Kapitel 24

 

24

 

Mary ließ sich nicht beruhigen, und Tony brachte sie schließlich in ihr Zimmer. Angelo stand in der offenen Tür und sah nachdenklich hinter ihnen her.

 

Es war ihm ganz klar, daß die Zustände hier einer Krise zusteuerten. Der Wechsel von Minn Lee zu Mary würde auch noch andere entscheidende Veränderungen nach sich ziehen.

 

Lange Zeit stand Angelo, die Hand auf der Türklinke, und sah den Korridor entlang. Ganz in der Nähe stand in einer Garage ein schwerer Sportwagen. Eine Treppe, von der die Polizei keine Ahnung hatte, führte zu einem Geheimausgang. Alles war gut vorbereitet.

 

Angelo sah den Tatsachen ins Auge und machte sich keine Illusionen. Er hatte Tony in den vergangenen Jahren sehr gut kennengelernt, und einige untrügbare Anzeichen in seinem Benehmen hatten ihn gewarnt. Er wußte, daß er an der Reihe war und daß er heute abend unter einem Leichentuch liegen würde, wenn er keine Vorsichtsmaßregeln traf. Mit einem Seufzer drehte er sich um und schloß leise die Tür. Im Zimmer stand Minn Lee, die ihre Stickerei hatte holen wollen.

 

»Entsetzlich, wie Sie sich wegen Con aufführt«, sagte er.

 

Minn Lee lächelte.

 

»Wer weiß, vielleicht hat sie ihn doch geliebt.«

 

Angelo schüttelte den Kopf.

 

»Ich habe genug von diesen ganzen Weibergeschichten.« Er lachte vor sich hin und ließ sich in einen Sessel fallen. »Wirklich, ein großartiges Leben hier!«

 

»Wo werden Sie einmal enden, Angelo?«

 

»Darüber dachte ich gerade auch nach. Es war Aussicht vorhanden, daß ich eines Tages die Leitung dieser ruhmvollen Organisation übernehmen würde – und ich kann Ihnen versichern, daß dann manches anders geworden wäre. Aber jetzt …« Er machte eine vielsagende Geste.

 

Dann stand er auf und ging zu Minn Lee hinüber, die an der Wand lehnte.

 

»Tony sagte mir etwas von einer neuen Geschäftsführerin, die er für eines seiner schmutzigen Lokale in Cicero braucht.«

 

»So?« fragte sie gleichgültig.

 

»Ich hoffe, daß er nicht jemand auswählt, den ich kenne.«

 

»Er wird schon die richtige Frau dafür finden – ich werde es auf jeden Fall nicht sein.«

 

»Hoffentlich nicht – um unser aller willen.«

 

Sie sah ihn erstaunt an.

 

»Was soll das heißen, Angelo? Was würden Sie denn tun, wenn er …?«

 

»Nichts, was mir später leid täte.« Er setzte sich auf den Klavierstuhl und drehte sich einmal im Kreis herum.

 

»Ich denke, Sie schätzen Tony sehr.«

 

Angelo lächelte.

 

»Teils, teils. Zugegeben, er ist tüchtig – aber jetzt hat er einige Sachen gemacht, die nicht hätten vorkommen dürfen.«

 

Nur selten hatte er so offen mit ihr gesprochen.

 

»Sie müssen sehr viel Vertrauen zu mir haben, daß Sie mir das alles sagen. Wenn Tony wüßte, wie Sie denken …«

 

Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

 

»Er wäre tot, bevor er die Hand an der Pistole hätte.«

 

In diesem Augenblick trat Tony ins Zimmer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Angelo betrachtete ihn kritisch.

 

»Wie steht’s? Geht es Mutter und Kind gut?« erkundigte er sich.

 

»Werde nicht zu frech!« fuhr ihn Tony an. Hätten ihn die augenblicklichen Ereignisse nicht so stark in Anspruch genommen, dann wäre ihm die auffallende Veränderung in Angelos Wesen sicher nicht entgangen.

 

»Was wird sie tun?« fragte Minn Lee.

 

»Sie bleibt hier«, erwiderte Perelli kurz.

 

»Hat sie denn keine Freunde?«

 

»Doch – mich«, knurrte er ärgerlich. Angelo war ihm im Weg, und er wandte sich zu ihm. »Laß mich mal mit Minn Lee allein – und noch eines, Angelo: Um sechs Uhr muß ein Wagen für Minn Lee vor der Haustür stehen.«

 

Angelo nickte gleichmütig mit dem Kopf und ging hinaus. Tony sah ihm mit zusammengekniffenen Augen nach.

 

»Der Kerl wird zu frech«, murmelte er vor sich hin. »Na, an einem der nächsten Tage …«

 

Es fiel ihm nicht leicht, das zu erledigen, was jetzt erledigt werden mußte. Mit einer Handbewegung winkte er Minn Lee zu sich.

 

»Komm her, Liebling. Mir fällt da gerade etwas ein …« Er nahm ihre Hand und betrachtete prüfend die prachtvollen Ringe. »Es sind wertvolle Steine«, fuhr er langsam fort. »Meinst du nicht, daß sie einmal neu gefaßt werden müßten? Am besten, ich lasse das gleich morgen bei Tiffany erledigen.«

 

Er hielt die Hand auf, und ohne Widerstreben streifte sie einen Ring und ein Armband nach dem andern ab und gab sie ihm. Zufrieden schob er sie in die Tasche.

 

»Sie werden großartig aussehen, wenn sie neu gefaßt sind. Ich gebe sie dir natürlich zurück, keine Sorge! Die Arbeit wird ausgeführt, während du fort bist.«

 

Auf seinen letzten Satz hatte er besonderen Nachdruck gelegt, und sie sah ihn groß an.

 

»Während ich fort bin?«

 

»Ja, du wirst mich ein wenig verlassen müssen. Weißt du, so schnell komme ich nicht über die Sache mit Jimmy weg … Ich liebe dich zu sehr«, sagte er vorwurfsvoll. »Hoffen wir, daß ich das mit der Zeit vergessen kann …«

 

Ein langes Schweigen folgte. Minn Lee sah mit ihrem unergründlichen, rätselvollen Lächeln auf ihren nackten Arm.

 

»Wohin soll ich denn gehen?« fragte sie sanft.

 

Er nahm ihre Hände in die seinen.

 

»Ich will es dir sagen. Du möchtest mir doch gern helfen, nicht wahr? In der letzten Zeit habe ich viel Schwierigkeiten in Cicero gehabt. Diese verdammten Mädchen haben mich bestohlen, wo sie nur konnten – die Geschäftsführerin des großen Lokals mußte ich hinauswerfen. Sie taugte nichts.«

 

Er hörte, daß Minn Lee scharf die Luft einzog und erwartete einen Tränenausbruch; doch er hatte sich getäuscht.

 

»Du möchtest, daß ich ihre Stelle einnehme?« fragte sie und schüttelte den Kopf.

 

»Nur für kurze Zeit«, bat er in seinem freundlichsten Ton. »Du bist sehr gewissenhaft, Minn Lee, und könntest dort alles für mich in Ordnung halten. Natürlich erhältst du eine schöne Wohnung, Autos, was du willst …«

 

Sie schüttelte wieder den Kopf, und diesmal sah er sie scharf an und redete im Befehlston.

 

»Minn Lee, ich bin sehr gut zu dir gewesen!«

 

»Ja, du hast recht …«, sie sprach jetzt so leise, daß er sie kaum verstehen konnte.

 

»Also, sei lieb und mach mir keinen Kummer!«

 

Seine Worte klangen bestimmt; die Sache war für ihn erledigt. Mit einem vergnügten Lächeln stand er auf.

 

»Ich spiele ein wenig Klavier; du kannst mir zuhören.«

 

»Spiele nur, Tony«, sagte sie. »Ich muß meiner Schneiderin noch schreiben …«

 

»Gut.« Er setzte sich an das Instrument und sprach, während er spielte. »Natürlich werden deine Rechnungen, die noch offenstehen, alle bezahlt. Leg sie nur auf den Tisch, damit Angelo sie findet!«

 

Sie hörte ihm nicht mehr zu. Vor ihr lag ein großer Block, und sie begann schnell zu schreiben, während Tony sich seinem Spiel widmete.

 

Plötzlich fühlte er ihre Hand auf seiner Schulter und schaute auf. Ihr Gesicht war bleich.

 

»Du bist doch nicht krank?« fragte er bestürzt. Das hätte die Angelegenheit im Augenblick unangenehm kompliziert. – »Nein, nein – ich bin nicht krank.«

 

»Schön, Minn Lee, du bist ein tüchtiges Mädchen.« Er streichelte ihre Hand. »Aber du siehst so blaß aus.«

 

»Ein wenig Kopfschmerzen, Tony …«

 

»Leg dich doch hin!«

 

Er sah, wie sie sich auf die Couch legte, und begann wieder zu spielen. Angelo kam ihm in den Sinn, und er redete halb über die Schulter zu Minn Lee hin.

 

»Dieser Angelo macht mir Sorgen! Der Kerl spielt sich zu sehr auf – es ist immer dasselbe mit den kleinen Leuten, denen man eine Chance gibt. Er wird sich wundern! – Hörst du eigentlich zu, Minn Lee? Minn Lee, bist du eingeschlafen? Du wirst noch packen müssen, der Wagen ist um sechs Uhr da.«

 

Er stand auf und streckte sich. Dabei sah er den Briefbogen, den sie seitlich auf das Klavier gelegt hatte. Nachlässig nahm er ihn auf und las ihn flüchtig – aber dann fuhr er entsetzt herum. Sein Gesicht war aschgrau.

 

»Minn Lee! Minn Lee!« rief er heiser.

 

Sie lag ganz still. Ihr Gesicht war totenbleich.

 

»Minn Lee, um Himmels willen, was hast du getan!« schrie er verzweifelt und lief zu ihr. »Minn Lee …!«

 

Es klopfte scharf an die Tür, und bevor er einen klaren‘ Gedanken fassen konnte, stand Kelly vor ihm.

 

Der Beamte überflog die Szene mit einem Blick – die Tote, die friedlich und ruhig auf dem Sofa lag, den vor Schreck zitternden Perelli.

 

»Was ist …«

 

Dann sah er die Hand Perellis auf Minn Lees Brust – sie hielt den Griff des Dolches umklammert, mit dem sie sich getötet hatte.

 

»Lassen Sie das Ding los!«

 

Tony sah ihn wie betäubt an. Er öffnete seine Hand …

 

»Rühren Sie sich nicht!«

 

Kelly hatte eine Pistole gezogen und hielt Tony damit in Schach.

 

»Nein, nein! Ich habe es doch nicht getan!« stammelte Perelli. »Wirklich nicht … Es ist Selbstmord – dort liegt der Brief. Lesen Sie doch – sie hat es selbst geschrieben …«

 

Kelly nahm das Blatt und las die wenigen Worte.

 

›Leb wohl, Tony. So ist es besser für mich.

Deine Minn Lee‹

 

Es war ihre Schrift. Kelly schaute Tony an – dann holte er sein Feuerzeug heraus, knipste es an und hielt es an das Blatt Papier.

 

»Ich weiß nicht, wieviel Menschen Sie getötet haben, ohne dafür bestraft zu werden«, sagte er mit haßerfüllter Stimme und sah zu, wie das Blatt Feuer fing. »Komisch, daß Sie jetzt für eine Tat auf den elektrischen Stuhl kommen werden, die Sie nicht begangen haben – wirklich originell, wie?«

 

Diese Worte wirkten auf Perelli wie eine kalte Dusche; plötzlich gewann er seine Besinnung wieder. Er lief zum Telefon, wählte eine Nummer und sprach gleich darauf mit einem Mann, den Kelly gut kannte – es war einer der bekanntesten Rechtsanwälte Chicagos. Der Beamte zuckte hilflos die Schultern – einen Augenblick lang hatte er geglaubt, daß es nun mit Perelli aus sei, aber jetzt erkannte er, daß es überhaupt kein Ende gab. Perelli wußte zu gut Bescheid – und hatte zu viel Geld. Er würde verhaftet werden, sicher – aber bei der Verhandlung würde man ihn mangels Beweisen wieder freilassen. Welchen Zweck hatten alle seine Bemühungen noch? Perellis Worte fielen ihm ein, daß sich die Unterwelt eigene Gesetze geschaffen habe.

 

Mit einer resignierten Handbewegung drehte er sich um und ging zur Tür. Er sah nicht, daß Angelo durch die gegenüberliegende Tür hereinschaute und mit einem langen Blick die Situation erfaßte. Von Minn Lee, die er geliebt hatte, schaute er zu Perelli, den er haßte …

 

»Da haben Sie es, Kelly!« rief Tony triumphierend. »Sagte ich Ihnen nicht, daß ich selbst das Gesetz bin? Sie sind zwar sehr geschickt, aber noch lange nicht so geschickt wie ich. Ich habe meinem Rechtsanwalt alles erzählt … Na, was meinen Sie, was jetzt passiert? Gar nichts werden Sie mir anhaben können …«

 

Angelo öffnete die Tür ein wenig weiter, in der Hand hielt er eine schwere Pistole.

 

»Also, hören Sie mal zu, Kelly …« begann Tony wieder.

 

Zwei, drei Schüsse krachten. Angelo schlug die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Dann eilte er zu dem Geheimausgang, vor dem sein Wagen wartete.

 

Kelly, der noch unter der Tür stand, war herumgefahren. Gleich darauf schaute er düster auf den Toten, der zu seinen Füßen lag.

 

»Das hatte er vergessen«, sagte er langsam, »die Strafe seines eigenen Gesetzes.«

 

Kapitel 3

 

3

 

Victor Vinsetti nahm eine recht außergewöhnliche Stellung in der Unterwelt von Chicago ein. Seit zwei Jahren war er der Unterhändler einiger großen Banden, die den Schmuggelbetrieb auf den großen Seen Kanadas aufrechterhielten. Seine Haupttätigkeit bestand außerdem darin, die vielen Streitigkeiten zu schlichten, die für gewöhnlich unter den Geschäftspartnern auszubrechen drohten.

 

Er sah gut aus und stand in dem Ruf, zu Damen besonders höflich zu sein.

 

Zu seinem Unglück machte er den Fehler, sich in Kanada mit einer jungen Dame zu verloben, die sich nicht ohne weiteres abschütteln ließ, als er ihrer überdrüssig wurde. Sie verklagte ihn wegen Bruchs des Heiratsversprechens, und obwohl er mit Hilfe eines geschickten Rechtsanwaltes die Sache durch einen Vergleich beizulegen versuchte, wurde er zur Zahlung einer beachtlich großen Schadenersatzsumme verurteilt. Er zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Viel schlimmer war es für ihn, daß er durch diese Sache seinen Posten als Agent verlor, was ihn um einen großen Teil seiner Einnahmen brachte.

 

»Skandale liegen mir nicht«, erklärte ihm Tony Perelli, als die Angelegenheit zwischen ihnen zur Sprache kam. »Sie sind in Kanada jetzt bekannt wie ein bunter Hund, und das kann ich begreiflicherweise nicht gebrauchen.«

 

»Das ist doch unsinnig«, entgegnete Vinsetti, für den allerhand auf dem Spiel stand.

 

»Möglich. Das ist wenigstens Ihre Ansicht – ich denke anders darüber. Gehen Sie eine Zeitlang nach dem Osten und seien Sie froh, daß ich Ihnen nichts weiter nachtrage.«

 

Er klopfte Vinsetti liebenswürdig auf die Schulter.

 

Als er am Abend allein mit Minn Lee zusammensaß, unterhielt er sich eingehend mit ihr über den Vorfall. Sie saßen Seite an Seite auf einer breiten Couch; der Raum war matt erleuchtet vom Schimmer einiger bernsteinfarbiger Lampen.

 

»Dieser Vinsetti läuft zu sehr den Weibern nach. Unentwegt diese Liebeleien und ähnlicher Unsinn.«

 

»Ist denn Liebe Unsinn?« fragte sie lächelnd.

 

Er schmunzelte. »Die Liebe zu dir natürlich nicht! Aber wo in der Welt findet man auch eine solche Frau wie dich?«

 

Er streichelte vorsichtig ihre kleine Hand und schaute sie zärtlich an; dann ging er zum Klavier und spielte eine Stunde lang. Sie lauschte ihm hingegeben; er war ein hervorragender Pianist. Auch Geigenspielen konnte er virtuos, aber vor allem Klaviermusik war seine Leidenschaft.

 

Als Tony zu Minn Lee zurückkehrte und sich an ihrer Seite niederließ, fing er noch einmal von Vinsetti an.

 

»Der Junge ist tatsächlich ein wenig zu unbeständig – aber trotzdem war er mir sehr nützlich. Er konnte wenigstens wie ein vornehmer Mann auftreten und mit vornehmen Leuten verhandeln. Vielleicht überlege ich mir die Sache doch noch. Schließlich macht jeder einmal einen Fehler…«

 

Ein paar Tage später hatte er Victor Vinsetti schon beauftragt, mit dem Polizeichef Kelly über die Freilassung eines Bandenmitglieds zu verhandeln, das die Polizei geschnappt hatte. Es war ein Triumph für Vinsetti, daß er den Mann durch seine geschickte Verhandlungstaktik freibekam.

 

»Eigentlich hätten wir den Burschen ja hierbehalten sollen«, sagte Kelly, als er mit Harrigan die Sache besprach.

 

»Vielleicht – vielleicht auch nicht«, erwiderte Sergeant Harrigan. »Meiner Meinung nach hat Perelli nur deshalb so viel Wert darauf gelegt, daß dieser Bursche freikommt, weil er fürchtet, man könnte dem Mann noch ein anderes Verbrechen zur Last legen. Heute morgen wurde Red Gallway gefunden – er ist von hinten niedergeknallt worden.«

 

»Das war zu erwarten – der Mensch hat auch wirklich zu viel geredet. Übrigens, es ist zwar Zeitvergeudung, aber vielleicht besuche ich doch einmal Perelli.«

 

»Wissen Sie, daß er eine neue Frau im Haus hat?«

 

»Ja, ich weiß – Minn Lee, Mrs. Waite oder wie sie sonst heißt. Eines muß man Perelli schon lassen – er ist das, was es eigentlich gar nicht gibt: ein Gentleman Verbrecher. Eine nette Auswahl von Rohlingen hat er ja um sich versammelt, aber niemals hat einer seiner Bande etwas verraten.«

 

Harrigan sah ihn bedeutungsvoll an.

 

»Früher oder später wird wenigstens einer pfeifen«, meinte er leise.

 

»Denken Sie an Vinsetti? Wenn der Fall eintreten sollte, weiß Perelli früher davon als wir – und wenn erst Perelli etwas davon weiß …«

 

Er lächelte und vollendete den Satz nicht.

 

Harrigan zündete sich eine Zigarre an.

 

»Natürlich wird Vinsetti niemals als Zeuge vor Gericht zu gebrauchen sein. Immerhin will er sich aber gut mit der Polizei stellen, und ganz bestimmt wird er uns eines Tages Einzelheiten sagen, die uns Perelli vielleicht ans Messer liefern.«

 

»Glauben Sie? Dann sagen Sie ihm, wenn Sie ihn das nächstemal sehen, daß Perelli ganz genau weiß, was für ein unsicherer Kantonist er ist. Sichern Sie Vinsetti zu, daß wir ihm jeden Schutz gewähren, wenn er beichtet.«

 

Harrigan versuchte während der beiden nächsten Tage ein zufälliges Zusammentreffen mit Victor Vinsetti herbeizuführen. Er hatte keinen Erfolg, weil Vinsetti inzwischen Minn Lee getroffen und prompt Feuer gefangen hatte.

 

Minn Lee hatte zwar etwas eigenartige Begriffe von Ehrenhaftigkeit, aber man mußte ihr lassen, daß sie sich wenigstens streng danach richtete. Zum Beispiel wäre es ihr nie eingefallen, den Mann zu betrügen, dem sie angehörte. So hinterbrachte sie alles, was Vinsetti tat und was er ihr vorschlug, getreulich Tony. Ohne viel Aufhebens davon zu machen, erzählte sie ihm, was sich jeden Tag zugetragen hatte. Gerade ihre Bescheidenheit und Zurückhaltung waren es, was Tony Perelli so an ihr leiden mochte.

 

Vinsetti hatte über viele Dinge mit ihr gesprochen; vor allem natürlich über seine Liebe und über das glanzvolle und abwechslungsreiche Leben in Europa, das er ihr bieten wollte. Aber er hatte auch andere Dinge berührt, die Antonio Perelli nicht im günstigsten Licht erscheinen ließen. Zum Beispiel erzählte er ihr von einigen Gebäuden im Stadtteil Cicero, die eine ganze Reihe sehr übel beleumdeter Lokale enthielten.

 

Minn Lee war nicht sehr aufgebracht darüber. Was Tony Perelli auch tat, war für sie richtig.

 

Tony dagegen, dem sie berichtete, war ernstlich böse; als er Vinsetti am nächsten Tag traf, war er kurz angebunden.

 

»Wenn du mit Minn Lee sprechen willst«, sagte er zu ihm, »dann benütze in Zukunft am besten das Telefon. Du bist zwar brauchbar – aber auch du redest zuviel!«

 

Als Vinsetti Tony ansah, erschrak er. War er diesmal zu weit gegangen?

 

An und für sich war Tony Perelli durchaus nicht sehr nachtragend. Man konnte mit ihm streiten, und er war nicht der Mann, der sich ewig über eine solche Zwistigkeit ärgerte. Anders war es, wenn gewisse Grenzen überschritten wurden – dann konnte er erbarmungslos sein.

 

Bis jetzt war Tony Perellis Streit mit Vinsetti rein privater Natur. Man hatte ihn in den Augen seiner Frau herabgesetzt, und er fühlte sich deshalb in seiner persönlichen Ehre angegriffen. Allerdings schien er auch diese Sache noch einmal vergessen zu wollen. Doch Vinsetti hatte den Haß in Perellis Augen gesehen, und das hatte genügt, um seine Leidenschaft abkühlen zu lassen. Er wurde vorsichtig. Als geborener Diplomat wußte er, daß man seinem Gegner schmeichelte, wenn man sich vor ihm in acht nahm. Nach einer Weile schien auch wieder alles im alten Geleise zu sein, wenigstens war Perelli liebenswürdig wie immer. Vinsetti aber war trotzdem beunruhigt.

 

Er sollte recht behalten.

 

Für gewöhnlich war Tony großzügig, gleichzeitig lag aber etwas von der Hinterlist einer Katze in seinem Charakter: Ohne vorher zu warnen, schlug er rücksichtslos zu. Diesmal machte er eine Ausnahme und deutete bei Vinsettis nächstem Besuch an, was er wußte.

 

»Dein Urlaub fällt dieses Jahr ins Wasser«, sagte er. »Gib deinen Platz auf der ›Empress of Australia‹ lieber zurück. Du hättest das Geld zum Fenster hinausgeworfen, verstehst du?«

 

Mehr sagte er nicht. Er machte Vinsetti seltsamerweise keinerlei Vorhaltungen und geriet nicht in Wut über dessen unverzeihliche Handlungsweise. Unverzeihlich war sie, denn wenn ein Mann sich heimlich von seiner Bande zu drücken versucht, der er angehört, ist er für immer bei seinen früheren Freunden geächtet. Früher oder später ist ihm eine Kugel sicher.

 

Perellis Nachrichtensystem hatte auch diesmal wieder vorzüglich gearbeitet. In jeder Bank, auf jedem Reisebüro hatte er Leute sitzen, die ihn informierten, wenn ein Mitglied seiner Bande irgendeinen verdächtigen Schritt unternahm.

 

Eigentlich war es schade um Vinsetti, auch nach Angelos Meinung. In seiner Art hatte ihn niemand übertroffen. Man brauchte Leute, die sich so zu kleiden verstanden wie er und die vor allem mit den nach außen hin sehr ehrenwerten Schuften umgehen konnten, die den Rohstoff für Perellis Handel lieferten. Auch als Verbindungsmann zwischen den einzelnen Schmugglerbanden war Vinsetti unbezahlbar. Er war der einzige, der sich ohne weiteres in jedem Bezirk sehen lassen konnte. Sowohl zu dem Polen Joe als auch zu Tom Feeney und den Chefs anderer Organisationen stand er in guten Beziehungen. Schwierige Angelegenheiten behandelte er diskret; wenn er etwas versprochen hatte, konnte man sich darauf verlassen – und außerdem verstand er ausgezeichnet, mit Pistolen aller Kaliber umzugehen.

 

Perellis Tätigkeit erstreckte sich auf die verschiedensten Gebiete. Fast überall war er an erlaubten und unerlaubten Geschäften beteiligt; einen scharfen Trennungsstrich zog er aber zwischen sich und der gewöhnlichen Sorte von Gangstern. Er hatte seinen eigenen Ehrenkodex, von dem er unter keinen Umständen abwich. Das Geld der Leute, die er aus irgendwelchen Gründen hatte beseitigen lassen, fand man stets unberührt. Vor allem aber schätzten es seine Geschäftspartner, daß man sich sowohl als Käufer wie als Verkäufer unbedingt auf ihn verlassen konnte. Seinen ›Angestellten‹ zahlte er unheimliche Gehälter, aber obgleich er eine kleine Armee beschäftigte, hatte er doch alle Einzelheiten seiner vielen geschäftlichen Transaktionen selbst im Kopf.

 

Er war klug, am meisten nützte ihm aber sein sechster Sinn, der ihn fast immer rechtzeitig vor Gefahren warnte. Deshalb gehorchte er auch seinen Eingebungen blindlings. Auch Red hatte er nicht etwa erschießen lassen, weil dieser zur Polizei gegangen war, sondern weil er das Gefühl hatte, daß er für ihn in Zukunft eine große Gefahr bedeuten könne.

 

Kapitel 2

 

2

 

Von dem Dachgarten mit der venezianischen Balustrade konnte Tony Perelli die ganze Stadt überblicken, in der er der ungekrönte König der Alkoholschmuggler war. Und er liebte sein Königreich Chicago. Endlose Reihen von Autos brachten seine Untertanen täglich zur Arbeit; denn jeder, der an irgendeinem versteckten Plätzchen seiner Wohnung Alkohol lagerte, gehörte zu seinen Untertanen.

 

Es verstieß gegen das Prohibitionsgesetz, In den Vereinigten Staaten war es von 1917-1933 verboten, Alkohol herzustellen oder zu verkaufen. Alkohol herzustellen oder zu verkaufen; jede heimlich in den Keller geschmuggelte Weinkiste oder Schnapsflasche konnte zu Konflikten führen. Im Preis für Alkohol waren die Prozente des Schmugglers ebenso inbegriffen wie die des Pistolenschützen, der die Transporte begleitete. Seitdem es verboten war, hatten die Leute erst recht ihre Vorliebe für hochprozentige Getränke entdeckt. Sie nahmen achselzuckend davon Kenntnis, daß jeder, der den Alkoholschmuggel störte, damit rechnen mußte, erschossen und vom fahrenden Auto aus auf die Straße geworfen zu werden. Wahrscheinlich wären sie aber doch erschrocken, wenn man ihnen gesagt hätte, daß in dem Alkoholpreis auch die Munition der Mörder und die Blumenkränze für die Gräber der Opfer eingerechnet waren.

 

Perelli trat eben in den supervornehm eingerichteten Raum, der zugleich als Frühstücks- und Arbeitszimmer diente. Der japanische Diener hatte gerade den Kaffee gebracht. Nach der Hausordnung, die Perelli festgesetzt hatte, würde Minn Lee erst am Nachmittag erscheinen, und auch Angelo, der vor kurzem eine vornehme Wohnung gemietet hatte, kam erst später.

 

Perelli sah auf die Uhr. Es war erst acht, aber trotzdem erwartete er bereits einen Besucher. Im gleichen Augenblick wurde er durch das leichte Surren eines Summers auf seinem Schreibtisch angemeldet.

 

Red Gallway war die luxuriöse Umgebung nicht sympathisch, und an diesem Morgen fühlte er sich hier noch weniger wohl als sonst, weil er einen beträchtlichen Groll gegen Perelli aufgespeichert hatte. Die ganze Nacht über hatte er sich in seinen Zorn hineingesteigert, aber jetzt, im hellen Tageslicht, fiel es ihm schwer, diese Stimmung aufrechtzuerhalten.

 

»Setz dich, Red, und erzähle, was es im Westen Neues gibt.«

 

»Ich muß etwas wissen, Perelli – und wenn ich es nicht sofort erfahre, dann ist der Teufel los. Verstehst du?«

 

Tony sah ihn neugierig und ziemlich von oben herab an.

 

»Mach dich doch nicht lächerlich. Wirklich zu komisch, wenn du dich aufspielen willst … Aber schön, schieß los!«

 

Red rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her.

 

»Du kennst Leeson – Mike Leeson. Das war mein Freund, Perelli. Und jetzt hat ihn einer über den Haufen geknallt. Ich möchte den Kerl sehen, der das getan hat!«

 

Antonio Perelli lächelte.

 

»Ich habe ihn umgelegt«, sagte er fast gemütlich.

 

Tiefes Schweigen folgte.

 

»Hast du vielleicht etwas dagegen?« erkundigte sich Perelli dann freundlich.

 

Red biß sich auf die Lippen.

 

»Aber das ist doch keine Art, einen so netten Kerl einfach mir nichts, dir nichts … Einen Freund von mir! Mike und ich waren wie Brüder …«

 

»Dann solltest du eigentlich Trauer tragen«, erklärte Perelli gelassen, »denn dein Bruder ist tot.«

 

»Warum hast du das getan?« fragte Red verbissen.

 

Perelli hielt es für nicht der Mühe wert zu antworten.

 

»Sag doch, warum du es getan hast? Mike war ein netter Kerl und hat mir viel geholfen.«

 

»Ich habe es eben für richtig gehalten.«

 

Tony lehnte sich nachlässig auf seinem Stuhl zurück, griff nach der Kaffeetasse, die vor ihm stand, und nahm einen Schluck.

 

»Ja – ich habe es für richtig gehalten. Und wenn ich erst einmal etwas für richtig halte, dann tue ich es auch.«

 

Red nagte an seiner Unterlippe. Er fürchtete Perelli, aber innerlich kochte er vor Wut.

 

»Du hast dich nicht besonders liebenswürdig mir gegenüber verhalten!«

 

Tony nickte.

 

»Na, wenn du willst, kondoliere ich dir. Warst du übrigens im Krankenhaus? Nein? Da liegt gerade ein anderer Freund von dir, der Grieche Ontropolos. Es geht ihm ziemlich schlecht – gestern abend hat ihm jemand mit dem Gummiknüppel eins übergezogen. Möchtest du wissen, warum? Er hat einem meiner Leute Koks verkauft.«

 

Red schwieg.

 

»Und ich will nicht, daß meine Leute trinken oder irgendwelche Rauschgifte nehmen!«

 

»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Für mich selber kann ich allein sorgen …«, begann Red.

 

»Sicher kannst du das. Übrigens liegt niemand etwas daran, wenn du es nicht tust. Vor allem aber wirst du nicht dafür bezahlt, daß du für dich selbst sorgst, sondern daß du dich um mich und meine Leute kümmerst. Wenn deine Hände zittern und wenn du nicht ganz klar im Kopf bist, dann ist das schlimm. Wenn du trinkst und die Klappe nicht halten kannst, ist es noch viel schlimmer – denn ich weiß nur zu genau, daß ein Kokainsüchtiger jedes Geheimnis gegen eine entsprechende Menge Koks verkauft. So, nun weißt du es. Und das ist mein letztes Wort – laß die Finger von dem weißen Pulver oder mach, daß du fortkommst.«

 

Red erhob sich.

 

»Schön, in Ordnung, ich gehe!«

 

Ein rätselhaftes Lächeln spielte um Perellis Mundwinkel.

 

»Gut – wie du meinst!«

 

Wenn Red im allgemeinen auch nicht sehr sensibel veranlagt war, so fühlte er doch jetzt fast körperlich die Drohung, die in diesen Worten lag.

 

»Tony, ich bin kein Schuljunge, der sich in jede Ecke stoßen läßt! Und wenn sich zwei Partner nicht mehr miteinander vertragen, dann müssen sie sich eben trennen.«

 

»Da hast du recht«, entgegnete Tony und nickte.

 

Red ging. In seinem Kopf schwirrte es von Plänen. Er hatte verschiedene Tricks des Alkoholgeschäfts gelernt, von denen er nie etwas erfahren hätte, wenn Tony Perelli nicht etwas zu mitteilsam gewesen wäre.

 

Als nächstes ging er zu einem guten Bekannten, der auch der Schmugglerbande angehörte, und lud ihn zum Mittagessen bei Bellini ein. Dort erzählte er ihm alles, was ihm durch den Kopf ging.

 

Victor Vinsetti war ein gutgekleideter junger Mann mit merkwürdig ruhelosen Augen. Bezeichnend für ihn war, daß er immer den Verdacht zu haben schien, daß jemand hinter ihm stände. Nur sehr selten äußerte er eigene Ansichten, verstand dafür aber ausgezeichnet zuzuhören.

 

Er erfuhr, was Red Gallway bedrückte und was mit Mike Leeson passiert war. Red versuchte ihm klarzumachen, wie leicht es sein würde, ein eigenes Schmuggelunternehmen zu starten, Stoff über die Grenze zu bringen und neue Absatzgebiete zu finden. Wenn man nur ein paar tüchtige, smarte Jungen fand, die in den geheimen Kneipen als Vertreter fungierten, konnte man in lächerlich kurzer Zeit ein Vermögen verdienen.

 

Vinsetti hörte interessiert zu, weil er selbst auch schon ähnliche Gedanken gehabt hatte. Seit einiger Zeit befaßte er sich allerdings mit anderen Plänen.

 

»Habe ich recht oder nicht, Vic?« fragte Red am Schluß seiner langen Ausführung.

 

»Natürlich hast du recht – und ich verstehe dich durchaus. Aber die Sache ist doch nicht so einfach, wie du es dir vorstellst. Und auf jeden Fall bist du sehr unvorsichtig, wenn du so viel darüber sprichst.«

 

»Mike Leeson war ein tüchtiger Kerl …«

 

»Mike war gar nichts, höchstens eine große Null«, unterbrach ihn Vinsetti ruhig. »Er ist tot, und es ist auch nicht weiter schade um ihn – ich möchte nur wissen, wie Perelli darüber denkt …«

 

Er dachte intensiv nach, während Red ihn neugierig betrachtete. Vinsetti war selbst ein gefürchteter Pistolenschütze, wenn er auch nicht zu den ganz großen Leuten gehörte. Alle wußten, daß er reich war. Die Pläne, die ihn beschäftigten, bestanden einfach darin, daß er sich vom Alkoholschmuggel zurückziehen wollte – obwohl man sagte, daß dies selten jemand gelänge, der einmal daran beteiligt gewesen war. Auf der ›Empress of Australia‹ war eine Kabine für ihn belegt. Er wollte über Kanada reisen; alles, was wertvoll war, hatte er bereits zu Geld gemacht und stand auch schon wegen einer Villa an der Küste von San Remo in Unterhandlungen. Reds Offenheit war ihm peinlich; besonders weil er wußte, daß jeder zweite Kellner bei Bellini ein Spion war.

 

Noch am gleichen Abend ging er zu Perelli.

 

»Red ist wütend«, erzählte er. »Ich war mit ihm bei Bellini, und er hat mir dauernd etwas vorgejammert.«

 

»Ich möchte keine Schwierigkeiten mit ihm haben«, erwiderte Tony. Dies war zugleich seine Kampfansage und sein Alibi.

 

Immer wenn Red getrunken hatte, verwickelte er sich in Schwierigkeiten. Diesmal versuchte er, durch einen Mittelsmann in Verbindung mit Tom Feeney zu kommen, der den Alkoholschmuggel im südlichen Bezirk kontrollierte. Aber es gelang ihm nur, mit O’Donnell zu sprechen, der Toms Personalchef und Schwager war.

 

In Wirklichkeit war O’Donnell der leitende Kopf der Bande, und das war nach Perellis Ansicht der schwächste Punkt der Tom Feeney-Gesellschaft. O’Donnell war klein, hager und leicht erregbar. Zu schnell mit der Pistole bei der Hand, wie die einen sagten, und unverschämt frech mit seinem Mundwerk, wie andere wissen wollten.

 

Er hörte sich Reds Vorschläge sehr kühl und gelassen an.

 

»Red, Sie haben eigentlich für uns ebensowenig Wert wie für sonst jemand«, erklärte er schließlich sachlich. »Sie nehmen Koks, und Sie saufen. Bei unserem Geschäft kann man solche Leute nicht brauchen. Für Perelli habe ich durchaus nicht viel übrig – aber Schwierigkeiten will ich keine mit ihm haben. Wenn Sie allerdings in seinem Bezirk verkaufen wollen, stellen wir Ihnen genügend Alkohol zur Verfügung.«

 

Am nächsten Tag ereignete sich nichts Besonderes, außer daß Red Gallway nach anderer Richtung hin Anschluß suchte. In der frühen Dämmerung des Winternachmittags stand er im Polizeipräsidium und bat um eine Unterredung mit Kommissar Kelly. Er wollte sich über einen Polizeibeamten beschweren, erklärte er möglichst laut. Das Polizeipräsidium lag in Perellis Bezirk, und Spitzel berichteten ihm alles Wissenswerte.

 

Niemand außer Red wäre in dieser Lage zum Polizeipräsidium gegangen. Schließlich hätte er ja auch die Möglichkeit gehabt, anzurufen und einen Treffpunkt für eine geheime Zusammenkunft zu vereinbaren. Aber wenn Red Gallway Kokain genommen hatte, überlegte er nie lange. Eine Viertelstunde später saß er schon dem Chef der Kriminalpolizei gegenüber.

 

Er wollte seine Geschichte möglichst schlau erzählen und vor allem keine Namen nennen. Offen gab er nur zu, daß er in Lebensgefahr schwebe, und nachdem sich Kommissar Kelly einige Zeit mit ihm unterhalten hatte, war er auch davon überzeugt.

 

Red erzählte Kelly nichts, was Kelly nicht schon wußte; bittere Erfahrungen hatten den Beamten im übrigen gelehrt, daß es völlig sinnlos gewesen wäre, Red beim Wort zu nehmen und ihn als Zeugen in einem Prozeß auftreten zu lassen.

 

Kelly wußte ganz genau, wie und warum Mike Leeson ums Leben gekommen war. Er kannte die Namen der Leute, die den Abtransport der Leiche durchgeführt hatten, genauso wie die Nummer ihres Wagens.

 

Red hätte wahrscheinlich noch einige Stunden geredet, aber Kelly hatte viel zu tun, und an einseitigen Unterhaltungen, bei denen er nichts Neues erfuhr, lag ihm nicht viel.

 

»Wollen Sie bei uns bleiben?« fragte er.

 

Red sah ihn entrüstet an.

 

»Soll das heißen, daß Sie mich in Schutzhaft nehmen wollen? Ich bin groß genug, um auf mich selber aufzupassen. Nein, ich werde mich um den ganzen Laden hier nicht mehr kümmern. Chicago kann mir gestohlen werden – ich habe in andern Städten genug Freunde, die mir weiterhelfen.«

 

Als Red wieder auf die Straße trat, wurde er von drei Leuten beobachtet. Aber nur zwei davon waren Polizeibeamte.

 

»Verliert den Kerl bloß nicht aus den Augen«, hatte der Chef kurz vorher zu ihnen gesagt.

 

An der nächsten Straßenecke begrüßten zwei Männer freudig Gallway und nahmen ihn in die Mitte.

 

»Was fällt Ihnen denn ein?« fragte Red, als sie ihm liebenswürdig auf die Schulter schlugen und sich bei ihm einhängten.

 

»Wenn Sie den Mund aufmachen, knallt’s«, erwiderte der eine in herzlichstem Ton und preßte ihm die Mündung einer Pistole in die Seite.

 

»Sind Sie verrückt, Sie …!«

 

Die Beamten, die Red beschatten sollten, waren noch Neulinge. Sie sahen nur, daß zwei gute Freunde Red begrüßten und mit ihm in ein Auto einstiegen. Es fiel ihnen nichts Besseres ein, als schnell ein Taxi zu nehmen, aber noch bevor sie einen Wagen gefunden hatten, war das andere Auto schon abgefahren und außer Sicht.

 

Red überschaute die Lage nicht sofort. Er war sich nur darüber klar, daß der Mann, der direkt hinter ihm saß, einen harten, kühlen Gegenstand gegen sein Genick drückte. Dabei unterhielt sich dieser Mensch intensiv mit dem Chauffeur über ein Baseball-Match. Die beiden stritten miteinander, ob Südkalifornien oder Columbia gewinnen würde. Der Chauffeur war für Columbia.

 

»Dafür bin ich auch«, versuchte sich Red ängstlich einzuschalten.

 

»Halten Sie bloß die Klappe«, entgegnete der Chauffeur. »Ich kann mich nur wundern, daß Sie nicht heiser sind – Sie haben doch wirklich lange genug mit dem Polypen gequatscht! Möchte wissen, wen Sie alles verpfiffen haben.«

 

»Ich – verpfeifen?« protestierte Red ärgerlich.

 

Die Pistolenmündung preßte sich unbarmherzig gegen sein Genick.

 

»Schnauze!«

 

Sie ließen jetzt die Stadt hinter sich und kamen durch eine verlassene Gegend, in der nur einzelne Baracken standen. Schließlich hielt der Wagen bei einem kleinen Gehölz, das direkt neben der holperigen Straße lag.

 

»Raus mit Ihnen!« befahl der Mann hinter Red. Gallway gehorchte. Das Kokain wirkte jetzt nicht mehr, und er zitterte am ganzen Körper.

 

»Was wollen Sie denn eigentlich von mir?« stieß er mühsam hervor. »Ich habe der Polizei bestimmt nichts verraten! Fahren Sie mich sofort zu Tony. Er wird Ihnen sagen …«

 

Die beiden nahmen ihn wieder zwischen sich und schleppten ihn in das Gehölz.

 

»Wollen Sie mich etwa kaltblütig abknallen?« keuchte Red. »Hören Sie doch …«

 

Die Sicherung einer Pistole klickte. Gleichzeitig mit dem Schuß fiel Red auf die Knie und schwankte. Er hörte weder den ersten noch den zweiten Knall. Der Mann hinter ihm ließ die Pistole in die Tasche gleiten und steckte sich eine Zigarette an. Seine Hand zitterte nicht im geringsten.

 

»Los, fahren wir zurück«, sagte er zu seinem Begleiter. Schon als sie am Stadtrand waren, stritten sie sich wieder herum, ob Kalifornien oder Columbia gewinnen würde.

 

Der Fahrer sah das Polizeiauto als erster. Sowie er das Heulen der Sirene hörte, gab er Gas, daß ihr eigener Wagen einen Satz nach vorn machte.

 

»Nimm das Maschinengewehr – unter dem Sitz!«

 

Der Mann neben ihm kroch nach hinten, um seinem Freund zu helfen. Zusammen stießen sie die Mündung durch das hintere Fenster.

 

»Die beiden Polypen müssen Kelly verständigt und die Beschreibung unseres Wagens durchgegeben haben«, knurrte der Mann, der Red erschossen hatte, und klemmte sich hinter das Maschinengewehr.

 

Der Polizeiwagen kam näher.

 

»Los! Gib’s ihnen!«

 

Rat-a-tat-a-tat-a-tat!

 

Die Windschutzscheibe des anderen Wagens wurde zertrümmert. Er geriet leicht ins Schlingern, fing sich dann aber wieder und folgte ihnen in immer kürzerem Abstand. Die Polizeibeamten erwiderten jetzt das Feuer.

 

Der Mann am Maschinengewehr stieß einen unartikulierten Laut aus und glitt zu Boden. Der andere packte die Waffe und drückte auf den Abzug. Gleich darauf gab es einen scharfen Knall, das Polizeiauto rutschte quer über die Fahrbahn und kam an einem Laternenmast zum Stehen. Ein Reifen war getroffen worden.

 

»Sie sitzen fest!« rief der zweite Mann dem Chauffeur zu. »Ab jetzt, Joe!«

 

Mit einem Blick streifte er die zusammengekrümmte Gestalt am Boden. »Kopfschuß«, knurrte er und kletterte auf seinen Sitz neben dem Fahrer zurück.

 

Einige Zeit darauf waren sie schon wieder bei ihrem Baseballspiel, während der Tote hinter ihnen von einer Seite zur andern rollte.

 

Kapitel 12

 

12

 

Minn Lee war sehr schweigsam, als die Besucher gegangen waren. Sie saß an ihrem großen Stickrahmen und stichelte eifrig. Offenbar nahm diese Arbeit ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Tony lag auf der Couch, hatte eine Zigarre im Mundwinkel und las Zeitung.

 

»Sie ist schön«, sagte Minn Lee plötzlich. »Sehr schön.«

 

Er legte das Blatt weg, richtete sich auf und schaute zu ihr hinüber.

 

»Ja, sie ist einfach fabelhaft«, meinte er.

 

Es trat wieder eine lange Pause ein.

 

»Gehst du heute abend in die Oper?« fragte Minn Lee dann.

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Sie geben die ›Götterdämmerung‹. Keine Lust dazu.«

 

Sie sah ihn aufmerksam an.

 

»Willst du dann nicht heute abend einmal bei mir bleiben? Ich sehe dich in letzter Zeit so selten!«

 

Er stand auf, trat zu ihr und betrachtete sie nachdenklich. Ihre zurückhaltende Art machte ihn plötzlich rasend.

 

»Weißt du, wovor ich mich fürchte?« fragte sie sanft.

 

»Wovor sich jede Frau fürchtet – vor einer anderen Frau«, entgegnete er rücksichtslos.

 

In ganz kurzer Zeit hatte sich seine Haltung ihr gegenüber vollständig geändert. Sie hätte so etwas nie für möglich gehalten – seitdem sie ihn kannte, hatte er niemals auch nur angedeutet, daß es einmal ein Ende ihrer Beziehungen geben könnte. Doch sie war Asiatin und wußte, daß es sinnlos ist, nach der Ursache irgendwelcher Dinge zu forschen, die man doch nicht ändern kann.

 

»Dann interessierst du dich also für eine andere Frau?«

 

Er sah sie halb belustigt an.

 

»Warum soll ich dir etwas sagen, was du selbst weißt?«

 

»Tony, ich bin sehr lange bei dir gewesen – können wir nicht von Chicago weggehen? Vielleicht hast du mich dann wieder lieb.«

 

Er sah sie merkwürdig an.

 

»Natürlich kannst du gehen. Nach New York – wohin du willst.«

 

»Ich sagte – wir.«

 

Er erhob sich brüsk.

 

»Wir ist nicht gleichbedeutend mit ich. Ich dachte immer, daß du das weißt, und ich habe es dir deshalb nie gesagt: Du bist für mich eine sehr schöne und vergnügliche Sache. Kann ich etwas dafür, daß ich ab und zu Dinge finde, die mir noch mehr Spaß machen?«

 

Er gab ihr einen flüchtigen Kuß, und sie lächelte.

 

»Wer kommt heute abend?« fragte sie mit erzwungener Fröhlichkeit.

 

»Oh, du wirst schon sehen – eine reizende Gesellschaft.«

 

»Sind auch Damen dabei? Sie etwa auch?«

 

Er nickte.

 

»Warum kann sie nicht fortbleiben? Sie hat doch ihren Mann.« Minn Lees Stimme zitterte.

 

»Du hast den Mann doch gesehen. Würdest du gerne dauernd mit ihm allein sein?«

 

»Jimmy sagt…«

 

Er drehte sich um.

 

»Oh, Jimmy? Hast du den Studenten eigentlich gern? Gefällt er dir?«

 

»Ja, er ist wirklich nett. Er kommt mir immer wie ein großer Junge vor.«

 

Der Tonfall ihrer Stimme erregte plötzlich seine Aufmerksamkeit.

 

»So? Und du behandelst ihn wohl auch so?« Er riß sie an sich. »Kleine Jungen küßt man schließlich auch …«

 

Selbst jetzt, bei dieser Frau, die er an und für sich loswerden wollte, packte ihn der Ärger bei dem Gedanken, daß jemand anders seine, des großen Bandenchefs Perelli, Rechte mißachtet haben könnte. Noch war sie sein Eigentum, und er war nicht bereit, sie einem anderen zu geben.

 

Er stieß sie weg und hielt sie auf Armeslänge von sich entfernt. Forschend und argwöhnisch betrachtete er sie.

 

Jimmy?

 

Er war eigentlich nicht böse auf den Jungen, und doch hatte er ein sonderbares Gefühl, das er nicht ergründen konnte.

 

»Warum siehst du mich so an?« fragte er.

 

In diesem Augenblick klingelte es, und er ließ sie langsam los.

 

Es war Con O’Hara mit Jimmy. Tony warf dem jungen Mann einen schnellen Blick zu – Jimmy sah blaß, nervös und erschüttert aus. Die Sache hatte ihm anscheinend mehr zu schaffen gemacht, als Perelli vermutet hatte. Es war zwar klar, daß Jimmy bei seinem ersten Unternehmen die Nerven verlieren würde, aber daß er sich immer noch nicht gefangen hatte, beunruhigte Perelli etwas.

 

»Hallo, Jimmy!«

 

Der junge Mann nickte ihm zu.

 

»Ich habe ihn auf der Straße aufgegabelt«, erklärte O’Hara und machte eine bezeichnende Handbewegung zu seiner Stirn.

 

»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Tony«, sagte Jimmy leise. Minn Lee hatte er nur mit einem schwachen Lächeln begrüßt.

 

»Laß uns allein, Liebling.« Tony gab ihr einen kleinen Schubs in Richtung der Tür.

 

Sie drehte sich um und sah Jimmy eindringlich an.

 

»Kommen Sie noch kurz zu mir, bevor Sie gehen?«

 

»Bestimmt.«

 

Warum wollte sie ihn sprechen, bevor er ging? Was hatte sie ihm zu sagen? Tony wurde immer nachdenklicher.

 

»Setzen Sie sich«, begann er, nachdem Minn Lee draußen war.

 

Aber Jimmy ging ruhelos auf und ab.

 

»Danke – ich mache mir lieber ein wenig Bewegung.«

 

Tony lächelte.

 

»Dieser Teppich hat mich zehntausend Dollar gekostet – aber bitte, tun Sie sich keinen Zwang an!«

 

»Ich habe gestern abend die ganze Sache verkorkst …«

 

Tony packte ihn am Arm und führte ihn auf den Balkon.

 

»Das macht nichts, mein Junge. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über diese Geschichte – wir alle haben am Anfang Fehler gemacht.«

 

Er wartete auf Antwort. Jimmy hatte sich wieder von ihm freigemacht und ging wie vorher unentwegt auf und ab. Die Hände hatte er in die Hosentaschen gesteckt, den Kopf tief gesenkt.

 

»Sie wissen, daß ich Shaun recht gern hatte«, sagte er zögernd. »Als ich die Pistole auf ihn richtete, sah er mich an – das kann ich nicht vergessen …«

 

Tony versuchte ihn zu beruhigen.

 

»Sicher, sicher – so ist das eben. Aber das geht vorüber.«

 

»Ich konnte nicht schlafen … Ich hatte die ganze Nacht sein Gesicht vor Augen – es war entsetzlich. Und auch jetzt …« Er starrte ins Leere, als ob er dort Shaun sehe.

 

»Er ist noch nicht abgehärtet, noch viel zu weich«, mischte sich O’Hara von der Balkontür her ein.

 

»Halten Sie den Mund«, fuhr ihn Tony scharf an.

 

Er trat wieder auf Jimmy zu, klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und ermutigte ihn geradezu kameradschaftlich.

 

»Ich mache Ihnen nicht den geringsten Vorwurf, Jimmy. Vielleicht kann ich mir sogar ein wenig vorstellen, was Sie fühlen. Glauben Sie mir, wenn es auf mich ankäme, würden solche Sachen überhaupt nicht mehr vorkommen – ich würde das Alkoholgeschäft betreiben, ohne einer Fliege etwas zuleide zu tun. Es hat wirklich keinen Sinn, die Leute dauernd niederzuknallen … Aber die anderen lassen einen ja nicht in Frieden.«

 

»Das ist doch ganz klar«, sagte Con wieder. »Wenn Sie ihn nicht umgelegt hätten, hätten Sie eben selbst dran glauben müssen.«

 

Perelli war gerade besonders geduldig.

 

»Con, wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich Leute nicht leiden kann, die zuviel reden. Kennen Sie übrigens Kommissar Kelly?«

 

»Lassen Sie mich bloß mit den Polypen in Ruhe – die haben doch überhaupt nichts zu melden. Mit Kelly werde ich schon noch reden.«

 

Tony hörte eine Sirene auf der Straße, trat ans Geländer und schaute hinunter.

 

»Sie werden gleich Gelegenheit dazu haben«, sagte er. »Vor der Haustür steht sein Wagen.« Er wandte sich rasch an Jimmy. »Hören Sie, jetzt müssen Sie sich zusammenreißen, Jimmy. Lassen Sie sich um Himmels willen nicht durch diesen Kelly aus dem Konzept bringen – sagen Sie so wenig wie möglich!«

 

Jimmy sah ihn entsetzt an.

 

»Will er mich etwa verhören? Weiß er denn, daß ich es getan habe?«

 

»Er weiß es nicht, wenn Sie es ihm nicht verraten. Lassen Sie sich bloß nicht von ihm bluffen!«

 

»Ich werde schon mit ihm sprechen«, erklärte Con selbstbewußt.

 

Perelli kniff die Augen zusammen.

 

»So? Sie sind ja sehr waghalsig. Aber ich möchte Ihnen trotzdem den Rat geben, den Mund zu halten und nicht zu frech zu werden. Der Mann ist nicht ohne.«

 

Es klopfte, und Kommissar Kelly schlenderte in den Raum. Er war ein breitschultriger Mann, mit harten, undurchdringlichen Zügen, und er brachte eine eigentümlich fremde, fast drohende Atmosphäre mit sich.

 

Er vertrat das Gesetz. Er vertrat eine Sache, die manche Leute nicht wahrhaben wollten, die aber trotzdem bestand verkörpert in der Person dieses Mannes.

 

Kapitel 13

 

13

 

Kommissar Kelly schaute von einem zum anderen. Er schien keine Eile zu haben und die Situation, die er hier vorfand, recht belustigend zu finden.

 

»Schön, Sie wieder mal zu sehen«, begrüßte ihn Tony mit einem strahlenden Lächeln.

 

»Ach, Sie haben wohl eine kleine Herren-Party?« fragte Kelly harmlos, während er Jimmy anschaute.

 

»Dazu ist es doch noch zu früh«, meinte Perelli.

 

Kelly nickte.

 

»Ich war heute schon bei einer anderen kleinen Männerversammlung«, bemerkte er trocken, beinahe barsch. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Drei Mann waren wir – der Leichenbeschauer, ich und Shaun O’Donnell. Aber die Unterhaltung haben der Leichenbeschauer und ich allein bestritten.«

 

In Tonys Zügen drückte sich tiefste Anteilnahme aus.

 

»Der arme alte Shaun! Es ist wirklich tragisch …, als ich die Nachricht in der Zeitung las, bekam ich direkt einen Schock. Das ganze Frühstück war mir verdorben.«

 

»Ihm auch«, entgegnete Kelly hart und nickte. »Dieser junge Mann dort ist wohl Mr. McGrath?«

 

Tony stellte die beiden einander vor, obwohl das eigentlich überflüssig war. Kelly wußte genug Bescheid.

 

»Sie mußten doch die Universität verlassen, weil Sie einen Kameraden bestohlen hatten?« fragte er Jimmy.

 

Der junge Mann war durch die Anwesenheit des Beamten noch verwirrter als vorher geworden. Als er endlich antwortete, zitterte seine Stimme vor Nervosität.

 

»Sie scheinen es ja sehr genau zu wissen.«

 

»Ich habe ihn sozusagen als Volontär eingestellt«, erklärte Tony.

 

Kelly betrachtete ihn spöttisch.

 

»Zum Totlachen – als Volontär! Und was hat er für Aufgaben? Haben Sie ihn vielleicht angestellt, um Blümchen auf Ihre Alkoholflaschen zu malen? Für so etwas sind Sie doch nicht zu haben, mein Junge, wie?«

 

Jimmy gab keine Antwort.

 

»Jedenfalls haben Sie sich gestern abend nicht mit solch harmlosen Dingen beschäftigt!«

 

Jimmy atmete schnell.

 

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«, entgegnete er heiser.

 

Kelly konzentrierte seinen Angriff auf Jimmy. Perelli hatte es auch gar nicht anders erwartet. Wahrscheinlich verdächtigte der Beamte auch Con, aber den ließ er vorerst warten.

 

Der Ire hörte mit wachsender Ungeduld zu. Es machte ihm wenig aus, wenn er im Verdacht stand, Shaun ermordet zu haben, aber er konnte nicht ertragen, daß man ihn vollkommen übersah. Außerdem fürchtete er, daß Jimmy zusammenbrechen würde, und dann war auch er erledigt.

 

»Wie lange sind Sie schon bei Perelli?« fragte Kelly.

 

»Er ist seit drei Monaten bei mir, Mr. Kelly«, erwiderte Tony sanft, »und er ist ein wirklich netter Junge …«

 

»Kannten Sie Shaun O’Donnell?« fragte der Kommissar weiter.

 

»Ja, ich habe ihn öfter gesehen.«

 

»Ich meine, ob Sie ihn kannten?«

 

Jimmy nickte.

 

»Sie haben mehrmals bei Bellini mit ihm gegessen – folglich müssen Sie ihn also recht gut gekannt haben?«

 

Jimmy zögerte.

 

»Ich kannte ihn nur oberflächlich.«

 

»Sie wissen, daß er tot ist?«

 

Der Junge nickte wieder.

 

»Er ist gestern abend erschossen worden«, fuhr Kelly erbarmungslos fort und ließ den Studenten nicht aus den Augen. »Von einem dieser Revolverhelden, die man für ein paar hundert Dollar kaufen kann.«

 

Er beobachtete den jungen Mann jetzt so scharf, daß ihm auch nicht das Zucken eines Augenlids entgangen wäre.

 

Jimmy wurde abwechselnd rot und bleich, als Kelly mit dem Verhör fortfuhr. »Wo waren Sie denn gestern abend?«

 

»Im Theater.«

 

»In welchem Theater?«

 

»Warum wollen Sie denn das wissen?« Jimmy dachte nach. »Im Blackstone-Theater.«

 

»Und welche Nummer hatte Ihr Sitzplatz?«

 

O’Hara konnte es nicht lassen, sich jetzt einzumischen. Die Fragen wurden immer gefährlicher, und die Unruhe Jimmys hatte ihren Höhepunkt erreicht.

 

»Wie soll er sich denn jetzt noch an die Nummer seines Sitzplatzes erinnern?« fuhr es ihm heraus.

 

Kelly drehte sich ärgerlich nach ihm um.

 

»Halten Sie den Mund – mit Ihnen rede ich später!« herrschte er Con an und wandte sich dann wieder an Jimmy. »Also, wie war die Nummer?«

 

»Ich weiß es nicht mehr.« Jimmy wich Kellys Blick aus. »So etwas behält man doch nicht.«

 

»Aber was für ein Stück gespielt wurde, werden Sie schließlich noch wissen«, erkundigte sich Kelly ironisch.

 

Jimmy suchte krampfhaft nach einem Titel, und endlich fand er einen.

 

»Was für ein Stück? – Ich glaube, es war die ›Broadway-Revue‹ … Natürlich, das war es.«

 

Kelly schaute ihn verächtlich an.

 

»Das ist zwar zufälligerweise der Titel eines Films, aber immerhin.«

 

Jimmy sah sich hilflos um.

 

»Kann auch sein, daß ich in einem Kino war. Ich kenne mich in Chicago nicht aus und wollte mich irgendwo ein wenig unterhalten.«

 

»Soso – sehr wahrscheinlich. Können Sie mir wenigstens Sagen, um wieviel Uhr Sie aus dem Kino gekommen sind, Mr. McGrath?«

 

Hinter Kellys Rücken gab ihm Tony ein Zeichen mit den Fingern.

 

»Ich glaube, es war zwölf.«

 

»Großartig!« Kelly triumphierte. »Die Abendvorstellung der ›Broadway-Revue‹ fiel gestern nämlich aus.«

 

Jimmy wußte jetzt endgültig nicht mehr weiter, und O’Hara versuchte aufs neue, die Aufmerksamkeit des Beamten auf sich zu lenken.

 

»Hören Sie, Kommissar, der junge Mann ist doch in Chicago fremd …«

 

Kelly ging diesmal auf seine Bemerkung ein.

 

»Aber Sie sind wohl schon lange hier?«

 

Con grinste.

 

»Nein, ich bin auch noch nicht lange da. Bin von New York gekommen.«

 

Kelly schüttelte den Kopf.

 

»Ich muß der Stadt direkt einen Dankesbrief schreiben, daß sie auf Ihre Anwesenheit keinen Wert mehr gelegt hat und Sie hierherkommen ließ. Wie finden, eigentlich Sie sich in Chicago zurecht?«

 

»Ausgezeichnet – ich fahre immer im Taxi.«

 

»Sind Sie auch gestern abend in einem Taxi an die Ecke der Michigan Avenue und der Achtundvierzigsten Straße gekommen?«

 

»Ich? Ich war schon um zehn im Bett!« erklärte O’Hara entrüstet.

 

»Aber Sie sind hingefahren!« Kelly sah drohend Jimmy an, der aufsprang.

 

»Nein!«

 

»Doch!«

 

»Nein!« Jimmy brüllte beinahe.

 

Langsam zog Kelly ein Notizbuch aus der Tasche.

 

»Hören Sie, ich sprach mit Shaun, bevor er starb, und Shaun hat gesagt, daß er von Ihnen und O’Hara erschossen wurde.«

 

Er hörte ein leises Lachen.

 

Tony hatte sich bequem in einen Sessel gesetzt und sich eine Zigarette angezündet.

 

»Er starb, ohne ein Wort zu sagen – ich weiß es«, warf er scheinbar gleichgültig ein.

 

»Woher wollen Sie denn das wissen?«

 

»Sehr einfach – wenn Shaun tatsächlich so etwas gesagt hätte, würden Sie die beiden doch verhaften.«

 

»Ich weiß viel zu genau, daß ich mit einer Verhaftung nur Ihren Rechtsanwalt auf die Beine bringen würde, der schon einen Antrag auf Freilassung und eine Kaution in der Tasche hätte. Vorläufig ist es viel einfacher so.«

 

Er ging zu Tony hin und legte ihm seine Hand fast freundschaftlich auf die Schulter.

 

»Perelli, schlau sind Sie – das muß ich Ihnen lassen. An dem Tag, an dem es mir, gelingt, Sie auf den elektrischen Stuhl zu bringen, kaufe ich mir eine Flasche von Ihrem geschmuggelten Whisky und besaufe mich.« Er schaute auf die Uhr und ging zur Tür. »Sie müssen jetzt übrigens bald gehen, sonst kommen Sie zu spät zu Ihrer Verabredung. Lassen Sie Tom Feeney bloß nicht warten!«

 

Nach dieser Bemerkung verließ er das Zimmer.

 

»Woher weiß er das nur?« fragte O’Hara.

 

Tony wartete, bis sich die Wohnungstür hinter Kelly geschlossen hatte. Dann rief er nach Angelo und gab Jimmy den Auftrag, Tom Feeney anzurufen. Jimmy war schon am Telefon, als Angelo eintrat. Tony gab ihm rasch noch einige Anweisungen, bevor er Jimmy den Hörer aus der Hand nahm.

 

»Sind Sie am Apparat, Tom? Seien Sie vorsichtig – man hat uns nachgespürt und unser Gespräch belauscht … Kelly war eben hier. Deshalb komme ich etwas später … Alles in Ordnung … ja, wir gehen dann zu mir … gut.«

 

Tony legte den Hörer auf.

 

»Sind die andern fertig? Na, dann ist ja alles gut. Sie kommen mit, Con.« Er schaute nachdenklich zu Jimmy hinüber. »Nein, Sie bleiben lieber da. Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück.« Dann wandte er sich an Angelo. »Du gehst jetzt gleich zu Schoberg.«

 

Angelo hatte diesen Gang schon öfters gemacht und dort eine schwarzumränderte Karte abgegeben, auf der ein Gedicht stand. Das gehörte zu den unumstößlichen Regeln bei einem Bandenmord. Und Angelo konnte ganz ordentliche Verse machen; er hatte schon manchen poetischen Nachruf verfaßt.

 

Tom Feeney hatte bereits am Telefon erklärt, warum er seinen Gegner so bereitwillig sprechen wollte. Das war keine geheime Zusammenkunft zwischen zwei Bandenführern, sondern eine Aussprache, die vor den Augen der Polizei stattfand. Es würde also von keiner Seite aus eine Schießerei geben. Wenn die Polizei bereits von der Konferenz wußte und daran war nicht mehr zu zweifeln –, so konnte jeder Bruch der geltenden Vereinbarung für beide Parteien gefährlich werden.

 

Perelli wußte bereits, daß seine Annahme stimmte, als er den Treffpunkt noch nicht erreicht hatte. An allen Straßenecken standen Polizeiautos, und überall wimmelte es von Beamten in Zivil. Als die beiden Bandenchefs einander gegenüberstanden und sich wie ehrbare Bürger die Hand gaben, taten sie es in Gegenwart vieler Zeugen, und Tom Feeney war sich dessen wohl bewußt. Seine Begleiter waren in Rufweite zurückgeblieben. Diese Maßnahme hatte auch Perelli angeordnet.

 

»Hallo, Tom!« begrüßte Tony den andern.

 

Dann schüttelten sie sich kräftig die Hände.

 

»Kommen Sie mit in meine Wohnung?« fragte Perelli. Feeney schaute nach seinen Leuten.

 

»Die Jungs können ja mitkommen«, schlug Tony vor. »Wir werden doch um Himmels willen keinen Streit bekommen! Übrigens steht direkt hinter Ihnen Kellys Wagen – er beschützt Sie wirklich wie einen Bruder.«

 

Tom zögerte. Er war ungewöhnlich nervös, denn irgendwo im Hintergrund hielt sich auch seine Schwester auf – und er wußte, daß in ihrem Auto ein Maschinengewehr untergebracht war, mit dem sie ausgezeichnet umzugehen verstand.

 

»Gut, gehen wir«, sagte er schließlich.

 

Wenig später öffnete Tony seinem Gast die Wohnzimmertür und wurde Zeuge eines kleinen Idylls, das sich im Hintergrund des Zimmers abspielte.

 

Kapitel 14

 

14

 

Jimmy hörte, wie sich die Tür hinter Perelli schloß, der zu seiner Zusammenkunft mit Tom Feeney ging. Er stützte den Kopf in die Hände und dachte nach – wieder wirbelten seine Gedanken durcheinander. Er überlegte, ob er fliehen und diese ganze Umgebung verlassen sollte; dabei fühlte er aber ganz genau, daß er damit seiner Schuld nicht entrinnen konnte. Nirgends gab es eine Zufluchtstätte für ihn … Immer wieder versuchte er sich einzureden, daß er selbst ja den tödlichen Schuß nicht abgegeben hatte. Auch das half ihm nichts, denn er. mußte sich sagen, daß er die feste Absicht gehabt hatte, Shaun zu töten.

 

Hätte er zu Kelly gehen und ihm ein Geständnis ablegen können, ohne Con O’Hara und Perelli hineinzuziehen, so wäre ihm das als die beste Lösung erschienen. So gab es nur einen Weg für ihn. Selbstmord? Nein, das wäre Betrug gewesen. Er mußte seine Schuld an seine wirklichen Gläubiger bezahlen …

 

»Was haben Sie, Jimmy?«

 

Schnell sah er auf. Minn Lee stand vor ihm – so heiter, so ruhig und so strahlend schön, daß er bei ihrem Anblick den Atem anhielt.

 

»Was ist los, Jimmy? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

 

Er schüttelte den Kopf und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Nein …« Pause. »Ich wünschte, ich wäre tot!«

 

Sie setzte sich neben ihn und legte ihre kleine Hand auf seine Schulter.

 

»Ach, Jimmy, ich habe Ihnen doch schon immer gesagt, daß Sie fortgehen sollen.«

 

Er richtete sich auf, sah sie an und lachte gequält.

 

»Fortgehen? Wohin denn?« Bekümmert schaute er sie. an. »Wenn nur Sie nicht in dieser Umgebung leben müßten! Sie haben hier noch weniger zu suchen als ich.«

 

»Tony hat mich mit hierhergenommen, als es mir sehr schlecht ging. Ich gehöre zu ihm – etwas anderes gibt es für mich nicht.«

 

Er wunderte sich über sie, wie er sich schon früher über sie gewundert hatte. Wenn er sein Leben nicht selbst schon weggeworfen hätte, würde er alles getan haben, um sie aus dieser Umgebung zu befreien. Er sagte ihr dies auch in unbeholfenen Worten.

 

»Gehen Sie doch selbst fort«, bat sie ihn. »So schnell wie möglich.«

 

Er schüttelte den Kopf, erhob sich, ging im Zimmer auf und ab und dachte, daß sie völlig in ihre Arbeit vertieft sei. Aber als er zu ihr hinschaute, bemerkte er, daß ihre Blicke ihm folgten.

 

»Jimmy – wer hat den Mann gestern abend niedergeschossen?«

 

Die Frage erschreckte ihn. Für kurze Zeit hatte er Shaun O’Donnell ganz vergessen.

 

»Ich … ich weiß es nicht«, erwiderte er unsicher.

 

»Wer hat auf ihn geschossen?«

 

Jimmy verlor plötzlich die Fassung und schluchzte haltlos.

 

»Ich hab’s getan!« stieß er schließlich hervor. »Ich habe versucht, mich vorher zu betrinken, aber je mehr ich trank, desto nüchterner wurde ich. Ja, ich wollte ihn ganz kaltblütig umbringen! Und dafür muß ich jetzt bezahlen.«

 

Sie nickte. »Es wird bald aus sein – mit uns allen.«

 

»Mit uns allen? Kein Mensch wird Ihnen etwas tun.«

 

Plötzlich kam ihm zum Bewußtsein, wie sehr sie unter Perellis Art leiden mußte. Ihre heitere Gelassenheit war nur Schein. Jimmy tastete nach ihrer Hand und hielt sie fest.

 

»Ich liebe dich, Minn Lee«, sagte er leise.

 

Behutsam machte sie ihre Hand frei.

 

»So etwas dürfen Sie nicht sagen.« Ihre Stimme zitterte. »Ich kann niemand mehr etwas bedeuten.«

 

In seiner Aufregung fing er an, verworrene Pläne zu schmieden. Sie konnten nach Kanada fliehen …

 

Sie lachte leise und brachte ihn dadurch wieder zur Besinnung.

 

»Eine Chinesin paßt nicht zu Ihnen, Jimmy. Ich gehöre hierher zu Tony – und ich liebe ihn immer noch, trotz allem.«

 

Sie versuchte, ihm gut zuzureden. Aber er wiederholte immer nur, daß er sie liebe und mit ihr fliehen wolle.

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Ich muß bei Tony bleiben.«

 

Perelli hatte die Tür geöffnet, überschaute die Situation mit einem Blick und betrachtete die beiden wie ein wohlwollender Vater.

 

Als Jimmy seine Stimme hörte, sprang er auf und murmelte eine Entschuldigung. Aber Perelli unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

 

»Lassen Sie nur, Jimmy – ich fand es sehr interessant. Aber nun verschwindet, ihr Kindsköpfe. Ihr könnt euch ja in einem andern Zimmer noch unterhalten.«

 

Jimmy versuchte noch einmal, sich zu entschuldigen, aber Minn Lee zog ihn mit sich.

 

Tony sah ihnen mit einem seltsamen Lächeln nach.

 

Kapitel 15

 

15

 

Tom Feeney betrat vorsichtig den Raum. Er war vor längerer Zeit schon einmal hier gewesen, aber inzwischen hatte sich sehr viel ereignet. Zum Beispiel war Vinsetti gestorben, und man hatte die näheren Umstände seines Todes in der Unterwelt eingehend besprochen.

 

In der Tür drehte sich Tom um und gab mit lauter Stimme seinen Begleitern Instruktionen – mehr um sich selbst Mut zu machen.

 

»Also, Jungs, legt eure Schießeisen fort. Das ist so abgemacht – stimmt doch, Tony?«

 

Perelli wußte genau, was in Tom vorging, und lächelte.

 

»Natürlich. Legt eure Kanonen auf den Tisch – und schenken Sie sich einen Whisky-Soda ein, Tom.«

 

Feeney holte zwei Pistolen aus seinen Schulterhalftern hervor und warf sie ostentativ auf den Tisch.

 

»Hier!«

 

Tony brachte ebenfalls zwei Pistolen zum Vorschein und legte sie daneben.

 

»Wo ist Angelo?« fragte Tom und schaute sich um.

 

»Ich habe ihn zu Schoberg geschickt.«

 

Tom war von dieser Antwort befriedigt.

 

»Eine gute Idee – Sie allein sind schon gerade genug.«

 

Tony holte eine Kiste Zigarren und bot zu rauchen an. Tom wählte und bediente sich.

 

Niemand sah Minn Lee, die von ihrem Zimmer aus auf den Balkon gegangen war und jetzt dicht neben dem geöffneten Fenster stand.

 

Tony zündete sich auch eine Zigarre an und begann das Gespräch.

 

»Hören Sie, Tom, was ich am Telefon sagte, meine ich auch so. Wir verdienen beide Geld – warum streiten wir uns denn um die paar Dollars? Hat doch eigentlich gar keinen Sinn.«

 

»Stimmt schon.« Feeneys Begeisterung wirkte nicht ganz echt. »Sie haben wirklich mehr Verstand als ein Professor!«

 

Perelli rückte zwei Sessel dicht nebeneinander, und sie nahmen Platz.

 

»Bedenken Sie vor allem eins, Tony – ich habe zwei gute Leute verloren, und bevor wir uns verständigen können, müssen wir uns erst über Shaun einigen. Wenn das erledigt ist, haben wir schon den Hauptteil der Schwierigkeiten überwunden.«

 

Tony murmelte etwas, und Tom hob die Hand.

 

»Ich weiß, ich weiß – Shaun konnte Sie nicht leiden! Er war hinter Ihnen her. Vergessen Sie aber nicht, daß ich eine Schwester habe, die mit ihm verheiratet war. Und Sie wissen ja, wie die Frauen sind. Sie jedenfalls ist jetzt darauf versessen, die beiden um die Ecke zu bringen, die ihren Mann erschossen haben – und meine Leute sind auf ihrer Seite.«

 

»Ihre Schwester ist eine sehr liebenswürdige, nette Dame«, entgegnete Perelli höflich.

 

Aber Tom ließ sich durch solche Komplimente nicht beeindrucken.

 

»Tun Sie nicht so, Perelli. Ihr Geschmack ist sie bestimmt nicht; und sie hat auch sonst noch niemals einen Mann begeistert mit Ausnahme von Shaun. Das macht die Sache eben so schwierig!«

 

»Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?« fragte Tony geradezu.

 

Tom lehnte sich vor und sprach mit äußerstem Nachdruck.

 

»Wir wissen genau, wer Shaun umgelegt hat – es waren der junge McGrath und Con O’Hara; einer meiner Leute hat sie zurückfahren sehen. An dem jungen Studentchen verlieren Sie nicht viel. Für Con tut es mir eigentlich leid – ich habe ihn in New York gekannt –, aber er redet wirklich zu viel. Haben Sie eigentlich seine Frau schon gesehen?«

 

Tony hatte Mary nicht vergessen.

 

»Ja, ich kenne sie. Also, was soll ich tun?«

 

Tom Feeney dämpfte seine Stimme.

 

»Schicken Sie die beiden heute nacht an einen Platz, den ich Ihnen angebe, damit meine Leute sie erledigen können. Sagen wir elf Uhr, Ecke der Michigan Avenue und der Vierundneunzigsten Straße. Ein paar meiner Jungs werden dort sein – und damit wäre der Streit beigelegt.«

 

»Nein, das tue ich nicht!« fuhr Tony auf.

 

»Kann mir denken, daß Ihnen das nicht liegt, aber überlegen Sie doch mal …«

 

Perelli stützte das Kinn auf die Hand, und einige Minuten lang schwiegen sie.

 

»Die beiden haben mir schon allerhand Sorgen gemacht«, begann schließlich Perelli wieder. In seiner Stimme lag jetzt ein merkwürdiger Unterton. Als Tom sah, daß Tony angebissen hatte, stieg seine Hoffnung.

 

»Es gibt in jeder Organisation schlechte Kerle und Verräter – denken Sie nur an Vinsetti!«

 

»Das weiß ich selbst am besten …!«

 

Tony lächelte grimmig.

 

»Na also. Und hier ist es nicht anders. Wenn Sie keinen Spektakel wollen, ist dies der beste Weg.«

 

»Gut, die Sache ist in Ordnung«, sagte Tony langsam. »Ich schicke die beiden heute abend hin.«

 

Sie standen zu gleicher Zeit auf, als es an die Tür klopfte. Es war Angelo, halb verborgen hinter einem riesigen Blumenarrangement, das er vor sich hertrug und vor Tom niedersetzte.

 

Schoberg, der beste und teuerste Blumenhändler Chicagos, hatte wirklich ein Meisterwerk geliefert. Tom Feeney war gerührt.

 

»Wirklich sehr aufmerksam von Ihnen. Wunderschön – diese Blumen.«

 

Er nahm die Karte, die an dem Arrangement befestigt war und las:

 

Die Engel sahen Shaun und sangen,

ein guter Mann ist heimgegangen.

 

Tiefstes Beileid von Tony Perelli.

 

Tom war den Tränen nahe.

 

»Donnerwetter – wie schön gesagt!«

 

Kapitel 16

 

16

 

Tonys Gesellschaften waren bekannt dafür, daß es viel zu trinken gab und daß man sich ausgezeichnet unterhielt. Als die meisten Gäste in einem der großen Nebenräume nach den Rhythmen eines Bartrios tanzten, winkte er Verona zu sich in sein Zimmer.

 

»Ich schicke Con und Jimmy noch mit einem Auftrag weg, Angelo.«

 

Obwohl Tony mit einer besonderen Betonung gesprochen hatte, verstand sein Adjutant nicht sofort den Sinn seiner Worte.

 

»Warum denn?« fragte er, aber dann begriff er plötzlich die Situation. »Muß das wirklich sein?« fuhr er schnell fort.

 

»O’Hara hat eine zu große Klappe – es ist besser, wenn man ihn zum Schweigen bringt …«

 

Angelo starrte ihn an und nickte.

 

»Schön – aber der Junge …«

 

Er verzog den Mund, denn er war wirklich erstaunt darüber, daß Jimmy daran glauben sollte. Unumwunden fragte er Tony nach dem Grund.

 

»Hast du ihn nicht beobachtet? Der kippt bei der nächsten Gelegenheit um. Wenn Kelly ihn wirklich einmal ins Polizeipräsidium holt und verhört …«

 

Aber es gelang Perelli nicht, seinen Adjutanten zu überzeugen.

 

»Du weißt doch ganz genau, daß ihn die Sache furchtbar mitgenommen hat. Ich sagte dir ja gleich, daß du ihn nicht schicken sollst! Auf andere Weise könnte er uns immer noch sehr nützlich sein.«

 

Dann sah Angelo, daß Tony auf den Balkon schaute, wo sich Minn Lee aufhielt. Angelo runzelte die Stirn. Jimmy sollte doch nicht etwa wegen Minn Lee in den Tod geschickt werden? Das wäre gegen die Spielregeln gewesen!

 

Minn Lee trat zu ihnen und sah sie schweigend an. Angelo fühlte die Spannung zwischen ihr und Tony und war froh, daß er sich unter einem Vorwand verabschieden konnte.

 

Perelli zweifelte immer noch, sein Verdacht war bis jetzt eigentlich mehr instinktiv. Selbst in Marys Nähe, hinter der er doch her war, hatte ihm Minn Lee gefehlt.

 

»Wo warst du den ganzen Abend?«

 

Sie sah ihm offen in die Augen.

 

»In meinem Zimmer.«

 

»Wenn ich Gäste habe, gehst du auf dein Zimmer! Du brauchst jetzt nur noch zu sagen, daß du dir zur Gesellschaft Jimmy mitgenommen hast.«

 

»Das habe ich auch.«

 

Er war völlig verblüfft über diese Aufrichtigkeit und starrte sie ungläubig an.

 

»Vielleicht hattest du auch noch die Tür abgeschlossen, wie?«

 

»Ja.«

 

Er holte tief Luft.

 

»Mut hast du!«

 

Er war jetzt so erregt, daß er kaum sprechen konnte. Sie und Jimmy allein – bei verschlossener Tür.

 

»Du sagtest doch, daß ich ihn von der Gesellschaft fernhalten soll.« Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Nun – das habe ich getan!«

 

»Allerdings habe ich das gesagt«, entgegnete er heiser. »Aber habe ich damit vielleicht gemeint, daß du mit ihm in dein Zimmer gehen und die Tür verschließen sollst?«

 

Sie gab keinen Schmerzenslaut von sich, als er sie mit aller Kraft am Arm packte und seine Finger in ihr Fleisch preßte. Wütend sah er sie an und ließ sie dann mit einem kurzen Stoß frei.

 

»Nun schön, wir werden sehen …«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Mühsam nahm er sich zusammen und unterdrückte seine Erregung. »Sag Jimmy, daß ich ihn sprechen möchte.«

 

Ein unruhiger Ausdruck trat in ihre Augen.

 

»Willst du ihm Vorwürfe machen? Es war meine Schuld.«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Nein, nein. Jimmy ist doch ein so lieber Junge. Wenn du wüßtest, wie gern ich ihn habe!« Er schaute auf seine Uhr. »Aber geh jetzt und sage ihm, daß ich ihn sprechen möchte.«

 

Sie wandte sich zur Tür.

 

»Ach, Minn Lee, rufe auch Con O’Hara … Komm nochmal her.«

 

Gehorsam kehrte sie um und war nicht weiter erstaunt, als er seinen Arm um sie legte.

 

»Ich bin ein wenig nervös – habe im Augenblick entsetzlich viel zu tun. Sei nicht …« Eine Handbewegung vollendete den Satz. »Du verstehst? Und kümmere dich ein wenig um Mrs. O’Hara, Minn Lee. Sie gefällt mir wirklich sehr gut. Erzähle ihr ein wenig von mir – wie großzügig ich bin und wie gut du es hier hast.«

 

Sie löste sich von ihm und sah ihn abwägend an. Er schaute wieder auf die Uhr.

 

»So, jetzt mußt du aber wirklich gehen.«

 

Als sich die Tür hinter ihr schloß, ließ sich Tony nachdenklich in einen Sessel fallen und betrachtete seine Fingernägel. Minn Lee war plötzlich wie umgewandelt – er konnte nicht schlau aus ihr werden. Das war nicht mehr die gehorsame Sklavin all seiner Wünsche und Launen – sie hatte sich seinem Einfluß entzogen und war selbständig und unabhängig geworden. Das Schrillen des Telefons riß ihn aus seinen Gedanken. Tom meldete sich, machte Tony Vorwürfe und fragte, ob er seine Pläne geändert habe, weil es schon so spät sei.

 

Als Tony ihm gerade versicherte, daß er sein Wort halten würde, klopfte es, und Jimmy kam herein. Er legte sofort auf.

 

»Tut mir leid, daß ich Sie gerade jetzt fortschicken muß. Kennen Sie Captain Strude?«

 

Jimmy schüttelte den Kopf.

 

»Ein Polizeioffizier? Nein.«

 

»Macht nichts. Wir nennen ihn ›Lefty‹, und unter diesem Namen werden Sie ihn heute abend auch kennenlernen.«

 

»Soll ich ihn aufsuchen?«

 

»Er kommt zu Ihnen – aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen.« Bewundernd sah er Jimmy an. »Sie sehen ja großartig aus! Ich erkenne Sie kaum wieder.«

 

Jimmys verändertes Wesen war auch auffallend genug. Seine Augen strahlten, die tiefe Niedergeschlagenheit war von ihm gewichen, und er hielt sich aufrecht und gerade. Der Junge sieht wirklich gut aus, dachte Tony. Endlich jemand, der einen Smoking tragen konnte, ohne gleich wie ein Kellner auszusehen.

 

»Ich fühle mich auch besser«, erwiderte Jimmy.

 

»Dieser verdammte Kelly hat Ihnen scharf zugesetzt, wie?«

 

Jimmy pfiff leise vor sich hin und betrachtete seine Hände.

 

»Es ist merkwürdig«, sagte er dann ruhig. »In gewisser Weise ist mir der Mann sogar sympathisch.«

 

»Seien Sie nur nicht so empfindsam, das kann man in unserem Geschäft nicht brauchen. Minn Lee ist Ihnen ja auch sehr sympathisch, wie?«

 

Er stellte die Frage vollkommen gleichgültig, aber er erhielt eine Antwort, die ihn herumriß.

 

»Ja – ich liebe sie.«

 

Tony sah Jimmy scharf an.

 

»Sie lieben sie? Na ja, sie ist ja auch wirklich ein feiner Kerl. Sie hat sich bei mir herausgemacht.« Er wischte ein unsichtbares Stäubchen von seinem Ärmel. »Alles verdankt sie mir. Sie wohnte mit einem armseligen Maler zusammen, als ich sie fand.«

 

»Kommt es darauf an?«

 

»Mir nicht, ich bin immer großzügig gewesen.«

 

In diesem Augenblick kam Con herein. Er hatte ein selbstbewußtes Auftreten und verbarg seine Abneigung gegen Tony geschickter als gewöhnlich, obwohl er alle Ursache hatte, ihn zu hassen.

 

»Con, kennen Sie Captain Lefty Strude?«

 

»Nein. Aber es wird nicht mehr lange dauern, dann ist mir diese ganze Polizistenherde nicht mehr fremd.«

 

»Das glaube ich auch.« Tony ging zum Tisch, öffnete die Schublade und nahm ein Kuvert heraus. »Stecken Sie den Brief ein, Jimmy, und gehen Sie vorsichtig damit um – es sind dreißigtausend Dollar drin. Ich habe eine Ladung Alkohol erhalten. Doch das geht Sie nichts an. Sie bringen nur den Brief zur Ecke der Michigan Avenue und der Vierundneunzigsten Straße. Strude kommt gegen elf Uhr mit seinem Wagen dorthin. Er gibt ›Lefty‹ als Erkennungswort an – weiter nichts. Sie geben ihm den Brief und kommen dann sofort zurück. Viertel nach elf müssen Sie wieder hier sein.«

 

O’Hara sah, daß Jimmy den Brief einsteckte, und runzelte die Stirn.

 

»Wozu soll ich da mitgehen?« fragte er. »Um einen Brief wegzubringen, braucht man doch schließlich nicht zwei Leute?«

 

»Zwei Leute sind bestimmt nicht zuviel, um auf dreißigtausend Dollar aufzupassen«, erwiderte Tony. »Ich traue Tom nicht über den Weg. Er hat Wind davon bekommen, daß die Summe heute abend bezahlt werden soll.«

 

Con sah ihn argwöhnisch an. Dann stand er auf und war schon halb bei der Tür, als Tony ihn zurückhielt.

 

»Wohin gehen Sie?«

 

»Ich bringe meine Frau vorher heim.«

 

Tony lächelte.

 

»Sie wollen Ihre Frau heimbringen? Aber ich habe Ihnen doch bereits gesagt, daß Sie beide heute nacht meine Gäste sind. Die Zimmer wurden schon gerichtet.«

 

Als Con trotzdem die Tür öffnete, kam Mary herein. Sie wollte wissen, warum ihr Mann zu Tony gerufen worden war. Er hatte sie den ganzen Abend gedrängt, nach Hause zu gehen, und es sah ihm ähnlich, daß er ihr die Freude verderben wollte.

 

»Ich bringe dich jetzt nach Hause, habe was zu erledigen – auf dem Rückweg hole ich dich dann wieder ab«, sagte Con.

 

Sie schaute ihn entrüstet an.

 

»Sag mal, für was hältst du mich eigentlich? Du kannst mich doch nicht ohne weiteres so herumkommandieren. Was hast du eigentlich vor?«

 

Tony sah sie lächelnd an.

 

»So etwas dürfen Sie niemals fragen.«

 

Jimmy beobachtete die Anwesenden und amüsierte sich beinahe über die Unterhaltung. Dann machte er einen Vorschlag, der halb ernst, halb ironisch gemeint war.

 

»Ich werde allein gehen. Schließlich kann ich für mich selbst sorgen.«

 

Diese Lösung kam O’Hara sehr gelegen.

 

»Klar können Sie das …«, begann er, aber Tony wandte sich ärgerlich nach ihm um.

 

»Sind Sie vielleicht ein solcher Angsthase, daß Sie sich fürchten, den Jungen zu begleiten? Im übrigen würde ich Jimmy, den ich so sehr schätze, nicht wegschicken, wenn ernstliche Gefahr vorhanden wäre.«

 

Con fügte sich brummend.

 

»Von mir aus«, sagte er laut. »Ich hole meinen Mantel.« Er sah bedeutungsvoll seine Frau an. »Mrs. Perelli wird sich um dich kümmern. Hast du mich verstanden?«

 

»Ich brauche keinen Schutzengel – kann auf mich selber aufpassen«, entgegnete sie schnippisch.

 

»Da haben Sie’s«, grinste Tony. »Also, auf Wiedersehen, Jimmy. Kommen Sie bald zurück.«

 

Sein Blick streifte zufällig die äußere Brusttasche des jungen Mannes, aus der die obere Hälfte eines metallenen Zigarettenetuis herausschaute. »Was haben Sie denn da?«

 

»Ein Zigarettenetui – hat mir jemand geschenkt.«

 

Tony nickte und sah ihn mit einem verschlagenen Blick an.

 

»Jemand, der Ihnen lieb ist? Sie tragen es ja direkt auf dem Herzen.«

 

»Ein Zufall.«

 

»Ich finde, es sieht dort nicht gut aus. Stecken Sie es doch in die Hüfttasche.«

 

Jimmy sah ihn einen Augenblick erstaunt an, aber dann verstand er plötzlich den Zusammenhang. Langsam zog er das Etui heraus und steckte es weg.

 

»Aber natürlich! An dieser Stelle würde es ja im Weg sein – meinen Sie nicht auch?«

 

Das übliche stereotype Lächeln Perellis verschwand schlagartig von seinem Gesicht. Jimmy sprach die nackte Wahrheit. Was wußte er? Hatte er irgendeinen Verdacht? Und wer konnte ihm etwas gesagt haben?

 

Jimmy war schon halbwegs den kurzen, breiten Korridor zur Eingangshalle entlanggegangen, als er hinter sich eine Stimme hörte. Minn Lee lief ihm nach. Er breitete die Arme aus und drückte sie einen Augenblick lang an sich. Beide achteten nicht auf Tony Perelli, der unter der Tür stand und sie mit offenem Mund betrachtete.

 

»Du wolltest gehen, ohne mir Lebewohl zu sagen, Jimmy«, sagte sie atemlos.

 

Er beugte sich zu ihr herunter und küßte sie. Im nächsten Augenblick schon hatte er sie losgelassen und war bei O’Hara, der an der Haustür auf ihn wartete.

 

Minn Lee ging direkt in den Salon zurück. Sie sah weder Perelli noch die Frau, die ihre Nachfolgerin werden, sollte. Traumverloren starrte sie vor sich hin – Jimmy sollte gut von ihr denken, das war der einzige Wunsch, den sie jetzt noch hatte.

 

»Hallo!« rief Tony brutal schon zum dritten Mal. »Hörst du denn nicht?«

 

Sie drehte sich lächelnd zu ihm um. Wie stark und selbstsicher er aussah…

 

»Komm doch mit nach oben, Tony. Willst du nicht mit mir tanzen?« fragte sie fröhlich. »Ich werde die schönste Frau im ganzen Saal sein – Jimmy hat es gesagt.«

 

Perelli blieb in der Mitte des Zimmers stehen, nachdem sie gegangen war. Jimmy hatte gesagt, daß sie die schönste Frau wäre; das traf ihn empfindlich und ließ neue Zweifel in ihm wach werden. Und doch hatte er bereits über Minn Lees Schicksal entschieden. Noch heute wollte er ihr Bescheid sagen. Es war nicht das erstemal, daß er Frauen fortschickte, wenn er genug von ihnen hatte. Aber daß ihn Minn Lee immer noch verletzen konnte, das war eine schmerzliche Entdeckung und neue Erfahrung für ihn.

 

Er hörte Marys aufreizendes Lachen hinter sich und drehte sich langsam um.

 

»Ich scheine ihr ja ziemlich gleichgültig zu sein«, sagte er nachdenklich.

 

»Nun ja, sie ist eben verliebt«, erwiderte Mary neckend. »Ich mag die Kleine gern.« Aber plötzlich erinnerte sie sich an ihren Mann. »Wo sind die beiden hingegangen? – Mr. Perelli, Sie hören wohl nicht gut?«

 

Perelli sah sie geistesabwesend an.

 

»Sie hat nicht ja und nicht nein gesagt – und sie ist einer direkten Antwort ausgewichen…«

 

Das Lächeln auf Marys Gesicht gefror.

 

»Wollen wir jetzt tanzen, oder ziehen Sie es vor, den ganzen Abend Selbstgespräche zu führen? Wie lange bleibt Con fort?«

 

Tony kam plötzlich zu sich. Con war weggegangen, er war aus dem Weg geräumt.

 

»Er wird vermutlich länger weg sein.« Tony lachte ihr ins Gesicht und legte den Arm um sie.

 

Sie machte sich frei.

 

»Wollen wir nicht lieber tanzen?«

 

Aber er hielt sie zurück und führte sie zu dem Sofa, das in der Ecke stand.

 

»Bleiben wir noch etwas da, hier stört uns niemand.«

 

Er zog sie an sich und küßte sie, und sie leistete ihm nur soviel Widerstand, als die Lage es erforderte. Auf jeden Fall wollte sie nach außen hin die Regeln des Anstands wahren.

 

»Sie sind ja sehr stürmisch«, sagte sie schließlich und schob ihn zurück. »Stellen Sie sich vor, es würde jetzt jemand hereinkommen – zum Beispiel Ihre Frau?«

 

Sein Gesicht verfinsterte sich bei ihren Worten, und sie stand ärgerlich auf.

 

»Wenn Sie mich nicht besser unterhalten, suche ich mir einen anderen Partner!«

 

Sie wandte sich brüsk ab und lief rasch hinaus. Einen Augenblick überlegte Perelli, dann folgte er ihr in das Gesellschaftszimmer, wo seine Gäste tanzten und sich unterhielten.

 

Kapitel 17

 

17

 

Jimmy saß am Steuer und war nicht im mindesten nervös. Con betrachtete ihn mehrmals verstohlen von der Seite. Er hatte schon bei manchen Menschen merkwürdige Veränderungen erlebt, aber Jimmy überraschte ihn.

 

»Was wollte Kelly eigentlich bei Tony?« fragte er plötzlich.

 

»Kelly?«

 

»Ja. Er ging gerade ins Haus, als Sie herauskamen. Ich dachte, Sie hätten ihn auch gesehen.«

 

Jimmy gab keine Antwort.

 

Die Verkehrsampel vor ihm wechselte gerade von grün

 

O’Hara sah ihn erstaunt an.

 

»Wie gefällt Ihnen das Leben, Con?«

 

O’Hara sah ihn erstaunt an.

 

»Wie meinen Sie das?«

 

»Nun, wie finden Sie’s auf dieser Welt? Möchten Sie nicht gern weiterleben – mit Ihrer Frau und all den anderen schönen Dingen?«

 

Con grinste.

 

»Aber klar! Das Leben sagt mir ungemein zu.«

 

»Dann will ich Sie lieber vor unserem Rendezvous absetzen.«

 

»Vor unserem Rendezvous?« wiederholte Con verblüfft.

 

»Ja, vor der Stelle, wo wir den Captain treffen sollen«, erklärte Jimmy. »Es ist besser, wenn ich allein gehe.« – »Aber warum denn?«

 

»Wissen Sie, was es bedeutet, in den Tod geschickt zu werden?«

 

Ein kurzes Schweigen trat ein. Die Ampel zeigte jetzt wieder grün, und der Wagen fuhr in schnellem Tempo weiter.

 

»Wer soll denn in den Tod geschickt werden?« fragte Con dann langsam.

 

»Vermutlich wir.« Jimmy seufzte leise. »Ich werde anhalten, damit Sie aussteigen können. Oder Sie bleiben im Wagen und lassen mich aussteigen.« Er dachte eine Weile nach. »Nein, ich glaube, es ist besser, wenn ich weiterfahre, denn wenn sie den Wagen nicht sehen, glauben sie, Perelli hätte sein Wort nicht gehalten …«

 

»Wir sollen hinfahren, damit uns die andern niederknallen …? Dieser gemeine Schuft …«

 

»Ich glaube es bestimmt«, erwiderte Jimmy ernst.

 

Con O’Hara atmete schnell.

 

»Wer hat Ihnen denn das gesagt?«

 

Jimmy lächelte im Dunkeln.

 

»Jemand, der mich nicht anlügt.«

 

»Minn Lee?«

 

»Jemand, der nicht lügt«, wiederholte Jimmy. »Ich will Sie jetzt absetzen.«

 

Er hielt dicht neben dem Gehsteig.

 

»Sie sind verrückt«, sagte Con. »Wenn das wahr ist, werden Sie doch nicht hinfahren und sich von diesen Kerlen abknallen lassen?«

 

Jimmy McGrath gab darauf keine Antwort, und Con O’Hara schöpfte plötzlich einen Verdacht.

 

»Sie wollen wohl allein mit dem ganzen Geld abhauen?«

 

Jimmy drehte das Licht an, nahm den Briefumschlag aus der Tasche und riß ihn auf. Ein Bündel weißer Papierfetzen fiel heraus.

 

»Hier – sehen Sie selbst«, entgegnete er ironisch. »Mit diesen Moneten kann ich mir für den Rest meines Lebens jeden Luxus leisten!«

 

Con griff nach dem Papier und untersuchte es genau.

 

»Das sind ja nichts als wertlose Schnipsel!« stieß er erregt hervor.

 

»Wollen Sie jetzt aussteigen?«

 

Jimmy öffnete die Tür, und O’Hara zögerte keinen Augenblick. Er schaute die dunkle Straße entlang, aber es war niemand zu sehen.

 

»Ich werde aufpassen«, sagte er atemlos. »Fahren Sie weiter, Jimmy … Haben Sie wenigstens ein Schießeisen?«

 

»Das brauche ich nicht.«

 

Er schloß die Tür, winkte Con zu und fuhr an.

 

An der verabredeten Stelle hielt er und stieg aus. Er konnte niemand entdecken, aber bald darauf tauchten die beiden hellen Scheinwerfer eines Autos auf, das rasch an ihm vorbeifuhr. Ein wenig später näherte sich ihm ein anderer Wagen mit geringerer Geschwindigkeit.

 

Er war nur noch einige Schritte entfernt, als sich am Seitenfenster etwas bewegte …

 

Jimmy McGrath blieb ruhig stehen. Er rührte sich auch nicht, als er in die Mündung eines Maschinengewehrs blickte …

 

Lautlos brach er auf dem Gehsteig zusammen. Er hörte nicht mehr den aufheulenden Motor des Autos, das sich rasch entfernte.

 

Kapitel 18

 

18

 

Angelo öffnete Kommissar Kelly die Wohnungstür. Es gelang ihm nicht ganz, seinen Schreck über den Besuch zu verbergen, denn er hatte schon lange klar erkannt, welche Gefahr der Organisation durch diesen Mann drohte.

 

Zwischen Kelly und Angelo bestand eine gewisse Sympathie, die man nur schwer definieren konnte. Kelly betrachtete Angelo als zukünftigen Leiter der Gesellschaft, die jetzt Perelli unterstand, und er wußte auch, daß sich dann nicht nur die Methoden ändern, sondern sogar eine Wendung zum Besseren eintreten würde, wenn Angelo die Führung übernahm.

 

»Wo ist Perelli?« fragte er barsch.

 

Er schaute sich um und sah die ausgetrunkenen Flaschen und Gläser. Auch ohne die Musik, die aus den hinteren Räumen drang, wäre ihm klar gewesen, daß hier eine Party gegeben wurde.

 

»Er ist vor einiger Zeit weggegangen, um einen Freund aufzusuchen«, erwiderte Angelo schnell.

 

Kelly lächelte.

 

»Perelli geht doch nicht zu Fuß, und sein Wagen steht drunten in der Garage.«

 

Angelo nahm die Zurechtweisung gelassen hin. Es gehörte zu seinen Aufgaben, die Polizei stets über Tonys Aufenthaltsort im unklaren zu lassen.

 

»Er ist mit einer Dame nach oben gegangen«, erklärte er dann in vertraulichem Ton. »Sie kennen Perelli doch! Wollen Sie etwas trinken?«

 

Kelly ging auf und ab.

 

»Tom Feeney war heute hier.«

 

Angelo nickte.

 

»Ja. Wir haben uns jetzt endlich mit ihm geeinigt.«

 

»Aha, die feindlichen Brüder vertragen sich plötzlich! Sagen Sie mal, wo steckt eigentlich der junge McGrath?«

 

Angelo lächelte verbindlich.

 

»Er ist auch irgendwo im Haus – ein wirklich netter Junge.«

 

»Im Haus? Wenn ich nicht irre, haben ich ihn unten an der Tür gesehen, als ich kam. Holen Sie Perelli – ich muß sofort mit ihm sprechen.«

 

Angelo wandte sich zur Tür.

 

»Aus welchem Anlaß findet denn diese Party heute abend statt?« fragte Kelly.

 

»Tony hielt es für gut, die Verständigung zwischen Tom und ihm ein wenig zu feiern«, entgegnete Angelo. »Shaun wurde ja heute nachmittag schon beerdigt. Haben Sie die Blumen gesehen? Ganze Wagenladungen voll!«

 

In diesem Augenblick kam Minn Lee herein und setzte sich mit ihrer Stickerei auf die Couch. Kelly begrüßte sie mit einem freundlichen Nicken. Angelo verließ das Zimmer.

 

»Sie sehen sehr hübsch aus«, sagte Kelly höflich.

 

Lächelnd schaute sie auf ihr Pariser Modellkleid und blickte dann zu dem Kommissar auf.

 

»Gefällt Ihnen das Kleid?«

 

»Vorzüglich«, erwiderte Kelly bewundernd.

 

Sie lachte vergnügt, und er betrachtete sie erstaunt.

 

»Ich habe Sie noch gar nie so lustig gesehen, Minn Lee.«

 

Er wollte keine nähere Erklärung.

 

»Minn Lee, Sie wissen, daß ich Sie trotz der Umgebung, in der Sie leben, recht gern habe. Wann gehen Sie denn nun fort?«

 

»Wie kommen Sie darauf, daß ich fortgehe?« fragte sie.

 

»Nun, es wäre jetzt allmählich an der Zeit. Sie sind immerhin die dritte Frau, die ich hier kennenlernte … Einmal ist noch jede verschwunden.«

 

»Ich weiß es. Die armen Mädchen!« Ihre Stimme klang sorglos.

 

»Vielleicht wissen Sie auch, woher Mr. Perelli das Geld zu seinem luxuriösen Leben nimmt?«

 

Sie zuckte die Achseln.

 

»Alkoholschmuggel!«

 

»Stimmt. Es gibt aber auch noch andere Einnahmequellen – er ist zum Beispiel Besitzer von drei Nachtlokalen, deren Hauptattraktionen sehr zweifelhafte Animierdamen sind.«

 

Ihre Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß, und sie schaute ihn nicht an.

 

»Auch das weiß ich«, erwiderte sie leise. »Ich bin doch kein Kind mehr. Aber warum erzählen Sie mir das?«

 

Er hatte seine guten Gründe dafür. Sie sollte etwas hören, was ihr panischen Schrecken einjagen würde.

 

»Die Geschäftsführerin eines dieser Lokale, die besonders auf die Mädchen aufpassen muß, hat Geld unterschlagen ihre Stelle ist frei.«

 

Es war ihr äußerlich nichts anzumerken, und er staunte über ihre Haltung.

 

»Das ist mir gleichgültig. Wenn Sie mir gestern so etwas gesagt hätten, wäre ich traurig geworden. Aber jetzt kann mich nichts mehr kränken.«

 

Er schaute auf ihre Hand, an der ein großer Diamant blitzte.

 

»Da haben Sie ja einen fabelhaften Ring.«

 

Sie nickte zerstreut, und er merkte, daß sie mit ihren Gedanken weit weg war.

 

»Ich habe ihn schon früher gesehen. Jede Frau, die mit Perelli zusammenlebte, hat ihn getragen.«

 

Allmählich fand sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie lächelte ein wenig und seufzte.

 

»Ja, das glaube ich auch.«

 

»Eines Tages wird Perelli den Ring zurückverlangen.«

 

Sie betrachtete den Ring so aufmerksam, als ob sie ihn noch nie gesehen hätte.

 

»Ich brauche ihn nicht – er bedeutet mir nichts.«

 

»Eines Tages schickt er auch Sie nach Cicero hinaus«, fuhr er ernst fort. »Sie wissen, was dort auf Sie wartet?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Sie werden zuerst in dem vornehmeren Lokal sein, in dem nur reiche Leute verkehren.«

 

»Nein!«

 

Sie stieß das Wort so heftig hervor, daß er einen Augenblick glaubte, er habe sie wirklich erschreckt.

 

»Und nach einem Jahr steckt man Sie dann in eine bessere Kneipe, wo nur Bier und Schnaps getrunken wird.«

 

»Nein!«

 

Er faßte sie an den Schultern und drehte sie um, so daß er ihr ins Gesicht sehen konnte.

 

»Das ist der Weg, den alle gegangen sind, Minn Lee. Alle, die sich einmal Mrs. Perelli nannten, haben auf die gleiche Weise geendet.«

 

Eine lange Pause folgte.

 

»Aber ich sehe einen Ausweg für Sie«, sagte er dann.

 

Auch sie kannte einen Ausweg – doch davon wußte Kelly nichts. Er dachte nur daran, wie er Perelli fangen könnte.

 

»Auf der Bank liegen hunderttausend Dollar, auf die bisher niemand Anspruch erhoben hat. Es ist die Belohnung für denjenigen, der den Mörder Vinsettis angeben kann. Tony Perelli hat es getan – und zwar ganz allein. Sie wissen es doch?«

 

Sie machte eine abwehrende Handbewegung und setzte sich müde auf einen Stuhl.

 

»Jetzt sind Sie wieder der Polizeibeamte – ich habe es viel lieber, wenn Sie anders mit mir reden.«

 

Kelly sah sich um und dämpfte seine Stimme. Er wußte noch viel besser als Minn Lee, was sich schon alles in diesem Haus abgespielt hatte; auch über die Affaire Tonys mit Mary hatte er schon Informationen erhalten. Vielleicht konnte er sie dadurch zum Reden bringen.

 

»Sie hätten nichts zu fürchten, Minn Lee – kein Gangster würde es wagen, Sie anzurühren. Das einzige Vergehen, für das man in Chicago mit Sicherheit hingerichtet wird, ist die Ermordung einer Frau. Und außerdem würde ich Ihnen für Ihr Leben garantieren.«

 

»Geben Sie sich keine Mühe, Mr. Kelly. Ich fürchte mich nicht vor Tonys Nachtlokalen – denn ich werde niemals dort hingehen. Dazu ist meine Selbstachtung doch noch zu groß.«

 

»Sie kennen Tony Perelli immer noch nicht!«

 

»Ich weiß schon – Sie wollen mich ein wenig aus der Ruhe bringen. Aber wenn ich gehe, will ich von allen Leuten in Frieden scheiden.«

 

Das war ihm neu.

 

»Sie gehen also wirklich?« fragte er eifrig.

 

Sie nickte.

 

»Weiß Tony davon?«

 

»Nein.«

 

Sie sah an ihm vorbei. Tony stand in der Tür und lächelte sie an.

 

»Aha, Minn Lee unterhält Sie ein wenig«, sagte er. »Ich hörte, daß Sie mich sprechen wollten?« Er nahm Minn Lee die Stickerei aus der Hand. »Der alte chinesische Drache wächst ja gar nicht mehr. Schauen Sie mal her.« Er zeigte Kelly stolz das Werk. »Hat sie das nicht hübsch gemacht?« Er küßte sie. »Jetzt geh, Kleine – nachher habe ich Zeit für dich.«

 

Kelly gab Minn Lee die Hand.

 

»Leben Sie wohl.«

 

Sie zögerte einen Augenblick, nahm dann seine Hand und machte einen kleinen Knicks.

 

Tony sah ihn erstaunt an.

 

»Ich sehe zum erstenmal, daß Sie jemand die Hand geben, Mr. Kelly.«

 

»Und ich habe zum erstenmal jemand in Ihrer Wohnung getroffen, der einen Händedruck wert ist«, erklärte der Beamte kurz. »Sie erwarten doch nicht, daß ich einen Gauner wie Sie auf diese Weise begrüße?«

 

Einen Augenblick lang sah ihn Perelli mit mörderischer Wut an, aber dann beherrschte er sich und wandte sich mit seinem üblichen Lächeln an Angelo, der auch hereingekommen war.

 

»Hast du das gehört? Das reicht für eine Beleidigungsklage.«

 

Angelo war ein aufmerksamer Beobachter und schwieg. Er fühlte instinktiv, daß sich die Beziehungen zwischen dem Polizeibeamten und Tony geändert hatten. Kelly sprach wie ein Mann, der etwas wußte.

 

»Kommen Sie auf mein Büro, wenn Sie die Klage einreichen wollen. Ich bin allerdings nicht so luxuriös eingerichtet wie Sie – und die letzten acht Bandenchefs, die mir dort im Laufe der Zeit gegenübersaßen, sind tot.«

 

Tony Perelli lächelte ungläubig.

 

»Die hätten sich eben wehren sollen! Angelo, findest du nicht auch, daß Mr. Kelly sehr schlecht über uns denkt? Immer muß ich. an allem schuld sein – sogar daß Vinsetti ermordet wurde, will man mir in die Schuhe schieben.«

 

Es sah Perelli ähnlich, Vinsetti zu erwähnen; diese Kühnheit verblüffte Kelly.

 

»Vinsetti? Hm. Er hob dreihunderttausend Dollar von seiner Bank ab, kam hierher und wurde nie wieder lebend gesehen.«

 

»Nun; den ganzen Morgen saß er schließlich bei Ihnen und verpfiff seine Freunde, dieser Verräter!«

 

»Und dann ging er hierher, in dieses Zimmer – das er nicht mehr lebend verließ«, konterte Kelly.

 

Perelli wurde es jetzt doch etwas ungemütlich, und er schaute sich nach seinem Adjutanten um, der auch sofort einsprang.

 

»Keine falschen Beschuldigungen, Mr. Kelly – schließlich waren Sie zehn Minuten später hier.«

 

»Und haben Sie vielleicht Blutspuren gefunden?« fuhr Tony zornig fort. »Haben Sie eine Leiche gesehen, einen Schuß gehört?«

 

»Niemand hätte den Schuß hören können«, erwiderte Kelly. »Den Schalldämpfer auf Ihrer Pistole kenne ich ganz genau.«

 

Perelli lachte gezwungen.

 

»Ganz wie Sie meinen – ich töte eben alle Leute! Wenn ich nicht da wäre, hätten die Zeitungen überhaupt nichts zu schreiben!«