XXI.


XXI.

Vom 21. bis 23. November. – In der That ist es nothwendig, dieses beschränkte Bassin, und zwar sobald als möglich, zu verlassen. Das Wetter, welches uns während des ganzen Monats November begünstigt hat, droht umzuschlagen. Seit gestern ist das Barometer gesunken und rings um den Ham-Rock geht die See höher. Das Eiland bietet den Windstößen zu wenig Widerstand; der Chancellor müßte hier ohne Zweifel zertrümmert werden.

Während der Ebbe am heutigen Abend haben wir, Robert Kurtis, Falsten, der Hochbootsmann, der Zimmermann und ich, uns nach der jetzt freiliegenden Basaltbarriere begeben. Ein Passiren derselben ist nur zu erzwingen, wenn die Felskante in einer Breite von etwa zehn und einer Länge von sechs Fuß mit der Spitzhaue bearbeitet wird. Eine Tieferlegung von acht bis neun Zoll muß für den Chancellor schon das nöthige Wasser schaffen, und wenn man diesem kleinen Canale mit der nöthigen Vorsicht folgt, kann der Chancellor ihn ohne Schaden zu nehmen durchfahren und dicht außerhalb desselben in tiefes Fahrwasser gelangen.

»Dieser Basalt ist aber so hart wie Granit, bemerkt der Hochbootsmann, und das wird um so mehr eine lange Zeit beanspruchende Arbeit werden, als sie nur während der Tiefebbe, d. h. während zwei Stunden von vierundzwanzigen, vorgenommen werden kann.

– Ein Grund mehr, Hochbootsmann, um keine Secunde zu verlieren, erwidert ihm Robert Kurtis.

– Ei, Kapitän, sagt Daoulas, einen Monat über werden wir damit zu thun haben! Ging‘ es denn gar nicht an, die Felsen zu sprengen? Pulver ist ja an Bord.

– Zu dem Zwecke zu wenig!« erklärt der Hochbootsmann.

Die Situation wird sehr ernst. Einen Monat lang Arbeit! Vor Verlauf eines Monats wird aber das Schiff durch die Wellen zerstört sein.

»Wir haben ja etwas Vorzüglicheres, als Pulver, sagt da Falsten.

– Und was? fragt Robert Kurtis mit einer Wendung nach dem Ingenieur.

– Das Natron-Pikrat!« antwortet der Ingenieur.

Das Natron-Pikrat, wahrhaftig! Das von dem unglücklichen Ruby herein gepaschte Colli. Die explosive Substanz, welche nahe daran gewesen ist, das Schiff zu zersplittern, soll nun dazu dienen, unser Fahrthinderniß zu beseitigen!

Ein Sprengloch in den Basalt, und die Felskante existirt nicht mehr!

Das Pikratcolli ist wie gesagt auf dem Riff an sicherer Stelle niedergelegt worden. Es darf als ein Glück betrachtet werden, daß man jenes nach seiner Entfernung aus dem Raume nicht in’s Meer geworfen hat.

Die Matrosen holen Spitzhauen herbei, und Daoulas beginnt unter Leitung Falsten’s einen Minengang in derjenigen Richtung, welche den umfassendsten Effect zu erzielen verspricht, auszuarbeiten. Alles berechtigt zu der Hoffnung, daß derselbe während der Nacht vollendet werden wird und daß morgen mit Tagesanbruch nach stattgehabter erfolgreicher Explosion die Durchfahrt frei gelegt sein werde.

Bekanntlich ist die Pikrinsäure ein kristallinischer Körper von bitterem Geschmacke, den man aus Steinkohlentheer gewinnt und welcher mit Natron eine gelbgefärbte Verbindung, eben jenes Natron-Pikrat, bildet. Die explosive Gewalt dieser Substanz erreicht zwar die der Schießbaumwolle noch nicht, übertrifft indessen die des gewöhnlichen Pulvers um ein Bedeutendes. Seine Entzündung erfolgt schon durch einen heftigen, kurzen Stoß, wir werden sie aber auch durch Zündpillen leicht ermöglichen können.

Daoulas hat zwar, so gut wie seine Leute, tüchtig gearbeitet, bei Tagesanbruch ist das Sprengloch aber noch weit von seiner Vollendung entfernt. Wirklich kann an demselben nur zur Zeit der tiefsten Ebbe, d. h. immer nur eine Stunde lang gearbeitet werden. Vier Gezeiten werden vorübergehen müssen, jenem die gewünschte Tiefe zu geben.

Erst am Morgen des 23. ist die mühsame Arbeit vollbracht. Die Basaltmauer ist mit einem schräg nach unten verlaufenden Sprengloche versehen, hinreichend für gut zehn Pfund des explosiven Salzes, und diese Mine soll sofort geladen werden.

Gerade vor dem Einbringen des Pikrats in das Loch bemerkt Falsten:

»Wir sollten unser Sprengmittel mit gewöhnlichem Pulver vermischen, das erlaubt uns, die Mine durch eine Lunte in Brand zu setzen, was jedenfalls geeigneter erscheint, als die Explosion einer Zündpille durch einen Schlag zu veranlassen. Uebrigens hat man sich überzeugt, daß die gleichzeitige Anwendung von Pulver und Pikrat bei harten Felsarten bessere Resultate erzielt. Das seiner Natur nach sehr plötzlich wirkende Pikrat arbeitet dabei, wie es scheint, dem Pulver vor, welches sich langsamer entzündend den Basalt dann vollends zur Seite wirft.«

Sehr oft spricht der Ingenieur Falsten nicht, aber wenn er es thut, sind es Worte von Gehalt. Sein Rath wird befolgt. Man vermengt die beiden Substanzen und bringt nach vorhergegangener Einführung einer Lunte die Mischung in das Sprengloch, das sorgfältig verschlossen wird.

Der Chancellor liegt weit genug von der Mine entfernt, so daß für ihn von der Explosion Nichts zu fürchten ist; doch haben sich Passagiere und Mannschaften aus Vorsicht bis nach den entfernteren Theilen des Riffs und in die Grotte zurückgezogen, und auch Mr. Kear hat sich bequemen müssen, trotz seiner Einwendungen das Schiff zu verlassen.

Falsten entzündet die Lunte, welche eine Brenndauer von zehn Minuten haben muß, und gesellt sich dann zu uns.

Die Explosion erfolgt. Sie ist dumpf und weniger laut gewesen, als man erwartet hätte, doch soll das bei allen tief angelegten Minen der Fall sein.

Wir eilen hinzu … Die Operation ist vollkommen geglückt. Die Basaltwand ist buchstäblich zerstäubt, und jetzt durchsetzt ein kleiner Canal, den die Fluth eben anzufüllen beginnt, das Hinderniß und gewährt uns einen unbehinderten Durchgang.

Ein allgemeines Hurrah! Die Kerkerthür ist offen, wir brauchen nur zu entfliehen!

Nach eingetretenem Hochwasser wird der Chancellor mittels seiner Anker angeholt, passirt den Canal und schwimmt im freien Wasser!

Noch einen Tag lang müssen wir uns jedoch bei dem Eilande aufhalten, denn in seinen jetzigen Verhältnissen vermag das Schiff nicht zu segeln und muß erst noch Ballast einnehmen, um seine Stabilität zu sichern. Während der nächsten vierundzwanzig Stunden beschäftigt sich die Mannschaft also mit der Einladung von Steinen und derjenigen Baumwollenballen, welche am wenigsten Havarie erlitten haben.

Heute unternehmen Mr. Letourneur, Miß Herbey und ich noch einen letzten Spaziergang durch die Felsen des Riffs, welches wir nie wiedersehen sollen und auf oder neben dem wir drei Wochen verlebten. Der Name des Chancellor, der des Riffs selbst, das Datum der Strandung werden von André in eine Wand der Grotte kunstgerecht eingemeißelt, und wir rufen ein letztes Lebewohl dem dürren Felsen zu, auf dem wir manche Tage und Zwei von uns vielleicht bis dahin die glücklichsten ihres Lebens verbrachten!

Endlich am 24. November schmückt sich der Chancellor zur Zeit der Morgenfluth mit seinen unteren Segeln, und zwei Stunden später verschwindet die letzte Spitze des Ham-Rock unter dem Horizonte.

XXII.


XXII.

Vom 24. November bis 1. December. – Nun schwimmen wir also auf dem Meere, und das auf einem Fahrzeuge, dessen Festigkeit nur sehr zweifelhaft ist; doch haben wir ja zum Glück keine allzu weite Fahrt vor uns. Es handelt sich nur um 800 Meilen, und wenn der Nordostwind nur einige Tage anhält, so wird der Chancellor, der vom Wind im Rücken nicht so arg angegriffen wird, die Küste von Guyana mit Sicherheit erreichen.

Beim Cours nach Südwesten nimmt das Leben an Bord nun wieder seinen gewohnten Lauf.

Die ersten Tage vergehen ohne weitere Zufälle. Die Richtung des Windes bleibt immer günstig, doch vermeidet Robert Kurtis zu viel Segel beisetzen zu lassen, da er eine Wiedereröffnung des Lecks fürchtet, wenn das Schiff zu schnell fährt.

Eine traurige Fahrt, wenn man zu dem Schiffe, das einen trägt, kein Zutrauen haben kann. Jeder ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und an Bord entwickelt sich nicht jene lebhafte Mittheilungslust, wie bei einer raschen und sicheren Seefahrt.

Während des 29. geht der Wind um ein Viertel nach Norden zurück. Die Segelstellung muß geändert und die Steuerbordhalsen müssen beigesetzt werden. In Folge dessen neigt sich das Schiff stark nach der Seite.

Robert Kurtis zieht die Bramstengen ein, denn er bemerkt wohl, wie stark die Seitenneigung den Chancellor belästigt. Er thut recht daran, denn es handelt sich weniger darum, eine schnelle Ueberfahrt auszuführen, als ohne neuen Unfall einen Hafen zu erreichen.

Die Nacht vom 29. zum 30. ist dunkel und dunstig. Die Brise frischt immer mehr auf und unglücklicher Weise droht der Wind nach Nordwesten umzuschlagen. Die meisten Passagiere halten sich in ihren Cabinen auf, Kapitän Kurtis verläßt dagegen das Oberdeck niemals, und die ganze Mannschaft verbleibt auf dem Verdecke.

Noch immer neigt sich das Schiff ganz bedeutend, trotzdem es gar kein Obersegel mehr trägt.

Gegen zwei Uhr Morgens will auch ich mich in meine Koje zurückziehen, als einer der Matrosen, der im Kielraum gewesen war, eiligst daraus hervorkommt und ausruft:

»Zwei Fuß Wasser!«

Robert Kurtis und der Bootsmann eilen die Leiter hinab und finden die traurige Neuigkeit nur allzuwahr. Ob sich der Leck trotz aller Vorsichtsmaßregeln wieder geöffnet hat, oder ob einige schlecht kalfaterte Fugen auseinander gewichen sind, läßt sich noch nicht sagen, jedenfalls dringt das Wasser wieder in den Kielraum ein.

Der Kapitän kommt auf das Verdeck zurück, läßt das Schiff wieder vor den Wind legen, damit es weniger umher geworfen wird, und so erwartet man den Tag.

Beim Sondiren am Morgen findet man drei Fuß Wasser …

Ich sehe Robert Kurtis an. Eine leichte Blässe fliegt über sein Angesicht, doch bewahrt er seine Kaltblütigkeit. Die Passagiere, von denen einige auf das Verdeck gekommen sind, werden von dem Vorfall unterrichtet, den zu verheimlichen doch schwierig gewesen wäre!

»Ein neues Unglück, sagt Mr. Letourneur zu mir.

– Das war vorauszusehen, habe ich geantwortet, indessen können wir nicht weit vom Lande entfernt sein, und hoffe ich, daß wir es erreichen.

– Gott möge Sie erhören! erwiderte Mr. Letourneur.

– Ist denn Gott an Bord? fragt Falsten mit Achselzucken.

– Er ist gegenwärtig, mein Herr«, fällt da Miß Herbey ein.

Der Ingenieur schweigt bei diesen Worten, dem Ausfluß eines frommen Glaubens, über den nicht zu streiten ist.

Inzwischen ist auf Anordnung Robert Kurtis‘ der Dienst an den Pumpen organisirt worden. Mit mehr Resignation als Eifer geht die Mannschaft an die Arbeit; aber es geht um den Kopf, und die in zwei Rotten getheilte Mannschaft löst sich an den Pumpenstangen ab.

Im Laufe des Tages wiederholt der Hochbootsmann die Sondirungen, und man erkennt, daß das Meer langsam, aber unablässig in den Schiffsraum eindringt.

Zum Unglück kommen die Pumpen häufig in Unordnung; sie verstopfen sich entweder durch Asche oder Baumwollenbällchen, welche sich noch im unteren Theile des Kielraumes befinden. Bei der nothwendig werdenden Reinigung verlieren wir natürlich eine gewisse Zeit und die Erfolge unserer Mühe.

Am folgenden Morgen ergiebt eine neue Untersuchung fünf Fuß Wasser im Raume. Wenn das Herausschaffen desselben aus irgend einem Grunde ausgesetzt werden müßte, so würde das Schiff also sinken. Ueberhaupt kann das ja nur eine Frage der Zeit, und zwar einer sehr kurzen Zeit sein. Schon ist die Schwimmlinie des Chancellor um einen Fuß gesunken und sein Stampfen wird stärker, da er sich nur schwerfällig mit den Wellen hebt. Den Kapitän Kurtis sehe ich auch die Augenbrauen runzeln, sobald ihm der Lieutenant oder der Hochbootsmann eine Meldung machen. Das ist kein gutes Vorzeichen!

Die Arbeit an den Pumpen ist den ganzen Tag und die Nacht über fortgesetzt worden. Dennoch nimmt das Wasser zu. Die Mannschaft ist erschöpft; unter den Leuten werden Anzeichen von Entmuthigung bemerkbar. Inzwischen gehen der Lieutenant und der Hochbootsmann mit ihrem Beispiel voran, und die Passagiere nehmen an den Pumpenhebeln Platz.

Jetzt ist die Lage freilich nicht dieselbe, wie zur Zeit, als der Chancellor auf dem festen Grunde des Ham-Rock aufsaß; unser Fahrzeug schwebt über einem Abgrunde, in den es jeden Augenblick versinken kann.

XXIII.


XXIII.

Am 2. und 3. December. – Noch vierundzwanzig Stunden lang kämpfen wir mit aller Macht und verhindern ein Steigen des Wasserniveaus im Innern des Raumes; doch es liegt auf der Hand, daß die Zeit kommen wird, wo die Pumpen nicht mehr hinreichen werden, dieselbe Menge Wasser auszuwerfen, welche durch den Leck im Rumpfe eindringt.

Im Verlaufe dieses Tages geht Robert Kurtis, der sich keinen Augenblick der Ruhe gönnt, selbst an eine Untersuchung des Kielraumes, bei der der Zimmermann und der Hochbootsmann ihn begleiten; auch ich schließe mich Jenen an. Wir schaffen einige Baumwollenballen zur Seite und hören bei einiger Aufmerksamkeit ein Rauschen von Wasser, oder um es richtiger zu bezeichnen, ein »Gluck! Gluck!« Robert Kurtis will auf jeden Fall versuchen, den Schiffsrumpf am Hintertheil durch Einhüllung desselben mit getheerten Segeln trocken zu legen. Vielleicht gelingt es, dadurch wenigstens vor der Hand jede Communication mit dem Meere zu unterbrechen. Wenn das Nachströmen des Wassers nur momentan aufzuhalten ist, wird man erfolgreicher pumpen und das Schiff wahrscheinlich wieder heben können.

Die Ausführung dieser Absicht ist umständlicher, als man glauben sollte. Zunächst muß die Schnelligkeit des Fahrzeugs gemäßigt werden, und nachdem die großen Segel, welche die Jölltaue halten, bis nach dem Kiel hinuntergeglitten sind, leitet man sie bis zu der Stelle des früheren Lecks und versucht den ganzen Theil des Chancellor vollkommen einzuhüllen.

Von jetzt ab wirken die Pumpen etwas bemerkbarer, und wir gehen mit neuem Muthe an die Arbeit. Dennoch hat Kapitän Kurtis die größtmöglichste Menge Segel beibehalten lassen, denn er weiß zu gut, daß der Rumpf des Chancellor nicht lange aushalten kann und er große Eile hat, irgend ein Land zu erreichen. Wenn ein anderes Schiff in Sehweite vorüber käme, würde er nicht zögern, Nothsignale zu geben, seine Passagiere, selbst die Mannschaften auszuschiffen und allein an Bord zurückzubleiben bis zum Versinken des Chancellor unter seinen Füßen.

Alle unsere Hilfsmittel sollten aber vergeblich sein!

In der Nacht hat die Segelhülle dem Drucke von Außen nachgegeben, und am Morgen des 3. December meldet der Hochbootsmann mit einigen kräftigen Flüchen:

»Wieder sechs Fuß Wasser im Raum!«

Die Thatsache ist nur zu richtig! Das Schiff füllt sich auf’s Neue an, es sinkt merklich tiefer, und schon taucht seine Schwimmlinie weit unter das Wasser. Indessen arbeiten wir an den Pumpen mit mehr Anstrengung als je, und setzen unsere letzten Kräfte daran. Unsere Arme sind halb gebrochen, unsere Hände bluten, und trotz allen Quälens läuft uns das Wasser den Rang ab.

Robert Kurtis läßt nun noch an der großen Luke eine Kette bilden, und schnell fliegen die Eimer von Hand zu Hand.

Alles ist vergebens! Um acht ein halb Uhr Morgens ergiebt die Messung einen noch weiteren Zuwachs des Wassers im Raume. Schon bemächtigt sich die Verzweiflung einiger der Matrosen. Robert Kurtis treibt sie an, weiter zu arbeiten. Sie verweigern es.

Unter den Leuten ist Einer von sehr widerspenstigem Sinne, ein Anführer, von dem ich schon gesprochen habe, der Matrose Owen. Er mag vierzig Jahre alt sein. Sein Gesicht endet mit einem röthlichen Spitzbarte am Kinne, während die Wangen haarlos sind; seine Mundwinkel verlaufen nach unten, und seine fahlen Augen zeichnen sich durch einen rothen Punkt an der Verbindungsstelle mit den Lidern aus. Er hat eine scharfe Nase, weit abstehende Ohren und seine Stirn ist durch häßliche Falten tief gefurcht.

Dieser verläßt zuerst seinen Posten. Fünf oder sechs Kameraden folgen seinem Beispiele; unter ihnen bemerke ich den Koch Jynxtrop; ebenfalls ein verdächtiges Subject.

Auf den Befehl Robert Kurtis‘, an die Pumpen zurückzukehren, antwortet Owen mit einem trotzigen Nein.

Der Kapitän wiederholt seinen Befehl.

Owen bleibt bei seiner Weigerung.

Robert Kurtis nähert sich dem aufsässigen Matrosen.

»Ich rathe Ihnen, mich nicht anzurühren«, sagt Owen in kaltem Tone und steigt nach dem Vordercastell hinauf.

Robert Kurtis begiebt sich nach dem Oberdeck, geht in seine Cabine und kehrt mit einem geladenen Revolver in der Hand daraus zurück.

Einen Moment sieht Owen Robert Kurtis an, doch Jynxtrop macht ihm ein Zeichen, und Alle nehmen ihre Arbeit wieder auf.

XXIV.


XXIV.

Am 4. December. – Der erste Versuch einer Empörung ist durch das energische Auftreten Robert Kurtis‘ vereitelt worden. Wird der Kapitän in Zukunft ebenso glücklich sein? Man muß es hoffen, denn eine undisciplinirte Mannschaft müßte die ohnehin ernste Situation ganz unerträglich machen.

Auch während der Nacht dürfen die Pumpen nicht feiern. Die Bewegungen des Schiffes sind schwerfällig; da es sich kaum mit den Wellen erhebt, so überfluthen es auch häufig Sturzseen, deren Wasser durch die geöffneten Luken eindringt und das schon im Raume vorhandene vermehrt.

Unsere Lage wird nun bald ebenso bedrohlich, wie in den letzten Tagen der Feuersbrunst. Passagiere, Mannschaften, Alle merken es, daß das Fahrzeug ihnen unter den Füßen schwindet, und sehen langsam, aber ununterbrochen das Wasser in demselben wachsen, das ihnen jetzt eben so furchtbar erscheint, wie früher die Flammen.

Dennoch arbeitet die Mannschaft unausgesetzt unter den Drohungen Robert Kurtis‘, und wohl oder übel kämpfen die Matrosen zwar mit aller Energie, doch fangen die Kräfte ihnen an zu schwinden. Ausschöpfen können sie dieses Wasser, das sich unablässig erneuert, und dessen Niveau von Stunde zu Stunde wächst, doch nicht mehr. Die, welche die Eimer handhaben, sind gezwungen, den Raum zu verlassen, wo sie, schon bis an den Leib im Wasser stehend, zu ertrinken befürchten müssen. Nun giebt es nur noch einen Ausweg, zu dem man sich am nächsten Tage, dem 4., nach einer Berathung zwischen dem Lieutenant, dem Hochbootsmann und Robert Kurtis entschließt, nämlich den, das Schiff zu verlassen. Da die Jolle, das einzige uns verbliebene Boot, nicht Alle zu fassen vermag, so soll sofort ein Floß gezimmert werden, die Mannschaft indessen an den Pumpen thätig bleiben, bis zu dem Augenblick des Befehls zur Einschiffung.

Der Zimmermann Daoulas wird in Kenntniß gesetzt, und man kommt dahin überein, das Floß aus den Reserveraaen und dem entbehrlichen Mastwerk, das vorher in Stücke von gewünschter Länge zerschnitten werden soll, zu erbauen. Das verhältnißmäßig ruhige Meer erleichtert dieses selbst unter den günstigsten Umständen ziemlich schwierige Werk.

Ohne Zeitverlust gehen Robert Kurtis, der Ingenieur Falsten, der Zimmermann und zehn Matrosen mit Sägen und Aexten daran, die Raaen zu zerschneiden, bevor sie in’s Meer geworfen werden. So hat man diese nur noch haltbar zu verbinden und eine Unterlage herzustellen, auf welche die Plateform des Flosses zu liegen kommen soll, die man in einer Länge von vierzig und einer Breite von fünfundzwanzig Fuß projectirt hat.

Wir anderen Passagiere und der Rest der Mannschaft bleiben fortwährend an den Pumpen beschäftigt. Neben mir müht sich André Letourneur nach Kräften ab, den sein Vater fortwährend mit zärtlicher Erregung ansieht. Was soll aus seinem Sohne werden, wenn er gegen die Wellen ankämpfen muß, unter Umständen, aus denen sich kaum ein gesunder und kräftiger Mensch zu retten vermag? Jedenfalls werden wir Zwei sein, die ihn nicht verlassen.

Der Mrs. Kear hat man die drohende Gefahr verhehlt, da eine anhaltende Ohnmacht ihr fast jedes Bewußtsein raubt.

Mehrmals ist Miß Herbey auf dem Verdeck erschienen, doch nur während einiger Augenblicke. Zwar haben die Strapazen sie blasser gemacht, doch immer ist sie stark und muthig. Ich empfehle ihr, sich auf Alles gefaßt zu machen.

»Ich bin immer bereit, mein Herr Doctor«, antwortet mir Miß Herbey, und kehrt sofort zu Mrs. Kear zurück.

André Letourneur’s Blicke folgen dem jungen Mädchen, und sein Gesicht überfliegt ein Schatten von Traurigkeit.

Gegen acht Uhr Abends ist das Untergestell des Flosses nahezu vollendet. Man ist jetzt dabei, leere, luftdicht verspundete Fässer hinabzuschaffen, welche die Schwimmkraft des Apparates erhöhen sollen, und die man sorgfältig zwischen den Stämmen anbringt.

Zwei Stunden später erschallt ein lautes Geschrei auf dem Oberdeck, und Mr. Kear kommt mit dem Ausrufe herauf:

»Wir sinken! Wir sinken!«

Sogleich erblicke ich auch Miß Herbey, wie sie die bewußtlose Mrs. Kear heraufschleppt.

Robert Kurtis eilt nach seiner Cabine, aus der er eine Karte, einen Sextanten und eine Bussole geholt hat.

Unter lautem Verzweiflungsgeschrei herrscht die größte Verwirrung an Bord, und die Mannschaft stürzt nach dem Flosse, dessen Gestell ohne Ueberbau sie ja doch noch nicht aufzunehmen vermag.

Es ist mir unmöglich, weder die Gedanken zu schildern, die jetzt durch mein Gehirn jagen, noch das schnelle Vorüberziehen der Bilder aus meinem ganzen Leben zu malen! Meine ganze Existenz scheint sich in diesen letzten Augenblick, der sie abschließen soll, zusammen zu drängen! Ich fühle, wie sich die Planken unter meinen Füßen beugen, und sehe das Wasser rings um das Schiff aufsteigen, so als ob der Ocean sich unter ihm aushöhlte.

Einige Matrosen flüchten sich auf die Strickleitern und stoßen verzweifelte Flüche aus. Ich versuche ihnen zu folgen …

Eine Hand hält mich zurück, und ich sehe Mr. Letourneur, der auf seinen Sohn hinweist, während ihm große Thränen aus den Augen perlen.

»Ja wohl, sage ich und drücke ihm krampfhaft die Hand, wir Zwei, wir werden ihn retten!«

Noch bevor ich aber bis zu ihm gelange, hat Robert Kurtis schon André Letourneur umfaßt, und trägt ihn nach dem Mastkorbe des großen Mastes, während der Chancellor, den der Wind bislang noch ziemlich schnell forttreibt, plötzlich still hält. Es folgt eine heftige Erschütterung des Fahrzeuges.

Das Schiff sinkt! Das Wasser erreicht schon meine Beine. Instinctiv erfasse ich ein Seil … aber plötzlich steht das Schiff wieder, und bleibt der Chancellor, nachdem das Verdeck etwa zwei Fuß unter das Wasser versunken ist, unbeweglich!

XXV.


XXV.

Die Nacht vom 4. zum 5. December. – Robert Kurtis hat den jungen Letourneur aufgehoben, eilt mit ihm über das überschwemmte Verdeck und setzt ihn auf die Strickleiter am Steuerbord. Sein Vater und ich, wir klettern zu ihm hin.

Dann blicke ich um mich. Die Nacht ist hell genug, um erkennen zu können, was ringsum vorgeht. Robert Kurtis ist auf seinen Posten zurückgekehrt und steht auf dem Oberdeck. Ganz rückwärts, nahe dem noch nicht überflutheten Hackbord, gewahre ich Mr. Kear, seine Frau, Miß Herbey und Falsten; auf der äußersten Spitze des Vorderkastells den Lieutenant und den Bootsmann, in den Mastkörben und auf den Strickleitern den Rest der Mannschaft.

André Letourneur ist nach dem Mastkorbe des Großmastes geklettert, mit Hilfe seines Vaters, der ihm den Fuß Stufe für Stufe heben mußte, und trotz des Rollens ist er ohne Unfall hinaufgekommen. Mrs. Kear Vernunft beizubringen, ist freilich unmöglich gewesen; sie verbleibt auf dem Oberdeck und läuft Gefahr, von den Wellen weggespült zu werden, wenn der Wind noch mehr auffrischt. Auch Miß Herbey hält bei ihr aus, da sie jene nicht verlassen will.

Robert Kurtis‘ erste Sorge nach dem Aufhören des Sinkens war es, alle Segel abnehmen und alle Stengen und die Obermaste herabsenken zu lassen. Hierdurch hofft er das Kentern des Chancellor zu verhindern. Kann er aber nicht jeden Augenblick ganz untergehen? Ich begebe mich zu Robert Kurtis und richte diese Frage an denselben.

»Das kann ich nicht wissen, erwidert er mir mit dem ruhigsten Tone, denn das hängt ganz von dem Zustande des Meeres ab. Gewiß ist für jetzt nur, daß das Schiff sich im Gleichgewicht befindet; leider können sich diese Verhältnisse aber in jeder Minute verschlimmern.

– Kann der Chancellor noch, mit zwei Fuß Wasser über dem Deck, segeln?

– Nein, Mr. Kazallon, wohl aber kann er unter dem Einflüsse des Windes und der Strömung abweichen, und wenn er sich einige Tage so hält, doch irgend einen Küstenpunkt anlaufen. Uebrigens haben wir als letzte Zuflucht das Floß, das in wenigen Stunden fertig sein muß, und auf welchem wir uns, sobald der Tag anbricht, dann einschiffen können.

– Sie haben also noch immer nicht alle Hoffnung aufgegeben? fragte ich Robert Kurtis sehr erstaunt.

– Die Hoffnung darf nie zu Schanden werden, Mr. Kazallon, selbst unter den allerschlimmsten Verhältnissen nicht. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß, wenn unter hundert Chancen neunundneunzig gegen uns sind, doch die hundertste uns gehört. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, so befindet sich der halbversunkene Chancellor genau in derselben Lage, wie im Jahre 1795 der Dreimaster Juno. Länger als zwanzig Tage hat dieses Schiff halb im Wasser sich schwebend erhalten. Passagiere und Mannschaften waren in die Takelage geflüchtet, und als man endlich an’s Land trieb, wurden Alle, die nicht den Strapazen und dem Hunger erlegen waren, glücklich gerettet. Es ist das ein in den Annalen der Seefahrten zu bekanntes Factum, als daß es mir gerade jetzt nicht wieder in den Sinn kommen sollte. Nun, Mr. Kazallon, es liegt kein Grund vor, daß die Ueberlebenden des Chancellor nicht eben so viel Glück haben sollten, als die der Juno.«

Man konnte Robert Kurtis wohl so Manches dagegen einhalten, aus dem Gespräch geht aber doch hervor, daß unser Kapitän noch nicht jede Hoffnung verloren habe.

Da sich die Bedingungen des Gleichgewichts jeden Augenblick ändern können, werden wir doch den Chancellor früher oder später verlassen müssen. Auch bleibt es dabei, daß morgen, sobald der Zimmermann mit dem Flosse fertig ist, dasselbe bestiegen werden soll.

Nun stelle man sich die dumpfe Verzweiflung der Mannschaft vor, als Daoulas gegen Mitternacht die Bemerkung macht, daß das Gestell des Flosses verschwunden ist. Die Leinen, trotzdem man darauf gesehen hatte, nur haltbare zu verwenden, waren bei dem Auf- und Abschwanken des Fahrzeuges gerissen, und etwa seit einer Stunde trieb der Unterbau des Rettungsflosses in der weiten See.

Als die Matrosen dieses neue Unglück vernahmen, ließen sie manchen Verzweiflungsschrei erschallen.

»In’s Meer! In’s Meer! Die Masten kappen!« riefen sie halb von Sinnen.

Sie wollen die Taue zerschneiden und die Untermasten in’s Wasser stürzen, um sofort ein neues Floß daraus herzurichten.

Aber Robert Kurtis mischt sich ein.

»Auf Euern Posten, Jungens! ruft er. Daß kein Faden ohne meinen Befehl zerschnitten wird! Der Chancellor ist im Gleichgewicht! Der Chancellor geht noch nicht unter!«

Bei der entschiedenen Stimme ihres Kapitäns gewinnt die Mannschaft wieder einige Besinnung, und trotz der bösen Absicht Einiger unter ihnen begiebt sich Jeder wieder auf den ihm angewiesenen Platz.

Sobald der Tag graut, steigt Robert Kurtis so weit als möglich in die Höhe, und sein Blick durchschweift forschend den Umkreis um das Schiff.

Unnützes Suchen! Das Floß ist längst außer Sehweite! Soll man die Jolle bemannen und dasselbe aufzusuchen ausfahren? Auch das ist unmöglich, denn die See geht so hohl, daß das kleine Fahrzeug ihr nicht zu widerstehen vermag. Man muß sich demnach zur Construction eines neuen Flosses entschließen und ohne Zaudern an die Arbeit gehen.

Inzwischen sind die Wellen immer stärker geworden. Mrs. Kear hat sich endlich entschlossen, den Platz auf dem Oberdeck zu verlassen, auf dem sie übrigens in einem Zustande vollständiger Willenlosigkeit lag. Mr. Kear hat sich mit Silas Huntly im Mastkorbe des Besanmastes eingerichtet. Neben Mrs. Kear und Miß Herbey befinden sich die Herren Letourneur, Alle auf der in ihrem größten Durchmesser höchstens zwölf Fuß messenden Plattform enge an einander gedrückt. Von einer Strickleiter zur anderen hat man Seile angebracht, an die sich die Insassen bei dem Schwanken des Schiffes festhalten können. Robert Kurtis hat auch noch ein Dach zum Schutze der beiden Frauen über dem Mastkorbe anbringen lassen.

Einige Fässer, welche nach dem Sinken zwischen den Masten schwimmen, hat man rechtzeitig aufgefischt, und an den Stagen sicher befestigt. Es sind das Behälter mit Conserven und Zwieback, so wie einige Fässer Trinkwasser – unser ganzer Vorrath an Lebensmitteln!

XXVI.


XXVI.

Am 5. December. – Der Tag ist warm. Unter dem sechszehnten Breitengrade ist der December kein Herbst-, sondern ein vollkommener Sommermonat. Wenn der Luftzug nicht die Gluth der Sonne mildert, dürften uns noch grausame Leiden durch dieselbe bevorstehen.

Die See geht noch immer sehr hohl. Der zu drei Viertheilen versunkene Schiffsrumpf wird wie eine Klippe von den Wellen gepeitscht. Der Schaum spritzt bis zu den Mastkörben hinauf, und unsere Kleidungsstücke werden wie von einem feinen Regen durchnäßt.

Ueber der Meeresoberfläche befinden sich von dem Chancellor noch folgende Theile: die drei Masten mit den Mastkörben, das Bugspriet, an dem man jetzt die Jolle aufgehangen hat, um sie vor dem Anprall der Wogen zu sichern, ferner das Oberdeck und das Vorderkastell, beide nur durch den schmalen Rahmen der Schanzkleidung verbunden. Das Verdeck dagegen befindet sich vollständig unter Wasser.

Die Communication zwischen den Mastkörben ist sehr beschwerlich; die Matrosen, welche an den Stagen hinklettern, können sich allein von dem einen zu dem anderen hin begeben. Unter ihnen, zwischen den Masten vom Hackbord bis zum Vorderkastell schäumt das Meer, wie über einem Riffe, und löst nach und nach die Wände des Schiffes ab, deren Planken man zu erhaschen sucht. Für die auf die engen Plateformen geflüchteten Passagiere gewährt es ein erschütterndes Schauspiel, unter ihren Füßen den Ocean zu sehen und zu hören. Die aus dem Wasser emporragenden Maste erzittern bei jedem Wellenschlage, und man möchte glauben, daß sie weggerissen werden müßten.

Besser ist es, die Augen zu schließen, und gar nicht nachzudenken, denn dieser Abgrund übt eine eigene Anziehungskraft aus, und man fühlt die Versuchung, sich hinein zu stürzen!

Inzwischen ist die gesammte Mannschaft unablässig mit der Herstellung eines zweiten Flosses beschäftigt. Dabei finden die Obermasten, die Marsraaen und Bramstengen Verwendung und widmet man unter Robert Kurtis‘ Leitung dieser Arbeit alle mögliche Sorgfalt. Der Chancellor scheint wirklich nicht weiter zu sinken; wie der Kapitän es vorausgesagt, wird er voraussichtlich im Wasser sich eine Zeit lang schwebend erhalten. Robert Kurtis achtet also darauf, daß das Floß so solid als möglich gebaut wird.

Die Ueberfahrt wird bei der noch immer beträchtlichen Entfernung der nächsten Küste, der von Guyana nämlich, lange Zeit in Anspruch nehmen. Es empfiehlt sich also, lieber einen Tag länger in den Mastkörben auszuharren, und sich die nöthige Zeit zur Erbauung eines schwimmenden Gerüstes zu nehmen, auf welches man sich einigermaßen verlassen kann.

Die Matrosen selbst haben sich wieder mehr beruhigt, und jetzt geht die Arbeit ungestört von statten. Ein alter, etwa sechzigjähriger Seemann allein, dem Bart und Haar im Seewinde gebleicht sind, ist nicht der Ansicht, den Chancellor zu verlassen. Es ist ein Ire, mit Namen O’Ready.

Als ich mich eben auf dem Oberdeck befand, gesellte er sich zu mir.

»Mein Herr, beginnt er und schiebt mit bewundernswerther Gleichgiltigkeit sein Priemchen im Munde hin und her, meine Kameraden haben die Absicht, das Schiff zu verlassen. Ich nicht. Ich habe schon neunmal Schiffbruch gelitten – viermal auf offener See, fünfmal an der Küste. Es ist mein eigentliches Geschäft, zu scheitern. Ich kenne das aus dem Grunde. Nun, Gott soll mich verdammen wenn ich nicht immer die Hasenherzen habe elend umkommen sehen, die sich auf Flößen oder Booten zu retten suchten! So lange ein Kasten schwimmt, soll man darauf bleiben. Lassen Sie sich das gesagt sein!«

Nach diesen sehr bestimmt gesprochenen Worten, welche die alte irländische Wasserratte zur Beruhigung seines eigenen Gewissens von sich zu geben schien, versank der Mann wieder in ein vollkommenes Schweigen.

An demselben Tage bemerke ich auch, gegen drei Uhr Nachmittags, Mr. Kear und den Ex-Kapitän Silas Huntly im Mastkorbe des Besanmastes in eifrigem Gespräche. Der Petroleumhändler scheint dem Anderen heftig zuzusetzen, und dieser einem Vorschlage des genannten Mr. Kear gewisse Einwürfe entgegen zu halten. Lange Zeit betrachtet Silas Huntly wiederholt das Meer und den Himmel, und schüttelt mit dem Kopfe. Endlich, nach einer Unterhaltung von einer Stunde, gleitet er an den Besanstagen bis zur Spitze des Vorderkastells, mischt sich unter die Matrosen, und ich verliere ihn aus den Augen.

Uebrigens erscheint mir dieser Vorfall ohne Bedeutung, und ich steige wieder nach dem Großmast hinauf, wo die Herren Letourneur, Miß Herbey, Falsten und ich noch einige Stunden im Gespräche verbringen. Die Sonne brennt gewaltig, und ohne das Segel, welches uns als Zeltdach dient, wäre es hier wohl kaum auszuhalten.

Um fünf Uhr nehmen wir gemeinsam einen Imbiß ein, der aus Schiffszwieback, gedörrtem Fleisch und einem halben Glase Wasser per Mann besteht. Mrs. Kear, welche in heftigem Fieber darnieder liegt, genießt nichts. Mrs. Herbey vermag ihr nur dadurch einige Erquickung zu verschaffen, daß sie die brennenden Lippen der Kranken von Zeit zu Zeit benetzt. Die unglückliche Frau leidet schwer; ich bezweifle, daß sie diesen Zustand lange aushalten wird.

Ihr Mann hat sich auch nicht einmal nach ihr erkundigt. Gegen drei Viertel auf sechs Uhr aber scheint es mir doch, daß das Herz dieses Egoisten zu klopfen beginnt. Mr. Kear ruft nach einigen Matrosen vom Vorderdeck und bittet sie, ihm zum Verlassen des Besanmastes behilflich zu sein. Will er sich nun vielleicht zu seiner Frau nach dem Großmast begeben?

Die Matrosen beachten den Ruf Mr. Kear’s nicht sofort. Dieser wiederholt seine Bitten dringender und verspricht Denen eine gute Belohnung, die ihm diesen Dienst leisten würden.

Jetzt begeben sich zwei Matrosen, Burke und Sandon, über die Schanzkleidung hin nach dem Besanmast und steigen nach dem Mastkorbe.

Mit Mr. Kear feilschen sie lange um die Bedingungen für ihre Bemühung. Offenbar verlangen sie viel, und der Erdölbaron will nur wenig geben. Schon schicken sich die Seeleute wieder an, den Passagier an seinem Platze zurück zu lassen. Endlich wird man einig und zieht Mr. Kear ein Päckchen Papierdollars hervor, das er dem einen Matrosen einhändigt. Dieser zählt die Summe sorgfältig durch, und scheint es mir, daß er wenigstens hundert Dollars in der Hand hat.

Es handelt sich nämlich, wie ich gewahr werde, darum, Mr. Kear längs der Besanstagen nach dem Vorderkastell zu befördern. Burke und Sandon umwickeln Jenen mit einem Tau, das sie um die Stagen schlingen; dann lassen sie ihn unter Nachhilfe einiger Rippenstöße wie ein Colli vor sich hergleiten, was nicht ohne ein spöttisches Gelächter ihrer Kameraden abgeht.

Aber ich hatte mich getäuscht. Mr. Kear fiel es gar nicht ein, seine Frau im Mastkorbe aufsuchen zu wollen. Er bleibt auf dem Vorderkastell in Gesellschaft Silas Huntly’s und die eintretende Dunkelheit wehrt mir, etwas Weiteres zu erkennen.

Die Nacht bricht an; der Wind hat sich gelegt, aber die See geht hohl. Der Mond, schon seit vier Uhr Nachmittags am Horizonte, wird nur dann und wann zwischen Wolkenstreifen sichtbar. Die niedrigeren derselben färben sich am Horizonte mit röthlichem Tone, was für morgen eine steife Brise erwarten läßt. Gott gebe, daß sie aus Nordosten weht und uns nach dem Lande zu treibt, denn jede andere Windrichtung wäre für uns verderblich, wenn wir erst auf dem Flosse eingeschifft sind, das nur mit dem Wind im Rücken einige Fahrt machen kann!

Robert Kurtis ist gegen acht Uhr nach unserem Mastkorbe gekommen. Ich bin der Meinung, daß ihm der Anblick des Himmels Sorge verursacht und er im Voraus beobachten will, was für Witterung morgen sein werde. Eine Viertelstunde lang beobachtete er; dann drückt er mir, vor dem Herabsteigen, ohne ein Wort zu sagen, die Hand und nimmt seinen Platz auf dem Oberdeck wieder ein.

Ich versuche auf dem beengten Raume des Mastkorbes zu schlafen, kann aber nicht dazu gelangen. Böse Ahnungen beunruhigen mich. Die Atmosphäre kommt mir »gar zu ruhig« vor. Kaum streicht von Zeit zu Zeit ein Lüftchen durch das Takelwerk und läßt die Metallfäden in demselben ertönen. Indessen, das Meer »fühlt« etwas, denn es bleibt in hochgehender Bewegung und unterliegt offenbar der Rückwirkung eines entfernten Sturmes.

Gegen elf Uhr Nachts leuchtet einmal der Mond mit hellem Scheine in dem Zwischenraume zweier Wolken, und das Wasser erglänzt, als würde es von unten her erhellt.

Ich erhebe mich und blicke hinaus. Sonderbar. Ich glaube einige Augenblicke einen dunklen Punkt wahrzunehmen, der sich mitten in der intensiven Weiße der Wellen hebt und senkt. Ein Felsen kann das nicht sein, da er die Bewegungen der See mitmacht und wahrscheinlich hat mich eine Illusion getäuscht. Dann verschleiert sich der Mond von Neuem, und wird es tief dunkel, so daß ich mich nahe der Backbordstrickleiter wieder niederlege.

XXVII.


XXVII.

Am 6. December. – Ich habe einige Stunden schlafen können. Um vier Uhr Morgens erweckt mich das Pfeifen des Windes, und ich vernehme Robert Kurtis‘ Stimme, welche noch das Brausen der Windstöße, unter denen die Masten erzittern, hörbar durchdringt.

Ich erhebe mich, packe die um unseren luftigen Aufenthalt gezogenen Leinen und versuche mir darüber klar zu werden, was unter mir und um mich herum vorgeht.

Mitten durch die Dunkelheit grollt das Meer unter meinen Augen, und zwischen den Masten schäumen die jetzt mehr bleichen als weißen Wellen auf. Zwei schwarze Schatten ganz am Hintertheile heben sich von der helleren Farbe des Wassers ab. Diese Schatten sind der Kapitän Kurtis und der Hochbootsmann.

Ihre bei dem Klatschen der Wellen und dem Pfeifen der Brise nur wenig verständlichen Stimmen dringen nur wie ein zerrissenes Seufzen zu meinem lauschenden Ohre. Was geht wohl vor?

Da kommt ein Matrose, der in die Takelage gestiegen war, um ein Tau zu befestigen, an mir vorüber.

»Was ist geschehen? frage ich ihn.

– Der Wind ist umgesprungen …«

Noch einige Worte fügt der Matrose hinzu, die ich nicht genau verstehen kann. Indessen glaubte ich die Worte »gerade umgekehrt« zu hören.

Gerade umgekehrt! Dann müßte der Wind aber von Nordosten nach Südwesten umgeschlagen sein, und er müßte uns jetzt in die offene See hinaustreiben! Meine Ahnungen trügten mich also nicht!

Nach und nach wird es heller. Der Wind hat sich zwar nicht vollkommen verkehrt, aber – ein ebenso verderblicher Umstand für uns, – er bläst aus Nordwesten und entfernt uns von dem Lande. Jetzt stehen nun fünf Fuß Wasser über dem Deck, und die Linie der Schanzkleidung ist vollkommen verschwunden. Das Schiff sank in der Nacht noch tiefer ein, auch Vorderkastell und Oberdeck befinden sich jetzt in gleichem Niveau mit dem Wasser, das ununterbrochen darüber hinströmt. Unter dem Winde arbeiteten Robert Kurtis und seine Leute an der Herstellung des Flosses, doch machen sie bei der bewegten See nur langsame Fortschritte, und erforderte es die aufmerksamste Fürsorge, die Balken des Unterbaues sich nicht verschieben zu lassen, bevor sie unverrückbar fest verbunden wurden.

Die Herren Letourneur stehen an meiner Seite; der Vater umschlingt mit den Armen den Sohn, den er bei dem heftigen Rollen des Schiffes zu halten sucht.

»Dieser Mastkorb wird brechen!« ruft Mr. Letourneur, der in der beschränkten Plateform, die uns trägt, ein Krachen vernommen hat.

Miß Herbey erhebt sich bei diesen Worten und zeigt auf die neben ihr liegende Mrs. Kear.

»Was sollen wir thun, meine Herren? fragt sie.

– Wir müssen bleiben, wo wir sind, habe ich ihr geantwortet.

– Hier ist noch unsere sicherste Zuflucht, Miß Herbey, fügt Andre Letourneur hinzu. Fürchten Sie nichts, Miß …

– O, für mich fürchte ich auch nicht, erwidert das junge Mädchen mit ruhiger Stimme, aber für Diejenigen, welche Ursache haben, an ihrem Leben zu hängen!«

Um acht ein viertel Uhr ruft der Bootsmann seinen Leuten zu:

»He! Ihr da auf dem Kastell!

– Was wollen Sie, Meister, antwortet einer der Matrosen, ich glaube O’Ready.

– Habt Ihr die Jolle dort?

– Nein, Meister.

– Nun, dann ist sie also weggeschwemmt worden.« In der That hängt die Jolle nicht mehr am Bugspriet, fast gleichzeitig gewahrt man aber auch das Verschwundensein Mr. Kear’s, Silas Huntly’s und dreier Leute von der Mannschaft, eines Schotten und zweier Engländer. Jetzt wird mir der Gegenstand der gestrigen Unterhaltung zwischen Kear und dem Ex-Kapitän klar. In der Befürchtung, daß der Chancellor noch vor Fertigstellung des Flosses untergehen könne, sind sie überein gekommen, zu entfliehen, und haben drei Matrosen durch Geld bestochen, sich des kleinen Bootes zu bemächtigen. Auch über den schwarzen Punkt, den ich verwichene Nacht vorübergehend sah, geht mir nun ein Licht auf. Der Elende hat seine Frau im Stiche gelassen! Der unwürdige Kapitän sein Schiff! Sie haben uns die Jolle gestohlen, das einzige noch übrig gebliebene Boot.

»Fünf Gerettete! sagt der Bootsmann.

– Fünf Verlorene!« antwortet der alte Irländer.

Wirklich giebt der Zustand des Meeres O’Ready’s Worten am meisten recht. Wir sind nur noch Zweiundzwanzig an Bord. Wie weit wird sich diese Zahl noch vermindern?

Bei dem Bekanntwerden jener feigen Flucht und des diebischen Schurkenstreichs macht sich die Stimmung der Mannschaft in einem Schwall von Flüchen über die Entflohenen Luft, und wenn der Zufall sie an Bord zurückführen sollte, würden sie ihren Verrath schwer zu büßen haben!

Ich halte es für gerathen, der Mrs. Kear die Flucht ihres Mannes zu verheimlichen. Die bedauernswerthe Frau wird vom Fieber furchtbar geschüttelt, gegen das wir völlig ohnmächtig dastehen, weil das Schiff so schnell gesunken ist, daß auch die Arzneikiste nicht zu retten war. Und wenn wir auch Arzneimittel gehabt hatten, welchen Erfolg hätten sie bei dem Zustande, in dem sich Mrs. Kear thatsächlich befand, wohl noch erzielen können?

XIX.


XIX.

Vom 6. bis 15. November. – Während der fünf ersten Tage nach der Strandung sind dem Kielraum des Chancellor stets dicke, beißende Dämpfe entströmt; dann haben sie sich nach und nach vermindert und am 6. November kann man die Feuersbrunst als erloschen ansehen. Aus Fürsorge aber läßt Robert Kurtis die Pumpen noch fortarbeiten, so daß der Schiffsrumpf jetzt bis zum Zwischendeck mit Wasser gefüllt ist. Nur zur Zeit der Ebbe sinkt das Wasser im Raum, und stellen sich die Oberflächen im Inneren und Aeußeren auf gleiches Niveau.

»Es beweist das, sagt Robert Kurtis zu mir, daß der Leck ein ziemlich beträchtlicher sein muß, da das Wasser mit solcher Schnelligkeit nachsinkt.«

Wirklich beträgt die Oberfläche der Oeffnung im Rumpfe nicht weniger als vier Quadratfuß. Einer der Matrosen, Flaypol, ist in’s Meer getaucht und hat die Stelle und Ausdehnung der Havarie untersucht. Die Eintrittsöffnung des Wassers befindet sich etwa dreißig Fuß vom Steuer nach vorn zu; es sind drei Planken durch eine Felsenspitze eingedrückt, und zwar zwei Fuß über der Kielfuge. Der Anprall muß ein sehr starker gewesen sein, denn das Fahrzeug war schwer beladen und das Meer ging hoch. Fast möchte man bewundern, daß der Rumpf sich nicht an noch mehr Stellen geöffnet hat.

Ob der Leck leicht zu stopfen sein wird, läßt sich erst dann beurtheilen, wenn die Ladung entweder entfernt oder doch weggeräumt ist, so daß der Zimmermann denselben erreichen kann. Zwei Tage dürfen indeß noch vergehen, um in den Raum des Chancellor eindringen zu können und diejenigen Baumwollenballen zu entfernen, welche das Feuer noch unversehrt gelassen hat.

Während dieser Zeit bleibt Robert Kurtis nicht müßig, und es werden, unter thatkräftiger Unterstützung der Mannschaft, sehr wichtige Arbeiten ausgeführt. So läßt der Kapitän den Besanmast, der beim Auffahren abgebrochen war, wieder herstellen, da es gelungen ist, denselben mit seinem ganzen Takelwerk anzuholen. Mittels starker Stützbalken am Hintertheile gelangt man dazu, ihn auf seinen früheren Stumpf wieder aufzusetzen, nachdem der Zimmermann diesen mit Zapfenlöchern versehen hat. Angelegte Wangen, welche durch eiserne Bänder und tüchtige Bolzen gehalten sind, sichern die Verbindung der beiden Bruchstücke.

Nachdem das geschehen, mustert man sorgfältig die Strickleitern und das Tauwerk, prüft die Stagen, wechselt einige Segel aus, ordnet die laufenden Seile, und so dürfen wir hoffen, mit aller Sicherheit segeln zu können.

Am Vorder- und Hintertheile des Schiffes giebt es viel Arbeit, denn das Oberdeck und die Mannschaftskajüte sind von den Flammen arg mitgenommen. Es ergiebt sich also die Nothwendigkeit, Alles wieder in Stand zu setzen, was natürlich einige Zeit und Mühe erfordert. An Zeit fehlt es nicht, an Mühe spart man nicht, und bald können wir in unsere Cabinen zurückkehren.

Erst am 8. kann die Entladung des Chancellor mit Aussicht auf Erfolg begonnen werden. Da die Baumwollenballen von dem Wasser, das bei der Fluth den ganzen Kielraum erfüllt, durchnäßt sind, bringt man über den Deckluken Krahnen an, und wir gehen der Mannschaft mit zur Hand, die schweren Ballen herauf zu winden, die sich zum größten Theile zerstört zeigen. Einer nach dem anderen wird auf die Jolle verladen und nach dem Riff geschafft.

Nach Löschung der obersten Schicht des Cargo wird es nothwendig, das Wasser aus dem Raume mindestens zum Theil auszupumpen. Das erfordert aber einen möglichst guten Verschluß des Leckes, welchen der Felsen in den Rumpf gestoßen hat. Eine schwere Arbeit; doch der Matrose Flaypol und der Hochbootsmann unternehmen diese mit dem lobenswerthesten Eifer. Zur Zeit der Ebbe ist es ihnen geglückt, unter die Steuerbordseite zu tauchen, und eine Kupferplatte über die Oeffnung zu nageln; da dieses Blech aber dem Drucke von außen schwerlich Widerstand zu leisten im Stande sein kann, wenn sich in Folge des Pumpens das Niveau im Inneren senkt, so versucht Robert Kurtis dasselbe durch Baumwollenballen, welche gegen die eingedrückten Planken gepreßt werden, zu unterstützen. Material ist ja genug vorhanden, und bald ist der Grund des Chancellor wie gepolstert mit jenen schweren und undurchdringlichen Ballen, welche die Widerstandsfähigkeit des Kupferbleches erhöhen sollen.

Das Verfahren des Kapitäns hatte den gewünschten Erfolg. Man erkennt es deutlich, seitdem die Pumpen in Thätigkeit sind, denn das Wasserniveau im Raume sinkt immer mehr, und die Leute setzen die Entladung rüstig fort.

»Es wird nun wahrscheinlich, sagt Robert Kurtis zu uns, daß wir bis zu der Havarie hinunter gelangen und sie vom Inneren aus wieder ausbessern können. Freilich wäre es gerathener, das Schiff zu kielholen, doch fehlen mir dazu die Hilfsmittel gänzlich. Ich würde mich davon auch durch die Befürchtung abhalten lassen, daß schlechtes Wetter einträte, während das Schiff auf der Seite läge. Nichts destoweniger glaube ich Ihnen versichern zu können, daß der Zugang des Wassers auf geeignete Weise verschlossen werden wird, und daß wir in nicht zu ferner Zeit und unter Verhältnissen, welche eine genügende Sicherheit garantiren, nach der nächsten Küste absegeln können.«

Nach zweitägiger Arbeit war das Wasser zum größten Theile ausgepumpt, und die Entladung der letzten Ballen des Cargo ging ohne Schwierigkeit von statten. Auch wir haben bei den Pumpen jetzt mit Hand anlegen müssen, um die Mannschaft abzulösen, und haben das gewissenhaft gethan. Trotz seiner Schwäche hat sich auch André Letourneur uns angeschlossen, und Jeder erfüllt seine Pflicht nach besten Kräften.

Doch das war eine anstrengende Arbeit; wir vermochten sie nicht lange fortzusetzen, ohne einmal auszuruhen. Die fortwährende auf- und abgehende Bewegung brach uns fast die Arme, und ich begreife recht wohl, daß die Matrosen sich gern von ihr wegzustehlen suchen. Wir befinden uns dabei noch unter günstigen Verhältnissen, da das Schiff auf festem Grunde liegt und unter unseren Füßen kein Abgrund gähnt. Wir vertheidigen jetzt nicht unser Leben gegen das anstürmende Meer und bekämpfen kein Wasser, welches ebenso wie es ausgeschöpft wird, immer wieder nachdringt! Gebe der Himmel, daß wir nie auf einem sinkenden Schiffe eine solche Prüfung auszuhalten haben.

XX.


XX.

Vom 15. bis 20. November. – Heute endlich hat man den Schiffsraum eingehender untersuchen können; endlich ist das Colli mit dem Pikrat ganz hinten an einer Stelle aufgefunden worden, welche das Feuer glücklicher Weise nicht erreicht hat. Das Colli zeigt sich unversehrt, nicht einmal durch das Wasser hat sein Inhalt Schaden genommen, und man bringt es an einem sicheren Platze an der Spitze des Eilandes unter. Warum es nicht sofort in’s Meer geworfen wurde? – Ich weiß es nicht; mit einem Worte; es ist nicht geschehen.

Robert Kurtis und Daoulas haben gelegentlich ihrer Untersuchung das Deck und seine Tragbalken minder zerstört gefunden, als man erwartete. Die intensive Hitze, der sie ausgesetzt gewesen sind, hat sie zwar verzogen, ohne sie tief anzunagen, und scheint sich die Wirkung des Feuers mehr gegen die Seiten des Schiffsrumpfes geäußert zu haben.

Wirklich sind die Weger auf eine große Strecke hin von den Flammen verzehrt; da und dort ragen die Köpfe verkohlter Holzpflöcke hervor, und leider ist das ganze Rippenwerk sehr tiefgehend ergriffen worden. Das Werg an den Stoßverbindungen und in den Fugen muß bald verbrannt gewesen sein, und man darf es als ein reines Wunder betrachten, daß das Fahrzeug sich nicht schon längst geöffnet hat.

Man muß zugeben, daß das mißliche Umstände sind. Die Beschädigungen sind thatsächlich so ernster Natur, daß Robert Kurtis, wenn er sich jetzt auf einer Insel und nicht auf einem, jeden Augenblick dem Wogenschwalle preisgegebenen Riffe befände, gar nicht zögern würde, das ganze Schiff zu demoliren, und daraus ein kleineres, aber verläßlicheres zu erbauen.

Robert Kurtis ist sich jedoch über die Situation völlig klar; er läßt uns Alle, Mannschaften und Passagiere, auf dem Deck des Chancellor zusammentreten.

»Meine Freunde, beginnt er, unsere Havarieen erweisen sich weit bedeutender, als sie vorher angenommen wurden, und ist der Rumpf des Schiffes ganz besonders schwer betroffen. Da uns einerseits jedes Mittel abgeht, jenen wieder zu repariren, und wir andererseits auf diesem Eilande, nur abhängig von der Gnade des Windes, keine Zeit haben, ein anderes Fahrzeug zu erbauen, so geht mein Vorschlag dahin: wir verstopfen den Leck so gut als nur möglich, und suchen den nächsten Hafen zu erreichen. Wir sind nur achthundert Meilen von der Küste von Paramaribo, das den nördlichen Theil des holländischen Guyana bildet, entfernt und können dort bei einigermaßen günstigem Winde schon in zehn bis zwölf Tagen eine Zuflucht finden!«

Wirklich war ja nichts Anderes zu thun; so wurde denn Robert Kurtis‘ Vorschlag einstimmig gebilligt.

Daoulas und seine Gehilfen bemühen sich nun, das Leck auch von Innen her zu verschließen, und verstärken die angekohlten Rippenpaare auf’s Beste. Trotz alledem leuchtet es ein, daß der Chancellor für eine längere Fahrt die nöthige Sicherheit nicht bietet und da er im ersten besten Hafen, den er anläuft, condemnirt werden wird.

Der Zimmermann kalfatert auch die äußeren Fugen der Verplankung, soweit diese während der Ebbe bloß gelegt wird; denjenigen Theil aber, der auch zu dieser Zeit unter Wasser bleibt, kann er nicht untersuchen und muß sich begnügen, denselben inwendig möglichst auszubessern.

Diese verschiedenen Arbeiten dauern bis zum 20. November; nun, nachdem man alles Mögliche gethan hat, das Schiff wieder in Stand zu setzen, beschließt Robert Kurtis, es wieder in tieferes Wasser zu bringen.

Es versteht sich von selbst, daß der Chancellor, seit der Entfernung der Frachtgüter und des Wassers aus dem Raume selbst, vor Eintritt der vollen Fluth sich schwimmend erhielt. Da man die Vorsicht gebraucht hatte, ihn an beiden Enden zu verankern, so wurde er nicht weiter auf die Klippe gehoben, sondern verblieb in dem kleinen natürlichen Bassin, das zur Rechten und zur Linken von Felsen begrenzt ist, die sich auch während des höchsten Standes der Fluth nicht mit Wasser bedecken. Das Bassin erweist sich auch geräumig genug, um das Schiff zu wenden, was mit Hilfe starker Taue leicht ausgeführt wird, so daß sein Vordertheil jetzt nach Süden zu gekehrt ist. Es erscheint demnach gar nicht so schwierig, den Chancellor ganz frei zu machen, entweder durch Aufhissen der Segel, wenn der Wind dazu günstig wäre, oder durch Schleppen desselben durch die Einfahrtsöffnung bei conträrer Luftströmung. Der Ausführung dieses Vorhabens stellen sich freilich Hindernisse anderer Art entgegen, die dabei zu überwinden sind.

Der Eingang der Durchfahrt ist nämlich durch eine quer vorliegende Basaltbarriere verschlossen, welche auch beim höchsten Stande der Fluth kaum so hoch mit Wasser überdeckt ist, als es der Tiefgang des Chancellor, trotz der möglichsten Entlastung desselben, erfordert. Wenn er vor seiner Strandung dennoch über diesen Felsengrath hinweg gekommen ist, so erklärt sich das, ich wiederhole es, dadurch, daß er von einer gewaltigen Welle emporgehoben und in das Bassin hinein geworfen wurde. Dazu kommt noch, daß an jenem Tage nicht die gewöhnliche beim Neumond eintretende, sondern die stärkste Hochfluth des Jahres war, und dauert es einige Monate, bis sich eine so hohe äquinoctiale Springfluth wiederholt.

Nun leuchtet es aber ein, daß Robert Kurtis nicht mehrere Monate lang warten kann. Heute ist Syzygien-Springfluth; er muß diese benutzen, um sein Schiff zu befreien; gelangt es erst bis über das Bassin hinaus, so soll es auf’s Neue so weit belastet werden, um Segel tragen und Fahrt machen zu können.

Glücklicher Weise weht ein erwünschter Nordostwind in der Richtung der Durchfahrt. Der Kapitän ist aber mit Recht zu vorsichtig, mit vollen Segeln gegen ein Hinderniß anzufahren, das ihn doch vielleicht aufhalten konnte, noch dazu mit einem Fahrzeuge, dessen Haltbarkeit jetzt so fraglich geworden ist. Nach einer Berathung mit dem Lieutenant Walter und dem Hochbootsmann entscheidet er sich dahin, den Chancellor zu schleppen. In Folge dessen wird unter seinem Hintertheile ein Anker eingelegt, um für den Fall des Mißlingens der Operation das Schiff nach dem Ankerplatze zurückwinden zu können. Zwei weitere Anker werden außerhalb der kaum zweihundert Fuß langen Durchfahrt auf den Grund gelassen. Die Ketten derselben legt man an die Spille, die Mannschaften begaben sich an die Drehbalken derselben und um vier Uhr Nachmittags setzt sich der Chancellor in Bewegung.

Um vier Uhr dreiundvierzig Minuten muß die Fluth am höchsten sein. Schon zehn Minuten vorher ist das Schiff so weit angeholt, als es sein Tiefgang gestattet; bald aber streifte der vordere Theil des Kiels die Felskante und mußte es anhalten.

Jetzt, wo der Vorderstern schon über das Hinderniß hinweg ist, hat Robert Kurtis keine Ursache mehr, die Kraft des Windes nicht der mechanischen Wirkung der Spille beizugesellen; man entfaltet also möglichst viele Segel und stellt sie rechtwinkelig gegen den Wind.

Jetzt gilt es! Die Fluth steht. Passagiere und Matrosen sind an den Balken der Spille. Robert Kurtis befindet sich auf dem Oberdeck zur Beobachtung der Segel, der Lieutenant auf dem Vordercastell, der Hochbootsmann am Steuer.

Der Chancellor erzittert von einigen Stößen, und ein wenig hebt ihn auch das zum Glücke ruhige Meer.

»Nun vorwärts, meine Freunde, ruft Robert Kurtis mit seiner ruhigen, Vertrauen erweckenden Stimme, jetzt mit vereinten Kräften – los!«

Die Balken der Spille werden in Bewegung gesetzt, daß das Holz ächzt, die angezogenen Ketten scharren und klirren in den Klüsen. Da erhebt sich etwas Wind, und weil das Schiff ihm nicht nachgeben und sich fortbewegen kann, biegen sich die Masten unter seinem Drucke. Wir gewinnen gegen zwanzig Fuß. Ein Matrose stimmt eines jener monotonen Lieder an, deren Rhythmus die Gleichzeitigkeit der Bewegungen sichert. Wir verdoppeln unsere Anstrengungen, der Chancellor erzittert …

Vergeblich; das Meer sinkt schon wieder. Wir kommen nicht hindurch.

Auf der schmalen Felskante kann aber das Schiff unmöglich gelassen werden, da es bei voller Ebbe zerbrechen müßte. Auf Befehl des Kapitäns werden die Segel schleunigst wieder eingezogen und der hinter uns versenkte Anker soll nun in Anspruch genommen werden. Kein Augenblick ist jetzt zu verlieren. Man dreht rückwärts, es sind Augenblicke der entsetzlichsten Angst … Doch, der Chancellor gleitet auf dem Kiele und gelangt in das Bassin, jetzt sein Gefängniß, zurück.

»Nun, Kapitän, fragt da der Hochbootsmann, wie werden wir durchkommen?

– Ich weiß es noch nicht, antwortet Robert Kurtis, aber wir müssen hindurch.«

III.


III.

Am 29. September. – Das Connossament des Kapitän Huntly, d. h. die Acte, in welcher die im Chancellor verladenen Waaren aufgeführt und die Frachtbedingungen festgestellt sind, lautet wörtlich folgendermaßen:

»Herren Bronsfield u. Co., Commissionäre, Charleston.

»Ich, John Silas Huntly aus Dundee (Schottland), Commandant des Schiffes Chancellor, neunhundert Tonnen Last, gegenwärtig in Charleston, um mit dem ersten günstigen Winde auf kürzestem Wege und unter dem Schutze Gottes abzufahren und bis vor die Stadt Liverpool zu segeln, – bekenne hiermit von den Herren Bronsfield u. Co., Handelscommissionären in Charleston, unter das sonst leere Oberdeck des erwähnten Schiffes siebenzehnhundert Ballen Baumwolle im Werthe von 26.000 Pfd. Sterl., Alles in gutem Zustande, markirt und numerirt laut Buch, angeliefert erhalten zu haben, welche Waaren ich, abgesehen von den Gefahren und Zufällen des Meeres, in bestem Zustande in Liverpool an die Herren Gebr. Leard oder deren Ordre abliefern und mich für meine Frachtspesen mit 2000 Pfd. Sterl., nicht mehr, laut Charterbrief bezahlt machen werde; Havarieschäden nach Seegebrauch und Herkommen. Zur Bekräftigung dieses habe ich verpflichtet und verpflichte hiermit meine Person, mein Vermögen und das genannte Fahrzeug mit allem Zubehör.

»Zu dem Zwecke habe ich drei gleichlautende Connossamente unterzeichnet und sollen nach Erledigung eines derselben die anderen null und nichtig sein.

»Geschehen zu Charleston, am 13. Sept. 1869. J. S. Huntly.«

Der Chancellor führt also 1700 Ballen Baumwolle nach Liverpool. Absender: Bronsfield & Co. in Charleston. Empfänger: Gebrüder Leard in Liverpool.

Da das Schiff eigens zum Baumwollentransport eingerichtet ist, so wurde die Ladung mit größter Sorgfalt verstaut. Bis auf einen kleinen für das Passagiergepäck freigelassenen Theil nehmen jene Ballen den ganzen Schiffsraum ein und bilden, da sie mittels Winden sehr fest verschnürt sind, nur eine äußerst compacte Masse. Kein Eckchen des unteren Raumes ist auf diese Weise unbenutzbar geblieben, ein günstiger Umstand für ein Schiff, welches dabei seine volle Waarenladung aufzunehmen vermag.