein französischer Vorname ist.“

„Ja, ja!“ fiel der Osage ein. „So, grad so klang dieser Name, wenn er von Raller ausgesprochen wurde.“

„Gut! Dann bedeutet der zweite Name E-ka-mo-teh jedenfalls das auch französische Wort Escamoteur, welches einen Juggler, einen Taschenspieler bedeutet, der große Gewandheit darin besitzt, Gegenstände auf unbegreifliche Weise verschwinden und wieder erscheinen zu lassen.“

„Uff, uff, uff!“ rief Schahko Matto aus. „Ich höre, daß Old Shatterhand sich auf der richtigen Spur befindet!“

„Wirklich?“ fragte ich erfreut. „Hat der verwundete Weiße vielleicht die Dummheit begangen, damals die Osagen mit derartigen Künsten zu unterhalten?“

„Ja, das hat er gethan. Er ließ alles, alles kommen und verschwinden, wie es ihm gefiel. Wir haben ihn für einen so großen Zauberer gehalten, wie bei den roten Männern keiner gefunden werden konnte. Alle Männer und Frauen, alle Knaben und Mädchen haben ihm mit Erstaunen, oft mit Entsetzen zugesehen.“

„Gut! So will ich den Häuptling der Apatschen an einen Mann erinnern, von dem auch er erzählen hörte. Ich weiß, daß in seiner und meiner Gegenwart von einem einst hochberühmten und dann plötzlich verschollenen Escamoteur erzählt worden ist, von dessen Tricks man behauptete, daß sie nicht nur unvergleichlich, sondern geradezu unerreichbar seien. Er wurde, wie Winnetou sich erinnern wird, nicht anders als Mr. Lothaire, the king of the conjurers genannt.“

„Uff!“ stimmte der Apatsche bei. „Von diesem haben wir wiederholt erzählen hören, in den Forts und an den Lagerfeuern.“

„Und weiß mein Bruder noch, weshalb dieser Mann verschwinden mußte?“

„Ja. Er hatte falsches Geld gemacht, sehr, sehr viel falsches Geld, und, als er arretiert werden sollte, zwei Polizisten niedergeschossen und einen verwundet.“

„Nicht bloß das!“ fiel da Treskow ein. „Ich kenne, wenn auch nicht die Person, so doch den Fall genau; er wurde in Beamtenkreisen oft erwähnt, weil er höchst lehrreich für jeden Polizisten ist. Dieser Lothaire hat sich nämlich der Verfolgung wiederholt auf eine so raffinierte Weise entzogen und dabei noch weitere Mordthaten verübt, daß sein Fall uns als Unterrichtsgegenstand zur Belehrung dienen mußte. Er stammte, ich weiß nicht mehr, aus welcher französischen Kolonie, wo er sich auch nicht mehr sehen lassen durfte. Wenn ich mich nicht irre, war er ein Kreole aus Martinique und ist zuletzt in Bents Fort oben am Arkansas gesehen worden.“

„Das stimmt; das stimmt und wird noch besser stimmen lernen!“ gab ich zu. „Lothaire war nur sein Vorname. Es kommt ja häufig vor, daß derartige Leute Ihren Vor- als Künstlernamen wählen. Sagt, Mr. Treskow, ist es Euch wohl möglich, Euch auf seinen vollständigen Namen zu besinnen?“

„Er hieß – – er hieß – – hm, wie hieß er nur? Es war auch ein echt französischer Name, und wenn – – ach, jetzt fällt er mir ein! Er hieß Lothaire Thibaut und – – – alle Wetter! Da haben wir ja das Tibo, welches, wie ich vorhin hörte, so lange vergeblich gesucht worden ist!“

„Ja, wir haben es; ganz sicher haben wir es! Taka ist der Mann und Wete die Frau; Thibaut Taka und Thibaut Wete sind Herr und Frau Thibaut. Die Frau des Medizinmannes sagte, wenn sie sich vollständig nannte: Tibo wete elen. Was hat dieses Elen zu bedeuten? Ich ahne es.“

„Sollte der Vorname Ellen gemeint sein?“

„Höchst wahrscheinlich. Wenn die Frau des Medizinmannes sich nicht in ihrem Wahnsinne mit einer andern verwechselt, sondern die wirkliche Thibaut Wete Ellen ist, so ist sie eine getaufte Indianerin vom Stamme der Moqui.“

„Warum der Moqui?“

„Weil sie auch von ihrem Wawa, d. i. Bruder Derrick spricht; Taka, Wete und Wawa aber sind Worte, welche der Moquisprache angehören. Thibaut Taka war ein berühmter Taschenspieler und verschwand bei den Indianern, weil er sich bei den Weißen nirgends mehr sehen lassen durfte. Ihm, dem geschickten Escamoteur, mußte es sehr leicht sein, Medizinmann der Roten zu werden und bei ihnen großes Ansehen zu gewinnen.“

„Aber die Farbe, die Indianerfarbe?“

Pshaw! Für einen solchen Künstler eine Kleinigkeit! Ich bin jetzt beinahe überzeugt, daß Tibo taka und Tibo wete nicht Mann und Frau sind. Und sollten sie es dennoch sein, so möchte ich wenigstens behaupten, daß Apanatschka nicht der Sohn der beiden ist, wenigstens nicht der Sohn des Taschenspielers, von dem er auch nie als Sohn behandelt worden ist.“

Der, welcher jetzt genannt worden war, hatte unsern Folgerungen die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Es verstand sich ganz von selbst, daß ihm jedes Wort vom höchsten Interesse war. In seinem Gesichte wechselten die Ausdrücke der widersprechendsten Gefühle. Daß der Medizinmann nicht sein Vater, ja, daß dieser ein Verbrecher sein sollte, berührte ihn jedenfalls weniger, als daß ich ihm auch die Mutter rauben wollte; ich sah, daß es ihn drängte, mir da zu widersprechen, gab ihm aber einen wohlgemeinten Wink, zu schweigen, und wendete mich wieder an Schahko Matto:

„Wir haben den Häuptling der Osagen in seiner Erzählung unterbrochen und bitten ihn, jetzt fortzufahren. Der Weiße, welcher sich Raller nannte, hat den Vertrag, den er mit euch abschloß, natürlich nicht gehalten?“

„Nein, denn er war ein Betrüger wie alle Bleichgesichter, Old Shatterhand und nur noch einige ausgenommen. Die Krieger der Osagen aber hielten ihm ihr Wort. Sie suchten die Jagdgruben auf, in denen sie ihre Felle und Pelze aufbewahrt hatten, und brachten sie ihm in das Lager,“ antwortete Schahko Matto.

„Wo befand es sich zu jener Zeit?“

„Am Flusse, den die Weißen den Arkansas nennen.“

„Ah! Und am Arkansas ist Thibaut zuletzt gesehen worden. Das stimmt auffällig. Waren es viele Häute?“

„Viele, sehr viele Pakete! Ein ganzer großer Kahn wurde voll.“

„Was? Raller hat einen Kahn, ein Boot gehabt?“

„Ein sehr großes sogar. Wir haben es ihm aus Holzstangen und Fellen gebaut. Nur an Dickschwanzhäuten waren es weit über zehnmal zehn Bündel, das Bündel zu zehn Dollars gerechnet, die andern Felle, welche zusammen noch viel mehr kosteten, gar nicht mit gezählt.“

„So eine Menge? Er hat sie doch unmöglich weit transportieren können, sondern bald verkaufen müssen. Wohin wollte er sie schaffen?“

„Nach Fort Mann.“

„Ah! Das lag am Arkansas, wo ihn die große und sehr belebte Cimarronstraße kreuzte. Da gab es reichen Verkehr, und es waren stets Pelzhändler mit bedeutenden Kapitalien da, welche solche Summen zu jeder Zeit bezahlen konnten. Aber es gab da auch eine zahlreiche Garnison. Daß er sich überhaupt und nun gar mit der Ausführung eines solchen Betruges dorthin wagte, war eine Frechheit, welche gradezu ihresgleichen sucht. Es war eine große Unvorsichtigkeit von euch, ihm diese Waren anzuvertrauen. Ich vermute, daß ihr ihn nicht fortgelassen habt, ohne ihm Begleitung mitzugeben?“

„Old Shatterhand hat es erraten. Da er ein Abgesandter des großen, weißen Vaters war, glaubten wir, nicht unvorsichtig zu sein, wenn wir ihm Vertrauen schenkten. Wir mußten ihm auch schon deshalb glauben und vertrauen, weil er uns selbst aufforderte, ihn nach Fort Mann zu begleiten, wo wir die Bezahlung in Waren ausgeliefert bekommen sollten.“

„Wieviel Osagen bekam er mit?“

„Sechs Mann; ich war selbst dabei.“

„Hatten soviel Personen in dem Boote Platz? Wohl schwerlich!“

„Er nahm zwei Mann zur Hilfe bei den Rudern mit in den Kahn. Die andern vier mußten zu Pferde dem Flusse folgen. Um gleichen Schritt mit dem schnellschwimmenden Fahrzeuge halten zu können, war es notwenig, die besten Pferde auszusuchen.“

„Wie gut, wie pfiffig ausgedacht! Ich bin nämlich überzeugt, daß er es auch auf diese eure Pferde abgesehen hatte.“

„Old Shatterhand hat auch hier das Richtige getroffen. Es war zur Zeit, in welcher der Fluß viel Wasser und gute Strömung hat; darum erreichte der Kahn das Fort einen Tag früher als wir mit den Pferden. Wir kamen abends so spät an, daß wir kurz vor Thorschluß das Fort betraten, nachdem wir zwei Männer bei den Pferden vor demselben gelassen hatten. Dann war das Thor zu, und wir durften nicht mehr heraus. Raller gab uns zu essen und dazu so viel Feuerwasser, wie wir haben wollten. Wir tranken, bis wir einschliefen. Als wir erwachten, war es schon Abend des nächsten Tages. Raller war fort; der andere Weiße mit seiner Squaw und dem Kinde war fort; unsere Pferde waren auch fort und mit ihnen die beiden Krieger, welche sie hatten bewachen sollen. Als wir uns erkundigten, hörten wir, daß Raller die Felle schon vor unserer Ankunft verkauft und bezahlt bekommen hatte. Sobald der Schlaf des Feuerwassers über uns gekommen war, hatte er für sich und das andere Bleichgesicht mit Squaw und Kind das Thor öffnen lassen und war dann nicht mehr gesehen worden. Nun war es wieder Nacht, so daß wir nicht nach seiner Fährte suchen konnten. Wir hatten bis zum Morgen zu warten. Wir waren sehr zornig und verlangten unsere Felle, welche sich noch in dem Kahne am Ufer befanden. Die Soldaten und andern Bleichgesichter lachten uns aus. Als wir hierauf noch mehr ergrimmten, wurden wir eingesperrt und erst nach drei Tagen, in denen wir weder Essen noch Wasser erhielten, wieder freigelassen. Die Spuren der Betrüger waren nun nicht mehr zu sehen. Wir suchten dennoch und fanden die Leichen der beiden Krieger, welche die Pferde beaufsichtigt hatten, im Gebüsch des Flusses liegen. Sie waren vor dem Fort erstochen und dann dorthin geschafft und versteckt worden.“

„Habt ihr diesen Mord im Fort gemeldet?“

„Wir thaten es, aber man ließ uns nicht hinein; man drohte, uns sofort wieder einzusperren, falls wir es wagen sollten, durch das Thor zu schreiten. Der Jagdertrag eines vollen Jahres und eines ganzen Stammes war verloren; wir hatten zwei Krieger und die Pferde eingebüßt. Anstatt uns die erbetene Hilfe zu leisten, wollte die Obrigkeit der Weißen uns gefangen nehmen. Raller, der Mörder und Betrüger, war kein Bote des weißen Vaters gewesen, und weil wir keine Pferde hatten und eingesperrt gewesen waren, konnten wir ihm nicht folgen, um ihn zu bestrafen. Das ist die Gerechtigkeit der Bleichgesichter, welche von Liebe, Güte, Frieden und Versöhnung reden und sich Christen, uns aber Heiden nennen! jetzt weiß Old Shatterhand, was ich über Tibo taka und Tibo wete zu sagen habe. Ich will ihn nicht fragen, ob er auch jetzt noch denkt, daß die Weißen bessere Menschen als wir Roten sind.“

Ich mußte mich als Weißer natürlich und leider jeden Urteiles über das, was er erzählt hatte, enthalten und konnte ihm nur die allgemeine, nichtssagende Antwort geben:

„Der Häuptling der Osagen hat bereits gehört, daß ich keine Rasse für besser als die andere halte; es giebt bei allen Völkern und in allen Ländern gute und auch böse Menschen. Hat Schahko Matto vielleicht später wieder eine Begegnung mit einem von diesen beiden Bleichgesichtern gehabt?“

„Nein.“

„Auch nichts von ihnen gehört?“

„Auch nicht. Seit jener Zeit habe ich heut zum erstenmal die Namen Tibo taka und Tibo wete wieder vernommen. Wir haben nach dem Manne mit den zwei Zahnlücken überall und unablässig gehorcht, doch alle Nachfragen und Erkundigungen sind bisher vergeblich gewesen. Es sind inzwischen weit über zwanzig Sommer und Winter vergangen, und so haben wir angenommen, daß er nicht mehr lebt. Sollte ihn aber der Tod noch nicht ergriffen haben, so bitte ich den großen und gerechten Manitou, ihn in unsere Hände zu führen, denn der große Manitou ist gütig und gerecht; die Bleichgesichter aber sind es nicht, obgleich sie sich seine Lieblingskinder nennen.“

Es trat eine lange Pause ein, denn keiner von uns Weißen fühlte das unerläßliche Material in sich, die Anklage des Osagen zu entkräften oder gar zu widerlegen. Habe ich mich jemals in Verlegenheit befunden, so war es dann, wenn ich gezwungen war, die Vorwürfe, welche der weißen Rasse von Angehörigen anderer Nationen gemacht wurden, schweigend hinzunehmen. Alles, was man dagegen sagen könnte, hat ja doch keinen Erfolg, wenigstens keinen augenblicklichen. Das Beste, was man dagegen thun kann, ist, in eigener Person und durch den eigenen Lebenswandel den Beweis zu führen, daß derartige Anschuldigungen wenigstens mich nicht treffen. Wollte das ein jeder thun, so würden sie gewiß und bald zum Schweigen kommen.

Das jetzt beendete Gespräch mußte von uns allen natürlich Apanatschka am meisten berührt haben. Er hatte höchst wahrscheinlich viele Fragen und Entgegnungen vorzubringen, war aber infolge meines Winkes so klug, zu schweigen. Es war Schahko Matto gegenüber nicht geraten, sein nahes Verhältnis zu Tibo taka noch näher und ausführlicher in Erwähnung zu bringen, als es schon geschehen war. Ich fühlte so schon große Befriedigung darüber, daß der Osage nicht auf den Gedanken gekommen war, sich nach der Identität zwischen Tibo taka und dem Medizinmanne der Komantschen zu erkundigen.

Was Raller, den angeblichen Abgesandten des „großen, weißen Vaters“ betraf, so wollte sich in mir eine Idee oder eine Ahnung geltend machen, deren Berechtigung mir außerordentlich zweifelhaft erschien. Ich hütete mich also, ein Wort über sie zu verlieren, obgleich ich die Erfahrung gemacht hatte, daß ich mit derartigen, scheinbar grundlosen Vermutungen und unwillkürlichen Gedankenverbindungen meist das Richtige traf. Aber wenn ich darüber auch schwieg, diese Stimme in mir auch zum Schweigen zu bringen, das wollte mir nicht gelingen. Und je länger ich sie hörte, desto wahrscheinlicher kam es mir vor, daß sie mir nichts Falsches sage.

Als Schahko Matto davon sprach, daß Raller sich für einen Offizier ausgegeben hatte, war mir nämlich Douglas, der „General“, eingefallen. Es gab keinen einzigen stichhaltigen Grund, diese beiden Personen in so nahe Beziehung zu einander zu bringen; sie waren Verbrecher; sie hatten sich unberechtigterweise einen militärischen Grad beigelegt; das war alles, und lange noch nicht genug, um annehmen zu können, daß sie eine und dieselbe Person seien, und doch wurden sie in meinem Innern, in meiner Vorstellung nach und nach so zusammengeschoben, daß sie schließlich nicht mehr zwei Figuren sondern eine einzige bildeten. Das Seelenleben des Menschen ist so reich an geheimnisvollen Gesetzen, Kräften und Erscheinungen, deren Wirkungen wir achtlos an uns vorübergehen lassen; aber wer so viel bei seinen Büchern gesessen und getüftelt hat wie ich, wer so viel Nächte unter dem Dache des Urwaldes oder unter dem Himmel der Wüste, der Savanne lag und tiefe Einkehr in sich hielt, der lernt, auf die Regungen und Stimmen seines Innern aufmerksam zu sein, und schenkt ihnen gern das Vertrauen, welches sie verdienen.

Daß ich mit allen diesen Personen und Verhältnissen Old Surehand in Beziehung, und zwar in die engste Beziehung brachte, versteht sich ganz von selbst. Jedenfalls war er es, der im Mittelpunkte des Geheimnisses stand und der den Schlüssel zu demselben, jetzt noch ohne es zu wissen, in den Händen hielt. Darum nahm ich mir vor, meine Ahnungen noch für mich zu behalten und sie erst nach unserm Zusammentreffen mit ihm in Worte zu kleiden. Wir waren ja hinter ihm her und mußten ihn wahrscheinlich bald einholen.

Diesen Gedanken hing ich, als wir uns zur Ruhe gelegt hatten, noch lange nach, ehe ich einschlief. Früh dann, beim Aufbruche, waren sie fest in mir geworden, und ich legte mir nur noch die eine Frage vor, wer unter Wawa Derrick gemeint sein könne. Erraten konnte ich das nicht, weil es höchst wahrscheinlich eine Person war, welche ich nicht kannte.

Es war eine vollständig baum- und strauchlose Gegend, durch welche wir nun kamen. Wir befanden uns zwischen dem Nord- und Südarm des Salmon-River auf einer nur mit Büffelgras bewachsenen Prairie. Am Nachmittage kamen wir dem Südarme näher und sahen einen einzelnen Reiter, welcher weit vor uns quer über unsere Richtung aus Norden kam. Wir hielten sofort an und stiegen ab, um uns nicht von ihm sehen zu lassen; aber er hatte uns schon bemerkt und richtete den Lauf seines Pferdes auf uns zu. Darum setzten wir uns wieder auf und ritten ihm entgegen.

Als wir uns ihm so weit genähert hatten, daß wir ihn deutlich erkennen konnten, stellte es sich heraus, daß er ein Weißer war. Er stutze und hielt an, als er entdeckte, daß unser Trupp aus Leuten von zweierlei Farben bestand, denn das ist stets geeignet, Verdacht zu erwecken. Das Gewehr schußfertig in den Händen, sah er uns entgegen. Als wir uns ihm bis auf ungefähr dreißig Pferdelängen genähert hatten, hob er das Gewehr und forderte uns auf, zu halten, widrigenfalls er schießen werde. Diese Drohung war etwas für unsern dicken Hammerdull; er trieb trotz ihr seine Stute weiter und rief dabei dem Fremden lachend zu:

„Macht keine dummen Witze, Sir! Oder solltet Ihr Euch wirklich einbilden, daß wir uns vor Eurer Gartenspritze fürchten werden? Thut sie weg, und seid gemütlich, denn wir sind es auch!“

Das volle Gesicht des Kleinen strahlte allerdings eine Freundlichkeit aus, welcher der Reiter nicht widerstehen konnte wie ebensowenig sein Pferd, denn dieses ließ ein vergnügtes Wiehern hören, und er antwortete, indem er sein Gewehr sinken ließ:

„Diesen Gefallen kann ich Euch schon thun. Übrigens bilde ich mir über Euch vorläufig gar nichts ein, weder etwas Gutes noch etwas Böses, obgleich Ihr zugeben werdet, daß ich allen Grund habe, Verdacht gegen Euch zu hegen.“

„Verdacht? Warum?“

„Weiße und Rote gehören nicht zusammen, und wenn man sieht, daß diese zwei Farben sich einmal vertragen, hat man gewöhnlich die Kosten dieses Schauspieles zu bezahlen.“

„Vertragen? Seht Ihr denn nicht, daß einer der Indianer gefangen ist?“

„Um so schlimmer, daß Ihr dem andern nicht auch einige Riemen angelegt habt. Der Gefangene scheint eine Leimrute zu sein, an der man kleben bleiben soll!“

„Ob Ihr kleben bleibt oder nicht, das ist uns ganz egal; aber los kommt Ihr nicht. Wir wollen wissen, wer Ihr seid, und zu welchem Zwecke Ihr Euer Pferd hier in dieser alten Prairie spazieren reitet.“

„Spazieren? Danke! Es war kein angenehmer Ritt, den ich hinter mir habe.“

„Warum?“

„Ehe ich antworte, will ich erst wissen wer Ihr seid!“

„Ah so! Bin sofort bereit, Euch gehorsamst zu Diensten zu stehen!“ Und mit der Hand der Reihe nach auf sich und uns zeigend, fuhr er fort:

„Ich bin der Kaiser von Brasilien, wie Ihr mir ja gleich angesehen haben werdet. Der ungefesselte Indianer hier ist einer von den heiligen drei Königen aus dem Morgenlande, von denen bekanntlich der erste weiß, der zweite rot und der dritte schwarz gewesen ist; dieser hier wird also wohl der zweite sein. Der Mann mit dem großen und dem kleinen Gewehre“ – er deutete dabei auf mich – „ist Bileam, der Euch wohl bald zum Sprechen bringen wird. Der Weiße neben ihm“ – er meinte Treskow – „ist ein verwunschener Prinz aus Marokko, an dessen Seite Ihr seinen Hofnarren seht –“

Da er bei dem Worte Hofnarr auf Pitt Holbers zeigte, fiel ihm dieser kräftig in die Rede:

„Halte den Schnabel, alte Spottdrossel! Du gebärdest dich doch, als ständest du vor einer Menagerie, deren Bestien du diesem Fremden zeigen müßtest!“

„Ob Bestien oder nicht Bestien, das bleibt sich ganz gleich. Meinst du etwa, Pitt Holbers, altes Coon, daß ich ihm eure Namen nenne soll? Da kennst du weder mich noch die Gesetze des Westens. Er ist allein; wir sind ein ganzer Trupp, also hat er zuerst zu antworten, aber nicht wir, und wenn er das nicht augenblicklich thut, renne ich ihm mein Gewehr in den Leib oder reite ihn einfach über den Haufen.“

Er meinte das natürlich nur im Scherze; mochte nun der Fremde dies so nehmen oder nicht, aber er warf einen verächtlichen Blick auf die alte, haarlose Stute Hammerdulls und rief, indem er ein lautes Lachen hören ließ, aus:

Lack-a-day! Mit dieser Pfefferkuchenziege soll ich umgeritten werden? Die würde doch sofort aus allen Knochen fallen. Versucht es doch einmal! Come on!“

Der Dicke hielt so große Stücke auf sein Pferd, daß ihn nichts so schnell in Harnisch bringen konnte, als wenn man sich über das häßliche Äußere desselben lustig machte. So auch hier. Seine gute Laune war wie weggeblasen, und kaum hatte der Fremde die Aufforderung ausgesprochen, so ertönte die zornige Antwort:

„Sogleich, sogleich! Go on!“

Die Stute hörte das bekannte Wort; sie fühlte den Schenkeldruck und die Zügelhilfe und gehorchte augenblicklich. Sie rannte mit einem Satze, den ihr jeder, der sie nicht kannte, nie zugetraut hätte, das Pferd des Fremden an, welches zunächst in das Straucheln kam und nach einem zweiten Angriffssprunge der Stute sich hinten niedersetzte. Das geschah so rasch und unerwartet für den Reiter, daß er, ohne Zeit zum Parieren zu finden, die Bügel verlor und aus dem Sattel flog. Nun war die Reihe, zu lachen, an Dick Hammerdull. Er warf seine kurzen, dicken Arme triumphierend in die Luft und rief.

Heigh-day! Da fliegt er hin, der Pfefferkuchenmann! Wenn er nur nicht zerbrochen ist! Hat das die alte Ziege nicht gut gemacht, Pitt Holbers, altes Coon?“

Der Lange antwortete in seinem gewöhnlichen Gleichmute:

„Wenn du denkst, daß sie dafür einen Sack voll Hafer verdient hat, so magst du recht haben, lieber Dick.“

„Ob Hafer oder nicht, daß bleibt sich gleich; es giebt hier leider nur Gras zu fressen!“

Der Fremde rappelte sich empor, hob sein Gewehr auf, welches ihm entfallen war, und stieg mißmutig wieder in den Sattel. Um aus dem derben Scherze nicht völlig Ernst werden zu lassen, richtete nun ich selbst das Wort an ihn:

„Ihr seht, daß es selbst dem besten Cow-boy einmal geschehen kann, daß er ein fremdes Pferd unter- und das seinige überschätzt. Ganz ebenso scheint Ihr Euch auch in den Reitern geirrt zu haben. Daß ein Roter unser Gefangener ist, giebt für Euch keinen Grund, uns für Leute zu halten, denen Ihr nicht trauen dürft. Wir sind ehrliche Westmänner, und da wir wissen, daß dort oben im Norden, woher Ihr kommt, sich Tramps herumtreiben, die wir vermeiden wollen, so möchten wir so ungefähr wissen, wer und was Ihr seid.“

Daß er ein Cow-boy war, sagte mir seine Kleidung und Ausrüstung. Er antwortete jetzt bereitwillig-

„Diese Tramps sind es eben, wegen denen ich euch mißtraute und eigentlich noch jetzt mißtrauen muß.“

„Hm, mag sein! Ich hoffe, Euer Vertrauen sogleich zu erlangen, falls Euch nämlich der Name Winnetou nicht unbekannt ist.“

„Winnetou? Wer sollte diesen Namen nicht kennen!“

„Wißt Ihr, wie er gewöhnlich gekleidet und bewaffnet ist?“

„Ja. Er geht in Leder, mit einer Sandillodecke um die Hüften, das Haar lang herab und die Silberbüchse an – –“

Er hielt inne, fixierte den Apatschen einen Augenblick, schlug sich dann mit der Hand an die Stirn und rief:

„Wo habe ich doch nur meine Augen gehabt! Das ist er ja selbst, der berühmte Häuptling der Apatschen! Da ist ja alles gut. Ihr andern mögt nun meinetwegen sein, wer ihr wollt. Wo Winnetou dabei ist, da giebt’s nur Ehrlichkeit und keine Schelmerei. Jetzt weiß ich, daß ich Euch alles sagen darf, was Ihr wissen wollt.“

Well! Ihr habt schon wiederholt gehört, daß wir erfahren möchten, wer Ihr seid.“

„Ich heiße Bell und bin bedienstet auf Harbours Farm.“

„Wo liegt diese Farm?“

„Zwei Meilen südwärts von hier am Flusse.“

„Die kann erst seit kurzem gegründet sein. Früher hat es keine da gegeben.“

„Das ist richtig. Harbour ist erst seit zwei Jahren hier.“

„Er muß ein mutiger Mann sein, daß er es gewagt hat, sich in dieser Einsamkeit niederzulassen.“

„Auch wieder richtig. Wir fürchten uns nicht. Mit den Indsmen sind wir bisher fertig geworden; die Tramps aber sind ernster zu nehmen. Als wir hörten, daß sich eine solche Schar oben am Nordfork herumtreibt, bin ich hingeritten, um zu erfahren, was sie vorhaben. Ich weiß jetzt, daß wir uns nicht zu sorgen brauchen, denn sie haben es auf Nebraska abgesehen. Wollt ihr heut noch weit, Mesch’schurs?“

„Wir reiten noch eine Stunde, ehe wir Lager machen.“

„Wo?“

„Wo wir eine passende Stelle dazu finden.“

„Darf ich da eine Frage aussprechen?“

„Welche?“

„Wollt Ihr nicht lieber auf unserer Farm einkehren, als daß Ihr im Freien bleibt?“

„Wir kennen den Besitzer nicht.“

„Ich sage Euch, der ist ein Gentleman durch und durch und dazu ein großer Verehrer von Winnetou, den er schon einigemal gesehen hat. Er erzählt oft von ihm und von Old Shatterhand, welche mit ihren beiden herrlichen Rappen – –“

Er hielt wieder inne, warf einen Blick auf mein Pferd, welches er noch gar nicht beachtet zu haben schien, und fuhr dann schnell und in freudigem Tone in seiner Rede fort:

„Da spreche ich von Old Shatterhand und sehe einen Rappen, der demjenigen von Winnetou wie ein Ei dem andern gleicht! Ihr habt zwei Gewehre, Sir. Ist das eine ein Bärentöter?“

„Ja.“

„Das andere ein Henrystutzen?“

„Ja.“

Thunder-storm! So seid Ihr wohl gar Old Shatterhand?“

„Allerdings.“

„Dann, Sir, dann müßt Ihr meine Bitte erfüllen und mit mir zu Harbour kommen! Ihr glaubt gar nicht, was für eine große Freude Ihr ihm und seinen Leuten damit machen würdet! Ein Nachtlager in einer Farm ist doch jedenfalls angenehmer als eines auf offener Prairie und unter freiem Himmel. Eure Pferde finden ein gutes Futter, welches sie vielleicht nötig haben, und Ihr, na Ihr werdet auch ein besseres Essen haben, als Ihr da in der Savanne finden könnt.“

Der Mann bat so herzlich; seine Einladung war ehrlich gemeint. Er hatte recht. Unseren Pferden war ein kräftiges Körnerfutter zu gönnen, und uns bot die Farm Gelegenheit, unsern fast auf die Neige gegangenen Proviant zu erneuern. Konnten wir uns mit neuem Vorrate versehen, so war das, wie bereits einmal gesagt, besser, als wenn wir gezwungen waren, uns durch die Jagd zu ernähren und dabei eine Menge Zeit zu versäumen. Ich warf, um Winnetous Ansicht kennen zu lernen, diesem einen fragenden Blick zu; er antwortete mit einem Senken der Augenlider und indem er dann seinen Blick auf den Osagen richtete. Ich verstand diese stumme und doch so beredte Weisung und sagte zu dem Cow-boy:

„Ihr seht, daß wir einen Gefangenen haben. Es ist uns von großer Wichtigkeit, daß er uns nicht entkommt. Können wir darauf rechnen, daß man auf der Farm nichts unternehmen wird, ihn zu befreien?“

„Ich versichere Euch, Sir,“ antwortete er, „daß, er Euch bei uns grad so sicher ist wie im tiefsten Verließe einer alten Ritterburg!“

Well, so sollt Ihr Euren Willen haben. Wir werden mit zu Harbour reiten. Hoffentlich sind wir ihm so willkommen, wie Ihr uns versprochen habt.“

„Keine Sorge, Mr. Shatterhand! Eure Ankunft wird den heutigen Tag zum Festtag für ihn machen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

Wir standen also im Begriff, die Stelle, an welcher wir gehalten hatten, wieder zu verlassen. Schahko Matto war mit den Füßen an sein Pferd gebunden, konnte es aber mit den Händen lenken, weil wir ihm die Arme freigelassen hatten. Er hielt es zurück und zögerte, uns zu folgen. Über den Grund zu diesem Verhalten befragt, erklärte er uns:

„Der Häuptling der Osagen wünscht, Old Shatterhand und Winnetou etwas zu sagen, bevor wir weiterreiten.“

„Er mag sprechen!“ forderte ich ihn auf.

„Ich weiß, daß ihr mir nicht nach dem Leben trachtet, sondern mich freilassen werdet, sobald wir weit genug geritten sind, daß es mir unmöglich wird, schnell heimzukehren und euch mit meinen Kriegern zu verfolgen. Ich habe Honskeh Nonpeh den Befehl über die Söhne der Osagen erteilt, weil ich nicht wollte, daß sie euch folgen sollten. Er war gegen den Kampf und gegen den Überfall der Bleichgesichter, und daß ich grad ihm den Befehl überlassen habe und ihm dabei sagen ließ, er werde schon wissen, was er zu thun habe, wird ihm meinen Willen erraten lassen, daß er von allen Feindseligkeiten absehen soll. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir diese meine Worte glauben?“

„Wir schenken dir weder Vertrauen noch Mißtrauen; wir werden dich prüfen. Ein Feind wird nicht so schnell zum Freunde!“

„So hört, was ich euch jetzt noch sage! Wenn ich jetzt die Freiheit von euch zurückerhielte, ich würde doch nicht von euch gehen.“

„Uff!“ antwortete Winnetou.

„Der Häuptling der Apatschen mag sich wundern; es ist doch so, wie ich gesprochen habe: ich würde wirklich mit euch weiterreiten.“

„Aus welchem Grunde?“ erkundigte ich mich.

„Wegen Tibo taka.“

„Wegen diesem? Diese Ursache will mir sehr unklar erscheinen.“

„Weil Old Shatterhand bisher angenommen hat, daß ich gestern abend etwas nicht beobachtet habe, was mir doch außerordentlich wichtig war.“

„Was meint der Häuptling der Osagen?“

„Es wurde gesagt, daß Tibo taka jetzt Medizinmann der Naiini sei. Ich habe dazu geschwiegen, um darüber nachzudenken. Heut bin ich zum Entschluß gekommen: Ich werde mit euch reiten, auch wenn ich frei geworden bin, denn ich will mir die Freundschaft von Apanatschka, dem Häuptling der Komantschen, erwerben.“

„Warum das?“

„Wenn er mein Freund geworden ist, wird er mir behilflich sein, den Medizinmann der Naiini-Komantschen in meine Hand zu bekommen.“

Da warf Apanatschka die Hand wie zum Schwure empor und rief aus:

„Nie werde ich das thun, niemals!“

Ich streckte meine Hand gegen ihn aus und rief in demselben Tone:

„Du wirst es thun!“

„Niemals!“ behauptete er.

„Sehr gern sogar!“ antwortete ich bestimmt.

„Lieber sterbe ich! Ich hasse ihn, aber er ist mein Vater!“

„Er ist es nicht.“

„So ist doch seine Squaw meine Mutter!“

„Auch sie ist das nicht!“

„Welch ein Wort Old Shatterhand da sagt! Kann er beweisen, was er jetzt behauptet hat?“

„Nein, aber ich fühle in meinem Innern, daß es die Wahrheit ist.“

„Hier bedarf es der Beweise, doch nicht der Gefühle!“

„Du bist ein geraubtes Kind. Tibo taka und Etters sind die Räuber; das steht bei mir fest. Tibo wete ist mitschuldig an dem Raube; das vermute ich jetzt nur; aber ich denke, es wird die Zeit kommen, in welcher du mir glauben wirst. Ich bin bereit, mit dir und dem Häuptling der Osagen zu den Naiini zu reiten, um den Medizinmann dieser Indianer zu entlarven. Jetzt wollen wir nicht mehr darüber sprechen, sondern lieber weiterreiten!“

Der Cow-boy setzte sich als Führer an unsere Spitze, und wir folgten ihm. Schon nach einer halben Stunde ersahen wir aus der kräftigeren Vegetation, daß wir uns dem Flusse näherten. Sträucher und Bäume traten auf, erst vereinzelt, dann in Gruppen, zwischen denen Rinder, Pferde und Schafe weideten. Wir erblickten sogar mehrere große Maisund andere Felder, und dann lag das Gebäude vor uns, welches uns heut beherbergen sollte.

Als ich es sah, wäre ich, einer unbestimmten Regung folgend, am liebsten umgekehrt. Es lag da, ganz ähnlich wie Fenners Farm, nur sehr viel westlicher und an einem andern Flusse. In Fenners Farm hatte mir der Tod gedroht, und hier durchfuhr mich ein, ich möchte sagen, warnendes Empfinden, welches, wenn ich ihm gehorchen wollte, mich am Betreten des Hauses hindern mußte. Ich schrieb die Schuld der gleichen Lage der Farmen zu. Wenn man an einem Orte etwas Unangenehmes erlebt oder gar eine Gefahr bestanden hat und man kommt dann an einen andern Ort, welcher dem ersteren ähnlich liegt und sieht, so ist es freilich begreiflich, wenn da infolge der bösen Erinnerung ein Gefühl aufsteigt, welches zur Umkehr mahnt.

Ich konnte auf diese Empfindung natürlich keine Rücksicht nehmen; ich durfte nicht einmal von ihr sprechen, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, ausgelacht oder wenigstens mit Kopfschütteln bedacht zu werden. Bell, der Cow-boy, war uns eine Strecke vorausgeritten, um unsere Ankunft anzumelden. Darum fanden wir den Besitzer der Farm zu unserm Empfang bereit. Seine Familie bestand außer ihm und seiner Frau aus drei Söhnen und zwei Töchtern, lauter kräftigen, sehnigen Hinterwaldsgestalten, denen man es ansah, daß sie sich vor einigen Indianern nicht fürchteten und wohl auch nicht zu fürchten brauchten. Wir merkten es diesen sieben Personen an, daß wir ihnen wirklich willkommen waren. Ihre Freude war eine aufrichtige und hatte sich auch den Hands mitgeteilt, welche vor dem Hause standen, neugierig, den berühmten Häuptling der Apatschen kennen zu lernen. Er nickte ihnen stolz und leutselig wie ein König zu, der er ja auch in Beziehung auf seine Thaten und Gesinnungen war, wenigstens meiner Ansicht nach.

Die Farm glich mehr einer südlichen Hazienda, nur daß sie ganz aus Holzbau bestand, weil Steine am Salmon-River eine Seltenheit sind. Die weite, aus starken, hohen Planken bestehende Umzäunung schloß einen großen Raum ein, an dessen Nordseite das Wohnhaus stand. Die Südseite war mit einem Dache zum Schutze für das Vieh versehen. An den beiden andern Seiten lagen die einfachen Wirtschaftsbauten und die Aufenthaltsräume für das Gesinde und die gewöhnlichen Gäste. Außerhalb der Umzäunung gab es einige Korrals für die Pferde, Rinder und Schafe, dabei ein besonderer für die Reitpferde Harbours und seiner Familienglieder. In dieser letzterwähnten Umfriedung wurden auch unsere Pferde untergebracht und auf Winnetous und meinen Wunsch von zwei Peons bewacht. Wir wollten sie nicht der Gefahr, gestohlen zu werden, aussetzen, welcher sie auf Fenners Farm kaum entgangen waren. Das Wohnhaus bestand aus drei Räumen. Die eine, vordere Hälfte nahm, über die ganze Breite des Hauses, die Thür abgerechnet, gehend, das Wohnzimmer ein. Es hatte drei Fenster, welche mit Glasscheiben versehen waren. Das Meublement war mit eigener Hand einfach und durabel hergestellt. Jagdtrophäen und Waffen hingen rundum an den Wänden. Die hintere Breite des Hauses nahmen dann die Küche und die Schlafstube ein, welche an uns abgetreten werden sollte. Wir nahmen das aber nicht an und erklärten, uns später bei offenen Fenstern im Wohnzimmer niederlegen zu wollen.

Nachdem der herzliche Empfang vorüber war und die Peons unsere Pferde unter unsern Augen in dem erwähnten Korral untergebracht hatten, erforderte es unsere Sicherheit, zu fragen, ob außer den Bewohnern der Farm noch andere Leute anwesend seien. Der Besitzer gab die uns gar nicht beunruhigende Antwort:

„Es kam vor einer Stunde ein Arzt mit einer Kranken an, die er nach Fort Wallace zu begleiten hat.“

„Woher kommen sie?“ erkundigte ich mich.

„Aus Cansas-City. Sie leidet an einem unheilbaren Übel und will zu ihren Anverwandten zurück.“

„Alt oder jung?“

„Das konnte ich nicht sehen. Ihre Krankheit ist eine krebsartige und hat das Gesicht so zerstört, daß sie einen dichten Schleier tragen muß. Sie kamen auf zwei Pferden mit einem Packpferde an.“

„Mit Begleitung?“

„Nein, ohne.“

„So ist der Arzt entweder ein sehr kühner oder ein sehr unvorsichtiger Mann. Ich bedaure die Dame, eine so lange Reise im Sattel zurücklegen zu müssen. Es giebt doch andere Gelegenheiten.“

„Das sagte ich dem Arzte auch, aber er antwortete mir ganz richtig, daß die häßliche und jeden Mitreisenden abstoßende Krankheit seiner Pflegbefohlenen ihn leider zu diesem einsamen Ritt gezwungen habe.“

„Dagegen giebt es freilich nichts zu sagen. Wann wollen sie fort?“

„Morgen früh. Sie waren beide sehr ermüdet, haben schnell etwas gegessen und sich dann in das Seitenhaus führen lassen, um zu schlafen. Ihre Pferde sind hinten im Hofe untergebracht worden.“

Die Anwesenheit einer krebskranken Lady mit ihrem ärztlichen Begleiter konnte uns, wie schon gesagt, nicht beunruhigen, sondern höchstens unsere Teilnahme erwecken. Wir hatten gar keinen Grund, unsere Gedanken mit diesen beiden Personen mehr als gewöhnlich zu beschäftigen. Wenn sie nicht schon geschlafen hätten, wäre ich vielleicht einmal hinausgegangen, um sie zu sehen, so aber konnte dieser sonst so selbstverständliche Wunsch gar nicht in mir rege werden.

Da vor dem Hause keine Sitze angebracht waren, gingen wir in die Stube, wo uns gern und schnell ein tüchtiges Essen aufgetragen wurde. Der Wirt nebst Frau und Kindern mußten sich zu uns setzen, und während wir aßen, kam bald eine Unterhaltung von der Art zu stande, welche man mit dem Worte Lagerfeuergespräch zu bezeichnen pflegt. Der Häuptling der Osagen saß mit bei uns, zwischen Winnetou und mir, und zwar als einstweilen freier Mann, denn wir hatten ihm alle Fesseln abgenommen. Er nahm das mit stolzem Danke als einen Beweis unseres Vertrauens hin, und ich war überzeugt, daß er uns keine Veranlassung geben werde, diese Maßregel, mit welcher wenigstens Treskow nicht einverstanden war, zu bereuen.

Als es draußen dunkel zu werden begann, wurde eine große Lampe angezündet, welche den ganzen, großen Raum erleuchtete. Und wie überall der trauliche Lampenschein die Lippen öffnet und die Zungen löst, so wurde auch unser Gespräch von Viertelstunde zu Viertelstunde immer animierter und interessanter. Es wurden Erlebnisse und Episoden erzählt, welche der geistreichste Schriftsteller sich nicht ersinnen könnte, denn das Leben ist und bleibt der phantasiereichste Litterat. Besonders war es wieder Dick Hammerdull, welcher durch seine drastische Darstellungsweise uns alle zum Lachen zwang; das konnte aber die eine, große Lücke nicht schließen, auf deren Ausfüllung der Farmer und seine Angehörigen vergeblich hofften: Sie wünschten, daß auch Winnetou aus seinem reichbewegten Leben etwas erzählen möge, doch wäre es dem schweigsamen Apatschen, selbst wenn er sich in einem viel, viel engern Bekanntenkreise befunden hätte, nicht eingefallen, zur bloßen Unterhaltung anderer die Rolle des Erzählers zu übernehmen. Er war ein Mann der That. Zwar war ihm auch die Gabe der Rede im höchsten Grade verliehen, aber er schöpfte nur dann aus diesem reichen Quell, wenn es die Notwendigkeit erforderte und es sich um eine Wirkung handelte, die außer ihm kein anderer zu erreichen vermochte. Dann war seine bilderreiche, gewaltige Rede mit einem mächtig dahinbrausenden Strome zu vergleichen, welcher jede andere Logik mit sich fortriß und endlich stets in segensreicher Weise die auf ihn wartenden Kanäle füllte, um die Dürre in Wachstum und die Öde in Fruchtbarkeit zu verwandeln.

Auch Harbour erzählte sehr interessant. Er war in früherer Zeit weit in den Staaten herumgekommen, hatte viel Seltsames erlebt und endlich nach langem Hoffen sein Glück durch eine gelungene und, wie ich besonders hinzufüge, ehrliche Spekulation gemacht. Hierauf war er so klug gewesen, das abenteuerliche Leben aufzugeben und sich zunächst versuchsweise anderwärts und vor zwei Jahren endgültig hier am Salmon-River ein festes Heim zu gründen.

Was mir am meisten an ihm gefiel, das war sein heiteres, festes Gottvertrauen, welches ihn überallhin begleitet hatte und nie von ihm gewichen war. Ebenso freute es mich von ihm, daß er nicht die hier landläufige Ansicht über die indianische Rasse hatte. Er brachte zahlreiche Beispiele von roten Männern, deren Charakter und Lebensführung jedem Weißen hätte als Muster dienen können. Und als Treskow dennoch behauptete, daß die Indianer unfähig zur Civilisation und zum Christentume seien, wurde er zornig und richtete die allerdings schwerwiegende Frage an ihn:

„Was versteht Ihr denn eigentlich unter Civilisation und Christentum? Kennt Ihr beide so genau, wie es den Anschein hat, so sagt mir doch einmal, was sie dem roten Manne gebracht haben! An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen, steht in der heiligen Schrift. Nun zeigt mir gefälligst die Früchte, welche die Indsmen von den so sehr civilisierten und christlichen weißen Gebern geschenkt bekommen haben! Geht mir mit einer Civilisation, die sich nur von Länderraub ernährt und nur im Blute watet! Wir wollen da gar nicht etwa nur von der roten Rasse reden, o nein. Schaut in alle Erdteile, mögen sie heißen, wie sie wollen! Wird da nicht überall und allerwärts grad von den Civilisiertesten der Civilisierten ein fortgesetzter Raub, ein gewaltthätiger Länderdiebstahl ausgeführt, durch welchen Reiche gestürzt, Nationen vernichtet und Millionen und Abermillionen von Menschen um ihre angestammten Rechte betrogen werden? Wenn Ihr ein guter Mensch Seid, und der wollt Ihr doch gewiß wohl sein, so dürft Ihr Euer Urteil nicht nach der Ansicht der Eroberer richten, sondern nach den Meinungen und Gefühlen der Besiegten, der Unterdrückten, Unterjochten. Und wenn Ihr mir da entgegnet, daß es Eroberer und Gründer von neuen Reichen gegeben habe, so lange die Erde Menschen trägt, so antworte ich: Das waren Macedonier, Griechen, Römer, Perser, Mongolen, Hunnen, also Heiden, die keinen Christus kannten, welcher als zweites, höchstes Gebot von uns verlangt: Du sollst deinen Nebenmenschen lieben wie dich selbst! Haben diese Heiden ihre blutigen Schwerter als mordgierige Menschenschnitter über den Erdkreis getragen, so giebt es für uns Christen eine ganz andere Art der Eroberung. Ich bringe Euch den Frieden; ich lasse Euch meinen Frieden! hat der Weltheiland gesagt; nun tragt als Christen diesen Frieden hin in alle Lande und hin zu allen Völkern! Steckt, wie Petrus, Eure Schwerter in die Scheide; Eure einzige Waffe soll nur die Liebe sein, und auf Eurem Banner darf man nur das Wort Versöhnung lesen. Wie es einen Menschen gab, welcher die erste Mordwaffe erfand, so wird es dereinst, so wahr ein Himmel über uns ist, auch einen Menschen geben, der die letzte Waffe zwischen seinen Fäusten zerbricht. Wie lange aber soll es währen, bis dies geschieht? Den Befehl dazu hat Christus schon vor nun fast zweitausend Jahren gegeben; sollen noch Jahrtausende verstreichen, ehe er in Erfüllung geht? Ich wiederhole es noch einmal: Sprecht mir ja nicht von Eurer Civilisation und von Eurem Christentum, so lange noch ein Tropfen Menschenblut durch Stahl und Eisen, durch Pulver und Blei vergossen wird!“

Der wackere Farmer lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schwieg. Niemand wagte es, auch nur eine Silbe der Entgegnung vorzubringen. Der erste, welcher die eingetretene Stille unterbrach, war mein sonst so zurückhaltender Winnetou. Er griff nach der Hand Harbours, um sie herzlich zu drücken, und sagte:

„Mein weißer Bruder hat genau die Worte gesprochen, welche in meiner Seele zu lesen sind. Seine Rede war wie die Rede eines wahren Priesters der Christen. Aus welcher Quelle hat er die Gedanken geschöpft, welche leider die Gedanken nur weniger Bleichgesichter sind? Ich bitte ihn, mir dies zu sagen!“

„Dieser Quell entsprang dem Herzen nicht eines weißen sondern eines roten Mannes, welcher allerdings ein Priester und Verkündiger des wahren Christentums war. Von allen weißen Lehrern und Rednern, die ich hörte, kann sich kein einziger mit ihm vergleichen. Ich traf ihn zum erstenmale jenseits der Mogollon-Berge am Rio Puerco. Die Navajos hatten mich gefangen genommen und für den Marterpfahl bestimmt; da erschien er unter ihnen und ergoß eine so gewaltige Rede über sie, daß sie mich freigaben, als seine letzten Worte noch kaum verklungen waren. Er war ein großer Geist und auch am Körper ein wahrer Goliath, der sich selbst vor dem grauen Bär nicht fürchtete.“

„Uff! Das ist kein anderer Mann als Ikwehtsi’pa gewesen!“

„Nein. Der Häuptling der Apatschen wird sich irren. Er wurde von den Navajos Sikis-sas genannt.“

„Das ist ganz derselbe Name. Er war ein Moqui, und die zwei Namen bedeuten in beiden Sprachen ganz dasselbe, nämlich Großer Freund. Von den Weißen in Neu-Mexiko und andern spanisch sprechenden Leuten wurde er Padre Diterico genannt.“

„Das stimmt; das stimmt! Also Winnetou hat ihn auch gekannt?“

„Ich habe ihn gesehen und ihn sprechen hören, als ich noch ein kleiner Knabe war. Seine Seele gehörte dem großen, guten Manitou, sein Herz der unterdrückten Menschheit und sein Arm jedem weißen oder roten Manne, der sich in Gefahr befand oder sonst der Hilfe bedurfte. Seine Augen strahlten nur Liebe; seinem Worte konnte kein Mensch widerstehen, und alle seine Gedanken waren nur darauf gerichtet, Glück und Heil um sich her zu verbreiten. Er war Christ geworden und hatte zwei Schwestern, die er auch zu Christinnen machte. Der gütige Manitou hatte diesen Schwestern große Schönheit verliehen, und viele, viele Krieger setzten ihr Leben daran, sich ihre Liebe zu erringen, doch war das stets vergeblich. Die ältere wurde Tehua und die jüngere Tokbela genannt. Sie waren einst, ohne daß jemand wußte, wohin, mit ihrem Bruder verschwunden, und kein Mensch hat sie jemals wieder gesehen.“

„Kein Mensch, wirklich keiner?“ fragte der Farmer.

„Keiner!“ antwortete Winnetou. „Mit dem Himmel und der Sonne gingen die Hoffnungen der roten Krieger verloren, und in Ikwehtsi’pa ist dem Christentum ein Prediger verschwunden, wie es von einem Meere bis zum andern keinen je gegeben hat. Er war ein Freund und Bruder, ein treuer Berater von Intschu tschuna, meinem Vater. Dieser hatte ihn tief in sein Herz geschlossen und hätte viel, sehr viel darum gegeben und gewiß gern sein Leben dafür gewagt, zu erfahren, was für ein Unfall die drei Geschwister hinweggerafft hat, denn nichts anderes als ein Unglück kann schuld daran sein, daß sie verschwunden und nicht wiedergekehrt sind.“

Der Farmer war den Worten Winnetous mit großer, ja mit auffälliger Aufmerksamkeit gefolgt; jetzt fragte er:

„Wenn der frühere Häuptling der Apatschen so große Opfer dafür gebracht hätte, würde auch der jetzige dazu bereit sein?“

„Ja, ich bin bereit im Namen und im Geiste meines Vaters zu handeln, dessen Seele den Großen Freund liebte.“

„So ist es ein wunderbarer, glücklicher Zufall, welcher Euch heut zu mir führte. Ich bin nämlich im stande, Euch Auskunft zu erteilen.“

Um die große Wirkung dieser Worte zu bezeichnen, brauche ich nur zu sagen, daß Winnetou, dieses Muster von Ruhe und Beherrschung aller seiner Regungen, von seinem Stuhle nicht etwa aufstand, sondern gradezu aufschnellte, wie von einer Spannfeder emporgetrieben, und wie atemlos ausrief:

„Auskunft geben? Über Ikwehtsi’pa, über Padre Diterico, den wir alle verloren glaubten? Ist das wahr? Ist das möglich? Das kann nur auf einem Irrtum, einer Täuschung beruhen!“

„Es ist keine Täuschung, sondern Wirklichkeit. Ich kann sichere Auskunft erteilen; aber leider ist es keine so erfreuliche, wie ich wohl wünschte. Er lebt nicht mehr.“

„Uff! Er ist tot?“

„Ja.“

„Und seine Schwestern?“

„Von denen weiß ich nichts.“

„Wirklich nichts?“

„Nein, gar nichts. Auch von ihm weiß ich nichts von allem, was zwischen seinem Verschwinden und seinem Tode geschehen ist; ich kann nicht einmal sagen, wie er ermordet wurde und wer sein Mörder ist.“

Da gab sich Winnetou einen Ruck, daß sein hinten lang herabfallendes, prächtiges Haar nach vorn über seine Achseln flog und ihm wie ein Schleier das Gesicht bedeckte.

„Uff, uff!“ ertönte es aus diesem Schleier heraus. „Ermordet ist er worden, ermordet! Ein Mörder hat uns um das kostbare Leben Ikwehtsi’pas gebracht! Ist das wahr? Sag es schnell, sehr schnell!“

„Es ist wahr!“

„Beweise es!“

Der Apatsche warf sein Haar jetzt mit beiden Händen nach hinten zurück. Seine Augen sprühten Blitze, und sein Mund War geöffnet, als ob er die Antwort des Farmers förmlich trinken wolle.

„Ich habe sein Grab gesehen,“ sagte dieser.

„Wo? Wann?“

„Ich werde es erzählen, und bitte den Häuptling der Apatschen, sich wieder niederzusetzen und mir ruhig zuzuhören.“

Winnetou sank langsam in den Sessel zurück, holte laut und tief Atem und sprach, indem er sich mit der Hand über die Stirne strich:

„Mein weißer Bruder hat recht. Es ziemt sich keines Kriegers, zumal wenn er ein Häuptling ist, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Ich bleibe ruhig, was ich auch hören werde.“

Harbour nahm einen Schluck aus der Theetasse, welche er vor sich stehen hatte, und erkundigte sich:

„Ist der Häuptling der Apatschen schon einmal oben in dem Park von San Louis gewesen?“

„Schon mehrere Male,“ antwortete der Gefragte.

„Ist ihm die Gegend der Foam-Cascade bekannt?“

„Ja.“

„Kennt er den lebensgefährlichen Bergpfad, welcher von da aus nach dem Devils-Head führt?“

„Ich kenne weder den Weg noch den Devils-Head, werde aber beides gewiß finden. Howgh!“

„Dort oben war es, wo ich den Entschluß faßte, dem wilden Westen und dem wilden Leben zu entsagen. Ich war verheiratet und hatte schon meine beiden ältesten Boys hier, die damals freilich noch sehr unwichtig kleine Kerle waren. Auch hatten wir unser gutes Auskommen; aber wen das Leben des Westens einmal gepackt hat, den giebt es nicht leicht wieder her, und so kam es, daß ich Frau und Kinder verließ, Gott sei Dank, zum letztenmale! und mich einigen Männern anschloß, welche hinauf ins Colorado wollten, um dort nach Gold zu Prospekten. Wir kamen auch glücklich hinauf, aber je weiter, desto mehr sehnte ich mich nach Weib und Kindern zurück. Ich sah jetzt ein, daß es nicht dasselbe ist, ob man als lediger oder als verheirateter Mann dort im Gebirge herumklettert und sich auf hundert Gefahren gefaßt machen muß. Wir waren ursprünglich vier Mann gewesen, aber nur zu dritt hinaufgekommen, weil uns einer schon am Fuße der Mountains aus Kleinmut verlassen hatte. Ich will keine lange Geschichte erzählen, sondern mich ganz kurz fassen. Wir suchten unter unbeschreiblichen Anstrengungen und Entbehrungen über zwei Monate lang, ohne eine Spur von Gold zu finden; da stürzte derjenige von uns, welcher sich am besten aufs Prospekten verstand, von einem Felsen und brach den Hals. Nun waren wir nur noch zwei und dazu überzeugt, daß wir nun noch weniger finden würden als vorher, das heißt: früher nichts und jetzt wahrscheinlich gar nichts. Das traf auch richtig ein. Wir hatten kein Glück in der Jagd und hungerten darum viel. Unsere Anzüge zerrissen, und die Stiefel fielen von den Füßen. Es war ein Elend, wie es gar nicht schöner im Buche stehen kann. Ich wurde schwach, mein Kamerad noch viel schwächer und schließlich gar krank. Das war sehr schlimm für ihn, denn es kostete ihn das Leben. Es hatte mehrere Tage lang geregnet, und wir mußten über ein Wildwasser, welches bedenklich angeschwollen war. Ich wollte warten, bis es sich verlaufen hatte; er aber glaubte, glücklich hinüberzukommen, und so mußte ich ihm den Willen thun. Er wurde mit fortgerissen. Nach langem Suchen fand ich ihn ertrunken und zerschmettert in tiefem Grunde unten. Ich begrub ihn, wie wir den andern auch begraben hatten: drei Fuß tief, mit kalter Erde und einem warmen, gut gemeinten Gebete bedeckt. Dann war ich ganz allein und hatte natürlich keine andere Wahl, als die halb nackten, wund gelaufenen und aufgerissenen Füße heimwärts zu lenken. Aber das ging nicht so schnell, wie ich gedacht hatte. Ich kam mit meinen geschwächten Kräften nur sehr langsam vorwärts und war zum Sterben matt, als ich nach einigen Tagen den Devils-Head erreichte. Ich war zwar noch nie dagewesen, wußte aber, daß er es war. Der Felsen ist nämlich in seiner Form einem Teufelskopf so ähnlich, als ob an dieser Stelle der Satan einem Bildhauer als Modell gesessen hätte. Ich warf mich in das feuchte Moos nieder und hätte am liebsten weinen mögen. Wasser gab es ja, aber zu essen hatte ich nichts, denn mein Gewehrschloß war kaput; es war mir unmöglich, ein Wild zu erlegen, und so hatte ich schon seit zwei Tagen keinen Bissen über die Lippen gebracht. Die Mattigkeit überwältigte mich, und ich schloß die Augen, um zu schlafen und vielleicht nicht wieder aufzuwachen. Aber ich öffnete sie noch einmal, ganz ohne daß ich es eigentlich wollte. Ich hatte mich inzwischen auf die Seite gedreht, und so fiel mein müder Blick auf eine andere Stelle des Felsens. Es gab da Buchstaben, welche mit dem Messer oder einem ähnlichen Instrumente eingegraben worden waren. Das regte mich an. Es war mir, als ob ich plötzlich wieder Kräfte bekommen hätte; ich stand auf und ging hin, die Schrift zu lesen. Nun sah ich, daß es nicht nur Buchstaben, sondern auch Figuren gab. Von einigen wußte ich nicht, was sie zu bedeuten hatten, doch waren es menschliche Figuren, die über und rechts und links von einem in den Fels gemeißelten Kreuze standen. Unter diesem Kreuze war deutlich zu lesen: „An dieser Stelle wurde der Padre Diterico von J B. aus Rache an seinem Bruder E R ermordet.& Unter diesen Worten war eine Sonne zu sehen, von welcher links ein E und rechts ein B stand.“

Als der Erzähler bis hierher gekommen war, wurde er von Winnetou unterbrochen:

„Stand dieser Name wirklich am Fels zu lesen? Padre Diterico?“

„Ja.“

„Und der Mörder war mit J B. bezeichnet?“

„Ja.“

„Kennt mein Bruder Harbour vielleicht einen Menschen, dessen Namen mit dem Buchstaben J B. beginnt?“

„Solcher Leute wird es wahrscheinlich tausende geben; ich kenne keinen.“

„Und glaubt mein Bruder, daß dieses Grabmal keine Lüge sagt?“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Es kann dennoch eine Lüge sein!“

„Wem sollte das einfallen, und welcher Grund könnte vorhanden sein, eine solche Unwahrheit in den Fels zu graben?“

„Wo war das Grab? Im harten Fels doch nicht?“

„Nein, sondern eng an demselben. Der Hügel war mit Moos bewachsen und schien gepflegt zu sein.“

„In der Einöde da oben? Uff!“

„Das ist noch gar nicht verwunderlich. Unbegreiflich aber ist, was mir dann passierte. Ihr könnt euch denken, Mesch’schurs, wie mir zu Mute wurde, als ich hier so unerwartet das Grab des Paters fand. Meine Schwäche kehrte verdoppelt zurück; ich stieß einen Schrei aus und fiel um. Als ich wieder erwachte, war fast ein ganzer Tag vergangen, denn es war der Vormittag des nächsten Tages. Ich konnte vor Mattigkeit und Hunger kaum aufstehen. Ich schleppte mich zur nahen Quelle und trank; dann kroch ich in das Gebüsch, wo ich zum Glück ein paar eßbare Mushrooms fand, die ich so verzehrte, wie sie waren; dann schlief ich wieder ein. Als ich abermals erwachte, war der Abend nahe; neben mir lag ein halbes, gebratenes Bighorn. Wer hatte es hingelegt? Das war gewiß eine nicht unwichtige Frage; aber ich legte sie mir nicht mehr als einmal vor, sondern griff zu und aß, aß, aß und aß, bis ich satt war und wieder ein- und bis zum nächsten Morgen schlief, wo ich gestärkt erwachte. Der Rest des Fleisches lag noch da. Ich versteckte es und machte mich auf, nach dem Geber zu suchen; aber ich fand keine Spur, und auch all mein Rufen war umsonst. Da kehrte ich zum Grab zurück, nahm das Fleisch aus dem Verstecke und machte mich auf den Weg, der hinunter nach der Foam-Cascade führt. Er ist sehr gefährlich; ich legte ihn aber glücklich zurück und fand am folgenden Tage, eben als mein Fleisch auf die Neige gegangen war, einen Jäger, der sich meiner annahm. Wie ich dann vom Park herunter und heim gekommen bin, das ist hier Nebensache. Die Hauptsache habe ich erzählt, und der Häuptling der Apatschen wird meiner Behauptung, daß der Padre Diterico ermordet worden ist und also nicht mehr lebt, Glauben schenken.“

Winnetou hielt den in die Hand gestützten Kopf tief gesenkt, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte; als er ihn dann hob, sah ich noch immer den Ausdruck des Zweifels in seinen Zügen liegen. Er richtete einen fragenden Blick auf mich, und ich antwortete auf diese stille Aufforderung:

„Meines Dafürhaltens unterliegt es keinem Zweifel, daß der Mord wirklich geschehen ist.“

„So glaubt mein Bruder Shatterhand an das Grab und an die Schrift?“ fragte der Apatsche.

„Ja.“

„Ist es nicht möglich, daß es noch einen andern Padre Diterico gegeben hat?“

„Ja, das ist möglich.“

„So ist die Schrift kein Beweiß, das Ikwehtsi’pa in diesem Grabe liegt; es kann ein Padre gleichen Namens sein.“

„Es ist der, den du meinst!“

„So hat mein Bruder Shatterhand wohl noch andere Beweise?“

„Ja.“

„Winnetou sieht dir an, daß du wieder einmal nachdenkst und Berechnungen machst. Beziehen sie sich auf das Grab im Gebirge?“

„Ja. Unser gastfreundlicher Mr. Harbour hat mir mehr, weit mehr erzählt, als er ahnt. Ich habe endlich, endlich den so lange vergeblich gesuchten Wawa Derrick gefunden.“

„Uff, uff! Wer ist’s?“

„Ikwehtsi’pa.“

„Uff!“

„Du wirst dich noch mehr wundern über das, was ich dir weiter sage. Tokbela, die jüngere Schwester des Padre, ist Tibo wete, die Squaw des Medizinmannes der Naiini-Komantschen.“

„Uff! Bist du allwissend?“

„Nein; ich denke nur nach. Infolge dieses Nachdenkens kann ich dir auch sagen, daß Tehua, die ältere Schwester des Padre, vielleicht auch noch lebt.“

„Deine Gedanken können Wunder thun; sie wecken Tote auf!“

„Du hast gehört, daß unter der Grabinschrift eine Sonne eingemeißelt war. Die ältere Schwester hieß Tehua, die Sonne; sie hat das Grab errichtet und das Mal hergestellt, also noch gelebt, als er ermordet worden war.“

„Uff! Dieser Gedanke ist so einfach und richtig, daß ich mich wundere, nicht selbst daraufgekommen zu sein! Aber wenn Tehua wirklich noch leben sollte, wo werden wir sie zu suchen haben?“

„Das weiß nur sie allein. Sie hält sich im Verborgenen; sie läßt es niemanden wissen oder darf es niemanden wissen lassen.“

„Woraus schließest du das?“

„Das halb gebratene Bighorn war von ihr.“

„Uff!“

Der sonst so scharfsinnige Winnetou kam heut gar nicht aus seinen Uffs der Verwunderung heraus; das war aber gar nicht etwa ein Beweis, daß ich ihm im folgerichtigen Denken und Schließen überlegen war, o nein! Ich hatte eben mehr Stoff zum Nachdenken über den vorliegenden Fall sammeln können als er. Hätte er an meiner Stelle diesen Stoff gehabt, so wäre er wahrscheinlich viel eher als ich zu meinem Resultate gekommen. Ich fuhr fort:

„Ich behaupte, daß das Fleisch von ihr war, und habe meine Gründe dazu, von denen ich heut und hier an dieser Stelle nur den einen sagen kann: jeder Geber des Fleisches, welcher nicht zu dem Grabe, also zu dem Morde, in Beziehung steht, hätte sich unbedenklich zeigen dürfen; dieser aber hat sich nicht sehen lassen, folglich steht er in irgend einem Verhältnisse zu der verbrecherischen That.“

„Man könnte doch auch annehmen, daß der Mörder es gewesen sei, denn dieser ist es, der sich am allerwenigsten am Schauplatze des Verbrechens zeigen darf,“ warf der Apatsche ein. „Man weiß, daß ein Mörder immer wieder nach dem Orte seiner That gezogen wird.“

„Das gebe ich zu; aber der Spender oder die Spenderin des Fleisches verrät ein barmherziges Gemüt, ein mildthätiges Herz. Wie stimmt das mit den Eigenschaften überein, die man einem Mörder zuschreiben muß und die ganz entgegengesetzter Art sind?“

„So meint Old Shatterhand wirklich, daß es Tehua gewesen ist?“

„Ja“

„Welchen Grund hätte sie, so im Verborgenen zu leben, da sie doch weiß, wie viele Freunde sich in der fernen Heimat um sie grämen?“

„Das ist vielleicht ein Geheimnis, welches ich jetzt noch nicht ergründen kann. Es braucht aber nicht notwendig eins zu sein. Grad weil ein Mörder gewöhnlich zum Schauplatze seiner That zurückgezogen wird, bleibt sie an Ort und Stelle, um ihn da zu erwarten! Vielleicht auch ist sie nicht in die Heimat zurückgekehrt, weil sie von ihrer Familie zurückgehalten wird.“

„Familie? Meint mein Bruder, daß sie verheiratet sein könnte?“

„Warum nicht? Wenn die jüngere Schwester die Squaw eines Mannes ist, kann die ältere doch noch viel eher geheiratet haben! Nicht?“

„Ja; aber es giebt einen Umstand, welcher die Berechnungen meines Bruders Shatterhand zu schanden macht, so scharfsinnig sie auch sind.“

„Welcher ist das?“

„Unser weißer Bruder Harbour ist ein Freund des Padre gewesen; er hat auch seine Schwestern gekannt und sie ihn ebenso. Nicht?“

„Ja.“

„Er ist am Grabe vor Hunger umgesunken und hat aus einer unbekannten Hand Fleisch bekommen. Wenn Tehua, die Schwester des Padre, es gewesen wäre, die es ihm gegeben hat, so hätte sie sich vor ihm, ihrem Freunde, ganz gewiß nicht versteckt, sondern ihn im Gegenteil ganz gewiß persönlich in Schutz genommen und verpflegt.“

„Wenn sie ihn erkannt hätte, ja; aber hat sie ihn erkannt? Es sind, seit sie verschwunden ist, weit über zwanzig Jahre vergangen; sein Aussehen hat sich überhaupt verändert, und die Anstrengungen und Entbehrungen hatten ihn dann vollends unkenntlich gemacht.“

„Aber eine schwache Squaw wird doch nicht ein so einsames, beschwerliches und verlassenes Leben da oben in den Rocky Mountains führen!“

„Ist sie allein oben? Ist nicht grad in dieser Beziehung ein großer Unterschied zwischen einer abgehärteten Indianerin und einer weißen Frau?“

„Uff! Es gelingt meinem Bruder Shatterhand, heut alle meine Einwürfe zu widerlegen. Er hat für alle meine Entgegnungen eine Antwort, die ich gelten lassen muß. Mein Auge scheint heut mit Blindheit geschlagen zu sein!“

„O nein! Ich spreche weniger Behauptungen als vielmehr Vermutungen aus. Unser Ziel ist ja bis heut die Foam-Cascade gewesen. Kommen wir hinauf, so besuchen wir das Grab, und dann wird es sich höchst wahrscheinlich finden, welche meiner Gedanken richtig und welche falsch gewesen sind.“

„Ja, wir suchen das Grab auf. Wir müssen und werden Spuren des Mordes und des Mörders finden, selbst nach so langer Zeit. Wehe ihm, wenn wir ihn dann fassen! Ich habe meinem Bruder Shatterhand nie widersprochen, wenn er seinen milden Sinn walten ließ; hier aber kenne ich keine Gnade!“

Diese Worte zeigten wieder einmal, was für ein wunderbarer, unvergleichlicher Mensch Winnetou war. Er war überzeugt, noch nach mehr als zwanzig Jahren eine Spur des Mörders zu entdecken. Ich traute ihm das zu, obwohl tausend andere darüber lächeln mögen. Selbst wenn sich alle anderen Nachforschungen als vergeblich erwiesen, hätte man sich durch das Öffnen des Grabes einen Fingerzeig verschaffen können. Glücklicherweise war es mir möglich, seine Absichten schon jetzt durch einige weitere Bemerkungen zu unterstützen, indem ich, ihm beistimmend, erklärte:

„Auch ich bin in diesem Falle bereit, die größte Strenge walten zu lassen, und hege übrigens die feste Überzeugung, daß wir das Grab nicht vergeblich besuchen werden.“

„Hat mein Bruder einen Grund zu dieser Überzeugung?“

„Ja.“

„Welchen?“

„Glaubt Winnetou, daß es einen oder mehrere Mörder gegeben hat?“

„Nicht bloß einen.“

„Nun gut! Einer von ihnen ist schon auf dem Wege hinauf.“

„Uff! Wer ist das?“

„Douglas, der sogenannte General.“

„Uff, uff! Dieser Mann, dieser Mensch soll auch am Morde da oben beteiligt gewesen sein? Wie kommt Old Shatterhand auf diese Idee?“

Es wird noch in Erinnerung sein, daß der General damals auf Helmers Farm einen Ring verloren hatte, der mir übergeben worden war [Fußnote]. Ich hatte ihn an meinen Finger gesteckt und trug ihn noch heut daran. Jetzt zog ich ihn herunter und reichte ihn dem Apatschen mit den Worten hin:

„Mein Bruder wird diesen Ring noch von Helmers Home her kennen. Er mag die Buchstaben betrachten, welche auf der Innenseite desselben zu lesen sind.“

Er nahm den Ring in Augenschein und sah E. B. 5. VIII 1842. Dann gab er ihn dem Farmer und sagte:

„Damit unser Bruder Harbour erfahre, daß wir schon jetzt auf der Fährte der Mörder sind, mag er einmal diese Schrift mit derjenigen am Felsen des Grabes vergleichen!“

Der Angeredete folgte dieser Aufforderung und rief aus:

All devils! Das ist ja ganz dasselbe E. B., welches ich dort an jenem Felsen sogar zweimal gefunden habe! Und der Name des Mörders hatte auch ein B., welches zwar noch einen – –“

Was er weiter sagte, hörte ich nicht; ich gab keine Achtung darauf, weil meine Aufmerksamkeit von etwas anderem in Anspruch genommen wurde. Der Farmer saß nämlich von mir aus grad gegen das eine Fenster; da meine Augen auf ihn gerichtet waren, kam auch dieses Fenster mit in meinen Gesichtskreis, und da erblickte ich das Gesicht eines Mannes, welcher draußen stand und hereinsah. Es war hell, wie das eines Weißen und wollte mir bekannt vorkommen. Diesen Mann hatte ich gewiß schon einmal gesehen, nur fiel mir nicht gleich ein, wo dies gewesen war. Eben wollte ich die Anwesenden auf den unberufenen Lauscher aufmerksam machen, als der neben mir sitzende Schahko Matto, der ihn in diesem Momente auch erblickte, in hastiger Eile den Arm ausstreckte und mit schallender Stimme schrie:

„Tibo taka! Da draußen am Fenster steht Tibo taka!“

Alle, welche diesen Namen kannten, sprangen auf. Ja, es war der Medizinmann der Naiini-Komantschen! Sein Gesicht sah heut nicht rotbraun sondern hell, wie das eines Weißen. Das war der Grund, daß ich ihn nicht sofort erkannt hatte. Ein solcher Feind am Fenster und wir hier in der Stube, alle hell beleuchtet! Der Schuß des alten Wabble auf Fenners Farm fiel mir ein, und ich rief:

„Das Licht schnell aus! Er könnte schießen!“

Noch hatte ich diese Warnung nicht ganz ausgesprochen, so klirrte die zerbrechende Fensterscheibe, und die Mündung eines Gewehres erschien. Mit einem Satze sprang ich nach der nächsten, mich schützenden Ecke an der Außenwand; da krachte aber auch schon der Schuß, der, wie alle Anwesenden später sagten und auch ich überzeugt war, mir gegolten hatte. Die Kugel schlug über meinen Stuhl hinweg in die Küchenwand. Das Gewehr war schnell wieder zurückgezogen worden; ich eilte zur Lampe und löschte sie aus, so daß die Thür ins Finstere zu liegen kam, schnellte mich zu ihr hin, öffnete sie, zog einen Revolver aus dem Gürtel und blickte hinaus. Es war zur Zeit noch kein Stern aufgegangen, draußen alles stockfinster und also niemand zu sehen. Hören konnte ich auch nichts, weil die Anwesenden einen unbeschreiblichen Lärm machten, den Winnetou vergeblich zum Schweigen bringen wollte. Er kam zu mir, warf einen einzigen, schnellen Blick in die dunkle Nacht hinaus und forderte mich dann auf:

„Nicht hier bleiben, sondern weiter, viel weiter hinaus!“

Wenn der Medizinmann ein gescheiter Kerl gewesen wäre, hätte er seinen Platz nicht verlassen sondern ruhig gewartet, bis ich an der Thür erschien, und dann den zweiten Schuß auf mich abgegeben. So aber war er gleich nach dem ersten vergeblichen Schusse ausgerissen. Als ich mit Winnetou mich in schnellstem Laufe so weit vom Hause entfernt hatte, daß uns der Lärm in demselben nicht mehr stören konnte, legten wir uns nieder, die Ohren auf die Erde, und horchten. Wir vernahmen ganz deutlich den schnellen Hufschlag dreier Pferde, welche sich von der Farm westwärts entfernten.

Drei Pferde? Der Medizinmann war also nicht allein hier auf der Farm gewesen? Wie hatte er es überhaupt ermöglichen können, von so weit südlich her durch das Gebiet feindlicher Indianerstämme hier herauf nach Kansas zu kommen? Welchen Grund, welchen Zweck hatte dieser ebenso weite wie beschwerliche Ritt?

Gewohnt, jedes Vorkommnis mit einem schnellen aber trotzdem gründlichen und keine Kleinigkeit übersehenden Blicke in seinem ganzen Umfange zu umfassen, um danach ohne das geringste Zaudern meine Bestimmungen treffen und etwaigen Gefahren im voraus erfolgreich begegnen zu können, ließ ich diese und noch andere Fragen rasch prüfend an mir vorübergehen, und Winnetou schien dasselbe zu thun. Er war ebenso schnell fertig wie ich, denn die Hufschläge waren noch nicht verklungen, zwischen Beginn und Ende unseres Nachdenkens also nur wenige Augenblicke vergangen, so sagte er:

„Tibo taka ist ein Bleichgesicht geworden, ein weißer Arzt, der ein krankes Krebsgesicht hinauf nach Fort Wallace bringen will. Was sagt mein Bruder Shatterhand dazu?“

„Daß du richtig geraten hast. Die kranke Lady ist Tibo wete, seine wenigstens körperlich gesunde Frau, die er für krank ausgibt, um ihr Gesicht mit einem Schleier verhüllen zu können, damit man nicht sehe, daß ein Weißer mit einer Roten reitet. Sie wollen natürlich nicht nach Fort Wallace, sondern mit dem General hinauf nach Colorado. Wir werden die Mörder am Grabe des Ermordeten treffen. Komm herein, den Farmer zu fragen!“

Wir gingen nach dem Hause zurück; da kamen nun endlich erst alle, die in der Stube gewesen waren, mit ihren Waffen in den Händen heraus. Dick Hammerdull, der zwar unsere Gespräche, soweit sie sich auf den Namen Tibo bezogen, gehört aber nicht alles begriffen und verdaut hatte, rief mit lauter Stimme:

„Wenn es wirklich Tibo taka gewesen ist, so sind die Komantschen da, um die Farm zu überfallen. Wir befinden uns also in größter Gefahr. Mr. Harbour, ruft alle Eure Leute zusammen, damit wir uns verteidigen können!“

Ich war, während der Dicke diesen berühmten und hochwichtigen Armee- oder Tagesbefehl ausgab, nach dem Hause zur Seite abgewichen, um nach unseren Pferden zu sehen. Sie waren alle da, und das beruhigte mich. Dann hörte ich die kommandierende Stimme des Farmers, und als ich um die vordere Ecke des Gebäudes bog, war die ganze Heeresmacht, Honved und Landsturm und sogar das ewig Weibliche mit inbegriffen, vollständig versammelt. Nur Winnetou war nicht da, sondern in die Stube gegangen, um in aller Gemächlichkeit die Lampe wieder anzubrennen und sich dann auf seinen Stuhl zu setzen. Es ließen sich alle Stimmen vernehmen; jeder wollte einen Vorschlag machen, einen Rat erteilen; ich machte diesem Wirrwarr ein Ende, indem ich ihn überschrie:

„Still doch, ihr Leute! Warum regt ihr euch so auf?“

„Warum wir uns aufregen? Welche Frage!“ antwortete Hammerdull. „Die Komantschen sind ja da!“

„Wo denn?“

„Wo anders als hier? Ihr Medizinmann hat doch schon geschossen!“

„Euch wahrscheinlich in den Kopf, lieber Dick, denn es scheint mit Euerm Verstande keine rechte Ordnung zu haben. Wie sollen denn die Komantschen hierher an den Salmon kommen?“

„Auf ihren Pferden natürlich!“

„Wahrscheinlich auch auf Affen und Kamelen! Denkt doch nur, durch welche Völkerschaften sie sich winden müßten! Die Kiowas, Cherokees, Choctaws, Creeks, Seminolen, Chickesaws, Quapaws, Senekas, Wyandottes, Peorias, Ottawas, Modocs, Miamis, Shawnees, Kuchaties, Pawnees, Arrapahoes, Cheyennes, Osagen und noch mehr andere Stämme! Nur ganz verrückte Menschen könnten einen solchen Kriegszug wagen! Wie kann ein sonst so kluger Kerl das doch nur für möglich halten!“

„Ob es möglich oder unmöglich ist, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz und gar egal, wenn es nur nicht geschehen kann. Habe ich da nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Schafskopf!“

Der lange Pitt antwortete diesmal nur mit diesem einen, inhaltsschweren Worte; es genügte aber vollständig, seine Meinung in zarter Weise anzudeuten. Alles lachte; aber der Dicke fühlte sich durch diese zarte Anspielung an seiner Ehre benachteiligt und erwiderte zornig:

„Wirf nicht so mit Tierköpfen um dich, sonst mußt du deinen eigenen auch verschleudern! Ich habe euch vor den Komantschen warnen wollen und bin doch nicht schuld daran, daß sie nicht kommen können! Ist das nicht besser, als wenn ich nicht gewarnt hätte und sie kämen doch?“

Die beiden Toasts hatten sich also wieder einmal entzweit; wir wußten aber, daß sie bald wieder zusammenkommen würden.

Es erregte meine Befriedigung, daß Schahko Matto mit bei unserer Gruppe stand. Er hätte die Gelegenheit benutzen und entfliehen können; es hätte ihm sogar nicht schwer fallen können, sich von unseren Waffen die besten auszusuchen. Daß er das nicht gethan hatte, war ein sicherer Beweis, daß er es ernst mit seinem Vorhaben meine, mit uns freiwillig reiten zu wollen. Ich trat zu ihm und sagte:

„Von diesem Augenblicke an ist der Häuptling der Osagen frei; unsere Riemen werden seine Glieder nicht wieder berühren, und er kann nun gehen, wohin er will.“

„Ich bleibe bei euch!“ antwortete er. „Apanatschka sollte mich zu Tibo taka führen; nun dieser selbst gekommen ist, kann er mir auf keinen Fall entgehen. Werdet Ihr ihm folgen?“

„Unbedingt! Du hast ihn sofort erkannt?“

„Ja. Ich würde ihn nach tausend Sonnen wieder erkennen. Was will er hier in Kansas? Warum kommt er des Nachts an diese Farm geschlichen?“

„Er ist nicht herangeschlichen, sondern er hat sich fortgeschlichen, allerdings mit einem lauten, glücklicherweise erfolglosen Knall. Ich werde dir das sofort beweisen.“

Um dies zu thun, wendete ich mich an den Farmer, welcher in meiner Nähe stand:

„Ist der Arzt mit dem kranken Weibe noch hier?“

„Nein,“ antwortete er. „Bell, der Cow-boy, sagte, daß er fort sei.“

„Dieser Mann war kein Arzt, sondern ein Medizinmann der Naiini-Komantschen, und die Frau war seine Squaw. Hat jemand von euch mit diesem Weibe gesprochen?“

„Nein; aber ich habe sie sprechen hören.“

„Was?“

„Sie verlangte von dem angeblichen Arzte einen Myrtlewreath; da führte er sie schnell aus der Stube nach dem Hinterhaus.“

„Er hat doch erst morgen fortgewollt. Wie ist er auf den Gedanken gekommen, diesen Entschluß zu ändern?“

Da schob sich der Cow-boy herbei und sagte:

„Darüber kann ich Euch die beste Auskunft erteilen, Mr. Shatterhand. Der Fremde kam in den Hof, um nach seinen Pferden zu sehen. Er hörte das laute Lachen in der Stube, wo Mr. Hammerdull eben eine seiner lustigen Geschichten erzählte, und fragte mich, was für Leute sich drin befänden. Ich sagte es ihm natürlich und merkte trotz der Dunkelheit, daß er erschrak. Wir gingen miteinander nach der Vorderseite des Hauses, wo er von weitem durch das Fenster in die Stube sah. Dann teilte er mir, indem er mir einige Dollars schenkte, im Vertrauen mit, daß er hier nun sehr überflüssig sei, denn er habe Euch vor kurzem in Kansas-City einen schweren Geldprozeß abgewonnen, wegen dem von Euch ihm blutige Rache geschworen worden sei. Darum fühle er sich hier seines Lebens nicht sicher und wolle lieber heimlich fort. Ich solle Euch aber auch nach seiner Entfernung nicht sagen, daß er hier gewesen sei, weil Ihr Euch sonst auf seine Fährte setzen und ihn sicher einholen und erschießen würdet. Der arme Teufel hatte so große Angst; er that mir leid, und so half ich ihm dazu, heimlich aus dem Haus und Hof zu kommen. Ich öffnete ihm die hintere Fenz und ließ ihn und die Frau mit dem Packpferde hinaus. Er muß die drei Pferde dann in passender Entfernung angepflockt und sich zurückgeschlichen haben.“

„Anders nicht. Mr. Bell, Ihr habt einen großen Fehler begangen, könnt aber nichts dafür, denn Ihr wußtet nicht, daß er ein Schurke, ein großer Verbrecher ist. Hat er nur von mir gesprochen?“

„Ja.“

„Nicht auch von dem jungen, roten Krieger hier, den wir Apanatschka nennen?“

„Kein Wort!“

Well! Ich möchte jetzt gern den Raum sehen, in welchem er sich mit der Frau aufgehalten hat.“

Der Cow-boy zündete eine Laterne an und führte mich durch den Hof in das betreffende, sehr niedrige Gebäude, welches nur aus den vier Mauern und dem platten Dache bestand, also ein einziges Gelaß enthielt. Ich glaubte nicht etwa, daß er in einer solchen Gefahr, wie ihm doch gedroht hatte, so unvorsichtig gewesen sei, etwas für uns Wichtiges liegen zu lassen oder zu verlieren; ich wollte nur in gewohnter Weise nichts von alledem unterlassen, was in solchen Fällen von der Vor- und Umsicht vorgeschrieben wird. Ein Schriftsteller, welcher nicht Erlebtes, sondern nur Romane schreibt, würde nun Old Shatterhand eine Tasche, einen Beutel, einen Brief oder sonst einen Gegenstand finden lassen, durch dessen Erlangung alles, was uns noch Geheimnis war, aufgeklärt wurde; ich kann aber leider meiner Feder nicht gestatten, mir eine solche Schicksalsgunst zu erweisen, und muß eingestehen, daß ich nichts, aber auch ganz und gar nichts fand. Doch hatte ich meine Schuldigkeit gethan und begab mich also befriedigt nach der Stube, in welcher die andern alle jetzt wieder, sich über das Intermezzo unterhaltend, beisammen saßen.

Wenn ich sage „befriedigt“, so hat das seinen guten Grund. Ich war, grad wie auf Fenners Farm, auch heut dem Tode wie durch ein Wunder entgangen. Die innere Stimme, welche mich bei unserer Ankunft hier gewarnt hatte, war ganz gewiß die Stimme meines Schutzengels gewesen. Ich hatte ihr nicht gefolgt und war dennoch von ihm gerettet worden, indem er im Augenblicke der Gefahr meinen Blick nach dem betreffenden Fenster lenkte. Die Ähnlichkeit des heutigen Ereignisses mit dem auf Fenners Farm war sonderbar. Nun fehlte nur noch ein Überfall auf unsere Pferde oder gar auf uns selbst; dann würden die beiden Abende einander ganz leidlich kongruent!

Schüttelt vielleicht jemand lächelnd den Kopf darüber, daß ich von meinem Schutzengel rede? Lieber Zweifler, ich schmeichle mir ganz und gar nicht, dich zu meiner Ansicht, zu meinem Glauben zu bekehren, aber du magst sagen, was du willst, den Schutzengel disputierst du mir doch nicht hinweg. Ich bin sogar felsenfest überzeugt, daß ich nicht nur einen, sondern mehrere habe, ja daß es Menschen giebt, welche sich im Schutze sehr vieler solcher himmlischer Hüter befinden. Der Zar von Rußland, dessen Thron auf Dynamitsäulen steht, die Beherrscher von Reichen und Völkern, von deren Entschließungen das Wohl von Millionen Menschen abhängt, der Seekapitän, bei dem die kleinste Nachlässigkeit, die geringste falsche Berechnung den Untergang des Schiffes und aller seiner Bewohner herbeiführen kann, der Diplomat, welcher mit Nationen spielt, der Feldherr, welcher Armeen bewegt, der Arzt, dem das Leben oder der Tod seiner Patienten aus der Feder fließt, sie alle bedürfen zu ihrem Schutze, ihrer Beratung, ihrer Warnung viel, viel mehr der Engel, als zum Beispiel ein fetter Rentner, welcher keine andere Arbeit kennt und keinen andern Beruf zu haben scheint, als Coupons abzuschneiden. Mag man mich immerhin auslachen; ich habe den Mut, es ruhig hinzunehmen; aber indem ich hier an meinem Tische sitze und diese Zeilen niederschreibe, bin ich vollständig überzeugt, daß meine Unsichtbaren mich umschweben und mir, schriftstellerisch ausgedrückt, die Feder in die Tinte tauchen. Und wenn, was sehr häufig der Fall ist, ein Leser, der in der Irre ging, durch eines meiner Bücher auf den richtigen Weg gewiesen wird, so kommt sein Schutzengel zu dem meinigen, und beide freuen sich über die glücklichen Erfolge ihres Einflusses, unter welchem ich schrieb und der andere las. Das sage ich nicht etwa in selbstgefälliger Überhebung, O nein! Wer da weiß, daß er sein Werk nur zum geringsten Teile sich selbst verdankt, der kann nicht anders als demütig und bescheiden sein, und ich trete mit dieser meiner Anschauung nur deshalb vor die Öffentlichkeit, weil in unserer materiellen Zeit, in unserem ideals- und glaubenslosen fin de siècle nur selten jemand wagt, zu sagen, daß er mit diesem Leugnen und Verneinen nichts zu schaffen habe.

Wie tröstlich und beruhigend, wie ermunternd und anspornend ist es doch, zu wissen, daß Gottes Boten stetig um uns sind! Und welch große sittliche Macht liegt in diesem Glauben! Wer überzeugt ist, daß unsichtbare Wesen ihn umgeben, welche jeden seiner Gedanken kennen, jedes seiner Worte hören und alle seine Werke sehen, der wird sich gewiß hüten, so viel er kann, das Mißfallen dieser Gesandten des Richters aller Welt auf sich zu ziehen. Ich gebe diesen sogenannten, in Mißkredit geratenen Kinder-, Ammen- und Märchenglauben nicht für alle Schätze dieser Erde hin!

„Schutzengel? Lächerlich!“ sagte einst ein sehr gelehrter und weit gereister Herr zu mir, dessen Namen man in einigen Erdteilen kannte und auch heut noch kennt. „Haben Sie einen? Haben Sie ihn gesehen, ihn gehört, mit ihm gesprochen? Zeigen Sie ihn mir, dann will ich glauben, daß er existiert!“ Ein Jahr später traf ich ihn in Tirol. Nach der kurzen, herzlichen Begrüßung war sein erstes, wie mir schien, ganz unmotiviertes Wort: „Es giebt weiche; ich weiß es jetzt; auch ich habe einen!“ – „Was?“ fragte ich erstaunt. – „Schutzengel meine ich. Sie besinnen sich wohl noch unsers letzten Gespräches?“ – Er war in den Bergen gewesen und hatte sich, Steine klopfend und Pflanzen suchend, allzu eifrig bis an den höchsten und äußersten Rand eines tief und steil abfallenden Abhanges vorgewagt. Die dünne, lose Erdschicht war ins Gleiten gekommen und hatte ihn mit sich über die Kante gerissen. Mit der ganzen Wucht des hohen und jähen Falles an den Vorstößen, Rändern und Spitzen der Felsen aufschlagend, war er in die Tiefe gestürzt, dann aber plötzlich an dem Stumpfe einer Latsche hängen geblieben. Der Stumpf hatte sich nur in den Saum des Rockschoßes gebohrt; dieser dünne, schmale Halt konnte jeden Moment reißen, ja, es war überhaupt ein Wunder, wenn er nicht zerriß. Und das Wunder geschah: Der Saum hielt fest, weit über eine halbe Stunde lang, in so lebensgefährlicher Situation eine wahre Ewigkeit. Der Verunglückte schrie um Hilfe, doch vergeblich; ihm schwindelte vor der Tiefe; vor seinen Augen wurde es schwarz, und in den Ohren klang es wie Paukentöne. Seine Pulse schlugen; alle seine Glieder zitterten im Fieber; die Todesangst trat ein, und er begann, zu beten. Zunächst brachte er es nur zu einem krampfhaften „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Dann zog sein ganzes Leben, schnell wie im Traum und doch mit greller Deutlichkeit, an ihm vorüber; er lernte sich in diesen kurzen Augenblicken zum erstenmal richtig kennen. Er sah seine Fehlgriffe wie scharfe, schroffe Gletscher ragen und seine Unterlassungen wie bodenlose, hohle Abgründe gähnen; sein Unglaube kam ihm wie ein Krater vor, der ihn verschlingen wollte. Da diktierte ihm die Angst seiner Seele das richtige Gebet: „Vergieb mir, Herr, denn ich glaube nun an dich!“ Seine Verneinung der Schutzengel fiel ihm ein, und da klammerte er sich mit der Inbrunst der Todesnot an den Gedanken, daß es ja doch welche gebe. Gott allein konnte retten, retten durch seine Himmelsboten. Der über der Tiefe Hängende betete und betete, bis es ruhiger und immer ruhiger in ihm wurde; es war ihm, als ob er eine Hand auf seiner Stirne fühle; die Angst verschwand und gab der immer fester werdenden Zuversicht Raum, daß die Rettung schon unterwegs sei. Er wußte, daß es keine Hallucination war: durch das Kleidungsstück, an welchem er hing, überkam ihn das Gefühl, als ob ein unsichtbares Wesen sich über ihm befinde und den Saum des Gewandes an dem Stumpfe der Knieholzkiefer festhalte. Da wich auch der Schwindel von ihm; er konnte frei unter sich blicken. Als er das that, sah er den Wirt des Gasthofes, in dem er für einige Tage wohnte, mit seinem Sohne kommen; beide waren vorzügliche Bergsteiger. Als sie ihn wahrnahmen, riefen sie ihm Mut zu. Der Sohn eilte zurück, um noch mehr Leute und Stricke zu holen, und der Vater kam heraufgestiegen, langsam zwar, aber mit tröstlicher Stetigkeit. Endlich grad über dem Verunglückten angelangt, warf er diesem die Schlinge eines Strickes zu, durch welche er die Arme zu strecken hatte. Das gab nun einen zuverlässigen Halt, welcher die völlige Ausführung der Rettung garantierte, die nach kurzer Zeit auch glücklich zustande kam. Unbegreiflich war, daß der Körper trotz des öftern Aufschlagens während des tiefen Sturzes außer einigen blauen Hautstellen keine Verletzung zeigte. Wahrhaft wunderbar aber mußte man es nennen, welche Ursache den Wirt zur Hilfe herbeigetrieben hatte. Sein jüngstes Kind nämlich, ein Mädchen von acht Jahren, war aus dem Garten zu ihm hereingekommen und hatte ihm gesagt, der Mann, der immer Blumen suche, sei von dem Berg gefallen und in der Mitte hängen geblieben. Die betreffende Seite des Berges lag aber vom Dorfe ab, so daß sie von da und von dem Garten aus gar nicht gesehen werden konnte, und weiter als in den Garten war das Kind nicht gekommen. Auf Befragen des Vaters hatte es gesagt, daß es den Mann habe um Hilfe rufen hören; die Entfernung war aber so groß, daß Hilferufe unvernehmbar blieben. Als der Vater die Bitte des Kindes nicht hatte erfüllen wollen, war dieses in ein so jämmerliches Schluchzen und Wehklagen ausgebrochen und hatte so lange fortgeweint, bis er, nur um es zu beruhigen, mit dem Sohne nach der Unglücksstelle aufgebrochen war. Der Gerettete ist noch heut fest überzeugt, daß er sein Leben zwei Schutzengeln zu verdanken habe; er behauptet, der eine habe ihn festgehalten und der andere das Kind zum Wirt geschickt.

Die Frage, ob ich meinen Schutzengel gesehen und gehört habe, kann mich nicht in Verlegenheit bringen. Ja, ich habe ihn gesehen, mit dem geistigen Auge; ich habe ihn gehört, in meinem Innern; ich habe seinen Einfluß gefühlt, und zwar unzählige Male. Bin ich etwa besonders veranlagt dazu? Gewiß nicht! Es ist wohl jedem Menschen gegeben, das Walten seines Schutzengels zu bemerken; die einzige Erfordernis dazu ist, daß man sich selbst genau kennt und sich selbst unter steter Kontrolle hält. Nur wer die richtige Selbstkenntnis besitzt und auf sie acht hat, kann unterscheiden, ob ein Gedanke ihm eingegeben wurde oder aus seinem eigenen Kopfe stammt, ob eine Empfindung, ein Entschluß in ihm selbst oder außerhalb seines geistigen Ichs entstand. Wieviel Menschen aber besitzen diese genaue Kenntnis ihrer selbst?

Wie oft bin ich zu einer bestimmten Handlung fest und unerschütterlich entschlossen gewesen und habe sie dennoch ohne jeden sichtbaren oder in mir liegenden Grund unterlassen. Wie oft habe ich im Gegenteile etwas gethan, was nicht im entferntesten in meinem Wollen lag. Wie oft ist mein Verhalten ganz plötzlich und ohne alle Absicht ganz anders geworden, als es in der Logik meines Wesens begründet gewesen wäre. Das war das Ergebnis eines Einflusses von außer mir her, der stets die besten Folgen hatte, sobald und so oft er sich geltend machte. Wie oft habe ich nach einem von mir selbst herbeigeführten Ereignisse dennoch voller Verwunderung dagestanden, wie oft nach einem von mir angestrebten Erfolge dennoch sagen müssen: „das habe nicht ich, sondern das hat Gott gethan!“ Wie oft hat eine mir ganz fremdartige Idee meine Gedankenfolge unterbrochen und sie in eine mir bisher ganz unbekannte Richtung gelenkt. Wie oft bin ich vor Personen, welche mir sympathisch waren, und vor Verhältnissen und Lagen, die ich geradezu herbeigesehnt hatte, durch einen – ich will mich ausdrücken- -geistigen Anhauch gewarnt worden, der sich dann, wenn ich mich von ihm leiten ließ, als nur zu begründet erwies. Wie oft habe ich Situationen, an welche nach menschlichem Ermessen in meinem ganzen Leben nicht zu denken war, voraus empfunden, voraus durchlebt und dann, wenn sie sich genau nach diesem Seelenbild einstellten, zu meinem dankbaren Erstaunen einsehen müssen, daß mit diesem Vorausgefühle mein Vorteil, ja mein Heil bezweckt gewesen war.

Was für eine von meiner Individualität vollständig getrennte Intelligenz, für eine außer mir liegende Macht kann es aber wohl gewesen sein, welche so in, mit und über mir waltete, mich mahnte, warnte und als sogenanntes böses Gewissen strafte, wenn sie mich unaufmerksam oder gar ungehorsam gefunden hatte? Weder Instinkt noch Zufall kann es sein, sondern Gottes Engel ist es, der mir vom Herrn der Heerscharen beigegeben wurde, mein Führer, Mahner und Berater zu sein. Als ich in meiner Schülerzeit durch den vielgenannten „Zufall“, den es für mich nicht giebt, aus einer großen Gefahr errettet worden war, schrieb ich einige Zeilen in mein Tagebuch, welche noch unter dem Eindrucke der Todesangst entstanden und nicht dichterisch abgefeilt worden sind. Sie haben also nicht den geringsten poetischen Wert; da ich mich aber noch heut, wo ich von meinem Schutzengel spreche, zu ihnen bekenne, so will ich mich erkühnen, ihnen hier einen Platz zu geben:

Es giebt so wunderliebliche Geschichten,
Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,
In deren Schutz wir Menschenkinder stehn.
Man will so gern den Worten Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber sich versenken,
Denn Gottes Odem fühlt man daraus wehn.

So ist’s in meiner Kindheit mir ergangen,
In welcher oft ich mit erregten Wangen
Auf solcherlei Erzählungen gelauscht,
Dann hat der Traum die magischen Gestalten
In stiller Nacht mir lebend vorgehalten,
Und ihre Flügel haben mich umrauscht.

Fragt auch der Zweifler, ob’s im Erdenleben
Wohl könne körperlose Wesen geben,
Die für die Sinne unerreichbar sind,
Ich will die Jugendbilder mir erhalten
Und glaub an Gottes unerforschlich Walten
Wie ich’s vertrauensvoll geglaubt als Kind.

Ich weiß, daß ich als Schriftsteller mit diesen achtzehn Zeilen eine große litterarische Sünde begehen würde; aber ich meine, in der letzten Viertelstunde nicht geschriftstellert, sondern als Mensch, als wohlmeinender Freund zu meinen Lesern gesprochen zu haben, und Reime aus der Knabenzeit eines Freundes pflegt man doch überall mit kritikloser Güte und mild lächelnder Nachsicht aufzunehmen. Ich bitte auch für mich um diese Schonung!

Also mein Schutzgeist hatte mich bei Harbour grad so wie auf Fenners Farm vom Tode errettet, und ich saß nun wieder auf dem Stuhle, auf welchem mich die Kugel des Medizinmannes hatte treffen sollen. Die Gemüter hatten sich noch nicht beruhigt, und der Zwischenfall wurde mit, ich möchte sagen, urwüchsiger Lebhaftigkeit besprochen. Das größte Interesse für das unerwartete Auftreten von Tibo taka und Tibo wete mußte natürlich Apanatschka haben, der beide für seine Eltern gehalten hatte und trotz meiner Widerlegung wohl auch jetzt noch hielt. Außer Winnetou und mir sprach man von allen Seiten auf ihn ein, doch ohne eine andere Antwort als ein stilles Kopfschütteln von ihm zu hören. Mir und dem Häuptling der Apatschen war das sehr verständlich. Was hätte er auch antworten oder sagen sollen! Wir waren alle auf das Tibo-Paar nicht gut gesinnt; er konnte sie weder verteidigen, noch lagen für ihn die nötigen Beweise vor, sich von ihnen loszusagen; also konnte er nichts anderes und besseres thun als schweigen, und das that er denn auch gründlich.

Die andern ergingen sich in hunderterlei Vermutungen über den Ritt des Medizinmannes und seiner Frau hierher nach Kansas. Sie tauschten ihre Meinungen aus über den Grund, den Zweck und das Ziel dieses Rittes; natürlich traf niemand das Richtige. Es machte Winnetou und mir Spaß, zu sehen und zu hören, wie sie ihren Scharfsinn anstrengten und sich miteinander stritten und dabei einer den andern auf den Irrweg führen wollte, auf dem er sich selbst befand. Wir hielten es nicht für notwendig, sie so weit aufzuklären, wie wir selbst es waren, und so mußten sie sich endlich mit unserer Versicherung begnügen, daß wir morgen dem Medizinmanne folgen und also bald Aufklärung bekommen würden über alles, was uns heut noch unklar sei.

Da wir frühzeitig fort wollten, wurden in der Stube die Lager für uns bereitet. Ich traute Tibo taka doch nicht recht; es war immerhin möglich, daß er auf den Gedanken kam, während der Nacht zurückzukehren und irgend etwas für uns Schädliches auszuführen. Darum wollte ich den Postendienst unter uns heute in derselben Weise ausgeführt wissen, wie er gebräuchlich war, wenn wir des Nachts im Freien kampierten; Harbour aber sträubte sich dagegen und sagte:

„Nein, Sir, das dulde ich nicht. Ihr seid unterwegs und wißt nicht, was Euch begegnen kann. Es kann sein, daß Ihr eine ganze Reihe von Nächten nicht ruhig schlafen könnt; schlaft Euch also heut hier bei mir tüchtig aus! Ich habe Cow-boys und Peons, welche den Wachtdienst sehr gern für die große Ehre, Euch gesehen zu haben, übernehmen werden.“

„Wir sind Euch natürlich sehr dankbar für dieses Anerbieten, Mr. Harbour,“ antwortete ich. „Wir nehmen es an, doch unter der Voraussetzung, daß diese Leute ihrer Aufgabe nicht lässig, sondern so obliegen, wie unsere Lage es erfordert.“

„Das ist doch ganz selbstverständlich. Wir wohnen und leben hier in einer Art von Halbwildnis und sind es also gewohnt, aufmerksam zu sein. Übrigens handelt es sich ja nur um einen einzigen Menschen, der noch dazu aus Angst vor Euch heimlich ausgerissen ist; seine Squaw ist gar nicht zu rechnen; dem würden meine Leute, falls er so frech wäre, zurückzukehren, das Fell so ausbauen, daß kein Gerber noch Arbeit daran finden würde. Ihr könnt Euch also ruhig schlafen legen.“

Das thaten wir denn auch; vorher aber ging ich noch einmal hinaus nach dem Korral, um nach den Pferden zu sehen.

Der Farmer hatte ja wohl nicht unrecht; es handelte sich nur um den Medizinmann, der übrigens auch schon durch die Anwesenheit seiner Frau verhindert wurde, etwas gegen uns auszuführen; aber es lag eine Unruhe in mir, die mich am Einschlafen hinderte. Es drängte sich mir wieder und immer wieder der Vergleich des heutigen Tages mit dem Tage auf Fenners Farm auf, und ich kam dabei wieder und immer wieder auf den Gedanken: nun fehlt bloß noch ein Überfall!

So kam es, daß ich spät einschlief und dann von einem quälenden Traume, dessen Inhalt mir heut nicht mehr erinnerlich ist, so beängstigt wurde, daß ich froh war, als ich bald wieder aufwachte. Ich stand auf und ging leise, um keinen der Schläfer zu wecken, hinaus. Die Sterne schienen; man konnte ziemlich weit sehen. Ich ging wieder nach dem Korral, in welchem zwei Peons die Wache hatten.

„Ist alles in Ordnung?“ fragte ich, als ich die Gatterthür hinter mir wieder zugezogen hatte.

„Ja,“ wurde mit geantwortet.

„Hm! Mein und Winnetous Rappe pflegen des Nachts zu liegen; jetzt stehen sie; das gefällt mir nicht.“

„Sie sind eben erst aufgestanden, wohl weil Ihr gekommen seid.“

„Deshalb gewiß nicht. Wollen einmal sehen!“

Ich ging zu den beiden Pferden. Sie hielten die Köpfe nach dem Hause gerichtet; ihre Augen leuchteten beunruhigend, und nun sie mich kommen sahen, schnaubten beide. Das war eine Wirkung ihrer sorgfältigen Erziehung. Sie waren gewöhnt, sich in Abwesenheit ihrer Herren selbst beim Nahen einer Gefahr lautlos zu verhalten, waren ihre Herren aber da, diese Gefahr ihnen durch Schnauben anzuzeigen. Sie hatten eine Gefahr gewittert und waren aufgestanden, aber still gewesen, weil ich mich nicht bei ihnen befand; nun ich aber da war, warnten sie mich. Ich ging zu den Wächtern zurück und sagte:

„Es liegt etwas in der Luft; was, das weiß ich nicht. Nehmt euch in acht! Es sind Menschen in der Nähe des Hauses, ob Freunde oder Feinde, das wird sich zeigen. Man sieht sie nicht; sie haben sich versteckt; Freunde aber brauchen sich nicht zu verbergen. Entweder stecken sie dort hinter den Büschen, oder sie liegen schon näher im hohen Grase.“

„Teufel! Es werden doch nicht etwa die Tramps sein, wegen denen Bell nach dem Nord-River geritten ist?“

„Das wird sich zeigen. Es ist besser, selbst die erste Note zu spielen, anstatt zu warten, bis der Feind beginnt, den Bogen zu streichen. Ah, dort, grad der Hausthür gegenüber, hob sich jetzt etwas aus dem Grase; ich kann also nicht in die Stube, werde aber die Gefährten wecken. Habt ihr eure Gewehre?“

„Ja, dort lehnen sie.“

„Nehmt sie, um den Eingang zu verteidigen; schießt aber nicht eher, als bis ich es euch sage!“

Ich legte beide Hände hohl an den Mund und ließ dreimal den Schrei des Kriegsadlers erschallen, so laut, daß er gewiß eine halbe englische Meile weit zu hören war. Nur einige Sekunden später ertönte derselbe Schrei auch dreimal drin in der Stube. Das war die Antwort Winnetous, welcher die warnende Bedeutung meines Schreies sehr gut kannte. Ebenso kurze Zeit darauf sah ich viele, viele dunkle Gestalten aus dem Grase aufspringen, und die Luft erzitterte unter einem Geheul, in welchem ich das Angriffszeichen der Cheyenne-Indianer erkannte.

Was wollten diese hier? Warum waren sie aus dem Quellgebiet des Republican-River so weit herabgekommen? Sie wollten die Farm überfallen, hatten also ihre Kriegsbeile auch ausgegraben, grad wie die Osagen. Wir hatten sie nicht zu fürchten, denn wir standen nicht nur in Frieden mit ihnen, sondern waren sogar ihre Freunde. Man braucht sich nur daran zu erinnern, was Schahko Matto dem alten Wabble unter dem „Baume der Lanze“ von Winnetou erzählte. Dieser hatte sich an die Spitze der Cheyennes gestellt und mit ihnen das Lager der Osagen erobert; sie waren ihm also großen Dank schuldig. Ich war zwar nicht mit dabei gewesen, aber es konnte doch kein Indianer Winnetous Freund und dabei der Feind Old Shatterhands sein. Also war ich sofort beruhigt, als ich aus dem Kriegsgeheul erkannte, daß die Angreifer Cheyennes seien.

Eigentümlich war es, daß sie nicht zunächst und vor allen Dingen nach Indianerart über die Pferde herfielen. Der Angriff schien einstweilen nur gegen das Haus gerichtet zu sein, was auf eine ganz besondere Ursache schließen ließ. Wir brauchten den Korral nicht zu verteidigen, denn kein einziger Roter kam herbei; ich sah sie alle vor dem Hause stehen. Sie hatten jedenfalls beabsichtigt, sich heimlich nach der Thür zu schleichen, diese einzuschlagen und dann in das Gebäude einzudringen, waren aber durch meinen Adlerschrei daran verhindert worden, weil die Bewohner durch denselben geweckt worden waren. Der Überfall war mißlungen.

Ich war höchst neugierig auf das, was nun geschehen würde. Sie konnten nicht in das Haus und waren so unvorsichtig, vor demselben stehen zu bleiben. Dachte denn keiner von ihnen daran, daß die drin befindlichen Männer durch das Fenster schießen würden? Sie bildeten, noch immer heulend und brüllend, vor der Front des Gebäudes einen Halbkreis, welcher von einer Ecke bis zur andern reichte. Als dies geschehen war, trat tiefe Stille ein. Wie ich meinen Winnetou kannte, war ich überzeugt, daß er jetzt sprechen würde. Und wirklich, es geschah. Er hatte die Thür geöffnet, war furchtlos in dieselbe getreten und rief mit seiner sonoren Stimme:

„Es ertönt das Kriegsgeschrei der Cheyennes. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen, der die Pfeife der Freundschaft und des Friedens mit ihnen geraucht hat. Wie heißt der Anführer der Krieger, welche ich vor mir sehe?“

Vom Halbierungspunkte des Halbkreises her antwortete eine Stimme:

„Hier ist Witsch Panahka, der Anführer der Cheyennes.“

„Winnetou kennt alle hervorragenden Krieger der Cheyennes, doch befindet sich darunter keiner, der Witsch Panahka heißt. Seit wann ist der, welcher sich so nennt, ein Häuptling der Seinen?“

„Das braucht er nur dann zu sagen, wenn es ihm beliebt!“

„Beliebt es ihm jetzt?“

„Nein.“

„Warum nicht? Hat er sich seines Namens, oder hat dieser Name sich seiner zu schämen? Warum kommen die Cheyennes unter Kriegsgeschrei an dieses Haus? Was wollen sie hier?“

„Wir wollen Schahko Matto, den Häuptling der Osagen, haben.“

„Uff! Woher wissen sie, daß dieser sich hier befindet?“

„Auch das brauchen sie nicht zu sagen.“

„Uff, uff! Die Cheyennes scheinen nur brüllen aber nicht reden zu können! Winnetou ist gewöhnt, Antwort zu bekommen, wenn er fragt. Gebt ihr ihm keine, so tritt er in das Haus zurück und wartet ruhig ab, was dann geschieht.“

„Wir werden das Haus erstürmen!“

„Versucht es! Wir haben Gewehre.“

„Wir werden es verbrennen!“

„Seht zu, daß es euch nicht zu heiß wird dabei!“

„Wir verlangen Schahko Matto, den Osagen. Gebt ihn heraus, so ziehen wir weiter!“

„Es wird für die Cheyennes besser sein, wenn sie gleich weiterziehen, ohne abzuwarten, ob sie ihn bekommen!“

„Wir gehen nicht eher fort, als bis wir ihn haben. Wir wissen, daß Winnetou und Old Shatterhand sich in diesem Hause befinden; auch ist ein junger Krieger drin, welcher Apanatschka heißt; er soll uns ausgeliefert werden.“

„Wollt ihr Schahko Matto töten?“

„Ja.“

„Und Apanatschka auch?“

„Nein; es wird ihm nichts geschehen. Es ist jemand hier, der mit ihm reden will. Dann kann er dahin gehen, wohin es ihm beliebt.“

„Er wird nicht kommen und Schahko Matto auch nicht.“

„So müssen wir Winnetou und Old Shatterhand als unsere Feinde betrachten und sie töten!“

„Versucht, ob ihr das fertig bringt!“

„Winnetou ist mit Blindheit geschlagen. Sieht er nicht, daß hier über achtmal zehn Krieger stehen? Was können alle, die sich in dem Hause befinden, gegen uns machen, wenn wir es erstürmen? Sie werden alle miteinander des Todes sein. Wir geben dem Häuptling der Apatschen eine Stunde Zeit, sich mit Old Shatterhand zu beraten; ist diese vergangen, ohne das Schahko Matto und Apanatschka uns ausgeliefert worden sind, so werdet ihr alle sterben müssen. Howgh!“

Ehe Winnetou hierauf antworten konnte, geschah etwas, was wohl weder er noch der Anführer der Cheyennes erwartet hatte, und das kam von mir. Die ganze Art und Weise der mißglückten Überrumpelung der Farm ließ erraten, daß wir es mit meist unerfahrenen Leuten zu thun hatten. Den Angriff nur gegen die Vorderfront des Hauses zu richten, ohne es ganz einzuschließen, sich dann in einem Bogen hinzustellen und unseren Kugelnauszusetzen, das waren Fehler, über welche man nur lächeln konnte. Daß diese achtzig Indianer auch dem Apatschen nicht imponierten, ersah ich daraus, daß er sie nur „Cheyennes“, nicht aber „Krieger der Cheyennes“ nannte; ich kannte da meinen Winnetou nur zu gut. Sollten wir solche Leute so behandeln, wie man alte, erfahrene Krieger behandelt? Das fiel mir gar nicht ein. Es so kurz wie möglich machen, das war das beste; sie sollten sich nicht rühmen dürfen, von uns für vollgültig betrachtet und behandelt worden zu sein. Darum schlüpfte ich, von ihnen unbemerkt, aus der Pforte des Korrals, legte mich nieder und kroch im Rücken des Halbkreises so weit durch das Gras, bis ich mich hinter der Stelle befand, wo das „eiserne Messer“ stand. Das konnte sehr schnell geschehen und wurde mir sehr leicht, weil die Roten jetzt alle nach dem Hause blickten und keine Obacht auf das hatten, was hinter ihnen vorging. Als der Anführer sein letztes Wort, das gebieterische „Howgh!“ aussprach, stand ich auf, schnellte mich vorwärts, so daß ich den Halbkreis erreichte, brach durch die Reihe der Indianer und stand dann neben dem Anführer, ehe sie in ihrer Überraschung hatten daran denken können, es zu verhindern. Ehe Winnetou dort an der Thür das lächerliche Ultimatum verdientermaßen zurückweisen konnte, rief ich mit lauter Stimme:

„Zu hören, was wir beschließen, dazu bedarf es keiner Stunde Zeit; die Cheyennes sollen es gleich erfahren.“

Mein plötzliches Erscheinen im Innern des Halbkreises mitten unter ihnen rief selbstverständlich eine große Aufregung hervor; mich gar nicht um dieselbe kümmernd, fuhr ich fort:

„Hier steht Old Shatterhand, dessen Namen die Cheyennes alle kennen werden. Ist einer unter ihnen, der es wagen will, die Hand gegen mich zu erheben, so trete er zu mir heran!“

Was ich beabsichtigt hatte, das geschah: die Aufregung machte einer vollständigen, lautlosen Stille Platz. Mein scheinbar kühnes, ja verwegenes Erscheinen hatte sie bloß überrascht; meine Herausforderung aber verblüffte sie, zumal ich dabei so ruhig stehen blieb, als ob sie alle „Wurst und Schnuppe“ für mich seien, obgleich ich nicht einmal ein Gewehr in den Händen hatte. Ich nutzte diesen Eindruck ohne Zögern aus, erfaßte den Anführer bei der Hand und sagte:

„Witsch Panahka mag augenblicklich hören, was wir zu thun entschlossen sind; er komme mit!“

Seine Hand festhaltend, ging ich dem Hause zu. Das war schon nicht mehr Mut zu nennen, sondern eine Frechheit, die ihresgleichen suchte; aber sie that prompt ihre Wirkung. sie konsternierte ihn in der Weise, daß es ihm gar nicht einfiel, sich zu weigern oder gar mir Widerstand entgegenzusetzen. Er ging willig wie ein Kind mit mir bis hin zu Winnetou, der noch am offenen Eingange stand und den Cheyenne bei der andern Hand ergriff. Halb zogen und halb schoben wir ihn hinein und schlossen dann die Thür hinter uns zu.

„Schnell Licht, sehr schnell, Mr. Harbour!“ rief ich in den dunklen Raum hinein. Ein Zündholz leuchtete auf; die Lampe wurde angesteckt, und nun konnten wir das Gesicht des „eisernen Messers“ sehen. Es konnte uns, wie man mir glauben wird, in diesem Augenblicke nicht etwa durch einen sehr geistreichen Ausdruck imponieren.

Das war alles so schnell gegangen, daß die Cheyennes draußen erst jetzt einsahen, was für ein großer Fehler es von ihnen war, daß sie es hatten geschehen lassen. Wir hörten sie schreien und rufen, kümmerten uns aber nicht darum, denn so lange sich ihr Anführer bei uns befand, durften sie nicht daran denken, etwas Feindliches gegen uns vorzunehmen. Ich schob ihn zu einem Stuhle hin und forderte ihn auf:

„Witsch Panahka mag sich zu uns setzen! Wir sind Freunde der Cheyennes und freuen uns, ihn als Gast bei uns zu sehen.“

Auch das kam ihm so sonderbar vor, daß er sich ohne Weigern niedersetzte. Er, der mit achtzig Männern gekommen war, die Farm zu überfallen, befand sich zehn Minuten nach dem ersten Kriegsgeheul im Innern derselben, aber nicht als Sieger, sondern in unserer Gewalt, und mußte es sich gefallen lassen, ironisch als unser Gast bezeichnet zu werden. Ich hatte durch meine Unverfrorenheit, die eigentlich Ohrfeigen verdient hätte, alles Blutvergießen verhütet, den Ernst der Situation in das fast Lächerliche verwandelt und die Volte derart geschlagen, daß wir alle Trümpfe und Zähler, die Cheyennes aber nur leere Karten hatten.

Wie freute ich mich im stillen über die Anerkennung Winnetous! Er sprach sie nicht in Worten aus, aber sie war in seinem Gesichte und in dem Blicke zu lesen, den er mit inniger Wärme auf mich gerichtet hielt. Diese Wärme machte auch mir das Herz warm. Ich gab ihm die Hand und sagte:

„Ich lese in der Seele meines Bruders und will ihm nur das eine sagen, daß er mein Lehrer und ich sein Schüler war!“

Er drückte mir die Hand und schwieg. Es bedurfte aber auch keines Wortes, denn ich verstand ihn doch. Was war er doch für ein Mann, besonders wenn man ihn mit dem Cheyenne verglich, der so verlegen bei uns saß, daß er fast nicht wagte, die Augen aufzuschlagen! Schahko Matto hatte sich ihm gegenübergesetzt, hielt das Auge finster auf ihn gerichtet und fragte:

„Kennt mich der Anführer der Cheyenne? Ich bin Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, dessen Auslieferung er gefordert hat. Was glaubt er wohl, daß wir mit ihm thun werden?“

Auf die versteckte Drohung, welche in diesen Worten lag, antwortete der Gefragte:

„Old Shatterhand hat mich Gast genannt!“

„Das hat er gethan, aber nicht ich! Du hattest mich für den Tod bestimmt; ich habe also das Recht, nun den deinigen zu fordern.“

„Old Shatterhand wird mich schützen!“

Das war eine indirekt an mich gerichtete Aufforderung, die ich in strengem Tone beantwortete:

„Das wird ganz darauf ankommen, wie du dich jetzt verhältst! Erteilst du mir die Auskunft, die ich von dir verlange, der Wahrheit gemäß, so bleibst du unter meinem Schutze, sonst aber nicht. Ihr habt heut einen weißen Mann mit einer roten Squaw getroffen?“

„Ja.“

„Dieser Mann hat euch mitgeteilt, daß wir uns hier befinden und daß Schahko Matto bei uns ist?“

„So ist es.“

„Er hat für diesen Dienst die Auslieferung Apanatschkas, welcher hier neben dir sitzt, verlangt?“

„Ja.“

„Was wollte er mit Apanatschka thun?“

„Das weiß ich nicht, denn ich habe ihn nicht gefragt, weil uns dieser fremde, rote Krieger gleichgültig ist.“

„Wo befindet sich der weiße Mann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Belüge mich nicht! Er wollte Apanatschka haben, den du ihm bringen solltest. Also mußt du wissen, wo er ist. Wenn du mir noch eine einzige Unwahrheit sagst, liefere ich dich an Schahko Matto aus, dessen Todfeind du bist. Merke dir das! Also sag, wo der Weiße sich befindet?“

Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht; der Cheyenne antwortete:

„Er ist draußen bei meinen Kriegern.“

„Aber seine Squaw doch nicht mit?“

„Nein; sie ist da, wo wir die Pferde gelassen haben.“

Ehe ich weitersprechen konnte, ergriff Winnetou das Wort:

„Ich bin wiederholt bei den Cheyennes gewesen, habe aber Witsch Panahka nie gesehen. Wie kommt das?“

„Wir gehören dem Stamme der Nukweint-Cheyennes an, bei welchem der Häuptling der Apatschen noch nicht gewesen ist.“

„Ich weiß, was ich wissen wollte. Mein Bruder Shatterhand mag weitersprechen!“

Dieser Aufforderung folgend, legte ich dem Cheyenne jetzt die Frage vor:

„Ich sehe, daß ihr die Tomahawks des Krieges ergriffen habt. Gegen wen ist euer Zug gerichtet?“

Er zögerte mit der Antwort; aber als ich da eine drohende Bewegung zu Schahko Matto hin machte, gestand er:

„Gegen die Osagen.“

„Ah, ich errate! Ihr hattet gehört, daß die Osagen ihr Lager verlassen haben, um gegen die Bleichgesichter zu ziehen, und wolltet diese Gelegenheit benutzen, es zu überfallen?“

„Ja.“

„So seid froh, daß ihr uns hier getroffen habt! Die Osagen sind umgekehrt; sie befinden sich wieder daheim und hätten euch, da ihr nur achtzig Mann zählt, die Skalpe genommen. Die Begegnung mit uns ist ein großes Glück für euch; sie rettet euch oder doch vielen von euch das Leben. Ich hoffe, daß dies eine Mahnung zur friedlichen Gesinnung für euch ist. Was gedenkt ihr denn jetzt zu thun?“

„Wir nehmen Schahko Matto mit uns fort. Apanatschka könnt ihr meinetwegen behalten.“

„Laß dich nicht auslachen! Du bist mein Gefangener; das weißt du sehr wohl. Und glaubst du, daß wir uns vor deinen achtzig Leuten fürchten? Die Nukweint-Cheyenne sind als Leute bekannt, die nichts vom Kampfe verstehen.“

„Uff!“ fuhr er zornig auf. „Wer hat dir diese Lüge gesagt?“

„Es ist keine Lüge; das habt ihr heut bewiesen. Euer Angriff war so dumm ausgeführt, daß man euch für kleine Knaben halten möchte. Und dann habe ich mitten unter euch gestanden, ohne daß es einen einzigen gab, der mich anzurühren wagte. Hierauf bist du an meiner Hand wie ein folgsames Kind mit in das Haus gegangen. Wenn wir das ruchbar machen, wird ein großes Gelächter über alle Höhen und alle Savannen gehen, und die andern Stämme der Cheyennes werden sich von euch lossagen, weil sie sich eurer schämen müssen. Du hast zu wählen. Willst du Kampf, so erschießen wir dich hier, sobald draußen von deinen Leuten der erste Schuß fällt. Eure Kugeln thun uns nichts, weil uns die Wände schützen; sieh aber unsere Waffen an; du kennst jedenfalls –“

Pshaw!“ unterbrach mich da Winnetou, indem er sich von seinem Sitze erhob und zu dem „eisernen Messer“ hintrat. „Warum so lange Reden! Wir werden gleich mit den Cheyennes fertig sein!“

Er riß den Medizinbeutel, den Witsch Panahka auf der Brust hängen hatte, mit einem schnellen Griffe los. Der Cheyenne sprang mit einem Angstschrei auf, um ihm die Medizin wieder zu entreißen; ich sprang hinzu, drückte ihn auf den Stuhl nieder, hielt ihn dort fest und sagte:

„Bleib sitzen! Wenn du gehorchst, bekommst du deine Medizin wieder, sonst aber nicht!“

„Ja, nur wenn er gehorcht,“ stimmte Winnetou bei. „Ich will, daß die Cheyennes friedlich heimkehren. Thun sie das, so soll ihnen nichts geschehen und niemand wird erfahren, daß sie sich hier wie kleine Kinder benommen haben. Geht Witsch Panahka aber nicht darauf ein, so werfe ich seine Medizin augenblicklich auf den Herd, um sie zu verbrennen, und dann werden unsere Gewehre zu sprechen beginnen. Howgh!“

Wer da weiß, was die Medizin für jeden Roten, zumal für einen Häuptling, zu bedeuten hat, und welche Schande es ist, sie zu verlieren, der wird sich kaum darüber wundern, daß der Cheyenne, wenn auch nach längerem Sträuben, sich in die Forderung des Apatschen fügte.

„Auch ich habe eine Bedingung zu stellen,“ erklärte Treskow.

„Welche?“ fragte ich.

„Die Cheyennes müssen Tibo taka und Tibo wete ausliefern!“

„Daran denkt kein Mensch! Das würde der größte Fehler sein, den wir begehen könnten. Übrigens bin ich überzeugt, daß der Medizinmann gar nicht mehr draußen ist. Er hat, sobald ich den Häuptling in Beschlag nahm, sofort gewußt, was nun die Glocke schlägt, und sich schnell aus dem Staub gemacht. Und das ist mir nur lieb; weshalb, das werdet ihr schon erfahren.“

Über den Friedensschluß mit den Cheyennes draußen zu erzählen, würde zu weit ab führen; es genügt, zu wissen, daß sie schließlich froh über das unblutige Ende ihres so fehlerhaften Überfalles der Farm waren. Sie ritten um die Mitte des Vormittages fort, und als darauf eine Stunde vergangen war, brachen auch wir auf, Schahko Matto, der seine Waffen wiederbekommen hatte, als freier Mann. Er war grimmig erzürnt darüber, daß der Medizinmann uns wieder entwischt war; Dick Hammerdull aber, der stets heitere, tröstete ihn:

„Der Häuptling der Osagen mag ihn immer laufen lassen; wir kriegen ihn schon wieder, denn wer gehängt werden soll, der wird gehängt; das ist ein wahres Sprichwort.“

„Er soll nicht gehängt werden sondern eines zehnfachen Todes sterben!“ knurrte der Osage.

„Ob einfach sterben, ob doppelt oder sechsfach, das bleibt sich gleich; das ist auch ganz egal; er wird aber doch gehängt. Für so einen Kerl giebt es keinen schöneren Tod als den durch den Strick. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

Yes, lieber Dick,“ antwortete der Lange. „Du hast doch immer recht!“

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Im Kui Erant Yuaw

Im Kui-erant-yuaw

Wir waren durch den gestrigen Ritt von dem Camp nach dem Spring weit von unserer Richtung abgekommen und mußten, um diesen Umweg möglichst gut zu machen, jetzt dahin reiten, wohin wir sonst nicht gekommen wären und wohin wir die nur in unserer Phantasie existierende Bonanza verlegt hatten, nämlich nach dem Squirrel-Creek. Als Dick Hammerdull das hörte, zog er erst ein ernsthaftes Gedicht, lachte aber und sagte:

„Hoffentlich werden sie nicht so albern sein!“

„Wer?“ fragte Treskow, der neben ihm ritt.

„Die Tramps.“

„Wieso albern?“

„Daß sie uns nach diesem Creek nachkommen!“

„Da verdienten sie noch mehr Prügel, als sie schon bekommen haben! Sie müssen doch einsehen, daß es diese Bonanza gar nicht giebt.“

„Einsehen? Ich sage Euch, Mr. Treskow, wer solche Pudel schießt, wie die geschossen haben, bei dem kann von Einsicht keine Rede sein. Ich wette, daß sie dieses unser falsches Geld noch jetzt für echte Münze nehmen!“

„Wenn Ihr da recht habt, werden sie uns freilich nachkommen, und da können wir uns nur in acht nehmen, daß sie uns nicht ausfindig machen.“

„Bin ganz und genau derselben Ansicht. Ihr jedenfalls auch, Mr. Shatterhand?“

„Nein,“ anwortete ich.

„Ihr denkt, sie kommen nicht hinter uns her?“

„Oh doch! Sie haben zwei Gründe, uns zu folgen.“

„Zwei? Ich weiß nur einen, nämlich die Bonanza. Ihr nehmt wohl auch an, daß sie noch heut an die Existenz dieses Placer glauben?“

„Ja. Diese Menschen halten sich trotz aller ihrer Dummheit für sehr klug, und da wir sie nicht extra darüber ausgelacht haben, daß sie dieser Täuschung Glauben schenkten, sind sie noch vollständig überzeugt, daß die Bonanza wirklich existiert.“

„Aus diesem Grunde werden sie uns also folgen. Und der zweite Grund?“

„Die Rache natürlich.“

„Ja, richtig. Es wird in ihnen wie in Siedetöpfen kochen; daran hatte ich nicht gedacht. Sie werden sich darum mit aller Macht auf unsere Fährte legen und sich alle Mühe geben, uns einzuholen.“

„Was ihnen aber nicht gelingen wird!“

„Nicht? Wohl weil wir bessere Pferde haben als sie?“

„Erstens das. Und zweitens wird eine geraume Zeit vergehen, ehe sie vom Spring aufbrechen können. Das ist ja selbstverständlich.“

„Ja, es wird lange dauern, ehe es einem von ihnen gelingt, sich von den Riemen zu befreien und auch die andern loszumachen.“

„Auf die Squaw, welche allerdings nicht gefesselt ist, können sie sich da nicht verlassen. Wenn sie die auffordern, sie loszubinden, schüttelt sie den Kopf und geht weiter. Und dann, wenn sie frei sind und sich auf die Pferde setzen! Hm!“

Hammerdull verstand dieses Hm! Er ergänzte mich in ausführlicherer Weise:

„Dann geht es auch nicht so schnell, wie sie es wohl wünschen werden. Sie werden grad da, wo der Reiter es am wenigsten sein darf, durch die Prügel höchst empfindlich geworden sein. Wenigstens wünsche ich von Herzen, daß es so ist. Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

Der Gefragte antwortete:

„Wenn du denkst, lieber Dick, daß sie in der betreffenden Gegend gemütvoller geworden seien, so habe ich nichts dagegen. Ich denke, daß es dir auch nicht viel anders ergehen würde.“

„Pfui! Ich würde mich niemals prügeln lassen!“

„Wenn sie dich erwischten, so bin ich Überzeugt, daß sie dich ebenso durchhauen würden, wie sie von dir geprügelt worden sind.“

„Ob ich durchgehauen würde oder nicht, das bleibt sich gleich; das ist sogar ganz und gar egal, denn es versteht sich doch von selbst, daß sie es im Leben nicht fertig bringen, mich zu erwischen.“

Pshaw! Sie hatten dich doch schon!“

„Halte den Schnabel, und ärgere mich nicht so unnötigerweise! Du weißt, daß ich in dieser Beziehung sehr schwache Nerven habe!“

„Ja; so dick wie Kabeltaue!“

„Haben sie etwa mich allein erwischt? Doch uns alle! Mußt du da mir die Vorwürfe machen, alter Griesgram, du? Das sollte ihnen noch einmal gelingen! Die reine, blaue Unmöglichkeit!“

„Nimm dich in acht! Der Frosch, der am lautesten quakt, wird zu allererst vom Storch gefressen. Das ist eine alte, wahre Geschichte.“

„Frosch! Ich etwa?“

„Ja!“

„Ich, ein Frosch! Hat es schon einmal so eine Majestätsbeleidigung gegeben?! Dick Hammerdull, der Inbegriff alles Erhabenen, alles Schönen und Schlanken, werde mit einem Frosch verglichen! Was giebt es nur gleich für ein Amphibium oder Insekt, mit dem du zu vergleichen bist, altes Heupferd? ja, Heupferd; das ist das Richtige! Bist du nun zufrieden, lieber Pitt?“

Yes! Ein Heupferd ist, gegen den Frosch gehalten, ein sehr edles Tier!“

„Möchte wissen, wo da der Adel stecken soll! Übrigens ist weder von Fröschen noch von Heupferden, sondern von den Tramps die Rede gewesen, die auf der zoologischen Leiter allerdings auch keine höhere Sprosse inne haben. Sie werden, wie wir alle denken, hinter uns her nach dem Squirrel-Creek reiten wollen; aber ob sie ihn finden werden, Mr. Shatterhand?“

„Sicher.“

„Sie wissen aber doch nicht, wo er liegt!“

„Sie haben unsere Fährte.“

„Ich traue ihnen nicht zu, gute Fährtenleser zu sein.“

„Ich auch nicht; aber wir kommen heut den ganzen Tag nur über Prairieland und werden eine Fährte machen, welche man noch morgen deutlich sehen kann. Außerdem vermute ich, daß einer bei ihnen ist, welcher den Weg nach dem Squirrel-Creek kennt.“

„Wer ist das?“

„Der weiße Medizinmann.“

„Tibo taka? Woher sollte dieser imitierte Komantsche ihn kennen?“

„Er ist früher, ehe er zu den Komantschen kam, hier in dieser Gegend gewesen. Ob er sich speziell auf diesen Creek besinnen wird, das kann ich natürlich nicht wissen, aber es ist doch anzunehmen, daß er wenigstens die ungefähre Lage desselben kennt.“

Well! Aber ob er sich den Tramps anschließen wird?“

„Gewiß!“

„Er hat sich doch mit Old Wabble entzweit, gestern auf der Prairie!“

„Aber heut wieder mit ihm vereinigt! Und wenn dies nicht so wäre, so betrachtet er uns genau ebenso als seine Feinde, wie die Tramps uns als die ihrigen ansehen; es liegt also nichts näher, als daß er sich mit ihnen vereinigt, uns zu folgen.“

„Aber ob sie ihn mitnehmen werden?“

„Ohne Zweifel! Übrigens macht er keinen Umweg, wenn er mit ihnen reitet, weil er auch nach dem Park von San Louis will.“

„So bekommen wir ihn wohl da oben zu sehen?“

„Mehr, als ihm lieb sein wird!“

Well, so bin ich befriedigt! Der Kerl hat ein solches Ohrfeigengesicht, daß ich mich auf dieses Wiedersehen herzlich freue. Ich werde ihm mit den Fäusten so in diesem Gesichte herumlaufen, daß meine Fährte noch jahrelang zu lesen sein wird!“

Unser Weg führte, wie schon gesagt, fortgesetzt über ein langsam aber stetig ansteigendes Savannenland. Während wir am Vormittage das Gebirge wie eine ununterbrochene, verschleierte Mauer in der Ferne liegen sahen, rückten wir demselben während unsers schnellen Rittes immer näher; die Schleier fielen, und am Nachmittage waren uns die den eigentlichen Rocky-Mountains vorgeschobenen Sandriesen so nahe gerückt, daß wir die zwischen den sie bedeckenden Wäldern lachsgelb hervorschimmernden nackten Felsenmassen klar und deutlich erkennen konnten.

Es dunkelte bereits, als wir den Squirrel-Creek erreichten, und zwar an einer Stelle, welche uns von früher her bekannt war, so daß wir nicht lange nach einer als Lagerplatz passenden Stelle zu suchen brauchten.

Ich hatte mit Winnetou schon zweimal je eine Nacht hier zugebracht, die Umgebung des Ortes war uns also wohlbekannt. Wir hätten sie zu unserer Sicherheit auch heut gern abgesucht, doch war es schon zu dunkel dazu. Wir ergaben uns dem Zwange zu dieser Unterlassungssünde ohne großes Widerstreben, denn wir hatten schon damals kein Zeichen davon entdeckt, daß jemals ein menschlicher Fuß hierhergekommen sei, und auch jetzt war der Lauf des Squirrel-Creek im allgemeinen noch so unbekannt, daß es keinen Grund gab, anzunehmen, daß sich grad heut und grad hier eine grad uns feindliche Person aufhalten könne.

Der Creek machte einen kurzen engen Bogen und schloß eine rings von Felsen umgebene Lichtung ein, auf welcher wir ein nach Indianerart mehr glimmendes als loderndes Feuer anzündeten. Das gegenüberliegende Ufer war mit dichtem Gebüsch bedeckt, welches sich jenseits wieder in eine Prairie verlor. Zu essen hatten wir genug, weil wir nicht nur unsern Proviant, sondern auch denjenigen der Tramps mitgenommen und ihnen gar nichts davon gelassen hatten. Sie sollten durch die Jagd aufgehalten werden.

Während des Essens lachte Hammerdull einmal laut auf und sagte dann: „Mesch’schurs, soeben kommt mir ein außerordentlich guter Gedanke!“

„Dir?“ fragte Holbers. „Welche Seltenheit!“

„Hast du nicht gleich wieder deine Hand im Reispudding?! Wenn die guten Gedanken bei mir so selten wären, wie du glauben machen willst, würdest du doch selbst der Blamierte sein!“

„Wieso?“

„Wäre es etwa keine Blamage, daß du, der Ausbund aller Klugheit und Pfiffigkeit, mit einem so dummen Menschen reitest?“

„Ich thue das nur aus Mitleid; da blamiere ich mich nicht.“

„Höre, das Mitleid ist ganz nur auf meiner Seite! Wenn du das nicht anerkennst, so lasse ich dich einfach sitzen!“

„Ja; du lässest mich sitzen und setzest dich mit her zu mir! Aber sag, alter Dick, welchen Gedanken hast du denn gemeint?“

„Ich will die Tramps ärgern.“

„Das ist unnötig. Die ärgern sich schon jetzt mehr als genug.“

„Noch lange nicht genug! Meint Ihr nicht, Mesch’schurs, daß sie annehmen werden, wir seien gleich nach der Bonanza geritten?“

„Das ist möglich,“ antwortete Treskow.

„Nicht nur möglich, sondern ganz sicher ist’s! Sie werden denken, wir suchen die Stelle sofort auf, um den Fundort so zu verstecken und unkenntlich zu machen, daß er nicht zu entdecken ist. Da müssen wir uns einen großen Spaß mit ihnen machen.“

„Welchen?“

„Wir scharren hier irgend eine Stelle auf und decken sie dann in der Weise wieder zu, daß sie leicht zu erkennen ist und jedermann gleich sehen muß, daß wir hier gegraben haben. Sie werden die Stelle natürlich für die Bonanza halten und sich mit größtem Eifer daran machen, nachzuwühlen.“

Well! Dann finden sie nichts!“ nickte Treskow.

„So meine ich es nicht.“

„Wie denn?“

„Wenn sie bloß nichts finden, so ist auch das nichts anderes, als wenn sie sonst irgendwo am Creek vergeblich suchen. Sie würden nur enttäuscht sein; ich will sie aber ärgern, tüchtig ärgern.“

„So sagt, auf welche Weise!“

„Sie sollen etwas finden.“

„Etwa Gold?“

Pshaw! Und wenn ich im Golde bis über die Ohren steckte, diese Kerls ließe ich kein Körnchen finden, selbst zum Spaße nicht. Sie sollen etwas anderes finden, nämlich einen Zettel, einen schönen Zettel.“

„Einen beschriebenen?“

„Natürlich! Eben das, was darauf steht, soll sie riesig ärgern.“

„Dieser Gedanke ist freilich gar nicht übel!“

„Ob er übel ist oder nicht, das bleibt sich ganz gleich, wenn es ihnen nur übel dabei wird. Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, ich meine, daß die Sache ein ganz guter Spaß ist, den wir uns wohl machen können.“

„Nicht wahr, alter, lieber Freund!“ sagte der Dicke in seinem süßesten Tone, weil diese Zustimmung ihn erfreute. „Du bist wirklich zuweilen nicht ganz und gar so dumm, wie du aussiehst!“

„Ja, das ist eben der große Unterschied zwischen mir und dir.“

„Unterschied? Wieso?“

„Ich bin nicht so dumm, wie ich aussehe, und du siehst gescheiter aus, als du bist.“

„Alle Wetter! Bring mich nicht schon wieder in Rage! Du bist nicht nur dümmer, als du aussiehst, sondern du bist sogar noch viel dümmer, als du bist! So, das ist die richtige Meinung, die ich von dir habe!“

Well! Über die Dummheit streiten sich selbst die Götter mit Dick Hammerdull vergebens; das ist eine alte, überall bekannte Sache. Was aber den Zettel betrifft, den die Tramps finden sollen, wo willst du ihn hernehmen? In der Prairie wächst kein Papier.“

„Ich weiß, daß Mr. Shatterhand eine Brieftasche hat.“

„Die willst du wohl haben?“

„Oh, nur ein Blatt!“

„Er wird sich hüten!“

„Nein; er wird mir eins geben!“

„Wenn du das denkst, so weißt du nicht, was ein unbeschriebenes Blatt Papier hier im wilden Westen für einen Wert besitzt!“

„Das weiß ich wohl; aber mein Gedanke ist so köstlich, daß man gar wohl so ein Opfer bringen kann, um ihn auszuführen. Nicht wahr, Mr. Shatterhand?“

„Es fragt sich, ob ich diesen Gedanken auch für köstlich halte,“ antwortete ich.

„Ist er es etwa nicht?“

„Nein.“

„Sprecht Ihr im Ernst?“

„Ja. Er ist weder köstlich noch auch nur drollig, höchstens kindlich.“

„Kindlich! Also ist Dick Hammerdull ein kindlicher Kerl?“

„Zuweilen, ja.“

„Oder meint Ihr etwa gar kindisch?!“

„Hm! Wollen nicht Worte klauben! Erstens ist es noch gar nicht so zweifellos sicher, daß die Tramps grad hierher kommen. Sie können durch irgend einen unvorhergesehenen Umstand abgelenkt werden.“

„Und zweitens?“

„Zweitens wären sie geradezu überdumm, wenn sie annähmen, daß wir direkt nach der Bonanza geritten seien. Wenn es hier wirklich eine gäbe, müßten wir sie eher meiden als aufsuchen.“

„Oh, sich das zu denken, dazu sind diese Kerls nicht klug genug.“

„Und wenn es so ist und so wird, wie Ihr denkt, was haben wir davon? Wir sind doch nicht dabei, wenn sie den Zettel finden.“

„Das ist auch nicht nötig. Ich male mir in Gedanken ihre Gesichter so aus, daß ich sie genau so sehe, als ob ich dabei wäre.“

„Was soll dann auf dem Zettel stehen?“

„Das beraten wir. Es muß so sein, daß sie vor Ärger platzen!“

Er war für seine allerdings kindische Idee ganz Feuer und Flamme und bat mich so lange, bis ich ein Blatt aus meinem Notizbuche riß und es ihm mit dem Bleistifte gab. Nun sollte vor allen Dingen beraten werden, was darauf zu schreiben sei. Ich wurde um die Autorschaft angegangen, gab mich aber weder zu ihr noch zur Mitarbeiterschaft her; Treskow und die drei Häuptlinge folgten meinem Beispiele, und so blieben für die große litterarische Arbeit nur Hammerdull und Holbers übrig. Der letztere meinte:

„Du, schreiben kann ich nicht gut; das mußt du machen.“

„Hm!“ brummte der Dicke. „Ich habe es gelernt, aber es hat einen großen Haken.“

„Welchen denn?“

„Ich kann nicht lesen, was ich geschrieben habe.“

„Aber andere können es?“

„Andere erst recht nicht!“

„Da sitzen wir freilich im Pfeffer! Na, wenn die Gentlemen hier die Schrift nicht mit aussinnen wollten, so wird wohl einer von ihnen wenigstens so gut sein, sie auf das Papier zu bringen?“

Nach einigen Fragen und Bitten gab sich Treskow dazu her.

Well; so kann es losgehen!“ sagte Hammerdull. „Fang an, Pitt!“

„Ja,“ antwortete dieser; „die leichten Sachen übernimmst du stets; aber wenn es einmal etwas recht Schwieriges giebt, da bin allemal ich es, der anfangen soll! Fang lieber selber an!“

„Du wirst doch dichten können!“

„Na, was das betrifft, das kann ich schon! Du aber auch?“

„Mit Vergnügen! Im Dichten bin ich ein ausgezeichneter Kerl.“

Unter „dichten“ verstanden sie nach Art vieler Analphabeten nur die Anfertigung eines Schreibens überhaupt. Treskow, der das wohl wußte und sich einen Spaß machen wollte, bemerkte:

„Dichten? Wißt ihr denn auch, daß sich die Zeilen da reimen müssen?“

„Reimen?“ fragte Hammerdull, indem er vor Erstaunen den Mund weit öffnete. „Tausend Donner! Daran habe ich ja gar nicht gedacht. Also reimen, reimen muß sich die Geschichte?“

„Natürlich!“

„Wie denn zum Beispiel?“

„Schmerz und Herz, Meer und leer, Geld und Welt, so ungefähr.“

Es wurde englisch gesprochen; also entnahm er seine Reime nicht der deutschen, sondern der englischen Sprache. Ich muß, da ich deutsch schreibe, andere Worte angeben, bringe aber solche, welche ganz desselben Kalibers sind, wie diejenigen, welche Hammerdull nun wählte. Er nickte nämlich sehr eifrig mit dem Kopfe und sagte:

„Wenn es weiter nichts ist! Das kann ich auch! Da will ich zum Beispiel sagen: Hund und Schund, Klapps und Schnapps, Speck und Dreck, Pantoffel und Kartoffel. Das geht doch ganz famos! Wie steht es denn da mit dir, lieber Pitt? Kannst du das auch?“

„Warum nicht? So ein Kerl, wie ich bin!“ antwortete der Lange.

„So sag auch mal was!“

„Sofort! Also, jetzt geht es los: Brei und Ei, Rumpf und Strumpf, Syrup und – – und – – Syrup und – – – und – – -und – –“

„Du, zum Syrup scheint es nichts zu geben; ich finde auch nichts. Sag da lieber etwas anderes!“

„Schön! Also: Paul und Maul, Knabe und Schwabe, Tinte und Flinte, Gustel und Pustel, Kuh und du – –“

Da fiel der Dicke rasch ein:

„Hör auf; hör auf! Wenn du mich mit einer Kuh zusammendichtest, was soll da für ein Reim daraus werden! Aber ich höre schon, daß es gehen wird. Fangen wir also gleich miteinander an!“

„Gleich miteinander? Nein! Wer sich den Gedanken mit dem Zettel ausgesonnen hat, der muß anfangen, und das bist doch du!“

Well! Da mag es losgehen!“

Er rückte höchst unternehmend hin und her und bemühte sich, seinem Gesichte einen möglichst geistreichen Ausdruck zu geben, erreichte aber gerade das Gegenteil davon. Die Arbeit begann, und was für eine!

Ich habe Holzhacker, Eisengießer, Lastträger, Schiffsfeuerleute, Kesselschmiede und dergleichen im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten sehen; aber ihre Anstrengung war das reine Kinderspiel gegen das Aufgebot aller Geisteskräfte, unter welchem Hammerdull und Holbers sich würgten, einige sich reimende Zeilen zusammenzusetzen. Wir sahen und hörten still, aber innerlich lachend, zu. Treskow warf zuweilen einen hilfreichen Brocken in die sprachliche, dicke Suppe, und so kamen nach Verlauf von vielleicht einer Stunde unter Husten, Räuspern, großem Schweiß und Angstgestöhne sechs Zeilen zusammen, welche er auf das Blatt schrieb. Sie wörtlich wiederzugeben, ist rein unmöglich; ich will ihnen hier in deutscher Sprache eine möglichst lesbare Gewandung verleihen:

„Wie sind die Kerle doch so dumm!
Vergebens wühlen sie herum
Und können weder vorn noch hinten
Die goldene Bonanza finden,
Die wir uns doch nur ausgedacht,
Worüber alle Welt jetzt lacht!“
Dick Hammerdull. Pitt Holbers.

Also auch mit der Unterschrift der beiden Angst- und Qualpoeten mußte Treskow das Meisterwerk versehen, und dann machten sie sich an das Aufwühlen des Bodens, welches ihnen, obgleich derselbe sehr steinigt war, viel leichter als das „Dichten“ wurde. Sie arbeiteten wohl zwei Stunden lang, bis sie meinten, daß das so entstandene Loch für ihre Zwecke tief genug sei. Das Schreiben wurde hineingelegt, nachdem es so umwickelt worden war, daß es die Feuchtigkeit der Erde nicht anzog, und dann füllten sie die Grube wieder zu. Sie stampften dabei die Steine und die Erde mit den Füßen so fest wie möglich, damit die Tramps sich sehr anzustrengen hätten, und dachten nicht daran, daß ihre eigene Anstrengung noch viel größer sei als die, welche sie diesen Leuten bereiteten.

Daß dieses Graben, Treten, Werfen und Stampfen nicht ohne Geräusch abging, läßt sich denken. Wäre die Gegend, in welcher wir uns befanden, nicht eine so abgelegene und überaus selten besuchte gewesen, so hätten wir den kindischen Scherz gar nicht geduldet. Die Genugthuung, welche Hammerdull schon im voraus empfand, sollte ihm gegönnt werden; aber es gab einen, der sie bezahlen mußte, und dieser eine war, leider nicht zu meinem Vergnügen, ich!

Das Loch war gefüllt; wir saßen rund um das Feuer und unterhielten uns nach alter Gewohnheit nur in halblautem Tone miteinander. Da sah ich, daß Winnetou seine Silberbüchse beim Schloß ergriff und langsam und möglichst unauffällig an sich zog. Zugleich zog er den rechten Fuß an, so daß sich das Knie hob. Es war kein Zweifel, er wollte schießen, und zwar galt es einen Knieschuß, den schwersten, den es giebt; ich habe ihn schon oft beschrieben. Sein Gesicht war nach dem Wasser gerichtet. Er mußte jenseits desselben einen Menschen im Gebüsch entdeckt haben, den er mit seiner Kugel treffen wollte.

Der Knieschuß wird nur in ganz bestimmten Fällen angewendet. Man entdeckt einen Feind, von welchem man aus einem Verstecke heraus beobachtet wird; man muß, um sich selbst zu retten, ihn töten. Nimmt man das Gewehr hoch, um zu zielen, so sieht er das, ist gewarnt und verschwindet. Um dies zu vermeiden, wird der Knieschuß gewählt, so genannt, weil dabei das Knie den Zielpunkt angiebt. Man zieht nämlich den Unterschenkel so weit an sich, bis der Oberschenkel genau so liegt, daß seine Verlängerungslinie über das Knie hinaus die Stelle berühren würde, welche man treffen will. Dann greift man zum Gewehre, was nicht auffallen kann, weil jeder gute und erfahrene Westmann es stets neben sich liegen hat. Jeden Anschein vermeidend, als ob man schießen wolle, spannt man mit dem rechten Daumen den Hahn, legt den Zeigefinger an den Drücker und hebt, natürlich immer nur mit der einen, rechten Hand, den Lauf empor und legt ihn fest an den Oberschenkel, genau in die beschriebene Richtungslinie. Der Lauscher darf, obgleich die Mündung nun auf ihn gerichtet ist, auch jetzt noch nicht ahnen, daß man auf ihn schießen will; er muß durch Finten getäuscht werden: Man senkt die Augenlider, so daß er nicht merkt, wohin man sieht; das Zielen ist dabei freilich schwer, weil es nicht mit offenem Blicke, sondern durch die Wimperhaare hindurch geschieht, und weil man das andere Auge nicht schließen darf, um keinen Verdacht zu erwecken; man gestikuliert mit dem rechten Arme; man dreht den Kopf hin und her; man unterhält sich lebhaft mit den Kameraden; kurz, man thut alles, um bei dem Lauscher die Erkenntnis zu vermeiden, daß man ihn entdeckt habe und auf ihn schießen wolle. Hat nun der Lauf die richtige Lage, so drückt man los. Das ist der Knieschuß! Er wird die Kameraden auf alle Fälle erschrecken, weil man ihnen nicht hat sagen dürfen, was man vorhat; sie würden durch ihr Verhalten, ihre Gesichter, ihre Blicke, durch das plötzlich eintretende Schweigen den Feind mißtrauisch machen und ihm verraten, daß er gesehen worden ist. Es ist, wie gesagt, der schwerste Schuß, den es giebt. Wenn tausend Meisterschützen sich im Knieschusse üben, so kann es vorkommen, daß nicht ein einziger von ihnen es soweit bringt, daß er, besonders des Abends, seines Zieles sicher ist. Man muß jahrelang unausgesetzt üben, und doch thut es diese Übung, diese Ausdauer nicht allein, man muß auch dazu geboren sein. Ich habe den Knieschuß von Winnetou gelernt und außer uns beiden kaum zwei oder drei gekannt, denen von ihm eine gute Censur gegeben wurde. Auch sie schossen zuweilen fehl; er aber, der unübertreffliche Meister in allen Waffen des wilden Westens, hat niemals, selbst in der stockdunkelsten Nacht, einen Fehlknieschuß gethan. Ich habe überhaupt, nicht ein einziges Mal erlebt, daß eine seiner Kugeln am Ziele vorübergegangen ist.

Ich halte noch heut meine Waffen hoch. Mein Henrystutzen und mein Bärentöter sind noch jetzt meine wertvollsten Besitztümer. Kostbarer aber noch als sie ist mir Winnetous Silberbüchse, die ich schon, als er noch lebte, stets mit einer gewissen heiligen Scheu betrachtet oder in die Hand genommen habe. Als er erschossen worden war, haben wir ihn hoch zu Roß und mit allen seinen Waffen, also auch mit ihr begraben. Einige Jahre später kam ich mit meinen damaligen Gefährten bei der Verfolgung eines Truppes Ogellallah-Indianer grad dazu, daß die Sioux sein Grab öffneten und berauben wollten. Wir vertrieben sie nach hartem Kampfe. Sie hatten es auf die Silberbüchse abgesehen. Ich konnte natürlich nicht als Hüter seines Grabes stets im Thale des Metsurflusses bleiben, und da zu erwarten war, daß sich die Entweihung des Grabes wiederholen werde, nahm ich die Silberbüchse heraus und sorgte dafür, daß dies überall bekannt wurde. Die Sioux erfuhren, daß die Büchse nicht mehr zu haben sei, und ließen infolgedessen das Grab nun unversehrt. Jetzt hängt dieses herrliche Gewehr neben meinem Schreibtische, und während ich jetzt von ihm erzähle, habe ich es vor meinen Augen und gedenke in tiefer Wehmut dessen, den es nicht ein einziges Mal im Stich gelassen hat und der mein bester, vielleicht mein einziger Freund gewesen ist, das Wort Freund in seiner wahren, edelsten und höchsten Bedeutung genommen!

Ich habe dieser Bemerkung hier mitten in meiner Erzählung eine Stelle gegeben, um einen scheinbaren Widerspruch schon jetzt aufzulösen. Meine Leser wissen, daß Winnetou mit der Silberbüchse begraben wurde; jetzt kaufen sie sich Bilder von mir, unter denen es welche mit der Bezeichnung „Old Shatterhand“ mit „Winnetous Silberbüchse“ giebt; oder die wißbegierigen Besucher, welche fast täglich mit oft wunderbarer Harmlosigkeit von „Villa Shatterhand“ und meiner kostbaren Zeit Besitz ergreifen, sehen dieses Gewehr zwischen Sam Hawkens‘ alter „Gun“ und meinem Bärentöter hängen; da giebt es der brieflichen und mündlichen Fragen kein Ende. Man will nicht warten, bis ich in einem spätern Bande erzähle, wie die begrabene Silberbüchse wieder auferstanden ist, und so habe ich denn jetzt den schriftstellerischen Fehler begangen, eine hochgespannte Handlung durch eine nicht hineingehörige Auskunft zu unterbrechen. –

Also Winnetous Gesicht war nach dem Wasser gerichtet und der Lauf des Gewehres nach dem Gebüsche jenseits desselben. Dort steckte jemand, der die Kugel bekommen sollte. Ich legte mich sofort lang, griff nach dem Stutzen und hob mein rechtes Knie auch in die Höhe. Sofort mit Hammerdull ein Gespräch anknüpfend und mich stellend, als ob meine Aufmerksamkeit nur auf diesen gerichtet sei, senkte ich die Augenlider halb und richtete den Blick durch die Wimpern hinüber nach dem Gesträuch. Eben als ich dies that, kam unter einem Alderbusche ein Gewehrlauf zum Vorscheine, der auf mich gerichtet war, und ehe ich die kurze Zeit fand, den Stutzen nach diesem Punkte zu richten, krachte der Schuß, in demselben Augenblicke aber auch Winnetous Silberbüchse. Drüben erscholl ein Schrei; Winnetou hatte getroffen, und ich bekam einen Schlag, der mir das Bein streckte, auf oder an den Oberschenkel.

Die ganz ahnungslos gewesenen Kameraden sprangen auf, ich schnellte auch empor und stieß, während sie eine Menge Fragen hervorhasteten, mit den Füßen das brennende Holz auseinander, so daß das Feuer verlöschte. Das that ich, damit wir für weitere Schüsse keine Ziele böten. Kaum war es dunkel, so sagte der Apatsche:

„Meine Brüder mögen ganz ruhig sein und warten!“

Einen Augenblick später gab es drüben im Gebüsch einen prasselnden Krach, welchem sofort die tiefste Stille folgte. Der Creek war hier an dieser Stelle gewiß zwölf Fuß breit, trotzdem war Winnetou mit einem seiner unvergleichlichen Sätze hinüber- und mitten ins Gesträuch hineingesprungen. Wir lauschten.

Es verging eine lange, lange Zeit, wohl eine halbe Stunde. Mein Bein schmerzte mich, und als ich nach der betreffenden Stelle griff, fühlte ich, daß sie stark blutete. Ich war verwundet. Da ertönte von drüben herüber Winnetous laute Stimme:

„Laßt das Feuer wieder brennen!“

Ich schob die noch glimmenden Reste wieder zusammen, brachte sie durch Anblasen zum Brennen und legte Dürrholz zu. Nun sahen wir ihn drüben am Rande des Wassers stehen. Er hatte das eine Ende seines Lasso in der Hand; das andere war an einem neben ihm liegenden Menschenkörper befestigt. Ohne daß er vorher einen Anlauf nehmen konnte, sprang er, den Lasso festhaltend, wieder zu uns herüber und zog dann den bewegungslosen Körper, der dabei natürlich in das Wasser fiel, nach. Ich half ihm dabei. Während dies geschah, erklärte er uns:

„Ich sah da drüben ein Gesicht und schoß darauf; es war noch ein zweiter Mann dort, den ich nicht sah; der hat auch geschossen. Ich sprang hinüber, um zu erfahren, ob noch mehr Menschen da seien. Ich hörte einen fliehen und huschte ihm nach. Jenseits der Büsche waren fünf Reiter, aber sieben Pferde; der Fliehende eilte hin zu ihnen und sagte, daß er Old Shatterhand erschossen habe, daß aber sein Gefährte von Winnetou getötet worden sei. Es waren Bleichgesichter, ohne einen roten Mann dabei, denn derjenige, welcher nun auf das eine ledige Pferd stieg, sprach ein reines Englisch. Sie warteten noch eine Zeitlang, und als der nicht kam, den Winnetou erschossen hat, sagte der Entflohene: Er ist tot, sonst würde er kommen oder um Hilfe rufen. Wir müssen fort, denn man wird nach uns Suchen; aber mein Wunsch ist erfüllt und meine Rache gestillt, denn Old Shatterhand ist tot! Winnetou erschrak über den Tod seines Freundes, kroch zurück, dahin, wohin er gezielt hatte und fand die Leiche des Getroffenen. Er band ihn an den Lasso und gebot, wieder Feuer zu machen. Wie freute er sich, als er sah, daß sein Bruder Shatterhand noch lebt!“

„Wer mögen die Weißen gewesen sein?“ fragte Treskow.

„Die Tramps keinesfalls, denn die können noch nicht hier sein.“

Ich bog mich zu dem Toten nieder. Die unfehlbare Kugel des Apatschen war ihm in die Stirn gegangen. Ich erkannte ihn sofort: es war einer von Toby Spencers Rowdies. Treskow bestätigte dies, nachdem er ihn auch betrachtet hatte; er hatte ihn ja auch bei Mutter Thick in Jefferson-City gesehen. Man hatte jetzt nur auf diese Leiche und auf Winnetou geachtet; jetzt sah dieser dunkelnasse Stellen im Grase, folgte ihnen mit den Augen bis zu mir und rief dann erschrocken aus: „Uff! Mein Bruder ist verwundet, also doch getroffen worden! Das Blut läuft stark. Ist es gefährlich?“

„Ich glaube nicht,“ antwortete ich.

„Ist der Knochen verletzt?“

„Nein, denn ich kann stehen.“

„Aber es ist eine seltsame Wunde. In der Lage, welche mein Bruder hier am Boden hatte, konnte er gar nicht an dieser Stelle getroffen werden!“

„Das habe ich mir auch schon gesagt. Es war ein Fehlschuß. Die Kugel hat hier den Felsen getroffen und ist, von ihm abprallend, mir in den Schenkel gedrungen.“

„Das ist nicht gut. Prallschüsse verursachen Schmerzen. Ich werde sofort nach der Wunde sehen!“

„Lieber jetzt nicht gleich. Wir müssen fort!“

„Wegen der sechs Bleichgesichter da drüben?“

„Ja. Unser Feuer brennt wieder. Wenn sie umkehren, können sie uns mit der größten Bequemlichkeit auslöschen.“

„Sie kommen nicht, denn die Stimme dessen, welcher sprach, klang sehr ängstlich. Die Vorsicht treibt uns dennoch fort, vorher aber muß ich die Wunde untersuchen; sie steht schon lange offen; mein Bruder muß schon sehr viel Blut verloren haben; darum können wir es nicht länger hinausschieben, ihn zu verbinden.“

„So mag Hammerdull recht viel Holz in das Feuer werfen, daß es eine hell hinüberleuchtende Flamme giebt, und die andern mögen mit schußfertigen Gewehren das Ufer drüben bewachen und sofort schießen, wenn ein Zweig sich regt!“

Diese Untersuchung der Wunde ergab ein günstig-ungünstiges Resultat, günstig, weil das Oberschenkelbein unverletzt war, und ungünstig, weil die Wunde eine Eiterwunde zu werden versprach. Die Kugel war bis auf den Knochen durch die Weichteile gedrungen und wurde von Winnetou mit dem Messer herausgeholt. Sie war einseitig plattgedrückt und hatte mit der dadurch entstandenen Kante, zumal sie matt geworden war, keine glatte Wunde geschlagen, sondern das Fleisch zerfetzt. Das verhieß Wundfieber, heftige Schmerzen und eine langsame Heilung, vielleicht gar mit zurückbleibender Hyperostose. Fatal! Grad jetzt, wo jede Verzögerung unsers Rittes so bedenklich war!

Glücklicherweise führte ich einige reine Tücher in der Satteltasche mit. Indem mir Winnetou den einstweiligen Verband anlegte, sagte er: „Es ist sehr gut, daß mein Bruder gelernt hat, Schmerzen nach der Art der roten Krieger zu ertragen. Wenn wir nicht in kurzer Zeit genug Tschitutlischi finden, wird eine böse Entzündung eintreten; finden wir aber genug davon und vorher auch eine Dentschu-tatah, so hoffe ich, weil du eine so kräftige Natur und sehr gesundes Blut besitzest, daß du diese Verwundung nicht schwer überwinden wirst. Hoffentlich kannst du jetzt reiten?“

„Natürlich! Ich habe keine Lust, den schwachen Patienten zu spielen.“

„So wollen wir unserer Sicherheit wegen diesen Ort verlassen und einen andern suchen. Doch nimm dich in acht, daß keine neue Blutung entsteht!“

Wir verließen die für mich so unangenehm gewordene Stelle und folgten dem Creek fast eine Stunde lang abwärts, wo wir abstiegen und wieder ein Feuer anzündeten. Es wurden einige harzreiche Äste gesammelt, welche als Leuchten beim Pflanzensuchen dienen sollten; die drei Indianerhäuptlinge zündeten sie an und entfernten sich, um für ihren angeschossenen Freund und Bruder Shatterhand botanisieren zu gehen. Dick Hammerdull hatte sich neben mich gesetzt. Er hielt seine alten, guten Augen zärtlich auf mich gerichtet, strich mir plötzlich einmal mit überquellender, besorgter Zärtlichkeit über die Wange und knurrte dabei:

„Verteufelte Erfindung, diese Schießgewehre! Besonders dann, wenn die Kugeln treffen. Habt Ihr große Schmerzen, Mr. Shatterhand?“

„Gar keine jetzt,“ antwortete ich.

„So wollen wir hoffen, daß es bei dieser Handschuhnummer bleibt!“

„Das steht leider nicht zu erwarten. Jede Verletzung will sich ausschmerzen; eher heilt sie nicht.“

„Schmerz! Ein ganz miserables Wort! Und dennoch möchte ich, daß ich den Eurigen auf mich nehmen könnte! Ich bin da wohl nicht der einzige, der so denkt. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm,“ antwortete der Lange, „ich wollte lieber, ich wäre getroffen worden!“

„So! Warum hast du dich da denn nicht dorthin gesetzt, wohin der Kerl geschossen hat? Hinterher kannst du gut aufopfernd sein!“

„Bin ich allwissend, dicker Grobian?“

„Das nicht; aber wenn ich schon sage, daß lieber ich die Schmerzen haben möchte, brauchst du doch nicht auch welche zu verlangen!“

„Du hast mich doch gefragt! Und ich habe Mr. Shatterhand wenigstens ebenso lieb wie du!“

„Ob ich ihn lieb habe, oder ob du ihn lieb hast, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal, wenn wir ihn nur beide lieb haben; verstanden?! Wenn ich den Kerl erwische, der da so unvorsichtig geschossen hat, daß die dumme Kugel zurückfliegen mußte, so mag er seine zwölf Knochen nur zusammennehmen!“

„Zweihundertfünfundvierzig, lieber Dick!“ verbesserte ich ihn.

„Warum so viel?“

„Weil jeder Mensch so viel hat.“

„Desto besser, denn desto länger wird er zu suchen haben, ehe er sie zusammenfindet! Aber zweihundertfünfundvierzig Knochen? Ich habe die meinigen zwar noch nicht gezählt, jedoch daß unter meiner Haut so viele Knochen stecken, das habe ich bisher nicht geahnt!“

„Knochen und Knochen ist ein Unterschied; es sind da auch die kleinen Gehör- und Sesamknöchelchen mitgezählt.“

„Sesamknöchelchen? Sesam? Ich will auf der Stelle gelyncht, geteert und gefedert werden, wenn ich solche Sesambeine schon einmal gesehen habe! Pitt Holbers, du bist doch an Knochen viel stärker und reicher als ich, aber sind dir deine Sesamknöchelchen bekannt?“

Never mind! Glaubst du, ich habe mich schon einmal umgestülpt, wie man einen Handschuh umwendet, um die Sesams zu zählen, die in mir stecken? Daß ich sie habe, ist vollständig genügend; zu sehen und zu zählen brauche ich sie nicht.“

„Aber der Mensch, welcher geschossen hat, soll die seinigen zählen, wenn ich ihn erwische! Möchte wissen, wer er ist!“

„Wahrscheinlich Toby Spencer selbst.“

„Schöner Schütze!“

„Er hat früher jedenfalls besser geschossen, von mir aber bei Mutter Thick eine Revolverkugel in die Hand bekommen und zwar zu meinem Glücke, denn wenn das nicht wäre, lebte ich jetzt nicht mehr; gezielt war’s gut, aber zitterig abgedrückt. Da war doch Winnetous Schuß ein anderer! Ein Knieschuß in die Dunkelheit hinein, und doch grad in die Stirn! Übrigens werden die Tramps morgen große Augen machen, wenn sie den Toten an unserm Lagerplatze finden!“

Well! Sie werden da erst recht denken, daß sich die Bonanza dort befindet, denn sie müssen doch annehmen, daß wir den Mann erschossen haben, weil er das Placer entdeckt hat.“

„Möglich, daß sie das denken! Aber Eure Bonanzageschichte ist schuld, daß ich verwundet worden bin.“

„Ah, wirklich? – Wieso denn?“

„Der Lärm, den Ihr mit Eurem Loche gemacht habt, hat die Leute herbeigezogen; sie haben ihn gehört.“

„Hm! Ich kann nicht widersprechen. Ihr macht mir also Vorwürfe?“

„Nein. Was geschehen ist, ist vorüber; niemand kann es ändern. Doch hört, da kommen die Häuptlinge!“

Ja, sie kamen. Winnetou teilte mir in erfreutem Tone mit:

„Mein Bruder Shatterhand mag froh sein, denn wir haben viel Tschitutlischi und auch mehrere Dentschu-tatah gefunden; er wird also die Verwundung leichter, wenn auch nicht ohne Schmerzen, überstehen.“

Wenn ich auch nicht an ein „leichtes Überstehen“ dachte, so war es mir doch außerordentlich lieb, diese Worte von ihm zu hören. Bei einem Verbande, wie ich ihn jetzt trug, waren die Folgen gar nicht abzusehen. Ich hätte vielleicht auf den Weiterritt verzichten müssen, wenn nicht gar noch Schlimmeres eingetreten wäre. Ich kannte die außerordentliche Heilkraft seiner Wundpflanzen und war nun überzeugt, daß ich die Blessur ohne schweren Nachteil überwinden würde.

Der Verband wurde wieder abgenommen und die Wunde ausgewaschen; dann fertigte Winnetou aus einem weichen Blatte einen passenden Pfropf, den er mit dem beizenden Safte des Dentschu-tatah tränkte. Diese Pflanze gehört wie unser Chelidonium in die Familie der Papaveraceen, unterscheidet sich aber von diesem dadurch, daß sie keinen rotgelben Milch-, sondern einen weißen, dünnflüssigeren Saft hat. Als mir der Pfropfen in die Wunde gedreht wurde, war es, als ob ich ein glühendes Eisen hineinbekäme. ich bin gewohnt, Schmerzen zu verbeißen, mußte mich jetzt aber doch zusammennehmen, um ein unverändertes, ja lächelndes Gesicht zu zeigen. Winnetou sah mich an und sagte, mit dem Kopfe nikkend:

„Ich weiß, daß Old Shatterhand jetzt am Marterpfahle hängt; da er diesen Schmerz mit Lächeln übersteht, würde er auch an einem wirklichen Pfahle lachen. Howgh!“

Die höchst schmerzhafte Prozedur wurde noch zweimal wiederholt, wobei jedesmal die Empfindung weniger peinigend war. Dann träufelte mir der Apatsche den wasserhellen Saft der Tschitutlischi ein, legte das Kraut auf die Wunde und verband sie fest. Dieses Kraut gehört in die Familie der Plantagineen, ist aber keineswegs unser Wegebreit. Ich habe beide Pflanzen, welche wahrhaft Wunder wirken, nicht in Deutschland, auch nicht im Osten der Vereinigten Staaten gefunden. Die Apatschen nennen, außer den zwei schon angeführten Namen, das eine wie das andere Kraut Schis-inteh-tsi, zu deutsch „Indianerpflanze“ und behaupten, daß es ein Geschenk des großen Geistes für seine roten Söhne sei, nur da wachse, wo sie wohnen, sich mit ihnen aus dem Osten nach dem fernen Westen zurückgezogen habe und mit ihnen einst aussterben werde. Selbst Winnetou, der stets so vorurteilslose, behauptete einst in vollstem Ernst zu mir.-

„Wenn der letzte Indianer stirbt, wird auch das letzte Blatt Schis-inteh-tsi verwelken und nie wieder grünen. Es blüht mit der roten Nation in jenem Leben wieder auf!“

Es war doch möglich, daß die sechs Weißen, welche Winnetou gesehen hatte, wieder zurückgekehrt waren und uns beobachtet hatten. Wir trafen die gebotenen Vorsichtsmaßregeln und losten die Wachen aus, wovon indessen ich als Verwundeter entbunden wurde. Ich schlief trotz der Verletzung bis zum frühen Morgen fest, wo ich aber von einem Gefühle des Zerrens und der Trockenheit aufgeweckt wurde. Winnetou lag seinen chirurgischen Pflichten wieder ob, wobei heut nur der zweite Saft in Anwendung kam; dann aßen wir und brachen nachher auf.

Es galt natürlich zunächst, zu erfahren, wer die sechs Weißen gewesen waren. Wir setzten über den Creek und ritten, um mich zu schonen, langsam weiter, während der Apatsche fortgaloppierte, um die gesuchte Fährte zu entdecken. Es dauerte gar nicht lange, bis er kam und uns zu ihr führte. Sie lief in unserer Richtung über die Prairie, was wir uns gleich gedacht hatten. Wir wußten ja, daß Toby Spencer auch hinauf nach dem Park von San Louis wollte. Natürlich folgten wir ihr.

Diese Prairie war nicht groß; es hörten jetzt überhaupt die Ebenen auf, die oft so langweilig sind und doch den erhabenen Eindruck des Oceans machen. Wir kamen, um mich so auszudrücken, an die Vorhöhen der Vorberge und mußten von jetzt an auf einen geradlinigen Ritt verzichten. Gut war es, daß wir die Wege und Pässe, welche wir aufzusuchen hatten, kannten. Zunächst galt es, den alten, sogenannten Kontinentalpfad zu erreichen, einen früher vielbelebten Westmannsweg, welcher in unzähligen Windungen über die Mountains führt, zur jetzigen Zeit aber vergessen worden zu sein scheint.

Da wir den grasigen Boden verlassen hatten, war die Fährte, welcher wir folgten, nicht leicht zu lesen. Oft verschwand sie für längere Zeit ganz; wir trafen aber immer wieder auf sie, ohne uns große Mühe gegeben zu haben sie zu finden, und so nahmen wir an, daß die uns Vorausreitenden auch nach dem Kontinentalpfade wollten.

Erwähnen muß ich, daß ich bei jedem Wasser, an welches wir kamen, abstieg, um meine Wunde zu kühlen, was so, wie ich es machte, freilich nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Ich hatte mir nämlich über dem Knie einen Riemen so fest um den hohen Stiefel gebunden, daß das untere Bein luftdicht abgeschlossen war; dann schöpfte ich mir den oberen Teil des Schaftes mit den Händen voll Wasser, und dieses reichte fast stets so weit, bis es wieder frisches gab. Zuweilen stieg ich gar nicht ab und ließ mir von einem der Gefährten „den Stiefel füllen“.

Man glaubt nicht, welchen Eindruck die Rocky-Mountains machen, wenn man so lange Zeit von Tag zu Tag vergeblich nach dem Horizonte der weiten, unendlich scheinenden Ebene gejagt hat. Auf der Savanne flieht er fort und fort ins Weite, in die Endlosigkeit; das Auge bittet förmlich um einen festen Halt, doch ohne ihn zu finden; es ermüdet und blickt doch immer wieder sehnend auf – – vergeblich, vergeblich! Der wie ein Halm im grenzenlosen Grasmeere sich fühlende Mensch wird zum Ahasver, der nach Ruhe schreit und doch keine findet. Da endlich tauchen nach langem Sehnen und Wünschen in der Ferne die grauen Schleier auf, hinter denen das Kanaan des Auges seine Berge gen Himmel streckt. Sie bilden nicht einen Horizont, welcher, unerbittlich zurückweichend, immer treulos flieht; nein, dieser Vorhang ist treu, hält Wort! ja, er scheint nicht nur auf unser Nahen zu warten, sondern uns entgegenzukommen. Und je mehr wir uns ihm nähern, desto mehr gewinnt er an Durchsichtigkeit; oder er hebt sich allmählich höher und höher und läßt uns nach und nach die Herrlichkeiten sehen, viel schöner noch, als er sie uns von weitem schon versprochen hat. Nun gewinnt das Auge Halt und das Leben Farbe und Gestalt. Glich die Savanne einer keinen Anfang und kein Ende bietenden Tafel, auf welcher die große, erhabene Rune „Ich, der Herr, bin das Alpha und das Omega!“ zu lesen war, so steigen jetzt die in Stein erklingenden Hymnen von der Erde auf und jubilieren: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Berge verkündigen seiner Hände Werk; ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht thut es der andern kund!“ Und dieser steinerne Jubel ruft den Widerklang der Seele wach; es falten sich die Hände, und die Lippen öffnen sich zum Gebete: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Deine Weisheit hat sie geordnet, und die Erde ist voll von deiner Liebe und Güte!“

So, grad so habe ich stets empfunden, wenn ich aus diesen Ebenen nach diesen Bergen kam. Tausende stiegen hinauf, mit tödlichen Waffen in den Händen, um schonungslos die Geschöpfe Gottes niederzumetzeln; Tausende stiegen und steigen noch heut hinauf, vom trügerischen Glanze des Goldes und des Silbers geblendet, um das ihnen von Gott geliehene Leben an den verderblichen Mammon zu wagen; wie viele waren unter ihnen, welche, wenn sie das Bibelwort kannten: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, auf denen mein Heil und meine Hilfe wohnt,“ dabei an ihr wahres Heil und an den allein rechten Helfer dachten?

Ich ritt auch heut hinter den Gefährten her, um nicht gestört zu sein, und ließ die Farben und Lichter, welche von oben glänzten, mir in die Seele leuchten; denn die Felsenberge sind reicher an Farben und zeigen erhabenere Lichter als jedes andere Gebirge der Erde. Es ist nicht die massigstolze Erhabenheit der Alpen, nicht die epische der Pyrenäen und nicht die unnahbare, niederdrückende des HimaIaja, sondern es ist eine Hoheit, welche zwar mit ernster Würde doch mild lächelnd niederschaut. Wenn die alten Griechen ihren Göttern den Olymp zur Wohnung gaben, so hatte und hat der Indianer weit größere Berechtigung zu dem Glauben, daß auf diesen Bergen sein großer, guter Manitou wohne.

Wir ritten heut noch lange nicht im Gebirge, sondern erst unten, zwischen den weit ausgreifenden Zehen der Bergesfüße dahin, und doch schon welche Herrlichkeit rings um uns her! Bei jeder Wendung ging ein neuer Vorhang auf und bot ein andres, schönes Bild. Es war ein unvergleichliches Wandelpanorama, nur wandelten wir, und Gottes Berge standen. Schon sandte uns der hohe Wald seine Ausläufer grüßend entgegen: „Willkommen! Mein Dom ist ein Tempel, von keines Menschen Hand gemacht!“ Das waren nicht die trüben, trägen Wasser der Savanne, welche uns klar und hell mit fleißigen Sprüngen ereilten und uns mahnend zuplätscherten: „Wie du da oben meine Quelle suchst, so strebe immer nach dem Urgrund aller Dinge!“ Und die Winde, welche uns bei jeder Biegung des Weges entgegenwehten und die Wangen kühlten, sie säuselten uns zu: „Du weißt nicht, von woher wir kommen und wohin wir gehen; uns leitet der Herrscher aller Dinge. So ist auch das Leben des Menschen; du kennst weder seinen Beginn noch seinen Verlauf; der Herr allein weiß es und leitet es!“

Nicht wahr, lieber Leser, ich bin doch ein ganz übermäßig frommer Mensch? So wirst du vielleicht denken; aber du wirst dich da wohl irren. Übermäßig? Nein! Die wahre Frömmigkeit kennt kein Übermaß; sie kann überhaupt gar nicht gemessen werden. Ich bin ein stets gern seelenvergnügter, heiterer Gesell und weiß gar wohl, wem ich diese Heiterkeit verdanke. Du darfst es mir wirklich nicht übelnehmen, daß ich das, was ich drüben im wilden Westen dachte und fühlte, hier in der von der „Civilisation“ gebändigten Heimat niederschreibe. Was ich da drüben gethan und erlebt habe, das waren doch Ergebnisse meiner Gedanken und Gefühle, und wenn ich dir die Folgen erzähle, darf ich doch die Ursachen nicht verschweigen! Überdies hat jeder Leser das Recht, seinem Autor in das Herz zu blikken, und dieser ist verpflichtet, es ihm stets offen zu halten. So gebe ich dir das meine. Ist es dir recht, so soll mich’s freuen; magst du es nicht, so wird es dir dennoch stets geöffnet bleiben. Soll ein Buch seinen Zweck erreichen, so muß es eine Seele haben, nämlich die Seele des Verfassers. Ist es bei zugeknöpftern Rock geschrieben, so mag ich es nicht lesen. –

Es war schon Nachmittag, als wir kurz vor einem Walde den Kontinentalweg erreichten. Wir kannten die sehr charakteristische Stelle, waren sicher, daß wir uns nicht irrten, und lenkten auf ihn ein. Bald befanden wir uns im hohen Walde, herrliche Tannen hüben und drüben, vor und hinter uns. Wir mochten uns wohl eine Viertelstunde in seinem Schatten befunden haben, als uns ein Reiter entgegenkam, ganz in leichtes Leinen gekleidet und mit einem sehr breitrandigen Sombrero auf dem Kopfe. Der Sombrero ist überhaupt in Colorado sehr beliebt.

Der Mann war jung, wohl nicht viel über zwanzig Jahre alt. Als er uns erblickte, hielt er sein Pferd an; sein scharfer Blick schien uns taxieren zu wollen. Bewaffnet war er nur mit einem Messer im Gürtel. Kurz ehe wir ihn erreichten, grüßte er uns:

Good day Gents! Möchte fragen, wohin ihr wollt?“

„Bergauf,“ antwortete ich.

„Wie weit?“

„Wissen es nicht genau. Wohl bis es dunkel wird und wir einen guten Platz zum Lagern finden.“

„Ihr seid Weiße und Rote. Darf ich eure Namen wissen?“

„Warum?“

„Weil ich Hilfe suche und sie nur bei Gentlemen finden kann.“

„So seid Ihr bei den richtigen Leuten. Ich heiße Old Shatterhand, und – –“

„Old Shatterhand?“ unterbrach er mich schnell. „Ich denke, Ihr seid tot!“

„Tot? Wer sagt das?“

„Der, welcher Euch gestern abend erschossen hat.“

„Ah! Wo ist der Kerl?“

„Bei uns.“

„Ja, wo ist denn nun das?“

„Sollt es gleich erfahren, Sir. Wenn Ihr der Seid, auf den diese Leute geschossen haben, so kann ich mich auf Euch verlassen. Vater ist Black-smith. Wir haben uns vor einiger Zeit hierher gemacht, weil jetzt an diesem alten Wege ein gutes Geld zu verdienen ist. Es sind da oben in den Bergen neue Gold- und Silberfunde gemacht worden, und es kommen täglich Leute vorüber, welche hinauf wollen und einen Schmied brauchen. Es ist uns ganz gut gegangen bisher; wir sind zufrieden, nur daß manchmal Menschen bei uns anhalten, welche alles sind, nur keine Gentlemen. So schlimm aber wie heut diese sechs Kerls, hat es noch niemand getrieben. Sie kamen vor vier Stunden an, haben für sich arbeiten lassen und wollen nicht bezahlen. Die Schwester hat sich verstecken müssen, warum, das brauche ich nicht zu sagen. Den Vater haben sie eingesperrt, und ich habe alles herschaffen müssen, was zu essen und zu trinken im Hause war. Fleisch, Mehl, Brot werfen sie einfach auf dem Fußboden herum, und die Flaschen fliegen, noch ehe sie ausgetrunken worden sind, nur so durch die Luft. Es gelang mir endlich, zu fliehen, und nun wollte ich in das Deep hinab, um meinen Bruder zu holen, welcher dorthin nach Fischen gegangen ist.“

„Wißt Ihr vielleicht, wie die Kerls heißen?“

„Einer heißt Spencer; ein anderer wird General genannt.“

Well! Ihr seid hier an die richtigen Leute gekommen und braucht nicht ins Deep zu reiten. Wir werden Euch helfen. Kommt!“

Er kehrte um, und wir ritten weiter. Nach einiger Zeit ging zu unserer rechten Hand der Wald zu Ende; linker Hand lief er noch weiter, indem er eine Krümmung machte und dann auch aufhörte. Wir hielten unter den letzten Bäumen an, weil einen guten, halben Büchsenschuß von uns ein Haus am Wege lag, dem man es gleich ansah, daß es eine Schmiede war. Es stieß eine Fenz daran, in welcher Pferde standen, wieviel, das konnten wir nicht sehen.

Winnetou sah mich fragend an. Es war kein Mensch außerhalb des Hauses; die Rowdies mußten also noch in der Stube sein; darum sagte ich:

„Das beste ist, wir überraschen sie. Also im Galopp hin, von den Pferden herunter, in das Haus hinein, und ihre Flinten weg, dann hands up! Vorwärts! Mr. Treskow bleibt vor der Thür bei den Pferden!“

Diese letztere Bestimmung traf ich, weil er kein Westmann war und bei dem hands up leicht einen Fehler machen konnte; auch mußte jemand die Pferde bewachen. Wir jagten vorwärts. Bei dem Hause angekommen, waren die andern im Nu aus dem Sattel; mit mir ging es etwas langsamer. Ich folgte ihnen. Das Innere bestand aus zwei Räumen, nämlich aus der Schmiedewerkstatt und der Stube; um in die letztere zu kommen, mußte man durch die erstere gehen. Als ich in die offene Stubenthür trat, standen die Kerls schon mit hochgehobenen Händen da; ich sah nur die Hände, nicht sie selbst, denn der Raum war klein; ich mußte unter der Thür stehen bleiben und hatte die Gefährten vor mir. Winnetou kommandierte eben:

„Wer den Arm sinken läßt, wird erschossen! Schahko Matto mag ihnen die Gewehre wegnehmen!“

Als dies geschehen war, gebot er weiter:

„Hammerdull nimmt ihnen die andern Waffen aus den Gürteln!“

Auch das wurde ausgeführt; dann befahl der Apatsche:

„Setzt euch längs der Wand nebeneinander nieder! jetzt könnt ihr die Hände niederthun; aber wer aufsteht, bekommt die Kugel!“

Jetzt schob ich Apanatschka und Holbers, welche mir im Wege standen, auf die Seite und trat vor. Da ertönte der Schreckensruf.

„Alle Teufel! Old Shatterhand!“

Es war Spencer. Er hatte mich bei Mutter Thick nicht gekannt, gestern aber, als er auf mich geschossen hatte, seinen Gefährten meinen Namen genannt; jetzt nannte er ihn wieder. Woher wußte er ihn? Diese Frage war jetzt nebensächlich; die Hauptsache war der Mann selbst. Ich sagte in strengem Tone zu ihm:

„Ja, die Toten stehen auf. Ihr hattet schlecht gezielt.“

„Gezielt –? Ich – –?“ fragte er.

„Versucht nicht, zu leugnen; es hilft Euch nichts! Könnt Ihr Euch besinnen, mit welchen Worten Ihr bei Mutter Thick in Jefferson City Abschied von mir nahmt?“

„Ich – – weiß – – nicht – – mehr,“ stammelte er.

„So will ich Eurem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Ihr sagtet: Auf Wiedersehen! Dann aber hebst du die Arme in die Höhe, Hund! Heut ist das Wiedersehen; wer aber hat sie hochgehalten, Ihr oder ich?“

Er antwortete nicht und sah vor sich nieder. Sein Gesicht sah aus wie dasjenige einer Bulldogge, welche Prügel bekommen hat.

„Heut rechnen wir freilich ganz anders ab als damals, wo Ihr nur die Zeche und ein zerbrochenes Glas zu berichtigen hattet,“ fuhr ich fort. „Ihr habt mich verwundet; das kostet Blut.“

„Ich hab nicht auf Euch geschossen,“ behauptete er.

Da zog ich den Revolver, richtete ihn auf ihn und sagte:

„Heraus mit dem Geständnisse! Wenn Ihr noch einmal lügt, so schieße ich. Seid Ihr es gewesen?“

„Nein – – ja – – nein – – ja, ja, ja, ja, ja!“ schrie er um so ängstlicher, je näher ich ihm den Lauf an den Kopf hielt.

„Euer hinterlistiges Verhalten hat Euer Kamerad gestern mit dem Leben bezahlt. Womit werdet Ihr mir die Wunde wohl bezahlen, die ich Euch zu verdanken habe?“

„Wir sind quitt!“ antwortete er trotzig.

„Wieso quitt?

Ihr habt mir die Hand zerschossen!“

Er hielt die verbundene rechte Hand empor.

„Wer war schuld daran?“

„Ihr! Wer sonst?“

„Ihr wolltet auf mich schießen, und ich kam Euch zuvor; das ist die Sache. Es war Notwehr von mir; ich hätte Euch erschießen anstatt bloß verwunden können. Wer und was hat Euch aber gestern zum Schuß gezwungen?“

Er schwieg.

„Wo ist der General?“

Douglas war nämlich nicht in der Stube; darum fragte ich nach ihm.

„Das weiß ich nicht,“ antwortete er.

„Ihr müßt es wissen!

Er hat nichts gesagt, als er ging.“

„Also hinaus, fort ist er doch?“

„Ja.“

„Wann?“

„Kurz, ehe Ihr kamt.“

„Kerl, Ihr wißt, wohin er ist! Da Ihr leugnet, mache ich kurzen Prozess und gebe Euch die Kugel.“

Er sah den Revolver wieder auf sich gerichtet. Solche rohe, gewaltthätige Menschen besitzen gewöhnlich nicht den wahren Mut. Er hätte sich denken können, daß ich nicht schießen würde, selbst wenn er leugnete; aber die Feigheit preßte ihm das Geständnis aus:

„Er wollte dem Sohne des Schmiedes nach.“

„Warum?“

„Weil er glaubte, dieser werde Leute holen.“

„So ist er auch nicht fort, kurz ehe wir kamen?“

„Nein.“

„Sondern wann?“

„Gleich, als der Boy weg war.“

„Zu Fuße?“

„Nein; er holte sein Pferd, weil der Boy auch nicht zu Fuße fort war.“

„Nach welcher Richtung ist er fort?“

„Wir haben nicht aufgepaßt.“

Well; die Sache wird sich bald aufklären, denke ich.“

Ich ging hinaus, um Treskow zu instruieren, für den Fall, daß der „General“ zurückkommen sollte. Bei ihm stand der Schmiedssohn, der aus Vorsicht nicht mit hineingegangen war. Von links her kam ein Mädchen gegangen. Auf sie zeigend, fragte ich den Boy:

„Wer ist das?“

„Meine Schwester,“ antwortete er.

„Welche sich vor diesen Rowdies versteckt hatte?“

„Ja.“

„Die muß ich fragen.“

Als sie herangekommen war, sagte ihr der Bruder, daß sie sich nun, weil wir da seien, nicht mehr zu fürchten brauche, und ich erkundigte mich:

„Wo habt Ihr gesteckt, Miß?“

„Drüben im Walde,“ antwortete sie.

„Während der ganzen Zeit?“

„Nein.“

„Wo sonst?“

„Ich sah meinen Bruder fortreiten und wollte ihm nach. Da kam der Mann, welcher General genannt wurde, aus dem Hause und holte sein Pferd aus der Fenz. Als er aufgestiegen war, sah er mich und ritt auf mich zu. Ich floh zurück; er holte mich aber ein, als ich den Wald grad erreicht hatte.“

„Und dann?“ erkundigte ich mich, da sie eine Pause machte.

„Dann kamen Reiter nach dem Hause.“

„Das waren wir. Hat er uns gesehen?“

„Ja. Er schien heftig zu erschrecken und stieß einen greulichen Fluch aus.“

„Erkannte er uns vielleicht?“

„Es schien so.“

„Hat er vielleicht in seiner Überraschung einen oder mehrere Namen genannt?“

„Ja. Ich glaube, er sprach von Old Shatterhand und einem gewissen Winnetou.“

„So hat er uns wirklich erkannt. Das ist unangenehm! Was that er dann?“

„Er ritt fort.“

„Ohne ein weiteres Wort zu sagen?“

„Er gab mir noch einen Auftrag.“

„An wen?“

„An Old Shatterhand.“

„Der bin ich. Was sollt Ihr mir sagen?“

„Das ist – – das ist – – – es würde Euch wahrscheinlich beleidigen, Sir.“

„Nein, gar nicht. Ich bitte Euch, mir jedes Wort genau zu sagen!“

„Er nannte Euch den größten Schuft auf Gottes Erdboden; er habe gar nichts dawider, falls es Euch beliebte, seine Begleiter aufzuhängen oder sonstwie zu töten, er aber werde mit Euch Abrechnung halten.“

„Das ist alles?“

„Weiter sagte er nichts. Aber daß er Euch so einen Schuft nannte, machte mir Angst auch vor Euch, und wenn ich nicht gesehen hätte, daß mein Bruder so lange und so ruhig vor der Thür stand, ohne daß ihm ein Leid geschah, wäre ich jetzt noch nicht gekommen.“

„Ihr könnt ruhig sein; man wird Euch nichts mehr thun.“

Ich ging wieder hinein, und der Sohn folgte mir.

„Nun, wißt Ihr, wo der General ist?“ rief mir Toby Spencer entgegen.

„Ja,“ antwortete ich.

„Wo?“

„Entflohen.“

„Ah! Wirklich entflohen?“ fragte er in frohem Tone.

„Ja. Ich mache es nicht wie ihr; ich sage die Wahrheit gleich beim erstenmal.“

„Gott sei Dank; so bekommt Ihr ihn also nicht!“

„Heut nicht, später aber um so sicherer. Euch aber habe ich fest.“

Pshaw! Ihr werdet uns gern loslassen!“

„Warum?“

„Aus Angst vor ihm.“

„Vor diesem Feigling, der ausgerissen ist, sobald er uns gesehen hat?“

„Ja. Er würde uns an Euch rächen!“

„Fällt ihm gar nicht ein! Er ist froh, daß er Euch los ist.“

„Das ist eine Lüge!“

Pshaw! Er hat mir durch die Tochter des Schmieds sagen lassen, daß er sich gar nichts daraus mache, wenn ich Euch aufhänge oder Euch sonstwie an das Leben gehe.“

„Das glaube ich nicht!“

„Ob Ihr es glaubt oder bezweifelt, ist mir sehr gleichgültig. Jetzt zu einer andern Angelegenheit! Wo ist der Wirt dieses Hauses?“

„Da unten im Keller,“ antwortete sein Sohn, indem er auf eine hölzerne Fallthüre zeigte, welche im Fußboden angebracht war.

„Ist er da eingesperrt worden?“

„Ja.“

„Mit Gewalt?“

„Ja. Sie haben ihn überwältigt und da hinabgeworfen.“

„Laßt ihn heraus!“

Es fehlte der Schlüssel. Spencer leugnete, daß er ihn eingesteckt hatte, gab ihn aber aus Angst vor meinem Revolver doch heraus.

In der Stube lagen Scherben von Flaschen, Gläsern, Töpfen und anderem Geschirr herum. Es war sehr wüst zugegangen. Als die Fallthür geöffnet worden war, kam der Schmied heraus, eine lange, starke, knochige Gestalt. Es hatte jedenfalls Anstrengungen gekostet, diesen Mann in das Verlies zu bringen, und er hatte sich gewehrt. Sein Gesicht war zerschlagen und zerkratzt; es blutete noch jetzt; er sah schrecklich aus. Nachdem er einen Blick um sich geworfen hatte und mir ansehen mochte, daß ich hier der Wortführer sei, wendete er sich an mich:

„Wer hat mich aus dem Keller gelassen?“

„Wir,“ antwortete ich.

„Wie heißt Ihr?

Old Shatterhand.“

„Ist das nicht der Name eines bekannten Westmannes?“

„Ja.“

„Aber die Roten hier! Ist denen zu trauen?“

„Sie sind berühmte Häuptlinge ihrer Nation und gewohnt, jeden Bedrängten zu beschützen.“

Well, so seid ihr zur rechten Zeit und an den rechten Ort gekommen, Mesch’schurs! Ist das nicht entsetzlich, daß rote kommen müssen, um einen ehrlichen Menschen gegen weiße Schurken zu beschützen? Ihr glaubt nicht, was das für armselige, niederträchtige Halunken sind!“

„Ich glaube es, denn wir kennen sie.“

„Ah?!“

„Ja. Wir haben auch eine Rechnung mit ihnen.

Ist sie groß?“

„Ziemlich. Der Kerl dort mit dem verbissenen Bulldoggengesicht hat gestern abend auf mich geschossen, um mich zu töten.“

„Gott sei Dank!“

„Wie? Ihr dankt Gott, daß er auf mich einen Mordanschlag verübt hat?“

„Ja. Warum sollte ich nicht?“

„Na! Nehmt es mir nicht übel, aber das ist ja sehr freundlich von Euch!“

„Ganz und gar nicht! Das werden diese Kerle bald erkennen. Ich danke Gott zweimal, nämlich das erste Mal dafür, daß Ihr nicht getötet worden seid, denn da habt Ihr kommen und mich hier herauslassen können, und das zweite Mal allerdings dafür, daß auf Euch geschossen worden ist, denn da habt Ihr das Recht, kurzen Prozeß mit dem Meuchelmörder zu machen, obgleich er Euch nicht getroffen hat.“

„Er hat mich getroffen!“

„Ah! Wirklich? Ist das wahr?“

„Ja.“

„Man sieht Euch aber nichts an!“

„Die Kugel traf mich hier in den Oberschenkel. Ich habe eine schwere Beinwunde davongetragen. Hier seht Ihr doch das Blut!“

„Gott sei Dank!“

„Schon wieder solch ein Dank?!“

„Ja, nun zum drittenmal!“

„Wofür?“

„Daß Ihr verwundet worden seid.“

„Hört, jetzt werdet Ihr wirklich ganz außerordentlich liebenswürdig!“

„Wie man es nimmt! Wenn er Euch wirklich getroffen hat, so geht es ihm an das Leben, und das freut mich natürlich ungemein!“

„Was habe ich davon?“

„Das Bewußtsein, daß ein Schurke weniger auf dem Erdboden ist.“

„Lindert das meinen Schmerz? Heilt das meine Wunde?“

„Hört, wollt Ihr ihn etwa laufen lassen?“

„Fällt mir nicht ein!“

„So sagt, was mit ihm geschehen soll!“

„Wir werden eine Savannenjury einsetzen, welche darüber zu entscheiden hat.“

„Das ist recht. Darf ich mit dazu gehören?“

„Dürfen? Ihr müßt sogar mit dabei sein. An Euch haben sie sich doch auch vergangen.“

„Und wie! Wenn es auf mich ankommt, wird ihnen ihr letzter Nagel eingeschlagen. Wann denkt Ihr, daß diese Jury zusammentritt?“

„Möglichst bald.“

„Am besten gleich jetzt!“

„Ist mir recht.“

„Wo?“

„Draußen vor dem Hause. Ein Savannengericht muß bekanntlich möglichst unter freiem Himmel stattfinden, wie Ihr gehört haben werdet.“

„Da reißen uns die Kerle aus!“

„Das sollten sie versuchen! Übrigens können wir sie ja binden.“

Well! Das kann mir gefallen. Riemen und Leinen habe ich genug.“

„Soll ich sie holen?“ fragte sein Sohn mit großer Bereitwilligkeit.

„Ja, hole sie! Sie hängen draußen.“

Da ergriff Toby Spencer das Wort:

„Thut nur nicht, als ob ihr unsere Richter sein und über uns aburteilen wollt! Ihr seid die Kerle nicht dazu. Binden lassen wir uns nicht!“

Da trat der Schmied zu ihm hin, hielt ihm die knochige Faust vor das Gesicht und sagte:

„Schweig, Kanaille! Wenn du etwa noch groß aufbegehren willst, mache ich außer der Jury noch einen Extratanz mit dir! Verstanden?“

Der Sohn brachte die Stricke und Riemen. Ich gab den Befehl:

„Bindet sie der Reihe nach, wie sie dasitzen! Wer sich wehrt, bekommt Hiebe!“

„Ja, hauen wir sie!“ jubelte der Schmied. „Ich habe so mehrere schwanke Stöcke draußen; die mag der Boy auch hereinholen!“

Sein Sohn ging und brachte sie.

Das half. Sie schimpften zwar gewaltig, leisteten aber keinen thätlichen Widerstand; bald lagen sie, lang ausgestreckt, nach Westmannsart gebunden da. Der Schmiedeboy bekam den Auftrag, sie streng zu bewachen; dann gingen wir hinaus. Ich hatte die Absicht gehabt, die Rowdies mit hinauszunehmen; da dies aber zu umständlich gewesen wäre, unterließen wir es.

Nun traten wieder die alten Fragen und die schon wiederholten Gegensätze der Ansichten an uns heran. Ich hatte, zumal ich selbst verwundet worden war, keineswegs die Absicht, übermäßig human zu verfahren, aber sie verlangten alle, mit Ausnahme Winnetous, den Tod wenigstens Toby Spencers, und dazu konnte und wollte ich nicht ja sagen. Es gab eine lange und sehr erregte Debatte, bis endlich der Schmied, welcher sich wie ein „grimmer Hagen“ gebärdete, aufsprang und rief:

„Ich sehe, daß wir noch morgen dasitzen werden, ohne einig geworden zu sein. Diese Menschen gehören zunächst mir, denn sie sind bei mir hereingefallen wie die Wilden und haben alles demoliert und mich verwundet. Ihr seht, daß mein Gesicht noch jetzt blutig ist. Ihr, Mr. Shatterhand, seid ein mir viel zu milder Herr; ich will Eurer Meinung aber Rechnung tragen und den Tod dieses Spencer nicht verlangen. Dafür aber erwarte ich, daß die Vorschläge, welche ich jetzt mache, angenommen werden.“

„Welche Vorschläge sind das?“ fragte ich.

„Zunächst daß ich mich an ihrem Eigentum für alles schadlos halten darf, was sie mir vernichtet haben. Seid Ihr einverstanden, Sir?“

„Ja. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie Euch entschädigen müssen.“

Well! Nun kommt Spencer, der schuld an allem ist. Ihr wollt ihn nicht töten lassen, weil er Euch nicht ermordet, sondern nur verwundet hat. Ich halte das für eine Schwachheit von Euch, denn der wilde Westen kennt für Mörder keine Schonung, gleichviel, ob der Mord gelungen ist oder nicht. Wir wollen trotzdem eine Art von Gnade walten lassen. Er hat den Tod verdient, soll aber nicht direkt hingerichtet werden, sondern sich verteidigen dürfen.“

„Wie meint Ihr das?“

„Laßt ihn um sein Leben kämpfen!“

„Mit wem?“

„Mit mir.“

„Darauf werden wir wohl kaum eingehen können.“

„Warum nicht?“

„Er ist ein riesenstarker Mann.“

Pshaw! Ich bin auch kein Kind! Oder meint Ihr, weil ich mich habe in den Keller stecken lassen? Sie überrumpelten mich und waren sechs Personen!“

„Mag sein! Ich sehe, daß Ihr gute Knochen habt. Der Kampf ist trotzdem ungleich.“

„Wieso?“

„Er ist ein Schurke, um den es nicht schade sein würde, und Ihr seid ein Ehrenmann, der Kinder hat, Ihr dürft Euer Leben nicht gegen das seinige einsetzen.“

„Das thue ich auch nicht. Die Ungleichheit, von welcher Ihr redet, wird durch die Waffen ausgeglichen, mit denen wir kämpfen werden.“

„Welche Waffen?“

„Schmiedehämmer.“

Schmiedehämmer! Welch ein Gedanke! Also um einen Cyklopenkampf sollte es sich handeln!

Ich gestehe aufrichtig, daß dieser Kampf dem Westmanne in mir sehr interessant vorkam, während ich als Mensch glaubte, ihn verwerfen zu müssen; aber dieser Zwiespalt in mir fand gar keine Zeit, zur Geltung zu kommen, denn meine Gefährten gingen mit großer Bereitwilligkeit auf den Vorschlag des Schmiedes ein. Ein Zweikampf, und noch dazu ein solcher, durfte nach dem Savannenbrauche nicht zurückgewiesen werden. Welch ein Schauspiel, diesen fest gefügten Grobschmied und Toby Spencer, welcher die Kräfte von drei, vier Menschen besaß, mit eisernen Hämmern gegeneinander losgehen zu sehen! Das hatte man noch nicht erlebt; das war noch nicht dagewesen! Man war sofort Feuer und Flamme. Hammerdull rief:

„Wunderbar großartiger Gedanke! Was für Schädel gehören dazu, solche Hiebe auszuhalten! ich stimme bei! Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm! Wenn du denkst, daß so ein Hammerwerk schönere Wirkungen hat, als wenn man mit wattierten Paradieshandschuhen abgesäuselt wird, so muß ich dir vollständig recht geben, lieber Dick,“ antwortete der Lange.

Auch die andern waren einverstanden. Selbst der Häuptling der Apatschen sagte:

„Ja, sie mögen miteinander kämpfen. Winnetou wird nichts dagegen haben.“

So gab es für mich also kein Widerstreben; ich erteilte meine Einwilligung.

Da das eigenartige Duell nur im Freien stattfinden konnte, wurden die Rowdies herausgeholt. Als sie erfuhren, was beschlossen worden war, wollten sie zunächst nicht daran glauben; es wurde ihnen aber ihr Zweifel derart benommen, daß sie den Ernst unseres Vorhabens schnell erkennen mußten. Natürlich war es Spencer, welcher den lautesten Einspruch dagegen erhob. Er erklärte, daß er dagegen protestiere und auf keinen Fall mitkämpfen werde; da aber sagte ihm der Schmied:

„Ob du mitthun willst oder nicht, das geht mich gar nichts an. Sobald das Zeichen gegeben wird, schlage ich zu, und wenn du dich nicht verteidigest, bist du im nächsten Augenblicke eine Leiche. Mit so einem Halunken, wie du bist, wird kurzer Prozeß gemacht. Du wirst dich aber schon wehren.“

„Das ist aber doch der reine Mord!“

„Was war es anderes, als du gestern auf Old Shatterhand schossest?“

„Das geht doch Euch nichts an!“

„Sehr viel sogar, denn ich kämpfe an Stelle dieses Gentleman mit dir.“

„Warum da nicht lieber er selbst?“

„Weil du geschont werden sollst, was du freilich nicht verdienst. Wenn er sich herablassen wollte, mit dir zu kämpfen, wäre dein Tod gewiß. Bei mir aber giebt es für dich doch die Möglichkeit, mich zu überwinden.“

Der Rowdy maß die Gestalt des Schmiedes mit forschendem Auge und fragte dann:

„Was aber wird mit mir geschehen, wenn ich Euch totschlage?“

„Nichts. Der Sieger bleibt unbelästigt.“

„Ich kann dann gehen, wohin ich will?“

„Gehen, ja, aber nicht reiten.“

„Warum das?“

„Weil alles, was Ihr bei Euch habt, von jetzt an mir gehört.“

„Alle Teufel! Warum das?“

„Als Entschädigung für mein Eigentum, welches Ihr zu Grunde gerichtet habt.“

„Alles? Die Pferde und auch alles andere?“

„Ja.“

„Das ist Diebstahl! Das ist Betrug! Das ist ja der reine Raub!“

Pshaw! Der Schaden, den Ihr angerichtet habt, muß bezahlt werden. Geld habt Ihr nicht; das weiß ich, denn Ihr habt vorhin wiederholt damit geprahlt, daß Ihr bei mir alles Vorhandene verzehrtet, ohne bezahlen zu können; da muß ich mich also an die Sachen halten, die Ihr mithabt.“

„Das ist aber viel, viel mehr, als der Betrag, der Euch gebührt!“

„Oh, das nehme ich nicht so genau! Ihr habt Euch in Beziehung auf Recht und Billigkeit ja auch nicht sehr hervorgethan. Jetzt kommen die Folgen!“

„Und das ist Euer Ernst? Das wollt Ihr wirklich, wirklich thun?“

„Mensch, frag doch nicht so dumm! Es fällt uns nicht ein, mit Euch zu scherzen!“

Da wendete sich Spencer an mich, den er für den humansten von uns hielt:

„Und auch Ihr seid im stande, eine so ungeheure Ungerechtigkeit zuzugeben?“

„Wollt Ihr etwa an mich appellieren?“ antwortete ich in erstauntem Tone.

„Natürlich!“

„An mich, auf den Ihr geschossen habt?“

„Ja, trotzdem! Der Raub an uns hat gar nichts mit diesem Schuß zu thun!“

„Und ich habe nichts mehr mit Euch zu thun. Das könnt Ihr Euch wohl denken!“

„So hole euch alle der Teufel, alle, vom ersten bis zum letzten! Wenn ihr es in dieser Weise bis zum Äußersten treibt, so glaubt nur ja nicht, daß ich sanft mit diesem Schmiedeskelett verfahren werde! Es ist schon so gut, als ob sein Schädel in Stücken sei. Laßt uns anfangen! Laßt den Tanz beginnen!“

Sein Bulldoggengesicht war vor Wut tiefrot geworden, und er knirrschte so laut mit den Zähnen, daß wir es hörten. Der Schmied stimmte bei:

„Ja, ich will die Hämmer holen, dann werde ich ihn schmieden, ohne daß er glüht!“

Er ging in die Schmiede, und ich folgte ihm, um ihm einen guten Rat zu erteilen:

„Nehmt Euch in acht, Sir! Dieser Spencer ist ein starker und gefährlicher Kerl!“

Pshaw! Ich fürchte mich nicht; ich weiß, daß er mir nichts anhaben kann!“

„Seid nicht so zuversichtlich! Ich denke, daß Ihr nur zuschlagen wollt?“

„Ja. Was sonst?“

„Ihr müßt gewärtig sein, daß er nicht nur zuschlägt, sondern den Hammer schleudert!“

„Das darf er nicht; das wird ausgemacht!“

„Wenn es auch untersagt wird, er thut es doch! Und wenn es geschehen ist, kann man es nicht mehr ändern. Würde es Euch hindern, wenn der Hammer angebunden wäre?“

„Woran gebunden?“

„Art die Hand, an den Arm, am besten an das Handgelenk, mit einem Riemen.“

„Das würde mich gar nicht hindern, ganz und gar nicht. Aber warum das?“

„Damit der Unehrliche nicht dem Ehrlichen einen Vorteil dadurch abgewinnt, daß er den Hammer wirft, anstatt nur zuzuschlagen. Ist es Euch recht?“

„Natürlich, ja! Wenn man nur Flucht behält, den Stiel bewegen zu können.“

„Dafür werde ich schon sorgen, denn ich werde binden. Also kommt!“

Als wir auf den Platz kamen, hatte man Toby Spencer schon losgebunden. Winnetou stand, einen Revolver in jeder Hand, vor ihm und drohte:

„Wenn das Bleichgesicht etwa eine Bewegung zur Flucht macht, schieße ich sofort!“

Ich band den beiden Duellanten die Hämmer so an die Handgelenke, daß sie mit ihnen zwar zuschlagen, sie aber nicht schleudern konnten. Dann zog ich auch einen Revolver und wiederholte die Drohung des Häuptlings der Apatschen.

Es war eine erwartungsvolle, hochgespannte Situation. Wir bildeten einen Kreis, in welchem die Zwei sich nahe gegenüberstanden, die großen, gleichschweren Hämmer in den Händen. Sie maßen sich gegenseitig mit den Augen; der Schmied war ruhig und kalt, Spencer dagegen in hohem Grade aufgeregt.

„Man soll nicht eher beginnen, als bis ich es sage!“ befahl Winnetou. „Es sollen alle Vorteile gelten, und die Kämpfenden können auch die freien Hände gebrauchen!“

„Das ist gut; das ist sehr gut!“ jubelte Spencer. „Nun ist mir der Kerl sicher!“

„Ja,“ rief einer seiner Leute. „Wenn du auch mit der andern Hand zugreifen darfst, ist er geliefert. Nimm ihn nur bei der Gurgel; da geht ihm der Atem aus!“

„Halte den Schnabel!“ fuhr ihn Dick Hammerdull an. „Wer hat dich denn nach deinem Senf gefragt? Du hast ruhig zuzusehen und gar nichts drein zu reden!“

„Oho! Man wird doch noch reden dürfen! Wozu hat man denn den Mund?!“

„Ob du einen hast oder nicht, das ist ganz egal, aber halten sollst du ihn, sonst stecke ich dir einen Knebel zwischen die Zähne; das merke dir!“

Ich war natürlich nicht weniger gespannt als die andern. Wer würde wohl Sieger sein? Toby Spencer hatte wohl die größere Körperstärke für sich, während der Schmied im Gebrauche der ungewöhnlichen Waffe geübter war; zudem zeigte der letztere eine Kaltblütigkeit, welche Vertrauen erweckte, während der Rowdy sich je länger desto aufgeregter zeigte.

Der Schmiedeboy stand mit seiner Schwester auch in unserm Kreise. Auf ihren Gesichtern war nicht die geringste Besorgnis um ihren Vater zu entdecken; das war auch ein Umstand, welcher mich für ihn beruhigte.

„Jetzt kann es beginnen!“ sagte Winnetou.

Toby Spencer holte sofort zum Schlage aus und wollte zugleich mit der linken Hand nach der Kehle des Schmiedes greifen. Er hatte nicht in Betracht gezogen, daß sich dadurch die Kraft des Hiebes vermindern mußte. Der Schmied parierte durch einen Gegenschlag, so daß die Waffen zusammenprallten; sein Hammer fuhr nieder und traf Spencers linken Arm, der mit einem Ruf des Schmerzes zurückgezogen wurde.

„Hund!“ brüllte dann der Getroffene, „war’s nicht sofort, aber jetzt nun gleich!“

Er holte mit aller Gewalt aus, sprang vor und schlug zu; der Schmied wich zur Seite, so daß der ihm bestimmte Hieb fehlging; die Wucht desselben zog den Rowdy halb nieder, sodaß er seinen Rücken bog.

„Jetzt schnell, Vater!“ rief der Boy.

Es bedurfte dieser Aufforderung gar nicht, denn der Schmied machte mit hoch erhobenem Hammer eine Viertelwendung nach seinem Gegner hin und schmetterte ihn mit einem einzigen Schlage zu Boden. Den Arm zum sofortigen zweiten Hiebe erhebend, stand er da, das Auge auf den an der Erde liegenden Feind gerichtet, welcher krampfhaft mit den Armen und Beinen zuckte und ein ängstliches, röchelndes Stöhnen hören ließ, da senkte er den Arm wieder, lachte kurz und verächtlich und sagte: „Da liegt der Kerl! Ich könnte ihm den Schädel zerschlagen, thue es aber nicht, weil er sich nicht mehr wehren kann. Er hat schon so genug!“

Ja, Spencer hatte genug! Er war weder betäubt noch gar tot; aber er schien die Macht über seine Glieder verloren zu haben. Er bekam die Fähigkeit zu willkürlichen Bewegungen erst nach einiger Zeit zurück und richtete sich langsam auf, indem er sich dabei mit dem einen Arme stützte; der andere war unfähig, dabei gebraucht zu werden.

„Verdamm – – – –!“ gurgelte er dabei, indem er nur diese beiden Silben zwischen den Zähnen hervorbrachte. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck eines so tierischen Grimmes, wie ihn selbst ein zähnefletschender Coyote kaum hat.

„Ich habe ihm das Schulterblatt zerbocht,“ meinte der Sieger. „Wenn er nicht daran zu Grunde gehen sollte, wird er wenigstens niemals wieder friedliche Menschen vergewaltigen können. Macht mir den Hammer ab!“

Er hielt mir die Hand hin, und ich band ihm das schwere Werkzeug los.

Jetzt stand der Rowdy aufrecht da, doch wankte er hin und her. Es schien alle Kraft aus seinem Körper gewichen zu sein; dafür kam ihm die Sprache zurück, und er machte von ihr in Flüchen und Verwünschungen einen solchen Gebrauch, daß ich ihm den Revolver an den Kopf hielt und drohte:

„Schweig augenblicklich, sonst jage ich dir eine Kugel in den Schädel!“

Er sah mir grinsend ins Gesicht, spie vor mir aus, wendete sich ab und wankte zu seinen Genossen hin, wo er haltlos zusammenknickte. Dick Hammerdull band ihn, ohne den geringsten Widerstand zu finden.

Fiat justitia!“ sagte Treskow. „Er hat, was er verdient, wenn auch nicht den Tod. Was thun wir nun mit ihm? Soll er verbunden werden?“

Er sah dabei Winnetou an. Dieser antwortete:

„Der Häuptling der Apatschen berührt diesen Menschen nicht!“

„Von mir hat er auch keine Hilfe zu erwarten,“ erklärte ich.

Well! Mag er sehen, wo er einen Arzt für seine Schulter findet!“

Da sahen wir vier Männer vom Walde her geritten kommen, einen jungen und drei ältere; sie hielten auf uns zu. Der Schmied sagte:

„Da kommt mein zweiter Sohn, welcher fischen gegangen ist, und die andern sind drei gute Bekannte, die nächsten Nachbarn von mir, was hier freilich etwas weitläufig gemeint ist. Die kommen mir eben recht, denn sie werden, wenn sie morgen von hier fortreiten, mich von diesen Gästen hier befreien, welche sich, ohne mich zu fragen, so ohne alle Zeremonien bei mir eingeladen haben.“

Der Sohn schien einen guten Fang gemacht zu haben, denn er hatte ein mit Fischen gefülltes Netz quer vor sich liegen. Er und seine Begleiter waren natürlich erstaunt darüber, gefesselte Menschen hier liegen zu sehen. Der Schmied erzählte ihnen in kurzen Worten, was geschehen war, und teilte ihnen dann auch den Wunsch mit, den er an sie hatte. Es traf sich sehr gut, daß die drei Männer nicht in der Schmiede bleiben, sondern weiter wollten. Sie hatten irgend einen Rechtshandel vor und wollten nach der Stadt, das heißt, was man dort und damals Stadt zu nennen beliebte. Sie mußten die ganze Nacht durch reiten, um am Morgen hinzukommen, und erboten sich, die Rowdies mitzunehmen, aber nicht etwa nach der Stadt, sondern sich ihrer unterwegs in der Weise zu entledigen, daß in verschiedenen Zwischenräumen einer nach dem andern freigelassen wurde. Auf diese Weise wurde verhütet, daß sich die Kerls so leicht und so bald wieder zusammenfinden und etwas gegen die Familie des Schmiedes unternehmen konnten. Die Söhne des letzteren sollten, weil der Transport der Gefangenen zu Pferde geschehen mußte, mitreiten, um dann die ledigen Tiere heimzubringen.

Es gab noch eine sehr bewegte und geräuschvolle Scene, als die Taschen der Rowdies geleert und sie selbst auf die Pferde gebunden wurden. Daß sie in dieser Weise und schon heut fortgeschafft werden konnten, war auch deshalb ein günstiger Umstand, weil zu erwarten war, daß die Tramps, welche jedenfalls unserer Fährte folgten, nach der Schmiede kommen würden. Diese sollten die Rowdies nicht finden und etwa gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen.

Es waren keine Segenswünsche, die wir von den Gefangenen hörten, als sie unter Begleitung der fünf Männer den Ort verließen, an welchem es ihnen erst so sehr und dann so wenig gefallen hatte. Noch besser freilich wäre es gewesen, wenn ihr eigentlicher Anführer, der „General“, nicht das Glück gehabt hätte, uns zu entkommen.

Dieser letztere war eine für uns so wichtige Person, daß sich Winnetou aufmachte, nach seiner Spur zu sehen. Es war schon dunkel, als er zurückkehrte. Er hatte die Überzeugung gewonnen, daß Douglas nicht die Absicht habe, sich in der Nähe der Schmiede herumzutreiben, denn seine Fährte hatte ununterbrochen geradeaus geführt. Dieser Mann fürchtete uns viel zu sehr, als daß es ihm hätte beikommen können, uns heimlich zu umschleichen, um zu sehen, was wir mit seinen Gefährten wohl beginnen würden. Er gab sie lieber preis, um nur so weit wie möglich von uns fortzukommen.

Winnetou brachte Wundkraut mit, welches er auf seinem Ritte gefunden hatte, und das war mir sehr lieb. Ich hatte, so lange die Rowdies bei uns waren, mehr auf sie als auf mich selbst geachtet; dann, als Ruhe eintrat, fühlte ich die Schmerzen meiner Wunde und jene mir nur zu bekannte Leere im Kopfe und im ganzen Körper, welche, wenigstens bei mir, dem Fieber voranzugehen pflegt.

Ich wurde wieder verbunden; das Wundfieber stellte sich aber doch in der Nacht ein; ich schlief viertelstundenlang, um dann immer wieder zu erwachen, und als ich am Morgen vom Weiterreiten sprach, schüttelte Winnetou, welcher bei mir gewacht hatte, den Kopf und sagte:

„Mein Bruder darf sich nicht zu viel zutrauen. Wir werden bleiben.“

„Aber wir haben keine Zeit.“

„Wenn es sich um die Gesundheit Old Shatterhands handelt, haben wir immer Zeit! Es ist besser, wir bleiben einen Tag hier und lassen die Kräuter wirken, als daß du später in den Bergen liegen bleibst.“

Er hatte recht, und so blieben wir bei dem Schmiede, der sich, natürlich nicht der Veranlassung wegen, herzlich darüber freute.

Seine Söhne kamen mit den Pferden zurück und erzählten, wie die Rowdies sich gesträubt hatten, mitten in der finstern Nacht so einer nach dem andern abgesetzt zu werden. Am weitesten hatten sie Toby Spencer fortgeschafft. Ich an ihrer Stelle hätte ihm wohl einen Gefährten zur Pflege gelassen; sie aber hatten nicht die Rücksicht gehabt, so menschlich gegen ihn zu sein, zumal sein Verhalten unterwegs nicht ein solches gewesen war, welches sie hätte zur Milde stimmen können.

Als die Kameraden drin in der Stube beim Mittagsessen saßen, welches aus Fisch und Wildbret bestand, lag ich vor dem Hause im Grase, denn ich hatte keinen Appetit, und im Freien war es mir lieber als zwischen den engen Wänden. Unsere Pferde standen innerhalb der schon erwähnten Fenz, wo sie reichliches Grünfutter bekommen hatten; sie konnten also von weitem nicht gesehen, wenigstens nicht als die unserigen erkannt werden, und so kam es, daß der Reitertrupp, welcher jetzt unter den letzten Bäumen des Waldes erschien, keine Veranlassung fand, die Schmiede, vor der ich lag, zu meiden. Es waren die Tramps. Cox und Old Wabble ritten voran, und der einstige Medizinmann folgte mit seiner Squaw hinterher.

Um nicht gesehen zu werden, stand ich nicht auf, sondern kroch in die Schmiede und ging von da in die Stube, um die Ankunft dieser lieben Freunde dort zu melden. Wir hatten dem Schmiede von unserm Zusammentreffen mit ihnen erzählt; darum sagte er jetzt:

„Bleibt hier, Gentlemen! Ich gehe allein hinaus. Was werden sie für Gesichter machen, wenn sie erfahren, wer sich bei mir befindet!“

Die Tramps hatten inzwischen das Haus erreicht. Sie riefen nach dem Besitzer und stiegen von den Pferden. Ihre Haltung dabei war keine sehr elegante. Dick Hammerdull kicherte in sich hinein und sagte:

„Sie fühlen noch die süße Erinnerung an unsere Stöcke. Es wäre ihnen jedenfalls lieber, hier eine Apotheke als eine Schmiede zu finden!“

Old Wabble sah, auch abgesehen von seinem halbversengten Kopfe, sehr leidend aus. Er war, außer der Squaw, allein noch nicht abgestiegen und saß matt vornübergebeugt im Sattel; er hatte das Fieber in noch höherem Grade als ich in der vergangenen Nacht. Als der Schmied hinaus zu ihnen kam, wurde er von Cox gefragt:

„Hört, Mann, ist gestern vielleicht ein Trupp von sieben Reitern hier bei Euch vorübergekommen?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„Es waren drei Redmen dabei?“

„Stimmt!“

„Zwei tiefschwarze Rappen unter den Pferden?“

„Auch das ist richtig.“

„Ihr habt sie jedenfalls beobachtet und wißt, ob sie es sehr eilig hatten?“

„Nicht eiliger als Ihr.“

„Gut! Habt Ihr vielleicht ein Mittel gegen das Fieber im Hause?“

„Nein. Wir pflegen uns hier mit dem Fieber gar nicht abzugeben.“

„Aber Proviant ist bei Euch zu haben?“

„Leider nicht. Ich bin von einer Horde Rowdies vollständig ausgeplündert worden.“

„Das macht Ihr uns nicht weis. Wir werden selbst nachsehen, was zu finden ist.“

„Das muß ich mir verbitten. Dieses Haus gehört nicht jedem Fremden, sondern mir!“

„Laßt Euch nicht auslachen! Ihr werdet doch nicht denken, daß sich zwanzig Männer vor Euch fürchten! Wir wollen essen, und Ihr habt zu schaffen, was wir brauchen!“

„Ihr seid ja ungeheuer kurz! Wie steht’s mit der Bezahlung? Habt Ihr Geld?“

„Geld?“ lachte Cox. „Wenn Ihr Hiebe haben wollt, die sind da, Geld aber nicht!“

„Hm, daß Hiebe da sind, merke ich; ich sehe sie noch deutlich sitzen!“

„Mann, wie meint Ihr das?“

„Genau so, wie ich es sage.“

„Ich will, wissen, wie Ihr dazu kommt, von Hieben zu reden!“

„Wer hat angefangen, von ihnen zu sprechen? Doch ich wohl nicht, sondern Ihr!“

„Ach so! Ich dachte – – –! jetzt macht einmal Platz da an der Thür!“

„Der Platz an meiner Thür gehört mir und keinem andern!“

„Redet nicht dummes Zeug! Wir brauchen Fleisch und Mehl und andere Sachen, und Ihr werdet uns nicht verbieten, nach ihnen zu suchen!“

Well, ganz wie Ihr wollt! Verbieten werde ich es Euch freilich nicht; ich denke nur, daß Ihr Euch über das Fleisch, welches Ihr findet, wundern werdet!“

„Keine Redensarten, sondern Platz gemacht!“

Der Schmied ließ sich vorwärts schieben; die Tramps drängten sich hinter Cox her. Als der Schmied zur Thüre hereingeschoben wurde, sagte er:

„Hier seht Ihr mein Fleisch. Es ist Menschenfleisch, lebendiges Menschenfleisch.“

Unsere Gewehre waren alle nach der Thür gerichtet. Cox sah uns und erschrak:

„Zurück, zurück!“ rief er. „Macht doch zurück, ihr Kerls! Hier sind sie in der Stube, Old Shatterhand und Winnetou und alle andern auch!“

Die hinter ihm kamen, sahen uns auch; sie wendeten sich schleunigst um. Es gab ein Stoßen, Schieben und Drängen, zurück, wieder zum Hause hinaus; unser Lachen schallte hinter ihnen her. Draußen sprangen sie auf die Pferde und ritten schleunigst davon, schneller, als sie gekommen waren. Der letzte war wieder der Medizinmann, welcher das Pferd seiner Squaw am Zügel zog. Der dicke Hammerdull konnte es nicht unterlassen, ihnen durch das Fenster einen Schuß nachzusenden, indem er rief.

„Da machen sie sich fort, ohne Fleisch und ohne Mehl! Die Suppe ist ihnen versalzen! Habe ich da nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, bloß auf eine Suppe hatten die es gar nicht abgesehen! Die hätten es heut grad so wie gestern die Rowdies hier gemacht. Es ist ein wahres Glück für den Schmied, daß wir nicht fortgeritten, sondern hiergeblieben sind!“

„Ob ein Glück oder ein Unglück, das ist ganz egal, das bleibt sich sogar gleich, wenn nur sie kein Glück dabei gehabt haben!“

Winnetou war schnell hinaus und zu den Pferden; eine Minute später sahen wir ihn fortreiten, um den Tramps zu folgen. Ich wußte, warum er das so rasch that: sie sollten ihn sehen; sie sollten wissen, daß er hinter ihnen war und sie beobachtete. Dadurch benahm er ihnen die Lust, etwa heimlich umzukehren und uns zu belauern. Als er nach vielleicht zwei Stunden wiederkam, konnte er uns versichern, daß sie sich aus dem Staube gemacht und wir wenigstens in der nächsten Zeit nichts Feindliches von ihnen zu erwarten hätten.

Da wir uns nun sicher fühlen konnten und nicht zur gegenseitigen Hilfe bei einander zu bleiben brauchten, gingen Schahko Matto und Apanatschka fort, um „Fleisch zu machen“; sie hatten guten Erfolg. Winnetou blieb daheim, um sich nur mit meiner Blessur zu beschäftigen.

Erwähnen muß ich, daß schon seit dem Morgen das Feuer brannte, denn der Schmied hatte für unsere Pferde zu arbeiten, wobei ihm dann auch seine Söhne halfen. Wir befanden uns nicht mehr auf dem weichen Boden der Prairie und wollten hinauf in die Felsenberge, wo wenigstens für die Pferde der Bleichgesichter ein guter Hufbeschlag sehr nötig war. Unsere beiden Rappen bekamen stets, sobald es nötig wurde, die Eisenschuhe angeschraubt, welche eine Erfindung des Apatschen waren; sie und das dazu nötige Werkzeug befanden sich stets in unsern Satteltaschen. Wir hatten uns für den Fall, daß Späher irre zu führen waren, sogar Hufeisen mit Vexierstollen machen lassen, die uns schon sehr oft von Nutzen gewesen waren.

So verging die Zeit bis zum Abend, wo ich wieder das Fieber bekam, doch gelinder als früher und nur für kurze Zeit. Die Nacht durchschlief ich ganz, und auch Winnetou schlief bis früh. Als er dann die Wunde untersucht hatte, sagte er befriedigt:

„Die kräftige Natur meines Bruders und die Wundkräuter haben meine Erwartungen übertroffen. Dein Hatatitla hat einen sanften Gang, und so wie du zu reiten verstehst, können wir es wagen, aufzubrechen, ohne daß es dir Schaden macht, wenn wir nicht gezwungen sein sollten, auf ein Terrain zu gehen, wo der Ritt zu anstrengend wird. Wir werden öfter ausruhen als sonst.“

Er nahm einige Nuggets aus seiner verborgenen Gürteltasche, um den Schmied zu bezahlen. Dieser meinte, es sei zu viel, er wolle sich nur seine Arbeit, nicht aber seine Gastfreundlichkeit bezahlen lassen; der Apatsche aber nahm nichts zurück; seine Noblesse gab dies nicht zu. Mit den herzlichen Wünschen der vier braven Menschen versehen, setzten wir uns auf und ritten fort, dem Gebirge zu.

Es liegt nicht in der Absicht dieser Zeilen, malerische Schilderungen unsers Weges zu geben, der uns von jetzt an stets aufwärts führte. Wir kamen am Abende jenseits der vorlagernden Sandsteinberge an und befanden uns nun vor den eigentlichen Felsenbergen.

Es war uns nicht eingefallen, uns sehr darum zu kümmern, wohin die Tramps geritten seien. Es galt für uns, so bald wie möglich den Park von San Louis zu erreichen, und wir wußten oder ahnten vielmehr, daß wir Thibaut und die Squaw dort wiedersehen würden; die andern Personen konnten uns, Old Wabble ausgenommen, gleichgültig sein.

Nun mußten wir den alten Kontinentalpfad verlassen und uns seitwärts wenden; die Scenerie des Gebirges entfaltete sich in ihrer ganzen imponierenden Herrlichkeit um uns. Wir befanden uns in der Region der Taxodieenwälder und staunten oft über die außerordentliche Höhe der Bäume, obgleich dieselben noch lange nicht mit den riesigen Sequoias der Sierra Nevada zu vergleichen waren, unter denen es Giganten giebt, welche mehr als hundert Fuß im Umfang haben. Im Visalia-Distrikte steht eine Sequoia, welche einen Durchmesser von fünfunddreißig Fuß besitzt.

Wir ritten jetzt auf einer schräg hinaufziehenden, mehrere englische Meilen breiten Ebene, welche wie ein Dach zur Höhe stieg und vollständig von Wald bedeckt war. Das war nicht der in den Wipfeln dicht verschlungene, grüne überdachte Urwald des Nordens, sondern die riesigen Koniferen standen einzeln, weit auseinander, sich kaum mit den Wipfelrändern berührend; ihr Streben ging nur in die Höhe, nicht nach Vereinigung. Die Sonnenstrahlen fanden den Weg zwischen sie herein und ließen nicht jenes Dunkel aufkommen, welches den nördlichen Wäldern eigen ist. Wir ritten langsam und stetig diese schiefe Ebene hinan, die ich noch nicht kannte. Winnetou aber war schon dagewesen und verkündigte uns: „Jenseits dieser Höhe liegt das Kui-erant-yuaw, in welchem man zu jeder Zeit den Grizzly trifft. Kein roter Mann schlägt da gern über Nacht sein Lager auf, denn der graue Bär der Felsenberge mag nicht gern ein Feuer dulden und greift den Menschen an, ohne erst von ihm belästigt worden zu sein.“

„Werden wir da übernachten?“ fragte Hammerdull.

„Nein.“

„Warum nicht? Ich hätte gar zu gern einen Grizzly geschossen.“

„Wir sind sieben Personen und müßten der Grizzlys wegen vier Wächter haben; da könnten nur drei von uns schlafen; wenn aber von sieben Männern, welche der Ruhe bedürfen, viere wachen müssen und nur drei schlafen dürfen, so ist das kein gutes Lager zu nennen.“

„Ob ich den Grizzly im Schlafe oder im Wachen schieße, das ist ja ganz egal, wenn ich ihn nur so treffe, daß er liegen bleibt.“

„Hat mein kleiner, dicker Bruder schon einmal ein Wild im Schlafe erlegt?“

„Hunderttausende! Wie oft habe ich geträumt, daß ich Büffels und andres Viehzeug gleich herdenweise geschossen habe! Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Ja,“ nickte der Lange. „Du hast die Heldenthaten alle im Traume zu verrichten, und wenn du dann aufwachst, ist es mit dem Heldentum vorbei.“

„Blamiere mich nicht! Ich versuche wenigstens im Schlafe ein tüchtiger Kerl zu sein; du aber bleibst im Wachen und Schlafen das alte, ungeschickte Coon.“

„Ungeschickt? Bring mir den größten Grizzly her, den es auf Erden geben kann, so sollst du erfahren, wer geschickter ist, du oder ich!“

Die Art und Weise, in welcher Winnetou von den grauen Bären dieses Kui-erant-yuaw gesprochen hatte, interessierte mich in hohem Grade. Der Grizzly pflegt ja nicht in Gesellschaften beisammen zu leben; aus den Worten des Apatschen aber war zu entnehmen, daß man da schon mehrere zugleich getroffen hatte. Darum erkundigte ich mich bei ihm:

„Leben die Bären dieses Thales nicht so einsam wie diejenigen anderer Gegenden?“

„Kein Grizzly ist gesellig,“ antwortete er. „Es zieht sich sogar seine Frau von ihm zurück, sobald sie junge hat, weil er ein sehr liebloser Vater ist und seine Kinder gern verzehrt. Aber wenn mein Bruder dieses Thal zu sehen bekommt, wird er sich nicht darüber wundern, daß die grauen Bären dort häufiger als sonst irgendwo anzutreffen sind. Wenn die Büffel der Felsenparks sich auf der Wanderung befinden, müssen sie durch das Kui-erant-yuaw ziehen; das lockt die Bären herbei und hält sie fest. Die Gegend ist so abgelegen und zugleich auch so verrufen, daß selten ein Jäger sie aufsucht; es giebt Beeren in großer Menge, welche der Grizzly liebt, und in den wilden Seitenschluchten des Thales kann er wohnen, ohne von seinesgleichen belästigt zu werden. Dennoch kommen, besonders zur Paarungszeit, furchtbare Kämpfe zwischen ihnen vor, denn man hat die Überreste der Besiegten gefunden, denen es anzusehen war, daß sie von keinem Jäger erlegt worden waren. Wenn wir Zeit hätten, würden wir da bleiben, um zu jagen.“

Ja, wir hatten leider keine Zeit, und dennoch war es uns vorbehalten, eine längere Dauer, als wir jetzt ahnten, in dem verrufenen Thal auszuhalten.

Wie hoch die schräg ansteigende Felsenwand war, welche unsere Pferde zu erklimmen hatten, läßt sich daraus ersehen, daß wir über eine Stunde brauchten, ehe wir die Höhe erreichten. Droben gab es ein lang gestrecktes, auch bewaldetes Plateau, welches von zahlreichen Klüften zerrissen wurde und sich jenseits sehr steil abwärts senkte.

Unten lag das „Bärenthal“, auf welches wir aber des Waldes wegen jetzt noch keine Aussicht hatten. Winnetou leitete uns nach einer der Klüfte, welche durch ein rauschendes Gebirgswasser gerissen worden war; sie fiel so schnell in die Tiefe, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Erwähnen muß ich, daß der Ritt von der Schmiede bis hierher mich nicht sehr angestrengt und das Fieber sich nicht wiederholt hatte. Schmerzen, und zwar nicht unbedeutende, verursachte mir die Wunde freilich, aber das war doch kein Grund, etwa anzuhalten oder gar auf dem Faulpelze liegen zu bleiben.

Unten angekommen, konnten wir einen Teil des „Bärenthales“ überblicken. Es war da, wo wir uns befanden, wenigstens eine englische Meile breit. Auf seiner Sohle floß ein Creek, welcher von den rechts und links herbeirauschenden Bergwassern gespeist wurde. Zahlreiche von oben herabgestürzte Felsblöcke lagen zerstreut umher und boten mit dem sie umgebenden Strauchwerke den Tieren dieser Wildnis willkommene Verstecke. Zu beiden Seiten gab es Schluchten wie diejenige, in welcher wir herabgekommen waren. Einzelne breitwipfelige Riesenbäume ragten gen Himmel, und an den Thalwänden stieg der mit dornigem Gestrüpp unterholzte Wald zu den Höhen auf. Es konnte gar keinen bessern Aufenthalt für graue Bären geben, und daß diesen Tieren, falls sich jetzt welche hier befanden, reichlich Nahrung geboten war, das ersahen wir aus den Büffelfährten, welche zahlreich zu erkennen waren.

Die eigentliche Zeit der großen Büffelwanderung war noch nicht gekommen, aber die Bisons, welche sich während des Sommers auf den hochgelegenen und also kälteren Gebirgswiesen aufgehalten hatten, waren doch schon herniedergestiegen und durch das Thal gekommen. Der Buffalo, besonders in seinen älteren, starken Exemplaren, ist das einzige Tier, welches es mit dem Grizzly aufzunehmen wagt; der graue Bär erreicht eine Schwere bis zu zehn und der Bison eine solche bis über zwanzig Zentner; was für gewaltige Kämpfe mußte dieses stille, weit abgelegene Kui-erant-yuaw wohl schon gesehen haben!

Wir durchquerten es, ohne uns um die Büffelspuren zu kümmern, und hielten auf eine Seitenschlucht zu, weiche, wie Winnetou wußte, jenseits mit verhältnismäßiger Bequemlichkeit zur Höhe führte.

Auch sie hatte einen, allerdings kleinen, schmalen Spring, welcher sich in zahlreichen dünnen Kaskaden abwärts stürzte und uns den nötigen Raum zum Aufstieg ließ. Wir mochten die halbe Höhe erreicht haben, als der Apatsche, welcher voranritt, anhielt und vom Pferde sprang. Er untersuchte den vielfach zerrissenen, oft mit Gras und Moos bedeckten Boden mit ungewöhnlicher Sorgfalt und sagte dann:

„Wenn wir Zeit hätten, könnten wir uns jetzt das Fell eines grauen Bären holen. Er ist hier von rechts her quer über die Schlucht gewechselt und wird sein Lager wahrscheinlich da links drin in den Felsen haben.“

Wir waren natürlich alle auch schnell von den Pferden herunter, um die Spur anzusprechen. Winnetou wies die Gefährten mit den Worten zurück:

„Meine Brüder mögen stehen bleiben, um die Fährte nicht zu verderben! Nur Old Shatterhand mag her zu mir kommen!“

Ich ging hin. Es hatten die scharfen Augen des Apatschen dazu gehört, sie zu entdecken. Wir beide folgten ihr über den Spring hinüber, wo sie deutlicher wurde. Es mußte ein alter, sehr starker „Vater Ephraim“ sein, von dem sie stammte. – Der Westmann nennt den Grizzly nämlich „Vater Ephraim“. – Die Spuren der gewaltigen Tatzen waren hier ganz deutlich zu sehen, und als wir ein Stück weitergeklettert waren, zeigten die von den Seiten herankommenden Gänge, daß wir wirklich das Lager des Bären vor uns hatten.

Ich fühlte große Lust, diesem Ephraim einen Besuch abzustatten, und sah Winnetou fragend an. Er schüttelte den Kopf und kletterte zurück. Wir mußten freilich annehmen, keine Zeit zu haben, und uns mit dem schweren Pelz des Bären zu schleppen, war auch nicht grad bequem. Als wir drüben wieder ankamen, sah ich die Augen Schahko Mattos und Apanatschkas leuchten; sie sagten aber nichts, doch Hammerdull fragte: „Liegt einer drüben?“

„Ja,“ nickte ich.

Well– den holen wir uns!“

„Nein; wir lassen ihn in Ruhe.“

„Aber warum? Ein Bärenlager zu finden, ohne das Nest auszunehmen, ist doch grad so, wie eine Bonanza zu entdecken und das Gold liegen zu lassen! Ich kann das wirklich nicht begreifen!“

„Wir müssen fort.“

„Ja, aber erst dann, wenn wir dem Kerl eins auf den Pelz gebrannt haben!“

„Das ist nicht so leicht und geht nicht so schnell, wie Ihr denkt, lieber Hammerdull. Ihr müßt in Betracht ziehen, daß wir dabei das Leben riskieren.“

„Ob wir es riskieren oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn er es uns nur nicht nimmt. Ich schlage also vor, daß wir uns jetzt mit – –“

„Mein Bruder Hammerdull mag uns folgen, ohne etwas vorzuschlagen,“ unterbrach ihn Winnetou, indem er aufstieg und weiterritt.

„Welch ein großer Fehler!“ brummte der Kleine mißmutig, indem er sich auf seine alte Stute schwang. „Haben das Nest so schön vor uns liegen und lassen die Eier drin! Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Daß das gefährliche Eier sind, lieber Dick. Lassen wir sie drin!“ antwortete der Lange.

„Gefährlich? Möchte wissen! Ein Grizzly ist ein Grizzly, weiter nichts!“

Mir that es auch leid, dieses „Nest“ liegen lassen zu müssen, ohne die Eier, wie er sich ausdrückte, ausnehmen zu dürfen; aber Winnetou hatte recht. Wenn wir auch nicht grad das Leben gewagt hätten, so muß man bei einer Begegnung mit dem grauen Bären auf einen Unfall doch immer gefaßt sein, und ich hatte an meiner Wunde schon genug!

Kurz, nachdem wir die jenseitige Höhe erreicht hatten, gelangten wir an den Rand einer jener Lichtungen, welche in den Rocky-Mountains „Parks“ genannt werden. Dieser Park lief wohl zwei englische Meilen lang auf der Höhe hin und war durchschnittlich eine halbe Meile breit. Einzelne schattige Bäume oder Baumgruppen und boskettartig verteiltes Strauchwerk gaben ihm das Aussehen eines künstlich angelegten Geheges. Vom jenseitigen Rande an senkte sich der Wald allmählich wieder in ein breites Thal hinab.

Der Park war fast genau von Süd nach Nord gerichtet, und wir befanden uns in der nach Südost gelegenen Ecke desselben, von wo aus wir am südlichen Rande weiterritten, um noch vor Abend in das nächste Thal hinabzukommen und dort Halt zu machen. Indem wir dies thaten, sah ich im Nordwesten eine Krähenschar, welche, von Zeit zu Zeit über dem Walde in die Luft steigend, sich immer wieder niedersenkte, und zwar nicht an einer und derselben Stelle, sondern in fortlaufender Weise. Das mußte mir auffallen. Auch Winnetou hielt den Blick nach der betreffenden Gegend gerichtet, um die Krähen zu beobachten. Die andern wurden auch aufmerksam, und Schahko Matto sagte:

„Uff! Dort kommen Leute aus dem Thale herauf. Die Krähen fliegen von Zeit zu Zeit auf, weil sie von diesen Leuten gestört werden.“

„Die Vermutung des Häuptlings der Osagen wird wohl richtig sein,“ antwortete ich. „Auch ich nehme an, daß dort Menschen kommen, und zwar nicht wenige, weil die Vögel sich vor zwei oder drei Personen nicht so sehr scheuen würden, wie es dort geschieht.“

„Müssen wir nicht zu erfahren suchen, wer es denn ist?“

„Eigentlich haben wir keine Zeit dazu. Wenn wir uns hier verweilen, kommen wir nicht vor Abend in das Thal hinab. Winnetou mag bestimmen, ob das Erscheinen so vieler Leute wichtig genug für uns ist, hier zu bleiben und sie zu beobachten.“

„Es müssen Indianer sein,“ erklärte der Apatsche.

„Das ist für uns bedenklich! Was wollen sie auf dieser Seite des Gebirges? Wenn es wirklich Indianer sind, so können sie nur dem Volke der Utahs angehören, deren Paßpfade weiter nördlich liegen.“

„Mein Bruder Shatterhand hat recht. Was wollen sie hier? Wir müssen das zu erfahren suchen. Da wir aber nicht wissen, welche Richtung sie nehmen werden, wenn sie diesen Park erreicht haben, so müssen wir in den Wald zurück und da warten, bis sie kommen.“

Ich war, ein höchst seltener Fall, diesmal nicht mit Winnetou einverstanden; darum sagte ich in dem höflichen Tone, der unter Freunden erst recht geboten ist:

„Mein Bruder möge es verzeihen, daß ich lieber nicht hier warten möchte!“

„Warum nicht?“ fragte er.

„Wenn wir hier warten und sie dann sehen wollen, müssen wir ihnen nachreiten, sobald sie den nördlichen Rand des Parks erreicht haben. Das giebt bis dorthin einen Weg von zwei Meilen. Da sie nicht halten, sondern weiterreiten werden, müssen wir ihrer Spur folgen, was sehr schwer sein wird, weil es inzwischen dunkel geworden ist.“

„Mein Bruder hat recht,“ stimmte er bei.

„Ich möchte sie im Vorbeireiten beobachten!“

„Dazu ist die Zeit zu kurz. Ja, wir beide kämen noch hin, weil wir die besten Pferde haben, aber unsere Gefährten nicht.“

„So reiten wir allein, und die Kameraden mögen uns langsamer nachkommen. Da wir auf dem offenen Parke keine Spuren machen dürfen, haben sie sich längs dieses Waldrandes unter den Bäumen zu halten und sich drüben bei der andern Ecke, auch immer am Rande hin, nordwärts zu wenden. Sie sehen die hohe Baumgruppe, welche da oben hoch über den Wipfeln emporragt; dort mögen sie uns erwarten.“

„Winnetou. stimmt seinem Bruder bei; sie mögen dort auf uns warten, aber ja kein Feuer anzünden, durch welches sie sich verraten würden!“

Wir trennten uns also von ihnen und jagten unter den Bäumen des Waldrandes erst west- und dann, als wir die südwestliche Ecke erreicht hatten, nordwärts. Das wurde uns nur dadurch möglich, daß die Bäume nicht dicht beisammenstanden; dennoch mußten wir gut aufpassen, denn es gab hervorragende Wurzeln und maskierte Löcher genug, welche uns zu Falle bringen konnten.

Unser jetziger Weg war, da er eine Ecke bildete, fast drei Meilen lang, während es von da aus, wo wir die Krähen über dem Walde gesehen hatten, bis zum Parke nur wenig über eine halbe Meile war; aber die Ankömmlinge ritten bergauf, also wahrscheinlich langsam, und wir flogen in schlankem, wenn auch vorsichtigem Galoppe hin, so daß wir hoffen durften, noch vor ihnen an der nordwestlichen Ecke des Parks anzukommen.

Bevor wir diese erreicht hatten, hielten wir an, um unsere Pferde zurückzulassen. Wir banden sie an einer dazu geeigneten Stelle an und gingen dann zu Fuße weiter, bis wir an den obern Rand einer Vertiefung gelangten, welche hinunter in das Thal zu führen schien. Dies war jedenfalls der Weg, auf welchem die Erwarteten heraufgeritten kamen. Sie waren noch nicht vorüber, denn als wir uns zwischen den Sträuchern so weit vorschoben, wie es möglich war, und hinunter in die Vertiefung blickten, war keine Spur, weder eines Menschen noch eines Pferdes, zu sehen.

Erfreut darüber, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen waren, lauschten wir gespannt nach unten. Es dauerte nicht lange, so hörten wir die nahenden Schritte eines Pferdes. Sollten wir uns geirrt haben? Sollte es ein einzelner Reiter anstatt einer ganzen Schar sein? Höchst unwahrscheinlich! jedenfalls ritt einer als Späher voran.

Jetzt erschien er. Wir sahen erst seinen Kopf über das Gesträuch ragen, und dann erblickten wir ihn und sein Pferd in voller Gestalt. Es war ein Utah-Indianer, und zwar ein Häuptling; er hatte zwei Adlerfedern in dem Haarschopfe stecken. Sein Pferd – –

Mein Himmel! Sein Pferd –! ja, sah ich denn recht? Das war ja ganz genau, Haar für Haar, das Pferd, welches ich damals dem Häuptling der Komantschen aus dem Kaam-kulano entführt und später Old Surehand geschenkt hatte! Winnetou stieß mich an und sagte leise:

„Uff! Dein Komantschenpferd! Das Pferd unsers Bruders Surehand!“

„Ja, es ist es; es ist es ganz gewiß!“ antwortete ich ebenso leise.

„Wenn sie ihn gefangen und getötet hätten!“

„Dann wehe ihnen! Kennst du diesen Roten?“

„Ich kenne ihn. Es ist Tusahga Saritsch, der Häuptling der Utahs vom Capote-Stamme. Ich habe ihn schon mehrmals gesehen.“

„Was für ein Krieger?“

„Nicht tapfer, sondern falsch und voller Hinterlist.“

„Wollen warten und seine Krieger sehen!“

Der Häuptling war vorüber. Nun kamen seine Leute, nach Indianerart, einer hinter dem andern. Wir zählten zweiundfünfzig Mann. In ihrer Mitte ritt auf einem alten Klepper – – – Old Surehand, an den Händen gefesselt und mit den Füßen an das Pferd gebunden.

Wie war er in die Hände der Utahs gefallen? Das fragten wir uns natürlich. Er sah leidend, aber keineswegs niedergeschlagen aus. Es war anzunehmen, daß er sich schon einige Tage bei diesen Roten befand, die ihn wahrscheinlich schlecht behandelt und ihm keine Nahrung gegeben hatten.

Es war jetzt nichts, gar nichts für ihn zu thun. Wir mußten sie vorüberreiten lassen, doch stand fest, daß wir alles zu seiner Befreiung aufzuwenden und zu wagen hatten. Als wir die Schritte ihrer Pferde nicht mehr hörten, krochen wir aus dem Gebüsch, um ihnen vorsichtig zu folgen. Es verstand sich natürlich ganz von selbst, daß wir erfahren mußten, wo sie ihr Lager aufschlagen würden.

Als sie den Park erreicht hatten, ritten sie am nördlichen Rande desselben hin, doch gar nicht weit; dann stiegen sie von den Pferden. Wir sahen bald, daß sie an dieser Stelle bleiben wollten, und kehrten darum zu unsern Pferden zurück, um nach der hohen Baumgruppe zu reiten, wohin wir unsere Gefährten bestellt hatten.

Sie waren schon dort angekommen und warteten auf uns. Es läßt sich denken, welchen Eindruck das, was wir ihnen erzählten, auf sie machte. Sie wollten wissen, was wir zu thun beschlossen hatten, doch konnten wir es ihnen nicht sagen, weil wir es selbst noch nicht wußten. Es kam ja alles darauf an, in welcher Absicht die Utahs hierhergekommen waren, was sie mit Old Surehand vorhatten und welcher Art Gelegenheit sich uns bot, ihm zu Hilfe zu kommen.

Zunächst mußten wir das nächtliche Dunkel erwarten, um sie ungesehen beschleichen zu können. Die Dämmerung war zwar schon nahe, doch mußte es für unser Vorhaben vollständig finster sein. Inzwischen sah Winnetou nach meiner Wunde, die er in zufriedenstellendem Zustande fand.

Als dann das erste, tiefe Dunkel des Abends hereingebrochen war, machten wir uns nach dem Lagerplatze der Utahs auf.

Wir gingen natürlich nicht über den offenen Park hinüber, sondern wieder am Rande desselben hin und bogen an der Ecke rechts ab. Nicht lange, so sahen wir mehrere Feuer brennen, deren Rauch wir schon vorher gerochen hatten. Daß sie nicht unter freiem Himmel, sondern unter den Bäumen angezündet worden waren, konnte uns nur lieb sein, weil uns eben diese Bäume Deckung gaben. Nur die Pferde waren draußen angehobbelt und wurden von zwei Roten bewacht, welche gelangweilt auf und ab spazierten.

Wir drangen links in den Wald ein, um von hinten an die Roten zu kommen, was uns ganz vortrefflich gelang. Es gab da hohe, kräftige Farnpflanzen, durch die wir uns bis fast ganz an sie heranschieben konnten. Freilich gehörte große Geschicklichkeit und viel Zeit dazu, dies zu thun, denn die geringste Berührung an den untern Teilen der Wedel hatte oben eine sehr auffällige Bewegung derselben zur Folge. Wir vereinfachten das, indem der Apatsche vorankroch und ich ihm folgte und wir uns erst dann trennten, als wir möglichst weit gekommen waren. Auf diese Weise hatten wir uns nicht zwei Wege, sondern nur einen zu bahnen und ersparten die Hälfte der Arbeit, welche auf unserm Rückzuge vorzunehmen war.

Mit dieser Arbeit meine ich die Vertilgung unserer Spuren. Die Indsmen durften morgen früh, wenn es hell geworden war, natürlich nicht sehen, daß sich jemand in den Farn befunden hatte. Wie schwer und zeitraubend eine solche Arbeit ist, brauche ich wohl nicht zu sagen. Es muß, indem man sich rückwärts bewegt, jede einzelne Pflanze, ja jeder einzelne Wedel gerichtet und auch der Boden von jedem Eindrucke der Hände und der Füße gesäubert werden.

Tusahga Saritsch saß, mit dem Rücken an einem Stamme lehnend und uns sein linkes Profil zukehrend, an einem Feuer, welches fast seine Füße berührte. Jenseits dieses Feuers war Old Surehand ihm gegenüber an einen Baum gebunden; außerdem hatte man ihm die Hände und die Füße gefesselt. Seine lange, braune Haarmähne hing ihm wirr und ungeordnet bis auf den Waldboden herab. Das gab ihm eine Ähnlichkeit mit Winnetou, noch größere aber – – – mit Kolma Puschi, dem geheimnisvollen Indianer, eine Ähnlichkeit, welche mir jetzt, da ich ihn vor mir hatte, geradezu auffallend vorkam.

Wir sahen an den herumliegenden Resten, daß die Utahs gegessen hatten. Wahrscheinlich hatte Old Surehand nichts bekommen. Es war für ihn ganz unmöglich, unsere Gegenwart zu ahnen; er wußte ja nicht, daß ich in Jefferson-City gewesen, dort von seinem Vorhaben gehört hatte und ihm nachgeritten war. Ich hätte ihm jetzt wohl ein Zeichen geben können, welches er von früher her kannte, war aber so vorsichtig, dies nicht zu thun, da ich die Größe seiner Überraschung in Berechnung ziehen mußte. Es war anzunehmen, daß er uns durch sie verraten würde.

Wir lagen über eine halbe Stunde lang, ohne etwas Wichtiges zu hören. Die Indianer sprachen miteinander, doch nichts, was uns interessieren konnte. Vom Zwecke ihres jetzigen Rittes war kein Wort dabei. Der Häuptling verhielt sich vollständig schweigend; er bewegte sich kaum einmal leise. Sein Gesicht und seine Gestalt schienen aus Holz geschnitzt zu sein. Nur in seinen Augen war Leben; sie blickten wieder und immer wieder mit dem Ausdrucke befriedigten Hasses zu dem Gefangenen hinüber. Dieser saß auch fast unbeweglich. Die Augenlider stets niedergeschlagen, hatte er das Aussehen, als ob er sich in einer so verächtlichen, ihm so gleichgültigen Umgebung befinde, daß es sich gar nicht verlohne, auch nur mit der Wimper zu zucken. Gab es ein bezeichnendes Wort für seine Haltung, so war es nur das eine: der personifizierte Stolz!

Nach der angegebenen Zeit war in der Ferne die Stimme eines Bergwolfes zu hören, worauf eine zweite, dann eine dritte und vierte Stimme antwortete. Dies gab dem Häuptling Veranlassung, sein Schweigen zu brechen:

„Hört das Bleichgesicht die Wölfe? Sie streiten sich um die Knochen, welche ihnen der Kui-eran von seiner Mahlzeit übrig gelassen hat.“

Old Surehand antwortete nicht. Der Häuptling der Utahs fuhr fort: „So werden sie sich morgen abend auch um deine Gebeine streiten!“

Da der Gefangene auch jetzt schwieg, fuhr ihn Tusahga Saritsch zornig an:

„Warum redest du nicht? Weißt du nicht, daß man zu antworten hat, wenn ein berühmter Häuptling den Mund öffnet, eine Frage auszusprechen?“

„Berühmt? Pshaw!“ ließ sich Old Surehand jetzt verächtlich hören.

„Zweifelst du daran?“

„Ja.“

„So kennst du mich nicht!“

„Das ist es ja! Ich habe dich nicht gekannt, bis ich dich sah; ich hatte noch nicht ein einziges Mal deinen Namen gehört. Kannst du da berühmt sein?“

„Ist nur der berühmt, dessen Namen grad deine Ohren gehört haben?“

„Wer den Westen so kennt wie ich, kennt auch den Namen jedes berühmten Mannes!“

„Uff! Du willst mich beleidigen, nur damit ich dich schnell töte! Das wird aber nicht geschehen. Du sollst dem grauen Bären gegenüberstehen!“

„Damit du dich dann mit seinem Felle, seinen Ohren, seinen Krallen und seinen Zähnen schmücken und die Lüge sagen kannst, du habest ihn erlegt!“

„Schweig!. Es sind über fünfzig Krieger hier, welche wissen werden, daß ich ihn nicht getötet habe. Wie kann ich da so sagen, wie du sprichst?!“

„Wer feig ist, ist zu jeder Lüge fähig. Warum schickt ihr mich in das Thal der Bären? Warum wollt ihr nicht selbst hinunterreiten?“

„Wer uns Feiglinge nennt, ist ein Coyote, dessen Stimme wir verachten!“

„Wenn du von Verachtung redest, so verachte dich nur selbst!“

„Hund! Hast du nicht bei der Beratung gesessen und jedes Wort vernommen, als wir über dich beschlossen haben? Du hast unsere beiden Krieger ermordet, welche Vater und Sohn waren, der alte Bär und der „Junge Bär genannt. Beide trugen ihre Namen davon, daß sie den mächtigen grauen Bären des Felsengebirges erlegt hatten; sie waren sehr berühmte Krieger – –“

„Feiglinge waren sie!“ fiel Old Surehand ihm in die Rede. „Feiglinge, die mich von rückwärts überfielen! Ich tötete sie, indem ich mich gegen sie wehrte, im offenen, ehrlichen Kampfe. Wäret ihr nicht so viele über mich gekommen, fünfzig gegen einen, und wäre ich auf diesen Kampf vorbereitet gewesen und nicht hinterrücks angegriffen worden, so hättet ihr mich anders kennen gelernt, als es geschehen ist!“

„Jeder rote Mann kennt die Bleichgesichter; sie sind blutdürstig und räuberisch wie die wilden Tiere und müssen als solche behandelt werden. Wer da glaubt, sie seien eines ehrlichen Kampfes wert, der wird von ihnen ausgelöscht. Du bist ein Bleichgesicht, doch vermute ich, daß du rotes Blut in den Adern hast; das aber sind die Schlimmsten, die es giebt.“

Diese Worte des Häuptlings frappierten mich. Old Surehand rotes Blut in den Adern! Er hatte nicht das Äußere und noch viel weniger den Charakter eines Mestizen; aber es hatte mir doch schon oft, wenn ich still und ihn beobachtend bei ihm saß, geschienen, als ob etwas Indianisches an ihm sei; ich hatte nur nicht finden können, worin das eigentlich lag. Nun sprach der Utah diesen Gedanken offen aus, und als ihm hierauf die Augen Old Surehands in tiefer, aber verhaltener Glut entgegenleuchteten, wurde mir wenigstens soviel klar: das waren Indianeraugen! Der Utah fuhr fort:

„Der Tod des jungen und des alten Bären muß gerächt werden. Wir können dich nicht mit nach dem Lager unsers Volkes nehmen, um dich dort am Marterpfahle sterben zu lassen, denn das liegt zu fern von hier; darum haben wir einen andern Tod für dich beschlossen: Du hast die beiden Bären getötet und sollst nun dafür auch von den Bären getötet werden. Liegt darin etwa eine Feigheit von unserer Seite?“

„Darin nicht, aber in der Weise, in welcher ihr es ausführen wollt.“

„Das ist keine Feigheit, sondern eine Milde gegen dich!“

Pshaw! Ihr getraut euch nicht in das Thal der Bären hinunter!“

„Wahre deine Zunge, Hund! Ist es nicht ein großes Vertrauen, welches wir dir erweisen, indem wir dich zwei Tage lang früh allein fortgehen lassen und deinem Worte glauben, daß du abends wiederkommst?“

„Wie verhält sich dieses Vertrauen zu den Worten, welche du vorhin über die Bleichgesichter gesprochen hast? Warum schenkt ihr mir diesen Glauben?“

„Weil wir wissen, daß Old Surehand hält, was er versprochen hat. Er ist in dieser Beziehung ganz wie Old Firehand und Old Shatterhand.“

„Kennst du diese beiden weißen Jäger?“

„Ich habe keinen von ihnen gesehen; aber ich weiß, daß sie nie ihr Wort brechen würden. Ganz dasselbe weiß ich auch von dir. Ihr seid die einzigen Bleichgesichter, denen man Glauben und Vertrauen schenken kann, obgleich ihr wie alle Bleichgesichter doch Feinde der roten Männer seid. Glaubst du etwa, durch deine Reden unser Urteil über dich abändern zu können?“

„Dies zu glauben, fällt mir gar nicht ein. Ich kenne euch nur zu genau!“

„Du willst damit sagen, daß auch wir Wort zu halten verstehen. Es bleibt bei dem, was über dich beschlossen worden ist. Wir geben dich morgen früh, sobald es Tag geworden ist, frei, um in das Thal der Bären hinabzusteigen. Du bekommst dein Messer und dein Gewehr. Am Abend kommst du zurück und darfst am nächsten Morgen wieder gehen, um am Abend abermals hier einzutreffen. Hast du in diesen zwei Tagen vier Bären erlegt, deren Felle du bringst, so ist dir das Leben geschenkt.“

„Das Leben, aber nicht die Freiheit?“

„Nein. Die Freiheit bekommst du erst dann, wenn du mit uns reitest und eine unserer Töchter zur Squaw nimmst. Wir haben durch dich zwei tapfere Krieger verloren, und dafür sollst du ein Krieger unsers Stammes werden, wenn du nicht von den Bären aufgefressen wirst.“

„Darauf gehe ich nicht ein; das habe ich euch schon wiederholt gesagt.“

„Das wird sich finden. Wir werden dich zu zwingen wissen!“

Pshaw! Old Surehand läßt sich nicht zwingen!“

„Diesmal doch! Ich gebe dir mein Wort. Du wärst nur dann nicht zu zwingen, wenn du dein Versprechen brächest und nicht wiederkämst. Wir wissen aber, daß dies nicht geschehen wird. Du wirst nur dann nicht zu uns zurückkehren, wenn die Tatzen und die Zähne der Bären dich zerrissen haben.“

Well! Ich werde nicht zerrissen und komme auf alle Fälle wieder. Hier grad am Waldesrande hin führt eine Schlucht in das Bärenthal hinunter; da werde ich meinen Weg hinab nehmen und auf demselben auch zurückkehren. Sollte ich aber doch nicht wiederkommen, werdet ihr da nach mir suchen?“

„Nein. Kommst du nicht, so bist du tot und aufgefressen worden.“

„Ich könnte aber doch auch nur verwundet sein!“

„Nein. Ein Mensch, der so verwundet ist, daß er nicht gehen kann, muß unbedingt ein Fraß der wilden Tiere werden. Wir suchen also nicht!“

„Sag doch die Wahrheit ehrlich heraus: Ihr fürchtet Euch vor den grauen Bären!“

„Schweig! Sind wir nicht über fünfzig Krieger?! Es giebt keinen unter uns, der sich scheuen würde, den Grizzly allein anzugreifen. Woher soll die Furcht kommen, wenn wir so viele sind? Wir warten hier, ob du vier Felle bringst, für den Jungen Bären zwei und für den alten Bären zwei. Kommst du lebend, ohne sie zu bringen, so wirst du erschossen; kommst du nicht, so bist du tot, und die beiden Bären sind gerächt. So wurde es beschlossen, und dabei wird es bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er machte mit den Händen ein Zeichen, daß er nichts mehr hören wolle, und lehnte sich wieder an den Baum. Wir warteten noch über eine Viertelstunde, und als bis dahin keiner von ihnen den Mund wieder geöffnet hatte, wußten wir, daß nun nichts mehr zu erfahren sei und verließen in der vorhin angegebenen Weise unsern Lauscherposten.

Das Auslöschen unserer Spuren war nur dadurch möglich, daß die Utahs Feuer brennen hatten. Indem wir, tief am Boden liegend, gegen diese Feuer blickten, erhielten wir das dazu nötige Licht, und doch dauerte es wohl eine Stunde lang, ehe wir uns sagen konnten, daß am nächsten Morgen nichts mehr von unserer Anwesenheit zu sehen sein werde.

Wir hatten eben das Famgestrüpp verlassen und wollten noch eine Strecke weiter zurückkriechen, bis wo wir uns aufrichten konnten, als der Häuptling sich am Feuer emporrichtete und seine Befehle für die Nacht erteilte. Wir hörten, daß alle Feuer bis auf eines ausgelöscht werden und die Roten sich um dieses und den Gefangenen in einem Doppelkreise lagern sollten. Außerdem sollten zwei Wachen unausgesetzt um das Lager patrouillieren, weil die Nähe des „Bärenthales“ die Möglichkeit zuließ, daß sich ein Grizzly hierher verirren könne.

Diese Vorsicht war allerdings geboten, zumal ein großer Teil der Utahs nur Lanzen, Bogen und Pfeile besaß, uns aber kam sie äußerst ungelegen. Nahmen wir uns vor, Old Surehand heut während der Nacht zu befreien, so wurde dies durch den Doppelkreis außerordentlich erschwert und durch die Posten, wenn wir nicht Blut vergießen wollten, fast unmöglich gemacht. Diese waren gewiß aus Angst vor den Bären doppelt aufmerksam, und wenn Winnetou und ich uns auch vorgenommen hätten, sie in unserer gewöhnlichen Weise zu überraschen, so mußten wir uns außerdem sagen, daß die anderen alle nur mit Sorgen, also leise schlafen würden. Die Art und Weise, in welcher ich Apanatschka aus der Hand der Osagen und Kolma Puschi uns aus der Gefangenschaft der Tramps befreit hatte, war hier unmöglich anzuwenden.

Während die Utahs die Befehle ihres Häuptlings ausführten, verursachten sie so viel Geräusch, daß wir uns leicht und unbemerkt entfernen konnten. Winnetou ging dann neben mir her, ohne ein Wort zu sagen. Er überlegte, doch wie ich ihn kannte, wußte ich, daß er nicht zu den Gefährten treten werde, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben.

Ich hatte mich nicht geirrt. Wir waren noch ziemlich weit von ihnen entfernt, da blieb er stehen und sagte in seiner bestimmten Weise:

„Mein Bruder Shatterhand ist überzeugt, daß wir heut nichts thun können?“

„Leider, ja,“ antwortete ich.

„Die Überwältigung der Posten würde uns wohl gelingen; aber es sind auch noch zwei bei den Pferden, und die Utahs schlafen leise.“

„Es würde dennoch gehen, wenn wir es auf einen Kampf ankommen ließen und bei demselben unser Leben wagten. Ich bin aber nicht dafür.“

„Winnetou auch nicht. Was man ohne Wagnis bekommen kann, das soll man ohne Wagnis nehmen. Wir werden also warten bis morgen früh.“

„Da reiten wir in das Bärenthal zurück?“

„Ja, um mit Old Surehand zu sprechen.“

„Welche Überraschung und welche Freude für ihn, wenn er uns sieht!“

„Sein Herz wird voller Wonne sein! Mit uns reiten aber wird er nicht.“

„Nein; er hält unbedingt sein Wort.“

„Uff! Von einem Grizzly wissen wir, wo er sein Lager hat. Man sagt, es seien im Bärenthale stets mehrere zu finden. Wenn das wahr wäre!“

„Das ist eine außerordentliche, meines roten Bruders würdige Idee!“

„Dann könnte Old Surehand die Felle bringen!“

„Seine Lage würde aber dadurch auch nicht sehr geändert sein. Er soll in diesem Falle ja nur das Leben, nicht aber die Freiheit geschenkt erhalten.“

„Mein Bruder hat recht; wir sind auf alle Fälle gezwungen, ihn zu befreien. Aber wenn er die Felle erbeutet hat, kann er mit uns gehen, sonst nicht. Er hat nicht versprochen, mit zu den Utahs zu gehen und sich dort eine Squaw zu nehmen.“

„Gut, suchen wir morgen nach Bärenfährten! Aber da denke ich an unsere eigenen Spuren. Die Utahs werden morgen den ganzen Tag durch den Park schwärmen und den Ort entdecken, wo wir heut lagern.“

„Uff! Wir dürfen nicht da liegen bleiben. Wo aber gehen wir hin?“

„Wir müssen den Park und auch die Umgebung desselben vermeiden, weil unsere Spuren da unbedingt gefunden werden. Es giebt da nur zweierlei: Entweder reiten wir weiter, in das Thal hier hinab, aus welchem die Utah gekommen sind. Das geht nicht, wegen der Dunkelheit und weil wir morgen früh doch zurück müßten. Oder wir begeben uns wieder in das Bärenthal hinab, wo wir morgen gleich an Ort und Stelle wären. Es ist das bei der jetzigen Finsternis freilich eine böse Sache, aber wir kennen die Schlucht noch von heut, und wenn wir die Pferde führen und recht langsam gehen, wird es sich vielleicht ermöglichen lassen. Freilich müssen wir dabei bedenken, daß der Grizzly sein Lager so nahe an unserm Wege hat. Ich meinerseits fürchte mich nicht.“

„Auch Winnetou läßt sich dadurch nicht abhalten, und wenn wir beide vorangehen, sind die andern sicher. Unsere Pferde würden die Nähe des Bären verkünden. Und gegen die Finsternis giebt es ein Mittel. Winnetou hat im obern Teile der Schlucht einen ganz dürren Tago-tsi stehen sehen, der uns Fackeln geben wird.“

„Schön! Also wieder in das Bärenthal hinab?“

„Ja. Was den Bär betrifft, so würden wir sein Nahen wegen dem Geräusch des Springs nicht hören können, doch werden unsere Augen desto offener sein.“

„Und die Fährte, welche wir jetzt über den Park machen? Denn wir können uns nicht wieder an seinem Rande halten, sondern müssen ihn durchqueren.“

„Winnetou wird sie mit seiner Decke auslöschen. Howgh!“

Dieses Howgh besagte, daß wir mit unserer Beratung zu Ende seien, und wir gingen nun zu den Gefährten, um ihnen zu sagen, wen wir gesehen und was wir erfahren und hernach beschlossen hatten. Unsere Mitteilung brachte die von uns vorhergewußte Wirkung hervor, besonders bei denen, welche Old Surehand schon kannten, nämlich Apanatschka, Hammerdull und Holbers. Unser Bericht war ganz kurz gewesen; sie wollten ihn ausführlich haben; Winnetou wies sie mit den Worten zurück:

„Meine Brüder mögen warten, bis wir mehr Zeit haben als jetzt. Es gilt vor allen Dingen, unsere Spuren hier an diesem Orte zu vernichten, und das erfordert eine lange Zeit.“

Er machte sich mit Schahko Matto und Apanatschka an diese schwierige Arbeit, weil mir das Bücken Schmerzen bereitete; dann stiegen wir auf und ritten quer über den Park hinüber und auf die Mündung der Schlucht zu, aus welcher wir heut gekommen waren. Wir ritten in Indianerreihe, und Winnetou machte den letzten, um mit seiner am Lasso hinter dem Pferde herschleifenden Decke die niedergetretenen Gräser wieder aufzurichten. An der Schlucht angelangt, stiegen wir ab, weil die Pferde nun geführt werden mußten.

Winnetou ging jetzt voran, und ich machte den zweiten; die anderen folgten hinter uns. Des Bären wegen hielten wir die Gewehre schußfertig in den Händen. Oben auf der Höhe des Parkes war es der aufgegangenen Sterne wegen etwas heller als vorher; in der tief einschneidenden Schlucht aber herrschte eine Finsternis, daß ich Winnetous Pferd kaum sah, obgleich ich so nahe hinter demselben ging, daß ich seinen Schwanz fassen konnte. Hier bewährte sich der unvergleichliche Orts- und Spürsinn des Apatschen wieder einmal glänzend, leider ohne daß dieser Glanz uns leuchtete.

Es war trotz unserer an die Dunkelheit gewöhnten Augen ein sehr beschwerlicher Weg, der uns nur dadurch erleichtert wurde, daß wir, wie wir noch Wußten, nicht zuweilen den Spring zu passieren hatten; sein Plätschern konnte uns stellenweise sogar als Führer dienen. Endlich, nach ziemlich langer Zeit, blieb Winnetou vorn halten und sagte:

„Hier steht zu meiner linken Hand der dürre Tago-tsi. Meine Brüder mögen die Äste befühlen und diejenigen, welche viel Harz haben, zu Fackeln abschneiden! Ich werde indessen wegen des Grizzlybären wachsam sein.“

Da ich dem Baume am nächsten stand, fand ich zuerst einen kienreichen Ast und schnitt ihn los. Als ich ihn angezündet hatte, ging das weitere leichter von statten. Bald war jeder mit einigen Fackeln versehen, und nun gingen wir weiter, die Zügel über den Arm gehängt, die Leuchte in der einen Hand und das Gewehr in der andern.

Natürlich brachten wir abwärts viel, viel länger zu, als wir aufwärts gebraucht hatten. Es war eine außerordentlich phantastische Scene. Wir kamen an die Stelle, wo Winnetou die Bärenspur entdeckt hatte. Er leuchtete nieder; es waren keine neuen Eindrücke zu sehen. Wahrscheinlich behagte es dem alten Ephraim noch gut in seinem Lager, oder war dieses doch so weit entfernt, daß er uns weder sehen noch hören konnte; wir gelangten in das Thal hinab, ohne von ihm der geringsten Beachtung gewürdigt zu werden. Damit waren aber die Schwierigkeiten noch nicht überwunden, denn es mußte ein passender Lagerplatz für uns gefunden werden.

Die Äste waren verbrannt, und wir befanden uns wieder ohne Leuchten; aber das Thal war ja breit, und so genügte uns der Schein der Sterne, uns zurecht zu finden. Wir konnten annehmen, daß wir die einzigen Menschen hier im Kuierant-yuaw seien, und durften folglich auf die Vorsichtsmaßregeln verzichten, welche in der Nähe von Feinden geboten sind. Wir suchten also einen Lagerplatz nicht unter den Bäumen auf der Seite des Thales, sondern unter freiem Himmel in der Mitte desselben und fanden endlich eine Stelle, welche wir für passend hielten.

Es lagen da mehrere große Felsstücke so beisammen, daß sie zwischen sich einen von drei Seiten eingeschlossenen Platz bildeten, welcher Raum genug für uns und unsere Pferde bot. Es war also nur die freie, vierte Seite zu bewachen. Die Lücken zwischen den Felsen waren mit Brombeerstauden ausgefüllt, zwischen denen es eine Menge vertrockneten Grases gab. Da dergleichen Orte von Schlangen aufgesucht zu werden pflegen, steckten wir das Gras in Brand, welcher sich schnell über das ganze Gedorn verbreitete und uns erlaubte, unsern heutigen Aufenthalt auf das genauste zu untersuchen. Es waren wirklich mehrere Schlangen dagewesen; wir sahen sie vor dem Feuer fliehen und erschlugen sie. Jetzt hatten wir reines Lager und konnten uns sorglos niederlassen. Zwei mußten wachen. Ich sollte meiner Wunde wegen wieder davon ausgenommen werden, gab dies aber nicht zu und übernahm mit Hammerdull die erste Wache, welche zwei Stunden zu dauern hatte.

Wir setzten uns miteinander an die offene Seite der Felsen und legten die Gewehre griffbereit neben uns. Während die Gefährten sich nur kurze Zeit unterhielten und dann einschliefen, erzählte ich dem Dicken, was wir bei den Utahs belauscht hatten. Dann ging ich nach einem nahen Gebüsch, um die jungen Zweige desselben den Pferden als Futter zu holen. Darüber verging die Zeit, und als unsere zwei Stunden um waren, weckten wir Apanatschka und Holbers, welche nach uns kamen. Die nächste Wache sollte Schahko Matto mit Treskow übernehmen, während die vierte den Apatschen allein traf. Winnetou war mehr als genug, für unsere Sicherheit zu sorgen.

Ich wäre sehr gern eingeschlafen, brachte es aber nicht fertig. Nicht daß ich das Wundfieber wieder gehabt hätte, nein, aber mein Puls ging doch schneller als gewöhnlich, warum, das konnte ich nicht sagen. Es mußte doch an der Wunde liegen. Die beiden Wächter saßen grad da, wo ich mit Hammerdull gesessen hatte, und sprachen leise miteinander. Das Knuspern der Pferde an den Zweigen und zuweilen ein Stampfen der Hufe waren die einzigen Geräusche, welche die nächtliche Stille unterbrachen. Über uns glänzten die Sterne noch heller als vorher; die Felsen und die zwischen ihnen befindlichen Personen und Pferde waren deutlich zu erkennen.

Da sah ich, daß Winnetous Rappen seinen auf das Futter niedergesenkten Kopf mit einer raschen, auffälligen Bewegung in die Höhe hob. Gleich darauf bemerkte ich bei dem meinigen genau dieselbe Bewegung. Beide Pferde ließen ein ängstliches Schnauben hören und stellten sich so, daß ihre Hinterbeine mir zugerichtet waren. Sie witterten eine Gefahr, und zwar nahte sich dieselbe von daher, wo ich lag. Ein Mensch konnte es nicht sein, denn da wäre das Schnauben der Pferde ein leiseres, warnendes und nicht ein so ängstliches gewesen. Ich horchte.

Ich lag an einer Lücke zwischen den Felsen, die erst mit Dornen ausgefüllt gewesen, seit dem Brande aber offen war; sie hatte glücklicherweise nur eine so geringe Breite, daß man mit dem Arme hindurchlangen konnte. An dieser Lücke begann es jetzt draußen zu kratzen und zu scharren, so laut und kräftig, wie kein Mensch es vermocht hätte, und zugleich war jenes fauchende Schnüffeln zu hören, welches“ ich so gut kannte, daß ich augenblicklich aufsprang, nach dem Bärentöter griff und dem Häuptling der Komantschen leise zuraunte:

„Apanatschka, ein Bär! Aber seid still, ganz still, und kommt näher heran!“

Der feinhörige Winnetou hatte im Schlafe mein Aufspringen bemerkt. Schon stand er neben mir, die Silberbüchse in der Hand.

„Ein Bär am Felsen hinter uns!“ unterrichtete ich ihn.

Die andern schliefen weiter; sie hatten nichts gehört, und wir hielten es für besser, sie nicht zu wecken, da sie vielleicht Lärm gemacht hätten, wenigstens von Treskow war dies zu erwarten.

Apanatschka war mit Holbers zu uns herangekommen; sie hatten die Hähne gespannt. Winnetou gab ihnen die Weisung:

„Ihr dürft nur im Notfalle schießen. Für den Grizzly ist das Gewehr Old Shatterhands das beste; er hat also die zwei ersten Schüsse; dann erst komme ich daran. Ihr schießt nur, wenn ich es euch sage!“

Holbers zitterte vor Aufregung. Seine Stimme bebte, als er fragte:

„Wird er etwa über den Felsen geklettert kommen?“

„Nein,“ antwortete ich. „Er wird ganz gewiß – – ah, da ist er schon! Seid still! Laßt mich machen!“

An der offenen Seite unsers Lagerplatzes kam eine dunkle, schwere Masse langsam um die Ecke getrollt; es war der Bär; er hielt den Kopf schnüffelnd zu Boden gerichtet. Unsere Pferde schnaubten laut vor Angst. Die beiden Rappen drehten sich um, die Hinterhufe zur Verteidigung ihm zugerichtet. Ich durfte noch nicht schießen; die Kugel mußte ihn zwischen die Rippen hindurch ins Herz treffen; dazu war notwendig, daß er sich aufrichtete. Ich that also einen Sprung auf ihn zu, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, wich aber auch rasch wieder zurück, denn der Grizzly ist trotz seiner scheinbaren Plumpheit ein außerordentlich schnelles Tier.

Meine Absicht wurde erreicht: Kaum hatte er mich gesehen, so stand er aufrecht da, nicht weiter als sechs Schritte von mir entfernt. Da krachte auch schon mein Schuß. Es war, als ob der Bär einen Schlag von vorn bekäme und hintenüberstürzen wolle; er stürzte aber nicht, sondern wankte hin und her und that dabei zwei Schritte vorwärts. Da gab ich ihm die zweite Kugel, die ihn niederwarf. Er zog, am Boden liegend, die Pranken an sich, als ob er jemanden umarmen und erdrücken wolle, wälzte sich auf die andere Seite, hierauf wieder herum, öffnete die Pranken und blieb dann liegen. Hierbei hatte er keinen Laut, nicht einmal einen Atemzug hören lassen. Der graue Bär hat keine eigentliche Stimme; der Kampf mit ihm ist meist ein stiller, stummer, doch grad das ist es, was diesen Kampf so „Rückenmark angreifend“ macht, wie mein alter Sam Hawkens sich auszudrücken pflegte. Beim Donnergebrüll des Löwen schießt sich’s besser!

„Er ist ausgelöscht!“ sagte Winnetou. „Die Kugeln gingen ihm beide in das Leben. Doch nähert euch ihm noch nicht! Der Grizzly hat ein zähes Leben; es kehrt zuweilen auf Augenblicke wieder.“

Die Schläfer waren natürlich bei meinem ersten Schusse aufgesprungen. Schahko Matto war still, ganz nach stolzer Indianerart. Treskow, obgleich kein Feigling, hatte sich nach ganz hinten zurückgezogen. Hammerdull drängte sich zwischen die Pferde hindurch bis her zu mir und rief:

„Ein Bär! Alle Teufel, wirklich ein Bär! Und diesen Kerl hab ich verschlafen! Ich kann doch nur eine Minute weggewesen sein, als er kam. Ich war so müde! Ich bin zornig auf mich; ich bin wütend! Ich könnte mir mit beiden Händen Ohrfeigen geben!“

„Thue das, lieber Dick, thue das gleich!“ ermahnte ihn Holbers.

„Schweig, altes Heupferd! Sich selbst zu ohrfeigen, dazu gehört weit mehr Geschick, als du zum Beispiel hast! Nein, daß grad mir so was passieren muß! Ich bin außer mir, ganz und gar, außer mir!“

„So geh in dich, daß du wieder zu dir kommst!“

„Ob ich in mich oder zu mir gehe, das bleibt sich gleich, wenn nur diese Bestie nicht so dumm gewesen wäre, erst dann zu kommen, als ich grad wieder eingeschlafen war! Wenn so ein Bär nicht mehr Verstand hat, wer soll ihn dann haben, frage ich dich?!“

So drollig er seinen Ärger ausdrückte, er meinte es doch ernst. Der kleine, dicke Kerl hätte sich gewiß nicht gefürchtet; er wäre sicher auf den Bären losgegangen! Damit ist freilich nicht gesagt, daß er ihn auch glücklich erlegt hätte. Unbedachtsamer Mut kann leicht gefährlich werden. Da Hammerdull dem lebenden Grizzly nicht hatte entgegentreten können, so ging er jetzt, trotz der Warnung des Apatschen, zu dem Toten hin, um uns zu zeigen, daß er sich nicht fürchte. Er drehte ihn, allerdings mit großer Kraftaufbietung, auf die andere Seite, zog ihm die Pranke hin und her und sagte:

„Er ist tot, Mesch’schurs, vollständig tot, sonst würde er sich das nicht gefallen lassen. Ich schlage vor, wir ziehen ihm die Handschuhe und die Stiefel samt seinem ganzen Fell vom Leibe herunter. Vom Schlafen ist doch jedenfalls nun keine Rede mehr!“

Da hatte er recht. Neben einem frisch erlegten Grizzly würde kein Jäger schlafen können. Wir mußten ein Feuer haben und gingen darum fast alle fort, um dürres Holz zu suchen. Als dieses dann brannte, sahen wir, daß es eine Bärin im Gewicht von gegen sieben Zentnern war, ein ausgezeichnet schönes Tier.

„Sie wird es sein, deren Fährte wir gesehen haben,“ meinte Treskow.

„Nein,“ antwortete Winnetou. „Die Spur war von einem viel schwereren Tier. Das ist nicht die Squaw des Bären, sondern er selbst. Wir werden ihn uns holen, wenn Surehand gekommen ist.“

Nun wurden die Messer gezogen, um der Bärensquaw die Handschuhe und die Stiefel samt dem Jagdrocke auszuziehen. Alle machten sich daran, nur Winnetou und ich nicht; wir sahen zu.

„Uff!“ rief der Apatsche nach einer Weile, indem er aufsprang und hinaus in das Freie deutete. „Das Baby steht dort!“

Das Feuer leuchtete weit zwischen den Felsen hinaus, und sein Schein zeigte uns einen jungen Bären, welcher bei den Büschen stand, von denen ich das Futter für die Pferde geholt hatte. Er hatte die Größe eines mittleren Kalbes, nur daß er dicker war.

„Hurra, das Baby von dieser Lady!“ schrie Dick Hammerdull, indem er aufsprang und hinausrannte, auf den Bären zu.

„Dick, Dick!“ rief ich ihm nach. „Faßt ihn nicht; faßt ihn nicht an! Das Tier ist viel gefährlicher, als Ihr denkt!“

„Unsinn, Unsinn! Ich hab ihn schon; ich hab ihn schon!“ schrie er zurück.

Ja, er hatte ihn schon, der Bär aber auch ihn! Erst wollte er ihn nicht loslassen, und dann konnte er es nicht. Wie sie einander gepackt hatten, das sah man nicht; sie wälzten sich im Grase, und dabei brüllte der Dicke:

Woe to me! Help, Help! Das Vieh läßt mich nicht los!“

Apanatschka flog, das Messer in der Hand, hinaus und auf die beiden wohlbeleibten Helden zu. Mit der linken Hand zwischen Mensch und Tier hineingreifend, holte er mit der rechten zum tödlichen Stiche aus. Er mußte gut getroffen haben, denn wir sahen, daß der Bär liegen blieb,- Hammerdull aber sich aufraffte, um ergrimmt zu rufen:

„So eine Bestie! So ein unkultiviertes Viehzeug! Wollte es lebendig fangen, und richtet mich auf diese Weise zu! Habe meine ganze Kraft anwenden müssen, um nur seine Zähne von mir fernzuhalten! Dafür aber wird’s gebraten und gegessen, ob’s auch noch leibt und lebt!“

Er brachte das „Baby“ an einem Beine herbeigeschleppt. Apanatschkas Messer hatte gut getroffen, grad in das Herz. Hammerdull sah nicht zum besten aus. Sein Anzug war vielfach zerfetzt und sein Gesicht zerkratzt; er blutete an den Händen, und auch von den Beinen liefen die roten Tropfen. Dieser Anblick brachte seinen Busenfreund, den langen Holbers, ganz aus der Fassung. Anstatt in mitleidigen Ausdrücken, machte sich seine Liebe in zornigen Vorwürfen Luft:

„Was hast du nur gemacht! Wie siehst du jetzt nur aus! Rennt der Kerl von hier fort, um einen Grizzly lebendig zu fangen! Solche Dummheit hat noch nie ein Mensch erlebt! Was mach ich nur mit dir? Du mußt doch den Verstand und noch viel mehr verloren haben! Denkst du denn nicht an deinen alten Holbers, der kein Blut von dir ersehen kann! Ist das deine Liebe zu mir, die du mir so oft gestanden hast? Machst du nicht durch solche Albernheiten dich und mich unglücklich durch und durch? Ist dir deine Haut dazu gewachsen, daß sie dir durch Bärenkrallen verschimpfiert werden soll? Was stehst du da und guckst mich an? Sprich! Rede! Gieb Antwort, Menschenkind!“

Hammerdull stand allerdings mit offenem Munde da und starrte seinem Liebling verwundert ins Gesicht. So eine lange Rede! Die Worte waren förmlich aus dem Munde heraus- und übereinander weggeflogen! Das konnte doch unmöglich der stille, ruhige, trockene Pitt Holbers sein! Hammerdull schüttelte den Kopf und antwortete:

„Pitt, alter Pitt, bist du’s denn wirklich noch? Ich kenne dich doch gar nicht wieder! Du bist doch auf einmal ein Redner geworden, wie er im besten Buche nicht zu finden ist! Du bist ganz aus- und umgewechselt! Man hält es nicht für möglich! Hast du mich denn gar so lieb?“

„Natürlich hab ich dich so lieb, Dummkopf! Was denn?! Mußt du mir denn das anthun, daß du dich so zerkratzen lässest! Wie siehst du aus! Guck dich nur im Spiegel an! Ach so, es ist keiner da! Mit dir hat man nichts als Kummer, Sorge und Herzeleid! Und Freude? Pshaw! Freude kann man an dir gar nicht mehr erleben!“

„Schimpf nicht so! Ob du Freude oder Herzeleid an mir erlebst, das bleibt sich gleich, das ist ganz egal, wenn du nur überhaupt etwas an mir erlebst! Wer denkt denn, daß ein solches Hündchen solche Kräfte hat!“

„Hündchen! Ein Grizzly soll ein Hündchen sein! So, wie du hier Stehst, kann ich dich nicht länger sehen. Die Augen thun mir weh vor lauter Gram und Kummer über dich! So ein altes, liebes, zerschundenes Gesicht! Komm, Dick, geh mit zum Wasser! Ich wasch dich ab!“

Er faßte ihn am Arme und zog ihn fort, zum Creek, der gar nicht weit von uns vorüberfloß. Als sie wiederkamen, war der liebe Dicke abgespült; die Krallenrisse aber hatten nicht fortgewaschen werden können; auch war sein Anzug dadurch nicht ganz geworden.

„Sieht dieser Mensch nicht wie ein Landstreicher aus?“ fragte Pitt. „Ich bitte Euch, Mr. Shatterhand, mir einen großen Gefallen zu thun!“

„Welchen?“

„Ihr habt Nähzeug dort im Sattelkissen. Bitte, es mir zu borgen, denn ich muß ihm natürlich seine zerrissenen Siebensachen zusammenflicken!“

„Gern; holt es Euch, Pitt Holbers!“

Er folgte dieser Aufforderung. Dann konnte man sehen, wie einer einfädeln wollte und doch eine halbe Stunde lang das Oer nicht fand. Hernach machte der liebe Mensch Stiche! Stiche, so weit auseinander wie die Straßenbäume! Nach dem zweiten Einfädeln hatte er keinen Knoten gemacht und nähte und nähte, ohne vorwärts zu kommen, bis ich ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Faden immer wieder herauszog. Später belehrte ich ihn noch darüber, daß diese Stelle zu wibbeln, eine andere mit Hinterstichen und eine dritte überwendig zu nähen sei. Da warf er den Zwirnknäuel zornig fort, schob mir das Bein des Dicken hin und rief, mir die Nadel, die er mir nur reichen wollte, in den Finger stechend:

„Da habt Ihr Eure ganze Flickerei, Sir! Macht’s selber, wenn Ihr’s besser könnt! Wibbeln! Hinterstiche! Hat man schon so was gehört! Was giebt es denn wohl noch für Stiche, Mr. Shatterhand?“

„Kettenstiche, einfache und doppelte Steppstiche, Messerund auch Säbelstiche.“

„Die Messerstiche lasse ich mir gefallen; mit den andern aber könnt Ihr mir vom Leibe bleiben! Flickt den Kerl zusammen! Ich habe das Nähen satt!“

Was war die Folge? Ich saß fast bis zum frühen Morgen da und besserte die Jacke, Hose und Weste des dicken Bärenbabyjägers aus! Dazwischen wurde Bärenbraten gegessen. Die Tatzen, bekanntlich das beste von dem Bären, wurden eingewickelt, um aufgehoben zu werden, denn sie haben erst dann den höchsten Grad von Delikatesse erreicht, wenn die Würmer darin zu „wibbeln“ beginnen. Ob jedermanns Geschmack?

Als der Tag graute, stiegen Winnetou und ich zu Pferde, um, den Rotschimmel Apanatschkas am Zügel führend, thalaufwärts zu reiten und die Ankunft Old Surehands zu erwarten. Wir hatten wohl zwei englische Meilen zurückgelegt, als wir links den Thalschnitt sahen, aus welchem er nach dem, was wir gestern erlauscht hatten, kommen mußte. Wir blieben in einiger Entfernung davon bei einem Gesträuch halten, hinter welchem wir uns und die Pferde versteckten, doch so, daß er unsern Augen nicht entgehen konnte.

Es lag ja die Möglichkeit vor, daß sich oben bei den Utahs irgend etwas Unvorhergesehenes ereignet oder der Häuptling seinen Plan geändert hatte; darum waren wir überaus gespannt darauf, ob der Erwartete kommen werde oder nicht. Es verging eine Stunde und darüber; da sahen wir endlich einen Menschen drüben unter den Bäumen gehen. Er kam nicht heraus ins Freie, und so konnten wir nicht deutlich erkennen, wer es war. Ich wagte dennoch laut zu rufen:

„Mr. Surehand! Mr. Surehand!“

Der Mann blieb stehen, aber nur einen Augenblick. Wenn er es war, so kam er sicher schnell herbei. Als Gefangener der Indianer mußte er ja froh sein, andere Menschen hier zu finden, zumal sie ihn kannten. Diese Annahme täuschte mich nicht. Als ich seinen Namen noch einmal, zum drittenmal rief, kam er eiligst unter den Bäumen hervorgesprungen und auf uns zugeschritten. Da wir uns nicht sehen ließen, blieb er auf halbem Wege stehen und rief uns zu:

„Wer ist da im Gebüsch? Wer hat meinen Namen genannt?“

„Ein Freund,“ antwortete ich.

„Kommt heraus! Im wilden Westen muß man vorsichtig sein.“

„Hier bin ich!“

Bei diesen Worten ließ ich mich von ihm sehen; Winnetou aber blieb noch versteckt. Old Surehand erkannte mich sofort.

„Old Shatterhand! Old Shatterhand!“

Meinen Namen nennend, ließ er vor freudigem Schreck sein Gewehr fallen, kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zugerannt und zog, nein, riß mich förmlich an sein Herz.

„Welch eine Wonne, welch eine Freude, welch ein Glück! Mein Freund, Old Shatterhand, mein Retter früher und mein Retter nun auch jetzt!“

Bei jedem Worte schob er mich von sich ab und drückte mich wieder an sich. Seine Augen leuchteten; seine Wangen glühten. Er befand sich in dem Zustande allerglücklichster Aufregung und fuhr fort:

„Wer sollte es für möglich halten, daß Ihr jetzt, grad jetzt in den Rocky-Mountains seid, grad hier im Bärenthale! Wie freue ich mich, wie glücklich bin ich darüber! Habt Ihr einen besondern Grund zu diesem Ritte?“

„Ja.“

„Welchen? Bitte, sagt es mir!“

„Ich komme von Jefferson-City herauf.“

„Ah! Seid Ihr bei dem Bankier gewesen?“

„Ja.“

„Er sagte Euch, daß ich hier herauf bin?“

„Ja.“

„Und Ihr seid mir nach?“

„Natürlich! Jefferson-City, Lebruns Weinstube in Topeka, Fenners Farm und so weiter! Ihr seht, daß ich genau unterrichtet bin.“

„Gott sei Dank! Gott sei Dank! Nun bin ich gerettet! Ihr ahnt natürlich nicht, was ich meine. Ihr müßt wissen, daß ich Gefangener bin!“

„Des Häuptlings Tusahga Saritsch!“

„Wie? Ihr wißt –?“ fragte er erstaunt.

„Heut und morgen entlassen auf Ehrenwort!“ fuhr ich lachend fort.

„Er weiß es wirklich, wirklich!“ rief er aus.

„Um vier Bärenfelle zu holen!“

„Aber – – aber, Sir – – sagt mir doch, wie Ihr das so wissen könnt!“

„Als Ihr gestern oben im Park bei dem Häuptling am Feuer saßet, haben wir drei Schritte von Euch in den Farn gesteckt und Euch belauscht!“

„Mein Himmel! Hätte ich das gewußt!“

„Wir haben jedes Wort gehört. Es war unmöglich, Euch schon diese Nacht loszumachen; darum sind wir noch gestern abend trotz der Finsternis wieder in dieses Thal herab, um Euch hier zu erwarten. Wie freuen wir uns darüber, daß Ihr gekommen seid!“

„Ihr sagt wir! Ihr sprecht nicht von Euch allein! Ist noch jemand da?“

„Ja.“

„Wer?“

„Kommt, ihn zu sehen!“

Ich führte ihn hinter die Sträucher. Als er Winnetou erblickte, stieß er einen Jauchzer aus und streckte ihm beide Hände entgegen. Der Apatsche drückte sie ihm in herzlichster Weise und bewillkommnete ihn:

„Winnetou ist froh in seiner Seele, seinen Bruder Old Surehand wiederzusehen. Wir glaubten, ihn erst droben im Parke von San Louis erreichen zu können, freuen uns nun aber um so mehr, dem Häuptling der Capote-Utahs zeigen zu dürfen, daß fünfzig von seinen Kriegern nicht genügen, Old Surehand festzuhalten!“

„Ich habe mein Wort gegeben, wiederzukommen!“ warf Old Surehand vorsichtig ein. „Sie hätten mich ohne dasselbe nicht fortgelassen.“

„Wir wissen es. Old Surehand soll sein Wort nicht brechen, sondern zu ihnen zurückkehren. Dann aber werden Old Shatterhand und Winnetou auch zu den Utahs kommen und ihnen ein Wort sagen!“

„Ich muß bis morgen abend vier Grizzlyfelle bringen, sonst ist mein Leben verwirkt. Weiß das der Häuptling der Apatschen auch?“

„Wir wissen es. Old Surehand wird die Felle bringen. Damit dies möglich werde, mag er mir erlauben, mich jetzt einstweilen zu entfernen!“

Er bestieg sein Pferd und ritt davon, ohne zu sagen, warum und wohin. Ich wußte es trotzdem: Er wollte nach Grizzlyspuren suchen.

„Wohin reitet er?“ fragte Old Surehand.

„Es gilt wahrscheinlich eine Überraschung für Euch, Mr. Surehand.“

„Welche?“

„Wenn ich es Euch sagte, würde es doch wohl keine Überraschung sein.“

Well. Müssen wir hier auf ihn warten?“

„Nein. Wir reiten auch fort. Er wird uns später wiederfinden.“

„Ich gehe natürlich von Herzen gern mit Euch, darf aber dabei nicht vergessen, daß meine Zeit sehr kostbar ist, ungeheuer kostbar.“

„Wegen der Bärenfelle?“

„Ja.“

„Das hat noch Zeit, viel Zeit. Bitte, Euch auf diesen Rotschimmel zu setzen!“

„Ihr habt drei Pferde. Ihr seid nicht allein? Ist noch jemand bei Euch?“

„Ja.“

„Wer?“

„Wartet noch eine Meile! Ich denke, daß Ihr Euch freuen werdet, wenn Ihr den Besitzer dieses Pferdes seht. Es ist auch ein Bekannter von Euch.“

Während Winnetou thalaufwärts geritten war, wendeten wir uns wieder thalab. Natürlich hatte Old Surehand sein Gewehr vorher von da geholt, wo es ihm vor Überraschung vorhin entfallen war. Er merkte, daß ihn noch eine solche erwartete, und unterließ es darum, Fragen auszusprechen, welche ich ihm doch nicht beantwortet hätte. Als wir uns dem Lagerplatze näherten, sah ich Hammerdull in der Nähe desselben stehen. Old Surehand bemerkte ihn auch, erkannte ihn und fragt mich:

„Ist das nicht der alte Dick Hammerdull, Mr. Shatterhand?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Da ist höchst wahrscheinlich auch sein zweites Ich Pitt Holbers bei Euch?“

„Natürlich! Diese beiden Toasts sind ja unzertrennlich voneinander.“

„Ah, so ist das die Überraschung, die ich haben sollte! Ich danke Euch!“

Ich ließ ihn bei dieser Meinung. Hammerdull kam uns entgegengelaufen, hielt das Pferd Old Surehands an, reichte ihm die Hand empor und rief:

Welcome, Mr. Surehand, Welcome in diesen alten Bergen! Hoffentlich habt Ihr Euern Dick nicht vergessen, seit wir uns nicht sahen!“

„O nein, lieber Hammerdull. Ich habe stets mit Vergnügen an Euch gedacht.“

„Ob mit Vergnügen oder ohne Vergnügen, das bleibt sich gleich, das ist übrigens ganz egal, wenn nur dabei Pitt Holbers auch in Euerm Herzen lebt!“

„Natürlich lebt er drin!“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Also wir alle beide?“

„Gewiß! Er, so lang wie er ist, und Ihr, so dick wie Ihr seid. Ist es so richtig?“

„Vollständig richtig! Kommt, und seht Euch den alten, guten Kerl ‚mal an!“

Wir ritten vollends bis zum Lager und stiegen da von den Pferden. Hammerdull führte Old Surehand zwischen die Felsen hinein und rief triumphierend:

„Pitt Holbers, hier hast du ihn, altes Coon! Ich bringe ihn dir gebracht. Gieb ihm die Hand; aber falle ihm ja nicht um den Hals; denn von dir kommt man nicht wieder los; deine Arme reichen zweimal um jeden Menschen herum!“

Old Surehand hatte zunächst nur Holbers im Auge; als aber dann sein Blick auch auf Apanatschka fiel, gab ihm das Erstaunen einen Ruck.

„Apanatschka! Mein roter Bruder Apanatschka!“ rief er aus. „Das – das – das hätte ich mir freilich nicht gedacht! Nun weiß ich freilich besser als vorhin, Mr. Shatterhand, was für eine Überraschung Ihr meintet! Mein roter Bruder mag mir erlauben, ihn zu umarmen!“

Die Augen des Komantschen strahlten vor Freude. Er öffnete die Arme, ohne ein Wort zu sagen. Sie hatten sich auf ihrem gemeinschaftlichen Ritte nach Fort Terrel liebgewonnen und drückten jetzt einander an die Herzen, ohne zu wissen, daß diese Herzen auch noch in anderer Beziehung zusammengehörten. Jetzt wurde natürlich auch Treskow begrüßt; dann stellte ich den Häuptling der Osagen vor. Dieser reichte ihm mit gewohnter Würde die Hand, nickte ihm freundlich zu und sagte, indem er mit der Hand auf die Bärenfelle zeigte:

„Mein Bruder Old Surehand soll den Utahs vier Häute bringen?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„Hier liegen schon zwei davon.“

„Wer hat die Bären erlegt?“

„Old Shatterhand den großen und Apanatschka den kleinen.“

„Die gelten nichts; ich selbst muß sie töten.“

Da fragte ich ihn:

„Hat das der Häuptling der Utahs ausdrücklich von Euch verlangt?“

„Nein, ausdrücklich nicht.“

„So braucht Ihr Euch keine Skrupel zu machen.“

„Oh doch! Der Häuptling konnte nicht wissen, daß ich solche Helfer hier treffen würde. Er hat jedenfalls angenommen und auch gemeint, daß ich nur Felle von Bären bringen kann, die ich selbst getötet habe.“

„Was er im stillen gemeint oder angenommen hat, geht uns nichts an. Ihr habt Euch nach dem zu halten, was gesprochen worden ist.“

„Gesagt wurde allerdings bloß, daß ich vier Felle zu bringen habe.“

„So bringt sie ihm! Zwei werden sich wohl noch finden, denke ich.“

„Dieses kleine wird Tusahga Saritsch wohl nicht gelten lassen!“

„Warum?“

„Weil es von einem jungen Bären ist.“

„Es ist ein Fell, ein ganzes, ungeteiltes Fell, an welchem nichts fehlt, was dazu gehört. Er wird es gelten lassen müssen.“

„Und wenn er es doch nicht thut?“

„So werden wir ihn zwingen. Haltet Ihr es für ein Bärenfell?“

„Natürlich!“

„So ist’s ja gut! Es handelt sich um Euer Wort, und bei der Einlösung desselben kommt es nicht darauf an, was die Utahs denken, sondern darauf, ob Ihr selbst der Ansicht seid, Euer Wort gehalten zu haben.“

„Das habe ich, wenn ich vier Felle bringe, gleichviel, wer die Tiere erlegt hat. Ich gebe Euch recht, daß ich mich nur nach dem Wortlaut zu richten habe.“

„Und nicht einmal das! Es giebt noch eine andere Anschauung der Sache.“

„Welche?“

„Daß Ihr gar keine Pelze zu bringen braucht.“

„Hm!“

„Ja; das ist doch leicht einzusehen. Was soll geschehen, wenn Ihr kein Fell bringt?“

„Ich soll erschossen werden.“

„So bringt doch keins! Wir werden dafür sorgen, daß man Euch nicht erschießt.“

„Das ist freilich richtig. Aber wenn Ihr in dem betreffenden Augenblicke nicht zur Hand seid, so bin ich verloren, Mr. Shatterhand!“

„Wir werden schon dafür sorgen, daß wir zur Hand sind. Ihr braucht nur nicht eher zurückzukehren, als bis wir bereitstehen. Gebt Euch diesen Roten gegenüber nur nicht mit überflüssigen Bedenklichkeiten ab! Was haben sie denn Euch versprochen? Wenn Ihr Euer Leben viermal wagt und vier Grizzlys tötet, erhaltet Ihr nur das Leben, die Freiheit aber nicht. Ist das gerecht?“

„Allerdings nicht!“

„Ihr habt weiter nichts versprochen, als zurückzukehren. Dieses Wort müßt Ihr halten, wie auch ich es halten würde. Mehr verlangen kann man und könnt auch Ihr selbst von Euch nicht. Es ist überhaupt jetzt nicht Zeit, uns mit diesen überflüssigen Dingen abzugeben. Ich bin überzeugt, daß es etwas giebt, was viel nötiger für Euch ist.“

„Was?“

„Das Essen.“

„Da habt Ihr freilich recht,“ antwortete er lächelnd. „Die Roten haben mich sehr kurz gehalten und mir in drei Tagen keinen Bissen gegeben.“

„So eßt Euch zunächst tüchtig satt! Das Weitere wird sich finden.“

Er bekam vorgelegt und aß mit einem Appetite, welcher allerdings auf ein dreitägiges Fasten schließen ließ. Ich hatte ihn dabei absichtlich so plaziert, daß ich den Gefährten, ohne daß er es hörte, eine Bemerkung zuflüstern konnte, die ich ihnen eigentlich schon hätte machen müssen, ehe ich fortritt, ihn zu holen. Ich sagte ihnen nämlich, daß sie die Worte Tibo taka, Tibo wete, Wawa Derrick und Myrtlewreath ja nicht gegen ihn aussprechen sollten. Ich hatte meine Gründe dazu. Als ich diese Aufforderung auch an Apanatschka richtete, sah er mir mit einem ganz eigentümlichen, träumerisch forschenden Blicke in das Gesicht, sagte aber nichts. Ging ihm jetzt vielleicht eine Ahnung dessen auf, was ich ganz allein zu wissen glaubte? Unmöglich war dies ja nicht!

Wir hatten die Pferde jetzt freigelassen. Sie grasten am Wasser, und wir lagerten uns draußen vor den Felsen, um sie im Auge zu haben und vorkommenden Falles mit unsern Gewehren beschützen zu können. Nun wurde erzählt, persönliche Erlebnisse von den Anwesenden und Ereignisse, die uns alle interessierten, aber nichts, was für die Entwickelung der gegenwärtigen Verhältnisse von Bedeutung war, ausgenommen den Bericht Old Surehands, wie er in die Hände der Utahs gefallen war.

Er hatte den ganzen, weiten Ritt allein gemacht und heut vor vier Tagen an einer Quelle gelagert, in deren Umgebung keine Menschenspur zu finden gewesen war. Sich darum sicher fühlend, war er eingeschlummert, aber plötzlich von zwei Roten, einem alten und einem jungen, die mit gezückten Messern neben ihm knieten, aufgeweckt worden. Er hatte, sie auf die Seiten werfend, sich emporgeschnellt und den Revolver gezogen; sie waren trotzdem wieder mit den Messern auf ihn eingedrungen, und so hatte er, um sich zu retten, sie niederschießen müssen. Im nächsten Augenblicke aber war er von fünfzig weiteren Roten umgeben gewesen, welche ihn so umdrängten, daß er sich trotz seiner bedeutenden Körperkraft nicht wehren konnte. Der Revolver war ihm entrissen und er selbst dann niedergerungen und gebunden worden. Das weitere zu erzählen, war nicht notwendig, wir hatten es gestern droben im Lager der Utahs belauscht.

Während dieser Unterhaltung verging die Zeit. Es wurde Mittag, und kurze Zeit darauf kam der Apatsche geritten. Er sprang vom Pferde und fragte mich:

„Hat unser Bruder Surehand alles erfahren, was er für jetzt wissen muß?“

„Ja alles,“ antwortete ich.

„Will er diese zwei Bärenfelle nehmen?“

„Ja.“

„Wir werden noch zwei andere holen. Jetzt mögen mich meine Brüder Old Shatterhand und Apanatschka begleiten.“

„Wohin?“

„Das Lager des Bären zu finden, dessen Spur wir gestern gesehen haben.“

Da fragte Dick Hammerdull schnell:

„Und ich soll nicht mit?“

„Nein.“

„Warum?“

„Die Schlucht ist eng, und überflüssige Männer würden nur im Wege sein.“

„Dick Hammerdull ist niemals im Wege! Haltet Ihr mich für einen unnützen Kerl oder für einen Feigling, welcher die Flucht ergreift, sobald er nur die Nase eines Bären zu sehen bekommt?“

„Nein; aber Dick Hammerdull besitzt zuviel Mut; er kann uns durch seine übergroße Tapferkeit leicht viel Schaden machen. Das Baby der alten Bärin hat ihm eine sehr gute Lehre gegeben.“

„Ob Lehre oder ob nicht Lehre, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; ich verspreche aber, daß ich sie sehr beherzigen werde!“

Der kleine Kerl bat so eindringlich, daß Winnetou sich zu der Entscheidung erweichen ließ:

„So mag mein dicker Bruder mitgehen; aber wenn er einen Fehler macht oder mir nicht gehorcht, nehme ich ihn nie wieder mit!“

Holbers und Treskow fühlten sich dadurch, daß sie bleiben sollten, nicht beleidigt. Schahko Matto aber fragte mißmutig:

„Glaubt Winnetou, daß der Häuptling der Osagen ganz plötzlich ein unbrauchbarer Krieger geworden ist?“

„Nein. Weiß Schahko Matto nicht, warum ich ihn hier lasse? Wer schützt unsere Pferde, wenn während unserer Abwesenheit ein Bär erscheint oder vielleicht menschliche Feinde kommen?“

Auf Holbers oder gar Treskow war da allerdings kein Verlaß. Der Osage fühlte sich gehoben und antwortete in stolzem Tone:

„Den Pferden wird nichts geschehen. Meine Brüder können ohne Sorge sein!“

Wir fünf nahmen also unsere Gewehre und gingen. Nach vielleicht zehn Minuten erreichten wir die Schlucht und drangen in dieselbe ein. Aufwärts steigend, suchten wir jedes Geräusch zu vermeiden, und waren um so vorsichtiger, je höher wir kamen. Der kleine Dick ging als der zweite gleich hinter Winnetou; er zeigte ein höchst zuversichtliches Gesicht. Wenn es auf dieses Gesicht ankam, so rissen alle grauen, schwarzen, braunen und sonstigen Bären aus!

Bei der gestrigen Stelle angelangt, wurde unser Weg eine Strecke auf- und eine Strecke abwärts sehr genau untersucht. Es war nichts zu sehen; der Bär war nicht herübergewechselt. Nun ging es über den Spring und die felsige Steilung hinauf, Winnetou voran und Hammerdull noch immer als der zweite hinter ihm her. Wir trafen auf die Gänge, welche wir schon gestern gesehen hatten. Diese Gänge vereinigten sich zu einem ausgetretenen Bärenpfade, welcher um eine scharfe Felsenecke führte. Winnetou passierte sie nicht sofort. Er schob den Kopf nur so weit vor, daß er mit einem Auge nach jenseits schauen konnte. Er blieb unbeweglich stehen und winkte mit zurückgestreckter Hand uns tiefste Geräuschlosigkeit zu. Ich war überzeugt, daß er den Bären sah. Als er sich dann wieder zu uns wendete, strahlte sein ganzes Angesicht.

Er nahm Hammerdull bei den Schultern und schob ihn, ohne ein Wort zu sagen, ganz leise, leise, langsam an die Ecke und ließ ihn vorsichtig um dieselbe schauen. Der Kleine zog schon im nächsten Augenblicke den Kopf zurück und schob sich rasch an mir und den andern vorüber, bis er an letzte Stelle kam. Er war leichenblaß geworden! Nun lugte auch ich um die Kante. Da sah ich freilich, daß es keine Schande für Hammerdull war, blaß geworden zu sein! Zwischen dem Felsen und dichtem Gedorn führte ein hartgetretener Sohlengang nach einer Stelle, wo das Gestein eine massive Hinterwand und ein weit überhängendes Dach bildete. Dort lag, vor Wind und Regen geschützt, auf zusammengescharrter Erde, Gras und Zweiggehäuf der König der grauen Bären. Ja, diesen Namen verdiente er, denn von dieser Größe hatte ich noch keinen je gesehen. Dieser alte Vater Ephraim war sicherlich seine vierzig Jahre alt; das bezeugte der Pelz, der ein noch viel älteres Aussehen hatte. Dieser Leib, dieser Kopf und diese Glieder! Wenn ich der stärkste Büffel gewesen wäre, ich hätte vor ihm die Flucht ergriffen. Er schlief. Wie mußte dieser Koloß erst aussehen, wenn er sich aufrichtete! Es war gewiß zum Zittern!

Ich trat wieder zurück und ließ auch die andern sich an der männlichen Schönheit und dem herrlichen Profile dieses sohlengängerischen Adonis ergötzen. Dann traten wir zusammen, um zu beraten. Old Surehand und Apanatschka machten ihre Vorschläge; Hammerdull hüllte sich in mutiges Schweigen. Winnetou senkte seinen Blick mit jenem unbeschreiblichen Ausdrucke, der mir unvergeßlich ist, in meine Augen und fragte mich:

„Hat mein Bruder Shatterhand noch das alte Vertrauen zu mir?“

Ich nickte, obgleich ich nun wußte, was er vorhatte.

„Zu mir, zu meiner Hand und meinem Messer?“ fragte er wieder.

„Ja.“

„Will er mir sein Leben anvertrauen?“

„Ja.“

Ich hätte nicht Nein gesagt, auch wenn mir bange gewesen wäre, denn Winnetou hätte sich mir auch unbedenklich anvertraut.

„Meine Brüder mögen kommen!“

Er führte uns zurück nach einem dichten Busche. Dort blieb er stehen und sagte:

„Hinter diesem Strauch verstecke ich mich. Old Shatterhand wird mir den Bären bringen und ihn hier vorüberführen. Meine andern Brüder mögen sich da drüben hinter jene Steine niederkauern und aufpassen, was dann geschieht! Old Shatterhand und Winnetou sind eins. Beide haben einen Leib, eine Seele und auch nur ein Leben. Das seinige gehört mir und das meinige ihm. Howgh!“

„Was wollt Ihr thun?“ fragte Old Surehand besorgt.

„Nichts, was Euch erschrecken könnte,“ antwortete ich ihm.

„Ich ahne, daß Ihr Euch in eine große Gefahr begeben wollt!“

„Es ist keine, denn ich kenne meinen Winnetou. Thut also getrost, was er Euch geboten hat, und nehmt meine Gewehre mit!“

„Was? Wie? Ihr wollt Euch wehrlos machen?!“

„Nein. Wehrlos werde ich ganz und gar nicht sein. Geht nur – geht!“

Sie begaben sich nach den Steinen und duckten sich dort nieder. Winnetou nahm sein Messer in die linke Hand und kroch hinter den Busch, so daß er nicht zu sehen war. Er flüsterte mir, falls ich ja noch bedenklich sein sollte, beruhigend zu:

„Der Wind ist unser Verbündeter, und wenn der Bär mich ja entdecken Sollte, hast du den ersten Stich!“

Mir war gar nicht bange. Eine unbekannte Gefahr kann einen beunruhigen; sobald man sie aber kennt und nahe vor sich sieht, ist diese Unruhe vorüber. Ich zog mein Messer auch mit der linken Hand und huschte an die Felsenkante zurück. Als ich um dieselbe blickte, lag der Bär noch genau so wie vorher. Wahrscheinlich hatte er in der Nacht reichlich gefressen und schlief nun um so besser. Ich wußte, daß dies vor seinem Tode der letzte Schlaf sein werde, hob einen Stein auf, trat um die Ecke und warf nach ihm. Er wurde getroffen und hob den Kopf. Die kleinen, giftigen Augen erfaßten mich, und er stand, ohne sich einmal zu dehnen und zu strecken, mit einer Schnelligkeit auf, in welcher ihn gewiß kein Tiger oder Panther übertroffen hätte. Ich huschte um die Ecke zurück und schritt, den Blick auf sie gerichtet, rückwärts dem Busche zu, hinter weichem der Apatsche steckte. Jetzt erschien der Bär, und nun galt es freilich das Leben. Wenn ich strauchelte und stürzte, war ich sicher verloren.

Das Kunststück bestand darin, den Bären an Winnetou vorüber zu locken und ihn dann zum Stehen zu bringen, um dem Apatschen einen sichern Stoß zu bieten. Mit jener schwerfällig erscheinenden Leichtigkeit, welche außer dem Bären noch dem Elefanten eigen ist, folgte er mir, langsam und überlegend, wie es schien, in Wahrheit aber sehr schnell und entschlossen. Er sah niemanden als mich und kam mir immer näher. Das wollte ich. Als ich den Busch erreichte, war er nur noch acht Schritte entfernt. Ich retirierte schneller; jetzt war er am Busche. Noch einen Schritt weiter, und wenn ich ihn nun nicht zum Stehen brachte, war es mit mir aus! Den riesigen Tatzen dieses Ungeheuers konnte kein Geschöpf der Erde widerstehen. An Stärke übertraf es sicher weit den Löwen.

Also entweder – oder! Ich sprang zwei Schritte vor und hob den Arm. Schon war Winnetou hinter dem Busche hervorgetreten und stand mit gezücktem Messer hinter dem Bären. Dieser hielt bei meiner scheinbaren Angriffsbewegung inne und richtete sich auf, kopfshöher noch als ich. In diesem Augenblicke stieß der Apatsche zu, nicht hastig schnell, sondern mit der raschen Bedächtigkeit, welche geboten war, wenn er richtig treffen wollte, nämlich zwischen die zwei bekannten Rippen in das Herz. Die Klinge war bis an das Heft hineingefahren; er ließ sie nicht stecken, sondern zog sie schnell wieder heraus, um nicht ohne Waffe zu sein.

Das Ungetüm wankte, als ob es stürzen wolle, drehte sich aber ganz unerwartet im Nu um und streckte die Pranken nach Winnetou aus, der kaum Zeit fand, zurückzuspringen. Jetzt war sein Leben in Gefahr, nicht mehr das meinige. Ich stand sofort hinter dem Bären, holte aus und stach zu, sprang aber augenblicklich, das Messer stecken lassend, wieder zurück. Jetzt gab es kein Biegen und kein Wanken; der alte „Ephraim“ stand unbeweglich still; nicht einmal der Kopf veränderte seine Stellung. Das dauerte zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Sekunden; dann brach er, wie von einem unsichtbaren Eisenhammer getroffen, genau auf derselben Stelle zusammen und rührte sich nicht mehr.

„Uff! Das war gut getroffen!“ sagte der Apatsche, indem er mir die Hand entgegenstreckte. „Der steht gewiß nicht wieder auf!“

„Ich habe nur nachgeholfen,“ antwortete ich. „Das Herz dieses Riesen muß in einem zehnfachen Beutel stecken. Es gehörte Kraft dazu, die Klinge hineinzubringen. Fast hätte er dich gehabt!“

Da lag nun die Masse Fleisch, gewiß zehn Zentner schwer! Der Kerl verbreitete einen Geruch, der jeden Appetit auf seine Tatzen vergehen ließ. Gewöhnlich riechen die katzenartigen Raubtiere viel penetranter als der Bär; dieser machte eine Ausnahme.

Jetzt kamen die Gefährten herbei. Wir streckten den Körper des Grizzly aus und konnten nun erst die erschrecklichen Formen desselben anstaunen und daran denken, was aus uns geworden wäre, wenn wir uns auf unsere Klingen nicht hätten verlassen können.

„So hatte ich mir das nicht gedacht,“ sagte Old Surehand. „Bloß mit dem Messer auf so ein Untier loszugehen, heißt wirklich, Gott versuchen. Ich bin kein Schwächling und kein feiger Mensch; dies aber würde ich nicht wagen!“

„Mein Bruder irrt,“ antwortete Winnetou. „Ein gutes Messer und eine sichere Hand, die sind oft besser als eine nicht ganz genau gezielte Kugel. Nicht jeder Bär ist so stark wie dieser hier!“

Apanatschka sagte nichts; er zog nur mein Messer heraus und mußte dabei solche Kraft anwenden, daß er still den Kopf schüttelte. Um so lauter war Dick Hammerdull. Er sah die Wunden an und sagte:

„Ganz eng nebeneinander! Wie weiß man denn eigentlich die Stelle, in welche man stechen muß, Mesch’schurs?“

„Das sagt keine bestimmte Regel, sondern nur das Augenmaß,“ antwortete ich. „Es ist nicht ein Bär so wie der andere gebaut, und auch die Beschaffenheit des Pelzes kann leicht verhängnisvoll werden.“

„Hm! Wenn man nun die Rippe trifft?“

„So rutscht man ab und wird dafür wahrscheinlich rasch skalpiert.“

„Danke! Da lobe ich mir doch mein Gewehr! Ja, wenn man mit der einen Hand gemächlich nach der Stelle suchen könnte, um dann mit der andern zuzustoßen! Dann möchte ich es auch versuchen.“

„Der Kampf mit einem Grizzly ist kein Schweineschlachten!“

„Das habe ich gesehen! jetzt aber sagt, was mit diesem lieben Vater Ephraim geschehen soll?“

„Wir nehmen ihm den Pelz und lassen ihn dann liegen.“

„Kein Fleisch?“

„Danke!“

„Warum nicht?“

„Das würde sich grade wie Sohlenleder kauen. Wir wollen uns beeilen, denn Winnetou scheint noch weitere Arbeit für uns zu haben!“

„Mein Bruder Shatterhand hat es erraten,“ nickte der Apatsche.

„Giebt es noch eine Grizzlyspur?“

„Ja; aber sehr weit von hier, ganz am oberen Ende des Thales.“

„Das läßt sich denken. Die Grizzlys können doch nicht so eng beisammen wohnen wie die Biber oder Prairiehunde. Meint mein Bruder Winnetou, daß wir heut vor Nacht noch fertig werden?“

„Ich denke es; die Pferde werden uns ja rasch hinbringen.“

„Darf ich da auch wieder mit?“ fragte Hammerdull.

„Nein,“ antwortete ich.

„Warum nicht? Habe ich mich hier nicht gut benommen, Sir?“

„Es gab für Euch überhaupt gar nichts zu benehmen. Übrigens war Euch, wie mir schien, der Kerl etwas zu groß gewachsen?“

„Das will ich allerdings nicht falsch ableugnen. Man läßt sich wohl einen Bären gefallen, aber so einen doch nicht! Ich habe mich auch, als ich ihn sah, sofort ins hinterste Glied gemacht. Grad und genau so bescheiden würde ich sein, wenn ich noch einmal mitthun dürfte!“

„Das geht nicht. Schahko Matto muß berücksichtigt werden. Er würde es als eine Beleidigung auffassen, wenn wir ihn wieder ausschließen wollten.“

„Ob Ihr ihn ausschließt oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn er nur mit dabei sein darf. Ich trete also gern zurück.“

„Gern oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn Ihr nur müssen müßt!“ persiflierte ich ihn. Jetzt lauft einmal zum Lager, um ein Pferd zu holen, damit nicht wir das schwere Fell zu tragen haben!“

Er folgte dieser Weisung. Als er wiederkam, brachte er seine alte Stute und auch noch Pitt Holbers mit. Weil ich ihn nicht fragte, weshalb, gab er mir selber die Erklärung:

„Hier ist das Pferd, welches Ihr haben wollt, Mr. Shatterhand!“

Pitt Holbers war nämlich mit zu uns auf den Felsen gekommen; die Stute aber stand drunten am Wege neben dem Spring. Wir waren fertig mit der Arbeit geworden, auch diesem Bären die Handschuhe, Stiefel und den Rock zu nehmen; darum gebot ich:

„Da, schafft das Fell hinüber zu dem Pferde!“

„Wie? Zu meiner Stute?“ fragte Hammerdull schmunzelnd. „Die habe ich nur für mich geholt, nicht aber für das Fell.“

„Und wer soll dieses tragen?“

„Das Pferd, welches Ihr verlangt habt, Mr. Shatterhand, nämlich dieses Heupferd hier, Pitt Holbers, das alte Coon.“

Jetzt ging dem guten Pitt erst ein Licht auf, weshalb sein dicker Freund ihn mitgenommen hatte. Er fuhr ihn zornig an:

„Was fällt dir ein! Ich denke, ich soll die Ehre haben, der erste von uns sein zu dürfen, der diesen Bär zu sehen bekommt! Statt dessen spielst du schon wieder mit mir Schabernack!“

„Ereifre dich doch nicht so, lieber Pitt! Bist du denn von euch nicht der erste, der den Bär zu sehen bekommt?“

„Aber den Pelz schleppe ich nicht!“

„Gut, so will ich ein Einsehen haben, denn du hast an deiner Haut genug zu tragen. Also nur hinüber bis zum Pferd. Fass‘ an!“

Während sie sich mit der schweren Haut schleppten, gingen wir andern rascher fort. Nun erst, da sie vorüber war, stellte sich die überstandene Gefahr in ihrer ganzen Größe vor mein Auge. Ein solches Wagnis war mit keinem andern als nur mit Winnetou allein zu unternehmen. Wenn man ein solches Ungetüm in dieser Weise erlegen will, kann der geringste Mangel an Geschick und Geistesgegenwart verderblich werden; auf den Apatschen aber konnte ich mich verlassen.

Im Lager angekommen, erklärten wir Schahko Matto, daß er nun mit uns reiten solle; er fand das für ganz selbstverständlich. Treskow, Hammerdull, Holbers und Apanatschka sollten bei den Fellen bleiben. Der letzte hätte sich uns sehr gern angeschlossen, wußte aber gar wohl, warum wir ihn nicht mitnahmen; auf ihn konnten wir uns mehr verlassen als auf die andern drei zusammen.

Wir ritten also jetzt thalauf, an der Stelle vorüber, wo wir die Begegnung mit Old Surehand gehabt hatten. Winnetou hatte uns außer der Entfernung, welche wir zurücklegen sollten, keine Andeutung über das Abenteuer gegeben, welchem wir entgegengingen.

Das Thal war außerordentlich lang und wurde, je höher wir in demselben aufwärts kamen, um so schmäler. Es begegneten uns zuweilen Büffel, teils einzeln, teils in Familien, aber nicht in größern Trupps, weil die Zeit der eigentlichen Herbstwanderung noch nicht da war. Diese Tiere waren so Wenig menschenscheu, daß sie nicht etwa vor uns flohen, sondern nur zur Seite wichen. Wir schlossen daraus, daß sie während des Sommers von keinem Jäger gestört worden waren. Es gab sogar alte Stiere, welche nicht einmal zur Seite gingen, sondern uns verwundert anglotzten und höchstens herausfordernd den großen Kopf mit den starken Hörnern senkten, bis wir vorüber waren. Natürlich regte sich die Jagdlust in uns allen; wir durften ihr aber nicht folgen, Weil wir keine Zeit dazu hatten und von den Bären mehr als genug Fleisch besaßen.

Der Westmann tötet eben nie ein Tier, wenn er dessen Fleisch nicht braucht. Auch ist es nicht wahr, daß die Indianer zur Zeit der beiden Büffelwanderungen große, ganz unnötige Metzeleien unter den Bisons angestellt hätten. Der Rote wußte nur zu gut, daß er ohne diese Herden nicht leben könne, sondern zu Grunde gehen müsse, und hütete sich infolgedessen stets, mehr Fleisch zu machen, als er brauchte. Wenn der Buffalo jetzt ausgestorben ist, so trägt nur der Weiße allein die Schuld daran. Es haben sich da zum Beispiele ganze Gesellschaften von „Sauschützen“ zusammengethan und Bahnzüge gemietet, welche da halten mußten, wo man in der Prairie eine Büffelherde traf. Von dem Zuge aus wurde dann aus reiner Mordlust unter die Tiere hineingeschossen, bis man die Kracherei satt bekam. Dann fuhr man weiter, um bei der nächsten Herde wieder anzuhalten. Ob die getroffenen Büffel tot oder nur verwundet waren, darnach wurde nicht gefragt. Die angeschossenen Tiere schleppten sich fort, so weit sie konnten, und brachen dann zusammen, um von den Geiern und Wölfen zerrissen zu werden. So sind Tausende und Abertausende von Bisons nur aus Blutgier niedergepafft oder todkrank geschossen worden und Millionen von Zentnern Fleisch verfaulten, ohne daß ein Mensch den geringsten Nutzen davon hatte. Ich selbst bin nicht selten an Stellen gekommen, wo solche Massakres stattgefunden hatten, und habe die bleichenden Knochen in großen Haufen beisammenliegen sehen. Nicht einmal die Felle und Hörner waren mitgenommen worden.

Beim Anblicke solcher Büffelleichenfelder mußte sich das Herz jedes echten Westmannes gradezu umdrehen, und was nun erst die Indianer dabei dachten und dazu sagten, das läßt sich wohl unschwer denken! Sie waren selbstverständlich der Ansicht, daß die Regierung diese niederträchtigen Metzeleien nicht nur dulde, sondern sogar begünstige, um die Ausrottung der nun dem Hunger preisgegebenen roten Rasse zu beschleunigen. Und wenn der Redman sich gegen diese Sauschießereien zu wehren versuchte, wurde er ebenso schonungslos wie die Büffel niedergeknallt.

Wo sind nun die Bisons und wo die stolzen, ritterlichen roten und weißen Jäger hin? Ich behaupte, daß es nicht einen, aber auch nicht einen einzigen jener Westmänner mehr giebt, von deren Thaten und Erlebnissen an jedem Lagerfeuer erzählt wurde. Ihre Gebeine sind zerstreut, und wenn die Hacke oder der Pflug jetzt einen halb vermoderten Schädel aus der Erde hebt, ist dieser Ort wahrscheinlich der Schauplatz eines heimtückischen Überfalles oder eines verzweifelten Kampfes gewesen, bei welchem, wie überall hier im blutgetränkten Westen, die erbarmungslose Gewalt das Recht vernichtete. –

Wir waren über eine Stunde, und zwar nicht langsam, geritten und hatten doch das Ende des Kui-erant-yuaw noch nicht erreicht; da hielt Winnetou sein Pferd endlich an und sagte:

„Nun nur noch zwei Minuten, so kommen wir an eine Stelle, an welcher Winnetou einen niedergeschlagenen Büffel fand. Er war von einem Grizzly geworfen worden, denn der Sieger hatte nur wenig Fleisch gefressen, sondern die Markknochen zerbrochen und ausgesaugt; das thut nur der graue Bär. Seine Spur führte nach dem Rande des Thales und ein Stück den Berg hinauf.“

„Hat Winnetou sein Lager dort entdeckt?“ erkundigte sich Old Surehand.

„Nein. Ich wollte nur seine Fährte ausmachen, ihn aber nicht aufstören, damit meine Brüder auch sagen können, daß sie einen Grizzly erlegt haben. Ich denke, daß ich da richtig gehandelt habe!“

„Ja, das ist recht! Wenn ich die Felle vorzeige, will ich mir sagen dürfen, daß ich wenigstens eins davon erbeutet habe.“

„Wünscht Old Surehand vielleicht, daß wir ihm diesen Grizzly überlassen?“

„Ja; ich bitte darum!“

„So soll er ihn haben! Will er sich dazu den Bärentöter Old Shatterhands leihen?“

„Nein; ich kann mich auf mein Gewehr verlassen.“

„Und was thue ich dabei?“ fragte der Häuptling der Osagen. „Soll man von Schahko Matto erzählen, daß in seiner Gegenwart vier Bären erlegt worden seien, ohne daß er eine Hand dazu gerührt habe?“

„Mein roter Bruder wird, wenn er das will, wohl auch zu thun bekommen; in welcher Weise, das wird sich zeigen, wenn wir den Grizzly finden. Wir halten in der Nähe an und – – uff, uff!“

Wir waren während des letzten Teiles dieses Gespräches weiter geritten; jetzt parierte Winnetou sein Pferd wieder und streckte den Arm aus, um vorwärts zu deuten. Da sahen wir vielleicht tausend Schritte von uns einen Grizzly an der linken Seite des Thales unter den Bäumen hervorkommen und in gerader Richtung quer über den offenen Plan trollen. Er hielt den Kopf tief an den Boden gesenkt und sah weder rechts noch links. Wenn er ihn nur ein wenig nach unserer Seite gerichtet hätte, wären wir unbedingt von ihm bemerkt worden. Winden konnte er uns freilich nicht, weil die Luft thalabwärts wehte.

„Jetzt, am hellen Tage!“ sagte Old Surehand. „Der Kerl muß Hunger haben!“

„Ja,“ nickte Winnetou. „Daß er jetzt sein Lager verläßt, ist ein Zeichen davon, daß er Appetit bekommen hat, aber auch davon, daß diese Gegend seit langer Zeit von keinem Jäger besucht worden ist.“

„Wo liegt der Büffel?“ erkundigte ich mich.

„Mein Bruder kann ihn von hier aus nicht sehen, weil das kleine Gebüsch da vorn dazwischen liegt,“ antwortete der Apatsche.

„Daß der Bär ganz gegen seine sonstige Gewohnheit jetzt kommt, erspart uns Zeit. Wir brauchen ihn nicht zu suchen. Steigen wir hier ab und hobbeln wir die Pferde an! Das Gebüsch, von welchem Winnetou sprach, erlaubt uns die Annäherung, ohne daß er es bemerkt.“

„Meine Brüder mögen noch einen Augenblick warten; ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen,“ sagte der Osage, indem wir abstiegen.

„Welchen?“ fragte Old Surehand.

„Ich habe nichts dagegen, daß mein Bruder Surehand diesen Grizzly erlegt; aber es mag mir erlaubt sein, mich dabei zu beteiligen!“

„In welcher Weise?“

An der Weise, wie Old Shatterhand und Winnetou den ihrigen getötet haben.“

„Das ist zu gewagt!“

„Nein.“

„Oh doch! Ich bin nicht sicher, ihn mit dem Messer gleich so zu treffen, daß er fallen muß. Ist Schahko Matto vielleicht sicher?“

„Auch ich habe noch keinen grauen Bären nur mit dem Messer erlegt. Ich meine auch nicht, daß wir die Messer nehmen, was allerdings gefährlich sein würde. Aber kann Old Surehand sich auf sein Gewehr verlassen?“

„Ja.“

„So wird es leicht sein, ihn zu töten. Mein Bruder versteckt sich mit seinem Gewehre, und ich bringe ihm den Bären grad so, wie Old Shatterhand es vorhin mit dem seinigen gethan hat.“

„Wenn Schahko Matto das wagen will, habe ich nichts dagegen.“

„Es ist kein Wagnis, wenn nur die Kugel dahin trifft, wo sie zu sitzen hat.“

Pshaw! Ich werde doch keinen Fehlschuß thun!“

„Sind Winnetou und Old Shatterhand einverstanden?“

Natürlich waren wir es. Wir hobbelten die Pferde eng und gingen im Gänsemarsche auf das betreffende Gebüsch zu. Dort angekommen, sahen wir, vielleicht hundert Schritte von uns entfernt, den Grizzly bei dem Büffel. Er wendete uns den Rücken zu und grub mit den Tatzen in das Fleisch hinein, um die Röhren bloßzulegen. Nächst dem Gehirn ist das Knochenmark die größte Delikatesse für den grauen Bären. Ungefähr dreißig Schritte von uns lag ein Felsstück von der Größe, daß ein Mann sich hinter ihm verbergen konnte. Der Osage deutete auf dasselbe und sagte:

„Mein Bruder Surehand legt sich an diesen Stein; ich gehe zum Bären und hole ihn; das wird so leicht wie ein Spiel der Knaben sein.“

Ich war ebensowenig wie Winnetou dieser Meinung Schahko Mattos. Die Entfernung von dem Bären bis zum Felsen war zu groß; aber um den Stolz des Osagen nicht zu verletzen, schwiegen wir.

Er ließ sein Gewehr bei uns zurück, legte sich auf die Erde und kroch auf den Felsen zu, diesen natürlich als Deckung gegen den Bären nehmend. Old Surehand folgte ihm, selbstverständlich mit dem Gewehre, in derselben Weise. Bei dem Steine angekommen, blieb Old Surehand dort liegen, während der Osage weiter kroch.

Der Bär merkte noch immer nichts von dem, was gegen ihn im Werke war. Wir hörten trotz der weiten Entfernung die Knochen zwischen seinen Zähnen krachen. Schahko Matto schob sich vorwärts, weiter, immer weiter; das war mehr unvorsichtig als mutig.

„Uff!“ sagte der Apatsche. „Wir wollen unsere Gewehre bereit halten. Der Häuptling der Osagen weiß den Weg nicht einzuteilen!“

Ich konnte Schahko Matto auch nicht begreifen; er zog die Schnelligkeit eines Grizzly gar nicht mit in Berechnung. Er durfte sich nur so weit von Old Surehand entfernen, daß er auf dem Rückwege nicht von dem Bären eingeholt werden konnte. Anstatt aber den Grizzly so aufmerksam zu machen, daß er, von ihm verfolgt, noch vor ihm bei Old Surehand ankam, kroch er weiter, immer weiter! Da legte Winnetou beide Hände an den Mund und rief:

„Anhalten, Schahko Matto! Anhalten und aufstehen!“

Der Osage hörte es und erhob sich. Der Bär hatte es auch gehört und drehte sich nach der Gegend um, aus welcher die Stimme kam. Er sah den Indianer und trabte augenblicklich auf ihn zu. Was das zu bedeuten hatte, wird daraus klar, daß der Trab eines Grizzly gleich dem Galoppe eines Pferdes ist. Schahko Matto war ihm auf zwanzig Schritte nahe gekommen, hatte also bis zu Old Surehand fünfzig zurückzulegen; er mußte vor der Zeit von dem Bären eingeholt werden! Dazu kam, daß Old Surehand, wenn er den Petz wirklich nicht nur verwunden, sondern erlegen wollte, nicht eher schießen durfte, als bis dieser sich aufrichtete und dabei die Brust zum Ziele bot. Ich rief ihm also hastig zu:

„Jetzt ja nicht schießen, Mr. Surehand! Ich werde den Osagen beschützen!“

Ich legte also meinen Bärentöter an und wartete. Schahko Matto hatte wohl noch nie in seinem Leben solche Sprünge gemacht wie jetzt; es war aber vergeblich; der Grizzly kam ihm rapid näher.

„Schahko Matto, eine Wendung zur Seite machen!“ schrie ich ihm zu.

Er und der Bär kamen nämlich in einer geraden Linie auf uns zu; es konnte also niemand auf das Tier schießen, ohne den Menschen zu treffen. Er achtete aber nicht auf meinen Ruf und rannte geradeaus weiter. Da sprang ich hinter dem Busche weit hervor und schrie ihm die Warnung wieder zu; der Bär war nur drei Schritte hinter ihm. Jetzt verstand er mich und bog rasch seitwärts ab; nun hatte ich freies Ziel und der Bär bekam meine Kugel, noch ehe er ihm folgen, konnte. Es war natürlich kein Schuß auf den Tod; ich wollte dem Grizzly nur einen Halt gebieten, und das gelang; er ließ den Osagen laufen und blieb stehen. Den Kopf hin und her bewegend, sah er sein Blut laufen und hob die Tatze nach der Wunde, welche meine Kugel ihm unterhalb des Halses geschlagen hatte. Diesen Augenblick ergriff Old Surehand, indem er sich hinter dem Felsen aufrichtete und kühn auf den Bären zuschritt; die Entfernung betrug ungefähr dreißig Fuß. Der Grizzly sah ihn kommen und richtete sich auf. Old Surehand ging unentwegt weiter und gab ihm die erste und nach einigen Schritten die zweite Kugel in die Brust. Dann warf er das Gewehr weg und zog das Messer. Diese Vorsicht war aber glücklicherweise überflüssig; auch dieser „Vater Ephraim“ hatte genug; er fiel um, wälzte sich einigemal hin und her, zuckte konvulsivisch mit den Pranken und ließ dann seine Seele nach den ewigen Jagdgründen wandern, seinen Leib aber mit dem Felle hier bei uns zurück.

Von dem Warnungsruf Winnetous an bis jetzt war nicht eine Minute vergangen, so schnell hatte sich die Scene abgespielt. Schahko Matto stand mit tief arbeitender Brust und ohne Atem bei uns.

„Das – das – – ging mir an das Leben!“ keuchte er.

„Warum war mein Bruder so unvorsichtig!“ antwortete der Apatsche.

„Unvorsichtig? Ich?“

„Ja! Wer sonst?“

„Du! Winnetou!“

„Uff! Ich soll unvorsichtig gewesen sein?“

„Ja. Hättest du mir nicht vor der Zeit zugerufen, so wäre der Bär nicht auf mich aufmerksam geworden! Das ist doch richtig!“

Winnetou sah ihm einen Augenblick lang lächelnd in das Gesicht, sagte kein Wort und wendete sich dann stolz von ihm ab.

„Er dreht sich um! Habe ich nicht recht?“ fragte der Osage nun mich.

„Der Häuptling der Osagen hat unrecht,“ antwortete ich.

„Old Shatterhand irrt sich!“

„Beweise es!“

„Mußte Winnetou den Bären auf mich aufmerksam machen?“

„Ja. Du krochst doch zu dem Tiere hin, damit es aufmerksam werden solle.“

„Aber doch nicht so zeitig!“

„Nicht so zeitig? Früher, viel, viel früher hätte es geschehen sollen! Du hättest viel eher aufstehen und den Bären anrufen sollen; dann wäre er dir nicht vor der Zeit nachgekommen, und du hättest Old Surehand auch nicht die ganze Freude verdorben.“

„Die Freude habe ich ihm verdorben? Womit?“

„Durch den Schuß, den ich abgeben mußte, um dir das Leben zu retten.“

„Und der hat Old Surehand um die Freude gebracht?“

„Natürlich!“

„Ich verstehe Old Shatterhand nicht!“

„Das ist mir unbegreiflich. Das Tier hat, ehe Old Surehand es erlegte, schon eine Kugel von mir bekommen. Muß ihn das nicht ärgern?“

„Uff, uff! ja; daran habe ich nicht gedacht.“

„So denke nun auch daran, daß du dich bei Winnetou hättest bedanken sollen, anstatt ihm Vorwürfe zu machen! Hätte er dir nicht zugerufen, und wärest du dem Bären noch näher gekommen, so lebtest du wahrscheinlich jetzt nicht mehr. Das gebe ich dir zu bedenken!“

Jetzt ließ auch ich ihn stehen und ging zu dem Grizzly hin, bei welchem Winnetou und Old Surehand schon damit beschäftigt waren, ihm „den Pelzrock auszuziehen“. Dieser Vater Ephraim stand, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, in dem besten Mannesalter, und so nahmen wir seine Tatzen mit. Schahko Matto erwirkte es dann, daß wir uns auch einen der beiden Hinterschinken herausschälten, da es geraten erschien, uns so viel wie möglich mit Fleisch zu versehen, von dem allerdings zu erwarten war, daß es sich oben im kühlen Gebirge gut halten werde.

Jetzt hatten wir auch den vierten Pelz und konnten nach dem Lager zurückkehren. Vier Bären im Laufe eines Tages! Das war, obgleich sich ein junger darunter befand, ein höchst seltenes Jagdergebnis, zumal niemand dabei eine Verletzung davongetragen hatte, ein Ergebnis, welches kaum irgendwo anders als in diesem abgelegenen, kaum von einem Weißen besuchten Kui-erant-yuaw hatte stattfinden können! Wir andern waren ebenso erfreut darüber wie Old Surehand, der nun die Erwartung der Utahs, daß die Bären ihn zerreißen würden, ihnen als nichtig beweisen konnte.

Als wir das Lager erreichten, war es schon spät am Nachmittage, und es galt nun, für den Abend unsere Beschlüsse zu fassen. Old Surehand hatte zwar eine zweitägige Frist bekommen; es fiel uns aber gar nicht ein, einen Tag unnötig zu verschwenden. Was zu seiner Befreiung geschehen konnte, das mußte schon heut geschehen, aber was und wie, das waren die wichtigen Fragen.

Old Surehand konnte die Felle unmöglich allein hinauf nach dem Park schleppen; wir mußten sie unsern Pferden zu tragen geben. Aber da, wo er heruntergekommen war, durften wir nicht hinauf, denn da wären die Utahs uns gewahr geworden. Wir machten also mit ihm aus, daß er allein hinaufsteigen solle, und zwar noch während es hell war. Er sollte sich dann um das Lager der Roten herumschleichen, sich aber ja nicht sehen lassen, und nach der nordwestlichen Ecke des Parkes kommen, wo er uns entweder schon antreffen würde oder auf uns warten müsse. Wir aber wollten in unserer Schlucht, wo wir den großen, alten Vater Ephraim erlegt hatten, wieder hinauf und auf demselben Wege wie gestern, also am südlichen und westlichen Rande des Parkes unter den Bäumen hin, unbemerkt das genannte Rendezvous zu erreichen suchen. Er ging auf diesen Vorschlag ein und machte sich, um das Tageslicht ausnutzen zu können, gleich jetzt schon auf den Weg. Dick Hammerdull warf eine Kußhand hinter ihm her und rief ihm nach:

„Leb wohl, herzlieber Schatz! Komm ja heut abend zum Tanze!“

Und sich an seinen Busenfreund wendend, fügte er lustig hinzu: „Du wirst dazu aufspielen. Welches Instrument kannst du denn blasen, alter Pitt?“

„Die längste Posaune von Jericho,“ antwortete dieser.

„Ja, das stimmt. Alles, was lang ist, kannst du blasen, nur dich selber nicht! Möchte auch die Töne hören, die aus dieser alten Oboe kämen!“

„Zupf dich an deinen eigenen Saiten, alte Guitarre! Du bist verstimmt!“

„Ob ich verstimmt bin oder nicht, das bleibt sich gleich; heut aber möchte ich mich hören lassen. Drei Riesenbären und ein Baby dazu! Das ist noch gar nicht dagewesen; so etwas hat es gar noch nie gegeben!“

„Ja, und alle vier hast du allein erlegt!“

„Spotte nicht! Hast etwa du ihren Tod auf deinem Herzen?“

„Nein. Ich thu aber auch nicht so dick wie du damit. Verstanden?“

„Vom Dickthun kann keine Rede sein. Ich habe nur die Ereignisse und Ergebnisse der heutigen Weltgeschichte aufgezählt, welche übrigens noch gar nicht abgeschlossen ist. Es kommt ja nun erst noch der gewaltige Schreck, den wir da oben den Utahs einjagen werden.“

„Uff! Die werden sich wohl ganz besonders vor dir entsetzen?“

„Jedenfalls mehr als vor dir! Doch schau, die andern Gentlemen sind schon fertig. Steig auf, altes Coon, zu neuen großen Heldenthaten!“

Wir verließen das Lager und traten den Weg nach oben an.

Es war trotz der Angst, welche die Utahs vor den Grizzlys hatten, möglich, daß sie wenigstens eine Strecke in die Schlucht herabgekommen waren; der Bär ist ja bei Tage nicht so wie in der Nacht zu fürchten. Darum mußten wir vorsichtig sein und schickten Winnetou voraus, um uns zu warnen, falls dies nötig werden sollte. Er fand aber keine Veranlassung, dies zu thun, denn er hatte niemand gesehen.

Als wir oben ankamen, war es dunkel geworden, so daß wir keine Spur entdecken konnten, ob die Utahs ihre Streifereien bis hierher ausgedehnt hatten. Wir kannten den Weg von gestern, und da wir nicht ritten, sondern die Pferde führten, kamen wir ganz leidlich bis zu der hohen Baumgruppe, bei welcher die Kameraden gestern auf mich und Winnetou, während wir die Utahs belauschten, gewartet hatten.

Hier mußten wir die Pferde lassen, durch welche wir leicht hätten verraten werden können, wenn wir sie näher zu den Utahs mitgenommen hätten.

Die Felle tragend, gingen wir dann weiter bis zu der Ecke, zu welcher wir Old Surehand bestellt hatten. Er war noch nicht da. Das war leicht erklärlich: Er kannte das Terrain nicht so wie wir und mußte sich vorsichtig um die Indianer schleichen; dazu war mehr Zeit erforderlich, als wir für uns nötig gehabt hatten.

Endlich kam er. Er war natürlich sehr erfreut darüber, daß weder ihm noch uns etwas begegnet war, was unser Zusammentreffen verhindert hätte, und teilte uns mit, daß die Roten schon ihre Lagerfeuer brennen hätten. Wir hatten das schon gerochen, wenn es auch nicht möglich gewesen war, sie zu sehen.

Über das, was nun geschehen sollte, waren wir einig. Die Felle mußten in die Nähe des Lagers geschafft werden, und zwar nach der Seite desselben, von welcher Old Surehand aus dem Thale heraufzukommen hatte. Da dies die von uns abgewendete war, mußten wir einen Umweg machen, einen nach dem offenen Parke gerichteten Bogen schlagen, was nicht schwer war, weil wir dabei nicht durch Bäume gehindert wurden. Wir langten glücklich jenseits der Utahs an und legten die Felle in so geringer Entfernung vor dem Lager nieder, daß es eine Schande für die Roten war, uns nicht bemerkt zu haben.

Jetzt galt es nun zuletzt, uns ebenso unbemerkt hinter sie zu schleichen. Um uns dies zu erleichtern, mußte ihre Aufmerksamkeit von uns abgelenkt werden, und dies konnte am sichersten durch Old Surehand geschehen. Wenn er am Lager ankam, waren jedenfalls alle Augen und Ohren auf ihn gerichtet, und so bekam er die Weisung, sich ungefähr zehn Minuten nach unserer Entfernung bei den Feuern sehen zu lassen.

Wir drangen also, einer hinter dem andern und uns an den Händen führend, in den Wald ein. Die Feuer zu unserer Linken erleichterten uns das Vorwärtsdringen. Dennoch war die angegebene Zeit schon fast vorüber, als wir hinter den Roten unter den Bäumen kauerten. Wir hatten uns ihnen noch mehr zu nähern, und um das zu können, mußten wir auf die Ankunft Old Surehands warten.

Da ertönten laute, verwunderte Rufe. Er war gekommen, und nun schoben wir uns, am Boden kriechend, in das schon gestern erwähnte Farngestrüpp hinein. Heut war dabei die gestrige große Vorsicht nicht nötig, weil kein Mensch nach dieser Seite blickte.

Das Aufsehen, welches die Rückkehr Old Surehands erregt hatte, war noch nicht vorüber, als wir es uns in den Farn schon so bequem wie möglich gemacht hatten. Bemerken muß ich, daß der Häuptling Tusahga Saritsch genau an demselben Platze wie gestern saß, doch heut allein. Er war der einzige, welcher nicht aufgestanden war; die andern alle umdrängten Old Surehand und riefen ihm ihre Fragen zu, von denen er, still um sich sehend, keine beantwortete.

Erst als er annehmen zu dürfen glaubte, daß wir die von uns beabsichtigten Plätze eingenommen hatten, sagte er mit lauter Stimme: „Die Krieger der Utahs umdrängen mich mit Fragen, ohne zu bedenken, daß nur ihr Häuptling es ist, dem ich Rede stehen werde!“

„Uff! Das Bleichgesicht hat recht,“ stimmte Tusahga Saritsch bei. „Old Surehand mag kommen und sich zu mir setzen!“

Der Genannte folgte dieser Aufforderung, ohne vorher entwaffnet und gebunden zu werden, was doch wohl das erste war, was die Utahs hätten thun müssen. Sie glaubten, seiner auf alle Fälle sicher zu sein.

„Old Surehand mag sagen, ob er unten im Thale der Bären gewesen ist!“

Der Jäger antwortete auf diese Frage des Häuptlings:

„Ich war unten.“

„Hast du die Spuren des Grizzly gesehen?“

„Sogar mehrerer Grizzlies!“

„Auch die Bären selber?“

„Ja.“

„Doch ohne mit ihnen zu kämpfen?“

„Ich kenne keinen Grizzly, welcher nicht sein Leben lassen mußte, nachdem er so unvorsichtig gewesen war, sich von mir sehen zu lassen!“

„Du bist aber nicht verwundet!“

„Ich habe noch nie einem Bären erlaubt, mich zu berühren. Wozu habe ich mein Gewehr?“

„So bist du Sieger gewesen?“

„Ja.“

„Aber ich sehe kein Fell!“

„Fell? Du sprichst nur von einem! Hast du vergessen, was mir aufgetragen worden ist! Habe ich nicht vier Felle bringen sollen?“

„Uff! Du redest sehr stolz!“

„Ich rede nur so, wie ich darf!“

„Hast du denn vier Felle?“

„Ja.“

„Das ist nicht wahr; das ist nicht möglich; das kann man nicht glauben!“

„Was Old Surehand sagt, ist immer wahr!“

„Wie hättest du die Felle tragen können! Vier Felle von grauen Bären sind so schwer, daß kein einzelner Mann sie schleppen kann!“

„Die Söhne der Utahs scheinen sehr schwache Leute zu sein.“

„Uff! Du hast kein einziges Fell. Du weißt, daß du verloren bist, und willst uns in Zorn und Ärger versetzen!“

„Schicke vier Krieger vierzig Schritte weit hier an dem Rande des Waldes hin; sie mögen bringen, was sie dort finden werden!“

„Uff, uff! Meinst du, daß wir mit uns scherzen lassen?“

„Ich spreche im Ernste!“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Uff! Ich sage dir: Ich habe dir zwei Tage Zeit gegeben, heut und morgen. Wenn du glaubst, scherzen zu können, strafe ich dich dadurch, daß ich aus den zwei Tagen nur einen mache; du mußt also heute noch sterben!“

„Mach nicht so viel Worte, sondern sende hin!“

„Uff! Dieses Bleichgesicht muß während dieses Tages wahnsinnig geworden sein!“

Er konnte den Worten Old Surehands absolut keinen Glauben schenken und fragte ihn noch einmal, erhielt aber die bestimmte Antwort:

„Ihr sollt mich sofort töten, wenn ich mit euch im Scherz gesprochen habe!“

Nun endlich schickte er vier Männer fort. Er und die andern warteten mit größter Spannung, keiner sprach ein Wort. Da erklangen laute Ausrufe der Verwunderung, ein sicheres Zeichen, daß die Roten ihren Weg nicht umsonst gemacht hatten. Die Utahs, welche sich vorhin alle niedergesetzt hatten, sprangen jetzt abermals auf und blickten erwartungsvoll nach der Gegend hin, aus welcher ihre vier Kameraden kommen mußten. Sie kamen, und jeder von ihnen brachte ein Grizzlyfell getragen, welches er am Feuer niederlegte.

Jetzt hatten wir das Vergnügen, eine sich vor Erstaunen fast wie toll gebärdende Indianerschar zu sehen und zu hören. Das von ihnen für vollständig unmöglich Gehaltene war nicht nur möglich, sondern wirklich geworden. Die Felle wurden hin und her gezerrt und sehr eingehend betrachtet. Die größte Bewunderung erregte der Pelz des alten Vater Ephraim, den wir in der Schlucht erlegt hatten. Man suchte vergeblich nach dem Kugelloche, und als man schließlich die zwei hart aneinander liegenden Stiche sah und zur Erkenntnis kam, daß er nicht erschossen, sondern erstochen worden war, legte sich der vielstimmige Lärm, und es trat eine um so auffälligere Stille ein, während welcher alle Augen groß und staunend auf den weißen Jäger gerichtet waren.

Bei den Indianern gilt die Erlegung eines grauen Bären für die größte Heldenthat. Wer einen Grizzly ohne Hilfe anderer getötet hat, wird bis an seinen Tod und noch darüber hinaus gefeiert und hat nach dem Häuptlinge die erste Stimme in der Versammlung der alten Krieger, mag er auch noch so jung sein. Da die Capote-Utahs bekanntlich sich nicht durch hervorragend kriegerische Eigenschaften auszeichnen, mußte der Sieg über einen Grizzly bei ihnen noch viel höher geschätzt werden als bei andern, sich durch größere Tapferkeit auszeichnenden Stämmen. Und nun lagen gar vier Felle hier anstatt eines einzelnen! Und unter diesen gab es die Haut eines wahrhaft riesigen Tieres, welches mit dem Messer erlegt worden war! Kein einziger der Capote-Utahs hätte gewagt, mit dem bloßen Messer auf einen viel, viel kleineren grauen Bären loszugehen! Daher die plötzlich eingetretene Stille, während welcher aller dreiundfünfzig Augen auf Old Surehand gerichtet waren.

Dieser that, als sehe er das gar nicht, zog ein Stück gebratenes Fleisch aus der Tasche und begann, es zu verzehren. Da fragte der Häuptling:

„Ist dieses Fleisch von einem dieser Bären?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„Zum Braten muß man Feuer haben!“

„Natürlich!“

„Wir haben alle Taschen Old Surehands leer gemacht; er hat weder Punks noch etwas anderes, womit man ein Feuer anzünden kann!“

„Auch das ist richtig!“

„Und doch hat er ein Feuer gehabt?“

„Ja.“

„Wie hat er es anbrennen können?“

Tusahga Saritsch war mißtrauisch geworden. Old Surehand antwortete:

„Die roten Männer kennen nicht die Wissenschaften der Bleichgesichter. Der Weiße braucht weder Punks noch Hölzer mit Schwefel. Hat Tusahga Saritsch noch nicht gehört, daß man mit Stahl und Stein Feuer machen kann?“

„Das weiß ich.“

„Nun, Stahl ist meine Messerklinge, und Feuerstein habe ich unten bei den Felsen gefunden. Zunder steckt in jedem hohlen Baume genug.“

„Uff! Das ist wahr! Schon dachte ich, Old Surehand habe andere Leute gefunden, Bleichgesichter, welche ihm Feuer gegeben haben. Aber die Bleichgesichter haben nicht den Mut, das Bärenthal zu betreten!“

„Das ist eine Unwahrheit. Den Indianern aber fehlt dieser Mut!“

„Willst du mich wieder beleidigen?!“

Pshaw! Bin ich unten gewesen, oder habt ihr es gewagt, hinabzusteigen? Bin ich ein Indianer, und seid ihr Weiße? Wer hat den Mut besessen, ich oder ihr, die ihr über fünfzig seid, und ich bin allein?“

„Schweig! Das Urteil, hinunter zu gehen, hat dich getroffen, aber nicht uns. Wir haben keinen Grund, dahin zu gehen, wohin wir nicht zu gehen brauchen. Wie hast du es angefangen, vier Bären zu finden?“

„Ich habe Augen!“

„Und sie zu erlegen?“

„Ich habe ein Gewehr und ein Messer!“

„Und die schweren Felle hier heraufzutragen?“

„Ich habe Schultern und Arme!“

„Aber kein Mensch kann diese vier schweren Felle tragen.“

„Auf einmal nicht. Wer hat denn behauptet, daß ich das gethan habe?“

„Konntest du es anders machen?“

„Natürlich! Kann ich sie nicht einzeln heraufschaffen?“

„Uff! Das ist wahr. Wir werden sehen, ob du morgen noch einen Bär erlegst!“

„Noch einen? Wer verlangt das?“

„Ich.“

„Warum?“

„Es ist ein sehr kleiner dabei; der gilt nichts!“

„Desto größer ist der alte Grizzly gewesen.“

„Das gilt nichts, daß er größer ist. Bär ist Bär!“

„Da bin ich einverstanden. Bär ist Bär; auch der kleine war ein Bär und hat also als ein Bär zu gelten. Ich habe vier Felle gebracht!“

„Darüber habe ich allein zu bestimmen, nicht aber du! Schweig also!“

Mit diesen Worten leitete er, ohne zu ahnen, eine Entscheidung ein, die ihn noch mehr in Aufregung bringen mußte, als der Anblick der Bärenfelle. Old Surehand antwortete ihm im ruhigsten Tone:

„Meinst du wirklich, daß Old Surehand der Mann ist, welchem du Schweigen gebieten darfst, wenn er sprechen will? Ich rede, wenn ich will, und ich thue, was ich will. Du hast mir nichts zu befehlen!“

„Nicht? Bist du nicht mein Gefangener?“

„Nein!“

„Uff! Du denkst, weil du dein Gewehr und dein Messer noch hast!“

Pshaw!“

„Grad daß ich dir beides noch nicht habe nehmen lassen, muß dir sagen, daß wir dich fest in den Händen haben. Ich werde dich wieder binden lassen.“

„Das wirst du nicht thun!“

„Wer soll mich hindern?“

„Ich! Ich habe gethan, was du von mir gefordert hast, und bin nun frei!“

„Noch lange nicht! Dieser kleine Bär gilt nichts. Und wenn ich ihn gelten lassen wollte, hättest du doch nur dein Leben gerettet!“

„Auch die Freiheit!“

„Nein! Willst du mit uns ziehen und dir eine Squaw bei uns nehmen?“

„Nein!“

„So bleibst du gefangen!“

„Es wundert mich, daß du in dieser Weise mit mir zu sprechen wagst. Wer furchtlos in das Kui-erant-yuaw hinabgestiegen ist und vier graue Bärenfelle mitgebracht hat, fürchtet sich vor keinem roten Manne!“

„Ich werde dir beweisen, daß du dich dennoch vor mir fürchtest!“

„Möchte wissen, wie du das anfangen wolltest! Ihr habt mir für die Felle zwar nur das Leben versprochen; das ist wahr; aber ich habe mir mit ihnen auch die Freiheit mit aus dem Thale heraufgeholt.“

„Sprich deutlicher, wenn mein Ohr deine Worte verstehen soll.“

„Gut, ich will deutlich sprechen! Ich gebe euch die Wahl, Old Surehand entweder als Freund oder als Feind zu haben. Du sollst darüber entscheiden.“

„Wir fürchten deine Feindschaft nicht!“

„Warte nur noch kurze Zeit, so wirst du anders reden! Mein Leben habe ich mir erkauft; ich brauch nun meine Freiheit dazu. Giebst du sie mir jetzt freiwillig, so werde ich stets der Freund deines Stammes sein; verweigerst du sie mir aber, so wirst du es bitter bereuen!“

„Ich verweigere sie! Das ist meine Antwort. Poche nicht auf dein Messer und auf dein Gewehr! Es ist nicht die Zauberflinte Old Shatterhands, der immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen, und gegen den darum fünfzig und hundert Krieger nicht aufkommen können.“

„So glaubst du also doch, daß dieses Gewehr euern Waffen überlegen ist?“

„Ich glaube es, und jeder Krieger muß es glauben.“

„Hast du dieses Gewehr einmal gesehen?“

„Nein.“

„So wünsche auch nicht, es zu sehen.“

„Warum nicht?“

„Weil seine Mündung auf dich und deine Krieger gerichtet sein und jedem von euch den augenblicklichen Tod geben würde, der es wagte, dem Willen Old Shatterhands zu widerstehen.“

„Uff! Was weißt du von diesem seinem Willen!“

„Ich kenne ihn. Old Shatterhand will, daß ich frei sei!“

„Hat er dir das gesagt?“

„Ja. Er und Winnetou wissen, daß ihr mich durch einen hinterlistigen Überfall gefangen habt; sie werden dir gebieten, mich freizugeben.“

„Du sprichst im Traume!“

„Ich rede von der Wirklichkeit. Wende den Kopf nach deiner linken Seite.“

Wir hatten Old Surehand keine speziellen Verhaltungsmaßregeln erteilt und mit ihm nicht verabredet, was er thun und sprechen solle. Sein und unser Verhalten mußte, sozusagen, extemporiert werden. Ich und Winnetou ließen uns seine an den Häuptling gerichtete Aufforderung als Stichwort dienen und richteten uns empor. Indem ich den Stutzen auf Tusahga Saritsch anlegte, trat Winnetou furchtlos, als ob er sich bei den besten Freunden befinde, zu ihm hin, hielt ihm sein silberbeschlagenes Gewehr vor das Gesicht und fragte:

„Du wirst mir sagen können, was dies für eine Büchse ist. Wie nennt man sie?“

Jetzt zeigte es sich wieder einmal, welchen Eindruck die herrliche Erscheinung und das stolze, selbstbewußte Auftreten des Apatschen hervorzubringen pflegte. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Niemand wagte es, nach den Waffen zu greifen. So überrascht, ja erschrocken die Utahs über unser plötzliches Erscheinen waren, sie vergaßen es ganz, demselben Ausdruck zu verleihen. Auch ihr Häuptling vergaß, vom Boden aufzuspringen. Die Augen auf das Gewehr gerichtet, antwortete er beinahe stotternd:

Das – – das – – uff – – das ist die Silberbüchse Winnetous!

Ja, ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen. Und da steht mein weißer Bruder Old Shatterhand mit seiner Zauberflinte, und hinter ihm erblickst du noch mehrere Häuptlinge roter Stämme und tapfere Krieger der Bleichgesichter, welche ihre Gewehre alle auf euch richten. Sag deinen Kriegern, daß sie ja keine Hand und keinen Fuß bewegen sollen, denn wer es wagt, dies zu thun, der bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf!“

Es war für uns eine wahre Wonne, die Wirkung dieser Worte zu beobachten. Kein Indianer machte die geringste Bewegung; sie standen wie die Statuen. Ihr Häuptling betrachtete mich mit angstvollen Augen und antwortete dem Apatschen in bittendem Tone:

„Ich sehe, daß du Winnetou bist, und glaube auch, daß das Bleichgesicht dort Old Shatterhand ist. Ich mag sein Zaubergewehr nicht auf mich gerichtet haben. Sag ihm, daß er es senken möge!“

„Old Shatterhand thut, was er will; er nimmt keinen Befehl eines andern an, auch nicht von mir, der ich sein Freund und Bruder bin.“

„So bitte ihn!“

„Auch darauf hört er nicht. Er ist nur dann bereit, eine Bitte zu erfüllen, wenn sie aus dem Munde seines Bruders Old Surehand kommt.“

Da wendete sich Tusahga Saritsch an seinen bisherigen Gefangenen:

„So bitte du Old Shatterhand, das Zaubergewehr nicht länger auf mich zu richten.“

Jetzt fühlte sich Old Surehand im richtigen Fahrwasser; er antwortete:

„Ich werde diese Bitte nur dann aussprechen, wenn du meine Wünsche schnell und ohne allen Widerspruch erfüllst!“

„Was wünschest du?“

„Bin ich frei?“

„Nein!“

Pshaw! Old Shatterhand braucht nur den Drücker zu bewegen, so bist zu eine Leiche. Ich bin schon frei. Niemand kann mich festhalten. Dennoch frage ich, um dir Gelegenheit zu geben, deinen guten Willen zu zeigen. Also sag: Bin ich frei?“

„Wie kann ich dich freigeben? Du hast zwei unserer Krieger getötet!“

Da sagte Winnetou:

„Der Häuptling der Capote-Utahs will nicht einsehen, wer hier zu befehlen und wer zu gehorchen hat. Was sind das für Riemen, welche ich hier zu den Füßen meines Bruders Surehand liegen sehe?“

„Es sind die, mit denen ich bis heut früh gefesselt war,“ antwortete der Genannte.

„Heb sie auf und binde damit Tusahga Saritsch die Arme und die Füße!“

Der Häuptling wollte aufspringen; da ließ ich den noch unaufgezogenen Hahn knacken.

„Halt! Still!“ warnte ihn Winnetou. „Noch eine solche Bewegung, so trifft dich die Kugel! Hört, alle ihr Männer vom Stamme der Utah: Von den Worten, die ich euch jetzt sage, geht kein Laut und keine Silbe ab. Ihr seid unsere Gefangenen, legt eure Waffen ab und laßt euch von uns binden. Morgen früh erhaltet ihr die Waffen und die Freiheit wieder und könnt gehen, wohin ihr wollt. Wer sich das nicht gefallen lassen will, der hebe seine Hand empor; aber wer sie emporhebt, der bekommt sofort die Kugel in den Kopf!“

Es gab natürlich keine Hand, welche in die Höhe gehalten wurde.

„Ihr habt unsern Freund und Bruder Surehand gebunden mit euch herumgeschleppt; ihr habt ihm die Wahl zwischen dem Tode und dem Kampfe mit den Bären gelassen; das muß gesühnt werden. Wir legen euch eine milde, eine geringe Sühne auf, ihr sollt dafür eine Nacht gefangen sein. Morgen früh seid ihr alle wieder frei. Wer darauf eingeht, der handelt klug; wer unsere Güte von sich weist, dem kostet es das Leben. Winnetou hat gesprochen. Howgh!“

Es ließ sich nicht ein einziges Wort des Widerspruches hören, und so sagte ich:

„Auch ich, Old Shatterhand, gebe den Kriegern der Capote-Utah mein Wort, daß sie morgen früh wieder frei sein werden, wenn sie sich jetzt binden lassen. Der Häuptling soll der erste sein, der die Riemen bekommt. Dick Hammerdull und Pitt Holbers, ihr beide versteht euch auf dieses Geschäft! Auch ich habe jetzt gesprochen. Howgh!“

Es ist etwas ganz eigenes um die fast unausbleibliche Wirkung, welche so ein ruhiges, festes und selbstbewußtes Auftreten auf Leute, wie die Utahs waren, hervorbringt. Der Ruf, in welchem wir standen und die Furcht vor meinem vermeintlichen Zaubergewehre hatten wohl auch ihren Anteil daran, aber das Äußere besonders des Apatschen und die Art und Weise, wie er sich gab und wie er sprach, brachten auch hier das hervor, was er beabsichtigte: Der Häuptling wehrte sich nicht, als ihm die Riemen angelegt wurden, und seine Untergebenen konnten nicht anders, als diesem Beispiele folgen. Erst als der letzte gefesselt war, ließ ich den Stutzen sinken. Die Arme thaten mir weh.

Das nächste war, daß sich Old Surehand in den Wiederbesitz seines Eigentumes setzte; es war nichts davon abhanden gekommen, ein Umstand, der ihn versöhnlich stimmte. Er erklärte uns also:

„Eigentlich haben diese Indianer einen Denkzettel verdient, denn es ist nicht angenehm, mehrere Tage lang als Gefangener umhergeschleppt zu werden. Daß ich ihnen zwei Leute erschossen habe, dürfen sie mir nicht anrechnen, weil ich mich meines Lebens wehren mußte; also wäre ich jetzt eigentlich noch nicht quitt mit ihnen, sondern hätte einen Betrag heraus zu bekommen; aber da sie die Ursache sind, daß ich euch hier getroffen habe, will ich meine Rechnung durchstreichen und dareinstimmen, daß sie morgen ihre Wege ziehen können. Die Bärenfelle aber bekommen sie natürlich nicht!“

„Das fehlte noch!“ stimmte Dick Hammerdull bei. „Wer einen Bärenpelz haben will, mag mit dem Kerl, welcher naturgemäß hineingewachsen ist, selber reden. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm!“ brummte der Lange. „In was für ein Fell bist denn du eigentlich hineingewachsen, lieber Dick?“

„In das deinige natürlich nicht! Fang nicht etwa schon wieder an, mich zu molestieren! Seit Mr. Shatterhand heutnacht mein Leibschneider geworden ist, halte ich auf Reputation und Ehre und laß mich von dir nicht schikanieren. Aber, Mesch’schurs, wer soll die schweren Felle bis so weit hinauf in das Gebirge schleppen? Das ist doch eine unbequeme Plackerei!“

„Meine Brüder werden auf die Felle verzichten und nur die Trophäen behalten,“ antwortete Winnetou. „Das ist genug.“

Er meinte die Zähne, Krallen und Ohren der Bären, welche der Jäger als Siegeszeichen um den Hals oder am Hute zu tragen pflegt. Ich muß erwähnen, daß wir den Tieren die Zähne mit Hilfe der Tomahawks und Messer ausgebrochen hatten. Nun fragte es sich, wer diese Trophäen bekommen sollte. Old Surehand hatte den vierten Bären erlegt, weigerte sich aber, etwas von ihm anzunehmen, und begründete diese Weigerung mit den Worten:

„Die zwei Kugeln, welche er von mir bekommen hat, zählen nicht. Old Shatterhand hat ihm den ersten Schuß gegeben; dieser gilt!“

Natürlich ging ich nicht auf diesen Verzicht ein, und er mußte sich in meinen Willen fügen. Dieser Bär gehörte ihm. Dann handelte es sich um die Bärin, deren Fell und Zähne mir zugesprochen wurden. In Beziehung auf den alten starken Vater Ephraim wollte Winnetou geltend machen, daß er durch den zweiten, also durch meinen Messerstich erlegt worden sei; es entspann sich also ein Wettstreit zwischen ihm und mir, aus welchem ich als Sieger hervorging; der Grizzly wurde als von ihm getötet betrachtet; er fügte sich mit den Worten:

„Old Shatterhand und Winnetou sind nicht zwei Personen, sondern eine; es ist also gleich, wer die Trophäen erhält.“

„Und nun das Baby!“ sagte Dick Hammerdull. „Wer hat die Ehrenzeichen von diesem zu erhalten?“

„Apanatschka,“ antwortete ich.

„Wie? Warum der?“

„Weil er den jungen Bären erstochen hat.“

„Ach so! Und warum hat er ihn erstechen können, Mr. Shatterhand?“

„Weil er ein Messer in den Händen hatte, natürlich.“

„Fehlgeschossen! Weil ich das Baby festgehalten habe. Wäre es nicht von mir so fest umklammert worden, hätte es nicht erstochen werden können.“

„Es ist wohl etwas umgekehrt gewesen!“

„Wie denn?“

„Nicht Ihr hattet es, sondern es hatte Euch umklammert!“

„Ob es mich hatte oder ob ich es hatte, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal; wir hatten einander fest, und darum habe ich nicht eher losgelassen, als bis es von Apanatschka erstochen worden war. Wenn der berühmte Häuptling der Komantschen nur eine Spur von menschlicher Gerechtigkeit im Herzen hat, muß er zugeben, daß ich allein und unbedingt derjenige bin, welcher!“

Da sagte Apanatschka lächelnd:

„Mein Bruder Hammerdull trägt die Spuren des Baby am Leibe!“

„Das ist wahr. Seine Mutter war eine Rabenmutter, die ihm auch nicht ein einziges Mal die Fingernägel abgeschnitten hat! Eine so krallige Kindererziehung ist mir noch gar nicht vorgekommen!“

„Und weil mein Bruder die Zeichen des Baby besitzt, mag er auch das Fell behalten!“

„Wirklich, bester Freund und Bruder Apanatschka?“

„Ja. Weil das Baby meinen Bruder Hammerdull so festgehalten hat, verzichtet Apanatschka auf den Rock, der ihm von seiner Mutter angezogen worden war.“

„Er ist ihm von uns wieder ausgezogen worden und gehört nun mir! Hast du das vernommen und gehört, Pitt Holbers, altes Coon?“

Yes!“ nickte der Lange.

„Was hast denn aber du?“

„Nichts! Ich laß mir nichts schenken!“

„Ist das Fell etwa ein Geschenk für mich?“

Yes, weiter nichts!“

„Oho! Ich habe es mir redlich verdient. Der Kaufkontrakt steht mit deutlichen Buchstaben auf meiner Haut geschrieben!“

„Und zwar so fest, daß ich ihn nicht herunterwaschen konnte!“

„Du willst mich wieder ärgern! Aber das thut nichts; ich bin und bleibe dein bester, treuster Freund. Wir werden teilen!“

„Was? Das Baby?“

„Nein, sondern nur die Andenken an das liebe Kind. Sag, alter Pitt, willst du die Hälfte davon haben?“

Da zog Holbers seine süßesten Lächelfalten zusammen und rief aus:

„Du wirst doch nicht, liebster Dick!“

„Warum nicht? Weißt du noch, was Winnetou vorhin sagte?“

„Nun, was?“

„Old Shatterhand und Winnetou sind nicht zwei Personen, sondern eine; es ist also ganz gleich, wer die Trophäen bekommt. So ist es auch mit uns beiden: Dick Hammerdull und Pitt Holbers sind ein Leib und eine Seele; nämlich der Leib bist du und die Seele bin ich. Geben wir also dem Leib die eine Hälfte und der Seele die andre Hälfte von den hübschen Babysachen! Einverstanden?“

Er streckte ihm die Hand hin. Holbers schlug ein und antwortete:

Yes, einverstanden! Du bist doch ein guter Kerl, alter Dick!“

„Du bist auch nicht ohne! Leib und Seele müssen zusammenhalten; also ärgere mich nicht mehr; dann bleib ich dir bis in den Tod getreu!“

Man wußte wirklich nicht, ob man sich gerührt fühlen, oder über die beiden sonderbaren Kerle lachen sollte. Die dicke Seele in dem langen, dünnen Leibe war ein köstliches Bild der unzertrennlichen aber so oft uneinigen Zweieinigkeit.

Natürlich war diese Besprechung über die Preisverteilung so unter uns vorgenommen worden, daß die Utahs nichts davon hörten. Sie mochten auch ferner überzeugt sein und es weiter erzählen, daß Old Surehand an einem Tage vier graue Bären erlegt habe. Sie verhielten sich, seit wir sie gebunden hatten, außerordentlich schweigsam; sie sprachen weder miteinander, noch kam es ihrem Häuptling bei, ein Wort an uns zu richten. Das war uns übrigens ganz lieb, denn wir hatten während der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen und bedurften der Ruhe. Es wurde, um die Beleuchtung des Lagers zu vereinfachen, ein einziges großes Feuer angezündet, an welchem wir uns unser Abendessen, bestehend aus gebratenem Bärenfleisch, bereiteten, und während wir aßen, teilten wir die Wachen aus. Die erste erbat ich für mich, weil ich mich doch etwas überanstrengt hatte und mich die Wunde heute mehr als gestern schmerzte, was ich aber nicht sagte. Ich wollte dann versuchen, in einem fort zu schlafen.

Was die Wachen betrifft, so versuchten wir ein Arrangement, welches im wilden Westen wohl noch niemals vorgekommen war: die Gefangenen mußten sich daran beteiligen. Wir hatten zusammen rund sechzig Pferde, welche während der Nacht zusammenzuhalten waren; das konnten die Utahs übernehmen, von denen von Stunde zu Stunde zwei losgebunden und dann wieder gefesselt wurden. Eine Gefahr für uns gab es nicht dabei; sie hatten ja keine Waffen, und da sie wußten, daß sie früh schon wieder frei sein würden, hatten wir von ihnen keine Unannehmlichkeiten zu erwarten.

Als sich die andern Gefährten zur Ruhe gelegt hatten, setzte sich Old Surehand zu mir und sagte:

„Erlaubt, daß ich mich an Eurer Wache beteilige! Ich habe die ganze Nacht geschlafen und bin noch munter wie ein Fisch im Creek. Die Freude über unser Zusammentreffen hält mich wach. Wir haben uns zwar schon heut vormittag gar manches erzählt, aber mit Euch allein ist’s doch eine andre Sache. Ihr seid bei Wallace in Jefferson-City gewesen. Hattet Ihr noch jemand mit bei ihm?“

„Nein; ich war natürlich allein,“ antwortete ich.

„Ihr seid sein Gast gewesen?“

„Ich sollte, habe es ihm aber abgeschlagen.“

„Warum?“

„Weil wir da doch von Euch mehr gesprochen hätten, als grad notwendig war. Ich wollte von ihm nichts weiter wissen, als Euer gegenwärtiges Ziel und Eure Reiseroute.“

„Und es ist auch bloß davon gesprochen worden?“

„Ja.“

„Ich danke Euch, Sir!“

„Bitte! Ah, hättet Ihr mir zutrauen können, daß ich Fragen ausgesprochen habe, die mir nur im Falle Eures Todes erlaubt gewesen wären?“

„Nein, auf keinen Fall! Aber Wallace könnte Euch gegenüber mitteilsam geworden sein. Wer mit Euch spricht, dem geht das Herz leicht auf; das habe ich ja an mir selbst erfahren.“

„Ich versichere Euch, daß nicht ein Wort gefallen ist, welches auch nur im entferntesten auf ein Geheimnis angespielt hätte!“

„Ich glaube Euch, Mr. Shatterhand. Glaubt mir, wenn ich reden dürfte, so würdet grad Ihr der erste sein, dem ich mich mitteilte; es giebt aber Verhältnisse, welche mich zum Schweigen zwingen.“

„Ich weiß, daß Ihr Vertrauen zu mir habt; darum möchte ich mir dennoch und trotzdem eine Frage erlauben.“

„Sprecht sie aus!“

„Müßt Ihr wirklich und unter allen Umständen schweigen?“

„Jetzt ist mir das Reden noch verboten, doch können allerdings Umstände eintreten, welche es mir erlauben.“

„Hm! Ich bin älter und vielleicht auch erfahrener als Ihr und fühle mich zu einer Bemerkung fast verpflichtet: Ich habe Fälle erlebt, in denen ein erzwungenes Schweigen, ja ein Schweigen auf Ehrenwort, eine Sünde, ein Verbrechen war. Hoffentlich gehört Eure Verschwiegenheit nicht in diese Kategorie der Diskretionen?“

„Nein; ich bin rein und frei von aller Schuld.“

„Steht Euer jetziger Ritt mit dem Geheimnisse in Beziehung?“

„Alle meine Wanderungen beziehen sich darauf.“

„Ich vermute: Ihr sucht etwas; Ihr sucht jemand; Ihr wollt Helligkeit in irgend ein Dunkel bringen. Denkt, wie weit ich in den Staaten und im wilden Westen herumgekommen bin! Wäre es denn gar nicht möglich, daß grad ich etwas für Euch Wichtiges erfahren hätte, daß grad ich Euch einen Fingerzeig geben könnte, wenn ich nur eine Andeutung von Euch bekäme?“

„Nein; das ist nicht denkbar, Mr. Shatterhand. Das, was mir am Herzen liegt, steht Euch so fern, kann Euch gar nie berühren.“

„Kann mich gar nie berühren? Well! Aber wenn es nun umgekehrt wäre, wenn ich es berührt hätte, zufälligerweise berührt hätte?!“

„Das ist nicht der Fall. Glaubt mir, das ist nicht der Fall!“

„Und doch möchte ich Euch so gern helfen, die Last, welche auf Euch liegt, von Euch zu werfen!“

Da rückte er schnell von mir ab und sagte in beinahe schroffem Tone:

„Last? Mr. Shatterhand, ich trage keine Last! Ich bitte Euch, dringt nicht in mich; es gelingt Euch doch nicht, mich zum Reden zu bringen!“

„Ah, welche Worte, lieber Freund! Es fällt mir nicht im geringsten ein, etwas aus Euch herauszulocken, hört Ihr, zu locken, was Ihr für Euch behalten wollt und müßt! Ich habe aus reiner, herzlicher Teilnahme, nicht aber aus Neugierde gesprochen. Diese Versicherung gebe ich Euch, und ich denke, daß Ihr mir das glauben könnt.“

„Ich glaube es. Nun bin ich aber doch müde geworden und will mich niederlegen. Ich wünsche Euch gute Nacht, Mr. Shatterhand!“

„Gute Nacht!“

Er suchte sich einen bequemen Platz und legte sich dort nieder. So plötzlich fühlte er sich ermüdet? Er war verstimmt. Wie konnte er, der mich doch kennen mußte, mein aufrichtiges Mitgefühl für Auf- und Zudringlichkeit halten, wie sich durch meine gut gemeinte Hilfsbereitschaft von mir abstoßen lassen! Der Mann, der Charakter in mir, wollte beleidigt thun, der Mensch in mir aber, das alte, gute, deutsche Gemüt, überwand die aufsteigende Bitterkeit. Wer an Geheimnissen zu tragen, vielleicht schwer zu tragen hat, ist nicht glücklich zu nennen, und jeder Unglückliche hat Anspruch auf Schonung und Entschuldigung. Die schroffe Zurückweisung des Freundes war verziehen.

Als meine Wache zu Ende ging, sorgte ich für die Ablösung der beiden Utahwachen und weckte dann Apanatschka als den mir nachfolgenden auf. Ich war müde, sehr müde; aber ich grübelte trotzdem noch lange an der Enthüllung des Geheimnisses, welche mir verboten war, und noch im Einschlafen dachte ich an ein Felsengrab im Hochgebirge und hörte an demselben eine klagende Frauenstimme nach ihrem Wawa Derrick rufen. Ich träumte auch von diesem Grabe, um welches sich kämpfende Gestalten bewegten, doch als ich früh erwachte, konnte ich mich keiner derselben entsinnen. – – –

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Am Devils Head

Am Devils-head

Nun befanden wir uns hoch oben in den eigentlichen Rocky-Mountains und ritten an der östlichen Seite des Pah-sawehre-payew hinan. Das Riesenpanorama, in welchem wir Zwerggeschöpfe uns bewegten, war ein überwältigend großartiges. Hier wirkte die ungeheure Massigkeit der Gebirgsstöcke im Vereine mit dem Farbenreichtum der unbekleideten Felsen. Das waren himmelhohe und meilenlange Granitmauern mit wunderbar gestalteten Bastionen, über welche es kein Hinüberkommen zu geben schien. Wenn wir, uns umwendend, rückwärts blickten, lag im Osten die weite Prairie wie ein endloser, flimmernder See tief, tief zu unsern Füßen. Die Bäche rauschten um uns wie zu Schaum gewordenes, flüssiges Silber dahin; Frau Flora stieg, gekleidet in ihr reich nuanciertes, grünes Sammetgewand und ihr Haupt mit Gold gekrönt, stolzen Schrittes zu den erhabenen Scheiden und Kuppen des Gebirges empor. Hier bauen sich gigantische Felsenstufen, eine über die andere, auf, mächtige Balsamtannen tragend und den Geistern des Gebirges als Treppe dienend, wenn sie nächtlicherweise niedersteigen, „eine Wildschur um die Lenden, eine Kiefer in der Faust“. Hier wieder haben sich zu Füßen eines einzeln thronenden Bergtitanen ganze Reihen kolossaler Säulen herausgebildet, hinter deren Waldkulissen die wunderbaren Geheimnisse der Hochwelt träumen. Hinter den scharfgezeichneten, dunklen Kanten der scheinbar höchsten Höhen flimmern silberne und goldene Punkte und strahlen diamantene Linien und Streifen aus blaugrauen Schleiern hervor. Sind das die Grüße einer für den Sterblichen unerreichbaren Märchenwelt, eines jenseits der Erde befindlichen Zauberlandes, oder sind es die Sonnenreflexe von fernen Gebirgshäuptern, mit deren Höhe diejenige der uns umgebenden Felsenriesen nicht zu wetteifern vermag?

Wir ritten durch all diese Pracht und Herrlichkeit empor. Unser heutiges Ziel war der Pahsawehre, jener einsam liegende, hellgrüne See, von welchem die Sagen der Indianer so viel Wunderbares zu erzählen wissen. Dort wollten wir übernachten, um am andern Morgen in den Park von San Louis hinabzusteigen, in welchem ich die Aufklärung so vieler Rätsel erwartete.

Wir hatten am Morgen nach den Erlebnissen im „Bärenthale“ die dreiundfünfzig Capote-Utahs dem ihnen gegebenen Worte gemäß freigelassen. Nun wir Old Surehand bei uns hatten, gab es für uns keinen Grund mehr, uns zu beeilen, um ihn einzuholen, und so zogen wir nicht vor den Utahs aus dem dortigen Parke fort, sondern ließen sie vor uns abziehen; weil es stets vorteilhafter ist, feindlich gesinnte Menschen vor, als hinter sich zu haben.

Und feindlich gesinnt waren sie uns, obgleich sie über die Behandlung, welche sie bei uns gefunden hatten, nicht klagen konnten. Wir hatten keinem von ihnen ein Haar gekrümmt und keinen von ihnen mit Worten beleidigt; dennoch sagte der Häuptling, als er früh losgebunden wurde:

„Old Surehand sagte gestern abend, daß er eigentlich noch nicht quitt mit uns sei; er hat sich verkehrt ausgedrückt, denn wir sind noch nicht quitt mit ihm. Er hat zwei Krieger getötet.“

„Dafür hat er euch vier Felle gebracht,“ antwortete Winnetou.

„Die haben wir nicht bekommen!“

„Ihr könnt sie nehmen!“

„Nachdem ihr die Ohren und Krallen abgeschnitten habt? Nein! Und wenn wir sie bekommen hätten, wäre ihm doch nur das Leben, aber nicht die Freiheit geschenkt. Wir müssen ihn haben!“

„Und wenn ihr ihn bekämt, so würdet ihr ihn töten?“

„Ja, denn wir haben das Lösegeld für sein Leben, die Felle, nicht erhalten. Zwischen uns ist wieder Blut; wir werden das seinige fordern.“

„Uff! Old Shatterhand und Winnetou sind stets die Freunde aller roten Männer gewesen; wir haben auch euch nichts gethan, obgleich ihr unsere Gefangenen waret, und wollten die Pfeife des Friedens mit euch rauchen, ehe wir an diesem Tage von euch scheiden.“

„Wir mögen euer Kalumet nicht sehen!“

„So werdet ihr nicht nur Old Surehands, sondern auch unsere Feinde sein?“

„Ja.“

„Ohne allen Grund?!“

„Sollte der Häuptling der Apatschen wirklich glauben, daß wir keinen Grund dazu haben? Hat er uns nicht überfallen und gefangen genommen, ohne daß ihm das Geringste von uns geschehen war?“

„Das war keine Gefangenschaft zu nennen. Wir banden euch nur für eine Nacht zu unserer Sicherheit und haben euch jetzt freigelassen.“

„Gefangen ist gefangen! Zwischen uns und euch bleibt Feindschaft fort und fort!“

„Tusahga Saritsch, der Häuptling der Capote-Utahs, soll seinen Willen haben. Winnetou, der Häuptling der Apatschen, zwingt keinem Menschen seine Freundschaft auf, weil es nicht seine Gewohnheit ist, sich vor einem Feinde zu fürchten. Die Utahs mögen fortreiten!“

„Ja, sie mögen fortreiten, die Dummköpfe!“ rief Hammerdull. „Für ihre Freundschaft danke ich überhaupt, denn bei ihnen kommt die Brüderschaft sogleich dahinter, und ich habe stets die Erfahrung gemacht, daß derjenige, der einem die Freundschaft und dann die Brüderschaft anträgt, gewöhnlich die Absicht hat, einen anzupumpen. Das ist stets und unumstößlich wahr. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Nein,“ antwortete der Lange.

„Was? Du giebst mir nicht recht?“

„Nein!“

„Kennst du denn einen, der nicht sofort angepumpt hat?“

„Ja.“

„Wer ist’s?“

„Ich bin es!“

„Ja, richtig; das ist wahr! Du bist aber auch der einzige von ihnen, wirklich der allereinzige, denn die andern haben es alle, alle, alle gethan!“

Der alte, dicke Spaßvogel hatte wirklich nicht unrecht Ich habe dieselbe Erfahrung ja auch gemacht, natürlich nur unter den „Bleichgesichtern“. Wie viele, viele Male hat sich mir jemand mit dem Worte Freund genähert, und dann folgte gleich die sehr einseitig beliebte Prozedur, welche Hammerdull so unästhetisch mit dem plumpen Worte „anpumpen“ bezeichnete. Der Indianer bringt das nicht fertig; dem Durchschnitts-„Bleichgesichte“ aber scheint es sehr leicht zu fallen; ich weiß als Verfasser meiner Werke leider nicht nur ein Wort, sondern tausend Worte davon zu sprechen. Howgh!

Die Utahs zogen also ab. Es war eigentlich jammerschade um die schönen Bärenfelle, daß wir sie liegen und verderben lassen mußten; aber wir konnten sie nicht mitnehmen, und da wir nicht wußten, welchen Rückweg wir einschlagen würden, wäre es überflüssige Arbeit gewesen, sie zuzurichten und dann einzugraben, um sie später mitzunehmen. Wer wohl sagen könnte, welche Massen von Fellen und Pelzen auf diese Weise im wilden Westen zu Grunde gegangen sind!

Wir folgten den Utahs nicht auf dem Fuße, denn das wäre ein Fehler gewesen, sondern warteten bis zum Mittag, bis sie einen Vorsprung vor uns hatten. Da sahen wir denn, daß sie sich außerordentlich beeilt und ganz die Richtung genommen hatten, welche auch wir einschlagen mußten. Das war kein gutes Zeichen für uns.

„Meint Ihr, daß sie die Absicht haben, sich an uns zu rächen, Mr. Shatterhand?“ fragte mich Apanatschka.

„Ich denke es,“ antwortete ich.

„Dann dürften sie aber nicht vor uns bleiben, sondern müßten uns folgen!“

„Das werden sie auch bald thun. Ich wette, daß sie die nächste Gelegenheit ergreifen werden, ihre Fährte unsichtbar zu machen.“

Ich hatte recht. In der nächsten Nacht gab es ein Gewitter, welches bis zum Morgen dauerte, und als wir dann nach den Spuren der Utahs suchten, waren sie vom Regen fortgewaschen worden.

Old Surehand war während der beiden nächsten Tage außerordentlich schweigsam und zog sich besonders von mir zurück, nicht aber in unfreundlicher Weise. Es war nicht ein gegen mich gerichtetes Gefühl, welchem er dabei folgte, sondern ich ahnte, daß er mit sich kämpfte, ob er aufrichtig mit mir sein oder seine Verschwiegenheit beibehalten sollte. Ich that gar nichts dazu, diesen inneren Kampf nach der einen oder andern Seite zu beendigen; er war ein Mann und mußte selbst mit sich fertig werden können. Schließlich merkte ich, daß die Stimme der Verschwiegenheit gesiegt hatte. Er glaubte aber doch, mir wegen unserer letzten Unterhaltung eine Bemerkung machen zu müssen, ritt kurze Zeit neben mir her und sagte:

„Habe ich Euch bei unserm Gespräch im Park beleidigt, Mr. Shatterhand?“

„Nein, Mr. Surehand,“ antwortete ich.

„Ich denke, daß ich etwas zu kurz gewesen bin?“

„Nein. Wenn man ermüdet ist, pflegt man nicht viel Worte zu machen.“

„So ist es. Ich war ganz plötzlich sehr müde geworden. Aber, bitte, könnt Ihr Euch auf unser Gespräch damals im Llano estacado erinnern?“

„Ja.“

„Ihr hattet mit Old Wabble vorher über Gott und Religion gesprochen?“

„Ich weiß es.“

„Seid Ihr heut noch derselben Meinung wie in jener Nacht?“

„Vollständig!“

„Ihr glaubt also wirklich, daß es einen Gott giebt?“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich weiß es.“

„So haltet Ihr wohl jeden Menschen für dumm, der diesen Glauben nicht besitzt?“

„Dumm? Wie könnte mir das einfallen! Das würde eine Überhebung von mir sein, welche erst recht dumm wäre. Es giebt tausend und abertausend Menschen, welche nicht an Gott glauben und denen ich in Beziehung auf ihre materiellen und formalen Kenntnisse nicht wert bin, das Wasser zu reichen. Und wieder giebt es Menschen, welche fest an Gott halten, aber in Beziehung auf die irdische Klugheit nicht auf einer hohen Stufe stehen. Es giebt zwar auch eine – wie soll ich mich ausdrücken? – eine biblische, eine religiöse Klugheit, doch die habt Ihr ja nicht gemeint.“

„Nun, so sagt ein anderes Wort, mit welchem Ihr die Leute bezeichnet, welche nicht glauben, daß es einen Gott giebt!“

„Ich kann Euch keines sagen.“

„Warum nicht?“

„Genügt Euch das Wort ungläubig?“

„Nein.“

„Weiter habe ich keins. Ich verstehe gar wohl, was Ihr meint; aber es giebt so viele Arten der Ungläubigen, daß man wohl zu unterscheiden hat. Der eine ist zu gleichgültig, der andere zu faul, der dritte zu stolz, nach Gott zu suchen; der vierte will sein eigener Herr sein und keinen Gebieter über sich haben; der fünfte glaubt nur an sich, der sechste nur an die Macht des Geldes, der siebente an das große Nichts, der achte an den Urstoff und der neunte, zehnte, elfte und die folgenden alle jeder an sein besonderes Steckenpferd. Ich habe weder die Lust noch das Recht, sie zu klassifizieren und ein Urteil über sie zu fällen. Ich habe meinen Gott, und der ist kein Steckenpferd.“

„Könnt Ihr Euch auf alles besinnen, was wir damals sprachen?“

„Ja.“

„Ich bat Euch, mir meinen verlorenen Glauben wiederzubringen.“

„Und ich sagte Euch: Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott.“

„Und Ihr sagtet noch mehr; ich weiß nur heut die Worte nicht mehr.“

„Meine Worte waren ungefähr: Ich weise Euch an denjenigen, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt und welcher sagt: Ich bin die Wahrheit und das Leben! Ihr strebt und ringt nach der Wahrheit; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost; sie wird Euch ganz plötzlich und ganz unerwartet aufgehen wie einst den Weisen aus dem Morgenlande jener Stern, der sie nach Bethlehem führte.“

„Ja, so sagtet Ihr, Mr. Shatterhand. Ihr habt mir sogar diesen Stern für bald verheißen!“

„Ich erinnere mich, allerdings gesagt zu haben: Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut und hier – ich ahne es!“

„Ich habe es aber leider noch nicht gefunden!“

„Ihr werdet es finden. Ich sage genau wie damals: Ich ahne es! Es liegt Euch heut vielleicht näher, als Ihr denkt.“

Er sah mir forschend in das Gesicht und fragte:

„Habt Ihr einen Grund zu dieser Ahnung?“

„Ich gebe eine Gegenfrage: Giebt es grundlose Ahnungen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Oder begründete? – Kann es die geben?“

„Ich bin ein ungelehrter Mensch. Diese Fragen liegen mir zu hoch.“

„So mag es dabei bleiben, daß ich es ahne. Betet Ihr täglich?“

„Beten? – Seit langer Zeit nicht mehr.“

„So beginnt es wieder! Das Gebet des Gläubigen vermag viel, wenn es ernstlich ist. Und Christus sagt: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Glaubt mir, ein inbrünstiges, gläubiges Gebet gleicht einer Hand, welche die Hilfe, die Erhörung aus dem Himmel holt! Ich habe das oft an mir selbst erfahren.“

„So betet Ihr täglich?“

„Täglich? Glaubt Ihr etwa, es sei ein Verdienst für den Menschen, täglich oder gar stündlich zu beten? Dann wäre es ja auch ein Verdienst für das Kind, wenn es sich herbeilassen wollte, mit seinem Vater zu sprechen! Ich sage Euch: das ganze Leben des Menschen soll ein Gebet zum Himmel sein! jeder Gedanke, jedes Wort, jede That, all Euer Schaffen und Wirken soll ein Gebet, ein Opfer sein, auf der köstlichen Schale des Glaubens zu Gott emporgetragen! Glaubt ja nicht, daß Ihr mit einem einmaligen Gebete große Wirkungen erzielt. Denkt nicht, daß, da Ihr jahrelang nicht gebetet habt und nun plötzlich einmal beten wollt, Euch der Herrgott auch sofort zur Verfügung stehen und Euern Wunsch erfüllen muß! Der Lenker aller Welten ist keineswegs Euer Lakai; dem Ihr nur zu klopfen oder zu klingeln braucht! Auch ist der Himmel kein Krämerladen, in welchem der Herrgott vorschlägt und mit sich handeln läßt. Was giebt es doch in dieser Beziehung für sonderbare Menschen! Da fährt sich der Herr Müller oder Maier Sonntags mit dem Waschlappen über das von den sieben Wochentagen her schmutzige Gesicht, bindet ein frischgewaschenes Vorhemdchen um, nimmt das Gesangbuch in die Hand und geht in die Kirche, natürlich auf seinen Stammplatz Nummer fünfzehn oder achtundsechzig. Da singt er einige Lieder, hört die Predigt an, wirft einen Pfennig, zwölf Stück auf den Groschen, die jetzt nicht mehr gelten, in den Klingelbeutel und geht dann hoch erhobenen Hauptes und sehr befriedigten Herzens nach Hause. In seinem Gesichte ist deutlich die Überzeugung zu lesen, die er im Herzen trägt: Ich habe für eine ganze, volle Woche meine Pflicht gethan; nun, du Gott, der alles geben kann, thue du auch die deine; dann gehe ich nächsten Sonntag wieder in die Kirche! Wenn nicht, so werde ich mir die Sache überlegen! – Glaubt Ihr, Mr. Surehand, daß es so sonderbare Menschen giebt?“

„Da Ihr es sagt, muß es wohl so sein.“

„O, es giebt solche Maiers und Müllers zu hunderttausenden. Diese Christen sind die größten Feinde des wahren Christentums. Sie stellen sich zu Gott auf denselben Fuß, auf welchem ein Fuhrherr zu seinem Kutscher steht, der Woche für Woche seinen Lohn ausgezahlt bekommt. Aber geht nun einmal zur armen Witwe, welche von früh bis abends und auch Nächte lang am heißen Waschkessel oder am kalten Wasser des Flusses schafft und arbeitet, um sich und ihre Kinder ehrlich durch das Leben zu bringen! Sie hat sich die Gicht angewaschen; sie spart sich den Bissen vom Munde ab, um ihn den Kindern zu geben; sie hat kein Sonntags- und kein Kirchenkleid; sie sinkt nach vollbrachtem Tagewerk todmüde auf ihr Lager und schläft ein, ohne eine bestimmte Anzahl von Gebetsworten gedankenlos heruntergeleiert zu haben; aber ich sage Euch! ihr ununterbrochenes Sorgen und Schaffen ist ein immerwährendes Gebet, welches die Engel zum Himmel tragen, und wenn die Not, der Hunger ihr ein „Du mein Herr und Gott!“ aus dem gepeinigten Herzen über die Lippen treibt, so ist dieser Seufzer ein vor Gott schwerer wiegendes Gebet als alle die Gesangbuchslieder, welche Herr Maier oder Herr Müller während seines ganzen Lebens gesungen hat! Also betet, Mr. Surehand, betet! Aber denkt ja nicht, daß es sofort helfen muß! Betet in Gedanken, in allen Euren Worten und in allen Euren Thaten! Hättet Ihr mehr gebetet, so wäre Euch der Helfer längst erschienen!“

„Das ist viel, sehr viel gesagt, Mr. Shatterhand!“

„Jawohl; aber ich weiß, was ich sage. Ein altes Kirchenlied sagt:

„Mit Sorgen und mit Grämen
Und selbstgemachter Pein
Läßt er sich gar nichts nehmen;
Es muß erbeten sein!“

Jedes Kind sagt dem Vater seine Wünsche; hat nicht auch das Erdenkind dem himmlischen Vater seine Liebe und sein Vertrauen dadurch zu beweisen, daß es von Herzen zu ihm spricht? Wird ein Vater seinem Sohne eine gerechte Bitte abschlagen, die er erfüllen kann? Und steht die Liebe und die Allmacht Gottes nicht unendlich höher als die Liebe und Macht eines Menschen? Glaubt es mir: Wenn der große Wunsch, den Ihr im Herzen tragt, überhaupt zu erfüllen ist, so wäre er schon längst erfüllt, wenn Ihr an Gott geglaubt und zu ihm gebetet hättet!“

„Was wißt Ihr von der Größe meines Wunsches?“

„Ich ahne es.“

„Wieder Ahnung!“

Pshaw! Ahnungen sind innere Stimmen, auf die ich immer achte. Ihr habt mir damals im Llano estacado gesagt, daß Euch der Glaube an Gott durch unglückliche Ereignisse verloren gegangen sei. Soll ich da nicht ahnen, daß Ihr Euch nach dem Ende dieses Unglücks sehnt?“

„Richtig! Ich dachte, Ihr quältet Euch als Freund in Gedanken damit ab, mir die Ruhe wiederzugeben, welche ich verloren habe!“

„Was würden Euch meine Gedanken helfen? Die wahre Freundschaft bewährt sich durch die That, und wenn Ihr mich in dieser Beziehung einmal braucht, so habt Ihr gar nicht nötig, mich erst darum zu fragen.“

Was ich ihm vorhin in Beziehung auf die Gebetserhörung sagte, war nicht bloß Redensart. Ich hatte damals die Squaw des Medizinmannes im Kaam-kulano getroffen und dann Old Surehand nichts von dieser Begegnung gesagt; das war nicht infolge einer Überlegung, also nicht aus einem besondern Grunde unterlassen worden, sondern es hatte sich keine Gelegenheit geboten, diese Frau besonders gegen ihn zu erwähnen. Wäre er aber ein gläubiger Christ, und gewohnt gewesen, seine Herzenswünsche dem Gebete anzuvertrauen, so hätte ich ihm ganz gewiß von dieser Frau erzählt. Das ist meine Überzeugung, denn ich weiß, daß es Eingebungen giebt, und habe das auch schon erwähnt.

Unser Gespräch wurde dadurch unterbrochen, daß wir über ein querüberfließendes Wasser mußten, welches nicht tief und so hell war, daß wir den Grund deutlich sahen. Wir bemerkten Eindrücke von Pferdehufen, konnten aber nicht herausbekommen, wieviel Pferde es gewesen waren, vier oder fünf aber jedenfalls nicht. Ebenso war es unmöglich, die Zeit zu bestimmen, in welcher diese Eindrücke entstanden waren, denn das Wasser hatte ein unbedeutendes Gefäll und also nicht die Kraft, sie binnen kurzer Zeit zu zerstören. Es konnten Stunden oder Tage, aber auch Wochen vergangen sein, seit diese Spuren entstanden waren. Aber eine Wirkung hatten sie doch: Wir schenkten in Beziehung auf Fährten dem Wege mehr Aufmerksamkeit, als wir es in letzter Zeit gethan hatten.

Wir konnten aber nichts entdecken, denn wir hatten den Paß und die ihm folgenden Engen hinter uns, und ritten in den Hochwald ein, der solche Gelegenheit, sich auszubreiten, bot, daß wir, um eine Spur zu finden, ihn hätten tagelang absuchen müssen.

Es war die Kuppe des Pah-sawehre-payew, welche wir jetzt erreicht hatten. Sie war mit Hochwald bedeckt, unter welchem wir wie in einem Dome ritten, durch dessen dichtes Laubdach nur zuweilen ein Sonnenstrahl zu dringen vermochte. Das war der Urwald des Nordens, welcher in dieser Höhenlage gedeihen konnte.

Wir ritten stunden- und stundenlang unter diesem Dache immer bergauf. Es wurde unter demselben dunkel, weil die Sonne jenseits niedersank, und wir mußten die Pferde antreiben, um noch vor der Nacht den See des „grünen Wassers“ zu erreichen.

Endlich waren wir oben! Die Sonne hatte sich von dieser Seite des Gebirges schon verabschiedet, aber es war noch licht genug, den See, so weit das Auge reichte, überblicken zu können. Ich sage, so weit das Auge reichte, denn das gegenseitige Ufer konnten wir nicht sehen; dazu war er zu groß. Von der hellgrünen Färbung, welche sein Name andeutete, denn Pah heißt in der Utahsprache „Wasser“ und sawehre „hellgrün“, bemerkten wir jetzt, da es schon zu dunkeln begann, nichts. Er war, so weit wir ihn überblicken konnten, vom Walde umgeben. Wir befanden uns an seinem östlichen Ende. Sein südliches Ufer bildete eine von keiner Bucht unterbrochene Bogenlinie, während an seinem nördlichen eine breite, auch dicht bewaldete Halbinsel hervortrat. Um diese Halbinsel zu erreichen, hätten wir noch eine Viertelstunde weiterreiten müssen; es gab aber für uns keinen Grund, dort Lager zu machen, und so blieben wir da, wo wir uns befanden.

Hammerdull und Holbers liefen umher, um, so lange man noch sehen konnte, dürres Holz zusammenzusuchen. Als sie so viel gesammelt hatten, wie wir für die Nacht brauchten, wollten sie Feuer anzünden. Der Apatsche aber untersagte es ihnen:

„Jetzt noch nicht! Ein Feuer glänzt weit in den See hinaus, und wir haben heute Pferdespuren gesehen. Es können Menschen am Wasser sein, die von uns nichts wissen dürfen. Wir wollen warten, bis es dunkel geworden ist; dann wird es sich finden, ob wir uns erlauben können, hier zu bleiben und ein Feuer anzubrennen.“

Wir gaben die Pferde frei und streckten uns nieder. Es wurde schnell dunkel, und da zeigte es sich auch sofort, daß die Vorsicht Winnetous wohlbegründet gewesen war, denn an dem nach uns gerichteten Ufer der Halbinsel leuchtete ein Feuer auf. Es waren also Menschen dort! Und wenige Minuten später sahen wir an derselben Seite des Sees, aber weit, weit unten, ein zweites erscheinen, welches allerdings nur einem guten Auge sichtbar war, denn es bildete für uns nur einen kleinen Punkt von der Größe eines Zehnpfennigstükkes ungefähr. Die Leute auf der Halbinsel konnten weder dieses zweite Feuer sehen, noch von dort aus gesehen werden; nur von uns aus waren beide zu erkennen.

Damit waren wir für heut auf kaltes Fleisch angewiesen. Wir hätten uns zwar wieder in den Wald zurückziehen und ein Feuer anzünden können, aber dort gab es kein Futter für die Pferde. Wir entschädigten uns für die Unbenutzbarkeit des einen Elementes dadurch, daß wir uns dem andern in die Arme, nämlich in das Wasser warfen. Nach diesem Bade galt es, zu erfahren, wer die Leute waren, welche sich an den beiden Feuern befanden. Daß Winnetou dazu ausersehen wurde, verstand sich ganz von selbst, und daß er meine Begleitung annahm, erreichte ich nur durch die Versicherung, daß mir meine Wunde keine Belästigung verursache, sonst hätte er Old Surehand mitgenommen.

Wir übergaben den Gefährten unsere Gewehre und machten uns auf den bei Nacht nicht sehr bequemen Weg. Wir mußten zunächst soweit in den Wald hinein, wie der Saum des Unterholzes reichte; dann ging es, beide Hände zum Tasten ausgestreckt, rund um die Uferbiegung nach der nördlichen Seite des Sees. Ich möchte fast behaupten, daß ein Kurierzug schneller fährt, als wir hier gehen konnten, denn es war gewiß eine volle Stunde vergangen, als wir die Halbinsel erreichten. Wir bogen also links ab und auf dieselbe zu. Bald spürten wir den Geruch des Rauches, und dann dauerte es nicht lange, bis wir das Feuer sahen.

Nun legten wir uns nieder und krochen am Boden weiter. Die Halbinsel hatte einen Einschnitt, eine kleine Bucht, an deren Innenseite das Feuer brannte. Wenn wir den Rand dieser Bucht weiter außen erreichten, kamen wir von vorn anstatt von rückwärts an das Feuer und die an demselben Lagernden. Wir versuchten das, und es gelang vortrefflich. Es gab eine Menge Binsen hier, in denen wir nicht bloß Dekkung, sondern ein auch allerdings weiches, weil mooriges Lager fanden.

Nun hatten wir das Lager ganz nahe vor unsern Augen. Und wen sahen wir da? Old Wabble mit den Tramps!

Ihre Anwesenheit an diesem Orte war nicht etwa ein Wunder, aber wir fühlten uns doch überrascht. War denn jemand bei ihnen, der den Weg nach hier kannte? Unser Aufenthalt in der Schmiede und im Bärenthale hatte diesen Leuten zu einem mehrtägigen Vorsprunge verholfen. Sie schienen sich ganz wohl zu befinden, wenigstens ging es sehr lebhaft bei ihnen her. Sie saßen alle, wie wir sie kannten, und nicht einer fehlte, am Feuer, und nur einer stand, hochaufgerichtet an einen Baum gelehnt – der alte Wabble.

Er trug den Arm in einer aus einem Fellstücke gemachten Binde und bot einen Anblick, welcher zum Erschrecken war. Sein langer, hagerer Körper war noch viel dürrer geworden und sein Gesicht, schon vorher fast fleischlos, so eingefallen, daß es der vordern Seite eines Totenkopfes glich. Die sonst so rein gehaltene weiße Haarmähne, jetzt freilich nur noch halb vorhanden, „kleckte“, um mich eines vulgären Ausdruckes zu bedienen, vor Schmutz. Er bildete nur noch ein Gerippe, und sein fast ganz abgerissener Anzug hing an ihm wie zusammengeraffte Fetzen an einem Rechenstiel. An Nahrung hatte es ihm jedenfalls nicht gefehlt; der Armbruch war der Grund zu diesen ihn nichts weniger als verschönernden Folgen. Er schien sehr geschwächt zu sein und sich kaum aufrecht halten zu können. Auch seine Stimme war nicht mehr die frühere. Sie klang hohl, wie durch ein Ofenrohr gesprochen, und zitterig, als ob ihn das Fieber schüttele.

Er sprach nämlich gerad jetzt, als wir in unserem Verstecke Platz genommen hatten. Wir lagen nahe genug, um alles hören zu können, mußten aber sehr aufmerken, um ihn zu verstehen.

„Weißt du noch, du Hund, was du mir damals auf Helmers Home zugeschworen hast?“ hörten wir ihn fragen.

Der Blick seiner tief in den Höhlen liegenden glanzlosen Augen war auf eine Stelle gerichtet, wo wir etwas, wie ein langes, zusammengeschnürtes Paket, liegen sahen. War das ein Mensch? Und wenn, wer konnte es sein? Auf Helmers Home? Betraf das etwa unser damaliges Erlebnis an diesem Orte? Er erhielt keine Antwort und fuhr fort:

„Ich habe mir deine Drohung Wort für Wort gemerkt. Sie lautete: Nimm dich vor mir in acht, du Hund! Sobald ich dich treffe, bezahlst du mir diese Schläge mit dem Leben. Ich schwöre es dir mit allen Eiden zu, die man nur schwören kann! Hoffentlich hast auch du diese Worte nicht vergessen!“

Ah, das konnte nur zu dem „General“ gesprochen sein! Er war also gefangen, hier gefangen, von Old Wabble gefangen! Er hatte den Weg hierher allein machen müssen, weil ihm seine Rowdies nicht hatten folgen können, und war in die Hände des alten „Königs der Cow-boys“ gefallen. Das war interessant, höchst interessant, auch für Winnetou, der mir dieses durch ein dreimaliges „Uff, uff, uff!“ zu erkennen gab.

„Ich habe sie nicht vergessen!“ antwortete jetzt der General in zornigem Tone: „Du hattest mich geschlagen!“

„Ja, fünfzig gute, prächtige Hiebe! Ich gönne sie dir noch heut, denn du hattest mich gegen Old Shatterhand und Winnetou verraten und ihnen gesagt, daß auch ich der Dieb ihrer Gewehre sei. Also dich rächen willst du, Hund, mir an das Leben gehen?“

„Ja, ja, das werde ich!“

„Aber nicht so schnell, wie du denkst! Erst komme ich daran! Da du mir so aufrichtig sagst, was ich von dir zu erwarten hätte, will ich dir mit derselben Offenheit dienen, denn eine Liebe ist der andern wert; th’is clear! Ich werde dich auch ein wenig um das Leben bringen. Hörst du, um das Leben!“

„Wage es!“

Pshaw! Was ist da zu wagen!“

„Ich bin nicht allein!“

„Das machst du mir nicht weiß!“

„Ich habe Helfer, viele Helfer mit, die mich an dir rächen würden.“

„Wen denn?“

„Das ist meine Sache!“

„Ah, also die deinige, nicht auch die meinige? Nun, so brauche ich mich auch nicht daran zu kehren! Übrigens sagst du das nur, um mir angst zu machen und dich dadurch zu retten. Aber Old Wabble, the king of cow-boys, ist nicht der Mann, der sich von dir ins Bockshorn jagen läßt! Wir wissen genau, wie es mit deinen Helfern steht und wieviel ihrer sind.“

„Nichts weißt du, nichts!“

„Oho! Ja, wenn Shelley nicht hier bei uns wäre! Dem habt ihr ja in Topeka alles gesagt und ihn mitnehmen wollen, ihn aber sitzen lassen, nachdem ihr ihm im Spiele alles abgenommen habt! Sechs Kerls hast du bei dir. Vor denen sollen wir uns fürchten? Sie stecken jedenfalls droben bei der Foam-Cascade, und du gehst hier allein prospekten, um sie zu betrügen. Nein, uns machst du keine blauen Mücken vor. Du bist allein und kein Mensch wird dir helfen!“

„Du irrst dich, alter Schuft! Nimm dich in acht! Du wirst alles, was du mir thust, zehnfach bezahlen müssen!“

„Schuft nennst du mich, du, welcher der größte Schurke dieses Erdteiles ist?“ stieß der Alte grimmig hervor. „Gut, du sollst gleich jetzt, ehe wir morgen früh mit dir ans Werk gehen, eine kleine Einleitung erleben. Ich will dir für diesen Schuft eine Erinnerung an Helmers Horne beibringen. Du sollst gehauen werden. Fünfzig Hiebe sollst du grad wie damals haben, nur etwas kräftiger noch, denn ich that leider nur so, als ob ich weit ausholte. Seid ihr alle einverstanden, Boys, daß er sie bekommt, und zwar gleich jetzt?“

„Ja, Hiebe, fünfzig Hiebe, aber tüchtig gepfefferte!“ rief zunächst der Shelley Genannte. „Warum hat er mich in Topeka so gerupft!“

Die andern fielen, jubelnd beistimmend, ein, und einer schrie überlaut:

„Dabei üben wir uns auf Winnetou und Old Shatterhand und ihre Leute ein, die zehnmal soviel Hiebe bekommen sollen, wie sie uns – – ah so! Das braucht dieser Kerl ja nicht zu wissen! – – die uns in der Bonanza den verdammten Zettel anstatt des Goldes finden ließen. Schneiden wir auch Pfeifen ab, schöne Pfeifen, wie dort am Spring der dicke Hammerdull!“

Ich will über die nun folgende Scene weggehen. Der General drohte und fluchte; die Tramps lachten, und Old Wabble warf seine gottlosen Bemerkungen in den Lärm. Als die ersten Hiebe fielen, stieß Winnetou mich an, und wir krochen zurück, von der Halbinsel fort und wieder in den Wald hinein. Es galt ja, uns noch hinunter nach dem zweiten Feuer zu schleichen. Vorher aber fragte mich der Apatsche:

„Was schlägt mein Bruder wegen dem Bleichgesichte vor, welches sich General nennen läßt?“

„Den müssen wir haben.“

„So werden ihn die Tramps hergeben müssen. Er soll erst am Morgen ermordet werden; wir holen ihn in dieser Nacht.“

Nun gingen wir fort, von Baum zu Baum. Der Weg, den wir jetzt zurückzulegen hatten, war doppelt so lang wie der vorige. Wir waren noch keine Viertelstunde gegangen, so hörten wir vor uns ein Geräusch, wie wenn jemand an einen dürren Ast stößt und ihn abbricht. Das klingt nicht wie das Zerbrechen eines ledigen Astes, sondern das Abbrechen eines noch am Baume befindlichen giebt einen Schall, welcher eine am Baume hinauflaufende Resonanz findet. Wir zwei faßten uns schnell bei den Händen und huschten weit auf die Seite. Dort legten wir uns nieder und hielten das Ohr an die Erde. Es kamen Leute, mehrere, ja viele, langsam mit leisen Schritten, aber so nahe an uns vorüber, daß wir das Geräusch hörten. Sie kamen von da her, wo wir hin wollten.

„Uff!“ meinte Winnetou, als sie vorüber waren. „Ob diese Männer bei dem untern Feuer gesessen haben?“

„Den Schritten nach müssen es Indianer sein!“

„Ja, es sind rote Männer. Woher kommen sie, und wohin wollen sie? Kommen sie von dem einen Feuer, und wollen sie zum andern? Oder kommen sie von einem andern Orte? Wollen sie etwa gar nach der Seite des Sees, wo wir lagern?“

„Wir müssen das wissen, Winnetou!“

„Wir müssen es sogar schnell erfahren, denn unsere Gefährten befinden sich vielleicht in Gefahr. Diese Gefahr wird augenblicklich beendet sein, sobald Old Shatterhand zu ihnen kommt.“

„Ich soll also nach unserm Lager zurück?“

„Ja, so schnell wie möglich, und dich nicht bei den Tramps aufhalten.“

„Und du?“

„Ich gehe weiter, hinunter nach dem zweiten Feuer.“

„Da bekommst du die Indianer zwischen dich und uns, begehst also ein Wagnis, welches schlecht ablaufen kann.“

Pshaw! In einer bekannten Gefahr kommt Winnetou nicht um! Meine Brüder mögen nicht schlafen, bis ich wiederkomme.“

Er huschte fort, und ich kehrte um.

Mein Weg war jetzt gefährlicher als bisher, weil ich die Indianer vor mir hatte. Ich nahm an, daß ihr Ziel die Halbinsel sei, ging aber dennoch tiefer in den Wald hinein, um auf keinen Fall mit ihnen zusammenzutreffen. Die landschaftlichen Schönheiten, welche ich unterwegs zu bewundern hatte, will ich nicht beschreiben. Nie in meinem Leben habe ich mich so anstößig benommen wie in dieser Stunde. Die Bäume dort am See wissen ein Wort davon zu reden! An der Vorderseite voller Harz und an Gesicht und Händen zerstoßen und zerschunden, kam ich nach der angegebenen Zeit in unserm Lager an, wo man mich fragte, wo Winnetou sei. Ich erzählte, was wir gesehen und gehört hatten und ließ die Gefährten vom Seeufer bis ein Stück in den Wald hinein eine geradlinige Postenkette bilden. Das war das beste, weil einzige, was wir unter diesen Umständen thun konnten.

Wir saßen alle an der Erde, die Gewehre in den Händen. Es verging eine Viertelstunde; da drang von der Halbinsel ein plötzliches, markerschütterndes Geheul zu uns herauf. Die Indianer, welche an uns vorübergekommen waren, hatten die Tramps überfallen. Dabei war kein Schuß zu hören. Die Weißen hatten sich also von den Roten ohne Gegenwehr überwältigen lassen. Nun herrschte wieder tiefe Stille.

Ein einziger Augenblick im nächtlichen Leben der Urwaldswildnis, ein einziger! Und doch, was mochte er verändert und gekostet haben und vielleicht noch kosten! Das ist der blutige Westen!

Es mochte wieder eine Stunde vergangen sein, da erlosch auf der Halbinsel das Feuer. Das zweite weiter unten brannte fort. Nach abermals zwei Stunden hörte ich laute Schritte. Das konnte nur Winnetou sein, denn ein anderer Mensch hätte sich herangeschlichen. Ja, er war es, ebenso zerschunden und zerkratzt wie ich, wie wir am nächsten Morgen sahen. Er, der stets Umsichtige, beruhigte uns zunächst:

„Meine Brüder mögen ruhig beisammen bleiben; sie haben nichts zu befürchten. Es wird bis früh kein Feind kommen!“

Ich zog also die Postenkette ein und richtete, als wir uns wieder zusammengesetzt hatten, an den Apatschen die Frage:

„Mein roter Bruder ist unten beim letzten Feuer gewesen?“

„Ja,“ antwortete er.

„Hatten die Indianer dort gelagert, welche uns begegneten?“

„Ja.“

„Konntest du erfahren, welchem Stamme sie angehören?“

„Ich erfuhr es. Zwei von ihnen waren zurückgelassen worden, um die Pferde zu bewachen. Old Shatterhand wird sich wundern, sehr wundern!“

„Es sind doch nicht etwa die Capote-Utahs?“

„Sie sind es, mit ihrem Häuptling Tusahga-Saritsch!“

„Das ist freilich überraschend! Sie müssen mit dem General zusammengetroffen sein, der es verstanden hat, sie zu gewinnen. Ich vermute, daß er diese Gegend von früher her genau kennt, und so war es möglich, daß sie uns vorausgekommen sind.“

„So ist es. Mein Bruder hat es erraten. Die beiden Wachen, welche ich belauschte, sprachen davon, und ich hörte es. Der General ist nach der Halbinsel gegangen und nicht wiedergekommen; da haben sie sich aufgemacht, ihn zu suchen.“

„Was hat er dort gewollt?“

„Das hat er nicht gesagt. Er hat niemand mitnehmen wollen. Es muß ein Geheimnis gewesen sein. Darum sind sie mißtrauisch geworden und ihm, nachdem es dunkel geworden war, gefolgt. Da sie dort sahen, daß er von den Tramps gefangen genommen worden war, sind sie über diese hergefallen und haben ihn befreit.“

„War mein Bruder Winnetou noch einmal dort?“

„Ja; aber die Utahs hatten das Feuer verlöscht.“

„Weshalb?“

„Das weiß Winnetou nicht.“

„So hast du nichts sehen können?“

„Weder etwas gesehen noch gehört.“

„Hm! Was ist zu thun? Den General müssen wir unbedingt haben!“

„Wenn kein Feuer brennt, ist es unmöglich, ihn zu bekommen.“

„Leider hast du da recht. Wir müssen entweder bis sie wieder eines anzünden oder bis zum Anbruch des Tages warten. Weiter bleibt uns nichts übrig. Oder hast du einen andern, bessern Gedanken?“

„Die Gedanken Old Shatterhands sind stets gut.“

„So wollen wir schlafen, aber Doppelwachen auslosen!“

„Winnetou ist einverstanden. Wir befinden uns an einem gefährlichen Orte, wo wir nicht vorsichtig genug sein können. Wir werden auch nicht hier am See, sondern ein Stück drin im Walde schlafen, wohin die letzten Posten, ehe es Tag wird, auch die Pferde schaffen müssen, damit die Capote-Utahs uns ja nicht etwa beim ersten Tageslicht zu zeitig zu sehen bekommen.“

Wir zogen uns also von dem Wasser in den Wald zurück, ließen die Pferde aber jetzt noch weitergrasen. Von den beiden Wächtern mußte einer bei ihnen und der andere bei uns sein. Mich traf wieder die erste Wache. Diese dauerte anderthalb Stunden; sie verging ohne Störung, und dann legte ich mich nieder, nachdem unsere Nachfolger geweckt worden waren.

Als ich früh aufstand, war der Tag schon seit zwei Stunden da. Ich wollte zürnen, daß man mich so lange hatte schlafen lassen, doch Winnetou beruhigte mich mit der Versicherung:

„Mein Bruder hat nichts versäumt. Ich hatte die letzte Wache und bin, sobald es hell wurde, spähen gegangen. Es ist für uns unmöglich, die Utahs auf der Halbinsel zu überfallen und ihnen ihre Gefangenen abzunehmen. Wir müssen wissen, wohin sie reiten, und ihnen dann vorauseilen, um uns eine passende Stelle zum Angriffe auswählen zu können. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß derjenige schon halb gesiegt hat, welcher den Vorteil zu erlangen weiß, den Ort des Kampfes schon vorher bestimmen zu können. Diesen Vorteil müssen wir haben.“

Was er da sagte, war vollständig richtig, und so blieben wir da, wo wir geschlafen hatten, liegen, um den Abzug der Indianer zu erwarten. Winnetou entfernte sich in der Absicht, sie zu beobachten, was jetzt am hellen Tage eine ebenso schwierige wie gefährliche Aufgabe war. Die Pferde befanden sich natürlich nicht mehr am Seeufer, sondern bei uns im Walde.

Wir warteten Stunde um Stunde. Die Halbinsel lag zu fern, als daß wir hätten sehen können, was dort vorging. Nur dem Scheine des Feuers war es gestern möglich gewesen, bis zu uns heraufzudringen. Winnetou kam einigemal, um uns wenigstens über sich zu beruhigen; melden konnte er uns weiter nichts, als daß die Indianer noch nicht fort seien. Dann benachrichtigte er uns davon, daß er laute Beilschläge gehört habe; die Utahs schienen mit ihren Tomahawks einen Baum zu fällen, weshalb, das konnten wir natürlich nicht erraten. Endlich, endlich, als es schon über Mittag geworden war, kam er, um uns zu sagen, daß die Roten nun fort seien. Er hatte, vielleicht hundert Schritte entfernt und hinter einem Baume stehend, sie fortreiten sehen.

„So müssen ihre Pferde von da, wo das zweite Feuer brannte, heraufgeholt worden sein?“ fragte ich.

„So ist es,“ nickte er. „Ich sah, daß sie gebracht wurden.“

„Konntest du sie alle sehen, als sie fortritten?“

„Nein. Es waren zu viele Bäume zwischen ihnen und mir.“

„Natürlich waren die Gefangenen bei ihnen?“

„Ich war so fern von ihnen, daß ich die roten Männer nicht von den weißen unterscheiden konnte, und weiter durfte ich mich nicht an die Halbinsel wagen.“

„Nach welcher Richtung sind sie geritten?“

„Nach Nordwest. Dies ist der Weg, den auch wir einschlagen werden.“

„Hm! Wir müssen natürlich nach der Halbinsel. Reiten wir gleich hin, oder müssen wir erst spähen, ob wir dort sicher sind?“

„Wir sind sicher. Winnetou ist natürlich erst hingegangen, um nachzusehen, ob die Utahs sich auch wirklich entfernt haben.“

Da wir uns auf den Apatschen verlassen konnten, stiegen wir auf, um nach der Halbinsel zu reiten. in der Nähe derselben angekommen, suchten wir zunächst die Fährte der Utahs auf. Ja, sie waren fort; wir brauchten nicht zu befürchten, überrascht zu werden. Wir ritten also ohne Sorge nach dem Orte zu, wo Old Wabble und die Tramps und dann die Indianer gelagert hatten. Dort stiegen wir von den Pferden.

Das Gras und Moos war weit umher niedergetreten, wie es bei einem verlassenen Lagerplatze zu sein pflegt. Wir hatten keinen Grund, anzunehmen, daß wir einen Fund hier machen würden, dennoch ließen wir aus alter Gewohnheit unsere Blicke umherschweifen. Die Roten hatten sich nicht auf den eigentlichen Lagerplatz beschränkt; ihre Spuren führten nach mehreren Seiten von demselben fort. Wir trennten uns, um den verschiedenen Fährten nachzugehen, und hörten schon nach ganz kurzer Zeit Old Surehand rufen:

„Kommt her; kommt her; kommt alle her! Hier liegen sie! Schnell, schnell!“

Ich eilte nach der Richtung, aus welcher seine Stimme erklungen war. Welch ein Anblick erwartete mich da! Hier lagen sie unter den Bäumen, die Tramps, alle mit einander; es fehlte keiner! Ihren blutigroten Köpfen fehlten die Häute. Sie waren skalpiert worden. Man hatte sie, sogar nach ihrer Körperlänge, in einer Reihe neben einander gelegt, und ein weiterer Blick zeigte, daß sie vorher erstochen worden waren.

Uns grauste! Sie hatten einer moralisch sehr tief stehenden Menschensorte angehört und waren vor keinem Verbrechen zurückgebebt, aber sie in dieser Weise und so zugerichtet hier vor uns liegen zu sehen, das war entsetzlich!

Um zwanzig Menschen so schnell und sicher überwältigen zu können, hatte jeder Rote vorher genau wissen müssen, auf welchen Weißen er sich werfen müsse. Fünfzig Indianer auf zwanzig Weiße. Die Toten waren steif. Man hatte sie also nicht erst heut früh, sondern schon gestern abend erstochen. Warum aber waren die Indianer dann hiergeblieben? Warum hatten sie sogar ihre Pferde holen lassen? Es mußte irgend etwas gegeben haben, was auf heut früh verschoben worden war und bis Mittag gedauert hatte. Was konnte das sein? Mir fiel Old Wabble ein. Dessen Leiche fehlte. Jedenfalls hatte der „General“ ihn mitgenommen, um eine ganz besondere Rache an ihm auszuüben.

Hatten wir in den ersten Augenblicken wortlos vor den Leichen gestanden, so waren dann der Interjektionen desto mehr zu hören. Hätten wir jetzt die Roten hier vor unsern Gewehren gehabt, ich glaube, sie wären alle erschossen worden; auch ich hätte nichts dagegen gehabt! Aber wie das größte Unheil doch nicht ohne ein kleines Lächeln ist, das zeigte sich auch hier. Hammerdull deutete auf eine der Leichen und sagte zu Holbers:

„Pitt, das ist Hosea, der uns an das Leben wollte!“

Yes! Und das Joel, der nicht auf unser Geld hereinfallen wollte!“ antwortete der Lange, indem er auf einen andern Toten zeigte.

„Sie sind dennoch deine Vettern. Meinst du nicht auch, altes Coon?“

„Ja, sie sind es.“

„Willst du sie so hier liegen lassen?“

„Das möchte ich ihrer Mutter denn doch nicht anthun, obgleich sie mir so manchen gefühlvollen Augenblick bereitet hat.“

„Das ist brav von dir, alter Pitt! Was schlägst du also vor?“

„Daß wir sie begraben. Meinst du nicht auch, lieber Dick?“

„Ob wir sie begraben oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir werden ihnen, wenn wir Zeit dazu bekommen, einen kleinen Gottesacker herrichten und es ihnen darin so bequem machen, wie die Umstände es erlauben. Das ist Christenpflicht, zumal es deine Cousins und Vettern sind. Ist’s so richtig, altes Coon?“

„Hm! Wenn du denkst, daß du das an mir und meinen Verwandten thun willst, so bist du ein braver Kerl, lieber Dick!“

Sie reichten sich die Hände, und ich muß gestehen, daß nichts den Anblick dieser grausigen Scene so hätte mildern können wie grad die eigenartige Weise dieser beiden guten Menschen. Wir hatten keine Zeit übrig, wir mußten den Utahs nach und den „General“ fassen, welcher gewiß die Schuld an dem Tode der zwanzig Tramps trug; aber wenn die Brüder begraben werden sollten, so durften wir auch die andern nicht so liegen lassen, und darum entfernte ich mich, um nach einer passenden Stelle zu suchen. Ich traf dabei auf eine breite Fährte, welcher ich folgte; sie führte nach einer Fichte, welche etwas freier stand als die Bäume ihrer Umgebung, und als ich sie – –

Hier sträubt sich die Feder, fortzufahren! Was ich sah, war so gräßlich, daß ich einen Schrei ausstieß, wie ich wohl noch nie geschrieen habe. Die Kameraden kamen infolgedessen alle spornstreichs herbeigerannt und waren bei dem Anblicke, welcher sich ihnen bot, nicht weniger entsetzt als ich.

Man hatte die Fichte, welche die Stärke eines achtjährigen Kindes besaß, in Schulterhöhe gespalten. Das waren die Tomahawkhiebe gewesen, welche Winnetou gehört hatte. Durch in den Riß getriebene Holzkeile war nachgeholfen worden, weil die Tomahawks zu schwach gewesen waren, einen durchgehenden Spalt fertig zu bringen. Durch das Nachtreiben immer größerer und stärkerer Keile, auch mehrere nebeneinander, hatte man den Riß so erweitert, daß er mehr als den Durchmesser eines Männerleibes bekam, und dann den gefesselten alten Wabble hineingeschoben. Hierauf waren die stärkern Keile wieder herausgeschlagen worden; sie lagen unten am Boden; und nun steckte der unglückliche Alte in horizontaler Lage und mit entsetzlich zusammengepreßtem Unterleibe, hüben die Beine und drüben den Oberleib hervorragend, in dem Spalt. Hätte man ihn mit der Brust hineingelegt, so wäre sie ihm eingedrückt worden und er folglich gestorben; so aber hatte man ihn in teuflisch raffinierter Weise nur mit dem Unterleib hineingeschoben. Er lebte noch; sein gesunder Arm und die Beine bewegten sich, doch konnte er trotz der unbeschreiblichen Schmerzen, welche er auszustehen hatte, nicht schreien, weil man ihm einen Knebel in den Mund gesteckt und den letzteren noch extra zugebunden hatte. Die Augen waren zu; aus der Nase rann das Blut in schweren, dunklen Tropfen; der Atem ging scharf pfeifend und ließ die Blutstropfen zischen. Da konnte es kein Wort weder der Empörung noch des Mitleides geben; da mußte nur schnell, schnell geholfen werden, ohne einen einzigen Augenblick zu zaudern.

„Die starken Keile hinein!“ gebot ich. „Und zwar oben und auch unten! Macht rasch; macht rasch! Wir brauchen noch mehr Keile als hier liegen. Heraus mit den Messern und Tomahawks!“

Während ich dies rief, hatte ich auch schon einen Keil in den Spalt gesteckt und trieb ihn durch Hiebe mit dem eisenbeschlagenen Kolben meines Bärentöters ein. Jetzt konnte man die Kameraden schaffen sehen! Tomahawks hatten bloß Winnetou und Schahko Matto; das war aber genug. Abgestorbene Bäume standen einige in der Nähe. Die Spähne flogen; es wurden wie im Handumdrehen neue, stärkere Keile fertig. Mein Bärentöter und Hammerdulls alte Gun, deren Kolben stark mit Bandeisen umwunden war, wurden als Schlägel gebraucht. Kurz und gut, es waren kaum zwei Minuten vergangen, so hatten wir den Spalt so weit erweitert, daß wir Old Wabble herausziehen konnten. Wir legten ihn auf die Erde und befreiten ihn von dem Knebel, was wir eigentlich schon früher hätten thun sollen, in der Aufregung aber vergessen hatten.

Er blieb zunächst ohne Bewegung liegen und stieß einen Schwall geronnenen Blutes aus dem Munde; dann folgte ein heller, dünner Blutstrahl nach. Die Brust erweiterte sich; wir hörten einen tiefen, tiefen Atemzug. Hierauf öffneten sich die Augen; sie waren dunkelrot gefärbt. Und nun, nun kam etwas, was ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde, nämlich ein Schrei, aber was für ein Schrei! Ich habe Löwen und Tiger brüllen hören; ich kenne die Trompetentöne des Elefanten, ich habe den entsetzlichen, gar nicht zu beschreibenden Todesschrei von Pferden gehört; aber nichts von dem allem ist mit dem fürchterlichen, langgezogenen, kein Ende nehmenden Schrei zu vergleichen, welcher jetzt, die Schmerzen einer ganzen Welt herausbrüllend, aus Old Wabbles Mund kam und drüben vom jenseitigen Seeufer und hüben aus der Waldestiefe vom mitleidlosen Echo zurückgeschickt wurde. Es schüttelte uns!

Hierauf war es wieder eine Weile still. Mit den widerstreitendsten Gefühlen in unsern Herzen standen wir um ihn herum; das Mitleid hatte aber doch die Oberhand. Jetzt begann er zu stöhnen, lauter, immer lauter; dann folgte ein plötzliches Gebrüll, wie von einer Schar wilder Tiere. Ich hielt mir die Hände an die Ohren; wieder das leisere Stöhnen und jammern, und dann abermals ein eruptives Geheul, von welchem wir förmlich zurückgeworfen wurden. So ging es fort und fort, dieses Wimmern und Stöhnen, von heulenden Stößen unterbrochen; es wollte kein Ende nehmen. Er schien weder sehen noch hören, auch nicht sprechen zu können. Was konnten wir thun? Holbers blieb bei ihm, um ihm Wasser einzuflößen; wir aber entfernten uns, um ein Grab für die Tramps herzustellen. Gesprochen wurde kein Wort über den Unglücklichen. Ein heiliges Grauen hatte uns gepackt. Wir fühlten uns im Bereiche der Allgerechtigkeit, welche nach so erfolgloser Langmut jetzt endlich mit dem alten Gotteslästerer abzurechnen begann.

Wir fanden endlich an dem Westufer der Halbinsel, was wir suchten, nämlich eine ganze Menge ab-, an- und herausgespülter Steine, welche zur Herstellung selbst einer so großen Begräbnisstelle ausreichten. Zum Graben einer Vertiefung, wie sie für so viele Leichen nötig gewesen wäre, fehlten uns die Werkzeuge. Wir begannen, die Steine nach der Mitte der Halbinsel zu schleppen, wo es eine natürliche, fast metertiefe Senkung gab. Dorthin sollte das Grab kommen.

Das war eine Arbeit, welche viel Zeit in Anspruch nahm und während welcher wir immer das Gebrüll des Königs der Cow-boys hörten, bis er nach vielleicht einer Stunde stiller wurde. Später kam Holbers zu mir und sagte, daß der Alte jetzt sehen könne und zu sprechen beginne. Ich ging zu ihm hin. Er lag lang ausgestreckt da, holte leise und unregelmäßig Atem und starrte mich an. Seine Augen hatten sich ziemlich entrötet.

„Old – Shat – – ter – – – hand,“ flüsterte er. Dann hob er den Oberkörper ein wenig und schrie mich an: „Hund, verfluchter, fort, fort, fort mit dir!“

„Mr. Cutter, Ihr steht vor der Ewigkeit!“ antwortete ich. „Niemand kann Euch helfen! In kurzer Zeit, vielleicht schon in einer Stunde, giebt es für Euch den letzten Atemzug. Macht Eure Rechnung hier mit Gott; im jenseits ist’s zum Bitten vielleicht nicht mehr Zeit!“

„Schäfchenhirt! Packe dich von hier! Ich will sterben ohne dich und ohne ihn! Geh mir aus den Augen!“

Ich ging natürlich nicht, sondern fuhr fort:

„Erinnert Euch, was ich auf Fenners Farm gesagt habe! Ihr sollt um eine einzige Minute der Verlängerung Eures Lebens zu Gott wimmern; Eure Seele soll zetern aus Angst vor der göttlichen Gerechtigkeit, und wenn die Faust des Todes Euren Körper krümmt, sollt Ihr nach Vergebung Eurer Sünden heulen!“

„Fort, fort, sage ich!“ heulte er wütend. „Gebt mir ein Messer, ein Messer, sage ich, daß ich diesen Kerl, noch ehe ich sterbe, erstechen kann!“

Old Surehand war herbeigekommen; er hörte das und sagte:

„Den macht Ihr nun im letzten Augenblicke auch nicht erst noch anders. Oder wollt Ihr es einmal mit dem Gebet versuchen?“

Ich sah ihn an. Es war ihm wirklich ernst mit diesen Worten; dennoch fragte ich:

„Warum gebt Ihr mir diesen guten Rat?“

„Weil wir gestern vom Gebet gesprochen haben. Ihr glaubt ja doch so fest und unerschütterlich an seine Macht!“

Well! Wenn es Gott gefällt, so werdet Ihr einen Beweis von dieser Macht erhalten, doch jetzt, in diesem Augenblick noch nicht!“

Old Wabble war nämlich jetzt nicht mehr bei sich. Er fiel in seinen früheren Zustand zurück und wechselte, wie vorhin, mit Wimmern und tierischem Brüllen ab. Ich entfernte mich. Als er nach einer halben Stunde ruhig geworden war, ging ich wieder hin zu ihm. Er kannte mich und zischte mich an:

„Kennst du noch den Fact, und wieder den Fact, und zum drittenmal den Fact, damals im Llano estacado? Bring mir nun von deinem Gotte einen Fact, du Himmelsschaf!“

Sollte ich ihm, der jetzt noch spottete, in meiner vorigen Weise antworten? Nein. Ich konnte nichts mehr für diese verlorene Seele thun. Es gab nur eine Macht, die helfen konnte, und das war nicht die meinige. Old Surehand hatte gemerkt, wohin ich wieder gegangen war, und war mir wieder nachgekommen; wir befanden uns allein bei dem Alten. Ich kniete nieder und betete, nicht leise, sondern laut, daß Old Surehand und Old Wabble es hörten. Was ich betete? Ich weiß es nicht mehr, und wenn ich es noch wüßte, würde ich es hier nicht wiederholen. Als ich fertig war und aufstand, waren Old Surehands Augen feucht. Er drückte mir die Hand und sagte leise:

„Jetzt weiß ich, was richtig beten heißt! Wenn das nicht hilft, so will ihm Gott nicht helfen!“

Old Wabble hatte mich, ganz gegen meine Erwartung, nicht ein einziges Mal unterbrochen. Sein Auge sah mich spöttisch an; aber aus seinem vor Schmerz verzerrten Munde war auch jetzt keine Silbe zu hören. Sollte er sich jetzt doch scheuen, mich zu verhöhnen? Das würde ein gutes Zeichen sein. Ich durfte diese Wirkung nicht stören und ging, indem ich Old Surehand mit mir fortzog.

Nach einiger Zeit waren wir so weit, daß wir die Leichen in die Bodensenkung legen konnten, um sie dann erst mit Gezweig und dann mit Steinen zu bedecken. Da kam mir ein Gedanke, nein, kein Gedanke, sondern eine Eingebung; es war eine, das fühlte ich: Ich ließ den alten Wabble holen und nach dem Grabe bringen. Das verursachte ihm große Schmerzen; er schrie in einem fort und fragte dann, warum er nicht habe liegen bleiben dürfen.

„Ihr sollt sehen, wohin wir Eure skalpierten Kameraden legen,“ antwortete ich. „Wir lassen einen Platz für Euch, denn ehe die heutige Sonne untergeht, liegt Ihr bei ihnen hier unter diesen Steinen. Ihr habt nur noch Zeit zur Reue und zum Sterben, weiter keine!“

Ich hatte erwartet, daß er mich wütend anschreien werde; er aber war still, ganz still. Er sah zu, daß wir einen Tramp nach dem andern in die Vertiefung legten und dann mit Ästen und Zweigen bedeckten; er sah auch, daß wir Steine darüber aufhäuften und eine Lücke für seinen eigenen Körper ließen. Sein Auge folgte jeder unserer Bewegungen; er sagte immer noch nichts. Aber in seinem Blicke lag eine immer größer werdende Angst; das bemerkte ich wohl. Nun waren wir endlich mit dem Grabe, bis auf ihn – – die letzte Leiche, fertig und gingen fort, scheinbar ohne uns um ihn zu kümmern. Ich fühlte aber eine Spannung, die gar nicht größer sein konnte.

Da plötzlich erzitterte die Luft von einem Schrei, nicht anders, als wie sein erster Schrei gewesen war. Ich suchte ihn wieder auf. Die Schmerzen hatten ihn wieder gepackt, doch ohne ihm die Besinnung zu rauben. Er wand sich wie ein Wurm; er schlug und stampfte um sich, doch kam kein Fluch und keine Verwünschung mehr aus seinem Munde. Dann lag er wieder still, wimmernd und stöhnend zwar, doch sonst bewegungslos. Seine Zähne knirschten, und der Schweiß trat in schweren, dicken Tropfen auf seine Stirn und sein Gesicht. Ich wischte sie wiederholt ab; sie kamen immer wieder. So verging eine lange Zeit. Da hörte ich ihn halblaut sagen:

„Mr. Shatterhand!“

Ich bog mich über ihn, und nun fragte er langsam und mit öfteren Unterbrechungen:

„Ihr wißt alles – – alles – –. Kennt Ihr das alte, alte – – Lied – – Lied – – von der – – Ewigkeit – –?“

„Welches Lied? Wie ist der Anfang?“

E – – ter – – nity – – oh – – thunder – – word – – –.“

„Ich kann es auswendig.“

„Betet – – be – – tet es!“

Ich blickte Old Surehand, der mit mir zu ihm gekommen war, bedeutungsvoll an, setzte mich neben den Alten hin und begann, natürlich in der englischen Übersetzung-

„O Ewigkeit, du Donnerwort,
Du Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder Ende!
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Vielleicht schon morgen oder heut
Fall ich in deine Hände.
Mein ganz erschrocknes Herz erbebt,
Daß mir die Zung’am Gaumen klebt!“

Hier hielt ich inne. Er war still. Seine Brust bewegte sich schwer. Es arbeitete in ihm. Dann bat er: „Weiter – – weiter – – Mr. Shatter – – hand –Ich that ihm den Willen und fuhr fort:

„O Gott, wie bist du so gerecht!
Wie strafst du mich, den bösen Knecht,
Mit wohlverdienten Schmerzen!
Schon hier erfaßt mich deine Faust,
Daß es mich würgt, daß es mich graust
In meinem tiefsten Herzen.
Die Zähne klappern mir vor Pein;
Wie muß es erst da drüben sein!“

Die Strophen dieses alten, kraftvollen Kirchenliedes sind, wenn sie richtig gelesen oder gesprochen werden, allerdings geeignet, wie Schwerterspitzen durch Mark und Bein zu gehen. Ich sah, daß es ihn schüttelte, doch forderte er mich auf“Weiter – – immer – – weiter! Ich – – höre es – –!“ Ich that ihm natürlich den Willen:

„Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf,
Ermuntre dich, verlornes Schaf,
Denn es enteilt dein Leben!
Wach auf, denn es ist hohe Zeit,
Und es naht schon die Ewigkeit,
Dir deinen Lohn zu geben!
Zeig reuig deine Sünden an,
Daß dir die Gnade helfen kann!“

Was war das?! Seine Zähne schlugen zusammen. Ja, wahrhaftig, ich hörte sie klappern! Der Schweiß stand nicht mehr tropfenweis auf seiner Stirn, sondern er lag als eine zusammenhängende, naßkalte Schicht auf ihr. Dabei murmelte er, wie ein Betrunkener lallend:

„Zeig reuig – – – deine Sünden – – – an, daß dir – – – die Gnade – – – hel – – helfen kann – – –!“ Und plötzlich stieß er laut, schnell und voller unsäglicher Angst hervor: „Wie lange braucht man zur Gnade, wie lange! Sagt es schnell, schnell!“

„Einen Augenblick nur, wenn Ihr’s ehrlich meint,“ antwortete ich.

„Das ist zu wenig, viel zu wenig! Zeig reuig deine Sünden an! Ich habe mehr Sünden auf meinem Gewissen als Sterne am Himmel stehen. Wie kann ich die in dieser Zeit beichten, wie kann, wie kann ich das!“

„Gott zählt sie nicht einzeln, wenn Ihr sie wirklich bereut!“

„Nein, alle, alle muß ich ihm aufzählen, alle! Und habe ich Zeit dazu, Zeit? Wann muß ich sterben, sagt es mir!“

„Eure Todesstunde schlägt heut. Hier steht Euer Grab schon offen!“

„Schon offen, schon offen; oh mein Himmel, oh mein Gott! Gebt mir mehr Zeit, mehr! Gebt mir einen Tag, zwei Tage, eine Woche!“

Da, da war es, was ich ihm auf Fenners Farm vorausgesagt hatte: Er flehte um eine Gnadenfrist!

„Aber ich fühle es,“ fuhr er kreischend fort; „ich bekomme keine Zeit, keine Frist, keine Gnade, kein Erbarmen! Der Tod greift mir nach dem Herzen, und die Hölle mit allen ihren Teufeln wühlt mir schon im Leibe! Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand, Ihr seid ein gläubiger, ein frommer Mann. Ihr müßt, Ihr müßt es wissen: Giebt es einen Gott?“

Ich legte ihm die Hand auf die Stirn und antwortete:

„Ich schwöre nie; heut und hier schwöre ich bei meiner Seligkeit, daß es einen Gott giebt!“

„Und ein jenseits, ein ewiges Leben?“

„So wahr es einen Gott giebt, so wahr auch ein jenseits und ein ewiges Leben!“

„Und jede Sünde wird dort bestraft?“

„Jede Sünde, welche nicht vergeben worden ist.“

„Oh Gott, oh Allerbarmer! Wer wird mir meine vielen, vielen, schweren Sünden vergeben? Könnt Ihr es thun, Mr. Shatterhand; könnt Ihr?“

„Ich kann es nicht. Bittet Gott darum! Er allein kann es.“

„Er hört mich nicht; er mag von mir nichts wissen! Es ist zu spät, zu spät!“

„Für Gottes Liebe und Barmherzigkeit kommt keine Reue zu spät!“

„Hätte ich früher auf Euch gehört, früher! Ihr habt Euch Mühe mit mir gegeben. Ihr habt recht gehabt: Das Sterben währt länger, viel, viel länger als das Leben! Fast hundert Jahre habe ich gelebt; nun sind sie hin, hin wie ein Wind; aber diese Stunde, diese Stunde, sie ist länger als mein ganzes Leben; sie ist schon eine Ewigkeit! Ich habe Gott geleugnet und über ihn gelacht; ich habe gesagt, daß ich keinen Gott brauche, im Leben nicht und im Sterben nicht. Ich Unglücklicher! Ich Wahnsinniger! Es giebt einen Gott; es giebt einen; ich fühle es jetzt! Und der Mensch braucht einen Gott; ja er braucht einen! Wie kann man leben und wie sterben ohne Gott! Wie kalt, wie kalt ist’s in mir, huh – – –! Wie finster, wie finster, huuuh – – –! Das ist ein tiefer – – – tiefer – – bodenloser Abgrund – – Hilfe, Hilfe! Das schlägt über mir zusammen – – über mir – – Hilfe – – –Hilfe! Das krallt sich um meine – – – Hilfe – – – Gnade – –Gnade – – Gna – – –!“

Er hatte die Augen geschlossen und die Hilferufe mit erst schriller und dann ersterbender Stimme ausgestoßen. Jetzt schloß er den Mund und bewegte kein Glied seines Körpers, kein Härchen seiner Augenwimpern mehr.

„Oh mein Gott!“ seufzte Old Surehand. „Ich sah schon manchen Menschen im Kampfe fallen; aber ein wirkliches Sterben, so wie dieses, sah ich doch noch nie! Wer da nicht an Gott glauben lernt, dem wäre besser, er wäre nie geboren!“

Die Hilferufe Old Wabbles hatten die Gefährten alle herbeigerufen; sie standen rund umher. Ich schob dem Alten die Hand unter das Gewand und legte sie ihm auf das Herz; ich fühlte kaum noch dessen leisen, langaussetzenden Schlag.

„Die Hüte ab, Mesch’schurs!“ bat ich. „Wir stehen vor einem hehren, heiligen Augenblick: Ein verlorener Sohn kehrt jetzt zurück ins Vaterhaus. Betet, betet, betet, daß der Inbegriff aller Liebe sich seiner erbarme, jetzt in dieser schweren, letzten Minute und jenseits in der Ewigkeit!“

Sie beteten; selbst die drei Häuptlinge beteten und – – Old Surehand betete auch! Die Sekunden dehnten sich zu Minuten und die Minuten zu Viertelstunden. Ein dünnes Zweiglein knickte unter den Zehen eines kleinen Vogels. Das klang durch diese tiefe, heilige Stille wie sonst das Brechen eines starken Baumes, so schien es uns, und der leichte Flügelschlag des Vogels dünkte uns das Rauschen von Adlerschwingen zu sein!

Da schlug Old Wabble die Augen auf und richtete sie auf mich. Sein Blick war klar und mild, und seine Stimme klang zwar leise doch deutlich, als er sagte:

„Ich schlief jetzt einen langen, langen, tiefen Schlaf und sah im Traum mein Vaterhaus und meine Mutter drin, die ich beide hier nie gesehen habe. Ich war bös, sehr bös gewesen und hatte sie betrübt, so träumte mir; ich bat sie um Verzeihung. Da zog sie mich an sich und küßte mich. Old Wabble ist nie im Leben geküßt worden, nur jetzt in seiner Todesstunde. War das vielleicht der Geist von meiner Mutter, Mr. Shatterhand?“

„Ich möchte es Euch gönnen. Ihr werdet’s bald erfahren,“ antwortete ich.

Da ging ein Lächeln über seine viel durchfurchten Züge, und er sprach in rührend frohem Tone:

„Ja, ich werde es erfahren, in wenigen Augenblicken. Sie hat mir verziehen, als ich sie darum bat! Kann Gott weniger gnädig sein als sie?“

„Seine Gnade reicht so weit, so weit die Himmel reichen; sie ist ohne Anfang und auch ohne Ende. Bittet ihn, Mr. Cutter, bittet ihn!“

Da legte er die unverletzte Hand in diejenige des gebrochenen Armes, faltete beide und sagte:

„So will ich denn gern beten, zum ersten und zum letzten Mal in diesem meinem Leben! Herrgott, ich bin der böseste von allen Menschen gewesen, die es gegeben hat. Es giebt keine Zahl für die Menge meiner Sünden, doch ist mir bitter leid um sie, und meine Reue wächst höher auf als diese Berge hier. Sei gnädig und barmherzig mit mir, wie meine Mutter es im Traume mit mir war, und nimm mich, wie sie es that, in Deine Arme auf. Amen!“

Welch ein Gebet! Er, der keine Schule genossen und nie mit seinem Gotte gesprochen hatte, betete jetzt in so geläufiger Weise, wie ein Pfarrer betet! Er hatte leise und mit Unterbrechungen gesprochen, war aber von uns allen verstanden worden. Dieser Sterbende war ein böser Mensch und zuletzt mein Todfeind gewesen, und doch liefen die Thränen, die ich nicht zurückzuhalten vermochte, mir über die Wangen herab.

„War es so richtig, Mr. Shatterhand?“ fragte er.

„Ja, so war es gut.“

„Und wird Gott mir meine Bitte erfüllen?“

„Ja.“

„Ah, wenn ich das doch deutlich aus Eurem Munde hören könnte!“

„Ihr sollt es hören. Ich bin zwar kein geweihter Priester, und keine Macht der Kirche ist mir anvertraut; wenn ich damit eine Sünde begehe, so wird Gott auch mir gnädig sein; ich bin ja der einzige hier, der zu Euch reden kann! Spricht die Stimme wahr, die ich jetzt in mir höre, so seid Ihr von Gottes Gerechtigkeit gerichtet, aber von seiner Barmherzigkeit begnadigt worden. Geht also heim in Frieden! Ihr habt im Traum das irdische Vaterhaus gesehen; es steht Euch nun die Thür des himmlischen offen. Eure Sünden bleiben hier zurück. Lebt wohl!“

Ich nahm seine Hand in die meinige. Er hatte die Augen wieder geschlossen. Ich legte mein Ohr an seinen Mund und hörte ihn noch hauchen:

„Lebt – – wohl! – – Ich – – bin – – so froh, – – so froh – –!“

Das Lächeln war in seinem Angesichte geblieben; es war so mild, als ob er wieder von seiner Mutter träumte. Doch war’s kein Traum mehr, der ihm die Erbarmung zeigte; er sah sie jetzt in Wirklichkeit, in jener Wirklichkeit, die über allem Irdischen erhaben ist; – – er war tot! –

Was für ein sonderbares Geschöpf ist doch der Mensch! Welche Gefühle hatten wir noch vor wenigen Stunden für diesen nun Verstorbenen gehabt! Und jetzt stand ich so tief berührt vor seiner Leiche, als ob mir ein lieber, lieber Kamerad gestorben sei! Seine Bekehrung hatte alles Vergangene gut gemacht. Und ich war nicht der einzige, dem es so erging. Dick Hammerdull kam herbei, ergriff die Hand des Toten, schüttelte sie leise und sagte:

„Leb wohl, alter Wabble! Hättest du eher gewußt, was du jetzt weißt, so wärest du nicht eines so elenden Todes gestorben. Das war gewaltig dumm von dir; ich trage es dir aber nicht nach! Pitt Holbers, gieb ihm auch die Hand!“

Holbers brauchte gar nicht dazu aufgefordert zu werden, denn er stand schon bereit dazu. Er sagte dabei, und zwar gar nicht in seiner trockenen Weise, sondern tief bewegt:

Farewell, alter King! Dein Königreich hat nun ein Ende. Wärest du gescheit gewesen, so hättest du mit uns anstatt mit den Tramps reiten können. Schade, jammerschade um so einen tüchtigen Boy, der du früher gewesen bist! Komm, lieber Dick! Wollen ihn in sein letztes Bette legen!“

„Nein, jetzt noch nicht!“ entgegnete ich.

„Ja, müssen wir nicht weiter?“ fragte Hammerdull.

„Wir haben nur noch zwei Stunden Tag; da verlohnt es sich nicht, nun erst ein anderes Lager aufzusuchen. Wir bleiben hier.“

„Aber die Utahs, und der General?!“

„Laßt sie ziehen! Sie entkommen uns nicht, nun erst recht nicht, da wir die Schmerzen zu rächen haben, welche dieser Tote hat ausstehen müssen. Früh schien es mir, als ob wir keine Zeit hätten; jetzt habe ich mehr als genug!“

„Ich stimme meinem Bruder Shatterhand bei,“ erklärte Winnetou. „Old Wabble soll nicht warm begraben werden!“

Es war also ausgemacht, daß wir heut auf der Halbinsel blieben. Einer aber von uns ließ sich nicht bereit dazu finden, Old Surehand nämlich. Er winkte mich auf die Seite und sagte: „Ich kann nicht hier bleiben, Mr. Shatterhand. Ich werde fortreiten, und zwar heimlich, damit niemand auf den Gedanken kommt, mich aufzuhalten. Jemandem aber muß ich es sagen, und das sollt Ihr sein. Verratet mich nicht, bis ich fort bin!“

„Ist es denn unbedingt notwendig, daß Ihr Euch entfernen müßt?“ erkundigte ich mich. „Könnt Ihr wirklich nicht hier bleiben?“

„Ich muß fort!“

„Und allein?“

„Ganz allein!“

„Hm! Ihr seid ein tüchtiger Westmann, und ich will also nicht von den Gefahren sprechen, welche Euch begegnen können; aber wollt Ihr mir nicht wenigstens sagen, welcher Art das Unternehmen ist, welches Euch hindert, hier bei uns zu bleiben, Mr. Surehand?“

„Das kann ich nicht.“

„Darf ich auch nicht erfahren, wohin Ihr wollt?“

„Nein.“

„Hm! Ich habe nicht die Absicht, Euch Vorwürfe zu machen, aber Euer Verhalten grenzt doch etwas an Vertrauenslosigkeit.“

Da antwortete er, schnell mißmutig geworden:

„Ob ich Vertrauen zu Euch habe, müßt Ihr ebenso gut wissen wie ich, Sir. Ich habe Euch schon gesagt, daß es sich um ein Geheimnis handelt, von welchem ich nicht sprechen darf und sprechen will.“

„Auch zu mir nicht?“

„Nein!“ erklang es sehr kurz und abweisend.

Well! jeder hat das Recht, seine Angelegenheiten für sich zu behalten; aber ich bin Euch von Jefferson-City aus bis hierher nachgeritten, in der Meinung, mit Euch gute Kameradschaft zu halten. Ich sage nicht, daß daraus Rechte für mich und Pflichten für Euch entstehen, doch sollte es mir leid thun, wenn Ihr Absichten hegt, welche Euch in Schaden bringen, wenn Ihr sie allein betreibt, während sie gelingen würden, wenn es Euch beliebte, nicht so verschlossen, sondern offen gegen mich zu sein. Seid Ihr denn Eurer Sache so gewiß, daß Ihr behaupten könnt, uns nicht zu brauchen?“

„Wäre ich allein hierher geritten, wenn ich geglaubt hätte, Hilfe nötig zu haben?“

„Sehr richtig! Aber, habt Ihr denn wirklich keine nötig gehabt?“

„Ihr meint natürlich meine Gefangenschaft bei den Utahs?“

„Ja.“

„Ich hätte mich wohl auch von ihnen fortgefunden!“

Jetzt war ich es, welcher einen zurückhaltenden Ton annahm:

„Ich bin überzeugt davon. Betrachten wir also die Sache für abgemacht! Reitet also in Gottes Namen; ich hindere Euch nicht!“

Ich wollte mich abwenden; da nahm er mich bei der Hand und bat:

„Seid nicht bös auf mich, Sir! Meine Worte klangen nach Undankbarkeit. Ihr wißt aber jedenfalls, daß ich nicht undankbar bin.“

„Das weiß ich!“

„Und – – und – – ich will Euch wenigstens eins sagen: Ich bin so verschwiegen gewesen, weil ich glaubte, Ihr würdet Euch von mir wenden, wenn Ihr hörtet, wer ich bin.“

„Unsinn! Seid, wer Ihr wollt! Old Surehand ist ein braver Kerl!“

„Aber – – aber – – aber der Sohn eines – – Zuchthäuslers!“

Pshaw!“

„Wie? Ihr erschreckt da nicht?“

„Fällt mir nicht ein!“

„Bedenkt doch, Sir – Zuchthäusler!“

„Ich weiß, daß es in den Zuchthäusern und Gefängnissen auch schon brave Leute gegeben hat!“

„Aber, mein Vater ist sogar im Zuchthause gestorben!“

„Traurig genug! Aber das geht doch meine Freundschaft für Euch nichts an!“

„Wirklich nicht?“

„Wirklich nicht!“

„Meine Mutter war auch Zuchthäuslerin!“

„Das ist ja ganz entsetzlich!“

„Und mein Oheim auch!“

„Armer, armer Teufel, der Ihr seid!“

„Beide sind ausgebrochen und entflohen!“

„Das gönne ich ihnen!“

„Aber, Sir, Ihr fragt doch gar nicht, weshalb sie bestraft wurden!“

„Was bringt es für Nutzen, wenn ich es erfahre?“

„Wegen Falschmünzerei nämlich!“

„Das ist schlimm! Falschmünzerei wird sehr schwer bestraft.“

„Nun –? Ihr redet immer noch mit mir?“

„Warum nicht?“

„Mit dem Sohne und Neffen von Falschmünzern, von Zuchthäuslern?“

„Hört ‚mal, Mr. Surehand, was gehen mich die Münzen und die Gefängnisse der Vereinigten Staaten an? Selbst angenommen, daß Eure Verwandten dieses Verbrechen begangen und die Strafe wirklich verdient hatten, was habt denn Ihr dafür gekonnt?“

„Ihr wendet Euch also nicht von mir ab?“

„Hört, Sir, beleidigt mich nicht! Ich bin ein Mensch, ein Christ, aber kein Barbar! Wer Strafe verdient, der mag sie tragen; ist sie vorüber, so steht er wieder da wie zuvor, wenigstens in meinen Augen. Ich bin überhaupt der Ansicht, daß wenigstens fünfzig Prozent der Bestraften nicht Verbrecher, sondern entweder kranke Menschen oder Opfer unglücklicher Verhältnisse sind.“

„Ja, Ihr denkt in jeder Beziehung human; das weiß ich ja. Und zu meiner Freude kann ich Euch sagen, daß meine Eltern und mein Oheim unschuldig gewesen sind; sie hatten nichts Böses gethan.“

„Desto größer ist das Unglück, welches sie betroffen hat. Wie Ihr habt denken können, daß ich, selbst wenn sie schuldig gewesen wären, Euch das hätte entgelten lassen, das kann ich nicht begreifen! Werdet Ihr auch jetzt noch so verschlossen sein?“

„Ich muß!“

Well! So sagt mir wenigstens, wann wir uns wieder treffen werden!“

„Von heut in vier Tagen.“

„Wo?“

„Im Pui-bakeh, welcher fast in der Mitte des Parks von San Louis liegt. Winnetou wird ihn kennen. Er hat die Form eines Herzens; daher der Name dieses Waldes. Ich bin sicher dort.“

„Wenn Euch nichts dreinkommt!“

„Was sollte dazwischen kommen?“

„Hört, Mr. Surehand, Ihr rechnet noch mit denselben Ziffern, mit denen Ihr gerechnet habt, als Ihr Euch von Jefferson-City aus auf den Weg machtet. Inzwischen aber ist manches geschehen, und die Verhältnisse haben sich geändert. Der General ist da, und es ist – –“

Pshaw!“ fiel er mir in die Rede. „Den fürchte ich nicht! Was geht der mich überhaupt an?“

„Vielleicht mehr, als Ihr denkt!“

„Gar nichts, ganz und gar nichts, Sir!“

„Nun, ich will mich da nicht mit Euch streiten! Ferner sind die Utahs da.“

„Mir gleich!“

„Und der Medizinmann der Komantschen ist auch da!“

„Der ist mir erst recht gleichgültig! Es ist überhaupt sehr zweifelhaft, daß er sich hier befindet. Habt Ihr ihn gesehen?“

„Nein.“

„Nach dem, was Eure Kameraden erzählten, hatte er sich doch den Tramps angeschlossen; er müßte also doch eigentlich mit hier auf der Halbinsel gewesen sein. Er hat sich also von ihnen getrennt.“

„Jedenfalls; und das war klug von ihm!“

„Wenn er wirklich klug war, so ist er zurückgeblieben.“

„Ich denke da anders. Wenn ein Mann mit seinem Weibe hier herauf nach der Wildnis reitet, müssen sehr dringende Gründe vorliegen, dies zu thun. Das werdet Ihr ebenso einsehen wie ich.“

„Allerdings.“

„Diese Gründe sind jedenfalls noch vorhanden; er ist also wohl nicht umgekehrt. Die Tramps haben nicht wissen sollen, was er hier oben will; darum hat er sich von ihnen getrennt. So wird es sein.“

„Warum aber ist er erst mit ihnen geritten?“

„Aus Rache und Feindschaft gegen uns, und um unter ihrem Schutze in das Gebirge zu kommen. Sobald er es aber erreicht hatte, hat er sich aus dem Staub gemacht. Er ist ganz gewißlich hier.“

„Mag er; mich kümmert er nicht! Also Ihr wißt nun, woran Ihr seid: Von heut an in vier Tagen warte ich am Pui-bahek auf Euch. Ihr könnt Euch bis dahin ja mit der Jagd auf die Utahs beschäftigen und sie für den hier begangenen Massenmord bestrafen! Hoffentlich folgt niemand von Euch meiner Fährte!“

„Da könnt Ihr ruhig sein.“

„Wollt Ihr mir das versprechen?“

„Ja; mein Wort darauf!“

„So sind wir fertig. Lebt wohl!“

„Noch nicht! Wollt Ihr Euch nicht Fleisch von uns mitnehmen?“

„Nein; ihr braucht es selbst, und es würde auffallen, wenn ich mich jetzt mit Proviant versorgte.“

„Wir thun es heimlich!“

„Danke! Ich finde unterwegs Wild genug. Also nochmals: Lebt wohl!“

„Lebt wohl, Mr. Surehand! Ich wünsche, daß wir uns glücklich wiedersehen!“

Wir trennten uns, und ich richtete es so ein, daß er unauffällig zu seinem Pferde kommen und sich entfernen konnte. Später erregte es dann allgemeine Verwunderung, als man ihn vermißte und von mir erfuhr, daß er sich, ohne Abschied zu nehmen, entfernt habe. Sie wollten alle wissen, aus welchem Grunde er heimlich fortgegangen sei, ich sagte aber nichts. Nur Winnetou sprach keine Frage aus, doch als ich später, als es dunkel geworden war, an seiner Seite saß, hielt er es für angemessen, die Bemerkung zu machen:

„Wir werden Old Surehand wieder befreien müssen!“

„Das denke ich auch,“ nickte ich.

„Oder seine Leiche sehen!“

„Auch das ist möglich.“

„Hat mein Bruder nicht versucht, ihn zurückzuhalten?“

„Es war ohne Erfolg.“

„Du hättest ihm sagen können, daß du mehr weißt, als er denkt.“

„Ich hätte es gethan, aber er wollte sein Geheimnis für sich behalten.“

„So ist es recht, daß du geschwiegen hast. Vertrauen soll man nicht erzwingen.“

„Er wird bald einsehen, daß es besser gewesen wäre, offen zu sein!“

„Ja. Wie wird er staunen, wenn er erfährt, daß der Scharfsinn meines Bruders Shatterhand in so kurzer Zeit weitergekommen ist als er in vielen Jahren! Ist es durch seine Entfernung nötig geworden, uns anders zu verhalten, als wenn er bei uns geblieben wäre?“

„Nein.“

„Wir werden also den Utahs folgen?“

„Ja.“

„Ihre Fährten werden morgen früh nicht mehr zu sehen und zu lesen sein.“

„Das stört uns nicht. Der General, welcher sie anführt, will hinauf nach der Kaskade; wir wissen also, wohin sie reiten.“

„Und sie wissen, daß wir ihnen folgen; sie werden uns also Fallen stellen, um sich dafür zu rächen, daß Old Surehand ihnen entkommen ist.“

„Darum nehme ich an, daß er ihnen wieder in die Hände fallen wird.“

„Wir werden uns beeilen. Er kann während der Nacht nicht sehr schnell reiten; wir aber können uns beeilen. Das hätte er bedenken sollen. Er wird, selbst wenn ihm nichts passiert, die Kaskade gar nicht viel eher erreichen als wir. Er hätte bleiben sollen!“

Als Old Wabble kalt geworden war und wir uns überzeugt hatten, daß er nicht etwa scheintot sei, legten wir ihn in das Grab und bedeckten auch ihn mit Reisern und mit Steinen. Es wurde ein Gebet und ein Vaterunser gesprochen und dann fertigten wir ein Holzkreuz, welches auf dem Grabe befestigt wurde. So liegt der alte König der Cowboys, der sein ganzes Leben in den Ebenen des Westens zugebracht hatte, auf der Höhe des Gebirges begraben, und zwar von denen begraben, welchen er in die Berge folgte, um ihnen die Rache und den Tod zu bringen, der ihn selbst ereilte.

Wir lagerten uns um sein vom Feuer beschienenes Grab und schliefen einen nicht so langen Schlaf wie er, nämlich nur bis zum nächsten Morgen; da brachen wir auf, sobald der Tag zu grauen begann.

Die Spuren der Utahs waren im weichen Waldboden noch zu sehen; sobald wir aber festeren Weg bekamen, verschwanden sie. Das konnte uns nicht stören. Wir suchten gar nicht nach ihnen, sondern verfolgten, ohne uns um etwas anderes zu kümmern, unsere Richtung, so schnell es uns das Terrain erlaubte.

Es ging vom See des grünen Wassers abwärts nach dem unten liegenden Park von San Louis. Gegen Mittag hatten wir ihn erreicht. Er lag in seiner ganzen Ausdehnung und Schönheit vor unsern Augen, viele, viele Meilen breit und von dementsprechender Länge. Für den Jäger konnte es keinen schönern Anblick geben, als diesen rund von himmelhohen Bergkolossen eingeschlossenen Park, in welchem Wälder und Prairien, Felsen und Gewässer in einer Weise miteinander abwechselten, als ob Jagdliebhaber ihn unter einem Aufwande von allerdings vielen, vielen Millionen haben künstlich anlegen lassen, und zwar zum Aufenthalte und gelegentlichen Abschusse aller jagdbaren Tiere des wilden Westens.

Hier hatten früher die Bisons zu Abertausenden gelebt; jetzt waren sie vertrieben. Die Kugeln der Goldsucher hatten sie verjagt. Noch vor kurzer Zeit war grad der Park von San Louis das Hauptziel dieser abenteuernden Menschen gewesen; jetzt hatten sie ihn verlassen, um sich nach den Bergen der Cores Range zu wenden, von welcher man erzählte, daß dort unerschöpfliche Goldlager entdeckt worden seien. Das erfuhren wir aber erst später; jetzt waren wir noch der Ansicht, welcher auch Toby Spencer gewesen war, daß man hier, und zwar an der Foam-Kaskade, bedeutende Funde gemacht habe. Ganz von Prospekters verlassen war der Park aber trotzdem nicht. Die Elite derselben, um mich so auszudrücken, war fort; die zur Hefe gehörigen aber hatten bleiben müssen, weil ihnen die Mittel zu einer so weiten Wanderung fehlten. Diese Menschen trieben sich nun im Park umher, um, wie die Lumpensammler der Städte, in den verlassenen Minen und Placers nachzustochern und dabei keine Gelegenheit zu versäumen, da zu ernten, wo von ihnen nicht gesäet worden war.

Old Surehand hatte uns nach dem Pui-bakeh, dem „Wald des Herzens“, bestellt. Winnetou wußte, wo dieser lag; es fiel uns aber gar nicht ein, ihn aufzusuchen. Unser Ziel war zunächst die Foam-Kaskade, wohin er jedenfalls auch geritten war.

Wir kamen während des ganzen Vormittages durch eine Gegend, welche ganz das Aussehen hatte, als ob sie aus dem schönen, deutschen Schwabenlande hierher versetzt worden sei. Zu Mittag ritten wir einem Wäldchen zu, in welchem wir den Pferden für eine Stunde Ruhe gönnen wollten. Es floß ein klarer Bach hindurch, welcher den zum Mittagsmahle nötigen Trunk zu liefern hatte.

Noch hatten wir das Wäldchen nicht ganz erreicht, so trafen wir auf eine Fährte, welche von seitwärts her nach demselben Ziele führte. Sie war höchstens eine Stunde alt und deutete auf vielleicht zwölf bis fünfzehn Pferde hin. Wir hielten natürlich an. Winnetou stieg ab und ging zunächst allein vorwärts, um zu erfahren, mit welcher Art Menschen wir da zusammentreffen würden. Er kam sehr bald zurück. Hervorragende Westmänner konnten nicht in dem Wäldchen sein, denn das Beschleichen solcher Leute hätte längere Zeit in Anspruch genommen. Sein Gesicht hatte jenen vornehm schalkhaften Ausdruck, den man bei ihm selten sah und der immer ein spaßhaftes Vorkommnis verhieß.

„Gefährlich sind diese Leute wohl nicht?“ fragte Treskow, als er dieses Lächeln des Apatschen sah.

„Sogar sehr gefährlich!“ antwortete dieser, schnell ernst werdend.

„Indianer?“

„Nein.“

„Also Weiße. Wieviel?“

„Dreizehn.“

„Gut bewaffnet?“

„Ja, nur der Rote nicht.“

„Ah! Es ist ein Roter dabei?“

„Ein gefangener Roter. Drum hat Winnetou sie gefährlich genannt.“

„Das wird interessant! Wo lagern sie? Ist es weit von hier?“

„Am jenseitigen Rande des Wäldchens.“

„Was mögen sie wohl sein? Jäger?“

„Diese Bleichgesichter sind keine Jäger, keine Westmänner, sondern Goldsucher. Aber warum fragt Treskow nicht nach dem Wichtigsten?“

„Nach dem Wichtigsten? Was wäre das?“

„Der Indianer.“

„Ah, der! Richtig! Kann man sehen, welchem Stamme er angehört?“

„Er gehört keinem Stamme an.“

„So! Kennt ihn Winnetou vielleicht?“

„Ich kenne ihn.“

„Wer ist’s?“

„Meine Brüder kennen ihn auch, denn er ist ein guter Freund von uns.“

„Ein Indianer? Ein guter Freund von uns? Das errate ich nicht!“

„Treskow mag Old Shatterhand fragen, dem ich es ansehe, daß er es erraten hat!“

Ohne die Frage abzuwarten, antwortete ich:

„Ein Indianer, der keinem Stamme angehört, der hier im Park von San Louis ist, und dessen Freunde wir sind, das, Mr. Treskow, ist doch sehr leicht zu erraten. Das kann nur Kolma Puschi sein.“

„Alle Wetter! Unser geheimnisvoller Retter! Und den haben die Weißen gefangen genommen? Wir machen ihn natürlich los!“

„Aber nicht gleich,“ fiel Winnetou ein. „Wir thun, als ob wir ihn gar nicht kennen; der Schreck ist dann um so größer.“

Ich hatte allerdings erwartet, Kolma Puschi hier im Parke zu treffen, doch jetzt noch nicht und nicht als Gefangenen. Ich nahm mir vor, mir dies als Fingerzeig dienen zu lassen und das, was ich bisher erraten und berechnet hatte, nicht mehr allein für mich zu behalten. Wir ritten um das Wäldchen herum bis wieder an den Bach, wo die Weißen mit ihrem Gefangenen lagerten.

Als sie uns kommen sahen, sprangen sie alle auf und griffen zu ihren Gewehren. Es waren lauter heruntergelumpte Kerls, denen man alles mögliche, nur nichts Gutes zuzutrauen hatte.

Good day, Mesch’schurs!“ grüßte ich, indem wir anhielten. „Wie es scheint, lagert sich’s vortrefflich hier. Wir hatten auch die Absicht, uns da für ein Stündchen niederzulassen.“

„Wer seid ihr?“ fragte einer.

„Westmänner sind wir.“

„Doch auch Indianer! Das ist verdächtig. Wir haben so einen Kerl hier, der uns bestohlen hat. Er wird sehr wahrscheinlich ein Utah sein. Gehören eure Roten zu diesem Stamme?“

„Nein; sie sind ein Apatsche, ein Komantsche und ein Osage.“

Well; da hat es keine Gefahr. Diese Stämme wohnen sehr weit von hier, und so bin ich überzeugt, daß ihr euch um den roten Spitzbuben nicht kümmern werdet.“

Wir hatten uns einen Spaß machen wollen; als ich jetzt aber den Gefangenen genau betrachtete, ließ ich diesen Gedanken sogleich fallen. Ja, es war Kolma Puschi, und es wäre die größte Rücksichtslosigkeit von uns gewesen, wenn wir ihn nicht sofort befreit hätten, denn er war in einer Weise gefesselt, welche ihm große Schmerzen bereiten mußte. Ein Blick von mir hin zu Winnetou genügte, diesen von meiner Absicht zu verständigen. Wir stiegen alle von den Pferden und hobbelten sie an. Während wir dies thaten, hatten die Weißen ihre Gewehre weggelegt und sich wieder niedergesetzt. Ich trat nahe an sie heran, den Stutzen in der Hand, und sprach die Frage aus:

„Wißt Ihr genau, Gentlemen, daß Euch dieser Mann bestohlen hat?“

„Natürlich! Wir haben ihn dabei erwischt,“ antwortete der vorige Sprecher.

Well, so wollen wir uns Euch vorstellen. Ich heiße Old Shatterhand. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und – –“

„Winnetou?!“ rief der Mann aus. „Alle Wetter! Da bekommen wir ja einen hochberühmten Besuch! Ihr seid uns willkommen, sehr willkommen! Setzt Euch nieder, Mesch’schurs! Setzt Euch nieder, und sagt, ist das der Henrystutzen, den Ihr da in den Händen habt, Mr. Shatterhand? Und auf dem Rücken der Bärentöter?“

„Ihr scheint von meinen Gewehren gehört zu haben. Ich will Euch sagen, Sir, daß ihr mir ganz gut gefallt; nur eins gefällt mir nicht!“

„Was?“

„Daß Ihr diesen Indianer gebunden habt.“

„Warum sollte das Euch nicht gefallen? Er geht Euch doch gar nichts an!“

„Er geht uns sogar sehr viel an, denn er ist ein guter Freund von uns. Macht keine Sperenzien, Sir! Ich will in aller Freundlichkeit mit Euch sprechen. Laßt Ihr mit Euch reden, so scheiden wir in Frieden; wenn nicht, so gehen unsere Gewehre augenblicklich los! Nehmt dem Gefangenen die Fesseln ab! Wer sein Gewehr hebt, wird augenblicklich erschossen!“

Als ich das sagte, richteten sich alle unsere Läufe auf die Prospekters. Das hatten sie nicht erwartet! Gut war es, daß sie uns kannten, wenigstens den Namen nach, denn das hatte zur Folge, daß sie gar nicht daran dachten, uns Widerstand zu leisten. Der Anführer fragte mich nur:

„Ist das Euer Ernst, Mr. Shatterhand?“

„Ja; ich scherze nicht.“

„Na, so haben wir gescherzt und wollen jetzt damit aufhören!“

Er ging zu Kolma Puschi und band ihn los. Dieser stand auf, reckte seine Glieder, nahm ein auf der Erde liegendes Gewehr zu sich, zog einem der Weißen ein Messer aus dem Gürtel, kam zu uns her und sagte: „Ich danke meinem Bruder Shatterhand! Das ist meine Flinte und das mein Messer; weiter haben sie mir bisher nichts abgenommen. Bestohlen worden sind sie von mir natürlich nicht!“

„Ich bin überzeugt davon! Was meint mein Bruder Kolma Puschi, was mit ihnen geschehen soll? Wir werden seinen Wunsch erfüllen.“

„Laßt sie laufen!“

„Wirklich?“

„Ja. Ich befinde mich nur seit einer Stunde in ihren Händen; sie sind es gar nicht wert, daß man ihnen wegen einer Strafe Beachtung schenkt. Ich will nicht, daß meine Brüder sich mit ihnen beschäftigen!&

„Ganz kann ich diesen Wunsch nicht erfüllen; einige Worte muß ich ihnen sagen, ehe wir weiter reiten, denn bei ihnen bleiben, werden wir ja nicht. Ich will von ihnen erfahren, aus welchem Grunde sie einen Indianer, der ihnen auf keinen Fall etwas gethan haben kann, gefangen genommen und gefesselt haben.“

„Das kann ich meinem Bruder Shatterhand auch sagen!“

„Nein! Ich will es von ihnen selbst wissen!“

Da fuhr sich der, welcher gesprochen hatte, mit der Hand in die Haare, kratzte sich vor Verlegenheit und sagte dann:

„Hoffentlich haltet Ihr uns nicht für feige Memmen, weil wir uns nicht wehren, Sir! Es ist nicht Feigheit, sondern die Achtung vor solchen Männern, wie Ihr seid. Ich will Euch alles ehrlich sagen: Wir sind als Prospekters hier und haben ganz armselige Geschäfte gemacht. Dieser Indianer hält sich ständig hier im Parke auf, und man weiß von ihm, daß er gute Placers kennt, die er aber niemandem verrät. Wir haben ihn festgenommen, um ihn zu zwingen, uns eine gute Stelle zu sagen; dann wollten wir ihn wieder freilassen. So ist die Sache, und ich denke, daß Ihr sie uns nicht anrechnen werdet. Wir konnten unmöglich wissen, daß er ein Freund von Euch ist!“

„Schon gut! Ist es so, wie er gesagt hat?“ antwortete ich ihm, mich mit der Frage dann an Kolma Puschi wendend.

„Es ist so,“ sagte dieser. „Ich bitte, ihnen nichts zu thun!“

Well! Wir wollen also nachsichtig sein; aber ich hoffe, daß wir auch ferner keinen Grund bekommen, uns anders zu verhalten als heut. Wer ein Placer finden will, der mag sich eins suchen. Das ist der beste Rat, den ich Euch geben kann, Gentlemen! Ich bitte Euch, nicht eher als nach zwei Stunden von hier aufzubrechen, sonst gehen unsere Gewehre doch noch los!“

Während dieser meiner Worte hatte Kolma Puschi sein Pferd bestiegen, welches sich natürlich bei denen der Prospekters befand, und wir ritten fort, ohne diesen Leuten noch einen Blick zuzuwerfen. Sie waren Menschen niedersten Ranges.

Um so weit wie möglich von ihnen fortzukommen, ritten wir Galopp, so lange es ging, und hielten dann an einem Orte an, der ebenso wie jenes Wäldchen zum Ausruhen paßte.

Ich war auf Kolma Puschis Pferd neugierig gewesen, denn wir hatten es unten am Rush-Creek nur für kurze Zeit zu sehen bekommen. Es war ein Mustang von vorzüglichem Baue, schnell und auch ausdauernd, wie wir in dieser kurzen Zeit schon merken konnten.

Während wir aßen, schwieg die Unterhaltung. Die Anwesenheit des geheimnisvollen Roten bewirkte das. Als ich mein Stück Fleisch verzehrt hatte und das Messer wieder in den Gürtel steckte, war auch er fertig. Er stand auf, ging zu seinem Pferde, schwang sich in den Sattel und sagte:

„Meine Brüder haben mir einen großen Dienst erwiesen; ich danke ihnen! Ich werde mich freuen, sie einmal wiederzusehen.“

„Will mein Bruder Kolma Puschi schon fort?“ fragte ich.

„Ja,“ antwortete er.

„Warum will er sich so schnell von uns trennen?“

„Er ist wie der Wind: Er muß dahin gehen, wohin er soll!“

„Ja, er ist wie der Wind, den man wohl kommen fühlt; wenn er aber fort ist, weiß man nicht, wohin er ging. Mein Bruder mag wieder absteigen und noch eine Weile bei uns bleiben, denn ich habe notwendig mit ihm zu sprechen!“

„Mein Bruder Shatterhand mag verzeihen! Ich muß fort!“

„Warum scheut sich Kolma Puschi so vor uns?“

„Kolma Puschi scheut sich vor keinem Menschen; aber das, was seine Aufgabe ist, gebietet ihm, allein zu sein.“

Es war eine Lust für mich, Winnetou in das Gesicht zu sehen. Er ahnte, was ich vorhatte, und freute sich innerlich auf die Wirkungen, welche mein Verhalten hervorbringen mußte.

„Mein roter Bruder braucht sich nicht lange mehr mit dieser Aufgabe abzugeben,“ erwiderte ich; „sie ist bald gelöst.“

„Old Shatterhand spricht Worte, welche ich nicht verstehe. Ich werde mich entfernen und sage meinen Brüdern Lebewohl!“

Schon hob er die Hand, um sein Pferd anzutreiben; da sagte ich:

„Kolma Puschi wird nicht fortreiten, sondern hier bleiben!“

„Ich muß fort!“ entgegnete er mit aller Bestimmtheit.

Well, so sage ich nur noch das Wort: Wenn mein B r u d e r Kolma Puschi fort muß, so bitte ich meine S c h w e s t e r Kolma Puschi, daß sie noch hier bei uns bleiben möge!“

Ich hatte die beiden Worte Bruder und Schwester scharf betont. Meine Gefährten sahen mich verwundert an; Kolma Puschi aber war mit einem schnellen Sprunge von ihrem Pferde herab, kam zu mir geeilt und rief, fast außer sich:

„Was sagt Old Shatterhand? Welche Worte habe ich von ihm gehört?“

„Ich habe gesagt, daß Kolma Puschi nicht mein Bruder, sondern meine Schwester ist,“ antwortete ich.

„Hältst du mich etwa für ein Weib?“

„Ja.“

„Du irrst, du irrst!“

„Ich irre nicht. Old Shatterhand weiß stets, was er sagt!“

Da rief sie, mir beide Hände abwehrend entgegenstreckend: „Nein, nein! Diesmal weiß Old Shatterhand doch nicht, was er sagt!“

„Ich weiß es, ich weiß!“

„Nein, nein! Wie könnte ein Weib ein solcher Krieger sein, wie Kolma Puschi ist!“

„Tehua, die schöne Schwester Ikwehtsi’pas, konnte schon in ihrer Jugend gut reiten und gut schießen!“

Da fuhr sie, laut aufschreiend, einige Schritte zurück und starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ich fuhr fort:

„Kolma Puschi wird nun wohl noch hier bei uns bleiben?“

„Was – – was – – was weißt du – – du von Tehua, und was – – was – – was kannst du von Ikwehtsi’pa wissen?!“

„Ich weiß viel, sehr viel von beiden. Ist meine Schwester Kolma Puschi stark genug in ihrem Herzen, es zu hören?“

„Sprich, sprich, oh sprich!“ antwortete sie, indem sie die Hände bittend faltete und ganz nahe zu mir herantrat.

„Ich weiß, daß Ikwehtsi’pa auch Wawa Derrick genannt wurde.“

„Uff, uff!“ rief sie aus.

„Hat meine Schwester einmal die Namen Tibo taka und Tibo wete gehört? Ist ihr die Erzählung vom Myrtle-wreath bekannt?“

„Uff, uff, uff! Sprich weiter, weiter! Sprich ja weiter!“

„Bist du wirklich stark genug, alles zu hören, alles?“

„Ich bin stark. Nur weiter, weiter, weiter!“

„Ich habe dich zu grüßen von den beiden kleinen Babies, welche vor Jahren hießen Leo Bender und Fred Bender.“

Da fielen ihr die Arme nieder; es wollte ein Schrei aus ihrer Brust; sie brachte ihn aber nicht heraus. Sie sank langsam, langsam nieder, legte die Hände in das Gras, grub das Gesicht hinein und begann zu weinen, laut, fast überlaut und so herzbrechend, daß es mir nun doch angst um sie wurde.

Man kann sich denken, mit welchem Erstaunen meine Gefährten uns zugehört hatten, und mit welchem Ausdrucke ihre Augen jetzt an der Weinenden hingen, der ich vielleicht doch zuviel Stärke und Selbstbeherrschung zugetraut hatte. Da stand Apanatschka auf, trat an mich heran und sagte:

„Mein Bruder Shatterhand hat von Tibo taka, Tibo wete und von Wawa Derrick gesprochen. Das sind Worte und Namen, welche ich kenne. Warum weint Kolma Puschi darüber?“

„Sie weint vor Freude, nicht vor Schmerz.“

„Ist Kolma Puschi nicht ein Mann, ein Krieger?“

„Sie ist ein Weib.“

„Uff, uff!“

„Ja, sie ist ein Weib. Mein Bruder Apanatschka mag seine Kraft zusammennehmen und jetzt sehr stark sein. Tibo taka war nicht sein Vater und Tibo, wete nicht seine Mutter. Mein Bruder hatte einen andern Vater und eine andere Mutter – – –“

Ich konnte nicht weiter sprechen, denn Kolma Puschi sprang jetzt auf, faßte mich bei der Hand und Schrie, auf Apanatschka zeigend:

„Ist das Leo – – – – ist das etwa Leo Bender – – – –?!“

„Nicht Leo, sondern Fred Bender, der jüngere Bruder,“ antwortete ich. „Kolma Puschi kann es glauben; ich weiß es ganz genau.“

Da wendete sie sich zu ihm, brach vor ihm nieder, schlang beide Arme um seine Knie und schluchzte:

„Mein Sohn, mein Sohn! Es ist Fred, mein Sohn, mein Sohn!“

Da rief, nein, schrie mich Apanatschka an.

„Ist sie – – sie – – sie meine Mutter, wirklich meine Mutter?“

„Ja, sie ist’s,“ antwortete ich.

Da faßte er sie an, hob sie empor, sah ihr in das Gesicht und rief:

„Kolma Puschi ist kein Mann, sondern ein Weib! Kolma Puschi ist meine Mutter, meine Mutter! Darum also, darum hatte ich dich gleich so lieb, so sehr lieb, als ich dich erblickte!“

Nun aber war es auch mit seinen Kräften aus; er sank mit ihr in die Knie nieder, hielt sie fest umschlungen und drückte seinen Kopf an ihre Wange. Winnetou stand auf und ging fort; ich winkte den andern; sie folgten mir. Wir entfernten uns, um die beiden allein zu lassen; sie durften nicht gestört werden. Aber es dauerte nicht lange, so kam Apanatschka zu mir und sagte in eiliger, eindringlich bittender Weise:

„Mein Bruder Shatterhand mag zu uns kommen! Wir wissen ja nichts, noch gar nichts und haben so viel, so viel zu fragen!“

Er führte mich zu Kolma Puschi zurück, welche an der Erde saß und mir erwartungsvoll entgegenblickte. Apanatschka setzte sich neben sie, schlang den Arm um sie und forderte mich auf:

„Mein Bruder mag sich zu uns setzen und uns sagen, auf welche Weise er so genau erfahren hat, daß Kolma Puschi meine Mutter ist! Ich habe Tibo wete stets dafür gehalten.“

„Tibo wete ist deine Tante, die Schwester deiner Mutter; sie wurde in ihrer Jugend Tokbela genannt.“

„Das ist richtig; oh Gott, das ist so richtig!“ rief die Mutter. „Mr. Shatterhand, denkt nach, denkt ja nach, ob auch alles richtig ist, was wir von Euch erfahren! Ich könnte wahnsinnig werden, wie meine Schwester es ist, wenn Ihr Euch irrtet, wenn ich jetzt glaubte, meinen Sohn gefunden zu haben, und er es doch nicht wäre! Denkt nach; ich bitte Euch, denkt nach!“

Ihre Sprache und Ausdrucksweise war jetzt diejenige einer weißen Lady; darum verzichtete ich auf die indianische Art, sie Kolma Puschi oder „meine Schwester“ zu nennen, und antwortete:

„Bitte, mir zu sagen, ob Ihr Mrs. Bender seid? Bitte?“

„Ich bin Tehua Bender,“ antwortete sie.

„So irre ich mich nicht; Apanatschka ist Euer jüngster Sohn.“

„Also wirklich, wirklich, Mr. Shatterhand?“

„Er ist es. Ihr könnt Euch darauf verlassen.“

„Beweise, bitte Beweise!“

„Ihr fordert Beweise? Spricht nicht Euer Herz für ihn?“

„Es spricht für ihn; ja, es spricht für ihn! Es sprach sofort für ihn, als ich ihn zum erstenmal sah, als er durch den Eingang des Camp geritten kam. Mein Herz beteuert mir, daß er mein Sohn ist, und doch zittert es vor Angst, daß er es doch vielleicht nicht sei. Es fordert Beweise nicht aus Zweifel, sondern um beruhigt sein und das Glück, welches es hier gefunden hat, ohne Sorge für die Zukunft genießen zu können.“

„Ja, was versteht Ihr da unter Beweisen, Mrs. Bender? Soll ich Euch einen Geburtsschein bringen? Das kann ich nicht!“

„Das meine ich auch nicht; aber es muß doch andere Beweise geben!“

„Es giebt welche; nur sind sie mir in diesem Augenblicke nicht zur Hand. Würdet Ihr Eure Schwester wieder erkennen?“

„Gewiß, ganz gewiß!“

„Und Euern Schwager?“

„Ich habe keinen Schwager.“

„War Tokbela nicht verheiratet?“

„Nein. Die Trauung wurde unterbrochen.“

„Durch Euern Bruder, den Padre Diterico?“

„Ja.“

„Wie hieß der Bräutigam?“

„Thibaut.“

„Euer Bruder schoß auf ihn?“

„Ja; er verwundete ihn den Arm.“

„So ist kein Irrtum möglich. Was war dieser Thibaut?“

„Ein Taschenspieler.“

„Wußte Tokbela das?“

„Nein.“

„Ihr verlangt Beweise von mir; die kann ich Euch aber nur dann geben, wenn ich die damaligen Verhältnisse und Ereignisse kenne. Ich muß Euch nämlich aufrichtig sagen, daß mein ganzes Wissen bis jetzt nur auf Kombination beruht. Doch darf Euch das nicht ängstlich machen. Apanatschka ist Euer Sohn Fred, und ich denke, daß Ihr sehr bald auch seinen Bruder Leo sehen werdet.“

„Leo? Mein Himmel! Lebt er noch? Auch er lebt noch?“

„Ja.“

„Wo?“

„Er ist jetzt hier im Park. Er hat während langer Jahre nach Euch geforscht, doch ist all sein Suchen bisher vergeblich gewesen.“

„So habt Ihr das, was Ihr wißt, wohl von ihm erfahren, Sir?“

„Leider nein. Ich weiß kein Wort von ihm, nichts, gar nichts, als daß sein Vater im Zuchthause gestorben ist und seine Mutter und sein Oheim auch an diesem traurigen Orte gewesen sind.“

„Das weiß er? Das hat er Euch gesagt? Woher weiß er es? Von wem hat er es erfahren? Er war damals nur einige Jahre alt!“

„Das hat er mir nicht mitgeteilt. Aber sagt, ist mit dem Oheim, welcher auch im Gefängnis war, Euer Bruder Ikwehtsi’pa gemeint?“

„Ja.“

„Schrecklich! Er, der Prediger, soll Falschmünzer gewesen sein?!“

„Leider! Man hatte Beweise, die er nicht entkräften konnte.“

„Aber wie war es möglich, daß man drei Personen unschuldig verurteilen konnte? Bei einem einzelnen Angeklagten ist das eher möglich.“

„Mein Schwager hatte alles so raffiniert überlegt und eingerichtet, daß eine Verteidigung für uns ganz unmöglich war.“

„Das war ein Bruder Eures Mannes?“

„Kein leiblicher, sondern ein Stiefbruder.“

„Hm! Also nicht bloß Halbbruder?“

„Nein. Er stammte von dem ersten Manne meiner Schwiegermutter.“

„Wie hieß er?“

„Eigentlich Etters, Daniel Etters, doch wurde er später nach seinem Stiefvater auch Bender genannt, und zwar John Bender, weil der verstorbene Erstgeborene John geheißen hatte.“

„Von diesen beiden Namen war Euch John Bender geläufiger als Dan oder Daniel Etters?“

„Ja. Der letztere Name wurde gar nie in Anwendung gebracht.“

„Ah! Darum steht j B. und nicht das eigentlich richtige D E. auf dem Kreuze!“

„Welches Kreuz meint Ihr?“

„Das am Grabe Euers Bruders.“

„Was? So seid Ihr schon einmal oben bei dem Grabe gewesen?“

„Nein.“

„Wie könnt Ihr da von dem Kreuze wissen?“

„Ein Bekannter hat mir davon erzählt. Er hat es gesehen und gelesen.“

„Wer war das?“

„Sein Name ist Harbour.“

„Harbour? Ja, den haben wir gekannt! Also der ist oben gewesen?“

„Das fragt Ihr mich, Mrs. Bender? Ihr habt ihn ja gesehen!“

„Ich? Wer behauptet das?“

„Ich behaupte es. Ihr seid es doch gewesen, die ihn durch das halbe gebratene Bighorn vom Tode des Verhungerns errettet habt!“

„Vermutung, Sir!“ lächelte sie.

„Ja, aber eine Vermutung, welche das Richtige trifft! Warum habt Ihr Euch fern gehalten, Euch nicht von ihm sehen lassen?“

„Er hätte mich erkannt. Also er hat Euch von diesem Grabe erzählt?“

„Ja. Und dieser seiner Erzählung habe ich es zu verdanken, daß ich die Thatsachen so nach und nach erraten konnte.“

„Hat Winnetou mit raten helfen?“

„In seiner stillen, wortlosen Weise, ja. Er hat als kleiner Knabe Euren Bruder gesehen, der dann plötzlich verschwunden war.“

„Mit mir und Tokbela, ja.“

„Darf ich den Grund dieses plötzlichen Verschwindens erfahren?“

„Ja. Mein Bruder Derrick – sein indianischer Name war Ikwehtsi’pa; als Christ wurde er Diterico oder englisch Derrick genannt – war ein berühmter Prediger, hatte aber nicht studiert. Er wollte das nachträglich thun und ging deshalb nach dem Osten. Vorher hatte ich Bender gesehen und er mich; wir liebten uns; aber ehe ich seine Frau werden konnte, hatte ich mir die Kenntnisse und Umgangsformen der Bleichgesichter anzueignen. Mein Bruder war stolz; er wollte nicht wissen lassen, daß er noch zu lernen habe. Ich wurde von mehreren roten Kriegern zur Squaw begehrt; diese wären mir gefolgt und hätten Bender getötet. Das sind die zwei Gründe, daß wir von daheim fortgingen, ohne zu sagen, warum. Mein Bruder besuchte ein Kolleg, und ich kam mit Tokbela in eine Pension. Bender besuchte uns da. Er brachte seinen Bruder mit. Dieser sah mich und gab sich von da an alle Mühe, mich Bender abtrünnig zu machen. Es gelang ihm nicht, und seine Liebe zu mir verwandelte sich in Haß gegen mich. Bender war reich, Etters arm; der Arme hatte eine Anstellung im Geschäft des Reichen; er kannte alle Räume dieses Geschäftes und alle Möbel, welche in diesen Räumen standen. Als wir verheiratet waren, wohnte Tokbela bei uns. Etters brachte einen jungen Mann zu uns, welcher Thibaut hieß. Nach einiger Zeit bemerkten wir, daß Thibaut und Tokbela sich liebten. Bender erfuhr Schlimmes über Thibaut und verbot ihm, wiederzukommen. Etters nahm das übel und brachte seinen Freund doch immer wieder mit; er mußte deshalb aus dem Geschäft treten und durfte uns nun auch nicht mehr besuchen. Beide beschlossen, sich zu rächen.“

„Ich ahne! Thibaut war ja Falschmünzer!“

„Ihr vermutet das Richtige, Mr. Shatterhand. Eines Tages kam die Polizei zu uns; sie fand im Kassenschranke anstatt des guten Geldes fast lauter falsches Geld. Im Rocke meines Bruders war auch falsches Geld eingenäht, und in meinem Zimmer entdeckte man die Platten. Wir wurden alle drei verhaftet. Es wurden uns Schriften vorgelegt; sie waren gefälscht, aber ganz genau nach der Hand meines Mannes und meines Bruders; diese Schriftstücke bewiesen ihre und auch meine Schuld. Wir wurden verurteilt und eingeliefert.“

„Und Benders Geschäft?“

„Dieses wurde von Etters fortgeführt; Bender konnte das nicht hindern. Tokbela, meine Schwester, kam mit meinen beiden Knaben in dieselbe Pension, in welcher ich als Mädchen gewesen war.“

„Schrecklich! Ihr, die an die Freiheit gewöhnte Indianerin im Gefängnisse!“

„Uff! Man schnitt mir das Haar ab; ich mußte das Kleid der Verbrecher anziehen und wurde in eine kleine, enge Zelle gesteckt. Ich war unglücklich, sehr unglücklich, und weinte Tag und Nacht!“

„Thibaut machte sich indessen wieder an Eure Schwester Tokbela?“

„So ist es. Sie versprach ihm, sein Weib zu werden, wenn er uns befreie. Er bestach einen Schließer des Gefängnisses, welcher mit meinem Bruder floh.“

„Warum nicht mit Bender oder Euch?“

„Des Goldes wegen. Mein Bruder kannte einige Placers; er hatte von dort Gold geholt und es an unserm Hochzeitstage Bender geschenkt. Das wußte Etters. Darum befreiten sie nur meinen Bruder, um Gold von ihm oder durch ihn zu bekommen. Als er mit dem Schließer floh, nahm er Tokbela und meine Knaben mit. Er brachte sie nach Denver, wo er sie unter dem Schutze des Gefängnisbeamten ließ, während er in die Berge ging, um wieder Gold zu holen. Er brauchte dieses, um den Beamten zu belohnen und dann Bender und mich auch zu befreien. Der Beamte gründete mit dem Golde, welches er bekam, ein Wechselgeschäft; Tokbela und die Knaben wohnten bei ihm; er hatte die Kinder liebgewonnen. Mein Bruder aber verließ Denver, um nun auch Bender und mich zu befreien. Es gelang ihm dies nur halb; ich wurde frei, aber Bender war aus Gram um sein verlorenes Glück und seine geraubte Ehre krank geworden und im Gefängnisse gestorben. Derrick brachte mich nach Denver. Dort waren inzwischen Etters, welcher Bankerott gemacht hatte, und Thibaut eingetroffen. Sie hatten Tokbela durch Lügen dahin gebracht, Thibauts Frau zu werden. Wir kamen am Hochzeitstage an und fanden Bräutigam und Braut bereit, sich die Hände zu reichen. Derrick riß der Braut den Kranz vom Kopfe und – –“

„Bitte, Mrs. Bender; ich muß Euch unterbrechen. Tokbela sagt im Gegenteile, er habe ihr ihn auf den Kopf gesetzt.“

„Das spricht sie im Irrtum des Wahnsinnes.“

„Ah! Ihr wußtet, daß sie wahnsinnig ist?“

„Ja. Etters und Thibaut fielen über Derrick her, und es entspann sich ein Kampf, in welchem Derrick Thibaut in den Arm schoß.“

„Das war doch nicht in der Kirche?“

„Nein, sondern in der Wohnung Tokbelas, bei dem früheren Gefängnisbeamten, dem jetzigen Bankier.“

„Bitte, es kommt mir da ein Gedanke. Hieß dieser Bankier vielleicht Wallace?“

„Nein. Wie kommt Ihr auf diesen Namen, Sir?“

„Davon später. Erzählt weiter.“

„Tokbela hatte sich über unsere Gefangenschaft gegrämt; sie war krank und schwach dadurch geworden. Der Schreck über die unterbrochene Trauung und den Kampf dabei warf sie nieder. Sie sprach irr im Fieber, und aus dem Fieber ging ihr Geist in den Wahnsinn über. Sie tobte; sie war nur dann ruhig, wenn sich Fred, mein kleinster Knabe, bei ihr befand, den sie sehr liebte. Mein Bruder that sie zu einem Irrenarzte, und den Knaben mit, ohne den sie nicht gegangen wäre. Derrick, ich und Leo wohnten beim Bankier. Etters und Thibaut waren verschwunden; so dachten wir. Das Gold war alle geworden, und Derrick mußte wieder in die Berge. Ich bat ihn, mich mitzunehmen, und er that es, denn ich war im Reiten und Schießen so gewandt gewesen wie ein roter Krieger. Wir kamen bis zum Devilshead, wo wir überfallen wurden. Etters und Thibaut waren nicht verschwunden gewesen; sie hatten sich versteckt gehalten, um uns zu beobachten, und waren uns gefolgt. Etters, den wir noch stets John Bender nannten, schoß Derrick nieder, und ich wurde im Schreck darüber entwaffnet und gebunden. Die Mörder hatten wohl geglaubt, daß wir schon am Placer gewesen seien und Gold bei uns hätten. Da sie keines fanden, waren sie so ergrimmt, daß sie beschlossen, mich nicht schnell zu töten, sondern langsam verschmachten zu lassen. Sie scharrten meinen Bruder hart am Felsen in die Erde und legten mich auf sein Grab. Dort banden sie mich so fest, daß ich nicht fortkonnte. Ich lag dort drei Tage und vier Nächte und war dem Sterben nahe, als Indianer kamen und mich befreiten.“

„Von welchem Stamme?

Es waren Capote-Utahs.

Ah! Seltsam! Weiter!“

„Diese Utahs gaben mir zu essen und zu trinken und nahmen mich dann mit. Ein junger Krieger unter ihnen, Tusahga Saritsch genannt, wollte mich zu seiner Squaw machen und ließ mich darum nicht fort von sich. In den Weidegründen der Utahs angekommen, weigerte ich mich, seine Squaw zu werden. Er wollte mich zwingen; ich war inzwischen wieder stark geworden, kämpfte mit ihm und besiegte ihn. Er verzichtete nun gern auf mich, und auch kein anderer begehrte mich, denn eine Squaw, welche Krieger besiegt, mochte keiner haben.“

„Wie steht es jetzt zwischen Euch und den Capote-Utahs?“

„Sie sind meine Freunde. Tusahga Saritsch liebt mich noch heut, wenn er auch damals auf mich als Squaw verzichtete. Ich kann von ihm verlangen, was ich will. Die Freiheit gaben sie mir damals freilich nicht gleich wieder. Erst nach zwei Jahren erhielt ich sie zurück, nachdem ich auf die Medizin geschworen hatte, mich stets als einen Krieger der Capote-Utahs zu betrachten. Ich eilte natürlich sofort nach Denver. Meine Kinder waren verschwunden. Etters und Thibaut waren zu dem Irrenarzte gekommen und hatten ihm unter Drohungen Tokbela abverlangt. Sie war mit ihnen gegangen, hatte aber getobt, als sie von Fred getrennt werden sollte; sie waren also gezwungen gewesen, den Knaben mitzunehmen. Auch der Bankier war verschwunden, und zwar mit Leo, meinem Sohne. Ich forschte nach und erfuhr bei dem Scherif, daß einige Tage nach seinem Verschwinden Polizisten gekommen seien, um ihn wegen Befreiung eines Gefangenen zu verhaften.“

„So steht zu vermuten, daß er von Etters oder Thibaut anonym denunziert worden, aber noch rechtzeitig von irgend jemand gewarnt worden ist. Er hat die Flucht ergriffen und jede Spur sorgfältig verwischt.“

„Das hat er gethan, denn ich habe viele Jahre lang ebenso vergeblich nach ihm wie nach Tokbela gesucht.“

„So kann ich Euch zu Eurer Beruhigung sagen, daß er einen andern Namen angenommen und den Knaben sorgfältig erzogen hat. Er oder nun sein Sohn, wohnt jetzt in Jefferson-City.“

„Wirklich? Das wißt Ihr, Sir?“

„Ja; ich bin bei ihm gewesen. Doch, erzählt jetzt weiter!“

„Ich bin schnell fertig. Ich suchte nach meinen Kindern, doch vergeblich. Ich ritt über alle Savannen, durch alle Thäler; ich forschte in den Städten -und bei den Roten; ich fand sie nicht. Als Frau hätte ich das nicht thun können; ich legte Männerkleidung an und bin darum bis jetzt ein Mann geblieben. Als alles, alles vergebens war, kehrte ich, fast verzweifelt, zum Devils-head zurück. Die Hand Gottes treibt den Mörder zur Stätte seiner That zurück; das wußte ich, und darum ist der Himmel dieses Parks mein Zelt geworden. Der Mörder ist noch nicht gekommen, aber er wird kommen, er wird! Ich bin überzeugt davon. Dann wehe ihm! Gestorben kann er noch nicht sein, denn Gott ist gerecht; er wird ihn mir zuführen, damit ich mit ihm abrechnen und ihn bestrafen kann!“

„Würdet Ihr ihn erkennen, wenn er käme?“

„Ja.“

„Es sind aber so viele Jahre seit jener Zeit vergangen, Mrs. Bender!“

„Ich kenne ihn; ich kenne ihn! Und wenn er sich noch so sehr verändert hätte, an seinen Zähnen würde ich ihn erkennen!“

„An seinen beiden Zahnlücken in der obern Zahnreihe?“

„Uff! Das wißt Ihr? Ihr kennt ihn also auch?“

„Ich kenne ihn nicht. Oder, wenn ich richtig vermute, so kenne ich ihn doch! Euer Sohn Leo hat mir das von den Zahnlücken gesagt.“

„Leo? Er lebt? Ihr habt wirklich, wirklich mit ihm gesprochen?“

„Ja.“

„So sagt schnell, schnell, wo befindet er sich?“

„Hier im Park von San Louis. Ihr werdet ihn sehen, wenn heut nicht schon, so doch morgen oder übermorgen. Und wenn mich nicht alles trügt, so bringt Gott grad jetzt den Mörder Euch getrieben. Er ist nach dem Schauplatz seiner That unterwegs. Thibaut kommt mit Tokbela, und Etters ist ihnen schon voran. Übrigens kann ich Euch sagen, welchen Weg diese beiden Kerls damals mit Tokbela und Leo von Denver aus eingeschlagen haben.“

„Das habt Ihr erfahren? Von wem?“

„Von Winnetou und Schahko Matto.“

„Sagt es, Mr. Shatterhand; sagt es mir!“

„Sie sind zu den Osagen gekommen und haben sie nicht nur um den ganzen Jahresbetrag ihrer Jagd betrogen, sondern auch einige ihrer Krieger ermordet. Dann haben sie sich getrennt, und Thibaut ist mit Eurer Schwester und dem Knaben zu den Komantschen vom Stamme der Naiini. Dort hat er sich verbergen müssen, weil seine Verbrechen an den Tag gekommen waren. Er ist unterwegs von Winnetous Vater am Rande des Llano estacado gefunden und vom Tode des Verschmachtens errettet worden.“

„Das muß ich ausführlicher hören! Die beiden müssen es mir erzählen!“

Sie sprang auf und wollte fort.

„Wartet, Mrs. Bender!“ bat ich. „Sie können es Euch unterwegs erzählen. Wir wollen keine Zeit verlieren; wir müssen vorwärts, hinauf nach dem Devils-head. Oder seid Ihr auch jetzt noch gewillt, Euch von uns zu trennen und Euern Weg allein fortzusetzen?“

„Nein, nein! Ich bleibe bei Euch. Das versteht sich ganz von selbst!“

„So will ich die Gefährten rufen. Wir brechen von hier auf.“

Wir waren in kurzer Zeit wieder unterwegs. Kolma Puschi kannte den Weg besser noch als Winnetou. Sie ritt mit diesem und Apanatschka und dem Osagen voran. Diese vier pflogen eine Unterhaltung, bei welcher ich nicht nötig war; ich ritt hinter ihnen her. Nach mir folgten die beiden Toasts mit Treskow. Hammerdull war vor Verwunderung ganz begeistert darüber, daß der geheimnisvolle Indianer sich als eine Squaw entpuppt hatte. Ich hörte ihn hinter mir sagen:

„Hat man jemals erlebt, daß ein Mann eigentlich eine Frau ist? Aus diesem Kolma Puschi, dessen Mut und List wir so bewundert haben, ist eine Squaw herausgekrochene die man noch mehr bewundern muß als vorher, da sie noch ein männlicher Indianer war! Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Nichts!“ antwortete der Lange.

„Das ist eigentlich das Richtige. Nichts, gar nichts! Wer soll da wissen, was er dazu zu sagen hat? Von jetzt an halte ich alles für möglich. Jetzt werde ich gar nicht erschrecken, wenn umgekehrt mein alter Pitt Holbers sich in eine Squaw verwandelt!“

„Wird mir gar nicht einfallen, alter Dick!“

„Ob es dir einfällt oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal. Was willst du dagegen machen, wenn du plötzlich zu der Erkenntnis kommst, daß du ein heimliches, verkleidetes Frauenzimmer bist?“

„Was ich da machen würde, das weiß ich ganz genau!“

„Was denn?“

„Ich würde dich augenblicklich heiraten!“

„Hallo! Ohne mich erst zu fragen?“

„Ja, ohne dich zu fragen!“

„So ließe ich mich nach der Trauung augenblicklich wieder von dir scheiden!“

„Und ich gäbe dich nicht wieder her!“

„Das würden wir wohl sehen! Denkst du etwa, ich würde die Scheidung beantragen, ohne die richtigen Scheidegründe zu haben?“

„Die giebt es nicht!“

„Mehr als genug!“

„Sag nur einen einzigen!“

„Da ist er gleich: mangelhafte Ernährung; das ist doch einer!“

„Siehst du etwa schlecht genährt aus?“

„Ich nicht, aber du! Ich gebe an, daß ich meine Frau nicht ernähren kann, und wenn man mir das nicht glaubt, so stelle ich dich zur Betrachtung hin. Wer dann dich ansieht und immer noch glaubt, daß ich für dich genug zu essen habe, der kann sich einrahmen und als Traumbild an die Wand hängen lassen!“

„Was mir an der Fülle fehlt, das gebe ich in der Länge zu!“

„Was nützt mir eine Frau, die so lang ist, daß ich ihr nicht zuweilen den Kopf waschen kann? Du weißt wohl, was ich damit meine?“

Yes!“

„Diese Prozedur ist nämlich zuweilen sehr notwendig bei dir, altes Coon. Du bist zu Zeiten ein solcher Querkopf, daß man gar nicht mehr weiß, wohin man ihn dir zu richten hat.“

„So laß ihn, wie und wo er ist! Der deinige steht auch nicht immer da, wo er zu stehen hat; das kann ich dir sehr leicht beweisen.“

„Nun, wie?“

„Denk nur an das Baby der grauen Bärenmutter! Balgt sich dieser dicke Mensch mit einem Grizzly herum, als ob er mit ihm eben aus der Schule käme! Man sieht es deiner Haut noch heute an, was für eine würdevolle Rolle du dabei gespielt hast!“

„Ob ich sie gespielt habe, oder ob sie der Bär gespielt hat, das bleibt sich ganz gleich, wenn sie überhaupt nur gespielt worden ist! Auch ist es mir ganz unbegreiflich, wie du von unserer Verheiratung weg auf diese Rolle kommen kannst! Sprich lieber von ‚was Besserem, zum Beispiel davon, was wir mit dem „Generale“ machen werden, wenn er in unsere Hände fällt!“

„Nichts ist leichter gesagt als das!“

„Nun?“

„Wir bezahlen ihn mit gleicher Münze. Er wird auch in einen Baum gespannt. Meiner Ansicht nach hat er das reichlich verdient.“

„Da gebe ich dir natürlich recht. Ich werde mit der größten Wonne helfen, für ihn einen Baumspalt herzurichten, in dem er noch viel besser singen soll, als Old Wabble, der arme Teufel, in dem seinigen gesungen hat. Er wird eingespannt; es bleibt dabei!“

Der Gerechtigkeitssinn der beiden Freunde hatte ganz dasselbe getroffen, was das alte Testament und was auch das Wüstengesetz der mohammedanischen Beduinen verlangt: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut. Es gab, höchstens außer Hammerdull und Holbers, keinen einzigen unter uns, der nicht eine Rechnung mit diesem sogenannten Generale auszugleichen hätte. Schahko Matto wollte ihn wegen Mord und Betrug zur Rechenschaft ziehen; Treskow suchte ihn wegen anderer Verbrechen; von Winnetou und mir will ich nicht sprechen. Und Apanatschka und Kolma Puschi? Diesen beiden war er mehr, viel mehr als uns anderen allen zusammen schuldig. Denn daß er und sonst niemand der lang gesuchte Dan Etters war, darüber gab es bei mir nicht den geringsten Zweifel. Das Fehlen der oft erwähnten Zahnlücken konnte mich nicht irre machen, da es ja falsche Zähne giebt, die es überhaupt schon bei den alten Ägyptern gab. Daß niemand, selbst Old Surehand nicht, auf diesen Gedanken gekommen war, erschien mir geradezu als unbegreiflich. Dieser Etters war mir so sicher, daß ich schon jetzt daran dachte, welche Strafe man für ihn wohl in Vorschlag bringen müsse.

Später wurde ich zu Kolma Puschi gerufen, und ich kann sagen, daß während dieses Rittes so viel gesprochen und erzählt, so viel gefragt und geantwortet wurde, wie wohl selten auf einem andern. Darüber verging der Nachmittag, und es brach der Abend herein, ohne daß wir nur daran gedacht hatten, daß es so schnell dunkel werden könne. Wir hatten vor, jetzt noch nicht anzuhalten, denn der Mond stand am Himmel und mußte uns heut, ehe er unterging, eine gute halbe Stunde leuchten. Da konnten wir noch reiten.

Die Sonne war schon längst verschwunden, als wir in eins der sanft ausgeworfenen Thäler einbogen, welche dem Park von San Louis die ihm eigentümliche Terrainbewegung geben. Da sahen wir eine Fährte von der Seite herkommen, welche die gleiche Richtung nahm. Die Untersuchung derselben zeigte, daß sie von drei Pferden stammte und höchstens eine halbe Stunde alt sein konnte. Ich dachte sofort an den Medizinmann mit seiner Squaw und dem Packpferde.

Winnetou hatte denselben Gedanken, wie ich aus dem Blicke merkte, den er mir zuwarf. Es nahte wieder eine Scene!

Wir trieben unsere Pferde mehr an und ritten schweigend weiter. Winnetou hing, weit vornübergebeugt, im Sattel, um sich die Spuren nicht entgehen zu lassen, doch waren sie schon nach zehn Minuten nicht mehr zu sehen. Der Schein des Mondes begann zwar zu wirken, doch war er zu schwach, unsern Augen in Beziehung auf diese Fährte zu Hilfe zu kommen. Ich stieg also mit Winnetou ab. Wir ließen unsere Pferde führen und gingen voran, uns von Zeit zu Zeit tief zum Boden niederbückend, ob die Eindrücke noch vorhanden seien. So verging die Zeit, und der Mond wollte untergehen. War es da nicht besser, jetzt hier zu lagern und die Spur morgen früh wieder aufzunehmen?

Noch während wir uns mit dieser Frage beschäftigten, bemerkten wir einen Brandgeruch, den uns der leise Wind entgegenbrachte. Das Feuer, von dem er kam, mußte eben jetzt erst angezündet worden sein, sonst hätten wir ihn schon eher gespürt. Wir baten die Gefährten, zu warten und gingen leise weiter. Es dauerte nicht lange, so gab es in der Thalmulde rechts eine kleine, von Baumwipfeln überschattete Bucht, in welcher wir das Feuer brennen sahen. Wir legten uns auf die Erde und krochen näher, denn wir sahen drei Pferde und zwei an dem Feuer sitzende Personen, konnten aber nicht erkennen, wer sie waren. Als wir nahe genug gekommen waren, erkannten wir sie. Winnetou flüsterte:

„Uff! Der Medizinmann und seine Squaw!“

„Ja, sie sind es; ganz so, wie wir dachten,“ stimmte ich bei.

„Nehmen wir ihn gefangen?“

„Wie mein Bruder will.“

„Wenn wir ihn ergreifen, haben wir ihn zu schleppen; lassen wir ihn aber noch laufen, so ist es möglich, daß er uns doch noch entgeht. Es ist also doch besser, wenn wir ihn festnehmen?“

„Ich stimme bei. Wollen wir erst die andern holen?“

„Nein. Wir nehmen ihn gleich so fest, daß er sich nicht wehren kann.“

Wir schoben uns so weit an das Feuer heran, wie es möglich war, ohne daß wir gesehen werden mußten. Die Squaw aß, der Mann hatte sich faul in das Gras gestreckt.

„Jetzt!“ sagte Winnetou leise.

Wir standen auf, sprangen hin und warfen uns auf ihn. Er stieß einen Schrei aus und bekam meine Faust zweimal an den Kopf; da war er still. Wir banden ihn mit seinem eigenen Lasso; dann ging Winnetou, die Gefährten zu holen, denn es war bequem, gleich hier an diesem Orte zu übernachten. Sie kamen und stiegen von ihren Pferden. Die Squaw bekümmerte sich nicht um uns; sie hatte auch nichts gesagt, als wir ihren Mann festnahmen. Apanatschka nahm seine Mutter bei der Hand, führte sie an das Feuer, zeigte auf die Squaw und sagte:

„Das ist Tibo wete Elen!“

Ellen war nämlich der christliche Name Tokbelas.

Kolma Puschi blickte eine ganze Weile stumm auf die Squaw nieder und sagte dann mit einem tiefen, tiefen Seufzer:

„Das soll meine liebliche, meine schöne Tokbela sein?“

„Sie ist es,“ bekräftigte ich.

„Mein Gott, mein Gott, was ist da aus der schönsten Tochter unsers Volkes geworden! Wie muß da auch ich verändert sein!“

Ja, sie waren beide schön, sehr schön gewesen; aber das Alter, das Leben in der Wildnis und der Wahnsinn hatten den „Himmel“ – denn Tokbela heißt „Himmel“ – so entstellt, daß ihre Schwester Zeit brauchte, sie wieder zu erkennen. Kolma Puschi wollte zu ihr niederknieen, um sich mit ihr zu beschäftigen, da aber sagte Winnetou zu ihr:

„Meine Schwester hat den Mann noch nicht angesehen; sie mag sich aber einstweilen noch verbergen, denn das Bewußtsein wird ihm jetzt zurückkehren. Er soll nicht gleich bemerken, wer sich hier befindet. Hinter den Bäumen ist ein Versteck.“

Mit diesen Worten waren auch die andern gemeint, welche der Aufforderung folgten und sich verbargen, so daß Thibaut nur Winnetou und mich sehen konnte, wenn er erwachte.

Wir brauchten nicht lange zu warten, so bewegte er sich und schlug die Augen auf. Als er uns erkannte, rief er:

„Der Apatsche! Und Old Shatterhand! Uff, uff, uff! Was wollt ihr von mir? Was habe ich euch gethan, daß ihr mich bindet?“

„Daß wir Euch schon wieder binden, wollt Ihr sagen,“ antwortete ich. „Wir folgen da einer alten, guten Gewohnheit, von der wir nicht lassen mögen, weil sie sich vortrefflich bewährt hat.“

„Aber man überfällt und bindet doch nur dann einen Menschen, wenn man einen Grund dazu hat! Habe ich euch einen gegeben?“

„Schon wiederholt!“

„Auch jetzt wieder?“

„Direkt eigentlich nicht, aber indirekt.“

„Indirekt? Uff, uff! Was heißt das?“

„Schweigt mit Euern Uffs, und gebärdet Euch nicht immerfort als Indianer! Der Taschenspieler Thibaut wird wohl noch wissen, was man unter direkt und indirekt zu verstehen hat! Nicht?“

„Verflucht! Taschenspieler?“

„Ja, Taschenspieler, Fälscher, Dieb, Gauner, Räuber, Falschmünzer, Mörder und sonst dergleichen. Ihr hört, es ist eine lange Reihe von Koseworten, welche alle vortrefflich auf Euch passen.“

„Oder vielmehr auf Euch!“

Pshaw! Ihr wolltet für jetzt wissen, warum wir Euch schon wieder einmal gebunden haben. Ich will es Euch gern sagen: Ihr sollt nicht zu zeitig zu dem verabredeten Stelldichein erscheinen.“

„Stelldichein? Ihr faselt wohl?“

„Das weniger!“

„Wo sollte das sein?“

„Am Devils-head.“

„Wann?“

„Am sechsundzwanzigsten September.“

„Ihr pflegt zwar stets gern in Rätseln zu sprechen, wie ich schon erfahren habe, heut aber ist es mir ganz und gar unmöglich, zu erraten, was Ihr meint!“

„So will ich nicht sagen, am sechsundzwanzigsten September, sondern am Tage des heiligen Cyprian. Das werdet Ihr wohl besser verstehen.“

„Cyprian? Was geht mich dieser Heilige an?“

„Ihr sollt an seinem Namenstage am Devils-head eintreffen.“

„Wer hat das gesagt?“

„Dan Etters.“

„Donnerwetter!“ fuhr er auf. „Ich kenne keinen Dan Etters!“

„So kennt er Euch!“

„Auch nicht!“

„Nicht? Er schreibt Euch doch Briefe!“

„Briefe? Habe keine Ahnung!“

„Briefe auf Leder, die Schrift mit Zinnober gefärbt. Ist das nicht wahr?“

„Hole Euch der Teufel! – Ich weiß von keinem Briefe etwas!“

„Er steckt in Eurer Satteltasche.“

„Stänkerer! Ich glaube gar, Ihr habt meine Sachen durchsucht!“

„Natürlich!“

„Wann denn?“

„Wann es mir beliebte! Nach meiner Berechnung würdet Ihr einen Tag vor dem Namensfeste des heiligen Cyprian nach dem Devils-head kommen; darum haben wir Euch ein wenig festgebunden, damit Ihr Euch verweilen sollt. Was wollt Ihr denn so zeitig dort! Habe ich recht?“

„Ich wollte, Ihr wäret mitsamt Eurem Cyprian da, wo der Pfeffer wächst!“

„Ich glaube wohl, daß Ihr das gerne wünscht, doch ist es mir leider nicht möglich, Euch diesen Wunsch zu erfüllen, denn ich werde anderswo gebraucht.“

„Sagt einmal, wer ist denn eigentlich der Wawa Derrick, von dem Eure Squaw zuweilen redet? Ich möchte das doch gar zu gern erfahren!“

„Fragt sie selbst!“

„Ist nicht nötig! Wawa ist ein Moquiwort; ich vermute also, daß sie eine Moquiindianerin ist und ihren Bruder meint.“

„Habe nichts dagegen!“

„Ich denke aber grad, daß Ihr gegen diesen Bruder etwas gehabt habt.“

„Denkt, was Ihr wollt!“

„Gegen ihn und gegen die Familie Bender!“

„Donnerwetter!“ schrie er erschrocken.

„Bitte, regt Euch nicht auf! Was wißt Ihr denn so ungefähr von dieser Familie? Man sucht nämlich einen gewissen Fred Bender.“

Er erschrak so, daß er nicht antworten konnte.

„Dieser Fred Bender soll nämlich von Euch zu den Osagen geschleppt worden sein, bei denen ihr noch eine Rechnung stehen habt.“

„Eine Rechnung? – Ich weiß von nichts!“

„Ihr habt da mit dem famosen General einen Handel in Fällen und Häuten etabliert, der Euch, wenn es fehlschlägt, den Kopf kosten kann.“

„Ich kenne keinen General!“

„Auch sollt Ihr bei dieser Gelegenheit mit ihm einige Osagen umgebracht haben.“

„Ihr habt eine ungeheure Phantasie, Mr. Shatterhand!“

„Oh nein! Schahko Matto ist ja, wie Ihr wißt, bei mir. Er hat Euch auch schon gesehen, aber nichts gesagt, um uns den Spaß nicht zu verderben.“

„So macht euch euern Spaß, nur mich laßt in Ruh! Ich habe nichts mit Euch zu thun!“

„Bitte, bitte! Wenn wir uns unsern Spaß machen sollen, dürft Ihr nicht dabei fehlen. Ihr habt ja die Hauptrolle dabei zu übernehmen!“

„So sagt mir nur bei allen Teufeln, was Ihr eigentlich von mir wollt!“

„So macht euch euern Spaß, nur mich laßt in Ruh! Ich habe nichts mit Euch zu thun!“

„Bitte, bitte! Wenn wir uns unsern Spaß machen sollen, dürft Ihr nicht dabei fehlen. Ihr habt ja die Hauptrolle dabei zu übernehmen!“

„So sagt mir nur bei allen Teufeln, was Ihr eigentlich von mir wollt!“

„Ich will gar nichts von Euch. Ich will Euch nur jemanden zeigen.“

„Wen?“

„Einen Indianer. Bin neugierig, ob Ihr ihn kennt. Seht ihn Euch einmal an!“

Ich winkte Kolma Puschi. Sie kam und stellte sich vor ihn hin.“

„Seht ihn Euch genau an!“ forderte ich Thibaut auf. „Ihr kennt ihn.“

Die beiden bohrten ihre Blicke ineinander. In Thibaut dämmerte eine Ahnung auf; das sah ich ihm an; er sagte aber nichts.

„Vielleicht kennt Ihr mich, wenn Ihr mich sprechen hört,“ sagte Kolma Puschi.

„Alle tausend Teufel!“ schrie er auf. „Wer – wer ist denn das?“

„Erinnerst du dich?“

„Nein – nein – – nein!“

„Denk an den Devils-head! Dort schiedest du von mir, Mörder!“

„Uff, uff! Stehen denn die Toten wieder auf? Es kann nicht sein!“

„Ja, die Toten stehen auf! Ich bin kein Mann, sondern ein Weib.“

„Es kann nicht sein! Es kann und darf nicht sein! Ich gebe es nicht zu!“

„Es kann schon sein; es ist schon so; ich bin Tehua Bender!“

„Tehua, Tehua Bender –!“

Er schloß die Augen und lag still.

„Habt auch Ihr ihn erkannt?“ fragte ich Kolma Puschi in leisem Tone.

„Sofort!“ nickte sie.

„Wollt Ihr weiter mit ihm reden?“

„Nein; jetzt nicht.“

„Aber mit Eurer Schwester?“

„Ja.“

Da nahm ich den Medizinmann unter den Armen, hob ihn empor und stellte ihn mit dem Gesichte an den nächsten Baumstamm. Da wurde er angebunden, ohne daß er etwas sagte. Er hatte genug. Das Erscheinen der von ihm Totgeglaubten war ihm durch Mark und Bein gegangen.

Diese setzte sich neben ihre Schwester, und ich war höchst neugierig, wie die Wahnsinnige sich nun verhalten werde. Würde sie sie erkennen?

„Tokbela, liebe Tokbela!“ sagte Kolma Puschi, indem sie die Schwester bei der Hand ergriff. „Kennst du mich? Kennst du mich wieder?“

Die Squaw antwortete nicht.

„Tokbela, ich bin deine Schwester, deine Schwester Tehua!“

„Tehua!“ hauchte die Wahnsinnige, doch ganz ausdruckslos.

„Sieh mich an! Sieh mich an! Du mußt mich doch wieder erkennen!“

Sie blickte aber gar nicht auf.

„Sagt den Namen Eures jüngsten Sohnes!“ flüsterte ich Kolma Puschi zu.

„Tokbela, horch!“ sagte sie. „Fred ist da. Fred Bender ist hier!“

Da richtete die Irre den Blick auf sie, sah ihr lange, lange, leider verständnislos, in das Gesicht und wiederholte aber doch den Namen:

„Fred Bender – Fred Bender!“

„Kennst du Etters, Daniel Etters?“

Sie schüttelte sich und antwortete:

„Etters – Etters – – böser Mann – sehr böser Mann!“

„Er hat unsern Wawa Derrick ermordet! Hörst du? Wawa Derrick?“

„Wawa Derrick! Wo ist mein Myrtle-wreath, mein Myrtle-wreath?“

„Der ist weg, fort; aber ich bin hier, deine Schwester Tehua Bender.“

Da kam doch ein wenig Leben in das Auge der Squaw. Sie fragte:

„Tehua Bender? Tehua Bender? Das – – das ist meine Schwester.“

„Ja, deine Schwester! Sieh mich an! Schau mich an, ob du mich kennst!“

„Tehua – – Tehua – – Tokbela, Tokbela, die bin ich, ich, ich!“

„Ja, die bist du! Kennst du Fred Bender und Leo Bender, meine Söhne?“

„Fred Bender – – Leo Bender – – Fred ist mein, ist mein, mein!“

„Ja, er ist dein. Du hattest ihn lieb.“

„Lieb – – sehr lieb!“ nickte sie, indem sie freundlich lächelte. Fred ist mein Boy. Fred – – auf meinem Arm – – an meinem Herzen!“

„Du sangst ihm gern das Wiegenlied.“

„Wiegenlied – – ja, ja, Wiegenlied – –!“

„Dann holte dich unser Wawa Derrick mit ihm und Leo ab, nach Denver. Hörst du mich? Wawa Derrick brachte euch nach Denver!“

Dieser Name erweckte Erinnerungen in ihr, aber keine angenehmen. Sie schüttelte traurig den Kopf, legte die Hand auf denselben und sagte:

„Denver – – Denver – – da war mein Myrtle-wreath – in Denver.“

„Besinne dich; besinne dich! Sieh mich doch an; sieh mich doch an!“

Sie legte ihr die Hände an beide Seiten des Kopfes, drehte denselben so, daß die Irre sie ansehen mußte, und fügte hinzu:

„Sieh mich an und sag meinen Namen! Sag mir jetzt, wer ich bin!“

„Wer ich bin –! Ich bin Tokbela, bin Tibo wete Elen!“

„Wer bist du – –?“

„Wer bist du – du – du – –?“ jetzt sah sie die Schwester mit einem Blicke an, in welchem Bewußtsein und Wille lag; dann antwortete sie: „Du bist – – – bist ein Mann – – bist ein Mann.“

„Mein Gott, sie kennt mich nicht, sie kennt mich nicht!“ klagte Tehua.

„Ihr fordert zu viel von ihr,“ sagte ich. „Man muß abwarten, bis ein lichter Augenblick kommt; dann ist mehr Hoffnung vorhanden, daß sie sich besinnt; jetzt aber ist’s vergebliches Bemühen.“

„Arme Tehua, arme, arme Schwester!“

Sie zog den Kopf der Squaw an ihre Brust und streichelte ihr die faltigen, hohlen Wangen. Diese Liebkosung war für die Unglückliche eine solche Seltenheit, daß sie die Augen wieder schloß und ihrem Gesichte einen lauschenden Ausdruck gab. Das dauerte aber nicht lange. Die Aufmerksamkeit verlor sich schnell und machte der seelenlosen Leere Platz, welche gewöhnlich auf diesem Gesicht zu finden war.

Da beugte sich Apanatschka zu seiner Mutter hinüber und fragte:

„War Tokbela schön, als sie jung war?“

„Sehr schön, sehr!“

„Ihr Geist war damals stets bei ihr?“

„Ja.“

„Und war sie glücklich?“

„So glücklich wie die Blume auf der Prairie, wenn die Sonne ihr den Tau aus dem Angesichte küßt. Sie war der Liebling des Stammes.“

„Und wer nahm ihr ihr Glück, ihre Seele?“

„Thibaut, der dort am Baume hängt.“

„Das ist nicht wahr!“ rief dieser, der natürlich jedes Wort gehört hatte, welches gesprochen worden war. „Ich habe sie nicht wahnsinnig gemacht, sondern Euer Bruder ist’s gewesen, als er unsere Trauung unterbrach. Ihm müßt Ihr die Vorwürfe machen, aber nicht mir!“

Da stand Schahko Matto auf, stellte sich vor ihn hin und sagte:

„Hund, wagst du noch, zu leugnen! Ich weiß nicht, wie die Bleichgesichter fühlen und wie sie sich lieben, aber wenn du dieser Squaw niemals begegnet wärest, so hätte sie ihre Seele nicht verloren und wäre so glücklich geblieben, wie sie vorher war. Es erbarmt mich ihr Auge, und ihr Gesicht thut mir weh. Sie kann dich nicht anklagen und keine Rechenschaft von dir fordern; ich werde es an ihrer Stelle thun. Gestehst du, uns damals betrogen zu haben, als wir dich als Gast bei uns aufgenommen hatten?“

„Nein!“

„Hast du unsere Krieger mit ermordet?“

„Nein!“

„Uff! Du wirst meine Antwort auf dieses Leugnen gleich zu hören bekommen!“

Der Osage trat zu uns und fragte:

„Warum wollen meine Brüder diesen Menschen mit hinauf nach dem Devils-head nehmen? Brauchen sie ihn da oben?“

„Nein,“ antwortete Winnetou.

„Ist er euch notwendig in irgend einer andern Weise?“

„Nein.“

„So hört, was Schahko Matto euch zu sagen hat! Ich bin mit euch hierhergeritten, um, zu rächen, was damals an uns verübt worden ist. Wir haben Tibo taka gefangen, und wir werden auch den General ergreifen. Ich bin bisher zu allem still gewesen. Jetzt weiß ich, daß ich den General nicht bekommen kann, weil die Rache anderer größer als diejenige der Osagen ist. Dafür will ich diesen Tibo taka haben; ja, ich will und muß ihn haben, heut, gleich jetzt! Ich will ihn nicht töten, wie man einen Hund abschlachtet. Ich habe gesehen, wie ihr handelt und daß ihr selbst demjenigen, welcher den Tod verdient, Gelegenheit gebt, für sein Leben zu kämpfen. Er gehört mir; ich sage es; aber er soll sich wehren dürfen! Beratet darüber! Überlaßt ihr mir ihn, so mag er mit mir kämpfen; seid ihr aber nicht damit einverstanden und wollt ihn schützen, so erschieße ich ihn, ohne euch zu fragen. Ich gebe euch eine Viertelstunde Zeit. Thut, was ihr wollt; aber ich halte mein Wort! Soll ich nicht mit ihm kämpfen, so erschieße ich ihn! ich habe gesprochen. Howgh!“

Er ging ein Stück zur Seite und setzte sich dort nieder. Sein Antrag kam uns ganz unerwartet. Er mußte ernst, sehr ernst genommen werden, denn wir waren fest überzeugt, daß er jedes seiner Worte einlösen werde. Der Fall war sehr einfach: Erlaubten wir den Kampf nicht, so war Thibaut in einer Viertelstunde eine Leiche; erlaubten wir ihn, so konnte er sich wehren und sein Leben retten. Unsere Verhandlung war also kurz; sie dauerte kaum fünf Minuten; der Kampf sollte stattfinden. Thibaut weigerte sich freilich, darauf einzugehen; als er aber merkte, daß es dem Osagen Ernst mit dem Erschießen war, fügte er sich. In Beziehung auf die Waffen war Schahko Matto stolz genug, die Wahl seinem Gegner zu überlassen; dieser entschied für die Kugel. Es sollte jeder drei Schüsse auf Winnetous Kommando haben, mehr nicht; die Schüsse waren zu gleicher Zeit abzugeben, und zwar auf die Entfernung von fünfzig Schritten.

Ich steckte draußen im Thale diese Distanz ab; dann wurde an jedem Endpunkte der Linie ein Feuer angezündet, damit das Ziel gesehen werden könne. Wir banden Thibaut die Hände los; an die Füße bekam er einen Riemen, der ihm bequem zu stehen, auch langsam zu gehen, aber nicht zu fliehen erlaubte. Hierauf gaben wir ihm sein Gewehr und drei Kugeln und führten ihn an seinen Platz. Wir waren natürlich alle auf dem Plane; nur die Squaw war am Lagerfeuer sitzen geblieben.

Als Winnetou das Zeichen gab, fielen die beiden Schüsse fast wie einer; keiner hatte getroffen. Thibaut lachte höhnisch auf.

„Lacht nicht!“ warnte ich ihn. „Ihr kennt den Osagen nicht! Habt Ihr für den Fall Eures Todes einen Wunsch? Habt Ihr einen Auftrag, den wir ausführen können?“

„Ich wünsche, daß, wenn ich erschossen werde, auch euch alle der Teufel holen möge!“

„Denkt an die Squaw!“

„Denkt Ihr an sie; mich geht sie nichts mehr an!“

Well! Jetzt eine Frage: Der General ist Dan Etters?“

„Fragt ihn selbst, nicht mich!“

Er legte das Gewehr wieder an; Winnetou gab das Zeichen und die Schüsse krachten. Thibaut wankte, griff mit der Hand nach der Brust und sank nieder. Winnetou beugte sich zu ihm nieder und untersuchte seine Wunde.

„Wie auf zwei Schritte getroffen, genau in das Herz; er ist tot,“ sagte er.

Der Osage kam langsamen Schrittes herbei, sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen, ging zum Lagerfeuer und setzte sich dort nieder. Er war wieder nicht getroffen worden; wir aber hatten wieder ein Grab herzustellen, eine Arbeit, an welche sich Hammerdull und Holbers auf der Stelle machten. Die Squaw ahnte nicht, daß sie jetzt Witwe war; der Verlust, welcher sie jetzt betroffen hatte, war aber jedenfalls mehr ein Gewinn für sie.

Über die nun folgende Nacht kann ich hinweggehen; es geschah nichts, was ich erwähnen müßte; am Morgen brachen wir ebenso zeitig wie gestern auf. Apanatschka ritt neben seiner Mutter und sprach sehr viel mit ihr, doch möchte ich, falls der Ausdruck gestattet ist, sagen, daß das eine einsilbige Gesprächigkeit war. Er zeigte sich bedrückt. Es war ihm doch nicht gleichgültig, daß Tibo taka, den er für seinen Vater gehalten hatte, eines solchen Todes hatte sterben müssen. Dieses Bedrücktsein machte ihm alle Ehre!

Wir befanden uns jetzt aller Vermutung nach am Anfange des Endes, und unser Ritt wurde, je weiter wir kamen, ein desto gefährlicherer. Es war anzunehmen, daß der General uns möglichst viele Fallen gelegt habe. Es gab Orte genug, an denen wir vorüber mußten, welche zu Verstecken geeignet waren, aus denen auf uns geschossen werden konnte; aber es geschah nichts derartiges. Entweder dachte er nicht, daß wir heut kämen, oder er hatte sich den Streich gegen uns bis oben an der Foam-Kaskade oder am Devils-head aufgespart.

Um kurz zu sein, will ich nur bemerken, daß wir gegen Abend in der Nähe der Foam-Kaskade ankamen. Man denke sich den berühmten Staubbach des Lauterbrunner Thales in der Schweiz, nur den Felsen nicht ganz so hoch und den herabstürzenden, sich in Staub auflösenden Bach von dreifacher Stärke, so hat man ein Bild von der Foam-Kaskade im Parke von San Louis. Hoch oben die Felsen mit Wald gekrönt und auch unten der tiefe Grund fast ganz mit Fels und Wald bedeckt. Es war ein Chaos von Steingetrümmer, von einem schier undurchdringlichen Wipfeldache überwölbt. Sobald wir uns unter diesem Dache befanden, wurde es tief dämmerdunkel um uns her.

„Wo geht der Weg von hier nach dem Devils-head?“ fragte ich Kolma Puschi, „dort haben wir die Utahs zu suchen.“

„Hier links durch den Wald und dann die Felsen sehr steil hinauf,“ antwortete sie. „Bereiten euch die Utahs Sorge?“

„Nein; doch müssen wir natürlich wissen, wo sie sind.“

„Ich gehöre noch heute zu ihnen und werde mit ihnen sprechen. Wenn ich bei euch bin, habt ihr nichts von ihnen zu fürchten.“

Wir hatten ihr natürlich unser Zusammentreffen mit Tusahga Saritsch und seinen Kriegern erzählt.

„Wir fürchten uns, wie gesagt, nicht vor ihnen, und ich möchte mich doch lieber nicht auf Eure Vermittelung verlassen,“ sagte ich.

„Warum nicht?“

„Sie haben schon selbst eine Rache auf uns und hierzu dem Generale ihre Hilfe gegen uns versprochen. Das sind zwei Instanzen gegen uns, während Ihr nur eine, nämlich Euern Einfluß, für uns aufbieten könnt. Im besten Talle giebt es eine lange Verhandlung, während welcher der General uns vielleicht gar entkommt. Nein, nein; wir verlassen uns lieber ganz auf uns selbst!“

„So kommt! Ich kenne den Wald und jeden einzelnen Felsen und werde euch führen.“

Sie ritt voran, und wir folgten ihr im Indianermarsche wohl eine halbe Stunde lang, bis es so dunkel wurde, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Draußen war es wohl erst Dämmerung, im tiefen Walde hier aber schon vollständig Nacht. So ging es weiter und immer weiter, eine schier endlose Zeit, wie uns deuchte. Da hörten wir vor uns das Wiehern eines Pferdes und hielten an.

Wem gehörte dieses Pferd? Das mußten wir wissen. Die Gefährten mußten stehen bleiben, und wir, nämlich Winnetou und ich, wie gewöhnlich, gingen weiter. Es wurde schon nach kurzer Zeit vor uns heller; der Wald hörte auf, und nur wenige Schritte davon öffnete sich die Felsenwand, um einen schmalen Pfad sehen zu lassen, welcher sehr steil emporführte. Das war jedenfalls der Weg nach dem Devils-head. Auf dem lichten Raum zwischen ihm und dem Walde lagen die uns nur zu wohlbekannten Capote-Utahs als Wächter vor dem Felsensteg. Wenn wir nach dem Devils-head wollten, mußten wir hierherkommen; das wußten sie, und darum hatten sie sich da gelagert, um uns abzufangen. Diese kurzsichtigen Menschen! Sie konnten sich doch denken, daß wir ihnen nicht schnurstracks in die Hände reiten, sondern rekognoszieren würden!

Der „General“ war nicht bei ihnen; dafür aber sahen wir jemand, der nicht zu ihnen gehörte, nämlich unsern Old Surehand! Es war also doch eingetroffen, was wir beide uns gedacht und vorhergesagt hatten: sie hatten ihn wieder festgenommen! Warum hatte er uns verlassen, anstatt nur die kurze Nacht noch zu warten! Ich war in diesem Augenblicke zornig auf ihn.

„Dort steht er nun am Baume, festgebunden und ein Gefangener wie vorher!“ sagte ich. „Mein Bruder mag auf mich warten!“

„Wohin will Old Shatterhand gehen?“ fragte er.

„Ich will die Gefährten holen.“

„Ihn zu befreien?“

„Ja. Und wenn der Häuptling der Apatschen nicht mitmacht, so springe ich allein mitten unter die roten Kerls hinein. Diese Geschichte muß ein Ende nehmen. Ich habe das ewige Anschleichen satt!“

„Uff! Winnetou wird natürlich sehr gern mit dabei sein!“

„So werden wir die Pferde in ein Versteck führen und dann kommen. Bleib du einstweilen hier!“

Ich eilte zurück, denn es war keine Zeit zu verlieren. Was wir thun wollten, mußte geschehen, so lange es noch hell war.

Ein Versteck für die Pferde war hier, wo das Terrain aus lauter Verstecken bestand, rasch gefunden; wir ließen Treskow als Wächter dort und gingen dann zu Winnetou, welcher indessen seinen taktischen Gedanken nachgehangen hatte. Die andern wurden, weit auseinandergezogen, in einem Halbkreise rund um die Roten aufgestellt, und nachdem sie ihre Weisungen erhalten hatten, konnten wir den Streich, der freilich beinahe ein Schwabenstreich war, beginnen. Ich hatte keine Geduld mehr. Mein Zorn wollte und mußte sich bethätigen, und Winnetou, der gute, war so nachsichtig gewesen, mich nicht durch Widerspruch noch mehr aufzubringen.

Der Häuptling saß natürlich, um ihn unter den eigenen Augen zu haben, ganz in der Nähe des Gefangenen. Die Roten waren still; keiner sprach ein Wort. Da waren wir beide plötzlich unter ihnen. Winnetou schnitt in einem Nu die Fesseln Old Surehands durch, und ich faßte den Häuptling mit einer Hand beim Halse und gab ihm die andere Faust auf den Schädel, daß er zusammmensank. Die Indsmen sprangen auf, griffen zu den Waffen und erhoben ihr Kriegsgeheul. Ich richtete aber schon den Lauf des Stutzens auf den Kopf des Häuptlings und überbrüllte sie:

„Seid sofort still, sonst schieße ich Tusahga Saritsch in den Kopf!“

Sie schwiegen.

„Rührt euch nicht!“ fuhr ich fort. „Wenn ein Einziger die Waffe auf uns richtet, ist es des Häuptlings Tod. Es wird ihm und euch nichts geschehen, wenn ihr Frieden haltet. Ihr seid von uns eingeschlossen, und wir können euch niederschießen; daß wir es dennoch nicht thun wollen, wird euch gleich Kolma Puschi sagen!“

Die Genannte trat unter den Bäumen hervor. Bei ihrem Anblicke nahmen die Utahs eine beruhigendere Haltung an. Sie sprach zu ihnen so, wie es den Umständen angemessen war, und brachte es zu unserer Freude so weit, daß die Roten uns vorläufig ihre Waffen ablieferten. Ihr Einfluß war wirklich größer, als ich gedacht hatte. Den Häuptling banden wir.

Das erste war natürlich, daß wir nach dem Generale fragten. Er war nach dem Devils-head geritten und wollte morgen am Vormittage wiederkommen. Dennoch schickte ich sofort den Osagen ein Stück den Felsenpfad hinan, um denselben zu bewachen und dafür zu sorgen, daß wir nicht von Douglas-Etters überrascht würden. Dieser mußte durch diesen Engpaß kommen, weil es keinen andern Weg gab, wie Kolma Puschi sagte.

Man kann sich denken, was der Häuptling für Augen machte, als er wieder zu sich kam und Old Surehand frei, sich aber gebunden sah! ich hatte dafür gesorgt, daß er für unser Interesse gewonnen wurde. Kolma Puschi saß bei ihm und klärte ihn auf. Sie erzählte ihm, was der General alles an ihr verbrochen hatte, denn ich war nun gezwungen gewesen, ihr zu versichern, daß dieser kein anderer als Dan Etters sei. Sie sagte ihm auch, daß sein jetziger Verbündeter damals ihren Bruder erschossen und sie auf dessen Grabe festgebunden habe. Damit gewann sie ihn schon mehr als halb für sich und uns; als sie ihm aber in meinem Auftrage mitteilte, daß wir eigentlich gekommen seien, den schauderhaften Tod Old Wabbles und der Tramps an den Utahs zu rächen, von dieser Rache aber absehen würden, falls sie sich von dem Generale ab- und uns zuwendeten, da erklärte er so laut, daß wir es alle hörten:

„Wenn ihr uns das versprecht, werden wir ihn nicht länger beschützen; aber wir haben ihm versprochen, seine Brüder zu sein, und darauf habe ich das Kalumet mit ihm geraucht; darum ist es uns verboten, seine Feinde zu sein. Es ist uns also nur möglich, das zu thun, was ich euch sagen werde: Wir entfernen uns jetzt gleich von hier und ziehen durch den Wald zurück bis in den Park hinaus; am Morgen reiten wir dann weiter. Ihr seid also Herren dieses Weges, auf welchem er kommen muß, und könnt ihn ergreifen und mit ihm machen, was euch beliebt. Tusahga Saritsch hat gesprochen. Howgh!“

Weder Winnetou noch ich glaubte, ihm ganz trauen zu dürfen, aber Kolma Puschi stand für ihn ein, und so bedachten wir uns nicht lange und nahmen seinen Vorschlag an. Noch war keine halbe Stunde vergangen, so zogen sie, ihre Pferde führend und mit Feuerbränden in den Händen, durch das Dunkel des Waldes ab, und wir gaben ihnen Kolma Puschi mit, welche uns nach ihrer Rückkehr meldete, daß die Utahs wirklich fort seien und keine hinterlistige Absicht gegen uns hegten. Nun löschten wir das Feuer aus und legten uns schlafen; die Wache im Engpasse wurde aber die ganze Nacht unterhalten. Old Surehand schien, ohne gefragt zu werden, uns nicht sagen zu wollen, wie er wieder in die Hände der Utahs geraten war; wir aber wollten ihn nicht durch Fragen kränken, und so wurde die Sache totgeschwiegen.

Wir warteten fast den ganzen Vormittag, ohne daß der General kam; da stieg der Gedanke in uns auf, daß wir von den Utahs belogen worden seien. Es war ja möglich, daß er gar nicht nach dem Devils-head geritten war. Es blieb uns keine andere Wahl: wir mußten hin.

Es war das zu Pferde ein außerordentlich schwieriger Weg. Harbour hatte recht gehabt, als er ihn als solchen beschrieb. Es ging immer zwischen ganz engen Felsenwänden oder an Abgründen hin, Kolma Puschi als Führerin voran. Wir mußten die größten Anforderungen an unsere Pferde stellen. Wir waren schon über zwei Stunden so geritten, als Kolma Puschi sagte, daß es nur noch eine gute halbe Stunde dauern werde. Kaum hatte sie das gesagt, so ertönte vor uns ein Ruf. Wir sahen einen Reiter, welcher um eine Biegung herum uns entgegen kam; es war der General. Sein erster Ruf hatte unserer Führerin gegolten, an welcher sein Auge voll Entsetzen hing. Dann erblickte er mich, der ich hinter ihr ritt.

„Alle tausend Donnerwetter, Old Shatterhand!“ schrie er auf.

Er lenkte sein Pferd um, wozu er grad noch Raum hatte, und verschwand.

„Ihm nach! Rasch, schnell! Was das Pferd laufen kann!“ rief ich Kolma Puschi zu. „Wenn er uns jetzt entkommt, sehen wir ihn nie wieder!“

Sie spornte ihr Pferd an, und nun begann eine so halsbrecherische Jagd, daß mir noch jetzt graust, wenn ich daran denke. Wir waren hinter ihm; aber er trieb sein Pferd zu rasender Eile. Bald sahen wir ihn und bald nicht, je nachdem der Weg in gerader Richtung ging oder sich krümmte. Winnetou folgte mir. Noch nicht eine Viertelstunde hatte diese Hetze gedauert, so öffnete sich der Engweg auf einen breiten Querpaß. Der General lenkte rechts um. Kolma Puschi folgte ihm, drehte sich aber um und rief mir zu:

„Einige nach links, ihm entgegen!“

Ich lenkte also nach dieser Richtung und bedeutete Winnetou:

„Du wieder rechts! Wir zwei sind genug!.“

Die beiden Wege führten, wie aus Kolma Puschis Verhalten zu schließen war, später jedenfalls wieder zusammen, und so mußten wir den Flüchtling zwischen uns bekommen. ich ritt so schnell, wie der Weg es erlaubte, wieder zwischen Felsen hin, welche höher und immer höher wurden, und nahm, um für alles gerüstet zu sein, den Stutzen in die Hand.

Jetzt erreichte ich eine Stelle, wo links ein tiefer Abgrund gähnte und rechts eine tief eingeschnittene, natürliche‘ Schneuße fast gradlinig in die Höhe führte. Da hörte ich den Galopp eines Pferdes, welches mir entgegenkam. Es erschien um die Rundung, der Reiter war der General. Er sah den Abgrund an der Seite, mich mit dem Gewehre vor sich und stieß einen gräßlichen Fluch aus. Fast noch im Galoppe, warf er sich vom Pferde herunter und sprang in die Schneuße. Ich konnte ihn erschießen, wollte ihn aber lebendig haben. Da erschienen auch zunächst Winnetou und Kolma Puschi, welche, wie ich auch, ihre Pferde parierten.

„Hier hinauf ist er!“ rief ich. „Kommt nach, kommt nach!“

„Das ist das Devils-head,“ antwortete Kolma Puschi. „Da giebt es keinen andern Weg als diesen. Er ist unser!“

Nun ging ein Klettern los, welches einem Gemsjäger Ehre gemacht hätte. Der General war uns nur wenig voraus. Sein Gewehr hinderte ihn; er warf es fort. Ich hatte nur den Stutzen übergehängt, den Bärentöter aber unten gelassen. So arbeiteten wir uns höher und immer höher. Die Schneuße wurde enger und hörte da auf, wo ein schmaler Steinsims seitwärts führte. Auf diesem klimmte der General weiter; ich folgte ihm. Es war zum Schwindeln. Der Sims hatte eine Unterbrechung; es galt einen Sprung von fast Manneslänge. Der Flüchtling wagte ihn in seiner Angst; er erreichte auch den jenseitigen Stein; aber dieser hing nicht fest mit der Felsenmauer zusammen; er brach los und stürzte, verschiedentlich aufpolternd, mit dem Generale in die Tiefe. Ich wendete mich zurück.

„Kehrt um; er ist abgestürzt!“ rief ich nun den beiden zu.

Nun ging es mit ebenso großer Hast den Weg zurück, auf welchem wir heraufgeklettert waren. Unten angekommen, sprangen wir auf die Pferde und jagten zurück. Nach kurzer Zeit schon sahen wir unsere Kameraden. Sie standen bei einem Haufen abgestürzter Felsentrümmer. Der Stein hatte andere, noch viel größere, auch nicht fest eingefugte Stücke, mit herabgerissen, und unter dem größten dieser Stücke, welches sicher vierzig Zentner wog, lag der General. Sein Oberkörper, von den Rippen an, war frei; die untere Hälfte lag unter dem Steine, jedenfalls zu Mus zermalmt. Er fühlte jetzt nichts; er hatte das Bewußtsein verloren.

„Mein Himmel!“ rief ich aus. „Genau wie Old Wabble! Der Unterleib eingepreßt! Welch eine Vergeltung!“

„Und hier! Seht her!“ sagte Kolma Puschi, indem er auf die Felswand deutete. „Was seht Ihr da? Was steht da zu lesen, von meiner Hand eingegraben?“

Wir sahen Figuren, zwischen ihnen ein Kreuz, und unter diesem stand zu lesen: An dieser Stelle wurde der Padre Diterico von J B. aus Rache an seinem Bruder E. B. ermordet. Darunter war eine Sonne mit den Buchstaben E. B. zu sehen. Es lief mir kalt über den Rücken. Ich fragte Kolma Puschi:

„Ist das das Felsengrab?“

„Ja. Diese Unterschrift ist mein Name E. B. Emily ist nämlich mein christlicher Name. Dieser Mann liegt grad auf dem Grabe meines Bruders, genau da, wo er mich damals festgebunden hatte, und wo ich im Kampfe mit ihm meinen Trauring verlor.“

„Einen Trauring? Ist es dieser?“

Ich zog den Ring vom Finger und reichte ihn ihr. Sie sah ihn an, las die innere Schrift und rief jubelnd aus:

„E. B. 5. VIII 1842. Er ist’s; er ist’s! Meinen Ring habe ich wieder, meinen Ring! Wo habt Ihr ihn her, Mr. Shatterhand?“

„Dem General abgestreift, als er in Helmers Home am Rande des Llano estacado fünfzig Hiebe aufgezählt bekam.“

„Welch ein Zufall, – welch ein Zufall!“

„Das ist kein Zufall,“ sagte da Old Surehand. „Wer hier nicht zu der Erkenntnis kommt, daß es einen Gott giebt, und wer hier nicht glauben und nicht beten lernt, der ist ewig verloren! Ich glaubte und betete lange, lange Jahre nicht mehr; jetzt habe ich es aber wieder gelernt.“

„Die Belohnung wird auch gleich folgen,“ sagte ich. „Sagt mir nun endlich einmal aufrichtig, seit wann Ihr nicht mehr gebetet habt!“

„Seit mein Pflegevater Wallace mir erzählte, was sich in meiner Familie erreignet hat. Seit jener Zeit suche ich nach meiner Mutter, nach ihrem Bruder und ihrer Schwester.“

„Und warum seid Ihr jetzt hier herauf?“

„Es wurde bei Wallace ein Brief für mich abgegeben, der mich für den sechsundzwanzigsten September nach dem Devils-head bestellte; ich sollte aber keinem einzigen Menschen etwas davon sagen.“

„Dieser Brief war von dem Generale hier. Er hat Euch im Llano erkannt und nach Euch geforscht. Er wollte Euch verderben; er lockte Euch hierher, um Euch wahrscheinlich zu ermorden.“

„Dieser General hier? Was hat denn der mit diesen Angelegenheiten zu thun?“

„Dieser General ist Dan Etters, den Ihr suchtet.“

„Dan Etters –?! Herrgott, ist’s wahr?“

„Ja. Ich kann es Euch sogleich beweisen. Ihr habt doch auch gute Westmannsaugen. Seht doch seinen Mund! Er steht weit offen, und hier—!“

Ich griff dem Zermalmten in den Mund und zog die künstliche Gaumenplatte mit zwei Oberzähnen heraus.

„Das sind falsche Zähne,“ fuhr ich fort. „Seht Ihr nun die Zahnlücken?“

Welch ein Erstaunen gab das jetzt! Ich ließ sie aber nicht zu Worte kommen und sprach weiter:

„Ich sprach davon, daß der Lohn für Eure Umwandlung schon gegeben sei. Ihr heißet Leo Bender, und hier steht Eure Mutter.“

Die hierauf folgende Scene ist unmöglich zu schildern. Ich wurde umdrängt, gefragt, gedrückt – – ; ich floh davon und blieb fort, bis ich einen langgezogenen, ganz entsetzlichen Schrei hörte, der mich zurücktrieb. Dan Etters war zur Besinnung gekommen und ließ ein Brüllen hören, gegen welches dasjenige Old Wabbles ein Pianissimo war. Es war mit ihm kein Wort zu reden; er hörte nicht; er brüllte nur, nicht wie ein Löwe, sondern wie eine Schar wilder Tiere, in allen Höhen- und Tiefenlagen. Es war nicht auszuhalten. Wir mußten uns entfernen. Geholfen konnte ihm nicht werden, denn es war vollständig unmöglich, den Fels zu heben, um ihn unter demselben hervorzuziehen. Er mußte an Ort und Stelle sterben, grad so wie er da lag, am Schauplatze seiner Mordthat. Später, als wir ihn nicht mehr hörten, gingen wir wieder hin. Da hatte er die Zähne fest zusammengebissen und starrte uns mit unbeschreiblich tierischen, nein, viehischen Augen an.

„Dan Etters, hört Ihr mich?“ fragte ich ihn.

„Old Shatterhand! – Sei verdammt!“ antwortete er.

„Habt Ihr einen Wunsch?“

„Verdammt in alle Ewigkeit, du Hund!“

„Der Tod hält Euch gepackt. Ich möchte mit Euch beten!“

„Beten? Hahahahaha! Willst du nicht lieber –“

Es war gräßlich, unmenschlich, was er sagte!

Ich fragte trotzdem weiter; andre fragten, baten, ermahnten und warnten ihn. Er hatte nur Flüche und Lästerungen zur Antwort. Um nicht das Allerschlimmste hören zu müssen, gingen wir fort. Da begann er, wieder zu brüllen. Was für Schmerzen mußten das sein, die ihm ein solches Geheul entlockten! Und doch ließ er sich nicht durch sie zur Reue führen; er wurde nur noch verstockter.

Wir nahmen unser Lager so weit von ihm, daß wir sein Geschrei nur wie ein fernes Windsgeheul hörten. Dort wurde nun erzählt, den Rest des Nachmittages, den Abend und die ganze Nacht hindurch; wovon und worüber, das läßt sich ja denken. Es gab noch gar manche Frage und manches Rätsel; aber derjenige, der sie lösen und beantworten konnte, war teuflisch genug, uns alle Auskunft zu verweigern, Dan Etters nämlich. Er wurde des Abends und auch in der Nacht öfters aufgesucht, aber wir erhielten nur Flüche und höhnisches Gelächter zur Antwort. Sogar mit Wasser erquicken ließ er sich nicht; als ich versuchte, dies zu thun, spie er mir in das Gesicht. Dann brüllte und heulte und lästerte er wieder längere Zeit, bis wir am Morgen fanden, daß er gestorben war, gestorben nicht wie ein Mensch, sondern wie – wie -wie, es fehlt mir jeder Vergleich; es kann kein toller Hund, kein Vieh, auch nicht die allerniedrigste Kreatur so verenden wie er. Old Wabble war ein Engel gegen ihn. Wir haben ihn liegen lassen, so wie er lag, und einen Steinhügel darüber gehäuft. Kann Gott seiner armen Seele gnädig sein? Vielleicht doch – doch – – doch – – doch!

Und nun das Ende, lieber Leser? Ich weiß, du möchtest recht ausführliche Auskunft über jede einzelne Person haben, aber wollte ich sie dir geben, so würde ich mir vorgreifen und mich um die Freude bringen, dir in einem der folgenden Bände noch mehr von ihnen erzählen zu können. Nur über Tokbela muß ich dich beruhigen. Ihr Wahnsinn ist in eine stille Melancholie übergegangen, welche sie nicht hindert, an allem, was ihre Umgebung betrifft und bewegt, innigen Anteil zu nehmen. „Ihr Geist ist wieder bei ihr.“

Auch von Dick Hammerdull und Pitt Holbers wirst du noch hören. Diese beiden lieben Kerle nämlich – – doch ob sie sind, oder ob sie nicht sind, das ist ja ganz egal, wenn sie nur noch sind! –

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