Die Fallgruben des Herrn von Mazarin

Die zwei improvisierten Soldaten marschierten mit ernster Haltung hinter dem Kammerdiener. Er öffnete ihnen die Tür eines Vorplatzes, dann eine zweite, die in eine Vorhalle zu führen schien, deutete auf zwei Schemel und sagte:

Der Befehl ist ganz einfach: Ihr laßt nur eine einzige Person herein, versteht ihr, nur eine einzige, nicht mehr. Dieser Person gehorcht ihr in allem. Was die Rückkehr betrifft, so wartet ihr, bis sie euch ablösen.

Diesen Kammerdiener kannte d’Artagnan ganz genau. Es war kein anderer, als Bernouin, der ihn seit sechs bis acht Monaten wenigstens zehnmal beim Kardinal eingeführt hatte. Er begnügte sich also, statt aller Antwort so wenig als möglich gascognisch und so gut als möglich deutsch ja zu brummen.

Was Porthos betrifft, so hatte ihm d’Artagnan das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen. Sollte er bis aufs äußerste getrieben werden, so durfte er statt jeder Antwort »der Teufel« brummen.

Bernouin entfernte sich, die Tür schließend.

Oh! oh! sagte Porthos, als er den Schlüssel drehen hörte, es scheint hier Mode zu sein, die Leute einzuschließen. Mir kommt es vor, als hätten wir nur das Gefängnis vertauscht, und ich weiß nicht, ob wir dabei gewonnen haben, daß wir jetzt in der Orangerie sind.

Porthos, mein Freund, sprach d’Artagnan ganz leise, zweifelt nicht an der Vorsehung und laßt mich nachsinnen und überlegen.

Sinnt nach und überlegt, erwiderte Porthos in sehr schlimmer Laune, als er sah, daß sich die Dinge so und nicht anders gestalteten.

Wir sind achtzig Schritte gegangen, murmelte d’Artagnan, wir sind sechs Stufen hinaufgestiegen; das ist also hier, wie soeben mein erhabener Freund Du Vallon gesagt hat, der andere Pavillon, der parallel mit dem unsern steht, und den man mit dem Namen Pavillon der Orangerie bezeichnet. Der Graf de la Fère kann folglich nicht fern von hier sein; nur sind die Türen geschlossen.

Das ist eine schöne Schwierigkeit, sprach Porthos, und mit einem Schulterstoß …

Um Gottes Willen, Porthos, mein Freund, sagte d’Artagnan, spart Eure Kraftstücke, oder sie haben bei vorkommender Gelegenheit nicht mehr den ganzen Wert, den sie verdienen; habt Ihr nicht gehört, daß jemand hierher kommen wird?

Allerdings.

Nun, dieser Jemand wird uns die Türen öffnen. Horch, er kommt bereits.

Man hörte im Vorsaal das Geräusch eines leichten Trittes.

Die Angeln der Tür ächzten, und es erschien ein Mann in Reitertracht, in einen braunen Mantel gehüllt, einen großen Filzhut in die Stirn gedrückt und eine Laterne in der Hand.

Porthos drückte sich an die Wand, aber er konnte sich nicht so unsichtbar machen, daß der Mann im Mantel ihn nicht bemerkt hätte. Dieser gab ihm seine Laterne und sagte: Zündet die Lampe am Plafond an. Dann sprach er zu d’Artagnan: Ihr habt den Befehl?

Ja! erwiderte der Gascogner, entschlossen, sich auf dieses Muster der deutschen Sprache zu beschränken.

Tedesco, murmelte der Mann in der Reitertracht. Va bene.

Dann wandte er sich nach der Tür, der gegenüber, durch die er eingetreten war, öffnete sie und verschwand hinter derselben, indem er sie wieder verschloß.

Und was machen wir nun? fragte Porthos.

Nun bedienen wir uns unserer Schultern, wenn diese Tür geschlossen ist, Freund Porthos. Jedes Ding hat seine Zeit, und wer zu warten weiß, findet immer den rechten Augenblick. Aber zuerst verrammeln wir die erste Tür, und dann wollen wir dem Mann folgen, der soeben weggegangen ist.

Die zwei Freunde schritten sogleich zur Arbeit und verrammelten die Tür mit allem Geräte, das sich im Saale fand, wodurch das Eindringen um so schwieriger wurde, als sich die Tür nach innen öffnete.

Hier sind wir sicher, nicht von hinten überfallen zu werden, sagte d’Artagnan; nun wollen wir weitergehen.

Sie gelangten an die Tür, durch die Mazarin verschwunden war, und fanden sie verschlossen. Vergeblich versuchte d’Artagnan, sie zu öffnen.

Hier ist Gelegenheit, Euern Schulternstoß anzubringen, sagte d’Artagnan. Stoßt zu, mein Freund Porthos, aber sacht, ohne Geräusch. Zerbrecht nichts, drückt nur die Flügel auseinander.

Porthos stützte seine kräftige Schulter gegen einen der Flügel, der sich bog, und d’Artagnan schob sodann die Spitze seines Schwertes zwischen die Feder und die Schließklappe des Schlosses. Die Feder gab nach, und die Tür öffnete sich.

Ich sage Euch, Freund Porthos, man erhält von den Frauen und von den Türen alles, wenn man sie sanft anfasse.

Ihr seid allerdings ein großer Moralist, versetzte Porthos.

Laßt uns nun eintreten, sprach d’Artagnan.

Sie traten ein. Hinter einem Fensterwerk, beim Schimmer der Laterne des Kardinals, die mitten auf dem Boden stand, sah man die Orangen- und Granatbäume des Schlosses Rueil in langen Reihen aufgestellt, eine große Allee und zwei kleine Seitenalleen bildend.

Kein Kardinal, sagte d’Artagnan, nur seine Laterne allein. Wo zum Teufel ist er denn?

Als er dann eine der Seitenalleen durchforschte, nachdem er Porthos durch ein Zeichen bedeutet hatte, dasselbe zu tun, sah er plötzlich zu seiner Linken einen aus seiner Reihe geschobenen Baumkübel und an seiner Stelle ein gähnendes Loch. Zehn Männer hätten Mühe gehabt, den Kübel von seiner Stelle zu bewegen, aber durch irgend einen Mechanismus hatte er sich mit der Platte gedreht, auf der er stand.

D’Artagnan sah, wie gesagt, ein Loch und in diesem Loch die Stufen einer Wendeltreppe.

Er winkte Porthos mit der Hand herbei, zeigte ihm das Loch und die Stufen.

Die zwei Männer schauten sich erstaunt an.

Wenn wir nichts wollten, als Gold, sprach d’Artagnan leise, so hätten wir unsere Sache gefunden und wären für immer reich.

Wie dies?

Begreift Ihr nicht, Porthos, daß am Fuße dieser Treppe aller Wahrscheinlichkeit nach der berühmte Schatz des Kardinals liegt, von dem man so viel spricht, und daß wir nur hinabzusteigen, eine Kasse zu leeren, den Kardinal einzuschließen, was wir an Gold schleppen könnten, fortzunehmen, diesen Orangenbaum wieder an seinen Platz zu stellen hätten, und daß niemand in der Welt uns fragen würde, woher unser Vermögen rührte, nicht einmal der Kardinal?

Das wäre ein schöner Streich für gemeine Leute, sagte Porthos, aber, wie mir scheint, zweier Edelleute unwürdig.

Das ist auch meine Meinung, versetzte d’Artagnan; deshalb sagte ich auch, wenn wir nur Gold wollten; aber wir wollen etwas anderes.

In demselben Augenblick und als d’Artagnan seinen Kopf gegen die Höhle hinabbeugte, um zu horchen, traf ein metallischer, dumpfer Ton, wie der eines Goldsackes, den man bewegt, an sein Ohr; er bebte. Alsbald schloß sich eine Tür, und die ersten Reflexe eines Lichtes erschienen auf der Treppe.

Mazarin hatte seine Lampe in der Orangerie gelassen, damit man glaube, er gehe spazieren; aber er hatte eine Wachskerze, mit der er seine unterirdische Kasse untersuchte.

Ha! sagte er, während er langsam, einen rundbauchigen Sack Goldrealen betrachtend, die Stufen heraufstieg, damit könnte man fünf Parlamentsräte und zwei Pariser Generäle bezahlen. Ich bin auch ein großer Feldherr; nur führe ich den Krieg auf meine Weise.

D’Artagnan und Porthos hatten sich jeder in einer Seitenallee hinter einem Kübel verborgen und warteten.

Mazarin kam auf drei Schritte an d’Artagnan vorüber und stieß an eine in der Mauer verborgene Feder. Die Platte drehte sich und der von ihr getragene Orangenbaum kam von selbst wieder an seinen Platz.

Dann löschte der Kardinal seine Kerze aus, steckte sie in seine Tasche, nahm seine Lampe und sprach: Nun wollen wir nach Herrn de la Fère sehen.

Gut! das ist unser Weg, dachte d’Artagnan, wir gehen miteinander.

Alle drei setzten sich in Marsch. Herr von Mazarin schlug die mittlere Allee ein, Porthos und d’Artagnan die gleichlaufenden an den Seiten.

Der Kardinal gelangte zu einer zweiten Glastür, ohne zu bemerken, daß man ihm folgte; denn der weiche Sand machte die Tritte seiner zwei Begleiter unhörbar.

Dann wandte er sich nach der linken Seite und schlug den Weg nach dem Korridor ein, den Porthos und d’Artagnan noch nicht bemerkt hatten; aber in dem Augenblick, wo er öffnen wollte, blieb er nachdenklich stehen.

Ah, Diavolo! sagte er, ich vergaß, was mir Comminges empfohlen hat. Ich muß die Soldaten nehmen und an diese Tür stellen, um mich nicht der Willkür dieses verdammten Teufels preiszugeben.

Und mit einer ungeduldigen Bewegung wandte er sich um, in der Absicht, auf demselben Weg zurückzugehen.

Gebt Euch nicht die Mühe, Monseigneur, sagte d’Artagnan, einen Fuß vor und den Hut in der Hand, mit freundlichem Gesichte; wir sind Eurer Eminenz gefolgt und stehen nun hier.

Ja, wir sind hier, sagte Porthos und machte dieselbe Gebärde eines freundlichen Grußes.

Mazarin schaute ganz verwirrt den einen und den andern an, erkannte beide und ließ mit einem Seufzer des Schreckens seine Laterne fallen.

D’Artagnan hob sie auf, zum Glück war sie beim Fallen nicht erloschen.

Oh! welche Unklugheit! sagte d’Artagnan. Es ist nicht gut, hier ohne Licht zu gehen; Eure Eminenz könnte sich an irgend einem Kübel stoßen oder in irgend ein Loch stürzen.

Herr d’Artagnan! murmelte Mazarin, der sich von seinem Erstaunen nicht erholen konnte.

Ja, Monseigneur, ich selbst, und ich habe die Ehre, Euch Herrn du Vallon, diesen vortrefflichen Freund, vorzustellen, für den sich Eure Eminenz einst zu interessieren die Güte gehabt hat.

Bei diesen Worten richtete d’Artagnan das Licht der Lampe nach dem heiteren Gesichte Porthos‘, der zu begreifen anfing und ganz stolz darauf war.

Ihr wart im Begriff, zu Herrn de la Fère zu gehen, fuhr d’Artagnan fort; laßt Euch nicht durch uns abhalten, Monseigneur. Habt die Güte, uns den Weg zu zeigen; wir werden Euch folgen.

Mazarin kam allmählich zur Besinnung.

Seid ihr schon lange in der Orangerie, meine Herren? fragte er mit zitternder Stimme, indem er an den Besuch dachte, den er soeben seinem Schatze gemacht hatte.

Porthos öffnete den Mund, um zu antworten. D’Artagnan machte ihm ein Zeichen, und Porthos‘ stummgebliebener Mund schloß sich wieder.

Wir kommen in diesem Augenblick, Monseigneur, sagte d’Artagnan.

Mazarin atmete auf; er fürchtete nicht mehr für seinen Schatz, er fürchtete nur noch für sich selbst.

Ein eigenes Lächeln schwebte über seine Lippen.

Vorwärts, sagte er, ihr habt mich in der Falle gefangen, und ich erkläre mich für besiegt. Ihr wollt mich um eure Freiheit bitten, nicht wahr? Ich gebe sie euch.

Oh! Monseigneur, sagte d’Artagnan, Ihr seid sehr gut; aber unsere Freiheit haben wir, und wir würden Euch lieber um etwas anderes bitten.

Ihr habt eure Freiheit? sprach Mazarin ganz erschrocken.

Allerdings, und Ihr, Monseigneur, habt im Gegenteil die Eurige nun verloren; was wollt Ihr, Monseigneur? Es geht nach dem Kriegsgesetz, Ihr müßt sie wieder erkaufen.

Mazarin fühlte einen Schauer bis in die Tiefe seines Herzens. Sein durchdringender Blick heftete sich vergebens auf das spöttische Gesicht des Gascogners und auf das seines Freundes. Beide waren im Schatten verborgen, und die Sibylle von Cumä hätte nicht darin zu lesen vermocht.

Meine Freiheit wieder erkaufen? wiederholte Mazarin.

Ja, Monseigneur.

Und wieviel wird dies kosten, Herr d’Artagnan?

Verdammt, Monseigneur, ich weiß es noch nicht. Wir werden den Grafen de la Fère darüber fragen, wenn es Eure Eminenz gütigst erlaubt. Eure Eminenz wolle daher die Gnade haben, die Tür zu öffnen, die zu ihm führt, und in zehn Minuten wird sie im klaren sein.

Mazarin bebte.

Monseigneur, sagte d’Artagnan, Eure Eminenz sieht, mit welchen Förmlichkeiten wir zu Werke gehen; darum sind wir aber auch genötigt, noch zu bemerken, daß wir keine Zeit zu verlieren haben. Öffnet also, Monseigneur, und erinnert Euch ein für allemal, daß Ihr in Anbetracht unserer ganz eigentümlichen Lage uns nicht grollen dürft, wenn wir bei der geringsten Bewegung, die Ihr macht, um zu entfliehen, bei dem kleinsten Schrei, den Ihr ausstoßt, um zu entkommen, zum Äußersten schreiten.

Seid unbesorgt, meine Herren, erwiderte Mazarin, ich werde nichts versuchen, darauf gebe ich euch mein Ehrenwort.

D’Artagnan winkte Porthos, er möge seine Wachsamkeit verdoppeln, und sprach dann, sich zu Mazarin umwendend: Wir wollen nun hineingehen, Monseigneur, wenn’s Euch beliebt.

Konferenzen

Mazarin ließ den Riegel einer Doppeltür spielen, auf deren Schwelle Athos auf Comminges‘ Rat seinen erhabenen Gast zu empfangen bereit stand.

Als er Mazarin erblickte, verbeugte er sich und sprach: Eure Eminenz hätte sich jeder Begleitung überheben können, denn die Ehre, die mir zu teil wird, ist zu groß, als daß ich sie vergessen sollte.

Mein lieber Graf, sagte d’Artagnan, Seine Eminenz wollte uns auch nicht gerade haben. Herr du Vallon und ich bestanden jedoch, vielleicht etwas unbescheiden darauf, so groß war unser Verlangen, Euch zu sehen.

Bei dieser Stimme, dem spöttischen Ton, der wohl bekannten Gebärde, die Ton und Stimme begleitete, machte Athos einen Sprung des Erstaunens.

D’Artagnan! Porthos! rief er.

In Person, lieber Freund.

In Person, wiederholte Porthos.

Was soll das bedeuten? fragte der Graf.

Das soll bedeuten, antwortete Mazarin, indem er zu lächeln versuchte und sich während des Lächelns in die Lippen biß, das soll bedeuten, daß sich die Rollen verändert haben, denn statt daß diese Herren meine Gefangenen sind, bin ich der Gefangene dieser Herren, und Ihr seht mich genötigt, hier das Gesetz zu empfangen, statt es zu machen. Aber, meine Herren, ich sage euch zum voraus, wenn ihr mich nicht erwürgt, wird euer Sieg von kurzer Dauer sein. Die Reihe ist bald wieder an mir; man wird kommen …

Ah! Monseigneur, sprach d’Artagnan, droht nicht, das gibt ein schlechtes Beispiel. Wir sind doch so sanft und so artig gegen Eure Eminenz! Setzen wir alle üble Laune beiseite, entfernen wir jeden Groll und sprechen freundlich miteinander.

Das ist mir ganz lieb, meine Herren, sagte Mazarin; aber in dem Augenblick, wo wir über mein Lösegeld verhandeln, sollt ihr eure Lage nicht für besser halten, als sie wirklich ist; indem ihr mich in der Falle finget, habt ihr euch mit mir gefangen. Wie wollt ihr von hier wegkommen? Seht die Gitter, seht die Türen, seht oder erratet vielmehr, wieviel Schildwachen diese Höfe füllen, und laßt uns dann einen Vergleich treffen. Ich will euch zeigen, daß ich loyal bin.

Gut, dachte d’Artagnan, wir wollen uns vorsehen, er gedenkt uns einen Streich zu spielen.

Ich habe euch eure Freiheit angeboten, fuhr der Minister fort, ich biete sie euch noch einmal an; wollt ihr sie? Vor einer Stunde werdet ihr entdeckt, verhaftet oder genötigt sein, mich zu töten, was ein furchtbares Verbrechen und loyaler Edelleute, wie ihr seid, ganz unwürdig wäre.

Er hat recht, dachte Athos.

Und wie alles, was in dieser nur von edlen Gedanken bewohnten Seele vorging, so spiegelte sich auch dieser Gedanke in seinen Augen ab.

D’Artagnan aber sagte, um die Hoffnung herabzustimmen, die Athos‘ stillschweigendes Beipflichten in Mazarin erregt hatte: Wir werden auch nur in der äußersten Not zur Gewalt greifen.

Wenn ihr dagegen, fuhr Mazarin fort, wenn ihr mich gehen laßt und eure Freiheit annehmt …

D’Artagnan unterbrach ihn mit den Worten:

Wie sollen wir unsere Freiheit annehmen, da Ihr sie, wie Ihr selbst sagt, fünf Minuten, nachdem Ihr sie gegeben habt, wieder nehmen könnt? Und wie ich Euch kenne, werdet Ihr sie uns wieder nehmen, Monseigneur.

Mazarin versprach hoch und teuer bei seinem Kardinals- und Ministerwort, die Freunde freizulassen. Als er damit nur den Spott des Gascogners herausforderte, versetzte er:

Wohl, ich leiste Euch auf eine untrügliche, handgreifliche Weise Sicherheit. – Ah! das ist etwas anderes, sagte Porthos. – Laßt hören, sprach Athos. – Laßt hören, wiederholte d’Artagnan. – Vor allem, nehmt ihr an? sagte der Kardinal. – Erklärt uns Euern Plan, Monseigneur, und wir werden sehen. – Zieht wohl in Betracht, daß Ihr eingeschlossen, gefangen seid. – Ihr wißt, Monseigneur, entgegnete d’Artagnan, es bleibt uns immer noch ein letztes Mittel. – Welches? – Miteinander zu sterben.

Mazarin bebte.

Hört, fuhr er fort, am Ende des Ganges ist eine Tür, wozu ich den Schlüssel habe; diese Tür führt in den Park. Geht mit dem Schlüssel, ihr seid flink, ihr seid kräftig, ihr seid bewaffnet, und in einer Entfernung von hundert Schritten, wenn ihr euch links wendet, findet ihr die Mauer des Parks; ihr steigt darüber und seid mit drei Sprüngen auf der Straße und frei. Ich kenne euch nun hinreichend, um zu wissen, daß es, wenn man euch angreift, kein Hindernis gegen eure Flucht sein wird.

Ah! bei Gott, Monseigneur, sagte d’Artagnan, das ist gut, das heiße ich sprechen. Wo ist der Schlüssel, den Ihr uns bieten wollt?

Hier.

Aber Monseigneur, fügte d’Artagnan bei, Ihr werdet uns wohl zu der Tür führen?

Sehr gern, sprach der Minister, wenn es dessen zu eurer Beruhigung bedarf.

Mazarin, der nicht so leichten Kaufes durchzukommen gehofft hatte, wandte sich ganz strahlend nach dem Gange und öffnete die Tür.

Sie ging allerdings nach dem Park, was die drei Flüchtlinge an dem Nachtwind wahrnahmen, der sich im Gange fing und ihnen den Schnee ins Gesicht trieb.

Teufel! Teufel! sagte d’Artagnan, es ist eine furchtbare Nacht, Monseigneur. Wir kennen die Örtlichkeiten nicht und werden nie unsern Weg finden. Da nun Eure Eminenz so viel getan hat, daß sie uns bis hierher führte … nur noch einige Schritte, Monseigneur, geleitet uns bis zur Mauer.

Es sei, sprach der Kardinal.

Und gerade ausgehend, schritt er mit raschem Schritte auf die Mauer zu, an deren Fuß bald alle vier waren.

Seid ihr zufrieden, meine Herren? fragte Mazarin. – Ich glaube wohl, wir müßten sonst sehr schwieriger Natur sein. Teufel, welche Ehre! Drei arme Edelleute von einem Kirchenfürsten geleitet! Doch, Monseigneur, Ihr sagtet soeben, wir wären mutig, flink und bewaffnet? – Ja. – Ihr täuscht Euch; nur ich und Herr du Vallon sind bewaffnet; der Herr Graf ist es nicht, und wenn wir irgend einer Patrouille begegneten, so könnten wir uns verteidigen müssen. – Das ist nur zu richtig. – Aber wo werden wir ein Schwert finden? – Monseigneur, sagte d’Artagnan, wird dem Grafen das seinige leihen, das ihm unnütz ist. – Sehr gern, sprach der Kardinal, ich bitte sogar den Herrn Grafen, es als Andenken von mir behalten zu wollen. – Das ist doch äußerst artig, Graf, versetzte d’Artagnan. – Ja, erwiderte Athos, ich verspreche auch, mich nie davon zu trennen. – Ein rührender Austausch! sprach d’Artagnan. Habt Ihr keine Tränen in den Augen, Porthos? – Ja, erwiderte Porthos, doch weiß ich nicht, ob dies mir die Tränen erpreßt oder der Wind. – Nun steigt hinauf, Athos, und macht geschwind.

Athos gelangte, von Porthos unterstützt, der ihn wie eine Feder aufhob, auf den Kamm der Mauer.

Nun springt hinab, Athos.

Athos sprang und verschwand auf der andern Seite der Mauer.

Seid Ihr unten? fragte d’Artagnan. – Ja. – Ohne einen Unfall? – Ganz unversehrt. – Porthos, beobachtet den Herrn Kardinal, während ich hinaufsteige; nein, ich bedarf Euer nicht, ich werde wohl allein hinaufkommen. Beobachtet nur den Herrn Kardinal. – Ich beobachte ihn, erwiderte Porthos. – Nun? … – Ihr habt recht, es ist schwieriger, als ich glaubte. Leiht mir Euern Rücken, aber ohne von dem Herrn Kardinal abzulassen. – Ich lasse nicht von ihm ab.

Porthos bot d’Artagnan seinen Rücken, und dieser war bald mit Hilfe seiner Stütze rittlings auf dem Kamm der Mauer.

Mazarin gab sich den Anschein, als müßte er lachen.

Seid Ihr oben? fragte Porthos. – Ja, mein Freund, und nun … – Was nun? – Nun gebt mir den Herrn Kardinal herauf, und bei dem geringsten Schrei, den er ausstößt, erstickt ihn.

Mazarin wollte schreien, aber Porthos preßte ihn mit seinen Händen zusammen und hob ihn bis zu d’Artagnan hinauf, der ihn am Kragen faßte, zu sich setzte und mit drohendem Ton zu ihm sagte:

Mein Herr, springt sogleich zu dem Grafen de la Fère hinab, oder ich bringe Euch um, so wahr ich ein Edelmann bin. – Herr, Herr! rief Mazarin, Ihr brecht Euer Wort. – Ich? Wo habe ich Euch irgend etwas versprochen, Monseigneur?

Mazarin stieß einen Seufzer aus und erwiderte: Ihr seid frei durch mich, mein Herr; Eure Freiheit war mein Lösegeld.

Aber das Lösegeld für den ungeheuren, in der Galerie vergrabenen Schatz, zu dem man hinabsteigt, indem man an eine in der Mauer verborgene Feder drückt, wodurch ein Kübel fortgerückt und eine Treppe sichtbar wird? Sagt, Monseigneur, ist das nicht auch etwas wert?

Jesus, mein Gott! versetzte Mazarin, beinahe erstickt und die Hände faltend, ich bin ein verlorener Mann.

Aber ohne sich an seine Klagen zu kehren, nahm ihn d’Artagnan unter dem Arm und ließ ihn sacht in Athos‘ Hände hinabgleiten, der ruhig unten an der Mauer geblieben war.

Sodann sagte d’Artagnan zu Porthos: Nehmt meine Hand, ich halte mich an der Mauer.

Porthos machte eine Anstrengung, daß die Mauer erbebte, und gelangte ebenfalls auf die Höhe.

Ich hatte nicht ganz begriffen, sagte er, aber nun begreife ich; das ist komisch.

Findet Ihr? erwiderte d’Artagnan, desto besser? aber damit es bis zum Ende komisch bleibt, wollen wir keine Zeit verlieren.

Und er sprang von der Mauer herab.

Porthos tat dasselbe.

Begleitet den Herrn Kardinal, meine Herren, sprach d’Artagnan, ich sondiere unterdessen die Gegend.

Der Gascogner zog den Degen und marschierte in der Vorhut.

Monseigneur, sagte er, wohin müssen wir uns wenden, um die Landstraße zu erreichen? Denkt wohl nach, ehe Ihr antwortet; denn wenn sich Eure Eminenz täuschte, so könnte dies große Unannehmlichkeiten nach sich ziehen, nicht allein für uns, sondern auch für den Herrn Kardinal.

Geht an der Mauer hin, sprach Mazarin, und ihr lauft keine Gefahr, euch zu verirren.

Die drei Freunde verdoppelten ihre Schritte, aber nach einigen Augenblicken waren sie genötigt, wieder langsamer zu gehen; der Kardinal vermochte ihnen, trotz des besten Willens, nicht zu folgen.

Plötzlich stieß d’Artagnan an etwas Warmes, was eine Bewegung machte.

Halt! ein Pferd! sagte er, ich habe ein Pferd gefunden, meine Herren. – Und ich auch, sprach Athos. – Und ich ebenfalls! rief Porthos, der dem Befehle getreu den Kardinal beständig am Arme hielt. – Das nenne ich Glück, Monseigneur, sagte d’Artagnan, gerade in der Minute, wo Eure Eminenz sich beklagte, zu Fuß gehen zu müssen.

Aber in dem Augenblick, wo er diese Worte sprach, senkte sich ein Pistolenlauf auf seine Brust, und er hörte mit ernstem Tone sagen:

Rührt nicht an! – Grimaud! rief d’Artagnan, Grimaud! schickt dich der Himmel? – Nein, gnädiger Herr, antwortete der ehrliche Diener, Herr Aramis hieß mich die Pferde bewachen. – Aramis ist also hier? – Ja, gnädiger Herr, seit gestern. – Und was macht ihr? – Wir lauern. – Was! Aramis ist hier? wiederholte Athos. – An der kleinen Schloßpforte. Dort war sein Posten. Ihr seid also zahlreich? – Wir sind zu sechzig. – Laß ihm melden, daß wir hier sind. – Sogleich, gnädiger Herr.

Mazarin in Pierrefonds

Nach Verlauf von zehn Minuten erschien Aramis, den Grimaud schnell benachrichtigt hatte, mit acht bis zehn Edelleuten. Er war ganz strahlend und warf sich seinen Freunden um den Hals.

Ihr seid also frei, Brüder, frei ohne meine Hilfe? Ich habe also trotz meiner Bemühungen nichts für euch tun können?

Beruhigt Euch darüber, teurer Freund; aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es gibt noch genug zu tun.

Meine Maßregeln waren doch so gut getroffen, sprach Aramis. Ich habe sechzig Mann vom Koadjutor bekommen; zwanzig bewachen die Mauern des Parks, zwanzig die Straße von Rueil nach Saint-Germain, zwanzig sind im Walde zerstreut. Auf diese Art und infolge meiner strategischen Anordnungen habe ich zwei Kuriere Mazarins an die Königin aufgefangen.

Mazarin horchte.

Aber Ihr habt sie doch hoffentlich ehrlicherweise an den Herrn Kardinal zurückgeschickt? fragte d’Artagnan.

Selbstverständlich hat Mazarin solche Rücksicht verdient. In einer von diesen Depeschen erklärte er der Königin, die Kassen seien leer und Ihre Majestät habe kein Geld mehr; in der andern meldet er, er werde die Gefangenen nach Melun bringen lassen, da ihm Rueil nicht sicher genug scheine. Ihr begreift, lieber Freund, daß dieser letzte Brief mir gute Hoffnung gegeben hat. Ich legte mich mit sechzig Mann in den Hinterhalt, umstellte das Schloß, ließ Handpferde bereithalten, die ich Grimaud anvertraute, und erwartete euer Erscheinen. Vor morgen früh rechnete ich nicht hierauf, und ich hoffte auch nicht, euch ohne Scharmützel zu befreien. Nun seid ihr schon heute frei. Wie habt ihr es gemacht, um diesem Knauser Mazarin zu entkommen? Ihr habt euch sicher sehr über ihn zu beklagen.

Im Gegenteil, sagte d’Artagnan; er hat sich sehr verbindlich gezeigt; wir verdanken ihm unsere Freiheit.

Ihm?

Ja; er ließ uns durch Herrn Bernouin, seinen Kammerdiener, in die Orangerie führen. Von da folgten wir ihm bis zum Grafen de la Fère. Dann bot er uns unsere Freiheit an. Wir nahmen sie an, und er trieb die Gefälligkeit so weit, daß er uns den Weg zeigte und bis zur Mauer des Parkes führte, die wir mit dem größten Glück erstiegen hatten, als wir Grimaud trafen.

Ah! gut, sagte Aramis, das söhnt mich mit ihm aus, und ich wollte, er wäre da, damit ich ihm sagen könnte, ich hätte ihn einer solchen Handlung nicht für fähig gehalten.

Monseigneur, sprach d’Artagnan, außer stande, länger an sich zu halten, erlaubt, daß ich Euch den Herrn Chevalier d’Herblay vorstelle, der Eurer Eminenz seine Ehrfurcht zu bezeugen wünscht.

Und er zog sich zurück und machte dadurch den verwirrten Kardinal für Aramis sichtbar.

Oho! rief dieser, der Kardinal! ein guter Fang! Holla! holla! Freunde! Die Pferde! die Pferde!

Einige Reiter sprengten herbei.

Bei Gott! rief Aramis, ich werde doch zu etwas nütze gewesen sein. Monseigneur, möge Eure Eminenz die Gnade haben, meine Huldigung in Empfang zu nehmen. Ich wette, das ist der heilige Christoph von einem Porthos, der diesen Schlag getan hat! Doch beinahe hätte ich vergessen …

Und er gab ganz leise einem Reiter einen Befehl.

Ich glaube, es wäre klug, wenn wir abzögen, sagte d’Artagnan.

Ja, aber ich erwarte jemand … einen Freund von Athos.

Einen Freund? sprach der Graf.

Seht, dort kommt er im Galopp durch das Gesträuch.

Herr Graf! Herr Graf! rief eine jugendliche Stimme.

Raoul! Raoul! rief der Graf de la Fère.

Einen Augenblick vergaß der junge Mann seine gewöhnliche Ehrfurcht und warf sich seinem Vater um den Hals.

Seht, Herr Kardinal, wäre es nicht schade gewesen, Leute zu trennen, die sich lieben, wie wir uns lieben? Meine Herren, fuhr Athos fort, indem er sich an die Reiter wandte, die sich jeden Augenblick in größerer Zahl einstellten, meine Herren, umgebt Seine Eminenz, um ihr die schuldige Ehre zu erweisen. Der Herr Kardinal will die Ehre haben, uns seine Gesellschaft zu gönnen. Ihr werdet ihm hoffentlich dafür dankbar sein. Porthos, verliert Seine Eminenz nicht aus dem Blicke.

Aramis ging hierauf zu d’Artagnan und Athos, die sich beratschlagten, und nahm an ihren Beratungen teil.

Vorwärts, sprach d’Artagnan nach einer Besprechung von fünf Minuten, vorwärts, Marsch!

Und wohin gehen wir? fragte Porthos.

Zu Euch, lieber Freund, nach Pierrefonds; Euer schönes Schloß ist würdig, Seiner Eminenz adlige Gastfreundschaft zu bieten. Dann ist es auch sehr gut gelegen, nicht zu nahe, nicht zu fern von Paris. Man kann von dort leicht Verbindungen mit der Hauptstadt anknüpfen. Kommt, Monseigneur, Ihr werdet in jenem Schlosse wie ein Fürst sein, was Ihr auch seid.

Ein entsetzter Fürst, sprach Mazarin kläglich.

Der Krieg hat seine Wechselfälle, Monseigneur, erwiderte Athos, aber seid versichert, wir werden keinen Mißbrauch davon machen.

Nein, aber einen Gebrauch werden wir davon machen, sprach d’Artagnan.

Sie ritten die ganze Nacht mit ihrem Gefangenen fort, Grimaud war in Aramis‘ Auftrag vorausgeritten und hatte für frische Pferde gesorgt, und so erreichten sie zur Mittagsstunde die Allee des Schlosses von Porthos.

Wir sind vier, sagte d’Artagnan zu seinen Freunden, wir lösen uns in der Bewachung Monseigneurs ab, und jeder von uns wacht drei Stunden. Athos untersucht das Schloß, das man für den Fall einer Belagerung uneinnehmbar machen muß, Porthos beaufsichtigt die Verproviantierung und Aramis das Garnisonswesen, das heißt, Athos wird Oberingenieur, Porthos Generalproviantmeister und Aramis Gouverneur des Platzes.

Mittlerweile führte man Mazarin in das schönste Zimmer des Schlosses.

Meine Herren, sagte er, als er hier etwas eingerichtet war, Ihr könnt nicht darauf rechnen, mich lange Zeit hier inkognito zu behalten. – Nein, Monseigneur, antwortete d’Artagnan, wir gedenken im Gegenteil so schnell als möglich bekannt zu machen, daß wir Euch in Händen haben. – Dann wird man Euch belagern. – Wir sind darauf gefaßt. – Und was werdet Ihr tun? – Wir werden uns verteidigen; morgen bekommt überdies die Pariser Armee Kunde, übermorgen ist sie hier. Statt daß die Schlacht in Saint-Denis oder in Charenton stattfindet, wird sie in Compiegne oder in Villers-Cotterets geschlagen. – Der Herr Prinz wird Euch besiegen, wie er stets gesiegt hat. – Das ist möglich, Monseigneur. Doch vor der Schlacht lassen wir Eure Eminenz nach einem andern Schlosse unseres Freundes du Vallon bringen, denn er hat drei, wie dieses. Wir wollen Eure Eminenz den Zufällen des Krieges nicht bloßstellen. – Wohl, sagte Mazarin, ich sehe, daß ich kapitulieren muß. – Vor der Belagerung? – Ja, die Bedingungen werden vielleicht besser sein. – Ah! Monseigneur, was die Bedingungen betrifft, sollt Ihr uns sehr billig finden. – Laßt hören. Sprecht Euch aus. – Ruht vorerst, Monseigneur, und wir wollen uns die Sache überlegen. – Ich bedarf der Ruhe nicht, meine Herren, ich will wissen, ob ich mich in Feindes oder Freundes Händen befinde. – In Freundes Händen, Monseigneur. – Nun, so sagt mir sogleich, was Ihr wollt, damit ich sehe, ob eine Übereinkunft unter uns möglich ist. Sprecht, Herr Graf de la Fère. – Monseigneur, sagte Athos, ich habe nichts für mich zu verlangen und hätte viel für Frankreich zu fordern. Ich enthalte mich also und übertrage das Wort an den Herrn Chevalier d’Herblay.

Damit verbeugte sich Athos, machte einen Schritt rückwärts und blieb als einfacher Zuschauer der Konferenz am Kamin stehen.

Sprecht doch, Herr Chevalier d’Herblay, sagte der Kardinal, was wünscht Ihr? Keine Umschweife, keine Zweideutigkeiten. Seid klar, kurz und bestimmt. – Ich, Monseigneur, ich werde ein offenes Spiel spielen. – Legt also Eure Karten auf. – Ich habe in meiner Tasche das Programm der Bedingungen, sagte Aramis, die Euch die Deputation an der ich Anteil nahm, vorgestern in Saint-Germain vorlegte. Die alten Rechte müssen vorgehen und die Forderungen, welche in dem Programm gestellt sind, bewilligt werden. – Wir waren über diese schon ziemlich einverstanden. Gehen wir also zu den besonderen Bedingungen über. – Ihr glaubt also, daß sich solche finden? versetzte Aramis lächelnd. – Ich glaube, daß Ihr nicht alle so uneigennützig seid, wie der Herr Graf de la Fère, erwiderte Mazarin, sich mit einer Verbeugung gegen Athos umwendend. – Ah! Ihr habt recht, sprach Aramis, und es macht mich glücklich, zu sehen, daß Ihr dem Grafen endlich Gerechtigkeit widerfahren laßt. – Nun, was wünscht Ihr also? – Ich wünsche, Monseigneur, daß man Frau von Longueville die Normandie verleihe, nebst voller, unbeschränkter Absolution und fünfmalhunderttausend Livres. Ich wünsche, daß Seine Majestät der König die Gnade habe, der Pate des Sohnes zu werden, den sie in den letzten Tagen geboren hat; sodann, daß Monseigneur, nachdem er der Taufe beigewohnt hat, unserm heiligen Vater, dem Papste, in Person seine Huldigung darbringe. – Das heißt, Ihr wollt, daß ich meinem Ministeramt entsage, daß ich Frankreich verlasse, daß ich mich verbanne? – Ich wünsche, daß Monseigneur bei der ersten Erledigung Papst werde, wobei ich mir vorbehalte, vollkommenen Ablaß für mich und meine Freunde von ihm zu erbitten.

Mazarin machte eine unübersetzbare Grimasse.

Und Ihr, mein Herr? fragte er d’Artagnan. – Ich, Monseigneur, sagte der Gascogner, ich bin in allen Punkten derselben Meinung, wie der Herr Chevalier d’Herblay, mit Ausnahme des letzten Artikels, in welchem ich gänzlich von ihm abweiche. Weit entfernt, zu wünschen, daß Monseigneur Frankreich verlasse, wünsche ich im Gegenteil, daß er erster Minister bleibe, denn Monseigneur ist ein großer Politiker. Ich werde mich sogar bemühen, soviel es von mir abhängt, ihm den Sieg über die ganze Fronde zu verschaffen, doch unter der Bedingung, daß er sich einigermaßen der treuen Diener des Königs erinnert und die erste Kompagnie der Musketiere einem, den ich bezeichnen werde, verleiht. Und Ihr, du Vallon? – Ja, nun ist es an Euch, mein Herr, sprecht. – Ich? erwiderte Porthos, ich wünschte, daß der Herr Kardinal, um mein Haus zu ehren, das ihm eine Zufluchtsstätte gewährte, die Gnade hätte, zum Andenken an dieses Abenteuer mein Gut zu einer Baronie zu erheben, mit der Zusage des Ordens für einen meiner Freunde bei der ersten Beförderung, die Seine Majestät vornehmen wird.

Ihr wißt, mein Herr, daß man, um den Orden zu bekommen, Proben ablegen muß. – Dieser Freund wird sie ablegen. Überdies würde Monseigneur, wenn es durchaus notwendig wäre, ihm sagen, wie man diese Förmlichkeit umgeht.

Mazarin biß sich in die Lippen. Er erwiderte ziemlich trocken: Alles das reimt sich ziemlich schlecht zusammen, wie mir scheint, meine Herren, denn wenn ich einen befriedige, mache ich notwendig die andern unzufrieden. Bleibe ich in Paris, so kann ich notwendig nicht nach Rom gehen; werde ich Papst, so kann ich nicht Minister bleiben; bin ich nicht Minister, so kann ich nicht Herrn d’Artagnan zum Kapitän und Herrn du Vallon zum Baron machen.

Das ist wahr, sagte Aramis. Da ich die Minorität bilde, so nehme ich meinen Antrag in Beziehung auf die Reise nach Rom und die Entlassung von Monseigneur zurück.

Ich bleibe also Minister? sagte Mazarin.

Ihr bleibt Minister, das ist abgemacht, sprach d’Artagnan; Frankreich bedarf Euer.

Und ich stehe von meinen Anforderungen ab, sagte Aramis. Seine Eminenz bleibt erster Minister und sogar Liebling Ihrer Majestät, wenn sie mir und meinen Freunden bewilligt, was wir für Frankreich und für uns verlangen.

Beschäftigt Euch nur mit Euch, meine Herren, und laßt Frankreich sich mit mir abfinden, wie es eben kann, sprach Mazarin.

Nein, nein! versetzte Aramis, es bedarf eines Vertrages für die Frondeurs. Eure Eminenz wird ihn abfassen, in unserer Gegenwart unterzeichnen und sich durch denselben Vertrag verbindlich machen, die Zustimmung der Königin zu erlangen.

Ich kann nur für mich stehen, sagte Mazarin, und nicht für die Königin. Und wenn Ihre Majestät sich weigert?

O! rief d’Artagnan, Monseigneur weiß wohl, daß Ihre Majestät ihm nichts zu verweigern vermag.

Seht, Monseigneur, sagte Aramis, hier ist der von der Deputation der Frondeurs vorgeschlagene Vertrag; Eure Eminenz beliebe ihn zu lesen und zu prüfen.

Ich kenne ihn, sprach Mazarin.

So unterzeichnet.

Wenn ich mich aber weigere?

Ah, Monseigneur, erwiderte d’Artagnan, dann hat Eure Eminenz die Folgen ihrer Weigerung nur sich selbst zur Last zu legen.

Würdet Ihr es wagen, die Hand an einen Kardinal zu legen?

Monseigneur, Ihr habt sie an Musketiere Ihrer Majestät gelegt.

Die Königin wird mich rächen, meine Herren.

Ich glaube es nicht. Aber wir gehen mit Eurer Eminenz nach Paris, und die Pariser werden uns zu verteidigen wissen.

Das ist abscheulich! murmelte Mazarin.

Unterzeichnet also den Vertrag, Monseigneur, sagte Aramis.

Aber wenn ich unterzeichne und die Königin sich weigert, ihn zu genehmigen?

Ich übernehme es, mich zu der Königin zu begeben und ihre Unterschrift zu erlangen, entgegnete d’Artagnan.

Nehmt Euch in acht, daß Euch in Saint Germain nicht der Empfang zuteil wird, den Ihr zu erwarten berechtigt seid, versetzte Mazarin.

Ah, bah! erwiderte d’Artagnan, die Sache soll so eingerichtet werden, daß ich willkommen bin, denn ich weiß ein Mittel.

Welches?

Ich bringe Ihrer Majestät den Brief, in dem ihr Monseigneur die gänzliche Erschöpfung der Finanzen meldet.

Hernach? sprach Mazarin erbleichend.

Hernach, wenn ich Ihre Majestät in der größten Verlegenheit sehe, führe ich sie nach Rueil, lasse sie in die Orangerie eintreten und zeige ihr eine gewisse Feder, welche einen Kasten in Bewegung setzt.

Genug, mein Herr, murmelte der Kardinal, genug. Wo ist der Vertrag?

Hier, antwortete Aramis.

Ihr seht, daß wir großmütig sind, sprach d’Artagnan, denn ein solches Geheimnis konnte viel einbringen.

Unterzeichnet also, sagte Aramis und reichte ihm eine Feder.

Mazarin stand auf und ging einige Augenblicke, mehr träumerisch als niedergeschlagen, auf und ab. Dann blieb er plötzlich stehen und unterzeichnete.

Nun aber, Herr d’Artagnan, fügte er bei, haltet Euch bereit, abzureisen und einen Brief von mir an die Königin zu überbringen.

D’Artagnan findet einen Plan

Bei Einbruch der Nacht gelangte man nach Tirsk. Die vier Freunde schienen vollkommen gleichgültig gegen die Vorsichtsmaßregeln, die man nahm, um der Person des Königs versichert zu sein. Sie zogen sich in ein Privathaus zurück, und da sie jeden Augenblick für sich selbst zu fürchten hatten, so richteten sie sich in einem einzigen Zimmer ein, wobei sie sich für den Fall eines Angriffs einen Ausgang offen hielten. Die Bedienten wurden auf verschiedene Posten verteilt. Grimaud schlief vor der Tür auf einem Bund Stroh. Am andern Morgen war d’Artagnan zuerst auf den Beinen. Er hatte bereits den Stall und die Pferde untersucht und die nötigen Befehle für den Tag gegeben, als Aramis und Athos nicht einmal aufgestanden waren und Porthos noch schnarchte.

Um acht Uhr morgens setzte man sich in derselben Ordnung in Marsch, wie am Tage zuvor. Nur ließ d’Artagnan seine Freunde allein reiten und suchte mit Groslow, der etwas Französisch sprach, die bei dem Mittagsmahl Tags vorher angeknüpfte Bekanntschaft weiter fortzuspinnen.

In der Tat, mein Herr, sagte d’Artagnan zu ihm, ich bin glücklich, einen Mann zu finden, mit dem ich mich in meiner eigenen Sprache unterhalten kann. Herr du Vallon, mein Freund, ist von äußerst schwermütigem Charakter, so daß man oft den ganzen Tag kaum vier Worte aus ihm herausbringen kann; was unsere Gefangenen betrifft, so begreift Ihr, daß sie keine große Lust haben, sich in ein Gespräch einzulassen. – Es sind wütende Royalisten, versetzte Groslow. – Deshalb grollen sie uns auch so sehr, daß wir den Stuart gefangen genommen haben, dem Ihr hoffentlich ohne weiteres den Prozeß machen werdet? – Gott verdamme mich, erwiderte Groslow, wir führen ihn aus diesem Grunde nach London. – Und ich denke, Ihr werdet ihn nicht aus dem Gesicht verlieren. – Den Teufel! ich glaube wohl, Ihr seht, fügte der Offizier lachend bei, er hat eine wahrhaft königliche Eskorte. – Oh! bei Tag ist keine Gefahr, daß er entkommen könnte, aber bei Nacht… – Bei Nacht werden die Vorsichtsmaßregeln verdoppelt. – – Auf welche Art laßt Ihr ihn bewachen? – Acht Mann bleiben beständig in seinem Zimmer. – Teufel! rief d’Artagnan, er ist gut bewacht, aber neben diesen acht Mann stellt Ihr ohne Zweifel auch außen eine Wache auf? Man kann bei einem solchen Gefangenen nicht behutsam genug sein. – Oh! nein. Bedenkt doch, was können zwei unbewaffnete Menschen gegen acht bewaffnete Männer machen? – Wie, zwei Menschen? – Ja, der König und sein Kammerdiener. – Man hat also dem Kammerdiener erlaubt, bei ihm zu bleiben? – Ja, Stuart hat um diese Vergünstigung gebeten, und der Oberst Harrison willigte ein. Unter dem Vorwand, daß er ein König ist, scheint er sich weder allein ankleiden noch auskleiden zu können. – Aber, sagte d’Artagnan, macht Ihr’s Euch auch kurzweilig bei der Wache? Macht Ihr ein Spielchen, wie wir es in Paris bei solchen Gelegenheiten tun? – Nie, sprach der Engländer. – Dann müßt Ihr viel Langeweile haben, und ich beklage Euch. – Ich sehe allerdings mit einem gewissen Schrecken die Reihe an mich kommen. Es währt verdammt lange, wenn man eine ganze Nacht wachen muß. – Ja, wenn man allein oder mit albernen Soldaten wacht; wacht man aber mit einem lustigen Gesellen und läßt das Gold und die Würfel über den Tisch hinrollen, so geht die Nacht wie ein Traum vorüber. Ihr liebt also das Spiel nicht? – Im Gegenteil. – Lanzknecht, zum Beispiel. – Ich liebe es wahnsinnig und spielte es beinahe jeden Abend, als ich in Frankreich war, wohin mich mein Vater auf drei Jahre geschickt hatte. – Und seitdem Ihr in England seid? – Habe ich weder einen Würfelbecher noch eine Karte in der Hand gehabt. – Ich beklage Euch, sprach d’Artagnan mit einer Miene tiefen Mitleids. – Hört! versetzte der Engländer, Ihr könntet etwas tun. – Was? – Morgen bin ich auf der Wache. – Bei Stuart? – Ja, bringt die Nacht bei mir zu. – Unmöglich. – Unmöglich? – Rein unmöglich. – Warum? – Jede Nacht mache ich eine Partie mit Herrn du Vallon; zuweilen gehen wir nicht zu Bette… so spielten wir diesen Morgen noch, als es bereits Tag war. – Nun? – Er würde sich zu sehr langweilen, wenn ich nicht eine Partie mit ihm machte. – Ist er ein guter Spieler? – Ich habe ihn zweitausend Pistolen verlieren und dabei lachen sehen, daß ihm die Tränen kamen. – Bringt ihn mit. – Wie kann ich dies? Unsere Gefangenen? – Ah! Teufel, das ist wahr, sprach der Offizier. Doch laßt sie durch Eure Lakaien bewachen. – Ja, damit sie entfliehen! versetzte d’Artagnan. Ich werde mich wohl hüten. – Es sind also Leute von Stand, daß Euch so viel daran gelegen ist? – Teufel! der eine ist ein reicher Herr aus der Touraine, der andere ein Malteser Ritter aus vornehmem Hause. Wir haben ihr Lösegeld zu 2000 Pfund Sterling für jeden bei der Ankunft in Frankreich festgesetzt und wollen Leute, von denen unsere Lakaien wissen, daß es Millionäre sind, nicht einen Augenblick verlassen. – Ah! ah! rief Groslow. – Ihr begreift also nun, was mich nötigt, Eure höfliche Einladung auszuschlagen, die ich um so mehr zu schätzen weiß, als es im höchsten Grade langweilig ist, immer mit derselben Person zu spielen. – Ah! entgegnete Groslow mit einem Seufzer, es gibt etwas noch Langweiligeres – gar nicht zu spielen. Ich begreife das. – Aber sprecht, sind Eure Gefangenen gefährliche Menschen? – In welcher Beziehung? – Sind sie fähig, ein keckes Wagnis zu unternehmen?

D’Artagnan brach in ein Gelächter aus.

Herr Jesus! rief er, der eine zittert vor Fieberfrost, denn er kann sich nicht an Euer reizendes Land gewöhnen; der andere ist ein Malteser Ritter, so schüchtern wie ein junges Mädchen, und zu größerer Sicherheit haben wir ihnen sogar ihre Messer und Taschenscheren weggenommen. – Gut, so bringt sie mit, sagte Groslow. – Wie? Ihr wollt? – Ja, ich habe acht Mann, vier bewachen Eure Gefangenen, vier bewachen den König. – So läßt sich die Sache allerdings machen, versetzte d’Artagnan, obgleich ich Euch dadurch sehr beschwerlich fallen muß. – Bah! kommt immerhin, Ihr sollt sehen, wie ich das ordne. – Oh! darüber beunruhige ich mich nicht; einem Manne, wie Ihr seid, überlasse ich mich mit geschlossenen Augen. Aber, wenn ich bedenke, fuhr er fort, was hindert uns, schon diesen Abend zu beginnen? – Was? – Unsere Partie. – Nichts in der Welt, erwiderte Groslow.

Sie verabredeten also, daß Groslow an diesem Abend zu den Freunden kommen und diese ihm am nächsten Abend bei seiner Wache Gesellschaft leisten sollten, worauf sie sich voneinander verabschiedeten und d’Artagnan zu seinen Gefährten zurückkehrte.

Was zum Teufel hattet Ihr mit dieser Bulldogge zu verhandeln? fragte Porthos.

Mein Lieber, sprecht nicht in diesem Tone von Herrn Groslow, er ist einer meiner vertrautesten Freunde.

Einer Eurer Freunde! rief Porthos, dieser Bauernschinder?

Still, mein lieber Porthos. Jawohl, es ist wahr, Herr Groslow ist etwas lebhaft, aber ich habe doch zwei gute Eigenschaften bei ihm entdeckt; er ist dumm und stolz.

Porthos riß seine Augen voll Verwunderung auf. Athos und Aramis schauten sich lächelnd an; sie kannten d’Artagnan und wußten, daß er nichts absichtslos tat.

Nun, Ihr sollt ihn selbst beurteilen, sagte d’Artagnan. – Wieso? – Ich stelle ihn Euch diesen Abend vor; er kommt, um mit uns zu spielen. – Oh! oh! rief Porthos, dessen Augen sich bei diesem Wort entflammten, er ist reich? – Er ist der Sohn eines der bedeutendsten Kaufleute in London. – Und er kann Lanzknecht? – Gut, sprach Porthos, wir werden eine angenehme Nacht zubringen. – Eine um so angenehmere, als sie uns eine noch viel bessere Nacht verspricht. – Wieso? – Wir geben ihm diesen Abend eine Spielpartie, er gibt uns morgen eine. – Wo dies? – Ich werde es Euch sagen. Wir haben uns jetzt nur damit zu beschäftigen, daß wir die Ehre, die uns Herr Groslow erzeigt, würdig ausnehmen. Wir halten diesen Abend in Derby an; Mousqueton reitet voraus, und findet sich eine einzige Flasche Wein in der ganzen Stadt, so kauft er sie. Es wäre auch nicht übel, wenn er Vorkehrungen zu einem guten Abendessen träfe, woran Ihr nicht teilnehmt, Athos, weil Ihr das Fieber habt, und Ihr, Aramis, ebenfalls nicht, weil Ihr Malteser Ritter seid und die Späße von Kriegsknechten Euch erröten machen. Hört Ihr wohl? – Ja, erwiderte Porthos, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es begreife. – Porthos, mein Freund, Ihr wißt, daß ich von väterlicher Seite von den Propheten und von mütterlicher von den Sibyllen abstamme, daß ich nur in Gleichnissen und Rätseln spreche; wer Ohren hat zu hören, der höre; wer Augen hat zu sehen, der sehe. Ich kann für den Augenblick nicht mehr sagen.

Gegen fünf Uhr abends ließ man, wie dies verabredet war, Mousqueton vorausreiten, der eine passende Herberge aussuchte.

Den ganzen Tag hatten sich die vier Freunde, aus Furcht, Verdacht zu erregen, dem König nicht genähert, und statt an der Tafel des Obersten Harrison zu speisen, wie sie dies den Tag zuvor getan, speisten sie unter sich zu Mittag.

Zur bestimmten Stunde erschien Groslow. D’Artagnan empfing ihn, wie einen zwanzigjährigen Freund. Porthos maß ihn vom Scheitel bis zu den Zehen und lächelte, als er erkannte, daß er bei weitem kein Mann von seiner Stärke war. Athos und Aramis taten, was in ihren Kräften lag, um den Ekel zu verbergen, den ihnen diese rohe, plumpe Natur einflößte.

Groslow schien mit dem Empfang zufrieden.

Athos und Aramis verhielten sich ihren Rollen gemäß. Um Mitternacht zogen sie sich in ihr Zimmer zurück, dessen Tür man unter dem Vorwand der Bewachung offen ließ. D’Artagnan begleitete sie überdies und ließ Porthos im Kampfe mit Groslow zurück.

Porthos gewann fünfzig Pistolen von Groslow und fand, als dieser sich entfernt hatte, seine Gesellschaft sei doch angenehmer, als er anfangs geglaubt.

Groslow gedachte sich am andern Tag bei d’Artagnan für den Verlust zu entschädigen, den er bei Porthos erlitten hatte, und erinnerte den Gascogner, als er ihn verließ, an das Rendezvous bei seiner Wache.

Der nächste Tag ging wie gewöhnlich vorüber; d’Artagnan ritt vom Kapitän Groslow zum Obersten Harrison und vom Obersten Harrison zu seinen Freunden. Für jeden, der ihn nicht kannte, schien d’Artagnan in seiner gewöhnlichen Gemütsverfassung zu sein; für seine Freunde, nämlich für Athos und Aramis, war seine Heiterkeit Fieber.

Was kann er vorhaben? sagte Aramis.

Wir wollen warten, antwortete Athos.

Porthos sprach nichts, er zählte nur mit zufriedener Miene die fünfzig Pistolen, die er Groslow abgenommen hatte, in seiner Tasche.

Als man abends in Ryston ankam, versammelte d’Artagnan seine Freunde. Sein Gesicht hatte den Charakter sorgloser Heiterkeit verloren, den es den ganzen Tag hindurch als Maske trug. Athos drückte Aramis die Hand und sagte: Der Augenblick naht.

Ja, sprach d’Artagnan, der es gehört hatte, ja, der Augenblick naht; diese Nacht, meine Herren, retten wir den König. Athos bebte, seine Augen entflammten sich.

D’Artagnan, sagte er zweifelnd, nachdem er gehofft hatte, nicht wahr, es ist kein Scherz? Es würde mir allzu wehe tun.

Es ist seltsam, Athos, daß Ihr an mir zweifelt, sprach d’Artagnan. Wann und wo habt Ihr mich mit dem Herzen eines Freundes und dem Leben eines Königs scherzen sehen? Ich habe Euch gesagt und wiederhole es, daß wir heute nacht Karl I. das Leben retten.

Porthos schaute d’Artagnan mit einem Ausdruck hoher Bewunderung an. Aramis lächelte wie ein Hoffender. Athos war bleich wie der Tod und zitterte an allen Gliedern.

Sprecht, sagte Athos.

Wir sind eingeladen, die Nacht bei Herrn Groslow zuzubringen, ihr wißt dies? – Ja, erwiderte Porthos, er hat uns das Versprechen abgenommen, ihm Revanche zu geben. – Wohl. Aber wißt ihr, wo er uns Revanche geben wird? – Nein. – Bei dem König. – Bei dem König! rief Athos. – Ja, meine Herren, bei dem König. Herr Groslow hat diesen Abend die Wache bei Seiner Majestät, und um sich dabei etwas zu zerstreuen, ladet er uns ein, ihm Gesellschaft zu leisten. – Alle vier? sprach Athos. – Gewiß, bei Gott! alle vier; verlassen wir denn unsere Gefangenen? – Ah! ah! rief Aramis. – Laßt hören, sagte Athos zitternd. – Wir begeben uns also zu Groslow, wir mit unseren Degen, ihr mit euern Dolchen; wir vier überwältigen diese acht Dummköpfe und ihren einfältigen Anführer. Herr Porthos, was sagt Ihr dazu? – Ich sage, das ist nicht schwer, erwiderte Porthos. – Wir kleiden den König als Groslow; Mousqueton, Grimaud und Blaisois halten unsere Pferde an der Wendung der ersten Straße, wir schwingen uns auf, und vor Tag sind wir zwanzig Stunden von hier. Nun, wie ist das angesponnen, Athos?

Athos legte d’Artagnan seine Hände auf die Schultern, schaute ihn mit seinem ruhigen, sanften Lächeln an und sprach: Ich erkläre, Freund, daß es kein Geschöpf unter dem Himmel gibt, das Euch an Edelsinn und Mut nahe kommt. Ich wiederhole dir also, d’Artagnan, du bist der Beste von uns, und ich segne und liebe dich, mein teurer Sohn.

Daß ich es nicht gefunden habe! sagte Porthos und schlug sich dabei vor die Stirne; es ist doch ganz einfach.

Doch wenn ich recht begriffen habe, werden wir alle töten, nicht wahr? fragte Aramis.

Athos bebte und wurde sehr bleich.

Gottes Tod! rief d’Artagnan, es wird wohl sein müssen. Ich habe lange über ein Mittel nachgedacht, wie man das vermeiden könnte, aber ich gestehe, daß ich keines finden konnte.

Es handelt sich nicht darum, mit der Lage der Dinge zu feilschen, versetzte Aramis; wie gehen wir zu Werke?

Ich habe einen doppelten Plan entworfen, sagte d’Artagnan.

Laßt den ersten hören, versetzte Aramis.

Sind wir alle vier vereinigt, so stößt jeder von euch auf mein Signal, dieses Signal ist das Wort Endlich, dem zunächst stehenden Soldaten einen Dolch ins Herz; wir unsererseits tun dasselbe. Dann sind einmal vier Mann tot; die Partie wird also gleich, denn wir sind vier gegen fünf; diese fünf ergeben sich, und wir knebeln sie, oder sie verteidigen sich, und man tötet sie. Sollte zufällig unser Bewirter seine Ansicht ändern und bei seiner Partie nur Porthos und mich zulassen, so muß man bei Gott zu den großen Mitteln greifen und doppelt schlagen, das wird etwas lange und stürmisch werden. Ihr haltet euch außen mit Dolchen und eilt auf den Lärm herbei.

Aber, wenn man Euch selbst schlüge? sprach Athos.

Unmöglich, erwiderte d’Artagnan; diese Biertrinker sind zu plump und ungeschickt; übrigens schlagt Ihr an die Gurgel, Porthos, das tötet ebenso schnell und hindert die Leute zu schreien.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und es erschien ein Soldat.

Der Herr Kapitän Groslow, sagte er in schlechtem Französisch, läßt Herrn d’Artagnan und Herrn du Vallon benachrichtigen, daß er sie erwartet.

Wo?

In dem Zimmer des englischen Nebukadnezars, antwortete der Soldat, ein eingefleischter Puritaner.

Es ist gut, erwiderte in vortrefflichem Englisch Athos, dem bei dieser Beleidigung der königlichen Majestät die Röte ins Gesicht gestiegen war; es ist gut, sagt dem Kapitän Groslow, wir kommen.

Als der Puritaner weggegangen war, wurde den Lakaien Befehl gegeben, acht Pferde zu satteln und, ohne daß einer sich von dem andern trennen oder absteigen dürfe, an der Ecke einer Straße zu warten, die ungefähr zwanzig Schritte von dem Hause lag, wo der König einquartiert war.

Die Straße nach der Picardie

Vollkommen sicher in Paris, verhehlten sich Athos und Aramis doch nicht, daß sie große Gefahr liefen, sobald sie den Fuß aus der Stadt setzten; aber man weiß, welche Bedeutung für solche Männer die Gefahr hatte. Überdies ließ sie der Gedanke an ihre Freunde nicht ruhen.

Übrigens war Paris selbst nicht ruhig. Die Lebensmittel begannen zu fehlen, und jenachdem einer von den Generälen des Prinzen von Conti seinen Einfluß wiedergewinnen zu müssen glaubte, veranlaßte er eine kleine Meuterei, die er beschwichtigte, und die ihm für einen Augenblick den Vorrang vor seinen Kollegen verlieh.

Bei einer dieser Meutereien ließ Herr von Beaufort das Haus und die Bibliothek des Herrn von Mazarin plündern, um, wie er sagte, dem armen Volk etwas zu nagen zu geben.

Athos und Aramis verließen Paris nach diesem Staatsstreich, der an dem Abend des Tages stattfand, an dem die Pariser in Charenton geschlagen wurden.

Von Furcht erschüttert, von Parteiungen zerrissen, war Paris, als sie sich entfernten, bereits in größter Not und der Hungersnot nahe. Pariser und Frondeurs, glaubten sie, dasselbe Elend, dieselbe Furcht, dieselben Intriguen im feindlichen Lager zu finden. Ihr Erstaunen war daher groß, als sie, durch Saint-Denis reitend, erfuhren, in Saint-Denis lache und singe man und führe ein lustiges Leben.

Die Edelleute wählten Umwege, anfangs um nicht in die Hände der in der Isle de France zerstreuten Mazariner zu fallen, sodann aber um den Frondeurs zu entgehen, welche die Normandie besetzt hielten und nicht verfehlt haben würden, sie zu Herrn von Longueville zu führen, damit er in ihnen Freunde oder Feinde erkenne. Sobald sie diesen Gefahren entgangen waren, zogen sie auf dem Weg von Boulogne nach Abbeville und folgten ihm Schritt für Schritt, Spur für Spur.

Ihr Suchen war jedoch eine Zeit lang vergebens. Zwei bis drei Herbergen waren bereits besucht worden, zwei bis drei Wirte hatte man bereits befragt, ohne daß irgend eine Andeutung ihre Zweifel erleuchtete oder ihre Nachforschungen leitete, als Athos in Montreuil auf dem Tische, den seine zarten Finger berührten, etwas Rauhes fühlte. Er hob das Tischtuch auf und las auf dem Holz folgende mit einer Messerklinge tief eingegrabene Hieroglyphen:

Porth. – d’Art. – den 2ten Februar.

Vortrefflich, sagte Athos, indem er Aramis die Inschrift zeigte, wir wollten hier über Nacht bleiben; aber es ist unnötig, reiten wir weiter.

Sie stiegen wieder zu Pferd und erreichten Abbeville. Hier hielten sie an, waren aber sehr in Verlegenheit wegen der großen Menge von Gasthöfen. Man konnte nicht in allen einkehren; wie sollte man aber erraten, in welchem ihre Freunde gewohnt hatten?

Glaubt mir, Athos, sagte Aramis, wir dürfen nicht daran denken, in Abbeville etwas zu finden. Sind wir in Verlegenheit, so waren es unsere Freunde auch. Handelte es sich nur um Porthos, – er hätte den prachtvollsten Gasthof gewählt. Aber d’Artagnan hat keine solche Schwäche. Porthos mochte ihm immerhin bemerken, er sterbe vor Hunger, d’Artagnan setzte seinen Weg fort, unerbittlich wie das Geschick, und wir müssen ihn anderswo suchen.

Sie ritten also weiter, aber nichts bot sich ihnen dar. Die Freunde hatten sich eine äußerst schwierige und peinliche Aufgabe gestellt, und ohne den auf ihr Herz wirkenden dreifachen Hebel der Ehre, der Freundschaft und der Dankbarkeit würden die zwei Reisenden hundertmal darauf Verzicht geleistet haben, den Sand zu durchwühlen, die Vorübergehenden zu befragen, die Zeichen zu deuten und die Gesichter zu erforschen.

So kamen sie bis Peronne.

Athos fing an zu verzweifeln. Er machte sich den Vorwurf, nicht sorglich genug geforscht zu haben. Schon waren sie bereit, auf ihrem Wege wieder umzukehren, als Athos in der Vorstadt, die zu den Toren der Stadt führte, an einer weißen Mauer, welche die Ecke einer um den Wall laufenden Straße bildete, eine außerordentlich naive Zeichnung mit Kohle erblickte, die zwei Reiter darstellte, welche wie wahnsinnig galoppierten. Der eine von diesen Reitern hielt in der Hand einen Zettel, worauf in spanischer Sprache die Worte geschrieben waren:

Man folgt uns.

Oho! sagte Athos, das ist klar wie der Tag. Obgleich verfolgt, hat d’Artagnan fünf Minuten hier angehalten. Dies beweist übrigens, daß ihm seine Verfolger nicht sehr nahe waren, und es ist ihm vielleicht gelungen, ihnen zu entkommen.

Aramis schüttelte den Kopf.

Wäre er entkommen, so würden wir ihn gesehen oder etwas von ihm gehört haben.

Ihr habt recht, Aramis, wir wollen weiterreiten.

Es ist nicht möglich, die Unruhe und Ungeduld der zwei Edelleute zu schildern. Sie galoppierten drei bis vier Stunden mit demselben Ungestüm, wie die Reiter an der Wand. Plötzlich sahen sie an einer engen, zwischen zwei Böschungen eingeschlossenen Schlucht die Straße halb durch einen ungeheuren Stein versperrt. Sein ursprünglicher Platz war auf einer Seite der Böschungen angedeutet, und die Höhlung, die er zurückgelassen hatte, bewies, daß er nicht allein hatte rollen können, während seine Schwere anzeigte, daß es der Arme eines Goliath bedurft hatte, um ihn in Bewegung zu setzen.

Aramis hielt an.

Oho! sagte er, den Stein anschauend, hier ist Ajax von Telamon oder Porthos an der Arbeit gewesen. Steigen wir ab, Graf, und untersuchen wir diesen Felsen.

Beide stiegen ab. Der Stein war in der offenbaren Absicht herbeigewälzt worden, Reitern den Weg zu versperren. Man hatte ihn daher querüber gelegt. Aber die Reiter hatten dieses Hindernis gefunden und waren abgestiegen, um es zu beseitigen.

Die Freunde untersuchten den Stein von allen Seiten, die dem Licht ausgesetzt waren, er bot nichts Außerordentliches. Sie riefen nun Blaisois und Grimaud, und allen vieren gemeinschaftlich gelang es, den Felsen umzudrehen. Auf der Seite, welche die Erde berührte, war geschrieben: Acht Chevaulegers verfolgen uns. Gelangen wir bis Compiegne, so kehren wir im Bekränzten Pfauen ein. Der Wirt ist ein Freund von uns.

Das ist etwas Bestimmtes, sagte Athos, und wir werden jedenfalls erfahren, woran wir sind. Gehen wir also.

Ja, sprach Aramis! aber wenn wir dahin gelangen wollen, müssen wir unsern Pferden einige Rast gönnen; denn sie sind fast hin.

Aramis sprach die Wahrheit. Man hielt bei der ersten Schenke an, ließ jedes Pferd ein doppeltes Maß mit Wein befeuchteten Hafer fressen, gönnte den Tieren drei Stunden Ruhe und setzte sich wieder in Marsch. Die Männer selbst waren vor Müdigkeit gelähmt, aber die Hoffnung hielt sie aufrecht.

Sechs Stunden nachher erreichten Athos und Aramis Compiegne und erkundigten sich nach dem Bekränzten Pfauen.

Man zeigte ihnen ein Schild, das den Gott Pan mit einem Kranz auf dem Haupte darstellte.

Die Freunde stiegen ab und fragten den Wirt, einen braven Mann, dickbauchig und kahlköpfig, ob nicht vor mehr oder minder langer Zeit zwei von Chevaulegers verfolgte Edelleute hier gewohnt hätten. Der Wirt holte, ohne zu antworten, aus einer Truhe die Hälfte einer Degenklinge.

Kennt Ihr das? sagte er.

Athos warf nur einen Blick auf die Klinge und sprach:

Das ist der Degen d’Artagnans. – Des Großen oder des Kleinen? fragte der Wirt. – Des Kleinen, antwortete Athos. – Ich sehe, daß Ihr Freunde dieser Herren seid. – Nun, was ist ihnen begegnet? – Sie sind mit verschlagenen Pferden in meinem Hof angekommen, und ehe sie Zeit hatten, das große Tor zu verschließen, erschienen acht Chevaulegers, welche sie verfolgten, hinter ihnen. – Acht, sprach Aramis. Ich wundere mich sehr, daß d’Artagnan und Porthos, zwei Tapfere dieser Art, sich von acht Mann haben verhaften lassen.

Ei, mein Herr, die acht Mann wären auch nicht zu ihrem Ziel gekommen, hätten sie nicht in der Stadt etwa zwanzig Soldaten vom Regiment Royal-Italien, das hier in Garnison liegt, mitgebracht, so daß Eure Freunde buchstäblich durch die Zahl überwältigt worden sind. – Verhaftet also, sagte Athos; weiß man warum? – Nein, mein Herr, man hat sie sogleich weggeführt, und sie hatten nicht einmal Zeit, mir etwas zuzuflüstern. Nur fand ich, als sie abgegangen waren, dieses Stück von einem Degen auf dem Schlachtfeld, als ich zwei Tote und fünf bis sechs Verwundete wegbringen half. – Und ihnen ist nichts widerfahren? fragte Aramis. Ich glaube nicht. – Das ist noch ein Trost. – Wißt Ihr, wohin man sie geführt hat? fragte Athos. – Man hat sie in der Richtung von Louvres weggeführt. – Wir wollen Blaisois und Grimaud hier lassen, sagte Athos; sie sollen morgen mit den Pferden, die uns nicht mehr weiter bringen können, nach Paris zurückkehren. Wir aber nehmen die Post. – Nehmen wir die Post, versetzte Aramis.

Man schickte nach Pferden.

Während dieser Zeit speisten die Freunde in Eile zu Mittag. Sie wollten, wenn sie in Louvres irgend welche Auskunft fänden, ihren Weg sogleich fortsetzen.

Sie erreichten Louvres. Dort gab es keine Herberge. Man trank aber in einer Wirtschaft einen Likör, der durch den Ort schon damals berühmt war.

Wir wollen hier absteigen, sagte Athos; d’Artagnan wird diese Gelegenheit nicht versäumt haben, nicht um ein Glas Likör zu trinken, sondern um uns eine Andeutung zu hinterlassen.

Sie traten ein und verlangten zwei Gläser Likör am Schenktisch, wie d’Artagnan und Porthos sie verlangt haben mußten. Der Schenktisch, auf dem man gewöhnlich trank, war mit einer Zinnplatte bedeckt. Auf diese Platte hatte man mit der Spitze einer dicken Nadel geschrieben:

Rueil, D.

Sie sind in Rueil, sagte Aramis, der diese Inschrift zuerst wahrnahm.

Gehen wir also nach Rueil, sprach Athos.

Das heißt uns in den Rachen des Wolfes stürzen, versetzte Aramis.

Wäre ich der Freund von Jonas gewesen, wie ich der Freund d’Artagnans bin, so würde ich ihm in den Bauch des Walfisches gefolgt sein. Und Ihr hättet dasselbe getan, wie ich, Aramis.

Wahrhaftig, mein lieber Graf, ich glaube, Ihr macht mich besser, als ich bin. Wäre ich allein, so weiß ich nicht, ob ich mich ohne große Vorsichtsmaßregeln nach Rueil begeben würde; aber wohin Ihr geht, gehe ich auch.

Sie nahmen Pferde und ritten nach Rueil.

Athos hatte, ohne es zu ahnen, Aramis den besten Rat gegeben, der sich befolgen ließ. Die Abgeordneten des Parlaments waren soeben in Rueil zu den berüchtigten Konferenzen angelangt, die drei Wochen dauern und den hinkenden Frieden herbeiführen sollten, infolgedessen der Prinz verhaftet wurde. Rueil war voll von Pariser Advokaten, voll Präsidenten, Räten und Rechtsverdrehern aller Art. Der Hof hatte Edelleute, Offiziere und Garden geschickt, und inmitten dieser bunten Gesellschaft war es leicht; so unbekannt zu bleiben, als man nur immer wollte. Überdies hatten die Konferenzen einen Waffenstillstand herbeigeführt, und eine Verhaftung von Edelleuten hätte man in diesem Augenblick, wären sie auch Frondeurs ersten Ranges gewesen, als eine Verletzung des Völkerrechts betrachtet.

Die zwei Freunde wähnten, alle seien mit dem Gedanken beschäftigt, der sie quälte. Sie mischten sich unter die Gruppen, in der Hoffnung, sie würden etwas von d’Artagnan und Porthos hören; aber niemand hatte für anderes Sinn als für Artikel und Amendements. Athos war der Meinung, man müsse geradeswegs zum Minister gehen.

Mein Freund, warf Aramis ein, was Ihr da sagt, ist sehr schön; aber nehmt Euch wohl in acht! Unsere Sicherheit rührt von unserer Verborgenheit her. Wenn wir uns auf irgend eine Weise zu erkennen geben, so werden wir unmittelbar zu unseren Freunden in ein Kerkerloch geworfen, aus dem uns der Teufel nicht mehr herausziehen wird. Überlassen wir nichts dem Zufall, sondern überlegen wir alles recht wohl. In Compiegne verhaftet, wurden sie nach Rueil gebracht, hierüber haben wir in Louvres Gewißheit erlangt; in Rueil sind sie von dem Kardinal verhört worden, der sie nach dem Verhör bei sich behalten oder nach Saint-Germain geschickt hat. In der Bastille sind sie nicht, denn die Bastille ist in den Händen der Frondeurs, und der Sohn Broussels befehligt daselbst. Tot sind sie auch nicht, denn d’Artagnans Tod hätte Lärm gemacht. Was Porthos betrifft, so halte ich ihn für ewig, wie Gott, obgleich er minder geduldig ist. Wir wollen also nicht verzweifeln, sondern warten und in Rueil bleiben, denn ich bin fest überzeugt, sie sind noch in Rueil. Aber was habt Ihr denn? Ihr erbleicht!

Da fällt mir ein, sprach Athos mit beinahe zitternder Stimme, da fällt mir ein, daß Herr von Richelieu im Schlosse von Rueil eine abscheuliche Fallgrube hat anlegen lassen.

Oh! seid unbesorgt, sagte Aramis; Herr von Richelieu war ein Edelmann. Er konnte wie ein König die Größten unter uns am Kopf berühren und durch diese Berührung den Kopf auf den Schultern zum Wanken bringen. Herr von Mazarin aber ist ein Knauser, der uns höchstens am Kragen packen kann. Beruhigt Euch, mein Freund; ich bleibe bei meiner Behauptung: d’Artagnan und Porthos sind ganz gewiß noch am Leben und befinden sich in Rueil.

Gleichviel, sagte Athos, wir sollten vom Koadjutor die Erlaubnis auswirken, den Konferenzen beiwohnen zu dürfen.

Mit all diesen abscheulichen Rechtsverdrehern! Ist das wirklich Euer Gedanke, mein Lieber? Glaubt Ihr, es werde auch nur mit einem Worte von der Freiheit oder der Gefangenschaft d’Artagnans oder Porthos‘ die Rede sein? Nein, meiner Ansicht nach müssen wir ein anderes Mittel suchen.

Ich komme auf meinen ersten Gedanken zurück, versetzte Athos, ich kenne kein anderes Mittel, als das, offen und gerade zu handeln. Ich werde nicht Mazarin, sondern die Königin aufsuchen und ihr sagen: Madame, gebt uns Eure Diener und unsere Freunde zurück.

Aramis schüttelte den Kopf.

Das ist ein letztes Mittel, dessen Anwendung Euch immer noch frei steht, Athos; aber glaubt mir, bedient Euch seiner nur im äußersten Fall; es wird immer noch Zeit sein, seine Zuflucht dazu zu nehmen. Mittlerweile setzen wir unsere Nachforschungen fort!

Sie fuhren also fort zu suchen, zogen so viele Erkundigungen ein, brachten so viele Menschen unter allen erdenkbaren Vorwänden zum Plaudern, bis sie endlich einen Chevauleger fanden, der ihnen gestand, er sei bei der Eskorte gewesen, die d’Artagnan und Porthos von Compiegne nach Rueil gebracht habe. Ohne diesen Chevauleger hätte man nicht einmal etwas von ihrer Ankunft erfahren.

Athos kam immer wieder auf seinen Gedanken zurück, sich zu der Königin zu begeben.

Um zu der Königin zu gehen, sagte Aramis, muß man zuvor zu dem Kardinal gehen; erinnert Euch aber, was ich Euch gesagt habe, wir hätten den Kardinal nicht so bald gesehen, so würden wir auch mit unseren Freunden vereinigt, aber nicht in der Art, wie wir wünschen. Diese Art von Wiedervereinigung hat ganz und gar nichts Verlockendes für mich, das muß ich gestehen. Wir wollen in Freiheit handeln, um gut und rasch handeln zu können. – Ich werde die Königin aufsuchen, sprach Athos. – Wohl, mein Freund, seid Ihr entschlossen, diese Torheit zu begehen, so benachrichtigt mich gefälligst einen Tag zuvor davon. – Warum dies? – Weil ich diesen Umstand benutzen werde, um einen Besuch in Paris zu machen. – Bei wem? – Was weiß ich? Vielleicht bei Frau von Longueville. Sie ist dort allmächtig und wird mich unterstützen. Laßt es mir nur durch irgend jemand sagen, wenn Ihr verhaftet seid. – Warum wollt Ihr die Verhaftung nicht mit mir wagen, Aramis? – Nein, ich danke. – Alle vier verhaftet und vereinigt, sind wir, glaube ich, keiner Gefahr ausgesetzt. Nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden haben wir alle wieder die Freiheit erlangt. – Mein Lieber, seitdem ich Herrn von Chatillon, den Liebling der Damen von Saint-Germain, getötet habe, ist zu viel Glanz um meine Person verbreitet, als daß ich das Gefängnis nicht doppelt fürchten sollte. Die Königin wäre imstande, den Rat Mazarins bei dieser Gelegenheit zu befolgen, und Mazarin würde ihr raten, mich richten zu lassen. – Glaubt Ihr denn, Aramis, sie liebe diesen Italiener so, wie man sagt? – Sie hat auch einen Engländer geliebt. – Ei, mein Lieber, sie ist Frau! – Nein, Ihr täuscht Euch, Athos, sie ist Königin! – Teurer Freund, ich opfere mich auf und verlange eine Audienz bei der Königin. – Gott befohlen, Athos; ich sammle ein Heer. – Wozu? – Um zurückzukehren und Rueil zu belagern. – Wo finden wir uns wieder? – Unter dem Galgen des Kardinals.

Und so trennten sich die zwei Freunde: Aramis, um nach Paris zurückzukehren, Athos, um sich durch einige vorbereitende Schritte einen Weg bis zu der Königin zu bahnen.

Die Dankbarkeit Annas von Österreich

Athos fand viel weniger Schwierigkeiten, als er erwartet hatte, um zu Anna von Österreich zu dringen. Beim ersten Schritt ebnete sich im Gegenteil alles, und die von ihm gewünschte Audienz wurde aus den andern Tag nach dem Lever, dem er durch seine Geburt beizuwohnen berechtigt war, bewilligt.

Eine Menge von Menschen füllte die Gemächer von Saint-Germain. Nie hatte Anna von Österreich im Louvre oder im Palais Royal eine größere Anzahl von Höflingen gehabt, wenn sich auch der vornehmste Adel Frankreichs aus der andern Seite befand.

Aber mitten unter dieser allgemeinen Heiterkeit und dem scheinbaren Leichtsinn verbarg sich eine große Unruhe. Würde Mazarin Minister und Liebling bleiben, oder sollte er, der gleich einer Wolke aus dem Süden gekommen war, von dem Winde, der ihn gebracht, wieder fortgetragen werden? Jeder hoffte, jeder wünschte das letztere, und der Minister fühlte, daß all die Huldigungen, all die höfischen Kriechereien um ihn her einen unter der Furcht und dem Interesse schlecht verborgenen Bodensatz von Haß bedeckte. Es war ihm nicht wohl dabei, denn er wußte nicht, worauf er rechnen, auf wen er sich stützen konnte, denn selbst der Prinz ließ ihn öfters seine innere Abneigung und Verachtung fühlen, ja seine einzige Stütze, die Königin, schien manchmal zu wanken.

Als die Stunde der Audienz gekommen war, meldete man dem Grafen de la Fère, sie werde stattfinden, aber er müsse einige Augenblicke warten, da die Minister mit der Königin Rat zu pflegen hätten.

Es war dies die Wahrheit. Paris hatte soeben eine neue Deputation abgeschickt, die bemüht sein sollte, den Angelegenheiten irgend eine Wendung zu geben, und die Königin beriet sich mit Mazarin über den Empfang, den man den Abgeordneten bereiten sollte. Athos konnte also keinen schlimmern Augenblick wählen, um von seinen Freunden zu sprechen.

Aber er war ein unbeugsamer Mann, der mit seinem einmal gefaßten Entschluß nicht feilschte, wenn ihm dieser Entschluß aus seinem Gewissen hervorgegangen und von seiner Pflicht diktiert schien. Er bestand darauf, eingeführt zu werden, indem er äußerte, wenn er auch weder ein Abgeordneter des Herrn von Conti, noch des Herrn von Beaufort, noch des Herrn von Bouillon, noch des Herrn von Elboeuf, noch des Koadjutors, noch der Frau von Longueville, noch des Herrn Broussel, noch des Parlaments sei und auf eigene Rechnung komme, so habe er darum nichtsdestoweniger Ihrer Majestät wichtige Dinge mitzuteilen.

Sobald die Konferenz vorüber war, ließ ihn die Königin in ihr Kabinett rufen.

Athos wurde eingeführt und nannte sich. Es war ein Name, der zu oft in den Ohren Ihrer Majestät geklungen, zu oft in ihrem Herzen vibriert hatte, als daß ihn Anna von Österreich nicht hätte wiedererkennen sollen. Sie blieb indessen unempfindlich und begnügte sich, den Edelmann mit festem, königlichem Blick anzuschauen.

Ihr erbietet Euch also, uns einen Dienst zu leisten, Graf? fragte Anna von Österreich nach kurzem Stillschweigen.

Ja, Madame, abermals einen Dienst, sprach Athos, ärgerlich darüber, daß ihn die Königin nicht zu erkennen schien.

Anna runzelte die Stirn. Mazarin, der, an einem Tische sitzend, in Papieren blätterte, schaute empor.

Sprecht, sagte die Königin.

Madame, versetzte Athos, zwei meiner Freunde, zwei der unerschrockensten Diener Eurer Majestät, Herr d’Artagnan und Herr du Vallon, von dem Kardinal nach England abgeschickt, sind plötzlich in dem Augenblick verschwunden, wo sie den Fuß wieder auf den Boden Frankreichs setzten, und man weiß nicht, was aus ihnen geworden ist.

Nun? sprach die Königin.

Nun, erwiderte Athos, ich wende mich an das Wohlwollen Eurer Majestät, um das Schicksal dieser zwei Edelleute zu erfahren, wobei ich mir vorbehalte, mich später nötigenfalls an Ihre Gerechtigkeit zu wenden.

Mein Herr, antwortete Anna von Österreich mit jenem Hochmut, der gewissen Menschen gegenüber zur Impertinenz wurde, darum stört Ihr uns mitten unter großen Geschäften, die uns ganz und gar in Anspruch nehmen! Eine Polizei-Angelegenheit! Ei, mein Herr, Ihr müßt wohl wissen, daß wir keine Polizei mehr haben, seitdem wir nicht mehr in Paris sind.

Ich glaube, sprach Athos, sich mit kalter Achtung verbeugend, Eure Majestät hätte nicht nötig, sich bei der Polizei zu erkundigen, um zu erfahren, was aus den Herren d’Artagnan und du Vallon geworden ist. Wenn sie den Herrn Kardinal in Betreff dieser zwei Edelleute befragen wollte, so könnte ihr der Herr Kardinal antworten, ohne etwas anderes, als seine eigenen Erinnerungen ins Verhör zu nehmen.

Aber Gott vergebe mir, versetzte Anna von Österreich mit der ihr eigentümlichen verächtlichen Bewegung der Lippen, ich glaube, Ihr verhört selbst.

Ja, Madame, ich habe beinahe das Recht dazu; denn es handelt sich um Herrn d’Artagnan, hört Ihr wohl, Madame, um Herrn d’Artagnan, sagte er auf eine solche Weise, daß sich unter den Erinnerungen der Frau die Stirn der Königin beugen mußte.

Mazarin begriff, daß es Zeit war, Anna von Österreich zu Hilfe zu kommen.

Mein Herr Graf, sagte er, ich will Euch wohl etwas mitteilen, was Ihre Majestät nicht weiß, ich will Euch mitteilen, was aus diesen zwei Edelleuten geworden ist. Sie sind ungehorsam gewesen und befinden sich im Arrest.

Ich bitte also Eure Majestät, sprach Athos gleich ruhig und ohne Mazarin zu antworten, ich bitte Eure Majestät, diesen Arrest zu Gunsten der Herren d’Artagnan und du Vallon aufzuheben.

Was Ihr von mir verlangt, ist eine Disziplin-Angelegenheit und geht mich nicht an, mein Herr, erwiderte die Königin.

Herr d’Artagnan hat dies nie geantwortet, wenn es sich um den Dienst Eurer Majestät handelte, sprach Athos mit einer würdevollen Verbeugung.

Und er machte zwei Schritte rückwärts, um die Tür wieder zu erreichen. Mazarin hielt ihn auf.

Ihr kommt auch von England? sagte er mit einem Zeichen gegen die Königin, die sichtbar erbleichte und einen heftigen Befehl zu geben im Begriff war.

Und ich habe den letzten Augenblicken des Königs Karl beigewohnt, sprach Athos. Armer König! höchstens der Schwäche schuldig, wurde er von seinen Untertanen so streng bestraft; denn die Throne sind zu dieser Stunde gewaltig erschüttert, und für aufopfernde Herzen ist es nicht gut, wenn sie den Interessen der Fürsten dienen. Es war das zweite Mal, daß Herr d’Artagnan nach England ging; das erste Mal geschah es für die Ehre einer großen Königin, das zweite Mal für das Leben eines großen Königs.

Mein Herr, sprach Anna von Österreich zu Mazarin, mit einem Ton, dessen wahren Ausdruck sie trotz ihrer Verstellungsgabe nicht zu verbergen vermochte, seht, ob sich etwas für diese Edelleute tun läßt.

Madame, erwiderte Mazarin, ich werde alles tun, was Eurer Majestät beliebt.

Tut, was der Herr Graf de la Fère verlangt. Nicht wahr, so heißt Ihr, mein Herr?

Ich habe noch einen andern Namen, Madame, ich nenne mich Athos.

Madame, versetzte Mazarin mit einem Lächeln, das andeutete, daß er auch ein halbes Wort mit größter Leichtigkeit auffaßte, Ihr könnt ruhig sein, Eure Wünsche sollen erfüllt werden.

Ihr habt gehört, mein Herr? sagte die Königin.

Ja, Madame, und ich erwartete nichts anderes von der Gerechtigkeit Eurer Majestät. Ich werde also meine Freunde wiedersehen, nicht wahr, Madame? So versteht es doch Eure Majestät?

Ihr werdet sie wiedersehen, ja, mein Herr. Doch sagt, Ihr gehört zur Fronde?

Madame, ich diene dem König.

Ja, auf Eure Weise.

Meine Weise ist die aller wahren Edelleute, antwortete Athos stolz.

Geht, mein Herr, sprach die Königin, Athos mit einer Gebärde entlassend; Ihr sollt erhalten, was Ihr zu erhalten wünschtet, und wir wissen, was wir zu wissen wünschten.

Dann sich zu Mazarin wendend, nachdem der Türvorhang wieder hinter Athos herabgefallen war, sprach sie:

Kardinal, laßt diesen frechen Menschen verhaften, ehe er den Hof verlassen hat.

Ich dachte bereits daran, sagte Mazarin, und bin glücklich, von Eurer Majestät einen Befehl zu erhalten, den ich mir erbitten wollte. Diese Klopffechter, welche die Überlieferungen aus einer andern Regierung in unsere Zeit herüberbringen, belästigen uns mächtig, und da bereits zwei festgenommen sind, so wollen wir nun auch den dritten hinzufügen.

Athos hatte sich nicht ganz von der Königin betören lassen. Es fiel ihm in ihrem Tone etwas auf, was ihn trotz ihres Versprechens zu bedrohen schien. Aber er war nicht der Mann, sich auf einen einfachen Verdacht zu entfernen, besonders, da man ihm deutlich gesagt hatte, er solle seine Freunde wiedersehen. Er erwartete also in einem der Zimmer, die an das Kabinett stießen, worin er Audienz gehabt hatte, daß man d’Artagnan und Porthos dorthin bringen oder ihn selbst zu ihnen führen werde.

In dieser Erwartung näherte er sich dem Fenster und schaute mechanisch in den Hof. Er sah die Deputation der Pariser hereinkommen, welche erschien, um den bestimmten Ort für die Konferenzen festzusetzen und die Königin zu begrüßen. Es waren dabei Räte vom Parlament, Präsidenten, Advokaten und auch ein paar Männer vom Schwerte. Ein imposantes Geleite harrte ihrer vor dem Gitter.

Athos schaute aufmerksamer, denn mitten unter dieser Menge glaubte er jemand zu erkennen, als er fühlte, daß man leicht seine Schultern berührte.

Er wandte sich um.

Ah! Herr von Comminges, sagte er. – Ja, Herr Graf, und zwar mit einer Sendung beauftragt, wegen deren ich meine Entschuldigung anzunehmen bitte. – Was ist Euer Auftrag? fragte Athos. – Wollt mir Euren Degen geben, Herr Graf. – Athos lächelte, öffnete das Fenster und rief: Aramis!

Ein Edelmann wandte sich um; es war Aramis. Er grüßte den Grafen freundschaftlich.

Aramis, sprach Athos, man verhaftet mich.

Gut, antwortete Aramis phlegmatisch.

Mein Herr, sagte Athos, sich gegen Comminges umwendend und mit aller Höflichkeit seinen Degen überreichend, hier ist mein Degen. Habt die Güte, ihn sorgfältig zu bewahren und mir ihn zurückzugeben, wenn ich das Gefängnis verlasse. Ich halte große Stücke darauf; Franz I. hat ihn meinem Großvater geschenkt. Jetzt sagt, wohin führt Ihr mich?

Zuerst in mein Zimmer, sprach Comminges, die Königin wird sodann Eure Wohnung bestimmen.

Athos folgte, ohne ein Wort beizufügen.

Das Königtum des Herrn von Mazarin

Athos‘ Verhaftung hatte kein Aufsehen erregt und war sogar beinahe unbekannt geblieben. Sie hatte also in keiner Beziehung den Gang der Ereignisse gehemmt, und die von der Stadt Paris abgesandte Deputation wurde feierlich benachrichtigt, sie solle vor der Königin erscheinen.

Die Königin empfing sie stumm und stolz wie immer. Sie hörte die Beschwerden und Bitten der Deputierten; als sie aber ihre Reden geendigt hatten, hätte niemand sagen können, ob sie von ihr gehört worden waren, so gleichgültig war ihr Gesicht geblieben.

Dagegen hörte Mazarin, welcher der Audienz beiwohnte, jedenfalls sehr gut, was die Deputierten verlangten: es war einfach und deutlich in klaren Worten seine Entlassung.

Als die Königin, nachdem die Reden gehalten waren, immer noch stumm blieb, sagte Mazarin: Meine Herren, ich werde mich mit euren Bitten vereinigen, um die Königin zu veranlassen, den Leiden ihrer Untertanen ein Ende zu machen. Ich habe zu ihrer Linderung alles getan, was ich vermochte, und dennoch sagt Ihr, es herrsche allgemein die Ansicht, sie rührten von mir her, dem armen Fremdling, dem es nicht gelungen ist, den Franzosen zu gefallen. Ach, man hat mich nicht begriffen, und das war natürlich. Ich folgte auf den erhabensten Mann, der je dem Szepter der Könige von Frankreich als Stütze gedient hat. Da ich nicht so ehrgeizig bin, ihm gleichkommen zu wollen, so erkläre ich mich für besiegt und werde tun, was das Volk von Paris verlangt. Es steht mir, dem einfachen Privatmann, nicht zu, mir eine solche Wichtigkeit beizulegen, daß ich eine Königin mit ihrem Reich veruneinige. Ihr verlangt, daß ich mich zurückziehe; nun wohl, ich werde mich zurückziehen.

Herr Kanzler, sagte die Königin, sich gegen Seguier umwendend, Ihr werdet die Konferenzen eröffnen; sie finden in Rueil statt. Der Herr Kardinal hat Dinge gesprochen, die mich sehr bewegen mußten; deshalb antworte ich euch nicht ausführlicher. Was das Bleiben oder Gehen betrifft, so bin ich dem Herrn Kardinal zu allzugroßem Dank verpflichtet, um ihm nicht in jeder Beziehung Freiheit in seinen Handlungen zu lassen. Der Herr Kardinal wird tun, was ihm beliebt.

Eine flüchtige Blässe zog sich über das geistreiche Gesicht des ersten Ministers hin. Er schaute die Königin unruhig an. Ihr Gesicht war so unempfindlich, daß man unmöglich darin lesen konnte, was in ihrem Herzen vorging.

Aber, fügte die Königin bei, bis Herr von Mazarin seinen Entschluß kundgegeben hat, sei, ich bitte Euch, nur von dem König die Rede.

Die Abgeordneten verbeugten sich und traten ab.

Wie! rief die Königin, als der letzte von ihnen das Zimmer verlassen hatte, Ihr wolltet diesen Rechtsverdrehern nachgeben?

Madame, sprach Mazarin, sein durchdringendes Auge auf die Königin heftend, es gibt kein Opfer, das ich nicht für das Glück Eurer Majestät mir aufzuerlegen bereit wäre.

Anna neigte das Haupt und versank in eine jener Träumereien, welche bei ihr so gewöhnlich waren. Die Erinnerung an Athos kehrte in ihren Geist zurück. Die kühne Haltung des Edelmannes, seine festen und zugleich so würdigen Worte, die Geister, die er heraufbeschworen hatte, riefen eine Vergangenheit von berauschender Poesie in ihr zurück; die Schönheit, die Jugend, der Glanz einer Liebe mit zwanzig Jahren und die harten Kämpfe ihrer Bundesgenossen, das blutige Ende Buckinghams, des einzigen Mannes, den sie wirklich geliebt hatte, der Heldenmut ihrer ruhmlosen Verteidiger, die sie vor dem doppelten Hasse Richelieus und des Königs gerettet hatten, alles dies tauchte vor ihr auf.

Mazarin schaute sie an, und jetzt, da sie sich allein glaubte und nicht mehr eine ganze Welt von spähenden Feinden um sich hatte, vermochte er ihren Gedanken aus ihrem Gesicht zu folgen, wie man auf den durchsichtigen Seen die Wolken hinziehen sieht.

Man müßte also, murmelte die Königin, dem Sturm weichen, den Frieden erkaufen, geduldig und andächtig auf bessere Zeiten warten?

Mazarin lächelte bitter bei diesen Worten, aus denen er sah, daß sie den Vorschlag des Ministers ernstlich genommen hatte.

Anna hielt den Kopf gesenkt und gewahrte dieses Lächeln nicht. Als sie aber sah, daß sie keine Antwort auf ihre Frage erhielt, schaute sie empor.

Nun, Kardinal, Ihr antwortet mir nicht, was denkt Ihr?

Ich denke, Madame, daß der freche Edelmann, der auf unsern Befehl durch Comminges verhaftet worden ist, auf Herrn von Buckingham, dessen Ermordung Ihr nicht hindertet, auf Frau von Chevreuse, die Ihr in die Verbannung schicken ließt, und auf Herrn von Beaufort anspielte, der auf Euer Geheiß eingekerkert wurde. Spielte er auf mich an, so geschah dies nur, weil er nicht weiß, was ich für Euch bin.

Anna bebte, wie sie dies tat, wenn man sie in ihrem Stolz verletzte; sie errötete und drückte, um nicht zu antworten, ihre spitzen Nägel in ihre schönen Hände.

Er ist ein Mann von gutem Rat, von Ehre und Geist und dabei auch ein Mann von Entschlossenheit, fuhr Mazarin fort. Ihr wißt etwas davon, nicht wahr, Madame? Ich will ihm also sagen, und das ist eine persönliche Gnade, die ich ihm erweise, worin er sich in Beziehung auf mich getäuscht hat. Das, was man mir nämlich vorschlägt, ist in der Tat so gut wie eine Abdankung, und eine Abdankung verdient, daß man darüber nachdenkt.

Eine Abdankung? sprach Anna, ich glaubte, nur die Könige könnten abdanken.

Wohl versetzte Mazarin, bin ich nicht so gut wie König, und sogar König von Frankreich? Am Fuße eines königlichen Bettes, Madame, gleicht mein Ministergewand bei Nacht täuschend einem Königsmantel.

Das war eine Demütigung, wie er sie ihr häufig auferlegte. Nur Elisabeth und Katharina II. blieben zugleich Geliebte und Königinnen für ihre Liebhaber.

Anna von Österreich schaute daher erschreckt auf das drohende Gesicht des Kardinals und sagte: Habt Ihr nicht gehört, daß ich diesen Leuten sagte, Ihr würdet tun, was Euch beliebte?

Dann glaube ich, daß es mir belieben muß, hier zu bleiben; es ist dies nicht allein mein Interesse, sondern, ich wage dies zu behaupten, es gereicht auch zu Eurem Heil.

Bleibt also, mein Herr, ich verlange nichts anderes; aber dann laßt mich nicht beleidigen.

Ihr sprecht von den Anmaßungen der Meuterer und von dem Tone, in dem sie sich ausdrückten? Nur Geduld! Sie haben ein Terrain gewählt, auf dem ich ein geschickterer General bin, als sie: die Konferenzen. Wir werden sie schon durch bloßes Hinhalten bezwingen. Sie haben Hunger; in acht Tagen wird es noch schlimmer stehen.

Ei, mein Gott, ja, ich weiß, daß wir hierdurch zum Ziele gelangen werden; aber es handelt sich nicht um sie allein, nicht sie allein erlauben sich die verletzendsten Beleidigungen gegen mich.

Ah! ich begreife Euch. Ihr meint die Erinnerungen, die diese drei oder vier Edelleute beständig zurückrufen. Aber wir halten sie gefangen, und sie sind schuldig genug, daß wir sie so lange, als es uns zusagt, in Gefangenschaft lassen. Ein einziger ist noch nicht in unserer Gewalt und trotzt uns. Aber den Teufel! es wird uns bald gelingen, ihn seinen Gefährten beizugesellen. Es scheint mir, wir haben schwierigere Dinge vollbracht, als dies. Ich habe vor allem und aus Vorsicht in Rueil, das heißt, in meiner Nähe, unter meinen Augen, im Bereich meiner Hand, die zwei Störrigsten einsperren lassen. Noch heute kommt der dritte dort zu ihnen.

Solange sie Gefangene sind, mag es gut sein, sprach Anna von Österreich; aber sie werden eines Tages herauskommen.

Ja, wenn Eure Majestät sie in Freiheit setzt.

Ah! fuhr Anna von Österreich, ihre eigenen Gedanken beantwortend, fort, in solchen Fällen sehnt man sich nach Paris zurück.

Warum dies?

Nach der Bastille, mein Herr, die so stark und so verschwiegen ist.

Madame, mit den Konferenzen haben wir den Frieden; mit dem Frieden haben wir Paris; mit Paris haben wir die Bastille! Unsere vier Prahler werden darin verfaulen.

Anna von Österreich runzelte leicht die Stirn, während Mazarin zum Abschied ihre Hand küßte.

Mazarin entfernte sich nach diesem halb untertänigen, halb galanten Akte. Anna von Österreich folgte ihm mit dem Blick, und je mehr er sich entfernte, desto deutlicher konnte man ein verächtliches Lächeln auf ihren Lippen hervortreten sehen.

Ich habe, murmelte sie, die Liebe eines Kardinals verachtet, der niemals sagte: Ich werde tun! sondern: Ich habe getan! Dieser kannte sicherere Gewahrsame, als Rueil, düsterere, als die Bastille … Oh! die entartete Welt! …

Die drei Leutnants des Generalissimus

Verabredetermaßen begaben sich Athos und Aramis, als sie den Gasthof zum Grand-Empereur-Charlemagne verließen, ins Hotel des Herzogs von Bouillon.

Die Nacht war rabenschwarz, wiederhallte aber beständig von dem tausendfachen Geräusche einer belagerten Stadt. Auf jedem Schritt traf man Barrikaden, an jeder Biegung der Straßen ausgespannte Ketten, auf jedem Kreuzweg Biwaks. Die Patrouillen zogen, das Losungswort austauschend, aneinander vorbei; die von den verschiedenen Chefs abgeschickten Boten durchzogen die Plätze; lebhafte, die Aufregung der Geister bezeichnende Gespräche wurden zwischen friedlichen Bürgern, die an den Fenstern standen, und ihren kriegerischen Mitbürgern gepflogen, die mit der Partisane auf der Schulter oder der Büchse im Arm in den Straßen umherliefen.

Athos und Aramis machten keine hundert Schritte, ohne von den an den Barrikaden aufgestellten Wachen angehalten und nach dem Losungswort gefragt zu werden; aber sie erwiderten, sie gingen zu Herrn von Bouillon, um ihm eine wichtige Nachricht zu überbringen, und man begnügte sich, ihnen zur Bewachung einen Führer mitzugeben.

Als sie in die Gegend des Hotels Bouillon kamen, begegneten sie drei Reitern, in denen sie unschwer die drei Edelleute aus dem Wachtzimmer wiedererkannten.

Wie zum Teufel, fragte Aramis, können sie sich so in die Nähe des Hotels Bouillon wagen?

Athos lächelte, antwortete aber nicht. Fünf Minuten nachher klopften sie an die Tür des Prinzen.

Es stand eine Schildwache davor, wie dies bei Leuten, die mit einem höheren Grade bekleidet sind, der Fall ist; ein kleiner Posten befand sich sogar im Hofe, bereit, den Befehlen des Leutnants des Prinzen von Conti zu gehorchen.

Herr von Bouillon hatte die Gicht, weshalb man damals auf den Gassen sang:

»Herr von Bouillon, der brave Mann,
Ist mit der Gicht gar übel dran.«

Er lag im Bette, aber trotz dieser Krankheit, die ihn seit einem Monat, das heißt seit der Belagerung von Paris, am Reiten verhinderte, ließ er nichtsdestoweniger sagen, er sei bereit, den Herrn Grafen de la Fère und den Herrn Chevalier d’Herblay zu empfangen.

Die Freunde trafen den Kranken in seinem Zimmer im Bett, aber von militärischem Apparat umgeben. Überall an den Wänden hingen Schwerter, Pistolen, Panzer und Büchsen.

Ah! meine Herren, rief der Herzog, als er die beiden Besucher erblickte, und machte dabei, um sich in seinem Bett zu erheben, eine Anstrengung, die ihm eine Grimasse des Schmerzes entriß. Ihr seid sehr glücklich! Ihr könnt zu Pferde steigen, kommen, gehen, für die Sache des Volkes kämpfen. Ich aber bin, wie ihr seht, an das Bett gefesselt. Ah! die verdammte Gicht! murmelte er mit einer neuen Grimasse, die verdammte Gicht!

Monseigneur, sprach Athos, wir kommen von England, und bei unserer Ankunft in Paris war es unser erstes Geschäft, hierher zu gehen, um uns nach Eurer Gesundheit zu erkundigen.

Großen Dank, meine Herren, großen Dank! versetzte der Herzog. Schlecht steht es mit meiner Gesundheit, wie ihr seht … Die verdammte Gicht! Oh! Ihr kommt von England! Und der König Karl befindet sich wohl, wie ich gehört habe? – Er ist tot, Monseigneur, erwiderte Aramis. – Bah! rief der Herzog erstaunt. – Gestorben auf dem Blutgerüste, verurteilt vom Parlament. – Unmöglich. – Hingerichtet in unserer Gegenwart. – Was sagte mir denn Herr von Flamarens? – Herr von Flamarens? fragte Aramis. – Ja, er geht soeben von hier weg.

Athos lächelte.

Mit zwei Gefährten? sagte er.

Mit zwei Gefährten, ja, antwortete der Herzog, dann aber fügte er mit einer gewissen Unruhe bei: Solltet ihr ihnen begegnet sein?

Ja, auf der Straße, wie mir scheint, sprach Athos.

Die verdammte Gicht! rief Herr von Bouillon, dem offenbar gar nicht wohl war.

Monseigneur, versetzte Athos, es bedarf in der Tat Eurer ganzen Anhänglichkeit an die Sache der Pariser, um leidend, wie Ihr seid, an der Spitze der Armee zu bleiben, und diese Beharrlichkeit nötigt mir und Herrn d’Herblay unsere vollste Bewunderung ab.

Was wollt ihr, meine Herren, man muß sich der öffentlichen Sache opfern. Ich opfere mich auch, wie ihr seht, aber ich gestehe, mit meinen Kräften geht es zu Ende. Der Kopf ist gut, das Herz ist gut, aber diese verdammte Gicht bringt mich um, und ich spreche es offen aus, wenn der Hof meinen Forderungen, meinen billigen Forderungen Gerechtigkeit widerfahren ließe, wenn man mir Domänen im Werte des mir genommenen Fürstentums Sedan gäbe und einige andere Kleinigkeiten gewährte, so zöge ich mich sogleich auf meine Güter zurück und ließe den Hof und das Parlament die Sache unter sich ausmachen.

Und Ihr hättet sehr recht, Monseigneur, sprach Athos.

Nicht wahr, das ist Euer Rat, Herr Graf de la Fère?

Ganz und gar.

Und der Eurige auch, Herr Chevalier d’Herblay?

Vollkommen.

Nun wohl, ich gestehe euch, meine Herren, versetzte der Herzog, daß ich ihn höchst wahrscheinlich befolgen werde. Der Hof macht mir in diesem Augenblick Anerbietungen; es hängt nur von mir ab, sie anzunehmen. Bis zu dieser Stunde habe ich sie zurückgewiesen; da mir aber Männer, wie ihr seid, sagen, ich habe unrecht, und besonders, da mich diese verdammte Gicht in die Unmöglichkeit versetzt, der Pariser Sache Dienste zu leisten, so habe ich meiner Treue große Lust, euern Rat zu befolgen und den Antrag anzunehmen, den mir Herr von Chatillon gemacht hat.

Nehmt ihn an, Prinz, nehmt ihn an, sagte Aramis.

Meiner Treue, ja, es ärgert mich auch, daß ich ihn diesen Abend beinahe von mir gewiesen habe, aber morgen findet eine Konferenz statt, und wir werden sehen.

Die Freunde verbeugten sich vor dem Herzog und entfernten sich. Aber die schmerzlichen Ausrufungen des Herrn von Bouillon folgten ihnen bis in das Vorzimmer. Der arme Prinz litt offenbar wie ein Verdammter.

Als sie zu der Haustür gelangt waren, sagte Aramis zu Athos:

Nun, was denkt Ihr? – Wovon? – Von Herrn von Bouillon. – Mein Freund, ich denke, was das Volk singt, erwiderte Athos:

»Herr von Bouillon, der brave Mann,
Ist mit der Gicht gar übel dran.«

Ich habe deshalb auch nicht das geringste von dem Gegenstand erwähnt, der uns hierher führte, sprach Aramis.

Und daran habt Ihr wohl getan, denn Ihr hättet einen neuen Anfall veranlaßt. Gehen wir zu Herrn von Beaufort.

Die Freunde wanderten nach dem Hotel Vendome.

Es schlug zehn Uhr, als sie daselbst anlangten.

Es war offenbar eine zum Zusammentreffen ganz besonders geeignete Nacht, denn auch hier begegneten sie den Herren von Chatillon und Flamarens im Schloßhof. Sie wechselten mit ihnen ein paar Worte, in denen sie der Hoffnung auf Wiedersehen am nächsten Tage Ausdruck gaben, und stiegen ab.

Kaum hatten sie den Zügel ihrer Pferde ihren Lakaien zugeworfen und sich ihrer Mäntel entledigt, als sich ihnen ein Mann näherte, der, nachdem er sie einen Augenblick betrachtet hatte, einen Schrei des Erstaunens ausstieß und sich ihnen in die Arme warf.

Graf de la Fère! rief dieser Mann. Chevalier d’Herblay! Wie kommt ihr hierher nach Paris?

Rochefort! riefen die Freunde in einem Atem.

Allerdings. Wir sind, wie ihr Wohl erfahren habt, vor vier oder fünf Tagen von Vendome hierhergekommen, und schicken uns an, Mazarin Arbeit zu geben. Ich setze voraus, ihr gehört immer noch zu den Unseren.

Mehr als je. Und der Herzog?

Ist wütend über den Kardinal. Kennt ihr die Erfolge dieses teuern Herzogs? Er ist der wahre König von Paris. Er kann nicht ausgehen, ohne daß man ihn beinahe erdrückt.

Desto besser, sprach Aramis. Aber sagt mir, sind nicht die Herren von Flamarens und Chatillon soeben von hier weggeritten?

Ja, sie haben Audienz bei dem Herzog gehabt. Ohne Zweifel kommen sie im Auftrag Mazarins. Aber ich stehe euch dafür, sie werden eine schlimme Aufnahme gefunden haben.

Gut, sagte Athos; könnte man nicht die Ehre haben, Seine Hoheit zu sehen?

Warum nicht? sogleich. Für euch ist er immer sichtbar, wie ihr wißt. Folgt mir; ich bitte mir die Ehre aus, euch vorstellen zu dürfen.

Rochefort ging voraus. Alle Türen öffneten sich vor ihm. Sie fanden Herrn von Beaufort im Begriffe, sich zu Tische zu setzen. Kaum hatte er aber die zwei Namen, die Rochefort ankündigte, gehört, als er vom Stuhle aufstand, den er gerade dem Tisch näherrücken wollte, und den zwei Freunden entgegenging, indem er lebhaft rief:

Seid willkommen, meine Herren, ihr soupiert doch mit mir, nicht wahr? Boisjoli, sagt Noirmont, ich habe zwei Gäste. Ihr kennt Noirmont, nicht wahr, meine Herren? Es ist mein Haushofmeister, der Nachfolger von Vater Marteau, der die vortrefflichen Pasteten macht, wie ihr wißt. Boisjoli, er soll eins seiner Produkte schicken, aber keins, wie er sie für la Ramée gemacht hat. Gott sei Dank, wir bedürfen der Strickleitern, der Dolche und Maulbirnen nicht mehr.

Monseigneur, sagte Athos, belästigt unsertwegen Euern vortrefflichen Haushofmeister nicht, dessen zahlreiche und verschiedenartige Talente wir kennen. Diesen Abend werden wir mit Erlaubnis Eurer Hoheit nur die Ehre haben, uns nach ihrer Gesundheit zu erkundigen und ihre Befehle entgegenzunehmen.

Ah, was meine Gesundheit betrifft, so seht ihr, meine Herren, daß sie vortrefflich ist. Was jedoch meine Befehle betrifft, so gestehe ich, daß ich sehr in Verlegenheit bin, euch solche zu geben, indem jeder die seinen gibt, und ich am Ende, wenn es so fortgeht, gar keine mehr geben werde.

Wirklich? sprach Athos, ich glaubte doch, das Parlament rechne auf eure Einhelligkeit?

Ah, ja, unsere Einhelligkeit, sie ist gar schön. Mit dem Herzog von Bouillon geht es noch; er hat die Gicht und verläßt sein Bett nicht; mit ihm kann man sich noch verständigen; aber mit Herrn von Elboeuf und seinen Elefanten von Söhnen niemals. Sie schreien und prahlen auf öffentlichen Plätzen; sobald es aber zum Schlagen kommt, dann gute Nacht, kriegerischer Mut.

Doch bei dem Koadjutor ist es hoffentlich nicht so?

Ah! jawohl, bei dem ist es noch schlimmer. Gott bewahre euch vor streitsüchtigen Prälaten, besonders wenn sie einen Panzer über dem Talar tragen. Wißt ihr, was er tut, statt sich ruhig zu verhalten und Tedeum für die Siege zu singen, die wir nicht davontragen, oder für die Siege, wo wir geschlagen werden?

Nein.

Er bildet ein Regiment, dem er seinen Namen gibt: das Regiment Korinth. Er macht Leutnants, Kapitäne, nicht mehr und nicht weniger, als ein Marschall von Frankreich, und Oberste, wie der König.

Ja, sprach Aramis; aber wenn man sich schlägt, wird er hoffentlich in seinem erzbischöflichen Palast bleiben?

Keineswegs. Ihr täuscht Euch, mein lieber d’Herblay. Wenn man sich schlägt, schlägt er sich auch, so daß man ihn, da er durch den Tod seines Oheims Sitz im Parlament erhalten hat, beständig zwischen die Beine bekommt … im Parlament, im Rate, in der Schlacht. Der Prinz von Conti ist ein Phantasie-General, und was für eine Phantasie ist dies! Ein buckeliger Prinz, ein Nußknacker wäre ebensoviel wert. Ah, es geht alles schlecht, meine Herren, alles geht sehr schlecht.

Monseigneur, Euere Hoheit ist also unzufrieden? sprach Athos, einen Blick mit Aramis austauschend.

Unzufrieden, Graf? sagt lieber wütend und zwar dergestalt, daß ich, wenn die Königin alles Unrecht, welches sie gegen mich gehabt hat, anerkennen würde, wenn sie meine verbannte Mutter zurückrufen wollte, wenn sie mir die Anwartschaft auf die Admiralswürde, die meinem Vater gehörte und die mir nach seinem Tod versprochen worden ist, erteilte, keinen Anstand nehmen würde, Hunde abzurichten, die sprechen müßten, es gebe in Frankreich noch größere Diebe, als Herr von Mazarin.

Athos und Aramis tauschten jetzt ein noch viel bezeichnenderes Lächeln aus, und wären sie auch den Herren von Flamarens und von Chatillon nicht begegnet, so hätten sie doch erraten, woher Herrn von Beauforts so sehr geänderte Stimmung komme.

Monseigneur, wir sind nun befriedigt, sprach Athos. Als wir zu dieser Stunde zu Eurer Hoheit kamen, hatten wir keinen andern Zweck, als ihr unsere Ergebenheit an den Tag zu legen und zu sagen, daß wir als ihre gehorsamsten Diener ganz und gar zu ihrer Verfügung stehen.

Als meine treuesten Freunde, meine Herren, als meine treuesten Freunde … Ihr habt es mir bewiesen, und wenn ich mich je mit dem Hof aussöhne, so werde ich euch beweisen, daß ich euer Freund, sowie der Freund jener Herren geblieben bin … wie nennt ihr sie doch?

D’Artagnan und Porthos.

Ah, ja, so ist es. Ihr begreift also, Graf de la Fère, Ihr begreift, Chevalier d’Herblay, ganz und immer euer Freund.

Athos und Aramis verbeugten sich und verließen das Zimmer.

Mein lieber Athos, sprach Aramis, Gott verzeihe mir, ich glaube, Ihr habt mir Eure Begleitung nur geschenkt, um mir eine Lehre zu geben?

Wartet doch, mein Lieber, sprach Athos, es ist noch Zeit zu dieser Bemerkung, wenn wir vom Koadjutor kommen.

Gehen wir also in den erzbischöflichen Palast! erwiderte Aramis.

Und beide wanderten der Altstadt zu. Bei dem Koadjutor sahen sie im Vorzimmer ein ganzes Dutzend vornehmer Herren warten. Sie riefen einen Bedienten und drückten ihm eine halbe Pistole in die Hand, um sofort gemeldet zu werden. Als sie aber erfuhren, es sei soeben der Herr von Bruy beim Koadjutor – unter diesem Namen verbarg sich, wie unseren Lesern bekannt ist, Mazarin selbst–, verzichten sie auf eine Unterredung, schritten durch den Hausen der Lakaien hindurch und verließen den erzbischöflichen Palast.

Nun, fragte Athos, als Aramis und er wieder in der Barke waren, fangt Ihr an zu glauben, daß wir mit der Verhaftung des Herrn von Mazarin diesen Leuten einen sehr schlimmen Streich gespielt haben würden?

Ihr seid die eingefleischte Weisheit, Athos, erwiderte Aramis.

Den zwei Freunden war ganz besonders das geringe Gewicht aufgefallen, das der Hof von Frankreich auf die furchtbaren Ereignisse legte, die sich in England zugetragen hatten, während die Hinrichtung des Königs ihrer Ansicht nach die Aufmerksamkeit von ganz Europa in Anspruch nehmen mußte.

Die zwei Freunde verabredeten, am nächsten Morgen um zehn Uhr wieder beisammen zu sein, denn obgleich die Nacht sehr weit vorgerückt war, als sie an den Gasthof gelangten, behauptete doch Aramis, er habe einige sehr wichtige Besuche zu machen, und ließ Athos allein.

Als es am andern Morgen zehn Uhr schlug, waren sie beisammen. Schon um sechs Uhr morgens war Athos ebenfalls ausgegangen.

Nun, habt Ihr irgend eine Nachricht? fragte Athos. – Keine; man hat d’Artagnan nirgends gesehen, und Porthos ist auch noch nicht erschienen. Und Ihr? – Nichts. – Teufel! rief Aramis. – In der Tat, sprach Athos, dieses Zögern ist nicht natürlich. Sie haben den geradesten Weg eingeschlagen und sollten daher vor uns eingetroffen sein.– Bedenkt dabei noch, daß wir d’Artagnans Hurtigkeit kennen, und wissen, daß er nicht der Mann ist, eine Minute zu verlieren, wenn er weiß, daß wir auf ihn warten. – Er gedachte, wie Ihr Euch erinnert, am fünften hier zu sein. – Und wir haben heute den neunten. Diesen Abend läuft die bestimmte Frist ab. – Was beabsichtigt Ihr zu tun, fragte Athos, wenn wir diesen Abend keine Nachricht haben? – Bei Gott, wir müssen nachforschen. – Gut, versetzte Athos. – Aber, Raoul? fragte Aramis.

Eine leichte Wolke zog über die Stirne des Grafen.

Raoul macht mir große Unruhe, sagte er. Er hat gestern eine Botschaft vom Prinzen von Condé erhalten, ist zu ihm nach Saint-Cloud gegangen und nicht wieder zurückgekehrt. – Habt Ihr Frau von Chevreuse nicht gesehen? – Sie war nicht zu Hause. Aber Ihr, Aramis, Ihr müßt wohl bei Frau von Longueville vorübergekommen sein? – In der Tat, so ist es. – Nun? – Sie war auch nicht zu Hause; aber sie hatte wenigstens die Adresse ihrer neuen Wohnung zurückgelassen. – Wo war sie? – Ratet. – Wie soll ich erraten, wo man um Mitternacht ist? denn ich setze voraus, daß Ihr Euch, als Ihr mich verließet, zu ihr begeben habt. Wie soll ich erraten, wo sich um Mitternacht die schönste und tätigste aller Frondeusen befindet? – Im Stadthause, mein Lieber. – Wie, im Stadthause? Ist sie zur Sekretärin der Handelsleute ernannt worden? – Nein, aber sie hat sich zur interimistischen Königin von Paris gemacht. Und da sie es nicht wagte, sich sofort im Palais-Royal oder in den Tuilerien zu installieren, so quartierte sie sich einstweilen im Stadthause ein, wo sie demnächst diesem lieben Herzog einen Erben oder eine Erbin geben wird. – Ihr habt mir diesen Umstand nicht mitgeteilt, sprach Athos. – Wirklich? eine Vergessenheit; entschuldigt. – Nun sprecht, was wollen wir von jetzt bis zum Abend machen? Es scheint mir, wir sind sehr müßig. – Ihr vergeßt, mein Freund, daß wir ein ganz bestimmtes Geschäft haben. – Wo dies? – Bei Charenton. Ich habe Hoffnung, versprochenermaßen einen gewissen Herrn von Chatillon dort zu treffen, den ich seit langer Zeit hasse. – Und warum? – Weil er der Bruder eines gewissen Herrn von Coligny ist. – Ah, das ist wahr, ich vergaß es … der auf die Ehre Anspruch gemacht hat, Euer Nebenbuhler zu sein. Er ist sehr grausam für diese Kühnheit bestraft worden, mein Lieber, und in der Tat, das müßte Euch genügen. – Ja, aber was wollt Ihr, das genügt mir nicht. Ich bin streitsüchtig, das ist der einzige Punkt, in dem ich kirchlich bin. Ihr begreift übrigens hiernach, Athos, daß Ihr keineswegs genötigt seid, mir zu folgen. – Still, erwiderte Athos, Ihr scherzt. – Gut, mein Lieber; wenn Ihr also entschlossen seid, mich zu begleiten, so haben wir keine Zeit zu verlieren. Man hat die Trommel gerührt, ich begegnete den abziehenden Kanonen und sah die Bürger sich in Schlachtordnung vor dem Stadthause aufstellen. Man wird sich sicherlich bei Charenton schlagen, wie gestern der Herzog von Chatillon gesagt hat. – Ich hätte geglaubt, die Unterredungen in dieser Nacht würden die kriegerische Stimmung ändern. – Allerdings, man wird sich aber dessenungeachtet schlagen, und wäre es nur, um diese Unterredungen zu maskieren. – Arme Leute! versetzte Athos, die sich töten lassen, damit man dem Herrn von Bouillon Sedan zurückgibt, Herrn von Beaufort die Anwartschaft auf die Admiralswürde verleiht, und damit der Koadjutor Kardinal wird. – Stille, stille, mein Lieber, sagte Aramis; gesteht, daß Ihr nicht so sehr Philosoph wäret, wenn Euer Raoul nicht in diesen ganzen Streit verwickelt sein könnte. – Ihr sprecht vielleicht die Wahrheit, Aramis. – Nun, so laßt uns dahin gehen, wo man sich schlägt. Es ist ein sicheres Mittel, d’Artagnan, Porthos und vielleicht sogar Raoul wiederzufinden. – Ach! seufzte Athos. – Mein lieber Freund, sagte Aramis, jetzt, da wir in Paris sind, müßt Ihr durchaus Euer beständiges Seufzen aufgeben. Frisch auf in den Kampf, Athos! Seid Ihr nicht mehr der Mann des Schwertes? Habt Ihr Euch zur Kirche gewendet? Seht, da kommen hübsche Bürger vorüber. Das ist bei Gott lockend. Und dieser Kapitän, er hat beinahe eine militärische Haltung. – Sie kommen aus der Rue du Mouton. – Trommeln voraus, wie wahre Soldaten. Es macht mir kein Vergnügen, mit diesen Leuten hier Kameradschaft zu halten. Wollen wir nicht vorausmarschieren? Wir werden dann alles besser sehen.

Und dann würde Euch Herr von Chatillon auch nicht auf der Place Royale aufsuchen, nicht wahr? Vorwärts, mein Freund.

Habt Ihr Eurerseits nicht ein paar Worte mit Herrn von Flamarens zu sprechen?

Freund, erwiderte Athos, ich habe den Entschluß gefaßt, den Degen nicht mehr zu ziehen, wenn ich nicht durchaus dazu genötigt werde.

Seit wann?

Seitdem ich den Dolch gezogen habe.

Ah! gut, noch eine Erinnerung an Herrn Mordaunt. Es fehlte nur noch, mein Lieber, daß Ihr Gewissensbisse bekämt, weil Ihr diesen Menschen getötet habt.

Stille, sagte Athos, mit dem traurigen Lächeln, das nur ihm eigentümlich war, einen Finger auf seinen Mund legend. Sprechen wir nicht mehr von Mordaunt; das würde uns Unglück bringen.

Und Athos ritt in der Richtung nach Charenton, zuerst an der Vorstadt hin und dann durch das Tal von Fecamp, das von bewaffneten Bürgern ganz schwarz war.

Es versteht sich von selbst, daß ihm Aramis auf eine halbe Pferdelänge folgte.

Das Gefecht von Charenton

Während Athos und Aramis vorrückten und die verschiedenen auf der Straße aufgestellten Korps hinter sich ließen, stießen sie hinter verrosteten und fleckigen Panzern und Partisanen auf glänzende Rüstungen und funkelnde Musketen.

Ich glaube, hier ist das wahre Schlachtfeld, sagte Aramis; seht die Reiter dort mit der Pistole in der Faust vor der Brücke halten. Gebt acht, hier kommt schweres Geschütz.

Ei, mein Lieber, erwiderte Athos, wohin habt Ihr uns geführt? Es scheint mir, ich sehe rings um uns her Gesichter, die zu den Zierden der königlichen Armee gehören. Erscheint dort nicht Herr von Chatillon selbst mit seinen zwei Brigadiers?

Und Athos nahm den Degen in die Faust, während Aramis, welcher glaubte, er habe nun wirklich die Grenzen des Pariser Lagers überschritten, die Hand an seine Halfter legte.

Guten Morgen, meine Herren, sprach der Herzog, sich nähernd; ich sehe, daß ihr nicht begreift, was hier vorgeht. Aber ein Wort wird euch alles erklären. Wir haben in diesem Augenblick Waffenstillstand; es findet eine Konferenz statt, der Prinz, Herr von Retz, Herr von Beaufort und Herr von Bouillon verhandeln in dieser Minute über Politik. Entweder werden die Angelegenheiten nicht in Ordnung gebracht, und wir treffen uns, Chevalier, oder die Sache wird beigelegt, ich werde meines Kommandos überhoben, und wir treffen uns ebenfalls.

Mein Herr, sagte Aramis, Ihr sprecht vortrefflich. Erlaubt mir, eine Frage an Euch zu richten.

Immerhin.

Wo sind die Bevollmächtigten?

In Charenton selbst, im zweiten Hause rechts, wenn man von Paris kommt.

Und diese Konferenz war nicht vorhergesehen?

Nein, meine Herren, sie ist, wie es scheint, das Resultat der Vorschläge, die Herr von Mazarin den Parisern gestern abend hat machen lassen.

Athos und Aramis schauten sich lachend an. Sie wußten besser, als irgend jemand, was für Vorschläge dies waren, wem sie gemacht worden und wer sie gemacht hatte.

Und das Haus, wo die Bevollmächtigten versammelt sind, fragte Athos, gehört… – Herrn von Chanleu, der Eure Truppen in Charenton befehligt. Ich sage Eure Truppen, weil ich annehme, daß die Herren Frondeurs sind. – Beinahe, erwiderte Aramis. – Warum beinahe? – Allerdings, mein Herr; Ihr wißt besser, als irgend jemand, daß man in diesen Zeitläuften nicht genau sagen kann, was man ist. – Wir sind für den König und für die Prinzen, sprach Athos. – Der König ist bei uns, versetzte Chatillon, und hat zu Obergeneralen die Herren von Orleans und Condé. – Ja, sprach Athos, aber sein Platz ist in unseren Reihen mit den Herren von Conti, Beaufort, Elboeuf und Bouillon. – Das kann sein, sagte Chatillon, und ich für meine Person habe sehr wenig Sympathie für Herrn von Mazarin. Meine Interessen sind in Paris; ich habe dort einen großen Prozeß, von welchem mein ganzes Vermögen abhängt, und ich bin, so wie Ihr mich seht, soeben bei meinem Advokaten gewesen, um mich mit ihm zu beraten. – In Paris? – Nein, in Charenton, bei Herrn Viole, den Ihr dem Namen nach kennt … Ein vortrefflicher Mann, etwas eigensinnig, aber nicht ohne Bedeutung im Parlament. Ich hoffte ihn gestern abend zu sehen, unser Zusammentreffen verhinderte mich jedoch, mich mit meinen Angelegenheiten zu beschäftigen. Da diese aber abgemacht werden müssen, so benutzte ich den Waffenstillstand, und so kommt es, daß ich mich in Eurer Mitte befinde. – Und wenn die Konferenzen abgebrochen werden, ohne einen Erfolg herbeizuführen, sagte Athos, so werdet Ihr Charenton zu nehmen suchen? – So lautet der Befehl. Ich kommandiere die Angriffstruppen und werde mein möglichstes tun, um zu siegen. – Mein Herr, sagte Athos, da Ihr die Reiterei befehligt… – Um Vergebung, ich befehlige als Chef. – Noch besser. Ihr müßt alle Eure Offiziere kennen? Ich meine die ausgezeichneten. – O ja, so ziemlich. – Habt die Güte, mir zu sagen, ob unter Euren Befehlen nicht der Chevalier d’Artagnan, Leutnant bei den Musketieren, steht? – Nein, er ist nicht bei uns. Vor mehr als sechs Wochen hat er Paris verlassen, und er befindet sich, wie man sagt, auf einer Sendung in England. – Ich wußte dies; aber ich glaubte, er wäre zurückgekehrt. – Nein, es ist mir auch nicht zu Ohren gekommen, daß ihn irgend jemand gesehen hat. Ich kann Euch um so eher hierüber Antwort erteilen, als die Musketiere zu den Unsrigen gehören und Herr von Chambon einstweilen die Stelle des Herrn d’Artagnan einnimmt.

Die zwei Freunde schauten sich an.

Ihr seht, sagte Athos. – Das ist seltsam, sprach Aramis. – Es muß ihm ein Unglück widerfahren sein. – Wir haben heute den achten, diesen Abend läuft die bestimmte Frist ab. Bekommen wir diesen Abend keine Nachricht, so reisen wir morgen früh.

Athos machte ein bestätigendes Zeichen mit dem Kopf, wandte sich sodann um und fragte:

Herr von Bragelonne, ein junger Mensch von fünfzehn Jahren, in der Umgebung des Prinzen, hat er vielleicht die Ehre, Euch bekannt zu sein, Herr Herzog?

Ja gewiß, erwiderte Chatillon, er ist diesen Morgen mit dem Herrn Prinzen zu uns gekommen; ein herrlicher junger Mann! Gehört er zu Euern Freunden, Herr Graf?

Ja, mein Herr, versetzte Athos sanft bewegt, weshalb ich ihn sogar zu sehen wünsche. Ist das möglich?

Sehr möglich, mein Herr. Wollt mich begleiten, ich führe Euch ins Hauptquartier.

Holla! sprach Aramis sich umwendend. Was ist das für ein gewaltiges Geräusch hinter uns?

In der Tat, ein Reiterhaufen kommt auf uns zu, sagte Chatillon.

Ich erkenne den Koadjutor an seinem Frondehut.

Und ich Herrn von Beaufort an seinen weißen Federn.

Sie kommen im Galopp. Der Prinz ist bei ihnen. Ah, seht, er verläßt sie.

Man schlägt Rappell! rief Chatillon, wir müssen uns erkundigen.

Man sah in der Tat die Soldaten zu ihren Waffen laufen und die Reiter, die zu Fuß waren, sich aus ihre Pferde schwingen. Die Trompeten erklangen, die Trommeln rasselten. Herr von Beaufort zog seinen Degen.

Der Prinz machte ein Rappellzeichen, und alle Offiziere der königlichen Armee, die sich unter die Pariser Truppen gemengt hatten, eilten auf ihn zu.

Meine Herren, sagte Chatillon, der Waffenstillstand ist offenbar aufgehoben; man wird sich schlagen. Kehrt also nach Charenton zurück, denn ich greife binnen kurzem an; seht, der Prinz gibt mir das Signal.

Ein Kornett hob wirklich dreimal die Standarte des Prinzen in die Lust.

Auf Wiedersehen! rief Chatillon und sprengte im Galopp davon, um zu seiner Eskorte zu gelangen.

Athos und Aramis wandten ihre Pferde ebenfalls und begrüßten den Koadjutor und Herrn von Beaufort.

Herr von Bouillon hatte am Ende der Konferenz einen so furchtbaren Gichtanfall bekommen, daß man ihn in einer Sänfte nach Paris hatte zurückbringen müssen.

Dagegen ritt der Herzog von Elboeuf, von seinen vier Söhnen wie von einem Generalstab umgeben, durch die Reihen des Pariser Heeres.

Dieser Mazarin ist eine wahre Schmach für Frankreich, sprach der Koadjutor, den Gürtel seines Degens fester schnallend, den er nach Art der alten militärischen Prälaten unter seinem erzbischöflichen Talar trug. Er ist ein Knauser, der Frankreich gern wie einen Meierhof regieren möchte. Frankreich kann auch nicht eher zu Ruhe und Glück kommen, als bis er das Land verlassen hat. Meine Herren, fuhr er fort, seht, der Feind rückt auf uns zu; ich hoffe, wir werden ihm den halben Weg ersparen.

Und ohne sich darum zu bekümmern, ob man ihm folgte oder nicht, sprengte er fort. Sein Regiment, das nach dem Namen seines Erzbistums Regiment Korinth hieß, setzte sich hinter ihm in Bewegung und begann den Kampf.

Herr von Beaufort ließ seine Reiterei unter der Anführung des Herrn von Noirmoutiers gegen Etampes vorrücken, wo sie einen Wagenzug mit Lebensmitteln abfangen sollte, die von den Parisern ungeduldig erwartet wurden.

Herr von Chanleu hielt sich mit dem Kern seiner Truppe bereit, Widerstand zu leisten, und nach einer halben Stunde hatte der Kampf an allen Enden begonnen.

Der Koadjutor, den der Ruhm des Herrn von Beaufort in Verzweiflung brachte, warf sich vor und tat persönlich Wunder der Tapferkeit. Sein Beruf war bekanntlich das Schwert, und er fühlte sich ungemein glücklich, so oft er vom Leder ziehen konnte, gleichviel für wen oder für was. Wenn er aber hier einen guten Soldaten abgab, so gab er zugleich einen schlechten Feldherrn ab. Er wollte mit sieben- bis achthundert Mann dreitausend überwinden, die sich in einer Masse in Bewegung gesetzt hatten; seine Soldaten wurden aber zurückgeschlagen und langten in völliger Unordnung auf den Wällen an. Aber Chanleus Artilleriefeuer hielt die königliche Armee plötzlich auf, und diese schien einen Augenblick erschüttert zu sein. Dies dauerte jedoch nicht lange, und sie formierte sich wieder hinter einer Gruppe von Häusern und einem kleinen Gehölze.

Chanleu glaubte, der Augenblick sei gekommen. Er rückte an der Spitze von zwei Regimentern hinaus, um die königliche Armee zu verfolgen; aber sie hatte sich, wie gesagt, wieder formiert und kehrte, von Herrn von Chatillon in Person geführt, zum Angriff zurück. Dieser Angriff war so ungestüm und geschickt gelenkt, daß Chanleu und seine Leute fast umzingelt wurde. Chanleu gab Befehl zum Rückzug, und dieser wurde, Fuß für Fuß, Schritt für Schritt, ausgeführt. Unglücklicherweise fiel Chanleu, tödlich getroffen, nach wenigen Augenblicken.

Herr von Chatillon sah ihn fallen und verkündigte laut seinen Tod, der den Mut der Truppen des königlichen Heeres verdoppelte und die zwei Regimenter, mit denen Chanleu seinen Ausfall gemacht hatte, völlig entmutigte. Demzufolge dachte jeder nur an seine eigene Rettung und trachtete nur danach, die Verschanzungen wiederzuerreichen, an deren Fuß der Koadjutor sein halb aufgeriebenes Regiment zu sammeln suchte.

Plötzlich kam eine Schwadron Kavallerie den Siegern entgegen, die mit den Flüchtlingen zusammen in die Verschanzungen eindrangen. Athos und Aramis ritten an der Spitze, Aramis, das Schwert und die Pistole in der Hand, Athos das Schwert in der Scheide, die Pistole im Halfter. Athos war ruhig und kalt, wie auf einer Parade, nur trübte sich sein edler Blick, als er so viele Menschen um unwürdiger Zwecke und Personen willen sich erwürgen sah. Aramis dagegen wurde wie gewöhnlich kampfestoll. Seine lebhaften Augen glühten; sein fein geschnittener Mund lächelte unheimlich; jeder seiner Schwertstreiche traf, und der Kolben seiner Pistole machte dem Verwundeten, der sich zu erheben suchte, den Garaus.

Auf der entgegengesetzten Seite und in den Reihen des königlichen Heeres griffen zwei Reiter, der eine mit einem vergoldeten Panzer, der andere durch ein einfaches Koller beschützt, aus dem die Ärmel eines Leibrockes von blauem Samt hervorsahen, in der ersten Linie an. Der Reiter mit dem vergoldeten Küraß sprengte auf Aramis zu und führte einen Schwertstreich nach ihm, den Aramis mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit parierte.

Ah, Ihr seid es, Herr von Chatillon! rief der Chevalier; seid willkommen, ich erwartete Euch.

Ich hoffe, ich habe Euch nicht zu lange warten lassen, mein Herr, erwiderte der Herzog; in jedem Fall bin ich jetzt hier.

Herr von Chatillon, sprach Aramis und zog aus dem Halfter eine zweite Pistole, die er für diese Gelegenheit aufgespart hatte, ich glaube, Ihr seid ein Mann des Todes, wenn Eure Pistole nicht geladen ist.

Gott sei Dank, mein Herr, rief Chatillon, sie ist geladen.

Der Herzog hob seine Pistole, zielte und schoß. Aramis aber bückte sich in dem Augenblick, wo er den Herzog den Finger an den Drücker legen sah, und die Kugel flog, ohne ihn zu berühren, über ihn hin.

Ah, Ihr habt mich gefehlt, sagte Aramis; aber ich, das schwöre ich bei Gott, ich werde Euch nicht fehlen.

Wenn ich Euch Zeit dazu lasse! rief Herr von Chatillon, gab seinem Pferde die Sporen und sprengte mit gezücktem Degen auf ihn zu.

Aramis antwortete dem Herzog mit seinem bei solchen Gelegenheiten ihm eigentümlichen Lächeln, und Athos, der Herrn von Chatillon mit der Geschwindigkeit eines Blitzes auf Aramis vorrücken sah, öffnete den Mund, um zu rufen: Schießt! schießt doch! als der Schuß losging. Herr von Chatillon öffnete die Arme und fiel auf das Kreuz seines Pferdes.

Die Kugel war ihm durch den Ausschnitt des Panzers in die Brust gedrungen.

Ich bin tot! murmelte der Herzog.

Und er glitt von seinem Pferde auf die Erde herab.

Ich sagte es Euch, mein Herr, und es tut mir nun leid, daß ich mein Wort so gut gehalten habe. Kann ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein?

Chatillon machte ein Zeichen mit der Hand, und Aramis schickte sich an, abzusteigen, als er plötzlich einen heftigen Stoß in die Seite erhielt, es war ein Degenstich, aber der Panzer hatte ihn pariert.

Er wandte sich rasch um und ergriff diesen neuen Gegner beim Faustgelenke; aber zu gleicher Zeit wurden zwei Schreie laut, von Athos und Aramis zugleich ausgestoßen.

Raoul!

Der junge Mann, der zugleich das Gesicht des Chevalier d’Herblay und die Stimme seines Vaters erkannte, ließ seinen Degen fallen. Mehrere Reiter der Pariser Armee kamen in diesem Augenblick auf Raoul zu, aber Aramis deckte ihn mit seinem Schwerte.

Mein Gefangener! Sucht also das Weite! rief er.

Athos nahm während dieser Zeit das Pferd seines Sohnes beim Zügel und führte es aus dem Gemenge.

Der junge Mann wurde von einem Freudenschauer ergriffen, als er seinen Herrn wiedersah. Sie galoppierten nebeneinander, die linke Hand des Jünglings ruhte in Athos‘ Rechter.

Was wolltest Du denn so weit vorn im Treffen machen, mein Freund? fragte Athos den Jüngling; da du nicht besser bewaffnet warst, so warst du, wie mir scheint, hier auch nicht an deinem Platze.

Ich sollte mich heute auch nicht schlagen, Herr; ich war mit einer Sendung an den Kardinal beauftragt und begab mich nach Rueil, als ich Herrn von Chatillon angreifen sah und Lust bekam, an seiner Seite mitzufechten. Da sagte er mir, daß zwei Kavaliere vom Pariser Heere mich suchen, und nannte mir den Grafen de la Fère.

Wie, du wußtest, daß wir hier waren, und wolltest deinen Freund, den Chevalier, töten!

Ich hatte den Herrn Chevalier unter seiner Rüstung nicht erkannt, entgegnete Raoul errötend; aber ich hätte ihn an seiner Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit erkennen sollen.

Ich danke für das Kompliment, mein junger Freund, versetzte Aramis; man sieht, wer Euch Unterricht in der Höflichkeit gegeben hat. Doch Ihr geht nach Rueil, sagt Ihr?

Ja.

Zu dem Kardinal?

Allerdings. Ich habe eine Depesche vom Prinzen für Seine Eminenz.

Er muß sie überbringen, sagte Athos.

Keine falsche Großmut, Graf. Was, zum Teufel! unser Schicksal und, was noch wichtiger ist, das Schicksal unserer Freunde ist vielleicht in dieser Depesche enthalten.

Aber dieser junge Mann soll sich nicht gegen seine Pflicht verfehlen, entgegnete Athos.

Einmal ist dieser junge Mensch Gefangener, was Ihr zu vergessen scheint; was wir tun, ist also dem Kriegsbrauch gemäß; und dann dürfen Sieger in Beziehung auf die Wahl ihrer Mittel nicht so heikel sein. Gebt die Depesche, Raoul.

Raoul zögerte und schaute Athos an, als wollte er einen Verhaltungsbefehl in seinen Augen suchen.

Gib die Depesche, Raoul, sagte Athos; du bist der Gefangene des Chevalier d’Herblay.

Raoul fügte sich mit Widerstreben; aber weniger bedenklich in dieser Hinsicht, als der Graf de la Fère, griff Aramis hastig nach der Depesche, durchlief sie und sagte, sie Athos hinreichend:

So lest, und Ihr werdet in diesem Briefe bei näherer Überlegung einen Umstand finden, den uns die Vorsehung will wissen lassen.

Athos nahm den Brief, seine schöne Stirn faltend, aber der Gedanke, daß in dem Schreiben von d’Artagnan die Rede sei, half ihm seinen Widerwillen gegen das Lesen besiegen.

Der Brief lautete:

Monseigneur, ich werde diesen Abend Eurer Eminenz zur Verstärkung der Truppe des Herrn von Comminges die zehn Mann schicken, die Ihr verlangt. Es sind gute Soldaten, ganz geeignet, den zwei gewaltigen Gegnern standzuhalten, deren Gewandtheit und Entschlossenheit Eure Eminenz so sehr fürchtet.

Oh! oh! rief Athos.

Nun, fragte Aramis, was dünkt Euch von den zwei Gegnern, zu deren Bewachung man außer den Leuten des Herrn von Comminges zehn gute Soldaten braucht? Sieht das nicht ganz nach d’Artagnan und Porthos aus?

Wir streifen den ganzen Tag in Paris umher, sagte Athos, und wenn wir diesen Abend keine Kunde haben, schlagen wir wieder den Weg nach der Picardie ein, und ich stehe dafür, mit Hilfe der Einbildungskraft d’Artagnans werden wir bald irgend eine Andeutung finden, die uns alle Zweifel benimmt.

Nach Frankreich

Nach der furchtbaren Scene, die wir soeben erzählt haben, herrschte lange Zeit tiefe Stille in der Barke. Der Mond, der sich einen Augenblick gezeigt hatte, verschwand hinter den Wolken; alles versank wieder in gräßliche Dunkelheit, und man hörte nichts mehr, als das Pfeifen des Westwindes über der Oberfläche der Wellen.

Porthos brach das Schweigen zuerst.

Ich habe viele Dinge gesehen, sagte er, aber nichts hat mich so sehr bewegt, als das, was ich soeben mit anschaute. So sehr ich aber auch ergriffen worden bin, so erkläre ich euch doch, daß ich mich unendlich glücklich fühle. Es ist eine Zentnerlast von meiner Brust gefallen, und ich atme endlich frei, denn nun ist er mausetot.

Porthos atmete wirklich mit einem Geräusch, das dem gewaltigen Spiele seiner Lungen alle Ehre machte.

Singt nicht so rasch Viktoria, Porthos, sagte d’Artagnan, denn nie waren wir größerer Gefahr preisgegeben. Ein Mensch wird mit einem andern Menschen fertig, aber nicht mit einem Element. Wir sind aber mitten auf der See, mitten in der Nacht, ohne Führer, in einem gebrechlichen Fahrzeug; wirft ein Windstoß unsere Barke um, so sind wir verloren.

Mousqueton stieß einen tiefen Seufzer aus.

Ihr seid undankbar, d’Artagnan, sagte Athos; ja undankbar, daß Ihr an der Vorsehung in dem Augenblick zweifelt, wo sie uns alle auf eine so wunderbare Weise gerettet hat. Glaubt Ihr, sie habe uns an ihrer Hand durch so viel Gefahren geleitet, um uns sodann zu verlassen? Nein, wir sind mit einem Westwind abgefahren, und dieser weht immer noch.

Athos orientierte sich nach dem Polarstern.

Dort ist der Himmelswagen, sagte er weiter, und folglich ist Frankreich da. Überlassen wir uns dem Wind, der uns, wenn er sich nicht ändert, nach der Küste von Calais oder Boulogne treibt. Schlägt die Barke um, so sind wir fünf zusammen so gute Schwimmer, daß wir sie umkehren oder, wenn dies unsere Kräfte übersteigt, uns an sie anhängen können. Wir befinden uns auf dem Weg aller Schiffe, die von Dover nach Calais und von Portsmouth nach Boulogne gehen. Wir werden zweifellos am Tage eine Schifferbarke finden, die uns aufnimmt.

Finden wir aber keine und der Wind dreht sich nach Norden?

Dann wäre es etwas anderes, sagte Athos, wir würden nur auf der andern Seite des Atlantischen Meeres Land finden.

Das heißt, wir würden verhungern, sprach Aramis.

Das ist mehr als wahrscheinlich, versetzte der Graf de la Fère.

Mousqueton stieß einen zweiten Seufzer aus, der noch schmerzlicher klang als der erste.

Als man ihn nach der Ursache seiner Seufzer fragte, erzählte er, er habe einmal in einem Reisebuche gelesen, daß ausgehungerte Reisende den fettesten unter ihnen verzehrt hätten, und daß er selbst wegen seines Wanstes in diesem Falle das erste Opfer zu sein fürchte.

Man kann sich denken, daß diese Befürchtung viel dazu beitrug, die Freunde in eine heitere Stimmung zu versetzen. Des fetten Burschen Besorgnis war übrigens schon deshalb unbegründet, weil bald nach Anbruch des Tageslichtes eine Flüte aus Dünkirchen in Sicht kam.

Die vier Herren, Blaisois und Mousqueton vereinigten ihre Stimmen in einem einzigen Schrei, während Grimaud, ohne etwas zu sagen, seinen Hut an das Ende seines Ruders steckte.

Eine Viertelstunde nachher bugsierte sie das Boot der Flüte. Sie bestiegen das Verdeck des kleinen Fahrzeuges. Grimaud bot dem Patron im Auftrage seines Herrn zwanzig Guineen, und bei gutem Winde setzten um neun Uhr morgens unsere Franzosen den Fuß auf den Boden ihres Vaterlandes.

Donner und Teufel! wie stark fühlt man sich auf diesem Boden, sagte Porthos, mit seinen breiten Füßen tief in den Sand tretend. Nun soll mir einer kommen, mich schief ansehen oder mich verspotten, und er wird sehen, mit wem er es zu tun hat. Bei Gott! ich würde einem ganzen Königreich Trotz bieten.

Und ich, sagte d’Artagnan, ich fordere Euch auf, Eure Herausforderung nicht so laut klingen zu lassen, Porthos, denn es scheint mir, man betrachtet uns hier gar sehr.

Bei Gott! sagte Porthos, man bewundert uns.

Darauf bin ich nicht eitel, das schwöre ich Euch, Porthos, versetzte d’Artagnan; ich sehe nur Leute in schwarzen Röcken und gestehe Euch, daß mich in unserer Lage Schwarzröcke erschrecken.

Es sind die Warenschreiber des Hafens, sagte Aramis.

D’Artagnan überzeugte die Freunde, daß es für sie vorteilhafter sei, nicht in die Stadt zu gehen, sondern sich vorerst mehr verborgen zu halten. Trotz Porthos‘ Drang nach einem Wirtshaus drang des klugen Gascogners Rat durch, und die kleine Schar verschwand bald hinter den Sandhügeln, jedoch nicht, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben.

Nun laßt uns sprechen, sagte Aramis, als man ungefähr eine Viertelmeile zurückgelegt hatte.

Nein, laßt uns fliehen, versetzte d’Artagnan. Wir sind Cromwell, Mordaunt, dem Meere, drei Abgründen, die uns verschlingen wollten, entkommen; wir werden Mazarin nicht entkommen.

Ihr habt recht, d’Artagnan, sprach Aramis, und ich rate sogar, daß wir uns zu größerer Sicherheit trennen.

Ja, ja, Aramis, trennen wir uns, versetzte d’Artagnan.

Porthos wollte sprechen, um sich diesem Entschlusse zu widersetzen, aber d’Artagnan machte ihm durch einen Händedruck begreiflich, er solle schweigen. Porthos war äußerst gehorsam gegen diese Zeichen seines Gefährten, dessen geistige Überlegenheit er mit seinem gutmütigen Charakter stets anerkannte. Er drängte also die Worte zurück, die aus seinem Munde gehen wollten.

Aber warum uns trennen? sprach Athos.

Weil wir, Porthos und ich, von Mazarin an Cromwell abgeschickt worden sind, erwiderte d’Artagnan, und, statt Cromwell zu dienen, dem König Karl I. gedient haben. Kommen wir mit den Herren de la Fère und d’Herblay zurück, so ist unser Verbrechen erwiesen. Kommen wir dagegen allein, so bleibt unser Verbrechen zweifelhaft, und mit dem Zweifel führt man die Menschen sehr weit.

D’Artagnan wußte auch dem Einwände Aramis‘ zu begegnen, wie sie sich in Kenntnis setzen wollten, wenn eine Partei unterwegs festgenommen würde.

Nichts leichter als dies, sagte er. Wir wollen eine bestimmte Marschroute verabreden. Ihr begebt euch nach Saint-Valery, von da nach Dieppe und verfolgt sodann den geraden Weg von Dieppe nach Paris. Wir gehen über Abbeville, Amiens, Peronne, Compiegne und Senlis, und in jeder Herberge, in jedem Hause, wo wir anhalten, schreiben wir mit der Spitze eines Messers an die Wand oder mit einem Diamanten an das Fenster eine Nachricht, welche die von uns, die frei sind, in ihren Nachforschungen zu leiten vermag. Ist es also abgemacht, Athos?

Es ist abgemacht.

Dann teilen wir das Geld, versetzte d’Artagnan; es müssen ungefähr zweihundert Pistolen vorhanden sein. Grimaud, wieviel ist übrig?

Hundertundachtzig Halb-Louisd’or, gnädiger Herr.

Gut. Ah! Vivat! da ist die Sonne. Guten Morgen, liebe Sonne. Obgleich du nicht die Gascogner Sonne bist, so erkenne ich dich doch. Guten Morgen. Ich habe dich sehr lange nicht gesehen.

Ei, ei, d’Artagnan, sprach Athos, spielt nicht den starken Geist, Ihr habt Tränen in den Augen. Wir wollen unter uns stets offenherzig sein, und sollte diese Offenherzigkeit auch unsere guten Eigenschaften ans Licht bringen.

Glaubt Ihr denn, Athos, entgegnete d’Artagnan, man könne in einem Augenblick, der nicht ohne Gefahr ist, zwei Freunde, wie Euch und Aramis, mit kaltem Blut verlassen?

Nein, sprach Athos, kommt in meine Arme, mein Sohn.

Bei Gott! ich glaube, ich weine, rief Porthos schluchzend, wie albern das ist!

Und die vier Freunde umarmten sich in einer Gruppe. Blaisois und Grimaud sollten Athos und Aramis folgen. Mousqueton genügte für Porthos und d’Artagnan.

Man teilte, wie man dies immer getan, das Geld brüderlich. Nachdem man sich sodann noch einmal die Hand gedrückt und gegenseitig die Versicherung einer ewigen Freundschaft erneuert hatte, trennten sich die vier Edelleute, um die verabredeten Wege einzuschlagen, nicht ohne sich zu wiederholten Malen umzuwenden und einander liebevolle Worte zuzurufen, welche die Echos der Dünen zurückgaben.

Endlich verloren sie einander aus dem Gesicht.