Kapitel 21

 

21

 

Später führte sie Tony höflich bis vor eine Tür im ersten Stock.

 

»Dies ist dein Zimmer – ich habe es für dich ausgesucht. Con ist mit dem Zug nach Indiana gefahren«, versuchte er sie zu trösten. »Er kommt vor morgen früh nicht zurück.«

 

»Wird ihm auch nichts passieren?«

 

»Bestimmt nicht.«

 

Er ging noch eine Weile auf dem Gang hin und her, als sie in ihrem Zimmer verschwunden war. Die Tür wurde von innen verschlossen, und er lächelte. Auch jetzt noch versuchte sie, die anständige Dame zu spielen.

 

Angelo erwartete ihn schon mit zwei Leuten. Als Tony zurückkam, stand eine große rote Couch auf dem Teppich. Vor der Couch lag eine Brücke in derselben Farbe.

 

Tony mußte plötzlich an Vinsetti denken. Er sprach auch mit Angelo darüber, der allein bei ihm blieb, nachdem die Vorbereitungen getroffen waren.

 

»Romano wird Con unter allen Umständen erledigen«, sagte Angelo.

 

»Ist der Alarm eingeschaltet?«

 

Angelo sah zu dem kleinen Schalter hinüber und nickte.

 

»Alles in Ordnung, aber ich glaube nicht, daß O’Hara hierherkommt. Wer hat es ihm eigentlich gesteckt?« Er stand an der Tür und horchte auf die Geräusche des Aufzugs.

 

»Jimmy.«

 

Angelo war aufs höchste überrascht.

 

»Was? Aber Jimmy hatte doch keine Ahnung, daß er in den Tod geschickt werden sollte. Sonst wäre er doch niemals gegangen!«

 

»Er wußte es.«

 

Die Spannung wurde allmählich unerträglich, und die beiden schauten bei jedem leisen Geräusch zur Tür.

 

»Das ist ja nicht zu glauben! Aber wer sollte ihm denn das verraten haben?«

 

»Minn Lee«, erwiderte Tony schroff. »Sie nahm ihn mit in ihr Zimmer, während wir alle hier waren.« Seine Stimme zitterte. »Verstehst du das? – Aber dafür wird sie mir noch büßen!«

 

Das schwache Lächeln, das um Angelo Veronas Mund spielte, war schwer zu deuten.

 

»Es wird besser sein, du hütest dich ein wenig vor ihr. Sie weiß sehr viel …«

 

In diesem Augenblick summte eine elektrische Klingel; es war das Signal, daß man Con O’Hara gesehen hatte.

 

Angelo zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe.

 

»Donnerwetter, hätte nicht gedacht, daß er herkommt! Ich nehme an, sie werden ihn gleich unten erledigen.«

 

»Ich will keinen Skandal hier haben«, erklärte Tony scharf.

 

Wieder ein Warnungssignal; Con O’Hara war jetzt im Haus. Perelli machte eine Handbewegung.

 

»Geh hinaus«, flüsterte er. »Wenn ich ihn verfehlen sollte, schieß du auf ihn. Verhalte dich ruhig!«

 

Angelo verließ den Raum. Tony stand an das Klavier gelehnt und wartete. Langsam öffnete sich die Tür, eine Hand mit einem Revolver schob sich durch den Spalt. Die Mündung zeigte auf ihn. Mit einem entschlossenen Ruck wurde die Tür aufgestoßen, und Con O’Hara kam furchtlos herein. Er hatte den Hut ins Genick geschoben, sein Gesicht war von äußerster Entschlossenheit.

 

Tony hatte nachlässig seinen Hut in die Hand genommen, als wäre er gerade im Begriff, fortzugehen.

 

»Hallo, Con«, sagte er in freundlichstem Ton. »Sind Sie schon wieder zurück? Die Gesellschaft hat sich schon in alle Winde zerstreut. Ich möchte noch einen kleinen Spaziergang machen – kommen Sie mit?«

 

Ohne Zögern ging Con O’Hara bis zu der roten Couch.

 

»Einer von uns beiden wird nicht weit gehen«, sagte er verbissen. Eine fast hemmungslose Wut hatte ihn gepackt; nur eines hielt ihn noch zurück: das unweigerliche Mißtrauen, das jeder Verbrecher Geschichten entgegensetzt, die ihm von seinesgleichen erzählt werden. Aber Jimmy mußte die Wahrheit gesprochen haben – er war gestorben, um sie zu beweisen.

 

Tony lächelte.

 

»Haben Sie sich auf dem Weg hierher einen genehmigt? Oder ist sonst etwas mit Ihnen los? Hat Jimmy dem Captain meinen Brief übergeben?«

 

O’Hara atmete schwer; er hatte Mühe, die Herrschaft über seine Stimme zu behalten.

 

»Tot ist er, wenn Sie das meinen! Ich habe ihm zuerst nicht geglaubt – aber er sagte, daß Sie uns ans Messer liefern wollten. Ich habe genau beobachtet, was geschah – ein Auto fuhr vorbei, und sie haben ihn mit einem Maschinengewehr umgelegt …, dann warteten sie noch eine Weile. Sie sahen sich nach noch jemand um – nämlich nach mir!«

 

Bestürzung spiegelte sich in Perellis Gesicht.

 

»Ich verstehe Sie nicht – was meinen Sie denn damit, Con? Sie glauben doch nicht etwa, daß ich, Antonio Perelli, Sie in den Tod …«

 

»Allerdings, das glaube ich«, entgegnete O’Hara grimmig.

 

»Sie sind verrückt – meinen besten Mann und meinen besten Freund!«

 

»Wo ist meine Frau?«

 

»Sie ist nach Hause gegangen.« Tony wischte ein Stäubchen von seiner Schulter.

 

»Nach Hause gegangen? – Sie ist hier!«

 

»Wirklich, Sie benehmen sich wie ein Idiot. Seien Sie doch vernünftig, Con. Würde ich vielleicht ausgehen, wenn Ihre Frau hier wäre?«

 

»Sie gehen nicht aus!« zischte O’Hara. »Her mit Ihrem Hut!«

 

Mit der Linken riß er Tony den Hut aus der Hand, doch im gleichen Augenblick drückte Perelli die Pistole ab, die er darunter verborgen gehalten hatte. Es gab keinen lauten Knall, der Schalldämpfer funktionierte ausgezeichnet, und außerhalb des Raumes hatte man wahrscheinlich gar nichts gehört. Cons Revolver fiel zu Boden – er griff sich mit beiden Händen an die Seite und drehte sich einmal um sich selbst. Perelli feuerte ein zweites Mal, und dieses Mal traf er ihn tödlich. Mit einem Stoß schleuderte er den schwankenden Mann auf die Couch, wo er regungslos liegenblieb.

 

Kapitel 22

 

22

 

Perelli spielte Klavier, und Mary ging hinunter, um ihm zuzuhören. Die große rote Couch war inzwischen wieder weggebracht worden, und sie hatte keine Ahnung, daß die Leiche ihres Mannes im anstoßenden Zimmer lag.

 

Nach einer angeregten Unterhaltung mit Tony sagte sie gute Nacht. Ihr Schlaf war sehr unruhig, und gegen Morgen lief sie nach Hause, um nachzusehen, ob ihr Mann nicht inzwischen zurückgekommen sei. Aufgeregt und nervös erschien sie wieder in Perellis Wohnung.

 

Angelo Verona saß in Hemdsärmeln am Eßtisch im Salon und war damit beschäftigt, Löhne abzurechnen, die am nächsten Vormittag ausgezahlt werden sollten. Drei Haufen Banknoten lagen vor ihm, und er sortierte sie gerade durch, als sie ankam.

 

Sie konnte Angelo gut leiden. Er war nahe daran, eine bedeutende Stellung in der Unterwelt von Chicago einzunehmen. Eines Tages würde er der Chef einer großen Organisation sein, wenn ihn nicht vorher einer von Tom Feeneys Freunden niederknallte.

 

»Noch nichts von Con gehört?« fragte Mary ängstlich.

 

»Ich glaube, er ist mit dem Zug weggefahren«, erwiderte Angelo, ohne aufzuschauen. »Er sprach gestern abend davon, daß er nach Detroit fahren wollte. Möchte bloß wissen, warum die Jungens alle nach Detroit gehen.«

 

»Wenn ich nur wenigstens eine Nachricht von ihm hätte!«

 

Angelo legte seinen Bleistift weg. Es hatte keinen Sinn zu arbeiten, solange dieses geschwätzige Frauenzimmer hier war.

 

»Was wollen Sie denn, Mrs. O’Hara? In unserem Geschäft muß man beweglich sein. Die Leute sind manchmal wochenlang verreist. Sie wissen doch, daß wir keinen Kaugummi verkaufen.«

 

Aber sie war nicht so leicht zu beruhigen.

 

»Steht nichts Neues in der Zeitung?«

 

Angelo fuhr sich mit der Hand durch das Haar und sah sie ärgerlich an.

 

»Über Jimmy können Sie eine ganze Menge lesen.«

 

Er selbst bedauerte es sehr, daß der junge Mann hatte dran glauben müssen. Jimmy war ein netter Kerl gewesen, der niemals seine Kameraden bei der Polizei verpfiffen hätte. Aber Angelo hielt es für klüger, zu schweigen.

 

»Ja, der arme Junge. Ich habe schon alles gelesen. Weil Con mit ihm weggegangen ist, bin ich so in Sorge. Sie verstehen das doch, Angelo, nicht wahr?«

 

Er nickte.

 

»Irgend etwas stimmt da nicht«, erklärte sie hartnäckig.

 

Angelo begann nervös zu werden.

 

»Also, hören Sie zu, Mrs. O’Hara. Ich muß Ihnen etwas anvertrauen. Con ist heute nacht zurückgekommen.«

 

Sie stand erregt auf.

 

»Was – er ist hier gewesen? Hat er nach mir gefragt?« rief sie atemlos. »War er zu Hause?«

 

»Nein.« Angelo konnte für gewöhnlich geschickte Ausreden erfinden, aber hier schien es Komplikationen zu geben.

 

»Ich sagte ihm, daß Sie bei Minn Lee schliefen und daß Tony ausgegangen sei.«

 

»Wollte er denn nicht heraufkommen?« fragte sie ängstlich.

 

Er lächelte.

 

»Nein. Das hätte ich auch nicht zugelassen.«

 

Sie atmete auf und schaute ihn dankbar an.

 

»Das war sehr nett von Ihnen – ich weiß nicht, was er getan hätte, wenn …«

 

»Jemand hätte wahrscheinlich ins Gras beißen müssen«, erwiderte Angelo trocken.

 

»Hat er denn gar keine Nachricht für mich hinterlassen?«

 

Er erinnerte sich an gewisse Anweisungen, die er am Morgen erhalten hatte.

 

»Ihr Mann läßt Ihnen bestellen, daß Sie bei Minn Lee bleiben sollen, bis Sie wieder von ihm hören.«

 

Sie wußte nicht recht, ob sie ihm glauben sollte oder nicht.

 

»Aber er hat doch kein Geld!«

 

»Ich habe ihm welches gegeben. Tony war wütend, als er davon erfuhr.«

 

Er legte seine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht hoch.

 

»Wie gefällt’s Ihnen hier?«

 

Diese Frage lenkte sie ab, und sie dachte an die Stellung, die sie vielleicht bald in diesem Haus einnehmen würde.

 

»Finger weg«, sagte sie und stieß ihn zurück. »Wo ist Mr. Perelli?«

 

»Sie meinen Tony«, erwiderte Angelo lächelnd. »Er ist jetzt gerade im Polizeipräsidium – zusammen mit seinem Rechtsanwalt. Ich glaube, Sie werden es hier sehr schön haben, Mary. Vergessen Sie nicht, daß Sie sich bald jeden Wunsch erfüllen können – ah, guten Morgen, Minn Lee.«

 

Die Chinesin sah strahlend und frisch aus wie eine Frau, die noch nie gewußt hat, was Sorgen sind. Sie nickte freundlich und setzte sich an einen kleinen Tisch; mit einem langen Dolch schnitt sie die Seiten eines französischen Romans auf, den sie mitgebracht hatte.

 

Mary sah sie einen Augenblick verwirrt an.

 

»Ach, Mrs. Perelli – ich habe Sie heute morgen ja noch gar nicht gesehen. Hoffentlich hat es Ihnen nichts ausgemacht, daß ich hier geschlafen habe – es war mir so unangenehm, aber mein Mann ist doch nicht zurückgekommen.«

 

»Minn Lee, müssen Sie ausgerechnet diesen Dolch benutzen? Er ist unheimlich scharf«, warnte Angelo.

 

»Tony hat gestern abend den Brieföffner zerbrochen.« Sie fuhr prüfend mit dem Daumen über die Klinge. »Glauben Sie, ich würde jemand damit erstechen?«

 

Mary ließ sich nicht von ihrem Thema abbringen.

 

»Ich bin so beunruhigt wegen Con – er hätte doch wenigstens aus Detroit anrufen können!«

 

»Tony weiß ganz bestimmt, wo er sich aufhält«, sagte Minn Lee. »Warum haben Sie ihn nicht gefragt?«

 

Mary zuckte die Schultern und warf den Kopf zurück.

 

»Ich möchte Mr. Perelli nicht dauernd belästigen – er hat so viel zu tun … Warum lachen Sie denn, Mrs. Perelli?«

 

»Ich lache durchaus nicht, ich fühle mich heute nur so glücklich – Sie auch?«

 

Angelo hörte interessiert zu und beobachtete Minn Lee scharf; ihr Blick war weder spöttisch noch boshaft, und auch ihre Stimme klang ganz normal. Mary sah sie verblüfft an.

 

»Glücklich? Haben Sie denn kein Herz? Denken Sie doch daran, daß der arme Jimmy erschossen wurde!«

 

Minn Lee lachte leise, nahm ihr Buch und ging auf den Balkon. Gleich darauf kam sie aber wieder zurück.

 

»Ich habe noch vergessen, Ihnen zu sagen, daß Tony in allem, was Geld betrifft, sehr großzügig ist. Stellen Sie sich vor, er hat zweihundert seidene Hemden!«

 

Das machte Eindruck auf Mary.

 

»Ich mag es sehr, wenn sich ein Mann gut anzieht.«

 

Die Haustür wurde zugeschlagen, und kurze Zeit später trat Tony ein. Er warf Mantel und Hut einem seiner wartenden Angestellten zu.

 

»Ah; Mr. Perelli«, sagte Mary, »da sind Sie ja.«

 

Er kümmerte sich nicht um sie, ging schnell auf den Balkon und schaute hinunter. Dann kam er zurück und ließ sich in einen Sessel fallen.

 

»Bist du müde?« fragte Minn Lee.

 

»Ich habe einen verdammt anstrengenden Tag hinter mir. Seit heute morgen um neun war ich im Polizeipräsidium.«

 

»Du hast dich wohl gut mit Mr. Kelly unterhalten?« bemerkte Angelo.

 

»Ich werde dir nachher schon erzählen, wie sich die Unterhaltung abgespielt hat. Verbinde mich sofort mit Oberrichter Raminski. Ich will diesem Polypen mal die Hölle heiß machen!«

 

Mary sah ihn verblüfft an. Oberrichter Raminski nahm eine hohe gesellschaftliche Stellung ein und gehörte zu den einflußreichsten Persönlichkeiten in Chicago.

 

»Ich bin völlig erledigt«, sagte Tony. »Sie haben mich durch halb Chicago gefahren, bis ich fast verrückt wurde. Von der Polizei zum Rathaus, vom Rathaus zur Polizei, dann zum Leichenschauhaus und schließlich zu der Stelle, wo Jimmy gefunden wurde.«

 

Angelo hatte inzwischen gewählt und reichte seinem Chef den Hörer.

 

»Ist dort Oberrichter Raminski …? Hier Perelli – Antonio Perelli. Zum Teufel, sagen Sie mal, was soll das bedeuten, daß Kelly mich durch die ganze Stadt schleifen darf?« rief Tony wütend. »Sie sind doch schließlich sein Vorgesetzter … Zwei Stadtbezirke habe ich bei der Wahl für Sie mobil gemacht, das scheinen Sie ganz vergessen zu haben, was …? Und daß ich fünfzigtausend Dollar für Ihren Wahlfonds gespendet habe, ist Ihnen auch nicht mehr bekannt …? Wie …? Also hören Sie – ich muß ganz entschieden bitten, daß bei der Polizei einmal aufgeräumt wird. Sie wollen doch Senator werden – also, sorgen Sie dafür, daß man Kelly hinauswirft! Das ist mein letztes Wort!«

 

Er warf den Hörer auf die Gabel. »Den Burschen soll es noch reuen, daß er so mit mir umgesprungen ist!«

 

Erst allmählich erkannte Mary, wieviel Macht Perelli besaß. Nur er konnte es wagen, so mit einem Richter zu sprechen,, der über Leben und Tod zu entscheiden hatte!

 

»Gib mir was zu trinken, Angelo – Chianti oder was du gerade findest.«

 

Minn Lee kam Angelo zuvor und ging aus dem Zimmer.

 

»Warst du in Cicero?« fragte Tony.

 

Angelo nickte.

 

»In der ›Skyline-Bar‹ ist überhaupt nichts passiert – Kelly hat die ganze Geschichte erfunden.«

 

Mary mischte sich ins Gespräch und machte einige abfällige Bemerkungen über Leute, die in zweifelhaften Nachtlokalen arbeiten. Als Minn Lee mit dem Wein zurückkam, wandte sich Mary an sie.

 

»Es muß doch furchtbar sein, als Animiermädchen in einem solchen Lokal zu arbeiten, Mrs. Perelli.«

 

»Von was reden Sie denn?« fragte Minn Lee.

 

»Ich meine diese Lokale in Cicero …«

 

»Ach, lassen Sie doch!« sagte Tony barsch. »Vielleicht gefällt den Mädchen dort ihr Beruf sogar!« Er sah Minn Lee mit einem ermutigenden Lächeln an. »Die Geschäftsführerin eines solchen Lokals hat das beste Leben – eine schöne Wohnung steht ihr zur Verfügung, und sie kann sich Freunde einladen, soviel sie will.«

 

Minn Lee schien ihm gar nicht zuzuhören.

 

»Hast du Jimmy noch einmal gesehen?« fragte sie so leise, daß es Mary nicht hören konnte.

 

Er wurde blaß – trotz seiner Abgebrühtheit wagte er es nicht, sie anzusehen. »Er sah ganz zufrieden aus«, flüsterte er schließlich ebenso leise mit abgewandtem Gesicht zurück. »Man hatte fast den Eindruck, daß er lächelte …«

 

»Ich dachte es mir«, erwiderte Minn Lee. »Hast du noch etwas darüber gehört, wie er starb?«

 

»Er lebte nur noch einige Sekunden, nachdem die Polizisten ihn gefunden hatten.«

 

»Der arme Junge«, warf Mary, die die letzten Sätze gehört hatte, in konventionellem Ton ein.

 

»Warum sagen Sie ›armer Junge‹?«

 

Minn Lee, die zur Tür gegangen war, blieb stehen und sah Mary mit einem so merkwürdigen Leuchten in ihrem Blick an, daß sie kein Wort mehr sprach.

 

Auch Tony war wieder nachdenklich geworden. Wie würde das Leben ohne Minn Lee sein? Könnte er es wirklich ertragen, daß eine Frau, die ihm so viel bedeutet hatte, einfach vor die Hunde ging – und daß er selbst es so wollte? Er rühmte sich zwar, ein guter Geschäftsmann zu sein, und er hatte niemals gezögert, das Glück anderer Menschen zu opfern, wenn es sich um die Durchführung seiner Pläne handelte, aber in diesem Fall fühlte er Gewissensbisse.

 

An und für sich schien alles so leicht zu gehen – alle Entschuldigungen, die er brauchte, hatte sie selbst ihm geliefert. Und trotzdem wurde er ein unbehagliches Gefühl nicht los – ein Gefühl, wie er es noch nie empfunden hatte.

 

Er sah auf die schöne Frau, die Minn Lees Nachfolgerin werden sollte. Wenigstens war Mary nicht so kompliziert; er setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.

 

»Ich habe dich den ganzen Tag noch nicht richtig gesehen, Liebling«, sagte er.

 

Sie sah ihn mit einem koketten Blick von der Seite her an.

 

»Liebst du mich auch noch?«

 

Er zog sie an sich und küßte sie; plötzlich sprang sie auf.

 

»Wenn Con zurückkommt, werde ich ihm alles sagen«, erklärte sie. »Ich halte es nicht für richtig, einen Mann zu hintergehen. Vor dem Krach, den er schlagen wird, graust mir allerdings – du wirst mir helfen müssen! – Was willst du übrigens mit ihr machen?« fragte sie und sah auf die Tür, hinter der Minn Lee verschwunden war. »Das muß doch auch in Ordnung gebracht werden.«

 

Das war durchaus auch seine Meinung, aber es war eben nicht so leicht in Ordnung zu bringen, wie er gedacht hatte. Nervös zuckte er die Schultern.

 

»Ich bin mit ihr fertig. Sie liebt mich nicht mehr – hat mich sogar betrogen!« setzte er leise hinzu.

 

»Da sieht man wieder einmal, wie unzuverlässig diese Asiaten sind«, erwiderte Mary entrüstet. »Aber du mußt ihr trotz allem eine anständige Abfindung geben.«

 

Tony schaute sie lächelnd an.

 

»Ich freue mich, daß du so denkst.«

 

»Ja, ich war, schon immer dafür, daß alle Leute anständig behandelt werden.«

 

Sie sprach noch mehr von ihrer großzügigen Art, um sich bei Tony ins rechte Licht zu setzen, aber er hörte kaum zu. Mit seinen Gedanken war er schon wieder bei Kelly.

 

»Ich werde Sie demnächst besuchen, um Ihre neue Frau zu begrüßen«, hatte dieser Mann mit brutaler Offenheit gesagt.

 

Tony sprach mit Mary darüber und warnte sie.

 

»Er wird wahrscheinlich von Jimmy sprechen und auch nach Con fragen. Aber laß dich nur nicht von ihm einschüchtern. Er hat nämlich eine gewisse Art, die Leute so weit zu bringen, daß sie wütend werden, und dann reden sie gewöhnlich.«

 

»Plötzlich stand Angelo in der offenen Tür und winkte ihm.

 

»Tom Feeney ist da – willst du mit ihm sprechen?«

 

Tony schaute ihn ungläubig an.

 

»Tom Feeney? Hat er seine Leute dabei?«

 

Angelo Verona lachte. »Er ist allein gekommen. Wahrscheinlich warten sie draußen.«

 

Tony war sprachlos. Shaun O’Donnell wäre niemals so unvorsichtig gewesen.

 

»Was will er denn?« fragte er, aber plötzlich fiel ihm etwas ein, was er mit Angelo seit einigen Tagen besprechen wollte. Er schickte Mary mit einer Entschuldigung in den kleinen Salon.

 

»Angelo, ich habe erfahren, daß du eine Million Dollar nach Europa geschickt hast.«

 

Angelo nickte. Er hatte es erwartet, daß Tony hinter seine Schliche kommen würde. Das Geld gehörte zwar ihm, aber Tony wollte nicht erlauben, daß er es auf eine europäische Bank einzahlte. Er hatte sich Zeit gelassen und die Überweisung so vorsichtig wie möglich vorgenommen, aber Tonys Spitzel waren überall; wahrscheinlich hatte er es von einem Bankangestellten erfahren. Aber darauf kam es jetzt nicht an.

 

»Sicher«, erwiderte er. »Meine alte Mutter und meine Schwester sollen auch mal in besseren Verhältnissen leben.«

 

»Ich habe auch erfahren, daß du einen Platz auf einem kanadischen Schiff belegt hast?«

 

Tony sprach freundlich und liebenswürdig, aber seiner Stimme fehlte eine gewisse Sicherheit. Angelo wußte sofort, daß sein Chef nur eine Vermutung ausgesprochen hatte.

 

»Das ist nicht wahr«, erklärte er.

 

Es war unmöglich, daß Tony oder einer seiner Leute entdeckt haben konnten, daß er eine Kabine durch ein Londoner Reisebüro hatte belegen lassen.

 

Tony Perelli biß sich auf die Unterlippe und studierte aufmerksam das Teppichmuster. Dann wechselte er plötzlich das Thema. Das war ein schlechtes Zeichen. »Besetze alle Ausgänge, falls etwas passiert. Irgendwann kommt die Auseinandersetzung mit Feeney doch. Laß ihn herein.«

 

Als er allein war, nahm er einen Browning und steckte ihn in die Jackettasche. Dann ging er mit den Händen auf dem Rücken auf und ab. Tom trat ein; er begrüßte ihn freundlich.

 

»Wie geht’s Ihnen, Tom?«

 

Feeney sah sich vorsichtig um.

 

»Ausgezeichnet«, sagte er dann.

 

Sie schauten einander mißtrauisch an.

 

»Hol das Buch«, befahl Tony feierlich.

 

Angelo öffnete eine Schublade und nahm eine große Bibel heraus, die er auf den Tisch legte und aufschlug. Dann zog Tony eine Pistole aus der Hüfttasche und legte sie auf das offene Buch. »So, da ist mein Schießeisen.«

 

Feeney zögerte etwas, zog aber dann auch eine Pistole heraus und legte sie dazu. Aber dann nahm er sie wieder weg, weil er sich daran erinnerte, daß er es mit einem Sizilianer zu tun hatte, der mit allen Wassern gewaschen war.

 

»Einen Moment, Tony – ist das eine italienische oder eine irische Bibel?«

 

»Sie ist hundertprozentig amerikanisch«, erklärte Tony salbungsvoll.

 

Feeney schaute auf das reich ornamentierte Titelblatt.

 

»Das letztemal bin ich bemogelt worden. Der Lump hatte die Zehn Gebote herausgeschnitten.«

 

»Keine Sorge, hier ist noch alles drin«, entgegnete Perelli. »In einem Antiquariat haben sie mir hundert Dollar für das Buch abgeknöpft.« Brummend gab sich Feeney zufrieden und legte seine Pistole wieder auf den Tisch.

 

Dann wartete er, bis Angelo hinausging; er hatte Shaun O’Donnells Warnung nicht vergessen: »Behalte Tony Perelli gut im Auge – aber Angelo Verona gegenüber mußt du doppelt vorsichtig sein.«

 

Um das Zimmer besser überschauen zu können, lehnte er mit dem Rücken an der Wand, von wo er auch die Tür beobachten konnte.

 

»Tony, Sie haben gestern abend Ihr Versprechen nicht gehalten.« Unentwegt schaute er auf die Tür und nicht auf seinen Gesprächspartner. »Sie haben nur einen geschickt.«

 

Perelli schüttelte den Kopf.

 

»Irrtum. Es tut mir selber leid – aber Con O’Hara hat Lunte gerochen und hat sich gedrückt.«

 

Tony hatte den Eindruck, daß Feeney nur deswegen gekommen war, weil ihn seine Schwester dazu gezwungen hatte.

 

»Man sagt, daß Sie Con O’Hara einen Wink gegeben haben …«

 

»Kann mir schon denken, was für ein Blödsinn wieder geredet wird«, unterbrach ihn Tony verächtlich. »Aber sagen Sie selbst, welchen Zweck sollte es denn haben, ihn erst hinzuschicken und ihm nachher einen Tip zu geben?«

 

Tom schaute sich unablässig im Zimmer um, als ob er eine verborgene Gefahr fürchtete.

 

»Es ist wirklich niemand hier«, versicherte Tony.

 

»Das hat Vinsetti wahrscheinlich auch gedacht – und wurde doch tot hinausgetragen, obwohl er ein besserer Pistolenschütze war als ich.«

 

»Die Geschichte ist doch wirklich abgedroschen, wer denkt schon noch daran? Sie sind zu ängstlich, Tom. Ich habe ja nicht einmal ein Schießeisen.«

 

Feeney gab sich einen Ruck.

 

»Schon gut. Ich will Ihnen glauben. Entweder soll man jemandem trauen oder nicht.« Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich seinem Rivalen gegenüber.

 

»Ich würde Sie überhaupt nicht belästigen, Tony, aber meine Schwester läßt mir keine Ruhe. Sie hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß der Mord an ihrem Mann gerächt wird.«

 

»Das verstehe ich durchaus.«

 

»Was ist mit Con O’Hara? Seien Sie doch einmal offen.«

 

Tony antwortete nicht sofort. Er betrachtete aufmerksam den vierschrötigen Mann, der vor ihm saß, und wunderte sich im stillen, durch welche merkwürdigen Umstände Tom Feeney der Chef einer solch mächtigen Organisation geworden war. Schließlich waren die Mitglieder seiner Bande nicht lauter Dummköpfe.

 

»Machen Sie sich keine Sorgen mehr um O’Hara«, meinte er schließlich. »Der ist bereits erledigt.«

 

Feeney schaute ihn erstaunt an.

 

»Das ist was anderes«, sagte er dann.

 

»Ich mag Leute nicht, die sich zu viel herausnehmen.«

 

»Wohin haben Sie ihn bringen lassen?«

 

»Hören Sie mal, Tom, kümmere ich mich vielleicht um Ihre Angelegenheiten? Können Sie nicht tun und lassen, was Ihnen beliebt?«

 

Tom hob abwehrend die Hand.

 

»Ist ja gut, Tony. Ich wollte Sie nicht beleidigen und weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann.«

 

Die Alarmglocke summte, und im Bruchteil einer Sekunde war Feeney auf den Füßen und hielt einen Revolver in der Hand. Tony wußte nicht, woher die Waffe plötzlich kam. Aber es war ihm nun klar, weshalb Tom Feeney der Führer einer Bande war.

 

»Zum Teufel, was hat das zu bedeuten?« rief Tom. »Nehmen Sie sofort die Hände hoch!«

 

Tony seufzte.

 

»Aber Tom, weshalb diese Aufregung?«

 

»Was bedeutet dieses Summen?«

 

»Wahrscheinlich kommt Mr. Kelly. Der Portier hat mir ein Signal gegeben. Weiter nichts.«

 

»Wozu kommt Kelly denn hierher?«

 

Tony stöhnte.

 

»Ich nehme an, daß er Mrs. O’Hara ausfragen will.«

 

Feeney steckte den Revolver in die Tasche.

 

»Entschuldigen Sie …«, begann er.

 

»Sie trauen mir nicht, Tom. Das tut mir aufrichtig leid«, erklärte Tony betrübt.

 

Wieder hörte man das Summen.

 

»Ich möchte Kelly nicht begegnen«, sagte Tom.

 

»Glauben Sie vielleicht, der wüßte nicht, daß Sie da sind? Aber gehen Sie hier in den Salon. Unterhalten Sie Mrs. O’Hara ein bißchen.«

 

Er öffnete die Tür.

 

»Sie können sich nicht vorstellen, Tom, wie Sie mich eben verletzt haben.«

 

Tom verließ kleinlaut das Zimmer.

 

Kapitel 23

 

23

 

Kommissar Kelly verlor im allgemeinen nicht so schnell die Fassung. Die Lage der Polizei in Chicago war alles andere als beneidenswert. Sie mußte gegen Verbrecherbanden kämpfen, die ausgezeichnet organisiert waren und Freunde in den exklusivsten Kreisen hatten. Sie finanzierten den Wahlkampf von Politikern und konnten die ganze Stadtverwaltung nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Außerdem wurde ihre Tätigkeit von allen Bürgern gebilligt, die sich heimlich Alkohol kauften.

 

Auf wen konnte er sich stützen? Auf eine Polizeitruppe, die durch und durch korrupt war? Auf die hohen Beamten, die bei Perelli und anderen Bandenführern Anleihen machten?

 

»Die Sache ist völlig hoffnungslos«, sagte er zu seinem Assistenten, bevor er das Büro verließ. »Eben hat Oberrichter Raminski angerufen und mir Verhaltungsmaßregeln gegenüber Tony Perelli gegeben. Ich muß mich danach richten oder gleich mein Entlassungsgesuch einreichen. Aber mein Entschluß ist gefaßt«, sagte er grimmig. »Ich gehe lieber! Soll ein anderer sich die Zähne an diesem Posten ausbeißen – oder sich bestechen lassen. Was mich betrifft, so hat Perelli sein Spiel gewonnen.«

 

Er wollte gerade das Polizeipräsidium verlassen, als ihm ein Beamter nachlief. Er ging zurück und notierte sich etwas. Dann stieg er in ein Polizeiauto und fuhr zu Perelli. Harrigan begleitete ihn, blieb aber vorläufig unten.

 

Als Kelly eintrat, bemerkte er die beiden Stühle in der Mitte und wußte gleich, daß hier eine typische Konferenz zwischen zwei Bandenführern abgehalten worden war. Die offene Bibel bestätigte seine Vermutung. Von Feeney war allerdings keine Spur zu entdecken. Er betrachtete das Buch, blätterte ein wenig darin und wandte sich dann an Perelli.

 

»Hoffentlich habe ich hier keine Familienandacht gestört«, meinte er ironisch.

 

Tony lächelte. »Nein, wir sind bereits fertig«, entgegnete er mit betonter Höflichkeit.

 

»Unten habe ich Ihre Leute und Toms Leibwache gesehen; Sergeant Harrigan habe ich den Auftrag gegeben, jeden zu verhaften, der im Besitz einer Waffe ist, ohne einen Waffenschein zu haben.«

 

Er schob die Bibel zurück und stützte sich auf den Tisch, während Tony die Stühle wieder an ihren Platz stellte. Angelo sah heute in einem neuen Anzug besonders gut aus. Hemd, Krawatte und Schuhe konnte man nur als geschmackvoll bezeichnen.

 

»Direkt elegant sind Sie, Angelo. Könnten Sie mir nicht Ihren Schneider verraten?« sagte Kelly.

 

Angelo nickte.

 

»Wenn Sie unbedingt wollen, gern. Im übrigen mag ich es gar nicht, wenn Sie so zufrieden ausschauen – das bedeutet nichts Gutes für irgend jemand.«

 

Kelly strahlte.

 

»Haben Sie sich das schon gemerkt? – Wo ist denn die schöne Dame?«

 

»Im Salon«, entgegnete Tony, der genau wußte, wer gemeint war.

 

»Ausgezeichnet. Würden Sie so liebenswürdig sein, Mrs. O’Hara hierher zu bitten?«

 

Tony fühlte sich ein wenig unbehaglich.

 

»Sie spricht gerade mit einem Freund von mir …«, begann er zu erklären, aber Kelly unterbrach ihn lässig.

 

»Ich weiß, ich weiß – Mr. Feeney. Mit dem möchte ich auch ein Wörtchen reden.«

 

»Was wollen Sie denn von ihm?«

 

»Oh, ich hätte nur gern sein Autogramm gehabt; derartige Raritäten sammle ich.«

 

Er hörte den Seufzer Angelos und schaute auf.

 

»Wirklich, Sie beunruhigen mich, wenn Sie so, vergnügt sind«, sagte Tonys Adjutant. »Da finde ich es noch angenehmer, wenn Sie jemand beim Verhör scharf aufs Korn nehmen.«

 

»Nun, das können Sie auch haben!« rief Kelly Angelo nach, der zur Tür ging.

 

Dann legte der Beamte seinen Hut auf den Tisch, steckte sich eine Zigarre an und betrachtete Tony Perelli ausgesprochen unfreundlich.

 

»Ich habe Sie doch heute morgen nicht etwa beleidigt, Mr. Perelli? Wäre mir schrecklich, wenn ich Ihr empfindsames Gemüt verletzt hätte. Vielleicht haben Sie erwartet, daß ich einen Blumenstrauß mitbringe, aber ich wußte im Moment nicht mehr, welche Blumen Sie bei Ihren Beerdigungen vorziehen.«

 

»Wie amüsant Sie heute sind!« Tony verzog spöttisch den Mund.

 

»Die Hauptsache ist, daß Sie sich dabei wohl fühlen. Es scheint, daß ich in Zukunft viel höflicher mit Ihnen sein muß, Mr. Perelli. Sonst erhalte ich wieder Klagen, wie schlecht es ›meinem lieben Freund Antonio Perelli‹ geht.«

 

Tony heuchelte Erstaunen.

 

»Ich verstehe Sie nicht. Wer hat mich denn so genannt?«

 

»Oberrichter Raminski – das wissen Sie ganz genau. Er hat mich angerufen, weil er glaubte, daß wir Sie nicht richtig behandeln.«

 

Perelli zuckte die Schultern. Vielleicht war er mit seiner Beschwerde doch etwas zu voreilig gewesen.

 

»Das nächste Mal, wenn Sie zu uns kommen, werden wir ein paar Kissen für Sie besorgen«, fuhr Kelly fort. »Es wäre mir wirklich sehr unangenehm, wenn die Polizei als unhöflich verschrien würde.«

 

Er sah sich um, als Mary ins Zimmer trat. Tom Feeney, der sich offensichtlich sehr unbehaglich fühlte, folgte ihr.

 

»Welche Überraschung!« begrüßte ihn der Kommissar. »Guten Morgen.«

 

Tom grinste verlegen.

 

»Guten Tag, Mr. Kelly.«

 

»Darf Ich mir die Frage erlauben, warum Sie plötzlich lebensmüde geworden sind und hierher kommen?«

 

»Oh, Tony und ich sind jetzt Freunde.«

 

Kelly lachte schallend.

 

»Ach so, deshalb hat die ganze Michigan Avenue geflaggt!«

 

Feeney sah ihn mißtrauisch an und näherte sich langsam der Tür.

 

»Sie wollen mich doch nicht etwa verhaften?«

 

»Das möchte ich nur zu gern, aber ich kann es leider noch nicht.« Er klopfte dem Iren auf die Schulter. »Ich fürchte, daß mir jemand anders zuvorkommt; und wenn Sie erst im Schauhaus liegen, sind Sie nicht mehr viel für mich wert. Der arme Shaun ist ja diesen Weg gewandert.«

 

»Ja«, entgegnete Tom traurig.

 

»Wirklich ein schwerer Schlag.« Es gelang Kelly vortrefflich, eine Leichenbittermiene aufzusetzen. »Wieder ein Märtyrer mehr für den Alkoholschmuggel. Dafür haben dann Sie den einen Täter über den Haufen geschossen, und Tony den anderen, nicht wahr?«

 

Mary drehte sich schnell nach Tony um, aber der lächelte sie so unbekümmert an, daß ihr Verdacht für den Augenblick noch einmal beschwichtigt wurde.

 

»Kümmere dich nicht um Mr. Kelly«, sagte er. »Einer seiner Späße! – Was willst du denn hier?« fragte er Minn Lee, die in diesem Augenblick hereinkam.

 

Sie antwortete nicht, sondern sah nur neugierig Kelly an.

 

»Sie haben Jimmy McGrath erledigt und Tony Con O’Hara, stimmt’s?« fuhr der Beamte zu Tom gewandt fort.

 

Mary verfärbte sich.

 

»Das ist eine gemeine Lüge! Tony würde so etwas nie tun! Mein Mann hält sich gerade in Detroit auf.«

 

Tony sah sie scharf an, aber es gelang ihm nicht, ihr einen Wink zu geben. Er fügte sich deshalb mit philosophischer Gelassenheit in die Situation – einmal mußte es Mary ja doch erfahren.

 

»Ich glaube kaum, daß Sie wissen, wo er ist«, sagte Kelly. »Der Mann, der ihn kaltmachte, hat Ihnen einen Bären aufgebunden.«

 

»Das ist nicht wahr!« schrie sie. »Er ist in Detroit!«

 

Der Beamte sah sie kalt an und ging langsam auf sie zu.

 

»Er liegt im Leichenschauhaus in Lake Side!«

 

Sie wurde totenbleich und sank auf die Couch.

 

»Während der Nacht wurde er dort ans Ufer gelegt. Man fand ihn, kurz bevor ich mein Büro verließ.«

 

Angelo und Minn Lee führten die hysterisch schluchzende Mary aus dem Zimmer.

 

Tom Feeney schnalzte mit den Fingern. Er hatte interessiert zugehört und machte ein zufriedenes Gesicht.

 

»Das gefällt Ihnen, wie?« fragte Kelly. »Nun, wir werden schon noch sehen – fürs erste können Sie verschwinden.«

 

»Hören Sie mal, ich weiß nichts von dieser Geschichte«, protestierte Feeney.

 

»Kann schon stimmen. Dafür wissen Sie aber alles über Jimmy McGrath«, entgegnete Kelly ernst.

 

»Hab‘ den Mann niemals getroffen«, jammerte Feeney.

 

»Niemals getroffen?« Kelly musterte ihn mit einem scharfen Blick. »Natürlich, Sie sind jetzt ein großer Mann und lassen andere Leute die schmutzige Arbeit tun.«

 

Feeney hielt es für besser, das Thema zu wechseln.

 

»Darf ich die Gelegenheit gleich benützen und Sie zu meiner Geburtstagsfeier bei Bellini einladen? Es kommen lauter feine Leute – Richter Grichson, Oberrichter Aschen …«

 

»Danke bestens«, entgegnete Kelly kurz. »Ich studiere nicht Recht, ich übe es aus.«

 

Tom Feeny schnalzte mit den Fingern. Er hatte inter Zeile fehlt im Buch. Re. fühlen. Er wedelte verlegen mit der Hand, als er zur Tür ging. »Also, auf Wiedersehen …«

 

»Ich würde meine Geburtstagsfeier an Ihrer Stelle nicht bei Bellini abhalten!« rief ihm Kelly noch nach.

 

Tony und Angelo wechselten einen schnellen Blick.

 

»Warum denn nicht?« fragte Feeney bestürzt.

 

»Es gibt doch genug andere schöne Lokale in der Stadt, und wenn Sie meinem Rat folgen, haben Sie wenigstens Aussicht, nächstes Jahr wieder Geburtstag zu feiern.«

 

Feeney schaute von einem zum anderen, und plötzlich verstand er, was Kelly meinte.

 

»Ich danke Ihnen, Kommissar.«

 

»Nicht nötig – ich möchte nur haben, daß Sie einmal ganz rechtmäßig um die Ecke gebracht werden; das heißt durch das Gesetz. Sie haben doch einen große Anteil an Bellinis Restaurant, nicht wahr, Tony?«

 

Perelli antwortete nicht, und Feeney holte tief Luft.

 

»Man lernt doch nie aus«, murmelte er und ging.

 

»So, jetzt hätte ich gerne noch einmal mit Mrs. O’Hara gesprochen«, meinte Kelly.

 

»Das geht jetzt nicht.« Minn Lee war wieder hereingekommen und hatte die letzten Worte gehört. »Sie hat anscheinend einen Nervenzusammenbruch.«

 

»Was – und dann läßt du sie allein?« rief Tony heftig. »Man muß sofort einen Arzt holen …!«

 

Er stürzte aus dem Zimmer.

 

»Hat er nicht ein goldenes Herz?« sagte Kelly sarkastisch. »Eigentlich sollte er ein Kinderheim leiten.«

 

Minn Lee lächelte ihn freundlich an. Kelly überlegte einige Sekunden, ging dann zu der Tür, durch die Tony verschwunden war, öffnete sie und schaute hinaus. Leise schloß er sie dann wieder und kam zu Minn Lee zurück.

 

»Als die Polizeistreife Jimmy fand, lebte er noch einen Augenblick – das letzte, was er sagte, war Ihr Name …«

 

Ihre Augen strahlten, und als er sich zum Gehen wandte, nahm sie seine Hand und drückte sie fest. Ungeschickt klopfte er ihr auf die Schulter, drehte sich dann brüsk um und ging. Bewegungslos blieb sie stehen.

 

Nach einiger Zeit wurde die Tür aufgestoßen, und Tony führte Mary herein. Minn Lee verließ schnell das Zimmer durch die gegenüberliegende Tür. Mary war so mitgenommen, daß sie kaum laufen könnte. Sanft setzte sie Tony in einen Sessel und sprach tröstend auf sie ein.

 

»Mein armes, liebes Kind!« sagte er zärtlich. »Hier, trink ein Gläschen Cognac …« Vorsichtig strich er ihr übers Haar.

 

»Diese gemeinen Kerle!« seufzte sie unter Tränen. »Sie haben meinen Con ermordet!«

 

»Er soll ein prachtvolles Begräbnis haben, Mary. Ich werde Tom und seiner Bande einmal zeigen, was eine richtige Leichenfeier ist! Zwanzigtausend Dollar oder mehr soll sie kosten – auf Geld kommt es gar nicht an!«

 

»Und den gemeinen Kerl, der ihn erschossen hat, mußt du umbringen. Versprichst du mir das?«

 

»Aber natürlich! Im nächsten Telefonbuch wird man keinen Tom Feeney mehr finden, dafür garantiere ich dir.«

 

Angelo kam herein, und Tony wandte sich an ihn.

 

»Arrangiere alles für den armen Con«, befahl er ihm eindringlich. »Er soll das schönste Begräbnis haben, das man in Chicago je gesehen hat. Geld spielt keine Rolle! Kaufe Rosen, Lilien, Orchideen – was dir einfällt …«

 

Angelo, der sich Notizen gemacht hatte, sah auf.

 

»Es würde sich tatsächlich lohnen, wenn wir nächstens eine eigene Gärtnerei aufmachten«, meinte er.

 

»Auch einen Silbersarg soll er haben«, fuhr Tony begeistert fort. »Bestelle ihn sofort telefonisch in Philadelphia. Aber er muß besser sein als der von Shaun – viel besser, viel kostbarer!«

 

»Der hatte Engel drauf«, sagte Angelo geschäftsmäßig.

 

»Besorge einen besseren!«

 

»Gibt es denn noch etwas Besseres als Engel?« fragte Angelo verwundert.

 

»Natürlich – Erzengel!« fuhr ihn Tony an. »Also, bestelle den Sarg sofort.«

 

Kapitel 12

 

12

 

Minn Lee war sehr schweigsam, als die Besucher gegangen waren. Sie saß an ihrem großen Stickrahmen und stichelte eifrig. Offenbar nahm diese Arbeit ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Tony lag auf der Couch, hatte eine Zigarre im Mundwinkel und las Zeitung.

 

»Sie ist schön«, sagte Minn Lee plötzlich. »Sehr schön.«

 

Er legte das Blatt weg, richtete sich auf und schaute zu ihr hinüber.

 

»Ja, sie ist einfach fabelhaft«, meinte er.

 

Es trat wieder eine lange Pause ein.

 

»Gehst du heute abend in die Oper?« fragte Minn Lee dann.

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Sie geben die ›Götterdämmerung‹. Keine Lust dazu.«

 

Sie sah ihn aufmerksam an.

 

»Willst du dann nicht heute abend einmal bei mir bleiben? Ich sehe dich in letzter Zeit so selten!«

 

Er stand auf, trat zu ihr und betrachtete sie nachdenklich. Ihre zurückhaltende Art machte ihn plötzlich rasend.

 

»Weißt du, wovor ich mich fürchte?« fragte sie sanft.

 

»Wovor sich jede Frau fürchtet – vor einer anderen Frau«, entgegnete er rücksichtslos.

 

In ganz kurzer Zeit hatte sich seine Haltung ihr gegenüber vollständig geändert. Sie hätte so etwas nie für möglich gehalten – seitdem sie ihn kannte, hatte er niemals auch nur angedeutet, daß es einmal ein Ende ihrer Beziehungen geben könnte. Doch sie war Asiatin und wußte, daß es sinnlos ist, nach der Ursache irgendwelcher Dinge zu forschen, die man doch nicht ändern kann.

 

»Dann interessierst du dich also für eine andere Frau?«

 

Er sah sie halb belustigt an.

 

»Warum soll ich dir etwas sagen, was du selbst weißt?«

 

»Tony, ich bin sehr lange bei dir gewesen – können wir nicht von Chicago weggehen? Vielleicht hast du mich dann wieder lieb.«

 

Er sah sie merkwürdig an.

 

»Natürlich kannst du gehen. Nach New York – wohin du willst.«

 

»Ich sagte – wir.«

 

Er erhob sich brüsk.

 

»Wir ist nicht gleichbedeutend mit ich. Ich dachte immer, daß du das weißt, und ich habe es dir deshalb nie gesagt: Du bist für mich eine sehr schöne und vergnügliche Sache. Kann ich etwas dafür, daß ich ab und zu Dinge finde, die mir noch mehr Spaß machen?«

 

Er gab ihr einen flüchtigen Kuß, und sie lächelte.

 

»Wer kommt heute abend?« fragte sie mit erzwungener Fröhlichkeit.

 

»Oh, du wirst schon sehen – eine reizende Gesellschaft.«

 

»Sind auch Damen dabei? Sie etwa auch?«

 

Er nickte.

 

»Warum kann sie nicht fortbleiben? Sie hat doch ihren Mann.« Minn Lees Stimme zitterte.

 

»Du hast den Mann doch gesehen. Würdest du gerne dauernd mit ihm allein sein?«

 

»Jimmy sagt…«

 

Er drehte sich um.

 

»Oh, Jimmy? Hast du den Studenten eigentlich gern? Gefällt er dir?«

 

»Ja, er ist wirklich nett. Er kommt mir immer wie ein großer Junge vor.«

 

Der Tonfall ihrer Stimme erregte plötzlich seine Aufmerksamkeit.

 

»So? Und du behandelst ihn wohl auch so?« Er riß sie an sich. »Kleine Jungen küßt man schließlich auch …«

 

Selbst jetzt, bei dieser Frau, die er an und für sich loswerden wollte, packte ihn der Ärger bei dem Gedanken, daß jemand anders seine, des großen Bandenchefs Perelli, Rechte mißachtet haben könnte. Noch war sie sein Eigentum, und er war nicht bereit, sie einem anderen zu geben.

 

Er stieß sie weg und hielt sie auf Armeslänge von sich entfernt. Forschend und argwöhnisch betrachtete er sie.

 

Jimmy?

 

Er war eigentlich nicht böse auf den Jungen, und doch hatte er ein sonderbares Gefühl, das er nicht ergründen konnte.

 

»Warum siehst du mich so an?« fragte er.

 

In diesem Augenblick klingelte es, und er ließ sie langsam los.

 

Es war Con O’Hara mit Jimmy. Tony warf dem jungen Mann einen schnellen Blick zu – Jimmy sah blaß, nervös und erschüttert aus. Die Sache hatte ihm anscheinend mehr zu schaffen gemacht, als Perelli vermutet hatte. Es war zwar klar, daß Jimmy bei seinem ersten Unternehmen die Nerven verlieren würde, aber daß er sich immer noch nicht gefangen hatte, beunruhigte Perelli etwas.

 

»Hallo, Jimmy!«

 

Der junge Mann nickte ihm zu.

 

»Ich habe ihn auf der Straße aufgegabelt«, erklärte O’Hara und machte eine bezeichnende Handbewegung zu seiner Stirn.

 

»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Tony«, sagte Jimmy leise. Minn Lee hatte er nur mit einem schwachen Lächeln begrüßt.

 

»Laß uns allein, Liebling.« Tony gab ihr einen kleinen Schubs in Richtung der Tür.

 

Sie drehte sich um und sah Jimmy eindringlich an.

 

»Kommen Sie noch kurz zu mir, bevor Sie gehen?«

 

»Bestimmt.«

 

Warum wollte sie ihn sprechen, bevor er ging? Was hatte sie ihm zu sagen? Tony wurde immer nachdenklicher.

 

»Setzen Sie sich«, begann er, nachdem Minn Lee draußen war.

 

Aber Jimmy ging ruhelos auf und ab.

 

»Danke – ich mache mir lieber ein wenig Bewegung.«

 

Tony lächelte.

 

»Dieser Teppich hat mich zehntausend Dollar gekostet – aber bitte, tun Sie sich keinen Zwang an!«

 

»Ich habe gestern abend die ganze Sache verkorkst …«

 

Tony packte ihn am Arm und führte ihn auf den Balkon.

 

»Das macht nichts, mein Junge. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über diese Geschichte – wir alle haben am Anfang Fehler gemacht.«

 

Er wartete auf Antwort. Jimmy hatte sich wieder von ihm freigemacht und ging wie vorher unentwegt auf und ab. Die Hände hatte er in die Hosentaschen gesteckt, den Kopf tief gesenkt.

 

»Sie wissen, daß ich Shaun recht gern hatte«, sagte er zögernd. »Als ich die Pistole auf ihn richtete, sah er mich an – das kann ich nicht vergessen …«

 

Tony versuchte ihn zu beruhigen.

 

»Sicher, sicher – so ist das eben. Aber das geht vorüber.«

 

»Ich konnte nicht schlafen … Ich hatte die ganze Nacht sein Gesicht vor Augen – es war entsetzlich. Und auch jetzt …« Er starrte ins Leere, als ob er dort Shaun sehe.

 

»Er ist noch nicht abgehärtet, noch viel zu weich«, mischte sich O’Hara von der Balkontür her ein.

 

»Halten Sie den Mund«, fuhr ihn Tony scharf an.

 

Er trat wieder auf Jimmy zu, klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und ermutigte ihn geradezu kameradschaftlich.

 

»Ich mache Ihnen nicht den geringsten Vorwurf, Jimmy. Vielleicht kann ich mir sogar ein wenig vorstellen, was Sie fühlen. Glauben Sie mir, wenn es auf mich ankäme, würden solche Sachen überhaupt nicht mehr vorkommen – ich würde das Alkoholgeschäft betreiben, ohne einer Fliege etwas zuleide zu tun. Es hat wirklich keinen Sinn, die Leute dauernd niederzuknallen … Aber die anderen lassen einen ja nicht in Frieden.«

 

»Das ist doch ganz klar«, sagte Con wieder. »Wenn Sie ihn nicht umgelegt hätten, hätten Sie eben selbst dran glauben müssen.«

 

Perelli war gerade besonders geduldig.

 

»Con, wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich Leute nicht leiden kann, die zuviel reden. Kennen Sie übrigens Kommissar Kelly?«

 

»Lassen Sie mich bloß mit den Polypen in Ruhe – die haben doch überhaupt nichts zu melden. Mit Kelly werde ich schon noch reden.«

 

Tony hörte eine Sirene auf der Straße, trat ans Geländer und schaute hinunter.

 

»Sie werden gleich Gelegenheit dazu haben«, sagte er. »Vor der Haustür steht sein Wagen.« Er wandte sich rasch an Jimmy. »Hören Sie, jetzt müssen Sie sich zusammenreißen, Jimmy. Lassen Sie sich um Himmels willen nicht durch diesen Kelly aus dem Konzept bringen – sagen Sie so wenig wie möglich!«

 

Jimmy sah ihn entsetzt an.

 

»Will er mich etwa verhören? Weiß er denn, daß ich es getan habe?«

 

»Er weiß es nicht, wenn Sie es ihm nicht verraten. Lassen Sie sich bloß nicht von ihm bluffen!«

 

»Ich werde schon mit ihm sprechen«, erklärte Con selbstbewußt.

 

Perelli kniff die Augen zusammen.

 

»So? Sie sind ja sehr waghalsig. Aber ich möchte Ihnen trotzdem den Rat geben, den Mund zu halten und nicht zu frech zu werden. Der Mann ist nicht ohne.«

 

Es klopfte, und Kommissar Kelly schlenderte in den Raum. Er war ein breitschultriger Mann, mit harten, undurchdringlichen Zügen, und er brachte eine eigentümlich fremde, fast drohende Atmosphäre mit sich.

 

Er vertrat das Gesetz. Er vertrat eine Sache, die manche Leute nicht wahrhaben wollten, die aber trotzdem bestand verkörpert in der Person dieses Mannes.

 

Kapitel 13

 

13

 

Kommissar Kelly schaute von einem zum anderen. Er schien keine Eile zu haben und die Situation, die er hier vorfand, recht belustigend zu finden.

 

»Schön, Sie wieder mal zu sehen«, begrüßte ihn Tony mit einem strahlenden Lächeln.

 

»Ach, Sie haben wohl eine kleine Herren-Party?« fragte Kelly harmlos, während er Jimmy anschaute.

 

»Dazu ist es doch noch zu früh«, meinte Perelli.

 

Kelly nickte.

 

»Ich war heute schon bei einer anderen kleinen Männerversammlung«, bemerkte er trocken, beinahe barsch. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Drei Mann waren wir – der Leichenbeschauer, ich und Shaun O’Donnell. Aber die Unterhaltung haben der Leichenbeschauer und ich allein bestritten.«

 

In Tonys Zügen drückte sich tiefste Anteilnahme aus.

 

»Der arme alte Shaun! Es ist wirklich tragisch …, als ich die Nachricht in der Zeitung las, bekam ich direkt einen Schock. Das ganze Frühstück war mir verdorben.«

 

»Ihm auch«, entgegnete Kelly hart und nickte. »Dieser junge Mann dort ist wohl Mr. McGrath?«

 

Tony stellte die beiden einander vor, obwohl das eigentlich überflüssig war. Kelly wußte genug Bescheid.

 

»Sie mußten doch die Universität verlassen, weil Sie einen Kameraden bestohlen hatten?« fragte er Jimmy.

 

Der junge Mann war durch die Anwesenheit des Beamten noch verwirrter als vorher geworden. Als er endlich antwortete, zitterte seine Stimme vor Nervosität.

 

»Sie scheinen es ja sehr genau zu wissen.«

 

»Ich habe ihn sozusagen als Volontär eingestellt«, erklärte Tony.

 

Kelly betrachtete ihn spöttisch.

 

»Zum Totlachen – als Volontär! Und was hat er für Aufgaben? Haben Sie ihn vielleicht angestellt, um Blümchen auf Ihre Alkoholflaschen zu malen? Für so etwas sind Sie doch nicht zu haben, mein Junge, wie?«

 

Jimmy gab keine Antwort.

 

»Jedenfalls haben Sie sich gestern abend nicht mit solch harmlosen Dingen beschäftigt!«

 

Jimmy atmete schnell.

 

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«, entgegnete er heiser.

 

Kelly konzentrierte seinen Angriff auf Jimmy. Perelli hatte es auch gar nicht anders erwartet. Wahrscheinlich verdächtigte der Beamte auch Con, aber den ließ er vorerst warten.

 

Der Ire hörte mit wachsender Ungeduld zu. Es machte ihm wenig aus, wenn er im Verdacht stand, Shaun ermordet zu haben, aber er konnte nicht ertragen, daß man ihn vollkommen übersah. Außerdem fürchtete er, daß Jimmy zusammenbrechen würde, und dann war auch er erledigt.

 

»Wie lange sind Sie schon bei Perelli?« fragte Kelly.

 

»Er ist seit drei Monaten bei mir, Mr. Kelly«, erwiderte Tony sanft, »und er ist ein wirklich netter Junge …«

 

»Kannten Sie Shaun O’Donnell?« fragte der Kommissar weiter.

 

»Ja, ich habe ihn öfter gesehen.«

 

»Ich meine, ob Sie ihn kannten?«

 

Jimmy nickte.

 

»Sie haben mehrmals bei Bellini mit ihm gegessen – folglich müssen Sie ihn also recht gut gekannt haben?«

 

Jimmy zögerte.

 

»Ich kannte ihn nur oberflächlich.«

 

»Sie wissen, daß er tot ist?«

 

Der Junge nickte wieder.

 

»Er ist gestern abend erschossen worden«, fuhr Kelly erbarmungslos fort und ließ den Studenten nicht aus den Augen. »Von einem dieser Revolverhelden, die man für ein paar hundert Dollar kaufen kann.«

 

Er beobachtete den jungen Mann jetzt so scharf, daß ihm auch nicht das Zucken eines Augenlids entgangen wäre.

 

Jimmy wurde abwechselnd rot und bleich, als Kelly mit dem Verhör fortfuhr. »Wo waren Sie denn gestern abend?«

 

»Im Theater.«

 

»In welchem Theater?«

 

»Warum wollen Sie denn das wissen?« Jimmy dachte nach. »Im Blackstone-Theater.«

 

»Und welche Nummer hatte Ihr Sitzplatz?«

 

O’Hara konnte es nicht lassen, sich jetzt einzumischen. Die Fragen wurden immer gefährlicher, und die Unruhe Jimmys hatte ihren Höhepunkt erreicht.

 

»Wie soll er sich denn jetzt noch an die Nummer seines Sitzplatzes erinnern?« fuhr es ihm heraus.

 

Kelly drehte sich ärgerlich nach ihm um.

 

»Halten Sie den Mund – mit Ihnen rede ich später!« herrschte er Con an und wandte sich dann wieder an Jimmy. »Also, wie war die Nummer?«

 

»Ich weiß es nicht mehr.« Jimmy wich Kellys Blick aus. »So etwas behält man doch nicht.«

 

»Aber was für ein Stück gespielt wurde, werden Sie schließlich noch wissen«, erkundigte sich Kelly ironisch.

 

Jimmy suchte krampfhaft nach einem Titel, und endlich fand er einen.

 

»Was für ein Stück? – Ich glaube, es war die ›Broadway-Revue‹ … Natürlich, das war es.«

 

Kelly schaute ihn verächtlich an.

 

»Das ist zwar zufälligerweise der Titel eines Films, aber immerhin.«

 

Jimmy sah sich hilflos um.

 

»Kann auch sein, daß ich in einem Kino war. Ich kenne mich in Chicago nicht aus und wollte mich irgendwo ein wenig unterhalten.«

 

»Soso – sehr wahrscheinlich. Können Sie mir wenigstens Sagen, um wieviel Uhr Sie aus dem Kino gekommen sind, Mr. McGrath?«

 

Hinter Kellys Rücken gab ihm Tony ein Zeichen mit den Fingern.

 

»Ich glaube, es war zwölf.«

 

»Großartig!« Kelly triumphierte. »Die Abendvorstellung der ›Broadway-Revue‹ fiel gestern nämlich aus.«

 

Jimmy wußte jetzt endgültig nicht mehr weiter, und O’Hara versuchte aufs neue, die Aufmerksamkeit des Beamten auf sich zu lenken.

 

»Hören Sie, Kommissar, der junge Mann ist doch in Chicago fremd …«

 

Kelly ging diesmal auf seine Bemerkung ein.

 

»Aber Sie sind wohl schon lange hier?«

 

Con grinste.

 

»Nein, ich bin auch noch nicht lange da. Bin von New York gekommen.«

 

Kelly schüttelte den Kopf.

 

»Ich muß der Stadt direkt einen Dankesbrief schreiben, daß sie auf Ihre Anwesenheit keinen Wert mehr gelegt hat und Sie hierherkommen ließ. Wie finden, eigentlich Sie sich in Chicago zurecht?«

 

»Ausgezeichnet – ich fahre immer im Taxi.«

 

»Sind Sie auch gestern abend in einem Taxi an die Ecke der Michigan Avenue und der Achtundvierzigsten Straße gekommen?«

 

»Ich? Ich war schon um zehn im Bett!« erklärte O’Hara entrüstet.

 

»Aber Sie sind hingefahren!« Kelly sah drohend Jimmy an, der aufsprang.

 

»Nein!«

 

»Doch!«

 

»Nein!« Jimmy brüllte beinahe.

 

Langsam zog Kelly ein Notizbuch aus der Tasche.

 

»Hören Sie, ich sprach mit Shaun, bevor er starb, und Shaun hat gesagt, daß er von Ihnen und O’Hara erschossen wurde.«

 

Er hörte ein leises Lachen.

 

Tony hatte sich bequem in einen Sessel gesetzt und sich eine Zigarette angezündet.

 

»Er starb, ohne ein Wort zu sagen – ich weiß es«, warf er scheinbar gleichgültig ein.

 

»Woher wollen Sie denn das wissen?«

 

»Sehr einfach – wenn Shaun tatsächlich so etwas gesagt hätte, würden Sie die beiden doch verhaften.«

 

»Ich weiß viel zu genau, daß ich mit einer Verhaftung nur Ihren Rechtsanwalt auf die Beine bringen würde, der schon einen Antrag auf Freilassung und eine Kaution in der Tasche hätte. Vorläufig ist es viel einfacher so.«

 

Er ging zu Tony hin und legte ihm seine Hand fast freundschaftlich auf die Schulter.

 

»Perelli, schlau sind Sie – das muß ich Ihnen lassen. An dem Tag, an dem es mir, gelingt, Sie auf den elektrischen Stuhl zu bringen, kaufe ich mir eine Flasche von Ihrem geschmuggelten Whisky und besaufe mich.« Er schaute auf die Uhr und ging zur Tür. »Sie müssen jetzt übrigens bald gehen, sonst kommen Sie zu spät zu Ihrer Verabredung. Lassen Sie Tom Feeney bloß nicht warten!«

 

Nach dieser Bemerkung verließ er das Zimmer.

 

»Woher weiß er das nur?« fragte O’Hara.

 

Tony wartete, bis sich die Wohnungstür hinter Kelly geschlossen hatte. Dann rief er nach Angelo und gab Jimmy den Auftrag, Tom Feeney anzurufen. Jimmy war schon am Telefon, als Angelo eintrat. Tony gab ihm rasch noch einige Anweisungen, bevor er Jimmy den Hörer aus der Hand nahm.

 

»Sind Sie am Apparat, Tom? Seien Sie vorsichtig – man hat uns nachgespürt und unser Gespräch belauscht … Kelly war eben hier. Deshalb komme ich etwas später … Alles in Ordnung … ja, wir gehen dann zu mir … gut.«

 

Tony legte den Hörer auf.

 

»Sind die andern fertig? Na, dann ist ja alles gut. Sie kommen mit, Con.« Er schaute nachdenklich zu Jimmy hinüber. »Nein, Sie bleiben lieber da. Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück.« Dann wandte er sich an Angelo. »Du gehst jetzt gleich zu Schoberg.«

 

Angelo hatte diesen Gang schon öfters gemacht und dort eine schwarzumränderte Karte abgegeben, auf der ein Gedicht stand. Das gehörte zu den unumstößlichen Regeln bei einem Bandenmord. Und Angelo konnte ganz ordentliche Verse machen; er hatte schon manchen poetischen Nachruf verfaßt.

 

Tom Feeney hatte bereits am Telefon erklärt, warum er seinen Gegner so bereitwillig sprechen wollte. Das war keine geheime Zusammenkunft zwischen zwei Bandenführern, sondern eine Aussprache, die vor den Augen der Polizei stattfand. Es würde also von keiner Seite aus eine Schießerei geben. Wenn die Polizei bereits von der Konferenz wußte und daran war nicht mehr zu zweifeln –, so konnte jeder Bruch der geltenden Vereinbarung für beide Parteien gefährlich werden.

 

Perelli wußte bereits, daß seine Annahme stimmte, als er den Treffpunkt noch nicht erreicht hatte. An allen Straßenecken standen Polizeiautos, und überall wimmelte es von Beamten in Zivil. Als die beiden Bandenchefs einander gegenüberstanden und sich wie ehrbare Bürger die Hand gaben, taten sie es in Gegenwart vieler Zeugen, und Tom Feeney war sich dessen wohl bewußt. Seine Begleiter waren in Rufweite zurückgeblieben. Diese Maßnahme hatte auch Perelli angeordnet.

 

»Hallo, Tom!« begrüßte Tony den andern.

 

Dann schüttelten sie sich kräftig die Hände.

 

»Kommen Sie mit in meine Wohnung?« fragte Perelli. Feeney schaute nach seinen Leuten.

 

»Die Jungs können ja mitkommen«, schlug Tony vor. »Wir werden doch um Himmels willen keinen Streit bekommen! Übrigens steht direkt hinter Ihnen Kellys Wagen – er beschützt Sie wirklich wie einen Bruder.«

 

Tom zögerte. Er war ungewöhnlich nervös, denn irgendwo im Hintergrund hielt sich auch seine Schwester auf – und er wußte, daß in ihrem Auto ein Maschinengewehr untergebracht war, mit dem sie ausgezeichnet umzugehen verstand.

 

»Gut, gehen wir«, sagte er schließlich.

 

Wenig später öffnete Tony seinem Gast die Wohnzimmertür und wurde Zeuge eines kleinen Idylls, das sich im Hintergrund des Zimmers abspielte.

 

Kapitel 14

 

14

 

Jimmy hörte, wie sich die Tür hinter Perelli schloß, der zu seiner Zusammenkunft mit Tom Feeney ging. Er stützte den Kopf in die Hände und dachte nach – wieder wirbelten seine Gedanken durcheinander. Er überlegte, ob er fliehen und diese ganze Umgebung verlassen sollte; dabei fühlte er aber ganz genau, daß er damit seiner Schuld nicht entrinnen konnte. Nirgends gab es eine Zufluchtstätte für ihn … Immer wieder versuchte er sich einzureden, daß er selbst ja den tödlichen Schuß nicht abgegeben hatte. Auch das half ihm nichts, denn er. mußte sich sagen, daß er die feste Absicht gehabt hatte, Shaun zu töten.

 

Hätte er zu Kelly gehen und ihm ein Geständnis ablegen können, ohne Con O’Hara und Perelli hineinzuziehen, so wäre ihm das als die beste Lösung erschienen. So gab es nur einen Weg für ihn. Selbstmord? Nein, das wäre Betrug gewesen. Er mußte seine Schuld an seine wirklichen Gläubiger bezahlen …

 

»Was haben Sie, Jimmy?«

 

Schnell sah er auf. Minn Lee stand vor ihm – so heiter, so ruhig und so strahlend schön, daß er bei ihrem Anblick den Atem anhielt.

 

»Was ist los, Jimmy? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

 

Er schüttelte den Kopf und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Nein …« Pause. »Ich wünschte, ich wäre tot!«

 

Sie setzte sich neben ihn und legte ihre kleine Hand auf seine Schulter.

 

»Ach, Jimmy, ich habe Ihnen doch schon immer gesagt, daß Sie fortgehen sollen.«

 

Er richtete sich auf, sah sie an und lachte gequält.

 

»Fortgehen? Wohin denn?« Bekümmert schaute er sie. an. »Wenn nur Sie nicht in dieser Umgebung leben müßten! Sie haben hier noch weniger zu suchen als ich.«

 

»Tony hat mich mit hierhergenommen, als es mir sehr schlecht ging. Ich gehöre zu ihm – etwas anderes gibt es für mich nicht.«

 

Er wunderte sich über sie, wie er sich schon früher über sie gewundert hatte. Wenn er sein Leben nicht selbst schon weggeworfen hätte, würde er alles getan haben, um sie aus dieser Umgebung zu befreien. Er sagte ihr dies auch in unbeholfenen Worten.

 

»Gehen Sie doch selbst fort«, bat sie ihn. »So schnell wie möglich.«

 

Er schüttelte den Kopf, erhob sich, ging im Zimmer auf und ab und dachte, daß sie völlig in ihre Arbeit vertieft sei. Aber als er zu ihr hinschaute, bemerkte er, daß ihre Blicke ihm folgten.

 

»Jimmy – wer hat den Mann gestern abend niedergeschossen?«

 

Die Frage erschreckte ihn. Für kurze Zeit hatte er Shaun O’Donnell ganz vergessen.

 

»Ich … ich weiß es nicht«, erwiderte er unsicher.

 

»Wer hat auf ihn geschossen?«

 

Jimmy verlor plötzlich die Fassung und schluchzte haltlos.

 

»Ich hab’s getan!« stieß er schließlich hervor. »Ich habe versucht, mich vorher zu betrinken, aber je mehr ich trank, desto nüchterner wurde ich. Ja, ich wollte ihn ganz kaltblütig umbringen! Und dafür muß ich jetzt bezahlen.«

 

Sie nickte. »Es wird bald aus sein – mit uns allen.«

 

»Mit uns allen? Kein Mensch wird Ihnen etwas tun.«

 

Plötzlich kam ihm zum Bewußtsein, wie sehr sie unter Perellis Art leiden mußte. Ihre heitere Gelassenheit war nur Schein. Jimmy tastete nach ihrer Hand und hielt sie fest.

 

»Ich liebe dich, Minn Lee«, sagte er leise.

 

Behutsam machte sie ihre Hand frei.

 

»So etwas dürfen Sie nicht sagen.« Ihre Stimme zitterte. »Ich kann niemand mehr etwas bedeuten.«

 

In seiner Aufregung fing er an, verworrene Pläne zu schmieden. Sie konnten nach Kanada fliehen …

 

Sie lachte leise und brachte ihn dadurch wieder zur Besinnung.

 

»Eine Chinesin paßt nicht zu Ihnen, Jimmy. Ich gehöre hierher zu Tony – und ich liebe ihn immer noch, trotz allem.«

 

Sie versuchte, ihm gut zuzureden. Aber er wiederholte immer nur, daß er sie liebe und mit ihr fliehen wolle.

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Ich muß bei Tony bleiben.«

 

Perelli hatte die Tür geöffnet, überschaute die Situation mit einem Blick und betrachtete die beiden wie ein wohlwollender Vater.

 

Als Jimmy seine Stimme hörte, sprang er auf und murmelte eine Entschuldigung. Aber Perelli unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

 

»Lassen Sie nur, Jimmy – ich fand es sehr interessant. Aber nun verschwindet, ihr Kindsköpfe. Ihr könnt euch ja in einem andern Zimmer noch unterhalten.«

 

Jimmy versuchte noch einmal, sich zu entschuldigen, aber Minn Lee zog ihn mit sich.

 

Tony sah ihnen mit einem seltsamen Lächeln nach.

 

Kapitel 15

 

15

 

Tom Feeney betrat vorsichtig den Raum. Er war vor längerer Zeit schon einmal hier gewesen, aber inzwischen hatte sich sehr viel ereignet. Zum Beispiel war Vinsetti gestorben, und man hatte die näheren Umstände seines Todes in der Unterwelt eingehend besprochen.

 

In der Tür drehte sich Tom um und gab mit lauter Stimme seinen Begleitern Instruktionen – mehr um sich selbst Mut zu machen.

 

»Also, Jungs, legt eure Schießeisen fort. Das ist so abgemacht – stimmt doch, Tony?«

 

Perelli wußte genau, was in Tom vorging, und lächelte.

 

»Natürlich. Legt eure Kanonen auf den Tisch – und schenken Sie sich einen Whisky-Soda ein, Tom.«

 

Feeney holte zwei Pistolen aus seinen Schulterhalftern hervor und warf sie ostentativ auf den Tisch.

 

»Hier!«

 

Tony brachte ebenfalls zwei Pistolen zum Vorschein und legte sie daneben.

 

»Wo ist Angelo?« fragte Tom und schaute sich um.

 

»Ich habe ihn zu Schoberg geschickt.«

 

Tom war von dieser Antwort befriedigt.

 

»Eine gute Idee – Sie allein sind schon gerade genug.«

 

Tony holte eine Kiste Zigarren und bot zu rauchen an. Tom wählte und bediente sich.

 

Niemand sah Minn Lee, die von ihrem Zimmer aus auf den Balkon gegangen war und jetzt dicht neben dem geöffneten Fenster stand.

 

Tony zündete sich auch eine Zigarre an und begann das Gespräch.

 

»Hören Sie, Tom, was ich am Telefon sagte, meine ich auch so. Wir verdienen beide Geld – warum streiten wir uns denn um die paar Dollars? Hat doch eigentlich gar keinen Sinn.«

 

»Stimmt schon.« Feeneys Begeisterung wirkte nicht ganz echt. »Sie haben wirklich mehr Verstand als ein Professor!«

 

Perelli rückte zwei Sessel dicht nebeneinander, und sie nahmen Platz.

 

»Bedenken Sie vor allem eins, Tony – ich habe zwei gute Leute verloren, und bevor wir uns verständigen können, müssen wir uns erst über Shaun einigen. Wenn das erledigt ist, haben wir schon den Hauptteil der Schwierigkeiten überwunden.«

 

Tony murmelte etwas, und Tom hob die Hand.

 

»Ich weiß, ich weiß – Shaun konnte Sie nicht leiden! Er war hinter Ihnen her. Vergessen Sie aber nicht, daß ich eine Schwester habe, die mit ihm verheiratet war. Und Sie wissen ja, wie die Frauen sind. Sie jedenfalls ist jetzt darauf versessen, die beiden um die Ecke zu bringen, die ihren Mann erschossen haben – und meine Leute sind auf ihrer Seite.«

 

»Ihre Schwester ist eine sehr liebenswürdige, nette Dame«, entgegnete Perelli höflich.

 

Aber Tom ließ sich durch solche Komplimente nicht beeindrucken.

 

»Tun Sie nicht so, Perelli. Ihr Geschmack ist sie bestimmt nicht; und sie hat auch sonst noch niemals einen Mann begeistert mit Ausnahme von Shaun. Das macht die Sache eben so schwierig!«

 

»Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?« fragte Tony geradezu.

 

Tom lehnte sich vor und sprach mit äußerstem Nachdruck.

 

»Wir wissen genau, wer Shaun umgelegt hat – es waren der junge McGrath und Con O’Hara; einer meiner Leute hat sie zurückfahren sehen. An dem jungen Studentchen verlieren Sie nicht viel. Für Con tut es mir eigentlich leid – ich habe ihn in New York gekannt –, aber er redet wirklich zu viel. Haben Sie eigentlich seine Frau schon gesehen?«

 

Tony hatte Mary nicht vergessen.

 

»Ja, ich kenne sie. Also, was soll ich tun?«

 

Tom Feeney dämpfte seine Stimme.

 

»Schicken Sie die beiden heute nacht an einen Platz, den ich Ihnen angebe, damit meine Leute sie erledigen können. Sagen wir elf Uhr, Ecke der Michigan Avenue und der Vierundneunzigsten Straße. Ein paar meiner Jungs werden dort sein – und damit wäre der Streit beigelegt.«

 

»Nein, das tue ich nicht!« fuhr Tony auf.

 

»Kann mir denken, daß Ihnen das nicht liegt, aber überlegen Sie doch mal …«

 

Perelli stützte das Kinn auf die Hand, und einige Minuten lang schwiegen sie.

 

»Die beiden haben mir schon allerhand Sorgen gemacht«, begann schließlich Perelli wieder. In seiner Stimme lag jetzt ein merkwürdiger Unterton. Als Tom sah, daß Tony angebissen hatte, stieg seine Hoffnung.

 

»Es gibt in jeder Organisation schlechte Kerle und Verräter – denken Sie nur an Vinsetti!«

 

»Das weiß ich selbst am besten …!«

 

Tony lächelte grimmig.

 

»Na also. Und hier ist es nicht anders. Wenn Sie keinen Spektakel wollen, ist dies der beste Weg.«

 

»Gut, die Sache ist in Ordnung«, sagte Tony langsam. »Ich schicke die beiden heute abend hin.«

 

Sie standen zu gleicher Zeit auf, als es an die Tür klopfte. Es war Angelo, halb verborgen hinter einem riesigen Blumenarrangement, das er vor sich hertrug und vor Tom niedersetzte.

 

Schoberg, der beste und teuerste Blumenhändler Chicagos, hatte wirklich ein Meisterwerk geliefert. Tom Feeney war gerührt.

 

»Wirklich sehr aufmerksam von Ihnen. Wunderschön – diese Blumen.«

 

Er nahm die Karte, die an dem Arrangement befestigt war und las:

 

Die Engel sahen Shaun und sangen,

ein guter Mann ist heimgegangen.

 

Tiefstes Beileid von Tony Perelli.

 

Tom war den Tränen nahe.

 

»Donnerwetter – wie schön gesagt!«

 

Kapitel 16

 

16

 

Tonys Gesellschaften waren bekannt dafür, daß es viel zu trinken gab und daß man sich ausgezeichnet unterhielt. Als die meisten Gäste in einem der großen Nebenräume nach den Rhythmen eines Bartrios tanzten, winkte er Verona zu sich in sein Zimmer.

 

»Ich schicke Con und Jimmy noch mit einem Auftrag weg, Angelo.«

 

Obwohl Tony mit einer besonderen Betonung gesprochen hatte, verstand sein Adjutant nicht sofort den Sinn seiner Worte.

 

»Warum denn?« fragte er, aber dann begriff er plötzlich die Situation. »Muß das wirklich sein?« fuhr er schnell fort.

 

»O’Hara hat eine zu große Klappe – es ist besser, wenn man ihn zum Schweigen bringt …«

 

Angelo starrte ihn an und nickte.

 

»Schön – aber der Junge …«

 

Er verzog den Mund, denn er war wirklich erstaunt darüber, daß Jimmy daran glauben sollte. Unumwunden fragte er Tony nach dem Grund.

 

»Hast du ihn nicht beobachtet? Der kippt bei der nächsten Gelegenheit um. Wenn Kelly ihn wirklich einmal ins Polizeipräsidium holt und verhört …«

 

Aber es gelang Perelli nicht, seinen Adjutanten zu überzeugen.

 

»Du weißt doch ganz genau, daß ihn die Sache furchtbar mitgenommen hat. Ich sagte dir ja gleich, daß du ihn nicht schicken sollst! Auf andere Weise könnte er uns immer noch sehr nützlich sein.«

 

Dann sah Angelo, daß Tony auf den Balkon schaute, wo sich Minn Lee aufhielt. Angelo runzelte die Stirn. Jimmy sollte doch nicht etwa wegen Minn Lee in den Tod geschickt werden? Das wäre gegen die Spielregeln gewesen!

 

Minn Lee trat zu ihnen und sah sie schweigend an. Angelo fühlte die Spannung zwischen ihr und Tony und war froh, daß er sich unter einem Vorwand verabschieden konnte.

 

Perelli zweifelte immer noch, sein Verdacht war bis jetzt eigentlich mehr instinktiv. Selbst in Marys Nähe, hinter der er doch her war, hatte ihm Minn Lee gefehlt.

 

»Wo warst du den ganzen Abend?«

 

Sie sah ihm offen in die Augen.

 

»In meinem Zimmer.«

 

»Wenn ich Gäste habe, gehst du auf dein Zimmer! Du brauchst jetzt nur noch zu sagen, daß du dir zur Gesellschaft Jimmy mitgenommen hast.«

 

»Das habe ich auch.«

 

Er war völlig verblüfft über diese Aufrichtigkeit und starrte sie ungläubig an.

 

»Vielleicht hattest du auch noch die Tür abgeschlossen, wie?«

 

»Ja.«

 

Er holte tief Luft.

 

»Mut hast du!«

 

Er war jetzt so erregt, daß er kaum sprechen konnte. Sie und Jimmy allein – bei verschlossener Tür.

 

»Du sagtest doch, daß ich ihn von der Gesellschaft fernhalten soll.« Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Nun – das habe ich getan!«

 

»Allerdings habe ich das gesagt«, entgegnete er heiser. »Aber habe ich damit vielleicht gemeint, daß du mit ihm in dein Zimmer gehen und die Tür verschließen sollst?«

 

Sie gab keinen Schmerzenslaut von sich, als er sie mit aller Kraft am Arm packte und seine Finger in ihr Fleisch preßte. Wütend sah er sie an und ließ sie dann mit einem kurzen Stoß frei.

 

»Nun schön, wir werden sehen …«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Mühsam nahm er sich zusammen und unterdrückte seine Erregung. »Sag Jimmy, daß ich ihn sprechen möchte.«

 

Ein unruhiger Ausdruck trat in ihre Augen.

 

»Willst du ihm Vorwürfe machen? Es war meine Schuld.«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Nein, nein. Jimmy ist doch ein so lieber Junge. Wenn du wüßtest, wie gern ich ihn habe!« Er schaute auf seine Uhr. »Aber geh jetzt und sage ihm, daß ich ihn sprechen möchte.«

 

Sie wandte sich zur Tür.

 

»Ach, Minn Lee, rufe auch Con O’Hara … Komm nochmal her.«

 

Gehorsam kehrte sie um und war nicht weiter erstaunt, als er seinen Arm um sie legte.

 

»Ich bin ein wenig nervös – habe im Augenblick entsetzlich viel zu tun. Sei nicht …« Eine Handbewegung vollendete den Satz. »Du verstehst? Und kümmere dich ein wenig um Mrs. O’Hara, Minn Lee. Sie gefällt mir wirklich sehr gut. Erzähle ihr ein wenig von mir – wie großzügig ich bin und wie gut du es hier hast.«

 

Sie löste sich von ihm und sah ihn abwägend an. Er schaute wieder auf die Uhr.

 

»So, jetzt mußt du aber wirklich gehen.«

 

Als sich die Tür hinter ihr schloß, ließ sich Tony nachdenklich in einen Sessel fallen und betrachtete seine Fingernägel. Minn Lee war plötzlich wie umgewandelt – er konnte nicht schlau aus ihr werden. Das war nicht mehr die gehorsame Sklavin all seiner Wünsche und Launen – sie hatte sich seinem Einfluß entzogen und war selbständig und unabhängig geworden. Das Schrillen des Telefons riß ihn aus seinen Gedanken. Tom meldete sich, machte Tony Vorwürfe und fragte, ob er seine Pläne geändert habe, weil es schon so spät sei.

 

Als Tony ihm gerade versicherte, daß er sein Wort halten würde, klopfte es, und Jimmy kam herein. Er legte sofort auf.

 

»Tut mir leid, daß ich Sie gerade jetzt fortschicken muß. Kennen Sie Captain Strude?«

 

Jimmy schüttelte den Kopf.

 

»Ein Polizeioffizier? Nein.«

 

»Macht nichts. Wir nennen ihn ›Lefty‹, und unter diesem Namen werden Sie ihn heute abend auch kennenlernen.«

 

»Soll ich ihn aufsuchen?«

 

»Er kommt zu Ihnen – aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen.« Bewundernd sah er Jimmy an. »Sie sehen ja großartig aus! Ich erkenne Sie kaum wieder.«

 

Jimmys verändertes Wesen war auch auffallend genug. Seine Augen strahlten, die tiefe Niedergeschlagenheit war von ihm gewichen, und er hielt sich aufrecht und gerade. Der Junge sieht wirklich gut aus, dachte Tony. Endlich jemand, der einen Smoking tragen konnte, ohne gleich wie ein Kellner auszusehen.

 

»Ich fühle mich auch besser«, erwiderte Jimmy.

 

»Dieser verdammte Kelly hat Ihnen scharf zugesetzt, wie?«

 

Jimmy pfiff leise vor sich hin und betrachtete seine Hände.

 

»Es ist merkwürdig«, sagte er dann ruhig. »In gewisser Weise ist mir der Mann sogar sympathisch.«

 

»Seien Sie nur nicht so empfindsam, das kann man in unserem Geschäft nicht brauchen. Minn Lee ist Ihnen ja auch sehr sympathisch, wie?«

 

Er stellte die Frage vollkommen gleichgültig, aber er erhielt eine Antwort, die ihn herumriß.

 

»Ja – ich liebe sie.«

 

Tony sah Jimmy scharf an.

 

»Sie lieben sie? Na ja, sie ist ja auch wirklich ein feiner Kerl. Sie hat sich bei mir herausgemacht.« Er wischte ein unsichtbares Stäubchen von seinem Ärmel. »Alles verdankt sie mir. Sie wohnte mit einem armseligen Maler zusammen, als ich sie fand.«

 

»Kommt es darauf an?«

 

»Mir nicht, ich bin immer großzügig gewesen.«

 

In diesem Augenblick kam Con herein. Er hatte ein selbstbewußtes Auftreten und verbarg seine Abneigung gegen Tony geschickter als gewöhnlich, obwohl er alle Ursache hatte, ihn zu hassen.

 

»Con, kennen Sie Captain Lefty Strude?«

 

»Nein. Aber es wird nicht mehr lange dauern, dann ist mir diese ganze Polizistenherde nicht mehr fremd.«

 

»Das glaube ich auch.« Tony ging zum Tisch, öffnete die Schublade und nahm ein Kuvert heraus. »Stecken Sie den Brief ein, Jimmy, und gehen Sie vorsichtig damit um – es sind dreißigtausend Dollar drin. Ich habe eine Ladung Alkohol erhalten. Doch das geht Sie nichts an. Sie bringen nur den Brief zur Ecke der Michigan Avenue und der Vierundneunzigsten Straße. Strude kommt gegen elf Uhr mit seinem Wagen dorthin. Er gibt ›Lefty‹ als Erkennungswort an – weiter nichts. Sie geben ihm den Brief und kommen dann sofort zurück. Viertel nach elf müssen Sie wieder hier sein.«

 

O’Hara sah, daß Jimmy den Brief einsteckte, und runzelte die Stirn.

 

»Wozu soll ich da mitgehen?« fragte er. »Um einen Brief wegzubringen, braucht man doch schließlich nicht zwei Leute?«

 

»Zwei Leute sind bestimmt nicht zuviel, um auf dreißigtausend Dollar aufzupassen«, erwiderte Tony. »Ich traue Tom nicht über den Weg. Er hat Wind davon bekommen, daß die Summe heute abend bezahlt werden soll.«

 

Con sah ihn argwöhnisch an. Dann stand er auf und war schon halb bei der Tür, als Tony ihn zurückhielt.

 

»Wohin gehen Sie?«

 

»Ich bringe meine Frau vorher heim.«

 

Tony lächelte.

 

»Sie wollen Ihre Frau heimbringen? Aber ich habe Ihnen doch bereits gesagt, daß Sie beide heute nacht meine Gäste sind. Die Zimmer wurden schon gerichtet.«

 

Als Con trotzdem die Tür öffnete, kam Mary herein. Sie wollte wissen, warum ihr Mann zu Tony gerufen worden war. Er hatte sie den ganzen Abend gedrängt, nach Hause zu gehen, und es sah ihm ähnlich, daß er ihr die Freude verderben wollte.

 

»Ich bringe dich jetzt nach Hause, habe was zu erledigen – auf dem Rückweg hole ich dich dann wieder ab«, sagte Con.

 

Sie schaute ihn entrüstet an.

 

»Sag mal, für was hältst du mich eigentlich? Du kannst mich doch nicht ohne weiteres so herumkommandieren. Was hast du eigentlich vor?«

 

Tony sah sie lächelnd an.

 

»So etwas dürfen Sie niemals fragen.«

 

Jimmy beobachtete die Anwesenden und amüsierte sich beinahe über die Unterhaltung. Dann machte er einen Vorschlag, der halb ernst, halb ironisch gemeint war.

 

»Ich werde allein gehen. Schließlich kann ich für mich selbst sorgen.«

 

Diese Lösung kam O’Hara sehr gelegen.

 

»Klar können Sie das …«, begann er, aber Tony wandte sich ärgerlich nach ihm um.

 

»Sind Sie vielleicht ein solcher Angsthase, daß Sie sich fürchten, den Jungen zu begleiten? Im übrigen würde ich Jimmy, den ich so sehr schätze, nicht wegschicken, wenn ernstliche Gefahr vorhanden wäre.«

 

Con fügte sich brummend.

 

»Von mir aus«, sagte er laut. »Ich hole meinen Mantel.« Er sah bedeutungsvoll seine Frau an. »Mrs. Perelli wird sich um dich kümmern. Hast du mich verstanden?«

 

»Ich brauche keinen Schutzengel – kann auf mich selber aufpassen«, entgegnete sie schnippisch.

 

»Da haben Sie’s«, grinste Tony. »Also, auf Wiedersehen, Jimmy. Kommen Sie bald zurück.«

 

Sein Blick streifte zufällig die äußere Brusttasche des jungen Mannes, aus der die obere Hälfte eines metallenen Zigarettenetuis herausschaute. »Was haben Sie denn da?«

 

»Ein Zigarettenetui – hat mir jemand geschenkt.«

 

Tony nickte und sah ihn mit einem verschlagenen Blick an.

 

»Jemand, der Ihnen lieb ist? Sie tragen es ja direkt auf dem Herzen.«

 

»Ein Zufall.«

 

»Ich finde, es sieht dort nicht gut aus. Stecken Sie es doch in die Hüfttasche.«

 

Jimmy sah ihn einen Augenblick erstaunt an, aber dann verstand er plötzlich den Zusammenhang. Langsam zog er das Etui heraus und steckte es weg.

 

»Aber natürlich! An dieser Stelle würde es ja im Weg sein – meinen Sie nicht auch?«

 

Das übliche stereotype Lächeln Perellis verschwand schlagartig von seinem Gesicht. Jimmy sprach die nackte Wahrheit. Was wußte er? Hatte er irgendeinen Verdacht? Und wer konnte ihm etwas gesagt haben?

 

Jimmy war schon halbwegs den kurzen, breiten Korridor zur Eingangshalle entlanggegangen, als er hinter sich eine Stimme hörte. Minn Lee lief ihm nach. Er breitete die Arme aus und drückte sie einen Augenblick lang an sich. Beide achteten nicht auf Tony Perelli, der unter der Tür stand und sie mit offenem Mund betrachtete.

 

»Du wolltest gehen, ohne mir Lebewohl zu sagen, Jimmy«, sagte sie atemlos.

 

Er beugte sich zu ihr herunter und küßte sie. Im nächsten Augenblick schon hatte er sie losgelassen und war bei O’Hara, der an der Haustür auf ihn wartete.

 

Minn Lee ging direkt in den Salon zurück. Sie sah weder Perelli noch die Frau, die ihre Nachfolgerin werden, sollte. Traumverloren starrte sie vor sich hin – Jimmy sollte gut von ihr denken, das war der einzige Wunsch, den sie jetzt noch hatte.

 

»Hallo!« rief Tony brutal schon zum dritten Mal. »Hörst du denn nicht?«

 

Sie drehte sich lächelnd zu ihm um. Wie stark und selbstsicher er aussah…

 

»Komm doch mit nach oben, Tony. Willst du nicht mit mir tanzen?« fragte sie fröhlich. »Ich werde die schönste Frau im ganzen Saal sein – Jimmy hat es gesagt.«

 

Perelli blieb in der Mitte des Zimmers stehen, nachdem sie gegangen war. Jimmy hatte gesagt, daß sie die schönste Frau wäre; das traf ihn empfindlich und ließ neue Zweifel in ihm wach werden. Und doch hatte er bereits über Minn Lees Schicksal entschieden. Noch heute wollte er ihr Bescheid sagen. Es war nicht das erstemal, daß er Frauen fortschickte, wenn er genug von ihnen hatte. Aber daß ihn Minn Lee immer noch verletzen konnte, das war eine schmerzliche Entdeckung und neue Erfahrung für ihn.

 

Er hörte Marys aufreizendes Lachen hinter sich und drehte sich langsam um.

 

»Ich scheine ihr ja ziemlich gleichgültig zu sein«, sagte er nachdenklich.

 

»Nun ja, sie ist eben verliebt«, erwiderte Mary neckend. »Ich mag die Kleine gern.« Aber plötzlich erinnerte sie sich an ihren Mann. »Wo sind die beiden hingegangen? – Mr. Perelli, Sie hören wohl nicht gut?«

 

Perelli sah sie geistesabwesend an.

 

»Sie hat nicht ja und nicht nein gesagt – und sie ist einer direkten Antwort ausgewichen…«

 

Das Lächeln auf Marys Gesicht gefror.

 

»Wollen wir jetzt tanzen, oder ziehen Sie es vor, den ganzen Abend Selbstgespräche zu führen? Wie lange bleibt Con fort?«

 

Tony kam plötzlich zu sich. Con war weggegangen, er war aus dem Weg geräumt.

 

»Er wird vermutlich länger weg sein.« Tony lachte ihr ins Gesicht und legte den Arm um sie.

 

Sie machte sich frei.

 

»Wollen wir nicht lieber tanzen?«

 

Aber er hielt sie zurück und führte sie zu dem Sofa, das in der Ecke stand.

 

»Bleiben wir noch etwas da, hier stört uns niemand.«

 

Er zog sie an sich und küßte sie, und sie leistete ihm nur soviel Widerstand, als die Lage es erforderte. Auf jeden Fall wollte sie nach außen hin die Regeln des Anstands wahren.

 

»Sie sind ja sehr stürmisch«, sagte sie schließlich und schob ihn zurück. »Stellen Sie sich vor, es würde jetzt jemand hereinkommen – zum Beispiel Ihre Frau?«

 

Sein Gesicht verfinsterte sich bei ihren Worten, und sie stand ärgerlich auf.

 

»Wenn Sie mich nicht besser unterhalten, suche ich mir einen anderen Partner!«

 

Sie wandte sich brüsk ab und lief rasch hinaus. Einen Augenblick überlegte Perelli, dann folgte er ihr in das Gesellschaftszimmer, wo seine Gäste tanzten und sich unterhielten.

 

Kapitel 17

 

17

 

Jimmy saß am Steuer und war nicht im mindesten nervös. Con betrachtete ihn mehrmals verstohlen von der Seite. Er hatte schon bei manchen Menschen merkwürdige Veränderungen erlebt, aber Jimmy überraschte ihn.

 

»Was wollte Kelly eigentlich bei Tony?« fragte er plötzlich.

 

»Kelly?«

 

»Ja. Er ging gerade ins Haus, als Sie herauskamen. Ich dachte, Sie hätten ihn auch gesehen.«

 

Jimmy gab keine Antwort.

 

Die Verkehrsampel vor ihm wechselte gerade von grün

 

O’Hara sah ihn erstaunt an.

 

»Wie gefällt Ihnen das Leben, Con?«

 

O’Hara sah ihn erstaunt an.

 

»Wie meinen Sie das?«

 

»Nun, wie finden Sie’s auf dieser Welt? Möchten Sie nicht gern weiterleben – mit Ihrer Frau und all den anderen schönen Dingen?«

 

Con grinste.

 

»Aber klar! Das Leben sagt mir ungemein zu.«

 

»Dann will ich Sie lieber vor unserem Rendezvous absetzen.«

 

»Vor unserem Rendezvous?« wiederholte Con verblüfft.

 

»Ja, vor der Stelle, wo wir den Captain treffen sollen«, erklärte Jimmy. »Es ist besser, wenn ich allein gehe.« – »Aber warum denn?«

 

»Wissen Sie, was es bedeutet, in den Tod geschickt zu werden?«

 

Ein kurzes Schweigen trat ein. Die Ampel zeigte jetzt wieder grün, und der Wagen fuhr in schnellem Tempo weiter.

 

»Wer soll denn in den Tod geschickt werden?« fragte Con dann langsam.

 

»Vermutlich wir.« Jimmy seufzte leise. »Ich werde anhalten, damit Sie aussteigen können. Oder Sie bleiben im Wagen und lassen mich aussteigen.« Er dachte eine Weile nach. »Nein, ich glaube, es ist besser, wenn ich weiterfahre, denn wenn sie den Wagen nicht sehen, glauben sie, Perelli hätte sein Wort nicht gehalten …«

 

»Wir sollen hinfahren, damit uns die andern niederknallen …? Dieser gemeine Schuft …«

 

»Ich glaube es bestimmt«, erwiderte Jimmy ernst.

 

Con O’Hara atmete schnell.

 

»Wer hat Ihnen denn das gesagt?«

 

Jimmy lächelte im Dunkeln.

 

»Jemand, der mich nicht anlügt.«

 

»Minn Lee?«

 

»Jemand, der nicht lügt«, wiederholte Jimmy. »Ich will Sie jetzt absetzen.«

 

Er hielt dicht neben dem Gehsteig.

 

»Sie sind verrückt«, sagte Con. »Wenn das wahr ist, werden Sie doch nicht hinfahren und sich von diesen Kerlen abknallen lassen?«

 

Jimmy McGrath gab darauf keine Antwort, und Con O’Hara schöpfte plötzlich einen Verdacht.

 

»Sie wollen wohl allein mit dem ganzen Geld abhauen?«

 

Jimmy drehte das Licht an, nahm den Briefumschlag aus der Tasche und riß ihn auf. Ein Bündel weißer Papierfetzen fiel heraus.

 

»Hier – sehen Sie selbst«, entgegnete er ironisch. »Mit diesen Moneten kann ich mir für den Rest meines Lebens jeden Luxus leisten!«

 

Con griff nach dem Papier und untersuchte es genau.

 

»Das sind ja nichts als wertlose Schnipsel!« stieß er erregt hervor.

 

»Wollen Sie jetzt aussteigen?«

 

Jimmy öffnete die Tür, und O’Hara zögerte keinen Augenblick. Er schaute die dunkle Straße entlang, aber es war niemand zu sehen.

 

»Ich werde aufpassen«, sagte er atemlos. »Fahren Sie weiter, Jimmy … Haben Sie wenigstens ein Schießeisen?«

 

»Das brauche ich nicht.«

 

Er schloß die Tür, winkte Con zu und fuhr an.

 

An der verabredeten Stelle hielt er und stieg aus. Er konnte niemand entdecken, aber bald darauf tauchten die beiden hellen Scheinwerfer eines Autos auf, das rasch an ihm vorbeifuhr. Ein wenig später näherte sich ihm ein anderer Wagen mit geringerer Geschwindigkeit.

 

Er war nur noch einige Schritte entfernt, als sich am Seitenfenster etwas bewegte …

 

Jimmy McGrath blieb ruhig stehen. Er rührte sich auch nicht, als er in die Mündung eines Maschinengewehrs blickte …

 

Lautlos brach er auf dem Gehsteig zusammen. Er hörte nicht mehr den aufheulenden Motor des Autos, das sich rasch entfernte.

 

Kapitel 18

 

18

 

Angelo öffnete Kommissar Kelly die Wohnungstür. Es gelang ihm nicht ganz, seinen Schreck über den Besuch zu verbergen, denn er hatte schon lange klar erkannt, welche Gefahr der Organisation durch diesen Mann drohte.

 

Zwischen Kelly und Angelo bestand eine gewisse Sympathie, die man nur schwer definieren konnte. Kelly betrachtete Angelo als zukünftigen Leiter der Gesellschaft, die jetzt Perelli unterstand, und er wußte auch, daß sich dann nicht nur die Methoden ändern, sondern sogar eine Wendung zum Besseren eintreten würde, wenn Angelo die Führung übernahm.

 

»Wo ist Perelli?« fragte er barsch.

 

Er schaute sich um und sah die ausgetrunkenen Flaschen und Gläser. Auch ohne die Musik, die aus den hinteren Räumen drang, wäre ihm klar gewesen, daß hier eine Party gegeben wurde.

 

»Er ist vor einiger Zeit weggegangen, um einen Freund aufzusuchen«, erwiderte Angelo schnell.

 

Kelly lächelte.

 

»Perelli geht doch nicht zu Fuß, und sein Wagen steht drunten in der Garage.«

 

Angelo nahm die Zurechtweisung gelassen hin. Es gehörte zu seinen Aufgaben, die Polizei stets über Tonys Aufenthaltsort im unklaren zu lassen.

 

»Er ist mit einer Dame nach oben gegangen«, erklärte er dann in vertraulichem Ton. »Sie kennen Perelli doch! Wollen Sie etwas trinken?«

 

Kelly ging auf und ab.

 

»Tom Feeney war heute hier.«

 

Angelo nickte.

 

»Ja. Wir haben uns jetzt endlich mit ihm geeinigt.«

 

»Aha, die feindlichen Brüder vertragen sich plötzlich! Sagen Sie mal, wo steckt eigentlich der junge McGrath?«

 

Angelo lächelte verbindlich.

 

»Er ist auch irgendwo im Haus – ein wirklich netter Junge.«

 

»Im Haus? Wenn ich nicht irre, haben ich ihn unten an der Tür gesehen, als ich kam. Holen Sie Perelli – ich muß sofort mit ihm sprechen.«

 

Angelo wandte sich zur Tür.

 

»Aus welchem Anlaß findet denn diese Party heute abend statt?« fragte Kelly.

 

»Tony hielt es für gut, die Verständigung zwischen Tom und ihm ein wenig zu feiern«, entgegnete Angelo. »Shaun wurde ja heute nachmittag schon beerdigt. Haben Sie die Blumen gesehen? Ganze Wagenladungen voll!«

 

In diesem Augenblick kam Minn Lee herein und setzte sich mit ihrer Stickerei auf die Couch. Kelly begrüßte sie mit einem freundlichen Nicken. Angelo verließ das Zimmer.

 

»Sie sehen sehr hübsch aus«, sagte Kelly höflich.

 

Lächelnd schaute sie auf ihr Pariser Modellkleid und blickte dann zu dem Kommissar auf.

 

»Gefällt Ihnen das Kleid?«

 

»Vorzüglich«, erwiderte Kelly bewundernd.

 

Sie lachte vergnügt, und er betrachtete sie erstaunt.

 

»Ich habe Sie noch gar nie so lustig gesehen, Minn Lee.«

 

Er wollte keine nähere Erklärung.

 

»Minn Lee, Sie wissen, daß ich Sie trotz der Umgebung, in der Sie leben, recht gern habe. Wann gehen Sie denn nun fort?«

 

»Wie kommen Sie darauf, daß ich fortgehe?« fragte sie.

 

»Nun, es wäre jetzt allmählich an der Zeit. Sie sind immerhin die dritte Frau, die ich hier kennenlernte … Einmal ist noch jede verschwunden.«

 

»Ich weiß es. Die armen Mädchen!« Ihre Stimme klang sorglos.

 

»Vielleicht wissen Sie auch, woher Mr. Perelli das Geld zu seinem luxuriösen Leben nimmt?«

 

Sie zuckte die Achseln.

 

»Alkoholschmuggel!«

 

»Stimmt. Es gibt aber auch noch andere Einnahmequellen – er ist zum Beispiel Besitzer von drei Nachtlokalen, deren Hauptattraktionen sehr zweifelhafte Animierdamen sind.«

 

Ihre Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß, und sie schaute ihn nicht an.

 

»Auch das weiß ich«, erwiderte sie leise. »Ich bin doch kein Kind mehr. Aber warum erzählen Sie mir das?«

 

Er hatte seine guten Gründe dafür. Sie sollte etwas hören, was ihr panischen Schrecken einjagen würde.

 

»Die Geschäftsführerin eines dieser Lokale, die besonders auf die Mädchen aufpassen muß, hat Geld unterschlagen ihre Stelle ist frei.«

 

Es war ihr äußerlich nichts anzumerken, und er staunte über ihre Haltung.

 

»Das ist mir gleichgültig. Wenn Sie mir gestern so etwas gesagt hätten, wäre ich traurig geworden. Aber jetzt kann mich nichts mehr kränken.«

 

Er schaute auf ihre Hand, an der ein großer Diamant blitzte.

 

»Da haben Sie ja einen fabelhaften Ring.«

 

Sie nickte zerstreut, und er merkte, daß sie mit ihren Gedanken weit weg war.

 

»Ich habe ihn schon früher gesehen. Jede Frau, die mit Perelli zusammenlebte, hat ihn getragen.«

 

Allmählich fand sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie lächelte ein wenig und seufzte.

 

»Ja, das glaube ich auch.«

 

»Eines Tages wird Perelli den Ring zurückverlangen.«

 

Sie betrachtete den Ring so aufmerksam, als ob sie ihn noch nie gesehen hätte.

 

»Ich brauche ihn nicht – er bedeutet mir nichts.«

 

»Eines Tages schickt er auch Sie nach Cicero hinaus«, fuhr er ernst fort. »Sie wissen, was dort auf Sie wartet?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Sie werden zuerst in dem vornehmeren Lokal sein, in dem nur reiche Leute verkehren.«

 

»Nein!«

 

Sie stieß das Wort so heftig hervor, daß er einen Augenblick glaubte, er habe sie wirklich erschreckt.

 

»Und nach einem Jahr steckt man Sie dann in eine bessere Kneipe, wo nur Bier und Schnaps getrunken wird.«

 

»Nein!«

 

Er faßte sie an den Schultern und drehte sie um, so daß er ihr ins Gesicht sehen konnte.

 

»Das ist der Weg, den alle gegangen sind, Minn Lee. Alle, die sich einmal Mrs. Perelli nannten, haben auf die gleiche Weise geendet.«

 

Eine lange Pause folgte.

 

»Aber ich sehe einen Ausweg für Sie«, sagte er dann.

 

Auch sie kannte einen Ausweg – doch davon wußte Kelly nichts. Er dachte nur daran, wie er Perelli fangen könnte.

 

»Auf der Bank liegen hunderttausend Dollar, auf die bisher niemand Anspruch erhoben hat. Es ist die Belohnung für denjenigen, der den Mörder Vinsettis angeben kann. Tony Perelli hat es getan – und zwar ganz allein. Sie wissen es doch?«

 

Sie machte eine abwehrende Handbewegung und setzte sich müde auf einen Stuhl.

 

»Jetzt sind Sie wieder der Polizeibeamte – ich habe es viel lieber, wenn Sie anders mit mir reden.«

 

Kelly sah sich um und dämpfte seine Stimme. Er wußte noch viel besser als Minn Lee, was sich schon alles in diesem Haus abgespielt hatte; auch über die Affaire Tonys mit Mary hatte er schon Informationen erhalten. Vielleicht konnte er sie dadurch zum Reden bringen.

 

»Sie hätten nichts zu fürchten, Minn Lee – kein Gangster würde es wagen, Sie anzurühren. Das einzige Vergehen, für das man in Chicago mit Sicherheit hingerichtet wird, ist die Ermordung einer Frau. Und außerdem würde ich Ihnen für Ihr Leben garantieren.«

 

»Geben Sie sich keine Mühe, Mr. Kelly. Ich fürchte mich nicht vor Tonys Nachtlokalen – denn ich werde niemals dort hingehen. Dazu ist meine Selbstachtung doch noch zu groß.«

 

»Sie kennen Tony Perelli immer noch nicht!«

 

»Ich weiß schon – Sie wollen mich ein wenig aus der Ruhe bringen. Aber wenn ich gehe, will ich von allen Leuten in Frieden scheiden.«

 

Das war ihm neu.

 

»Sie gehen also wirklich?« fragte er eifrig.

 

Sie nickte.

 

»Weiß Tony davon?«

 

»Nein.«

 

Sie sah an ihm vorbei. Tony stand in der Tür und lächelte sie an.

 

»Aha, Minn Lee unterhält Sie ein wenig«, sagte er. »Ich hörte, daß Sie mich sprechen wollten?« Er nahm Minn Lee die Stickerei aus der Hand. »Der alte chinesische Drache wächst ja gar nicht mehr. Schauen Sie mal her.« Er zeigte Kelly stolz das Werk. »Hat sie das nicht hübsch gemacht?« Er küßte sie. »Jetzt geh, Kleine – nachher habe ich Zeit für dich.«

 

Kelly gab Minn Lee die Hand.

 

»Leben Sie wohl.«

 

Sie zögerte einen Augenblick, nahm dann seine Hand und machte einen kleinen Knicks.

 

Tony sah ihn erstaunt an.

 

»Ich sehe zum erstenmal, daß Sie jemand die Hand geben, Mr. Kelly.«

 

»Und ich habe zum erstenmal jemand in Ihrer Wohnung getroffen, der einen Händedruck wert ist«, erklärte der Beamte kurz. »Sie erwarten doch nicht, daß ich einen Gauner wie Sie auf diese Weise begrüße?«

 

Einen Augenblick lang sah ihn Perelli mit mörderischer Wut an, aber dann beherrschte er sich und wandte sich mit seinem üblichen Lächeln an Angelo, der auch hereingekommen war.

 

»Hast du das gehört? Das reicht für eine Beleidigungsklage.«

 

Angelo war ein aufmerksamer Beobachter und schwieg. Er fühlte instinktiv, daß sich die Beziehungen zwischen dem Polizeibeamten und Tony geändert hatten. Kelly sprach wie ein Mann, der etwas wußte.

 

»Kommen Sie auf mein Büro, wenn Sie die Klage einreichen wollen. Ich bin allerdings nicht so luxuriös eingerichtet wie Sie – und die letzten acht Bandenchefs, die mir dort im Laufe der Zeit gegenübersaßen, sind tot.«

 

Tony Perelli lächelte ungläubig.

 

»Die hätten sich eben wehren sollen! Angelo, findest du nicht auch, daß Mr. Kelly sehr schlecht über uns denkt? Immer muß ich. an allem schuld sein – sogar daß Vinsetti ermordet wurde, will man mir in die Schuhe schieben.«

 

Es sah Perelli ähnlich, Vinsetti zu erwähnen; diese Kühnheit verblüffte Kelly.

 

»Vinsetti? Hm. Er hob dreihunderttausend Dollar von seiner Bank ab, kam hierher und wurde nie wieder lebend gesehen.«

 

»Nun; den ganzen Morgen saß er schließlich bei Ihnen und verpfiff seine Freunde, dieser Verräter!«

 

»Und dann ging er hierher, in dieses Zimmer – das er nicht mehr lebend verließ«, konterte Kelly.

 

Perelli wurde es jetzt doch etwas ungemütlich, und er schaute sich nach seinem Adjutanten um, der auch sofort einsprang.

 

»Keine falschen Beschuldigungen, Mr. Kelly – schließlich waren Sie zehn Minuten später hier.«

 

»Und haben Sie vielleicht Blutspuren gefunden?« fuhr Tony zornig fort. »Haben Sie eine Leiche gesehen, einen Schuß gehört?«

 

»Niemand hätte den Schuß hören können«, erwiderte Kelly. »Den Schalldämpfer auf Ihrer Pistole kenne ich ganz genau.«

 

Perelli lachte gezwungen.

 

»Ganz wie Sie meinen – ich töte eben alle Leute! Wenn ich nicht da wäre, hätten die Zeitungen überhaupt nichts zu schreiben!«