Dreizehntes Capitel.


Dreizehntes Capitel.

Durch den Transvaal.

In Potchefstrom hörten die vier Reisenden, daß ein junger Kaffer, dessen Personalbeschreibung auf Matakit vollkommen paßte, am Vortage durch die Stadt gekommen war. Das durfte als glückliches Vorzeichen für den Erfolg ihres Zuges angesehen werden. Dieser drohte freilich sich sehr in die Länge zu ziehen, weil der Flüchtling sich hier einen leichten zweirädrigen Wagen zugelegt hatte, der mit einem Strauße bespannt und aus diesem Grunde gewiß nur sehr schwer einzuholen war.

Es giebt nämlich wirklich keine besseren Läufer, als diese Thiere, und gleichzeitig keine ausdauernderen und schnelleren. Zum Ziehen brauchbare Strauße sind übrigens, selbst im Griqualand, etwas sehr seltenes, da sie sich nur schwierig abrichten lassen. Aus eben diesem Grunde konnten sich auch Cyprien und seine Genossen ein ähnliches Gefährt in Potchefstrom nicht zulegen.

Unter so günstigen Umständen – das war als ziemlich feststehend zu betrachten – eilte Matakit also auf dem Wege nach Norden hin, und das mit einem so schnellen Wagen, daß er zehn Wechselpferde außer Athem gebracht hätte.

Es blieb also nichts übrig, als der Versuch, ihm so schnell als möglich zu folgen. Freilich hatte der Flüchtling außer seinem nicht unbedeutenden Vorsprung auch noch den Vortheil einer Schnelligkeit, welche die, auf die seine Verfolger sich verwiesen sahen, weit übertraf.

Am Ende haben jedoch auch die Kräfte eines Straußes ihre Grenzen. Matakit mußte gelegentlich wohl oder übel einmal Rast machen und dabei vielleicht Zeit verlieren. Im schlimmsten Fall hoffte man ihn jedoch wenigstens am Ende seiner Fahrt zu erlangen.

Cyprien hatte bald Ursache, sich zu beglückwünschen, daß er Lî und Bardik mitgenommen, als es sich darum handelte, die für den Zug nöthige Ausrüstung zu besorgen. Es ist in solchen Fällen kein so leichtes Ding, diejenigen Dinge auszuwählen, welche in Wahrheit als nützlich zu bezeichnen sind. Die eigenen Erfahrungen in der Wüste vermag nichts zu ersetzen. Cyprien mochte noch so bewandert in der Differential- und Integral-Rechnung sein, vom Leben im Veld, von dem auf dem Trek oder »auf den Spuren der Wagenräder«, wie man da unten sich ausdrückt, verstand er nicht das A-B-C. Seine Gefährten schienen auch gar nicht geneigt, ihn mit Rath und That zu unterstützen, sondern zeigten vielmehr einen gewissen Hang, ihn irre zu führen.

Was den mit regensicherer Plane bedeckten Wagen, das Büffelgespann und den mitzunehmenden Proviant betraf, ging die Sache ziemlich leicht und glatt ab. Hierbei zwang schon das allgemeine Interesse diese verständig auszuwählen, und James Hilton besorgte das völlig tadellos; Eines und das Andere blieb aber doch der persönlichen Entscheidung jedes Einzelnen überlassen – zum Beispiel der Ankauf eines Pferdes.

Cyprien hatte sich beinahe auf dem Marktplatze für ein hübsches dreijähriges Thier entschieden, das ebenso voller Feuer schien, wie er es um mäßigen Preis erhalten sollte. Bei einem kurzen Proberitt erwies es sich als gut dressirt, und schon wollte er dem Käufer die ausbedungene Summe zahlen, als ihn Bardik bei Seite nahm und zu ihm sagte:

»Wie, Väterchen, dieses Pferd willst Du kaufen?

– Gewiß, Bardik! Es ist das schönste, welches ich je zu so niedrigem Preise gefunden habe.

– Das solltest Du nicht nehmen, selbst wenn man es Dir schenken wollte, sagte der junge Kaffer. Einer Reise durch den Transvaal würde dieses Pferd nicht acht Tage gewachsen sein.

– Was willst Du damit sagen? erwiderte Cyprien. Fällt es Dir jetzt etwa ein, mir gegenüber den Wahrsager zu spielen?

– Nein, Väterchen, aber Bardik kennt die Wüste, und versichert Dir, daß dieses Pferd nicht »gesalzen« ist.

– Nicht »gesalzen«? Willst Du mir einreden, daß ich ein Pferd aus dem Pöckelfasse kaufen soll?

– Nein, Väterchen; das bedeutet, daß es die Krankheit des Veld noch nicht durchgemacht hat. Die würde es unbedingt sehr bald bekommen, und wenn es nicht daran zu Grunde geht, würd‘ es Dir doch nichts mehr nützen können.

– Ah so, erwiderte Cyprien, betroffen von der Erklärung, die ihm sein Diener gab. Und worin besteht diese Krankheit?

– Sie tritt als hitziges, mit starkem Husten begleitetes Fieber auf, antwortete Bardik. Es ist unumgänglich nothwendig, nur Pferde zu kaufen, welche dasselbe schon durchgemacht haben – was man an deren äußerem Ansehen leicht erkennt – weil es nur sehr selten vorkommt, daß solche jener Krankheit zum zweiten Male verfallen.«

Einer solchen Aussicht gegenüber war kein Schwanken möglich. Cyprien unterbrach sofort die Kaufsverhandlungen und zog weitere Erkundigungen ein. Jedermann bestätigte ihm die Ansichten Bardik’s. Es war das eine im Lande so allbekannte Thatsache, daß man derselben gar nicht mehr zu erwähnen pflegte.

Als er sich hierdurch von seiner mangelnden Erfahrung überzeugt, wurde der junge Ingenieur klüger und sicherte sich die Mithilfe eines alten Thierarztes von Potchefstrom. Dank der Mitwirkung jenes Fachkenners gelang es ihm binnen wenigen Stunden, sich ein für eine solche Reise geeignetes Pferd zu verschaffen. Es war schon alt, von grauer Farbe, hatte eigentlich nur Haut und Knochen und besaß auch nur ein Ueberbleibsel von Schweif. Der Thierarzt bedurfte nur eines Blickes, um sich zu überzeugen, daß dieses Exemplar mindestens »gesalzen« war, und obwohl es einen etwas harten Gang hatte, war es offenbar im Ganzen weit mehr werth, als es äußerlich versprach. Templar – das war sein Name – genoß im Lande allgemein das Ansehen eines Pferdes von großer Leistungsfähigkeit, und auch Bardik, dessen Rath wohl gehört zu werden verdiente, erklärte sich nach Besichtigung desselben für vollkommen befriedigt.

Gerade er sollte übrigens mit der Führung des Wagens und des Büffelgespannes betraut werden, eine Function, in der sein Kamerad Lî ihn zu unterstützen bestimmt war.

Cyprien brauchte sich also nicht darum zu sorgen, weder den Einen noch den Anderen beritten zu machen, was er auch, nach Aufwendung des verhältnißmäßig hohen Preises für Anschaffung seines eigenen Pferdes, jetzt gar nicht im Stande gewesen wäre.

Die Frage der Beschaffung von Waffen war ebenfalls nicht so leichter Hand zu lösen. Cyprien hatte für sich Flinten gewählt, eine vortreffliche Martini-Henry-Büchse und einen Remington-Carabiner, welche sich zwar beide nicht durch besondere Eleganz auszeichneten, aber sicher schossen und leicht und genau zu laden waren.

Niemals hätte er jedoch, wenn ihn der Chinese nicht darauf aufmerksam machte, daran gedacht, sich mit einem Vorrathe von Sprenggeschossen zu versehen. Er hielt sich für hinreichend ausgerüstet, wenn er Pulver und Blei für fünf- bis sechshundert Schuß mitnahm, und war nicht wenig überrascht zu hören, daß viertausend Gewehrschüsse das Mindeste seien, was man bei einer Fahrt durch diese Gegend voll wilder Thiere und kaum weniger wilder Einwohner als nothwendig erachtete.

Cyprien mußte sich also noch zwei Revolver zu Sprengkugelschuß anschaffen und er vervollständigte seine Bewaffnung ferner durch den Ankauf eines vorzüglichen Jagdmessers oder Hirschfängers, der schon seit fünf Jahren im Schaufenster des Waffenhändlers in Potchefstrom geprangt hatte, ohne daß sich Jemand entschlossen hätte, denselben zu erwählen.

Wiederum war es Lî, der auf dieser Erwerbung bestand, indem er versicherte, daß sich kaum etwas nützlicher erweisen werde, als ein solches Messer. Die Sorgfalt, mit der er es sich später angelegen sein ließ, die kurze und breite Klinge desselben scharf und blank zu erhalten, bewies sein Vertrautsein mit blanken Waffen, welches er übrigens mit seinen Stammesgenossen im Allgemeinen theilte.

Ueberdies begleitete der berüchtigte rothe Kasten allezeit den vorsorglichen Chinesen. Er verwahrte darin neben einer Menge kleiner Kästchen und geheimnißvoller Ingredienzen etwa sechzig Meter jenes biegsamen und dünnen, aber stark gedrehten Strickes, den die Matrosen speciell Leine nennen. Und als er gefragt wurde, was er damit beginnen wolle, erklärte er:

»Nun, muß man denn in der Wüste nicht ebenso wie anderwärts gelegentlich eine Leine ziehen?«

Binnen wenigen Stunden waren alle Einkäufe abgemacht! Wasserdichte Tücher, wollene Decken, Speisegeschirr und Geräthe, reichlicher Mundvorrath in verlötheten Büchsen, Joche, Ketten, Zügel zum Wechseln u. s. w. füllten am hinteren Theile des Wagens das allgemeine Magazin, der mit Stroh ausgelegte vordere Theil sollte als Lagerstätte und Obdach für Cyprien und seine Reisegefährten dienen.

James Hilton hatte sich seines Auftrages sehr gut entledigt und schien mit großem Verständniß ausgewählt zu haben, was der Genossenschaft von Nöthen sein könnte. Er war aber auch auf seine Erfahrungen als Ansiedler nicht wenig stolz. So ließ er sich auch weit mehr durch das Gefühl seiner Ueberlegenheit in diesem Fache als durch kameradschaftliche Rücksichten bestimmt herbei, seine Geführten über die Sitten und Gebräuche des Veld aufzuklären.

Annibal Pantalacci freilich unterließ es nicht, ihn zu unterbrechen und ihm gelegentlich das Wort abzuschneiden.

»Welches Bedürfniß drängt sie, Ihre Kenntnisse auch dem Franzosen mitzutheilen? sagte er zu ihm leise. Liegt Ihnen denn gar so viel daran, daß gerade er den Preis erringt? An Ihrer Stelle würde ich, was ich weiß, allein für mich behalten und Niemand ein Wort davon hören lassen!«

James Hilton sah den Neapolitaner mit unverholener Verwunderung an.

»Das ist wirklich wahr, was Sie mir da sagen … sehr wahr! Ein solcher Gedanke war mir eben noch gar nicht gekommen!«

Cyprien hatte es nicht unterlassen, auch Friedel davon zu unterrichten, was er bezüglich der Pferde des Landes erfahren hatte, fand bei diesem aber kein Gehör; der Deutsche dagegen – unterließ es nicht sich mit Angelgeräthschaften auszustatten, da er behauptete, daß man des Wildes bald überdrüssig sein werde.

Nach Vollendung aller Vorbereitungen ging es nun fort, und die Caravane trat in der vorherbestimmten Ordnung zusammen.

Der von zwölf röthlichen und schwarzen Büffeln gezogene Wagen voran, unter der hohen Führung Bardik’s, der bald mit der langen Peitsche in der Hand neben den kräftigen Thieren herschritt, bald, um auszuruhen, den Vordertheil des Wagens bestieg. Dort auf seinem Sitze thronend, war er freilich den Stößen durch die unebene Straße stark ausgesetzt, schien sich daraus aber nicht viel zu machen, sondern war vielmehr entzückt von dieser Art der Beförderung! Die vier Reiter folgten nebeneinander dicht hinterher. Außer für den Fall, wo sie Veranlassung hatten, sich zu entfernen, um ein Rebhuhn zu schießen oder den Weg auszukundschaften, bildete Obiges die für eine lange Reihe von Tagen unveränderliche Zugordnung der kleinen Caravane.

Nach kurzer Ueberlegung wurde beschlossen, nächsten Weges nach der Quelle des Limpopo zu ziehen. In der That wies Alles darauf hin, daß Matakit auch dieser Richtung gefolgt sein werde. Er konnte übrigens eine andere gar nicht einschlagen, da es ihm darauf ankommen mußte, die britischen Besitzungen so bald als möglich im Rücken zu haben. Der Vortheil, den der Kaffer voraus hatte, bestand gleichzeitig in seiner gründlichen Landeskenntniß, wie in der Leichtigkeit seines Gefährts. So wußte er natürlich stets, wo er sich befand und wohin er sich auf nächstem Wege begab; in Folge seiner Bekanntschaft im Norden war er aber auch sicher, überall Unterstützung und Schutz, Nahrung und Unterkommen zu finden, sogar Helfershelfer, wenn sich das als nothwendig herausstellte. Und konnte man sicher sein, daß er seinen Einfluß auf die Eingebornen nicht benützte, um sich mit Gewalt Denen zu widersetzen, die ihm auf dem Fuße folgten und ihn vielleicht mit bewaffneter Hand anzugreifen drohten? Cyprien und seine Gefährten ersahen daraus mehr und mehr die Nothwendigkeit, sich zusammenzuhalten und bei dieser Expedition gegenseitig zu unterstützen, wenn sie überhaupt beabsichtigten, daß irgend einer von ihnen die Frucht von derselben einheimsen sollte.

Der Transvaal, der in der Richtung von Süden nach Norden durchzogen werden sollte, bildet ein sehr ausgedehntes Gebiet Südafrikas – von etwa dreißig Millionen Hektaren – das sich zwischen dem Vaal und dem Limpopo ausdehnt und westlich von den Drakenbergen, der englischen Colonie Natal, dem Lande der Zulus und den portugiesischen Besitzungen gelegen ist.

Vollkommen besiedelt von den Boers, das sind die früheren holländischen Bürger des Caps der Guten Hoffnung, welche sich hier binnen fünfzehn bis zwanzig Jahren zu einer landbauenden Bevölkerung von über hunderttausend Weißen vermehrt haben, erregte der Transvaal natürlich die Habgier Großbritanniens, welches das Land 1877 auch seinem Besitzstand hinzufügte. Die ungemein häufige Empörung der Boers, welche mit Aufgebot aller Mittel unabhängig bleiben wollen, läßt die Zukunft dieses schönen Landstriches noch immer in Ungewißheit. Es ist einer der lachendsten und fruchtbarsten von Afrika und gleichzeitig einer der gesündesten, und das erklärt wohl hinlänglich – wenn es sie auch nicht rechtfertigt – die Anziehung, welche dieses Gebiet auf die stets zu fürchtenden Nachbarn ausübt. Auch die Goldlager, welche hier entdeckt wurden, haben natürlich einen nicht minder großen Einfluß auf die politische Handlungsweise Englands gegenüber dem Transvaal gehabt.

Geographisch trennt man das Land, in Uebereinstimmung mit den Boers selbst, in drei Hauptregionen: Das Hochland oder Hooge-Veld, das Hügelland oder Banken-Veld und das Buschland oder Bush-Veld.

Das Hochland bildet den südlichsten Theil. Es besteht aus Gebirgsketten, die sich von den Drakenbergen nach Westen und Süden hin fortsetzen. Hier ist der eigentliche Minendistrict des Transvaal zu suchen und hier herrscht ein kaltes, trockenes Klima, etwa wie im Berner Oberland.

Das Hügelland ist speciell die Gegend des Landbaues. Im Norden des ersteren gelegen, beherbergt es in seinen tiefen, von zahlreichen Wasserläufen getrennten und von immergrünen Bäumen beschatteten Thälern den größten Theil der holländischen Bewohnerschaft.

Der Bush-Veld oder das Buschland, gleichzeitig das reichste Jagdgebiet, erstreckt sich dann in weiten Ebenen bis zu den Ufern des Limpopo nach Norden und grenzt im Westen an das Land der Betchuana-Kaffern.

Von Potchefstrom, das im Banken-Veld liegt, ausgehend, hatten die Reisenden erst in schräger Richtung den größten Theil dieses Gebietes zu durchziehen, bevor sie den Banken-Veld und von da, weiter im Norden, die Ufer des Limpopo erreichten.

Dieser erste Theil des Transvaal war natürlich am leichtesten zu bereisen. Hier befand man sich noch immer in halbcivilisirtem Lande. Die größten Schwierigkeiten und Unfälle beschränkten sich auf eine ziemlich morastige Straße und einen erkrankten Büffel. Wilde Enten, Rebhühner und Ziegen gab es längs des Weges in Menge, und die Flinten lieferten alltäglich den Bedarf für das Frühstück, wie für das Mittagsbrot. Die Nacht wurde gewöhnlich in einer Farm zugebracht, deren von dem übrigen Theil der Welt jährlich neun Monate abgeschlossene Bewohner die unerwartet ankommenden Gäste stets mit froher Herzlichkeit aufnehmen.

Gastfreundlich, zuvorkommend und uninteressirt erwiesen sich die Boers hier wie überall. Die Landessitte verlangt zwar, daß man ihnen für die Unterkunft der Menschen und Thiere eine Entschädigung anbietet, sie schlagen diese jedoch so gut wie immer aus und bestehen sogar noch meist darauf, daß der Fremde bei der Weiterreise von ihnen Mehl, Orangen und eingemachte Pfirsiche annimmt. Ueberläßt man ihnen dafür irgend einen für die Pferdezucht oder die Jagd anwendbaren Gegenstand, vielleicht eine Peitsche, eine Kinnkette oder einen Pulversack, so sind sie ganz entzückt darüber, so gering der eigentliche Werth desselben auch sein mochte.

Die braven Leute führen in ihren ausgedehnten Einöden ein stilles und friedlich verlaufendes Leben; sie ernähren sich ohne große Mühe mit ihren Familien von den Erzeugnissen, welche ihnen ihre Heerden liefern, und bebauen mit Hilfe von Kaffern und Hottentotten das Land, um ohne großen Aufwand Getreide und Gemüse in Hülle und Fülle zu ernten.

Ihre Häuser sind sehr einfach aus Lehm errichtet und mit dicken Strohdächern überdeckt. Macht der Regen einmal eine Bresche in die Mauern – was freilich zuweilen vorkommt – so haben sie das Heilmittel bei der Hand. Die ganze Familie beschäftigt sich damit, Lehm zu kneten, von dem ein großer Haufen hergestellt wird; dann nehmen Sohn und Tochter diesen handweise und eröffnen ein Bombardement auf die Bresche, welche in dieser Weise bald geschlossen wird.

Im Innern der Wohnung findet man kaum einige Möbel, höchstens Holzschemel, grobe Tische und Betten für erwachsene Personen; die Kinder nehmen mit einem Lager auf Schaffell vorlieb.

Trotzdem findet noch die Kunst eine Stätte unter diesen urwüchsigen Verhältnissen. Fast alle Boers sind musikalisch und spielen Geige oder Flöte. Sie tanzen mit wahrhafter Begeisterung und kennen weder Hindernisse noch Anstrengung, wenn es gilt – manchmal auf eine Entfernung von zwanzig Lieues – sich zu versammeln, um diesem Lieblingszeitvertreib obzuliegen.

Die Töchter des Landes sind sehr bescheiden und sehen in der schmucken holländischen Bauerntracht oft sehr hübsch aus. Sie treten sehr zeitig in die Ehe, bringen ihren Gatten aber nichts anders mit, als ein Dutzend Ochsen oder Ziegen, einen Karren oder einen anderen Schatz dieser Art. Der Ehemann übernimmt die Einrichtung des Wohnhauses, besorgt die Urbarmachung mehrerer Morgen Landes in der nächsten Umgebung, und damit ist der neue Hausstand gegründet.

Die Boers werden sehr alt, und nirgends auf der Erde begegnet man soviel Hundertjährigen wie hier.

Eine eigenthümliche und bisher unaufgeklärte Erscheinung ist die Fettsucht, welcher fast Alle im reiferen Alter verfallen, und die bei ihnen ganz erstaunliche Grade erreicht. Sie sind übrigens von sehr hohem Wuchse, und das trifft ebenso bei den Ansiedlern von französischem Ursprung, wie bei denen von deutscher oder holländischer Abstammung zu.

Die Reise ging inzwischen ohne Unfall von Statten. Nur selten erhielt die Expedition in jeder Farm, wo sie des Abends einkehrte, keine weiteren Nachrichten über Matakit. Ueberall war er, von seinem Strauße schnell dahingezogen, anfänglich zwei oder drei, später fünf bis sechs, endlich sieben bis acht Tage vorher durchgekommen. Offenbar also waren sie auf seiner Spur; aber ebenso offenbar gewann er täglich mehr Vorsprung gegen Die, welche auf seine Einholung ausgezogen waren.

Die vier Verfolger betrachteten es nichtsdestoweniger als ausgemacht, daß sie ihn erlangen würden. Der Flüchtling mußte ja schließlich Halt machen. Seine Gefangennahme erschien also lediglich als eine Frage der Zeit.

Cyprien und seine Genossen machten sich also darum auch keine besondere Sorge, sondern fingen im Gegentheil an, sich allmählich ihren Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben.

Der junge Ingenieur suchte Steinproben, Friedel botanisirte und behauptete, er vermöge die Eigenschaften der von ihm gesammelten Pflanzen schon aus deren äußeren Erscheinung zu erkennen. Annibal Pantalacci machte sich rücksichtslos lustig auf Kosten Bardik’s oder Lî’s, und bemühte sich, für seine schlechten Späße dadurch Verzeihung zu erhalten, daß er auf den Haltestellen meist vorzügliche Maccaronis zubereitete. James Hilton übernahm es, die Caravane mit eßbarem Wild zu versehen, und es verging kaum ein halber Tag, ohne daß er ein Dutzend Rebhühner, Wachteln in Ueberfluß und zuweilen einen Eber oder eine Antilope erlegte.

Etappe nach Etappe gelangte man auf diese Weise nach dem Bush-Veld. Bald wurden nun die Farmen immer seltener und hörten endlich ganz auf. Man hatte die äußersten Grenzen der Civilisation erreicht.

Von hier aus mußte man nun jeden Abend selbst ein Lager zurecht machen und ein großes Feuer anzünden, rings um welches Menschen und Thiere sich niederstreckten, um zu schlafen, wobei natürlich immer Einer oder der Andere auf die Umgebung Acht haben mußte.

Die Landschaft hatte schon ein mehr und mehr wildes Aussehen angenommen. Ebenen mit gelblichem Sande, Dickichte mit Dornengebüsch, dann und wann ein von Sümpfen umgebener Bach traten jetzt an die Stelle der grünen Thäler des Banken-Veld. Manchmal mußte auch ein Umweg eingeschlagen werden, um einen wirklichen Wald von »thorn trees« oder Dornenbäumen zu umgehen. Es sind das nämlich Gesträuche von drei bis fünf Meter Höhe mit ungemein vielen wagrecht stehenden Aesten, welche zahlreiche zwei bis vier Zoll lange, harte und dolchähnliche spitze Dornen tragen.

Diese äußere Zone des Bush-Veld, welche gewöhnlich mit dem Namen Lion-Veld oder Löwen-Veld bezeichnet wird, schien kaum ihrem schlimmen Namen zu entsprechen, denn auch nach drei- bis viertägiger Reise hatte sich noch keines dieser furchtbaren Raubthiere sehen lassen.

»Das beruht ohne Zweifel nur auf Überlieferungen, sagte sich Cyprien, und die Löwen werden weiter nach der Wüste zurückgewichen sein!«

Als er diesem Gedanken aber James Hilton gegenüber Worte verlieh, fing dieser geradewegs an zu lachen.

»Sie meinen, daß es hier keine Löwen gäbe? sagte er; das kommt einfach daher, daß Sie dieselben nicht zu sehen verstehen!

– Sehr schön, einen Löwen inmitten einer nackten Ebene nicht einmal zu sehen! erwiderte Cyprien in etwas ironischem Tone.

– Nun, ich wette um zehn Pfund, erklärte James Hilton, daß ich Ihnen vor Ablauf einer Stunde noch einen zeige, den Sie nicht vorher gesehen hatten.

– Ich wette aus Princip niemals, antwortete Cyprien, aber es würde mich sehr freuen, meine Erfahrungen zu erweitern.«

Man zog noch fünfundzwanzig bis dreißig Minuten weiter, ohne daß Jemand an die Löwen gedacht hätte, als James Hilton plötzlich rief:

»Meine Herren, betrachten Sie dort den Ameisenbau, der sich da unten zur Rechten erhebt.

– Das ist ‚was Rechtes! meinte Friedel. Seit zwei bis drei Tagen sehen wir gar nichts Anderes!«

Im Bush-Veld giebt es in der That kaum eine häufigere Erscheinung als diese großen Haufen von gelbem Lehm, welche von zahllosen Ameisen zusammengetragen sind und in größerer Entfernung abwechselnd mit einigem Buschwerk oder einer Gruppe magerer Mimosen die Einförmigkeit dieser weiten Ebenen unterbrechen.

James Hilton lachte für sich.

»Herr Méré, wenn Sie sich ein wenig in Galopp setzen wollen, um sich jenem Ameisenbau zu nähern – da, am Ende meines Fingers – so verspreche ich Ihnen, daß Sie, was Sie wünschten, zu sehen bekommen werden. Gehen Sie aber nicht zu nahe heran, denn die Sache könnte schlecht ablaufen.«

Cyprien gab seinem Pferde beide Sporen und ritt schnell nach dem Hügel zu, den ihm James Hilton als einen Ameisenbau bezeichnet hatte.

»Da nistet natürlich eine Löwenfamilie! sagte er, als Cyprien sich entfernt hatte. Ich setze gleich Eins gegen Zehn, daß jene gelben Haufen, die er für Ameisenbauten hält, nichts anderes sind.

– Per Bacco! Da hätten Sie freilich alle Ursache gehabt, ihm jede Annäherung zu Widerrathen!«

Als er aber bemerkte, daß Bardik und Lî ihn hörten, gab er seinen Worten eine andere Wendung.

»Der Frenchman wird einen schönen Schreck haben und uns viel zu lachen geben.«

Der Neapolitaner täuschte sich. Cyprien war nicht der Mann dazu, gleich »einen schönen Schreck zu haben«, wie er sagte. Zweihundert Schritt vor dem ihm gewiesenen Ziele erkannte er, um welch‘ schreckliches Ameisennest es sich hier handelte. Dasselbe entpuppte sich nämlich als ein ungeheurer Löwe, eine Löwin und drei junge Löwen, welche im Kreise an der Erde lagen und friedlich in der Sonne schliefen. Bei den Hufschlägen Templars öffnete der Löwe die Augen, erhob den gewaltigen Kopf, gähnte, wobei er zwischen zwei Reihen ungeheurer Zähne einen Rachen zeigte, in dem ein zehnjähriges Kind hätte mit Haut und Haar verschwinden können. Dann starrte er den Reiter an, der bis auf zwanzig Schritte an ihn herangekommen war.

Zum Glück mochte die Bestie keinen Hunger haben, sonst wäre sie nicht so gleichgiltig geblieben.

Cyprien hielt schon die Hand am Carabiner und wartete zwei bis drei Minuten, was seine Majestät der Löwe zu thun beschließen würde. Da er sich aber überzeugte, daß dieser keine Lust zum Beginn von Feindseligkeiten zu haben schien, fühlte auch er sich nicht aufgelegt, das Glück dieser interessanten Familie zu stören, sondern warf sein Pferd herum und sprengte mit verhängtem Zügel wieder seinen Genossen entgegen.

In gezwungener Anerkennung seiner Kaltblütigkeit und bewiesenen Muthes, empfingen ihn diese mit lauten Beifallsrufen.

»Ich würde meine Wette verloren haben, Herr Hilton,« gab Cyprien darauf allein Antwort.

Am nämlichen Abend gelangte man noch so weit, um am Ufer des Limpopo selbst zu rasten. Obwohl James Hilton ihm davon abrieth, bestand doch Friedel darauf, heute eine Schüssel Fische zu fangen.

»Das ist höchst ungesund, Kamerad! sagte dieser. Vergessen Sie niemals, daß es im Bush-Veld nicht rathsam ist, weder am Ufer der Flüsse zu verweilen, noch …

– Bah! Bah! Ich habe schon manchen Anderen angeln sehen! antwortete der Deutsche mit der seiner Nation eigenthümlichen Hartnäckigkeit.

– Oho, meinte Annibal Pantalacci, was kann wohl Schlimmes dabei sein, eine oder zwei Stunden am Wasserrande zu sitzen? Habe ich nicht auf der Entenjagd, durchnäßt bis zu den Achseln, halbe Tage lang so ausharren müssen?

– Das ist nicht ganz dieselbe Sache! erwiderte James Hilton.

– Ah was, es ist doch alles Eins! … entgegnete der Neapolitaner. Mein lieber Hilton, Sie thäten weit besser, den Kasten mit dem Käse zu meinen Maccaronis zu holen, als daß Sie unseren Kameraden abhalten wollen, eine Schüssel Fische zu fangen. Das wird unserem Speisezettel eine wünschenswerthe Abwechslung verleihen!«

Ohne noch Lehre anzunehmen, ging Friede! weg und trieb seine Angelei so lange fort, daß es schon völlig Nacht war, als er nach dem Lagerplatz zurückkehrte.

Der starrköpfige Angler schmauste mit bestem Appetit, ließ sich ebenso wie die Anderen die gefangenen Fische vortrefflich munden, aber er klagte schon über heftiges Frösteln, als er sich am Wege neben seinen Kameraden zur Ruhe niederlegte.

Mit Anbruch des folgenden Tages, als sich Alle zur Weiterreise rüsteten, war Friedel die Beute eines hitzigen Fiebers und unmöglich im Stande, ein Pferd zu besteigen. Er verlangte nichtsdestoweniger, daß man ohne Zögern aufbrechen möge, da er sich auf dem Stroh im Wagen ganz wohl befinden werde. Man that also, wie er wünschte.

Zu Mittag begann er zu deliriren.

Um drei Uhr war er verschieden.

Seine Krankheit bestand in einem Sumpffieber der gefährlichsten Art.

Angesichts dieses plötzlichen Endes konnte Cyprien sich nicht enthalten, zu denken, daß Annibal Pantalucci durch seine schlechten Rathschläge bei diesem Vorfalle eine schwere Verantwortlichkeit auf sich geladen habe. Außer ihm schien freilich Niemand daran zu denken.

»Sie sehen, wie sehr ich Recht hatte, daß man bei anbrechender Nacht nicht am Flußufer verweilen soll!« begnügte sich James Hilton mit philosophischer Gelassenheit zu wiederholen.

Die Gesellschaft machte kurze Zeit Halt, um den Leichnam, der doch nicht den wilden Thieren preisgegeben werden sollte, zu beerdigen.

Er war ein Rivale, fast ein Feind, und doch fühlte Cyprien sich tief erregt, als er ihm die letzten Ehren erwies. Der Anblick des Todes, der ja immer ein erhabener und feierlicher ist, scheint inmitten der Wüste nur noch eindrucksvoller zu werden. Allein im Angesichte der Natur, erkennt der Mensch noch deutlicher dieses unvermeidliche Ende. Fern von seiner Familie, fern von Allen, die er liebt, fliegt sein Gedanke desto sehnlicher zu ihnen. Er sagt sich, daß morgen vielleicht auch er auf der unendlichen Ebene umsinkt, um sich nicht wieder zu erheben, daß auch er einen Fuß tief unter dem Sande vergraben werde, daß ein nackter Stein die Stelle bezeichnet, und daß ihm auf dem letzten Wege weder die Thränen einer Mutter oder Schwester, noch die Klagen eines Freundes das Geleit geben werden. Und indem er einen Theil des Mitgefühls, welches er für das Loos seines Kameraden empfindet, auf seine eigene Lage überträgt, erscheint es ihm, als ob ein Stück von ihm selbst in dem einfachen Grabe bestattet worden wäre.

Schon an dem, dieser traurigen Feierlichkeit folgenden Tage wurde auch Friedel’s Pferd, das an den Wagen gebunden worden war, von dem Veld-Fieber befallen, und mußte seinem Schicksale überlassen werden.

Das arme Thier hatte seinen Herrn nur um wenige Tage überlebt.

Vierzehntes Capitel.


Vierzehntes Capitel.

Im Norden des Limpopo.

Drei volle Tage verstrichen mit Nachsuchungen und Sondirungen, ehe sich eine Furth im Bette des Limpopo fand. Es war noch immer zweifelhaft, ob man eine solche entdeckt habe, als einige Macalaccas-Kaffern, welche am Ufer des Flusses umherschweiften, sich erboten, die Expedition zu führen.

Diese Kaffern sind arme Teufel, welche die herrschende Race der Betchuanas als Sclaven betrachtet, sie ohne jede Entschädigung zur härtesten Arbeit zwingt, fast unmenschlich behandelt, und denen Jene noch obendrein bei Todesstrafe verbieten, jemals Fleisch zu essen. Die unglücklichen Macalaccas dürfen zwar alles Wild, welches sie antreffen, nach Belieben erlegen, aber nur unter der Bedingung, daß sie es ihren Herren und Meistern abliefern. Diese aber ließen Jenen nur die Eingeweide liegen, etwa so wie die europäischen Jäger gegenüber ihren Hunden verfahren.

Ein Macalacca besitzt keinerlei Eigenthum, nicht einmal eine Hütte oder eine Kürbisflasche. Er geht so gut wie ganz nackt umher, ist ganz mager, fleischlos und trägt als Gürtel nur einige Büffeldärme, die man aus der Ferne leicht für Blutwürste ansehen könnte, welche in Wirklichkeit aber nichts sind, als sehr urwüchsige Schläuche, in denen sich sein Wasservorrath befindet.

Bardik’s vortreffliche Anlagen zum Handel zeigten sich hier sehr schnell in der Art und Weise, wie er aus diesen Unglücklichen das Geständniß herauszupressen verstand, daß dieselben trotz ihres Elends einige Straußfedern besaßen, welche in einem benachbarten Dickicht sorgfältig versteckt waren. Er schlug ihnen sofort vor, diese zu kaufen, und kam mit ihnen überein, sich noch am nämlichen Abend zu treffen.

»Du hast demnach Geld, um sie dafür zu entschädigen?« fragte Cyprien erstaunt.

Bardik lachte laut auf und zeigte ihm eine Hand voll kupferner Knöpfe, welche er im Laufe von einem oder zwei Monaten gesammelt hatte und die er in einem Leinwandbeutel bei sich trug.

»Das ist aber keine giltige Münze, erklärte ihm Cyprien, und ich kann nicht dulden, daß Du jene armen Leute mit ein paar Dutzend alter Knöpfe bezahlst!«

Es war jedoch unmöglich, Bardik verständlich zu machen, warum sein Vorhaben ein nicht ganz ehrenhaftes wäre.

»Wenn die Macalaccas meine Knöpfe im Austausch gegen ihre Federn annehmen, wer könnte da etwas dagegen einzuwenden haben? antwortete er. Sie wissen doch recht gut, daß Jenen die Federn nichts als das Einsammeln gekostet haben. Ja, sie haben nicht einmal das Recht, solche zu besitzen, und dürfen sie auch nur ganz unter der Hand sehen lassen. Ein Knopf dagegen ist ein nützlich‘ Ding, nützlicher als eine Straußfeder. Warum sollte es also verboten sein, ein oder zwei Dutzend solcher im Austausch gegen eben so viele Straußfedern anzubieten?«

Diese Beweisführung war zwar eigenthümlich, aber doch nicht durchschlagend, der junge Kaffer übersah eben, daß die Macalaccas seine Knöpfe nicht entgegennahmen, um von denselben den gewöhnlichen Gebrauch zu machen, da sie ja so wie so keine Kleidungsstücke trugen, sondern weil sie diesen runden Metallstücken, welche gemünztem Gelde ähnlich sahen, einen gewissen Werth beilegten. Es blieb also im Grunde immer ein reiner Betrug.

Cyprien mußte freilich erkennen, daß der Unterschied zu fein sei, um von dem Verstande eines Halbwilden, der beim Handeln stets ein sehr weites Gewissen hat, begriffen zu werden, und er ließ seinen Diener also thun, was dieser wollte.

Am Abend bei Fackelschein wurde die Handelsoperation Bardik’s vollends abgeschlossen. Die Macalaccas hatten offenbar eine geheime Furcht, von ihrem Abkäufer übervortheilt zu werden, denn sie begnügten sich nicht mit dem von den Weißen angezündeten Feuer, sondern brachten Körbe mit Mais zur Stelle, die sie, nachdem dieselben in die Erde versenkt waren, in Brand setzten.

Die Eingebornen holten darauf die Straußfedern hervor und gingen dann daran, Bardik’s Knöpfe einer genauen Prüfung zu unterziehen.

Da kam es unter ihnen zu einem, von lebhaften Bewegungen und lautem Geschrei begleiteten Streite über die Natur und den Werth der runden Metallscheibchen.

Niemand verstand ein Wort von dem, was sie in ihrer sehr unartikulirten Sprache sagten, dagegen konnte man aus den erhitzten Gesichtern, den sprechenden Grimassen und dem auflodernden Zorn sehen, daß die Angelegenheit für sie von sehr großer Bedeutung sein müsse.

Plötzlich wurde diese stürmische Verhandlung durch eine unerwartete Erscheinung unterbrochen.

Ein hochgewachsener Neger mit komischer Würde, bekleidet mit einem alten Mantel aus rothem Baumwollenstoff, die Stirn verziert mit dem eigenthümlichen Diadem aus Schafdärmen, welches die Kaffernkrieger gewöhnlich tragen – trat aus dem Dickicht, vor welchem diese Verhandlung stattfand. Dann fiel er mit kräftigen Stockschlägen über die auf frischer That ertappten Macalaccas her, welche er bei einer verbotenen Operation ertappt hatte.

»Lopepe! … Lopepe! …« riefen die unglücklichen Wilden, die sich wie eine Bande Ratten nach allen Richtungen zerstreuten.

Ein Kreis von Kriegern aber, welche plötzlich aus allen benachbarten Büschen auftauchten, zog sich um sie zusammen und vertrat ihnen den Weg.

Lopepe ließ sich sofort die Knöpfe einhändigen, betrachtete sie aufmerksam beim Scheine des brennenden Maises und steckte sie mit sichtbarer Befriedigung in seine Ledertasche.

Dann ging er auf Bardik zu, dem er die schon übergebenen Straußfedern aus der Hand nahm, und ließ diese ebenso verschwinden, wie er es mit den Knöpfen gemacht hatte.

Die Weißen waren bisher passive Zuschauer dieses Auftrittes gewesen und wußten auch nicht, ob es rathsam sei, sich dabei einzumischen, als Lopepe diese Schwierigkeit wegräumte, indem er auf sie zukam. In befehlerischem Tone richtete er dann an diese eine lange Ansprache, welche natürlich Keiner von ihnen verstand. Nur James Hilton, der einige Worte der Betchuana-Sprache kannte, gelang es, wenigstens den allgemeinen Sinn dieser Ansprache zu fassen, den er seinen Begleitern verdolmetschte. In der Hauptsache lief das darauf hinaus, daß der Häuptling sich bitter beklagte, daß man Bardik gestattet habe, mit den Macalaccas einen Handel anzufangen, da diese ja nichts Eigenthümliches besitzen dürften.

Zum Schlusse erklärte er die weggenommene Waare als Contrebande und legte den Weißen die Frage vor, was sie von ihrer Seite zu sagen hätten.

Unter diesen herrschte hierüber eine ziemlich getheilte Ansicht. Annibal Pantalacci wollte sofort nachgegeben wissen, um mit dem Betchuana-Hänptling nicht in Mißhelligkeiten zu gerathen. James Hilton und Cyprien fürchteten, so sehr sie die Rechtmäßigkeit des Verfahrens dieses Wilden anerkannten, doch durch zu große Nachgiebigkeit nur die Unverschämtheit Lopepe’s zu steigern, und vielleicht, wenn er seine Forderungen zu hoch schraubte, einen Streit unvermeidlich zu machen.

Nach kurzer Berathung wurde dann beschlossen, daß der Betchuana-Häuptling die Knöpfe behalten, die Federn aber wieder herausgeben sollte.

Das gab ihm James Hilton halb durch Gesten, halb mit Hilfe einiger kafferischer Worte zu verstehen.

Lopepe nahm zuerst eine diplomatische Miene an und schien zu zögern. Die Mündungen der europäischen Gewehre, welche er im Halbdunkel schimmern sah, brachten ihn aber doch bald auf andere Gedanken, und er lieferte die Federn aus.

Von nun an zeigte sich der wirklich intelligente Häuptling weit zugänglicher. Er bot den drei Weißen ebenso wie Bardik und Lî eine Prise aus seiner großen Dose an und setzte sich an der Lagerstelle nieder. Ein Glas Branntwein, das ihm der Neapolitaner reichte, brachte ihn vollends in gute Laune, und als er sich dann nach anderthalbstündigem Verweilen, welches unter ziemlich vollkommenem Stillschweigen verlaufen war, erhob, lud er die Caravane für den folgenden Tag zu einem Besuche in seinem Kraal ein.

Man sagte ihm das zu, und nach Auswechslung eines Händedrucks zog Lopepe sich majestätisch zurück.

Bald nach seinem Aufbruche hatten sich Alle niedergelegt, mit Ausnahme Cypriens, der, nachdem er sich in seine Decke gehüllt, träumerisch die Sterne betrachtete.

Es war eine mondlose Nacht, in der die Sterne desto glänzender blinkten. Das Feuer erlosch allmählich, ohne daß der junge Ingenieur darauf achtete.

Er gedachte der Seinigen, welche in diesem Augenblick gewiß nicht ahnten, welch‘ seltsames Abenteuer ihn hier in die Wüste Südafrikas verschlagen hatte, an die reizende Alice, welche vielleicht auch nach den Sternen aufschaute, und an Alle, die seinem Herzen theuer waren. Als er sich so in süße Träume versenkte, welchen die Todtenstille der Ebene noch einen poetischeren Hauch verlieh, fing er an halb einzuschlummern. Da vernahm er plötzlich auffallende Tritte und bemerkte, daß die für die Nacht leicht eingehegten Zugthiere unruhig wurden und aufsprangen.

Cyprien glaubte dann im Schatten eine niedrigere, gedrungenere Gestalt als die der Büffel zu erkennen, welche ohne Zweifel die Veranlassung zu dieser Erregung war. Ohne lange zu überlegen, was das sein könnte, ergriff Cyprien eine Peitsche, die ihm zur Hand lag, und ging unerschrocken auf das Lager der Thiere zu.

Er hatte sich nicht getäuscht. Fast inmitten der Büffel befand sich hier ein Thier, welches den Schlaf der ersteren gestört hatte.

Selbst nur halb munter und ohne groß nachzudenken, um was es sich handeln könne, versetzte er dem Eindringling auf’s Geradewohl einen Hieb über die Schnauze.

Auf diesen Angriff antwortete sofort ein furchtbares Brüllen! …

Es war ein Löwe, den der junge Ingenieur eben wie ein einfaches Kaninchen behandelt hatte.

Kaum gewann er aber Zeit, die Hand an einen der Revolver zu legen, die er stets im Gürtel trug, und rasch zur Seite zu springen, als das Thier, welches zuerst auf ihn zugestürzt war, ohne ihn zu erreichen, von Neuem auf seinen ausgestreckten Arm losgesprungen kam.

Cyprien fühlte, wie die scharfen Krallen ihm in’s Fleisch eindrangen, und rollte mit dem furchtbaren Raubthiere in den Staub. Plötzlich krachte ein Schuß; der Körper des Löwen wand sich in schmerzlichen Zuckungen, streckte sich dann aus und lag bewegungslos neben ihm.

Mit der noch freigegebenen Hand hatte Cyprien, ohne seine Kaltblütigkeit zu verlieren, dem Raubthier seinen Revolver in’s Ohr abgefeuert, und eine Sprengkugel hatte diesem den Kopf zerschmettert.

Inzwischen kamen die durch das Gebrüll und den Schuß wachgewordenen Schläfer nach dem Kampfplatze. Man befreite Cyprien von dem noch zum Theil über ihm liegenden gewaltigen Thiere und untersuchte seine Wunden, welche sich zum Glück nicht als ernsthaft erwiesen. Lî verband ihm dieselben mit in Branntwein getauchter Leinwand, im Wagen wurde ihm der bequemste Platz eingeräumt und bald darauf schliefen Alle wieder, während Bardik Wache hielt, wozu er sich bis zum anbrechenden Morgen erboten hatte.

Kaum graute der Tag, als die Stimme James Hilton’s, der seine Gefährten zu Hilfe rief, diesen wieder einen neuen Unfall verkündete. James Hilton hatte ganz angekleidet im Vordertheil des Wagens gelegen, und stieß jetzt seine Worte im Tone des größten Entsetzens hervor, ohne jedoch eine eigene Bewegung zu wagen.

»Um mein rechtes Knie hat sich eine Schlange gewickelt, unter dem Beinkleid! sagte er. Sprecht nicht zu laut oder ich bin verloren. Seht aber zu, was etwa zu thun ist!«

Seine Augen hatten sich vor Schreck übernatürlich erweitert, und das Gesicht war todtenbleich. In der Gegend seines rechten Knies bemerkte man wirklich unter der blauen Leinwand der Kleidung die Anwesenheit eines fremden Körpers – einer Art um das Bein geschlungenen Kabels. Die Lage war offenbar ernsthaft. Wie James Hilton sagte, konnte die Schlange bei der ersten Bewegung, die er vornahm, ihn beißen.

Inmitten dieser Angst und allgemeinen Unentschlossenheit übernahm es aber Bardik, der Sache ein Ende zu machen. Nachdem er den Hirschfänger seines Herrn ergriffen, näherte er sich James Hilton mit kaum bemerkbarer Bewegung, dann brachte er die Augen etwa in das gleiche Niveau mit der Schlange und schien einige Secunden die Lage des Reptils genau zu studiren. Ohne Zweifel suchte er zu erkennen, wo sich der Kopf des Thieres befinden möge.

Plötzlich erhob er sich mit rascher Bewegung, schlug mit kräftigem Arm zu, und der blanke Stahl traf mit kurzem Schlage das Knie James Hilton’s.

»Sie können die Schlange abschütteln. Sie ist todt!« sagte Bardik, welcher lächelnd alle Zähne zeigte.

James Hilton gehorchte maschinenmäßig und schüttelte das Bein … das Reptil fiel zu seinen Füßen nieder.

Es war eine schwarze Viper von kaum einem halben Zoll Durchmesser, aber eine, deren geringster Biß den Tod hätte zur Folge haben müssen. Der junge Kaffer hatte dieselbe mit wunderbarer Geschicklichkeit geköpft. Das Beinkleid James Hilton’s zeigte einen Schnitt vom kaum sechs Centimeter Länge und seine Oberhaut war nicht einmal geritzt.

Auffallender Weise – und Cyprien empörte das ordentlich – schien es James Hilton gar nicht in den Sinn zu kommen, seinem Retter zu danken. Jetzt, wo er der Gefahr entronnen war, hielt er diese Intervention für völlig natürlich. Ihm konnte der Gedanke gar nicht kommen, die schwarze Hand eines Kaffern zu ergreifen und diesem ein »Ich danke!« zu sagen.

»Ihr Hirschfänger hat wirklich eine gute Schneide!« bemerkte er einfach, während Bardik diesen wieder in die Scheide steckte, ohne dem, was er gethan, selbst eine besondere Bedeutung zuzumessen.

Das Frühstück hatte bald die Eindrücke dieser verhängnißvollen Nacht verwischt. Es bestand heute nur aus einem einzigen, in Butter gebratenen Straußenei, welches jedoch vollkommen hinreichte, den Hunger der fünf Genossen zu stillen.

Cyprien bekam ein leichtes Fieber und hatte auch von seinen Wunden ein wenig zu leiden. Dennoch bestand er darauf, Annibal Pantalacci und James Hilton nach dem Kraal Lopepe’s zu begleiten. Das Lager wurde also der Obhut Bardik’s und Lî’s anvertraut, welche es unternommen hatten, dem Löwen das Fell abzuziehen. Dieser war übrigens ein ungeheures Exemplar jener Art, welche man als Löwen mit Hundeschnauze bezeichnet. Die drei Reiter begaben sich also allein auf den Weg.

Der Betchuana erwartete sie, umgeben von seinen Kriegern, am Eingang seines Kraals. Hinter diesen hatten sich in zweiter Reihe die Frauen und Kinder neugierig angesammelt, um die Fremden zu betrachten. Einige dieser schwarzen Hausfrauen trugen jedoch eine merkwürdige Gleichgiltigkeit zur Schau. Vor ihren halbkugelförmigen Hütten kauernd, fuhren sie ungestört in ihrer Arbeit fort. Zwei oder drei von ihnen spannen Fäden aus langen Grasfasern, welche sie dann zu einem Strick zusammendrehten.

Der allgemeine Eindruck des Ganzen war ein sehr erbärmlicher, obwohl die Hütten ziemlich gut gebaut schienen. Diejenige Lopepe’s, welche größer als die anderen und im Inneren mit Strohmatten ausgeschlagen war, erhob sich ziemlich in der Mitte des Kraals. Da hinein führte der Häuptling seine Gäste, wies ihnen drei Schemel an und setzte sich selbst vor sie hin, während seine Leibgarde sich im Halbkreise hinter ihm aufstellte.

Zunächst begann nun der Austausch der gewöhnlichen Redensarten. Die Gebräuche dabei beschränkten sich hier jedoch darauf, eine Tasse eines gegohrenen Getränks zu genießen, das der Gastgeber übrigens selbst erzeugt hatte; um den Beweis zu geben, daß sich hinter dieser Sitte nicht etwa ein heimlicher Anschlag verberge, setzte Jener stets zuerst die dünnen Lippen an die Tasse und reichte sie dann erst den Fremdlingen. Nach einer so höflichen Einladung nicht zu trinken, wäre als tödtliche Beleidigung betrachtet worden. Die drei Weißen verzehrten also dieses Kaffernbier, wobei es ohne einiges Gesichterschneiden seitens Annibal Pantalacci’s nicht abging, der seine Meinung dahin abgab, daß ihm ein Glas Lacrymae-Christi weitaus lieber sein würde, als dieses verteufelt fade Gebräu der Betchuanas.

Darauf kamen die Geschäfte an die Reihe. Lopepe hätte gern eine Flinte eingehandelt; dieser Wunsch konnte ihm leider nicht erfüllt werden, obgleich er dafür ein ziemlich gutes Pferd und hundertfünfzig Pfund Elfenbein anbot. Die Colonialgesetze sind in diesem Punkte besonders streng und verbieten den Europäern jede Überlassung von Feuerwaffen an die Kaffern der Grenzgebiete, wenn dazu nicht die specielle Erlaubniß des Gouverneurs eingeholt war. Zu seiner Schadloshaltung hatten die drei Gäste Lopepe’s diesem ein Flanellhemd, eine Stahlkette und eine Flasche Rum mitgebracht, für den Wilden ein sehr bedeutendes Geschenk, worüber er seiner Freude lauten Ausdruck gab.

Der Betchuana-Hänptling erwies sich denn auch gern erbötig, alle von ihm verlangten Aufklärungen zu geben, wobei James Hilton als Dolmetscher diente.

Zunächst erfuhr man, daß ein Reisender, dessen Personalbeschreibung auf Matakit vollständig paßte, vor fünf Tagen durch den Kraal gekommen war. Das war die erste Nachricht, welche die Expedition seit zwei Wochen über den Flüchtling erhalten hatte, und die sie natürlich dankbar entgegen nahm. Der junge Kaffer mochte jedenfalls mehrere Tage mit Aufsuchung einer Furth durch den Limpopo verloren haben und begab sich jetzt gewiß nach den Berggegenden im Norden. Ehe daran zu denken war, diese zu erreichen, mußten gewiß sieben bis acht Tage vergehen.

Lopepe rühmte sich übrigens ein Freund des Beherrschers jenes Landes zu sein, nach welchem Cyprien und seine Gefährten eben aufbrechen wollten. Wer wäre hier von den eingeborenen Fürsten auch nicht gern der angesehene Freund und getreue Verbündete des großen Tonaïa gewesen, jenes unüberwindlichen Eroberers des Kaffernlandes?

Auf die Frage, ob Tanaïa die Weißen wohl freundschaftlich aufnehmen werde, versicherte Lopepe, daß sie sich darauf verlassen könnten, da er ebenso gut wie die anderen Häuptlinge der Gegend wisse, daß diese Beleidigungen nicht ungeahndet ließen.

Wozu sollte er also den Weißen feindlich entgegentreten, da diese durch ihre sich selbst ladenden Gewehre stets im Vortheil seien; deshalb empfehle es sich, mit denselben friedlich zu verkehren, sie freundlich aufzunehmen und verläßlich mit ihnen zu verhandeln.

Das waren etwa die Auskünfte, welche Lopepe ertheilte. Nur eine derselben hatte eigentlich größere Bedeutung: die, daß Matakit jedenfalls einige Tage eingebüßt hatte, bevor er den Strom überschreiten konnte, und daß man sich auf seiner richtigen Spur befand.

Bei ihrer Rückkehr nach dem Lagerplatze fanden Cyprien, Annibal Pantalacci und James Hilton, Bardik und Lî in großer Aufregung.

Sie waren ihrer Erzählung nach von einem großen Trupp von Kaffernkriegern heimgesucht worden, welche Lopepe’s Stamme nicht angehörten; diese hätten sie erst völlig umzingelt und dann ein förmliches Verhör mit ihnen angestellt, dahin zielend, was sie überhaupt hier im Lande wollten, ob sie nicht allein die Betchuana ausforschen und sich unterrichten wollten, wie zahlreich und wie stark bewaffnet diese seien. Fremdlinge, hatten jene erklärt, thäten sehr unrecht, sich auf ein solches Unternehmen einzulassen; der große König Tonaïa habe zwar nichts zu gebieten, so lange sie seine Gebiete noch nicht betreten hätten, aber er könne die Sache wohl mit anderen Augen ansehen, wenn sie daselbst einzudringen versuchten.

Das war etwa der Inhalt ihrer Aeußerungen. Der Chinese schien über dieselben nicht mehr erregt, als sie es verdienten. Der sonst so ruhige und jeder Gefahr gegenüber so muthige Bardik aber zeigte sich so übertrieben erschrocken, daß Cyprien es sich nicht zu erklären vermochte.

»Sehr schlimme Krieger, sagte er, die großen Augen hin und her rollend, Krieger, welche die Weißen hassen und sie »Cuic machen lassen« werden! …«

Dieses Ausdrucks bedienen sich alle halbcivilisirten Kaffern, wenn sie einen gewaltsamen Tod bezeichnen wollen.

Was war nun zu thun? Sollte man diesem Zwischenfall eine Bedeutung beimessen? Nein, gewiß nicht. Die Krieger, obgleich gegen dreißig Mann, welche nach Bardik’s und des Chinesen Bericht diese wehrlos überraschten, hatten denselben doch nichts zu leide gethan, und nicht einmal den Versuch gemacht zu stehlen. Ihre Drohungen liefen wohl nur auf Aufschneidereien hinaus, welche die Wilden den Fremden gegenüber überhaupt sehr lieben; jedenfalls genügte ein höfliches Auftreten gegen den Häuptling Tonaïa und eine offenherzige Erklärung über den Zweck der Ankunft der drei Weißen, um jeden Verdacht bei Jenem zu ersticken und sich sein Wohlwollen zu sichern.

Man beschloß also mit allgemeiner Zustimmung aufzubrechen.

Die Hoffnung, Matakit bald einzuholen und ihm den gestohlenen Diamanten wieder abzunehmen, ließ vorläufig jede Vorsicht vergessen.

Erstes Capitel.


Erstes Capitel.

Rein toll, diese Franzosen!

»Reden Sie, mein Herr, ich höre!

– Ich erlaube mir um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, der Miß Watkins anzuhalten.

– Um die Hand Alices?

– Ja, mein Herr. Meine Bitte scheint Sie zu überraschen, doch werden Sie verzeihen, wenn ich nur schwer begreife, warum Ihnen diese so außerordentlich erscheinen kann. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und heiße Cyprien Méré. Meines Standes Minen-Ingenieur, ging ich mit Nummer zwei aus der polytechnischen Schule ab. Meine Familie genießt ein verdientes Ansehen, wenn dieselbe auch nicht reich ist. Der französische Consul in der Capstadt würde das, wenn Sie es wünschen, bezeugen, er und mein Freund Pharamond Barthès, der Ihnen wohlbekannte unerschrockene Jäger, dessen Namen ganz Griqualand nennt, würde es bekräftigen können. Ich befand mich jetzt hier im Auftrage der Akademie der Wissenschaften und der Regierung Frankreichs. Letztes Jahr hab‘ ich vom Institut den Preis Houdart für meine Arbeiten über die chemische Zusammensetzung der vulkanischen Felsen der Auvergne errungen. Meine Abhandlung über das Diamantengebiet des Vaal, welche nahezu beendet ist, wird von der gelehrten Welt jedenfalls mit Freuden begrüßt werden. Nach der Heimkehr von meiner Mission werd‘ ich zum Hilfslehrer an der Bergwerksschule von Paris ernannt werden und habe mir schon eine Wohnung, Universitätsstraße Nr. 104 drei Treppen, vorbehalten. Meine Einkünfte belaufen sich vom nächsten ersten Januar ab auf 4800 Francs. Ich weiß, daß das kein Reichthum ist; doch durch Privatarbeiten, Untersuchungen, akademische Preise und Mitarbeiterschaft an wissenschaftlichen Zeitungen wird sich dieses Einkommen bequem verdoppeln. Ich füge hinzu, daß ich bei meiner bescheidenen Lebensweise nicht mehr brauche, um glücklich zu sein. Ich erlaube mir also, um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, der Miß Watkins anzuhalten.«

Schon aus dem sicheren und entschlossenen Tone dieser Anrede war leicht zu entnehmen, daß Cyprien Méré die Gewohnheit hatte, in allen Dingen gerade auf’s Ziel loszusteuern und frei von der Leber weg zu reden.

Sein Gesichtsausdruck strafte die Wirkung seiner Worte auch nicht Lügen. Es war der eines jungen, gewohnheitsgemäß mit ernsten wissenschaftlichen Fragen beschäftigten Mannes, der den minderwerthigen Dingen dieser Welt nur die unumgänglich nothwendige Zeit opfert.

Seine kastanienbraunen, sehr kurz geschnittenen Haare, sein blonder, aber auch kurz gehaltener Bart, die Einfachheit seines Reisecostüms aus grauem Zwillich, der Strohhut für zehn Sous, den er beim Eintritte höflich auf einen Stuhl abgelegt hatte – während sein Gegenüber mit der gewöhnlichen Ungenirtheit der anglo-sächsischen Race immer den Kopf bedeckt hielt – Alles an Cyprien Méré; deutete auf einen ernsthaften Geist, ebenso wie sein klarer Blick auf ein reines Herz und unbeschwertes Gewissen hinwies.

Hierbei verdient bemerkt zu werden, daß der junge Franzose so vollkommen englisch sprach, als habe er sehr lange Zeit in den innersten Theilen des britannischen Königreichs gewohnt.

In einem Holzlehnstuhle sitzend, das linke Bein auf einen Strohsessel ausgestreckt, den Ellbogen auf die Ecke eines groben Tisches gestemmt und gegenüber einer Flasche mit Gin, nebst einem mit dieser starken alkoholischen Flüssigkeit halbgefüllten Glase, hörte ihn Mr. Watkins, eine lange Pfeife rauchend, gelassen an.

Bekleidet war der Mann mit weißer Hose, einer Weste aus grober blauer Leinwand und einem gelblichen Flanellhemd ohne Brustlatz und Kragen. Unter dem gewaltigen Filzhut, der gleich für immer auf seinem grauschimmernden Schädel festgeschraubt schien, zeigte sich ein ziemlich rothes, etwas aufgedunsenes Gesicht, welches wie mit Johannisbeergelée gefüllt erschien. Dieses wenig einnehmende Gesicht mit einzelnen Bartflocken war von zwei grauen Augen durchbohrt, welche nicht eben Geduld und Wohlwollen verriethen.

Zur Entschuldigung des Mr. Watkins muß freilich angeführt werden, daß derselbe heftig an Gicht litt, was ihn eben zwang, den linken Fuß wohl verpackt zu halten und die Gicht ist – im südlichen Afrika ebenso wie in anderen Ländern – keineswegs dazu angethan, den Charakter der Leute, deren Gelenke sie peinigt, zu mildern.

Der hier geschilderte Auftritt ging im Erdgeschoß der Farm des Mr. Watkins vor sich, etwa unter dem 29. Grade südlicher Breite und den 25. Grade östl. Länge von Greenwich, an der Westgrenze des Oranje-Freistaates, im Norden der englischen Capcolonie, d. h. in der Mitte des südlichen oder englisch-holländischen Afrikas. Dieses Land, dessen Grenze gegen den Südrand der großen Wüste von Kalakari das rechte Ufer des Oranjeflusses bildet, trägt auf älteren Landkarten noch den Namen Griqualand; wird aber seit etwa zehn Jahren richtiger »Diamonds-Field«, das Diamantenfeld, genannt.

Das Zimmer, in welchem diese diplomatische Verhandlung gepflogen wurde, war ebenso bemerkenswerth wegen des auf einzelne Stücke seiner Ausstattung verschwendeten Luxus, wie wegen der Aermlichkeit anderer Theile seiner Einrichtung. Der Fußboden zum Beispiel bestand nur aus festgeschlagenem Lehm, war aber da und dort wieder mit dicken Teppichen und kostbarem Pelzwerk belegt. An den Wänden, welche niemals eine Rolle Tapeten kennen gelernt hatten, hing eine prachtvolle Pendule in ciselirtem Kupfer, reiche Waffen verschiedenen Fabrikats und bunte englische Bilder in theuren Umrahmungen, Ein Sammetsopha stand zur Seite eines weißen, hölzernen Tisches, der mehr für den Gebrauch in einer Küche bestimmt sein mochte. Direct von Europa bezogene Lehnstühle streckten dem Mr. Watkins vergeblich ihre Armlehnen entgegen, da dieser ihnen einen alten, einst von eigener Hand geschnitzten Sessel vorzog. Im Ganzen verlieh diese unverständige Anhäufung von Werthgegenständen, vorzüglich aber das Durcheinander von Panther-, Leoparden- Giraffen- und Tigerkatzenfellen, die über allen Möbeln ausgebreitet lagen, dem Raume den Charakter einer gewissen barbarischen Opulenz.

Die Gestalt der Decke wies deutlich darauf hin, daß das Haus kein weiteres Stockwerk hatte und nur aus dem Erdgeschoß bestand. Wie alle hier zu Lande, war es zum Theil aus Planken, zum Theil aus Lehm errichtet und mit Zinkwellenblech, das auf leichtem Sparrenwerk ruhte, abgedeckt.

Uebrigens sah man, daß diese Wohnung erst vor nicht langer Zeit fertig geworden war. Man brauchte nur durch eines der Fenster zur Rechten hinauszusehen, um zur Rechten und zur Linken fünf oder sechs verlassene Baulichkeiten wahrzunehmen, welche sich alle glichen, aber von ungleichem Alter und offenbar dem raschen gänzlichen Verfall preisgegeben waren. Diese bildeten ebensoviele Häuser, welche Mr. Watkins nacheinander gebaut, bewohnt und verlassen hatte, je nach der Zunahme seines Wohlstandes, und welche also gewissermaßen die Stufen desselben bezeichneten.

Das entlegenste war nur aus Rasenstücken errichtet und verdiente kaum den Namen einer Hütte. Das nächstfolgende bestand aus Lehm, das dritte aus Lehm und Planken; das vierte aus Lehm und Zink. Man ersieht hieraus, wie der Fleiß des Mr. Watkins ihm gestattet hatte, in der Herstellung seiner Wohnung immer höhere Ziele zu verfolgen.

Alle diese mehr oder weniger verfallenen Baulichkeiten erhoben sich auf einem kleinen, nahe dem Zusammenflusse des Vaal und der Modder – dem Hauptarme des Oranjeflusses in diesem Theile Südafrikas – gelegenen Hügels. In der Umgebung sah man, so weit der Blick nur reichte, nach Südwesten und Norden nichts als eine traurige, nackte Ebene. Der Veld – wie man sich im Lande ausdrückt, besteht aus röthlichem, trockenem, unfruchtbarem und staubigem Boden, den nur da und dort etwas mageres Gras bedeckt oder ein Dornengebüsch unterbricht. Das völlige Fehlen von Bäumen ist der entscheidende Zug in diesen Gegenden. Rechnet man hierzu, daß es ebenso an Steinkohle gebricht, daß die Verbindung mit dem Meere eine langsame und beschwerliche ist, so wird man sich nicht wundern, daß es hier sehr an Brennmaterial mangelt und daß man für häusliche Zwecke sich genöthigt sieht, den Mist der Heerden zu verfeuern.

Auf diesem einförmigen Grunde von wirklich jämmerlichem Aussehen verliefen die Betten zweier Flüsse, aber so flach, so wenig eingedämmt, daß man kaum begreift, warum sie sich nicht gleich über die ganze weite Ebene ausbreiten.

Nur nach Osten hin wird der Horizont durch die entfernten Gipfel von zwei Bergen, dem Platberg und Paardeberg, unterbrochen, an deren Fuß ein sehr scharfes Auge vielleicht Rauchsäulen, Staubwirbel, kleine weiße Punkte – nämlich Hütten oder Zelte – und ringsum ein Gewimmel von lebenden Wesen erkennen kann.

Hier in diesem Veld liegen die in Ausbeutung begriffenen Diamantengruben, der Du Toi’s Pan, der New-Rush und, vielleicht der reichste Platz von allen, die Vandergaart-Kopje. Diese verschiedenen, frei zu Tage und fast in gleicher Ebene mit dem Boden liegenden Minen, welche man unter dem Namen Dry-Diggings oder trockene Gruben zusammenfaßt, haben seit 1870 Diamanten und andere kostbare Steine im Werthe von etwa vierhundert Millionen geliefert. Sie liegen alle in einem Umkreise von höchstens zwei bis drei Kilometern, und von den Fenstern der Farm Watkins, welche davon nur vier englische 1 Meilen entfernt ist, konnte man sie mit dem Fernrohre schon recht deutlich erkennen.

»Farm« erscheint hier übrigens als ein recht unpassendes Wort, denn auf diese Niederlassung angewendet, würde man in der Umgebung wenigstens vergeblich nach irgend welcher Cultur gesucht haben. Wie alle sogenannten Farmer in Südafrika war Mr. Watkins vielmehr Schäfer, d. h. Eigenthümer von Ochsen-, Ziegen- und Schafheerden, als wirklicher Leiter eines landwirthschaftlichen Betriebs.

Mr. Watkins hatte inzwischen noch nicht auf die ebenso höfliche, wie bestimmt ausgesprochene Anfrage Cyprien Méré’s geantwortet. Nachdem er sich drei Minuten Zeit zur Ueberlegung gegönnt, kam er endlich dazu, die Pfeife aus dem Mundwinkel zu nehmen, und sprach den folgenden Satz aus, der offenbar mit dem Anliegen des jungen Mannes in sehr zweifelhafter Verbindung stand.

»Ich glaube, die Witterung wird umschlagen, lieber Herr. Noch nie habe ich von meiner Gicht heftiger zu leiden gehabt, als seit heute Morgen!«

Der junge Ingenieur runzelte die Augenbrauen, wandte einen Moment den Kopf ab und mußte sich wirklich zusammennehmen, um seine Enttäuschung nicht gar zu sehr merken zu lassen.

»Sie würden gut thun, auf den Gin zu verzichten, Herr Watkins, antwortete er trocken, und zeigte dabei nach dem Steingutkrug, dessen Inhalt die wiederholten Angriffe des Trinkers schnell verminderten.

– Auf den Gin verzichten? By Jove, da geben Sie mir einen schönen Rath! rief der Farmer. Hat der Gin schon jemals einem ehrlichen Mann Schaden gethan? … Ja, ich weiß schon, wo Sie hinaus wollen! … Sie denken mich mit dem Recepte zu beglücken, das einst einem Lordmajor verordnet wurde. Wie hieß doch gleich der betreffende Arzt? Abernethy glaube ich. »Wollen Sie sich wohl befinden, sagte dieser zu dem an Gicht leidenden Patienten, so leben Sie für einen Schilling täglich und verdienen Sie sich diesen durch körperliche Arbeit!« – Das ist ja ganz gut und schön! Aber bei dem Heile unseres alten England, wenn man, um gesund zu bleiben, für einen Schilling täglich leben sollte, wozu hätte man sich dann überhaupt ein Vermögen erworben? Solche Dummheiten sind eines Mannes von Geist, wie Sie, Herr Méré, unwürdig! … Bitte, sprechen wir nicht mehr davon. Was mich angeht, halten Sie sich überzeugt, daß ich dann lieber gleich in die Grube fahren würde! Gut essen, tüchtig trinken, eine gute Pfeife rauchen, wenn mir die Lust dazu ankommt, eine andere Freude kenne ich auf der Welt nicht, und dieser wollen Sie mich noch berauben!

– O, das lag mir gewiß gänzlich fern, erwiderte Cyprien offenherzig. Ich erinnerte Sie nur an eine gesundheitliche Vorschrift, welche mir richtig erschien. Doch schweigen wir von diesem Thema, wenn Sie es wünschen, Herr Watkins, und kommen wir lieber auf den eigentlichen Grund meines heutigen Besuches zurück.«

So wortreich Mr. Watkins eben noch gewesen war, verfiel er jetzt doch sogleich in merkwürdiges Stillschweigen und blies stumm Rauchwolken in die Luft.

Da öffnete sich die Thür. Mit einem Glase auf silbernem Präsentirteller trat eben ein junges Mädchen in’s Zimmer.

Das hübsche Kind, der die große, auf den Farmen des Veld beliebte Haube ganz reizend stand, war mit einem einfachen, kleingeblümten Leinenkleide angethan. Neunzehn bis zwanzig Jahre alt, von sehr zartem Teint, mit schönem blonden, sehr feinem Haar, großen blauen Augen und sanften aber heiteren Zügen, war sie ein Bild der Gesundheit, der Grazie und des frohen Lebensmuthes.

»Guten Tag, Herr Méré, sagte sie auf Französisch, aber mit leichtem englischen Anklange.

– Guten Tag, Fräulein Alice, antwortete Cyprien Méré, der sich bei dem Eintritte des jungen Mädchens erhoben und vor ihr verneigt hatte.

– Ich hatte Sie kommen sehen, Herr Méré, fuhr Miß Watkins fort, wobei sie unter liebenswürdigem Lächeln die schönen weißen Zähne sehen ließ, und da ich weiß, daß Sie den abscheulichen Gin meines Vaters nicht lieben, bringe ich Ihnen ein Glas Orangeade, mit dem Wunsche, daß es schön frisch sein möge.

– Sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Fräulein.

– Ah, da fällt mir ein, denken Sie sich, was Dada, mein Strauß, heute verzehrt hat, fuhr sie unbefangen fort. Meine Elfenbeinkugel zum Ausbessern der Strümpfe. Und die war übrigens ziemlich groß. Sie kennen sie ja, Herr Méré, ich erhielt sie erst direct vom Billard in New-Rush … Und dieser Vielfraß, die Dada, hat sie verschluckt, als wenn’s eine Pille wäre! Wahrlich, dieses böse Thier wird mich noch früher oder später vor Aerger umbringen.«

Während sie so sprach, bewahrte Miß Watkins im Winkel ihrer blauen Augen einen kleinen lustigen Strahl, der nicht auf besondere Lust, jene düstere Vorhersage, nicht einmal später, zu rechtfertigen, hinwies. Mit dem den Frauen eigenen Feingefühl bemerkte sie doch sehr bald das Stillschweigen ihres Vaters und des jungen Ingenieurs, sowie deren offenbar in Folge ihrer Gegenwart verlegenen Mienen.

»Es sieht ja aus, als ob ich die Herren belästigte, sagte sie; Sie wissen, daß ich sofort gehe, wenn Sie Geheimnisse haben, die für mein Ohr nicht bestimmt sind. Uebrigens hab‘ ich auch gar keine Zeit übrig Ich muß noch eine Sonate üben, bevor ich das Essen zurecht mache. Ja, ich sehe schon, Sie sind heute zum Plaudern nicht aufgelegt, meine Herren! – Gut, ich überlasse Sie Ihren schwarzen Anschlägen!«

Damit ging sie schon hinaus, kehrte jedoch noch einmal um und sagte gelassen, obwohl sie einen sehr ernsten Gegenstand berührte:

»Wenn Sie mich nun über den Sauerstoff fragen wollen, Herr Méré, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung. Das Capitel der Chemie, welches Sie mir zum Lernen aufgaben, hab‘ ich nun dreimal durchgenommen, und jener »gasförmige, farb-, geruch- und geschmacklose Körper« hat für mich kein Geheimniß mehr.«

Dabei machte Miß Watkins eine graziöse Verbeugung und verschwand wie ein lichter Meteor.

Gleich darauf erklangen aus einem entfernten Zimmer her die Accorde eines vortrefflichen Pianos und verriethen, daß das junge Mädchen mit allem Eifer ihren musikalischen Uebungen oblag.

»Nun also, Herr Watkins,« nahm Cyprien, dem diese liebliche Erscheinung seine Frage wieder in Erinnerung gerufen hatte, wenn er sie überhaupt hätte vergessen können, das Wort, »wollen Sie mir gefälligst Antwort geben auf die Frage, welche ich die Ehre hatte, an Sie zu richten?«

Mr. Watkins nahm die Pfeife feierlichst aus dem Mundwinkel, spuckte einmal auf die Erde aus, und warf dann schnell den Kopf zurück, während seine Augen einen forschenden Blick auf den jungen Mann schossen.

»Sollten Sie, Herr Méré,« fragte er, »mit ihr zufällig schon davon gesprochen haben?«

– Gesprochen, worüber? … Gegen wen?

– Ueber das, was Sie eben sagten? … Gegen meine Tochter?

– Für wen halten Sie mich, Herr Watkins! erwiderte der junge Ingenieur mit einer Wärme, die keinen Zweifel aufkommen ließ. Ich bin Franzose, Herr Watkins! … Ich brauche Sie also wohl nicht zu versichern, daß ich mir nie erlaubt haben würde, ohne Ihre Zustimmung gegen Ihr Fräulein Tochter von einer Verheiratung zu sprechen!«

Mr. Watkins Blick wurde wieder sanfter, und damit schien sich auch seine Zunge besser zu lösen.

»Das ist am besten! … Brav, junger Mann! Ich erwartete von Ihrer Discretion gegenüber Alice nichts Anderes! antwortete er in ziemlich trockenem Tone. Und da man zu Ihnen Vertrauen haben kann, werden Sie mir Ihr Wort geben, ihr in Zukunft auch nichts davon zu erwähnen.

– Und warum, mein Herr?

– Weil diese Heirat unmöglich und es am besten ist, wenn Sie dieselbe gänzlich aus Ihren Plänen streichen, antwortete Mr. Watkins. Sie sind ein ehrenwerther junger Mann, Herr Méré, ein vollkommener Gentleman, ein ausgezeichneter Chemiker, ein hervorragender Lehrer Ihres Faches, von großer Zukunft – daran zweifle ich nicht im mindesten – meine Tochter aber werden Sie nicht erhalten, aus dem einfachen Grunde, weil ich bezüglich derselben ganz andere Absichten habe.

– Indeß, Herr Watkins …

– Kommen Sie nicht darauf zurück … Es wäre unnütz! … erwiderte der Farmer. Und wären Sie Herzog und Pair von England, so würden Sie mir doch nicht passen. Nun sind Sie nicht einmal englischer Unterthan und erklären eben mit größter Unbefangenheit, daß Sie auch kein Vermögen besitzen. Nun aufrichtig, glauben Sie, ich hätte meine Alice so erzogen, wie es geschehen ist, hätte ihr die besten Lehrer von Victoria und Bloëmfontain gehalten, um sie mit kaum vollendetem zwanzigsten Jahre aus dem Hause zu schicken, um in Paris, Universitätsstraße, im dritten Stockwerke zu leben, und das mit einem Manne, dessen Sprache ich nicht einmal verstehe? … Ueberlegen Sie sich das, mein Herr Méré, und denken Sie sich an meine Stelle! … Nehmen Sie an, Sie wären der Farmer John Watkins, Eigenthümer der Mine der Vandergaart-Kopje, und ich, ich wäre Herr Cyprien Méré, ein junger französischer Gelehrter, der zu Forschungszwecken nach dem Cap der Guten Hoffnung gekommen wäre. Malen Sie sich’s aus, Sie säßen hier im Zimmer, in meinem Lehnstuhle, und schlürften ihren Gin bei einer Pfeife des besten Hamburger Tabaks; würden Sie dann eine Minute, ja nur eine einzige, daran denken, Ihre Tochter unter diesen Verhältnissen heiraten zu lassen?

– Ganz gewiß, Herr Watkins, antwortete Cyprien, und ohne zu zögern, wenn ich an Ihnen diejenigen Eigenschaften gefunden zu haben glaubte, welche das Lebensglück meines Kindes gewährleisten könnten.

– So! Dann thäten Sie unrecht, mein lieber Herr, sehr unrecht! erwiderte Mr. Watkins. Sie handelten dann wie ein Mensch, der nicht würdig wäre, die Mine von Vandergaart-Kopje zu besitzen, oder Sie könnten diese vielmehr gar nicht besitzen. Denn glauben Sie vielleicht, sie wäre mir als gebratene Taube zugeflogen? Meinen Sie etwa, es hätte keiner Intelligenz, keines eisernen Fleißes bedurft, um sie anzulegen und vorzüglich mir deren Besitz zu sichern? … Nun also, Herr Méré, diese verständige Einsicht, von welcher ich damals, bei jener denkwürdigen und entscheidenden Angelegenheit Beweise an den Tag gelegt habe, ziehe ich gern bei allen Vorkommnissen meines Lebens zu Rathe, und vorzüglich dann, wenn diese auch meine Tochter betreffen. Eben deshalb aber wiederhole ich Ihnen, streichen Sie diese Pläne aus Ihren Papieren. Alice ist nicht für Sie geschaffen!«

Nach diesen mit triumphirendem Tone ausgesprochenen Schlußworten ergriff Mr. Watkins sein Glas und that daraus einen herzhaften Zug.

Der junge Ingenieur war wie vom Donner gerührt und wußte keine Antwort zu finden. Als der Farmer das bemerkte, trieb er ihn noch weiter in die Enge.

»Sie sind doch sonderbare Schwärmer, die Franzosen! fuhr er fort; sie halten wahrlich gar nichts für unmöglich. Sie kommen an, als wenn sie vom Monde herabgefallen wären, erscheinen im Herzen vom Griqualand bei einem grundehrlichen Manne, der bis vor drei Monaten noch kein Sterbenswörtchen von ihnen gehört, und den sie selbst kaum zehn Mal in diesen neunzig Tagen gesehen haben. Sie suchen denselben auf und sagen ohne Umstände zu ihm: John Stapleton Watkins, Sie haben eine reizende, vortrefflich erzogene Tochter, welche allgemein als die Perle des ganzen Landes angesehen wird, und die, was nicht eben schädlich ist, Ihre einzige Erbin zu der reichsten Diamant-Kopje der beiden Welten ist! Ich, ich bin Cyprien Méré, Ingenieur aus Paris, und habe viertausendachthundert Francs jährliches Einkommen! … Sie werden mir also gefälligst diese junge Dame als Gattin überlassen, damit ich sie in meine Heimat entführe, und Sie nichts wieder von ihr hören – höchstens aus der Ferne durch die Post oder den Telegraphen … Und das würden Sie natürlich finden? … Ich, ich halte es für die reine Tollheit!«

Ganz bleich geworden, hatte Cyprien sich erhoben. Er ergriff seinen Hut und bereitete sich, fortzugehen.

»Ja, die reine Tollheit, wiederholte der Farmer. Ah, ich überzuckere die Pille nicht, junger Freund. Ich bin eben Engländer von altem Schrot und Korn. Wie Sie mich hier sehen, bin ich zwar genau so arm gewesen wie Sie, ja, eigentlich noch weit ärmer. Ich habe mich in Allem versucht! … Ich war Schiffsjunge an Bord eines Handelsschiffes; war Büffeljäger in Dakota, Minengräber in Arizona, Schafhirt im Transvaal! … Ich habe Hitze und Kälte, Hunger und Strapazen kennen gelernt! Im Schweiße meines Angesichts habe ich zwanzig lange Jahre hindurch das Bischen Zwieback verdient, das mein Mittagsmahl bildete. Als ich die selige Mistreß Watkins, die Mutter Alices und die Tochter eines Boër von französischer Abstammung wie Sie 2 – um Ihnen das beiläufig mitzutheilen – heiratete, hatten wir beide zusammen nicht so viel, um eine Ziege ernähren zu können! Aber ich habe gearbeitet … habe nie den Muth sinken lassen! Jetzt bin ich reich und denke die Früchte meiner Anstrengungen gemächlich zu genießen. –

Meine Tochter will ich jedenfalls in der Nähe behalten – um mich bei den verteufelten Gichtanfällen zu pflegen und mir des Abends zum Zeitvertreib etwas vorzuspielen! … Wenn sich dieselbe jemals verheiratet, so wird das hier an Ort und Stelle sein, und mit einem Sohne des Landes, der ihr ein entsprechendes Vermögen zubringt, der Farmer oder Diamantengräber ist, wie wir Andere, und der mir nicht davon spricht, fortzugehen, um im dritten Stockwerk am Hungertuche zu nagen in einem Lande, wohin ich doch nimmermehr einen Fuß setzen werde, Sie könnte zum Beispiel den James Hilton oder einen andern Burschen seines Schlages zum Manne nehmen. An Bewerbern fehlt es ihr nicht, das dürfen Sie mir auf’s Wort glauben. Kurz, es muß ein guter Engländer sein, der nicht vor einem Glase Gin Reißaus nimmt und der mir Gesellschaft leistet, wenn ich eine Pfeife Knaster rauche.«

Cyprien hatte schon die Hand auf den Drücker der Thüre gelegt, um diesen Raum zu verlassen, in dem er fast erstickte.

»Na, nichts für ungut! rief ihm Mr. Watkins zu. Ich habe gegen Ihre Person sonst gewiß nicht das Geringste, lieber Méré, und werde Sie immer gern als Abmiether und Freund in meinem Hause sehen. Halt, warten Sie einmal, heut‘ Abend werden gerade einige Personen zu uns zu Tische kommen … wollen Sie uns vielleicht Gesellschaft leisten? …

– Nein, ich danke, Herr Watkins! antwortete Cyprien kühl. Ich muß bis zum Abgange der Post meine Correspondenz fertig stellen.«

Damit verließ er leicht grüßend den gichtbrüchigen Farmer.

»Rein toll, diese Franzosen … rein toll!« wiederholte noch öfter Mr. Watkins, während er mit einem, ihm stets zur Hand liegenden Schwefelfaden seine Pfeife wieder in Brand setzte.

Und mit einem tüchtigen Glase Gin suchte er sich wieder vollständig in Ordnung zu bringen.

  1. Die englische Meile mißt 1609 Meter.
  2. Ein große Anzahl von Boërs oder afrikanischen Holländer-Bauern stammen ursprünglich von Franzosen ab, welche in Folge der Aufhebung des Edicts von Nantes erst nach Holland und dann nach dem Cap auswanderten.

IX.


IX.

Am 19. October. – Jetzt wird mir Alles klar, das gegenseitige Zuzischeln der Matrosen, ihr unruhiges Aussehen, die Worte Owen’s, das Begießen des Verdecks, das man in fortwährend angefeuchtetem Zustande zu erhalten trachtet, und ebenso die Wärme, welche sich in den Wohnräumen entwickelt und nach und nach unerträglich wird. Die Passagiere haben davon gelitten, ebenso wie ich, und vermögen sich diese abnorme Temperatur gar nicht zu erklären.

Nachdem er mir diese sehr ernste Mittheilung gemacht, versinkt Robert Kurtis wieder in Stillschweigen.

Er scheint meine Frage zu erwarten, doch gestehe ich, daß mich zunächst ein kalter Schauer vom Kopf bis zu den Füßen überlief. Von allen Unfällen, die eine Seefahrt nur treffen können, ist jener der furchtbarste, und kein Mensch, er sei noch so kaltblütig, wird ohne ein leises Erzittern die Worte hören können: »Es ist Feuer an Bord!« Indessen gewinne ich die Herrschaft über mich selbst, und meine erste Frage lautet:

»Seit wann besteht diese Feuersbrunst?

– Seit sechs Tagen!

– Seit sechs Tagen! rufe ich. Es war also in jener Nacht …?

– Ja, erwiderte mir Robert Kurtis, seit der Nacht, während der die sonderbare Aufregung auf dem Verdeck des Chancellor herrschte. Die wachthabenden Matrosen hatten einen leichten Rauch bemerkt, der aus den Fugen am Deckel der großen Luke quoll. Der Kapitän und ich waren sofort bei der Hand. Kein Zweifel! Die Waaren im Kielraum hatten Feuer gefangen, und es gab keinen Weg, nach dem Herde der Entzündung zu gelangen. Wir haben gethan, was unter solchen Verhältnissen nur allein möglich ist, d. h. wir haben die Luken, so dicht als es irgend anging, verschlossen, um jeden Zutritt der Luft nach dem Innern des Fahrzeugs abzuhalten. Ich hoffte, wir würden dadurch im Stande sein, die Feuersbrunst im Entstehen zu ersticken, und die ersten Tage glaubte ich wirklich, wir waren ihrer Herr geworden. Seit drei Tagen steht es aber fest, daß das Feuer Fortschritte macht. Die Hitze unter unseren Füßen nimmt zu, und ohne die Vorsichtsmaßregel, das Verdeck immer in feuchtem Zustande zu erhalten, wäre es hier nicht zum Aushalten. Alles in Allem, Mr. Kazallon, ist es mir lieber, daß Sie von dem Stande der Dinge unterrichtet sind, deshalb sage ich Ihnen das.«

Schweigend lausche ich dem Berichte des zweiten Officiers. Ich durchschaue den ganzen Ernst der Situation gegenüber einer Feuersbrunst, die von Tag zu Tag mehr Ausbreitung gewinnt und welche zuletzt vielleicht keine menschliche Macht mehr zu dämpfen vermag.

»Ist Ihnen die Entstehung des Feuers bekannt? frage ich.

– Sehr wahrscheinlich ist sie in einer Selbstentzündung der Baumwolle zu suchen.

– Kommt eine solche häufig vor?

– Häufig? Nein! Aber dann und wann; denn wenn die Baumwolle zur Zeit der Einschiffung nicht vollkommen trocken ist, kann sie unter den Verhältnissen, in denen sie sich später befindet, d. h. bei der feuchten Luft eines Kielraumes, der nur sehr unzulänglich zu lüften ist, sich ganz von selbst entzünden. In mir steht die Ueberzeugung fest, daß die Feuersbrunst an Bord keine andere Ursache hat.

– Doch die Ursache fällt für uns jetzt nicht in’s Gewicht. Ist etwas dagegen zu thun, Mr. Kurtis?

– Nein, Mr. Kazallon, antwortet mir Robert Kurtis; doch wiederhole ich Ihnen, daß wir alle für den gegebenen Fall gebotenen Vorsichtsmaßregeln ergriffen haben. Ich hatte daran gedacht, das Schiff in der Wasserlinie an einer Stelle zu öffnen, um eine gewisse Menge Wasser einströmen zu lassen, welches die Pumpen später leicht herausgeschafft hätten; da wir aber zu der Ueberzeugung kamen, daß das Feuer jedenfalls in der Mitte des Cargo entstanden ist, hätten wir den ganzen Kielraum unter Wasser setzen müssen, um jenes zu erreichen. Inzwischen habe ich an mehreren Stellen des Verdecks kleine Oeffnungen anbringen lassen, durch welche während der Nacht Wasser eingegossen wird, doch erweist sich das als unzureichend. Nein, es ist wirklich nur ein Weg offen, – derselbe, welchen man in solchen Fällen immer einschlägt, das Feuer zu ersticken, indem man ihm jeden Luftzutritt von Außen abschneidet und dadurch den die Verbrennung unterhaltenden Sauerstoff raubt.

– Und das Feuer ist trotzdem im Wachsen?

– Ja, und das liefert den Beweis für das Eindringen von Luft in den Schiffsraum durch eine Oeffnung, die wir trotz alles Nachsuchens nicht zu entdecken im Stande sind.

– Hat man Beispiele dafür, Mr. Kurtis, daß Schiffe unter solchen Verhältnissen ausgehalten haben?

– O gewiß, Mr. Kazallon; es kommt gar nicht so sehr selten vor, daß mit Baumwolle befrachtete Schiffe in Liverpool oder Havre mit zum Theil verzehrtem Cargo anlangten. In diesen Fällen hatte man freilich das Feuer zu löschen, mindestens in Schranken zu halten vermocht. Mir ist mehr als ein Kapitän bekannt, der so, mit dem Feuer unter den Füßen, in den Hafen eingelaufen ist. Dann mußte natürlich eiligst die Ladung gelöscht werden, wodurch mit dem unversehrten Theile derselben auch das Schiff gerettet wurde. Bei uns liegen die Dinge leider schlimmer, und ich verhehle mir nicht, daß das Feuer, anstatt beschränkt zu werden, täglich weitere Fortschritte macht. Nothwendiger Weise existirt irgend eine Oeffnung, die sich unserem Nachsuchen entzieht und welche durch Zuführung frischer Luft den Brand ernährt.

– Erschiene es da nicht angezeigt, umzukehren, und sobald als möglich Land zu erreichen zu suchen?

– Vielleicht, entgegnet mir Robert Kurtis; das ist eine Frage, welche der Lieutenant, der Hochbootsmann und ich noch heute mit dem Kapitän besprechen wollen; doch ich gestehe, ich sage das Ihnen, Mr. Kazallon, daß ich es schon auf mich genommen habe, den bis jetzt gesteuerten Cours zu ändern; wir haben jetzt den Wind im Rücken und fahren nach Südwesten, d. h. nach der Küste zu.

– Die Passagiere wissen nichts von der ihnen drohenden Gefahr? frage ich den zweiten Officier.

– Nichts, und ich bitte Sie auch um Stillschweigen über die Ihnen gewordenen Mittheilungen. Es ist unnöthig, durch den Schrecken der Frauen und vielleicht kleinmüthiger Männer unsere Verlegenheiten zu vermehren. Auch die Mannschaft hat Befehl, nicht darüber zu sprechen.«

Mir leuchten die gewichtigen Gründe des Mannes, also zu sprechen, ein, und ich versichere ihn meiner unbedingtesten Verschwiegenheit.

X.


X.

Am 20. und 21. Oktober. – Unter diesen Umständen setzt der Chancellor seine Fahrt mit so vielen Segeln fort, als seine Masten tragen können. Manchmal beugen sich seine Obermasten so, als ob sie brechen sollten, aber Robert Kurtis wacht aufmerksam. Er bleibt immer neben dem Steuerrade, da der Mann daselbst nicht sich allein überlassen sein soll. Durch kleine geschickte Schwenkungen giebt er der Brise nach, wenn die Sicherheit des Fahrzeugs compromittirt sein könnte, und so weit, als es möglich ist, verliert der Chancellor unter der Hand, die ihn regiert, nichts an seiner Schnelligkeit.

Heute, am 20. October, sind alle Passagiere auf das Oberdeck gekommen. Sie haben offenbar die abnorme Temperaturerhöhung im Innern bemerken müssen; da sie indeß die Wahrheit nicht ahnen, so verursacht ihnen dieselbe keinerlei Unruhe. Da sie Alle starkes Schuhwerk tragen, so haben sie auch die Wärme, welche trotz der Begießung mit Wasser durch das Verdeck dringt, nicht gefühlt. Die fortwährende Thätigkeit der Pumpen hätte zwar ihre Aufmerksamkeit erregen sollen; doch nein, meist strecken sie sich auf die Bänke aus und lassen sich vollkommen ruhig von dem Rollen des Schiffes wiegen.

Mr. Letourneur allein scheint erstaunt, daß sich die Mannschaft einer auf Kauffahrtei-Schiffen ganz ungewohnten Reinlichkeit befleißigt. Er spricht darüber einige Worte zu mir, und ich antworte ihm in gleichgiltigem Tone. Dieser Franzose ist übrigens ein energischer Mann, ihm könnte ich wohl Alles mittheilen; ich habe Robert Kurtis jedoch versprochen zu schweigen, also schweige ich.

Wenn ich mir aber die möglichen Folgen der bevorstehenden Katastrophe vergegenwärtige, dann steht mir das Herz fast still. Achtundzwanzig Personen sind wir an Bord, vielleicht ebenso viele Opfer, denen die Flammen keine rettende Planke übrig lassen werden!

Heute hat die Conferenz zwischen dem Kapitän, dem zweiten Officier, dem Lieutenant und dem Hochbootsmann stattgefunden. Kapitän Huntly ist, wie vorauszusehen war, ganz gebrochen. Er hat weder kaltes Blut, noch Energie, und überläßt das Commando des Schiffes an Robert Kurtis. Die Fortschritte der Feuersbrunst im Innern sind nun unbestreitbar, und schon kann man in dem am Vordertheile gelegenen Mannschaftsraum kaum noch verweilen. Offenbar ist man nicht im Stande, das Feuer zu beschränken, und früher oder später muß es zum Ausbruch kommen.

Was wird nun zu thun sein? Es giebt nur ein Mittel: So bald als möglich das Land erreichen! Das nächstgelegene Land ist den Beobachtungen nach die Inselgruppe der kleinen Antillen, und kann man wohl hoffen, bei fortdauerndem Nordostwinde schnell dahin zu gelangen.

Da man sich in dieser Ansicht geeinigt hat, so will der zweite Officier die schon seit vierundzwanzig Stunden eingeschlagene Richtung weiter beibehalten. Die Passagiere, denen auf dem unendlichen Oceane jeder Anhaltepunkt fehlt, und die mit den Compaßangaben sehr wenig vertraut sind, haben die Aenderung in der Richtung des Chancellor nicht wahrnehmen können, der jetzt mit dem ganzen Segelwerk die Antillen zu gewinnen sucht, von denen er noch gegen 600 Meilen entfernt ist.

Auf eine von Mr. Letourneur an ihn hierüber gerichtete Frage antwortet Robert Kurtis, daß er, da man gegen den Wind nicht aufzukommen vermöge, im Westen günstige Strömungen aufzusuchen beabsichtige.

Es bildet das die einzige Bemerkung, welche die dem Chancellor ertheilte andere Richtung hervorgerufen hat.

Am anderen Tage, am 21. October, hat sich in unserer Lage nichts geändert. In den Augen der Passagiere geht die Fahrt unter den gewöhnlichen Umständen von Statten, und die Lebensweise an Bord erleidet keinerlei Abweichung. Uebrigens verrathen sich die Fortschritte des Feuers äußerlich noch auf keine Weise, und das ist ein gutes Zeichen. Alle Oeffnungen sind so hermetisch verschlossen, daß kein Rauch den Brand im Innern bemerken läßt. Vielleicht wird es doch noch möglich, das Feuer auf den Kielraum zu beschränken, und vielleicht verlöscht es gar noch ganz oder glimmt nur langsam fort, ohne die ganze Ladung zu ergreifen. Hierauf gründet Robert Kurtis seine Hoffnung und hat aus übermäßiger Vorsicht sogar die Oeffnungen der Pumpen verstopfen lassen, deren im Kielraum mündendes Rohr einige Lufttheilchen eintreten lassen konnte.

Möge uns der Himmel zu Hilfe kommen, denn wir sind nicht im Stande, selbst etwas Weiteres für uns zu thun!

Dieser Tag wäre ohne weitere Ereignisse vergangen, wenn der Zufall mich nicht zum Hörer weniger Worte eines Gesprächs gemacht hätte, aus welchen hervorgeht, daß unsere ohnehin sehr ernste Lage jetzt wahrhaft schrecklich wurde.

Man urtheile selbst.

Ich saß auf dem Oberdeck; zwei der Passagiere plauderten mit leiser Stimme, ohne zu ahnen, daß es mir dort verständlich sein könnte. Diese beiden Passagiere waren der Ingenieur Falsten und der Kaufmann Ruby, welche sich Beide öfter mit einander unterhalten.

Meine Aufmerksamkeit wird erst durch einige ausdrucksvolle Gesten des Ingenieurs erregt, der seinem Vis-à-Vis lebhafte Vorwürfe zu machen scheint. Ich kann nicht umhin, zu lauschen, und höre denn dabei Folgendes:

»Aber das ist ein Wahnsinn! wiederholt Falsten, wie können Sie so unklug sein!

– Bah, antwortet Ruby ganz sorglos, es wird ja nichts geschehen!

– Im Gegentheil, es kann das schlimmste Unheil geschehen! versetzte der Ingenieur.

– Gut, gut, erwiderte der Kaufmann, es ist nicht das erste Mal, daß ich mit dem Zeuge umgehe.

– Ein Stoß genügt aber schon, eine Explosion hervorzurufen.

– Das Gefäß ist sorgfältig verpackt, Mr. Falsten. und ich wiederhole Ihnen, daß Nichts zu fürchten ist.

– Weshalb haben Sie den Kapitän nicht davon unterrichtet?

– Ei, weil er mein Colli dann nicht mitgenommen hätte.«

Der Wind hat sich seit einigen Augenblicken gelegt und trägt mir die Worte nicht mehr zu; offenbar leistet aber der Ingenieur noch immer Widerstand, während Ruby sich begnügt, mit den Achseln zu zucken.

Jetzt, jetzt dringen auf’s Neue einzelne Worte an mein Ohr.

»Doch, doch, sagte Falsten, der Kapitän muß davon erfahren. Das Colli muß in’s Meer geworfen werden; ich verspüre keine Lust, mich in die Luft sprengen zu lassen!«

In die Luft sprengen! Ich erhebe mich rasch bei diesen Worten. Was will der Ingenieur damit sagen? Worauf spielt er an? Er kennt ja die Situation des Chancellor nicht und weiß nicht, daß eine Feuersbrunst seine Fracht verzehrt!

Aber ein Wort, – ein »furchtbares« unter den thatsächlichen Verhältnissen, jagt mich auf. Und dieses Wort »Natron-Pikrat« kommt mehrmals vor.

Im Augenblick bin ich neben den beiden Männern und unwillkürlich fasse ich mit unwiderstehlicher Gewalt Ruby beim Kragen.

»Es ist Pikrat an Bord?

– Ja, antwortet Falsten, ein Colli mit etwa dreißig Pfund.

– Und wo?

– Im Raum, bei der Schiffsfracht!«

LVI.


LVI.

Fortsetzung vom 27. Januar. – Ich habe getrunken! Ich habe getrunken! Ich bin neu geboren! Das Leben zieht wieder in mich ein! Ich will nicht mehr sterben!

Ich schreie und werde gehört. Kurtis erscheint über der Schanzkleidung und wirft mir ein Tau zu, das meine Hand erfaßt. Ich klettere an Bord und breche auf der Plateform zusammen.

»Süßwasser! Trinkwasser!« sind meine ersten Worte.

– Süßwasser! ruft Robert Kurtis, meine Freunde, das rettende Land ist da!«

Noch ist es Zeit! Der Mord ist noch nicht vollbracht! Das Opfer noch nicht geschlachtet! Robert Kurtis und André hatten gegen die Kannibalen gekämpft, und gerade als sie dem Unterliegen nahe waren, sind meine Rufe zu ihnen gedrungen.

Der Kampf schweigt. Ich rufe nochmals die Worte: »Süßwasser! Trinkwasser!« neige mich über den Rand des Flosses und trinke, ja, ich trinke mit langen, wohlthätigen Zügen!

Miß Herbey folgt zunächst meinem Beispiele. Robert Kurtis, Falsten, alle Uebrigen stürzen sich nun auf die neuerschlossene Lebensquelle; Jeder kühlt sein brennendes Verlangen. Die wilden Thiere der letzten Minuten strecken die Arme gen Himmel, und einige Matrosen bekreuzen sich, da sie ein Wunder vor sich zu haben glauben. Alle knieen am Bordrande nieder und trinken mit wahrhaft wollüstigem Entzücken. Der Ausbruch der Freude folgt dem der Wuth!

André und sein Vater sind die Letzten, die dem allgemeinen Beispiele folgen.

»Doch wo, wo sind wir? habe ich laut gefragt.

– Da!« antwortet Robert Kurtis und weist mit der Hand nach Westen.

Man sieht ihn verwundert an. Ist jetzt der Kapitän auch toll geworden? Es ist keine Küste in Sicht, und das Floß nimmt noch immer den Mittelpunkt der Wasserscheibe ein.

Und doch, das Wasser ist ja süß. Seit wann? – Einerlei; jetzt haben die Sinne uns nicht betrogen und unser Durst ist gelöscht.

»Ja wohl, fährt der Kapitän fort, noch ist das Land unsichtbar, doch wir haben es weniger als zwanzig Meilen unter dem Winde.

– Welches Land? fragt der Hochbootsmann.

– Das amerikanische Festland, und zwar denjenigen Theil, an welchem der Amazonenstrom mündet, denn dieser Strom allein wälzt seine Fluthen mit solcher Gewalt in’s Meer, daß er im Stande ist, bis auf zwanzig Meilen dessen Salzwasser zu verdrängen!»

LVII.


LVII.

Fortsetzung vom 27. Januar. – Robert Kurtis hatte vollkommen recht, denn die Mündung des Amazonenstromes, welcher so viel Wasser in’s Meer führt, ist die einzige Stelle des Atlantischen Oceans, an der wir Süßwasser antreffen konnten. Das Land ist da. Wir fühlen es voraus! Der Wind trägt uns dorthin.

In diesem Augenblicke erhebt sich Miß Herbey’s Stimme gen Himmel, und wir verbinden unsere Gebete mit dem ihrigen!

André Letourneur liegt in den Armen seines Vaters, und wir Anderen Alle, auf dem Vorder- und dem Hintertheile des Flosses, starren nach dem Horizonte im Westen …

Eine Stunde später ruft Robert Kurtis laut: »Land! Land!«

Das Tagebuch, in dem ich meine täglichen Beobachtungen niedergelegt habe, ist beendet. In wenigen Stunden waren wir gerettet, was ich noch mit kurzen Worten erzählen will.

Das Floß begegnete gegen elf Uhr Morgens an der Magouri-Spitze der Insel Marajo mitleidigen Schiffern, die uns aufnahmen und stärkten. Dann wurden wir nach Para übergeführt und der Gegenstand der rührendsten Sorgfalt.

Das Floß stieß unter 0º 12′ nördlicher Breite an’s Land. Es ist also, seit wir das Schiff verließen, mindestens fünfzehn Grad nach Süden getrieben worden. Ich sage mindestens, denn offenbar waren wir schon weiter nach Süden verschlagen, und wenn wir an der Mündung des Amazonenstromes anlangten, so kommt das daher, daß der Golfstrom das Floß wieder erfaßt und es dorthin getrieben hat. Ohne diesen glücklichen Umstand wären wir verloren gewesen.

Von zweiunddreißig Menschen, nämlich neun Passagieren und dreiundzwanzig Seeleuten, die sich in Charleston eingeschifft hatten, waren nur fünf Passagiere und sechs Seeleute übrig, – im ganzen elf Personen.

Das sind die einzigen Ueberlebenden des Chancellor.

Von den brasilianischen Behörden wurde ein officielles Protokoll aufgenommen.

Unterzeichnet haben es: Miß Herbey, J. R. Kazallon, Letourneur sen., André Letourneur, Falsten, der Hochbootsmann, Daoulas, Burke, Flaypol, Sandon und als Letzter – Robert Kurtis, Kapitän.

Ich füge hinzu, daß uns in Para sofort Gelegenheit geboten wurde, in unser Vaterland zurückzukehren. Ein Schiff brachte uns nach Cayenne, und wir wollen die Französische Transatlantische Linie von Aspinwall benutzen, deren Steamer Ville-de-Saint-Nazaire uns nach Europa zurückbringen soll.

Ist es aber jetzt, nach so viel gemeinschaftlich überstandenen Prüfungen, nach so vielen Gefahren, denen wir nur wie durch ein Wunder entgangen sind, nicht ganz natürlich, daß ein unlösliches Freundschaftsband sich um die Passagiere des Chancellor schlingt, und daß sie unter allen Verhältnissen, und wie weit das Schicksal sie auch von einander wegführe, sich niemals vergessen werden? Robert Kurtis ist jetzt auf immer der Freund derjenigen, die seine Unglücksgefährten waren.

Miß Herbey hatte die Absicht, sich von der Welt zurückzuziehen und ihr späteres Leben den Leidenden zu widmen.

»Ist denn mein Sohn nicht auch ein Kranker!…« hat Mr. Letourneur darauf zu ihr gesagt.

Miß Herbey hat jetzt in ihm einen Vater, in seinem Sohne einen Bruder gefunden. Ich sage, einen Bruder, doch in kurzer Zeit wird dem muthigen Mädchen in ihrer neuen Familie dasjenige Glück winken, das sie verdient und wir ihr Alle von ganzem Herzen wünschen.

VII.


VII.

Am 14. October. – Endlich hat der Chancellor das Vegetabilienmeer verlassen und die Gewalt des Windes sich vermindert, und wir kommen mit zwei gerefften Marssegeln rasch vorwärts.

Heute wurde die Sonne wieder sichtbar und leuchtet jetzt mit hohem Glanze. Es fängt allmälig an sehr warm zu werden. Die Aufnahmen betreffs der Ortsbestimmung ergeben 21° 33′ nördlicher Breite und 50° 17′ westlicher Länge. Der Chancellor ist also um mehr als zehn Breitengrade nach Süden gesegelt.

Noch immer hält er den südöstlichen Cours!

Ich habe mir über dieses unbegreifliche Verfahren des Kapitän Huntly Aufschluß zu verschaffen gesucht und mehrere Male mit dem Befehlshaber gesprochen. Hat er seinen klaren Verstand oder hat er ihn nicht? Ich weiß es noch nicht. Im Allgemeinen spricht er vernünftig. Steht er unter dem Einflusse einer partiellen Verrücktheit, einer Geistesabwesenheit, welche sich gerade bezüglich seines Geschäftes äußert? Derartige Fälle wurden schon wiederholt beobachtet. Robert Kurtis, mit dem ich davon spreche, hört mir nur sehr kühl zu. Der zweite Officier wiederholt seine frühere Aussage, daß er nicht das Recht habe, seinen Kapitän abzusetzen, so lange nicht durch einen wohl constatirten Act des Wahnsinns der Verlust des Schiffes drohe. Die Verantwortlichkeit für jenen angedeuteten Schritt ist eine sehr ernste.

Gegen acht Uhr Abends bin ich in meine Cabine zurückgekehrt, habe bei dem Lichte meiner Schwebelampe noch eine Stunde gelesen und meinen Gedanken nachgehangen, dann aber mich niedergelegt und bin bald eingeschlafen.

Einige Stunden später durch ein ungewohntes Geräusch erweckt, höre ich schwere Tritte und lautes Gespräch auf dem Verdeck. Die Mannschaft scheint eiligst hin und her zu laufen. Was mag der Grund dieser außergewöhnlichen Bewegung sein? Wahrscheinlich eine Veränderung der Segelstellung behufs Aenderung des Schiffscourses … Doch nein, das ist’s wahrscheinlich nicht, denn noch immer neigt sich das Schiff nach der Steuerbordseite und folglich ist seine Richtung nicht verändert worden. Die Bewegungen des Chancellor sind jetzt keine heftigeren, es stürmt also nicht.

Am folgenden Morgen des 14. begebe ich mich schon um sechs Uhr auf Deck und betrachte das Fahrzeug. An Bord ist scheinbar nichts geändert. Wir segeln unter Backbordhalsen mit den unteren Mars- und Focksegeln. Der Chancellor hält sich prächtig auf dem von der frischen Brise etwas bewegten Meere. Seine Schnelligkeit ist beträchtlich und kann jetzt nicht unter elf Meilen (Seemeilen, 4 = 1 geographische Meile) betragen.

Bald erscheinen auch die beiden Herren Letourneur auf dem Verdeck, ich helfe dem jungen Manne heraufsteigen. Mit großem Wohlbehagen schlürft André die belebende Morgenluft.

Ich frage die Herren, ob sie diese Nacht nicht durch ein Geräusch erweckt worden seien, das eine gewisse Bewegung an Bord verrathen habe.

»Ich für meinen Theil nicht, antwortet André Letourneur, ich habe in einem fort geschlafen.«

– Du schliefst ganz ruhig, liebes Kind, sagte Herr Letourneur, ich bin jedoch auch durch das Geräusch, von dem Mr. Kazallon spricht, munter gemacht worden. Ich glaubte die Worte zu vernehmen: »Schnell! Schnell! Nach den Luken! Nach den Luken!«

– Um wieviel Uhr war das wohl? fragte ich.

– Etwa um drei Uhr Morgens.

– Und die Ursache dieses Geräusches ist Ihnen unbekannt geblieben?

– Vollkommen, Mr. Kazallon, sie kann aber nur unbedeutend gewesen sein, da Niemand von uns nach dem Verdeck gerufen worden ist.«

Ich fasse die Luken, welche vor und hinter dem großen Maste angebracht sind und nach dem Kielraume hinabführen, in’s Auge, Wie gewöhnlich sind sie geschlossen, doch fällt es mir auf, daß sie sorgsam mit Pfortsegeln überdeckt erscheinen, als habe man sie möglichst hermetisch verschließen wollen. Warum ist das geschehen? Hier liegt Etwas zu Grunde, das ich mir nicht zu erklären vermag. Robert Kurtis wird mir ohne Zweifel darüber Aufschluß geben. Ich warte also, bis der zweite Officier an die Wache kommt und halte meine eigenen Gedanken zunächst zurück, da es mir besser scheint, sie den Herren Letourneur jetzt nicht mitzutheilen.

Der Tag verspricht schön zu werden, die Sonne ist prächtig und fast ganz dunstfrei aufgegangen. Ein gutes Vorzeichen. Noch sieht man über dem westlichen Horizonte die Sichel des Mondes, der vor zehn Uhr siebenundfünfzig Minuten nicht untergehen wird. In drei Tagen werden wir letztes Viertel und am 24. Neumond haben. Ich schlage in meinem Kalender nach und sehe, daß an demselben Tage eine starke Springfluth sein muß. Bei unserer Fahrt auf dem offenen Meere können wir freilich nichts davon wahrnehmen, an den Küsten aller Continente und Inseln aber wird das Phänomen merkwürdig zu beobachten sein, denn der Neumond muß die Wassermassen zu außergewöhnlicher Höhe emporheben.

Ich bin jetzt auf dem Oberdeck allein. Die Herren Letourneur sind zum Thee wieder hinab gegangen, und ich erwarte den zweiten Officier.

Um acht Uhr beginnt die Wache Robert Kurtis‘, der den Lieutenant Walter ablöst, und ich gehe diesem mit einem Händedrucke entgegen.

Noch ehe er mir guten Tag sagt, läßt Robert Kurtis seinen Blick über das Verdeck schweifen, und seine Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen. Dann beobachtet er den Zustand des Himmels und die Takelage, um sich hierauf dem Lieutenant Walter zu nähern.

»Der Kapitän? fragte er.

– Ich sah ihn heute noch nicht.

– Nichts Neues?

– Nichts.«

Dann unterhalten sich Robert Kurtis und Lieutenant Walter einige Augenblicke mit leiser Stimme. Auf eine an ihn gerichtete Frage antwortet Walter mit einem verneinenden Zeichen.

»Schicken Sie mir den Hochbootsmann herauf. Walter«, ruft der zweite Officier dem abgelösten Lieutenant nach.

Bald erscheint der Gerufene und Robert Kurtis stellt einige Fragen an ihn, auf welche dieser mit leiser Stimme, aber mit Achselzucken antwortet. Auf den Wink des zweiten Officiers läßt der Hochbootsmann durch die Deckwache die Pfortsegel über der großen Luke neu begießen.

Einige Augenblicke später nähere ich mich Robert Kurtis, und unser Gespräch dreht sich zunächst um unwichtige Dinge. Da es mir scheint, als wolle der zweite Officier nicht selbst auf den Gegenstand meines lebhaften Interesses eingehen, sage ich zu ihm:

»Ich bitte, Mr. Kurtis, was ist denn diese Nacht an Bord vorgekommen?«

Robert Kurtis betrachtet mich aufmerksam, giebt aber keine Antwort.

»Ja, fahre ich fort, ich wurde durch in ungewöhnliches Geräusch erweckt, ebenso Mr. Letourneur; was ist geschehen?

– Nichts Besonderes, Mr. Kazallon, erwidert Robert Kurtis, eine falsche Steuerbewegung des Untersteuermannes machte es plötzlich nöthig, zu brassen, was eine gewisse Bewegung auf dem Verdeck veranlaßt haben mag. Bald war der Fehler wieder gut gemacht und der Chancellor lief in seinem gewohnten Course weiter.«

Mir scheint, daß der sonst so offene Robert Kurtis diesmal nicht die Wahrheit gesagt hat.

VIII.


VIII.

Vom 15. bis 18. October. – Die Fahrt geht ganz in derselben Weise weiter, der Wind hält sich aus Nordosten, und für Jeden nicht tiefer Blickenden hat es den Anschein, als ob an Bord Alles in bester Ordnung sei.

Indeß, »es liegt etwas in der Luft«. Die Matrosen stecken die Köpfe zusammen und murmeln unter einander, schweigen aber bei unserer Annäherung. Wiederholt habe ich das Wort »Luke« gehört, das schon Mr. Letourneur aufgefallen war. Was befindet sich nur im Kielraum des Chancellor, das so besondere Vorsicht nöthig machen kann? Warum sind die Luken so luftdicht verwahrt? Wahrlich, wenn eine empörte Schiffsmannschaft im Zwischendeck gefangen gehalten würde, könnte man strengere Maßregeln zu ihrer Bewachung nicht wohl ergreifen.

Am 15., als ich mich auf dem Vordercastell erging, hörte ich den Matrosen Owen zu seinen Kameraden sagen:

»Ihr Anderen wißt es also, ich warte nicht, bis es zu spät ist. Jeder ist sich selbst der Nächste.

– Was willst Du aber thun, Owen? fragte ihn Jynxtrop, der Koch.

– Ei nun! hat der Matrose geantwortet, die Schaluppen sind doch nicht für Meerschweinchen erfunden!«

Das Gespräch wurde plötzlich unterbrochen, und ich konnte nicht mehr vernehmen. Ist etwa eine Verschwörung gegen die Schiffsoberleitung im Entstehen? Hat Robert Kurtis Vorzeichen einer Empörung bemerkt? Den bösen Willen mancher Matrosen hat man stets zu fürchten, und muß Jenen eine eiserne Disciplin entgegen setzen.

Drei Tage sind verflossen, ohne daß mir etwas Bemerkenswerthes aufgefallen wäre. An Robert Kurtis erkenne ich jedoch Zeichen von Ungeduld, was mich bei einem Manne, der seiner so sehr Herr ist, wie er, desto mehr verwundert; dennoch scheint mir Kapitän Huntly in Folge wiederholter Einsprache seiner Officiere nur noch hartnäckiger auf seinem Willen zu beharren. Uebrigens muß er an einer Ueberreizung leiden, deren Ursache mir noch dunkel ist.

Während der Mahlzeiten haben wir, Mr. Letourneur und ich, die Schweigsamkeit des Kapitäns und die Unruhe des zweiten Officiers wiederholt beobachtet. Dann und wann versucht Robert Kurtis eine Conversation zu unterhalten, doch schweigt sie meist sofort wieder, und weder der Ingenieur Falsten noch Mr. Kear sind die Leute dazu, eine solche zu führen.

Ruby natürlich ebenso wenig. Inzwischen fangen die Passagiere, und das nicht ohne Grund, an, sich über die lange Dauer der Fahrt zu beklagen. Mr. Kear, ein Mann, vor dem sich selbst die Elemente beugen müssen, scheint Kapitän Huntly für diese Verzögerung verantwortlich machen zu wollen und sagt ihm das in’s Gesicht.

Im Verlaufe des 17. und von da ab auch später wird das Verdeck auf Anordnung des zweiten Officiers wiederholt begossen. Gewöhnlich geschieht das nur am Morgen, jetzt mag die öftere Wiederholung dieses Verfahrens durch die hohe Temperatur veranlaßt sein, in der wir uns befinden, da wir so weit nach Süden herab getrieben sind. Die Pfortsegel über den Luken werden sogar stets ganz naß erhalten, und ihr dadurch eingelaufenes Gewebe bildet eine ganz undurchdringliche Decke. Der Chancellor besitzt Pumpen, welche das Ueberfluthen mit Wasser sehr bequem ausführen lassen. Ich glaube kaum, daß das Verdeck der luxuriösesten Goëletten peinlicher rein gehalten wird. Die Mannschaft des Schiffes hätte eigentlich Ursache, sich über die ihr mehr aufgebürdete Arbeit zu beklagen, aber »sie beklagt sich nicht«.

Während der Nacht vom 23. zum 24. erscheint mir die Temperatur in den Cabinen wahrhaft erstickend. Trotz des starken Meerganges habe ich die kleine Lichtpforte meiner Cabine in der Steuerbordwand des Schiffes offen lassen müssen.

Man kann nicht im Zweifel sein, daß wir uns in den Tropen befinden.

Mit Tagesgrauen bin ich nach dem Verdeck gegangen. In meiner Verwunderung habe ich die Lufttemperatur nicht entsprechend der im Inneren des Fahrzeuges gefunden. Der Morgen ist sogar recht kühl, denn die Sonne ist kaum über dem Horizont herauf, und doch habe ich mich nicht getäuscht, es war gewiß sehr warm im Schiffe.

Eben sind die Matrosen mit dem unvermeidlichen Abwaschen des Verdecks beschäftigt; die Pumpen speien Wasser, das je nach der Lage des Schiffes durch die Schanzenkleidung der Backbord- oder Steuerbordseite abläuft.

Die Seeleute laufen in dem Wasser mit bloßen Füßen umher. Ich weiß nicht, warum mich die Lust anwandelt, es ihnen nachzuthun. Ich entledige mich also der Stiefeln und der Strümpfe und pläntschere in dem frischen Seewasser herum.

Zu meinem größten Erstaunen fühle ich, daß das Verdeck des Chancellor sehr warm ist, und kann einen Ausruf darüber nicht zurückhalten.

Robert Kurtis hört mich, wendet sich um, kommt auf mich zu und beantwortet mir eine Frage, die ich noch gar nicht an ihn gestellt habe:

»Nun ja, sagt er, es ist Feuer an Bord!«

LIII.


LIII.

Am 26. Januar. – Der Vorschlag ist gemacht. Alle haben ihn gehört, Alle verstanden. Seit einigen Tagen schon war er zur fixen Idee geworden, welche nur Niemand in ihrer Nacktheit auszusprechen wagte.

Man will das Loos entscheiden lassen.

Jeder soll einen Theil von dem erhalten, den das Loos zum Opfer bezeichnen wird.

Nun gut, es sei! Wenn mich das Loos träfe, ich würde mich nicht beklagen.

Mir scheint, daß eine Ausnahme zu Gunsten der Miß Herbey vorgeschlagen worden ist, und daß sie von André Letourneur angeregt wurde. Doch ein Murmeln des Unmuths wird unter den Matrosen hörbar. Wir sind elf an Bord. Jeder hat also zehn Chancen für und nur eine gegen sich; die vorgeschlagene Ausnahme würde dieses Verhältniß umstoßen. Miß Herbey muß das Schicksal aller Anderen theilen.

Es ist nun zehn ein halb Uhr geworden. Der Hochbootsmann, den Daoulas‘ Vorschlag wieder belebt hat, dringt darauf, daß die Verloosung sogleich vorgenommen werden solle. Er hat recht. Uebrigens hängt wohl Keiner von uns besonders am Leben, und der, den das Loos treffen wird, geht ja den Uebrigen nur um wenige Tage, vielleicht nur um wenige Stunden im Tode voran. Man weiß das; der Tod hat seinen Stachel verloren. Aber nicht einen oder zwei Tage mehr von diesem Hunger leiden, und diesen entsetzlichen Durst empfinden, das will man, das wird man erreichen.

Ich weiß nicht, wie es gekommen ist, daß sich alle unsere Namen in einem Hute befinden; es kann nur Falsten gewesen sein, der sie auf ein aus seinem Notizbuche herausgerissenes Stück Papier geschrieben hat.

Die elf Namen sind vorhanden, und man kommt ohne Gegenrede dahin überein, daß der letzte Name, welcher gezogen wird, das Opfer bezeichnen soll.

Wer wird die Ausloosung vornehmen? Alle zaudern ein wenig.

»Ich«, antwortet da Einer von uns.

Ich sehe mich um und erkenne Mr. Letourneur.

Er steht da, bleich, mit vorgestreckter Hand, seine weißen Haare fallen ihm über die ausgehöhlten Wangen, und er erschreckt durch seine gespenstige Ruhe!

Ach, unglücklicher Vater, ich verstehe Dich; ich weiß es, warum gerade Du die Namen aufrufen willst! Deine väterliche Opferfreudigkeit wird auch so weit gehen.

»Wenn es Ihnen gefällig ist!« sagt der Hochbootsmann.

Mr. Letourneur senkt die Hand in den Hut, ergreift ein Billet, entfaltet es, spricht mit lauter Stimme den Namen aus, den es trägt, und übergiebt es Demjenigen, den es bezeichnet.

Der erste herausgezogene Name ist der Burke’s, der einen Freudenschrei ausstößt.

Der zweite der Flaypol’s.

Der dritte der des Hochbootsmannes.

Der vierte der Falsten’s.

Der fünfte der Robert Kurtis‘.

Der sechste der Sandon’s.

Die Hälfte der Namen und einer darüber ist ausgerufen.

Der meinige ist nicht gekommen, und ich suche die Chancen zu berechnen, die mir noch bleiben: Vier gute gegen eine schlechte.

Seitdem Burke jenen Schrei ausstieß, hat Niemand ein Wort vernehmen lassen.

Mr. Letourneur fährt in seinem traurigen Geschäfte fort.

Der siebente Name ist der der Miß Herbey, aber das junge Mädchen verräth kein Zeichen der Freude.

Der achte Name ist der meinige. Ja! Der meinige!

Der neunte Name:

»Letourneur!«

– Welcher? fragt der Hochbootsmann.

– André!« antwortet Mr. Letourneur.

Da hört man einen wiederholten Schrei, und André stürzt bewußtlos zusammen.

»Nur vorwärts!« ruft der Zimmermann Daoulas, dessen Name mit dem des Mr. Letourneur allein noch im Hute zurückgeblieben ist.

Daoulas betrachtet seinen Rivalen als das Opfer, das er verschlingen will. Mr. Letourneur selbst zeigt fast ein Lächeln. Er führt seine Hand wieder in den Hut, er zieht das vorletzte Loos heraus, entfaltet es langsam, und ohne daß seine Stimme zittert und mit einer Seelenstärke, welche ich diesem Greise kaum zugetraut hätte, spricht er den Namen »Daoulas!« aus.

Der Zimmermann ist gerettet, und ein Stoßseufzer entringt sich seiner Brust.

Dann nimmt Mr. Letourneur noch das letzte Billet und zerreißt es, ohne es erst zu öffnen.

Doch ein Stückchen des zerrissenen Papieres liegt von Niemand beachtet nach einer Ecke des Flosses. Ich krieche darnach hin, ich ergreife es, und auf einer Ecke desselben lese ich noch: And …

Mr. Letourneur kommt eiligst auf mich zu, entreißt meinen Händen das winzige Stück Papier, dreht es fest zusammen, und indem er mich scharf und ernst anblickt, wirft er es in das Meer.