Ein Teufelsstreich

Lobos lag längst hinter uns; wir hatten bereits San Miguel de Horcasitas passiert und ritten und fuhren nun Ures, der Hauptstadt des gleichgenannten Distriktes entgegen. Ritten und fuhren? Jawohl. Es war dafür gesorgt, daß keiner der Auswanderer zu gehen brauchte. Sennor Timoteo Pruchillo, unser Haziendero, hatte uns Indianer mit Wagen nebst Zug- und Reitpferden zugeschickt, welche wir in Lobos auf uns wartend fanden. Das ganze Geschäft war mit allem, was damit in Verbindung stand, so vorzüglich geordnet, daß, wie bei einem Uhrwerke, die einzelnen Zähne ganz regelrecht ineinander griffen.

Die Wagen waren unförmliche Bauwerke, ähnlich denjenigen, auf oder in denen früher die Emigranten die nordamerikanischen Prairien durchzogen. Für die Frauen und Kinder bestimmt, waren sie außerdem mit den armen Habseligkeiten der Einwanderer und mit den Gegenständen beladen, welche der Haziendero durch den Führer des Zuges in Lobos hatte einkaufen lassen. Die Reitpferde ließen durchgängig viel zu wünschen übrig, genügten aber für eine Reise von so kurzer Dauer. Der Führer schien ein alter, bewährter Vaquero oder Oberknecht zu sein, ein schweigsamer, mürrischer Patron, welcher mit niemand sprach und höchstens nur vor dem Mormonen Achtung zu haben schien. Beide ritten auch unausgesetzt nebeneinander an der Spitze des Zuges. Ich hatte mich zu dem Athleten gesellt und kümmerte mich, wie es schien, so wenig wie möglich um andere Personen, während ich doch heimlich auf das Geringste achtete, um der Aufgabe, welche ich mir gestellt hatte, möglichst gerecht zu werden. Der Herkules war ein sehr guter Reiter, da er öfters bei Kunstreitergesellschaften engagiert gewesen war und also Gelegenheit gefunden hatte, sich zu üben.

Er lächelte oft über mich, wenn ich, nach vorne gebeugt und scheinbar haltlos, im Sattel saß, ganz nach Art erfahrener Prairiejäger, welche während eines gewöhnlichen Rittes samt ihren Pferden zu schlafen scheinen, bis plötzlich ein Ereignis oder eine Erscheinung Reiter und Tier so belebt, daß beide ganz andere Wesen geworden zu sein scheinen. Er tadelte meine schlechte Haltung, meinen lockern Schluß, das Schlottern meiner Arme und sprach, als diese Ermahnungen nichts änderten, endlich fast zornig die Überzeugung aus:

„Mann, bei Ihnen ist alles in den Wind gesprochen. Soviel ich mir Mühe gebe, aus Ihnen wird im ganzen Leben kein auch nur leidlicher Reiter. Sie hocken auf Ihrem Gaule wie ein Schuljunge auf seinem Schaukelpferde. Es ist eine Affenschande!“

Höflichkeiten durfte man von ihm nicht erwarten, und doch hatte ich gar wohl bemerkt, daß er sich gegen mich nicht mehr so gleichgültig oder gar abstoßend verhielt, wie am ersten Tage unserer Bekanntschaft. Oft, wenn ein schneller Blick von mir sein Auge überraschte, sah ich, daß es mit einem freundlichen, ja weichen Ausdrucke auf mir ruhte; dann senkte er es schnell, als ob er sich schäme, einmal für einen kurzen Augenblick von seiner Grimmigkeit gelassen zu haben.

Der Kajütenwärter Weller war, wie als ganz selbstverständlich erschien, auf dem Schiffe zurückgeblieben, doch war ich überzeugt, daß er nach unserer Landung sehr bald von demselben desertiert sei, um irgendwo und irgendwie den Zwecken des Mormonen zu dienen.

Letzterer widmete den Auswanderern zwar auch noch diejenige Aufmerksamkeit, welche sie nach seiner vermeintlichen Stellung zu ihnen von ihm zu erwarten hatten, aber es war doch seit der Ausschiffung nicht mehr die überfließende Freundlichkeit, welche er ihnen auf dem Schiffe gezeigt hatte. Und je weiter wir kamen, je weiter wir uns von der See entfernten und je sicherer er sie also hatte, desto kürzer angebunden wurde er, wenn er mit einem von ihnen sprach.

Ich war in der Gegend, durch welche wir kamen, noch nicht gewesen und kannte also die Lage der Distriktshauptstadt Ures, durch welche wir eigentlich mußten, nicht genau; aber ich wußte, daß sie am Rio Sonora liegt, einige Meilen unterhalb Arispe. Die Stadt breitet sich am linken Ufer des Flusses in einer sehr fruchtbaren Ebene aus und ist von herrlichen Gärten umgeben. Wir freuten uns darum auf unsere Ankunft dort, da wir bisher meist über ödes Land gekommen waren und in Ures einen Ruhetag zu haben hofften. Ich vermutete, daß wir uns der Stadt näherten, denn wir waren schon längst über den Rio Dolores, den Nebenfluß des Rio Sonora, gekommen und es erhielten sich von Stunde zu Stunde mehr Anzeichen, daß ein größerer Ort vor uns liege. Es mehrten sich die Wege, nämlich was man dort „Weg“ zu nennen pflegt; einzelne Menschen, meist Reiter, kamen an uns vorüber, oder hie und da tauchte eine Hazienda oder Estanzia zu unserer Seite auf.

Da war es denn sehr auffällig, daß der Mormone dafür sorgte, daß keiner der uns Begegnenden mit uns sprechen konnte, Er ritt stets auf den Betreffenden zu und verwickelte ihn solange in ein Gespräch, bis wir vorüber waren. Entweder sollten wir nicht gewarnt werden, oder er wollte überhaupt niemandem wissen lassen, wer wir waren und wohin wir wollten. Sein Verhalten ließ ja mit Sicherheit vermuten, daß er jedem Fragenden eine falsche Auskunft gab. Dazu kam, daß er unsere bisherige gerade Richtung in eine nordöstliche veränderte. Nach dorthin war Ures jedenfalls nicht zu suchen. Ich hatte mir vorgenommen, ihm keine Spur von Mißtrauen zu zeigen, ritt aber jetzt doch zu ihm hin, um ihn in höflicher Weise nach der Lage der Stadt und der Zeit, in welcher wir dieselbe erreichen würden, zu fragen. Er antwortete, indem er mir einen giftigen Seitenblick zuwarf:

„Was wollt Ihr mit Ures, Master? Habe ich etwa gesagt, daß wir diesen Ort berühren werden?“

„Ihr habt gesagt, daß die Hazienda del Arroyo hinter Ures liegt; also denke ich, daß wir – –“

„Denken, denken!“ unterbrach er mich. „Die Hazienda liegt hinter Ures, ja, aber nicht in gerader Richtung, sondern seitwärts. Muten Sie uns etwa zu, Ihretwegen einen Umweg zu machen?“

„Fällt mir nicht ein! Übrigens werdet Ihr zugeben, daß meine Frage eine völlig unbefangene war und keine Spur von Zudringlichkeit enthalten hat.“

Ich wendete mich von ihm ab. Er hatte auf meine spanische Frage englisch geantwortet, um nur von mir verstanden zu werden. Höchst wahrscheinlich durfte der alte Peon oder Vaquero, welcher neben ihm ritt, nichts von seinen eigentlichen und heimlichen Absichten erfahren. Und außerdem vermutete ich, daß er Ures vermeiden wollte, damit man dort nicht erfahre, daß ein Transport von Emigranten nach der Hazienda del Arroyo gegangen sei. Man hatte mit den Auswanderern irgend etwas vor, was verschwiegen bleiben sollte.

Es war am Abende desselben Tages, als wir den Rio Sonora erreichten, weit, weit oberhalb der Stadt, wie ich annahm. Die Ufer fielen allmählich ab, und das Wasser war nicht tief, sodaß wir mit unsern Wagen und Pferden unschwer hinüberkamen. Am jenseitigen Ufer hätte eigentlich gehalten werden sollen, denn es war spät geworden, und der weite Marsch hatte Menschen und Tiere ermüdet. Dennoch erklärte der Mormone, daß wir noch weiter müßten und nach Verlauf von einer Stunde eine Stelle erreichen würden, an welcher ein viel besserer Lagerplatz als hier am Flußufer zu finden sei.

Ich glaubte, Grund zu haben, dieses letztere zu bezweifeln. Es gab hier am Wasser Stechmücken, welche uns in der Ruhe stören konnten; das war aber auch die einzige Ursache, den Fluß zu meiden, dessen Ufer alles boten, was Menschen und Tiere verlangen mochten. Der Mormone mußte, zumal es nun schon dunkel wurde, eine bestimmte Absicht haben, uns von dem Flusse zu entfernen und nach einem Platze zu führen, an welchem es sogar kein Wasser gab, was ich daraus schloß, daß er, bevor wir weiter zogen, alle Tiere am Flusse tränken ließ. Es fiel mir natürlich nicht ein, ein Wort darüber zu verlieren, doch nahm ich mir vor, aufzupassen, um seine Absichten zu erfahren.

Da es nach unserm Aufbruche vom Flusse ziemlich dunkel war, konnte ich die Gegend, durch welche wir kamen, nicht genau taxieren. Bäume oder gar Wald gab es nicht, auch Felder sah ich nicht. Wir ritten zuweilen über Gras, meist aber durch Sand, in welchen die Hufe unserer Tiere und die Räder der Wagen ziemlich tief einsanken. Bald zeigten sich einige Sterne am dunklen Himmel, und nur mit ihrer Hilfe konnte ich erkennen, daß unser Weg nun nach Südost gerichtet war. Vor der Stadt waren wir nach Nordost eingebogen; jetzt ging es nach Südost; es war also klar, daß Ures auf unserm geraden, auf unserm kürzesten Wege gelegen hatte und von dem Mormonen aus einem Grunde umgangen worden war, den ich zwar noch nicht kannte, aber gewiß kennen zu lernen hoffte.

Anstatt nach einer Stunde hielten wir erst nach zweien an, mitten auf der freien Ebene, wo einiges Buschwerk stand, aber weder ein laufendes, noch ein stehendes Wasser zu sehen war. Es war auffällig, daß wir nicht bei diesen Büschen, sondern in einiger Entfernung von denselben lagerten. Kein Reisender verzichtet ohne triftigen Grund auf den Schutz oder wenigstens auf die Annehmlichkeit, welche ein Strauchwerk bietet. Die Wagen wurden zusammengeschoben; die Zugtiere ausgespannt, die Reittiere entsattelt und dann einigen Yaquiindianern übergeben, unter deren Aufsicht sie während der Nacht das spärliche Gras abweiden sollten. Dabei fiel mir wieder auf, daß der Mormone die Indianer mit den Pferden und Maultieren nicht nach derjenigen Seite, auf welcher die Büsche standen, sondern nach der entgegengesetzten beorderte. Es schien so, als solle niemand von uns in die Nähe dieses Buschwerkes kommen. Darum nahm ich mir vor, es heimlich aufzusuchen.

Die Leute waren ermüdet und wickelten sich bald in ihre Decken, um einzuschlafen. Ich that dasselbe, schloß aber die Augen nicht. Wir standen im ersten Viertel, doch war der Mond noch nicht aufgegangen. Die Sterne, deren es heute nur wenige gab, verbreiteten ein ungewisses Licht, bei welchem man nicht zehn Schritte scharf zu sehen vermochte.

Ich beobachtete die Stelle, an welcher Melton ganz allein und abseits von uns lag. Es schien, als ob er schlafe; aber nach ungefähr drei Viertelstunden nahm ich eine Bewegung wahr. Er rollte sich aus der Decke und stand auf. Nachdem er eine Zeit lang lauschend gestanden hatte, glaubte ich, daß er sich entfernen werde; dem war aber nicht so, denn er kam leise auf mich zu, kniete, als er in meine Nähe gekommen war, nieder, kam unhörbar herangekrochen und hielt sein Ohr so nahe an meinen Kopf, daß er meine Atemzüge hören mußte. Ich atmete langsam, leise und regelmäßig wie einer, der im tiefen Schlafe liegt. Das befriedigte ihn. Er erhob sich und ging fort, die Richtung nach den Büschen einhaltend.

Sein Verhalten bewies erstens, daß er mir nicht traute und sich vor meiner Vorsicht und Wachsamkeit fürchtete, zweitens, daß er etwas vorhatte, was niemand wissen sollte. Ich mußte es erfahren, sprang auf, als er sich soweit entfernt hatte, daß er mich nicht mehr hören konnte, und eilte nach den Büschen, um vor ihm dort anzukommen.

Natürlich lief ich da nicht etwa hinter ihm her, sondern ich schlug einen Bogen, welcher mich ostwärts von den Büschen brachte, während er sich denselben von Süden her näherte. Auch versteht es sich ganz von selbst, daß ich mich nicht direkt bis zu den Sträuchern wagte; ich mußte ja annehmen, daß er von irgend jemand bei denselben erwartet werde. Als ich noch ungefähr vierzig oder fünfzig Schritte zu machen hatte, um sie zu erreichen, legte ich mich nieder und kroch auf Händen und Füßen weiter, bis ich nur noch halb so weit von ihnen entfernt war.

Meine Bewegungen waren so rasch gewesen, daß ich dem Mormonen trotz des Umweges, den ich gemacht hatte, vorangekommen war; denn erst jetzt, als ich schon wartend lag, hörte ich seine Schritte. Er ging in so kurzer Entfernung an mir vorüber, daß ich ihn deutlich erkennen konnte, blieb dann stehen und schnalzte mit der Zunge. Sofort ertönte derselbe Laut als Antwort aus den Büschen. Dann trat eine Gestalt, welche ich nicht genau sehen konnte, aus den Sträuchern und fragte in englischer Sprache:

„Bruder Melton, bist du es?“

„Yes,“ antwortete er. „Und du?“

„All right! Komm nur heran! Es ist alles in Ordnung.“

„Bist du allein?“

„Nein, der Häuptling ist mit da. Daraus magst du ersehen, daß ich unsere Angelegenheit nicht bei der falschen Ecke angefaßt habe. Es läuft alles so, wie es laufen soll.“

„So hat dein Junge dich getroffen?“

„Ja. Komm in die Büsche! Es gilt vorsichtig zu sein, da sich dieser Mensch, Old Shatterhand, bei dir befindet, was ich aber noch gar nicht glauben will.“

„Er ist’s; ich kann es beschwören, denn – –“

Weiter hörte ich nichts, denn er war während dieser Worte zu dem andern getreten, und dann verschwanden beide zwischen den Sträuchern.

Was sollte ich thun? Lauschen? Das ist leicht gesagt, war aber schwer, ja unmöglich auszuführen, wie ich mich bald überzeugte. Das Gebüsch war nicht umfangreich und auch nicht dicht, und soeben erschien die Sichel des Mondes am Horizonte. Es standen im höchsten Falle zehn oder zwölf Sträucher bei einander, und ich wußte nicht, hinter welchem ich die Männer, von denen jetzt wenigstens drei beisammen waren, zu suchen hatte. Man hätte mich sehen müssen, selbst wenn ich dunkel gekleidet gewesen wäre. Da nun aber mein Anzug eine helle Farbe hatte, so wäre es geradezu Albernheit gewesen, mich anschleichen zu wollen. Darum that ich das einzige, was ich thun konnte: ich kroch soweit zurück, bis ich mich erheben durfte, und begab mich dann wieder nach dem Lager, wo alle schliefen und niemand meine Abwesenheit bemerkt hatte. Ich wickelte mich wieder in meine Decke, und legte mir das, was ich gesehen und gehört hatte, zurecht.

Wer war der Mann, mit welchem Melton gesprochen hatte? Die Antwort war gar nicht schwer zu erteilen. Beide hatten sich „Bruder“ genannt; also war er auch ein Mormone, und dies um so wahrscheinlicher, als er sich nicht der hier gebräuchlichen spanischen, sondern der englischen Sprache bedient hatte. Sodann war er von Melton gefragt worden, „ob sein Junge ihn getroffen habe“. Unter diesem Jungen war jedenfalls Weller, der Kajütenwärter unseres Schiffes, gemeint. Als ich diesen mit dem Mormonen im Deckzelte belauschte, hatte er davon gesprochen, daß sein Vater längst zu den Indianern aufgebrochen sei. Und jetzt steckte ein Indianerhäuptling mit in den Büschen! Die heutige Zusammenkunft war jedenfalls längst vorher verabredet und festgesetzt worden. Der junge Weller war nach unserer Landung von Bord gegangen und hatte, natürlich viel schneller als wir hatten reisen können, seinen Vater aufgesucht, um ihm zu melden, daß die Emigranten unterwegs seien und er sich also nun zu der verabredeten Zusammenkunft einzufinden habe. Ganz gewiß waren jetzt der alte Weller, Melton und ein Indianerhäuptling beisammen; vielleicht war auch der junge Weller dabei; ja sehr wahrscheinlich waren außer dem Häuptlinge noch andere Indianer anwesend. Ich hatte also ganz recht gehandelt, mich nicht in die Gefahr zu begeben, entdeckt zu werden, denn diese Gefahr war um so größer, je mehr Personen sich bei dem Buschwerke eingefunden hatten.

Nun kam die wichtige Frage, zu welchem Stamme die Indianer gehörten. Wer die Verhältnisse von Mexiko und vor allen Dingen der Provinz Sonora kennt, der weiß, welch eine Menge von Stämmen dort zu finden sind. Es gibt da Opata-, Pima-, Sobaipuri-, Tarahumara-, Cahuentscha-, Papago-, Yuma-, Tepeguana-, Cahita-, Cora-, Colatlan-, Yagui-, Upanguaima- und Guaima-Indianer, welche sich meist wild in Sonora und an den Grenzen dieses Staates umhertreiben. Und dies sind nur die hervorragendsten Stämme; diejenigen, welche nicht von Bedeutung sind, habe ich gar nicht genannt.

Ich hatte den Häuptling nicht gesehen und noch viel weniger sprechen gehört, konnte also nicht einmal ahnen, welchem Volke er zuzurechnen sei. Und doch wäre es für mich von großem Vorteile gewesen, dies zu wissen. Noch wichtiger aber als diese Frage war diejenige, zu welchem Zwecke die heutige Zusammenkunft hier stattfand. Daß es sich um die Emigranten handle, konnte ich mir wohl denken; aber etwas Näheres zu erraten, das war mir unmöglich, obgleich ich all meinen Scharfsinn anstrengte und selbst die kleinste Thatsache oder Wahrnehmung an mir vorübergehen ließ, um sie einer eingehenden Beurteilung und Vergleichung zu unterwerfen.

Ich befand mich in einer beinahe fieberhaften Aufregung. Ich mußte alle Selbstbeherrschung aufwenden, um ruhig liegen zu bleiben, zumal es über zwei volle Stunden dauerte, ehe der Mormone zurückkehrte und sich zur Ruhe legte. Bei mir gab es freilich keine Ruhe; ich vermochte nicht zu schlafen. Es schwebte eine Gefahr über uns, ohne daß ich sagen konnte, welcher Art sie sei und wann sie hereinbrechen werde. Das raubte mir den Schlaf. Über uns! Nun allerdings zunächst wohl nur über den Emigranten; aber ich hatte mich nun einmal dieser Angelegenheit angenommen, und so stand es fest, daß ich dieselbe auch als die meinige betrachtete und solange bei den Bedrohten aushielt, bis sie zu Ende geführt war. Ich hätte mich, wie schon oft gesagt, einfach entfernen können, wäre aber dadurch um mein ruhiges Gewissen gekommen und hätte mich selbst für einen Feigling erklären müssen.

Als stets vorsichtiger Mann fragte ich mich dabei, ob ich der Gefahr, von welcher ich zu niemandem sprechen durfte und der ich mich also ganz allein entgegenzustellen hatte, auch gewachsen sei. Der Mut war da; aber wie stand es mit der Verantwortlichkeit? Wenn man mich unschädlich machte, waren diejenigen, denen ich doch helfen wollte, verloren. Es galt also, zunächst und vor allen Dingen auf meine eigene Sicherheit bedacht zu sein. Da mußte ich denn an den Umstand denken, daß der Mormone die Stadt Ures vermieden hatte, jedenfalls um dort nicht wissen zu lassen, daß sich ein Transport von Emigranten auf dem Wege nach der Hazienda del Arroyo befinde. Wäre dies dort bekannt geworden, so stand fest, daß er für das spätere Schicksal derselben, deren Führer er doch war, eintreten mußte. Ich meinte also, daß es geraten sei, die dortige Behörde zu benachrichtigen. Wer aber sollte das thun? Natürlich ich. Und wann? Sobald wie möglich, also morgen früh. Da aber niemand, am allerwenigsten der Mormone, vorher davon wissen durfte, so mußte ich mich von unserer Karawane auf eine Weise entfernen, welche keinen Verdacht aufkommen ließ. Wie war das anzufangen? Fragen? Da hätte ich sagen müssen, wohin ich wollte. Mich heimlich entfernen? Das hätte den Verdacht, den ich vermeiden wollte, ja gerade hervorrufen müssen. Während ich darüber nachsann, dachte ich an den Herkules und an seine Worte, daß ich im ganzen Leben kein guter Reiter werden würde, Das war es, was mir ermöglichte, meinen Plan auszuführen. Mein Pferd mußte mit mir durchgehen.

Die Absicht, diesen Plan auszuführen, wirkte so beruhigend auf mich, daß ich endlich doch einschlief und erst dann erwachte, als die andern schon munter waren und sich zum Aufbruche rüsteten. – Der Mormone betrieb denselben mit auffälliger Eile, und ich erriet den Grund, welchen er dazu hatte. Seine Fährte hatte sich nämlich dem weichen Sande so tief eingedrückt, daß man sie mit dem Auge bis zu dem Gebüsch verfolgen konnte. Da er mich für Old Shatterhand hielt, der ich ja auch war, so besorgte er, daß ich diesen Stapfen meine Aufmerksamkeit widmen und ihnen folgen werde. In diesem Falle hätte ich auch die Spuren derer finden müssen, mit denen er während der Nacht verhandelt hatte. Um dies zu vermeiden, trieb er zum Aufbruche.

Und doch hatte ich dieselbe Sorge wie er, denn die Eindrücke meiner Füße waren ebenso mit der größten Deutlichkeit zu sehen. Er konnte sie unmöglich ignorieren. Jedenfalls aber glaubte er, daß sie von einem seiner Verbündeten herrührten, welcher sich von dem Gebüsch aus nach unserm Lagerplatze geschlichen hatte, ohne dies später bei der Unterredung zu erwähnen.

Als ich mein Pferd aufschirrte, steckte ich einige scharfe Sandkörner zwischen Haut und Sattel und zog dann den Gurt scharf an. Nach dem Aufsteigen stellte ich mich in die Bügel und machte mich möglichst leicht, sodaß das Pferd noch keinen Schmerz empfand. Als ich mich aber nach einer Weile festsetzte, fühlte es die Sandkörner und begann, sich widerspenstig zu zeigen. Ich gab mir scheinbar alle Mühe, es zu beruhigen, doch vergebens. Es wollte mich abwerfen, und ich stellte mich dabei so, als ob es mich die größte Anstrengung koste, im Sattel zu bleiben. Das Tier benahm sich schließlich so störrisch, daß alle, selbst der Mormone, aufmerksam wurden.

„Was hat denn die Bestie eigentlich?“ fragte der Herkules, welcher wieder neben mir ritt.

„Weiß ich’s? Sie will mich herunter haben. Weiter wird’s nichts sein.“

„So nehmen Sie das Viehzeug kurz in die Zügel, und geben Sie ihm die Sporen, damit es Respekt bekommt. Ein Wunder ist es freilich nicht, daß es nichts mehr von Ihnen wissen mag. Ein Pferd, welches Charakter und Ehre besitzt, will einen guten Reiter haben. Sie aber sind – oho – – hallo – – wohin denn?“

Ich hatte seinen Rat befolgt und dem Pferde die Sporen gegeben. Es ging in die Luft, erst vorn, dann hinten, dann mit allen vieren zugleich, bockte nach rechts, nach links, doch ohne mich herunterzubringen. Ich machte mich zwar mit guter Absicht bügellos, rutschte nach hinten und legte mich nieder, um die Arme um den Hals des Tieres zu schlingen, fiel aber selbstverständlich nicht herunter. Alle, die es sahen, lachten, und dieses laute, schallende Gelächter regte meinen Gaul vollends so auf, daß er zu gleichen Beinen mit mir davonrannte, immer geradeaus über die Ebene dahin. Daß diese rasende Carriere nach keiner andern Richtung als nach Süden ging, war meine Sache, schien aber der reine Zufall zu sein.

Als ich mich umschaute, sah ich, daß einige mir folgten, bald aber wieder umkehrten. Der Herkules ritt mir länger nach. Er war in Sorge um mich, konnte mich jedoch nicht einholen. Nach zehn Minuten sah ich ihn nicht mehr und stieg ab, um die Sandkörner zu entfernen und das arme Tier von seiner Qual zu befreien. Dann ging es wieder weiter, immer südwärts, wo ich die Stadt zu suchen hatte.

Eigentlich führten mich zwei Gründe dorthin. Zunächst wollte ich der dortigen Polizei die beabsichtigte Mitteilung über die Emigranten machen, und sodann war es nötig, mir einen anderen Anzug zu verschaffen. Der jetzige war so dünn und leicht, daß er bei den Anstrengungen, denen ich entgegenging, bald in Fetzen gehen mußte; auch störte mich seine helle Farbe, die mir gestern abend so hinderlich gewesen war. Ich hatte ihn in Guaymas gekauft, weil es dort für meine Statur keinen besseren gab und ich von dem Mormonen für einen armen Teufel gehalten sein wollte. Da dieser mich aber durchschaut hatte, so war nicht einzusehen, warum ich nicht auch äußerlich zugeben sollte, daß ich nicht unter die „Landstreicher“ zu rechnen sei.

Gestern war von mir angenommen worden, daß wir den Fluß einige Meilen oberhalb Ures passiert hatten; jetzt stellte sich heraus, daß diese Schätzung richtig gewesen war. Noch war keine Stunde vergangen, so nahm die Gegend ein ganz anderes Aussehen an. Sie wurde um so belebter, je weiter ich kam; Landgüter tauchten auf; das Pferd bekam gebahnte Wege unter die Füße; dann ritt ich zwischen Gärten dahin und gelangte schließlich in die Stadt, welche einen bedeutend bessern Eindruck auf mich machte, als ich auf die mir begegnenden Bewohner derselben zu machen schien, denn ich sah die keineswegs hochachtungsvollen Blicke, welche sie auf mich warfen. Ich erkundigte mich bei einem derselben nach der Casa de Ayuntamiento, stieg, als ich dieselbe erreicht hatte, vom Pferde, band dasselbe an, trat ein und fragte einen da herumlungernden Polizisten nach dem Alcaide del distrito. Der Mann wies mich in den Hof, in welchem ich eine Thüre sah, deren Aufschrift mir sagte, daß sich hinter derselben die Expedition dieses höchsten Beamten des Distriktes befinde. Als ich anklopfte, hörte ich im Innern eine antwortende Stimme und trat ein, um sofort eine sehr, sehr tiefe Verbeugung zu machen, denn ich befand mich nicht einem Herrn, sondern einer Dame gegenüber.

Hier war auch nicht das geringste von alledem zu sehen, was der Deutsche mit einem Expeditionszimmer, einem Bureau, in Verbindung bringt. Es gab vier leere, weiß getünchte Wände. In den fest gestampften Boden waren vier weiß, rot und grün, also in den Nationalfarben angestrichene Pfähle getrieben, an denen zwei Hängematten hingen. In der vordern Hängematte lag eine sehr junge Dame, Cigaretten rauchend und nicht allzu wählerisch in ein nicht allzu weißes Morgengewand gekleidet. Ihr noch nicht geordnetes Haar hatte sich wahrscheinlich schon gestern und auch vorgestern in demselben Zustande befunden. Über ihr saß, an eine Kette gefesselt, ein Papagei, welcher mich mit zornigem Krächzen empfing. Erst später bemerkte ich, daß die zweite, hintere Hängematte nicht leer war. Also ich verbeugte mich tief und fragte dann im höflichsten Tone, ob es mir gestattet sei, den Alcaide de distrito zu sprechen. Die Dame musterte mich mit scharfen Augen, warf mir dann die Hand entgegen, als ob ich Luft sei, und wendete das Köpfchen ab, ohne mir eine Antwort zu geben. Dafür aber sträubte der Papagei sein Gefieder, riß den krummen Schnabel auf und kreischte mir zu:

„Eres ratero!“

Diese Begrüßung lautet zu deutsch: „Du bist ein Spitzbube!“ Die Dame liebkoste den Vogel ob dieses geistreichen Ausrufes, und ich wiederholte meine Frage in der vorherigen höflichen Weise.

„Eres ratero!“ schrie der Papagei, während die Dame in ihrem Schweigen verharrte.

Ich wiederholte meine Frage abermals.

„Eres ratero, ratero, ratero!“ schimpfte der gefiederte Verleumder, und die Dame gab sich nun die Mühe, mit der Hand nach der Thüre zu winken, um mir auf diese sinnige Weise anzudeuten, daß sie sich und ihren Papagei von mir befreit sehen wolle.

Ich öffnete also die Thüre, doch ohne mich zu entfernen, blickte hinaus und sah den Polizisten, welcher mich hierher gewiesen hatte. Da er nach der andern Seite schaute, steckte ich den Finger in den Mund und pfiff so schrill, wie ich nur pfeifen konnte. Der Papagei pfiff mit; die Dame kreischte auf, gerade auch wie ein Papagei, und der Polizist drehte sich nach mir um. Ich winkte ihn herbei und fragte, als er herangekommen war:

„Ist hier wirklich das Amtslokal des Alcaide del distrito?“

„Ja, Sennor,“ antwortete er.

„Wo ist er denn?“

„Na, da im Lokale!“

„Ich sehe ihn doch nicht, und die Sennora antwortet mir nicht!“

„Dafür kann ich nicht; da ist nichts zu machen.“

Er wendete sich ab und ging davon. Ich drehte mich also wieder nach der Dame um und wiederholte meine Frage, diesmal aber nicht im höflichen Tone. Da richtete sie sich auf, blitzte mich aus ihren dunklen Augen an und antwortete:

„Hinaus, sofort, sonst lasse ich Sie einsperren! In welcher Kleidung kommen Sie! Man sieht ja sofort, daß Sie die Amtshandlung nicht bezahlen können!“

Der Papagei schlug mit beiden Flügeln, hackte mir mit dem Schnabel entgegen und schrie: „Eres ratero, eres ratero!“ Ich aber zog kaltblütig meinen Beutel aus der Tasche, nahm einige Goldstücke heraus und begann, ohne ein Wort zu sagen, dieselben aus einer Hand in die andere zu zählen. Sofort ahmte der Papagei mit wirklich täuschender Stimme den Klang des Goldes nach, und die Dame wendete sich nach der andern Hängematte, um im lieblichsten Flötentone zu sagen:

„Erhebe dich, mein Lieber! Es ist ein Cavallero da, welcher höchst notwendig mit dir zu sprechen hat. Ich werde ihm eine Cigarette drehen.“

Unter dem Sitze des Papageies war ein Kästchen angebracht, in welchem sich Tabak und Cigarettenpapier befand. Sie nahm eines dieser Papiere in den Mund, um es mit Speichel anzufeuchten, legte eine Prise Tabak darauf und drehte beides mit ihren niedlichen Fingern in Raupenform, brannte diese Raupe an ihrem Stummel an und reichte sie mir dann mit einem herzgewinnenden Lächeln zu.

Hm! Das Anfeuchten! Diese Fingerchen, bei deren melierter Färbung man im unklaren war, ob sie in Handschuhen steckten, oder einen sonstigen Überzug hatten! Und dazu der Ort, an welchem sich der Tabak befand, gerade unter dem Papagei! Kurz und gut, ich nahm die Cigarette zwar mit einer tiefen Verbeugung an, hütete mich aber, sie nach dem Munde zu führen.

Indessen hatte sich im Hintergrunde eine Bewegung geltend gemacht, welche mich veranlaßte, dieser Richtung meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die zweite Hängematte geriet ins Schaukeln, und aus ihr entwickelte – ich sage mit vollster Absicht, entwickelte – sich eine lange, ewig lange und erschrecklich hagere Gestalt, welche mit langsamen, unhörbaren, geisterhaften Schritten auf mich zukam, vor mir stehen blieb und mich in einem hohlen Bauchrednertone fragte:

„Wieviel Sporteln sind Sie bereit zu zahlen, Sennor!“

„Ich zahle nach dem Werte der Antworten, welche ich erhalte,“ antwortete ich.

Der ewig Lange drehte sich nach seinem jungen Weibe um und meinte unter einer gräßlichen Gesichtsverzerrung, welche jedenfalls ein freundliches Lächeln sein sollte:

„Hörst du es, mein Täubchen? Er zahlt nach dem Werte. Da aber alles, was ich sage, für jedermann von hohem Werte ist, so bitte ich dich, dem Sennor noch eine Cigarette zu drehen.“

Sie folgte dieser Aufforderung mit sichtbarem Vergnügen, und als ich dann zwei von ihr angebrannte, zwischen meinen Fingern aber wieder ausgelöschte Tabakswürmer in der Hand hielt, forderte mich ihr edler Ehegemahl auf:

„Nun tragen Sie mir getrost und mit Vertrauen Ihre Wünsche vor, Sennor! Sie stehen vor dem besten Ihrer Freunde.“

Auch der Papagei ließ so zarte und sanfte Schluchzer und Gluchzer hören, daß mir ganz wonnig zu Mute wurde. Ich befand mich jedenfalls den beiden besten und edelsten der Menschen und dem traulichsten der Papageien gegenüber und erkundigte mich also mit hingebendster Offenheit:

„Ist Ihnen vielleicht der Name Timoteo Pruchillo bekannt, Sennor?“

„Nein. Auch dir nicht, mein Täubchen?“

„Nein,“ antwortete das Täubchen.

„Ich suche eine Hazienda del Arroyo, welche nicht sehr weit von Ures zu liegen scheint. Vielleicht können Sie mir Auskunft erteilen?“

„Nein. Auch du nicht, mein Täubchen?“

„Nein,“ echote das Täubchen.

„Timoteo Pruchillo hat deutsche Emigranten kommen lassen, welche auf seiner Hazienda arbeiten sollen. Wer hat diese Leute zu beschützen, falls er es nicht ehrlich mit ihnen meint?“

„Ich nicht, Sennor.“

„Aber wer denn sonst?“ fragte ich.

„Deutschland mit seinen Gesandtschaften oder Konsulaten.“

„Giebt es hier ein Konsulat?“

„Nein.“

„Aber wenn diese Leute in Not oder gar Gefahr kommen, so muß doch jemand hier sein, der sich ihrer annimmt!“

„Nein, es ist niemand da.“

„Aber, Sennor, selbst angenommen, daß die Leute rechts- und schutzlos sind, weil kein Vertreter ihres Vaterlandes sich im hiesigen Distrikte befindet, so ist doch zu erwarten, daß ein Mexikaner, falls er unehrlich oder gar noch schlimmer an ihnen handelte, von der hiesigen Behörde zur Verantwortüng gezogen würde?“

„Nein, Sennor. Was mit Ausländern geschieht, geht mich nichts an.“

„Wenn nun ein Bewohner Ihres Distriktes einen Deutschen tötete, was würden Sie da thun, Sennor?“

„Nichts, gar nichts. Meine Unterthanen machen mir soviel zu schaffen, daß ich mich mit Angehörigen fremder Länder nicht befassen kann. Mit ausländischen Personen, Angelegenheiten, Verhältnissen und Dingen können wir uns unmöglich abgeben. So etwas dürfen Sie von uns nicht verlangen. Wünschen Sie sonst noch etwas, Sennor?“

„Nein, Ihre bisherigen Antworten haben mich aller weiteren Fragen enthoben.“

„So werde ich Sie entlassen, sobald Sie den Wert meiner Auskünfte anerkannt haben.“

„Ja, anerkannt haben,“ stimmte die Sennora in bezauberndem Tone bei, wozu der Papagei ein allerliebstes, halblautes Klingen und Singen hören ließ.

„Ich werde Sie über diesen Wert auf das gewissenhafteste aufklären,“ antwortete ich. „Da Sie immer nur mit Nein geantwortet haben, besitzen Ihre Antworten für mich leider nicht eine Spur von Wert.“

„Wie? Was? Wollen Sie damit sagen, daß Sie nichts zahlen wollen?“

„Allerdings.“

Er trat zwei Schritte zurück, maß mich mit zornigen Augen und drohte:

„Ich kann Sie zwingen, Sennor!“

„Nein! Auch ich bin ein Deutscher. Ich habe nur ausländisches Geld bei mir, und da ich Ihnen nach Ihren eigenen Worten nicht zumuten darf, sich mit ausländischen Angelegenheiten, Personen, Verhältnissen und Dingen zu befassen und mein Geld doch sicher zu den ausländischen Dingen gehört, so kann ich doch unmöglich mich an Ihrer inländischen Selbstachtung dadurch versündigen, daß ich Ihnen eine fremde Münze anbiete.“

Die Sennora warf ihre Cigarette weg und wetzte ihre Lippen an den Zähnen. Der Papagei hob die Flügel und riß den Schnabel auf. Der Sennor trat noch einen Schritt zurück und fragte in kollerndem Tone:

„Also nur fremdes Geld?“

„Ja. Die einzigen einheimischen Gegenstände, welche ich Ihnen verehren kann, sind diese beiden Cigaretten, die ich hiermit in den Tabakskasten lege.“

Ich warf die Cigaretten in den Tabak, wobei der Papagei mit dem Schnabel nach meiner Hand hackte.

„So wollen Sie nichts, gar nichts zahlen?“fragte der Sennor.

„Nein.“

Ich griff nach meinen Gewehren, welche ich an die Wand gelehnt hatte, um mich schnell zu entfernen.

„Ein Geizhals, ein wortbrüchiger Mensch!“ donnerte der ewig Lange mit seiner Bauchrednerstimme.

„Ein Ausländer, ein Habenichts, ein Vagabund!“ kreischte die Donna wütend hinter mir her.

„Eres ratero, eres ratero, ratero – du bist ein Spitzbube, du bist ein Spitzbube, ein Spitzbube!“ hörte ich den Papagei schreien, als ich mit raschen Schritten über den Hof eilte, um hinaus auf die Straße zu gelangen. Da stand, meiner wartend, der Polizist, streckte mir die Hand entgegen und meinte:

„Eine Gabe für die Auskunft, welche ich Ihnen erteilt habe! Mein Gehalt ist so gering, und ich habe ein Weib mit vier Kindern zu ernähren!“

„Dafür kann ich nicht; da ist nichts zu machen,“ antwortete ich ihm mit seinen eigenen Worten, band mein Pferd los, stieg auf und ritt davon. Wäre ich bei nur einigermaßen besserer Laune gewesen, so hätte wenigstens er etwas bekommen.

Die Hoffnung, welche ich auf die Meldung bei der hiesigen Behörde gesetzt hatte, war eine vergebliche gewesen. Bei solchen Zuständen, welche heutzutage wohl andere sind, ist es am besten, stets nach dem Grundsatze „Selbst ist der Mann“ zu handeln. Fort also mit der Rechnung auf fremde Leute und auf fremde Hilfe! –

Als ich mich weit genug von dem Stadthause entfernt hatte, stieg ich an einem „Hotel“ ab, um da etwas zu essen und zu trinken, das Pferd tränken und füttern zu lassen und mich nach einem Kleiderladen zu erkundigen. Ein solcher lag in der Nähe, und ich bekam da, allerdings zu einem sündhaften Preise, das, was ich suchte, einen guten, mexikanischen Anzug, der wie für mich gefertigt war, aber eine fast vollständige Ebbe in meinem Beutel zur Folge hatte. Die Sorge für die nächste Zukunft riet mir, mich in ausgiebiger Weise mit Schießbedarf zu versehen, und als ich dies gethan hatte, war mein Bargeld so zur Neige gegangen, daß ich trotz alles Schüttelns der Tasche und des Beutels nichts mehr klingen hörte. Das konnte mir aber keine Sorgen machen, da ich jetzt voraussichtlich in Verhältnisse und durch Gegenden kam, in denen der Besitz von Geld nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich gewesen wäre. In jenen Breiten und Verhältnissen war damals und ist wohl unter Umständen auch noch heute ein zuverlässiges Gewehr in der Hand besser, als ein voller Beutel in der Tasche. So ritt ich denn, den in die Decke gewickelten neuen Anzug hinter mir aufgeschnallt, wohlgemut zur Stadt hinaus, um eine kleine Hoffnung getäuscht, doch um eine wichtige Erfahrung reicher.

Ich hatte mich nämlich im Gasthofe nach der Hazienda del Arroyo erkundigt und erfahren, daß dieselbe einen vollen Tagesritt weit ostwärts zwischen bewaldeten Bergen an einem Bache liege, von welchem ein kleiner See gespeist werde. Man hatte mir die Gegend und den Weg nach derselben so genau beschrieben, daß ich gar nicht irren konnte. Zugleich hatte ich über die Verhältnisse und den Charakter des Besitzers näheres erfahren.

Sennor Timoteo Pruchillo war ein ehrlicher Mann, hatte früher zu den reichsten Leuten der Provinz gehört, aber durch die oft wiederkehrenden politischen Aufstände und die Überfälle der Indianer viel gelitten, sodaß er nun nur noch als ziemlich wohlhabend galt. Von mehreren großen Landgütern war ihm nur noch das einzige, die Hazienda del Arroyo geblieben. Außerdem gehörte ihm ein Quecksilberbergwerk zu eigen, über dessen Lage ich nichts Genaues erfahren hatte, man wußte nur, daß es noch weit, weit hinter der Hazienda in einer höchst unfruchtbaren Gegend liege und früher reiche Erträge gemacht habe, dann aber wegen Mangels an Arbeitern und des Herumschweifens wilder Indianer aufgegeben und verlassen worden sei.

Über den Weg, den ich heut zurücklegte, ist nichts zu sagen. Ich war allein und kam durch eine völlig uninteressante Gegend. Ich übernachtete in einem Thale, welches von kahlen Höhen eingeschlossen war, auf seinem Grunde aber doch so viel Gras trug, daß mein Pferd sich sattfressen konnte. Während mir von Ures bis hieher kein Mensch in den Weg gekommen war, hatte ich am nächsten Vormittage eine Begegnung und zwar eine unter den gegebenen Verhältnissen sehr wichtige, eine Begegnung, bei welcher leider Blut fließen sollte.

Ich ritt durch ein langes, schmales Thal, welches sich in vielen Windungen aufwärts in die Berge zog. Diese lagerten kahl und baumlos vor dem höhern Gebirge, in welchem ich die Hazienda zu suchen hatte. Sie waren felsig und besaßen so eigenartige, abenteuerliche Formen, daß ich hier und da an die fernen Bad-lands erinnert wurde. Nur selten war ein Baumkrüppel oder Strauch zu sehen, der aus einer Spalte ragte, in welcher es die Feuchtigkeit zu einem spärlichen Gedeihen für ihn gab. Ich dachte an meine Erlebnisse in jenen Bad-lands, an die Kämpfe mit den Sioux, mit denen ich dort oft zusammengeraten war; ich bildete mir ein, ihr schrilles Kriegsgeheul und die Stimmen ihrer Gewehre zu hören. Da – – war das nur die Erinnerung, die es mir vorspiegelte, oder war es die Wirklichkeit: ein Schuß war gefallen. Ich hielt mein Pferd an und horchte. Es war die Wirklichkeit, denn jetzt fiel ein zweiter und ein dritter Schuß, vor mir im Thale, hinter der nächsten Krümmung, welche dasselbe machte.

Ich trieb mein Tier an, war aber, als ich die Krümmung erreichte, nicht so unvorsichtig, um dieselbe zu biegen. Ich wollte vorher wissen, mit wem ich es zu thun hatte. Darum stieg ich ab, ließ das Pferd stehen und ging zu Fuß nach der Ecke des Felsens, um nach der andern Seite derselben zu blicken. Als ich den Hut, dessen breite Krämpe mich leicht verraten konnte, abgenommen hatte und dann den obern Teil des Kopfes bis zu den Augen vorstreckte, sah ich, daß sich jenseits des Felsens das Thal erweiterte, indem es eine Seitenschlucht aufnahm, welche rechtwinklig in dasselbe mündete. Unten, in der Sohlenmitte des Hauptthales, standen zwei Männer, die empor nach dem Felsen blickten, welcher die Ecke des Haupt- und Nebenthales bildete. Es war ein Weißer und ein Indianer. Beide hatten ihre Gewehre in den Händen. Sie legten dieselben jetzt eben an, zielten nach oben und drückten ab; die Schüsse knallten schnell hintereinander.

Auf was oder wohl gar auf wen schossen die beiden Menschen? Es standen drei Pferde in ihrer Nähe. Sie waren also zu dritt. Wo befand sich der dritte? Ich schob den Kopf weiter vor und sah nun unten, hart an der Felsenecke, drei fernere Pferde liegen, welche tot zu sein schienen, denn sie bewegten sich nicht. Über denselben, vielleicht dreißig Ellen hoch, an einer Stelle, welche nur ein guter Kletterer zu erreichen vermochte, kauerten drei Personen hinter einem Felsenvorsprunge, der ihnen Schutz gegen die nach ihnen gesandten Kugeln bot. Diese drei waren ein Weib und zwei Knaben. Vielleicht wäre der Ausdruck Jünglinge richtiger; ich konnte ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen. Sie waren nicht mit Gewehren, sondern nur mit Bogen bewaffnet, und sandten gegen ihre Angreifer zuweilen einen Pfeil herab, welcher aber immer zu kurz fiel.

Männer gegen Knaben, gegen ein unbewaffnetes Weib! Pfui! Was für Männer konnten das sein! Doch nur ehrlose Menschen! Ich war augenblicklich entschlossen, den Knaben zu Hilfe zu kommen, denn es war klar, daß es auf deren Leben abgesehen war. Um das mit möglichst wenig Gefahr für mich thun zu können, mußte ich die beiden Angreifer überrumpeln, mußte sie in einem Augenblicke überraschen, an welchem sie ihre Gewehre abgeschossen hatten. Ich ging also wieder zu meinem Pferde und stieg auf. Nachdem ich meine beiden Gewehre aus ihrer Umhüllung gezogen hatte, nahm ich den Bärentöter auf den Rücken, den Henrystutzen aber in die Hand und lockerte auch die beiden Revolver im Gürtel. Nun wartete ich. Ein Schuß fiel, gleich darauf ein zweiter, und da flog auch schon mein Pferd hinter dem Felsen hervor und auf die beiden zu. Sie sahen mich kommen und standen, ohne sich zu bewegen, so überrascht waren sie von diesem unerwarteten Erscheinen eines hier und jetzt gar nicht vermuteten Menschen.

Der Weiße war mittellang und mittelstark, trug einen leichten Anzug nach dem hier zu Lande gebräuchlichen Schnitte, und hatte sehr scharfe, ausgeprägte Gesichtszüge, die man, einmal gesehen, wohl nicht wieder vergessen konnte. Eine Pistole und ein Messer stak in seinem Gürtel, und in der Rechten hielt er die soeben abgeschossene einläufige Flinte.

Der Rote war ähnlich gekleidet, doch trug er sein Haupt unbedeckt und die Häuptlingsfeder in dem langen, schlaffen Haare. Aus seinem Gürtel ragte nur der Griff eines Messers; sein Gewehr war auch nur einläufig und soeben abgeschossen.

„Guten Morgen, Sennores!“ grüßte ich, indem ich mein Pferd vor ihnen parierte und den Stutzen in der Rechten hielt. „Was für eine Jagd treiben Sie hier? Doch nur auf Tiere?“

Sie antworteten nicht. Ich that, als ob ich erst in diesem Augenblicke die toten Pferde sähe, und fuhr fort:

„Ah! Auf Pferde schießen Sie? Und die Pferde sind gesattelt! So haben Sie es also auf die Reiter abgesehen? Wo befinden sich dieselben?“

Der Rote griff in seinen Kugelbeutel, um wieder zu laden. Der Weiße that dasselbe und antwortete dabei:

„Was geht Sie das an? Machen Sie sich davon! Sie haben sich um unsere Angelegenheiten nicht zu kümmern!“

„Nicht? Wirklich nicht? Das ist eine Ansicht, über welche sich noch streiten läßt. Wer auf seinem ehrlichen Wege Männern begegnet, welche auf Knaben und Frauen schießen, der hat wohl ein Recht, nach dem Grunde eines solchen Verhaltens zu fragen.“

„Aber welche Antwort wird er bekommen?“

„Diejenige, welche er fordert, falls er nämlich der Mann ist, seiner Frage Nachdruck zu geben.“

„Und für einen solchen halten Sie sich wohl?“ fragte der Weiße in höhnischem Tone, während der Rote kaltblütig um seine Kugel ein Pflaster wickelte, um sie dann in den Lauf zu stoßen.

„Allerdings,“ antwortete ich.

„Lassen Sie sich nicht auslachen, sondern verschwinden Sie schleunigst, sonst werden Ihnen unsere Kugeln zeigen – –“

„Eure Kugeln, Schurke?“ unterbrach ich ihn, indem ich den Lauf auf seine Brust richtete. „Fühle erst die meinigen! Weißt du, wieviel Kugeln in einem Henrystutzen stecken? Laßt augenblicklich eure Gewehre fallen, sonst fährt mein Metall euch durch die Köpfe!“

„Hen-ry-stu-tzen!“ stieß der Weiße in einzelnen Silben hervor, indem er mich mit weitgeöffneten Augen anstarrte und sein Gewehr aus der Hand gleiten ließ.

Wie kam es doch, daß dieses eine Wort „Henrystutzen“ ihm einen solchen Schrecken einjagte? Der Indianer war fern davon, ein solches Entsetzen zu fühlen. Er erwog mit kaltem Blute die Situation. Mein Lauf war nicht auf seine Brust, sondern auf diejenige des Weißen gerichtet, dennoch durfte er es nicht wagen, sein Gewehr vollends zu laden. Aber es gab doch ein Mittel, mich schnell unschädlich zu machen. Der Rote gedachte, es auszuführen; das sah ich seinen Augen an und war gefaßt darauf. Er riß nämlich mit einem blitzschnellen Griffe dem Weißen das Pistol aus dem Gürtel und schlug es auf mich an. Ebenso schnell aber hatte ich meinen Lauf gegen seine Hand gerichtet, und ehe er vermochte, den Hahn der Pistole mit dem Daumen aufzudrücken, krachte mein Schuß, und die Kugel fuhr ihm in die Hand. Er stand einen Augenblick wie erstarrt, sah auf die blutende Hand, welcher die Pistole entfallen war, dann auf mich und rief hierauf dem Weißen zu:

„Tave-schala!“

Nach diesen beiden Worten that er, ohne nach seinem Gewehre und der Pistole, welche beide am Boden lagen, zu sehen, einen Satz zu den Pferden hin, sprang auf eines derselben und jagte davon.

„Tave-schala!“ wiederholte der Weiße, welcher bis zu diesem Augenblicke unbeweglich gestanden hatte. Dann fügte er in englischer Sprache hinzu: „Alle Teufel, wo habe ich meine Augen gehabt! Der Häuptling hat recht!“

In einem Nu war er beim zweiten Pferde, im Sattel und hinter dem Roten her, sein Gewehr auch liegen lassend. Es fiel mir nicht ein, ihn oder den andern zurückzuhalten. Was hatten die beiden Worte Tave-schala zu bedeuten? Sie gehörten einer Sprache an, welche ich nicht kannte.

Als die beiden davongaloppierten, ertönte von dem Felsen herab ein dreistimmiges Jubelgeschrei. Die Frau und die beiden Knaben hatten gesehen, was geschehen war; sie sahen sich gerettet, und gaben durch diese Laute ihre Freude kund. Sie schrien und jubelten zu früh, das sah ich gerade in diesem Augenblicke von unten, während sie es von da oben aus, wo sie standen, nicht zu sehen vermochten.

Es erschien nämlich über ihnen auf der obersten Höhe des Felsens, an der Kante desselben, ein Kopf, welcher auf sie herabblickte; dann kam ein Gewehr zum Vorscheine, erst der Doppellauf desselben, und dann die Arme, welche es hielten. Der Mensch, welcher sich da oben befand, wollte auf sie zielen, auf sie schießen. Sie befanden sich in der größten, unmittelbarsten Todesgefahr. Die Worte, welche sie mir jubelnd herabgerufen hatten, gehörten der Sprache der Mimbrenjos an, welche mir, da der Apatschenhäuptling Winnetou in derselben mein Lehrmeister gewesen war, ziemlich geläufig zu Gebote stand. Darum rief ich zu ihnen hinauf:

„To sa arkonda; nina akhlai to-sikis-ta – drückt euch an die Felswand; über euch ist ein Feind!“

Sie gehorchten augenblicklich meinem Rufe und zogen sich so nahe an den Felsen zurück, daß ich sie von hier unten nicht mehr zu sehen vermochte. Der Mann da oben schien sie mit seinen Augen auch nicht mehr erreichen zu können; aber er gab seine Absicht doch nicht auf, sondern er verschwand nur für einen Augenblick und erschien an einer andern Stelle, welche kanzelähnlich weiter vorwärts lag und von welcher aus er, wie mir schien, sie doch zu sehen und mit seinen Kugeln zu treffen vermochte. Es galt, drei Menschen zu retten. Dies konnte nicht geschehen, wenn ich diesen einen schonte. Es war ein schwerer Schuß in diese Höhe hinauf. Der Stutzen reichte nicht soweit. Und traf meine erste Kugel nicht, so fand der Mann Zeit, seine Absicht auszuführen. Mein Pferd stand nicht ruhig. Ich sprang also aus dem Sattel, warf den Stutzen weg und nahm den Bärentöter vor. Eben als ich den Lauf desselben erhob, richtete der Mann den seinigen nach unten. Ein kurzes aber festes Zielen – ich drückte ab. Der Schuß krachte und hallte von den Thalwänden wider. Das alte, schwere Gewehr hatte hier eine wahre Böllerstimme. Der Körper des Mannes lag oben auf der Felsenhöhe; ich hatte nur seinen Kopf und seine Vorderarme sehen können, und auch das nicht deutlich, der großen Entfernung wegen. Es war mir, als ob der Kopf nach meinem Schusse zur Seite zucke, aber er zog sich nicht zurück, und die Arme hielten das Gewehr nach unten gerichtet. Ich schickte also eine zweite Kugel hinauf. Der Mann verschwand noch immer nicht: aber er schoß auch nicht. Darum lud ich schnell wieder. Dabei sah ich, daß meine drei Schützlinge wieder nach vorn traten, und der eine Knabe rief mir zu:

„Schießt nicht mehr; er ist tot. Wir kommen zu dir hinab.“

Es kommt vor, daß man nach einer Schlacht die Leichen von Soldaten genau in derselben Stellung findet, in welcher sie von den Geschossen getroffen worden sind. Sollte diese augenblickliche Erstarrung auch hier eingetreten sein? Ich sah die drei herunterklettern, ging auf sie zu und traf am Fuße des Felsens mit ihnen zusammen. Die Frau war eine noch junge und nach indianischen Begriffen sehr schöne Squaw. Die Knaben schätzte ich den einen auf fünfzehn und den andern auf siebzehn Jahre. Ihre Anzüge zeigten, daß sie längere Zeit unterwegs gewesen waren. Ich reichte allen dreien die Hand und fragte, da es bei den Indianern Sitte ist, sich bei solchen Veranlassungen lieber an einen Knaben, als an ein Weib zu wenden, den ältesten:

„Kanntest du eure Feinde?“

„Das Bleichgesicht nicht, aber die beiden roten Männer. Der Alte war Vete-Ya, der Häuptling der Yuma, und der andere Gaty-ya, sein Sohn.

Da ich trotz ihrer Jugend nicht so unhöflich sein wollte, sie, die vielleicht noch gar keine Namen hatten, nach ihren Verhältnissen zu fragen, so erkundigte ich mich zunächst:

„Ich kenne weder den großen noch den kleinen Mund, und habe nie von ihnen gehört. Welchen Grund hatten diese roten Männer, euch töten zu wollen?“

„Sie kamen vor vielen Monden, unsern Stamm zu überfallen und zu berauben, obgleich wir mit dem ihrigen in Frieden lebten. Wir erfuhren es zu rechter Zeit und besiegten die Yuma. Dabei wurde der Häuptling gefangen genommen. Nalgu Mokaschi, dessen Söhne wir sind, schlug ihm den Kampf der Ehre vor und besiegte ihn in demselben. Anstatt ihn darauf zu töten, ließ er ihn laufen. Das ist eine große Schande, weil es ein Beweis der Geringschätzung ist, was du wohl nicht wissen wirst, weil du ein Bleichgesicht bist.“

„Ich weiß es, denn ich kenne die Sitten und Gewohnheiten der roten Männer sehr genau. Ich habe viele Sommer und Winter mit den tapfersten Stämmen verkehrt, und auch mit dem starken Büffel, eurem Vater, die Friedenspfeife getrunken.“

„So kannst du kein gewöhnliches Bleichgesicht sein und mußt einen großen Namen haben, denn unser Vater ist ein tapferer Krieger und pflegt nur mit berühmten Männern das Calumet zu trinken.“

„Ihr werdet meinen Namen erfahren. Jetzt erzähle mir zunächst weiter, wie ihr hier mit den beiden Yumas und dem weißen Manne zusammengetroffen seid!“

„Diese Squaw ist unsere Schilla. Als sie noch Mädchen war, kam ein Häuptling der Opata, um sie zur Frau zu begehren. Der Vater erlaubte es ihr, ihm zu folgen. Wir beide sehnten uns nach ihr und machten uns auf, sie zu besuchen. Wir waren zwei Monde bei den Opata, und als wir wieder gingen, begleitete sie uns, um den Vater zu sehen.“

„Das war unvorsichtig!“

„Verzeihe! Wir leben mit allen Stämmen in Frieden; eine Schar von Opatas begleitete uns eine große Strecke, und als sie uns verließen, waren wir und sie überzeugt, daß nun an eine Gefahr nicht mehr gedacht werden könne. Die Yuma wohnen weit von hier, und wir konnten nicht ahnen, daß ihr Häuptling sich hier in der Gegend befindet. An Squaws und Knaben zieht jeder ehrliche Krieger vorüber. Der große Mund aber erkannte uns und schoß auf uns. Wir sind noch keine Krieger und haben noch keine Namen. Wir hatten nur Pfeile bei uns und konnten uns nicht wehren. Darum sprangen wir schnell von den Pferden und flüchteten uns auf den Felsen. Wir konnten uns hinter demselben verstecken, und wenn die Feinde es gewagt hätten, uns nachzuklettern, hätten wir sie mit unseren Pfeilen getötet. Dennoch wären wir verloren gewesen, wenn du uns nicht gerettet hättest; denn als der große Mund sah, daß wir vor ihren Kugeln sicher waren, sandte er den kleinen Mund, seinen Sohn, auf einem Umwege noch höher als wir zu steigen und uns von oben herab zu erschießen!“

„Und der Weiße schoß auch?“

„Ja, obwohl wir ihn nicht kannten und ihm nie etwas zuleid gethan hatten. Er gab sogar dem kleinen Mund sein Gewehr mit, weil dasselbe zwei Läufe hatte und wir mit demselben leichter und schneller getötet werden konnten. Er wird dafür sterben müssen, sobald er mir begegnet; ich habe mir sein Gesicht genau betrachtet.“

Er zog bei diesen Worten sein Messer und machte mit demselben eine Bewegung, als ob er jemandem das Herz durchbohre. Ich sah, daß es dem Knaben Ernst mit dieser Drohung war. Dabei dachte ich an die beiden Worte, welche der große Mund ausgerufen hatte, als meine Kugel seine Hand traf. Darum fragte ich:

„Ist dir vielleicht die Sprache der Yuma bekannt?“

„Wir kennen sehr viele Worte aus derselben.“

„So kannst du mir vielleicht sagen, was die Worte Tave-schala bedeuten?“

„Das weiß ich sehr wohl. Sie bedeuten die zerschmetternde Hand. Das ist der Name eines großen weißen Jägers, welcher Freund des berühmten Apatschenhäuptlings Winnetou ist. Er wird von den Bleichgesichtern Old Shatterhand genannt, und unser Vater hat einmal an seiner Seite gegen die Comantschen gekämpft und mit ihm das Calumet des Friedens und der ewigen Freundschaft getrunken. Wo hast du diese beiden Worte gehört?“

„Der große Mund rief sie aus, als ich ihm vorhin mit meiner Kugel die Hand zerschmetterte.“

„Da hast du so gethan, wie Old Shatterhand zu handeln pflegt. Er tötet keinen Feind, den er durch eine Verwundung unschädlich machen kann. Seine Kugeln gehen niemals fehl. Er sendet sie entweder aus einem Schosch-sesteh , den nur ein sehr starker Mann zu handhaben vermag, oder aus einem kurzen Gewehre, welches soviele Kugeln hat, daß er mit demselben ohne Ende zu schie – –“

Er hielt mitten im Worte inne, betrachtete mich von oben bis unten und rief dann, zu seinen Geschwistern gewendet, aus:

„Uff! Meine Augen sind blind gewesen! Dieser weiße Krieger hatte auf so weite Entfernung unsern Feind getroffen. Seht das schwere Gewehr in seiner Hand! Dort, wo er vorhin stand, liegt sein zweites Gewehr, mit welchem er die Hand des großen Mundes zerschmetterte. Dieser Häuptling hat ihn Tave-schala genannt. Mein jüngerer Bruder und meine ältere Schwester, tretet in Ehrfurcht zurück, denn wir stehen vor dem großen, weißen Krieger, von welchem unser Vater, der doch ein großer Held ist, gesagt hat, daß er nicht mit ihm verglichen werden könne!“

Das war eine indianische Redensart, eine Übertreibung, mit welcher der Knabe es allerdings aufrichtig meinte. Die drei wichen zurück und verneigten sich tief vor mir; ich aber reichte ihnen abermals die Hand und sagte:

„Ja, ich bin derjenige, den man Old Shatterhand nennt. Ihr seid die Kinder meines tapfern und berühmten Freundes, und mein Herz ist erfreut darüber, daß ich zur rechten Zeit kam, euern Todfeind von hier zu vertreiben. Seine rechte Hand ist zerschmettert, und er wird den Tomahawk des Krieges nie wieder in derselben führen können. Ihr sollt ein Andenken an den Tag haben, an welchem ihr ihn als feigen Flüchtling davonreiten sahet. Kommt mit hin zu den Pferden!“

Sie folgten mir zu der Stelle, an welcher mein Pferd stand, in seiner Nähe noch dasjenige des kleinen Mundes. Da lag mein Henrystutzen, den ich weggeworfen hatte, und da lagen auch die beiden einläufigen Gewehre und die Pistole. Ich sah, daß meine Stutzenkugel erst durch den Griff der letzteren und dann in die Faust des Roten gedrungen war, also matt; sie hatte infolgedessen eine viel bösere Wunde gerissen, als wenn sie die Hand scharf und glatt durchschlagen hätte. Die beiden Einläufer hatten den Indianern gehört. Der Weiße hatte seinen Zweiläufer nur für kurze Zeit zu dem bereits angegebenen Zweck an den kleinen Mund abgegeben und dafür die einläufige Flinte behalten. Die Beute gehörte natürlich mir. Ich schenkte jedem der Knaben eine der Flinten und dem älteren die Pistole dazu. Sie waren jedenfalls entzückt darüber, denn ein Indianerknabe bekommt sonst kein Feuergewehr, nahmen sie aber schweigend entgegen, da ein Roter nicht nur den Schmerz, sondern auch die Freude zu beherrschen wissen muß.

Das Pferd des kleinen Mundes war ein schönes Tier; ich schenkte es der jungen Squaw, welche sich an den Männersattel nicht zu kehren brauchte, weil die Indianerfrauen wie die Männer zu Pferde sitzen.

Nun ging es zu den drei erschossenen Pferden, welche, wie schon erwähnt, nahe am Felsen lagen. Die Angreifer hatten sich nicht nach dieser Stelle getraut, da sie hier von den Pfeilen der Knaben erreicht worden wären. Aus diesem Grunde fehlte nichts von dem, was die Pferde getragen hatten. Es waren Geschenke an die Knaben von ihrem Schwager und auch solche, welche die Squaw für ihren Vater mitgenommen hatte. Die Gegenstände mußten ebenso wie Sattel- und Zaumzeug mitgenommen werden.

Nun wollte ich nach der Höhe des Felsens, um nach dem kleinen Mund zu sehen. Die Knaben baten mich, mitgehen zu dürfen; die Squaw blieb als Wächterin unten im Thale. Wir fanden mit Leichtigkeit die Spuren des Häuptlingssohnes, also den Weg, den er gegangen war. Als wir oben ankamen, bot sich uns ein schauerlich interessanter Anblick. Der Tote lag lang ausgestreckt auf dem Bauche; sein Kopf ragte über die Kante des Felsens hinaus; seine beiden Arme hingen bis an die Ellbogen über dieselbe hinab, und die Hände hielten das Doppelgewehr so fest, daß es nicht hatte hinabfallen können. Ich bog mich vor, um mich zunächst des Gewehres zu versichern, und zog dann die Leiche von der Felsenkante zurück.

„Uff, uff!“ riefen da die beiden Knaben, indem sie nach dem Kopfe des Erschossenen deuteten. Meine Kugeln waren dem Manne beide durch den Kopf gegangen, ein Zufall, welcher bei dieser Höhe und Entfernung gar nicht günstiger hätte sein können, jedenfalls aber später an allen Lagerfeuern als eines meiner Wunderwerke ausposaunt wurde.

Was der Tote bei sich trug, durften die Knaben für sich nehmen. Die Leiche ließen wir liegen. Dann stiegen wir wieder hinab. Wir hatten beiderseits keinen Grund, uns länger in dieser Gegend aufzuhalten, zumal zu erwarten stand, daß die beiden Flüchtlinge wiederkehren würden, um nach dem kleinen Mund zu suchen.

Der große Mund hatte sehr wahrscheinlich angenommen, daß sein Sohn mich von oben sehen und sich schnell in Sicherheit bringen werde. Er wartete jedenfalls irgendwo auf ihn. Kam der Sohn nicht, so kehrte der Vater zurück, fand die Leiche, und ich konnte mich dann darauf gefaßt machen, einen unerbittlichen Todfeind hinter mir her zu haben.

Natürlich hätte ich gar zu gern gewußt, wer der weiße Gefährte des großen Mundes war. Das Doppelgewehr war das Eigentum dieses Mannes gewesen. Ich betrachtete es also genau und fand zwei Buchstaben, nämlich ein R und ein W in den unteren Teil des Kolbens eingeschnitten. R war wohl der Anfangsbuchstabe des Vor- und W derjenige des Familiennamens. Ich mußte sofort an den Namen Weller denken. Weller hieß ja der Vater des Kajütenwärters. Dieser Mann war vorgestern abend mit einem Indianerhäuptling bei dem Mormonen Melton gewesen. Das stimmte ja ganz außerordentlich! Gar kein Zweifel, der große Mund war jener Häuptling, und der Weiße, den ich vorhin mit in die Flucht getrieben hatte, war der vorgestrige Unbekannte, welcher den Mormonen mit „Bruder“ angeredet hatte. Jedenfalls war der kleine Mund auch mit dabei gewesen. Daß ich heute und hier auf sie gestoßen war, konnte mich nicht wundern, denn das Thal lag in der Richtung nach der Hazienda del Arroyo, welcher jawohl der Anschlag galt, den man vorgestern abend abgekartet hatte. Traf ich mit diesen Gedanken das richtige, so war weiter zu folgern, daß sich eine Schar von Yumas in der Nähe befand, welche die beiden Flüchtlinge aufsuchen und herbeiholen würde. Es galt also, das Thal ohne weiteren Aufenthalt zu verlassen, um baldigst nach der Hazienda zu gelangen.

Die letztere lag eigentlich nicht genau in der Richtung, welche die drei roten Geschwister einzuhalten hatten; sie entschlossen sich jedoch leicht zu diesem Abstecher, da sie hofften, dort Ersatz für die zwei nun fehlenden Pferde zu finden. Die Squaw bestieg das Pferd, welches ich erbeutet und ihr geschenkt hatte, und ich das meinige. Die Knaben mußten gehen. Gern hätte ich ihnen mein Tier abgetreten und wäre gelaufen, wenn sich das mit „Old Shatterhands“ Würde hätte vereinbaren lassen. Auch wäre es ihnen nicht im Traume eingefallen, ein solches Anerbieten anzunehmen. Übrigens waren die zwei Pferde ziemlich bepackt, da sie außer uns auch die bereits oben erwähnten Gegenstände tragen mußten.

Ich ritt voran; die drei folgten mir in einiger Entfernung. Es wäre mir nicht unangenehm gewesen, mich mit ihnen unterhalten zu können; aber ein Krieger meines Schlages durfte unmöglich mit einer Squaw und zwei Knaben plaudern! Der ganze Stamm der Mimbrenjo-Apatschen, dem sie angehörten, hätte darüber sämtliche Hände über sämtliche Köpfe zusammengeschlagen.

Wenn man mir in Ures gesagt hatte, daß es von dort aus bis zur Hazienda eine gute Tagereise sei, so war dabei wohl die Absicht, mir das Herz nicht schwer zu machen, maßgebend gewesen. Der Mittag kam und ging vorüber, und erst am Nachmittage sah ich die bewaldeten Berge vor mir liegen, welche man mir beschrieben hatte. Die Kühle, welche unter den Bäumen herrschte, that uns unendlich wohl nach der glühenden Hitze, in welcher wir seit Vormittag förmlich geschmort hatten. Die Beschreibung des Weges, nach welcher ich mich richtete, ließ mich keinen Augenblick im Stiche, nur daß die Zeit viel zu kurz angegeben gewesen war. Wir erreichten zwei Stunden vor Abend den kleinen See, in welchen der Arroyo mündete. Da sah ich wieder einmal, was Indianer auszuhalten vermögen. Die beiden Knaben waren nicht ein einziges Mal hinter mir zurückgeblieben, und nichts ließ vermuten, daß sie durch die weite Fußtour angegriffen seien. Ich wäre wohl gern am Bache abgestiegen, um einen kühlen Trunk zu thun, wenn ich mich nicht hätte vor ihnen schämen müssen, die keinen Blick für die glitzernden Wellen und kein Ohr für das liebe Rauschen derselben zu haben schienen.

Der See lag am untern Ende eines dichtbewaldeten Thales, welches sich weiter aufwärts ansehnlich verbreiterte, bis man wohl eine halbe Stunde zu gehen hatte, um von einer Seite nach der andern zu kommen. Hüben und drüben vom Walde eingefaßt, bildete es eine saftig grüne Wiese, deren Gras- und Blumenteppich oft durch blühendes Buschwerk unterbrochen wurde. Hier weideten zahlreiche Rinder und Pferde, welche von berittenen und unberittenen Hirten bewacht wurden, doch sah man gleich mit dem ersten Blicke, daß dieser Leute nicht genug vorhanden waren. Sie kamen herbei, uns freundlich zu begrüßen, und ich erfuhr von ihnen, daß Melton mit seiner Arbeiterkarawane noch nicht angekommen sei. Meine frühere Ankunft war übrigens gar kein Wunder, da der Marsch des Mormonen wegen der schweren Wagen nur ein langsamer sein konnte.

Weiter oben hörten die Weiden auf, um Feldern Platz zu machen. Ich sah Baumwolle und Zuckerrohr in langen, breiten Pflegen stehen. Dazwischen gab es Indigo, Kaffee, Mais und Weizen, doch das alles in einem Zustande, welcher erkennen ließ, daß es an Arbeitshänden mangelte. Dann kam ein großer Garten, in welchem alle Obstbäume Europas und Amerikas vertreten waren, aber ein sehr verwildertes Aussehen hatten, so daß es einem fast wehe thun mochte. Und als wir an diesem Garten vorüber waren, sahen wir endlich die Gebäude der Hazienda vor uns liegen.

Die größeren Hazienden und Estanzien sind in jenen Gegenden wegen der Unsicherheit der dortigen Verhältnisse meist festungs- oder fortähnlich angelegt. Wo es genug Steine giebt, umschirmt man die Wohnungen mit einer Mauer, welche etwaige Angreifer nicht zu übersteigen vermögen. Ist dieses Material nicht vorhanden, so legt man dicke und dichte Zäune von Kakteen und anderen Stachelpflanzen an, welche man so hoch wie möglich wachsen läßt und gewöhnlich auch für ihren Zweck erfüllend hält. Ein intelligenter Angreifer aber wird einen solchen Zaun keineswegs für ein unbesiegbares Hindernis ansehen.

Die Hazienda del Arroyo lag im Gebirge; es waren also so viele Steine vorhanden, daß ich mich eigentlich eines falschen Ausdruckes bedient habe, als ich sagte, wir hätten die Gebäude der Hazienda vor uns liegen sehen. In Wirklichkeit sahen wir nur das platte Dach des Hauptgebäudes, während alles andere hinter einer Mauer verborgen lag, welche eine Höhe von wenigstens 5 Meter hatte. Sie schloß ein großes, regelrechtes Viereck ein, dessen Seiten genau nach den vier Himmelsrichtungen lagen. Dieses Viereck wurde von dem Bache in der Weise durchflossen, daß er unter der nördlichen Mauer hereintrat und die Hazienda unter der südlichen wieder verließ. Wie ich später sah, stand das aus dem Parterre und einem Stockwerke bestehende Hauptgebäude ziemlich in der Mitte hart an dem Bache, über welchen nach Westen hin, wo sich das große Thor in der Mauer befand, eine Brücke führte. Außerdem gab es innerhalb der Mauer kleinere Häuschen, in denen die jetzigen Bediensteten wohnten und die zu erwartenden Arbeiter untergebracht werden sollten, ein niedriges, langgestrecktes Magazin zur Aufnahme der Feld- und Gartenfrüchte und mehrere offene Schuppen, welche nur aus hölzernen Säulen und den auf denselben ruhenden Dächern bestanden, unter denen die gefährdeten Tiere bei einem etwaigen Überfalle innerhalb der Mauern untergebracht werden sollten. Das große Thor bestand aus sehr starkem Holze und war innen und außen mit Eisenblech beschlagen.

Da wir von Süden kamen, mußten wir um die südwestliche Ecke des Mauerquadrates biegen und der westlichen Seite entlang reiten, bis wir an das Thor gelangten. Die beiden Flügel desselben standen offen, so daß uns nichts hinderte, in den Hof zu gelangen. Derselbe machte trotz der Gebäude, welche dastanden, den Eindruck der Einsamkeit, der Leere. Es gab eben auf der Hazienda nicht so viel Personen, wie eigentlich notwendig waren. Unsere Augen trafen keinen Menschen.

Wir stiegen ab. Ich gab mein Pferd dem einen Indianerknaben zum halten und wendete mich nach der Brücke, um in das Herrenhaus zu gehen. Eben als ich die Brücke überschritt, wurde die Hausthüre geöffnet und in derselben erschien ein Mann, dessen aufgedunsenes, blatternarbiges Gesicht keinen angenehmen Eindruck auf mich machte. Ich besitze gar kein Vorurteil gegen Blatternarben; sie gereichen dem Gesicht nicht zur Zierde, das ist wahr, aber der beste Mensch kann an den Blattern erkrankt gewesen sein. Hier jedoch bildeten die Narben den letzten Ton im vielstimmigen Mißakkorde. Das Gesicht wäre auch ohne sie abstoßend gewesen. Der Mann sah mich von oben her an und rief mir zu:

„Bleib‘ stehen! Über die Brücke dürfen nur Caballeros. Was willst du hier?“

Ich ging trotz dieser Worte weiter. Als ich die Brücke hinter mir hatte und nun vor ihm stand, antwortete ich:

„Ist Sennor Timoteo Pruchillo daheim?“

„Sennor! Er wird Don genannt. Das magst du dir merken. Den Titel Sennor führe ich. Ich bin nämlich Sennor Adolfo, der Major domo dieser Hazienda. Es ist mir alles unterthan.“

„Auch der Haziendero?“

Er wußte nicht gleich, wie er antworten sollte, warf mir einen vernichtend sein sollenden Blick zu und sagte:

„Ich bin seine rechte Hand, der Ausfluß seiner Gedanken und die Verkörperung seiner Wünsche. Also er ist Don und ich bin Sennor. Verstanden?“

Ich gestehe, daß ich große Lust verspürte, grob zu werden; aber die Rücksicht auf die Verhältnisse und meine alte Gutmütigkeit veranlaßten mich zu den im höflichsten Tone gesprochenen Worten:

„Ganz wie Sie befehlen, Sennor. Wollen Sie also die Güte haben, mir mitzuteilen, ob Don Timoteo zu Hause ist?“

„Er ist da!“

„Und also wohl auch zu sprechen?“

„Nein; für solche Leute nicht. Wenn du eine Bitte hast, so bin ich allein der Mann, dem du sie vorzutragen hast. Sage mir also endlich, was du willst.“

„Ich bitte für diese Nacht um ein Obdach für mich und die drei indianischen Geschwister, mit denen ich gekommen bin.“

„Obdach? Wohl gar auch Essen und Trinken? Das fehlte noch! Da draußen, jenseits der Grenzen der Hazienda, giebt es Platz genug für solches Gesindel; macht euch schleunigst fort, und zwar nicht nur aus den Mauern hinaus, sondern auch über unsere Grenze hinüber! Ich werde einem Hirten befehlen, euch zu folgen und euch augenblicklich niederzuschießen, wenn ihr Miene macht, euch diese Nacht innerhalb unserer Besitzung aufzuhalten!“

„Das ist hart, Sennor! Bedenken Sie, daß in wenigen Minuten der Abend hereinbrechen wird und wir dann – –“

„Schweig!“ unterbrach er mich. „Du bist zwar ein Weißer, aber man sieht dir doch augenblicklich an, welch ein Subjekt du bist. Und nun gar die Roten! Unsere Hazienda ist keine Herberge für Räuberbanden!“

„Gut, ich gehe, Sennor. Ich habe noch gar nicht gewußt, daß ich so ein Spitzbubengesicht besitze, und Sennor Melton, welcher mir die Stelle des Tenedor de libros auf dieser Hazienda zugesagt hat, ist wohl schwerlich der Meinung gewesen, daß dieses Engagement für Sie so gefährlich ist.“

Ich drehte mich um und schritt langsam über die Brücke zurück. Da rief er mir nach:

„Sennor Melton? Tenedor de libros! Um des Himmels willen, wo wollen Sie denn hin? Bleiben Sie doch! Kommen Sie – kommen Sie!“

Und als ich dieser Aufforderung nicht Folge leistete, sondern weiter ging, kam er mir nachgesprungen, ergriff meinen Arm, hielt mich fest und versicherte mir:

„Wenn Sennor Melton Sie schickt, so darf ich Sie nicht fortlassen. Sie geben wohl zu, daß ihr Anzug kein Vertrauen erwecken kann, und wenn Sie sich nur einmal genau im Spiegel betrachten wollten, so würden Sie unbedingt einsehen, daß Ihr Gesicht sehr verschieden von demjenigen eines ehrlichen Menschen ist; doch Kleider sind zuweilen nicht maßgebend, und es mag ja auch einmal vorkommen, daß ein Mann mit einem Diebesgesicht noch nicht gestohlen hat. Und wenn dazu noch der Umstand kommt, daß Sie von Sennor Melton geschickt worden sind, so stellt es sich möglicherweise doch noch heraus, daß Sie eine Person sind, vor welcher man sich nicht zu hüten braucht. Also bleiben Sie, bleiben Sie!“

Was sollte ich von diesem Major domo denken? War er närrisch? Hatte er, wie man sich auszudrücken pflegt, einen Klapps? Es widerstand mir, dies anzunehmen. Der Ausdruck seines Gesichtes war ein so verschlagener und der Blick seiner kleinen Augen ein so tückisch-listiger, daß es sich nicht bloß um eine kleine, unschädliche Manie handeln konnte. Dennoch machte ich keine Bemerkung darüber, daß er mich Du genannt hatte und jede seiner Bemerkungen eine Beleidigung für mich sein mußte, und fragte so höflich wie bisher:

„Erstreckt sich Ihre Einladung auch mit auf meine Begleiter?“

„Diese Frage kann ich noch nicht beantworten, da ich mich vorher bei Don Timoteo erkundigen muß.“

„Ich denke, dessen bedarf es nicht, da nach Ihren eigenen Worten nur Sie es sind, an den man sich in dieser Angelegenheit zu wenden hat!“

„Ja, wenn es sich um eine Abweisung handelt, und ich habe Sie ja abgewiesen. Nun ich Sie aber aufgefordert habe, zu bleiben, und Sie verlangen, daß wir auch die Roten hier behalten, muß ich doch vorher mit Don Timoteo sprechen. Warten Sie hier! Ich werde Ihnen in kurzer Zeit Bescheid sagen.“

Da ich mit ihm wieder zurückgegangen war, befanden wir uns jetzt vor der Thüre. Er wollte eintreten, und ich sollte außerhalb auf ihn warten. Da schüttelte ich denn doch mit dem Kopfe und entgegnete ihm:

„Ich gehöre nicht zu einer Gesellschaftsklasse, deren Angehörige man vor den Thüren herumlungern läßt. Ich gehe mit Ihnen hinein, und Sie werden mich sogar vorantreten lassen.“

Bei diesen Worten schritt ich durch die Thüre, und er folgte hintendrein, ohne ein Wort zu sagen. Als ich mich dann nach ihm umblickte, sah ich, daß auf seinem Gesichte der Zorn mit der Verblüfftheit kämpfte. Er winkte nach einer Thüre und verschwand hinter derselben, während ich vor derselben stehen blieb. Nach kurzer Zeit kam er heraus und gab mir durch eine Handbewegung zu verstehen, daß ich eintreten solle.

Der Flur des Hauses war niedrig, aber breit. Die Thüren, welche ich zu beiden Seiten desselben sah, waren aus glattgehobelten Brettern zusammengefügt und nicht mit einem Farbenanstriche versehen, einfache Stallthüren nach unsern Begriffen. Ganz dieselbe Einfachheit wies das Zimmer auf, in welchem ich mich nun befand. Es hatte zwei sehr kleine Fenster mit schmutzigen, halb erblindeten Scheiben, die einzigen Glastafeln, welche es im Hause gab. An der einen Wand stand ein gefirnißter Tisch. Drei rohe Stühle, welche sicherlich kein Kunsttischler zusammengefügt hatte, leisteten ihm Gesellschaft. In einer Ecke hing eine Hängematte. Drei der mit Kalk getünchten Wände waren vollständig kahl; an der vierten hingen verschiedene Waffen. Viel weniger anspruchslos war das Äußere des Mannes, welcher sich bei meinem Eintritte von einem der Stühle erhob, um mich aus seinen dunklen Augen halb erstaunt und halb neugierig zu betrachten. Er war so elegant gekleidet, daß er nur zu Pferde zu steigen brauchte, um sich auf einem der berühmten Spaziergänge der Hauptstadt Mexiko bewundern lassen zu können.

Sein Anzug bestand aus dunklem Sammet und war an allen Nähten mit goldenen Borten und Schnüren verbrämt. Sein Gürtel war durchweg aus breiten, silbernen Ringen zusammengesetzt und trug ein Messer und zwei mexikanische Pistolen, deren Griffe eine teure, eingelegte Arbeit zeigten. Der breitkrämpige Hut, welcher auf dem Tische lag, war aus den feinsten Carludovica palmata-Blättern gefertigt und von so künstlichem Geflechte, daß er sicherlich nicht unter fünfhundert Mark gekostet hatte, und die beiden Sporen an den Füßen des Haziendero trugen Räder, welche aus nordamerikanischen goldenen Zwanzigdollarstücken gezahnt worden waren.

Einer solchen eleganten Erscheinung gegenüber mußte ich allerdings wie ein Vagabund aussehen. Darum wunderte ich mich auch gar nicht, als der Haziendero sich mit der wohlgepflegten Hand den tiefschwarzen Vollbart strich, die Brauen zusammenzog und dann, nicht wie zu mir, sondern zu sich selbst, im Tone der Verwunderung sagte:

„Man meldet mir einen Tenedor de libros, und wer kommt da herein? Ein Mensch, der – –“

„Der ganz wohl im stande ist, die Stelle eines Tenedor de libros auszufüllen, Don Timoteo,“ unterbrach ich ihn.

Sein aufgedunsener „Sennor Adolfo“ draußen hatte grob sein können, ohne mich dadurch zu beleidigen; aber von dem Besitzer selber durfte ich keine Unhöflichkeit dulden. Darum fiel ich ihm mit diesen nachdrucksvoll betonten Worten in die Rede. Er warf in scherzhaftem Schreck den Kopf zurück, musterte mich noch einmal und meinte dann mit einem Lächeln der Belustigung:

„Ah, man ist empfindlich. Wer und was ist man denn eigentlich?“

Er redete mich mit dem unbestimmten Fürworte „man“ an. Sollte ich mich da beleidigt zeigen? Er sah nicht wie ein Geldprotz, sondern viel eher wie ein jovialer, gut situierter Caballero aus, welcher geneigt ist, sich mit einer gewöhnlichen Person ein wenig die Zeit zu vertreiben.

„Man ist vieles, wovon Sie keine Ahnung haben, Don Timoteo,“ antwortete ich mit genau demselben Lächeln, welches er mir gezeigt hatte, „und man kann so ein bedeutender und wichtiger Mann für Sie werden, daß Sie alle Ursache haben, sich dazu, daß man zu Ihnen gekommen ist, Glück zu wünschen.“

„Cielo!“ lachte er jetzt laut. „Kommt man etwa, mir anzuzeigen, daß ich als Beherrscher von ganz Mexiko ausgerufen worden bin?“

„Ganz das Gegenteil. Ich komme, Ihnen zu sagen, daß Sie in kurzer Zeit höchst wahrscheinlich nicht mehr der Beherrscher Ihrer kleinen Hazienda sein werden.“

„Schön!“ lachte er noch immerfort, indem er sich wieder niedersetzte und auf den zweiten Stuhl deutete. „Man setze sich! Aus welchem Grunde wollen meine paar Unterthanen mich vom Throne stoßen?“

„Davon später. Lesen Sie zunächst einmal dieses!“

Ich reichte ihm aus meiner Brieftasche die Legitimationskarte, welche ich mir von dem mexikanischen Konsul in San Franzisco hatte ausstellen lassen. Als er sie gelesen hatte und mir zurückgab, war der humoristische Ausdruck seines Gesichtes verschwunden.

„Ich habe natürlich anzunehmen, daß Sie der rechtmäßige Besitzer dieser Legitimation sind?“ fragte er.

„Natürlich! Vergleichen Sie gefälligst meine Person mit dem Signalement!“

„Habe schon gesehen, daß es stimmt, Sennor. Aber was führt Sie zu mir? Warum lassen Sie sich als meinen Tenedor de libros anmelden?“

„Weil Melton mir diese Stelle zugesichert hat.“

„Davon weiß ich nichts. Ich brauche ja gar keinen Buchhalter, Die wenigen Tropfen Tinte, welche es hier auf meiner Hazienda zu verschreiben giebt, verwüste ich mit meiner eigenen Feder und mit meiner eigenen Hand.“

„Das habe ich mir allerdings gedacht!“

„Und dennoch sind Sie gekommen?“

„Dennoch, und zwar mit gutem Grunde. Es ist ein so wichtiger, daß ich Sie bitten muß, Sie hinsichtlich dessen, was ich Ihnen mitteilen werde, um Ihre Verschwiegenheit zu ersuchen.“

„Das klingt ja ganz geheimnisvoll! Ganz so, als ob eine Gefahr für mich vorhanden wäre!“

„Ich bin allerdings überzeugt, daß so etwas im Anzuge ist.“

„Dann sprechen Sie, bitte, schnell!“

„Zunächst Ihr Wort, daß von dem, was ich Ihnen mitteilen werde, wenigstens für die nächste Zeit kein Dritter etwas erfährt!“

„Ich gebe es Ihnen. Ich werde schweigen. Nun reden Sie!“

„Melton ist von Ihnen beauftragt, Ihnen deutsche Arbeiter zuzuführen?“

„Ja.“

„Wer hat diese Angelegenheit eingeleitet, das heißt, von Anfang an betrieben? Sie selbst oder er?“

„Er. Er hat mich auf die großen Vorteile aufmerksam gemacht, welche mir aus einem Engagement von deutschen Auswanderern erstehen würden, und da er sich zu gleicher Zeit anbot, alles zu besorgen, so habe ich ihm meine Vollmacht erteilt.“

„Kannten Sie ihn so genau, daß Sie das thun konnten?“

„Ja. Warum diese Frage?“

„Weil ich wissen möchte, ob Sie ihn für einen ehrlichen Mann halten.“

„Natürlich halte ich ihn dafür. Er ist ein Ehrenmann durch und durch und hat mir schon bedeutende Dienste erwiesen.“

„So kennen Sie ihn schon längere Zeit?“

„Seit Jahren. Er wurde mir von einer Seite empfohlen, wo jedes Wort für mich von Gewicht ist, und hat bis heute mein vollstes Vertrauen besessen. Sie scheinen ihn anders zu beurteilen?“

„Ganz anders!“

„Wahrscheinlich hat er Sie auf irgend eine Weise beleidigt, so daß Sie nun ein Vorurteil gegen ihn hegen.“

„Nein. Er ist im Gegenteile sehr zuvorkommend, sehr freundlich gegen mich gewesen. Lassen Sie sich erzählen!“

Er machte es sich auf seinem Stuhle mit dem Ausdrucke der größten Spannung bequem, und ich teilte ihm mit, was ich in und seit Guaymas erlebt, beobachtet und aus diesen Erlebnissen und Beobachtungen geschlossen hatte. Er hörte mir zu, ohne ein Wort zu sagen, oder eine Miene zu verziehen; aber als ich geendet hatte, ging über sein Gesicht ein ganz fatal ironisches Lächeln, und er fragte, mich ungläubig von der Seite her fixierend:

„Sie erzählen mir wirkliche Thatsachen?“

„Kein einziges Wort zu viel!“

„Ich ersah aus der Karte, welche Sie mir zeigten, daß Sie Berichte für eine Zeitung zu schreiben hatten. Haben Sie vielleicht schon einmal eine Novela geschrieben?“

„Ja.“

Da sprang er auf und rief lachend aus:

„Habe es mir doch gleich gedacht! Es konnte gar nicht anders sein! So ein Autor oder Romancero erblickt überall Dinge, welche nur in seiner Phantasie existieren! Melton, der feinste, der ehrenwerteste, ja sogar der frömmste Caballero, den ich kenne, soll ein Schurke sein! Das kann allerdings nur ein Mann behaupten, welcher in Regionen lebt, von denen wir gewöhnlichen Sterblichen keine Ahnung haben. Sennor, Sie machen mir Spaß, großen und vielen Spaß!“

Er schritt im Zimmer auf und ab, rieb sich vergnügt die Hände und lachte dabei wie einer, der sich aufs köstlichste amüsiert. Ich wartete eine Pause in seinem Gelächter ab und bemerkte gleichmütig.

„Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich durch meine Erzählung so vortrefflich unterhalten fühlen, und wünsche nur, daß ihr jetziges Amüsement sich nicht später in eine bittere Enttäuschung verwandelt!“

„Keine Sorge, machen Sie sich keine Sorge um mich, Sennor! Sie sehen gefährliche Elefanten, wo es nicht die unschädlichste Mücke giebt.“

„Aber jener Weller, der Kajütenwärter?“

„Heißt Weller und ist Kajütenwärter, weiter nichts!“

„Und seine Unterredung mit dem Mormonen?“

„Haben Sie falsch gehört. Ihre Phantasie hat unbegreifliche Ohren!“

„Und sein Vater, welchen der Mormone im Gebüsch aufsuchte?“

„Existiert eben auch nur in Ihrer Einbildung. Daß er Weller senior sei, vermuten Sie ja nur!“

„Und die Anwesenheit des Indianerhäuptlings?“

„Wird sich als ein höchst einfacher und unbedenklicher Umstand oder Zufall herausstellen.“

„Dann aber meine Begegnung mit dem Häuptlinge der Yuma und dem Weißen, dessen Gewehr mit R W gezeichnet ist?“

„Geht mich nichts an, gar nichts. Es giebt tausend Namen, welche mit dem Buchstaben W beginnen. Warum muß es da gerade Weller sein! Was hatten Sie sich überhaupt in den Kampf zu mischen? Die Sache ging Sie gar nichts an. Danken Sie Gott, daß Sie so heiler Haut davongekommen sind! Ein Escriter ist nicht der Mann, mit Indianern zu kämpfen. Das soll er uns überlassen, die wir in wilder Gegend wohnen, die Roten kennen, und mit den Waffen umzugehen verstehen!“

Ich nahm an, daß der Haziendero den Namen Old Shatterhand nicht kannte, und hatte denselben darum während meiner Erzählung nicht erwähnt. Jetzt, wo ich geradezu ausgelacht wurde, fiel es mir auch nicht ein, das Unterlassene nachzuholen, denn es war zehn gegen eins zu wetten, daß er mir auch da keinen Glauben schenken würde. Er war ein körperlich schöner, geistig aber sehr gewöhnlicher Mann, dem meine ganz logischen Schlüsse als Phantastereien erschienen. Ich sah ein, daß es mir nicht gelingen werde, sein Vertrauen zu Melton zu erschüttern, und daß ihm die Richtigkeit meiner Vermutungen nicht durch Worte, sondern nur durch Ereignisse zu beweisen sei. Darum gab ich es auf, ihn zu meinen Ansichten zu bekehren und wiederholte nur meine Bitte um Verschwiegenheit, welche er, wieder unter Lachen, mit der Versicherung beantwortete:

„Was das betrifft, so brauchen Sie sich nicht bange sein zu lassen, denn ich habe keine Lust, mich zu blamieren. Sennor Melton würde mich für verrückt halten, da er unmöglich glauben könnte, daß ich eine solche Dummheit einem anderen nachsprechen würde; er müßte also annehmen, daß dieselbe in meinem eigenen Kopfe entstanden sei. Ich werde also über alles schweigen. Nur über eins muß ich noch mit Ihnen sprechen. Wie steht es mit Ihrer Anstellung als Buchhalter? Melton hat Sie Ihnen wirklich versprochen?“

„Ja.“

„Unglaublich, geradezu unglaublich! Er weiß ja ebensogut wie ich, daß ich keinen Buchhalter brauche.“

„So hat er nur die Absicht gehabt, mich mit diesem Versprechen hierher zu locken.“

„Wozu? Was sollten Sie hier?“

„Weiß ich es?“

„Da haben Sie es! Sie haben nur Behauptungen, aber kein Wissen. Ich nehme an, daß dieser Buchhalter eben auch nur in Ihrer Phantasie existiert.“

„Damit erklären Sie mich für einen verrückten Menschen, Don Timoteo!“

„Nun, für verrückt halte ich Sie nicht, aber irgend ein Rädchen geht in ihrem Kopfe schneller, als es eigentlich laufen sollte. Ich gebe Ihnen den Rat, sich in einer Heilanstalt untersuchen zu lassen, denn vielleicht ist es jetzt noch Zeit, das übrige Räderwerk zu retten.“

„Danke, Don Timoteo! Der Kopf arbeitet bei dem einen ganz naturgemäß schneller als bei dem andern, woraus die komische Situation erfolgen kann, daß dieser andere dem einen allzu große Phantasie und dieser eine dem andern allzu große Denkfaulheit vorwirft. Auf den Buchhalter verzichte ich. Es ist überhaupt von vorn herein nicht meine Absicht gewesen, auf diese Anstellung zu reflektieren.“

„Das ist mir lieb, Sennor, denn da Sie von Denkfaulheit reden, sehe ich ein, daß Sie möglichst schlecht zu mir gepaßt hätten. Wann reisen Sie wieder ab?“

„Mit Ihrer Erlaubnis morgen früh.“

„Ich gebe Ihnen diese Erlaubnis schon heute, gleich in diesem Augenblicke.“

„Das heißt, Sie weisen mich zu Ihrem Thor hinaus?“

„Nicht nur zum Thore hinaus, sondern über meine Grenze.“

„Don Timoteo, das ist eine Härte, welche allen Gepflogenheiten des Landes widerspricht!“

„Thut mir leid! Sie selbst sind schuld daran! Diese scheinbare Härte ist nichts als eine Vorsichtsmaßregel, welche Ihnen beweisen kann, daß ich denn doch nicht so denkfaul bin, wie Sie angenommen haben. Sie warnten mich vor einem Indianerüberfall, welcher nur in Ihrer Einbildung vorhanden ist; er würde nur dann, und zwar sofort, zur Wirklichkeit werden, wenn ich Sie und Ihre Begleiter bei mir behielte. Sie haben den Sohn des Häuptlings der Yuma erschossen und werden von dem Häuptling unbedingt verfolgt. Behalte ich Sie bei mir, so habe ich ihn und seinen Stamm augenblicklich auf dem Halse. Sie sehen also wohl ein, daß ich Sie fortschicken muß!“

„Wenn Sie damit meinen, daß Sie Ihren Voraussetzungen gemäß handeln, so widerspreche ich nicht und werde also gehen.“

„Wem gehört das Pferd, welches Sie ritten?“

„Melton stellte es mir in Lobos zu Verfügung.“

„So gehört es mir, und Sie werden es hier zurücklassen. Da Sie vorhin davon sprachen, daß Ihre Begleiter nur deshalb hierher gekommen sind, um sich möglicherweise beritten zu machen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen kein Pferd überlassen kann. Ich würde Ihnen auch ohne Geld, welches Sie jedenfalls nicht haben, einige Tiere geben, denn die Mimbrenjos sind ehrliche Leute und würden bald einen Boten senden, um mir die Pferde wieder zu bringen oder irgend eine Bezahlung anzubieten; aber ich darf Sie nicht unterstützen, da ich mir sonst die Yuma zu Feinden machen würde.“

„Die Vorsicht, mit welcher Sie verfahren, ist nur lobenswert, Don Timoteo. Ich habe nur noch zu fragen, wie man gehen muß, um baldigst über Ihre Grenze zu kommen.“

„Was das betrifft, so werde ich Ihnen einen Führer mitgeben, da Sie sonst durch Ihre Phantasie leicht irre geleitet werden könnten. Sie sehen, wie besorgt ich um Sie bin!“

„Vielleicht ist es mir dafür vergönnt, einmal besorgt um Sie zu sein. Ich bin ein dankbarer Mensch.“

„In diesem Falle nicht nötig. Ich verzichte auf Ihre Dankbarkeit, denn ich wüßte wirklich nicht, wie ein armer Teufel, der nicht einmal ein Pferd besitzt, mir, dem reichen Haziendero, erkenntlich sein könnte.“

Er klatschte in die Hände, worauf der Major domo so schnell erschien, daß er draußen an der Thüre stehen geblieben sein mußte, um unsere Unterhaltung zu belauschen. Als der aufgedunsene „Sennor Adolfo“ den Auftrag erhalten hatte, uns über die Grenze schaffen zu lassen und darauf zu sehen, daß mein Pferd zurückbleibe, verließ ich das Zimmer, und er kam hinter mir drein. Draußen vor der Hausthüre sagte er in hämischem Tone lachend zu mir:

„Mit dem Tenedor de libros war es also nichts! Du bist das, wofür ich dich gleich gehalten habe, ein Vaga – –“

„Und du bist der größte Schafskopf, der mir jemals vorgekommen ist,“ unterbrach ich ihn, „sollst aber für dein freundschaftliches Hablarle de tu eine Anerkennung bekommen. Hier hast du sie!“

Ich gab ihm erst auf seine linke Wange eine Ohrfeige, daß er nach rechts taumelte, und dann auf die rechte Backe eine doppelt kräftige, sodaß er nach links zu Boden stürzte. Vielleicht hätte ich das nicht gethan, aber ich sah, daß der Haziendero sein Fenster geöffnet hatte, an welchem er stand, um meinen Abzug anzusehen. Er hatte jedenfalls die Worte seines Major domo gehört und sollte meine darauf erfolgende Antwort nicht nur auch hören, sondern sogar sehen. „Sennor Adolfo“ sprang schnell wieder auf, zog sein Messer, welches dort jedermann stets im Gürtel trägt, heraus und drang auf mich ein, indem er brüllte:

„Lump, was hast du gewagt! Das sollst du büßen!“

Ich parierte seinen Stoß mit Leichtigkeit, indem ich ihm das Messer aus der Hand schlug, nahm ihn rechts und links an den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn neben der Brücke in den Bach hinab, dessen Wasser über ihm zusammenschlug. Es war aber nicht so tief, daß er ertrinken konnte. Er kam schnell wieder zum Vorschein und stieg schnaubend und pustend an das Ufer. Vielleicht hätte er mich noch einmal angegriffen, in welchem Falle er sicher wieder in das Wasser geflogen wäre, es kam aber einer dazwischen, den ich in diesem Augenblicke nicht hier zu sehen erwartet hätte.

Als ich den Major domo in das Wasser warf, hatte ich mich von dem Hause ab- und dem Bache zuwenden müssen. Dabei fiel mein Blick auf das noch offen stehende Thor, durch welches soeben Melton, der Mormone, hereingeritten kam. Er sah, was geschah, sah auch den Haziendero am offenen Fenster stehen, trieb schnell sein Pferd herbei und rief:

„Was geht hier vor? Ich glaube gar, ein Kampf! Das muß auf einem Versehen beruhen, welches ich gleich aufklären werde. Haltet also Ruhe!“

Diese letzteren Worte waren an den Major domo gerichtet; dann wendete er sich an mich:

„Wir suchten Sie vergeblich. Wie kommen Sie hierher?“

„Auf die allereinfachste Weise,“ antwortete ich. „Sie wissen, daß mein Pferd durchging, es ist mit mir bis hierher gelaufen.“

„Sonderbar! Sie werden mir später von diesem eigentümlichen Ritte zu erzählen haben!“

„Dazu giebt es keine Zeit; ich muß fort; man hat mich hinausgeworfen.“

„Und dafür machen Sie sich das Vergnügen, die Leute ein wenig ins Wasser zu werfen!“

„Allerdings. Das ist so eine Eigentümlichkeit von mir, die ich nicht wohl abzulegen vermag.“

„Ich muß erfahren, was geschehen ist, und es wird sich alles aufklären. Warten Sie nur, bis ich mit Don Timoteo gesprochen habe! Bleiben Sie noch da; ich komme bald zurück!“

Er stieg vom Pferde und ging in das Haus. Der nasse Majordomo hinkte hinter ihm drein, ohne mir das Entzücken zu gönnen, einen seiner Blicke aufzufangen.

Was sollte ich thun, bleiben oder gehen? Ich war natürlich fest entschlossen, die Hazienda zu verlassen, besaß jedoch auch Neugierde genug, zu erfahren, wie der Mormone es anfangen werde, mich hier zu halten, denn es stand bei mir fest, daß es nicht in seiner Absicht lag, in meine Entfernung zu willigen. Ich brach also nicht sofort auf, ging aber zu meinem Pferde, um das Paket, in welchem sich mein neuer Anzug befand, vom Sattel zu schnallen. Meine Gewehre hingen am Sattelknopfe. Ich nahm auch sie herab. Dabei benachrichtigte ich die beiden Knaben und die Squaw:

„Meine jungen Brüder und meine Schwester haben gesehen, daß man mich nicht freundlich empfangen hat. Der Haziendero nimmt uns nicht auf, weil er die Rache des Häuptlings der Yuma fürchtet. Wir werden also fortgehen und diese Nacht im Walde schlafen.“

„Wer ist der Reiter, welcher jetzt kam und mit Old Shatterhand gesprochen hat?“ fragte der ältere der Brüder.

„Ein Freund des großen Mundes, ein böser Mann, vor dem wir uns sehr zu hüten haben.“

Das Pferd der Squaw hatte nun die drei indianischen Sättel zu tragen. Wir schnallten oder banden sie fest und waren nun also alle vier Fußgänger geworden. Da kam der Mormone aus dem Hause und über die Brücke eilig zu uns gegangen.

„Sennor,“ meldete er, „die Angelegenheit ist geordnet. Sie werden auf der Hazienda bleiben.“

„Wieso?“

„Don Timoteo, welcher allerdings bisher keines Buchhalters bedurfte, hat, als er mit Ihnen sprach, gar nicht daran gedacht, daß er nach dem Eintreffen der vielen Arbeiter einer solchen Hilfe gar nicht entbehren kann. Kommen Sie also wieder mit herein! Er will Sie engagieren. Sie dürfen hier bleiben.“

„So? Ich darf also, darf, darf! Dieser Ausdruck ist wohl falsch. Ums Dürfen handelt es sich nicht, sondern darum, ob ich will.“

„Meinetwegen! Aber Sie werden doch gewiß wollen!“

„Nein, ich will nicht. Sie sehen, daß wir im Begriff stehen, aufzubrechen.“

„Begehen Sie keinen Fehler!“ mahnte er eifrig. „Sie kennen die hilflose Lage, in der Sie sich befinden. Hier wird Ihnen eine Zukunft geboten, welche eine glänzende genannt wer – –“

„Bitte, keine Redensarten!“ fiel ich ihm ins Wort. „Ich weiß, was ich von denselben zu halten habe.“

„Hoffentlich sind Sie überzeugt, daß ich es ehrlich meine. Bleiben Sie, so dürfen auch diese drei Personen bleiben, auf welche Sie doch wohl Rücksicht zu nehmen haben.“

„So meinen Sie, daß ich, um ihnen hier für eine einzige Nacht Unterkunft zu verschaffen, ein jahrelanges Engagement eingehen werde? Das ist wohl mehr als naiv!“

„Sie sprechen im Zorne, und der Zorn macht blind. Denken Sie doch an Ihre Landsleute! Ich bin vorausgeritten, um dem Haziendero ihre Ankunft zu melden; sie alle haben Sie lieb gewonnen und befinden sich in Sorge um Sie. Sie werden der Mittelpunkt sein, um welchen sich die Auswanderer hier vereinigen. Denken Sie sich die Enttäuschung, wenn die guten Leute erfahren, daß Sie abgelehnt haben und ohne allen Abschied von ihnen fortgegangen sind!“

Er suchte in dieser Weise alle Gründe hervor, welche ihm geeignet erschienen, mich zum Bleiben zu bewegen, natürlich aber vergeblich. Als er einsah, daß ich nicht wankend zu machen sei, schlug er einen andern Ton, nämlich den des Zornes, an:

„Nun, wenn Sie Ihr Glück mit Füßen treten wollen, so kann ich nichts dagegen haben; aber jedenfalls ist es von Ihnen eine Undankbarkeit sondergleichen gegen mich. Ich habe mich Ihrer angenommen und Sie kostenlos hierher befördert, und nun ich die Früchte dieser Güte sehen will, laufen Sie einfach auf und davon!“

Ich hätte ihm ganz anders anworten können, that aber nichts, als ihn in kalter Weise zu fragen:

„Wollen Sie mir etwa dieses sogenannte Glück aufzwingen?“

„Nein. Laufen Sie meinetwegen in drei Teufels Namen! Wenn Sie sich nicht halten lassen, werde ich Sie eine Strecke weit begleiten.“

„Warum?“

„Wenn Sie nicht bleiben wollen, so haben Sie von dem Haziendero gehört, daß er Sie auf seinem Gebiete nicht dulden will. Er wollte Sie durch einige Knechte über dasselbe hinausbringen lassen. Da ich mich aber einmal Ihrer angenommen habe, so will ich diese Schande dadurch von Ihnen nehmen, daß ich Sie selbst begleite. Hoffentlich haben Sie wenigstens hiergegen nichts einzuwenden!“

„Gar nichts; ich bin im Gegenteile hocherfreut über die Ehre, welche Sie mir dadurch erweisen. Ist Ihnen denn die Gegend so genau bekannt, daß Sie die Grenzlinie des zu der Hazienda gehörigen Gebietes wissen?“

„Ich werde die Grenze selbst im Dunkeln finden.“

„Es wird höchst wahrscheinlich auch dunkel sein, wenn wir sie erreichen. Der Tag neigt sich mit Schnelligkeit zu Ende. Säumen wir also nicht, aufzubrechen!“

Er ging zu seinem noch im Hofe stehenden Pferde und stieg auf, ohne zu ahnen, daß ich ihn durchschaute. Ich hatte ihn nicht ohne Absicht gefragt, ob er die Grenze kenne. War dies der Fall, so besaß er mit dem Walde überhaupt eine solche Bekanntschaft, daß es ihm gar nicht schwer war, selbst in der Dunkelheit einen Ort zu finden, welcher sich für die Ausführung seines Vorhabens eignete.

Welches Vorhaben war das wohl? Ich wußte es; ich hatte es längst vermutet, und diese Vermutung war jetzt zur Gewißheit geworden. Der Mormone wußte, wer ich war, und fürchtete mich. Er hatte die Überzeugung, daß der Plan, den er in Beziehung auf die Emigranten hegte, durch mich in Frage gestellt wurde. Er hatte mich mitgenommen, um sich meiner Person zu versichern und mich bei einer passenden Gelegenheit verschwinden zu lassen. Da ich nun nicht bleiben wollte, galt es, schnell zu handeln. Er war meiner nur noch von der Hazienda bis an die Grenze derselben mächtig; jetzt also mußte geschehen, was nicht länger oder weiter hinausgeschoben werden konnte. Es war auf mein Leben abgesehen, und als wir aufbrachen, war ich überzeugt, daß mir der Tod Schritt für Schritt zur Seite gehen werde.

War es da nicht eine wahnsinnige Verwegenheit von mir, den Mann mitzunehmen? Nein, sondern ich wurde durch die Klugheit veranlaßt, auf seine Begleitung einzugehen. Hätte ich ihn abgewiesen, so wäre er uns heimlich nachgeschlichen, um mir von irgend einer beliebigen Stelle eine Kugel zuzusenden; befand er sich aber bei uns, so konnte ich ihn beobachten, den Augenblick des Angriffes berechnen und seinen Anschlag zu nichte machen.

Als wir die Hazienda verlassen hatten, ging es wieder dem Wasser des Baches entgegen. Zu beiden Seiten desselben gab es offene Wiesen, und nur hier und da war eine Gruppe von Bäumen und Sträuchern zu sehen. Das war kein für einen Mordanfall passendes Terrain. Da er meine Begleiter nicht zu Zeugen seiner That machen durfte, so nahm ich als selbstverständlich an, daß er dieselbe erst nach seiner Verabschiedung von uns ausführen werde. Solange er sich bei uns befand, war ich meines Lebens vollständig sicher. Das weitere stellte ich mir folgendermaßen vor: Er stellt sich, als ob er zurückreite, eilt uns aber seitwärts und heimlich voran bis zu einer gutgedeckten Stelle, welche er sich schon jetzt dazu ausersehen hat, verbirgt sich da, läßt uns herankommen und schießt mich über den Haufen. Wer kann dann sagen, daß er der Mörder sei? Höchst wahrscheinlich hat der Häuptling der Yuma mir aufgelauert, um den Tod seines Sohnes zu rächen.

Da Melton langsam ritt, schritt ich gemächlich an seiner Seite hin, indem ich die Hand auf die Kruppe seines Pferdes hielt. Auf diese Weise befand ich mich ein wenig hinter ihm und konnte ihn scharf beobachten. Gesprochen wurde kein Wort. Die drei Roten folgten, indem der eine Bruder das Pferd am Zügel führte.

Es wurde schnell immer dunkler, bis es finster war; die offenen Wiesen lagen hinter uns, und der Bach schlängelte sich zwischen Büschen hindurch, aus welchen, je weiter wir kamen, desto mehr Bäume emporragten. Das ließ wieder einen Wald vor uns vermuten, und ich nahm an, daß der Augenblick der Entscheidung nicht lange mehr auf sich warten lassen werde.

Wie gedacht, so geschehen. Nach kurzer Zeit gelangten wir an eine Waldesecke. Der Bach wendete sich nach rechts; der Rand des Waldes schien geradeaus zu laufen; links zog sich an demselben ein Strich offenen Wiesenlandes hin. „Hier ist’s!“ dachte ich. „Er weist uns am Walde hin, steigt ab, bindet sein Pferd an und eilt uns unter den Bäumen voran, bis er die betreffende Stelle erreicht.“ Der Mormone hielt, als ob ich allwissend gewesen wäre, sein Pferd an, deutete vor sich hin und sagte:

„Das Gebiet der Hazienda reicht bis an diesen Wald, und ich habe also meine Aufgabe, Sie über die Grenze zu bringen, erfüllt. Eigentlich hätte ich nichts hinzuzufügen; da ich mich Ihrer aber einmal angenommen habe, will ich Ihnen sagen, wo Sie einen vortrefflichen Schlafplatz finden werden. Gehen Sie da am Rande des Gehölzes weiter, so treffen Sie nach einer Viertelstunde wieder auf den Bach, welcher von hier aus einen Bogen macht. Dort giebt es klares Wasser zum Trinken, hohes, weiches Gras zum Lagern und eine Felsenwand, welche Ihnen Schutz gegen die kühle Nachtluft bietet. Ob Sie diesem Rate folgen wollen oder nicht, ist mir gleich.“

„Ich danke und werde folgen, Sennor,“ antwortete ich.

„So rate ich Ihnen, langsam zu gehen. Das Frühjahrswasser hat hier natürliche Gräben gerissen, in welche Sie leicht stürzen können. Ich kehre jetzt um. Sie haben Ihr Glück von sich gewiesen, und ich bin überzeugt, daß es Sie auf immer verlassen hat.“

„Ich bedarf Ihres Glückes nicht. Sie werden in kurzer Zeit erfahren, daß ich mich lieber auf mich selbst verlasse.“

„Es liegt mir nichts daran, je wieder von Ihnen zu hören. Laufen Sie zum Teufel!“

Er kehrte um und that, als ob er zurückreiten wolle. Wir gingen weiter, wobei ich meinen Begleitern leise sagte:

„Der Mann wird jetzt den Wald aufsuchen, um uns voranzukommen. Er will mich erschießen. Ich werde ihm aber vorauseilen und ihm beweisen, daß mit Old Shatterhand nicht zu scherzen ist. Meine Brüder mögen nicht am Waldessaume hingehen, sondern sich ein wenig mehr links halten, damit er nicht erkennen kann, daß ich fehle. Auch mögen sie meine Gewehre halten, weil mir dieselben hinderlich sein würden. Wenn ich sie nicht bald anrufe, mögen sie bis an die Stelle gehen, welche der Mann beschrieben hat, und dort auf mich warten.“

Die drei waren natürlich über meine so unerwartete Mitteilung überrascht, nahmen aber meine Gewehre hin, ohne ein Wort zu sagen. Das Bündel mit meinem Anzuge trug das Pferd bereits; ich hatte also die Hände frei und ging mit schnellen Schritten weiter, während sie sich mehr nach links wendeten, um dort ihren Weg langsam fortzusetzen. Doch hielten sie sich, ohne daß ich sie darauf aufmerksam gemacht hatte, klugerweise immer so, daß man ihre Schritte vom Walde aus hören konnte.

Ich sage, daß ich schnell ging, denn es fiel mir gar nicht ein, die Warnung des Mormonen zu beachten. Seine Mitteilung bezüglich der Gräben enthielt eine Unwahrheit, welche er ausgesprochen hatte, um uns zum Langsamgehen zu bewegen, damit er uns trotz der Hindernisse, welche die Bäume ihm boten, vorankommen könne. Es fiel mir keinen Augenblick ein, daß ich mich irren könne, sondern ich war vollständig überzeugt, daß er mir auflauern werde.

Mich immer nahe am Walde haltend, schritt ich wohl zehn Minuten lang vorwärts, scharf nach einer Stelle ausschauend, welche sich für das Unternehmen des Mormonen eignete. Die Sterne waren sichtbar geworden; meine Blicke reichten mehr als dreißig Schritte weit. Da trat aus dem bisher geraden Saume des Waldes eine scharfe Ecke hervor, welche sich jenseits ebenso scharf wieder rückwärts bog. Sie wurde aus dichtbelaubten Bäumen gebildet, unter denen niedrige Büsche standen. Hatte ich mich in Beziehung auf die Absicht des Mormonen nicht geirrt, so war dies unbedingt die Stelle, an welcher er sie ausführen wollte. Hier konnte er sich gut verbergen, und wir mußten so nahe ‚an der Ecke vorüber, daß mich seine Kugel gar nicht fehlen konnte. Indem ich das Unterholz mit den Augen und auch mit den Händen untersuchte, wollte ich mir darüber klar werden, an welcher Stelle sich Melton wohl verstecken werde. Das war gar nicht schwer; er mußte gute Deckung für sich, freien Blick nach außen und einen sicheren Anschlag auf mich haben. Als ich einen solchen Ort gefunden hatte, kroch ich nahe bei demselben unter ein Gezweig, welches mich unsichtbar machte und dabei so biegsam und elastisch war, daß ich kein verräterisches Rascheln zu befürchten hatte, falls ich zu einer unvorhergesehenen Bewegung gezwungen sein sollte.

Warum legte ich mich eigentlich hierher, um den Feind zu ertappen? Es war doch nicht ein ungefährliches Unternehmen. Ich hätte den Anschlag einfach dadurch zu nichte machen können, daß ich die Richtung vermied, in welche der Mormone uns gewiesen hatte; dann hätte er mir hier vergeblich aufgelauert. Wenn ich mir diese Frage heute vorlege, so muß ich offen und ehrlich sagen, daß es die liebe Eitelkeit war, welche mich dazu trieb, die Gefahr des Handelns der Sicherheit der Unterlassung vorzuziehen. Es gelüstete mich, Melton zu zeigen, daß ich klüger sei, als er mich taxiert hatte. Daß ich dabei das Leben riskierte, wurde, wie so oft, später erwogen.

Als ich es mir unter dem Gezweig bequem gemacht hatte, legte ich das Ohr auf die Erde, um zu horchen. Wird er kommen oder nicht? Ich befand mich in der gespanntesten Erwartung. Da hörte ich Schritte, das Rauschen der Äste, welche er berührte, das Stolpern seiner Füße über die hervortretenden Wurzeln, ja sein Stoßen an die Stämme, welche er im Waldesdunkel nicht deutlich zu sehen vermochte. Er kam schnell näher. Schon hörte ich auch das laute Arbeiten seiner Lunge, denn er war außer Atem. Jetzt bog er nach der Ecke ein, arbeitete sich rasch bis an die Spitze derselben, blieb da stehen und streckte den Kopf hervor, um zu horchen.

’sdeath!“ fluchte er halblaut und in englischer Sprache. „Tod und Teufel! Mein Atem geht so laut, daß ich nichts anderes zu hören vermag. Der Schuft wird doch nicht etwa schon vorüber sein? Unmöglich! Ich bin gelaufen wie ein Verrückter, und sie gehen langsam, um nicht in die Gräben zu stürzen. Hahahaha! Doch still, ich glaube, sie kommen!“

Er ließ sich auf das rechte Knie nieder, stemmte den linken Ellbogen auf das linke und legte das Gewehr an. Ich sah ihn ganz deutlich und bestimmt, denn er kniete an einer Lücke, durch welche sich der Sternenschimmer stahl. Ich hatte gerechnet, daß er sich mehr links plazieren werde, und mußte mich also, um ihm nahe zu kommen, nach dieser Richtung schieben. Wenn ich dabei ein leises Geräusch verursachte, so überhörte er es, weil seine ganze Aufmerksamkeit nach außen gerichtet war.

Jetzt hörte ich die Indianer kommen.

„Zum Henker!“ flüsterte er. „Die Hunde halten sich entfernter als ich dachte. Da gilt es, scharf zu zielen.“

Ich wunderte mich keineswegs darüber, daß er mit sich selbst sprach. Ich wußte von mir selbst, daß die Aufregung, je größer sie ist, sich desto leichter in Worten Luft macht. Er hob und senkte das Gewehr zur wiederholten Prüfung und hielt es dann fest im Visier. Jetzt mußte ich handeln, da er doch möglicherweise einen der Knaben für mich halten und auf ihn schießen konnte. Ich richtete mich hinter ihm halb auf, nahm ihn beim Halse und riß ihn hintüber. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Gewehr fallen. Da er mit dem Kopfe zwischen meine Beine zu liegen gekommen war, stemmte ich ihm die beiden Kniee rechts und links auf Brust und Schultern und griff nach seinen Händen, mit denen er krampfhaft hin und her fuhr; ich faßte sie – ein Knack und ein Schmerzensruf – noch ein Knack und ein noch lauteres Brüllen – er lag halb wehrlos unter mir, da ich ihm in der Hitze des kurzen Kampfes die beiden Hände in den Gelenken gebrochen hatte. Er konnte nur mit den Füßen vor sich stoßen; sich aufzurichten vermochte er nicht, da ich schwer auf ihm kniete. Die Arme bewegte er wohl, konnte mir aber mit seinen schlaff herabhängenden Händen nichts anhaben. Desto mehr arbeitete er mit den Stimmwerkzeugen. Er schrie wie ein Gepfählter, ob vor Wut, vor Angst oder vor Schmerz, das wußte wohl er selber nicht, wahrscheinlich aber wohl aus allen drei Gründen.

Indem ich ihn niederhielt, sah ich, daß die Indianer trotz seines Geheules nach meiner Weisung ruhig und ohne anzuhalten draußen vorüber wollten. Da rief ich ihnen zu:

„Meine jungen Brüder mögen hierher kommen und ihre Schwester draußen bei dem Pferde lassen!“

Sie folgten schnell meiner Weisung und banden dem Mormonen die Arme und Beine zusammen, was ich, wenn es nötig gewesen wäre, auch allein fertig gebracht hätte. Dann schafften wir ihn hinaus, wo wir sein Gesicht deutlicher sehen konnten. Sein Geschrei hatte aufgehört; er lag ganz ruhig da.

„Nun, Master Melton,“ sagte ich in englischer Sprache, weil dies seine Muttersprache war, „habe ich wirklich mein Glück von mir gewiesen und es darum für immer verloren?“

„Verfluchter Schurke!“ zischte er zwischen den Zähnen hervor.

„Ist es nicht genau so, wie ich Euch sagte?“ fuhr ich fort. „Habt Ihr nicht in sehr kurzer Zeit erfahren, daß ich mich recht gut auf mich selbst verlassen kann? Die Kugel, welche Ihr mir zuschicken wolltet, hörte ich schon vor einer Stunde sausen. Ihr habt Euch eingebildet, mich täuschen und betrügen zu können, und seid trotz Eurer vermeintlichen Pfiffigkeit so dumm, daß es unendlich leicht ist, Eure Absichten zu erraten. Ich habe Euch schon in Guaymas durchschaut.“

„Ich Euch auch!“ knirschte er. „Ihr seid Old Shatterhand!“

„Ganz richtig! Ich wußte, daß ich erkannt worden war, ließ aber nichts davon merken. Ihr aber habt Euch geradezu wie ein Schulknabe verhalten. Wenn Ihr Old Shatterhand bethören wollt, müßt Ihr es gescheiter anfangen. Was habt Ihr mit den Emigranten vor?“

„Nichts!“

„Natürlich werdet Ihr mir es nicht sagen. Ich habe diese Frage auch nicht, weil ich etwa glaubte, eine Antwort zu erhalten, ausgesprochen; ich wollte Euch nur darauf aufmerksam machen, daß die Leute unter meinem Schutze stehen. Es ist nicht meine Absicht, Euch darüber, was ich weiß und was ich denke, eine Rede zu halten; ich will Euch nur darauf aufmerksam machen, daß jede Unredlichkeit, die Ihr an ihnen begeht, auf Euch selbst zurückfallen wird. Ein Beispiel habt Ihr soeben erlebt. Ihr wolltet mein Leben; darum war das Eurige mir verfallen. Laßt Euch das zur Warnung dienen! Das nächstemal würde es Euch gewiß ans Leben gehen. Wie ich Eure Kugel vorausgesehen habe, so sehe ich auch noch anderes voraus; Ihr aber schaut höchstens von heut bis nach morgen hinüber, weil das Verbrechen kurzsichtig ist.“

Ich wendete mich von ihm ab und winkte auch die Knaben von ihm fort, weil ich ihnen einiges zu sagen hatte, was er nicht hören durfte. Die Squaw blieb als vorsichtige Indianerin bei ihm stehen, um ihn, obgleich er gefesselt war, nicht aus den Augen zu lassen.

„Meine jungen, roten Brüder mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe,“ begann ich. „Wir sind vier Personen und haben nur ein Pferd, bedürfen aber noch dreier Tiere, welche wir stehlen müssen. Ich bin kein Dieb, aber da wir uns unter den gegenwärtigen Verhältnissen unbedingt beritten machen müssen, bin ich gezwungen, alle Bedenken schwinden zu lassen. Als ich mit dem Haziendero darüber sprach, verweigerte er mir die Erfüllung meiner Bitte, weil er sich vor den Yumas fürchtete. Ich muß ihm also nehmen, was er mir verweigert, und werde jetzt nach der Hazienda zurückkehren, um mir drei Pferde von der Weide zu holen. Meine Brüder mögen indessen den Gefangenen bewachen. Er ist uns zwar vollständig sicher, und ich bin auch überzeugt, daß zur jetzigen späten Stunde niemand in diese abgelegene Gegend kommen wird, doch muß ein vorsichtiger Mann auf jeden Zufall gefaßt sein. Der Gefangene darf auf keinen Fall vor meiner Rückkehr freigegeben werden.“

„Old Shatterhand kann sich auf uns verlassen,“ versicherte der ältere Bruder, „Wir werden seinen Befehl erfüllen, obgleich er uns damit kränkt, daß er nach der Hazienda will.“

„Wieso?“

„Mein weißer Bruder sagt damit, daß er uns für ungeübte Knaben hält, welche kein Pferd zu holen verstehen.“

Ich hatte die Gebräuche und Anschauungen der Indianer genugsam kennen gelernt, um zu wissen, daß die beiden jungen Menschen sich zurückgesetzt fühlten. Die gegenwärtigen Umstände nötigten mir die Absicht auf, mit ihrem Stamme in Verbindung zu treten, und so hielt ich es allerdings für geraten, ihnen Vertrauen zu zeigen. Darum antwortete ich:

„Ich sah, wie tapfer ihr euch gegen eure Angreifer verteidigtet, und halte euch also für mutige Jünglinge. Auch bezweifle ich nicht, daß ihr neben dem Mute die nötige Geschicklichkeit besitzet, und so will ich euch fragen, ob ihr die Pferde holen wollet.“

„Wir wollen!“ erklang es in frohem Tone.

„Gut! Ich brauche euch also nicht zu sagen, wohin ihr euch zu wenden habt?“

„Nein. Wir sahen die Pferde, an denen wir vorüberkamen. Es wird sehr leicht sein, zwei zu bekommen.“

„Zwei? Wir brauchen drei!“

„Eins besitzt doch der Gefangene. Er wird uns sagen müssen, wo er es angebunden hat.“

„Das nehmen wir nicht. Er hat es von Lobos aus geritten; es ist also ermüdet, während auf der Weide frische zu finden sind. Ich möchte noch weiter sprechen, kann aber das, was ich noch zu sagen habe, euch später mitteilen. Ihr möget also sogleich aufbrechen; ich werde euch hier erwarten.“

Sie entfernten sich augenblicklich, ohne ihrer Schwester ein Wort zu sagen. Ich legte mich neben den Mormonen ins Gras, neugierig, wie die Knaben ihre Aufgabe lösen würden. Melton lag unbeweglich wie ein Toter. Sein Stolz verbot es ihm, ein Wort oder gar eine Bitte auszusprechen, doch ging sein Atem zuweilen laut und schwer; die verletzten Hände schmerzten ihn.

Um die beiden Indianer hatte ich keine Sorge. Das, was sie zu thun hatten, war an und für sich leicht und konnte nur durch Zufälligkeiten schwer, oder wohl auch unausführbar gemacht werden. In diesem Falle kehrten sie unverrichteter Sache zurück; das war alles, was ich zu befürchten hatte, denn daß sie sich erwischen lassen könnten, das zu denken, kam mir gar nicht in den Sinn. Es vergingen zwei Stunden; dann erhob sich höchstens vier Schritte von mir eine Gestalt aus dem Grase. Ich sprang augenblicklich auf, um sie zu fassen, ließ aber den ausgestreckten Arm wieder sinken, denn ich sah, daß es der ältere der Roten war.

„Mein Bruder ist wieder da,“ sagte ich. „Warum kommt er so heimlich herbei?“

„Um Old Shatterhand zu zeigen, daß niemand mich hört und sieht, wenn ich nicht will.“

„Dein Gang ist geräuschlos wie der Flug eines Schmetterlings; du wirst ein tüchtiger Krieger werden. Wo befindet sich dein Bruder?“

„Ich ging ihm voraus, um dich zu fragen, ob der Gefangene die Pferde sehen darf?“

Er sagte mir das mit leisen Worten, und ich antwortete laut:

„Er mag sie bringen. Seid ihr vollständig unbemerkt geblieben?“

„Die Hirten waren taub und blind. Wir hatten sogar Zeit, unter den Pferden diejenigen auszuwählen, welche uns am besten gefielen.“

Er stieß einen Pfiff aus, worauf man sogleich den Hufschlag nahender Pferde hörte. Die Pferde waren bis in unsere Nähe gebracht worden, ohne daß ich es gehört hatte; die beiden Knaben waren stolz darauf, daß ihnen dies gelungen war. Als ich die Tiere, soweit dies bei der abendlichen Dunkelheit möglich war, betrachtete, überzeugte ich mich, daß es nicht die schlechtesten waren, und bemerkte zu gleicher Zeit, daß das eine einen Sattel trug. Als ich den älteren darnach fragte, antwortete er:

„Mein großer, weißer Bruder hat keinen Sattel; darum haben wir das Pferd des Gefangenen gesucht und ihm den Sattel abgenommen. Dann ließen wir es laufen, da er es mit seinen ausgerenkten Händen doch nicht besteigen und leiten kann.“

Sie hatten also auch dieses Tier gefunden und dafür gesorgt, daß ich zu dem nötigen Reitzeuge kam, ein Beweis, daß ich Anforderungen an sie zu stellen vermochte, welche über ihr Alter eigentlich hinausgingen.

„Pferdedieb!“ rief mir jetzt der Mormone in verächtlichem Tone zu. „Der berühmte Old Shatterhand ist also auch weiter nichts, als ein gewöhnlicher Spitzbube!“

Anstatt mich beleidigt zu zeigen, band ich ihm die Fesseln auf und antwortete:

„Da habt Ihr Eure Freiheit wieder, Master Meuchelmörder. Trollt Euch von dannen, und sagt dem Haziendero, daß ich diese Pferde notgedrungen von ihm geliehen habe. Wahrscheinlich bekommt er sie wieder, oder doch eine Bezahlung dafür. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so mag er sich diesen kleinen Verlust auf sein eigenes Conto schreiben. Euch selbst gebe ich den Rat, Eure Hände möglichst rasch einrenken zu lassen und sie durch feste Verbände zu schützen, sonst möchte es sich leicht ereignen, daß Ihr sie nie wieder so wie früher gebrauchen könnt. Um Euretwillen will ich wünschen, daß wir uns nicht wiedersehen, da ich überzeugt bin, daß ein Zusammentreffen von bösen Folgen für Euch sein würde.“

„Oder auch für dich! Nimm dich in acht vor mir, und sei verdammt, du Schuft!“

Indem er mir diese grimmigen Worte zuwarf, eilte er davon. Hätte ich den Kerl nicht geschont, sondern ihm eine Kugel gegeben, so wäre viel Unglück verhütet worden. Aber darf man denn einen Menschen wie ein Raubtier niederschießen! Seine Waffen besaß er natürlich nicht mehr; ich hatte sie an mich genommen, auch die Munition. Der übrige Inhalt seiner Taschen war selbstverständlich nicht angerührt worden.

Nun wurden vor allen Dingen die Pferde gesattelt; dann ritten wir fort, um zunächst von der Stelle zu kommen, an welcher ein baldiger unliebsamer Besuch zu erwarten war. Welche Richtung wir dabei einschlugen, war Nebensache, da ich mich entschlossen hatte, bis auf weiteres in dieser Gegend zu bleiben. Indem unsere Pferde langsam durch das Gras schritten, erkundigte ich mich:

„Wann werden meine roten Brüder, wenn sie schnell reiten und keine Zeit verlieren, ihre Krieger erreichen?“

„In drei Tagen,“ antwortete der ältere. Der jüngere sprach überhaupt nur dann ein Wort, wenn ich mich direkt an ihn wendete. Das ist den Gewohnheiten der Indianer gemäß, bei denen der ältere dem jüngern stets voransteht, sodaß die meisten Dialekte besondere Ausdrücke für ältern oder jüngern Bruder, ältere oder jüngere Schwester haben. Auch ist das Wort Sohn, vom Vater ausgesprochen, ein anderes als aus dem Munde der Mutter. So heißt z. B. im Navajo „mein älterer Bruder“ Schinai, „mein jüngerer Bruder“ Se tsela, „mein Sohn“, vom Vater gesagt, Schi yeh, „mein Sohn“, von der Mutter angeredet, Se tse, „ältere Schwester“ heißt Sche la und „Jüngere Schwester“ Eteh.

„Der starke Büffel, euer Vater, befindet sich jetzt bei seinem Stamme?“ erkundigte ich mich weiter.

„Ja. Er wird sehr stolz darauf sein, Old Shatterhand bei sich zu sehen.“

„Wir werden uns begrüßen, obgleich es mir unmöglich ist, ihn aufzusuchen. Ich muß ihn bitten lassen, zu mir zu kommen. Seine beiden wackern Söhne mögen ihm erzählen, was ich ihnen jetzt sagen werde. Es sind Männer, Frauen und Kinder aus meinem Vaterlande über das große Wasser herübergekommen, welche auf der Hazienda del Arroyo arbeiten wollen. Der Weiße, welcher unser Gefangener war und Melton heißt, hat einen bösen Plan mit ihnen, welchen ich leider noch nicht durchschauen kann. Höchst wahrscheinlich hat er den Häuptling der Yumas herbeigerufen, welcher die Hazienda überfallen soll. Ich ging zum Haziendero, um ihn zu warnen; er hat mich ausgelacht. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und würde mich um ihn nicht weiter kümmern, wenn ich nicht meine weißen Brüder und Schwestern mit ihren Kindern retten müßte. Ich allein vermag das nicht, denn ich kann doch nicht mit allen Kriegern der Yumas kämpfen. Darum lasse ich den tapfern Häuptling der Mimbrenjos, euern Vater, bitten, mir zu Hilfe zu kommen, und ich hoffe, daß er mir die Erfüllung dieses Wunsches nicht versagen wird.“

„Er wird sofort herbeieilen, denn er hat zwei triftige Gründe dafür.“

„Welche?“ fragte ich, obgleich ich wußte, was er antworten würde.

„Er hat mit Old Shatterhand die Pfeife der Freundschaft getrunken und müßte verachtet werden, wenn er dem Rufe nicht augenblicklich Folge leistete. Außerdem weiß mein großer, weißer Bruder, was geschehen ist. Der große Mund, der Anführer der Yumas, hat uns überfallen, um uns zu töten. Es ist ihm nicht gelungen, weil Old Shatterhand uns gerettet hat, aber dennoch muß der Yuma es mit seinem Blute bezahlen. Die Freundschaft und die Rache werden also die Führerinnen sein, denen unser tapferer Vater folgen wird.“

„So meinst du, daß er in sechs Tagen hier in dieser Gegend sein kann?“

„Ja, drei Tage hin und drei Tage her. Wieviel Krieger soll er mitbringen?“

„Ich weiß nicht, wie stark die Yumas sein werden; aber zum Überfalle einer Besitzung, wie die Hazienda del Arroyo ist, gehören wohl an die hundert Mann; es würden also ebenso viele von euren Kriegern nötig sein. Ich wünsche, daß sie sich mit getrocknetem Fleisch versehen, da sie keine Zeit finden werden, sich durch die Jagd zu verproviantieren.“

„An welchem Orte werden sie Old Shatterhand treffen?“

„Ich bin noch nicht in dieser Gegend gewesen, und kann also im Augenblick keinen passenden Ort bestimmen. Wir werden aber, ehe wir uns trennen, einen solchen finden. Ich habe noch einen weitern Auftrag. Mein junger Bruder weiß, daß ich Winnetou, dem großen Häuptlinge der Apatschen, mein Leben geschenkt, und dafür das seinige erhalten habe. Wir haben uns verabredet, uns in kurzer Zeit an einem bestimmten Orte zu treffen, und ich kann mich nun nicht pünktlich einstellen, weil ich jetzt an die Hazienda del Arroyo gebunden bin. Ich lasse also deinen Vater bitten, Winnetou einen sichern Boten zu senden, um ihn zu benachrichtigen, daß und warum ich nicht kommen kann.“

„Wenn Old Shatterhand mir den Ort des Zusammentreffens angeben will, wird der Bote den berühmtesten Häuptling der Apatschen nicht verfehlen. Mein jüngerer Bruder und unsere Schwester, die Squaw, mögen die Beschreibung mit anhören, um sie unserm Vater zu überbringen.“

„Diese beiden? Du also nicht? Warum?“

Er zögerte eine kleine Weile, räusperte sich dann verlegen und antwortete:

„Mein jüngerer Bruder wird mit der Schwester unsern Stamm aufsuchen; ich aber bleibe hier zurück.“

„Zu welchem Zwecke?“

„Um den Häuptling der Yumas aufzusuchen, und dann nicht aus dem Auge zu lassen, damit ich unsere Krieger, sobald sie kommen, benachrichtigen kann, wo er sich befindet.“

„Das alles werde ich ja thun!“

„Ich weiß es. Old Shatterhand ist ein großer Krieger; ich aber bin ein Knabe und besitze noch nicht einmal einen Namen; darum muß ich thun, was Old Shatterhand mir gebietet. Wenn er mich fortschickt, so gehe ich; aber mein Herz würde sehr betrübt darüber sein, denn ich will auf der Spur des großen Mundes liegen, bis ich Rache genommen habe; ich will mir einen Namen erwerben, bei welchem man mich nennt, wenn ich in die Hütten unseres Stammes zurückkehre. Mein großer Bruder erlaube mir also, zu bleiben! Ich darf zwar nicht hoffen, daß er mich bei sich behält, denn er bedarf meiner nicht, doch wenn er so gütig sein wollte, mich in seinem Schatten wandeln zu lassen, so könnte ich mich wenigstens seines Pferdes annehmen, so oft ihm dasselbe hinderlich wird.“

Er hatte das in zagendem Tone gesprochen. Es war allerdings ein sehr ungewöhnlicher Wunsch, den er aussprach, doch eben daß er die Bitte wagte, war in meinen Augen eine Empfehlung für ihn. Jeder Indianer, selbst ein jeder bewährte Krieger, hätte abgewartet, ob ich ihn zum Bleiben auffordern würde oder nicht; dieser Knabe aber war so mutig, den Wunsch auszusprechen. Ich begriff gar wohl, wie sehr ihm daran liegen mußte, denselben erfüllt zu sehen. Wenn er bei mir bleiben durfte, so war dies ein Umstand, um welchen ihn sicher alle Mimbrenjos beneideten. Er gefiel mir; sein Vater war mein Freund, zwei Gründe, ihm keine abschlägige Antwort zu geben. Und dazu kam, daß ich ihn allerdings sehr gut gebrauchen konnte. Ich wollte die Hazienda umschleichen, um zu erfahren, was auf derselben vorging, und durfte mich dabei nicht sehen lassen. Das Pferd brauchte ich, um gegebenen Falles schnell von Ort zu Ort zu kommen; im übrigen war es mir hinderlich. Ich hatte stunden-, ja vielleicht sogar tagelang in der Nähe der Hazienda auf der Lauer zu liegen; da konnte das Pferd leicht zum Verräter werden. Wie vorteilhaft war es da, den Knaben bei mir zu haben! Er hatte übrigens denselben Gedanken ausgesprochen, als er sagte, daß er sich wenigstens meines Pferdes annehmen könne, falls mir dasselbe hinderlich sei. Ich antwortete dennoch nicht sofort, und darum meinte er nach einer kleinen Weile:

„Mein berühmter, weißer Bruder ist erzürnt über mich. Ich weiß, daß jeder Häuptling stolz darauf sein würde, bei ihm sein zu können, und ich bin doch nichts als ein Wurm, eine Kröte, welche nicht beachtet wird; aber ich lechze darnach, einen Namen zu erhalten und unter die Zahl der Krieger aufgenommen zu werden, und ich weiß, daß ich in der Nähe Old Shatterhands am schnellsten einen Namen finden würde. Ist er darüber ergrimmt, so jage er mich fort; ich werde gehen!“

Da reichte ich ihm meine Hand hinüber und antwortete:

„Wie könnte ich mich über einen solchen kleinen Mann ergrimmen! Du gefällst mir, und dein Vater wird sich freuen, wenn er hört, daß ich dich bei mir behalten habe. Ich willige also ein; du kannst mir nützlich sein. Es ist kein Mensch so gering, daß er dem andern nicht einen großen Dienst erweisen könnte, und wenn es auch nur aus reinem Zufalle wäre. Vieles von dem, was du über Winnetou und mich gehört hast, konnte nur mit Hilfe von Leuten ausgeführt werden, welche unbekannt waren. Von uns erzählt man, von ihnen nicht. Möge deine Hoffnung, bei mir bald zu einem Namen zu kommen, sich erfüllen! Die Vorbedingungen scheinen dazu vorhanden zu sein.“

Es läßt sich denken, welche Freude er empfand, als er die Gewährung seines Wunsches vernahm. Er sagte kein Wort; sein Bruder ließ ein beglückwünschendes „Uff!“ hören, und seine Schwester schlug als Zeichen der Freude ihre Hände zusammen. Ich fuhr fort:

„Aber werden, wenn du nicht bei ihnen bist, deine Geschwister euern Stamm glücklich und sicher erreichen? Es kommt sehr viel, vielleicht alles, darauf an, daß ihnen unterwegs kein Unfall begegnet.“

Da antwortete der jüngere Bruder in bescheidenem, aber dennoch zuversichtlichem Tone:

„Es kann uns nichts geschehen, denn ich habe ja nun ein Gewehr und fürchte mich also vor keinem Menschen. Auch weiß ich, daß zwischen hier und unserm Ziele kein Feind zu finden ist.“

Wir trafen jetzt wieder auf den Bach und befanden uns also an der Stelle, an welcher der Mormone uns geraten hatte, zu lagern. Es fiel uns natürlich nicht ein, dies zu thun.

Wir hielten gar nicht an und ritten weiter. Da ich meine Beobachtungen in südlicher Gegend zu machen hatte, so wollte ich jetzt nicht allzuweit nördlich gehen, konnte jedoch jetzt noch nicht zurückbleiben, weil ich mich soweit von der Hazienda entfernen mußte, bis ich sicher war, daß man meine Spur nicht mehr finden werde. Darum ging der Ritt bis nach Mitternacht fort, wo wir uns in einer Gegend befanden, welche für meine Zwecke gar nicht geeigneter sein konnte.

Der Mond war aufgegangen und gewährte uns einen weiten Umblick. Der Boden war felsig; die Pferde ließen also keine Spuren zurück. Am nördlichen Horizonte lag eine dunkle Linie. Als wir uns derselben näherten, sah ich, daß es ein Wald war. Unweit des Randes desselben ragte die Krone eines mächtigen Baumes hoch über alle andern hervor.

„Uff!“ sagte der ältere Bruder. „Da sind wir wieder in bekannter Gegend. Das ist der Wald der großen Lebenseiche. Jetzt weiß mein jüngerer Bruder genau, wie er zu reiten hat, und kann sich unmöglich irren.“

„Gut!“ antwortete ich. „So trennen wir uns hier. Und diese Lebenseiche mag der Ort des Wiedersehens sein. In sechs Tagen bin ich wieder hier, um die Ankunft eures Vaters und seiner Krieger zu erwarten.“

Ich erteilte dem kleinen Bruder die nötige Instruktion. Besonders genau beschrieb ich ihm die Stelle, an welcher Winnetou mich erwartete. Schließlich gab ich ihm die Waffen, welche ich dem Mormonen abgenommen hatte; er sollte sie seinem Vater als Geschenk überbringen. Der kleine Mann versicherte, daß er mit seiner Schwester bis zum Anbruche des nächsten Abends reiten werde, ohne anzuhalten. Er wollte versuchen, die Strecke in zwei anstatt in drei Tagen zurückzulegen.

Die Geschwister hatten sich vor ihrer Verabschiedung von den Opata mit Dürrfleisch versehen; jetzt wurde der Proviant geteilt. Das war mir sehr lieb, denn ich bekam da für zwei Tage und zwei Personen zu essen und brauchte also während dieser Zeit kein Fleisch zu schießen. Ich hatte ja mit dem Umstande zu rechnen, daß ein Schuß mich verraten könne.

Als dann der Bruder mit der Schwester fortgeritten war, banden wir unsere Pferde am Waldesrande fest und legten uns nieder, um bis zum Anbruche des Morgens zu schlafen. Die Ruhe war uns notwendig, da wir nicht sagen konnten, ob wir morgen abend Schlaf finden würden, und hier waren wir voraussichtlich so sicher vor jeder Überraschung, daß keiner von uns zu wachen brauchte. Übrigens mußten wir auch deshalb den Tagesanbruch hier erwarten, weil wir dann weit sehen und uns orientieren konnten, während ein nächtlicher Ritt uns leicht vor eine plötzliche feindliche Begegnung gebracht hätte.

Nach unserm Erwachen am Morgen standen wir vor einer zweifachen Aufgabe. Erstens galt es, die Yumas aufzusuchen, und das konnte am besten am hellen Tage geschehen. Zweitens wollte ich die Hazienda beschleichen, um nach den Auswanderern zu sehen und möglicherweise mit dem Herkules zu sprechen. Dazu mußte ich natürlich den Abend abwarten.

Zur Erreichung unseres ersten Zweckes beschloß ich, die Stelle aufzusuchen, an welcher der Yumahäuptling die drei Geschwister überfallen hatte. Er war, wie bereits gesagt, jedenfalls dorthin zurückgekehrt, und ich hoffte, da Spuren zu finden, die mir andeuteten, wohin er sich gewendet hatte.

Wir ritten natürlich nicht in gerader Richtung, welche uns über die Hazienda geführt hätte, zurück, sondern machten einen Umweg, auf welchem wir keiner Begegnung auszuweichen brauchten, denn es begegnete uns eben keine Menschenseele. Es war Mittag, als wir im Thale ankamen. Je mehr wir uns der betreffenden Stelle näherten, desto vorsichtiger verhielten wir uns. Die drei Pferdeleichen lagen noch da. Eine ganze Menge Geier war damit beschäftigt, das Fleisch von den Knochen zu reißen und sich um die Fetzen zu streiten. Ich blieb, scharf auslugend und das Gewehr schußbereit haltend, unten bei den Pferden und schickte den Knaben hinauf zur Felsenhöhe, wo der Sohn des Häuptlings von meinen beiden Kugeln getroffen worden war. Er meldete mir bei seiner Rückkehr, daß die Leiche zur Seite geschafft und mit einem hohen Steinhaufen bedeckt worden sei. Fußspuren hatte er in dem harten, felsigen Boden nicht bemerkt.

Eine Fährte hatte ich da oben natürlich gar nicht erwartet. Mit Pferden konnte man nicht hinauf, und da der Häuptling jedenfalls zu Pferde gekommen war, so hatte er dasselbe unten im Thale gelassen, war zur Leiche seines Sohnes hinauf-, dann wieder herabgestiegen und hatte das Thal zu Pferde verlassen. Ob jemand bei ihm gewesen war, das mußte sich erst zeigen. Ich begann also, zu suchen; der Knabe half dabei.

Leider war der Boden hart, sodaß ausgesprochene Fußoder Hufeindrücke nicht vorhanden sein konnten. Einige kleine Zeichen, wie z.B. Abschürfungen einer Bodenstelle, oder ein aus seiner früheren Lage gerissenes Steinchen, waren zwar als Spuren zu nehmen, konnten aber auch von uns selbst, da wir gestern hier gewesen waren, herrühren. Der Indianer strengte seine Augen an. Er wäre sehr stolz darauf gewesen, wenn er auch nur die Andeutung einer Fährte hätte entdecken können. Es war vergeblich; darum rief er endlich unmutig aus:

„Sie sind hier gewesen; das ist sicher. Und doch ist nichts zu sehen. Meine Augen sind heut wie mit Blindheit geschlagen. Old Shatterhand mag ja nicht denken, daß dies stets der Fall ist!“

„Tröste dich mit dem Umstande, daß die Augen Old Shatterhands, die doch geübter sind als die deinigen, auch nichts zu entdecken vermögen,“ antwortete ich. „Aber es giebt zweierlei Augen, diejenigen des Körpers und diejenigen des Geistes, der Seele. Wenn die einen mit Blindheit geschlagen sind, muß man die andern um so offener halten.“

„Die Augen meines Geistes sehen ebensowenig wie diejenigen meines Körpers.“

„Weil du sie wahrscheinlich nach der falschen Richtung öffnest.“

„So mag Old Shatterhand mir sagen, wohin meine Gedanken gehen sollen.“

„Natürlich hinter dem Häuptlinge der Yuma her.“

„Das haben sie doch bisher gethan, aber ohne ihn entdecken zu können.“

„Weil du von heut ausgehst. Beginne mit gestern, so wirst du Erfolg haben. Als eure beiden Angreifer vor mir flohen, standest du droben auf dem Felsenvorsprunge und konntest also besser und weiter sehen als ich. Sie ritten das Thal hinauf. Wir haben dieselbe Richtung eingeschlagen, ohne eine Spur von ihnen oder gar sie selbst zu sehen. Woran mag das liegen?“

„Sie haben wahrscheinlich das Thal sobald als möglich verlassen.“

„Das denke ich auch. Die Thalwände sind steil. Kann ein Reiter da hinauf?“

„Nein. Sie haben also in ein Seitenthal einbiegen müssen.“

„Ja. Ich sehe, daß mein junger Bruder die Augen seiner Seele richtig zu gebrauchen versteht. Natürlich aber haben die beiden Flüchtlinge das Seitenthal nicht aufs Geratewohl aufgesucht.“

„Nein, sondern ihre Leute haben sich in demselben befunden.“

„Ganz richtig! Kann mein junger Bruder mir noch einen anderen Grund dafür angeben, daß die Sache sich so verhält?“

„Nein,“ antwortete er nach einer Weile vergeblichen Nachdenkens.

„So will ich ihm denselben sagen. Ich nehme an, daß die Yuma die Hazienda überfallen wollen und daß sie sich schon in der Gegend derselben befinden, um den passenden Augenblick abzuwarten. Da werden sie sich nicht offen zeigen, sondern sich verstecken. Das Thal ist ein Teil des Weges, welcher von Ures nach der Hazienda führt; es kann denselben jeden Augenblick jemand benutzen. Darum konnten sich die Yuma nicht hier postieren, und das ist der Grund, den ich meine. Der Häuptling und sein weißer Begleiter haben sich gestern in diesem Hauptthale befunden, um auf die Spähe zu gehen, und da zufällig euch getroffen. Wo aber Späher sind, da befinden sich die Krieger, zu denen diese gehören, sicherlich in der Nähe. Wenn ich sage „Nähe,“ so meine ich allerdings keine sehr geringe Entfernung, denn wenn sich die Yumas nur eine kurze Strecke von hier befunden hätten, so wären sie sicherlich von dem Häuptlinge schleunigst herbeigeholt worden, um uns zu ergreifen oder wenigstens zu verfolgen. Wir haben also anzunehmen: Die Yumas befinden sich in einem Seitenthale dieser Hauptschlucht, aber soweit von der letzteren entfernt, daß sie wenigstens eine Stunde brauchen, um zu Pferde hierher zu gelangen. Will mein junger Bruder sagen, von welcher Beschaffenheit dieses Seitenthal sein muß?“

„Es muß bewachsen sein; es muß Bäume haben, hinter denen man sich verstecken kann, und Gras, welches als Futter für die Pferde dient.“

„Sehr wahr. Und nun mag mein Bruder sich erinnern, daß wir gestern an den Mündungen dreier Nebenthäler vorübergekommen sind. Wieweit lag die erste von hier?“

„Diejenige Zeit, welche die Weißen eine halbe Stunde nennen.“

„Und die anderen?“

„Die zweite eine Viertelstunde weiter und die dritte war sehr, sehr weit von hier gelegen.“

„Ja, soweit, daß sie hier gar nicht mit in Betracht kommen kann. Jetzt erinnere sich mein Bruder genau an die beiden Mündungen. Wie waren sie beschaffen? Deuteten beide darauf hin, daß sie der Beginn eines Thales seien, welches sich wenigstens eine halbe Stunde weit in die Berge hineinzieht?“

„Nein,“ antwortete er, ohne sich zu besinnen. Er besaß also ein gutes Ortsgedächtnis. „Das erste Thal scheint schmal und kurz zu sein. Aber die Mündung des zweiten war sehr breit.“

„So haben wir die Yumas also sehr wahrscheinlich in diesem zweiten zu suchen, und diese Wahrscheinlichkeit wird sich erhöhen, wenn wir sehen, daß es bewachsen ist. Das werden wir jetzt thun.“

Ich stieg bei diesen Worten in den Sattel. Der Knabe folgte meinem Beispiele und meinte mit jugendlicher Wichtigkeit:

„Aber sehr vorsichtig müssen wir sein, denn hinter den Bäumen, welche wir sehen wollen, können die Yumas stecken!“

„Das wünsche ich eben,“ lachte ich. „Es würde mich freuen, wenn sie sich nirgends anderswo befänden.“

„Aber dann sehen sie uns doch kommen!“

„Wir werden schon dafür sorgen, daß sie uns nicht bemerken.“

Die Art und Weise, wie ich mich ihm gab, ermutigte ihn zu dem Einwande:

„Mein berühmter weißer Bruder mag bedenken, daß wir nach Bäumen suchen! In einer ebenen Gegend kann man diese schon aus weiter Entfernung entdecken. Wir stehen aber im Begriffe, ein Thal aufzusuchen, welches wahrscheinlich viele Windungen macht. Wer da einen Wald entdeckt, der steht auch schon vor demselben, und wenn der Feind sich darin befindet, so kann es sehr leicht keine Zeit zur Umkehr geben!“

„Mein kleiner Bruder spricht wie ein alter, erfahrener Pfadfinder. Vielleicht ist er so freundlich, sich zu vergegenwärtigen, daß die Windungen eines Thales, hinter denen allerdings die Gefahr drohen kann, dem vorsichtigen Manne Schutz gewähren. Die Krümmung, hinter welcher der Feind sich verbirgt, hindert ihn, mich zu sehen. Übrigens, um einen Vergleich zu bringen, wer ein Feuer entdecken will, der braucht nur auf den Rauch oder den hellen Schein zu achten und hat nicht nötig, hinzugehen und die Hand hineinzuhalten, um sich durch die Brandwunden zu überzeugen, daß es vorhanden ist. Wir werden also das zweite Thal, in welchem wir den Feind vermuten, sehr wahrscheinlich gar nicht betreten.“

Er nahm diese Worte als das hin, was sie waren, eine Zurechtweisung, auf die er den Kopf senkte und schwieg. Wir ritten vorwärts, von dieser Stelle aus den nämlichen Weg wie gestern nehmend, ich voran, indem ich mein Pferd so lenkte, daß es ziemlich stets Fels unter die Hufe bekam und also keine Fährte machte. Der Ritt war nicht ganz ungefährlich, da uns in jedem Moment ein Yuma oder ein Trupp dieser Roten entgegenkommen konnte. Glücklicherweise geschah dies nicht. Nach der angegebenen Zeit von einer halben Stunde kamen wir an die Mündung des ersten Seitenthales, welches ebenso wie das zweite nach links führte. Ich bog da ein. Der Indianer zögerte einen Augenblick, dann folgte er mir, ohne ein Wort zu sagen. Er konnte mich nicht begreifen, schwieg aber, um nicht wieder eine Zurechtweisung zu erhalten. Wenn wir die Yumas im zweiten Thale zu suchen haben, warum reiten wir da ins erste hinein? So fragte er sich. Die Antwort wurde ihm schon nach kurzer Zeit.

Das Thal war so gestaltet, wie wir vermutet hatten, schmal und seicht. Es stieg schnell aufwärts, und als ungefähr zehn Minuten vergangen waren, hatten wir sein Ende erreicht; wir befanden uns oben auf der Ebene. Da lag die Kreisfläche, welche der Horizont umschloß, vollständig übersehbar vor uns. Nach Süd, West und Nord gab es Ebene; im Osten lagen Berge. Die Ebene war kahl, eine Stelle ausgenommen, welche gegen Nordwest lag; dort ließ ein dunkler Streifen einen Wald vermuten. Ich deutete mit der Hand in diese Richtung und fragte:

„Was liegt wohl dort hinter jener dunklen Linie?“

„Ein Wald.“

„Nein, denn diese Linie ist eben selbst der Wald. Er besäumt die Höhe des zweiten Thales, welches wir suchen. Jetzt wird mein junger Bruder wissen, warum ich nicht dorthin, sondern hierher geritten bin. Dort hätte uns Gefahr gedroht; hier haben wir den Wald entdeckt, ohne daß diejenigen, welche hinter demselben stecken, uns sehen können. Wenn die Yumas sich wirklich dort befinden, so können sie eine Störung nur von dem Hauptthale aus erwarten und werden nach dieser Richtung Wachen ausgestellt haben. Wollen wir sie erkundschaften, so können wir also getrost hinüber nach dem Walde reiten, ohne befürchten zu müssen, daß sie uns kommen sehen. Mein junger Bruder sieht nun wohl ein, daß man ein Feuer entdecken kann, ohne daß man sich die Hand an demselben verbrennt.“

„Old Shatterhand mag mir nicht zürnen,“ antwortete er demütig. „Ich bin ein Knabe und hatte nicht daran gedacht, daß ich ein Mann werden will. Reiten wir hinüber?“

„Ja, denn ich muß unbedingt wissen, woran ich bin. Will mein junger Bruder vielleicht hier zurückbleiben und auf mich warten?“

„Ich reite mit, selbst wenn der ganze Stamm der Yumas sich dort befindet,“ erklärte er mit blitzendem Auge. „Aber wenn Old Shatterhand es befiehlt, so muß ich bleiben.“

„Du sollst mit, doch hoffe ich, daß du keinen Fehler machst. Du weißt ja, wie gefährlich es ist, am hellen Tage ein feindliches Lager zu beschleichen.“

Ich setzte mein Pferd in Bewegung, und zwar in Galopp, denn je schneller wir über die offene Ebene kamen, desto kürzer wurde die Zeit, während welcher wir doch vielleicht gesehen werden konnten. Am Walde angelangt, stiegen wir ab und banden unsere Pferde an. Es galt zunächst, den Rand des Gehölzes auf eine genügende Strecke hin abzusuchen. Wir fanden nichts Verdächtiges und schafften die Pferde in ein Dickicht, welches selbst für scharfe Augen undurchdringlich war.

„Will mein Bruder die Pferde bewachen oder mit mir gehen?“ fragte ich.

„Ich gehe mit!“

„Oder will er noch lieber selbständig handeln? Wenn wir uns teilen, kommen wir in der halben Zeit zum Ziele.“

„Hat Old Shatterhand Vertrauen zu mir, so mag er nur sagen, was ich thun soll. Er wird keinen Fehler von mir sehen.“

„So komm! Wir müssen zunächst den Rand des Thales suchen.“

Wir drangen tiefer in den Wald ein und kamen bald an die richtige Stelle, denn hier senkte sich der Boden schnell und steil in die Tiefe. Wir stiegen hinab, bis wir sahen, daß der Grund des Thales aus Rasen bestand, welcher von einem kleinen Wässerchen befeuchtet wurde; die steilen Seiten waren mit dichtem Walde besetzt.

„Jetzt trennen wir uns,“ sagte ich. „Ich gehe eine Viertelstunde abwärts; du gehst ebenso weit aufwärts; dann kehren wir an diese Stelle zurück, um uns mitzuteilen, was wir gesehen haben. Bemerken wir nichts, so setzen wir die Nachforschungen fort, bis wir entweder die Yumas finden oder das ganze Thal abgesucht haben. Aber laß dich durch nichts bestimmen, ein Geräusch zu machen, oder etwa gar zu schießen!“

Diese Warnung sprach ich aus, weil ich dem Knaben doch nicht genug Selbstbeherrschung und Bedachtsamkeit zutraute, um, falls er den „großen Mund“ sehen sollte, seinen Wunsch nach Rache zu zügeln. Ich ging die betreffende Strecke ab, ohne etwas Bestimmtes zu sehen. Zwar gab es auf der Mitte der Thalsohle eine Linie im Grase, welche ich für eine Fährte hielt, doch konnte dieselbe ebensogut von einem Wilde wie von einem Menschen herrühren, und die Vorsicht verbot mir, hinüber zu gehen, um sie zu untersuchen.

Als ich nach der Stelle, an welcher wir auseinandergegangen waren, zurückkehrte, war der Knabe noch nicht wieder da; er kam jedoch bald und meldete mir:

„Ich sah niemand; aber es befindet sich eine Fährte im Grase.“

„Die habe auch ich bemerkt.“

„Und sodann hat meine Nase weiter gesehen als mein Auge, denn es roch nach Feuer.“

„Und gebratenem Fleisch etwa?“

„Nein; ich roch nur Rauch. Es muß aufwärts von der Stelle, an welcher ich umkehren mußte, ein Feuer brennen.“

„So komm, uns zu überzeugen!“

Wir huschten unter den Bäumen hin, den Blick immer scharf voran, um, falls sich jemand vor uns befinden sollte, diese Person eher zu entdecken, als sie uns zu sehen vermochte. Da, wo der junge Mimbrenjo umgekehrt war, blieb er stehen, sog die Luft durch die Nüstern ein und sah mich erwartungsvoll an. Ich nickte ihm zu und ging weiter; ja, es roch nach Rauch und je weiter wir kamen, desto deutlicher wurde der Geruch. Nach einiger Zeit blieb der Knabe, welcher hinter mir herschritt, stehen, hielt mich zurück und sagte in flüsterndem Tone:

„Sollten es Weiße sein?“

„Wohl kaum.“

„Aber es riecht nach Haba !“

„Die werden auch von Indianern gegessen. Komm nur weiter!“

Bald wurde auch mir der Geruch, welchen kochende Bohnen verbreiten, bemerkbar. Bohnen sind ein Lieblingsgericht des Mexikaners, und auch die Indianer Mexikos essen sie gern. Daß aber hier im wilden Walde welche gekocht wurden, war auffällig. Bohnen als Proviant auf einem Kriegszuge der Indianer! Dazu gehörten Kessel, Töpfe und auch andere Gefäße und Utensilien, ein Beweis, daß bei diesem Raubzuge nicht bloß Indianer im Spiele waren.

Wir kamen nun so nahe, daß wir nicht nur den Brandgeruch, sondern den wirklichen Rauch in die Nase bekamen, und sahen dann das, was wir gesucht hatten, vor uns liegen. Eigentlich sahen wir mehr, als wir gesucht hatten. Ich hatte einen Trupp von Indianern erwartet, frei im Walde liegend; hier aber befand sich ein richtiges, wohlgeordnetes Lager mit Zelten und allen andern Bequemlichkeiten, welche der Rote sich gewährt, solange er sich sicher fühlt.

Wir zählten wohl an die zwanzig Zelte, alle aus starker, grober Leinwand bestehend und mehr oder weniger zerrissen oder ausgebessert. Das Häuptlingszelt, an drei Adlerfedern kenntlich, stand in der Mitte. Vor demselben waren Stangen errichtet, an denen über sechs Feuern ebensoviele eiserne Kessel hingen, in denen die Bohnen kochten. Ein mehr seitwärts stehendes, niedriges Zelt schien als Vorratsraum zu dienen. Die Roten lagen in und neben ihren Zelten oder saßen in Gruppen besammen. Mehrere bedienten die Kessel, deren Inhalt sie rührten, damit er nicht anbrennen solle.

„Da,“ flüsterte mir der Knabe zu, „da sind sie, im zweiten Seitenthale, ganz so, wie Old Shatterhand vermutete. Soll ich sie zählen?“

„Nein, denn das ist jetzt unmöglich, da viele in den Zelten stecken. Aber zähle die Pferde! Sie befinden sich jedenfalls weiter aufwärts, da wir sie abwärts nicht gesehen haben.“

„Soll ich gehen?“

„Ja, doch nimm dich in acht!“

Ich ließ ihn allein fort, weil es ihm große Genugthuung gewährte, sich selbständig bewegen zu dürfen und das Vertrauen zu genießen, welches man sonst nur einem erfahrenen Krieger schenkt. Als er nach einiger Zeit zurückkehrte, öffnete und schloß er die Hände, um mir durch die Zahl der Finger diejenige der Pferde deutlich zu machen, und sagte:

„Ich sah zweimal fünfmal zehn Pferde und noch drei dazu.“

Kein Naturindianer kann so wie wir bis hundert zählen. Die höchste Zahl ist bei vielen Stämmen die Zehn, bei manchen sogar nur die Fünf; daher die Ausdrucksweise meines Mimbrenjoknaben. Er hatte hundert und drei Pferde gezählt. Da sich unter denselben eine Anzahl Packpferde befanden, so konnte man auf ungefähr neunzig Indianer schließen. Squaws gab es nicht; es waren nur Krieger vorhanden, und diese waren, wie es den Anschein hatte, durchgängig mit Gewehren bewaffnet.

Trotz dieser bedeutenden Anzahl herrschte die größte Stille im Lager; man fühlte sich zwar sicher, ließ aber die nötige Vorsicht nicht außer acht. Jetzt sah ich einen der an den Kesseln beschäftigten Männer in das Häuptlingszelt treten. Er meldete wahrscheinlich, daß das Essen fertig sei, denn als er wieder herauskam, klatschte er einigemale in die Hände und rief mit lauter Stimme:

„Miuschyam, ma – – kommt herbei, das Essen ist fertig!“

Die in den Zelten befindlichen Indianer kamen mit ihren Näpfen heraus; die andern eilten hinein, sich die ihrigen zu holen; alle gingen nach den Feuern, um die Näpfe füllen zu lassen. Nur zwei thaten das nicht. Sie fühlten sich zu vornehm, an der allgemeinen Speisung sich zu beteiligen. Die beiden waren der große Mund und ein Weißer, welche aus dem Zelte des Häuptlings getreten waren und nun vor demselben standen, um die bewegte Scene vor sich zu beobachten. Wer der Weiße war, konnte ich nicht gleich sehen, weil er mir den Rücken zukehrte; später, als er eine Wendung machte, erkannte ich in ihm – – den jungen Weller, unsern früheren Kajütenwärter.

So hatten meine Vermutungen also überall das Richtige getroffen, und es fragte sich nur, wo sich sein Vater befand. Hier im Lager jedenfalls nicht, sonst hätte er sich jetzt mitsehen lassen.

Die Speisung der neunzig war binnen drei Minuten vorüber; dann begann das faule Lungern von neuem. Wir beobachteten das Lager noch längere Zeit und bemerkten kein Anzeichen, welches erraten ließ, daß noch heute irgend ein Unternehmen im Plane sei. Später kam der Häuptling wieder mit Weller aus dem Zelte. Auf einen Wink des letzteren wurde ein Pferd gebracht, welches er, wie ich sah, besteigen wollte.

„Komm!“ raunte ich dem Mimbrenjo zu. „Wir müssen fort.“

„Wohin?“

„Weiß es noch nicht genau, wahrscheinlich aber nach der Hazienda.“

Wir gingen denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, und sahen, noch ehe wir aufwärts stiegen, Weller das Thal hinabreiten. Er war allein, Nun ging es mit verdoppelten Schritten hinauf zur Höhe und zu den Pferden. Wir zogen diese heraus ins Freie, stiegen auf und jagten nach dem ersten Seitenthale zurück, an dessen Mündung wir uns hinter einen Felsen stellten, um aufzupassen. Hatte Weller sich im Hauptthale abwärts gewendet, so mußte er an uns vorüber; kam er nicht, so ritt er aufwärts und hatte jedenfalls die Hazienda zum Ziele.

Er kam nicht, obgleich wir wohl eine Viertelstunde warteten, und so beschloß ich, mich auch aufwärts zu wenden, um ihm zu folgen. Dabei gingen mir allerlei Vermutungen durch den Kopf. Vor allen Dingen fragte ich mich, ob er sich auf der Hazienda sehen lassen werde, oder heimlich nach derselben wolle. Das letztere schien mir das wahrscheinlichere zu sein, da er jedenfalls den Boten zwischen dem Häuptlinge und dem Mormonen machte. War meine Ansicht die richtige, so kam er mit Melton an irgend einem abgelegenen Orte zusammen. Hätte ich denselben gekannt, so wäre es möglich gewesen, sie zu belauschen und vielleicht den ganzen Plan, den sie hegten, zu erfahren. Aber ich kannte diesen Ort eben nicht. Doch, war es denn nicht möglich, ihn zu erfahren? Ja, aber da mußte ich rasch machen.

Wir verließen also die Mündung des ersten Seitenthales und ritten schnell aufwärts, an der Mündung des zweiten vorüber und dann weiter. Ich war überzeugt, den jungen Weller vor uns zu haben, mußte aber doch sehen, ob dies nicht vielleicht ein Irrtum sei. Dabei hieß es, vorsichtig zu sein, denn es galt, ihn zu sehen, ohne von ihm bemerkt zu werden.

Glücklicherweise hörte der Felsen bald auf, und es gab weicheren Boden, welcher den Hufschlag unserer Pferde dämpfte. In diesem Boden war die Spur eines Reiters deutlich zu sehen; er war, wie ich derselben entnahm, langsam geritten; wir mußten ihn also bald einholen. Richtig! Noch ehe wir das dritte Nebenthal erreichten, kamen wir an eine Krümmung, welcher wir vorsichtigerweise nicht sofort folgten, sondern hinter deren Ecke wir erst vorlugten. Da ritt er, höchstens dreihundert Schritte vor uns. Er war es, und nun gab es keinen Zweifel darüber, daß er nach der Hazienda wollte. Mein Mimbrenjo war mir bisher schweigend gefolgt; jetzt konnte er seine jugendliche Ungeduld nicht mehr bemeistern und fragte:

„Warum folgen wir diesem Bleichgesichte nach? Darf ich das von Old Shatterhand erfahren?“

„Ja. Ich folge ihm, weil er ein Bote des großen Mundes ist.“

„An wen?“

„Ich vermute, an Melton, welcher gestern unser Gefangener war. Wahrscheinlich werden sie sich heimlich treffen und von dem Überfalle sprechen, welchen ich verhüten will. Dabei kann ich wohl erfahren, was sie eigentlich planen.“

„Will mein großer, weißer Bruder sie belauschen?“

„Ja.“

„Aber er kennt doch nicht den Ort, an welchem sie miteinander sprechen werden!“

„Ich hoffe, ihn zu erfahren.“

„Da müßten wir dem Bleichgesichte da immer auf dem Fuße folgen und dürften es nicht aus dem Auge lassen. Dreht sich dieser Weiße aber einmal um, so muß er uns sehen.“

„Ich werde ihm erst folgen, wenn es dunkel geworden ist, sodaß er mich nicht sehen kann, und dann werden wir ihm zuvorkommen, indem wir ihm auf einem Umwege vorauseilen.“

„Dann sieht er unsere Spuren.“

„Er wird sie für diejenigen von zwei Hirten des Haziendero halten. Vielleicht trifft er auch erst nach Anbruch der Dunkelheit auf unsere Fährte, die er dann nicht sehen kann. Wir kennen den Weg, den er einzuschlagen hat, genau, weil wir ihn gestern geritten sind. Sehr wahrscheinlich reitet er bis an den See, in welchen der Arroyo mündet. Wenn wir ihn dort erwarten, haben wir ihn sicher. Auch paßt es in Beziehung auf die Zeit sehr gut, weil es dunkel sein wird, wenn wir dort ankommen.“

„Und welchen Umweg werden wir machen?“

„Das weiß ich nicht genau, da ich die Gegend nicht kenne. Wir reiten in das dritte Seitenthal hinein und werden sehen, wohin uns dasselbe führen wird.“

„Wohin es führt, das weiß ich ganz genau, denn dieses Thal ist eben der Weg, welchen ich mit meinem jüngern Bruder und meiner Schwester eigentlich einzuschlagen hatte. Wir wichen nur deshalb von demselben ab, weil wir glaubten, auf der Hazienda Pferde zu bekommen.“

„Nun, wohin werden wir gelangen, wenn wir diesem Thale folgen?“

„Hinaus auf die große Ebene, auf welcher nur zuweilen eine kleine Höhe liegt.“

„Eine freie Ebene? Es giebt also für einen schnellen Ritt keine Hindernisse?“

„Nein. Reitet man geradeaus, so kommt man an den Wald der Lebenseiche, wo wir mit unsern Kriegern zusammentreffen wollen. Will man nach der Hazienda, so hält man sich nach rechts; das weiß ich genau; wie aber dieser Weg ist, das kann ich nicht sagen, denn ich bin ihn noch nicht geritten,“

„Ist auch nicht nötig, da das, was du mir gesagt hast, vollständig genügt. Ich weiß jetzt, daß wir den kleinen See zur richtigen Zeit erreichen werden. Laß uns also wieder vorwärts machen!“

Während dieser kurzen Wechselrede war Weller vor uns verschwunden; wir konnten also weiter reiten. Dies thaten wir zunächst langsam, um ihm nicht wieder so nahe zu kommen; dann aber, als wir in das dritte Seitenthal eingebogen waren, trieben wir unsere Pferde an, und als wir oben auf die Ebene gelangten, jagten wir im Galopp über dieselbe hin, indem wir unsern Pferden nur zuweilen Zeit gaben, sich ein wenig zu verschnaufen, und ließen sie erst dann langsamer gehen, als zu befürchten stand, daß wir, falls wir so weiter ritten, viel zu zeitig am See ankommen würden; denn am Tage durften wir uns dort unmöglich sehen lassen.

Eben als die Sonne hinter dem westlichen Horizonte verschwand, sahen wir an dem östlichen einen Wald auftauchen.

„Das werden wohl die Bäume sein, welche am Rande des Arroyothales stehen,“ vermutete mein Mimbrenjoknabe.

Ich war derselben Meinung und hielt also auf den Wald zu. Als wir ihn erreichten, dunkelte es bereits. Wir stiegen ab, um unsere Pferde weiterzuführen. Die Bäume standen nicht eng; wir kamen leicht vorwärts, bis der Boden sich senkte und wir nach kurzer Zeit das Wasser des Sees zu unserer Linken schimmern sahen. Von rechts her mußte der junge Weller kommen. Zunächst galt es, unsere Pferde so zu verbergen, daß sie nicht entdeckt werden konnten, aber auch Gras und Wasser hatten, um ihren Hunger und Durst befriedigen zu können. Ein solcher Ort ward sehr bald gefunden, Die Pferde blieben unter der Aufsicht des Indianers, den ich nicht bei mir haben konnte; auch ließ ich ihm meine Gewehre, welche mich doch nur belästigt hätten. Ich gebot dem Knaben, sich auf keinen Fall zu entfernen, und begab mich dann nach der andern Seite des Sees, wo Weller vorüber mußte. Mich dort hinter einigen Büschen ins Gras legend, erwartete ich sein Kommen, welches nach meiner Berechnung bald erfolgen mußte.

Die Stelle, an welcher ich lag, und auch diejenige, an der sich der Mimbrenjo mit den Pferden befand, waren uns durch einen günstigen Zufall gezeigt worden, denn weder er noch ich wurde durch die Hirten gestört, welche die Pferde und Rinder des Haziendero zu bewachen hatten. Es herrschte außer dem leisen Rauschen, das durch die Blätter ging, tiefe Stille um mich her, sodaß mir das leiseste Geräusch, welches nicht in das nächtliche Leben des Waldes gehörte, auffallen mußte.

Als ich ungefähr eine halbe Stunde gewartet hatte, vernahm ich leise Schritte, welche sich von links her näherten. Das war die Richtung, aus welcher der frühere Kajütenwächter kommen mußte. Er kam auf dem Wege, welcher am Ufer des Sees hinführte, und mußte an mir vorüber. Das war kein ausgetretener Weg, wie etwa ein Pfad in einer belebteren Gegend, sondern eben nur der grasige Rand des Sees. Am Tage konnte man wohl sehen, daß Leute zuweilen da zu gehen pflegten, des Nachts aber fiel er für das Auge mit der die Thalsohle bildenden Wiese zusammen. Er war so weich, daß mein geübtes Ohr dazu gehörte, schon von weitem die Schritte Wellers zu hören.

Da dieser zu Fuß kam, so mußte er sein Pferd an einem versteckten Orte zurückgelassen haben. Er ging langsam und blieb zuweilen stehen, um zu lauschen, ob jemand da sei, der ihn hören könne. Dadurch wurde es mir möglich, ihm unbemerkt zu folgen. Wäre er rascher gegangen, so hätte ich ihn wohl, da ich mich außer Gesichtsweite halten mußte, bald aus dem Gehör verloren. So huschte ich mit niedergebeugtem Körper hinter ihm her, blieb stehen, wenn ich seine Schritte nicht mehr hörte, und folgte wieder, wenn er weiter ging, bis wir den See hinter uns hatten und uns nun an dem Bache befanden, welcher sich in denselben ergoß.

Ungefähr fünfzig Schritte von der Mündung aufwärts stand hart am Wasser eine hohe, breitgegipfelte Chopo-Erle, in deren Nähe es kein Buschwerk gab. Es war ein offener Platz, dessen Mitte sie beschattete. Ich blieb hinter dem letzten Strauche halten, da ich seine Schritte nicht mehr hörte; er mußte unter der Erle stehen geblieben sein. Da ich eine ganze Weile angestrengt lauschte, ohne seine Schritte wieder zu hören, nahm ich an, daß er sich mit demjenigen, den er sprechen wollte, verabredet hatte, am Fuße dieses Baumes zusammenzutreffen. Das war mir nichts weniger als lieb, denn ich konnte den freien Raum, welcher zwischen mir und der Erle lag, unmöglich überschreiten, ohne gesehen zu werden. Unter den Bäumen und im Gebüsch hatte Dunkelheit geherrscht, vor mir hingegen war es, obgleich der Mond noch nicht am Himmel stand, so hell, daß man mich unbedingt bemerken mußte, zumal ich den alten, lichten Anzug trug. Der neue befand sich noch im Bündel hinter den Sattel. Doch gerade dieser Umstand ließ mich auf ein Mittel verfallen, meinen Zweck doch zu erreichen. Die Ufer des Baches waren ziemlich hoch, und so konnte mir das Wasser als Weg nach der Erle dienen. Hätte ich den neuen, teuern Anzug getragen, so wäre der Gedanke, ihn durch und durch einzunässen, mir wohl nicht als sehr annehmbar erschienen.

Ich leerte also meine Taschen, legte auch den Gürtel mit allem, was in demselben steckte, ab, verbarg diese Gegenstände im Busche und stieg über das Ufer ins Wasser hinab. Es war hier in der Nähe seines Einflusses in den See so tief, daß es mir bis unter die Arme reichte. Ich brauchte mich also, um bis an den Mund darin zu sein, nur ein wenig niederzuducken. Dazu kam, daß das Ufer weit über eine Elle höher als der Wasserspiegel war; so konnte mich also nur derjenige bemerken, welcher die Wasserfläche des Baches absichtlich beobachtete.

Ich schob mich nun vor, langsam und Schritt um Schritt, um keine Wellen zu verursachen. Je weiter ich vorwärts kam, desto vorsichtiger verfuhr ich und desto tiefer nahm ich den Kopf in das Wasser. Zuweilen blieb ich stehen, um zu lauschen. Ja, ich hörte Stimmen. Es sprachen zwei in gedämpftem Tone miteinander. Nach einiger Zeit erreichte ich den Baum, ohne bemerkt worden zu sein, und konnte mich nun sicher fühlen, denn hier im Schatten seines Wipfels wurde ich kaum entdeckt.

Ich streckte die Hände aus, um sie auf die hohe Uferkante zu legen, hielt mich da fest und zog mich langsam hinauf, sodaß meine Augen in gleiche Höhe mit dem Ufer kamen. Ich sah zwei Männer am Stamme sitzen, höchstens drei Ellen vor mir, und hörte auch, was sie miteinander sprachen. Es war der frühere Kajütenwärter mit seinem Vater, nicht Melton. Ich hörte den Vater zum Sohne sagen:

„Dem Haziendero fiel es natürlich gar nicht ein, auf meinen Vorschlag einzugehen.“

„Du botest wohl nicht genug?“ fragte der Sohn.

„Ich habe noch kein Gebot gethan, weil er eben sagte, daß er keine Veranlassung habe, die Besitzungen zu verkaufen. Wenn aber die Indianer dagewesen sind, wird er anders reden. Selbst wenn er Lust zum Verkaufe gehabt hätte, wäre mein Gebot ein so geringes gewesen, daß es ihm nicht hätte einfallen können, auf dasselbe einzugehen. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt vielleicht drei Vierteile des Wertes bieten soll, wenn ich den ganzen Kram später für ein Viertel bekommen kann.“

„So billig nun wohl nicht!“

„O doch. Die Hazienda befindet sich dann in einem Zustande, welcher es notwendig macht, ein Kapital hineinzustecken, wie es der Haziendero nicht mehr besitzt. Will er dann nicht ganz zum Bettler werden, so muß er verkaufen.“

„Wie nun, wenn er dieses Kapital geliehen bekommt?“

„Das bilde dir nicht ein. Einem mexikanischen Geldmanne fällt es nicht ein, sein schönes Geld an eine solche Liegenschaft zu wagen; dazu ist er nicht spekulativ genug.

Bei uns ist es etwas anderes. Es ist vorauszusehen, daß wir über kurz oder lang aus den Vereinigten Staaten fort müssen. Utah ist für uns verloren, und unsere schöne große Salzseestadt wird in nicht ferner Zeit den Unheiligen in die Hände fallen. Die Vielweiberei ist nun einmal gegen die sogenannte christliche Moral und gegen die Gesetze der Union, deren Bewohner ja die „allermoralischsten“ sind; wir aber lassen nicht von ihr, und so wird und muß es zu einem Auszuge kommen, welcher allerdings an Großartigkeit in der Geschichte nicht seinesgleichen haben wird. Was war der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten gegen die gewaltige Völkerwanderung, welche dann eintreten wird, wenn die Heiligen der letzten Tage mit Weibern und Kindern, mit Hab und Gut die Staaten verlassen! Man hat gefragt, wohin? Nach Norden, also nach Kanada? Nein, denn Kanada ist englisch, und das fromme und doch so sündhafte England duldet die Vielweiberei auch nicht. Nach Ost oder West, also über das Meer? Auch nicht. Also nach Süden! Da liegt Mexiko mit seinen weiten, der Kultur noch harrenden Strecken und seiner großen, nach Süden gerichteten Expansionsfähigkeit. Die Gesetze Mexikos erwähnen die Vielweiberei gar nicht; sie ist also nicht verboten, folglich erlaubt. Mexiko wird sich, wenn seine Regierung einmal längere Zeit in kräftigen Händen liegt, weit nach Süden ausdehnen und zu einem großen, mittelamerikanischen Weltreiche werden, welches sich von den Vereinigten Staaten keine Gesetze vorschreiben läßt. Hier ist der Platz für uns; hier ist die Wohnstätte unserer Nachkommen, welche sich vermehren werden wie der Sand am Meere. Hier also müssen wir uns bei Zeiten festsetzen, und darum strecken wir zunächst die Fühler aus, um zu erfahren, mit welchen Verhältnissen wir zu rechnen haben. Wir brauchen diese Hazienda, weil sie eine reiche Besitzung ist und uns so gut und bequem am Wege liegt. Wir müssen sie haben, und da der Besitzer sie nicht veräußern will, zwingen wir ihn, sie zu verkaufen. Das ist der erste Schritt, den wir über die Grenze thun; gelingt er uns, so werden bald zahlreiche andere Brüder folgen.“

Das war ja geradezu eine Vorlesung, welche der Mann seinem Sohne hielt, ein Vortrag über die Ab- und Aussichten der Mormonen! Die beiden Wellers wollten den Haziendero zum Verkauf zwingen. Wodurch? Durch die Indianer, wie es schien. Aber auf welche Weise? Den Darlegungen des alten Weller nach sollte die Besitzung durch die Roten entwertet werden; man wollte den Haziendero bankerott machen. Also handelte es sich sehr wahrscheinlich um einen Überfall, dem die Verwüstung des schönen Besitztums folgen sollte. Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Weller fuhr fort:

„Der Anfang ist also gemacht, und die Fortsetzung wird folgen. Es war alles so gut eingefädelt und würde sich ganz glatt entwickelt haben, wenn nicht der verdammte Deutsche dazwischen gekommen wäre. Was man gar nicht für möglich halten sollte, dieser eine Mensch ist im stande, unsern ganzen schönen Plan über den Haufen zu werfen. Wer hätte denken sollen, daß dieser Old Shatter – –“

„Ist es denn wirklich Old Shatterhand?“ fiel ihm der, Sohn in die Rede. „Das müßte doch wohl erst bewiesen werden. Es ist sehr leicht möglich, daß wir uns irren.“

„Von einem Irrtume ist keine Rede mehr. Der Beweis ist gestern erbracht worden, denn er selbst hat zugegeben, daß er Old Shatterhand ist. Denke dir, es ist zum Kampfe zwischen ihm und Melton gekommen!“

„Alle Wetter! Wie konnte Melton das geschehen lassen! Er mußte sich doch sagen, daß er gegen den Deutschen, wenn derselbe wirklich Old Shatterhand ist, unmöglich aufkommen kann. Was hat ihn denn zu einer so unverzeihlichen Unvorsichtigkeit verleitet?“

„Es war keine Unvorsichtigkeit. Ich denke, daß ich an seiner Stelle ganz ebenso gehandelt hätte. Der Deutsche hat ihn halb und halb durchschaut. Die Faxe mit dem Pferde spielte er, um nach Ures zu kommen. Was dann geschehen ist, weißt du. Er befreite die drei Mimbrenjos, als wir sie angriffen, und erschoß dabei den Sohn des großen Mundes. Darauf ist er nach der Hazienda geritten, um den Besitzer zu warnen, und hat ihm von einem Überfalle der Yumas gesprochen und Melton als Schwindler bezeichnet.“

„Das ist freilich gefährlich für uns. Weiter, weiter!“

„Glücklicherweise hat der Haziendero darüber gelacht. Du weißt, wenn Melton sich einmal vorgenommen hat, einen Menschen für sich einzunehmen, so ist der Erfolg sicher. Und dieser ebenso gute wie dumme Don Timoteo Pruchillo hat ein Vertrauen zu ihm gefaßt, welches gar nicht zu erschüttern ist. Er hat dem Deutschen einfach den Rat gegeben, die Hazienda zu verlassen.“

„Hat er das gethan?“

„Ja. Er hat fortreiten wollen, gerade als Melton gekommen ist. Dieser hielt ihn für kurze Zeit zurück, ging schnell zum Haziendero und erfuhr von diesem Wort für Wort, was der Deutsche gesagt hatte. Es galt, zu handeln. Der Kerl mußte verschwinden. Melton begleitete ihn also ein Stück und verabschiedete sich dann von ihm, eilte ihm aber heimlich voraus, um sich ins Gebüsch zu stecken und ihn niederzuschießen. Als er zu der Stelle kommt, die er sich dazu ausersehen hat, steckt Old Shatterhand da!“

„Unmöglich!“

„Ja, und dort ist es zum Kampfe gekommen, wobei er Melton die beiden Hände ausgerenkt hat. Melton ist dadurch natürlich für längere Zeit unfähig geworden, eine Waffe zu gebrauchen.“

„Das ist stark! So etwas hat man noch nicht gehört! Sonst aber ist Melton nichts geschehen?“

„Nichts. Der Deutsche hat ihn laufen lassen, ihn aber vorher gewarnt. Aus der Warnung geht hervor, daß er diese Gegend jetzt zwar verläßt, aber die feste Absicht hat, wiederzukommen.“

„Wo will er hin?“

„Jedenfalls zu den Mimbrenjos, um sie zur Hilfe gegen unsere Yumas zu holen.“

„Hole ihn dafür der Teufel! Wenn er diese Absicht wirklich hat und sie auch in Ausführung bringt, so ist es mit unserm schönen Plane freilich so gut wie zu Ende.“

„Doch noch nicht. Müssen wir denn warten, bis er mit ihnen kommt? Er hält sich für den klügsten Menschen der Welt, hat aber höchst albern gehandelt, als er merken ließ, daß er ahnt, was wir vorhaben. Ich an seiner Stelle hätte Melton kalt gemacht. Er hatte das vollste Recht dazu. Nun aber wird Melton sich zwar nicht persönlich am Kampfe beteiligen können, aber seine gelähmten Hände hindern ihn doch nicht, das Kommando zu führen.“

„Von einem Kampfe wird wohl gar keine Rede sein. Den guten Deutschen, die so schön in unsere Falle gegangen sind, wird es nicht einfallen, sich zu wehren, zumal wenn sie einsehen, daß es nicht ihnen an den Kragen gehen soll. Und wenn die paar Hirten, welche es hier giebt, sich rühren wollen, so sind sie in weniger Zeit als einer Minute kalt gemacht. Aber beeilen müssen wir uns!“

„Das ist es, was ich meine und womit Melton vollständig einverstanden ist. Wir dürfen nicht so lange warten, wie es eigentlich in unserm Plane lag, sondern müssen möglichst bald losbrechen. Also heute der Überfall, morgen der Handel mit dem Haziendero und übermorgen der Ritt nach Ures, um den Kaufvertrag abzuschließen. Dann mag der Germane mit seinen Mimbrenjos kommen; er kann uns nichts anhaben und wird ausgelacht.“

„Das ist richtig. Es gilt also, die Zeit und Stunde zu bestimmen. Habe ich dem Häuptlinge darüber etwas Genaues zu melden?“

„Nein, da wir ohne ihn nichts beschließen können. Ich werde mit ihm sprechen, um die Zeit mit ihm festzusetzen. Sage ihm also, daß ich morgen ins Lager kommen werde. Ich werde kurz vor der Abenddämmerung dort eintreffen.“

„Kannst du denn von der Hazienda fort, ohne daß es auffällt?“

„Warum nicht? Ich unternehme einen Jagdausflug; es giebt auch noch andere Ausreden.“

„Aber wenn du des Abends nicht zurückkommst?“

„So sage ich am nächsten Morgen, ich hätte mich verirrt gehabt und sei gezwungen gewesen, im Walde zu übernachten. Weit eher kann es auffallen, daß ich mich jetzt entfernt habe. Ich will darum nun rasch zurück. Hast du mir noch etwas mitzuteilen?“

„Nein!“

„Ich dir auch nicht. Wir sind also fertig. Gute Nacht, Junge!“

„Gute Nacht, Vater! Ich laß Melton baldige Heilung seiner Hände wünschen.“

Die beiden gingen auseinander, der Vater am Wasser aufwärts der Hazienda zu, und der Sohn am Wasser abwärts und den See entlang, um wieder zu seinem Pferde zu kommen und zu den Indianern zurückzureiten. Ich stieg aus dem Wasser und schlug, nachdem ich meine abgelegten Sachen wieder zu mir genommen hatte, den letzterwähnten Weg ein, um meinem Indianerknaben zu sagen, daß ich glücklich gewesen sei und nun einmal nach der Hazienda müsse.

Es handelte sich also wirklich um einen Indianerüberfall. Derselbe war für später beabsichtigt gewesen, sollte nun aber, und zwar meinetwegen, beschleunigt werden. Es war also notwendig, meine Landsleute zu warnen, obgleich aus dem Vernommenen hervorging, daß ihnen eine unmittelbare Gefahr dabei nicht drohe.

Lezteres war mir unverständlich. Warum sollte es gerade ihnen nicht „an den Kragen“ gehen, wie Weller senior sich ausgedrückt hatte? Warum sollten nur die Hirten, falls sie sich wehrten, „kalt gemacht“ werden? Es gab da einen dunklen Punkt, der mir trotz alles Nachdenkens nicht hell werden wollte.

Nachdem ich meinen Gefährten benachrichtigt hatte, wendete ich mich wieder bachaufwärts und vermied dabei jedes Geräusch, um nicht etwa von den Hirten bemerkt zu werden. Es war noch nicht spät, und so die Möglichkeit vorhanden, daß man das Thor noch nicht geschlossen hatte. In diesem Falle hoffte ich keine großen Schwierigkeiten überwinden zu müssen, um dem Herkules begegnen zu können. An einen andern wollte ich mich nicht gern wenden. Er war nun einmal so ziemlich in meine Ansichten eingeweiht, und wenn ich ihm auch nicht alles mitteilen konnte, so war er doch derjenige, dem ich die größere Zuverlässigkeit zutrauen durfte.

Leider fand ich das Thor zu. Außerhalb der Mauern befanden sich nur die Hirten, an welche ich mich nicht wenden durfte; ich mußte also hinein. Da gab es nur einen Weg, und zwar den, welchen ich schon einmal benutzt hatte, nämlich das Wasser des Baches, welcher ja unter der nördlichen und südlichen Mauer der Hazienda hindurchfloß. Schaden bringen konnte mir das Wasser nicht; ich war bereits naß, und die Nässe that mir nach der Hitze des Tages sogar wohl.

Ich ging also nach derjenigen Stelle der südlichen Mauer, an welcher der Bach aus dem Hofe der Hazienda ins Freie trat, und stieg hinein. Die Passage war ganz bequem; ich brauchte nicht einmal unterzutauchen, sondern nur mich ein wenig zu bücken, um unter der Mauer hindurchzukommen.

Jenseits derselben war es beinahe tageshell. Es brannten mehrere Feuer, an welchen meine Landsleute beschäftigt waren, sich ihre Abendessen zu bereiten. An Stricken, welche über Stangen gezogen waren, hingen Fleischstücke, welche da trocknen sollten. Man hatte, wie ich sah, mehrere Rinder und Schweine geschlachtet, um Proviant zu machen.

Die große Helle war für meinen Zweck nicht sehr günstig, und doch war es mir nur durch sie möglich, den Herkules zu entdecken. Er hatte sich, wie gewöhnlich und so auch jetzt, von den andern abgesondert und spazierte in sehr unbequemer Entfernung von mir rauchend auf und ab. Es war ganz Unmöglich, mich unbemerkt zu ihm zu schleichen; ich mußte warten und mich in Geduld fassen.

Die Auswanderer waren lustig und guter Dinge. Als sie gegessen hatten, begannen sie zu singen, und zwar ganz selbstverständlich zu allererst dasjenige Lied, welches am unvermeidlichsten ist: Wenn der Deutsche lustig ist, so singt er ganz gewiß: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.“ Der Jude Jakob Silberberg sang auch mit, wie ich sah. Seine Tochter, die schöne Judith, bemerkte ich nicht.

Der Goliath ließ sich auch durch den Gesang nicht anziehen; er entfernte sich vielmehr noch weiter von den Singenden und kam mir dadurch näher. Er schien erregt zu sein, wie ich seinen hastigen, unregelmäßigen Schritten und Wendungen anmerkte. Ob er sich wieder einmal über Judith geärgert hatte? Der Haziendero war nicht zu sehen, Melton und Weller senior auch nicht. Der aufgedunsene Major domo aber ging zuweilen ab und zu.

Nach langer, langer Zeit schienen die Gedanken des Herkules eine Richtung zu nehmen, welche mir, der ich noch immer bis unter den Armen im Wasser stand, günstig war. Er kam langsam auf den Bach zu und blieb am Wasser stehen, ungefähr fünfzehn Schritte von mir entfernt. Jetzt galt es, mich ihm bemerklich zu machen, ohne daß er mich in seiner Überraschung verriet. Ich rief halblaut seinen Namen. Er stutzte und horchte, da er keinen Menschen sah, verwundert auf. Ich nannte den Namen wieder, den meinigen dazu und fügte hinzu:

„Erschrecken Sie nicht! Ich stehe hier im Wasser und laure auf Sie, um mit Ihnen zu reden. Kommen Sie her!“

Er folgte dieser Aufforderung, aber nur zögernd. Es erschien ihm doch sonderbar, aus den Wellen angesprochen zu werden. Ich richtete mich höher auf, sodaß der Schein der Feuer auf mein Gesicht fiel; da erkannte er mich und sagte, natürlich mit leiser Stimme:

„Sie hier, wirklich Sie? Ist’s möglich! Sind Sie ein Nix geworden, oder gehen Sie nur im trüben fischen?“

„Keines von beiden. Setzen Sie sich her ins Gras! Wenn Sie stehen bleiben, fällt es auf.“

Er setzte sich und meinte:

„Sie haben allerdings alle Ursache, sehr heimlich zu thun. Wenn Sie sich sehen ließen, könnte es Ihnen Meltons wegen schlimm ergehen.“

„Wieso?“

„Sie haben ihn ja hinterrücks überfallen und ausgeraubt! Seine Waffen, sein Geld haben Sie ihm genommen. Er hat nur mit Mühe entkommen können und ist unterwegs in der Dunkelheit mit dem Pferde gestürzt, wobei er sich beide Hände verstaucht hat.“

„Ah – – so!“

„Ja – so! Und dazu kommt, daß Sie auch Pferde gestohlen haben.“

„Das ist freilich wahr; ich gebe es zu, obgleich nicht eigentlich ich es gewesen bin. Ich habe den Pferdediebstahl angestiftet!“

„Schöner Mensch, der Sie sind! Aber Scherz beiseite! Wo haben Sie sich denn umhergetrieben, und was ist geschehen, daß Sie Ihre Anstellung als Buchhalter nicht bekommen haben?“

„Ich habe sie nicht bekommen, weil ich sie ausgeschlagen habe, und umhergetrieben habe ich mich da, wo ich mich sehr wahrscheinlich noch einige Zeit umhertreiben werde, nämlich in der Umgegend der Hazienda.“

„Wozu? Sind Sie noch immer mißtrauisch?“

„Ja. Und mein Mißtrauen hat sich als ein sehr begründetes herausgestellt. Meine Vermutungen sind zur Gewißheit geworden. Die Hazienda soll von Indianern überfallen werden –“

„Die Rothäute mögen kommen! Sie werden sich wundern, wenn sie mir so von ungefähr zwischen meine Fäuste geraten.“

„Nehmen Sie die Sache nicht scherzhaft und leicht; ich spreche sehr im Ernste. Giebt es nicht einen gewissen Weller hier?“

„Ja. Er kam heute gegen Mittag hier an.“

„Was will er da?“

„Man munkelt davon, daß er die Absicht hat, die Hazienda zu kaufen. Don Timoteo fällt es aber nicht ein, zu verkaufen.“

„Kennen die beiden einander?“

„Ich glaube, schwerlich.“

„Haben Sie vielleicht Weller und Melton zusammengesehen?“

„Nein. Aus dem sehr einfachen Grunde, weil Melton sich überhaupt nicht sehen läßt. Er soll das Bett hüten, weil er Fieber hat. Der Teufel hole das Fieber!“

„Warum nur das Fieber und nicht den Kranken auch?“

„Meinethalben kann er beide holen, das Fieber und den Kerl dazu. Und wenn er auch Sie mitnimmt, so habe ich auch nichts dagegen!“

„Sehr verbunden! Was habe ich Ihnen denn zu leid gethan, daß Sie mir einen solchen Wunsch aussprechen?“

„Das können Sie noch fragen! Ich möchte aus Ärger über Sie zerplatzen, und da fragen Sie noch ganz ruhig und vergnügt, was Sie mir gethan haben! Wissen Sie vielleicht, wo Judith ist?“

„Nein. Wie kann ich das wissen! Aber warum fragen Sie so? Ist sie denn fort?“

„Fort? Sie ist da; sie ist sogar sehr da; sie ist ganz außerordentlich am Platze!“

„Reden Sie doch deutlicher! Wo steckt sie denn; was thut sie, und was ist’s mit ihr?“

„Wo sie steckt?“ knirschte er. „Drin bei Melton. Was sie thut? Sie pflegt ihn. Und was es mit ihr ist? Aus ist’s mit ihr, ganz und vollständig aus! Denken Sie sich das Mädchen als Pflegerin dieses Menschen! Können Sie sich das überhaupt denken?“

„Warum nicht? Oder hat sie kein Geschick zur Krankenpflege?“

„Fragen Sie nicht so dumm! Das Mädchen hat Geschick zu allem, was es nur geben kann, das meiste aber dazu, die Männer verrückt zu machen.“

„So sind Sie sehr wahrscheinlich auch ein wenig verrückt?“

„Sehr wahrscheinlich! Und ich befürchte, daß ich in dieser Verrücktheit etwas thue, was man sonst nicht alle Tage zu thun pflegt, nämlich dem Melton den Kopf auf den Rücken drehen.“

„Das kann Ihnen leicht den eigenen Kopf kosten!“

„Schadet nichts. Ich habe ihn ja schon halb verloren. Sie sehen also, daß ich zornig auf Sie sein muß. Hätten Sie Melton in Ruhe gelassen, so wäre er nicht krank geworden und brauchte keine Pflegerin!“

„Kann ich dafür, daß die Jüdin so barmherzig ist? Warum giebt sie sich dazu her?“

„Doch nur, um mich zu ärgern; ich weiß es ja. Und ihr Vater hat seine Einwilligung dazu gegeben, um sich bei Melton einzuschmeicheln. Ich wollte, Sie hätten wirklich recht mit Ihren Indianern. Ich wünsche sehr, daß die Roten kommen und das ganze Pack zusammenhauen!“

„Und Sie mit! Nicht? Sie können übrigens in dieser Beziehung vollständig unbesorgt sein. Ihr menschenfreundlicher Wunsch wird in Erfüllung gehen; die Indianer werden kommen; ja, sie sind sogar schon da.“

„Sie scherzen doch nur?“

„Nein. Ich habe sie gesehen und beobachtet. Und unser Kajütenwärter befindet sich bei ihnen.“

„Alle Wetter! Dann hätten Sie ganz richtig vermutet!“

„Allerdings. Hören Sie!“

Ich erzählte ihm von dem, was ich gesehen und gehört hatte, soviel, wie ich für gut hielt, und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß seine Zweifel schwanden. Er begann, die Sache ernst zu nehmen, und sagte, als ich geendet hatte:

„Sie sind, bei meiner Seele, ein sonderbarer Mensch. Ich nahm erst an, daß Sie mit sehr viel überflüssiger Phantasie begabt seien und infolgedessen Drachen sähen, wo eigentlich nicht einmal eine Mücke vorhanden ist. Jetzt aber muß ich mein Urteil ändern, denn ich sehe ein, daß Sie planmäßig denken und planmäßig handeln. Meine Force liegt in meinen Fäusten, und die will ich Ihnen gern und gut zur Verfügung stellen.“

„Gut; ich werde sie gebrauchen können. Denken will ich für Sie; aber wenn es dann zum Handeln kommt, so rechne ich auch auf Sie!“

„Zählen Sie bestimmt auf mich! Was soll ich jetzt thun?“

„Zunächst gar nichts.“

„Nichts? Aber den Kameraden soll ich sagen, was sie zu erwarten haben?“

„Nein. Was ich Ihnen mitgeteilt habe, muß Geheimnis bleiben. Würde es verraten, so gäbe der Mormone seinem Plane eine solche Änderung, daß alle Vorteile, welche ich bisher errungen habe, verloren gingen. Jetzt glaubt er mich fort und fühlt sich sicher. Aber eines können Sie thun, nämlich auf alles achten, was hier geschieht, selbst auf das Geringste. Alles, was Ihnen mit unserer Angelegenheit zusammenzuhängen scheint, teilen Sie mir mit.“

„Wann denn und wo? Sie wollen sich doch nicht sehen lassen!“

„Kommen Sie des Abends, so bis gegen Mitternacht, täglich einige Male hier an den Bach; ich werde hier sein, wenn ich mit Ihnen reden will.“

„Wenn Sie aber erst nach Mitternacht kommen können? Wir schlafen dort in den Gesindehäusern, so eine Art Massenquartier; da können Sie nicht hinein, ohne daß Sie diesem oder jenem die Füße abtreten und dann erwischt werden. Ich werde also einen Grund, im Freien zu schlafen, zu entdecken suchen; die Stelle weiß ich freilich noch nicht, aber ich will dafür sorgen, daß Sie mich leicht finden werden.“

„Schön! Also schweigen Sie jetzt noch! Wenn die Zeit da ist, sollen Ihre Landsleute benachrichtigt werden, aber eher nicht. Wir müssen vorsichtig sein.“

„So seien auch Sie vorsichtig, und stehlen Sie nicht wieder Pferde! Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, daß Sie sich noch in der Gegend herumtreiben. Ich finde überhaupt jede Mauserei, also auch den Pferdediebstahl, im höchsten Grade unmoralisch.“

Er lachte dabei leise vor sich hin. Ich antwortete ebenso launig.

„Dann thut es mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Ihre Immoralität nicht geringer als die meinige ist. Sie stehlen auch.“

„Nie!“

„So will ich sagen: Sie werden Fleisch stehlen und heute abend noch.“

„Ah, ich verstehe! Für wen?“

„Für mich und meinen Indianerknaben. Sie sehen ein, daß ich meine Zeit nicht auf die Jagd verwenden kann und mich durch Schüsse leicht verraten würde. Essen muß ich aber, das liegt nicht nur in meinem, sondern noch vielmehr auch in Ihrem Interesse. Hier ist heute geschlachtet worden; ich sehe das Fleisch an den Schnüren hangen. Wenn Sie –“

„Ein verständiger Kerl sind, so stehlen Sie für mich,“ fiel er mir in die Rede. „Nicht wahr, so wollten Sie doch sagen?“

„Allerdings. Ich muß die Indianer beobachten und mich stets in ihrer Nähe aufhalten. Proviant ist mir also sehr nötig. Sehen Sie, ob Sie unbemerkt zu soviel Fleisch kommen können, wie zwei Mann, die mäßig sind, für einige Tage brauchen!“

Er stand auf und ging langsam und in der Haltung eines Spaziergängers fort, um die dunkelste Stelle des Hofes aufzusuchen, wo Fleisch hing. Obgleich ich ihn beobachtete, sah ich doch nicht, was er that, doch als er zurückkam, ließ er einige große Muskelstücke vor mir aufs Ufer fallen und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen, wieder, um sich nach der hintersten Ecke zu begeben. Bald darauf sah ich ihn wieder erscheinen; diesmal brachte er aber einige Stücke Schokolade mit.

Da wir nichts Wesentliches mehr zu besprechen hatten, verabschiedete ich mich und kroch hinaus ins Freie. Ich hatte nun in Summa gegen zwanzig Pfund Proviant zu tragen; das reichte gewiß für vier Tage aus, und wir konnten also so lange Zeit ununterbrochen auf der Lauer liegen. Es lag mir sehr daran, noch vor Anbruch des Morgens wieder in der Nähe des Indianerlagers zu sein. Darum verweilten wir uns nicht beim See und brachen jetzt auf, um auf unserm herwärts eingeschlagenen Wege in das oft erwähnte Nebenthal zurückzukehren.

Als wir dort anlangten, graute der Morgen. Wir suchten zunächst ein besseres Versteck für unsere Pferde; es mußte größer sein als das gestrige, damit den Tieren reichliche Nahrung geboten war. Wir fanden eine Stelle im Walde, welche gar nicht besser geeignet sein konnte, und banden da die Pferde fest. Der Mimbrenjo blieb bei ihnen; er sollte schlafen, während ich mich nach unserem gestrigen Beobachtungsposten begab, auf welchem ich bis nach Mittag blieb, ohne etwas Besonderes gesehen zu haben, als daß Weller junior sich wieder im Lager befand.

Nun aber mußte auch ich ein wenig schlafen und begab mich nach unserem Verstecke, um meinen jungen Kameraden für seine Wache die nötigen Anweisungen zu geben. Er entfernte sich, und ich legte mich nieder. Nach wenigen Augenblicken war ich in tiefen Schlaf gesunken, was nach den gehabten Anstrengungen gar kein Wunder war. Um bequem zu liegen, hatte ich es mir leicht gemacht und den Inhalt aller meiner Taschen und auch des Gürtels fortgethan.

Ein Schrei, ein lang anhaltender, schriller Schrei weckte mich. Ich sprang auf und horchte. Der Schrei erklang zum zweiten Male; ich kannte ihn; es war der Triumphruf eines indianischen Kriegers. Gleich darauf erscholl ein dritter, ganz anderer Schrei; es war der Hilferuf eines Angegriffenen; er kam genau aus der Gegend, in welcher ich meinen Mimbrenjo wußte. Er befand sich jedenfalls in Gefahr. Da war jede Sekunde, nein, jede halbe, jede Viertelsekunde kostbar; ich nahm mir also gar nicht einmal die Zeit, mich nach einer meiner Waffen niederzubücken, sondern rannte fort, der betreffenden Stelle zu. Dort angekommen, sah ich ihn nicht; aber weiter unten gab es ein Ringen im Gras und im Gebüsch. Der unvorsichtige Knabe war nicht auf seinem Platze geblieben; er hatte sich näher an das Indianerlager gewagt und war gesehen, beschlichen und überfallen worden. Ich mußte ihn frei haben, denn wenn sie ihn behielten, so war sein Tod gewiß; darum sprang ich die Steilung der Thalwand hinab, kam aber mit dem einen Sporen an eine Wurzel zu hängen, verlor das Gleichgewicht und stürzte nieder. Noch ehe ich mich aufraffen konnte, rauschte es rundum in den Büschen, und fünf, sechs und noch mehr Rote warfen sich auf mich. Ich wollte auf, brachte aber meinen Fuß nicht von der Wurzel los; das war mein Verderben. Hätte ich den niederträchtigen Sporn freibekommen, so wäre noch Hoffnung gewesen, mich durchzuschlagen; so aber war dies unmöglich. Ich wehrte mich freilich, soviel ich konnte, natürlich nur mit der Faust, die jetzt meine einzige Waffe war, aber die Übermacht war zu groß; ich mußte unterliegen und wurde gebunden.

Mehr Rote kamen herbei. Einer von ihnen betrachtete mich und sagte mit einem entzückten Grinsen seines Gesichtes „Tave-schala!“ Das bedeutet in der Yuma- und Tonkasprache Old Shatterhand.

„Tave-schala, Tave-schala!“ erklang es weiter, von Mund zu Mund, von Mann zu Mann, bis alle meinen Namen schrieen, so daß die Echos von den Thalwänden widerhallten. Der Jubel kannte keine Grenzen. Man schrie und brüllte, man schwang alle möglichen Waffen über meinem Kopfe; man tanzte um Mich, obgleich die Büsche dabei im Wege waren. Ich ließ es ruhig geschehen, da ich es nicht ändern konnte, und hielt mich vollständig bewegungslos. Alle, alle waren gekommen; einer schob den andern zur Seite, um mich zu sehen; nur zwei kamen nicht: der Häuptling und der junge Weller. Der erstere war zu Stolz, nun, da ich mich in seiner Gewalt befand, nach mir zu laufen, und Weller mußte sich zu derselben Zurückhaltung bequemen, obgleich er wohl lieber auch mitgetanzt und gejubelt hätte. Darauf gab man mir die Füße soweit frei, daß ich kleine Schritte machen konnte, und schaffte mich nach dem Lager, wo ich den großen Mund mit Weller vor seinem Zelte sitzen sah. Ich hatte seinen Sohn erschossen; der ausgesuchteste Martertod war mir gewiß; doch das kümmerte mich jetzt nicht; ich dachte nur an meinen jungen Mimbrenjo, den ich hatte befreien wollen, und freute mich darüber, daß er nicht zu sehen war. Wahrscheinlich war er also doch entkommen. Ein Glück war es dabei, daß ich vorhin alles, selbst die Weste, in welcher sich die Uhr befand, abgelegt hatte. In den Hosentaschen gab es nur Kleinigkeiten, welche ich leicht verschmerzen konnte, und den Beutel mit meinem ganzen Vermögen. Da dasselbe aber nur aus wenigen Pesos oder Dollars bestand, so konnte auch dieser Verlust mich nicht aus der Fassung bringen. Und was die leibliche Gefahr betrifft, in welcher ich mich befand, so war dieselbe allerdings so groß, wie sie überhaupt nur sein konnte, doch stand sie mir, wie ich sehr genau wußte, nicht augenblicklich bevor. Die Angewohnheit der Indianer, gefangene Feinde zu Tode zu martern, ist für die letzteren allerdings eine höchst fatale, aber da die Roten diese Prozedur nur selten an Ort und Stelle vornehmen, sondern die Gefangenen mit heimschleppen, um den zurückgebliebenen Ihrigen ein Schauspiel zu bereiten, so ist dadurch dem Betreffenden eine Frist geboten, welche er, wenn er ein unternehmender Mann ist, zur Flucht benutzen kann. Das ist doch immerhin besser, als an Ort und Stelle erschossen zu werden.

Als dem Mörder des kleinen Mundes war mir jedenfalls ein sehr grausamer und langsamer Tod zugedacht; auch verstand es sich von selbst, daß der ganze Stamm mich sterben sehen mußte; aus diesen beiden und noch anderen Gründen, welche ich unerwähnt lassen kann, war es nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiß, daß ich jetzt für mein Leben nichts zu befürchten hatte. Ebenso wußte ich, daß man größere Mißhandlungen unterlassen würde, weil ich durch dieselben die Befähigung verlieren mußte, den weiten Ritt nach dem Orte, an welchem der Stamm sich befand, mitzumachen. In Beziehung auf Leib und Leben war ich also jetzt gar nicht, oder nur wenig gefährdet.

Als man mich vor den Häuptling stellte, war auf seinem Gesichte der Ausdruck tödlichen Hasses und unerbittlicher Rachsucht zu lesen. Er spuckte mich an und betrachtete mich mit finsterem und dabei stechendem Blicke, ohne jetzt ein Wort zu sagen. Weller junior aber redete mich in höhnischem Tone an:

„Willkommen Sir! Ich freue mich sehr, Euch wieder zu sehen. Ihr habt Euch während der Zeit, in welcher ich nicht das Glück hatte, Euch bedienen zu dürfen, als Old Shatterhand entpuppt und Euch alle Mühe gegeben, uns hinderlich zu sein. Jetzt seid Ihr kalt gestellt, und ich bin neugierig, wie Ihr diesmal Euern Ruf bewähren und wie Ihr es anfangen werdet, dem Martertode, welcher Euch droht, zu entrinnen.“

Es fiel mir nicht ein, dem Menschen eine Antwort zu geben, obgleich ich ihm gerade seines Hohnes wegen gern gesagt hätte, daß es mir ganz und gar nicht einfalle, mich für verloren zu halten. Dies war auch wirklich der Fall. Ich war bei den nördlichen Sioux und bei den südlichen Comantschen, auch bei den Krähen- und Schlangenindianern gefangen gewesen und hatte mich immer glücklich aus der Schlinge gezogen, und da die armseligen Yumas mit den genannten Stämmen in keiner Beziehung zu vergleichen sind, sondern tief unter denselben stehen, so mußte es, wie man sich auszudrücken pflegt, geradezu mit dem Kuckuck zugehen, wenn es mir nicht gelingen sollte, ihnen ein Schnippchen zu schlagen. Harry Melton, der Mormone, war weit mehr zu fürchten als sie. Wenn es ihm einfiel, mich von ihnen zu reklamieren und sie darauf eingingen, so war ich verloren. Ich war aber überzeugt, daß es dem Häuptlinge nicht einfallen würde, mich ihm auszuliefern. Der junge Weller aber galt für mich gleich Null. Seine Anrede an mich war frech und lächerlich zugleich; dies mochte der Häuptling fühlen, denn er wies ihn in keineswegs hochachtungsvollem Tone zurecht:

„Sei still! Deine Rede ist wie ein Halm, welcher keine Körner trägt und wie ein Wasser, in welchem es keine Fische giebt. Vor dir würde sich der Gefangene wohl nicht fürchten. Ich weiß, daß es aller unserer Augen und Arme bedarf, ihn festzuhalten. Er soll uns aber nicht entkommen, sondern viele Tage lang am Marterpfahle bangen, weil er meinen Sohn getötet hat.“

Weller hatte englisch zu mir gesprochen, und ich war ziemlich erstaunt darüber, daß der „große Mund“ ihn verstand und sich zu seiner Antwort sogar jenes Gemisches von Englisch, Spanisch und Indianisch bediente, welches im Verkehr mit den Roten am Rio Grande und Rio Pecos gesprochen zu werden pflegt. Dann wendete er sich an seine Leute, welche in einem mehrfachen Halbkreise um uns standen:

„War es Old Shatterhand, welcher sich soweit an uns geschlichen hatte?“

„Nein,“ antwortete einer.

„Nicht? Wer denn sonst?“

„Ein Roter, ein Knabe, so jung, daß er wohl noch keinen Namen hat.“

„Wie ist sein Aussehen?“

Der Krieger, welcher geantwortet hatte, beschrieb meinen kleinen Gefährten.

„Uff!“ rief da der Häuptling. „Es ist einer der Mimbrenjoknaben, welche mir entkommen sind, weil Old Shatterhand sie verteidigte. Er muß auch mit an den Marterpfahl. Bringt ihn herbei!“

„Wir können ihn nicht bringen, denn es ist uns nicht gelungen, ihn zu ergreifen,“ antwortete der Mann kleinlaut.

„Wie?“ fragte der große Mund im zornigen Erstaunen. „Ihr seid so viele erwachsene Männer; ihr nennt euch Krieger, und ein Kind, so klein und jung, daß es nicht einmal einen Namen hat, ist euch entschlüpft? Soll ich das glauben?“

Der Rote schlug die Augen nieder und antwortete nicht; die andern standen ebenso verlegen da, deshalb fuhr der Häuptling auf:

„So ist es also doch wahr! Alle alten Weiber werden euch verlachen, und die Kinder werden mit Fingern auf euch deuten. Denkt an den Hohn der anderen Stämme, wenn sie hören, daß soviele Yumakrieger nicht im stande gewesen sind, einen armseligen Mimbrenjoknaben festzuhalten. Der Knabe hat sich bei Old Shatterhand befunden; es ist derselbe, den ich da unten im Thale entfliehen lassen mußte, also wird sein Bruder auch in der Nähe sein und seine Schwester, die Squaw des Opata-Häuptlings dazu. Sucht augenblicklich nach ihnen; sucht den ganzen Wald durch! Ich erwarte, daß ihr sie mir bringen werdet. Drei oder vier von euch genügen, hier bei mir zu bleiben und das Lager zu bewachen.“

Er bezeichnete diejenigen, welche bleiben sollten; die anderen entfernten sich, um seinen Befehl auszuführen. Weller blieb natürlich auch zurück. Ich dachte, daß der Häuptling nun eine Art von Verhör mit mir anstellen werde, dem war aber nicht so. Er ließ mich noch enger fesseln als bisher und an den Zeltpfahl binden; dann schien er mich keines Blickes zu würdigen; aber ich sah, daß er mich gar wohl zwar heimlich aber scharf im Auge behielt.

Nun gab es ein banges Warten für mich. Es war hundert gegen eins anzunehmen, daß mein Mimbrenjo ertappt würde. Es waren der Spürhunde zu viele, als daß ich hoffen konnte, er, der unerfahrene Knabe, werde ihnen entwischen. Faßte man ihn, so war es nicht nur um ihn geschehen, sondern es gerieten auch meine kostbaren Gewehre und mein anderes Eigentum in ihre Hände, und das letztere hielt ich für weit schlimmer als das erstere.

Laute Zurufe, welche zu hören waren, sagten mir, daß man seine Spur gefunden habe. Sie kamen aus immer weiterer Entfernung, ein sicheres Zeichen, daß man ihn verfolgte. Von jetzt an verging eine lange, lange Zeit, weit über eine Stunde; dann kehrte ein starker Trupp der Roten zurück. Wie freute ich mich, als ich den Mimbrenjo nicht bei ihnen sah! Der Häuptling aber rief ihnen zornig entgegen:

„Ihr bringt sie nicht? Seid ihr blind geworden, da ihr die Spur eines Menschen nicht mehr zu sehen vermögt?“

„Die Krieger der Yuma sind nicht blind,“ antwortete einer. „Wir haben die Fährte des Knaben gefunden.“

„Aber nicht ihn selbst! Sonst hättet ihr ihn gebracht!“

„Du wirst ihn bald zu sehen bekommen. Seine Spur ging durch den Wald bis an den Rand desselben und von da aus gerade über die offene Ebene hinüber.“

„In welcher Richtung?“

„Nach Süden.“

„Es war nur kurze Zeit vergangen und er konnte keinen großen Vorsprung haben; ihr müßt ihn also gesehen haben, indem er vor euch über die Ebene lief?“

„Der Knabe ist klein; seine Gestalt verschwindet also, selbst wenn die Entfernung keine große ist. Aber seine Spur war deutlich und muß ihn schnell in unsere Hände bringen. Weil es dazu nur einiger Krieger bedarf, folgten ihr die andern; wir aber sind zurückgekehrt.“

Der Häuptling sagte weiter nichts und wendete sich in der Haltung eines Wartenden von ihnen ab. Er war augenscheinlich wütend, sah aber ein, daß zornige Worte nichts zu ändern vermochten und das Resultat der Verfolgung nicht beschleunigen konnten. Mir aber wuchs die Hoffnung, denn das Verhalten des Knaben war so klug, daß ich selbst es nicht besser hätte machen können. Er hatte unsere Pferde stehen und alles bei ihnen liegen lassen und war von der Stelle aus, an welcher er entwischt war, direkt nach dem Waldesrande aufwärts gestiegen und dann in schnellstem Laufe über die Ebene geeilt. Dadurch hatte er die Suchenden von unserm Verstecke abgelenkt. Die Pferde standen noch da, und meine Sachen lagen bei denselben. Auch darin war er klug gewesen, daß er sich südwärts gewendet hatte, denn erstens zog er dadurch die Aufmerksamkeit von derjenigen Richtung, nämlich der nördlichen ab, nach welcher unsere Absichten gingen, und zweitens gab es, wie er gesehen hatte und also wohl wußte, im Süden genug felsiges Terrain, auf welchem er seine Spuren verschwinden lassen konnte.

Der Nachmittag verging, und es wurde dunkel. Die Indianer zündeten einige Feuer an, um das Abendessen zu bereiten. Der Häuptling saß noch immer auf derselben Stelle und verhielt sich stumm. Es schien in ihm zu kochen. Weller war fortgegangen, wohl aus purer Langeweile ein wenig im Walde herumzulungern. Jetzt kehrte er zurück. Der Häuptling fragte ihn in nicht eben freundlichem Tone:

„Wo bleibst du so lange? Weißt du nicht, daß die bestimmte Zeit da ist, deinen Vater zu erwarten und herbeizubringen?“

Der Angeredete entfernte sich wieder, und einige Zeit später kehrten die Yumas zurück, welche die Verfolgung fortgesetzt hatten. Meine Hoffnung war keine vergebliche gewesen; sie brachten den Mimbrenjo nicht. Als der Häuptling dies sah, sprang er auf, faßte den vordersten von ihnen beim Arme, schüttelte ihn und schrie:

„Ihr kommt auch allein? Seid ihr denn stinkende Würmer, welche Schmutz fressen und unter der Erde wühlen und deshalb nicht sehen, was sich auf derselben befindet? Ich werde euch heimschicken; da könnt ihr Weiberröcke anziehen und Zelte flicken, was nur die alten Squaws thun, welche zu nichts weiter nütze sind!“

Das war eine Beleidigung, wie sie kaum größer sein konnte. Er ging mit derselben über seine Befugnisse hinaus. Ein Indianerhäuptling besitzt nämlich keine andere Macht als diejenige, welche ihm von seinem Stamme freiwillig übertragen worden ist; sie kann ihm in jedem Augenblicke wieder genommen werden. Er kann, falls er sich seiner Würde nicht wert zeigt oder seine Befugnisse überschreitet, augenblicklich abgesetzt werden und ist dann nichts mehr als jeder andere Stammesgenosse. Der Indianer, gegen welchen die zornigen Worte gerichtet waren, riß sich los und antwortete in zurechtweisendem Tone:

„Wer giebt dem großen Munde die Erlaubnis, mich in dieser Weise anzufassen und anzureden? Wenn ich falsch gehandelt habe, so mögen die Ältesten des Stammes über mich zu Gerichte sitzen und ihr Urteil fällen, dem ich mich unterwerfen muß; wer mich aber beleidigt, der mag sein Messer nehmen und mit mir kämpfen. Der große Mund mag bedenken, daß er, indem er mich beschimpft, auch alle Krieger beschimpft, welche mit mir gewesen sind!“

Diejenigen, für welche er mit diesen Worten sprach, ließen ein beifälliges Gemurmel hören. Der Häuptling sah ein, daß er sich zu weit hatte hinreißen lassen, und entgegnete in sehr gemäßigtem Tone:

„Mein Bruder mag annehmen, daß es nicht meine Worte waren, welche er hörte, sondern daß der Zorn aus mir gesprochen hat.“

„Ein Mann muß es verstehen, seinen Zorn zu bemeistern, doch will ich annehmen, daß nichts geredet worden sei. Wenn der große Mund selbst gegangen wäre, um den Knaben zu suchen, so hätte er ihn auch nicht gefangen.“

„Aber die Beine eines Kindes sind doch kürzer, als diejenigen erwachsener Männer. Ihr hättet ihn unbedingt ereilen müssen!“

„Wir sind gelaufen, bis wir keinen Atem mehr hatten, haben ihn aber nicht einmal zu sehen bekommen, weil der Vorsprung, den er hatte, zu groß gewesen ist. Dann verschwand seine Spur auf dem Felsen, welcher so hart ist, daß er keine Eindrücke annimmt.“

„Habt ihr nur seine Fährte und nicht auch eine andere gesehen?“

„Nur die seinige.“

„So befinden sich sein Bruder und seine Schwester nicht mehr bei ihm. Nur Old Shatterhand ist bei ihm gewesen und wird uns Auskunft geben müssen.“

Nach diesen Worten trat er zu mir und redete mich zum erstenmale an:

„Wie bist du mit dem Knaben, den wir suchen, hierher gekommen? Seid ihr gelaufen oder geritten?“

„Warum fragst du mich?“ antwortete ich. „Du willst nicht nur ein Krieger, sondern ein Häuptling sein und bedarfst meiner, um zu erfahren, was der Verstand jedes Kindes sofort entdecken würde. Frage deinen Scharfsinn, wenn du überhaupt welchen besitzest, nicht aber mich!“

„Du willst nicht antworten, Hund?“ fuhr er mich an.

„Belle immerhin! Von mir erfährst du nichts.“

Der Ausdruck bellen erzürnte ihn so, daß er sein Messer aus dem Gürtel zog; er steckte es jedoch wieder zurück, versetzte mir einen Fußtritt und sagte:

„So schweig! Du wirst ja so bald heulen und schreien müssen, daß man es über alle Berge hört.“

„Gewiß nicht eines Feiglings wegen, wie du bist, der vor mir ausgerissen ist und dabei vor Angst seine Flinte weggeworfen hat!“

„Sei still, sonst ersteche ich dich im Augenblicke!“ schrie er, indem er das Messer wieder zog.

„Stich immer zu! Bringst du mich zum Schweigen, so doch deine Schande nicht. Dein Gewehr befindet sich in den Händen der Mimbrenjos, welche du zu deinen Todfeinden gemacht hast. Wie werden sie über dich lachen, wenn sie erfahren, daß du, der Häuptling der Yumas, aus reinem Entsetzen die Waffe weggeworfen hast und wie ein Wind entflohen bist!“

Ich reizte ihn mit Absicht, um ihn zum Sprechen zu bringen, denn ich wollte nicht länger warten, zu erfahren, ob man mich jetzt oder später zu töten beabsichtigte. Er war so ergrimmt, daß er zum Stoße ausholte; ein mehrstimmiger Zuruf der Seinigen veranlaßte ihn, sich zu beherrschen. Er ließ den Arm sinken und antwortete, indem er ein höhnisches Gelächter aufschlug:

„Ich durchschaue dich. Du willst mich reizen, damit ich dich im Zorne gleich töten möge, wirst aber diese Absicht nicht erreichen. Du wirst jetzt keinen Mangel bei uns leiden, damit wir dich schnell und gesund nach unsern Wigwams bringen. Du sollst dick und fett und stark werden, damit du die Qualen, welche dir bestimmt sind, doppelt lange zu ertragen vermagst. Gebt diesem Hunde zu fressen, soviel wie er zu fressen vermag!“

Ich hatte meine Absicht erreicht; ich wußte nun, daß man mich nicht nur schonen, sondern sozusagen sogar mästen wollte. Das hätte mich beruhigen müssen, wenn meine Besorgnis bisher, was aber nicht der Fall war, eine große gewesen wäre. Dem zuletzt gegebenen Befehle kam man sofort nach. Das Essen, welches aus in Wasser gekochtem Bohnenmehl bestand, war fertig, und ein alter schmieriger Kerl machte sich daran, mich, da ich die Hände nicht zu gebrauchen vermochte, wie ein kleines Kind zu füttern. Er setzte sich mit seinem vollen Napfe zu mir, fuhr mit den Fingern in den Brei und schickte sich an, mir denselben in den Mund zu streichen. Ich wehrte mich dagegen. Als der Häuptling dies sah, sagte er:

„Der Hund ist zu vornehm, die Speise der roten Krieger zu genießen. Mache ihm einen Arm los, und gieb ihm Fleisch; das wird ihm besser schmecken. Ich habe versprochen, daß er nicht hungern soll. Desto lauter wird er dann pfeifen und winseln können.“

Der Alte ging nach dem Vorratszelte und brachte mir ein großes Stück Rindfleisch, welches ich, nachdem er mir den Arm freigegeben hatte, mit mehr Appetit, als ich vorher dem Brei abgewinnen konnte, verzehrte. Dann wurde mir der Arm wieder festgebunden.

Eben als die Indianer gegessen hatten, kam Weller junior aus dem Walde. Er brachte seinen Vater mit. Dieser kam, nachdem er den Häuptling begrüßt hatte, zu mir heran, nickte mir malitiös-freundlich zu und sagte:

„Guten Abend, Sir! Wie ist Euer wertes Befinden, Master Shatterhand?“

Ich wendete das Gesicht von ihm ab und antwortete nicht.

„Ah, Ihr scheint ein stolzer Boy zu sein! Ich bin ein so geringer Kerl, daß Ihr es für unter Eurer Würde haltet, auf meinen höflichen Gruß eine Antwort zu geben. Nun, Ihr werdet schon noch höflich werden! Ich stelle Euch hier meinen Sohn vor, einen prächtigen Kerl. Ist ein famoser Schauspieler. Als er sich für einen Kajütenwärter ausgab, habt Ihr wohl nicht geahnt, was eigentlich in ihm steckt. Wie?“

Und als ich auch jetzt nicht antwortete, fuhr er fort:

„Habe mich unendlich gefreut, als er mir vorhin bei meiner Ankunft sagte, welchen Fang meine roten Freunde gemacht haben. Habt Euch um fremde Angelegenheiten, die Euch nichts angingen, gekümmert und wißt Euch nun dafür in Euern eigenen nicht zu helfen. So aber geht es, wenn man sich unaufgefordert zum Advokaten anderer Leute macht. Ihr werdet den Prozeß verlieren und sämtliche Kosten tragen, indem Ihr sie mit dem Leben bezahlt. Wohl bekomm’s!“

Er wendete sich ab und ging zu dem Häuptlinge, welcher sich an einer Stelle, die außerhalb der Hörweite der andern lag, niedergesetzt hatte. Sein Sohn folgte ihm, und die drei begannen nun ein leise geführtes Gespräch, bei welchem, ihren Gebärden nach, sehr Wichtiges verhandelt wurde. Als dasselbe beendet war, erhoben sie sich von ihren Sitzen; der große Mund rief seine Leute zusammen, um ihnen das Resultat der gepflogenen Unterhandlung mitzuteilen; die beiden Weller stellten sich indessen geflissentlich so ganz in meine Nähe, daß ich das, was sie sprachen, hören mußte, und der ältere meinte zum jüngeren:

„Also ich reite jetzt zurück, und du bleibst bei den Indianern, die gleich nach mir aufbrechen werden. Es ist von hieraus nach der Hazienda del Arroyo gerade soweit, daß Ihr noch vor der Morgendämmerung den Überfall ausführen könnt.“

„Aber die Thore werden zu sein!“ meinte der Sohn in einer Weise, aus welcher ich ersah, daß sie nur redeten, damit ich es hören sollte.

„Was schadet das? Ich bin auf die Jagd geritten, habe mich verirrt, kehre so spät zurück und klopfe den Mayordomus auf, um mir öffnen zu lassen.“

„Der wohnt im Hauptgebäude und hört das Klopfen am Thore nicht.“

„So hören es die deutschen Auswanderer, und einer von ihnen wird mir öffnen. Ihr werdet wahrscheinlich das Thor offen finden.“

„Und wenn nicht, wie kommen wir da hinein?“

„Durch den Bach, welcher durch die beiden Mauern in den Hof kommt und wieder hinausgeht. Du freilich darfst dich zunächst nicht sehen lassen, weil man sonst erfahren würde, daß du mit den Roten im Einvernehmen stehst. Du kommst erst angeritten, wenn sie fort sind.“

Nachdem die beiden Menschen noch einige unwesentliche Bemerkungen ausgetauscht hatten, wendete sich der Vater zu mir, indem er sagte:

„Warum wir Euch das wohl hören lassen, Sir? Erstlich darum, weil Ihr gegen uns gearbeitet habt und nun sehen sollt, daß alle Eure Ränke vergeblich gewesen sind; wir kommen doch zum Ziele.“

„Und zweitens,“ fuhr der Sohn fort, „um Euch die Gewißheit zu geben, daß Ihr verloren seid und keine Hoffnung auf Rettung haben dürft.“

„Ja, so ist es,“ bestätigte der Alte. „Wenn wir es nur im geringsten für möglich hielten, daß Ihr gerettet werden könntet, so würden wir uns sehr wohl hüten, Euch zum Ohrenzeugen unserer Reden zu machen. Bereitet Euch also vor auf den Tod, auf den entsetzlichsten, den es geben kann! Es ist aus mit Old Shatterhand. Ihr werdet nach den Weidegründen der Yumas transportiert, um dort gepfählt, verbrannt oder sonst noch was zu werden. Vorher aber wird Euch unser Freund Melton einen Besuch abstatten, um Euch Dank zu sagen für die Liebe, die Ihr ihm erwiesen habt. Sein Besuch wird dadurch eine erhöhte Feier finden, daß man Euch auch ein wenig die Hände bricht, sowie Ihr es mit ihm gemacht habt. Lebt wohl! Ihr seht uns nicht wieder, wenn Ihr einmal unterwegs zu den Yumas seid, und wir Euch leider auch nicht.“

So! Jetzt wußte ich alles, was sie mir zu wissen geben wollten. Ich hätte gern noch mehr gewußt und es vielleicht erfahren, wäre es nicht meine Absicht gewesen, ihnen weder Frage noch Antwort zu geben. Man hatte es also für nötig gehalten, den für später geplanten Überfall der Hazienda sofort auszuführen. Man denke sich meine Lage! Ich wußte, was geschehen sollte, und konnte die Landsleute nicht warnen! Der Herkules wartete auf Nachricht von mir, und ich konnte sie ihm nicht geben! Wäre es möglich gewesen, so hätte ich, obgleich ich mich inmitten der Feinde befand, die Riemen zerrissen, um zu versuchen, mich mit den Fäusten durchzuschlagen; aber die Riemen waren unzerreißbar und schnitten schon ins Fleisch, ohne daß ich versuchte, sie zu zersprengen. Das aber nahm ich mir vor: mein Leben nicht zu schonen, falls es unterwegs auch nur eine Spur von Gelegenheit geben sollte, den Yumas zu entwischen.

Diese Hoffnung wurde mir nun freilich vollständig zu schanden gemacht. Als Weller senior fort war, brachen die Indianer ihr Lager ab, um das Thal in der Richtung nach der Hazienda zu verlassen. Ich wurde auf ein Pferd gebunden, und zwar so, daß es geradezu eines Wunders bedurft hätte, nur einen einzigen Finger frei zu bekommen. Dazu, mußte ich zwischen zwei Roten reiten, an deren Pferden das meinige rechts und links gebunden war. Es war einige Minuten lang meine Hoffnung gewesen, mein Pferd so antreiben zu können, daß es mich trotz meiner Fesseln aus der Mitte der Indianer tragen mußte; nun aber mußte ich auch diesen Gedanken als unausführbar aufgeben.

Eine Rettung, eine einzige, gab es noch für die Hazienda, aber auch nur für den Fall, daß man mich soweit mit in die Nähe derselben nahm, daß ich rufen, daß ich durch Schreie warnen konnte. Und ich nahm mir vor, dies ohne Rücksicht auf mein Leben zu thun. Aber, hatte der Häuptling meinen Gedanken erraten, oder war es nur eine Vorsichtsmaßregel, als wir noch ungefähr eine Viertelstunde zu reiten hatten, mußten fünf Mann mit mir zurückbleiben, während die andern den Marsch fortsetzten. Wir befanden uns noch nicht im Walde, sondern noch vor demselben auf freiem Felde. Wären wir unter Bäumen gewesen, so hätte es eher eine Möglichkeit gegeben, daß es mir gelingen könne, trotz der Riemen unter denselben zu verschwinden; hier aber konnte vom Verschwinden keine Rede sein. Dennoch übten die fünf Menschen ihr Wächterwerk auf eine wahrhaft raffinierte Weise aus, indem sie Pflöcke in die Erde schlugen und mich kreuzweise an dieselben banden. Die Packpferde waren bei uns zurückgeblieben und wurden von ihren Lasten befreit, um grasen zu können.

Gesprochen wurde nicht; destomehr zermarterte ich mir das Hirn, um doch noch einen Rettungsweg zu entdecken -vergeblich! Die Zeit verging; die Dunkelheit begann zu weichen; der Tag graute schon. Da hörte ich ein fernes Klingen; soweit es von mir war, ich kannte es doch; es war das Angriffsgeheul der Indianer. Hätte ich jetzt fortgekonnt, es wäre doch zu spät gewesen; ich hätte nicht ein einziges Menschenleben retten können.

Die Gefühle, welche sich meiner bemächtigten, lassen sich nicht beschreiben. Ich geriet in einen solchen Zustand der Wut, daß ich alle meine Selbstbeherrschung zusammennehmen mußte, scheinbar ruhig bleiben zu können. Meine Wächter lachten sich mit teuflischem Grinsen an; ich hätte sie erwürgen können, trotzdem ich sonst nicht gern eines Menschen Gegner bin. Ich lauschte ebenso angestrengt wie sie. Das Geheul wiederholte sich. Es war kein Wut-, sondern ein Siegesgeheul. Die Roten hatten keinen Widerstand gefunden; der Überfall war gelungen.

Wir warteten eine Stunde und noch eine, ohne daß ein Bote kam. Es wollte wohl keiner von der Hazienda fort, weil es jetzt jedenfalls ans Plündern ging. Endlich, nach drei vollen Stunden, kam ein Yuma gejagt. Er meldete voller Freude, daß alles aufs beste gelungen sei und daß die fünf mit mir nachkommen sollten. Die Packpferde wurden beladen, und wir ritten weiter. Im Walde kamen wir an dem jungen Weller vorüber, welcher hier zurückgeblieben war, um auf der Hazienda nicht gesehen zu werden und doch so nahe zu sein, daß er alles hören könnte. Er hatte sein Pferd angebunden, lag im Grase, sprang aber auf, als er uns kommen sah, und rief mir zu:

„Was sagt Ihr jetzt, Master? Wenn Ihr jetzt Himmel und Erde in Bewegung setzen könntet, es wäre doch nichts mehr zu ändern. Die Hazienda ist unser, und Ihr geht Eurer letzten Stunde entgegen.“

Ich hatte ihm kein Wort antworten wollen, konnte mich aber jetzt nicht halten und rief ihm im Vorüberreiten zornig zu:

„Oder du der deinigen, Schurke, der du bist. Sobald ich frei bin, hole ich dich mir; darauf kannst du dich verlassen!“

„Thue es, thue es!“ lachte er hinter mir her, „Es ist nicht nur eine Ehre, sondern muß eine wahre Wonne sein, von Old Shatterhand niedergeschossen zu werden. Also komme sobald wie möglich! Ich werde mit Sehnsucht auf dich warten.“

Der Mensch hatte leichtes Lachen; mir aber war es trotz der hilflosen Lage, in welcher ich mich befand, genau so, als ob ich ihn schon vor der Mündung meines Gewehres hätte und den kurzen, scharfen Knall desselben hörte.

Jetzt senkte sich der Wald zu den schon mehrfach erwähnten Bachwiesen nieder, auf denen wir die Herden des Haziendero hatten weiden sehen. Die Herden waren da; aber es standen jetzt rote Hüter bei ihnen; die weißen lagen ermordet im Grase; es war keiner von ihnen mit dem Leben davongekommen. Warum man sie nicht geschont und doch allen Auswanderern das Leben geschenkt hatte, wurde mir erst später klar.

Wir hielten einen Büchsenschuß von der Hazienda an. Dort lagen die Deutschen, um welche ich solche Angst ausgestanden hatte, gefesselt an der Erde, bei ihnen der Haziendero, welcher, als er mich erkannte, mir zurief:

„Sie, Sennor? Wie kommen Sie nach hier zurück?“

„Um Sie zu retten, bin aber dabei leider selbst in die Hände der Mörder geraten. Sehen Sie denn nun ein, daß ich recht hatte?“

„Recht hatten Sie, aber doch nicht ganz. Das mit dem Überfall war richtig; aber Sennor Melton ist unschuldig, wie Sie sich überzeugen können.“

Er winkte mit dem Kopfe seitwärts. Dort lagen Melton und Weller senior, an Händen und Füßen gefesselt, auch an der Erde. Das war natürlich nur ein Gaukelspiel, welches den Zweck hatte, zu beweisen, daß die beiden keinen Anteil an dem Werke der Indianer hätten. Ich wollte das dem Haziendero sagen, wurde aber von meinen Wächtern mit dem Pferde fortgezerrt und dann in solcher Entfernung wieder an den Boden gepflockt, daß ich nicht mehr mit Timoteo Pruchillo reden konnte.

Die vor mir sich entwickelnde Scene war eine wildbelebte. Das Thor der Hazienda stand weit offen; die Indianer strömten aus und ein, um alles, was nicht niet- und nagelfest war, herauszuschaffen. Dabei heulten sie vor Entzücken einander wie die Tiger an. Was sie geschleppt brachten, wurde nicht unmittelbar vor dem Thore oder vor der Mauer niedergelegt, sondern eine Strecke weit fortgetragen, was mir Grund zu einer Befürchtung gab, welche später leider auch in Erfüllung ging. Die Hazienda sollte nämlich eingeäschert werden, und der Raub wurde, damit die Funken ihn nicht erreichen könnten, weit fortgeschafft.

Aber warum das Haus niederbrennen? Welchen besonderen Zweck verfolgte der Mormone, der doch der Anstifter des Ganzen war, dabei? Auch das sollte mir erst später klar werden. Es war eine geradezu diabolische Berechnung, welche er dabei hatte.

Ferner fiel mir auf, daß sich nur der Haziendero mit seiner Frau bei den Gefangenen befand; ich sah keine von den Personen, welche ich während meines allerdings nur kurzen Aufenthaltes auf der Hazienda bemerkt hatte, auch „Sennor Adolfo“, den aufgedunsenen Majordomo, nicht. Sie waren ermordet worden, alle, ohne Ausnahme, und zwar aus demselben Grunde, den ich jetzt noch nicht kannte.

Das Plündern währte fast bis an die Mittagszeit; dann wurden die Herden zusammengetrieben. Man vereinigte sie nordwärts der Hazienda auf einem weiten, freien Plane, wo sie von einer Anzahl von Indianern zusammengehalten wurden. Als dies geschehen war, brachte man die Leichen der ermordeten Hirten geschleppt. Sie wurden in das Haus getragen, um mit verbrannt zu werden. Bald stiegen dicke Rauchwolken, erst aus dem Hauptgebäude und dann auch aus den kleinen Hofhäusern, auf. Ich hörte den Haziendero vor Schreck schreien; seine Frau stimmte mit lautem Jammer ein.

Aber es sollte für ihn noch schlimmer kommen. Dreißig oder vierzig Yumas bestiegen ihre Pferde und ritten nach verschiedenen Richtungen auseinander. Wozu, das fragte ich mich zwar, fand aber keine Antwort. Nach Zeit von einer halben Stunde sah ich auf der östlichen Höhe Rauch aufsteigen; dann bemerkte ich im Süden dunkeln Qualm, bald darauf auch im Norden; nach Westen, wo jedenfalls dasselbe geschah, konnte ich nicht sehen, weil ich mit dem Kopfe nach dieser Richtung angefesselt war. Kein Zweifel, die Roten hatten den Wald in Brand gesteckt! Das vertrocknete Gras- und Riedwerk gab den Zunder, über welchen das Feuer mit fressender Schnelligkeit glitt, um sich an den dürren Ästen festzubeißen und dann auch die grünen Gipfel anzupacken. Der Haziendero bat, jammerte und fluchte abwechselnd; es half ihm nichts. Die vierzig Roten schürten fort und fort, um das Feuer nicht im saftreichen Grün ersticken zu lassen, und kamen erst dann wieder, als die Flammen eine solche Mächtigkeit entwickelt hatten, daß Menschenhände ihnen keinen Einhalt zu gebieten vermochten und es sicher war, daß die immer stärker werdende Hitze auch das grüne Holz so rasch ansengen werde, daß es auch in Brand geraten müsse.

Die Glut wuchs und wuchs und trieb die Indianer von dannen. Die schon mitgebrachten und dann auch die auf der Hazienda erbeuteten Packsättel wurden den Pferden aufgelegt, damit die letzteren mit der Beute beladen werden könnten. Als das geschehen war, wurde fortgezogen. Voran ritt der Häuptling; ich folgte mit den fünf Wächtern; dann kamen wieder einige Indianer, darauf die Auswanderer mit dem Haziendero und seiner Frau; sie waren alle gebunden und wurden zu beiden Seiten von den Roten eskortiert. Hinterher endlich wurden die erbeuteten Pferde, Rinder, Schafe und Schweine getrieben. Der Zug ging nordwärts, erst am Bache hin und dann, als derselbe den Bogen nach rechts machte, in die links sich öffnende Lichtung hinein, wo er, zufällig oder absichtlich, an der Stelle hielt, an welcher der Mormone mich hatte erschießen wollen, von mir aber unschädlich gemacht worden war. Unschädlich? Leider nicht! Jetzt bedauerte ich es von ganzem Herzen, ihn nicht wirklich unschädlich gemacht, das heißt, ihm eine Kugel in den Kopf gegeben zu haben. Er befand sich, was ich allerdings noch erwähnen muß, an der Seite des Haziendero, neben ihm der alte Weller, beide ebenso gefesselt wie die andern. Sie mußten, natürlich nur zum Scheine, als Gefangene gehalten werden.

Meine Wächter brachten mich abseits und banden mich an einen einzeln stehenden Baum fest, von welchem aus ich die Errichtung des Lagers und dann das Treiben in demselben beobachten konnte. Man gab mich nicht mit den andern Gefangenen zusammen, weil man mir mißtraute. Eigentlich hätte ich stolz darauf sein können, daß die Roten mich allein für fähig hielten, ihnen einen Streich zu spielen, und ich gestehe allerdings, daß mein ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet war, einen Weg zur Freiheit zu erdenken und ihnen dann womöglich ihren Raub wieder abzunehmen.

Man denke nicht, daß ich mir damit zuviel zutraute. Das Schwierigste war meine Befreiung. Gelang diese, so rechnete ich auf den Beistand der Mimbrenjoindianer, mit denen ich ja an der großen Lebenseiche zusammentreffen wollte.

Die Roten schlachteten ein Rind, ein Schwein und mehrere Schafe, deren Fleisch gebraten wurde. Sie verzehrten große Quantitäten desselben, und ließen auch ihre Gefangenen nicht Hunger leiden. Ich bekam soviel, daß ich es nicht aufessen konnte, wobei man mir abermals die Hände freigab, um sie dann augenblicklich wieder zu fesseln. Wenn man das beim Essen immer so machte, so konnte das ein Mittel zu meiner Befreiung werden, wenn sich nichts anderes und leichteres fand. Denn es war schwer und außerordentlich lebensgefährlich, auf diese Weise loszukommen. Ich mußte vor aller Augen, wenn meine Hände frei waren, die Riemen von den Füßen lösen. Wenn das nicht außerordentlich schnell geschehen konnte, so fand man Zeit, es zu verhindern, und dann stand es fest, daß man mir die Hände nicht wieder freigeben werde. Und selbst wenn es gelang, somußte meine Flucht angesichts sämtlicher Roten vor sich gehen, und ich hatte dann sicher soviele von ihnen hinter mir her, daß sie mich wieder fassen mußten. Ja, wenn meine Glieder sich in normalem Zustande befunden hätten! Aber die sehr fest angelegten Riemen hinderten den Blutumlauf; infolgedessen wurden die Hände und Füße taub; sie verloren das Gefühl, und es war vorauszusehen, daß besonders die letzteren mir nur mit großer Unsicherheit gehorchen würden. Mit den Händen konnte ich mir eher helfen; ich brauchte sie nur, wenn sie mir nach dem Essen wieder gebunden wurden, so zu halten, daß man die Riemen nicht so übermäßig fest zusammenbrachte. Das that ich denn auch jetzt; es gelang mir;, ich konnte die Handgelenke bewegen, doch noch lange nicht so, daß es mir möglich gewesen wäre, die Fesseln abzustreifen; ja, es war sogar unmöglich, sie mit Verletzung der Haut und des Handfleisches herunterzuwürgen. Ich befand mich eben in einer ganz unbehilflichen und ziemlich aussichtslosen Lage, doch fiel es mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben, denn ich wußte, daß ich einstweilen geschont werden sollte, und mir also eine Frist blieb, während welcher sich wohl ein Weg zur Rettung öffnen konnte.

Es wurde Abend; ein Abendessen gab es nicht, weil jedermann vom Nachmittage her noch satt war. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und meine Wächter trafen dabei die Vorsichtsmaßregel, mich in eine Decke einzuwickeln und mit Riemen zu umbinden, so daß ich wie ein Säugling im Bündel bewegungslos im Grase liegen mußte. In diesem Zustande war ich des Gebrauches selbst des kleinsten Gliedes beraubt, schlief aber doch so gut, wie es unter solchen Umständen möglich war.

Ich hätte wohl bis zum Morgen fest geschlafen, wenn ich nicht durch eine eigenartige Berührung aufgeweckt worden wäre. Ich wurde nämlich an den Haaren gezerrt, und schlug infolgedessen die Augen auf. Ringsum herrschte nächtlicher Dämmerschein, während es unter dem Baume, wo ich lag, finster war. Trotz dieser Dunkelheit sah ich einen meiner Wächter vor mir sitzen, zu meinen Füßen, nicht ganz zwei Ellen von denselben entfernt; die andern lagen rund um mich her und schliefen, während er wachte. Er rauchte eine Cigarre, jedenfalls von dem Vorrate, den man in der Hazienda erbeutet und dann verteilt hatte.

Wer hatte mich berührt? Ein Yuma sicherlich nicht, denn aus welchem Grunde hätte einer der Wächter mich in dieser Weise aus dem Schlafe wecken sollen? Und hätte es einer gethan, so hätte er nun gesprochen, mir gesagt, was er wolle; es blieb aber still. Ich dachte sogleich an meinen kleinen Mimbrenjo, hütete mich, einen Laut von mir zu geben, und hob und senkte den Kopf aber einige Male, um zu zeigen, daß ich aufgewacht sei. Derjenige, welcher es war, mußte hinter mir, so daß ich ihn nicht sehen konnte, im Grase liegen, und dieses war, wie ich bemerken muß, über einen Fuß hoch; einem schlanken Knaben, wie der Mimbrenjo war, bot es also wohl hinreichend Schutz, so daß er bei der hier herrschenden Dunkelheit selbst von dem so nahesitzenden Wächter nicht bemerkt werden konnte. Dennoch war es eine staunenswerte Kühnheit, sich durch die um mich herliegenden Schläfer bis an meinen Kopf zu wagen.

Als ich die erwähnten Bewegungen gemacht hatte, hörte ich hinter mir ein leises, reibendes Geräusch, wie wenn jemand sich mit äußerster Vorsicht kriechend im Grase fortbewegt; er schob sich weiter zu mir heran, bis sein Kopf neben dem meinigen lag, hielt mir den Mund an das Ohr und hauchte:

„Ich bin es, der Mimbrenjo. Welchen Befehl hat Old Shatterhand für mich?“

Er war es also wirklich! Ein anderer an meiner Stelle hätte in diesem Augenblick wohl alles andere eher empfunden als das, was ich fühlte, nämlich innige Freude darüber, daß der kleine Kerl außer großem Mute auch den Scharfsinn und denjenigen Grad von Schlauheit besaß, welcher ihm notwendig war, wenn er später ein berühmter Krieger werden wollte. Er wünschte, sich einen Namen zu erwerben; er hatte geglaubt, daß sein Wunsch bei mir eher in Erfüllung gehen werde, als sonst anderswo; nun, wenn er die dazu erforderlichen Eigenschaften in dieser Weise und in diesem Grade bewährte, so konnte seine Erwartung sehr bald in Erfüllung gehen.

Ehe ich ihm antwortete, lauschte ich einige Augenblicke, ob seine letzte Bewegung vielleicht dem Wächter aufgefallen sei oder einen der Schläfer aufgeweckt habe; es war nicht der Fall, und so wendete ich ihm mein Gesicht zu und flüsterte im leisesten Tone:

„Hast du die Pferde?“

„Ja,“ antwortete er ebenso leise.

„Und alle meine Sachen?“

„Alle.“

„Wo?“

„Seitwärts der Hazienda, am Felsen festgebunden, wo es keine Spuren giebt.“

„Das ist klug. Wie bist du hierher gekommen?“

„Ich sah, daß Old Shatterhand gefangen wurde, weil er mich retten wollte. Ich vermutete, daß man nach mir suchen und dabei die Pferde finden würde. Ich wollte die Feinde von ihnen ablenken und eilte darum allein fort, aus dem Thale hinauf und über die Ebene, bis ich Felsen fand, wo die Yuma meine Fährte verlieren würden. Mein Stamm kennt die Schnelligkeit meiner Füße; kein Yuma hat mich ereilen können; sie waren soweit hinter mir, daß ich sie nicht sah, und sie haben mich also auch nicht sehen können. Als meine Spuren nicht mehr zu bemerken waren, lief ich in einem Bogen, um ihnen auszuweichen, wieder nach dem Thale zurück, wo ich mich auf die Lauer legte. Ich sah sie unverrichteter Sache wiederkommen und beobachtete sie weiter. Als sie aufbrachen, nahm ich die Pferde und ritt hinter ihnen her, um Old Shatterhand zu befreien. Ich werde dafür gern mein Leben geben, weil er meinetwegen ergriffen worden ist.“

„Du wagst viel, doch sehe ich, daß du vorsichtig und klug genug bist, es auszuführen. Ich denke, daß ich mit deiner Hilfe bald frei sein werde.“

„Bald? Warum nicht gleich? Ich habe mein und auch dein Messer mit und werde dich losschneiden.“

„Das wirst du nicht, denn die Folge würde sein, daß auch du in die Gefangenschaft gerietest. Du mußt aber frei bleiben.“

„Old Shatterhand mag bedenken, daß alle schlafen und nur dieser eine wacht! Er ist blind; er sieht mich nicht.“

„Und du magst bedenken, was geschehen muß, ehe ich von der Erde aufzustehen vermag. Vom Fortspringen will ich gar nicht reden. Du mußt die Riemen zerschneiden, welche für die Nacht um meinen Körper gebunden sind; das währt, weil wir sehr langsam und vorsichtig verfahren müssen, wohl eine Stunde. Dann muß ich mich aus der Decke rollen, was nur in der Hälfte dieser Zeit geschehen kann, und wenn das gelungen ist, so sind noch immer die Fesseln von meinen Händen und Füßen zu entfernen.“

„Das geht dann schnell. In zwei Stunden sind wir fertig.“

„Wir würden fertig sein; aber mein junger Bruder mag meine Wächter zählen. Es sind ihrer fünf; sie werden also abwechseln, einander ablösen. Jeder wird, ehe er mich von dem vorigen übernimmt, mich untersuchen, um sich zu überzeugen, daß ich noch fest gebunden bin. Man traut mir nicht. Du siehst also ein, daß ich in dieser Nacht unmöglich fortkann.“

„Old Shatterhand hat recht; ich werde also in der nächsten Nacht wiederkommen.“

„Du würdest mich ebenso finden wie jetzt und mich ebenso wieder verlassen müssen.“

„Aber wann soll ich da überhaupt kommen? Wie lange soll ich dich in ihren Händen lassen? Wenn sie dich töten, so werde ich nie wieder in unsern Wigwams erscheinen dürfen, denn alle würden auf mich zeigen und mich anspucken, weil ich durch meinen Leichtsinn Old Shatterhand in die Gefangenschaft und in den Tod gebracht habe.“

„Sie töten mich jetzt noch nicht, sondern sie wollen mich für den Marterpfahl aufsparen, welcher erst nach ihrer Heimkehr errichtet wird.“

„Das ist gut; mein Herz wird leicht! Aber wie soll ich dich befreien, wenn ich nicht wieder zu dir kommen darf?“

„Ich mache mich schon selber los. Da aber meine Füße von den Banden taub geworden sind und mich nicht weit tragen würden, so wünsche ich, daß du in dem Augenblicke, wenn ich fliehe, in der Nähe bist, damit ich auf das Pferd springen kann.“

„Ich werde den Yumas folgen und mich, so oft sie lagern, ganz nahe bereit halten.“

„Aber ja mit der größten Vorsicht! Ich muß wissen, in welcher Richtung du dich befindest. Bleibe stets hinter ihnen. Und nicht nur die Richtung, sondern auch die Stelle, an welcher ich dich zu suchen habe, möchte ich möglichst genau kennen.“

„Wie soll ich dir das mitteilen, da ich nicht mit dir sprechen kann?“

„Hast du gelernt, die Stimme irgend eines Vogels nachzuahmen?“

„Der Zauberer meines Stammes versteht es, die Stimmen aller Tiere zu sprechen, und ich bin sein Schüler gewesen. Welchen Vogel oder welches Tier meinst du?“

„Wir müssen die Stimme eines Tieres wählen, welche sowohl bei Tage als auch bei Nacht zu hören ist, da ich nicht weiß, ob ich am Tage oder des Nachts die Flucht ergreifen werde, oder ob du mir das Zeichen früh, mittags oder des Abends zu geben hast. Die Nachahmung der Tierstimme soll, sobald ich sie höre, mir sagen, wo sie ertönt, also wo du dich befindest.“

„Ein Tier, dessen Ruf des Tages und des Nachts ertönt, ist selten. Wollen wir nicht lieber ein Tag- und ein Nachttier wählen?“

„Auch das, wenn es dir auf diese Weise leichter fällt. Aber der mexikanische Grasfrosch hält sich sowohl im Walde, als auch auf dem freien Felde auf und läßt seine Stimme zu jeder Zeit, des Morgens und des Mittags, des Abends und des Nachts, hören. Das würde das passendste sein.“

„Ganz wie Old Shatterhand denkt! Ich kann die Stimme dieses großen Frosches so gut nachahmen, daß das schärfste Ohr getäuscht wird.“

„Das ist mir lieb. Höre also, was ich dir sagen werde! Es ist ein Glück, daß ich soviel Fleisch von der Hazienda brachte; du hast also zu leben und kannst alle Aufmerksamkeit auf deine Aufgabe richten. Ich weiß nicht, wenn wir von hier aufbrechen und an welchen Orten wir dann lagern werden. Mag dies geschehen, wann und wo es wolle, so folgest du uns, aber in vorsichtiger Entfernung, und suchst dir, so oft wir lagern, ein Versteck, welches uns so nahe wie möglich liegt, dir aber die nötige Sicherheit bietet. Dann wartest du auf einen Augenblick, an welchem in unserm Lager Ruhe herrscht, und stößest dann den Ruf des Grasfrosches aus, dreimal, aber nicht schnell hintereinander, weil dies auffallen würde, sondern in Zwischenräumen, welche eine Viertelstunde betragen können. Bin ich beim ersten Rufe vielleicht im Zweifel über die Stelle, von welcher er kommt, so wird mir der zweite oder gar dritte gewiß Sicherheit geben. Vom dritten Rufe an mußt du dich bereit halten, mit mir augenblicklich davonreiten zu können.“

„Ich werde so gut aufpassen, daß ich dich kommen sehe, und, sobald ich dich erblicke, sofort aus dem Verstecke hervorkommen.“

„Schön! Mein Pferd muß zum Besteigen fertig sein, damit ich keinen Augenblick zu verlieren brauche, denn ich werde die Verfolger hart hinter mir haben. Und noch ein anderes muß bereit sein, nämlich der Henrystutzen, das kleine Gewehr, aus welchem ich soviele Schüsse abfeuern kann, ohne einzeln laden zu müssen. Du hast es doch?“

„Ich habe es.“

„Hast du vielleicht daran probiert?“

„Nein. Wie könnte ich das wagen! Alles, was Old Shatterhand gehört, ist unantastbar.“

„So ist der Stutzen also in gutem Zustande. Halte ihn bereit, mir ihn, noch ehe ich auf das Pferd springe, in die Hand zu geben, damit ich den Verfolgern, falls sie mir zu nahe sein sollten, durch einige Kugeln Halt gebieten kann. Jetzt weißt du alles, und wir müssen uns trennen. Da muß ich dich noch auf etwas sehr Wichtiges aufmerksam machen. Ich vermute nämlich, daß man die andern Gefangenen frei lassen wird. Sie werden sehr wahrscheinlich nach der Hazienda zurückkehren. Laß dich nicht dadurch irre machen! Ich befinde mich auf keinen Fall bei ihnen. Du mußt unbedingt den Yumas folgen, die mich sicherlich bei sich haben.“

„Meine Augen werden offen sein, jeden Fehler zu vermeiden!“

„Das erwarte ich. Nun gieb mir mein Messer, welches du bei dir hast, wie du mir vorhin sagtest!“

„Wie kann ich es dir geben, da deine Hände verhindert sind, es zu nehmen? Soll ich es dir in die Decke schieben, in welcher du steckst?“

„Das geht nicht, weil sie zu fest zusammengeschnürt ist, und man würde es auch finden, wenn man sie morgen früh wieder aufbindet. Schiebe es hier, gerade in der Gegend meines rechten Ellbogens, in die Erde, sodaß das Heft nur ein klein wenig hervorsteht. Das Gras ist dicht; man wird es also nicht sehen.“

„Kannst du es denn, obgleich du gefesselt bist, herausziehen und einstecken?“

„Ja. Und nun entferne dich! Wir haben schon zu lange gesprochen, und die Ablösung kann jeden Augenblick vor sich gehen.“

„Ich gehorche. Vorher aber erleichtere mir mein Herz vollends! Ich habe einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen, und du bist großmütig genug gewesen, mir kein Wort, keine Silbe des Vorwurfes zu sagen. Wird deine Seele mir die Verzeihung versagen?“

„Nein. Du bist zu kühn gewesen, als du dich den Yumas so sehr nähertest, daß sie dich sehen konnten, aber dieser Kühnheit habe ich es zu verdanken, daß ich dich jetzt bei mir sehe. Wir sind quitt; ich zürne dir nicht.“

„So sage ich dir Dank. Mein Leben gehört dir, und an jedem meiner Tage werde ich mit Stolz daran denken, daß Old Shatterhand zu mir gesagt hat, er sei quitt mit mir.“

Er stieß das Messer neben mir in die Erde und zog sich dann zurück, so leise, daß nicht einmal ich es hörte, obgleich ich scharf lauschte. Nach einiger Zeit ertönte aus der Ferne der dumpfe, breite Schrei des Grasfrosches, der mir sagen sollte, daß dem kleinen Mimbrenjo der Rückzug glücklich gelungen sei.

Jetzt wußte ich, daß mir die Flucht auch gelingen würde. Diese Überzeugung benahm mir alle Sorge, und ich schlief so ruhig wieder ein, als ob ich mich bereits in Freiheit befände. Der Lärm des Lagerlebens weckte mich am Morgen, als es schon hell geworden war. Meine Hüter banden die Decke von mir los, da ihnen diese Vorsichtsmaßregel jetzt, am Tage, überflüssig zu sein schien. Ich that, als ob ich noch schläfrig sei, und wälzte mich auf die Seite, wobei ich mich von ihnen unbemerkt ein Stück zurückschob, sodaß ich das Messer, welches sich in der Ellenbogengegend befunden hatte, wenn ich mich vollends umwendete, mit den Händen ergreifen konnte.

Wie schon erwähnt, waren mir die Hände jetzt nicht mehr so fest wie vorher zusammengeschnürt; ich konnte die Finger bewegen. Nach einiger Zeit wälzte ich mich abermals herum, sodaß ich auf dem Bauche lag. Meine vorn befindlichen Finger tasteten nach dem Messer; ich mußte wohl zehn Minuten lang suchen, ehe ich das höchstens zwei Zoll lange Ende des Griffes, welches aus dem mit Gras bedeckten Boden ragte, fühlte. Und dann dauerte es noch länger, ehe ich das Messer aus der Erde brachte, denn weil ich meinen Körper nicht lüften, nicht erheben durfte, so konnte ich es nicht gerade herausziehen. Als mir dies gelungen war, brauchte ich wieder eine Weile, bevor es mir gelang, es mit den unbehilflichen Fingerspitzen unter die Weste zu schieben und ihm dort einen solchen Halt, eine solche Lage zu geben, daß es nicht hervorrutschte und überhaupt nicht bemerkt werden konnte.

Eben als ich damit fertig war, glücklicherweise nicht eher, wendete man mich um, um mir die Hände wieder freizugeben, weil ich essen sollte. Es wurde überhaupt große Morgenspeisung gehalten, weil, wie ich später sah, der Aufbruch vor sich gehen sollte. Die Tiere wurden zusammen- und dann weitergetrieben. Die roten Krieger, welche dazu nicht gebraucht wurden, blieben noch eine Weile am Platze, weil sie die langsam wandernde Herde bald einholen konnten. Nach vielleicht zwei Stunden trennten sie sich in zwei Abteilungen. Die kleinere blieb zurück, um die andern Gefangenen zu bewachen und sie, wie ich später hörte, erst nach Verlauf von zwei Tagen freizulassen. Es geschah das, damit der Haziendero nicht Zeit gewinnen könne, Hilfe zu holen und die Yuma zu ereilen, ehe sie sich in Sicherheit befanden.

Die größere Abteilung, welche von dem Häuptlinge angeführt wurde, folgte in langsamem Ritte den vorausgeschickten Tieren nach. Ich befand mich, auf ein Pferd gefesselt, bei ihr, von fünf neuen Wächtern umringt. Man wechselte also, damit die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit nicht ermüden solle. Als wir uns in Bewegung setzten, hörte ich die Stimme des Mormonen hinter uns dreinrufen:

„Farewell, Master! Grüßt mir den Teufel, wenn er Euch in einigen Tagen in der Hölle guten Morgen sagt!“

Sein auf die Hazienda gerichteter Teufelsstreich war ihm gelungen, und er hegte die Überzeugung, von mir befreit zu sein. – – –

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