Einundzwanzigstes Capitel.

Einundzwanzigstes Capitel.

Der Patron der Tankadere in Gefahr, eine Prämie von zweihundert Pfund zu verlieren.

Diese Fahrt von achthundert Meilen auf einem Fahrzeuge von zwanzig Tonnen, zumal zu dieser Jahreszeit, war ein gewagtes Unternehmen. Die Meere Chinas sind meistens schlimm, fürchterlichen Windstößen ausgesetzt, besonders zur Aequinoctialzeit, und es war noch Anfang Novembers.

Offenbar wäre es für den Pilot vortheilhafter gewesen, seine Passagiere bis Yokohama zu fahren, weil er tageweise bezahlt wurde. Aber es wäre auch sehr unvorsichtig gewesen, unter den gegebenen Verhältnissen eine solche Fahrt zu versuchen, und es war schon kühn, ja verwegen genug, bis Schangai zu fahren. Aber John Bunsby konnte sich auf seine Tankadère verlassen, die leicht wie eine Möve über die Wellen glitt.

Während der letzten Stunden dieses Tages fuhr die Tankadère in den bedenklichen Fahrwassern von Hongkong, und hielt sich bei allen Windungen, in nächster Nähe oder mit vollem Winde, vortrefflich.

»Ich brauche, Pilot, Ihnen nicht die möglichste Sorgfalt anzuempfehlen, sprach Phileas Fogg, als sie auf’s hohe Meer fuhr.

– Ew. Gnaden können sich auf mich verlassen, versetzte John Bunsby. Segel wenden wir soviel an, als der Wind gestattet. Unsere leichten Segel würden nichts weiter fördern und könnten nur dem Lauf des Schiffes hinderlich sein.

– Sie verstehen das besser, Pilot, und ich verlasse mich auf Sie.«

Phileas Fogg stand da, aufrecht mit gespreizten Beinen, sicher wie ein Seemann, und schaute unverrückt auf die hohle See. Hinten saß die junge Frau, nicht ohne Besorgnis im Hinblick auf den in der Dämmerung bereits düstern Ocean, welchem sie auf einem so leichten Fahrzeuge Trotz bot. Ueber ihrem Kopf flatterten die weißen Segel, welche es wie große Flügel in den weiten Raum hinaustrieben. Vom Winde gehoben schien die Goelette in der Luft zu fliegen.

Es ward Nacht, der Mond trat in sein erstes Viertel, und sein schwaches Licht sollte bald im Nebel des Horizonts verlöschen. Von Osten her zog Gewölk herauf und bedeckte schon einen Theil des Himmels.

Der Pilot hatte sein Leuchtfeuer aufgestellt, eine unerläßliche Vorsichtsmaßregel in diesen sehr befahrenen Meeren, nächst den Landungsplätzen. Zusammenstöße traten nicht selten ein, und bei det Schnelligkeit, womit die Goelette fuhr, konnte der geringste Stoß sie zertrümmern.

Fix stand in Gedanken verloren auf dem Vordertheil.

Da er Fogg’s schweigsame Natur kannte, so hielt er sich bei Seite. Zudem war es ihm zuwider, mit dem Manne zu reden, dessen Gefälligkeit er annahm. Er dachte auch an die Zukunft. Es schien ihm ausgemacht, daß Fogg sich nicht zu Yokohama aufhalten, vielmehr unverzüglich das Packetboot nach San Francisco besteigen würde, um nach Amerika zu kommen, auf dessen ungeheuern Räumen er Straflosigkeit und Sicherheit finden würde.

Das schien der einfachste Plan Phileas Fogg’s zu sein. Anstatt kurzer Hand in England wie ein gewöhnlicher Schurke nach den Vereinigten Staaten überzuschiffen, hatte dieser Fogg den weiten Umweg gewählt mit der Fahrt über drei Viertheil des Erdumkreises, um so mit mehr Sicherheit auf’s amerikanische Festland zu gelangen, und daselbst, nachdem er die Polizei an der Nase geführt, ruhig seine Banknoten zu genießen. Aber was sollte Fix auf amerikanischem Gebiet anfangen? Diesen Menschen loslassen? Nein, hundertmal nein! Bis er eine Auslieferungsacte erwirkt, wollte er ihm nicht von der Ferse weichen. Diese seine Schuldigkeit wollte er vollständig erfüllen. Jedenfalls hatte er einen glücklichen Umstand erzielt: Passepartout befand sich nicht mehr bei seinem Herrn, und zumal nachdem Fix gegen ihn vertraulich gewesen, war es von Wichtigkeit, daß Herr und Diener nie wieder zusammen kamen.

Phileas Fogg machte sich ebenfalls Gedanken um seinen so auffallend verschwundenen Diener. Alles in Betracht gezogen, schien es ihm nicht unmöglich, daß der arme Junge in Folge eines Mißverständnisses sich erst im Moment der Abfahrt auf dem Carnatic eingefunden hatte. Das meinte auch Mrs. Aouda, welche diesen braven Diener, dem sie so viel verdankte, herzlich bedauerte. Es war also nicht unmöglich, ihn zu Yokohama wieder zu finden, und wenn er mit dem Carnatic dahin abgefahren war, konnte man’s leicht erfahren.

Gegen zehn Uhr erhob sich ein frischer Wind. Vielleicht wäre es klug gewesen, ein Reff aufzunehmen, aber der Pilot ließ, nachdem er den Himmel sorgfältig beobachtet hatte, das Segelwerk in seinem bisherigen Zustande. Uebrigens hielt die Tankadère bei tiefem Wasser ihre Segel stattlich, und alles war fertig, im Fall eines Windstoßes sie einzuziehen.

Um Mitternacht begaben sich Phileas Fogg und Mrs. Aouda in die Cabine hinab. Fix war schon dahin vorausgegangen und hatte sich auf einen Divan gelagert. Der Pilot blieb mit seinen Bootsleuten die ganze Nacht auf dem Verdeck.

Am folgenden Morgen, den 8. November, bei Sonnenaufgang, hatte die Goelette bereits über hundert Meilen zurückgelegt. Das Log gab eine durchschnittliche Geschwindigkeit von acht bis neun Meilen an. Die Tankadère hatte halben Wind in ihren Segeln, die alle trieben, und so erlangte sie ihre größte Geschwindigkeit. Hielt sich der Wind dermaßen, so waren das gute Aussichten.

Die Tankadère entfernte sich während dieses ganzen Tages nicht merklich von der Küste, deren Windströmung ihr günstig war. Diese zog sich höchstens fünf Meilen entfernt linker Hand, und wurde, da sie unregelmäßig zugeschnitten war, mitunter durch lichte Stellen hindurch sichtbar. Da der Wind vom Lande herkam, so ging ebendeshalb das Meer weniger stark; ein günstiger Umstand für die Goelette, denn den Fahrzeugen von geringem Tonnengehalt gereicht besonders die hohle See zum Nachtheil, da sie ihre Schnelligkeit bricht.

Gegen Mittag wurde der Wind etwas milder und strich südöstlich. Der Pilot ließ die kleinen Segel aufziehen; aber nach Verlauf von zwei Stunden mußte man sie wieder einziehen, denn der Wind wehte wieder stärker.

Herr Fogg und die junge Frau, welche der Seekrankheit glücklich widerstanden, aßen mit Appetit Zwieback und Conserven, welche an Bord befindlich waren. Fix wurde eingeladen, theilzunehmen, und hätte es annehmen sollen, denn er wußte wohl, daß man den Magen ebensowohl wie die Schiffe mit Ballast versehen muß; aber es war ihm zuwider. Auf Kosten dieses Mannes die Reise zu machen, von seinem Brod zu essen, fand er doch etwas unehrenhaft. Er aß jedoch, – zwar nur ganz wenig, – doch aß er.

Als das Mahl beendigt war, glaubte er den Herrn Fogg bei Seite nehmen zu müssen, und sagte zu ihm:

»Mein Herr …«

Dies Wort kam ihm schwer über die Lippen, und es kostete ihn Ueberwindung, diesen Herrn nicht am Kragen zu fassen!

»Mein Herr, Sie haben die Gefälligkeit gehabt, mir einen Platz auf Ihrem Boot anzubieten. Aber, obwohl meine Mittel mir nicht so reichlich fließen, wie Ihnen, so will ich meinen Antheil bezahlen …

– Reden wir nicht davon, mein Herr, versetzte Herr Fogg.

– Aber doch, es ist mir …

– Nein, mein Herr, wiederholte Herr Fogg in einem Tone, der eine Erwiderung ausschloß. Es gehört das zu den Gesammtkosten!«

Fix verneigte sich, er hätte bersten mögen; er begab sich auf’s Vordertheil des Schiffes und sprach den ganzen Tag kein Wort weiter.

Indessen kam man rasch vorwärts, und John Bunsby machte sich gute Hoffnung. Er sagte einigemal zu Herrn Fogg, man werde noch zu rechter Zeit nach Schangai kommen, worauf Herr Fogg nur erwiderte, er rechne darauf.

Uebrigens ließ es die ganze Mannschaft an Eifer nicht fehlen; die Prämie spornte sie. Man hätte bei einem Wettschiffen des Royal-Yacht-Clubs nicht strenger manoeuvrirt.

Am Abend zeigte das Log, daß man von Hongkong aus zweihundertundzwanzig Meilen zurückgelegt hatte, und Phileas Fogg konnte sich Hoffnung machen, daß er bei seiner Ankunft in Yokohama keine Verspätung in sein Programm werde einzutragen haben. So sollte denn auch das erste ernstliche Hinderniß, worauf er seit seiner Abfahrt aus London gestoßen, ihm wahrscheinlich keinen Schaden bringen.

Während der Nacht, gegen Morgen, fuhr die Tankadère frisch in die Straße Fo-Kien hinein, welche die große Insel Formosa von der chinesischen Küste scheidet, und durchschnitt den Wendekreis des Krebses. In dieser Straße war das Meer sehr aufgeregt, voll Wirbel, welche die Gegenströmung veranlaßte. Die Goelette hatte viel mit den gebrochenen Wellen zu schaffen, welche ihren Lauf hemmten. Es hielt sehr schwer, sich auf dem Verdeck aufrecht zu halten.

Mit Tagesanbruch wurde der Wind noch stärker, und am Himmel ergaben sich Vorzeichen eines Windstoßes. Uebrigens kündigte der Barometer eine bevorstehende Luftveränderung an; er bewegte sich unregelmäßig, und das Quecksilber gerieth in launische Schwankungen. Man sah auch südöstlich das Meer in hochgehenden Wellen aufgeregt, was auf Sturm hindeutete. Am Abend zuvor war die Sonne in rothem Nebel untergegangen unter phosphorescirendem Funkeln des Oceans.

Der Pilot nahm lange dieses schlimme Aussehen des Himmels in Erwägung und brummte unverständliche Worte zwischen den Zähnen. Einmal, da er neben seinem Passagier stand, sprach er leise zu ihm:

»Man kann mit Ew. Gnaden offen reden?

– Ja wohl, erwiderte Phileas Fogg.

– Nun, wir werden einen Windstoß bekommen.

– Von Norden oder Süden her? fragte Herr Fogg.

– Von Süden. Sehen Sie, eine Trombe wird’s geben.

– Von Süden her mag der Windstoß immer kommen, er wird uns richtig vorwärts befördern, erwiderte Herr Fogg.

– Nehmen Sie’s so, versetzte der Pilot, so hab‘ ich nichts weiter zu sagen.«

Die Ahnungen John Bunsby’s täuschten nicht. Zu einer weniger vorgerückten Jahreszeit würde die Trombe, nach dem Ausspruch eines berühmten Meteorologen, wie eine mit elektrischen Flammen erleuchtete Cascade zerfließen, aber im Winter-Aequinoctium war zu befürchten, daß sie heftiger losbrach.

Der Pilot traf seine Vorkehrungen. Er ließ alle Segel der Goelette einziehen, und die Stangen aus dem Verdeck herabnehmen. Die Lucken wurden sorgfältig verwahrt, so daß kein Tropfen Wasser in’s Innere dringen konnte. Ein einziges dreieckiges Segel, ein Focksegel von starkem Zeug, wurde aufgehißt, um die Goelette beim Treiben des Windes zu halten. So wartete man ab.

John Bunsby hatte die Passagiere aufgefordert, sich in die Cabine hinab zu begeben; aber in dem engen Raum, fast ohne Luft und bei den Wellenstößen, hatte diese Einsperrung nichts Angenehmes. Weder Herr Fogg, noch Mrs. Aouda, selbst Fix mochten sich nicht dazu verstehen.

Gegen acht Uhr brach ein Unwetter mit Regen und Windstößen aus; so daß die Tankadère, hätte sie mehr Segel aufgespannt gehabt, wie eine Feder in die Lüfte gewirbelt worden wäre. Wollte man die Schnelligkeit eines solchen Windes mit der vierfachen einer Locomotive bei vollem Dampf vergleichen, so bliebe man noch hinter der Wahrheit zurück.

Während des ganzen Tages flog so das Boot nordwärts, von riesenhaften Wellen getragen, indem es glücklicherweise eine der ihrigen gleiche Schnelligkeit behielt. Zwanzigmal war es nahe daran, von so einem Wasserberg, der sich hinter ihm aufthürmte, überschüttet zu werden, wenn nicht mit geschicktem Griff der Steuerer die Katastrophe abgewendet hätte. Die Passagiere wurden mitunter ganz von dem Staubregen der zusammenstoßenden Wellen bespritzt, was sie sich philosophisch gefallen ließen. Fix fluchte allerdings, aber die unverzagte Aouda, den Blick auf ihren Begleiter mit seinem bewundernswerthen Gleichmuts gerichtet, zeigte sich seiner würdig und trotzte ebenfalls dem Sturm. Phileas Fogg hatte wohl, schien es, diese Trombe auf seinem Programm.

Bisher war die Tankadère stets nordwärts getrieben; aber gegen Abend, wie zu befürchten war, schlug der Wind um und trieb nordwestlich. Da nun die Tankadère dem Wellenschlag die Seite darbot, so wurde sie fürchterlich geschüttelt, und man konnte wohl bei solcher Gewalt der Stöße in Angst gerathen, es möchten nicht alle Theile des Schiffes fest genug zusammengefügt sein.

Mit Einbruch der Nacht ward der Sturm noch ärger. Als John Bunsby die Dunkelheit, und mit dem Dunkel die Sturmesgewalt sich steigern sah, ward er doch lebhaft unruhig, und berieth mit den Bootsleuten, ob es nicht gerathen sei, beizulegen.

Darauf trat er zu Herrn Fogg und sprach: »Ich glaube, Ew. Gnaden, es wäre wohl gethan, einen Hafen an der Küste zu suchen.

– Ich glaub’s auch, erwiderte Phileas Fogg.

– Ah! sagte der Pilot, aber welchen?

– Ich weiß nur einen, versetzte gelassen Herr Fogg.

– Der ist? …

– Schangai.«

Der Pilot wußte nicht gleich den Sinn der Antwort, die zähe Ausdauer, zu fassen. Darauf rief er:

»Nun ja! Ew. Gnaden hat Recht. Nach Schangai!«

Und die Richtung der Tankadère ward unveränderlich nordwärts festgehalten.

Es war eine wahrhaft erschreckliche Nacht, und ein Wunder, daß die kleine Goelette nicht umschlug. Zweimal war sie nahe daran, und es wäre alles von Bord weggefegt worden, hätten die Seile zur Befestigung nicht gehalten. Mrs. Aouda war ganz erschöpft, aber ließ keinen Klagelaut hören. Mehrmals mußte Herr Fogg sie gegen die Gewalt der Wellen schützen.

Es ward wieder Tag, und das Gewitter dauerte ununterbrochen mit entfesselter Wuth. Doch änderte sich der Wind in Südost; ein günstiger Umstand, und die Tankadère setzte ihren Weg auf dem tobenden Meere fort, dessen Wellen mit den von der neuen Windrichtung getriebenen zusammenstießen, ein Widerprallen, wobei ein minder fest gebautes Boot zertrümmert worden wäre.

Von Zeit zu Zeit konnte man durch den nun gebrochenen Nebel die Küste wahrnehmen, aber nirgends ein Schiff. Die Tankadère war das einzige, welches die See hielt.

Um Mittag ergaben sich einige Zeichen, daß der Sturm sich legte; und als sich die Sonne zum Horizont hinabsenkte, sprach sich dies noch entschiedener aus. Die kurze Dauer desselben hing mit seinem heftigen Auftreten zusammen. Nun konnten die erschöpften Passagiere etwas Speise zu sich nehmen und ein wenig ausruhen.

Die Nacht war verhältnißmäßig ruhig. Der Pilot ließ seine niederen Segel wieder aufziehen und das Schiff fuhr erstaunlich schnell. Am folgenden Morgen, den 11., bei Tagesanbruch, konnte John Bunsby versichern, daß keine hundert Meilen mehr zu machen seien.

Aber es war nur noch dieser einzige Tag Zeit; noch an demselben Abend mußte Herr Fogg zu Schangai anlangen, wenn er nicht für das Packetboot nach Yokohama zu spät eintreffen wollte. Wäre nicht der Sturm dazwischen gekommen, so hätte er jetzt nur noch dreißig Meilen zurückzulegen.

Der Wind legte sich merklich, aber zum Glück ward auch das Meer wieder ruhig, nun wurden alle Segel aufgehißt, die sämmtlich trugen, und das Meer schäumte unter’m Vordersteven.

Um zwölf Uhr war die Tankadère nur noch fünfundvierzig Meilen von Schangai, und sie hatte noch sechs Stunden, um rechtzeitig dort anzulangen.

Die Besorgnisse an Bord waren lebhaft, denn man wollte um jeden Preis die Zeit nicht verfehlen. Die kleine Goelette mußte durchschnittlich mindestens neun Meilen die Stunde machen, – und der Wind wurde stets schwächer.

Doch war das Fahrzeug so leicht, und seine hohen, dicht gewebten Segel packten die regellosen Winde so gut, daß mit Hilfe der Strömung John Bunsby um sechs Uhr nur noch zehn Meilen bis zum Flusse Schangai zählte, denn die Stadt selbst liegt mindestens zwölf Meilen über dessen Mündung hinaus.

Um sieben Uhr befand man sich noch drei Meilen von Schangai. Ein fürchterlicher Fluch entfuhr den Lippen des Piloten; denn er sah wie die Prämie von zweihundert Pfund ihm offenbar vor der Nase entging. Er sah Herrn Fogg in’s Angesicht. Der zeigte sich rührungslos, und doch handelte sich’s eben um sein ganzes Vermögen …

In diesem Augenblick zeigte sich eine lange, schwarze Rauchsäule auf der flachen See. Es war das zur regelmäßigen Zeit abfahrende Packetboot nach Amerika.

»Verdammt! schrie John Bunsby, und stieß verzweifelnd das Steuer zurück.

– Signale!« sagte lediglich Herr Fogg.

Auf dem Vordertheil der Tankadère befand sich eine kleine Kanone, die zur Zeit des Nebels zu Signalen gebraucht wurde.

Dieselbe wurde bis zur Mündung geladen, aber als eben der Pilot zünden wollte, sprach Herr Fogg:

»Die Nothflagge.«

Die Flagge wurde am halben Mast aufgepflanzt; dies war ein Zeichen der Noth, und es ließ sich hoffen, daß das amerikanische Boot, wenn es sie gewahrte, eine Weile seinen Lauf ändern werde, um mit dem Boot zusammen zu kommen.

»Feuer!« sagte Herr Fogg.

Und das kleine Geschütz donnerte in die Lüfte.

Zweiundzwanzigstes Capitel.

Zweiundzwanzigstes Capitel.

Passepartout überzeugt sich, daß es selbst bei den Antipoden gerathen ist, etwas Geld in der Tasche zu haben.

Als der Carnatic am 7. November um halb sieben Uhr Abends Hongkong verließ, fuhr er mit vollem Dampf in der Richtung von Japan, mit voller Ladung an Waaren und Passagieren. Zwei Cabinen des hintern Theiles blieben unbesetzt; es waren die auf Phileas Fogg’s Rechnung genommenen.

Am folgenden Morgen konnten die Leute auf dem Vordertheil mit einigem Staunen sehen, wie ein Passagier mit etwas stumpfem Blick, wankenden Schrittes, zerzausten Haaren aus der Lucke des zweiten Platzes herauskam und sich schrankelnd auf einen Balken niedersetzte.

Dieser Passagier war Passepartout in Person. Hören wir, was vorgegangen war.

Alsbald nachdem Fix die Rauchbude verlassen hatte, nahmen zwei Kellner den in tiefen Schlaf versunkenen Passepartout und legten ihn auf das für die Raucher bestimmte Lager. Aber schon nach drei Stunden erwachte Passepartout, den auch im tiefsten Rausch ein festhaftender Gedanke verfolgte, und er kämpfte gegen die betäubende Wirkung der narkotischen Kraft. Der Gedanke an die Pflichtverletzung schüttelte die Betäubung ab. Er stand vom Lager der Trunkenbolde auf, und ging strauchelnd, an den Wänden sich haltend, aus der Bude hinaus, fiel und stand wieder auf, stets unwiderstehlich wie vom Instinct getrieben, und schrie in seinem Traumzustand: Der Carnatic! Der Carnatic!

Das Packetboot lag da, rauchend, zur Abfahrt bereit, ihm vor der Nase. Er wankte über den Brückensteg und sank wie todt auf dem Vordertheil hin, als eben der Carnatic die Anker lichtete.

Einige Matrosen, denen so etwas nichts Neues war, trugen den armen Jungen in eine Cabine zweiten Ranges, und Passepartout wachte erst am andern Morgen auf, hundertundfünfzig Meilen von der Küste Chinas entfernt.

So war es gekommen, daß sich Passepartout an diesem Morgen auf dem Verdeck des Carnatic befand und mit vollen Zügen die frische Seeluft einathmete. Diese Luft machte ihn nüchtern, und er fing an, seine Gedanken wieder zu sammeln, was ihm nur mit Mühe gelang. Endlich erinnerte er sich dessen, was am Abend zuvor sich begeben hatte, wie Fix vertraulich geworden, ihn in die Rauchbude geführt, u.s.w.

»Offenbar, sagte er sich, bin ich abscheulich betrunken gewesen! Was wird Herr Fogg dazu sagen? Jedenfalls hab‘ ich mich nicht für das Boot verspätet, und das ist die Hauptsache!«

Hierauf, an Fix denkend, sprach er bei sich:

»Was den betrifft, so hoff‘ ich, daß wir nun ihn los sind, und daß er, nachdem er mir den Vorschlag gemacht, sich nicht getraute, uns auf dem Carnatic zu begleiten. Ein Polizei-Agent, ein Detectiv meinem Herrn auf der Ferse wegen Diebstahl auf der Bank von England! Ei doch! Herr Fogg ist so wenig ein Dieb, wie ich ein Mörder!«

Sollte Passepartout diese Dinge seinem Herrn erzählen? Wäre es passend, ihn wissen zu lassen, was Fix dabei für eine Rolle spielte? Wäre es nicht besser damit zu warten bis zu seiner Ankunft in London, und dann ihm zu sagen, daß ein Agent der Polizei aus der Hauptstadt ihm auf der ganzen Rundreise nachgeschlichen sei, und dann mit ihm darüber zu lachen? Ja, gewiß. Jedenfalls wäre es noch zu bedenken. Das dringendste war nun, Herrn Fogg aufzusuchen und seine Entschuldigung für sein unverantwortliches Benehmen zu gewinnen.

Passepartout stand also auf, und da das Packetboot bei hohler See stark schwankte, so kostete es dem guten Jungen, der noch nicht recht fest auf den Beinen stand, einige Mühe, auf’s Hinterverdeck zu gelangen.

Hier auf dem Verdeck gewahrte er Niemand, der wie sein Herr oder Mrs. Aouda aussah.

»Gut, dachte er, Mrs. Aouda liegt jetzt noch im Schlaf, und Herr Fogg wird einen Spielgenossen für Whist gefunden haben, und seiner Gewohnheit nach …«

Mit solchen Gedanken begab sich Passepartout in den Salon, aber Herr Fogg war nicht da zu finden. Passepartout brauchte indessen nur den Proviantmeister nach seiner Cabine zu fragen. Derselbe erwiderte, es sei ihm kein Passagier dieses Namens bekannt.

»Entschuldigen Sie, sagte Passepartout dringend; es handelt sich um einen großen, kalten, wenig gesprächigen Gentleman in Begleitung einer jungen Dame …

– Es befindet sich gar keine junge Dame an Bord, versetzte der Proviantmeister. Zum Ueberfluß unterrichten Sie sich selbst auf der Passagierliste. Hier ist sie.«

Passepartout besah die Liste … Seines Herrn Name stand nicht darauf.

Er war ganz verblüfft. Da fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf.

»Ah! Bin ich denn auf dem Carnatic? rief er aus.

– Ja, erwiderte der Proviantmeister.

– Auf dem Wege nach Yokohama?

– Ganz richtig.«

Passepartout hatte eine Weile die Besorgniß, er sei auf das unrechte Schiff gekommen! Aber befand er sich auf dem Carnatic, so war es nun klar, daß sein Herr sich nicht darauf befand.

Das war für Passepartout ein Donnerschlag; er sank auf einen Fauteuil hin. Nun ging ihm plötzlich ein Licht auf. Er erinnerte sich, daß die Abfahrt des Carnatic auf etwas frühere Zeit verlegt worden war, daß er dies seinem Herrn hatte melden sollen, was er aber zu thun unterließ. Demnach war es seine Schuld, wenn Herr Fogg und Mrs. Aouda sich für die Abfahrtszeit verspäteten.

Seine Schuld, ja; aber noch weit mehr des Verräthers, der ihn, um ihn von seinem Herrn zu trennen und diesen zu Hongkong zurückzuhalten, betrunken gemacht hatte. Denn nun begriff er den Kniff des Polizei-Agenten. Und jetzt sei Herr Fogg sicherlich durch Verlust seiner Wette ruinirt, verhaftet, vielleicht im Kerker! … Passepartout raufte sich bei diesem Gedanken die Haare. Ah! Fiele Fix ihm jemals in die Hände, wie würde er mit ihm abrechnen!

Endlich, nachdem die erste Bestürzung vorüber war, bekam Passepartout seinen Gleichmuth wieder, und er studierte seine Lage, die wenig beneidenswerth war. Der Franzose befand sich auf der Reise nach Japan. Dahin kam er wohl gewiß, wie aber von da wieder weg mit leerer Tasche? Keinen Schilling, keinen Penny darin! Doch waren seine Fahrt und Kost an Bord vorausbezahlt. Also konnte er sich noch fünf bis sechs Tage besinnen, um einen Entschluß zu fassen. Wie er sich bei dieser Fahrt noch Essen und Trinken schmecken ließ, kann man sich denken: er aß für sich, seinen Herrn und Mrs. Aouda zusammen.

Am 13. früh Morgens fuhr der Carnatic in den Hafen von Yokohama ein.

Dieser Punkt ist ein bedeutender Platz am Stillen Meere, wo alle Boote im Dienst der Post und der Reisenden zwischen Nordamerika, China, Japan und den malaischen Inseln anhalten. Yokohama liegt in der Bai von Yeddo, unweit von dieser ungeheuern Stadt, der zweiten Hauptstadt des Reiches Japan, vormals Residenz des Taikun, zur Zeit als dieser bürgerliche Kaiser noch existirte, und Rivalin von Miako, der großen, vom Mikado bewohnten Stadt, dem kirchlichen Kaiser, der von den Göttern stammte.

Der Carnatic nahm seinen Platz am Quai zu Yokohama, in der Nähe der Hafendämme und der Zollmagazine, mitten unter zahlreichen Schiffen aller Nationen.

Passepartout war nichts weniger als begeistert, wie er dieses so merkwürdige Land der Sonnensöhne betrat. Es blieb ihm nichts übrig als den Zufall zum Führer zu nehmen und auf’s Geradewohl die Straßen der Stadt zu durchwandeln.

Er befand sich gleich in einer völlig europäischen Stadt von niedrig gebauten Häusern, mit Verandas auf zierlichen Säulenreihen, einem Quartier, das mit seinen Straßen, Plätzen, Docks, Lagerhäusern, den ganzen Raum vom Vorgebirge bis zum Fluß bedeckte. Hier, wie zu Hongkong und zu Calcutta, wimmelte ein Gemisch aus Menschen aller Racen, Amerikanern, Engländern, Chinesen, Holländern, Kaufleuten, denen alles feil ist und die alles kaufen, in deren Mitte sich der Franzose ebenso fremd fand, als wenn er in’s Hottentottenland wäre verschlagen worden.

Passepartout war doch nicht ohne Zuflucht: er konnte sich den zu Yokohama aufgestellten französischen oder englischen Consular-Agenten empfehlen; aber es war ihm zuwider, seine Geschichte, die so enge mit der seines Herrn verflochten war, zu erzählen; und ehe er sich dazu entschloß, wollte er zuerst alle andern Aussichten erschöpfen.

Also, nachdem er den europäischen Stadttheil durchlaufen hatte, ohne daß ihm der Zufall etwas darbot, ging er weiter in den japanischen, entschlossen, im Nothfall bis nach Yeddo zu dringen.

Dieser von Eingeborenen bewohnte Stadttheil heißt Benten, nach einer Meergöttin, die auf den nahen Inseln verehrt wird. Da sah man wunderhübsche Alleen von Tannen und Cedern, heilige Pforten einer seltsamen Architektur, Brücken inmitten von Bambus und Schilfrohr, Tempel unter dem ungeheuren melancholischen Obdach hundertjähriger Cedern, Bonzenhäuser, worin buddhistische Priester und Anhänger des Confucius ein dumpfes Leben führten, Straßen ohne Ende, worin man haufenweise Kinder mit rosenfarbener Haut und rothen Wangen sammeln konnte; kleine Püppchen, als seien sie in einer inländischen Bude geschnitzt worden, die in der Umgebung von kurzbeinigen Pudeln oder schwanzlosen, sehr trägen und schmeichlerischen Katzen spielten.

Auf den Straßen nur Gewimmel, unablässiges Hin- und Herlaufen: Bonzen mit Processionen unter Begleitung monotoner Tamburinen; Yakuninen, Zoll- oder Polizeibeamte mit spitzen, lackirten Hüten und zwei Säbeln am Gürtel; Soldaten in blauer, weißgestreifter Kattunkleidung, mit Percussionsgewehren; Gensdarmen des Mikado in Panzerröcken, und zahlreiches anderes Militär aller Arten, – denn in Japan ist der Soldatenberuf ebensosehr geachtet, wie in China mißachtet. Sodann Bettelbrüder, Pilger in langen Gewändern, einfache Bürgersleute, mit dünnem rabenschwarzen Haar auf dickem Kopf, langem Oberkörper, schmächtigen Beinen, kurzer Taille, farbiger Haut von den dunkeln Nüancen des kupferbraun bis zu mattem Weiß, aber niemals gelb, wie bei den Chinesen, von welchen die Japanesen sich wesentlich unterscheiden.

Endlich, zwischen den Wagen, Palankins, Pferden, Sänftenträgern, Karren mit Segeln, den »Norimons« mit lackirten Wänden, den weichen »Cangos«, echten Bambussänften, sah man kleinfüßige Frauen mit Schuhen von Leinwand, Sandalen von Stroh oder Socken von Holzarbeit einhertrippeln. Sie waren nicht hübsch, hatten enge Augen, flache Brust, Zähne nach dem Tagsgeschmack geschwärzt, trugen aber zierlich das Nationalgewand, »Kirimon«, eine Art Schlafrock mit seidener Schärpe, deren breiter Gürtel hinten zu einem übermäßigen Knoten geschürzt war, – wie die Pariserinnen, welche ihre neueste Mode aus Japan entliehen zu haben scheinen.

Passepartout spazierte einige Stunden lang inmitten dieser bunten Masse, besah auch die merkwürdigen reichen Läden, die Bazars, wo der ganze Flitter japanischen Goldschmucks gehäuft ist, die mit Wimpeln und Fähnlein geschmückten »Restaurationen«, in welche er nicht hineingehen durfte, und jene Theehäuser, wo man tassenweise warmes, wohlriechendes Wasser mit »Saki« bekommt, einem Liqueur aus gährendem Reis, und jene bequemen Tabaksstuben, wo man einen sehr feinen Tabak raucht, kein Opium, dessen Verwendung in Japan fast unbekannt ist.

Hierauf kam Passepartout auf’s freie Feld mitten unter unermeßliche Reisfluren. Hier schimmerten im letzten Farbenschmuck und Blüthenduft glänzende Camelien, nicht auf Sträuchern, sondern Bäumen, und in Bambusgehägen Kirsch-, Pflaumen- und Aepfelbäume, deren Früchte sie durch Fratzenmännchen, Scheuchklappern gegen den gefräßigen Schnabel der Sperlinge, Tauben, Raben und anderen Gevögels schützen. Da hausen auf den majestätischen Cedern gewaltige Adler; Reiher bergen sich unter den Zweigen der Trauerweiden; überall flattern Krähen, Enten, Sperber, wilde Gänse und Kraniche, die bei den Japanesen sehr in Ehren stehen.

Nachdem Passepartout so den Tag über spazieren gelaufen, so fühlte er, trotz des reichlichen Frühstücks, welches er vorsorglich auf dem Carnatic noch zu sich genommen hatte, doch am Abend den Magen sehr hohl. Er hatte wohl schon bemerkt, daß Fleisch von Hammeln, Ziegen oder Schweinen nirgends in den einheimischen Metzgerläden zu sehen war, und da er auch wußte, daß man die Ochsen, weil man sie lediglich für den Ackerbau braucht, nicht tödten darf, so hatte er sich schon gemerkt, daß Fleischgerichte in Japan selten sind. Darin irrte er nicht, aber sein Magen hätte sich auch mit Wildpret, Geflügel oder Fischen begnügt, womit die Japanesen fast ausschließlich sich nähren, außer den Gerichten von Reis. Aber er mußte für heute sich gutwillig in sein Geschick fügen und die Nahrungssorge auf den nächsten Morgen verschieben.

Die Nacht kam heran. Passepartout begab sich wieder in den Stadttheil der Eingeborenen und schweifte in den Straßen herum zwischen bunten Laternen, sah den Possenreißern zu, die in Gruppen ihre Zauberkünste sehen ließen, und den Astrologen, welche in freier Luft die schaulustige Menge um ihr Fernrohr sammelten. Nachher besuchte er wieder die Rhede, welche im Glanz der Fischerfeuer prangte, die mit dem Schein ihrer Harzfackeln die Fische herbeilocken.

Endlich wurden die Straßen leer, und an Stelle der Massen sah man Yakunine die Runde machen. Diese Beamten in ihrer prachtvollen Uniform und von ihrem Gefolge umgeben, nahmen sich wie Gesandtschaften aus, und Passepartout rief scherzend, so oft er so einer glänzenden Patrouille begegnete:

»Seht da! Wieder eine Japanische Gesandtschaft, die nach Europa reisen will!«

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Passepartout bekommt eine über die Maßen lange Nase.

Am folgenden Morgen fühlte sich Passepartout lendenlahm und ausgehungert; er mußte Speise zu sich nehmen, und zwar so bald wie möglich. Zwar hatte er seine Uhr zu verkaufen, aber lieber wäre er Hungers gestorben. Es war hohe Zeit, daß der wackere Junge die starke, wenn auch nicht melodische Stimme, womit die Natur ihn ausgestattet hatte, zu verwerthen suchte.

Er wußte noch einige französische und englische Lieder auswendig, und versuchte sich sie zu singen. Die Japanesen mußten wohl Musikliebhaber sein, weil sie alles beim Klang von Cymbeln, in Begleitung von Tam-Tam und Trommeln vornehmen; und gewiß würden sie nicht ermangeln, die Talente eines europäischen Virtuosen zu schätzen.

Aber vielleicht war’s noch etwas zu früh für Veranstaltung eines Concerts, und die unvermuthet aus dem Schlaf gebrachten Liebhaber hätten den Sänger vielleicht nicht mit einer Münze bezahlt, die das Bild des Mikado trug.

Passepartout entschloß sich also, noch einige Stunden zu warten; aber, indem er seines Weges ging, kam ihm der Gedanke, er müsse zu wohl gekleidet aussehen für einen Wanderkünstler, und wenn er seine Kleider gegen einen Trödel tauschte, der besser zu seiner Lage paßte, so müsse dabei noch etwas herausspringen, womit er gleich seinen Hunger befriedigen könnte.

Diesen Entschluß auszuführen, kostete es Passepartout geraume Zeit, bis er einen Trödler fand, dem er sein Begehren vortrug. Die europäische Kleidung gefiel demselben, und bald kam Passepartout aus seiner Bude heraus in einen alten japanischen Rock vermummt, und einen gerippten Turban auf dem Kopf, dessen Farben bereits verblichen waren. Aber dazu klirrten ihm einige Stücke Münze in seiner Tasche.

»Gut, dachte er, ich stelle mir vor, wir seien beim Carneval!«

Als Passepartout dergestalt japanisirt war, suchte er vor allen Dingen eine Theestube von bescheidenem Aeußern auf und hielt da mit einem Stück Geflügel und einigen Handvoll Reis ein Frühstück, während sein Mittagsmahl eine noch zu lösende Aufgabe war.

Als er sich reichlich gesättigt hatte, sprach er also zu sich selber:

»Jetzt gilt’s, nicht den Kopf zu verlieren. Ich habe jetzt nicht mehr das Hilfsmittel, diesen Trödelanzug gegen einen noch mehr japanischen zu verkaufen. Ich muß also auf Mittel sinnen, so bald wie möglich aus diesem Sonnenland hinauszukommen, das für mich nur ein Land traurigen Gedenkens sein wird!«

Passepartout dachte nun die nach Amerika fahrenden Packetboote zu besuchen, und meinte da sich zum Koch oder Diener anzubieten gegen freie Fahrt und Kost. Wäre er einmal zu San Francisco, so werde er sich leichter aus der Verlegenheit ziehen können. Die Hauptsache war nur, über die viertausendsiebenhundert Meilen des Stillen Meeres zwischen Japan und der Neuen Welt hinauszukommen.

Diesen Gedanken sofort auszuführen, ging Passepartout nach dem Hafen von Yokohama zu. Je näher er den Docks kam, um so mehr schien ihm die Idee, welche ihm anfangs so einfach vorgekommen war, unausführbar. Wie sollte man an Bord eines amerikanischen Packetbootes einen Koch oder Bedienten nöthig haben? und was könne er in seinem dermaligen Anzug für Vertrauen einflößen? Was habe er für Empfehlungen geltend zu machen? Was für Referenzen aufzuweisen?

Wie er in solchen Gedanken ging, fielen seine Blicke auf ein ungeheuers Affiche-Blatt, welches von einem Clown in den Straßen Yokohama’s herumgetragen wurde. Dasselbe lautete wörtlich:

Japanesische Akrobaten-Truppe

von

William Batulcar.

 

Letzte Vorstellungen

vor ihrer Abreise nach den Vereinigten Staaten Nordamerika’s

der

Langnasigen Lang-Nasen

Directe Anrufung des Gottes Tingu.

Höchst anziehend!

»Nach den Vereinigten Staaten Amerika’s! rief Passepartout, das wäre gerade was für mich!« …

Er folgte dem Zettelträger nach und kam hinter ihm her bald in das Japanesische Stadtviertel. Nach einer Viertelstunde befand er sich vor einer großen Schaubude, welche mit einigen Bündeln Fähnlein geschmückt, und außen an den Wänden mit einer ganzen Gaukler-Bande in grellen Farben bemalt war.

Es war die Anstalt des honorablen Batulcar, eines amerikanischen Barnum, Director einer Truppe Seiltänzer, Zauberkünstler, Clowns, Akrobaten, Equilibristen, Gymnasten, welche, wie die Affiche besagte, ihre letzten Vorstellungen gab, bevor sie das Sonnenreich verließ, um in die Vereinigten Staaten sich zu begeben.

Passepartout trat unter eine Vorhalle, die sich am Eingang der Bude befand, und fragte nach Herrn Batulcar. Derselbe erschien persönlich.

»Was wollen Sie? sprach er zu Passepartout, den er anfangs für einen Eingeborenen hielt.

– Können Sie einen Diener brauchen? fragte Passepartout.

– Einen Diener, rief der Barnum, indem er sich seinen dichten grauen Bart unter’m Kinn strich, ich hab‘ deren schon zwei, die mir treu und gehorsam sind, mich noch nie im Stich gelassen, und unentgeltlich bedienen, sofern ich sie nur ernähre … Sehen Sie da! und zeigte dabei seine beiden kräftigen Arme, die mit dicken Adern bezogen waren, wie eine Baßgeige mit Saiten.

– Also, können Sie mich zu nichts brauchen?

– Zu nichts.

– Teufel! Es hätte mir doch gerade gepaßt mit Ihnen zu reisen.

– Ah, sagte der honorable Batulcar, Sie sind gerade soviel Japanese, als ich Affe! Warum haben Sie sich denn in solche Kleidung gesteckt?

– Man kleidet sich, wie man kann!

– Sie haben Recht. Franzose sind Sie?

– Ja, ein Pariser aus Paris.

– Nun, dann müssen Sie auch Gesichter schneiden können?

– Ganz gewiß, erwiderte Passepartout, den es doch ärgerte, daß man seiner Nationalität zu nahe trat, wir Franzosen verstehen uns allerdings darauf, Gesichter zu schneiden, aber doch nicht so gut, wie die Amerikaner!

– Richtig. Nun denn, kann ich Sie auch nicht als Diener brauchen, so können Sie mir doch als Hanswurst dienen. Verstehen Sie, mein Wackerer, in Frankreich braucht man Ausländer als Possenreißer, und im Ausland Franzosen!

– Ah!

– Sie sind übrigens kräftig?

– Besonders, wenn ich vom Essen komme.

– Und Sie können singen?

– Ja, versetzte Passepartout, der früher schon in Straßenconcerten aufgetreten war.

– Aber verstehen Sie sich auch eine Vorstellung zu geben kopfunten, mit einem sich drehenden Kreisel auf der linken Fußsohle, und dabei mit der rechten einen Säbel im Gleichgewicht halten?

– Wahrhaftig! erwiderte Passepartout, dem seine ersten Jugenderinnerungen in den Kopf kamen.

– Das ist alles, sehen Sie!« versetzte der honorable Batulcar.

Und er nahm ihn sogleich in Dienst.

Kurz und gut, Passepartout hatte eine Stelle gefunden. Er hatte sich verbindlich gemacht, in der berühmten japanesischen Truppe alles mitzumachen. Das war zwar wenig schmeichelhaft, aber vor Ablauf von acht Tagen sollte er nach San Francisco unterwegs sein.

Die Vorstellung, welche vom honorablen Batulcar mit großem Geräusch angekündigt war, sollte um drei Uhr beginnen, und bald ließen sich die fürchterlichen Instrumente eines japanesischen Orchesters, Tambours und Tam-Tams, am Eingang vernehmen. Natürlich hatte Passepartout nicht mehr eine Rolle einstudieren können, aber er sollte bei dem Hauptstück, der »Menschentraube«, welches die Langnasen des Gottes Tingu aufführten, mit seinen starken Schultern eine Stütze bieten. Dieses »höchst anziehende« Stück bildete den Schluß der Vorstellungen.

Bereits vor drei Uhr war der Zuschauerraum der großen Bude gefüllt. Europäer und Eingeborene, Chinesen und Japanesen, Männer, Weiber und Kinder stürzten sich auf die schmalen Bänke und in die der Scene gegenüber befindlichen Logen.

Die Musik hatte sich hineinbegeben, und das volle Orchester, Gong-Gongs, Tam-Tams, Klappern, Flöten, Tamburinen und Pauken, arbeiteten wüthend.

Diese Vorstellung war wie alle diese Akrobatenproductionen; aber zugestehen muß man, daß die Japanesen die ersten Equilibristen der Welt sind. Einer führte mit einem Fächer und Fetzchen Papier das so reizende Stück der Schmetterlinge und Blumen aus. Ein anderer zog mit wohlriechendem Pfeifendampf in aller Eile eine Reihe blauer Worte, welche eine Höflichkeit gegen das Publicum ausdrückten. Dieser warf angezündete Kerzen, die er, wenn sie an seinem Munde vorbeiflogen, nacheinander ausblies und dann wieder anzündete, ohne sein Zauberstück im geringsten zu unterbrechen. Dieser führte mit Kreiseln, während sie sich drehten, kaum glaubliche Züge aus; unter seiner Hand schienen die schnurrenden Maschinen, bei ununterbrochener Kreisbewegung, ein eigenthümliches Leben zu bekommen; sie liefen über Pfeifenröhren, Säbelschneiden, Drähte, um große Krystallvasen herum; kletterten Bambusleitern hinauf, zerstreuten sich nach allen Seiten und führten durch Verbindung ihrer verschiedenen Töne harmonische Stückchen seltsamer Art auf. Die Zauberkünstler warfen sie in die Luft, wo sie sich zu drehen fortfuhren; schleuderten sie wie Bälle mit hölzernen Raketen, wobei sie immerfort sich drehten; sie steckten dieselben in die Tasche und wenn sie sie wieder herauszogen, drehten sie sich immer noch – bis sie durch eine Sprungfeder veranlaßt wurden sich in künstliche Garben aufzulösen.

Ich brauche die wundervollen Uebungsstücke der Akrobaten und Gymnasten nicht aufzuzählen; aber die Hauptdarstellung, welche am meisten Reiz ausübte, war die jener »Langnasen«, staunenswerter Equilibristen, welche man in Europa noch nicht kennt.

Diese Langnasen bilden eine besondere Corporation unter directem Schutze des Gottes Tingu. Sie tragen eine Kleidung wie die Herolde des Mittelalters, nebst einem glänzenden Flügelpaar an den Schultern; besonders aber unterschieden sie sich durch die langen Nasen, womit sie geziert waren, und den Gebrauch, welchen sie davon machten. Diese Nasen waren fünf, sechs bis zehn Fuß lange Bambus, theils gerade, theils krumm, diese glatt, jene warzig. Auf diesen Ansätzen nun, welche solid befestigt waren, nahmen sie alle ihre equilibristischen Uebungen vor. Ein Dutzend dieser Anhänger des Gottes Tingu legten sich auf den Rücken, und ihre Kameraden tanzten ihnen auf den Nasen, die wie Blitzableiter angebracht waren, sprangen von einer auf die andere, und führten ihre Kunststücke aus.

Zum Schluß hatte man dem Publicum die Menschenpyramide angekündigt, wobei etwa fünfzig Langnasen den Wagen von Dschaggernaut darzustellen hatten. Aber anstatt zur Bildung dieser Pyramide ihre Schultern zum Stützpunkt zu nehmen, durften die Künstler des honorablen Batulcar nur mit ihren Nasen wirken.

Nun geschah es, daß einer von denen, welche die Basis des Wagens bildeten, aus der Truppe ausgetreten war, und da man dafür nur kräftig und gewandt zu sein brauchte, so war Passepartout gewählt worden, seinen Platz einzunehmen.

Gewiß schämte sich der brave Junge, als er – in trauriger Erinnerung an seine jungen Jahre – das mittelalterliche Costüm anzog, sich mit den bunten Flügeln schmückte, und eine sechs Fuß lange Nase ihm angefügt wurde!

Aber kurzum, diese Nase verdiente ihm sein Brod, und er schickte sich darein.

Passepartout kam auf die Bühne und ward denen zugesellt, welche die Basis des Wagens zu bilden hatten. Alle legten sich auf den Boden hin, und streckten ihre Nase zum Himmel empor. Eine zweite Abteilung der Equilibristen nahm auf diesen langen Spitzen Platz, eine dritte über diesen, dann eine vierte, und so erhob sich auf diesen Nasen, die sich nur mit ihren Spitzen berührten, ein Menschenmonument, das bis zur Decke des Theaters reichte.

Nun gab es wiederholtes Beifallklatschen, und die Instrumente des Theaters stimmten rauschend ein, – als die Pyramide wackelte, und das Gleichgewicht verloren ging, da eine der Nasen der Basis ausriß, und das Monument wie ein Kartenhaus zusammenfiel …

Daran war Passepartout schuld, der seinen Posten verließ, ohne Flügelgebrauch über das Geländer setzte, die Galerie rechts hinaufkletterte und zu den Füßen eines Zuschauers sank mit dem Ausrufe:

»Ah! Mein Herr! Mein Herr! – Sie?

– Ich!

– Nun gut! Dann rasch auf das Packetboot! …«

Herr Fogg in Begleitung von Mrs. Aouda und Passepartout stürzten über die Gänge aus der Bude hinaus. Da aber stießen sie auf Batulcar, der wüthend eine Entschädigung für seine Kasse verlangte. Phileas Fogg warf ihm zur Beschwichtigung eine Handvoll Banknoten zu; und noch recht im Moment der Abfahrt, um halb sieben, bestiegen Herr Fogg und Mrs. Aouda das amerikanische Packetboot, und hinter ihnen drein Passepartout mit seinen Flügeln an den Schultern und der sechsfüßigen Nase im Gesicht, welcher er noch nicht sich hatte entledigen können!

Vierundzwanzigstes Capitel.

Vierundzwanzigstes Capitel.

Fahrt über den Stillen Ocean.

Wir erinnern uns, was sich im Angesicht Schangais begab. Auf dem Packetboot nach Yokohama hatte man die Signale der Tankadère gehört, und da der Kapitän die Nothflagge sah, fuhr er auf die kleine Goelette zu. Nicht lange, so zahlte Phileas Fogg dem Patron John Bunsby den bedungenen Preis von fünfhundertundfünfzig Pfund. Darauf stieg der ehrenwerthe Gentleman nebst Mrs. Aouda und Fix an Bord des Dampfbootes, das unverzüglich nach Nangasaki und Yokohama weiter fuhr.

Als man an demselben Vormittag, den 14. November, zu regelmäßiger Zeit ankam, begab sich Phileas Fogg, indem er Fix seinen Geschäften nachgehen ließ, an Bord des Carnatic, und hörte da zu großer Freude der Mrs. Aouda, – und auch vielleicht zu eigner Freude, obwohl er es nicht merken ließ – daß der Franzose Passepartout Tags zuvor wirklich zu Yokohama angekommen war.

Da Phileas Fogg noch denselben Abend nach San Francisco weiterfahren mußte, so begann er unverzüglich seinen Diener aufzusuchen. Er wandte sich, doch vergeblich, an den französischen und englischen Consular-Agenten, und nachdem er fruchtlos durch die Straßen Yokohamas gelaufen, gab er die Hoffnung, Passepartout wiederzufinden, auf, als er zufällig, oder vielleicht von einer Ahnung getrieben, in die Bude des honorablen Batulcar trat. Sicherlich hätte er seinen Diener unter dieser excentrischen Vermummung nicht wieder erkannt, aber dieser gewahrte, trotz seiner Rückenlage, seinen Herrn auf der Galerie. Er konnte nicht vermeiden seine Nase zu bewegen, worauf dann das Gleichgewicht brach, und das Weitere erfolgte.

Aus dem Munde der Mrs. Aouda vernahm sodann Passepartout, wie es bei der Fahrt von Hongkong nach Yokohama auf der Goelette Tankadère hergegangen, in Gesellschaft eines Herrn Fix. Beim Namen Fix verzog Passepartout seine Miene nicht. Er glaubte, es sei noch nicht der rechte Zeitpunkt, seinem Herrn mitzutheilen, was zwischen ihm und dem Agenten vorgegangen war. Auch machte er bei Erzählung seiner Abenteuer sich selbst einen Vorwurf, und sagte nur, er sei in einer Tabaksbude zu Yokohama von einem Opiumrausch befallen worden.

Herr Fogg hörte die Erzählung kalt an, ohne ein Wort zu erwidern; darauf eröffnete er seinem Diener einen hinreichenden Credit, um sich erst anständigere Kleider anzuschaffen. Und wirklich, ehe eine Stunde verflossen, hatte der wackere Bursche keine Spur mehr von einem Anhänger des Gottes Tingu an sich.

Das Packetboot, welches die Fahrt von Yokohama nach San Francisco machte, gehörte der Gesellschaft »Pacific Mail steam« und hieß »General Grant.« Es war ein ungeheurer Raddampfer von zweitausendfünfhundert Tonnen Gehalt, wohlgebaut und schnell fahrend. Ueber dem Verdeck ging ein ungeheurer Schwengel auf und ab, an dessen einem Ende der Stengel eines Stempels angehängt war, am andern der eines Triebwerks, welches die gradlinige Bewegung in eine kreisförmige verwandelnd sich direct an die Achse des Rades anlehnte. Der »General Grant« war als dreimastige Goelette betakelt, und besaß ein großes Segelwerk, welches die Wirkung des Dampfes bedeutend unterstützte. Wenn das Boot seine zwölf Meilen die Stunde fuhr, brauchte es nur einundzwanzig Tage zur Fahrt über den Stillen Ocean, Phileas Fogg konnte also glauben, daß er, wenn er am 2. December zu San Francisco sich befände, am 11. zu New-York, und am 20. zu London sein werde, – so daß er an dem verhängnißvollen 21. December einige Stunden gewonnen hatte.

Die Passagiere an Bord des Dampfers waren ziemlich zahlreich, Engländer, viel Amerikaner, eine wahre Auswanderung von Kulis nach Amerika, und eine Anzahl Officiere der Indischen Armee, welche ihre Ferien zu einer Reise um die Erde benutzten.

Während dieser Fahrt begab sich kein störender Zwischenfall. Das Boot mit seinen breiten Rädern und dem starken Segelwerk schwankte wenig. Der Stille Ocean rechtfertigte seinen Namen. Herr Fogg war so ruhig, so wenig mittheilsam wie sonst. Seine junge Gefährtin fühlte sich mehr und mehr durch andere Bande, als die der Dankbarkeit an diesen Mann gefesselt. Diese so schweigsame, edelmütige Natur machte auf sie einen tiefern Eindruck, als sie glaubte, und sie ließ sich fast wider Willen von Gefühlen beschleichen, welche auf den rätselhaften Fogg ohne Einfluß zu sein schienen.

Auch nahm Mrs. Aouda an den Projecten des Gentleman merkwürdigen Antheil. Sie ward unruhig über die Widerwärtigkeiten, welche den Erfolg der Reise hindern konnten. Sie plauderte oft mit Passepartout, der sich ganz gut darauf verstand, im Herzen der Mrs. Aouda zwischen den Zeilen zu lesen. Dieser wackere Junge hatte jetzt zu seinem Herrn einen wahren Köhlerglauben; er ward nicht müde, die Ehrenhaftigkeit, den Edelmuth, die Hingebung Phileas Fogg’s zu rühmen; beruhigte sodann Mrs. Aouda über den Erfolg der Reise, indem er wiederholt versicherte, das Schwierigste sei bereits geschehen, da man nunmehr aus den phantastischen Ländern heraus wieder in civilisirte Gegenden komme, und nun zum Schluß nur noch die Bahnfahrt von San Francisco nach New-York und die Ueberfahrt von New-York nach London zu machen brauche, um diese unmögliche Reise um die Erde ohne Zweifel innerhalb der vorgeschriebenen Zeit zu vollenden.

Neun Tage, nachdem man Yokohama verlassen, hatte Phileas Fogg gerade die Hälfte der Rundfahrt um die Erde zurückgelegt. Der »General Grant« fuhr am 23. November über den hundertundachtzigsten Meridian, wo sich in der südlichen Hemisphäre die Antipoden Londons befinden.

Von den achtzig Tagen, welche Herrn Fogg zur Verwendung gegeben waren, hatte er bereits allerdings zweiundfünfzig verwendet, und es blieben ihm nur noch achtundzwanzig. Aber es ist doch zu bemerken, daß, wenn sich der Gentleman auch, wegen der Verschiedenheit der Meridiane, erst auf der Hälfte des Weges befand, er doch in Wirklichkeit mehr als zwei Drittheil desselben zurückgelegt hatte. Welche nothgedrungene Umwege, in der That, von London nach Aden, von Aden nach Bombay, von Calcutta nach Singapore, von Singapore nach Yokohama! Hätte man sich an den fünfzigsten Parallelkreis, welcher über London zieht, gehalten, so hätte die Entfernung nur zwölftausend Meilen ungefähr betragen, während Phileas Fogg in Folge der Launen der Beförderungsmittel deren etwa scchsundzwanzigtausend zu durchlaufen hatte, wovon er an diesem 23. November ungefähr siebenzehntausendfünfhundert zurückgelegt hatte. Jetzt aber war es nur noch der gerade Weg, und Fix war nicht mehr anwesend, um Schwierigkeiten entgegenzuhäufen!

An diesem 23. November erlebte auch Passepartout eine große Freude. Wir erinnern uns, daß derselbe eigensinnig darauf beharrt hatte, seine famose Familienuhr unverändert bei der Londoner Zeit zu lassen, indem er alle Uhren der Länder, durch welche er kam, für irrig erklärte. Nun fand er an diesem Tage, obschon er sie niemals weder vor- noch nachgestellt hatte, seine Uhr völlig in Übereinstimmung mit den Chronometern an Bord. Er triumphirte: »Ich wußte wohl, daß eines Tages die Sonne sich entschließen würde, sich nach meiner Uhr zu richten!« …

Passepartout wußte etwas nicht: Wäre sein Zifferblatt, wie das in Italien der Fall ist, in vierundzwanzig Stunden eingeteilt gewesen, so hätte er keinen Anlaß zu triumphiren gehabt, denn die Zeiger seines Instruments hätten, als es an Bord neun Uhr Vormittags war, auf neun Uhr Abends gewiesen, d. h. die einundzwanzigste Stunde seit Mitternacht, – und das ist genau der Abstand Londons vom hundertundachtzigsten Meridian.

Passepartout spottete darüber, was ihm einmal Fix von den Meridianen und der Sonne vorgeschwatzt hatte. Hätte er ihn aber damals gerade an Bord getroffen, so hätte er ohne Zweifel über etwas anderes mit ihm abgerechnet.

Wo befand sich nun damals Fix? …

Er war gerade an Bord des »General Grant.«

Der Agent hatte sich bei seiner Ankunft zu Yokohama unverzüglich zum englischen Consul begeben, wo er auch endlich den Verhaftsbefehl vorfand, welcher bereits vierzig Tage zuvor ausgestellt von Bombay aus ihm nachgeeilt, und von Hongkong aus auf demselben Carnatic, an dessen Bord man ihn vermuthete, abgeschickt worden war. Welch ein Strich durch seine Rechnung! Jetzt nutzte er nichts mehr, denn der Herr Fogg war nicht mehr auf englischem Gebiet! Nun war eine Auslieferungsacte nöthig, um ihn verhaften zu können!

»Meinetwegen, tröstete sich Fix nach der ersten Aufwallung; taugt mein Mandat nicht mehr für hier, so hat es doch in England Kraft. Der Schuft sieht gerade so aus, als wolle er wieder heimkehren; meint die Polizei angeführt zu haben. Schön. Ich bleibe ihm auf der Ferse bis dorthin. Bliebe nur vom Geld noch etwas übrig! Aber mein Mann hat für Reisegeld, Prämien, Proceß, Bußen, den Elephanten und allerlei andere Kosten bereits über fünftausend Pfund unterwegs verbraucht. Uebrigens, die Bank hat ja Geld genug!«

Rasch entschlossen ging er sogleich auf dem »General Grant« unter Segel. Er befand sich an Bord, als Herr Fogg und Mrs. Aouda denselben bestiegen, und erkannte höchlich erstaunt Passepartout unter seiner Vermummung als Herold. Nun versteckte er sich augenblicklich in seiner Cabine, um einer Erklärung auszuweichen, die alles verderben konnte; – diesen Tag aber meinte er unter der großen Menge der Zuschauer von seinem Feinde nicht erkannt zu werden, – als er auf einmal auf dem Vordertheil des Schiffes ihn Aug‘ im Auge vor sich sah.

Passepartout packte ihn ohneweiters bei der Kehle und brachte, zu großer Erlustigung einiger Amerikaner, die sogleich für ihn wetteten, dem unglückseligen Agenten eine tüchtige Tracht Prügel bei, welche den Beweis von der Ueberlegenheit der französischen Boxkunst über die englische abgaben.

Als Passepartout fertig war, fühlte er sich wie erleichtert und ruhiger. Fix stand, übel zugerichtet, auf, sah seinen Gegner an und sprach kalt:

»Sind Sie fertig?

– Ja, für den Augenblick.

– So kommen Sie auf ein Wort.

– Ich soll …

– Im Interesse Ihres Herrn.«

Passepartout, auf den diese Kaltblütigkeit Eindruck machte, begleitete den Agenten, und sie setzten sich auf dem Vorderverdeck zusammen.

»Sie haben mich geprügelt, sagte Fix. Gut! Ich hatte mich dessen versehen. Jetzt hören Sie mich an. Bisher bin ich Herrn Fogg entgegen gewesen, aber von nun an spiele ich sein Spiel.

– Endlich! rief Passepartout, halten Sie ihn für einen Ehrenmann?

– Nein, erwiderte Fix kalt, ich halte Ihn für einen Schuft. – St! Bleiben Sie, und lassen mich reden. So lange sich Herr Fogg auf englischem Gebiet befand, lag es in meinem Interesse, ihn aufzuhalten, bis der Verhaftsbefehl käme. Zu diesem Zweck habe ich alles gethan, deshalb auch Sie betrunken gemacht, Sie von ihm getrennt, und seine Verspätung für das Dampfboot bewirkt …«

Passepartout hörte mit geballter Faust zu.

»Jetzt, fuhr Fix fort, hat es den Anschein, als wolle Herr Fogg nach England zurückkehren. Meinetwegen, ich werde ihn fortwährend begleiten. Aber nun ist mir es darum zu thun, die Hindernisse seiner Reise ebenso sorgfältig und eifrig aus dem Wege zu räumen, wie bisher, sie zu häufen. Sie sehen, mein Spiel ist jetzt ein anderes, weil mein Vortheil es so verlangt. Ich füge hinzu, daß Ihr Interesse das gleiche ist, denn erst in England können Sie erfahren, ob Sie im Dienst eines Verbrechers sind, oder eines ehrlichen Mannes!«

Passepartout hörte Fix mit gespannter Aufmerksamkeit zu und war überzeugt, daß Fix völlig aufrichtig sprach.

»Sind wir Freunde? fragte Fix.

– Freunde, nein, versetzte Passepartout. Verbündete, ja, und unter Vorbehalt des Inventars, denn beim ersten Anzeichen von Verrath drehe ich Ihnen den Hals um.

– Abgemacht«, sagte der Polizei-Agent gelassen.

Elf Tage nachher, am 3. December, lief der »General Grant« in die Bai von San Francisco ein.

Herr Fogg hatte keinen Tag weder gewonnen noch verloren.

Fünfundzwanzigstes Capitel.

Fünfundzwanzigstes Capitel.

Ueberblick von San Francisco. Ein Meeting.

Es war sieben Uhr Vormittags, als Phileas Fogg, Mrs. Aouda und Passepartout den amerikanischen Continent betraten – sofern man den schwimmenden Quai, wo sie ausstiegen, so nennen darf. Diese Quais, welche mit der Fluth steigen und fallen, erleichtern das Laden und Abladen der Schiffe. Da legen sich die Klipper aller Größen vor, die Dampfer aller Nationalitäten, die mehrstöckigen Dampfboote, welche den Sacramento und seine Zuflüsse befahren. Da sind auch die Producte eines Handels gehäuft, der sich nach Mexiko, Peru, Chili, Brasilien, Europa, Asien und allen Inseln des Stillen Meeres erstreckt.

Passepartout, in dem freudigen Gefühl, endlich den amerikanischen Boden zu betreten, glaubte seine Landung mit einem gewagten Sprung besten Styls ausführen zu müssen. Als er aber auf den wurmstichigen Bretterboden des Quais herabkam, wäre er beinahe durch und durchgedrungen. Ganz bestürzt über die Art, wie er auf dem neuen Kontinent »Fuß gefaßt«, stieß der brave Junge einen entsetzlichen Schrei aus, der eine ganze Schaar Kormorane und Pelikane aufscheuchte, welche auf diesen beweglichen Quais hausen.

Sowie Herr Fogg ausgestiegen war, erkundigte er sich nach der Abfahrt des nächsten Bahnzuges nach New-York. Da dieses erst um sechs Uhr Abends war, so hatte er einen vollen Tag auf die Hauptstadt Kaliforniens zu verwenden. Er ließ für sich und Mrs. Aouda einen Wagen kommen, auf dessen Bock Passepartout Platz nahm; und das Fuhrwerk rollte, um drei Dollars den Cours, zum International-Hotel.

Von seinem erhabenen Sitze herab betrachtete Passepartout neugierig die große amerikanische Stadt: breite Straßen, niedrige, der Linie nach gereihte Häuser, Kirchen und Tempel von angelsächsischer Gothik, ungeheure Docks, Lagerhäuser wie Paläste, theils aus Holz, theils aus Ziegelsteinen; in den Straßen zahlreiche Fuhrwerke, Omnibus, Rinnenschienenwagen, – und auf den Trottoirs schaarenweise nicht allein Amerikaner und Europäer, sondern auch Chinesen und Indier, – kurz, die Bestandtheile einer Bevölkerung von mehr als zweimalhunderttausend Bewohnern.

Passepartout war von diesem Anblick ganz überrascht. Er dachte noch an die märchenhafte Stadt von 1849, die Stadt der Banditen, Brandstifter und Mörder, die herbeiströmten, um Goldbarren zu gewinnen, nur der ungeheure Sammelplatz aller Herabgewürdigten und Ausgestoßenen, wo man um Goldstaub spielte, den Revolver in der einen Hand, in der andern einen Dolch.

Aber diese goldene Zeit war vorüber; San Francisco hatte jetzt das Aussehen einer großen Handelsstadt. Der hohe Thurm des Stadthauses mit seinen Wächtern beherrschte alle diese in rechten Winkeln sich durchschneidenden Straßen und Baumgänge, zwischen welchen grüne Plätze einen heitern Anblick gewährten; sodann eine chinesische Stadt, welche aus dem Himmlischen Reich in eine Schachtel mit Spielzeug verpflanzt schien. Keine Sombreros mehr, keine Rothhemden nach Art der Goldjäger, keine Indier mit Federn, sondern Seidenhüte und schwarze Kleider, wie viele Gentlemen von verzehrender Thätigkeit. Einige Straßen, unter anderen Montgommery, waren mit glänzenden Magazinen umgeben, worin man die Producte der ganzen Welt ausgelegt fand.

Als Passepartout beim International-Hotel anlangte, kam es ihm vor, als sei er nicht aus England herausgekommen.

Im Erdgeschoß befand sich ein ungeheurer Schenkplatz, worin Jedermann unentgeltlich bedient wurde. Getrocknetes Fleisch, Austernsuppe, Zwieback und Chester wurden ausgetheilt, ohne daß der Gast die Börse zu ziehen hatte; er brauchte nur den Trunk zu bezahlen, Ale, Porter oder Xeres, wenn er Lust dazu hatte. Das kam dem Passepartout sehr amerikanisch vor.

Die Restauration im Hotel war angenehm. Herr Fogg und Mrs. Aouda nahmen an einer Tafel Platz, und wurden von Negern in schönstem Schwarz auf Tellern und Schüsseln aus Liliput reichlich bedient.

Nach dem Frühstück verließ Phileas Fogg in Begleitung von Mrs. Aouda das Hotel, um sich auf dem Bureau des englischen Consuls seinen Paß visiren zu lassen. Auf dem Trottoir stieß er auf seinen Diener, der ihn fragte, ob es nicht klug sei, bevor man den Zug der Pacific-Bahn besteige, sich mit einigen Dutzend Karabiner Enfield oder Revolver Colt zu versehen. Passepartout hatte von Sioux und Pawnies reden hören, welche die Bahnzüge überfallen und einholten. Herr Fogg hielt es zwar für eine unnöthige Vorsicht, doch ließ er ihm frei zu thun, wie es ihm beliebte. Darauf ging er auf das Bureau des Consular-Agenten zu.

Noch hatte er keine zweihundert Schritte gemacht, als er »zufällig« auf Fix stieß. Dieser stellte sich äußerst überrascht. Wie? die Herren Fogg und Fix hatten die Fahrt über das Stille Meer mit einander gemacht, ohne sich an Bord zu begegnen? Jedenfalls fühlte sich Fix nur sehr geehrt, dem Gentleman, welchem er soviel verdankte, zu begegnen, und da ihn seine Geschäfte nach Europa zurückriefen, so würde es ihn unendlich freuen, seine Reise in so angenehmer Gesellschaft fortzusetzen.

Herr Fogg erwiderte, die Ehre wäre nur auf seiner Seite, und Fix – dem es sehr darum zu thun war, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, – bat ihn um die Erlaubnis, sich bei Besichtigung der so merkwürdigen Stadt San Francisco ihm anzuschließen. Es ward ihm gewährt.

So schlenderten denn Mrs. Aouda, Phileas Fogg und Fix durch die Straßen, und befanden sich bald auf der Montgommerystraße, wo das größte Zusammenströmen des Volks stattfand: auf den Trottoirs, mitten auf der Chaussee, auf den Rinnenschienenwegen, am Eingang der Läden, an den Fenstern aller Häuser, und selbst auf den Dächern eine unzählbare Menge. Zettelträger drangen durch alle Gruppen, Flaggen und Wimpeln flatterten, lautes Geschrei vernahm man allerwärts.

»Hurrah für Kamerfield!

– Hurrah für Mandiboy!«

Es war ein Meeting. So meinte wenigstens Fix, der seinen Gedanken Herrn Fogg mit dem Beifügen mittheilte:

»Es wird vielleicht gerathen sein, daß wir uns nicht in dies Gedränge hinein wagen; da setzt es nur schlimme Püffe.

– Gewiß, erwiderte Phileas Fogg, und die Faustpüffe um der Politik willen sind darum nicht minder Püffe!«

Fix glaubte, als er diese Bemerkung hörte, lächeln zu müssen, und um zuzuschauen, ohne in’s Gedränge zu kommen, stellten sich Mrs. Aouda, Phileas Fogg mit ihm auf den obern Absatz einer Treppe, welche von einer Terrasse der Montgommerystraße herab führte. Vor ihren Augen, auf der andern Seite der Straße, zwischen der Werfte eines Kohlengeschäftes und dem Magazin eines Petroleumhändlers, befand sich in freier Luft ein geräumiges Bureau, welchem die Menge von verschiedenen Seiten her zuzuströmen schien.

Und jetzt, zu welchem Zweck dieses Meeting? Aus welchem Anlaß wurde es gehalten? Phileas Fogg wußte es durchaus nicht. Handelte sich’s um die Ernennung eines hohen Militär- oder Civilbeamten, eines Staatengouverneurs oder Abgeordneten zum Congreß? Man hätte darauf schwören mögen, wenn man das außerordentliche Leben und Treiben sah, welches die Stadt in leidenschaftliche Bewegung setzte.

In diesem Augenblick vollzog sich eine ungeheure Bewegung in der Menge. Alle Hände ragten in die Luft empor; manche, fest zusammengeballt, schienen sich mitten unter Geschrei auf- und abzubewegen, – allerdings eine energische Art, sein Votum zu formuliren. Die wogende Masse war wie von Wirbeln bewegt. Die Fahnen wankten, verschwanden einen Augenblick, kamen zerfetzt wieder zum Vorschein. Die Wellenbewegung pflanzte sich bis zur Treppe fort, während an der Oberfläche alle Köpfe wogten, wie ein durch einen Windstoß plötzlich aufgerührtes Meer. Die Anzahl der schwarzen Hüte verminderte sich augenfällig, und die meisten schienen an ihrer natürlichen Größe eingebüßt zu haben.

»Offenbar ist’s ein Meeting, sagte Fix, und in einer Frage von durchgreifendem Interesse. Es sollte mich nicht wundern, wenn es sich noch um die Alabamafrage handelte, obwohl sie bereits gelöst ist.

– Vielleicht, erwiderte Fogg.

– Jedenfalls, fuhr Fix fort, stehen sich zwei Bewerber im Kampf gegenüber, Kamerfield und Mandiboy.«

Mrs. Aouda, an Phileas Fogg’s Arm, sah mit Verwunderung der lärmenden Scene zu, und Fix fragte einen seiner Nachbarn um den Grund dieser Volksgährung, als die Bewegung sich noch deutlicher aussprach. Die Hurrahs, mit Beschimpfungen gewürzt, verdoppelten sich. Fahnenschafte wurden zur Angriffswaffe; überall Fäuste statt Hände. Von den Wagen herab, die man anhielt, von den Omnibus, deren Fahrt man sperrte, regnete es Püffe. Man griff nach Allem zum Werfen: Stiefel und Schuhe flogen durch die Luft, und es schien gar, als mischten Revolver ihr nationales Knallen mit den Rufen der Menge.

Das lärmende Gedränge kam näher zur Treppe und überfluthete die ersten Stufen. Die eine Partei war ohne Zweifel zurückgedrängt, ohne daß die Zuschauer zu erkennen vermochten, ob Mandiboy oder Kamerfield im Vortheil war.

»Ich halte für gerathen, daß wir uns zurückziehen, sagte Fix, dem es nicht darum zu thun war, daß »sein Mann« einen tüchtigen Schlag erhielt, oder eine schlimme Sache auf den Hals bekäme. Wenn bei alle diesem von England die Rede ist, und man erkennt uns im Getümmel, so wird es uns übel ergehen!

– Ein englischer Bürger …« versetzte Phileas Fogg.

Aber der Gentleman konnte nicht einmal ausreden; es erhob sich fürchterliches Geschrei von der Terrasse vor der Treppe: »Hurrah! Hipp! Hipp! für Mandiboy!« rief’s aus einer Truppe Wähler, die zum Beistand anrückte und die Anhänger Kamerfield’s in die Seite packte.

Herr Fogg, Mrs. Aouda, Fix befanden sich zwischen zwei Feuern, konnten nicht mehr entrinnen. Dieser mit Bleistöcken und Todtschlägern bewaffnete Menschenstrom war unwiderstehlich. Phileas Fogg und Fix, welche der jungen Frau Schutz boten, wurden fürchterlich herumgestoßen. Fogg, so phlegmatisch wie immer, wollte sich mit der Naturwaffe seiner Fäuste wehren, aber es half nichts. Ein großer, breitschulteriger Bursche mit rothem Bart und farbiger Haut, dem Anscheine nach der Führer einer Rotte, schwang über Fogg seine furchtbare Faust und würde ihn arg getroffen haben, hätte nicht Fix, aus Hingebung, den Schlag aufgefangen. Unter seinem plattgedrückten Seidenhut schwoll dem Detectiv gleich eine ungeheure Beule.

»Yankee! rief Herr Fogg, und warf seinem Gegner einen Blick voll Verachtung zu.

– Ein Engländer! erwiderte der Andere.

– Wir werden uns wiederfinden!

– Wann’s Ihnen beliebt.

– Ihr Name?

– Phileas Fogg. Der Ihrige?

– Oberst Stamp Proctor.«

Darauf fluthete die Menge vorüber. Fix wurde zu Boden geworfen, stand mit zerrissenen Kleidern wieder auf, doch ohne bedeutende Quetschung. Sein Reisepaletot und seine Hosen waren arg zerrissen. Doch war Mrs. Aouda verschont geblieben, und nur Fix hatte seinen Schlag bekommen.

»Danke, sagte Herr Fogg zu dem Agenten, sobald sie aus dem Gedränge waren.

– Kein Grund dazu, erwiderte Fix, aber kommen Sie mit.

– Wohin?

– In eine Kleiderhandlung.«

Wirklich war ein solcher Besuch dringend. Die Kleidung beider war zerfetzt, als hätten sich dieselben auf Rechnung der ehrenwerthen Kamerfield und Mandiboy selbst herumgeschlagen.

Nach Verlauf einer Stunde waren sie wieder in anständigem Zustand und begaben sich zurück in’s International-Hotel.

Hier wartete bereits Passepartout auf seinen Herrn mit einem halben Dutzend sechsläufigen Revolver-Dolchen mit Zündlöchern in der Mitte. Als er Fix in Begleitung des Herrn Fogg sah, ward seine Stirne düster. Aber als Mrs. Aouda in Kürze erzählte, was vorgefallen war, ward Passepartout wieder freundlich. Fix war offenbar kein Feind mehr, sondern ein Verbündeter. Und er hielt Wort.

Nach Beendigung des Diner fuhr eine Kutsche vor, um die Reisenden mit ihrem Gepäck auf den Bahnhof zu bringen. Im Augenblick des Einsteigens sprach Herr Fogg zu Fix:

»Haben Sie diesen Oberst Proctor nicht wiedergesehen?

– Nein, erwiderte Fix.

– Ich werde wieder nach Amerika kommen, und ihn dann finden, sagte Fogg kaltblütig. Ein englischer Bürger darf sich so eine Behandlung nicht gefallen lassen.«

Der Agent lächelte, ohne etwas zu erwidern. Aber man sieht, Herr Fogg gehörte zu der Sorte von Engländern, die, wenn sie auch in ihrer Heimat das Duell nicht leiden mögen, im Ausland sich schlagen, wenn’s sich darum handelt, ihre Ehre zu behaupten.

Um drei Viertel auf sechs Uhr kamen die Reisenden auf den Bahnhof, und fanden den Zug zur Abfahrt bereit.

Als Herr Fogg im Begriff war einzusteigen, bemerkte er einen Beamten, trat zu ihm und fragte:

»Mein Freund, hat es nicht heute zu San Francisco unruhige Auftritte gegeben?

– Es war ein Meeting, mein Herr, war die Antwort.

– Doch hab‘ ich in den Straßen starke Aufregung bemerkt.

– Es handelte sich nur um ein Meeting für eine Wahl.

– Eines Obergenerals wohl? fragte Herr Fogg.

– Nein, mein Herr, eines Friedensrichters.«

Hierauf stieg Fogg in den Waggon, und der Zug brauste von dannen.

Vierzehntes Capitel.

Vierzehntes Capitel.

Phileas Fogg fährt das wundervolle Gangesthal hinab, ohne daß er sich kümmert, es zu sehen.

Der kühne Raub war gelungen. Nach einer Stunde noch lachte Passepartout über den glücklichen Erfolg. Sir Francis Cromarty drückte dem unerschrockenen Burschen die Hand, und sein Herr sprach zu ihm: »Brav«, was in dem Munde dieses Gentleman einen hohen Grad von Befriedigung bedeutete. Passepartout erwiderte darauf nur, die ganze Ehre dabei gehöre seinem Herrn. Er habe dabei nur eine »drollige« Idee gehabt, und er lache noch bei dem Gedanken, daß er, Passepartout, vormals Gymnast und Exsergeant der Pompiers, einige Augenblicke der Witwer einer reizenden Frau, ein alter einbalsamirter Rajah gewesen sei!

Die junge Indierin war bei dem Vorfall ohne Bewußtsein. In Reisedecken eingewickelt lag sie auf einem der Tragkörbe.

Inzwischen lief der Elephant, von dem Parsen mit größter Sicherheit geleitet, rasch durch den noch dunkeln Wald. Eine Stunde, nachdem er die Pagode von Pillaji verlassen hatte, rannte er über eine ungeheure Ebene. Um sieben Uhr machte man halt. Die junge Frau lag fortwährend in vollständiger Erschöpfung. Der Führer flößte ihr einige Schluck Wasser mit Branntwein ein; aber der betäubende Einfluß, der sie überwältigte, sollte noch einige Zeit dauern.

Sir Francis Cromarty, dem die durch Einhauchen von Hanfdünsten hervorgebrachte Berauschung in ihren Folgen bekannt war, zeigte ihrethalben keine Unruhe.

Aber flößte auch die Wiederherstellung der jungen Indierin dem Brigadegeneral keine Besorgnis ein, so war er doch in Betreff ihrer Zukunft nicht eben so beruhigt. Er sagte zu Phileas Fogg unumwunden, daß Mrs. Aouda, wenn sie in Indien bliebe, unvermeidlich ihren Henkern wieder in die Hände fallen werde. Diese Besessenen, welche auf der ganzen Halbinsel verbreitet seien, würden trotz der englischen Polizei ihr Opfer sicherlich wieder in ihre Hände zu bringen wissen, sei’s zu Madras, Bombay oder Calcutta. Und Sir Francis Cromarty führte eine Thatsache gleicher Art, die kürzlich vorgekommen, zum Belege seiner Behauptung an. Seiner Ansicht nach könne die junge Frau nur dann wirklich sicher sein, wenn sie Indien ganz verlasse.

Phileas Fogg sagte, er wolle sich dies merken und Vorsorge treffen.

Gegen zehn Uhr meldete der Führer die Station Allahabad, wo die unterbrochene Eisenbahn wieder anfing. Von hier aus gelangte man in weniger als einem Tag und einer Nacht nach Calcutta.

Phileas Fogg mußte also noch zeitig für das Packetboot ankommen, welches nur am folgenden Tage, den 25. October, um zwölf Uhr, nach Hongkong abfuhr.

Die junge Frau wurde in einem Zimmer des Bahnhofs niedergelegt. Passepartout erhielt Auftrag, einige Toilettengegenstände, Kleid, Shawl, Pelzwerk &c., was er vorräthig fände, für sie zu kaufen, und bekam dafür unbegrenzten Credit.

Derselbe ging augenblicklich aus, und eilte durch die Straßen der Stadt. Allahabad, d. h. die Stadt Gottes, ist eine der am meisten verehrten Orte Indiens, weil sie am Zusammenfluß der beiden heiligen Flüsse, des Ganges und des Dschumna, liegt, zu deren Wasser man aus der ganzen Halbinsel her wallfahrtet. Es ist übrigens bekannt, daß den Legenden des Ramayana zufolge der Ganges aus dem Himmel entspringt, woher er durch Brahmas Gnade auf die Erde herabsteigt.

Passepartout besah sich, während er die Einkäufe besorgte, die Stadt, welche vormals durch ein prachtvolles Fort geschützt war, das nun Staatsgefängnis geworden ist. In der ehemals gewerbereichen Handelsstadt giebt’s keinen Handel und kein Gewerbe mehr. Passepartout suchte vergebens eine Modenwaarenhandlung, und fand die nothwendigen Gegenstände nur bei einem Trödler, einem alten Juden, mit dem schwer zu handeln war. So mußte er denn für ein Kleid von schottischem Stoff, einen weiten Mantel und einen prächtigen Otterpelz seine fünfundsiebenzig Pfund zahlen. Er zahlte sie gerne und kehrte triumphirend zum Bahnhofe zurück.

Mrs. Aouda kam allmälig wieder zu sich. Nach und nach schwand die von den Priestern zu Pillaji über sie verhängte Nacht, und ihre schönen Augen gewannen wieder all ihre indische Sanftmuth. Die Witwe des Rajah von Bundelkund war eine reizende Frau im vollen europäischen Sinne des Wortes. Sie sprach mit großer Reinheit englisch, und es war keine Übertreibung, was der Führer versichert hatte, daß nämlich die junge Parsin durch die Erziehung umgewandelt worden sei.

Indessen war der Zug im Begriff abzufahren, und Herr Fogg bezahlte dem harrenden Parsen seinen Lohn, und keinen Pfennig weiter. Darüber stutzte Passepartout ein wenig, denn er wußte, was sein Herr der Hingebung des Führers verdankte. Wirklich hatte der Parse ja zu Pillaji sein Leben freiwillig auf’s Spiel gesetzt; und wenn die Hindu noch später seiner habhaft wurden, würde er schwerlich ihrer Rache entgehen.

Nun handelte sich’s noch um Kiuni? Was war mit einem so theuren Thiere anzufangen?

Aber Phileas Fogg hatte schon seinen Entschluß gefaßt.

»Parse, sprach er zu dem Führer, Du bist mir zu Diensten und ergeben gewesen. Deine Dienstleistung hab‘ ich bezahlt, nicht aber Deine Hingebung. Willst Du den Elephanten, so soll er Dir gehören.«

Wie glänzten des Führers Augen!

»Ew. Gnaden schenken mir ein Vermögen! rief er aus.

– Nimm’s nur, wackerer Führer, versetzte Herr Fogg, und ich bleibe doch noch Dein Schuldner.

– Das laß ich mir gefallen! rief Passepartout. Nimm nur, mein Freund! Kiuni ist ein braves und muthiges Thier!«

Darauf ging er hin zu dem Thiere und reichte ihm einige Stücke Zucker mit den Worten:

»Da nimm, Kiuni, nimm!«

Der Elephant gab mit einigem Brummen seine Befriedigung zu erkennen. Dann faßte er Passepartout beim Gürtel, umwickelte ihn mit seinem Rüssel und hob ihn zu seinem Kopfe empor. Passepartout erschrak nicht im mindesten, liebkoste das Thier, und wurde von ihm wieder sanft auf den Boden gesetzt. Ein tüchtiger Handschlag des braven Burschen erwiderte den Rüsselschlag des guten Thieres.

Eine kleine Weile nachher befanden sich Phileas Fogg, Sir Francis Cromarty und Passepartout in einem comfortablen Waggon, nebst Mrs. Aouda, die den besten Platz inne hatte; und so fuhren sie in größter Eile Benares zu.

Die achtzig Meilen bis dahin legten sie binnen zwei Stunden zurück.

Während dieser Fahrt kam die junge Frau wieder völlig zu sich; die Wirkung des einschläfernden Hang verschwand.

Wie war sie erstaunt, als sie sich auf der Eisenbahn in diesem Waggon, in europäischer Kleidung mitten unter Reisenden fand, die ihr völlig unbekannt waren!

Anfangs wurde sie von ihren Reisegefährten gepflegt, und mit einigen Tropfen Liqueur zum Leben zurückgeführt; dann erzählte ihr der Brigadegeneral, was vorgefallen war. Er hob die Hingebung Phileas Fogg’s hervor, der ohne Bedenken sein Leben an ihre Rettung gesetzt hatte, und die kühne Lösung des Abenteuers durch Passepartout.

Herr Fogg sprach kein Wort dazu. Passepartout sagte wiederholt mit Beschämung, »das sei nicht der Mühe werth!«

Mrs. Aouda dankte ihren Rettern mit innigster Rührung; mehr mit Thränen, als mit Worten, sprachen ihre schönen Augen die Dankbarkeit des Herzens aus. Dann, als ihre Gedanken sie zu dem Scheiterhaufen zurückführten, als sie das Hinduland schaute, wo sie noch von so vielen Gefahren bedroht war, überfiel sie ein Schauder des Schreckens.

Phileas Fogg verstand, was ihre Seele durchdrang, und machte ihr zur Beruhigung, obwohl sehr kühl, das Erbieten, sie nach Hongkong zu führen, wo sie bleiben könne, bis die Gefahr vorüber sei.

Mrs. Aouda nahm dankbar das Erbieten an. Es lebte zu Hongkong ein Verwandter von ihr, der auch Parse war, einer der ersten Kaufleute der Stadt, die, wenn schon an der chinesischen Küste, doch völlig englisch ist.

Um halb ein Uhr hielt der Zug auf der Station Benares.

Die brahmanischen Legenden behaupten, diese Stadt stehe an der Stelle des alten Casi, welches ehemals im Weltraume schwebte, zwischen dem Zenith und dem Nadir, wie das Grab Mahomet’s. Aber in der jetzigen Epoche der Wirklichkeit steht sie ganz prosaisch auf dem Erdboden, und Passepartout konnte einen Augenblick ihre Häuser von Ziegelsteinen, ihre Hütten aus Flechtwerk schauen, welche ihr ein ganz ödes Aussehen geben, ohne alle Localfarbe.

Hier mußte Sir Francis Cromarty aussteigen. Die Truppen, zu welchen er sich begab, lagerten einige Meilen nördlich von der Stadt. Der Brigadegeneral nahm also von Phileas Fogg Abschied, wünschte ihm allen möglichen Erfolg, und daß er ein andermal auf eine nicht so originale, aber nützlichere Art die Reise machen möge. Herr Fogg drückte seinem Gefährten ein wenig die Finger. Mrs. Aouda verabschiedete sich in mehr verbindlicher Weise mit der Versicherung, daß sie ewig gedenken werde, was sie Sir Francis Cromarty verdanke. Passepartout wurde von dem Brigadegeneral mit einem herzlichen Handschlage beehrt, und fragte ganz gerührt, wo und wann er ihm seine Ergebenheit beweisen könne. Hierauf trennte man sich.

Von Benares aus läuft die Eisenbahn noch eine Zeit lang im Gangesthal. Durch die Fenster des Waggon bei ziemlich hellem Wetter erblickte man die bunte Landschaft Behar, grün belaubte Berge, Gerste-, Mais- und Weizenfelder, Bäche und Sümpfe voll grünlicher Alligatoren, stattliche Dörfer, noch grünende Waldung.

Einige Elephanten und dickbuckelige Bison badeten sich in den Gewässern des heiligen Stromes, und auch trotz der schon vorgerückten Jahreszeit und bereits kalter Witterung Schaaren von Hindu beiderlei Geschlechts, welche frommer Weise heilige Waschungen vornahmen. Diese Gläubigen, erbitterte Feinde des Buddhismus, sind eifrige Anhänger der Brahmanen-Religion, welche sich in drei Personen verkörpert: Der Sonnengottheit Wishnu; der göttlichen Personification der Naturkräfte, Shiwa; und Brahma, dem obersten Herrn der Priester und Gesetzgeber. Aber mit welchem Auge sollten Brahma, Shiwa und Wishnu dieses nunmehr »britannisirte« Indien anschauen, wenn rauschend ein Dampfboot vorüber fuhr und die heiligen Gewässer des Ganges trübte, die Meerschwalben verscheuchend, welche über dem Spiegel des Stromes hinflogen, die an seinem Uferrand wimmelnden Schildkröten, und die längs seiner Gestade lagernden frommen Gläubigen!

Dieses ganze Panorama flog blitzschnell vorüber, und oft hinderten weiße Dampfwolken seine Details zu sehen. Die Reisenden vermochten kaum flüchtig in Augenschein zu nehmen das Fort Chunar, zwanzig Meilen südöstlich von Benares, vormals Festung der Rajahs von Behar, Ghazepur mit seinen bedeutenden Rosenwasserfabriken, das am linken Gangesufer errichtete Grabmal des Lord Cornwallis, die feste Stadt Buxar, die große Gewerbe- und Handelsstadt Patna, wo der Hauptmarkt des indischen Opiums sich befindet, Monghir, eine Stadt so englisch wie Manchester und Birmingham, berühmt durch seine Eisengießereien, Zeugschmiede- und Gewehrfabriken, deren Rauchfänge Brahmas Himmel mit schwarzem Rauch beschmutzten.

Hierauf trat Nacht ein, und der Zug flog mitten durch das Geheul der Tiger, Bären und Löwen, die vor der Locomotive flüchteten, mit größter Eile dahin, so daß man nicht mehr die Wunder Bengalens sehen konnte, Golkonda, Gour in Ruinen, die vormalige Hauptstadt Murshedabad, Burdwan, Hougly, Chandernagor, der einzige Punkt auf indischem Gebiete, welcher den Franzosen gehört, wo Passepartout gern mit Stolz das Banner seiner Heimat hatte wehen gesehen.

Endlich, um sieben Uhr früh, kam man zu Calcutta an. Das nach Hongkong fahrende Packetboot ging erst um zwölf Uhr ab, so daß Phileas Fogg noch fünf Stunden Zeit vor sich hatte.

Seinem Büchlein zufolge mußte der Gentleman dreiundzwanzig Tage nach der Abfahrt von London, am 25. October, in der Hauptstadt Indiens eintreffen, und er langte am bestimmten Tage an. Leider waren die zwischen London und Bombay gewonnenen zwei Tage bei der Fahrt durch die indische Halbinsel wieder verloren worden, wir wissen wie, – aber man darf annehmen, daß Phileas Fogg es nicht zu bedauern hatte.

Fünfzehntes Capitel.

Fünfzehntes Capitel.

Der Banknoten-Sack wird abermals um einige tausend Pfund leichter.

Der Zug hielt im Bahnhofe an. Passepartout verließ zuerst den Wagen, dann folgte Herr Fogg, welcher seiner jungen Gefährtin aussteigen half. Phileas Fogg hatte vor, sich direct zum Packetboot nach Hongkong zu begeben, um Mrs. Aouda darin bequem einzurichten; denn er wollte, so lange sie in dem für sie so gefährlichen Lande weilte, ihr nicht von der Seite gehen.

Im Moment, als Herr Fogg aus dem Bahnhofe zu gehen im Begriff war, trat ein Polizeimann zu ihm und sprach:

»Herr Phileas Fogg?

– Der bin ich.

– Dieser Mensch ist Ihr Diener? fügte der Polizeimann bei, auf Passepartout deutend.

– Ja.

– Belieben Sie beide, mich zu begleiten.«

Herr Fogg ließ in keiner Bewegung irgend eine Ueberraschung merken. Dieser Agent war ein Repräsentant des Gesetzes, und jedem Engländer ist das Gesetz heilig. Passepartout mit seinen französischen Gewohnheiten wollte räsonniren, aber der Polizeimann berührte ihn mit seinem Stabe, und Phileas Fogg bedeutete ihn, zu gehorchen.

»Kann diese junge Dame uns begleiten? fragte Herr Fogg.

– Ja«, erwiderte der Polizist.

Der Polizeimann führte die drei Personen zu einem Palkighari, einer Art vierräderigen, zweispännigen Wagen zu vier Plätzen, und man fuhr ab. Während der etwa zwanzig Minuten dauernden Fahrt sprach Niemand ein Wort.

Der Wagen fuhr zuerst durch die »schwarze Stadt«, mit engen Straßen und Hütten, worin schmutziges, zerlumptes Volk aus allen Nationen wimmelte, nachher durch die europäische Stadt, die freundlich ist, mit Häusern von Ziegelstein, von Kokosbäumen beschattet, voll Masten und Stangen, worin bereits am frühen Morgen elegante Kavaliere mit prächtigem Gespann fuhren.

Der Palkighari hielt vor einem Hause von einfachem Aeußern, das aber zu Privatgebrauch nicht verwendet werden durfte. Der Polizeimann ließ seine Verhafteten aussteigen, führte sie in ein Zimmer mit vergitterten Fenstern und sprach:

»Um halb neun haben Sie vor dem Richter Obadiah zu erscheinen.«

Darauf zog er sich zurück und verschloß die Thüre.

»Nun! Da sind wir im Kerker!« rief Passepartout, indem er auf einen Stuhl sank.

Mrs. Aouda wandte sich sogleich an Herrn Fogg, und sprach mit Rührung, die sie nicht verbergen konnte:

»Mein Herr, Sie müssen mich preisgeben! Um meinetwillen verfolgt man Sie! Weil Sie mich gerettet haben!«

Phileas Fogg erwiderte nur, das sei nicht möglich. Wegen dieser Entführung der Witwe verfolgt, – das war nicht anzunehmen. Die Kläger würden nicht aufzutreten wagen. Es mußte da ein Mißverständniß obwalten. Herr Fogg setzte hinzu, jedenfalls werde er die junge Frau nicht im Stiche lassen, und werde sie nach Hongkong führen.

»Aber das Boot fährt schon um zwölf Uhr ab! bemerkte Passepartout.

– Ehe es zwölf Uhr ist, werden wir an Bord sein«, erwiderte ruhig der Gentleman.

Dies sprach er mit solcher Bestimmtheit, daß Passepartout nicht umhin konnte, sich selbst zu sagen:

»Der Tausend! Das heißt doch sicher! Vor zwölf Uhr werden wir an Bord sein!« Aber beruhigt war er durchaus nicht.

Um halb neun öffnete sich die Thüre, der Polizeimann trat herein und führte die Gefangenen in den daneben befindlichen Saal. Es war ein Verhörsaal, worin ein zahlreiches Publicum von Europäern und Eingeborenen bereits den Raum füllte.

Herr Fogg, Mrs. Aouda und Passepartout nahmen Platz auf einer Bank vor den Stühlen des Richters und Gerichtsschreibers.

Der Richter Obadiah kam alsbald in Begleitung des Gerichtsschreibers. Es war ein dicker, wohlbeleibter Mann. Er holte eine Perrücke, die an einem Nagel hing, und setzte sie rasch auf.

»Die erste Sache«, sprach er.

Dann aber, die Hand am Kopfe:

»Nun! Das ist ja nicht meine Perrücke!

– Wirklich, Herr Obadiah, es ist die meinige, erwiderte der Gerichtsschreiber.

– Lieber Oysterpuff, wie kann ein Richter ein richtiges Urtheil fällen unter des Gerichtsschreibers Perrücke!«

Die Perrücken wurden getauscht. Während dieser Präliminarien saß Passepartout wie auf glühenden Kohlen, denn der Zeiger auf dem Zifferblatte der großen Uhr des Gerichtssaales schien ihm fürchterlich schnell vorzurücken.

»Die erste Sache, wiederholte der Richter Obadiah.

– Phileas Fogg? sagte der Gerichtsschreiber Oysterpuff.

– Hier bin ich, erwiderte Herr Fogg.

– Passepartout?

– Hier!

– Gut! sagte der Richter. Seit zwei Tagen erwartete man Euch bei jedem Zuge, der von Bombay kam.

– Aber weshalb sind wir verklagt? rief Passepartout voll Ungeduld.

– Das werden Sie gleich hören, versetzte der Richter.

– Mein Herr, sagte darauf Herr Fogg, ich bin englischer Bürger, und ich bin berechtigt …

– Hat man’s an Achtung fehlen lassen? fragte Obadiah.

– Durchaus nicht.

– Gut! Die Kläger sollen eintreten.«

Auf des Richters Befehl öffnete sich eine Thüre, und ein Gerichtsdiener führte drei Hindupriester herein.

»Ja wohl! brummte Passepartout, diese Kerle haben unsere junge Dame verbrennen wollen!«

Die Priester standen vor dem Richter, und der Gerichtsschreiber verlas laut eine Klage auf Tempelschändung gegen Phileas Fogg und seinen Diener, weil sie einen durch die brahmanische Religion geheiligten Ort entweiht hätten.

»Sie haben’s gehört? fragte der Richter Phileas Fogg.

– Ja, mein Herr, versetzte Herr Fogg, und ich gebe es zu.

–Ah! Sie geben es zu …

– Ich gebe es zu und erwarte, daß diese Priester ihrerseits gestehen, was sie in der Pagode zu Pillaji thun wollten.«

Die Priester sahen sich an. Sie schienen die Worte des Angeklagten nicht zu verstehen.

»Allerdings! rief Passepartout ungestüm, in der Pagode zu Pillaji, vor welcher sie ihr Opfer verbrennen wollten!«

Die Priester staunten abermals, der Richter Obadiah fragte verwundert:

»Was für ein Opfer? Verbrennen! Mitten in Bombay?

– Bombay? rief Passepartout.

– Allerdings. Von Pillaji ist keine Rede, sondern von der Pagode Malebar-Hill zu Bombay.

– Und zur Ueberführung, fügte der Gerichtsdiener bei, sind hier die Schuhe der Entweiher, und legte ein Paar Schuhe auf seinen Schreibtisch.

– Meine Schuhe!« rief voll Ueberraschung Passepartout, der die unwillkürliche Aeußerung nicht zurückhalten konnte.

Man denke sich die Verwirrung im Geiste des Herrn und Dieners. Sie hatten den Zwischenfall in der Pagode zu Bombay ganz vergessen, und wurden doch deshalb vor den Richter zu Calcutta geführt.

Wirklich hatte der Agent Fix darauf gesonnen, diesen leidigen Vorfall zu nützen. Er war noch zwölf Stunden zu Bombay geblieben und hatte da mit den Priestern von Malebar-Hill berathen; er hatte ihnen bedeutende Entschädigung zugesagt, denn er wußte, daß die englische Regierung solche Vergehen streng bestrafte; nachher hatte er sie mit dem nächsten Zuge zur Verfolgung des Tempelschänders abgeschickt. Aber in Folge des Zeitverlustes, welchen die Befreiung der Witwe verursachte, kam Fix mit seinen Hindu zu Calcutta eher an als Phileas Fogg und sein Diener, welche von der, durch eine Depesche unterrichteten Behörde beim Aussteigen verhaftet werden sollten. Wie war Fix in Verlegenheit, als er vernahm, Phileas Fogg sei noch gar nicht zu Calcutta angekommen! Er meinte, sein Dieb sei von einer Station aus in die nördlichen Provinzen geflüchtet. Vierundzwanzig Stunden lang hatte Fix in peinlichster Unruhe am Bahnhofe auf ihn gelauert. Und wie freute er sich, als er ihn endlich diesen Morgen aussteigen sah, zwar in Gesellschaft einer Frau, deren Anwesenheit er sich nicht erklären konnte. Er schickte ihm sogleich den Polizeimann auf den Hals, der, wie wir sahen, die drei Angekommenen vor den Richter Obadiah führte.

Wäre Passepartout nicht allzusehr mit der Sache beschäftigt gewesen, so hätte er den Detectiv in einer Ecke des Gerichtssaales gesehen, wie er mit großem Interesse der Verhandlung zuhörte, – denn zu Calcutta war, wie zu Bombay und Suez, der Verhaftsbefehl noch nicht angekommen!

Unterdessen hatte der Richter Obadiah das Passepartout entschlüpfte Eingeständniß protokollirt.

»Die Thatsache ist eingestanden? sagte der Richter.

– Ja, eingestanden, erwiderte Herr Fogg kalt.

– In Anbetracht, fuhr der Richter fort, in Anbetracht, daß das englische Gesetz allen Religionen der indischen Bevölkerung gleichmäßig strengen Schutz verleiht, und da Herr Passepartout sein Vergehen eingestanden hat, und überführt ist, am 20. October mit ungeweihten Füßen den Boden der Pagode Malebar-Hill zu Bombay betreten zu haben: so wird gedachter Passepartout zu vierzehn Tagen Gefängniß und einer Buße von dreihundert Pfund verurtheilt.

– Dreihundert Pfund? rief Passepartout aus.

– Still! rief der Gerichtsdiener mit kreischender Stimme.

– Und, fuhr der Richter, fort, in Betracht daß es nicht materiell bewiesen ist, daß zwischen dem Herrn und dem Diener nicht ein Einverständniß stattgefunden, daß jedenfalls der Herr für die Handlungen und Bewegungen eines von ihm besoldeten Dieners verantwortlich sein muß, wird gedachter Phileas Fogg festgehalten und zu acht Tagen Gefängniß und hundertfünfzig Pfund Buße verurtheilt. – Gerichtsdiener, holen Sie eine andere Partie!«

Fix vernahm in seiner Ecke mit unbeschreiblicher Befriedigung, wie Phileas Fogg acht Tage zu Calcutta aufgehalten werden sollte; mehr bedurfte er nicht, um seinen Verhaftsbefehl zu erhalten.

Passepartout war ganz verstört. Dieser Spruch ruinirte seinen Herrn. Eine Wette von zwanzigtausend Pfund verloren, und zwar, weil er als echter Tölpel in die verwünschte Pagode gegangen!

Phileas Fogg war so ruhig geblieben, als ginge ihn der Spruch nichts an. Aber im Moment, als eine andere Partei berufen wurde, stand er auf und sagte:

»Ich biete Caution an.

– Das steht Ihnen zu«, versetzte der Richter.

Fix erschrak, daß es ihn kalt überlief, doch erholte er sich wieder, als er vernahm, wie der Richter, »in Betracht, daß Phileas Fogg und sein Diener Ausländer« sein, die Caution für jeden von beiden auf tausend Pfund ansetzte.

Also zweitausend Pfund sollte Herr Fogg einbüßen, wenn er sich nicht rechtfertigte.

»Ich zahle«, sagte der Gentleman.

Und er holte aus dem Sacke, welchen Passepartout trug, einen Pack Banknoten, und legte sie auf das Bureau des Gerichtsschreibers.

»Diese Summe wird Ihnen wieder zugestellt werden, sowie Sie aus dem Gefängniß, kommen, sagte der Richter. Inzwischen sind Sie frei gegen die Caution.

– Kommen Sie, sagte Phileas Fogg zu seinem Diener.

– Aber meine Schuhe müssen Sie wenigstens herausgeben!« rief Passepartout mit Entrüstung.

Man gab ihm seine Schuhe zurück.

»Die kommen theuer zu stehen! brummte er. Ueber tausend Pfund einer!«

Passepartout folgte mit kläglicher Miene Herrn Fogg, welcher der jungen Frau seinen Arm bot. Fix hoffte noch, sein Dieb werde sich nicht entschließen können, die zweitausend Pfund im Stiche zu lassen, und folgte ihm auf Schritt und Tritt.

Herr Fogg nahm einen Wagen, und stieg mit Mrs. Aouda und Passepartout unverzüglich ein. Fix lief hinter dem Wagen her, der bald an einem Quai hielt.

Eine halbe Meile entfernt lag der Rangoon auf der Rhede vor Anker, die Abfahrtsflagge schon aufgepflanzt. Es schlug elf, und Herr Fogg hatte noch eine Stunde Zeit. Er verließ also den Wagen und bestieg mit Mrs. Aouda und Passepartout einen Nachen. Der Detectiv stampfte mit dem Fuße.

»Der Lumpenkerl! rief er aus. Er reist ab, läßt zweitausend Pfund im Stich! So verschwenderisch ist nur ein Dieb! Ah! Ich bleibe ihm auf der Ferse bis an’s Ende der Welt, wenn’s Noth thut; aber auf die Art wird das gestohlene Geld bald durchgebracht sein!«

Nicht ohne Grund sprach so der Polizei-Agent. Phileas Fogg hatte wirklich seit seiner Abfahrt aus London an Reisegeld und Prämien, für den Elephanten, Caution und Bußen bereits über fünftausend Pfund auf der Reise verzettelt, und die Procente der wieder beigebrachten Summe, welche den Detectiven zukommen, verminderten sich fortwährend.

Sechzehntes Capitel.

Sechzehntes Capitel.

Fix stellt sich, als wisse er nichts davon, was ihm erzählt ward.

Der Rangoon, ein Packetboot der Ostindischen Peninsular-Compagnie für den Dienst in den chinesischen und japanischen Meeren, war ein eiserner Schraubendampfer von siebenzehnhundertundsiebenzig Tonnen brutto und vierhundert Pferdekraft. Er fuhr ebenso schnell wie der Mongolia, war aber nicht so bequem eingerichtet. Darum war auch für Mrs. Aouda nicht so gut gesorgt, als Phileas Fogg gewünscht hätte. Zudem handelte sich’s nur um eine Fahrt von dreitausendfünfhundert Meilen, elf bis zwölf Tage, und die junge Frau war kein peinlicher Passagier.

Während der ersten Tage dieser Fahrt lernte Mrs. Aouda den Herrn Phileas Fogg näher kennen. Bei jeder Gelegenheit gab sie ihm die innigste Dankbarkeit zu erkennen. Der phlegmatische Gentleman hörte sie, dem Anschein nach, äußerst kühl an, ohne durch eine Betonung, eine Handbewegung die geringste Gemüthsbewegung zu verrathen. Er wachte darüber, daß es der jungen Frau an nichts mangelte; kam regelmäßig zu gewissen Zeiten, wo nicht zum Plaudern, doch um ihr zuzuhören. Er erfüllte gegen sie auf’s Strengste die Pflichten der Höflichkeit, aber mit der Grazie und Unmittelbarkeit eines Automaten mit eigens dafür eingerichteten Bewegungen. Mrs. Aouda wußte nicht recht, was sie von ihm halten sollte, aber Passepartout gab ihr in Kürze Auskunft über das sonderbare Wesen seines Herrn. Sie lächelte ein wenig; aber sie verdankte ihm ihr Leben, und ihr Retter konnte dadurch nichts verlieren, daß sie ihn mit dankbarem Auge ansah.

Mrs. Aouda bestätigte die rührende Geschichte, welche der Hinduführer von ihr erzählt hatte. Sie gehörte allerdings der Race an, welche unter den Eingeborenen den ersten Rang behauptet. Manche parsische Kaufleute haben durch Baumwollenhandel in Indien großes Vermögen erworben. Ein solcher, Sir James Jejeebhoy, war von der englischen Regierung in den Adelstand erhoben worden, und Mrs. Aouda war eine Verwandte dieses reichen Mannes, welcher zu Bombay wohnte. Und eben einen Vetter des Sir Jejeebhoy, den ehrenwerthen Jejee, wünschte sie zu Hongkong aufzusuchen. Ob sie Zuflucht und Beistand bei ihm finden würde, konnte sie nicht behaupten. Herr Fogg antwortete hierauf, sie möge nur ganz ruhig sein, es werde sich Alles mathematisch genau regeln! So pflegte er sich auszudrücken.

Ob die junge Frau diesen horribeln Ausdruck verstand, muß dahingestellt bleiben. Doch ruhten ihre großen Augen auf denen des Herrn Fogg, ihre großen Augen, die so klar waren, wie die heiligen Seen des Himalaya! Aber der spröde Herr Fogg, so zugeknöpft wie jemals, schien nicht ein Mann zu sein, der fähig wäre, sich in diesen See zu stürzen.

Dieser erste Theil der Fahrt des Rangoon verlief unter vortrefflichen Umständen. Das Wetter war leidlich. Diese ganze Partie des unermeßlichen Bengalischen Busens war der raschen Fahrt günstig. Der Rangoon bekam bald Groß-Andaman in Sicht, die Hauptinsel der Gruppe, welche durch das malerische, zweitausendvierhundert Fuß hohe Gebirge Saddle-Peack den Seefahrern weithin kenntlich ist.

Man fuhr längs der Küste ziemlich nahe vorbei. Die wilden Papua’s der Insel ließen sich nicht sehen. Es sind zwar Geschöpfe, die auf der untersten Stufe menschlicher Bildung stehen, aber Menschenfresser sind sie doch nicht.

Die Inseln bildeten ein prachtvolles Panorama. Im Vordergrunde war es mit ungeheurer Waldung, Pisang, Areka, Bambus, Muskat, Thekbäumen, riesenhaften Mimosen, baumartigen Farrenkräutern bedeckt, und den Hintergrund bildeten elegante Gebirgssilhouetten. Die Küsten wimmelten von Tausenden köstlicher Salanganen, deren eßbare Nester im himmlischen Reich ein beliebtes Gericht bilden. Aber dieses bunte Schauspiel, welches die Andamanengruppe den Blicken darbot, flog schnell vorüber, und der Rangoon fuhr rasch der Straße von Malacca zu, um durch dieselbe in’s Chinesische Meer zu gelangen.

Was trieb während dieser Fahrt der Agent Fix, den sein Unstern in diese Rundfahrt fortgerissen hatte?

Nachdem er zu Calcutta Auftrag gegeben, daß ihm der Verhaftsbefehl, wenn er endlich ankomme, nach Hongkong nachgeschickt würde, war es ihm gelungen, sich, ohne von Passepartout bemerkt zu werden, an Bord des Rangoon einzuschiffen, und er hoffte wohl seine Anwesenheit auf demselben bis zur Ankunft des Packetbootes geheim zu halten. Es wäre ihm in der That auch schwer gewesen, über den Grund seiner Anwesenheit an Bord sich auszusprechen, ohne bei Passepartout, der glauben mußte, er sei zu Bombay geblieben, Verdacht zu erregen. Aber die Logik der Umstände brachte ihn doch dazu, die Bekanntschaft mit dem braven Jungen wieder anzuknüpfen. Wie das kam, wird sich gleich zeigen.

Alle Hoffnungen, alle Wünsche des Polizei- Agenten waren jetzt auf einen einzigen Punkt concentrirt, Hongkong; denn das Packetboot hielt zu kurze Zeit bei Singapore an, um in dieser Stadt etwas vornehmen zu können. Es mußte also zu Hongkong die Verhaftung erfolgen, oder der Dieb entwischte ihm ohne Möglichkeit seiner habhaft zu werden.

Hongkong war in der That noch der einzige Fleck englischen Landes auf der ganzen Reise. Weiter hinaus boten China, Japan, Amerika dem Herrn Fogg eine sichere Zuflucht. Zu Hongkong aber, wenn er endlich den ihm nachgesendeten Verhaftsbefehl bekäme, wollte Fix die Verhaftung Fogg’s vornehmen, und ihn der Localpolizei überliefern. Damit hatte es keine Schwierigkeit. Aber über Hongkong hinaus reichte ein bloßer Verhaftsbefehl nicht hin. Es mußte eine förmliche Auslieferung stattfinden, welche Zögerungen und Hindernisse aller Art mit sich führte, die der Schurke benutzen konnte, ihm definitiv zu entrinnen. Konnte die Verhaftung zu Hongkong nicht stattfinden, so würde es, wo nicht unmöglich, doch höchst schwierig sein, sie mit irgend einer Aussicht auf Erfolg noch vorzunehmen.

»Also, sagte sich Fix wiederholt, während ihm in seiner Cabine die Zeit lang ward, also, entweder der Verhaftsbefehl wird zu Hongkong sein, und ich fasse meinen Mann ab, oder er ist noch nicht da, und dann muß ich um jeden Preis seine Abreise verhindern! Ich bin mit meinem Plane zu Bombay durchgefallen, und zu Calcutta! Wenn ich zu Hongkong meinen Zweck verfehle, so ist mein Ruf dahin! Koste es, was es wolle, jetzt muß ich zum Ziel. Aber was kann ich machen, um nöthigenfalls die Weiterreise dieses verfluchten Fogg zu hindern?«

Wenn alles sonst fehlschlüge, war Fix entschlossen, dem Passepartout alles zu offenbaren, ihn seinen Herrn, dessen Schuld er sicherlich nicht theilte, kennen zu lehren. Wäre Passepartout über den Sachverhalt aufgeklärt, so müsse er, aus Besorgniß für mitschuldig angesehen zu werden, ohne Zweifel mit ihm, Fix, gemeine Sache machen. Doch war dies immer ein gewagtes Mittel, das nur in Ermangelung jedes andern angewendet werden dürfe. Passepartout könnte ja durch ein einziges Wort bei seinem Herrn den Handel gänzlich verderben.

Der Polizei-Agent war demnach in äußerster Verlegenheit, als die Anwesenheit der Mrs. Aouda an Bord des Rangoon in Gesellschaft Phileas Fogg’s ihm eine neue Perspective eröffnete. Wer war diese Frau? Welches Zusammenwirken von Umständen hatte sie zur Begleiterin Fogg’s gemacht? Offenbar waren sie zwischen Bombay und Calcutta mit einander in Verbindung gekommen. Aber auf welchem Punkte der Halbinsel? Sollte der Zufall das jugendliche Weib an Phileas Fogg’s Seite geführt haben? Im Gegentheil, war es nicht Zweck dieser Reise durch Indien, mit dieser reizenden Person zusammen zu kommen? denn reizend war sie doch gewiß! Fix hatte sie im Verhörsaal zu Calcutta wohl bemerkt.

Man begreift, wie sehr der Agent von Neugierde gestachelt sein mußte. Er fragte sich, ob nicht eine verbrecherische Entführung dabei im Spiele gewesen. Ja! Das mußte wohl der Fall sein! Dieser Gedanke setzte sich im Gehirn unseres Fix fest, und er sah wohl ein, welchen Vortheil er aus diesem Umstande ziehen konnte. Mochte diese junge Frau verheiratet sein, oder nicht, eine Entführung fand statt, und es war möglich, dem Entführer zu Hongkong Verlegenheiten der Art zu bereiten, daß er sich nicht durch sein Geld aus denselben herausziehen konnte.

Aber man durfte nicht die Ankunft des Rangoon zu Hongkong abwarten. Dieser Fogg hatte die abscheuliche Gewohnheit, aus einem Dampfboot in das andere gleichsam hinüber zu springen, und bevor noch die Sache angefaßt worden, konnte er schon in weiter Ferne sein.

Es war also von Wichtigkeit, die englischen Behörden zum Voraus in Kenntniß zu setzen, und die Ankunft des Rangoon zu signalisiren, bevor er aussteigen konnte. Nun war dies ganz leicht, weil das Packetboot zu Singapore Erfrischungen einnahm, und Singapore durch einen Telegraphen mit der chinesischen Küste in Verbindung stand.

Doch beschloß Fix, bevor er handelte, um sicherer zu gehen, Passepartout zu befragen. Er wußte, daß es nicht sehr schwer war, diesen Jungen zum Plaudern zu bringen, und entschloß sich, sein bisheriges Incognito aufzugeben. Aber es war keine Zeit zu verlieren. Es war der 31. October, und am folgenden Tage sollte der Rangoon bei Singapore anlegen.

Also begab sich Fix an diesem Tage aus seiner Cabine auf’s Verdeck, in der Absicht, Passepartout zuerst anzureden, und zwar mit Aeußerung der größten Ueberraschung. Passepartout spazierte eben auf dem Vordertheile, als der Agent auf ihn zustürzte und rief:

»Sie, auf dem Rangoon!

– Herr Fix an Bord! erwiderte Passepartout, höchlich erstaunt, als er seinen Reisegefährten auf dem Mongolia erkannte. Wie? ich verlasse Sie zu Bombay, und finde Sie wieder auf dem Wege nach Hongkong! Aber, Sie reisen ja ebenfalls um die Erde?

– Nein, nein, erwiderte Fix, und ich denke mich zu Hongkong aufzuhalten, – einige Tage wenigstens.

– So! sagte Passepartout, dem Anschein nach etwas erstaunt. Aber wie kommt’s, daß ich Sie nicht seit unserer Abfahrt aus Calcutta an Bord gesehen habe?

– Wahrhaftig, ein Unwohlsein … ein wenig Seekrankheit … Ich blieb zu Bette in meiner Cabine … Ich vertrage den Golf von Bengalen nicht ebenso gut, wie das Indische Meer. Und Ihr Herr Phileas Fogg?

– Vollkommen wohl, und so pünktlich, wie sein Reisebüchlein! Um keinen Tag zu spät! Ei! Herr Fix, Sie wissen’s wohl nicht, daß wir auch eine junge Dame in unserer Gesellschaft haben.

– Eine junge Dame?« fragte der Agent, der sich stellte, als verstehe er nicht, was sein Begleiter sagen wollte.

Doch setzte ihn Passepartout bald in Kenntniß davon, was vorgegangen war. Er erzählte den Vorfall in der Pagode zu Bombay, den Ankauf des Elephanten für zweitausend Pfund, wie’s bei der Verbrennung herging, wie sie Aouda befreiten, wie das Tribunal zu Calcutta sie verurteilte und gegen Caution wieder frei gab. Fix, dem die letzteren Vorfälle bekannt waren, stellte sich, als wisse er’s nicht, und Passepartout konnte nicht dem Reiz widerstehen, einem Zuhörer, der soviel Interesse dafür zeigte, seine Abenteuer herzuerzählen.

»Aber, schließlich, fragte Fix, hat denn Ihr Herr die Absicht, die junge Frau nach Europa mit zu nehmen?

– Nein, Herr Fix! Wir wollen Sie nur der Obhut eines Verwandten übergeben, der ein reicher Kaufmann zu Hongkong ist.

– Nichts zu machen! sagte sich der Detectiv, indem er seinen Aerger verbiß. Ein Gläschen Gin, Herr Passepartout?

– Recht gern, Herr Fix. Zum Mindesten wollen wir eins auf unsere Begegnung an Bord des Rangoon trinken!«

Siebenzehntes Capitel.

Siebenzehntes Capitel.

Von Singapore nach Hongkong.

Seit diesem Tage begegneten sich Passepartout und der Polizei-Agent häufig, aber derselbe beobachtete seinem Gefährten gegenüber die äußerste Rückhaltung, und machte keinen Versuch, ihn zum Plaudern zu bringen. Nur ein- oder zweimal bekam er Herrn Fogg flüchtig zu sehen, der gern im großen Salon des Rangoon blieb, sei’s um Mrs. Aouda Gesellschaft zu leisten oder nach seiner unabänderlichen Gewohnheit Whist zu spielen.

Passepartout war darauf gekommen, sich über sonderbaren Zufall, daß Fix sich abermals auf dem gleichen Wege mit seinem Herrn finden ließ, ernstliche Gedanken zu machen. Und in der That war es mindestens zum Erstaunen. Dieser sehr liebenswürdige, gewiß recht gefällige Gentleman, mit welchem man zuerst zu Suez zusammentrifft, geht auf dem Mongolia mit zu Schiffe, steigt zu Bombay, wo er bleiben zu müssen vorgiebt, aus, und läßt sich zur Reise nach Hongkong wieder auf dem Rangoon finden, kurz, Schritt für Schritt nach des Herrn Fogg’s Reisevorschrift: das mußte nachdenklich machen. Es war wenigstens ein sonderbares Zusammentreffen. Worauf hatte Fix es abgesehen? Passepartout war bereit, seine Pantoffeln – die er als etwas Kostbares aufhob – zu verwetten, daß Fix zugleich mit ihnen Hongkong verlassen würde, vermutlich auf dem nämlichen Packetboot.

Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß man dem Herrn Phileas Fogg als wie einem Dieb, um den ganzen Erdball herum auf der Ferse folge. Aber da es in der menschlichen Natur liegt, sich über alles eine Erklärung zu geben, so deutete sich Passepartout, dem plötzlich ein Licht aufging, die fortdauernde Anwesenheit des Fix auf folgende, wirklich glaubhafte Weise. In Wirklichkeit, dachte er sich, war Fix – anders war’s nicht möglich – nur ein Agent, welchen des Herrn Fogg’s Collegen im Reformclub ihm nachgesendet hatten, um zu constatiren, daß die Reise regelmäßig um die Erde herum, der Reisevorschrift gemäß, ausgeführt würde.

»Ganz offenbar! wiederholte sich der brave Junge, der auf seinen Scharfsinn ganz stolz war. Es ist ein von jenen Gentlemen uns nachgeschickter Spion. Das ist doch unwürdig! Der rechtschaffene, so ehrenhafte Herr Fogg! Durch einen Agenten ausspüren zu lassen! Ah! Meine Herren vom Reformclub, das soll Ihnen theuer zu stehen kommen!« Passepartout, der sich höchlich seiner Entdeckung freute, entschloß sich jedoch, seinem Herrn nichts davon zu sagen, aus Besorgniß, solches Mißtrauen von Seiten seiner Gegner möge ihn beleidigen. Aber er nahm sich vor, den Fix dafür bei Gelegenheit, mit verdeckten Worten und ohne sich Blößen zu geben, etwas zum Besten zu haben.

Am Mittwoch den 30. October Nachmittags lief der Rangoon in die Straße von Malacca ein, welche die Halbinsel dieses Namens von Sumatra scheidet. Die große Insel war den Passagieren durch kleine, sehr steile, sehr malerische Inselchen verdeckt.

Am folgenden Tage, um vier Uhr früh, hielt der Rangoon, nachdem er einen halben Tag von der regelmäßigen Fahrt gewonnen, zu Singapore an, um sich mit Kohlen zu versehen.

Phileas Fogg trug diesen Vorsprung auf die Gewinnspalte ein, und begab sich diesmal an’s Land, um Mrs. Aouda zu begleiten, welche gewünscht hatte, einige Stunden eine Spazierfahrt zu machen.

Fix, dem jeder Schritt Fogg’s verdächtig schien, folgte ihm nach, ohne sich bemerkbar zu machen. Passepartout, der im Stillen über dies Benehmen des Fix lachte, machte wie gewöhnlich Einkäufe.

Die Insel Singapore ist weder groß, noch von imponirendem Aussehen. Es fehlt ihr an Gebirg, d. h. an Bergprofilen. Doch ist sie trotz dieses Mangels reizend; sie ist ein von schönen Wegen durchschnittener Park. Mrs. Aouda und Phileas Fogg fuhren in einer hübschen Equipage mit einem Gespann eleganter, aus Neu-Holland eingeführter Pferde unter dichten Palmbäumen mit glänzenden Blättern, und Gewürznägeleinbäume, Gebüsche von Pfeffergesträuch standen da wie Dornhecken auf europäischen Feldern; Sagobäume und hohe Farrenträuter mit prächtigem Gezweig machten den Anblick dieser Tropengegend bunt; Muskatbäume mit lackirtem Laub tränkten die Luft mit Wohlgerüchen. Muntere, possenhafte Affen belebten das Gehölz, und vielleicht hausten auch Tiger im Schilf. Wer sich darüber wundern möchte, daß auf dieser verhältnißmäßig so kleinen Insel diese reißenden Thiere nicht gänzlich ausgerottet sind, dem diene zur Antwort, daß sie die Meerenge durchschwimmend von der Halbinsel herüberkommen.

Nachdem Mrs. Aouda und ihr Gefährte, der zwar schaute, aber nichts sah, zwei Stunden lang auf der Ebene herumgefahren, kehrten sie zur Stadt zurück, die aus einem ungeheuern Haufen plumper und platter Häuser besteht, umgeben von reizenden Gärten mit Mangusten, Ananas und allen besten Früchten der Welt.

Um zehn Uhr kamen sie wieder zum Packetboot, stets unvermerkt von dem Agenten begleitet, der ebenfalls sich hatte mit einer Equipage in Kosten stecken müssen.

Passepartout erwartete sie auf dem Verdeck des Rangoon. Der wackere Bursche hatte einige Dutzend Manguste gekauft, von der Größe mittlerer Aepfel, außen dunkelbraun, innen grell roth mit einer weißen Frucht, die zwischen den Lippen schmelzend die echtesten Feinschmecker erquickt. Passepartout schätzte sich glücklich, sie der Mrs. Aouda anbieten zu können, und sie dankte ihm mit vieler Grazie.

Um elf Uhr hatte der Rangoon seine Kohlenladung eingenommen, lichtete die Anker, und nach einigen Stunden schwanden den Passagieren die hohen Berge von Malacca aus dem Gesicht, in deren Wäldern die schönsten Tiger der Welt hausen.

Singapore ist noch ungefähr dreizehnhundert Meilen von der Insel Hongkong entfernt, einem kleinen Fleck englischen Landes, der von der chinesischen Küste getrennt ist. Phileas Fogg hatte nöthig, diese Strecke in höchstens sechs Tagen zurückzulegen, um zu Hongkong das Dampfboot benutzen zu können, welches am 6. November nach Yokohama, einem der bedeutendsten Häfen Japans, abging.

Der Rangoon war stark beladen. Es waren zu Singapore zahlreiche Passagiere eingestiegen, Hindu, Ceylonesen, Chinesen, Malayen, Portugiesen, welche zum größten Theil auf dem zweiten Platz fuhren.

Die bisher ziemlich gute Witterung änderte sich mit dem letzten Mondviertel. Die See ging hoch und der Wind wehte manchmal stark, aber glücklicher Weise aus Südosten, wodurch die Fahrt gefördert wurde. Wenn es thunlich war, ließ der Kapitän die Segel aufspannen. Der Rangoon, als Brigg getakelt, fuhr oft mit seinen beiden Mastsegeln und dem Focksegel, und seine Schnelligkeit wurde durch die doppelte Wirkung des Dampfes und des Windes verstärkt. Auf diese Weise fuhr man, auf gebrochenen Wellen, bisweilen mit Anstrengung längs den Küsten von Annam und Cochinchina.

Aber der Fehler lag weit mehr am Rangoon, als am Meer, und dem Packetboot hatten die Passagiere, welche meist krank wurden, die Schuld dieser Beschwerden zuzuschreiben.

In der That leiden die Schiffe der Peninsular-Compagnie, welche die Meere Chinas befahren, an einem ernstlichen Fehler im Bau. Das Verhältniß ihrer Wassertracht bei Beladung zu ihrem Hohl war nicht richtig berechnet, und daher bieten sie dem Meere nur schwachen Widerstand. Ihr geschlossener, dem Wasser nicht zugänglicher Raum ist unzureichend. Sie gehen zu tief im Wasser, und in Folge dieser Beschaffenheit reichen schon einige Wurf Meerwasser hin, um ihren Lauf zu ändern.

Daher mußte man, der üblen Witterung wegen, große Vorsicht anwenden. Manchmal mußte man beilegen, bei geringem Dampf; ein Zeitverlust, welcher auf Phileas Fogg gar keinen Eindruck zu machen schien, während Passepartout dadurch äußerst aufgeregt wurde. Dann machte er dem Kapitän, dem Maschinisten, der Compagnie Vorwürfe.

»Aber Sie haben doch gar zu sehr Eile, nach Hongkong zu kommen? fragte ihn einst der Detectiv Fix.

– Ja wohl! erwiderte Passepartout.

– Meinen Sie, daß Herr Fogg zu eilen hat, um auf das Packetboot nach Yokohama zu kommen?

– Erschrecklich zu eilen.

– Sie glauben also jetzt an die seltsame Reise um die Erde?

– Durchaus. Und Sie, Herr Fix?

– Ich? Ich glaube nicht daran.

– Possenreißer!« versetzte Passepartout und blinzelte mit den Augen.

Dieses Wort machte dem Agenten Gedanken. Diese Bezeichnung beunruhigte ihn, ohne daß er recht wußte, weshalb. Hatte der Franzose ihn durchschaut? Er wußte nicht, was er davon zu halten hatte. Aber wie hätte Passepartout seine Eigenschaft als Detectiv, wovon Niemand sonst etwas wußte, entdecken können? Und doch mußte Passepartout, indem er sich so ausdrückte, sicherlich einen Hintergedanken haben.

Es traf sich sogar, daß der wackere Junge ein andermal noch weiter ging; aber es überwältigte ihn, er konnte seine Zunge nicht bemeistern.

»Sehen Sie, Herr Fix, fragte er ihn mit schelmischem Tone, werden wir, wenn wir zu Hongkong sind, so unglücklich sein, Ihre Begleitung zu verlieren?

– Nun, erwiderte Fix in Verlegenheit, ich weiß nicht! … Vielleicht, daß…

– Ah! sagte Passepartout, wenn Sie in unserer Gesellschaft blieben, das wäre für mich ein Glück! Sehen Sie, ein Agent der Peninsular-Compagnie könnte sich unterwegs nicht aufhalten! Sie wollten nur nach Bombay, und nun sind wir bald in China! Von da nach Amerika ist nicht weit, und aus Amerika nach Europa ist jetzt nur ein Schritt!«

Fix sah seinen Genossen scharf an, und dieser zeigte ihm das liebenswürdigste Gesicht von der Welt, und er lachte mit ihm. Dieser aber, in guter Laune, fragte ihn, »ob ihm dieses Geschäft viel eintrage?«

»Ja und nein, erwiderte Fix, ohne eine Miene zu verziehen. Es giebt gute und schlechte Geschäfte. Aber Sie begreifen wohl, ich reise nicht auf eigne Kosten!

– O! in der Hinsicht, das glaub‘ ich wohl!« rief Passepartout, und lachte noch heller.

Als diese Unterhaltung zu Ende war, begab sich Fix in seine Cabine und sann über die Sache nach. Offenbar war er durchschaut. Auf irgend eine Weise hatte der Franzose seine Eigenschaft als Detektiv erkannt. Aber hatte er dies seinem Herrn mitgetheilt? Welche Rolle spielte er bei alledem? War er mitschuldig oder nicht? War die Sache ausgewittert, und folglich verfehlt? Der Agent verbrachte so einige peinliche Stunden, indem er bald alles für verloren hielt, bald hoffte, Fogg wisse nichts davon, schließlich ohne zu wissen, was er thun solle.

Inzwischen wurde sein Gehirn wieder ruhig, und er entschloß sich, offen mit Passepartout zu reden. Fände er sich in der gewünschten Lage, um Herrn Fogg zu Hongkong verhaften zu können, und schickte sich Herr Fogg an, nun gänzlich das englische Gebiet zu verlassen, so wollte er, Fix, Alles dem Passepartout heraussagen. Entweder der Diener war Mitschuldiger seines Herrn, – und dieser wußte alles, und dann war alles gänzlich verdorben – oder der Diener war bei dem Diebstahl nicht betheiligt, dann läge es in seinem Interesse, sich von dem Diebe loszusagen.

So standen also diese beiden Männer zu einander, und über ihnen schwebte Phileas Fogg in majestätischem Gleichmuth. Er vollendete vernunftgemäß seine Kreisbahn um die Erde, ohne sich um die Asteroiden, die um ihn gravitirten, zu kümmern.

Und doch befand sich in der Nähe – um einen astronomischen Ausdruck zu gebrauchen, – ein störendes Gestirn, welches auf das Herz dieses Gentleman einigermaßen hätte beunruhigend wirken müssen. Aber nein! Zu großem Befremden Passepartouts wirkten Mrs. Aouda’s Reize gar nicht, und wenn Störungen stattfanden, so wären sie schwerer zu berechnen gewesen, als die des Uranus, welche die Entdeckung des Neptun veranlaßten.

Ja! Passepartout staunte täglich von Neuem, wenn er in den Augen der jungen Frau soviel dankbare Hingebung gegen seinen Herrn las! Ganz gewiß hatte Phileas Fogg nur so viel Herz, als erforderlich war, um sich heroisch zu benehmen; aber für Liebesgefühle nicht! Von Besorgnissen, welche die Wechselfälle dieser Reise in ihm hervorrufen konnten, keine Spur. Aber Passepartout selbst lebte in steten Aengsten. Einmal sah er bei einer heftigen Stampfbewegung Dampf aus den Klappen herausdringen, da rief er zornig: »Die Klappen sind nicht gehörig beschwert! Man kommt nicht vorwärts! Seht da die Engländer! Auf einem amerikanischen Schiffe flöge man vielleicht in die Luft, aber man führe auch rascher!«

Achtzehntes Capitel.

Achtzehntes Capitel.

Phileas Fogg, Passepartout und Fix bekommen alle zu thun.

Während der letzten Tage der Fahrt war das Wetter schlimm. Sehr starker Wind, standhaft aus Nordwest, hemmte den Lauf des Packetbootes. Allzu unstät, schwankte der Rangoon beständig, und die Passagiere durften wohl diesen langen, Uebelbefinden erregenden Wellen grollen, welche der Wind von der hohen See aus herbeitrieb.

Während des 3. und 4. November war’s eine Art Sturm. Windstöße peitschten heftig das Meer. Der Rangoon mußte einen halben Tag lang beilegen, bei nur zehn Schraubenschlägen mit den Wellen laviren. Alle Segel waren eingezogen, und es war noch allzuviel Takelwerk, das mitten in den Windstößen pfiff.

Natürlich wurde die Schnelligkeit des Packetbootes dadurch bedeutend vermindert, und man konnte annehmen, daß es zu Hongkong um zwanzig Stunden nach der vorschriftsmäßigen Zeit anlangen würde, und noch später, wenn sich der Sturm nicht legte.

Phileas Fogg verhielt sich bei diesem Anblick eines wüthenden Meeres, welches direct gegen ihn zu kämpfen schien, mit seiner gewöhnlichen Gemüthsruhe. Seine Stirne ward nicht einen Augenblick finster, und doch konnte eine Verspätung um zwanzig Stunden seinen Reisezweck verderben, indem er die Abfahrt des Packetbootes nach Yokohama verfehlte. Aber dieser nervenlose Mann empfand weder Ungeduld, noch Unlust. Es schien wahrhaftig, als sei dieser Sturm in seinem Programm vorgesehen. Mrs. Aouda, die sich mit ihrem Gefährten über dies Unwetter unterhielt, fand ihn ebenso gleichmüthig wie zuvor.

Fix sah diese Dinge nicht mit demselben Auge an. Im Gegentheil hatte er Gefallen an dem Sturme. Es hätte ihm eine unendliche Befriedigung gewährt, wäre der Rangoon genöthigt gewesen, vor dem Sturme zu fliehen. Alle diese Verspätungen waren ihm Wasser auf seiner Mühle, denn sie konnten den Herrn Fogg nöthigen, einige Tage zu Hongkong zu verweilen. Endlich, der Himmel mit seinen Stürmen und Windstößen war ihm günstig. Zwar war er ein wenig unwohl, aber daran lag nichts! Wenn auch sein Körper an der Seekrankheit litt, sein Geist jubelte mit unendlicher Befriedigung Es läßt sich denken, wie Passepartout diese Zeit in unverhohlenem Zorn hinbrachte. Bisher war alles so gut gegangen! Land und Meer schienen seinem Herrn ergeben zu sein, Dampfer und Eisenbahnen folgten seinem Willen. Die Winde wirkten vereint mit der Dampfkraft zu Gunsten seiner Reise. War nun endlich die Zeit des Verrechnens gekommen? Passepartout, als wenn die zwanzigtausend Pfund der Wette aus seiner Börse gezahlt werden müßten, war wie vernichtet. Der arme Junge! Fix verhehlte ihm sorgfältig seine persönliche Befriedigung, und that wohl daran; denn hätte Passepartout seine stille Befriedigung wahrgenommen, so hätte er’s ihn arg empfinden lassen.

Passepartout blieb während der ganzen Dauer des Sturmes auf dem Verdeck des Rangoon. Unten hätte er nicht bleiben können; er kletterte in das Mastenwerk, und setzte die Bootsleute in Erstaunen, wie er so gewandt wie ein Affe zur Hilfe war. Hundertmal fragte er den Kapitän, die Officiere, die Matrosen, die sich des Lachens nicht erwehren konnten, als sie den Burschen so außer Fassung sahen. Passepartout wollte durchaus wissen, wie lange das Unwetter dauern würde. Man verwies ihn an den Barometer, der sich nicht entschließen konnte, zu steigen. Passepartout schüttelte den Barometer, aber es half nichts.

Endlich legte sich der Sturm. Der Zustand des Meeres änderte sich im Laufe des 4. November. Der Wind sprang um, und ward wieder günstig.

Mit der Witterung ward auch Passepartout wieder heiter. Es wurden wieder alle Segel aufgehißt, und der Rangoon setzte seinen Weg mit erstaunlicher Schnelligkeit fort.

Aber es ließ sich nicht alle verlorene Zeit wieder einbringen. Man mußte wohl sich darein ergeben, und erst am 6., um fünf Uhr Morgens wurde das Land signalisirt. Phileas Foggs Reisebüchlein hatte die Ankunft des Packetbootes auf den 5. angesetzt, und es kam erst am 6. an. Das war also eine Verspätung um vierundzwanzig Stunden, und die Weiterreise nach Yokohama mußte nothwendig verfehlt sein.

Um sechs Uhr kam der Lootse an Bord des Rangoon und nahm seinen Platz auf dem Steg, um das Fahrzeug durch die Fahrwasser bis zum Hafen von Hongkong zu leiten.

Passepartout war äußerst verlangend, diesen Mann zu befragen, ob das Packetboot für Yokohama von Hongkong bereits abgefahren sei. Aber er getraute sich nicht, und wollte lieber ein wenig Hoffnung bis zum letzten Augenblicke festhalten. Er hatte Fix seine Besorgnisse mitgetheilt, und der listige Fuchs versuchte ihn zu trösten durch die Mittheilung, daß Herr Fogg nur das nächste Boot zu nehmen brauche. Das versetzte Passepartout in äußersten Zorn.

Aber getraute auch Passepartout nicht den Lootsen zu befragen, so fragte ihn Herr Fogg, nachdem er in seinem Bradshaw nachgesehen, mit ruhiger Miene, ob er wisse, wann ein Boot von Hongkong nach Yokohama abgehe.

»Morgen früh mit der Fluth, erwiderte der Lootse.

– Ah!« sagte Herr Fogg, ohne seine Ueberraschung kund zu geben.

Passepartout, der zugegen war, hätte Lust gehabt, den Lootsen zu umarmen, und Fix hätte ihm gern den Hals umgedreht.

»Wie heißt dieser Dampfer? fragte Herr Fogg.

– Carnatic, versetzte der Lootse.

– Sollte er nicht schon gestern abfahren?

– Ja, mein Herr, aber es mußte einer seiner Kessel reparirt werden, und seine Abfahrt wurde auf morgen verschoben.

– Ich danke Ihnen«, erwiderte Herr Fogg, und begab sich mit automatischem Schritt in den Salon des Rangoon.

Passepartout drückte dem Lootsen kräftig die Hand, und sagte:

»Sie sind ein wackerer Mann!«

Der Lootse begriff wohl nicht, weshalb seine Antworten ihm diese Freundschaftsbezeugungen eintrugen. Er pfiff, und stieg auf den Steg, um das Packetboot mitten durch die Flotille von Jonken, Tanken, Fischerbarken und Fahrzeugen aller Art, wovon die Engen von Hongkong wimmelten, zu geleiten.

Um ein Uhr befand sich der Rangoon am Quai, und die Passagiere stiegen aus.

Bei diesem Umstande kam Herrn Fogg offenbar der Zufall trefflich zu Statten. Ohne diese nothwendige Reparatur der Kessel wäre der Carnatic am 5. November abgefahren, und die Passagiere nach Japan hätten acht Tage auf die Abfahrt des nächsten Bootes warten müssen. Herr Fogg war nun zwar um vierundzwanzig Stunden zurück, aber diese Verspätung blieb ohne Einfluß auf den übrigen Theil der Reise. Der Dampfer, welcher die Fahrt von Yokohama nach San Francisco durchs Stille Meer machte, stand mit dem Packetboote von Hongkong in directer Verbindung, so daß er vor dessen Ankunft nicht abfahren durfte. Offenbar hätte nun zu Yokohama bereits eine Verspätung um vierundzwanzig Stunden stattgefunden; die ließ sich jedoch während der zweiundzwanzig Tage der Fahrt durchs Stille Meer leicht wieder einbringen. Diese vierundzwanzig Stunden abgerechnet, befand sich also Herr Fogg, fünfunddreißig Tage nach seiner Abfahrt aus London, in Übereinstimmung mit seinem Programm.

Da der Carnatic erst um fünf Uhr des folgenden Tages abfuhr, so hatte Herr Fogg sechzehn Stunden Zeit für seine Geschäfte, d. h. in Betreff der Mrs. Aouda. Beim Aussteigen bot er der jungen Frau seinen Arm und führte sie zu einem Palankin. Die Träger bezeichneten ihm das Hotel des Club zum Einkehren. Passepartout ging hinter dem Palankin drein, und nach zwanzig Minuten kamen sie im Gasthofe an.

Es wurde für die junge Frau eine Wohnung genommen, und Phileas Fogg sorgte dafür, daß ihr nichts mangelte. Hierauf sagte er ihr, er wolle unverzüglich ihre Verwandten aufsuchen, deren Obhut er sie zu Hongkong überlassen sollte. Während dessen mußte Passepartout im Hotel seine Rückkehr abwarten, um die junge Frau nicht allein zu lassen.

Der Gentleman ließ sich auf die Börse führen, wo ein Mann, wie der honorable Jejeeh, der zu den reichsten Kaufleuten der Stadt gehörte, unfehlbar gekannt sein mußte.

Der Sensal, an welchen Herr Fogg sich wendete, kannte auch wirklich den parsischen Kaufmann. Aber seit zwei Jahren wohnte derselbe nicht mehr in China. Nachdem er sich ein Vermögen gemacht, hatte er sich in Europa etablirt, – in Holland, glaubte man, weil er während seiner kaufmännischen Thätigkeit in zahlreichen Verbindungen mit diesem Lande gestanden hatte.

Als Phileas Fogg ins Hotel zurückkam, ließ er sich sogleich bei Mrs. Aouda zum Besuch anmelden, und theilte ihr dann mit, daß der honorable Jejeeh nicht mehr zu Hongkong, vermutlich in Holland wohne.

Mrs. Aouda antwortete darauf nicht sogleich. Sie strich mit der Hand über ihre Stirne, und besann sich eine kleine Weile. Nachher sprach sie mit sanfter Stimme:

»Was soll ich nun anfangen? Herr Fogg.

– Das liegt auf der Hand, sagte der Gentleman. Mit nach Europa gehen.

– Aber das wäre Mißbrauch …

– Kein Mißbrauch, und Ihre Anwesenheit stört mein Programm durchaus nicht. – Passepartout?

– Zu dienen, mein Herr.

– Gehen Sie auf den Carnatic und nehmen Sie drei Cabinen.«

Passepartout war höchlich erfreut, daß die Reise in Gesellschaft der jungen Frau, die gegen ihn sehr freundlich war, fortgesetzt wurde, und ging sogleich seinen Auftrag auszurichten.