XX.

Familien-Angelegenheit.

Athos hatte das rechte Wort gefunden: man mußte aus der Angelegenheit Buckinghams eine Familien-Angelegenheit machen. Eine Familien-Angelegenheit war nicht der Nachforschung des Kardinals unterworfen. Eine Familien-Angelegenheit ging Niemand etwas an. Man konnte sich vor der ganzen Welt mit einer Familien-Angelegenheit beschäftigen.

Aramis hatte den Gedanken gefunden: die Lakaien.

Porthos hatte das Mittel gefunden: den Diamant.

D’Artagnan allein hatte nichts gefunden, obschon er sonst der erfindungsreichste unter den vier Freunden war, aber man muß auch bemerken, daß schon der Name Mylady ihn lähmte. Doch wir täuschen uns, er hatte einen Käufer für seinen Diamant gefunden.

Bei dem Frühstück des Herrn von Treville herrschte die ungezwungenste Heiterkeit. D’Artagnan hatte bereits seine Uniform. Da er beinahe von demselben Wuchse war, wie Aramis, und da Aramis in Folge des reichlichen Honorars von dem Buchhändler, der ihm sein Gedicht abgekauft hatte, wie er behauptet hatte, Alles doppelt besaß, so trat er d’Artagnan eine vollständige Equipirung ab.

D’Artagnan wäre auf dem Höhepunkt seiner Wünsche gestanden, wenn er nicht Mylady wie eine düstere Wolke am Horizont hätte hervortreten sehen.

Nach dem Frühstück kam man überein, sich am Abend in der Wohnung von Athos zu versammeln und dort die Angelegenheit zu Ende zu führen.

D’Artagnan brachte den Tag damit zu, seine Musketier-Uniform in allen Straßen des Lagers zu zeigen.

Am Abend versammelten sich die Freunde zur bestimmten Stunde; es blieben nur noch drei Dinge zu entscheiden:

Was man dem Bruder von Mylady schreiben sollte; Was man der geschickten Person in Tours schreiben sollte; Und welche Bedienten die Briefe besorgen sollten.

Jeder bot den seinigen an. Athos rühmte die Verschwiegenheit Grimauds, der nur sprach, wenn ihm sein Herr den Mund auftrennte; Porthos pries die Kraft Mousquetons, der vier Männer von gewöhnlicher Leibesbeschaffenheit durchprügeln konnte. Aramis vertraute auf die Gewandtheit Bazin’s und sprach mit pomphaften Lobeserhebungen von seinem Kandidaten; d’Artagnan endlich hatte ein vollkommenes Zutrauen zu dem Muth Planchets und erinnerte daran, wie er sich in der so kitzeligen Angelegenheit von Boulogne benommen hatte. Diese vier Tugenden stritten lang um den Preis und gaben zu glänzenden Reden Anlaß, die wir in Betracht ihrer Ausdehnung nicht anführen.

»Leider,« sprach Athos, »müßte der, welchen man abschickt, die vier Tugenden vereinigt besitzen.«

»Aber wo ließe sich ein solcher Bediente finden?«

»Nicht zu finden; ich weiß wohl,« antwortete Athos; »nehmt also Grimaud.«

»Nehmt Mousqueton.«

»Nehmt Bazin.«

»Nehmt Planchet. Planchet ist ehrlich und gewandt, das sind schon zwei von den vier Eigenschaften.«

»Meine Herren,« sprach Aramis, »die Hauptsache ist nicht zu ermessen, welcher von unsern vier Bedienten der verschwiegenste, der stärkste, der gewandteste und der muthigste ist; die Hauptsache ist, daß wir ermessen, welcher das Geld am meisten liebt.«

»Was Aramis sagt, ist sehr vernünftig,« versetzte Athos, »man muß auf die Fehler der Menschen spekulieren, und nicht auf ihre Tugenden. Mein Herr Abbé, Ihr seid ein großer Moralist.«

»Allerdings,« erwiederte Aramis, »denn wir bedürfen guter Bedienung, nicht nur damit unser Plan gelingt, sondern daß wir nicht scheitern, weil es sonst um unsre Köpfe geht, nicht um die der Lakaien …«

»Leiser, Aramis,« sagte Athos.

»Das ist wahr,« sprach Aramis, »nicht um die der Lakaien, sondern um die der Herren. Sind uns unsere Bedienten so sehr ergeben, daß sie das Leben für uns wagen? Nein.«

»Meiner Treu,« entgegnete d’Artagnan, »ich wollte beinahe für Planchet stehen.«

»Gut! mein lieber Freund, so fügt seiner natürlichen Ergebenheit eine schöne Summe bei, wodurch er zu einiger Wohlhabenheit gelangt, und steht dann zweimal für ihn.«

»Eh! guter Gott, Ihr werdet gleichfalls betrogen werden,« sagte Athos, der Optimist war, wenn es sich um Dinge, und Pessimist, wenn es sich um Menschen handelte; »sie werden Alles versprechen, um Geld zu bekommen, und unterwegs wird sie die Furcht abhalten zu handeln. Sind sie einmal gefangen, so bindet man sie; sind sie gebunden, so gestehen sie. Was Teufels, wir sind keine Kinder! Um nach England zu gehen (Athos dämpfte seine Stimme), muß man ganz Frankreich durchreisen, während das Land von Spionen und Kreaturen des Kardinals wimmelt; man muß einen Paß haben, um sich einzuschiffen; man muß Englisch verstehen, um den Weg nach London zu erfragen. Mir kommt die Sache sehr schwierig vor.«

»Keineswegs,« entgegnete d’Artagnan, dem Alles daran lag, die Sache durchzusetzen; »mir kommt sie im Gegentheil ganz leicht vor. Es versteht sich, bei Gott! von selbst, daß, wenn man an Lord Winter von niederträchtigen Dingen, von Abscheulichkeiten des Kardinals …«

»Leiser,« ermahnte Athos.

»Von Intriguen und Staatsgeheimnissen schriebe,« fuhr d’Artagnan sich der Ermahnung fügend fort, »es versteht sich, sage ich, dann von selbst, daß wir bei lebendigem Leibe gerädert würden, aber vergeßt doch um Gottes willen nicht, daß wir ihm, wie Ihr selbst gesagt habt, Athos, in Familienangelegenheiten schreiben, daß wir uns einzig und allein an ihn wenden, damit er Mylady bei ihrer Ankunft in London außer Stand setzt, uns zu schaden. Ich werde ihm einen Brief ungefähr in folgenden Ausdrücken schreiben.«

»Laßt hören,« sagte Aramis und nahm zum Voraus das Gesicht eines Kritikers an.

»Mein Herr und theuer Freund …«

»Ah! ja, theurer Freund, an einen Engländer!« unterbrach ihn Athos. »Gut angefangen, d’Artagnan, schon wegen dieses einzigen Wortes würdet Ihr geviertheilt, statt gerädert.«

»Wohl, es sei, ich werde also ganz kurz »»Mein Herr«« sagen.«

»Ihr könnt sogar Mylord sagen,« erwiederte Athos, der große Stücke auf derartige Äußerlichkeiten hielt.

»Mylord, erinnert Ihr Euch des kleinen Ziegengeheges beim Luxemburg?«

»Gut! jetzt kommt der Luxemburg, man wird glauben, es sei eine Anspielung auf die Königin Mutter! das ist geistreich!« sprach Athos.

»Wohl, setzen wir ganz einfach: Mylord, erinnert Ihr Euch eines gewissen kleinen Geheges, wo man Euch das Leben gerettet hat?«

»Mein lieber d’Artagnan,« sprach Athos, »Ihr werdet stets ein sehr schlechter Briefsteller sein. Wo man Euch das Leben rettete! pfui! das ist nicht würdig; einen anständigen Mann erinnert man nicht an dergleichen Dienste; eine Wohlthat vorwerfen heißt beleidigen.«

»Ah! mein Lieber,« erwiederte d’Artagnan, »Ihr seid unerträglich, und wenn ich unter Eurer Censur schreiben muß, so verzichte ich darauf.«

»Und daran thut Ihr wohl. Handhabt die Muskete und den Degen, mein Freund, bei solchen Uebungen benehmt Ihr Euch vortrefflich; aber überlaßt die Feder dem Herrn Abbé, das ist seine Sache.«

»Ja gewiß,« sprach Porthos, »überlaßt die Feder Aramis, der Thesen in lateinischer Sprache schreibt.«

»Nun wohl, es sei,« sagte d’Artagnan, »entwerft Ihr diesen Brief, Aramis; aber im Namen des heiligen Vaters! nehmt Euch wohl in Acht, ich hechle Euch ebenfalls durch, das sage ich Euch zum Voraus.«

»Das ist mir äußerst angenehm,« antwortete Aramis mit dem naiven Selbstvertrauen, das jeder Dichter besitzt; »aber man theile mir die betreffenden Umstände mit. Ich habe wohl beiläufig gehört, diese Schwägerin sei eine schurkische Person, ich habe sogar selbst den Beweis hiefür erhalten, als ich ihre Unterredung mit dem Kardinal hörte …«

»Leiser, Donner und Teufel!« sprach Athos.

»Aber,« fuhr Aramis fort, »die Einzelheiten sind mir nicht bekannt.«

»Mir auch nicht,« sagte Porthos.

D’Artagnan und Athos schauten sich einige Zeit stillschweigend an. Endlich, als sich Athos etwas gesammelt hatte, machte er, noch bleicher als gewöhnlich, ein Zeichen der Einwilligung. D’Artagnan begriff, daß er sprechen konnte.

»Wohl, so hört, was zu schreiben ist,« versetzte d’Artagnan, »Mylord, Eure Schwägerin ist eine Schändliche, die Euch tödten lassen wollte, um Euch zu beerben; aber sie konnte Euern Bruder nicht heirathen, da sie schon in Frankreich verheirathet war und …« d’Artagnan hielt inne, als ob er nach dem Worte suchte, und schaute Athos an. – »Von ihrem Gatten fortgejagt wurde,« sagte Athos. – »Weil sie gebrandmarkt war,« fuhr d’Artagnan fort. – »Bah!« rief Porthos, »unmöglich! Sie wollte ihren Schwager tödten lassen?« – »Ja.« – »Sie war verheirathet?« fragte Aramis. – »Ja.« – »Und ihr Gatte bemerkte, daß sie eine Lilie auf der Schulter hatte?« rief Porthos. – »Ja.«

Diese drei Ja wurden von Athos, jedes mit düsterer Betonung ausgesprochen.

»Und wer hat die Lilie gesehen?« fragte Aramis. – »D’Artagnan und ich, oder vielmehr, um die chronologische Ordnung zu beobachten, ich und d’Artagnan,« antwortete Athos. – »Und der Gatte dieses abscheulichen Geschöpfes lebt noch?« sprach Aramis. – »Er lebt noch.« – »Ihr wißt es gewiß?« – »Ich weiß es gewiß.«

Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen jeder die Eindrücke nach seiner eigentümlichen Natur in sich verarbeitete.

»Diesmal,« sagte Athos, das Stillschweigen zuerst unterbrechend, »diesmal hat uns d’Artagnan ein vortreffliches Programm gegeben, und das muß man vor Allem schreiben.«

»Teufel, Ihr habt Recht, Athos,« versetzte Aramis, »und der Entwurf ist kitzelig. Der Herr Kanzler käme selbst in Verlegenheit, wenn er einen Brief von dieser Wichtigkeit abfassen müßte, und der Herr Kanzler faßt doch ein Protokoll sehr gut ab. Doch gleich viel, schweigt, ich schreibe.«

Aramis nahm eine Feder, dachte einen Augenblick nach, schrieb acht bis zehn Zeilen mit einer zierlichen Frauenhandschrift, und las sodann mit weicher Stimme, als ob jedes Wort ängstlich von ihm erwogen worden wäre, wie folgt:

»Mylord,

»Die Person, welche Euch diese Zeilen schreibt, hat die Ehre gehabt, den Degen in einem kleinen Gehege der Rue d’Enfer mit Euch zu kreuzen. Da Ihr seitdem wiederholt die Güte hattet. Euch den Freund dieser Person zu nennen, so glaubt sie Euch für diese Freundschaft durch einen guten Rath danken zu müssen. Zweimal wäret Ihr beinahe das Opfer einer nahen Verwandten geworden, die Ihr für Eure Erbin haltet, weil Ihr nicht wißt, daß sie, ehe sie in England eine Ehe eingegangen hatte, bereits in Frankreich verheirathet war; aber das dritte Mal, das Euch jetzt bevorsteht, könntet Ihr unterliegen. Eure Verwandte ist von La Rochelle nach England abgereist. Ueberwacht ihre Ankunft, denn sie hat große, furchtbare Pläne. Wenn ihr durchaus wissen wollt, was sie zu thun fähig ist, so lest ihre Vergangenheit auf ihrer linken Schulter.«

»Das ist vortrefflich,« rief Athos. »Ihr habt die Feder eines Staatssekretärs, mein lieber Aramis. Lord Winter wird wohl auf seiner Hut sein, wenn der Rath überhaupt zu ihm gelangt, und fiele er in die Hände seiner Eminenz, so dürften wir dadurch nicht gefährdet werden. Da jedoch der Bediente, dem die Besorgung übertragen wird, uns glauben machen könnte, er sei in London gewesen, während er in Chatelleraut angehalten hat, so wollen wir ihm nur die Hälfte der Summe geben und die andere Hälfte für die Antwort versprechen. Habt Ihr den Diamant?« fuhr Athos fort.

»Ich habe etwas Besseres, ich habe das baare Geld,« antwortete d’Artagnan.

Und er warf den Sack auf den Tisch. Beim Klange des Goldes schlug Aramis die Augen auf. Porthos bebte, Athos blieb unempfindlich.

»Wie viel ist in diesem Säckchen?« sagte er.

»Siebentausend Livres in Louisd’or zu zwölf Franken.«

»Siebentausend Livres!« rief Porthos; »dieser schlechte, kleine Diamant war siebentausend Livres werth!«

»Es scheint, Porthos, da sie hier liegen; ich glaube nicht, daß unser Freund d’Artagnan von dem seinigen dazu gethan hat.«

»Aber, meine Herren, bei allem dem denken wir gar nicht an die Königin; sorgen wir doch auch ein wenig für die Gesundheit ihres lieben Buckingham, das sind wir ihm mindestens schuldig.«

»Ganz richtig,« sprach Athos, »doch das geht Aramis an.«

»Wohl,« sagte dieser erröthend, »was soll ich thun?«

»Das ist ganz einfach,« antwortete Athos, »einen zweiten Brief an die gewandte Person schreiben, welche in Tours wohnt.«

Aramis nahm die Feder wieder auf, dachte abermals einen Augenblick nach und schrieb folgende Zeilen, die er sogleich der Billigung seiner Freunde unterwarf:

»Meine liebe Base …«

»Ah! ab!« sagte Athos, »diese gewandte Person ist mit Euch verwandt?«

»Geschwisterkind,« sprach Aramis.

»Also Base.«

Aramis fuhr fort:

»Meine liebe Base, Seine Eminenz der Kardinal, den Gott zum Wohle Frankreichs und zur Schmach der Feinde des Reiches erhalten möge, ist auf dem Punkte, den ketzerischen Rebellen von La Rochelle den Garaus zu machen; es ist wahrscheinlich, daß die Hülfe der englischen Flotte nicht einmal vor dem Platz ankommen wird; ich möchte beinahe sagen, ich weiß gewiß, daß Herr von Buckingham durch ein gewisses Ereigniß verhindert sein wird, abzureisen. Seine Eminenz ist der erhabenste Politiker der Vergangenheit, der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft. Er würde die Sonne auslöschen, wenn sie ihn genirte. Theilt diese glücklichen Nachrichten Eurer Schwester mit, meine liebe Base. Ich träumte, der verdammte Engländer wäre tot. Ich weiß nicht mehr, ob durch Eisen oder durch Gift; nur dessen bin ich gewiß, daß er tot war und Ihr wißt, meine Träume täuschen mich nie. Haltet Euch also versichert, mich bald zurückkommen zu sehen.«

»Vortrefflich,« rief Athos; »Ihr seid der König der Dichter, Ihr sprecht wie die Apokalypse und seid wahr wie das Evangelium. Es braucht jetzt nur noch die Adresse auf den Brief gesetzt zu werden.

»Das ist sehr leicht,« sagte Aramis.

Er legte den Brief niedlich zusammen und schrieb:

»An Mademoiselle Michon, Weißnäherin in Tours.«

Die drei Freunde schauten sich lachend an. Sie waren getäuscht.

»Nun begreift Ihr wohl, meine Herren,« sagte Aramis, »daß Bazin allein diesen Brief nach Tours bringen kann. Meine Base kennt nur Bazin und hat nur zu ihm Vertrauen. Bei jedem Andern würde die Sache scheitern. Ueberdies ist Bazin ehrgeizig und gelehrt. Bazin hat die Geschichte gelesen, meine Herren, er weiß, daß Sixtus V. Pabst geworden ist, nachdem er Schweine gehütet, und da er zugleich mit mir zur Kirche übertreten will, so verzweifelt er nicht daran, selbst einmal Pabst oder wenigstens Kardinal zu werden. Ihr begreift, daß ein Mensch, der solche Absichten hegt, sich nicht fangen läßt, oder wenn er gefangen wird, eher das Märtyrerthum erduldet, als daß er spräche.«

»Sehr gut,« sagte d’Artagnan, »ich lasse Euch gerne Bazin gelten, laßt mir dagegen Planchet gelten. Mylady hat ihn einst mit Stockschlägen aus dem Hause gejagt. Planchet aber hat ein gutes Gedächtniß, und wenn er irgendwo eine Rache wittern kann, so würde er sich eher bei lebendigem Leibe rädern lassen, als darauf Verzicht leisten. Sind die Angelegenheiten von Tours die Eurigen, Aramis, so sind die von London die meinigen. Ich bitte also, Planchet zu wählen, welcher überdies schon einmal mit mir in London gewesen ist und ganz deutlich auszusprechen versteht: London, Sir, if you please und my master, Lord d’Artagnan. Mit diesem wird er seinen Weg hin und zurück machen, Ihr könnt ganz unbesorgt sein.«

»In diesem Fall,« sprach Athos, »muß Planchet siebenhundert Livres für die Hinreise und siebenhundert für die Rückreise bekommen, und Bazin dreihundert für die Hinreise und dreihundert für die Rückreise. Dadurch schmilzt die Summe auf fünftausend Livres herab. Wir nehmen jeder Tausend Livres, um sie nach Gutdünken zu verbrauchen, und behalten einen Fonds von tausend Livres übrig, den der Abbé für außerordentliche Fälle oder gemeinschaftliche Bedürfnisse aufbewahrt. Ist Euch dies angenehm?«

»Mein lieber Athos,« sagte Aramis, »Ihr sprecht wie Nestor, der, wie Jedermann weiß, der weiseste der Griechen war.«

»Gut, das ist abgemacht,« versetzte Athos. »Planchet und Bazin werden reisen. Im Ganzen ist es mir nicht leid, daß Grimaud bei mir bleibt. Er ist an meine Art und Weise gewöhnt, und darauf halte ich große Stücke. Der gestrige Tag hat ihn bereits etwas erschüttert, diese Reise würde ihn zu Grund richten.«

Man ließ Planchet kommen und gab ihm seine Instruktionen. Er wurde von d’Artagnan unterrichtet, der ihm zuerst den Ruhm, dann das Geld und endlich die Gefahr ankündigte.

»Ich werde den Brief im Aufschlag meines Rockes tragen,« sagte Planchet, »und ihn verschlingen, wenn man mir ihn nehmen will.«

»Aber dann kannst Du Deinen Auftrag nicht besorgen,« entgegnete d’Artagnan.

»Ihr gebt mir diesen Abend eine Abschrift, die ich auswendig lerne.«

D’Artagnan schaute seine Freunde an, als wollte er sagen:

»Nun, was hatte ich Euch versprochen?«

»Du hast acht Tage,« fuhr er, sich an Planchet wendend, fort, »um zu Lord Winter zu gelangen. Du hast acht Tage, um hieher zurückzukommen. Im Ganzen sechzehn Tage. Wenn Du am sechszehnten Tage nach Deiner Abreise Abends nicht zurückgekommen bist, kein Geld, und wenn es acht Uhr fünf Minuten wäre.«

»Dann kauft mir eine Uhr, gnädiger Herr,« sprach Planchet.

»Nimm diese,« sagte Athos und gab ihm mit seiner sorglosen Großmuth die seinige, »sei ein braver Bursche und bedenke, daß Du, wenn Du plauderst, Schuld bist, daß Deinem Herrn, der so großes Vertrauen auf Deine Treue setzt und für Dich haftete, der Hals abgeschnitten wird. Aber bedenke auch, daß ich Dich, wenn durch Deine Schuld d’Artagnan ein Unglück widerfährt, überall finden werde, um Dir den Bauch aufzuschlitzen.«

»Oh, gnädiger Herr!« sagte Planchet, gedemüthigt durch diesen Verdacht und besonders erschrocken über die ruhige Miene des Musketiers.

»Und ich,« rief Porthos, seine große Augen in ihren Höhlen rollend, »bedenke, daß ich Dich lebendig erdroßle.«

»Oh, gnädiger Herr!«

Und Planchet fing an zu weinen; wir vermögen nicht anzugeben, ob dies aus Schrecken wegen der Drohungen, die man gegen ihn ausstieß, oder aus Rührung darüber geschah, daß er die vier Freunde so enge verbunden sah.

D’Artagnan faßte ihn bei der Hand und sprach:

»Siehst Du, Planchet, diese Herren sagen Dir dies Alles aus Liebe für mich, aber im Grunde sind sie Dir wohl geneigt.«

»Ah, gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »entweder schlage ich mich durch, oder man schneidet mich in Stücke, und wenn man mich in Stücke schneidet, so dürft Ihr überzeugt sein, daß keines davon sprechen wird.«

Es wurde beschlossen, daß Planchet am andern Morgen um acht Uhr abgehen sollte, damit er, wie er gesagt hatte, während der Nacht den Brief auswendig lernen könnte. Bei dieser Anordnung gewann er gerade zwölf Stunden. Er mußte am sechszehnten Tage Abenos acht Uhr zurückgekommen sein.

Als er am andern Morgen zu Pferde steigen wollte, nahm d’Artagnan, der eine gewisse Vorliebe für den Herzog von Buckingham in seinem Innern fühlte, Planchet bei Seite und sprach:

»Höre, wenn Du den Brief Lord Winter zugestellt und er ihn gelesen hat, so sagst Du ihm noch weiter; »»Wacht über Seine Herrlichkeit, Lord Buckingham, denn man will ihn ermorden!«« Siehst Du, Planchet, das ist aber so ernst und so wichtig, daß ich es nicht einmal meinen Freunden gestehen wollte; ich vertraue nur Dir dieses Geheimniß an, und ich möchte es nicht für eine Kapitänsstelle niederschreiben.«

»Seid unbesorgt, gnädiger Herr,« sprach Planchet, »Ihr werdet sehen, ob man auf mich zählen kann.«

Und auf einem vortrefflichen Pferd, von dem er sich zwanzig Meilen von da trennen sollte, um die Post zu nehmen, ritt Planchet im Galopp von dannen, das Herz ein wenig gepreßt durch das traurige Versprechen, das ihm die Musketiere gemacht hatten, aber im Ganzen in der besten Stimmung.

Bazin ging am andern Tag nach Tours ab und hatte acht Tage, um seinen Auftrag zu besorgen.

Die vier Freunde hatten, wie man sich leicht denken kann, während der ganzen Dauer dieser zwei Abwesenheiten, mehr als je ihre Augen auf der Lauer, die Nase im Winde und das Ohr im Horchwinkel.

Sie verbrachten ihre Tage damit, daß sie zu erfahren suchten, was man sagte, daß sie die Gänge des Kardinals beobachteten und die ankommenden Couriere ausspähten. Mehr als einmal wurden sie von einer unüberwindlichen Angst befallen, wenn man sie zu irgend einem unerwarteten Dienste rief. Sie hatten sich übrigens zu ihrer eigenen Sicherheit zu hüten: Mylady war ein Gespenst, das, wenn es einmal den Menschen erschienen war, sie nicht mehr ruhig schlafen ließ.

Am Morgen des achten Tages trat Bazin frisch, wie immer, und lächelnd, wie gewöhnlich, in die Schenke zum Parpaillot ein, wo die vier Freunde gerade beim Frühstücke saßen, und sagte, wie dies verabredet war:

»Herr Aramis, hier ist die Antwort Eurer Base.«

Die vier Freunde tauschten einen freudigen Blick aus, die Hälfte des Geschäftes war abgemacht. Allerdings war es die kürzere und leichtere.

Aramis nahm unwillkürlich erröthend den Brief, der von einer plumpen Handschrift und ohne Orthographie war.

»Guter Gott!« rief er lachend, »ich gerathe gewiß noch in Verzweiflung, nie wird die arme Michon wie Herr von Voiture schreiben.«

»Was soll das heißen: die arme Michon?« fragte der Schweizer, welcher, als der Brief ankam, gerade in einem Gespräch mit den vier Freunden begriffen war.

»Oh! mein Gott, weniger als nichts,« antwortete Aramis, »eine kleine reizende Nähterin, die ich sehr lieb habe, und von der ich mir einige Zeilen ihrer Hand als Andenken erbat.«

»Gottes Blut!« rief der Schweizer, »wenn ihre Seele so groß ist, als ihre Handschrift, so sitzt Ihr sehr im Glücke, mein Kamerad.«

»Laßt sehen, was sie mir schreibt,« sagte Athos.

Athos warf einen Blick auf das Papier und laß, um jeden Verdacht zu entfernen, der hätte entstehen können, ganz laut:

»Mein Vetter, meine Schwester und ich, wir errathen die Träume sehr gut und wir haben eine furchtbare Angst davor; aber von Eurem wird man hoffentlich sagen können: Träume Schäume. Adieu! Bleibt gesund und macht, daß wir von Zeit zu Zeit etwas von Euch hören.

Aglaë Michon.«

»Von welchem Traume spricht sie?« fragte der Dragoner.

»Ei, bei Gott!« rief Aramis, »das ist ganz einfach, von einem Traume, den ich gehabt und ihr erzählt habe.«

»Ah ja, bei Gott! Das ist ganz einfach, wenn man seine Träume erzählt. Aber ich, was mich betrifft, ich träume nie.«

»Ihr seid sehr glücklich,« sagte Athos aufstehend, »und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«

»Nie,« versetzte der Schweizer, entzückt, daß ein Mann wie Athos ihn um etwas beneidete, »nie, nie!«

Als d’Artagnan sah, daß Athos aufstand, machte er es ebenso, nahm ihn beim Arm und ging mit ihm hinaus.

Porthos und Aramis blieben zurück, um den Späßen des Dragoners und des Schweizers die Spitze zu bieten.

Bazin legte sich auf einen Bund Stroh nieder, und da er mehr Einbildungskraft als der Schweizer hatte, so träumte er, Aramis sei Papst geworden und schmücke ihn mit einem Kardinalshut.

Aber Bazin hatte, wie gesagt, durch seine glückliche Rückkehr den vier Freunden nur einen Theil der Unruhe benommen, welche auf ihnen lastete. Die Tage des Wartens sind lang und d’Artagnan besonders hätte gewettet, jeder Tag habe achtundvierzig Stunden.

Er vergaß die nothwendige Langsamkeit der Schifffahrt, er stellte sich die Macht Myladys allzu groß vor, er verlieh dieser Frau, die ihm einem Dämon ähnlich zu sein schien, übernatürliche Mittel; er bildete sich bei dem geringsten Geräusche ein, man komme, um ihn zu verhaften, und bringe Planchet herbei, um ihn mit ihm und seinen Freunden zu confrontiren. Diese Unruhe war so groß, daß sie auch Porthos und Aramis ergriff; nur Athos blieb unempfindlich. Er war, als ob es gar keine Gefahr um ihn her gäbe und als ob er seine gewöhnliche Atmosphäre athmete.

Am sechszehnten Tage besonders wurden diese Zeichen der Aufregung bei d’Artagnan und seinen zwei Freunden so sichtbar, daß sie nicht am Platze bleiben konnten und wie Schatten auf dem Wege umherirrten, auf welchem Planchet zurückkehren sollte.

»Wahrlich,« sagte Athos zu ihnen, »Ihr seid Kinder, daß Euch eine Frau so bange macht. Ei, was kann denn am Ende geschehen? Daß man uns einsperrt? Man wird uns auch wieder aus dem Gefängnisse ziehen, wie man Madame Bonacieux herausgezogen hat. Daß man uns enthauptet? Jeden Tag setzen wir uns im Laufgraben noch viel Schlimmerem aus, denn eine Kugel kann uns das Bein zerschmettern und ich bin überzeugt, daß uns ein Wundarzt bei Weitem größere Schmerzen verursacht, wenn er uns den Schenkel abschneidet, als ein Henker, wenn er uns den Kopf abschlägt. Seid also ruhig: in zwei Stunden, in vier, in sechs Stunden spätestens wird Planchet hier sein; denn er hat einzutreffen versprochen, und ich setze großes Vertrauen auf die Versprechungen Planchets.«

»Aber wenn er nicht kommt?« fragte d’Artagnan.

»Wenn er nicht kommt, nun so wird er aufgehalten worden sein. Das Pferd kann ihn abgeworfen haben, es kann einen Sprung über die Brücke gemacht haben, er kann so rasch gelaufen sein, daß er eine Brustentzündung bekommen hat. Ei, meine Herren, wir müssen auch die Ereignisse in Rechnung bringen. Das Leben ist ein großer Rosenkranz von kleinen Unglücksfällen, die der Philosoph lachend abkörnt. Seid Philosophen, wie ich, meine Herren, setzt Euch zu Tische und trinkt. Nichts läßt die Zukunft so rosenfarbig erscheinen, als wenn man sie durch ein Glas Chambertin anschaut.«

»Das ist sehr gut,« antwortete d’Artagnan, »aber ich bin es müde, bei jedem Schluck fürchten zu müssen, der Wein könnte aus Myladys Keller kommen.«

»Ihr seid sehr heikel,« sagte Athos, »eine so schöne Frau!«

»Eine Gebrandmarkte!« rief Porthos mit seinem plumpen Lachen.

Athos bebte, strich mit der Hand über die Stirne, um den Schweiß abzutrocknen, und stand ebenfalls mit einem Nervenzittern auf, das er nicht zu bewältigen vermochte.

Der Tag ging indessen hin und der Abend kam noch langsamer heran, aber er kam doch endlich; die Trinkstuben füllten sich mit Gästen. Athos, der seinen Antheil an dem Diamant in die Tasche gesteckt hatte, verließ den Parpaillot nicht mehr. Er fand in Herrn von Busigny, der ihnen übrigens ein vortreffliches Mittagsmahl gegeben hatte, einen würdigen Partner. Sie spielten wie gewöhnlich miteinander, als es sieben Uhr schlug: man hörte die Patrouillen vorüberziehen, welche die Posten verdoppelten. Um halb acht Uhr wurde Retraite geschlagen.

»Wir sind verloren,« sagte d’Artagnan Athos in das Ohr.

»Ihr wollt sagen: wir haben verloren,« erwiderte Athos ruhig und warf zehn Louisd’or auf den Tisch, die er aus seiner Tasche gezogen hatte. »Auf, meine Herren,« fuhr er fort; »man schlägt die Retraite, gehen wir schlafen.«

Athos verließ den Parpaillot, von d’Artagnan gefolgt. Aramis gab Porthos den Arm und kam hinter ihnen. Aramis kaute Verse und Porthos riß sich von Zeit zu Zeit ein Haar aus dem Schnurrbart als Zeichen der Verzweiflung.

Aber plötzlich zeigte sich in der Dunkelheit ein Schatten, dessen Form d’Artagnan bekannt war und eine Stimme sagte:

»Gnädiger Herr, ich bringe Euch Euern Mantel, denn es ist frisch heute Abend.«

»Planchet!« rief d’Artagnan trunken vor Freude.

»Planchet!« riefen Porthos und Aramis.

»Ja wohl, Planchet!« sagte Athos. »Was ist darüber zu staunen? Er hatte versprochen, um acht Uhr zurückzukommen, und eben schlägt es acht Uhr. Bravo, Planchet, Ihr seid ein Mann von Wort, und wenn Ihr je Euern Herrn verlaßt, so nehme ich Euch in meine Dienste.«

»Oh! nein, nie,« sagte Planchet, »nie verlasse ich Herrn d’Artagnan.«

Und in demselben Augenblick fühlte d’Artagnan, daß ihm Planchet ein kleines Billet in die Hand schob.

D’Artagnan hatte große Lust, seinen Planchet zu umarmen, aber er fürchtete, dieses Freundschaftszeichen gegen seinen Lakaien auf offener Straße könnte einem Vorübergehenden auffallend erscheinen, und er hielt sich zurück.

»Ich habe das Billet,« sagte er zu Athos und zu seinen Freunden.

»Das ist gut,« sprach Athos, »kehren wir nach Hause und lesen wir es.«

Das Billet brannte d’Artagnan in der Hand. Er wollte seinen Marsch beschleunigen; aber Athos nahm ihn beim Arme, faßte ihn fest, und der junge Mann war genöthigt, gleichen Schritt mit seinem Freunde zu halten.

Endlich trat man in das Zelt ein und zündete eine Lampe an. Während Planchet bei der Thüre blieb, damit die vier Freunde nicht überrascht würden, erbrach d’Artagnan mit zitternder Hand das Siegel und öffnete den so sehnsüchtig erwarteten Brief.

Er enthielt eine halbe Zeile von ächt brittischer Handschrift und lakonischer Gedrängtheit:

»Thank you! be easy.« Was sagen sollte: »Ich danke, seid ruhig.«

Athos nahm d’Artagnan den Brief aus den Händen, näherte ihn der Lampe, brannte ihn an und ließ ihn nicht aus dem Auge bis er in Asche verwandelt war.

Dann rief er Planchet und sagte:

»Nun, mein Junge, kannst Du die siebenhundert Livres fordern; aber Du wagtest nicht viel mit einem Billet wie dieses hier.« – »Das hielt mich nicht ab, alle möglichen Mittel zu ersinnen, um es zu bewahren,« sprach Planchet. – »Nun erzähle uns,« sagte d’Artagnan. – »Das wäre in der That sehr weitschweifig, gnädiger Herr.« – »Du hast Recht, Planchet; überdies hat man die Retraite geschlagen, und es könnte auffallen, wenn wir länger Licht behielten, als die Anderen.« – »Es sei,« sagte d’Artagnan, »legen wir uns nieder; schlaf wohl, Planchet.«

»Meiner Treu, gnädiger Herr, das ist das erste Mal seit vierzehn Tagen.« – »Bei mir auch!« sagte d’Artagnan. – »Bei mir auch!« sagte Porthos. – »Bei mir auch!« sagte Aramis. – »Nun, soll ich Euch die Wahrheit gestehen? Bei mir auch,« sagte Athos.

XXI.

Widerwärtigkeiten.

Außer sich vor Zorn, auf dem Verdecke wie eine Löwin schnaubend, die man einschifft, war Mylady mittlerweile versucht gewesen, sich in das Meer zu stürzen, um die Küste wieder zu erreichen; denn sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß sie von d’Artagnan beleidigt, von Athos bedroht worden war, und Frankreich verlassen sollte, ohne sich an ihnen zu rächen. Bald wurde dieser Gedanke ihr so unerträglich, daß sie auf die Gefahr, was auch Furchtbares daraus entstehen möchte, den Kapitän bat, sie an das Ufer zu setzen; aber zwischen die französischen und englischen Kreuzer, wie die Fledermaus zwischen die Ratten und Vögel gestellt, lag dem Kapitän Alles daran, so bald als möglich nach England zu gelangen. Er weigerte sich also hartnäckig, einem Ansinnen zu gehorchen, das er für eine Frauenlaune hielt, wobei er jedoch seiner Passagierin, die ihm von dem Kardinal besonders empfohlen war, versprach, daß er sie, wenn es das Meer und die Franzosen erlauben, in einem der Häfen der Bretagne, entweder in Lorient oder in Brest, an das Ufersetzen wolle. Aber das Meer war schlimm und der Wind conträr; man mußte laviren und verlor viel Zeit. Erst neun Tage nachdem man aus der Charente ausgelaufen war, sah Mylady, ganz bleich vor Aerger und Zorn, das bläuliche Gestade von Finisterre.

Sie berechnete, daß es wenigstens drei Tage bedürfe, um diese Ecke von Frankreich zu umschiffen und wieder in die Nähe des Kardinals zu gelangen. Hiezu einen Tag für das Ausschiffen gerechnet, machte vier Tage. Fügte sie zu diesen vier Tagen die neun anderen, so kamen dreizehn verlorene Tage heraus, dreizehn Tage, während welcher so viele wichtige Ereignisse in London vorfallen konnten. Sie bedachte, daß der Kardinal ohne Zweifel über ihre Rückkehr wüthend sein würde und folglich viel mehr geneigt wäre, den Klagen Gehör zu schenken, die man gegen sie führen, als den Anschuldigungen, welche sie gegen Andere vorbringen würde. Sie ließ also Lorient und Brest vorübergehen, ohne daß sie bei dem Kapitän auf ihrem Willen beharrte, und dieser hütete sich seinerseits wohl, sie darin zu bestärken. Mylady setzte also ihre Reise fort, und an demselben Tage, wo sich Planchet in Portsmouth nach Frankreich einschiffte, lief die Botin Seiner Eminenz triumphirend in dem Hafen ein.

Die ganze Stadt war in einer außerordentlichen Bewegung. Vier große, in den letzten Tagen erst fertig gewordene Schiffe hatte man vom Stapel laufen lassen. Buckingham stand, mit Gold verbrämt, seiner Gewohnheit gemäß von Diamanten und Edelsteinen funkelnd, den Hut mit einer Feder geschmückt, welche auf seine Schultern herabfiel, von seinem glänzenden Generalstab umgeben, auf dem Hafendamme.

Es war einer von den schönen, seltenen Sommertagen, wo England sich erinnert, daß es eine Sonne gibt. Das bleiche, aber immer noch schimmernde Gestirn ging am Horizont unter, übergoß den Himmel und die See mit Feuerstreifen und warf auf die Thürme und alten Gebäude der Stadt einen letzten goldenen Strahl, der die Scheiben wie der Reflex eines Brandes funkeln machte. Als Mylady diese, in der Nähe des Landes lebhaftere balsamischere Seeluft einathmete, und die ganze Macht dieser Vorbereitungen, welche sie zu zerstören beauftragt war, die ganze Kraft dieses Heeres betrachtete, das sie allein bekämpfen sollte, sie allein mit einigen Säcken Goldes, da verglich sie sich im Geiste mit Judith, der furchtbaren Jüdin, als sie in das Lager der Assyrer drang und die ungeheure Masse von Wagen, Pferden, Menschen und Waffen erblickte, welche eine Bewegung ihrer Hand wie eine Rauchwolke zerstreuen sollte.

Man lief in die Rhede ein; aber als man sich anschickte, daselbst Anker zu werfen, näherte sich ein kleiner, furchtbar bemannter Kutter dem Handelsschiffe und ließ ein Boot in das Meer setzen, das sich sogleich nach der Leiter wandte. Der Offizier allein stieg an Bord, wo er mit der Achtung aufgenommen wurde, welche die Uniform einflößt.

Der Offizier unterhielt sich einige Augenblicke mit dem Patron, ließ ihn einige Papiere lesen, die er bei sich trug, und alle aus dem Schiff befindliche Personen, Matrosen und Passagiere wurden aus das Verdeck gerufen. Als dieser Aufruf geschehen war, fragte der Offizier ganz laut nach dem Auslaufpunkte der Brigg, nach ihrer Route, nach ihren Landungen, und alle diese Fragen wurden von dem Kapitän ohne Zögern und ohne Schwierigkeit beantwortet. Dann ließ der Offizier alle Personen, eine nach der andern, Revue passiren, und als die Reihe an Mylady kam, betrachtete er sie äußerst aufmerksam, aber ohne ein einziges Wort an sie zu richten.«

Dann kehrte er zu dem Kapitän zurück, sagte ihm noch einige Worte und empfahl, als ob das Schiff ihm jetzt zu gehorchen hatte, ein Manöver, das die Mannschaft sogleich ausführte.

Während der Offizier Mylady prüfend anschaute, hatte ihn Mylady ihrerseits, wie sich leicht denken läßt, mit dem Blicke verschlungen. Aber wie sehr auch diese Frau mit den Flammenaugen daran gewöhnt war, in dem Herzen derjenigen zu lesen, deren Geheimnisse zu errathen sie für nothwendig erachtete, so fand sie doch diesmal ein Gesicht von solcher Unbeweglichkeit, daß ihre Forschung keine Entdeckung zur Folge hatte. Der Offizier, welcher vor ihr stehen geblieben war und stillschweigend ihr Aeußeres so sorgfältig studirte, mochte etwa fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre alt sein, und hatte ein weißes Gesicht und blaue, etwas tief liegende Augen. Sein feiner, wohlgezeichneter Mund blieb unbeweglich in seinen untadelhaften Linien, sein kräftiges Kinn deutete jene Willenskraft an, welche in dem gewöhnlichen brittischen Typus nichts Anderes als Halsstarrigkeit ist; eine etwas zurückliegende Stirne, wie sie den Dichtern den Enthusiasten und den Soldaten geziemt, war kaum von einem kurzen Haare beschattet, das sich wie der Bart, welcher den unteren Theil seines Gesichtes bedeckte, durch eine schöne dunkel kastanienbraune Farbe auszeichnete.

Als man in den Hafen einlief, war es bereits Nacht. Der Nebel vermehrte noch die Dunkelheit und bildete um die Leuchten und Laternen des Hafendammes einen Kreis, demjenigen ähnlich, welcher den Mond umgibt, wenn das Wetter regnerisch zu werden droht. Die Luft, welche man einathmete, war trübe, feucht und kalt.

Mylady schauderte trotz all ihrer Stärke.

Der Offizier ließ sich die einzelnen Stücke von Mylady nennen, ihr Gepäck sodann in das Boot bringen, und ersuchte sie, nachdem dieses Geschäft abgemacht war, selbst hinabzusteigen, wobei er seine Hand bot. Mylady schaute diesen Mann an und zögerte.

»Wer seid Ihr, mein Herr,« fragte sie, »der Ihr die Güte habt, Euch so ganz besonders mit mir zu beschäftigen?« »Ihr müßt es wohl an meiner Uniform sehen, Madame. Ich bin englischer Marineoffizier,« antwortete der junge Mann.

»Aber sagt mir, ist es Gewohnheit, daß sich die englischen Marineoffiziere ihren Landsleuten zu Befehl stellen, wenn sie in einem Hafen Großbritanniens ankommen, und ihre Höflichkeit sogar soweit treiben, sie bis ans Land zu begleiten?«

»Ja, Mylady, aber nicht aus Galanterie, sondern aus Klugheit werden die Fremden in Kriegszeiten in ein bestimmtes Gasthaus geführt, damit die Regierung sie überwachen kann, bis man vollständige Auskunft über sie erhalten hat.«

Diese Worte wurden mit der größten Artigkeit und der vollkommensten Ruhe ausgesprochen, aber sie waren nicht im Stande, Mylady zu überzeugen.

»Ich bin keine Fremde, mein Herr,« sagte sie mit dem reinsten Accente, der je zwischen Portsmouth und Manchester erklang. »Ich heiße Lady Winter, und diese Maßregel …«

»Diese Maßregel ist allgemein, Mylady, und Ihr würdet es vergeblich versuchen. Euch derselben zu entziehen.«

»Ich folge Euch also, mein Herr.«

Und die Hand des Offiziers ergreifend, fing sie, an die Treppe hinabzusteigen, unter der das Boot wartete. Der Offizier folgte ihr; ein großer Mantel war auf dem Hintertheil ausgebreitet; der Offizier ließ sie auf den Mantel sitzen und setzte sich neben sie.

»Fahrt zu,« sprach er zu den Matrosen.

Die acht Ruder sielen geräuschvoll in das Meer, ließen nur einen gleichzeitigen Schlag hören, und das Boot schien aus der Oberfläche des Wassers hinzufliegen.

Nach fünf Minuten hatte man das Land erreicht. Der Offizier sprang auf das Quai und bot Mylady seine Hand.

Ein Wagen wartete.

»Ist dieser Wagen für uns?« fragte Mylady.

»Ja, Madame,« antwortete der Offizier.

»Das Gasthaus ist also sehr entfernt?«

»Am andern Ende der Stadt.«

»Vorwärts!« rief Mylady und stieg entschlossen in den Wagen. Der Officier wachte darüber, daß das Gepäcke gut hinter dem Kasten befestigt wurde, nahm, als dies geschehen war, seinen Platz neben Mylady und schloß den Kutschenschlag.

Sogleich, ohne daß ein Befehl gegeben war und ohne daß man ihm die Bestimmung anzugeben hatte, setzte der Kutscher seine Pferde in Galopp und fuhr in die Straßen der Stadt.

Eine so seltsame Aufnahme mußte Mylady reichlichen Stoff zum Nachdenken bieten. Als sie sah, daß der junge Officier keineswegs geneigt schien, ein Gespräch anzuknüpfen, lehnte sie sich in eine Ecke des Wagens und ließ alle Vermuthungen, welche in ihrem Geist auftauchten, eine nach der andern Revue passiren.

Erstaunt über die Länge des Weges, neigte sie sich jedoch nach Verlauf einer Viertelstunde aus dem Kutschenschlage heraus, um zu sehen, wohin man sie führe. Man erblickte keine Häuser mehr; Bäume erschienen in der Finsterniß, wie große, schwarze, einander nachlaufende Gespenster.

Mylady bebte.

»Aber wir sind nicht mehr in der Stadt, mein Herr,« sagte sie.

Der Officier beobachtete dasselbe Stillschweigen.

»Ich gehe nicht weiter, wenn Ihr mir nicht sagt, wohin Ihr mich führt, das erkläre ich Euch, mein Herr.«

Diese Drohung erhielt keine Antwort.

»Ah, das ist zu stark!« rief Mylady. »Zu Hülfe! zu Hülfe!«

Keine Stimme antwortete der ihrigen. Der Wagen rollte mit derselben Geschwindigkeit fort. Der Officier schien eine Bildsäule.

Mylady fixirte den Officier mit dem ihr eigenthümlichen furchtbaren Ausdruck, der nur selten seine Wirkung verfehlte. Der Zorn machte ihre Augen in der Finsterniß funkeln.

Der junge Mann blieb unbeweglich.

Mylady wollte den Kutschenschlag öffnen und hinausspringen.

»Nehmt Euch in Acht, Madame,« sagte der junge Mann kalt. »Ihr tötet Euch, wenn Ihr springt.«

Mylady setzte sich schäumend wieder zurück. Der Officier neigte sich vor, schaute sie ebenfalls an und schien erstaunt, als er dieses kurz zuvor noch so schöne Gesicht durch die Wuth ganz verstört und beinahe häßlich geworden sah. Die schlaue Person begriff, daß sie sich ins Verderben stürzte, wenn sie so in ihre Seele blicken ließ. Sie suchte ihre Züge wieder aufzuheitern und sprach mit seufzender Stimme:

»Um Gotteswillen, mein Herr, sagt mir, ob ich Euch, Eurer Regierung oder einem Feinde die Gewalt zuzuschreiben habe, die man mir anthut?«

»Man thut Euch keine Gewalt an, Madame, und was Euch widerfährt, ist die Folge einer ganz einfachen Maßregel, die wir bei Allen zu nehmen genöthigt sind, welche in England landen.«

»Also kennt Ihr mich nicht?«

»Es ist das erste Mal, daß ich die Ehre habe, Euch zu sehen.«

»Und auf Euer Wort, Ihr habt keinen Grund des Hasses gegen mich?«

»Keinen, ich schwöre Euch.«

Es lag so viel Offenheit, Kaltblütigkeit und sogar Sanftmuth in der Stimme des jungen Mannes, daß Mylady beruhigt wurde.

Nachdem man ungefähr eine Stunde gefahren war, hielt der Wagen vor einem eisernen Gitter stille, das einen Hohlweg verschloß, welcher nach einem massiven Schlosse von ernstem Aussehen führte. Als nun die Räder auf einem zarten Sande hinliefen, hörte Mylady ein dumpfes Geräusch, das sie als ein Brausen der See erkannte, welche sich an einem abschüssigen Gestade brach.

Der Wagen lief unter zwei Gewölben hin und hielt endlich in einem düstern viereckigen Hofe. Beinahe in demselben Augenblicke öffnete sich der Kutschenschlag, der junge Mann sprang leicht heraus und bot Mylady seine Hand. Sie stützte sich darauf und stieg mit ziemlich viel Ruhe aus.

»Es wird mir immer klarer,« sprach Mylady, indem sie um sich schaute und ihre Augen dann mit dem anmuthigsten Lächeln der Welt auf den jungen Officier richtete, es wird mir immer klarer, daß ich eine Gefangene bin. Aber ich werde es nicht lange bleiben, das weiß ich gewiß,« fügte sie bei. »Mein Gewissen und Eure Artigkeit, mein Herr, bürgen mir hiefür.«

So schmeichelhaft auch dieses Kompliment war, so antwortete doch der Officier nicht, sondern zog aus seinem Gürtel eine kleine silberne Pfeife hervor, derjenigen ähnlich, welcher sich die Hochbootsleute auf Kriegsschiffen bedienen, und pfiff dreimal auf drei verschiedene Modulationen; sogleich erschienen mehrere Männer, spannten die Pferde aus und führten den Wagen unter eine Remise.

Der Officier forderte, stets mit derselben ruhigen Höflichkeit, seine Gefangene auf, in das Haus einzutreten. Diese nahm, fortwährend mit demselben lächelnden Gesichte, seinen Arm und trat mit ihm unter eine niedrige Thüre, welche durch ein nur im Hintergrund beleuchtetes Gewölbe nach einer steinernen Treppe führte; dann blieb man vor einer zweiten starken Thüre stehen, die sich, nachdem der junge Mann sie mit einem Schlüssel aufgeschlossen hatte, den er bei sich trug, schwerfällig auf ihren Angeln drehte und das für Mylady bestimmte Zimmer öffnete.

Mit einem einzigen Blick hatte die Gefangene das Zimmer in seinen kleinsten Einzelnheiten überschaut.

Es war eine Stube, deren Geräthe ein für ein Gefängniß reinliches, anständiges, für die Wohnung eines freien Menschen aber strenges Aussehen hatte. Die eisernen Stangen an den Fenstern und die Riegel an der Thüre entschieden jedoch den Prozeß zu Gunsten des Gefängnisses. Einen Augenblick wurde dieses Geschöpf, das seine Kraft in so mächtigen Quellen gestählt hatte, von aller Seelenstärke verlassen. Sie fiel auf einen Stuhl zurück, kreuzte die Arme, ließ den Kopf sinken und erwartete jeden Augenblick, es werde ein Richter erscheinen, um sie zu verhören.

Aber es kam Niemand, außer zwei oder drei Marinesoldaten, welche die Koffer und Kisten brachten, diese in eine Ecke niederstellten, und sich dann entfernten, ohne ein Wort zu sprechen.

Der Officier wohnte allen diesen Verrichtungen mit derselben Ruhe bei, welche Mylady beständig an ihm wahrgenommen hatte, sprach selbst kein Wort und verschaffte sich durch eine Handbewegung oder einen Ton seiner Pfeife Gehorsam.

Man hätte glauben sollen, zwischen diesem Mann und seinen Untergebenen bestehe die Sprache nicht, die man mit der Zunge spricht, oder sie sei überflüssig geworden. Endlich konnte Mylady nicht mehr länger an sich halten. Sie unterbrach das Stillschweigen und rief:

»Um Gottes willen, mein Herr, was soll das Alles bedeuten? Macht meiner Unruhe ein Ende. Ich habe Muth, jeder Gefahr, die ich vorher sehe, jedem Unglück, das ich begreife, zu trotzen. Wo bin ich und was bin ich? Bin ich frei? Warum diese eisernen Stangen und diese Thüren? Bin ich eine Gefangene? Welches Verbrechen habe ich begangen?«

»Ihr seid hier in der für Euch bestimmten Wohnung, Madame. Ich habe Befehl erhalten. Euch auf der See abzuholen und in dieses Schloß zu bringen. Diesen Befehl habe ich, wie ich glaube, mit aller Strenge eines Soldaten, aber zugleich mit aller Höflichkeit eines Edelmanns vollzogen. Hiemit endigt sich, wenigstens für jetzt, der Auftrag, den ich bei Euch zu erfüllen habe, das Uebrige geht eine andere Person an.«

»Und die andere Person, wer ist sie?« fragte Mylady. »Könnt Ihr mir nicht ihren Namen sagen?«

In diesem Augenblick vernahm man auf der Treppe ein gewaltiges Sporengeklirr, einige Stimmen machten sich im Vorübergehen hörbar und verhallten dann wieder. Das Geräusch eines einzelnen Trittes näherte sich der Thüre.

»Hier ist sie, Madame,« sagte der Officier, den Gang öffnend und eine ehrfurchtsvolle Stellung nehmend.

Zu gleicher Zeit erschien ein Mann auf der Schwelle: er war ohne Hut, trug einen Degen an seiner Seite und zerknitterte ein Sacktuch zwischen seinen Fingern.

Mylady glaubte diesen Schatten im Schatten zu erkennen. Sie stützte sich mit einer Hand auf den Arm eines Lehnsessels und reckte den Kopf, um einer Gewißheit entgegen zu gehen.

Der Fremde näherte sich langsam; sobald er in den von der Lampe geworfenen Lichtkreis eintrat und näher kam, wich Mylady unwillkürlich zurück. Als ihr kein Zweifel mehr übrig blieb, rief sie mit dem höchsten Erstaunen:

»Wie, mein Bruder, Ihr seid es?« – »Ja, schöne Dame,« antwortete Lord Winter mit einer halb höflichen, halb ironischen Verbeugung; »ich bin es.« – »Aber dieses Schloß?« – »Gehört mir.« – »Dieses Zimmer?« – »Ist das Eure.« – »Und ich bin also eine Gefangene?« – »Ungefähr.« – »Aber das ist ein ganz abscheulicher Mißbrauch der Gewalt.« – »Keine großen Worte! Setzen wir uns und plaudern wir ruhig mit einander, wie es sich zwischen Bruder und Schwester geziemt.«

Dann wandte er sich nach der Thüre um und sagte, als er sah, daß der junge Offizier auf seine letzten Befehle wartete: »Es ist gut, ich danke Euch, laßt uns nun allein, Herr Felton.«

XIII.

Die Belagerung von La Rochelle.

Die Belagerung von La Rochelle war eines der bedeutendsten Ereignisse unter der Regierung Ludwigs XIII.

Die politischen Absichten des Kardinals, als er die Belagerung unternahm, waren von hoher Bedeutung. Von den wichtigen Städten, welche Heinrich IV. den Hugenotten als Versicherungsplätze gab, war nur noch La Rochelle übrig. Der Kardinal wollte dieses letzte Bollwerk des Calvinismus zerstören.

La Rochelle, das durch den Untergang der andern calvinistischen Städte ein neues Gewicht bekommen hatte, war überdies der letzte Hafen, der den Engländern in Frankreich offen stand; und wenn er denselben für England, den ewigen Feind Frankreichs, verschloß, vollendete er das Werk der Jungfrau von Orleans und des Herzogs von Guise.

Bassompierre, der zugleich Protestant und Katholik war, Protestant aus Ueberzeugung, Katholik als Kommandeur vom heiligen Geist, Bassompierre, ein Deutscher von Geburt, ein Franzose seinem Herzen nach, der ein besonderes Kommando bei der Belagerung von La Rochelle hatte, sagte daher auch, als er an der Spitze mehrerer anderer protestantischer Edelleute angriff:

»Ihr werdet sehen, meine Herren, wir sind so dumm und nehmen La Rochelle.«

Und Bassompierre hatte Recht. Die Kanonade der Insel Ré weissagte ihm die Verfolgungen der Hugenotten; die Einnahme von La Rochelle war die Vorrede zum Widerruf des Edicts von Nantes.

Aber neben diesen allgemeinen Absichten des nivellirenden Ministers, welche der Geschichte angehören, muß der Chronikschreiber die kleinen Gesichtspunkte des verliebten Mannes und eifersüchtigen Nebenbuhlers in’s Auge fassen.

Richelieu war, wie Jedermann weiß, in die Königin verliebt gewesen. Hatte diese Liebe bei ihm einen einfachen politischen Zweck, oder war es eine jener tiefen Leidenschaften, wie sie Anna von Oesterreich den Männern, von denen sie umgeben war, einflößte? Wir wissen es nicht zu sagen; aber jeden Falls könnte man aus der früheren Entwickelung dieser Geschichte ersehen, daß Buckingham bei mehreren Umständen den Sieg über ihn davon getragen hatte, und besonders hatte er ihn bei der Geschichte mit den Nestelstiften auf eine grausame Weise mystificirt.

Es handelte sich also für Richelieu nicht nur darum, Frankreich von einem Feinde zu befreien, sondern auch sich an einem Nebenbuhler zu rächen. Die Rache sollte groß, glänzend und besonders eines Mannes würdig werden, der die Kräfte eines ganzen Königreichs als Schwert in der Hand hält.

Richelieu wußte, daß er, indem er England bekämpfte, über Buckingham triumphirte, daß er, indem er England in den Augen Europas demüthigte, Buckingham in den Augen der Königin demüthigte.

Während Buckingham seinerseits nur die Ehre Englands vorschob, wurde er von Interessen in Bewegung gesetzt, die denen des Kardinals vollkommen glichen: Buckingham verfolgte ebenfalls eine Privatrache. Buckingham hatte unter keinem Vorwand wieder als Botschafter Eingang in Frankreich finden können.

Daraus geht hervor, daß der wahre Einsatz bei der Partie, welche die zwei mächtigen Reiche, nach dem Belieben zweier verliebter Männer spielten, weiter nichts als ein Blick Anna’s von Oesterreich war.

Den ersten Vortheil hatte der Herzog von Buckingham errungen. Er erschien unerwartet im Angesicht der Insel Ré mit neunzig Schiffen und ungefähr zwanzig tausend Mann, überfiel den Grafen von Toiras, der auf der Insel für den König kommandirte, und bewerkstelligte nach einem blutigen Kampfe seine Landung.

Wir bemerken im Vorübergehen, daß bei diesem Kampfe der Baron von Chantal fiel. Der Baron von Chantal hinterließ eine Enkelin von achtzehn Monaten als Waise. Diese Enkelin wurde später Frau von Sevigné.

Der Graf von Toiras zog sich in die Citadelle Saint-Martin mit der Garnison zurück, und warf etwa hundert Mann in ein kleines Fort, das man das Fort de la Prée nannte.

Dieses Ereigniß hatte die Entschließungen des Kardinals beschleunigt, er schickte, bis der König und er, wie dies beabsichtigt war, den Oberbefehl bei der Belagerung von La Rochelle übernehmen könnten, Monsieur ab, um die ersten Operationen zu leiten, und alle Truppen über die er zu verfügen im Stande war, gingen nach dem Kriegsschauplatz ab.

Zu diesem als Vorhut abgeschickten Detachement gehörte auch unser Freund d’Artagnan.

Der König sollte, wie gesagt, folgen, sobald er seinen großen Gerichtstag im Parlament gehalten hätte. Als er sich am 25. Juni von diesem erhob, fühlte er sich vom Fieber ergriffen. Er wollte nichtsdestoweniger abreisen, aber sein Zustand verschlimmerte sich, und er war genöthigt in Villeroy zu bleiben.

Wo der König stille hielt, mußten auch die Musketiere verweilen. Dadurch geschah es, daß d’Artagnan, der ganz einfach bei den Garden war, sich wenigstens für den Augenblick von seinen Freunden Athos, Porthos und Aramis getrennt sah. Diese Trennung, welche für ihn nur eine Unannehmlichkeit war, würde ihm gewiß zu ernstlicher Unruhe gereicht haben, wenn er die unbekannten Gefahren hätte ahnen können, von denen er umgeben war. Dessenungeachtet langte er in dem vor La Rochelle aufgeschlagenen Lager an.

Es befand sich noch Alles in demselben Zustand. Der Herzog von Buckingham und seine Engländer fuhren als Herren der Insel Ré fort, obgleich ohne Erfolg, die Citadelle von Saint-Martin und das Fort de la Prée zu belagern; und die Feindseligkeiten mit La Rochelle hatten seit zwei oder drei Tagen gegen ein Fort begonnen, das der Herzog von Angoulême in der Nähe erbauen ließ.

Die Garden unter dem Kommando von Herrn des Essarts hatten ihre Wohnungen im Kloster der Minimen.

Aber d’Artagnan, der ganz und gar von dem Ehrgeiz, unter die Musketiere überzutreten, eingenommen war, hatte wenig Freundschaft mit seinen Kameraden gemacht, und fand sich so vereinzelt und seinen eigenen Betrachtungen überlassen.

Diese Betrachtungen waren eben nicht sehr lachend. Seit einem Jahre, seit dem er in Paris angekommen war, hatte er sich in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt, und seine eigenen Angelegenheiten waren, was Liebe und Glück betrifft, nicht weit vorgerückt.

Was die Liebe betrifft, war Madame Bonacieux die einzige Frau, die er wahrhaft geliebt hatte, und Madame Bonacieux war verschwunden, ohne daß er nur im Geringsten etwas von ihrem Leben oder Aufenthalt zu entdecken vermochte.

In Betreff des Glückes hatte er, der Schwache, sich den Kardinal, das heißt den Mann, vor dem die Größten des Reiches, vom König abwärts, zitterten, zum Feinde gemacht.

Dieser Mann konnte ihn niederschmettern, zertreten, und er hatte es nicht gethan. Für einen so scharfsinnigen Geist wie d’Artagnan, war diese Nachsicht ein Licht, durch das er eine bessere Zukunft erblickte.

Dann hatte er sich noch einen andern Feind gemacht, der seiner Ansicht nach weniger zu fürchten, aber, wie er instinktmäßig fühlte, darum doch nicht zu verachten war. Dieser Feind war Mylady.

Allen diesen gegenüber durfte er sich des Schutzes und Wohlwollens der Königin versichert halten; aber das Wohlwollen der Königin war zu jener Zeit eine weitere Ursache zur Verfolgung, und ihre Protektion beschützte bekanntlich sehr schlecht, was bei Chalais und Madame Bonacieux sichtbar wurde.

Der augenscheinlichste Gewinn, den er unter allen diesen Verhältnissen errungen hatte, war der Diamant von fünf bis sechstausend Livres, den er an seinem Finger trug, und auch dieser Diamant hatte, da d’Artagnan in seinen ehrgeizigen Plänen ihn behalten wollte, um ihn eines Tages als Zeichen der Wiedererkennung bei der Königin zu benützen, und ihn also nicht veräußern konnte, vorläufig nicht mehr Werth, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat.

Wir sagen, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat, denn d’Artagnan stellte diese Betrachtungen an, während er einsam auf einem hübschen Pfad spazieren ging, der von dem Lager in eine benachbarte Stadt führte. Unter diesen Betrachtungen aber war er weiter gegangen, als er glaubte, und der Tag fing an sich zu neigen, als er bei dem letzten Strahl der untergehenden Sonne hinter einer Ecke hervor einen Flintenlauf glänzen sah.

D’Artagnan hatte ein lebhaftes Auge und einen raschen Geist. Er begriff, daß die Flinte nicht allein gekommen war, und daß ihr Träger sich nicht in freundschaftlichen Absichten hinter der Hecke verborgen hatte. Er beschloß also das Weite zu suchen, als er auf der andern Seite der Straße hinter einem Felsen das Ende einer zweiten Flinte erblickte.

Das war offenbar ein Hinterhalt.

Der junge Mann warf einen Blick auf die erste Flinte und sah mit einer gewissen Unruhe, daß sie sich in der Richtung nach ihm senkte. Aber sobald er gewahr wurde, daß die Mündung des Laufes unbeweglich blieb, warf er sich mit dem Bauche auf die Erde. Zu gleicher Zeit ging der Schuß los, und er hörte das Zischen einer Kugel, welche über seinem Kopf hinflog.

Es war keine Zeit zu verlieren. D’Artagnan sprang auf und in demselben Augenblick sprengte die andere Flinte die Kieselsteine von der Stelle auf, wo er sich vorher mit dem Gesicht auf die Erde geworfen hatte.

D’Artagnan gehörte nicht zu den Prahlern, welche einen lächerlichen Tod suchen, damit man nicht von ihnen sage, sie seien nicht einen Schritt zurückgewichen. Ueberdies handelte es sich hier nicht mehr um den Muth, denn d’Artagnan war in einen Hinterhalt gefallen.

»Kommt noch ein dritter Schuß,« sprach er zu sich selbst, »so bin ich ein Kind des Todes.«

Und sogleich entfloh er nach dem Lager zu mit der Geschwindigkeit der Bewohner seiner Heimath, welche durch ihr behendes Wesen berühmt geworden sind. Aber so rasch er auch lief, so hatte doch derjenige, welcher zuerst geschossen, Zeit gefunden, sein Gewehr wieder zu laden, und er feuerte ihm einen zweiten Schuß nach, der dießmal so gut gezielt war, daß die Kugel durch seinen Hut drang und diesen zehn Schritte von ihm schleuderte.

Da d’Artagnan keinen andern Hut besaß, so hob er diesen im Laufe vom Boden auf, und langte ganz bleich und athemlos in seiner Wohnung an; er setzte sich hier nieder, ohne Jemand ein Wort zu sagen, und dachte über das Vorgefallene nach.

Dieses Ereigniß konnte drei Ursachen haben.

Die erste und natürlichste ließ sich in einem Hinterhalt von Rochellern suchen, denen es nicht leid gewesen wäre, einen von den Garden des Königs zu tödten, denn sie würden sich dadurch einen Feind weiter vom Halse geschafft haben, und dieser Feind hätte eine wohlgespickte Börse in seiner Tasche tragen können.

D’Artagnan nahm seinen Hut, untersuchte das Loch der Kugel und schüttelte den Kopf. Die Kugel war nicht von einer Muskete, sondern aus einer Büchse. Die Genauigkeit des Schusses hatte ihn schon auf den Gedanken gebracht, er sei aus einem Privatgewehr abgefeuert worden. Es war also kein militärischer Hinterhalt, wie dies aus dem Kaliber der Kugel hervorging.

Es konnte auch ein gutes Andenken von dem Kardinal sein. Man erinnert sich, daß er in dem Augenblick, wo er durch den glücklichen Sonnenstrahl begünstigt den Flintenlauf erblickte, selbst über die Langmuth Seiner Eminenz in Beziehung auf seine Person staunte.

Aber d’Artagnan schüttelte mit zweifelhafter Miene den Kopf. Bei Leuten, nach denen er nur die Hand auszustrecken hatte, nahm der Kardinal nur selten zu solchen Mitteln seine Zuflucht.

Es konnte eine Rache von Mylady sein.

Diese Vermuthung war vernünftiger.

Vergebens suchte er sich der Züge oder der Tracht der Mörder zu erinnern; er war genöthigt gewesen, sich so rasch zu entfernen, daß er nicht Muße gehabt hatte, etwas wahrzunehmen.

»Ah! meine armen Freunde,« murmelte d’Artagnan, »wo seid Ihr? und wie fehlt Ihr mir!«

D’Artagnan verbrachte eine schlimme Nacht. Drei- oder viermal erwachte er plötzlich, weil er sich einbildete, man nähere sich seinem Bette, um ihn zu erdolchen. Aber der Tag erschien, ohne daß die Dunkelheit einen Unfall herbeigeführt hatte.

D’Artagnan verleugnete sich jedoch nicht, daß aufgeschoben nicht aufgehoben war. Er blieb den ganzen Tag in seiner Wohnung, wobei er sich vor sich selbst mit dem schlechten Wetter entschuldigte.

Am zweiten Tag um neun Uhr wurde Marsch geschlagen. Der Herzog von Orleans visitirte die Posten. Die Leibwachen eilten zu den Waffen; d’Artagnan nahm seine Stelle unter seinen Kameraden ein.

Monsieur zog an der Front der Truppen vorüber; dann näherten sich ihm alle höheren Offiziere, um seinen Hof zu bilden, darunter auch der Herr des Essarts.

Nach kurzem kam es d’Artagnan vor, als ob ihn Herr des Essarts durch ein Zeichen zu sich beschiede. Er wartete auf eine neue Geberde seines Vorgesetzten, aus Furcht, er könnte sich täuschen, und als diese Geberde wiederholt wurde, verließ er die Reihen und trat vor, um den Befehl einzuholen.

»Monsieur verlangt Freiwillige zu einer gefährlichen Sendung, die jedoch denjenigen, welche sie erfüllen, Ehre bringt, und ich habe Euch ein Zeichen gemacht, damit Ihr Euch bereit halten möget.«

»Ich danke, mein Kapitän,« antwortete d’Artagnan, dem nichts erwünschter war, als sich unter den Augen des Generallieutenants auszuzeichnen.

Die Rocheller hatten wirklich in der Nacht einen Ausfall gemacht und eine Bastei wieder genommen, deren sich zwei Tage vorher die royalistische Partei bemächtigt hatte; es handelte sich darum, eine Recognoscirung vorzunehmen, um zu sehen, wie die Bastei bewacht werde.

Nach einigen Augenblicken erhob Monsieur die Stimme und sprach:

»Ich bedarf zu diesem Auftrag drei oder vier Freiwillige geführt von einem sichern Manne.«

»Was den sichern Mann betrifft, so habe ich diesen bei der Hand,« erwiderte Herr des Essarts und deutete auf d’Artagnan, »und in Beziehung auf die Freiwilligen darf Monseigneur nur seinen Willen kundgeben, und es wird nicht an Leuten fehlen.«

»Vier Freiwillige, um sich mit mir tödten zu lassen,« sprach d’Artagnan, den Degen erhebend.

Zwei von seinen Kameraden bei den Garden stürzten sogleich hervor, zwei Soldaten verbanden sich mit ihnen und die gewünschte Zahl war voll. D’Artagnan wies daher alle Andere zurück, da er denen, welche zuerst gekommen waren, ihr Recht auf Beförderung nicht schmälern wollte.

Man wußte nicht, ob die Rocheller nach der Einnahme diese Bastei geräumt, oder ob sie eine Garnison darin gelassen hatten. Man mußte also den bezeichneten Ort ziemlich nahe untersuchen, um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen.

D’Artagnan ging mit seinen vier Gefährten ab und folgte dem Laufgraben. Die zwei Garden marschirten in demselben Glied mit ihm und die Soldaten kamen hinter ihm.

So gelangten sie, sich deckend, bis auf hundert Schritte zur Bastei; als sich d’Artagnan hier umwandte, sah er, daß die Soldaten verschwunden waren. Er glaubte, sie seien aus Furcht zurückgeblieben, und rückte weiter vor.

An der Biegung der äußersten Grabenmauer waren sie nur noch ungefähr sechzig Schritte von der Bastei entfernt.

Man sah nichts, und die Bastei schien ganz verlassen.

Die drei Verlorenen berathschlagten, ob sie weiter gehen sollten, als plötzlich eine Rauchwolke sichtbar wurde und ein Dutzend Kugeln um d’Artagnan und seine Gefährten zischten.

Sie wußten, was sie wissen wollten, die Bastei wurde bewacht, ein längerer Aufenthalt an diesem gefährlichen Ort wäre eine nutzlose Unklugheit gewesen.

D’Artagnan und die zwei Garden kehrten um und begannen einen Rückzug, der mehr einer Flucht glich.

Als sie die Ecke des Laufgrabens erreichten, der ihnen als Wall dienen sollte, stürzte einer von den Garden; eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt; der andere war wohlbehalten und setzte seinen Lauf nach dem Lager fort.

D’Artagnan wollte seinen Gefährten nicht so verlassen und beugte sich über ihn herab, um ihn aufzuheben; aber in diesem Augenblicke wurden zwei Schüsse abgefeuert; eine Kugel zerschmetterte dem bereits verwundeten Garden den Kopf, die andere prallte an dem Felsen ab, nachdem sie auf zwei Zoll an d’Artagnan vorüber geflogen war.

Der junge Mann wandte sich lebhaft um, denn dieser Angriff konnte nicht von der Bastei kommen, die durch die Ecke des Laufgrabens maskiert war. Sogleich fielen ihm die zwei Soldaten ein, die ihn verlassen hatten, und er erinnerte sich dabei der Mörder, die ihm zwei Tage vorher nach dem Leben getrachtet. Er beschloß daher, diesmal zu untersuchen, woran er sich zu halten hätte, und fiel auf den Leib seines Kameraden nieder, als ob er todt wäre.

Alsbald sah er, wie sich zwei Köpfe über einem verlassenen Werke, dreißig Schritte von ihm erhoben. Es waren die unserer zwei Soldaten. D’Artagnan hatte sich nicht getäuscht. Diese Leute waren ihm nur gefolgt, um ihn zu tödten, in der Hoffnung, der Tod des jungen Mannes würde dem Feinde auf die Rechnung gebracht werden.

Da er jedoch nur verwundet sein und ihr Verbrechen anzeigen konnte, so näherten sie sich ihm, um ihm den Garaus zu machen. Durch die List d’Artagnans getäuscht, versäumten sie es glücklicher Weise, ihre Gewehre wieder zu laden. Als sie auf zehn Schritte von ihm entfernt waren, stand d’Artagnan, der bei seinem Falle sein Schwert fest in der Hand behalten hatte, rasch auf, und befand sich mit einem Sprunge bei ihnen.

Die Mörder begriffen, daß sie, wenn sie nach dem Lager entflohen, ohne ihren Mann getödtet zu haben, von diesem verklagt wurden; es war daher ihr erster Gedanke, zum Feinde überzugehen. Der Eine von ihnen nahm seine Flinte beim Lauf und bediente sich derselben als einer Keule. Er führte einen furchtbaren Schlag nach d’Artagnan, der ihm dadurch auswich, daß er sich auf die Seite warf, aber durch diese Bewegung ließ er dem Banditen freien Raum, und dieser lief sogleich nach der Bastei.

Da die Rocheller, welche dieselben bewachten, nicht wissen konnten, in welcher Absicht dieser Mann zu ihnen kam, so gaben sie Feuer auf ihn, und er stürzte mit zerschmetterter Schulter nieder.

Während dieser Zeit warf sich d’Artagnan auf den zweiten Soldaten und griff ihn mit dem Degen an. Der Kampf währte nicht lange; der Elende hatte zu seiner Vertheidigung nichts als die abgefeuerte Flinte. Der Degen des Garden glitt an dem Laufe des unnütz gewordenen Gewehres ab und durchdrang den Schenkel des Mörders, welcher niederfiel.

D’Artagnan setzte ihm sogleich seine Degenspitze an die Gurgel.

»Oh! tödtet mich nicht,« rief der Bandit, »Gnade! Gnade! mein Offizier, und ich werde Euch Alles sagen.« – »Ist Dein Geheimnis so viel Werth, daß ich Dir das Leben schenke?« fragte der junge Mann. – »Ja, sobald Ihr das Leben einigermaßen schätzt, wenn man erst zwanzig Jahre alt ist, wenn man schön und brav ist, wie Ihr, und Alles erreichen kann.« – »Elender,« sagte d’Artagnan, »sprich schnell. Wer hat Dir den Auftrag gegeben, mich zu ermorden?« – »Eine Frau, die ich nicht kenne, die man aber Mylady nannte.« – »Doch wenn Du diese Frau nicht kennst, woher weißt Du ihren Namen?« – »Mein Kamerad kannte sie und nannte sie so. Sie verhandelte mit ihm und nicht mit mir. Er hat sogar in seiner Tasche einen Brief von dieser Person, der von großem Belang für Euch sein muß, wie ich ihn sagen hörte.« – »Aber wie kommst Du dazu, an diesem Hinterhalt Antheil zu nehmen?« – »Er machte mir den Vorschlag, diesen Streich zu zwei auszuführen, und ich willigte ein.« – »Und wie viel hat sie Euch für dieses Unternehmen gegeben?« – »Hundert Louisd’or.« – »Schön,« sprach der junge Mann lachend, »sie denkt doch, ich sei etwas werth. Hundert Louisd’or, das ist eine Summe für Schurken Eurer Art; auch begreife ich, daß Du eingewilligt hast, und ich begnadige Dich, jedoch unter einer Bedingung.« – »Unter welcher?« fragte der Soldat unruhig, als er sah, daß noch nicht Alles zu Ende war. – »Daß Du mir den Brief holst, den Dein Kamerad in seiner Tasche hat.« – »Aber das ist nur eine andere Art, mich zu tödten,« rief der Bandit. »Wie soll ich diesen Brief unter dem Feuer der Bastei holen?« – »Du mußt Dich entschließen, ihn herbei zu schaffen, oder ich schwöre Dir, daß Du von meiner Hand stirbst.« – »Gnade! Herr, Barmherzigkeit! Im Namen der jungen Dame, die Ihr liebt, die Ihr vielleicht todt glaubt, und die es nicht ist!« rief der Bandit, sich auf die Kniee erhebend und mit der Hand stützend, denn er fing an mit seinem Blut auch die Kräfte zu verlieren. – »Woher weißt Du, daß es eine junge Frau gibt, die ich liebe, und daß ich diese junge Frau todt geglaubt habe?« fragte d’Artagnan. – »Aus dem Briefe den mein Kamerad in seiner Tasche hat.« – »Du siehst also wohl, daß ich diesen Brief bekommen muß,« sprach d’Artagnan. »Nicht mehr gezögert, oder wie sehr es mir auch widerstrebt, mein Schwert zum zweiten Male in das Blut eines Elenden zu tauchen, wie Du bist, ich schwöre Dir so wahr ich ein ehrlicher Mann bin …«

Bei diesen Worten machte d’Artagnan eine so drohende Geberde, daß sich der Verwundete erhob.

»Halt, halt!« rief er, seinen Muth wieder durch den Schrecken gewinnend, »ich gehe … ich gehe.«

D’Artagnan nahm die Büchse des Soldaten, ließ ihn vor sich hergehen und trieb ihn gegen seinen Gefährten zu, indem er ihn von Zeit zu Zeit mit der Spitze seines Degens in die Hüfte stach. Es war furchtbar anzuschauen, wie dieser Unglückliche, auf seinem Weg eine lange Blutspur zurücklassend, bleich vor dem bevorstehenden Tode, sich ungesehen zu dem Leichnam seines Kameraden hinzuschleppen suchte, der zwanzig Schritte von ihm entfernt lag.

Der Schrecken war so stark auf seinem mit kaltem Schweiß bedeckten Gesichte ausgeprägt, daß d’Artagnan Mitleid bekam und ihn verächtlich anschaute.

»Nun!« sprach er, »ich will Dir zeigen, welch ein Unterschied zwischen einem Manne von Herz und einem Feigling Deiner Art stattfindet. Bleibe, ich werde gehen!«

Und schnellen Schrittes, mit lauerndem Auge jede Bewegung des Feindes beobachtend, alle Vortheile des Terrains benützend, gelangte d’Artagnan bis zu dem zweiten Soldaten.

Es gab zwei Mittel, seinen Zweck zu erreichen: entweder mußte er ihn auf der Stelle durchsuchen oder mußte er ihn, seinen Leib als Schild gebrauchend, nach dem Laufgraben tragen und dort erst durchsuchen.

D’Artagnan zog das zweite Mittel vor und lud den Mörder in dem Augenblick, wo der Feind Feuer gab, auf seine Schulter.

Ein leichter Stoß, ein letzter Schrei, ein Beben des Todeskampfes bewiesen d’Artagnan, daß ihm derjenige, welcher ihn ermorden gewollt, das Leben gerettet hatte.

D’Artagnan erreichte wieder den Laufgraben und warf den Leichnam neben den Verwundeten.

Sogleich begann er die Untersuchung: eine lederne Brieftasche, eine Börse, worin sich offenbar ein Theil von der Summe fand, die der Bandit erhalten hatte, ein Becher und Würfel bildeten die ganze Hinterlassenschaft des Todten.

Er ließ den Becher und die Würfel, wo sie hingefallen waren, schleuderte die Börse dem Verwundeten zu und öffnete gierig die Brieftasche.

Mitten unter unwichtigen Papieren fand sich folgender Brief den er mit Gefahr seines Lebens geholt hatte:

»Da Ihr die Spur dieser Frau verloren habt, und sie nun in Sicherheit in dem Kloster ist, wohin Ihr sie nie durftet gelangen lassen, so sucht wenigstens den Mann nicht zu verfehlen. Verfehlt Ihr ihn, so wißt Ihr, daß ich eine lange Hand habe, und daß Ihr die hundert Louisd’or, die Ihr von mir erhalten habt, teuer bezahlen müßt.«

Keine Unterschrift. Dessenungeachtet kam der Brief unleugbar von Mylady. Er behielt ihn also, als ein Actenstück zum Behuf der Überweisung, und da er sich hinter der Ecke des Laufgrabens in Sicherheit befand, so fing er an den Verwundeten auszufragen. Dieser gestand, daß er es mit seinem soeben getöteten Kameraden übernommen hatte, eine junge Frau, die von Paris durch die Barriere de la Vilette abreisen sollte, zu entführen, daß sie sich aber in einer Schenke, um zu trinken, aufgehalten und den Wagen um zehn Minuten versäumt hatten.

»Aber was hättet Ihr mit dieser Frau gemacht?« fragte d’Artagnan bange.

»Wir sollten sie in ein Hotel der Place Royale bringen,« erwiderte der Verwundete.

»Ja, ja,« murmelte d’Artagnan, »das ist es, zu Mylady selbst.«

Nun begriff der junge Mann schaudernd, welcher furchtbare Rachedurst diese Frau antrieb, ihn, so wie diejenigen, welche ihn liebten, zu Grunde zu richten, und wie sehr sie mit den Angelegenheiten des Hofes vertraut war, da sie Alles entdeckt hatte. Ohne Zweifel hatte sie ihre Nachrichten dem Kardinal zu verdanken. Aber dagegen sah er auch mit einem Gefühl wahrer Freude ein, daß die Königin endlich den Kerker erkundet, in welchem die arme Madame Bonacieux ihre Ergebenheit büßen mußte, und daß sie dieselbe diesem Kerker entzogen hatte.

Von dieser Zeit wurde es, wie Athos vorhergesagt hatte, möglich, Madame Bonacieux wieder aufzufinden, und ein Kloster war nicht uneinnehmbar.

Dieser Gedanke vollendete die Milde in seinem Herzen. Er wandte sich gegen den Verwundeten um, welcher ängstlich all die verschiedenen Ausdrücke in seinem Gesichte verfolgte, und reichte ihm den Arm.

»Auf!« sprach er, »ich will Dich nicht so verlassen. Stütze Dich auf mich, und kehren wir in das Lager zurück.«

»Ja,« sagte der Verwundete, der kaum an so viel Großmuth glauben konnte, »aber geschieht dies nicht, um mich hängen zu lassen?«

»Du hast mein Wort und zum zweiten Mal schenke ich Dir Dein Leben.«

Der Verwundete sank auf die Kniee und küßte seinem Retter abermals die Füße. Aber d’Artagnan, der durchaus keinen Grund hatte, so nahe beim Feinde zu bleiben, kürzte selbst die Dankbarkeitsbezeigungen ab.

Der Garde, welcher bei dem ersten Feuer der Rocheller zurückgeeilt war, hatte den Tod seiner vier Gefährten angekündigt. Man war also sehr erstaunt und äußerst vergnügt im Regiment, als man den jungen Mann wohlbehalten ankommen sah.

D’Artagnan erklärte den Degenstich seines Gefährten durch einen Ausfall, den er improvisirte. Er erzählte den Tod des andern Soldaten und die Gefahren, denen sie preisgegeben gewesen. Seine Erzählung hatte einen wahren Triumph für ihn zur Folge. Die ganze Armee sprach einen Tag lang von dieser Expedition, und Monsieur ließ ihm darüber seine Zufriedenheit aussprechen.

Wie übrigens jede schöne Handlung ihre Belohnung mit sich trägt, so war das Resultat der schönen Handlung d’Artagnans, daß sie ihm die verlorene Ruhe wieder gab. Der junge Mann glaubte in der That ruhig sein zu können, da von seinen zwei Feinden der eine todt, der andere seinen Interessen ergeben war.

Diese Sache bewies blos, daß d’Artagnan Mylady noch nicht kannte.

XIV.

Anjou-Wein.

Nachdem man beinahe verzweifelte Nachrichten vom König erhalten hatte, fing das Gerücht von seiner Wiedergenesung an sich zu verbreiten, und da er große Eile hatte, in Person zu der Belagerung zu kommen, so sagte man, er würde abreisen, sobald er wieder zu Pferde steigen könnte.

Monsieur, welcher wußte, daß er jeden Tag durch den Herzog von Angoulême, durch Bassompierre oder durch Schomberg, die sich um das Commando stritten, im Oberbefehl ersetzt werden konnte, that mittlerweile nur wenig, verlor seine Zeit durch Umhertappen und wagte kein großes Unternehmen, um die Engländer von der Insel Ré zu vertreiben, wo sie die Citadelle Saint-Martin und das Fort de la Prée belagerten, während die Franzosen ihrerseits La Rochelle belagerten.

D’Artagnan war, wie gesagt, ruhiger geworden, wie dies stets nach einer überstandenen Gefahr, oder wenn man die Gefahr für verschwunden hält, der Fall ist. Sein einziger Kummer war, daß er keine Nachricht von seinen Freunden erhielt.

Aber eines Morgens wurde ihm durch folgenden aus Villeroy datirten Brief Alles klar:

»Herr d’Artagnan,

»Die Herren Athos, Porthos und Aramis machten, nachdem sie bei mir ein gutes Mahl eingenommen hatten, einen so gewaltigen Lärm, daß ihnen der Herr Schloßrichter, ein sehr strenger Mann, einige Tage Zimmerarrest gab. Ich vollziehe ihre Befehle, indem ich Euch zwölf Flaschen von meinem Anjou-Wein schicke, dem sie großes Lob spenden; sie wünschen, Ihr möget ihren Lieblingswein auf ihre Gesundheit trinken.

»Ich bin, mein Herr, mit der größten Achtung

Euer

ergebenster und gehorsamster Diener
Godeau, Gastwirth der Musketiere.«

»Vortrefflich!« rief d’Artagnan, »sie gedenken mein bei ihren Vergnügungen, wie ich ihrer bei meinem Kummer gedachte. Ich werde gewiß auf ihre Gesundheit trinken, und zwar von ganzem Herzen und nicht allein.«

Und d’Artagnan lief zu zwei Garden, mit denen er mehr Freundschaft geschlossen hatte, als mit den andern, und lud sie ein, den köstlichen Wein mit ihm zu trinken, der von Villeroy angekommen war. Der Eine von ihnen war für denselben Abend, der Andere für den folgenden eingeladen; so wurde also die Zusammenkunft auf den zweiten Tag festgesetzt.

D’Artagnan schickte seine zwölf Flaschen Wein in die Trinkstube der Garden, mit dem Befehle, sie sorgfältig aufzubewahren. Als der Tag des Festes erschien, mußte Planchet schon um neun Uhr sich an Ort und Stelle begeben, um die nothwendigen Vorbereitungen zu treffen, während die Stunde zum Mittagsmahle auf ein Uhr festgesetzt war.

Stolz, zur Würde eines Haushofmeisters erhoben worden zu sein, war Planchet darauf bedacht, sich seiner Aufgabe als ein gescheidter Kerl zu entledigen. Er nahm zu diesem Ende noch einen Bedienten von einem der Gäste seines Herrn, Namens Fourreau, zu sich, nebst Baisemout, dem falschen Soldaten, der unsern Helden hatte tödten wollen und, da er zu keinem Korps gehörte, in den Dienst d’Artagnans oder vielmehr Planchets getreten war, seitdem ihm d’Artagnan das Leben geschenkt hatte.

Zur bestimmten Stunde erschienen die zwei Gäste, nahmen Platz und die Gerichte wurden aufgetragen; Planchet wartete mit der Serviette unter dem Arm auf, Fourreau öffnete die Flaschen, und Baisemout, der Rekonvalescent, goß den Wein, der durch das Schütteln einen Satz bekommen zu haben schien, in gläserne Karaffen über. Die erste Flasche von diesem Wein war etwas trüb, Baisemont goß den Satz in ein Glas und d’Artagnan erlaubte ihm, dasselbe zu trinken, denn der arme Teufel hatte noch nicht viel Kraft.

Die Gäste hatten die Suppe gegessen und waren gerade im Begriff, das erste Glas an die Lippen zu setzen, als plötzlich die Kanone im Fort Louis und im Fort Neuf ertönte. Die Garden glaubten, es handle sich um einen unvorhergesehenen Angriff von Seiten der Engländer und von Seiten der Belagerten, und liefen nach ihren Degen; d’Artagnan machte es ebenso und alle drei eilten an ihre Posten.

Aber kaum waren sie außerhalb der Trinkstube, als sie sich durch ein gewaltiges Getöse gefesselt sahen. Von allen Seiten ertönte der Ruf: »Es lebe der König! Es lebe der Herr Kardinal!« und die Trommler schlugen in allen Richtungen.

Der König hatte wirklich in seiner Ungeduld zwei Etapen verdoppelt und traf in diesem Augenblick mit all seinen Haustruppen und einer Verstärkung von zehntausend Mann ein. Vor und hinter ihm zogen die Musketiere. D’Artagnan hatte mit seiner Kompagnie Spalier zu machen, und begrüßte mit einer ausdrucksvollen Geberde seine Freunde und Herrn von Treville. Sobald die Empfangsceremonie vorüber war, versammelten sich die vier Freunde.

»Bei Gott!« rief d’Artagnan, »Ihr hättet nicht besser ankommen können; das Fleisch hat gewiß noch nicht Zeit gehabt, kalt zu werden. Nicht wahr, meine Herren,« fügte der junge Mann gegen die zwei Garden bei, die er seinen Freunden vorstellte. – »Ah! ah! es scheint, wir bankettiren,« sprach Porthos. – »Hoffentlich ist doch keine Frauensperson bei dem Mahle?« sagte Aramis. – »Gibt es trinkbaren Wein in Eurer Schenke?« fragte Athos. – »Ei! bei Gott den Eurigen, lieber Freund,« antwortete d’Artagnan. – »Unseren Wein?« rief Athos. – »Ja den Wein, welchen Ihr mir geschickt habt.« – »Wir haben Euch Wein geschickt?« – »Ihr wißt doch von dem köstlichen Wein von den Rebhügeln von Anjou? …« – »Ja, ich weiß wohl, von welchem Weine Ihr sprecht.« – »Von dem Wein, welchem Ihr den Vorzug gebt.« – »Allerdings, wenn ich weder Champagner noch Chambertin habe.« – »Nun! in Ermanglung des Champagners und des Chambertin werdet Ihr Euch mit diesem begnügen.« – »Wir haben also Anjou-Wein kommen lassen, wir Leckermäuler?« sprach Porthos. – »Nein, es ist der Wein, den man mir in Eurem Auftrage geschickt hat.« – »In unserem Auftrag?« riefen die Musketiere. – »Aramis, habt Ihr den Wein geschickt?« fragte Athos. – »Nein, und Ihr Porthos?« – »Nein.« – »Ganz wohl, aber Euer Wirth, Godeau, der Wirth der Musketiere.« – »Meiner Treu, er mag kommen, woher er will, daran ist nichts gelegen,« sagte Porthos, »wir wollen ihn versuchen und wenn er gut ist, trinken.« – »Nein,« entgegnete Athos, »wir wollen den Wein nicht trinken, der aus einer unbekannten Quelle kommt.« – »Ihr habt Recht, Athos,« sprach d’Artagnan. »Niemand von Euch hat den Gastwirth Godeau beauftragt, mir den Wein zu schicken?« – »Nein: und dennoch ist er Euch in unserem Auftrage zugeschickt worden?« – »Hier ist der Brief,« erwiderte d’Artagnan, und übergab seinen Kameraden das Billet. – »Das ist nicht seine Handschrift,« rief Athos; »ich kenne sie, denn ich habe vor dem Abgang die Rechnungen der Brüderschaft geordnet.« – »Ein falscher Brief,« sagte Porthos, »wir hatten keinen Zimmerarrest.« – »D’Artagnan,« sprach Aramis im Tone des Vorwurfs, »wie konntet Ihr glauben, wir hätten Lärm gemacht? …«

D’Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern schüttelte seine Glieder.

»Du jagst mir Schrecken ein,« sagte Athos, der ihn nur bei bedeutenden Gelegenheiten duzte; »was ist denn vorgefallen?«

»Rasch, laßt uns laufen, meine Freunde!« rief d’Artagnan, dessen Geist ein furchtbarer Verdacht durchzuckte: »sollte es abermals eine Rache von dieser Frau sein?«

Athos erbleichte ebenfalls.

D’Artagnan stürzte nach der Trinkstube; die drei Musketiere und die zwei Garden folgten ihm.

Das Erste was d’Artagnan beim Eintritt in den Speisesaal ins Auge fiel, war Baisemout, der sich in furchtbaren Convulsionen auf dem Boden wälzte.

Bleich wie der Tod suchten ihm Planchet und Fourreau Hülfe zu leisten, aber jeder Beistand war offenbar fruchtlos; alle Züge des Sterbenden waren im Todeskampfe zusammengezogen.

»Ah!« rief er, als er d’Artagnan gewahr wurde; »ah! das ist abscheulich: Ihr gebt Euch das Ansehen, als wolltet Ihr mich begnadigen, und Ihr vergiftet mich.«

»Ich!« rief d’Artagnan, »ich, Unglücklicher! Was sagst Du da?«

»Ich sage, daß Ihr mir diesen Wein gegeben habt; ich sage, daß Ihr mich habt trinken heißen, ich sage, daß Ihr Euch an mir rächen wolltet, ich sage, daß dies abscheulich ist.«

»Glaubt es nicht, Baisemout,« rief d’Artagnan, »glaubt es nicht: ich schwöre Euch …«

»Aber es lebt ein Gott! Gott wird Euch bestrafen! Mein Gott, laß ihn einen Tag leiden, was ich leide.«

»Beim heiligen Evangelium,« sprach d’Artagnan, sich auf den Sterbenden stürzend, »ich schwöre Euch, ich wußte nicht, daß dieser Wein vergiftet war, und wollte so eben selbst davon trinken.«

»Ich glaube Euch nicht,« sagte der Soldat und verschied unter doppelten Qualen.

»Schändlich! schändlich!« murmelte Athos, während Porthos die Flaschen zerbrach und Aramis etwas spät den Befehl gab, einen Beichtiger zu holen.

»Oh! meine Freunde,« sprach d’Artagnan, »Ihr habt mir abermals das Leben gerettet, und zwar nicht allein mir, sondern auch diesen Herren. Meine Herren,« fuhr er, sich an die Garden wendend, fort, »ich bitte, dieses ganze Abenteuer zu verschweigen; hohe Personen könnten in einer Beziehung zu dem, was Ihr gesehen habt, stehen, und das Schlimme von Allem dem würde auf uns zurückfallen.«

»Ach! gnädiger Herr,« stammelte Planchet, mehr todt als lebendig, »ach, gnädiger Herr, da bin ich schön durchgeschlüpft.«

»Wie, Schurke!« rief d’Artagnan, »Du wolltest also meinen Wein trinken?«

»Auf die Gesundheit des Königs, gnädiger Herr; ich wollte eben ein armseliges Gläschen leeren, als Fourreau mir sagte, man rufe mich.«

»Ach!« sprach Fourreau, dem die Zähne vor Schrecken klapperten, »ich wollte ihn entfernen, um allein trinken zu können.«

»Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »Ihr begreift, daß ein solches Mahl nach dem, was vorgefallen ist, nur sehr traurig sein könnte: entschuldigt also gütigst, und wollt mich, ich bitte, an einem anderen Tag mit Eurer Gesellschaft beehren!« Die zwei Garden nahmen die Entschuldigungen d’Artagnan’s höflich auf und entfernten sich, da sie wohl begreifen mochten, daß die vier Freunde allein zu sein wünschten.

Als der junge Garde und die drei Musketiere ohne Zeugen waren, schauten sie sich mit einer Miene an, aus der hervorging, daß sie die ernste Bedeutung ihrer Lage begriffen.

»Vor Allem,« sprach Athos, »wollen wir dieses Zimmer verlassen; ein Todter ist eine schlechte Gesellschaft.«

»Planchet,« sagte d’Artagnan, »ich empfehle Dir, über den Leichnam des armen Teufels zu wachen; er soll in geweihter Erde begraben werden. Allerdings hat er ein Verbrechen begangen, aber er bereute es.«

Die vier Freunde entfernten sich aus dem Zimmer und überließen Planchet und Fourreau die Sorge, Baisemout die letzte Ehre zu erweisen.

Der Wirth gab ihnen eine andere Stube, in die man ihnen weich gesottene Eier und Wasser brachte, das Athos selbst aus dem Brunnen schöpfte. Mit ein paar Worten wurden Porthos und Aramis über die Lage der Dinge in Klare gesetzt.

»Nun! wohl,« sagte d’Artagnan zu Athos, »Ihr seht, es ist ein Krieg auf Leben und Tod.«

Athos schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Ja, ja, ich sehe es wohl, aber glaubt Ihr, sie sei es?«

»Ich bin es fest überzeugt.«

»Doch, ich muß Euch gestehen, daß ich noch daran zweifle.«

»Aber die Lilie auf der Schulter …«

»Es ist eine Engländerin, welche irgend ein Verbrechen in Frankreich begangen haben wird, wofür man sie gebrandmarkt hat.«

»Athos, es ist Eure Frau, sage ich Euch,« antwortete d’Artagnan; »erinnert Ihr Euch nicht, wie sehr sich die zwei Signalements gleichen?«

»Ich glaubte, die andere müßte todt sein, ich hatte sie so gut gehenkt!«

Nun war die Reihe an d’Artagnan, den Kopf zu schütteln.

»Aber was läßt sich am Ende machen?« sprach der junge Mann.

»Offenbar kann man nicht ewig mit einem Schwert über dem Haupte bleiben,« sagte Athos, »und man muß aus dieser Lage herauskommen.«

»Aber wie?«

»Hört: versucht es irgendwo mit ihr zusammen zu kommen und zu einer Erklärung mit ihr zu gelangen. Sagt ihr: »»Krieg oder Friede. Ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, nie etwas von Euch zu sagen, nie etwas gegen Euch zu thun. Von Eurer Seite fordere ich einen feierlichen Eid, neutral in Beziehung auf meine Person zu sein; wollt Ihr dies nicht, so suche ich den Kanzler, den König, den Henker auf: ich bringe den ganzen Hof gegen Euch in Aufruhr, ich gebe Euch als Gebrandmarkte an: ich stelle Euch vor Gericht und wenn man Euch freispricht, nun wohl! dann tödte ich Euch, so wahr ich ein Edelmann bin, an dem nächsten besten Eckstein, wie ich einen wüthenden Hund umbringen würde.««

»Dieses Mittel gefällt mir,« erwiderte d’Artagnan, »aber wie mit ihr zusammenkommen?«

»Die Zelt, mein theurer Freund, die Zeit führt die Gelegenheit herbei; die Gelegenheit ist die Martingale; je höher man spielt, desto mehr gewinnt man, wenn man zu warten weiß.«

»Ja; aber umgeben von Mördern und Giftmischern zu warten …«

»Bah!« rief Athos, »Gott hat uns bis daher bewahrt, Gott wird uns auch fernerhin bewahren.«

»Allerdings uns. Doch wir sind im Ganzen genommen Männer, und es liegt in unserem Stande, unser Leben zu wagen; aber sie…« fügte er mit halber Stimme bei.

»Wer, sie?« fragte Athos.

»Constance.«

»Madame Bonacieux? Ah! das ist richtig,« sprach Athos. »Armer Freund! Ich vergaß, daß Ihr verliebt seid.«

»Ei, wohl!« sagte Aramis; »aber habt Ihr nicht aus dem Briefe, der sich bei dem Schurken fand, welcher Euch ermorden wollte, ersehen, daß sie in einem Kloster ist? Man befindet sich ganz wohl in einem Kloster, und sobald die Belagerung vorüber ist, erkläre ich Euch meines Theils …«

»Gut, gut,« rief Athos. »Ja, mein lieber Aramis, wir wissen, daß Eure Wünsche auf die Religion abzielen.«

»Ich bin nur einstweilen Musketier,« sagte Aramis demüthig.

»Er scheint lange Zeit keine Briefe mehr von seiner Geliebten empfangen zu haben,« sagte Athos leise; »aber merke nicht darauf, wir kennen das.«

»Mir scheint, es gibt ein ganz einfaches Mittel,« rief Porthos. »Welches?« fragte d’Artagnan.

»Sie ist in einem Kloster, sagt Ihr?«

»Ja.«

»Nun, sobald die Belagerung vorüber ist, entführen wir sie aus diesem Kloster.«

»Aber man muß auch wissen, in welchem Kloster sie sich befindet.«

»Das ist richtig,« versetzte Porthos.

»Doch, wenn ich bedenke,« sprach Athos, »behauptet Ihr nicht, mein liebes d’Artagnan, die Königin habe das Kloster für sie ausgewählt.«

»Ja, ich glaube es wenigstens.«

»Gut! da kann uns Porthos helfen.«

»Wie dies, wenn ich bitten darf?«

»Durch Eure Marquise, durch Eure Herzogin, Eure Prinzessin; sie muß einen langen Arm haben.«

»Stille!« erwiderte Porthos und legte einen Finger auf seine Lippen; »ich halte sie für eine Kardinalistin und sie darf nichts davon wissen.«

»Dann übernehme ich es, Kunde von ihr zu erhalten,« sagte Aramis.

»Ihr! Aramis?« riefen die drei Freunde; »Ihr, und wie dies!«

»Durch den Almosenier der Königin, mit dem ich befreundet bin,« antwortete Aramis erröthend.

Die vier Freunde hatten ihr bescheidenes Mahl zu sich genommen und trennten sich auf diese Versicherung, mit dem Versprechen, sich am Abend wieder zu sehen. D’Artagnan kehrte nach Hause zurück, und die Musketiere begaben sich nach dem Quartiere des Königs, wo sie sich ihre Wohnungen einrichten zu lassen hatten.

XV.

Die Wirtschaft zum Rothen Taubenschlag.

Kaum in dem Lager angelangt, wollte der König, welcher so große Eile hatte, dem Feinde gegenüber zu stehen, und den Haß des Kardinals gegen Buckingham theilte, alle Vorkehrungen treffen, einmal um die Engländer von der Insel Ré zu verjagen, und dann um die Belagerung von La Rochelle kräftiger zu betreiben; aber er wurde gegen seinen Willen durch die feindselige Art aufgehalten, womit die Herren Bassompierre und Schomberg dem Herzog von Angoulême entgegentraten.

Herr von Bassompierre und Schomberg waren Marschälle von Frankreich und forderten ihr Recht, das Heer unter dem Befehle des Königs zu kommandiren; aber Richelieu, welcher befürchtete, Bassompierre, der im Innern seines Herzens ein Hugenotte war, möchte die Engländer und die Rocheller, seine Religionsbrüder, nur wenig bedrängen, suchte im Gegentheil den Herzog von Angoulême zu begünstigen, den der König auf seinen Antrieb zum General-Lieutenant ernannt hatte. Wenn also die Herren Bassompierre und Schomberg nicht die Armee verlassen sollten, so mußte man jedem von ihnen ein besonderes Kommando übergeben. Bassompierre nahm seine Quartiere im Norden der Stadt von Lalen bis Dompierre, der Herzog von Angoulême nahm die seinigen im Osten von Dompierre bis Perigny, und Herr von Schomberg im Süden von Perigny bis Angoulin.

Die Wohnung Monsieurs war in Dompierre, die des Königs bald in Estré, bald in la Jarri.

Die Wohnung des Kardinals war auf den Dünen bei dem Pont de la Pierre in einem einfachen Hause ohne alle Verschanzung.

Monsieur überwachte auf diese Weise Bassompierre, der König den Herzog von Angoulême und der Kardinal Herrn von Schomberg.

Sobald diese Anordnung getroffen war, beschäftigte man sich damit, die Engländer von der Insel zu vertreiben.

Die Umstände waren dazu günstig. Die Engländer, welche vor Allem guter Lebensmittel bedürfen, um gute Soldaten zu sein, hatten viele Kranke in ihrem Lager, da sie nur gesalzenes Fleisch und schlechten Zwieback zu essen bekamen. Das Meer war um diese Jahreszeit an allen östlichen Küsten sehr gefährlich, und das Gestade war von der Spitze des Aiguillon bis zu den Laufgräben buchstäblich bei jeder Fluth mit zertrümmerten Pinassen, Robergen und Felucken bedeckt; daher kam es, daß sich die Leute des Königs in ihrem Lager hielten, und Buckingham. der aus Halsstarrigkeit noch auf der Insel Ré verweilte, mußte eines Tages genöthigt werden, die Belagerung aufzugeben.

Aber da Herr von Toiras melden ließ, im feindlichen Lager bereite sich Alles zu einem neuen Sturme vor, so meinte der König, man müsse der ganzen Sache ein Ende machen, und gab die nöthigen Befehle zu einem entscheidenden Kampf.

Es war nicht unsere Absicht, ein Tagebuch der Belagerung zu schreiben, sondern wir wollten im Gegentheil nur die Ereignisse berichten, welche mit der Geschichte, die wir erzählen, in besonderem Zusammenhang stehen, und wir begnügen uns also, mit zwei Worten zu bemerken, daß das Unternehmen zur großen Zufriedenheit des Königs und zum großen Ruhme des Kardinals glückte. Fuß für Fuß zurückgetrieben, bei jedem Zusammentreffen geschlagen, mußten sich die Engländer mit Zurücklassung von zweitausend Todten auf der Wahlstätte wieder einschiffen; unter diesen Todten waren fünf Obersten, drei Oberst-Lieutenants, zweihundert und fünfzig Kapitäne und zwanzig Edelleute von hohem Rang; ferner verloren die Engländer viele Feldstücke und sechzig Fahnen; die letzteren wurden von Claude von Saint-Simon nach Paris gebracht und mit großem Gepränge in den Gewölben von Notre-Dame aufgehängt.

Im Lager ertönten Te Deum, die sich von da durch ganz Frankreich verbreiteten.

Dem Kardinal blieb es also überlassen, die Belagerung fortzusetzen, ohne daß er, wenigstens für den Augenblick, von den Engländern etwas zu befürchten hatte.

Aber die Ruhe war, wie gesagt, nur eine augenblickliche. Es war ein Abgesandter des Herzogs von Buckingham, Namens Montaigu, aufgefangen worden, und man hatte den Beweis eines Bündnisses zwischen dem Reiche, Spanien, England und Lothringen erlangt.

Dieses Bündniß war gegen Frankreich gerichtet.

Außerdem hatte man in der Wohnung des Herzogs von Buckingham, die er in großer Eile verlassen gemußt, Papiere gefunden, welche dieses Bündniß bestätigten, wie der Herr Kardinal in seinen Memoiren versichert, und Frau von Chevreuse, und folglich auch die Königin bedeutend kompromittirten.

Auf Richelieu lastete die ganze Verantwortlichkeit, denn man ist nicht unumschränkter Minister, ohne verantwortlich zu sein. Auch waren alle Quellen und Mittel seines umfassenden Genies Tag und Nacht in Anspruch genommen, um das geringste Geräusch zu vernehmen, das sich in einem der großen Reiche Europas erhob.

Der Kardinal kannte die Thätigkeit und besonders den Haß Buckinghams; triumphirte das Bündniß, von dem Frankreich bedroht wurde, so war sein ganzer Einfluß verloren. Die spanische und die österreichische Politik hatte ihre Repräsentanten im Louvre. Er, Richelieu, der französische, der vorzugsweise nationale Minister, war verloren. Der König, der ihm wie ein Kind gehorchte, haßte ihn, wie ein Kind seinen Lehrmeister haßt, und überließ ihn der vereinigten Rache Monsieurs und der Königin. Er war verloren und Frankreich vielleicht auch; dem Allem mußte man zuvorkommen.

Jeden Augenblick waren die Eilboten zahlreicher, und man sah sie einander Tag und Nacht in dem kleinen Hause am Pont de la Pierre folgen, wo der Kardinal seine Residenz aufgeschlagen hatte.

Es waren Mönche, welche die Kutte so schlecht trugen, daß man leicht erkennen konnte, sie gehören hauptsächlich der streitenden Kirche an; Frauen, die in ihren Pagen-Kleidern etwas beengt waren, und deren weite Hosen die gerundeten Formen nicht völlig verbergen konnten: Bauern endlich mit geschwärzten Händen, aber zarten Beinen, in denen man den Mann von Stand auf eine Meile in der Runde erkannte.

Dann kamen noch andere minder angenehme Besuche, denn wiederholt verbreitete sich das Gerücht, der Kardinal wäre beinahe ermordet worden.

Allerdings behaupteten die Feinde Seiner Eminenz, sie selbst habe ungeschickte Mörder in das Feld geschickt, um vorkommenden Falls das Recht zu Repressalien zu haben, aber man muß weder das, was die Minister, noch das, was ihre Feinde sagen, glauben.

Dies hielt jedoch den Kardinal, dem seine erbittertsten Verläumder den Muth nicht abgesprochen haben, nicht ab, viele nächtliche Ritte zu machen, bald um dem Herzog von Angoulême wichtige Befehle zu eröffnen, bald um sich mit dem König, bald um sich mit irgend einem Boten zu besprechen, den man nicht in seinem Hause sehen sollte.

Die Musketiere, welche bei der Belagerung nicht viel zu thun hatten, waren nicht streng gehalten uns führten ein lustiges Leben. Dies war hauptsächlich unsern drei Genossen um so leichter, als sie, mit Herrn von Treville befreundet, von diesem ohne Schwierigkeit die Erlaubniß erhielten, länger auszubleiben und auch nach Schließung des Lagers außen zu verweilen.

Eines Abends, als d’Artagnan, der den Dienst in den Laufgräben hatte, sie nicht begleiten konnte, kamen Athos, Porthos und Aramis auf ihren Schlachtrossen, in ihre Kriegsmäntel gehüllt, eine Hand auf dem Kolben ihrer Pistole, aus einer Schenke, zum Rothen Taubenschlag genannt, zurück, welche zwei Tage vorher von Athos auf der Straße nach Jarri entdeckt worden war. Sie verfolgten den Weg, der nach dem Lager führte, und waren dabei aus Furcht vor einem Hinterhalt wohl auf ihrer Hut, als sie ungefähr eine Viertelstunde von dem Dorfe Boisneau das Geräusch von Pferden zu hören glaubten, welche auf sie zukamen. Sogleich hielten alle Drei stille und schlossen sich, die Mitte der Straße behauptend, eng an einander an. Nach einem Augenblick, als der Mond eben unter einer Wolke hervortrat, sahen sie wirklich an der Biegung der Straße zwei Reiter, welche, sobald sie unsere Freunde erblickten, ebenfalls stillehielten und mit sich zu Rathe zu gehen schienen, ob sie ihren Weg fortsetzen oder umkehren sollten. Dieses Zögern erregte Verdacht bei den Musketieren; Athos rückte einige Schritte vor und rief mit fester Stimme:

»Wer da?«

»Wer da, Ihr selbst?« erwiderte einer von den Reitern.

»Das ist keine Antwort!« sprach Athos. »Wer da? oder wir feuern.«

»Besinnt Euch wohl, ehe Ihr dies thut, meine Herren,« entgegnete eine vibrirende Stimme, welche zu befehlen gewohnt zu sein schien.

»Das ist ein Oberoffizier, der diese Nacht seine Runde macht,« sprach Athos, sich gegen seine Freunde umwendend. »Was wollen wir thun, meine Herren?«

»Wer seid Ihr?« rief dieselbe Stimme mit demselben befehlenden Tone; »antwortet oder Ihr dürftet Euch schlecht bei Eurem Ungehorsam befinden.«

»Musketiere des Königs!« erwiderte Athos, immer mehr überzeugt, daß der, welcher sie fragte, auch das Recht hiezu hatte.

»Welche Kompagnie?«

»Kompagnie von Treville.«

»Rückt vor und gebt mir Rechenschaft, was Ihr zu dieser Stunde hier zu machen habt.«

Die drei Musketiere rückten etwas verblüfft vor, denn alle drei waren überzeugt, daß sie es mit einem Mächtigern zu thun hatten. Man überließ indessen Athos die Sorge, das Wort zu führen.

Einer von den zwei Reitern war ungefähr zehn Schritte von seinem Gefährten entfernt; Athos gab Porthos und Aramis ein Zeichen, ebenfalls zurückzubleiben, und ritt allein vorwärts.

»Um Vergebung, mein Offizier,« sprach Athos, »aber wir wußten nicht, mit wem wir es zu thun hatten, und Ihr könnt sehen, wir halten gute Wache.

»Euer Name?« fragte der Offizier, der einen Theil seines Gesichtes mit dem Mantel verhüllte.

»Ihr selbst, mein Herr,« sagte Athos, den dieses Verhör zu empören anfing, »gebt mir, ich bitte Euch, den Beweis, daß Ihr das Recht habt, mich so zu fragen?«

»Euer Name?« wiederholte der Reiter, und ließ den Mantel so fallen, daß sein Gesicht entblößt war.

»Der Herr Kardinal!« rief der Musketier erstaunt.

»Euer Name?« fragte Seine Eminenz zum dritten Male.

»Athos,« antwortete der Musketier.

Der Kardinal gab dem Stallmeister ein Zeichen und dieser näherte sich.

»Die drei Musketiere werden uns folgen,« sprach er mit leiser Stimme; »man soll nicht erfahren, daß ich das Lager verlassen habe, und wenn sie uns folgen, sind wir sicher, daß sie Niemand etwas davon sagen.«

»Wir sind Edelleute, Monseigneur,« sprach Athos; »verlangt unser Ehrenwort und seid unbesorgt. Wir wissen, Gott sei Dank! ein Geheimniß zu bewahren.«

Richelieu heftete seine durchdringenden Augen auf den kühnen Redner.

»Ihr habt ein feines Ohr, Herr Athos,« sprach der Kardinal. »Aber nun hört: ich bitte Euch, nicht aus Mißtrauen, sondern meiner Sicherheit wegen, mir zu folgen. Ohne Zweifel sind Eure zwei Gefährten die Herren Porthos und Aramis.«

»Ja, Ew. Eminenz,« antwortete Athos, während die zwei zurückgebliebenen Musketiere, den Hut in der Hand, sich näherten.

»Ich kenne Euch, meine Herren,« sagte der Kardinal, »ich kenne Euch. Ich weiß, daß ich Euch nicht ganz zu meinen Freunden zu zählen habe, und das thut mir leid. Ich weiß aber auch, daß Ihr brave, wackere Edelleute seid, und daß man sich Euch anvertrauen kann. Herr Athos, erweist mir die Ehre, mich nebst Euren zwei Freunden zu begleiten, und ich werde dann eine Eskorte haben, um welche mich Seine Majestät beneiden müßte, wenn wir ihr begegnen würden.«

Die drei Musketiere verbeugten sich bis auf den Hals ihrer Pferde.

»Ei, bei meiner Ehre!« rief Athos, »Ew. Eminenz hat Recht, uns mitzunehmen. Wir stießen unterwegs auf abscheuliche Gesichter, und hatten sogar mit vier von diesen Gesichtern einen Zank im Rothen Taubenschlag.«

»Einen Zank! und warum, meine Herren,« sagte der Kardinal. »Ich liebe die Zänkereien nicht, wie Ihr wißt.«

»Gerade deßhalb habe ich die Ehre, Ew. Eminenz von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen; denn sie könnte es von Andern erfahren und uns auf einen falschen Bericht hin schuldig glauben.«

»Und was war das Resultat dieses Streites?« fragte der Kardinal die Stirne faltend.

»Mein Freund Aramis, den Ihr hier seht, hat einen kleinen Degenstich in den Arm bekommen, was ihn jedoch nicht abhalten wird, wie Ihr wohl bemerken möget, morgen den Sturm mitzumachen, wenn Euer Eminenz dazu Befehl geben sollte.«

»Aber Ihr seid nicht die Menschen, die sich auf diese Art Degenstiche geben lassen?« sagte der Kardinal. »Sprecht offen, meine Herren, Ihr habt sicherlich einige zurückgegeben! Beichtet, Ihr wißt, ich habe das Recht, Absolution zu ertheilen.«

»Ich, gnädiger Herr,« sagte Athos, »ich habe nicht einmal den Degen gezogen, aber ich nahm denjenigen, mit welchem ich zu schaffen hatte, um den Leib und warf ihn zum Fenster hinaus. Es scheint,« fuhr Athos mit einigem Zögern fort, »daß er beim Fallen den Schenkel gebrochen hat.«

»Ah! ah!« rief der Kardinal, »und Ihr, Herr Porthos?«

»Ich, Monseigneur, ergriff, da ich wußte, daß das Duell verboten ist, eine Bank und versetzte einem von diesen Schurken einen Streich, der ihm, glaube ich, die Schulter zerschmettert hat.«

»Gut,« sagte der Kardinal, »und Ihr, Herr Aramis?«

»Ich, Monseigneur, da ich ein sehr sanftes Gemüth habe und überdies, was Monseigneur vielleicht nicht weiß, in den geistlichen Stand einzutreten im Begriffe bin, wollte meine Kameraden trennen, als einer von diesen Elenden mir verrätherischer Weise einen Degenstich durch den linken Arm beibrachte. Da ging mir die Geduld aus und ich zog meinen Degen ebenfalls, und als er wieder angriff, glaube ich bemerkt zu haben, daß er sich, indem er sich auf mich warf, meine Klinge durch den Leib rannte. Ich weiß nur, daß er fiel, und es schien mir, als ob man ihn mit seinen zwei Genossen fortgetragen hätte.«

»Teufel, meine Herren!« sprach der Kardinal, »drei Menschen wegen einer Wirthshauszänkerei wehrlos zu machen! Ihr scheint mir keine faule Hände zu haben! Und worüber entspann sich der Streit?«

»Die Elenden waren berauscht und wollten, da sie wußten, daß diesen Abend eine Frau in der Schenke angekommen war, die Thüre sprengen.«

»Diese Frau war wohl jung und hübsch?« fragte der Kardinal mit einiger Unruhe.

»Wir haben sie nicht gesehen, Monseigneur,« sagte Athos.

»Ihr habt sie nicht gesehen? Ah! sehr gut!« versetzte der Kardinal lebhaft. »Ihr habt wohl daran gethan, die Ehre einer Frau zu vertheidigen, und da ich gerade selbst zur Herberge zum Rothen Taubenschlag gehe, so werde ich erfahren, ob Ihr die Wahrheit gesprochen habt.«

»Monseigneur,« sagte Athos stolz, »wir sind Edelleute und würden uns keine Lüge erlauben, und wenn wir damit unser Leben retten könnten.«

»Auch zweifle ich nicht einen Augenblick an dem, was Ihr mir sagt, Herr Athos, ich zweifle nicht im Mindesten daran. Doch,« fügte er bei, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »doch diese Dame war wohl allein?«

»Sie hatte einen Kavalier bei sich eingeschlossen,« sagte Athos. »Da sich dieser Kavalier jedoch, trotz des Lärmens, nicht zeigte, so läßt sich annehmen, daß er ein Feigling ist.«

»Richtet nicht vorlaut, sagt das Evangelium,« entgegnete der Kardinal.

Aramis verbeugte sich.

»Und nun, meine Herren, ist es gut,« fuhr Seine Eminenz fort; »ich weiß, was ich wissen wollte, folgt mir.«

Die drei Musketiere ritten hinter dem Kardinal, der wieder das Gesicht in seinen Mantel hüllte, sein Pferd in Marsch setzte und sich acht bis zehn Schritte vor seinen vier Gefährten hielt.

Man gelangte bald zu der einsamen, stillen Herberge. Ohne Zweifel wußte der Wirth, welcher erhabene Besuch erscheinen würde, und hatte deßhalb die Lästigen weggeschickt.

Zehn Schritte von der Thüre entfernt gab der Kardinal seinem Stallmeister und den Musketieren ein Zeichen, Halt zu machen. Ein völlig gesatteltes Pferd war an den Laden angebunden. Der Kardinal klopfte dreimal und auf eine besondere Weise. Ein in einen Mantel gehüllter Mann trat heraus und wechselte rasch einige Worte mit dem Kardinal, wonach er zu Pferde stieg und sich in der Richtung von Surgère, was auch zugleich die Richtung von Paris war, entfernte.

»Vorwärts, meine Herren,« sprach der Kardinal.

»Ihr habt mir die Wahrheit gesagt, meine edlen Herrn,« fügte er, sich an die Musketiere wendend, bei, »und es ist nicht meine Schuld, wenn unser Zusammentreffen an diesem Abend nicht vortheilhaft für Euch ausfällt. Mittlerweile folgt mir.«

Der Kardinal stieg ab, die Musketiere thaten dasselbe. Der Kardinal warf den Zügel seines Pferdes seinem Stallmeister zu, die drei Musketiere banden die ihrigen an die Läden.

Der Wirth blieb auf der Schwelle seiner Thüre. Für ihn war der Kardinal nur ein Offizier, der eine Dame besuchte.

»Habt Ihr ein Zimmer im Erdgeschoß, wo diese Herren mich bei einem guten Feuer erwarten können?« sagte der Kardinal.

Der Wirth öffnete die Thüre einer großen Stube, in welcher man eben im Begriffe war, einen schlechten Ofen durch ein großes vortreffliches Kamin zu ersetzen.

»Ich habe diese hier,« sagte er.

»Das ist gut,« versetzte der Kardinal. »Tretet ein, meine Herren, und erwartet mich gefälligst. Ich werde höchstens eine halbe Stunde ausbleiben.«

Und während die drei Musketiere in die Stube im Erdgeschoß eintraten, stieg der Kardinal, ohne weitere Auskunft zu verlangen, die Treppe hinauf, wie ein Mensch, der sich den Weg nicht zeigen zu lassen braucht.

XVI.

Von dem Nutzen der Ofenröhren.

Offenbar hatten unsere drei Freunde, ohne es zu vermuthen und einzig und allein durch ihren ritterlichen, abenteuerlichen Charakter bewogen, Jemand, den der Kardinal mit seinem besonderen Schutze beehrte, einen Dienst erwiesen.

Wer war nun dieser Jemand? Das war eine Frage, welche die drei Musketiere auch an sich richteten. Da sie aber sahen, daß keine von den Antworten, welche ihr Verstand zu geben vermochte, genügend war, so rief Porthos den Wirth und forderte Würfel.

Porthos und Aramis setzten sich an einen Tisch und fingen an zu spielen; Athos ging nachdenklich auf und ab.

Bei dieser Gelegenheit kam er wiederholt an einer Ofenröhre vorüber, deren eine Hälfte abgebrochen war, während das andere Ende in ein oberes Zimmer ging und so oft er vorüber kam, hörte er ein Gemurmel von Worten, das am Ende seine Aufmerksamkeit fesselte. Athos näherte sich und unterschied einige Worte, die ihm ohne Zweifel eine so große Theilnahme zu verdienen schienen, daß er seinen zwei Gefährten ein Zeichen gab, sie möchten schweigen, während er sein Ohr an die Mündung der Röhre legte.

»Hört, Mylady,« sprach der Kardinal, »die Sache ist äußerst wichtig, setzt Euch, wir wollen uns besprechen.«

»Mylady?« murmelte Athos.

»Ich höre Euere Eminenz mit der größten Aufmerksamkeit,« antwortete eine Frauenstimme, welche den Musketier beben machte.

»Ein kleines Schiff mit englischer Bemannung, dessen Kapitän mir ergeben ist, erwartet Euch an der Mündung der Charente, bei dem Fort de la Pointe. Es wird morgen unter Segel gehen.«

»Ich muß mich also noch in dieser Nacht dahin begeben?«

»In diesem Augenblick, das heißt, sobald Ihr meine Instruktionen erhalten habt. Zwei Männer, die Ihr bei Eurem Abgang vor der Thüre findet, werden Euch als Geleite dienen. Ihr laßt mich aber zuerst gehen, und entfernt Euch eine halbe Stunde nach mir.«

»Gut, Monseigneur. Nun aber wollen wir auf die Sendung zurückkommen, mit der Ihr mich beauftragen werdet, und da mir Alles daran gelegen ist, fortwährend das Vertrauen Eurer Eminenz zu verdienen, so setzt mir gnädigst in klaren und scharfen Worten die Sache auseinander, damit ich keinen Irrthum begehe.«

Es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen unter den Sprechenden, offenbar wog der Kardinal vorher die Ausdrücke ab, deren er sich bedienen wollte, und Mylady faßte alle ihre geistigen Fähigkeiten zusammen, um die Dinge, die er ihr sagen würde, vollständig zu begreifen und, wenn sie gesagt wären, ihrem Gedächtnisse einzuprägen.

Athos benützte diesen Augenblick, um seine Freunde aufzufordern, die Thüre von Innen zu schließen und dann zu ihm heranzutreten, um mit ihm zu hören.

Die zwei Musketiere, welche die Bequemlichkeit liebten, brachten einen Stuhl für jeden von ihnen und einen weiteren für Athos herbei. Alle drei setzten sich, hielten die Köpfe neben einander und horchten mit gespannten Ohren.

»Ihr begebt Euch nach London,« fuhr der Kardinal nun fort. »Dort sucht Ihr sogleich Buckingham auf.«

»Ich erlaube mir, Eurer Eminenz zu bemerken,« sagte Mylady, »daß seit der Geschichte mit den diamantenen Nestelstiften, wegen deren mich der Herzog stets im Verdacht gehabt hat, Seine Herrlichkeit mir mißtraut.«

»Es handelt sich auch diesmal,« entgegnete der Kardinal, »nicht darum, sein Vertrauen zu gewinnen, sondern sich ihm aus eine offene und loyale Weise als Unterhändlerin zu nähern.«

»Aus eine offene und loyale Weise?« wiederholte Mylady mit einer unbeschreiblich doppelsinnigen Betonung.

»Ja, offen und loyal,« versetzte der Kardinal in demselben Ton, »diese ganze Angelegenheit muß offen behandelt werden.«

»Ich werde die Instruktionen Seiner Eminenz buchstäblich befolgen und sehe denselben entgegen.«

»Ihr sucht Buckingham in meinem Namen auf und sagt ihm, ich wisse von allen Vorbereitungen, die er treffe, aber ich kümmere mich nicht im Geringsten darum, indem ich bei der ersten Bewegung, die er wagen würde, die Königin ins Verderben stürze.«

»Wird er glauben, daß Eure Eminenz im Stande ist, diese Drohung zu erfüllen?«

»Ja, denn ich habe Beweise.«

»Ich muß diese Beweise seiner Prüfung vorlegen können.«

»Allerdings, und Ihr sagt ihm: erstens, daß ich den Bericht von Bois-Robert und vom Marquis von Beautru über die Zusammenkunft bekannt mache, die der Herzog mit der Königin bei der Frau Connetable an demselben Abend gehabt hat, wo die letztere ein Maskenfest gab. Ihr sagt ihm, damit ihm kein Zweifel übrig bleibt, daß er daselbst im Costüm des Großmoguls erschienen ist, das der Chevalier von Guise tragen sollte, dem er es um dreitausend Pistolen abgekauft hat.«

»Gut, Monseigneur.«

»Alle Einzelnheiten über seinen Ein- und Austritt im Louvre in der Nacht, wo er sich unter dem Costüm eines italienischen Wahrsagers eingeschlichen hat, sind mir bekannt; Ihr sagt ihm, damit er nicht an der Aechtheit meiner Nachrichten zweifelt, er habe unter seinem Mantel ein weites, mit schwarzen Thränen, Todtenköpfen und Knochen in Form von Andreaskreuzen besätes Gewand getragen; denn im Fall der Ueberraschung sollte er für das Gespenst der weißen Dame gehalten werden, welche, wie Jedermann weiß, im Louvre erscheint, so oft ein großes Ereigniß um den Weg ist.«

»Ist das Alles, Monseigneur?«

»Sagt ihm auch, ich wisse alle Einzelnheiten von seinem Abenteuer in Amiens. Ich werde daraus ein geistreiches Romänchen mit dem Plane des Gartens und den Porträts der Hauptpersonen dieser nächtlichen Scene machen lassen.«

»Ich werde ihm Alles das sagen.«

»Sagt ihm ferner: ich halte Montaigu fest, Montaigu sei in der Bastille. Man habe allerdings keinen Brief bei ihm gefunden, aber die Folter könne ihn dazu bringen. Alles zu gestehen, was er weiß und selbst … das, was er nicht weiß.«

»Vortrefflich!«

»Fügt endlich bei: Seine Herrlichkeit habe bei der Eile, mit der er die Insel Ré verließ, einen gewissen Brief von Frau von Chevreuse liegen lassen, der die Königin sehr bedeutend compromittire, indem daraus hervorgehe, daß Ihre Majestät nicht nur die Feinde des Königs liebe, sondern auch mit denen Frankreichs conspirire. Ihr habt Alles, was ich Euch gesagt, wohl behalten, nicht wahr?«

»Eure Eminenz mag selbst urtheilen: der Ball der Frau Connetable, die Nacht im Louvre, die Abendunterhaltung von Amiens, die Verhaftung von Montaigu, der Brief der Frau von Chevreuse.«

»So ist es,« sprach der Kardinal, »so ist es. Ihr habt ein sehr glückliches Gedächtniß, Mylady.«

»Aber,« versetzte diejenige, an welche der Kardinal dieses Compliment gerichtet hatte, »wenn sich der Herzog trotz all dieser Gründe nicht ergiebt und Frankreich zu bedrohen fortfährt?«

»Der Herzog ist verliebt, wie ein Narr, oder vielmehr wie ein Dummkopf,« erwiderte Richelieu mit tiefer Bitterkeit. »Wie die alten Paladine, hat er diesen Krieg nur unternommen, um einen Blick von seiner Schönen zu erlangen. Weiß er, daß dieser Krieg die Dame seiner Gedanken, wie er sagt, die Ehre und vielleicht die Freiheit kosten kann, so wird er sich doppelt in Acht nehmen, dafür stehe ich Euch.«

»Aber,« sagte Mylady mit einer Beharrlichkeit, welche bewies, daß sie den Auftrag, den man ihr gab, bis an sein Ende durchschauen wollte, »aber wenn er dennoch fest bleibt?«

»Wenn er fest bleibt« – sagte der Kardinal … »das ist nicht wahrscheinlich.«

»Es ist möglich,« entgegnete Mylady.

»Wenn er fest bleibt …« Seine Eminenz machte eine Pause und sprach sodann: »Wenn er festbleibt, gut! so hoffe ich auf eines jener Ereignisse, welche die Gestalt der Staaten verändern.«

»Wenn Seine Eminenz die Güte haben wollte, mir aus der Geschichte einige solche Ereignisse anzuführen, »sagte Mylady, »so würde ich vielleicht dieses Vertrauen auf die Zukunft theilen.«

»Nun wohl, zum Beispiel,« antwortete Richelieu, als im Jahre 1610 wegen einer Ursache, welche derjenigen ungefähr ähnlich ist, die den Herzog in Bewegung setzt, König Heinrich IV., glorreichen Andenkens, zu gleicher Zeit einen Einfall in Flandern und Italien machte, um Oesterreich von zwei Seiten anzugreifen, – nun, geschah es da nicht, daß ein Ereigniß Oesterreich rettete? Warum sollte der König von Frankreich nicht dasselbe Glück haben, wie der Kaiser?«

»Eure Eminenz beliebt von dem Messerstiche in der Rue de la Feronnerie zu sprechen.«

»Allerdings,« sagte der Kardinal.

»Fürchtet Eure Eminenz nicht, die Hinrichtung Ravaillacs werde diejenigen zurückschrecken, welche einen Augenblick den Gedanken haben dürften, sein Beispiel nachzuahmen?«

»Es gibt zu allen Zeiten und in allen Ländern, besonders wenn die Länder durch die Religion getheilt sind, Fanatiker, deren höchster Wunsch es ist, Märtyrer zu werden. Halt! in diesem Augenblick fällt mir ein, daß die Puritaner gegen den Herzog von Buckingham wüthend sind, und daß ihre Prediger ihn als den Antichrist bezeichnen.«

»Nun?« fragte Mylady.

»Nun!« fuhr der Kardinal mit gleichgültiger Miene fort, »es würde sich für den Augenblick z. B. nur darum handeln, eine hübsche, junge, geschickte Frau zu finden, die sich selbst an dem Herzog zu rächen hätte. Eine solche Frau läßt sich finden. Der Herzog ist ein Mann, der bei den Weibern Glück hat, und säete er auch viel Liebe durch seine Versprechungen ewiger Treue aus, so mußte er dagegen ebenfalls viel Haß durch seine ewige Untreue ausstreuen.«

»Gewiß,« sagte Mylady, »eine solche Fran läßt sich finden.«

»Gut, eine Frau, welche das Messer Jacques Clements oder Ravalliacs einem Fanatiker in die Hände zu drücken wüßte, würde Frankreich retten.«

»Ja aber sie wäre die Mitschuldige einer Mordthat.«

»Hat man je die Mitschuldigen Ravaillacs oder Jacques Clements kennen gelernt?«

»Nein, denn sie waren vielleicht zu hoch gestellt, als daß man es hätte wagen sollen, sie da zu suchen, wo sie sich befanden. Man würde den Justizpalast nicht um Alles in der Welt verbrennen, Monseigneur.«

»Ihr glaubt also, daß der Brand des Justizpalastes einer andern Ursache, als dem Zufall zuzuschreiben ist?« fragte Richelieu in einem Ton, worin er eine ganz bedeutungslose Frage gestellt haben würde.

»Ich, Monseigneur,« antwortete Mylady, »ich glaube nichts. Ich führe eine Thatsache an, weiter Nichts. Ich sage nur, wenn ich Mademoiselle von Montpensier oder Königin Marie von Medicis hieße, würde ich weniger Vorsichtsmaßregeln nehmen, als jetzt, da ich ganz einfach Lady Winter heiße.«

»Das ist richtig,« sprach Richelieu. »Was würdet Ihr also verlangen?«

»Ich würde einen Befehl verlangen, der Alles das zum Voraus bestätigte, was ich zur Wohlfahrt Frankreichs thun zu müssen glauben würde.«

»Aber vor Allem müßte man die Frau finden, wie ich sie bezeichnet habe, und die sich an dem Herzog zu rächen hätte.«

»Sie ist gefunden,« sprach Mylady.

»Dann müßte man den elenden Fanatiker finden, der als Werkzeug für die Gerechtigkeit Gottes dienen würde.«

»Man wird ihn finden.«

»Wohl,« sagte der Herzog, »dann wird es Zeit sein, den Befehl zu fordern, den ihr so eben von mir verlangt habt.«

»Ew. Eminenz hat Recht,« erwiderte Mylady, »und ich habe Unrecht gehabt, in der Sendung, womit sie mich beehrt, etwas Anderes zu sehen, als was sie wirklich ist, das heißt Seiner Herrlichkeit von Seiten Seiner Eminenz zu melden, daß Ihr die verschiedenen Verkleidungen kennt, mit deren Hilfe es Seiner Herrlichkeit gelungen ist, sich der Königin auf dem Ball der Frau Connetable zu nähern; daß Ihr Beweise von der Zusammenkunft besitzet, welche die Königin einem gewissen Astrologen, der Niemand anders war als der Herzog von Buckingham, im Louvre gegeben; daß Ihr einen äußerst geistreichen Roman über das Abenteuer in Amiens sammt dem Plane des Gartens, wo diese Geschichte vorfiel, und den Porträts der handelnden Personen, bestellt habt; daß Montaigu sich in der Bastille befindet, und daß ihn die Folter bewegen kann, Dinge zu sagen, deren er sich erinnert, und sogar Dinge, die er vergessen hat; endlich, daß Ihr einen gewissen Brief von Frau von Chevreuse besitzt, der sich in der Wohnung seiner Herrlichkeit gefunden hat und nicht nur die Schreiberin, sondern auch diejenige, in deren Namen er geschrieben worden ist, bedeutend compromittirt. Bleibt er dessenungeachtet fest, so habe ich, da sich, wie gesagt, mein Auftrag hierauf beschränkt, nur Gott zu bitten, er möge ein Wunder zur Rettung Frankreichs thun. So ist es, nicht wahr, Monseigneur, und ich habe nichts Anderes zu vollbringen?«

»So ist es,« erwiderte der Kardinal trocken.

»Und nun,« sprach Mylady, ohne daß sie die Veränderung im Tone des Kardinals zu bemerken schien, »nun, da ich die Instruktionen Eurer Eminenz in Bezug auf Eure Feinde erhalten habe, so wird mir Monseigneur erlauben, ihm ein paar Worte über die meinigen zu sagen.« – »Ihr habt also Feinde?« fragte Richelieu. – »Ja, Monseigneur, gegen die Ihr mir Eure Unterstützung schuldig seid, denn ich habe sie mir im Dienste Eurer Eminenz zugezogen.« – »Und wer sind sie?« fragte der Kardinal. – »Vor allem eine kleine Intrigantin, Namens Bonacieux.« – »Sie ist im Gefängnisse von Nantes.« – »Das heißt, sie war dort,« entgegnete Mylady; »aber die Königin hat sich von dem König einen Befehl zu verschaffen gewußt, mit dessen Hülfe sie dieselbe in ein Kloster bringen ließ.« – »In ein Kloster?« sagte der Herzog. – »Ja, in ein Kloster.« – »Und in welches?« – »Ich weiß es nicht; daß Geheimniß ist wohl verwahrt.« – »Ich werde es erfahren.« – »Und Eure Eminenz wird mir sagen, in welchem Kloster sich diese Frau befindet?« – »Ich sehe keinen Grund, es Euch zu verweigern,« sprach der Kardinal. – »Gut. Nun habe ich noch einen andern Feind, der mir viel furchtbarer ist, als die kleine Madame Bonacieux.« – »Und wen?« »Ihren Liebhaber.« – »Wie heißt er?« – »Oh! Eure Eminenz kennt ihn wohl,« rief Mylady voll Zorn; »er ist der böse Genius von uns Beiden. Es ist derselbe Kerl, der bei einem Zusammentreffen mit den Leibwachen Ew. Eminenz den Sieg zu Gunsten der Musketiere des Königs entschieden hat; derselbe, der dem Grafen von Wardes, Eurem Emissär, vier Degenstiche versetzte und dadurch die Angelegenheit mit den Nestelstiften scheitern machte; derselbe, der mir, weil er weiß, daß ich ihm Madame Bonacieux entführte, den Tod geschworen hat.« – »Ah! ah!« sagte der Kardinal, »ich weiß, von wem Ihr sprechen wollt.« – »Ich will von dem elenden d’Artagnan sprechen.« – »Das ist ein kecker Geselle,« rief der Kardinal. – »Und gerade, weil er ein kecker Geselle ist, hat man ihn um so mehr zu fürchten.« – »Man müßte einen Beweis von seinem Einverständniß mit Buckingham haben,« sprach der Herzog. – »Einen Beweis!« rief Mylady, »es werden mir zehn zu Gebot stehen.« – »Gut, dann ist es die einfachste Sache der Welt. Liefert mir diesen Beweis und ich schicke ihn in die Bastille.« – »Wohl, Monseigneur, aber hernach?« – »Wenn man in der Bastille ist, gibt es keine Hernach,« entgegnete der Kardinal mit dumpfer Stimme. »Ah! bei Gott!« fuhr er fort, »wenn es mir so leicht wäre, mich meines Feindes zu entledigen, als es mir leicht ist. Euch den Eurigen vom Halse zu schaffen, und wenn Ihr gegen solche Leute Straflosigkeit von mir verlangtet …« – »Monseigneur,« versetzte Mylady, »Zug um Zug, Leben um Leben, Menschen um Menschen: gebt mir diesen, und ich gebe Euch den andern.« – »Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt,« erwiderte der Kardinal, »und will es sogar nicht einmal wissen; aber ich hege den Wunsch, Euch angenehm zu sein, und ich sehe nichts Ungeeignetes darin. Euch Euern Wunsch in Betreff eines so untergeordneten Geschöpfes zu gewähren, um so mehr als dieser kleine d’Artagnan, wie Ihr mir sagt, ein lockerer Geselle, ein Raufbruder, ein Verräther ist.« – »Ein Schandbube! Monseigneur! ein Schandbube!« – »Gebt mir Tinte, Feder und Papier,« sagte der Kardinal.

Es trat ein kurzes Stillschweigen ein, woraus hervorging, daß der Kardinal damit beschäftigt war, die Ausdrücke zu suchen, in denen das Billet beschrieben werden sollte, oder es wirklich zu schreiben. Athos, der kein Wort von der Unterredung verloren hatte, nahm seine zwei Gefährten bei der Hand und führte sie ans andere Ende der Stube.

»Nun,« sagte Porthos, »Was willst Du? und warum läßt Du uns nicht den Schluß des Gespräches hören?«

»Stille!« entgegnete Athos, leise redend, »wir haben Alles vernommen, was wir vernehmen mußten; übrigens halte ich Euch nicht ab, den Rest zu hören, aber ich muß gehen.«

»Du mußt gehen?« fragte Porthos. »Aber wenn der Kardinal nach dir verlangt, was sollen wir antworten?«

»Ihr wartet nicht, bis er nach mir verlangt, Ihr sagt ihm, ich sei als Kundschafter vorausgeritten, weil mich gewisse Worte unseres Wirthes auf den Gedanken gebracht hätten, daß der Weg nicht sicher sei. Ueberdies werde ich dem Stallmeister des Kardinals ein paar Worte zuflüstern. Das Weitere geht mich an, kümmre Dich nicht darum.«

»Sei klug, Athos,« sagte Aramis.

»Seid ruhig,« antwortete Athos, »Ihr wißt, daß ich kaltes Blut habe.«

Porthos und Aramis nahmen ihren Platz bei der Ofenröhre wieder ein.

Athos ging hinaus, ohne ein Geheimniß daraus zu machen nahm sein Pferd, das mit denen seiner zwei Freunde an die Läden angebunden war, überzeugte mit vier Worten den Stallmeister von der Nothwendigkeit einer Vorhut bei der Rückkehr, untersuchte, scheinbar mit großer Pünktlichkeit, das Zündkraut auf seiner Pistole, nahm den Degen zwischen die Zähne und ritt wie ein verlorener Posten auf dem Wege voraus, der nach dem Lager führte.

I.

Die Equipirungsjagd

Der ängstlichste von den vier Freunden war offenbar d’Artagnan, obgleich dieser in seiner Eigenschaft als Garde viel leichter zu equipiren war, als die Herren Musketiere; aber unser Junker aus der Gascogne hatte, wie man bereits sehen konnte, einen vorsichtigen, etwas geizigen Charakter, und war dabei so eitel, daß er Porthos die Spitze bieten konnte. Mit der Unruhe seiner Eitelkeit verband sich bei d’Artagnan in diesem Augenblick eine minder egoistische Unruhe. Alle Erkundigungen, die er über Madame Bonacieux einzog, blieben erfolglos. Herr von Treville hatte mit der Königin gesprochen; die Königin wußte nicht, wo die junge Frau war, und versprach, sie suchen zu lassen. Aber diese Zusage war sehr unbestimmt und diente d’Artagnan nicht zur Beruhigung.

Athos verließ sein Zimmer nicht; er war entschlossen, keinen Schritt zum Behuf seiner Equipirung zu unternehmen.

»Es bleiben uns vierzehn Tage,« sagte er zu seinen Freunden; »wohl! wenn ich nach Verlauf dieser vierzehn Tage nichts gefunden habe, oder vielmehr, wenn mich nichts aufgesucht hat, so werde ich, da ich ein zu guter Katholik bin, um mir mit einem Pistolenschuß den Hirnschädel zu zerschmettern, einen ehrlichen Streit mit vier Leibwachen Seiner Eminenz oder mit acht Engländern suchen und mich schlagen, bis mich einer tötet, was in Betracht der Quantität nicht ausbleiben kann. Man wird dann sagen, ich sei im Dienste des Königs gestorben, und ich werde meinen Dienst gethan haben, ohne daß ich mich zu equipiren brauche.«

Porthos ging fortwährend, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schüttelnd, auf und ab und sagte:

»Ich habe meine Gedanken.«

Aramis sah sorgenvoll und verwahrlost aus, und sprach nichts.

Aus diesen unglücklichen Einzelheiten kann man ersehen, daß Verzweiflung in der Gemeinde herrschte.

Die Lakaien theilten wie die Renner Hippolyts die trübe Stimmung ihrer Herren. Mousqueton kaufte Krustenvorräte ein; Bazin, der stets ein gottesfürchtiger Mann gewesen war, verließ die Kirche nicht mehr; Planchet beobachtete den Flug der Mücken, und Grimaud, den das allgemeine Unglück nicht dazu bringen konnte, daß er das ihm von seinem Herrn auferlegte Stillschweigen gebrochen hätte, stieß Seufzer aus, daß sich die Steine hätten erbarmen mögen.

Die drei Freunde, denn Athos hatte, wie gesagt geschworen, keinen Schritt für seine Equipirung zu thun, die drei Freunde gingen am frühen Morgen aus und kehrten sehr spät nach Hause. Sie irrten in den Straßen umher und betrachteten jeden Pflasterstein, um zu schauen, ob nicht etwa ein Vorübergehender seine Börse habe fallen lassen. Man hätte glauben sollen, sie verfolgen eine Fährte, so aufmerksam waren sie überall, wo sie gingen. Wenn sie sich begegneten, richteten sie verzweiflungsvolle Blicke an einander, welche zu fragen schienen: hast Du etwas gefunden?

Da jedoch Porthos zuerst seinen Gedanken gefunden und diesen sodann mit der größten Beharrlichkeit verfolgt hatte, so war er auch der Erste, der an das Werk ging. Es war ein Mann der Ausführung, dieser würdige Porthos. D’Artagnan bemerkte ihn eines Tags, wie er nach der Saint-Leu-Kirche wandelte, und folgte ihm instinktmäßig. Er trat in den heiligen Ort ein, nachdem er zuvor seinen Schnurrbart in die Höhe gestrichen und den Knebelbart lang gezogen hatte, was von seiner Seite stets äußerst eroberungssüchtige Pläne andeutete. Da d’Artagnan einige Vorsichtsmaßregeln traf, so glaubte Porthos nicht gesehen worden zu sein. Porthos lehnte sich an die eine Seite eines Pfeilers, d’Artagnan, stets unbemerkt, an die andere.

Es wurde gerade eine Predigt gehalten, weßhalb die Kirche sehr voll war. Porthos benützte diesen Umstand, um die Frauen zu beäugeln. In Folge der Bemühungen Mousqueton’s kündigte sein Aeußeres entfernt nicht die Trübsal des Innern an. Sein Filzhut war wohl etwas abgetragen, seine Feder wohl etwas verschossen, seine Stickereien wohl etwas matt geworden, seine Spitzen wohl etwas verzerrt; aber in dem Halblicht verschwanden alle diese Bagatellen und Porthos blieb immer der schöne Porthos.

D’Artagnan bemerkte auf einer Bank, zunächst bei dem Pfeiler, an welchem Porthos und er lehnten, eine Art von reifer Schönheit, etwas vergilbt, etwas vertrocknet, aber steif und hochmütig unter ihrer schwarzen Haube. Die Augen unseres Porthos senkten sich verstohlen auf diese Dame und schweiften dann sogleich wieder im Schiff der Kirche umher.

Die Dame, welche von Zeit zu Zeit erröthete, schleuderte mit Blitzesschnelligkeit einen Blick auf den flatterhaften Porthos, und sogleich fing Porthos wieder an, seine Augen mit aller Wuth umher irren zu lassen. Offenbar stachelte dieses Benehmen die Dame mit der Haube ganz ungemein; denn sie biß sich in die Lippen, daß sie bluteten, kratzte sich an der Nase und rückte verzweiflungsvoll auf ihrem Stuhle hin und her.

Als dies Porthos gewahr wurde, strich er seinen Schnurrbart abermals in die Höhe, zog seinen Knebelbart zum zweiten Mal lang und fing an, einer schönen Dame in der Nähe des Chors Zeichen zu machen, einer Dame, die nicht nur eine schöne, sondern auch ohne Zweifel eine vornehme Dame war; denn sie hatte einen Negerknaben, der das Kissen brachte, auf dem sie kniete, und eine Kammerfrau hinter sich, welche die mit einem Wappen gestickte Tasche in der Hand hielt, worin ihr Gebetbuch verwahrt wurde.

Die Dame mit der schwarzen Haube verfolgte den Blick von Porthos in allen seinen Irrfahrten, und erkannte, daß er auf die Dame mit dem Sammetkissen, dem Negerknaben und der Kammerfrau geheftet blieb.

Während dieser Zeit gab sich Porthos nicht die geringste Blöße; er blinzelte mit den Augen, legte die Finger auf seine Lippen und schoß wiederholt ein kleines mörderisches Lächeln ab, welches der verschmähten Schönen wirklich durch Mark und Bein ging.

Sie stieß daher in Form eines mea culpa, und sich an die Brust schlagend, ein so kräftiges Hm! aus, daß alle Welt und sogar die Dame mit dem rothen Kissen sich umwandte; Porthos hielt fest. Er hatte wohl verstanden, aber er spielte den Tauben.

Die Dame mit dem rothen Kissen brachte, denn sie war sehr schön, eine gewaltige Wirkung auf die Dame mit der schwarzen Haube hervor, welche in ihr eine furchtbare Nebenbuhlerin erblickte, eine große Wirkung auch auf Porthos, der sie viel jünger und auch viel hübscher fand, als die Dame mit der schwarzen Haube, eine große Wirkung auf d’Artagnan, der in ihr die Dame von Meung, von Calais und Dover erkannte, die sein Verfolger, der Mann mit der Narbe, mit dem Titel Mylady begrüßt hatte.

Ohne die Dame mit dem rothen Kissen aus dem Auge zu verlieren, fuhr d’Artagnan fort, das Benehmen von Porthos zu verfolgen, das ihn im höchsten Grad belustigte; er glaubte zu errathen, daß seine Dame mit der schwarzen Haube die Procuratorsfrau von der Rue aux Ours war; dies um so mehr, als die Saint-Leu-Kirche unfern von der genannten Straße lag.

Durch Folgerungen errieth er auch, daß Porthos für seine Niederlage in Chantilly, wo sich die Procuratorsfrau so widerspenstig im Punkt der Börse gezeigt hatte, seine Rache nehmen wollte.

Bei Allem dem aber entging es d’Artagnan nicht, daß kein einziges Gesicht die Galanterien von Porthos erwiderte. Es waren nur Chimären und Illusionen; aber gibt es für eine wahre Liebe, für eine wahre Eifersucht eine andere Wirklichkeit, als Illusionen und Chimären?

Die Predigt war zu Ende. Die Procuratorsfrau ging auf den Weihkessel zu. Porthos kam ihr zuvor und steckte statt eines Fingers die ganze Hand hinein. Die Procuratorsfrau lächelte im Glauben, Porthos versetzte sich für sie in Unkosten, aber sie wurde schnell und grausam enttäuscht. Als sie nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, drehte er den Kopf und heftete seine Augen unveränderlich auf die Dame mit dem rothen Kissen, welche sich erhoben hatte und von ihrem Negerknaben und der Kammerfrau gefolgt, herbeikam. Als die Dame mit dem rothen Kissen nahe bei Porthos war, zog dieser seine triefende Hand aus dem Weihkessel; die schöne Andächtige berührte mit ihrer zarten Hand die plumpe von Porthos, machte lächelnd das Zeichen des Kreuzes und verließ die Kirche.

Das war zu viel für die Procuratorsfrau; sie zweifelte nicht mehr daran, daß diese Dame und Porthos in einem Liebesverhältniß standen; wäre sie eine vornehme Dame gewesen, so würde sie in Ohnmacht gefallen sein; da sie aber nur eine Procuratorsfrau war, so begnügte sie sich mit gepreßter Wuth zu Porthos zu sagen:

»Ei, Herr Porthos, Ihr bietet mir kein Weihwasser?«

Porthos machte bei dem Klang dieser Stimme eine Bewegung, etwa wie ein Mensch, der nach einem Schlaf von hundert Jahren erwachen würde.

»Ma … Madame!« rief er, »seid ihr es wirklich? Wie befindet sich Euer Gemahl, der liebe Herr Coquenard? Ist er immer noch ein so großer Filz, wie früher? Wo hatte ich denn die Augen, daß ich Euch während der zwei Stunden, welche die Predigt dauerte, nicht einmal bemerkte?«

»Ich war nur zwei Schritte von Euch entfernt, mein Herr,« antwortete die Procuratorsfrau, »aber bemerktet mich nicht, weil Ihr nur Augen für die schöne Dame hattet, der Ihr so eben Weihwasser gabt.«

Porthos stellte sich, als geriethe er in Verlegenheit.

»Ah!« sagte er »Ihr habt wahrgenommen …«

»Man müßte blind sein, um es nicht zu sehen.«

»Ja,« sagte Porthos nachlässig, »es ist eine Herzogin, eine Freundin von mir, mit der ich wegen der Eifersucht ihres Gatten nur unter den größten Schwierigkeiten zusammenkommen kann, und die mich benachrichtigt hatte, sie würde heute, einzig und allein, um mich zu sehen, in dieser baufälligen Kirche, in diesem abgelegenen, öden Quartier erscheinen.«

»Herr Porthos,« erwiderte die Procuratorsfrau, »würdet Ihr wohl die Güte haben, mir den Arm auf fünf Minuten zu bieten? Ich möchte gern mit Euch sprechen.«

»Wie, Madame!« sagte Porthos sich selbst zublinzelnd, wie ein Spieler, der über den Thoren lacht, welchen er zu fangen im Begriffe ist.

In diesem Augenblick ging d’Artagnan, Mylady verfolgend, vorüber. Er warf Porthos einen Seitenblick zu und las den Triumph in seinem Auge.

»Ei, ei,« sagte er zu sich selbst, im Geiste der äußerst leichten Moral jener Epoche raisonnirend, »da ist Einer, der wohl in der vorgeschriebenen Frist equipirt werden dürfte.«

Dem Drucke des Armes seiner Procuratorsfrau nachgebend, wie eine Barke dem Steuerruder nachgibt, gelangte Porthos in die Nähe des Klosters Saint Magloire, in einen wenigbesuchten, an beiden Enden durch drei Kreuze eingeschlossenen Gang. Man sah hier bei Tage nur essende Bettler oder spielende Kinder.

»Ah, mein Herr Porthos,« rief die Procuratorsfrau, nachdem sie sich versichert hatte, daß sie von Niemand, der nicht zu der gewöhnlichen Bevölkerung dieser Oertlichkeit gehörte, gesehen oder gehört werden konnte; »ah, mein Herr Porthos, Ihr seid, wie es scheint, ein großer Sieger.«

»Ich, Madame?« fragte Porthos sich spreizend. »Und warum dies?«

»Nun die Zeichen von vorhin und das Weihwasser so eben! Es ist mindestens eine Prinzessin, diese Dame mit ihrem Negerknaben und ihrer Kammerfrau.«

»Ihr täuscht Euch. Mein Gott, nein,« antwortete Porthos; »es ist ganz einfach eine Herzogin.« »Und der Läufer, der an der Thüre wartete, und die Karrosse mit dem Kutscher in großer Livree!«

Porthos hatte weder den Läufer, noch die Karrosse gesehen; aber mit dem Blick einer eifersüchtigen Frau hatte Madame Coquenard alles wahrgenommen.

Portos bedauerte, daß er die Dame mit dem rothen Kissen nicht auf den ersten Schlag zu einer Prinzessin gemacht hatte.

»Ah, Ihr seid das Lieblingskind der Schönen, Herr Porthos,« versetzte die Procuratorsfrau seufzend. – »Ihr mögt wohl denken,« erwiderte Porthos, »daß es mir bei einem Aeußern, wie es mir die Natur vergönnt hat, nicht an Glück fehlen kann.« – »Mein Gott, wie schnell die Männer doch vergessen!« rief die Procuratorsfrau, die Augen zum Himmel erhebend. – »Mir scheint es, weniger schnell als die Frauen,« antwortete Porthos, »denn am Ende kann ich wohl sagen, daß ich Euer Opfer war, als ich mich verwundet, sterbend, von den Aerzten verlassen sah. Ich, der Sprößling einer erhabenen Familie, der ich mich Eurer Freundschaft anvertraut hatte, wäre beinahe in einer schlechten Herberge in Chantilly anfangs an meinen Wunden und dann vor Hunger gestorben, und zwar, ohne daß Ihr mich nur einer Antwort auf die dringenden Briefe würdigtet, die ich an Euch schrieb.« – »Aber, Herr Porthos …« murmelte die Procuratorsfrau, welche gegenüber dem Betragen der vornehmen Damen jener Zeit einsah, daß sie Unrecht hatte. – »Ich, der ich für Euch die Gräfin von Penaflor opferte!« – »Ich weiß es wohl.« – »Die Baronin von …« – »Herr Porthos, peinigt mich nicht.« – »Die Gräfin von …« – »Herr Porthos, seid edelmüthig!« – »Ihr habt Recht, Madame, ich werde nicht vollenden.« – »Die Schuld liegt an meinem Manne, der nichts von Anlehen hören will.« – »Madame Coquenard,« sprach Porthos, »erinnert Euch des ersten Briefes, den Ihr mir geschrieben habt, und der tief in mein Herz geprägt ist.«

Die Procuratorsfrau stieß einen Seufzer aus.

»Aber die Summe, die Ihr von mir entlehnen wolltet,« sprach sie, »war auch etwas stark. Ihr sagtet, Ihr braucht tausend Livres.«

»Madame Coquenard, ich gab Euch den Vorzug. Ich dürfte nur an die Herzogin von… schreiben. Ich will ihren Namen nicht sagen, denn ich bin ganz außer Stande, eine Frau zu compromittiren. Ich weiß nur, daß es mich höchstens eine Zeile an sie gekostet hätte, und sie würde mir fünfzehn hundert geschickt haben.«

Die Procuratorsfrau vergoß eine Thräne.

»Herr Porthos,« sagte sie, »ich schwöre Euch, daß Ihr mich schwer bestraft habt, und daß Ihr Euch, wenn Ihr Euch in Zukunft in einer ähnlichen Verlegenheit befindet, nur an mich wenden dürft.«

»Pfui, Madame,« rief Porthos wie empört, »sprechen wir nicht von Geld, wenn es Euch beliebt; denn das ist demüthigend.«

»Also liebt Ihr mich nicht mehr?« fragte die Procuratorsfrau langsam und traurig.

Porthos beobachtete ein majestätisches Stillschweigen.

»Also auf diese Weise antwortet Ihr mir? Ach! ich begreife!« – »Denkt an die Beleidigung, die Ihr mir zugefügt habt, Madame! sie ist hier fest geblieben,« sprach Porthos und preßte die Hand an sein Herz. – »Ich werde sie wieder gut machen, hört wohl, mein lieber Porthos.« – »Ueberdies, was verlangte ich von Euch?« versetzte Porthos mit einem gutmüthigen Achselzucken; »ein Anlehen nichts weiter; im Ganzen bin ich kein unbilliger Mensch; ich weiß, daß Ihr nicht reich seid, Madame Coquenard, und daß Euer Mann die armen Prozeßkrämer besteuern muß, um ihnen ein paar Thaler abzulocken. Oh! wenn Ihr eine Gräfin, eine Marquise, oder eine Herzogin wäret, dann wäre es etwas ganz Anderes, und ich wüßte keine Entschuldigung für Euch zu finden.«

Die Procuratorsfrau war gereizt.

»Vernehmt, Porthos,« sprach sie, »daß meine Geldkasse, obgleich nur die Kasse einer Procuratorsfrau, vielleicht besser gespickt ist, als die aller Eurer zu Grunde gerichteten Zieraffen.« – »Das ist eine doppelte Beleidigung für mich,« sagte Porthos, seinen Arm von dem der Procuratorsfrau losmachend, »denn wenn Ihr reich seid, Madame Coquenard, so ist Eure Weigerung völlig unentschuldbar.« – »Wenn ich Euch sage reich,« erwiderte die Procuratorsfrau, welche einsah, daß sie sich etwas zu weit hatte fortreißen lassen, »so darf man meine Worte nicht buchstäblich nehmen. Ich bin nicht reich, aber wohlhabend.« – »Gut, Madame,« sagte Porthos. »Sprechen wir nicht mehr hievon, ich bitte Euch. Ihr habt mich verkannt; jede Sympathie ist zwischen uns erloschen.« – »Undankbarer Mensch!« – »Ihr habt wohl ein Recht, Euch zu beklagen,« sagte Porthos. – »Geht also mit Eurer Herzogin! Ich halte Euch nicht zurück.« – »Ah, sie ist doch nicht gar so schlimm, wie ich glaubte.« – »Hört, Herr Porthos, ich wiederhole zum letzten Male, liebt Ihr mich noch?« – »Ach, Madame,« entgegnete Porthos, mit dem schwermüthigsten Tone, den er anzunehmen vermochte, »wenn wir in einen Krieg ziehen, in einen Krieg, wo mir meine Ahnungen sagen, daß ich meinen Tod finden werde…« – »Oh! sprecht nicht solche Dinge,« rief die Procuratorsfrau und brach in ein Schluchzen aus. – »Irgend etwas sagt mir dies,« fuhr Porthos, immer schwermüthiger werdend, fort. – »Gesteht vielmehr, daß Ihr eine neue Liebe hegt.« – »Nein, gewiß nicht, ich rede offenherzig mit Euch. Kein neuer Gegenstand rührt mich, und ich fühle, daß sogar hier im Grunde meines Herzens Etwas für Euch spricht. Aber in vierzehn Tagen wird, wie Ihr wißt oder vielleicht nicht wißt, dieser unselige Feldzug eröffnet, und ich sehe mich auf eine abscheuliche Weise durch meine Equipirung in Anspruch genommen. Dann muß ich eine Reise zu meiner Familie machen, welche in dem entferntesten Theile der Bretagne wohnt, um die für meinen Auszug erforderlichen Summen zu erhalten.«

Porthos bemerkte einen letzten Kampf zwischen der Liebe und dem Geiz.

»Und da die Güter der Herzogin,« fuhr er fort, »die Ihr so eben in der Kirche gesehen habt, bei den meinigen liegen, so machen wir die Reise miteinander. Eine Reise, wie Ihr wißt, erscheint bekanntlich viel kürzer, wenn man sie zu zweit macht.« – »Ihr habt also keine Freunde in Paris, Herr Porthos?« sagte die Procuratorsfrau. – »Ich glaubte welche zu haben,« erwiderte Porthos mit seiner schwermüthigen Miene, »aber ich habe eingesehen, daß ich mich täuschte.« – »Ihr habt Freunde, Herr Porthos, Ihr habt,« versetzte die Procuratorsfrau mit einer Begeisterung, über die sie selber erstaunte. »Ihr seid der Sohn meiner Tante, folglich mein Vetter. Ihr kommt von Noyen in der Picardie; Ihr habt mehrere Prozesse in Paris und keinen Procurator. Werdet Ihr wohl Alles dies behalten?« – »Vollkommen, Madame.« – Kommt zur Mittagessenszeit.« – »Sehr gut.« – »Und haltet Euch fest bei meinem Manne, der gar verschmitzt ist, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre.« – »Sechsundsiebenzig Jahre! Pest! was für ein schönes Alter!« sprach Porthos. – »Ein hohes Alter wollt Ihr sagen, Herr Porthos. Der liebe alte Mann kann mich auch jeden Augenblick zur Wittwe machen,« fuhr sie mit einem vielsagenden Blicke fort. »Glücklicherweise ist nach einem unter uns abgeschlossenen Heirathsvertrag der überlebende Theil Erbe des ganzen Vermögens.« – »Des ganzen?« sagte Porthos. – »Des ganzen.« – »Ihr seid eine vorsichtige Frau, wie ich sehe, meine liebe Madame Coquenard,« sprach Porthos, der Procuratorin zärtlich die Hand drückend. – »Wir sind also ausgesöhnt, lieber Herr Porthos,« sagte sie, sich zierend. – »Für das ganze Leben,« erwiderte Porthos mit derselben Miene. – »Aus Wiedersehen also, mein Verräther.« – »Auf Wiedersehen, meine Vergeßliche.« – »Morgen, mein Engel!« – »Morgen, Flamme meines Lebens!«

X.

Athos, ohne sich die geringste Mühe zu geben, seine Equipirung fand.

D’Artagnan war in so gewaltiger Aufregung, daß er, ohne sich im Geringsten darum zu bekümmern, was aus Ketty wurde, in größter Eile die Hälfte von Paris durchlief und nicht eher stille hielt, als bis er sich vor der Thüre von Athos befand. Die Verwirrung seines Geistes, der Schrecken, der ihn spornte. das Geschrei einiger Patrouillen, die ihn verfolgten, bewirkten nur, daß er seinen Lauf noch mehr beschleunigte.

Er flog durch den Hof, stieg die zwei Treppen hinauf, und klopfte an die Thüre, daß sie hätte in Stücke springen sollen.

Grimaud öffnete mit schlaftrunkenen Augen. D’Artagnan stürzte mit solcher Gewalt in das Vorzimmer, daß er ihn beinahe niedergeworfen hätte.

Trotz der gewöhnlichen Stummheit Grimauds kam ihm diesmal das Wort. Beim Anblick des entblößten Degens, den d’Artagnan in der Hand hielt, bildete sich der arme Bursche ein, er habe es mit einem Mörder zu thun, rief:

»Zu Hülfe! zu Hülfe! zu Hülfe!«

»Schweig‘, Unglücklicher!« sprach der junge Mann, »ich bin d’Artagnan. Erkennst Du mich nicht mehr? wo ist Dein Herr?«

»Ihr Herr d’Artagnan?« rief Grimaud erschrocken, »unmöglich!«

»Grimaud,« sagte Athos, im Schlafrock aus seinem Zimmer tretend, »ich glaube, Du erlaubst Dir zu sprechen!«

»Ach, gnädiger Herr, weil …«

»Stille!«

Grimaud begnügte sich mit dem Finger auf d’Artagnan zu deuten.

Athos brach bei all‘ seinem Phlegma in ein Gelächter aus, das durch die verstörte Miene seines jungen Freundes gar wohl motivirt war.

»Lacht nicht, mein Freund!« rief d’Artagnan, »um des Himmels willen, lacht nicht, denn bei meiner Seele sage ich Euch, es ist kein Grund zum Lachen vorhanden.«

Und er sprach diese Worte mit einer so feierlichen Betonung und mit einem so unzweideutigen Ausdruck des Schreckens, daß Athos ihn bei der Hand nahm und ausrief:

»Solltet Ihr verwundet sein, mein Freund? Ihr seht sehr bleich aus.« – »Nein, aber es ist mir so eben ein furchtbares Abenteuer begegnet. Seid Ihr allein, Athos?« – »Bei Gott, wer soll denn zu dieser Stunde bei mir sein?« – »Gut, gut!»

D’Artagnan stürzte in das Zimmer von Athos.

»Ei, so sprecht doch,« sagte dieser, die Thüre verschließend und die Riegel vorschiebend, um nicht gestört zu werden. »Ist der König todt? Habt Ihr den Herrn Kardinal umgebracht? Ihr seid ganz verwirrt. Sprecht! laßt hören! denn ich sterbe in der That vor Unruhe.« – »Athos,« antwortete d’Artagnan, »seid bereit, eine unglaubliche, unerhörte Geschichte zu hören!« – »Redet doch,« sagte Athos. – »Nun wohl,« fuhr d’Artagnan, sich nach dem Ohr von Athos beugend und die Stimme dämpfend fort, »Mylady ist mit einer Lilie auf der Schulter bezeichnet.« – »Ha!« rief der Musketier, als ob ihn eine Kugel ins Herz getroffen hätte. – »Sagt,« sprach d’Artagnan, »seid Ihr sicher, daß die Andere todt ist?« – »Die Andere?« versetzte Athos mit so dumpfer Stimme, daß es d’Artagnan kaum hörte. – »Ja, die, von welcher Ihr mir eines Tages in Amiens erzählt habt.«

Athos stieß einen Seufzer aus, und ließ den Kopf in seine Hände fallen.

»Diese,« fuhr d’Artagnan fort, »ist eine Frau von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren.« – »Blond?« fragte Athos. – »Ja.« – »Blaue, helle Augen, von seltener Klarheit, mit schwarzen Wimpern und Brauen?« – »Ja.« – »Groß, gut gewachsen? es fehlt ihr ein Zahn neben dem Augenzahn auf der linken Seite?« – »Ja.« – »Die Lilie ist klein und roth, etwas verwischt durch Pflaster, welche man aufgelegt hat?« – »Ihr sagt jedoch, diese Frau sei eine Engländerin?« – »Ja.« – »Man nennt sie Mylady, aber sie kann dessenungeachtet eine Französin sein. Lord Winter ist nur ihr Schwager.« – »Ich will sie sehen, d’Artagnan!« – »Nehmt Euch in Acht, Athos, nehmt Euch in Acht. Ihr wolltet sie tödten? Sie ist die Frau, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten und Euer nicht zu fehlen.« – »Sie wird es nicht wagen, etwas zu sagen, denn sie würde sich dadurch selbst verrathen.« – »Sie ist zu Allem fähig! Habt Ihr sie je wüthend gesehen?« – »Nein,« sprach Athos. – »Eine Tigerin, ein Pantherthier! ach, mein lieber Athos, ich fürchte sehr, eine gräßliche Rache auf uns herabbeschworen zu haben!«

D’Artagnan erzählte nun Alles, den wahnsinnigen Zorn Mylady’s und ihre Todesdrohungen.

»Ihr habt Recht, und ich würde mein Leben für ein Haar geben,« sprach Athos. »Zum Glück verlassen wir Paris übermorgen, wir ziehen höchst wahrscheinlich nach La Rochelle, und wenn wir einmal fort sind …« – »Wird sie Euch verfolgen bis an’s Ende der Welt, Athos, wenn sie Euch wieder erkennt. Laßt also ihren Haß sich gegen mich allein wenden.« – »Ei, mein Lieber, was ist daran gelegen, daß sie mich tödtet!« sagte Athos. »Glaubt Ihr etwa, ich hänge am Leben?« – »Unter Allem dem ist ein furchtbares Geheimniß verborgen. Die Frau ist die Spionin des Kardinals. Das bin ich fest überzeugt.« – »In diesem Fall seid auf Eurer Hut. Wenn der Kardinal nicht wegen der Londoner Angelegenheit eine hohe Bewunderung für Euch hegt, so hegt er einen gewaltigen Haß. Aber da er Euch am Ende nichts offen vorwerfen kann und der Haß befriedigt werden muß, besonders wenn es ein Kardinalshaß ist, so hütet Euch wohl! Wenn Ihr ausgeht, geht nicht allein aus, wenn Ihr eßt, nehmet Eure Vorsichtsmaßregeln; mißtraut Allem, selbst Eurem Schatten.«

»Zum Glück handelt es sich nur darum,« sprach d’Artagnan, »bis übermorgen in Bangigkeit umherzugehen. Denn sind wir einmal bei der Armee, so haben wir es hoffentlich nur noch mit Männern zu thun.« – »Indessen,« sagte Athos, »verzichte ich auf meine Einsperrungspläne und gehe überall hin mit Euch. Ihr müßt nach der Rue des Fossoyeurs zurückkehren; ich werde Euch begleiten.« – »Es sei, mein lieber Athos; aber laßt mich Euch zuerst den Ring zustellen, den ich von dieser Frau empfangen habe. Der Saphir gehört Euch. Habt Ihr mir nicht gesagt, es sei ein Familienjuwel?« – »Ja, mein Vater kaufte ihn um zweitausend Thaler, wie er mir einst sagte. Er bildete einen Theil der Hochzeitsgeschenke, die er meiner Mutter machte. Es ist ein prächtiger Stein. Meine Mutter gab ihn mir, und ich in meiner damaligen Narrheit schenkte ihn, statt ihn wie eine heilige Reliquie zu bewahren, meinerseits dieser Elenden.« – »Gut, nehmt den Ring zurück, an dem Ihr begreiflich hängen müßt.« – »Ich den Ring zurücknehmen, nachdem er durch die Hände dieser Schändlichen gegangen ist? Nie, dieser Ring ist beschmutzt, d’Artagnan.« – »Dann verkauft oder verpfändet ihn; man wird Euch wohl tausend Thaler darauf leihen. Mit dieser Summe macht Ihr Eure Angelegenheiten bequem ab. Mit dem ersten Geld, das Ihr einnehmt, löst Ihr ihn sodann wieder und nehmt ihn von seinen alten Flecken gereinigt zurück, denn er ist durch die Hände von Wucherern gegangen.«

Athos lächelte.

»Ihr seid ein entzückender Junge, mein lieber d’Artagnan,« sprach er. »Ihr richtet durch Eure ewige Heiterkeit die armen Geister in ihrem Kummer auf. Nun denn, ja, verpfänden wir diesen Ring, der mir gehört, aber unter einer Bedingung.« – »Unter welcher?« – »Daß fünfhundert Thaler für Euch und fünfhundert für mich sind.« – »Was denkt Ihr, Athos? Ich bedarf nicht des vierten Theils dieser Summe, da ich bei den Garden stehe und wenn ich meinen Sattel verkaufe, so verschaffe ich mir den Betrag. Was brauche ich? ein Pferd für Planchet, das ist Alles. Dann vergeßt Ihr, daß ich auch einen Ring besitze.« – »An dem Ihr noch mehr zu hängen scheint, als ich an dem meinigen. Wenigstens glaubte ich dies zu bemerken.« – »Ja, denn in einem äußersten Fall kann er uns nicht nur aus einer großen Verlegenheit, sondern auch aus einer großen Gefahr ziehen. Das ist kein einfacher Diamant, es ist zugleich ein Talisman.«

»Ich verstehe Euch nicht, aber ich glaube, was Ihr sagt. Um wieder auf meinen Ring, oder vielmehr auf den Eurigen zurückzukommen, so müßt Ihr die Hälfte der Summe, die man Euch darauf leihen wird, annehmen, oder ich werfe ihn in die Seine, und ich zweifle, ob, wie bei Polykrates, ein Fisch so gefällig ist, ihn uns wieder zu bringen.« – »Gut, ich nehme es an,« sagte d’Artagnan.

In diesem Augenblick trat Grimaud in Begleitung von Planchet ein. Dieser war unruhig über seinen Herrn und neugierig zu erfahren, was ihm begegnet sein möchte.

Athos kleidete sich an, und als er auszugehen bereit war, machte er Grimaud ein bedeutsames Zeichen, der Diener nahm seine Muskete von der Wand, und schickte sich an, seinen Herrn zu begleiten.

D’Artagnan und Athos gelangten ohne irgend einen Unfall in die Rue des Fossoyeurs. Herr Bonacieux stand an seiner Thüre und schaute d’Artagnan auf eine pöbelhaft spottende Weise an.

»Eh! mein lieber Miethsmann,« sagte er, »beeilt Euch, es wartet ein hübsches Mädchen in Eurem Zimmer, und Ihr wißt, die Frauen lieben es nicht, daß man sie warten läßt.«

»Es ist Ketty« rief d’Artagnan und lief in den Gang.

Auf dem nach seinem Zimmer führenden Boden fand er das arme Kind, das sich ganz zitternd an die Thüre lehnte. Sobald sie ihn erblickte, sagte sie:

»Ihr habt mir Euren Schutz versprochen, Ihr habt mir gelobt, mich vor ihrem Zorne zu retten. Erinnert Euch, daß Ihr es seid, der mich zu Grunde gerichtet hat.«

»Ja, allerdings,« erwiderte d’Artagnan; »sei ruhig, Ketty. Aber was ist denn nach meinem Abgang vorgefallen?«

»Weiß ich es?« sagte Ketty, »Auf ihr Geschrei liefen alle Lakaien herbei; sie war furchtbar aufgebracht und spie alle Verwünschungen der Welt gegen Euch aus. Dann dachte ich, sie würde sich erinnern, daß Ihr durch mein Zimmer in das ihrige eingedrungen wäret, und sie müßte in mir Eure Mitschuldige erkennen. Ich nahm das wenige Geld, das ich besaß, sowie meine kostbarsten Kleidungsstücke, und flüchtete mich.«

»Armes Kind, aber was soll ich mit Dir machen? Ich reise übermorgen ab.«

»Alles was Ihr wollt, Herr Chevalier. Macht, daß ich Paris, daß ich Frankreich verlasse.«

»Ich kann Dich doch nicht mit zur Belagerung von La Rochelle führen,« sprach d’Artagnan.

»Nein, aber Ihr könnt mich in der Provinz unterbringen, bei irgend einer Dame von Eurer Bekanntschaft; in Eurer Heimath zum Beispiel.«

»Oh, meine liebe Freundin, in meiner Heimath haben die Damen keine Kammerfrauen. Doch halt! ich weiß, was zu thun ist. Planchet, hole mir Aramis. Er möge sogleich kommen. Wir haben etwas sehr Wichtiges mit ihm zu sprechen.«

»Ich begreife,« sagte Athos; »aber warum nicht Porthos? Es scheint mir, seine Marquise …«

»Die Marquise von Porthos ließe sich eher von den Schreibern ihres Mannes ankleiden, als daß sie eine Kammerfrau hielte,« sprach d’Artagnan lachend. »Ueberdies dürfte Ketty nicht gerne in der Rue aux Ours wohnen, nicht wahr, Ketty?«

»Ich werde wohnen, wo man will,« sagte Ketty, »vorausgesetzt, daß ich gut verborgen bin und man nicht weiß, wo ich mich aufhalte.«

»Jetzt, Ketty, da wir uns zu trennen im Begriffe sind, und Du folglich nicht mehr auf mich eifersüchtig bist …«

»Herr Chevalier,« sprach Ketty, »nah oder fern, ich werde Euch beständig lieben.«

»Wo Teufels nistet sich die Beständigkeit ein!« murmelte Athos.

»Auch ich,« sagte d’Artagnan, »auch ich werde Dich stets lieben, glaube mir. Aber höre, antworte mir. Ich lege ein großes Gewicht auf die Frage, die ich an dich richte. Solltest Du nie von einer jungen Frau gehört haben, die man in einer Nacht wegführte?« – »Halt… Oh! mein Gott, Herr Chevalier, liebt Ihr diese Frau noch?« – »Nein, einer meiner Freunde liebt sie – Athos, den Du hier siehst.« – »Ich!« rief Athos mit dem Ausdruck eines Menschen, der gewahr wird, daß er auf eine Natter getreten. – »Allerdings Ihr,« erwiderte d’Artagnan, Athos die Hand drückend. »Ihr wißt wohl, wie sehr wir an dem Schicksal der guten Frau Bonacieux Theil nehmen. Ueberdies wird Ketty nicht plaudern. Nicht wahr, Ketty? Du begreifst, mein Kind,« fuhr d’Artagnan fort, »es ist die Frau des abscheulichen Affen, den Du bei Deinem Eintritt unten an der Thüre gesehen hast.« – »Oh! mein Gott!« rief Ketty, »Ihr erinnert mich an meine Angst; wenn er mich nur nicht erkannt hat! …« – »Wie, erkannt? Du hast also diesen Menschen schon gesehen?« – »Er ist zweimal zu Mylady gekommen.« – »Um welche Zeit?« – »Vor etwa vierzehn oder achtzehn Tagen.« – »Ganz richtig.« – »Und gestern Abend ist er wieder erschienen.« – »Gestern Abend?« – »Ja, einen Augenblick, ehe Ihr selbst eingetroffen seid.« – »Mein lieber Athos, wir sind von einem Netz von Spionen umgeben! Und Du glaubst, er habe Dich erkannt, Ketty?« – »Ich senkte meine Haube, als ich ihn erblickte, aber vielleicht war es zu spät.« – »Geht hinab, Athos, man mißtraut Euch weniger, als mir, und seht, ob er immer noch vor der Thüre steht.«

Athos ging hinab und kam sogleich wieder zurück.

»Der Krämer ist fort,« sprach er, »und das Haus ist geschlossen.« – »Er wird sich ohne Zweifel entfernt haben, um zu melden, daß alle Tauben im Schlage sind.« – »Gut! aber wir wollen ausfliegen,« sagte Athos, »und nur Planchet hier lassen, um uns Nachricht zu bringen.« – »Noch eine Minute! Aramis, nach dem wir geschickt haben?« – »Das ist richtig, erwarten wir Aramis.«

In demselben Augenblicke trat Aramis ein.

Man setzte ihm die ganze Angelegenheit auseinander und sagte ihm, daß er nothwendig unter allen seinen hohen Bekannten einen Platz für Ketty suchen müsse.

Aramis dachte einen Augenblick nach und erwiderte dann erröthend:

»Wird Euch wirklich ein großer Dienst dadurch erwiesen?«

»Ich werde Euch mein ganzes Leben dafür dankbar sein.«

»Nun wohl. Frau von Bois-Tracy hat mich für eine ihrer Freundinnen, welche, glaube ich, in der Provinz wohnt, um eine sichere Kammerfrau gebeten, und wenn Ihr mir für dieses Mädchen stehen könnt, d’Artagnan …«

»Oh! gnädiger Herr,« rief Ketty, »ich werde gewiß der Person, die mich in den Stand setzt, Paris zu verlassen, mit Leib und Seele ergeben sein.«

»Dann geht die Sache vortrefflich,« sprach Aramis.

Er setzte sich an einen Tisch, schrieb ein paar Worte, versiegelte sie mit einem Ringe und händigte das Billet Ketty ein.

»Du weißt nun, mein Kind,« sagte d’Artagnan, »daß es hier nicht besser für uns ist, als für Dich. Wir müssen uns jetzt trennen, werden uns aber in schöneren Tagen wiederfinden.«

»Und an welchem Ort und zu welcher Zeit wir uns wieder sehen werden,« sprach Ketty, »so werde ich Euch so innig lieben, wie ich Euch heute liebe.«

Einen Augenblick nachher trennten sich die drei jungen Männer und ließen nur Planchet zurück, um das Haus zu bewachen.

Aramis kehrte in seine Wohnung zurück, während Athos und d’Artagnan für Unterbringung des Saphirs sorgten.

Man fand, wie unser Gascogner vorhergesehen hatte, leicht dreihundert Pistolen auf den Ring. Ueberdies bemerkte der Jude, wenn man denselben an ihn verkaufen wollte, so würde er sogar fünfhundert Pistolen dafür geben, da er ein prachtvolles Ohrgehänge daraus machen lassen könnte.

Mit der Thätigkeit zweier Soldaten und der Wissenschaft zweier Kenner brauchten Athos und d’Artagnan kaum drei Stunden, um die ganze Equipirung des Musketiers einzukaufen. Athos war vornehmer Herr bis an die Nagelspitzen. Sobald ihm etwas anstand, bezahlte er den verlangten Preis, ohne daß er nur den geringsten Versuch machte, etwas herunterzumarkten. D’Artagnan wollte ihm hierüber Bemerkungen machen, aber Athos legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter, und d’Artagnan begriff, daß für ihn, den kleinen gascognischen Edelmann, das Handeln gut war, aber nicht für einen Mann von fürstlichem Aussehen.

Der Musketier fand ein herrliches andalusisches Roß, schwarz wie Gagath, mit Feuer schnaubenden Nüstern, eleganten, zarten Beinen und sechs Jahre alt. Er untersuchte das Pferd und erkannte es als tadellos. Man bot es für tausend Franken. Vielleicht hätte er es für weniger bekommen, aber während sich d’Artagnan mit dem Pferdehändler über den Preis besprach, zählte Athos die hundert Pistolen auf den Tisch.

Grimaud erhielt ein picardisches Pferd, untersetzt und stark, das dreihundert Livres kostete.

Nachdem der Sattel für letzteres Pferd und die Waffen für Grimaud gekauft waren, blieb kein Sou mehr von den hundert und fünfzig Pistolen von Athos übrig. D’Artagnan bot seinem Freunde etwas von dem ihm zukommenden Theil an. Aber Athos beschränkte sich statt jeder Antwort darauf, die Achseln zu zucken.

»Wie viel würde der Jude für den Ring geben, wenn man ihm denselben als volles Eigenthum überließe?« fragte er. – »Fünfhundert Pistolen.« – »Das heißt zweihundert Pistolen mehr: hundert Pistolen für Euch, hundert Pistolen für mich. Das ist ein wahres Glück, mein lieber Freund, kehrt zu dem Juden zurück.« – »Wie? Ihr wollt …« – »Dieser Ring würde offenbar zu traurige Erinnerungen in mir zurückrufen; dann haben wir ihm auch die dreihundert Pistolen nicht heimzubezahlen, so daß wir bei diesem Handel zweitausend Livres gewinnen. Sagt ihm, der Ring gehöre ihm, d’Artagnan, und kommt mit zweihundert Pistolen zurück. – »Ueberlegt, Athos.«

– »Das baare Geld ist in diesen Zeitläuften theuer, und man muß Opfer zu bringen wissen. Geht, d’Artagnan, geht. Grimaud wird Euch mit seinem Mousqueton begleiten.«

Nach einer halben Stunde kam d’Artagnan mit den zweihundert Pistolen und ohne daß ihm ein Unfall zugestoßen war, zurück.

So fand Athos in seiner Wirtschaft Mittel, auf die er nicht gerechnet hatte.

XI.

Eine holdselige Erscheinung.

Zur bestimmten Stunde waren die vier Freunde bei Athos versammelt. Ihre Unruhe, ihre Bangigkeit in Betreff der Equipirung war völlig verschwunden, und jedes Gesicht behielt nur noch den Ausdruck seiner eigenen und geheimen Unruhe, denn hinter jedem gegenwärtigen Glück ist eine Furcht vor der Zukunft verborgen.

Plötzlich trat Planchet ein und brachte zwei Briefe mit der Adresse d’Artagnan’s.

Der eine war ein zierlich zusammengefaltetes Billet von länglicher Form, mit einem hübschen Siegel von grünem Wachs, auf dem sich eine Taube mit einem grünen Zweig im Schnabel eingedrückt fand.

Der andere war ein großer viereckiger Brief, auf dem das furchtbare Wappen von Seiner Eminenz, dem Kardinal Herzog glänzte.

Bei dem Anblick des kleinen Briefes hüpfte d’Artagnan’s Herz vor Freude, denn er glaubte die Handschrift zu erkennen, und obgleich er dieselbe nur einmal gesehen, so hatte sich doch die Erinnerung tief in seinem Innern eingegraben.

Er nahm also den kleinen Brief und entsiegelte ihn eilig.

»Reitet nächsten Mittwoch,« schrieb man ihm, »von sechs bis sieben Uhr auf der Straße von Chaillot spazieren, und schaut sorgfältig in jeden Wagen, der an Euch vorüber kommt. Aber wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen etwas liegt, so sprecht kein Wort. Macht keine Bewegung, woraus man ersehen könnte, daß Ihr diejenige erkannt habt, welche Alles wagt, um Euch einen Augenblick zu sehen.«

Keine Unterschrift.

»Das ist eine Falle,« sprach Athos, »geht nicht hin, d’Artagnan.« – »Ich glaube aber die Handschrift ganz wohl zu erkennen,« sagte d’Artagnan. – »Sie kann nachgemacht sein,« entgegnete Athos. »Von sechs bis sieben Uhr ist um diese Zeit die Straße von Chaillot ganz verlassen. Ihr könntet eben sowohl im Walde von Bondy spazieren gehen.« – »Doch wenn wir Alle gingen?« sagte d’Artagnan. »Was Teufels, man wird nicht alle vier, nebst vier Lakaien, vier Pferden und den Waffen verschlingen; das müßte eine schöne Unverdaulichkeit zur Folge haben.« – »Dann wäre es auch eine schöne Gelegenheit, unsere Rosse zu zeigen,« sprach Porthos. – »Aber wenn es eine Frau ist, die Euch schreibt,« sagte Aramis, »und wenn diese Frau nicht gesehen zu werden wünscht, so bedenkt, daß Ihr sie compromittirt, d’Artagnan, was einem Edelmann gar übel steht.« – »Wir bleiben etwas zurück,« rief Porthos, »und er allein reitet voraus.« – »Ja, aber eine Pistole ist bald aus einem Wagen abgefeuert, der im Galop dahinfährt.« – »Bah!« erwiderte d’Artagnan, »man wird mich nicht treffen.« – »Wir holen dann den Wagen ein, und bringen Alle um, die darin sitzen. Dadurch haben wir immerhin eben so viele Feinde weniger.« – »Er hat Recht,« sagte Porthos, »eine Schlacht kann nichts schaden, wir müssen ohnehin unsere Waffen versuchen.« – »Meiner Treu! Wir wollen uns dieses Vergnügen gönnen,« versetzte Aramis mit seiner sanften, gleichgültigen Miene. – »Wie Ihr wollt,« sprach Athos. – »Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »es ist halb fünf Uhr, und wir haben kaum Zeit, uns auf den Weg nach Chaillot zu machen.« – »Wenn wir zu spät ritten,« sagte Porthos, »so würde man uns nicht mehr sehen, und das wäre sehr schade. Vorwärts also, meine Herren.« – »Aber Ihr vergeßt den zweiten Brief,« rief Athos. »Das Sigel scheint mir anzudeuten, daß er geöffnet zu werden verdient. Ich meines Theils muß Euch erklären, daß ich mich viel mehr um diesen bekümmere, als um den kleinen Wisch, den Ihr ganz zart in Euren Busen gesteckt habt.«

D’Artagnan erröthete.

»Nun wohl,« sprach der junge Mann, »sehen wir, meine Herren, was Seine Eminenz von mir will.«

D’Artagnan entsiegelte und las:

»Herr d’Artagnan, Garde des Königs, Kompagnie des Essarts, wird diesen Abend um acht Uhr im Palais-Kardinal erwartet.

La Houdiniére, Kapitän der Leibwache.«

»Teufel!« rief Athos, »das ist ein Rendezvous, welches viel mehr beunruhigen muß, als das andere.«

»Ich gehe zu dem zweiten, wenn ich von dem ersten zurückkomme,« sprach d’Artagnan. »Das eine soll um sieben, das andere um acht Uhr stattfinden. Ich habe Zeit zu Allem.«

»Hm! ich ginge nicht,« entgegnete Aramis. »Ein galanter Ritter darf bei einem Rendezvous nicht fehlen, das ihm eine Dame gibt. Aber ein kluger Edelmann kann sich entschuldigen und nicht zu seiner Eminenz gehen, besonders wenn er einige Gründe hat, zu glauben, daß man ihn nicht rufe, um ihm Komplimente zu machen.«

»Ich bin der Meinung von Aramis,« fügte Porthos bei.

»Meine Herren,« antwortete d’Artagnan, »ich habe bereits durch Herrn von Cavois eine ähnliche Einladung zu Sr. Eminenz erhalten. Ich vernachläßigte sie, und am andern Tage begegnete mir ein großes Unglück. Constance verschwand. Was auch daraus werden mag, ich gehe in jedem Falle hin.«

»Wenn dies Euer fester Entschluß ist, so führt ihn aus,« sprach Athos.

»Aber die Bastille?« sagte Aramis.

»Bah! Ihr werdet mich herausziehen,« erwiderte d’Artagnan.

»Allerdings,« versetzten Aramis und Porthos mit bewundernswürdiger Bestimmtheit, und als ob dies eine ganz einfache Sache wäre. »Allerdings werden wir Dich herausziehen, aber mittlerweile würdet Ihr, da wir übermorgen abreisen, besser daran thun, Euch der Gefahr der Bastille nicht auszusetzen.«

»Thun wir, was in unsern Kräften liegt,« sprach Athos, »verlassen wir ihn diesen Abend nicht. Erwarten wir ihn jeder an einer Thüre des Palastes, je mit drei Musketieren hinter uns. Bemerken wir, daß ein Wagen mit geschlossenem Schlag und von verdächtigem Aussehen herauskommt, so fallen wir darüber her. Es ist schon sehr lange, daß wir keinen Strauß mehr mit den Leibwachen des Herrn Kardinals ausgefochten haben, und Herr von Treville muß uns für todt halten.«

»Ihr seid offenbar zum Heerführer geboren, Athos,« sprach Aramis. »Was sagt Ihr zu diesem Plane, meine Herren?«

»Vortrefflich!« wiederholten die jungen Leute im Chor.

»Gut!« sprach Porthos, »ich laufe nach dem Hotel und benachrichtige unsere Kameraden, damit sie sich auf dem Platze des Palais-Kardinal bereit halten; Ihr laßt mittlerweile die Pferde durch die Bedienten satteln.«

»Ich, was mich betrifft, habe kein Pferd,« entgegnete d’Artagnan, aber ich will eines von Herrn von Treville nehmen.« – »Das ist unnöthig,« versetzte Aramis. »Ihr nehmt eines von den meinigen.« – »Wie viel habt Ihr denn?« fragte d’Artagnan. – »Drei,« antwortete Aramis lächelnd. – »Mein Lieber,« sagte Athos, »Ihr seid sicherlich der bestbezahlte Dichter von Frankreich und Navarra.«

»Hört, mein lieber Aramis, Ihr werdet nicht wissen, was Ihr mit drei Pferden thun sollt? nicht wahr? Ich begreife sogar nicht, warum Ihr drei Pferde gekauft habt.«

»Ich habe auch nur zwei gekauft,« erwiderte Aramis.

»Das dritte ist Euch also vom Himmel zugefallen?«

»Nein, das dritte ist mir diesen Morgen von einem Bedienten ohne Livree zugeführt worden, der mir nicht sagen wollte, wem er gehörte, und mir die Versicherung gab, er habe den Befehl von seinem Gebieter erhalten …«

»Oder von seiner Gebieterin,« unterbrach ihn d’Artagnan.

»Das macht nichts zur Sache,« fuhr Aramis erröthend fort, »und der mir die Versicherung gab, sage ich, er habe Befehl von seinem Gebieter oder seiner Gebieterin erhalten, dieses Pferd in meinen Stall zu bringen, ohne zu sagen, woher es käme.«

»Dergleichen begegnet nur einem Dichter,« sprach Athos ernst.

»Nun, wir wollen dieß benützen,« sagte d’Artagnan. »Welches von den zwei Pferden werdet Ihr reiten? Das, welches Ihr gekauft habt oder das, welches man Euch geschenkt hat?«

»Offenbar das, welches man mir geschenkt hat. Ihr begreift, daß ich eine solche Beleidigung …«

»Dem unbekannten Geber nicht anthun kann,« versetzte d’Artagnan.

»Oder der geheimnißvollen Geberin,« sprach Athos.

»Das gekaufte ist Euch also unnütz.«

»Beinahe.«

»Ihr habt es selbst ausgewählt?«

»Ja, und zwar mit der größten Sorgfalt. Die Sicherheit des Reiters hängt, wie Ihr wißt, beinahe immer von seinem Pferde ab.«

»Nun wohl, überlaßt es mir um den Preis, den es Euch kostet.«

»Ich wollte es Euch anbieten, mein lieber d’Artagnan, und dabei Euch jede Zeit gönnen, die Ihr nöthig haben könntet, um mir diese Bagatelle zurückzubezahlen.«

»Und wie viel kostet Euch das Pferd?«

»Achthundert Livres.«

»Hier sind vierzig Doppelpistolen, mein Freund,« sprach d’Artagnan und zog diese Summe aus seiner Tasche. »Ich weiß, daß dies die Münze ist, in der man Euch Eure Gedichte bezahlt.«

»Ihr seid also bei Kasse?«

»Reich, sehr reich, mein Lieber!«

Und d’Artagnan ließ in seiner Tasche den Rest seiner Pistolen klingen.

»Schickt Euren Sattel in das Hotel der Musketiere, und man wird Euch Euer Pferd mit den unsrigen hieher führen.«

»Sehr gut, aber es ist bald fünf Uhr, eilen wir!«

Eine Viertelstunde nachher erschien Porthos am Ende der Rue Ferou auf einem prächtigen Rosse. Mousqueton folgte ihm auf einem Auvergner Pferde, das kleiner, aber stark war. Porthos glänzte vor Stolz und Freude.

Zu gleicher Zeit sah man Aramis von dem andern Ende der Straße her auf einem herrlichen englischen Renner; Bazin folgte ihm auf einem Rothschimmel und führte ein kräftiges Mecklenburger Roß am Zügel, das für d’Artagnan bestimmt war.

Die zwei Musketiere begegneten sich vor der Thüre. Athos und d’Artagnan betrachteten dieselben durch das Fenster.

»Teufel!« sagte Aramis, »Ihr habt da ein herrliches Pferd, mein Lieber.«

»Ja,« antwortete Porthos, »es ist das, welches man mir gleich am Anfang schicken sollte. Ein schlechter Spaß des Gemahls hatte es durch ein anderes ersetzt; aber er ist schön dafür bestraft worden, und ich habe vollständige Genugthuung erhalten.«

Grimaud zeigte sich ebenfalls, das Pferd seines Herrn an der Hand haltend; d’Artagnan und Athos kamen herab, schwangen sich neben ihren Gefährten in den Sattel, und nun ritten alle vier nach dem Quai, Athos auf dem Pferde, das er seiner Gattin, Porthos auf dem Pferd, das er der Procuratorin, Aramis auf dem Pferd, das er seiner Geliebten, und d’Artagnan auf dem Pferd, das er seinem guten Glück, der schönsten Geliebten der Welt, zu verdanken hatte. Die Bedienten folgten ihnen. Die Kavalcade brachte, wie dies Porthos vorher gedacht hatte, eine gute Wirkung hervor, und wenn sich Madame Coquenard auf dem Wege von Porthos eingefunden und gesehen hätte, wie vornehm er auf seinem spanischen Rosse aussah, so würde sie den Aderlaß nicht bedauert haben, den sie an der Geldkasse ihres Mannes vorgenommen hatte.

In der Nähe des Louvre begegneten die vier Freunde Herrn von Treville, der von Saint-Germain zurückkam. Er hieß sie stille halten, um ihnen sein Kompliment über ihre Equipirung zu machen, was im Augenblick einige hundert Müßiggänger um sie versammelte.

D’Artagnan benützte diesen Umstand, um mit Herrn von Treville von dem Brief mit dem großen rothen Siegel und dem herzoglichen Wappen zu sprechen. Es versteht sich, daß er von dem andern keine Silbe verlauten ließ.

Herr von Treville billigte seinen Entschluß und versicherte ihn, daß, wenn er am andern Morgen nicht wieder erschienen wäre, er ihn zu finden wissen würde, wo er auch sein möchte.

In diesem Augenblick schlug die Glocke der Samaritaine sechs Uhr. Die vier Freunde entschuldigten sich mit einer Zusammenkunft und nahmen von Herrn von Treville Abschied.

Ein kurzer Galop brachte sie auf die Straße von Chaillot. Der Tag fing an sich zu neigen. Wagen fuhren hin und her. In einiger Entfernung von seinen Freunden bewacht, senkte d’Artagnan seine Blicke in die Tiefe jedes Wagens. Er gewahrte jedoch kein ihm bekanntes Gesicht.

Endlich, nachdem er eine Viertelstunde gewartet hatte und die Abenddämmerung völlig eingebrochen war, fuhr ein Wagen in starkem Galop auf der Straße von Sevres herbei. Eine Ahnung sagte d’Artagnan zum Voraus, dieser Wagen müsse die Person enthalten, welche ihn bisher beschieden hatte. Der junge Mann war selbst ganz erstaunt, als er fühlte, wie heftig sein Herz pochte. Beinahe in derselben Sekunde schlüpfte ein Frauenkopf aus dem Kutschenschlage hervor, zwei Finger auf dem Mund, als wollte man Stillschweigen empfehlen oder einen Kuß zusenden. D’Artagnan stieß einen leichten Schrei der Freude aus. Diese Frau oder vielmehr diese Erscheinung – denn der Wagen war mit der Geschwindigkeit einer Vision vorüber gezogen – war Madame Bonacieux.

In unwillkürlichem Drang und trotz der Empfehlung, die an ihn ergangen war, setzte d’Artagnan sein Pferd in Galop und holte den Wagen mit einigen Sprüngen wieder ein, aber die Scheibe des Kutschenschlages war hermetisch verschlossen und die Erscheinung verschwunden.

D’Artagnan erinnerte sich nun der Worte, die man ihm in dem Billet eingeschärft hatte: »wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen Etwas liegt, so bleibt unbeweglich, als ob Ihr nichts gesehen hättet.«

Er hielt also stille und zitterte, nicht für sich, sondern für die arme Frau, die sich offenbar einer großen Gefahr ausgesetzt hatte, indem sie ihn hieher beschieden.

Die Kutsche setzte ihren Weg in größter Eile fort, fuhr nach Paris hinein und verschwand.

D’Artagnan war ganz verblüfft auf demselben Platze geblieben und wußte nicht, was er denken sollte. War es Madame Bonacieux und kehrte sie nach Paris zurück, warum dieses flüchtige Rendezvous? warum dieser einfache Austausch eines Blickes? warum dieser zugeworfene Kuß? War sie es dagegen nicht, was immer noch sein konnte, denn das geringe Tageslicht machte einen Irrthum ganz leicht möglich; war sie es nicht, sollte dies dann nicht der Anfang eines Ueberfalls sein, den man gegen ihn mit dem Köder dieser Frau beabsichtigte, da man seine Liebe für dieselbe gar wohl kannte?

Die drei Freunde näherten sich ihm. Alle drei hatten vollkommen einen Frauenkopf aus dem Kutschenschlage erscheinen sehen, aber keiner von ihnen, mit Ausnahme von Athos, kannte Madame Bonacieux. Athos war allerdings der Meinung, sie sei es gewesen, aber minder unruhig mit diesem hübschen Gesichte beschäftigt, als d’Artagnan, hatte er einen zweiten Kopf, einen Männerkopf, im Hintergrunde des Wagens zu sehen geglaubt.

»Wenn dem so ist,« sprach d’Artagnan, »so bringt man sie ohne Zweifel von einem Gefängnisse in das andere. Aber, was wollen sie mit diesem armen Geschöpfe machen? Und wie soll ich sie je wiederfinden?«

»Freund,« sprach Athos ernst, »erinnert Euch, daß man nur bei den Todten nicht Gefahr läuft, ihnen auf Erden wieder zu begegnen. Ihr wißt etwas so gut wie ich, nicht wahr? Wenn nur Eure Geliebte nicht todt ist, falls sie es ist, der wir soeben begegnet haben, so werdet Ihr sie eines Tages wiederfinden und vielleicht, mein Gott,« fügte er mit dem ihm eigentümlichen menschenfeindlichen Tone bei, »vielleicht früher, als Euch lieb sein wird!«

Es schlug halb acht Uhr. Der Wagen war zwanzig Minuten nach der für das Rendezvous bestimmten Stunde gekommen. Die Freunde erinnerten d’Artagnan daran, daß er einen Besuch zu machen hatte, bemerkten jedoch, daß es immer noch Zeit sei, sich davon zu entbinden. Aber d’Artagnan war zugleich halsstarrig und neugierig. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Palais Richelieus zu gehen, um zu erfahren, was ihm Seine Eminenz sagen wollte. Nichts konnte ihn in seinem Entschluß wankend machen.

Man gelangte nach der Rue St. Honoré und vor das Palais-Kardinal, und traf die zwölf zusammenberufenen Musketiere, welche, ihre Kameraden erwartend, auf- und abgingen. Man erklärte ihnen erst hier, um was es sich handelte.

D’Artagnan war sehr bekannt bei dem ehrenwerten Corps der Musketiere. Man wußte, daß er einst eine Stelle bei demselben bekommen sollte, und betrachtete ihn zum Voraus als einen Kameraden. Dem zu Folge nahm jeder gerne die Sendung an, für welche er beschieden war. Ueberdies hatte man aller Wahrscheinlichkeit nach dem Herrn Kardinal und seinen Leuten einen schlimmen Streich zu spielen, und zu solchen Unternehmungen waren die würdigen Herren stets bereit.

Athos theilte sie in drei Gruppen, übernahm das Kommando der einen, übergab die zweite Aramis, die dritte Porthos, und jede Gruppe legte sich einem Eingang gegenüber in den Hinterhalt.

D’Artagnan trat muthig durch die Hauptpforte ein. Obgleich sich der junge Mann kräftig unterstützt fühlte, war er doch nicht ganz ruhig, als er die große Treppe Stufe um Stufe hinauf stieg. Sein Benehmen gegen Mylady glich einigermaßen einem Verrath, und er vermuthete die politischen Beziehungen, welche zwischen dem Herzog und dieser Frau bestanden; überdies war Herr von Wardes, den er so übel zugerichtet hatte, einer von den Getreuen Seiner Eminenz, und d’Artagnan wußte, daß Seine Eminenz, wenn sie einerseits furchtbar für ihre Feinde war, andererseits eine große Anhänglichkeit an ihre Freunde bewies.

»Hat Herr von Wardes unsere ganze Angelegenheit dem Kardinal erzählt, woran nicht zu zweifeln ist, hat er mich erkannt, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt, so darf ich mich beinahe als einen Verurtheilten betrachten,« sagte d’Artagnan den Kopf schüttelnd. »Aber warum hat er bis heute gewartet? Das ist ganz einfach: Mylady wird Klage gegen mich geführt haben, mit jenem heuchlerischen Schmerz, der so interessant macht. Und das letzte Verbrechen hat das Ueberlaufen des Gefässes bewirkt.«

»Zum Glück,« fügte er bei, »sind meine Freunde unten und werden mich nicht wegführen lassen, ohne mich zu vertheidigen. Indessen kann die Musketiercompagnie des Herrn von Treville nicht für sich allein den Krieg gegen den Kardinal führen, der über die Streitkräfte von ganz Frankreich zu verfügen hat, und dem gegenüber der König ohne Willen und die Königin ohne Macht ist. D’Artagnan, mein Freund, Du bist klug. Du hast vortreffliche Eigenschaften, aber die Weiber werden Dich zu Grunde richten!«

Er war bis zu diesem traurigen Schlusse gelangt, als er in das Vorzimmer eintrat. Hier übergab er seinen Brief dem Huissier vom Dienste, der ihn in den Wartesaal führte und sich in das Innere des Palastes verfügte.

In diesem Wartesaal befanden sich fünf bis sechs Leibwachen des Herrn Kardinals, die ihn, da sie d’Artagnan erkannten und wußten, daß er es war, der Jussac verwundet hatte, mit sonderbarem Lächeln anschauten.

Dieses Lächeln erschien d’Artagnan als ein schlimmes Vorzeichen. Aber da unser Gascogner nicht leicht einzuschüchtern war, oder vielmehr da er in Folge eines den Söhnen seiner Heimath natürlichen Stolzes nicht leicht sehen ließ, was in seiner Seele vorging, wenn das, was vorging, der Furcht glich, so pflanzte er sich unerschrocken vor den Herren Garden auf und wartete, die Hand auf die Hüfte gestützt, in einer Stellung, der es nicht an Majestät fehlte.

Der Huissier kehrte zurück und machte d’Artagnan ein Zeichen, ihm zu folgen. Es kam dem jungen Manne vor, als ob die Garden unter sich flüsterten, als sie ihn weggehen sahen.

D’Artagnan kam zuerst durch eine Flur, sodann durch einen Salon, trat in eine Bibliothek ein und stand vor einem Manne, der an einem Bureau saß und schrieb.

Der Huissier, der ihn eingeführt hatte, zog sich zurück, ohne ein Wort zu sprechen.

D’Artagnan glaubte Anfangs, er habe es mit einem Richter zu thun, der in seinen Acten arbeite, aber er bemerkte, daß der Mann an dem Bureau, Worte an den Fingern skandirend, schrieb oder vielmehr Zeilen von ungleicher Länge corrigirte. Er sah, daß er einem Dichter gegenüberstand. Nach einem Augenblick schloß der Dichter sein Manuscript, auf dessen Decke Mirame, Tragödie in fünf Acten, geschrieben war, und schaute empor.

D’Artagnan erkannte den Kardinal Richelieu.

XII.

Eine furchtbare Erscheinung.

Richelieu stützte seinen Ellbogen auf sein Manuscript, seine Wange auf seine Hand und schaute d’Artagnan einen Augenblick an. Niemand besaß ein tiefer forschendes Auge als der Kardinal, und dem jungen Mann rann es bei diesem Blick wie Fieber durch die Adern.

Er blieb indessen fest, hielt seinen Hut in der Hand und erwartete das Belieben Seiner Eminenz, ohne zu viel Stolz, aber auch ohne zu viel Demuth.

»Mein Herr,« sprach der Kardinal, »seid Ihr ein d’Artagnan aus Bearn?«

»Ja, Monseigneur.«

»Es giebt mehrere Linien d’Artagnan in Tarbes und in der Umgegend; zu welcher gehört Ihr?«

»Ich bin der Sohn desjenigen, welcher die Religionskriege unter dem großen König Heinrich, dem Vater Seiner Allergnädigsten Majestät, mitgemacht hat.«

»Gut Ihr seid es, der etwa vor sieben oder acht Monaten von seiner Heimath abgereist ist, um in der Hauptstadt sein Glück zu suchen?«

»Ja, Monseigneur.«

»Ihr seid durch Meung gekommen, wo Euch etwas begegnete; ich weiß nicht mehr genau was, aber irgend etwas.«

»Monseigneur,«sprach d’Artagnan,« »es begegnete mir …«

»Unnöthig, unnöthig,« versetzte der Kardinal mit einem Lächeln, welches andeutete, daß er die Geschichte so gut kannte, wie derjenige, welcher sie erzählen wollte. »Ihr waret an Herrn von Treville empfohlen?«

»Ja, Monseigneur, aber gerade bei dieser unglücklichen Angelegenheit in Meung …«

»Ging der Empfehlungsbrief verloren,« unterbrach ihn Seine Eminenz, ja, ich weiß es. Aber Herr von Treville ist ein geschickter Physiognomiker, der die Menschen auf den ersten Blick kennt, und er hat Euch in der Compagnie seines Schwagers, des Herrn des Essarts, untergebracht, wobei er Euch Hoffnung machte, mit der Zeit bei den Musketieren eintreten zu können?«

»Monseigneur ist vollkommen unterrichtet.«

»Seit dieser Zeit ist Euch Vielerlei begegnet. Ihr seid eines Tages hinter dem Karmeliterkloster spazieren gegangen, wo es besser gewesen wäre, Ihr hättet Euch anderswo befunden; dann habt Ihr mit Euren Freunden eine Reise nach den Bädern von Forges gemacht. Sie sind auf der Route zurückgeblieben, Ihr aber habt Euren Weg fortgesetzt. Das ist ganz einfach, Ihr hattet Geschäfte in England.«

»Monseigneur,« sagte d’Artagnan ganz verblüfft, »ich begab mich …«

»Auf die Jagd nach Windsor oder anderswohin, das geht Niemand etwas an. Ich weiß das, weil es mein Beruf ist. Alles zu wissen. Bei Eurer Rückkehr seid Ihr von einer hohen Person empfangen worden, und ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr das Andenken bewahrt habt, welches Ihr von ihr erhieltet.«

D’Artagnan trug den Diamant am Finger, den er von der Königin hatte, und drehte rasch den Stein nach Innen; aber es war zu spät.

»Am Tage nach diesem Empfang besuchte Euch Herr von Cavois,« fuhr der Cardinal fort. »Er bat Euch, in den Palast zu kommen, Ihr gabt ihm diesen Besuch nicht zurück und hattet Unrecht.«

»Monseigneur, ich fürchtete, die Ungnade Eurer Eminenz auf mich gezogen zu haben.«

»Und warum dies, mein Herr? Weil Ihr die Befehle Eurer Vorgesetzten mit mehr Muth und Verstand befolgt habt, als irgend ein Anderer gethan haben dürfte? Ihr solltet meine Ungnade auf Euch gezogen haben, während Ihr Lob verdient? Ich bestrafe nur die Leute, welche nicht gehorchen, und nicht diejenigen, welche, wie Ihr … zu gut … gehorchen. Und zum Beweise erinnert Euch an das Datum des Tages, an welchem ich Euch zu mir beschied, und sucht in Eurem Gedächtnis, was an diesem Tage vorgefallen ist.«

An diesem Tag hatte die Entführung der Frau Bonacieux stattgefunden.

D’Artagnan schauerte und erinnerte sich, daß eine halbe Stunde vorher die arme Frau an ihm vorübergekommen war, ohne Zweifel abermals durch dieselbe Macht weggeführt, der man ihr Verschwinden zuschreiben mußte.

»Da ich seit einiger Zeit nicht mehr von Euch sprechen hörte,« fuhr Richelieu fort, »so wollte ich wissen, was Ihr machtet. Uebrigens seid Ihr mir immerhin einigen Dank schuldig, denn es konnte Euch nicht entgehen, wie sehr man Euch unter allen Umständen schonte.«

D’Artagnan verbeugte sich.

»Dies rührte nicht allein von einem Gefühl natürlicher Billigkeit her,« fuhr der Kardinal fort, »sondern auch von einem Plan, den ich mir in Beziehung auf Euch gemacht hatte.«

D’Artagnan staunte immer mehr.

»Ich wollte Euch,« sprach der Kardinal, »Ich wollte Euch diesen Plan an dem Tag auseinandersetzen, wo Ihr meine erste Einladung empfangen habt, aber Ihr kamet nicht. Zum Glück ist durch die Zögerung noch nichts verloren, und Ihr sollt ihn heute hören. Setzt Euch zu mir, Herr d’Artagnan, Ihr seid ein zu guter Edelmann, um stehend hören zu müssen.«

Der Kardinal deutete hiebei mit dem Finger auf einen Stuhl, aber der junge Mann war über das, was vorging, so verwundert, daß er, ehe er gehorchte, auf ein zweites Zeichen wartete.

»Ihr seid muthig, Herr d’Artagnan,« fuhr Seine Eminenz fort, »Ihr seid klug, was noch mehr ist. Ich liebe die Menschen von Kopf und Herz. Erschreckt nicht,« sprach er lächelnd, »unter den Menschen von Herz verstehe ich die Menschen von Muth; aber so jung Ihr seid und obgleich Ihr erst in die Welt eintretet, habt Ihr doch mächtige Feinde. Wenn Ihr Euch nicht hütet, so werden sie Euch ins Verderben stürzen.«

»Ach, Monseigneur,« antwortete der junge Mann, »sie werden dies leicht zu Stande bringen, denn sie sind stark und wohl unterstützt, während ich allein stehe.«

»Ja, das ist wahr, aber obgleich allein, habt Ihr bereits viel gethan, und werdet, wie ich nicht zweifle, noch viel thun. Ihr bedürft jedoch meiner Ansicht nach einiger Anleitung auf der abenteuerlichen Laufbahn, die Ihr eingeschlagen habt, denn wenn ich mich nicht täusche, seid Ihr mit dem ehrgeizigen Gedanken, Euer Glück zu machen, nach Paris gekommen.«

»Ich bin in dem Alter toller Hoffnungen, Monseigneur,« erwiderte d’Artagnan.

»Tolle Hoffnungen sind nur für die Thoren vorhanden, mein Herr, und Ihr seid ein Mann von Geist. Laßt hören, was würdet Ihr zu einer Fähnrichsstelle bei meiner Leibwache und zu einer Kompagnie nach dem Feldzuge sagen?«

»Ah! Monseigneur …«

»Ihr nehmt an, nicht wahr?«

»Monseigneur,« erwiderte d’Artagnan mit verlegener Miene.

»Wie, Ihr weigert Euch?« rief der Kardinal erstaunt.

»Ich bin bei der Leibwache Seiner Majestät und habe keinen Grund, damit unzufrieden zu sein.«

»Aber es scheint mir, daß meine Leibwachen auch die Seiner Majestät sind, und daß man, wenn man in einem französischen Korps dient, dem König dient.«

»Monseigneur, Ew. Eminenz hat meine Worte unrichtig verstanden.«

»Ihr wollt einen Vorwand, nicht wahr? Ich begreife. Nun, Ihr habt den Vorwand. Das Vorrücken, der Feldzug, der sich eröffnet, die Gelegenheit, die ich Euch biete – das genügt für die Welt; für Euch kommt noch das Bedürfniß sicherer Protektion dazu. Denn Ihr müßt wissen, Herr d’Artagnan, daß schwere Klagen gegen Euch bei mir erhoben worden sind. Ihr widmet Eure Tage und Eure Nächte nicht ausschließlich dem Dienste des Königs.«

D’Artagnan erröthete.

»Ueberdies,« fuhr der Kardinal fort und legte seine Hand auf einen Haufen Papiere, »überdies habe ich hier einen ganzen Stoß, der Euch betrifft. Aber ich wollte zuvor mit Euch sprechen, ehe ich ihn las. Ich weiß, daß Ihr ein entschlossener Mann seid, und Eure Dienste könnten Euch unter guter Leitung viel eintragen, statt Euch zu Unheil zu führen. Auf! überlegt und entscheidet Euch.«

»Eure Güte macht mich ganz verwirrt, Monseigneur,« antwortete d’Artagnan, »und ich erkenne in Ew. Eminenz eine Seelengröße, die mich klein macht, wie einen Wurm der Erde, aber da mir Monseigneur freimüthig zu sprechen erlaubt …«

D’Artagnan hielt inne.

»Ja, sprecht.«

»So werde ich Ew. Eminenz sagen, daß alle meine Freunde bei den Musketieren und Leibwachen des Königs und alle meine Feinde in Folge eines mir ganz unbegreiflichen Unsterns bei Ew. Eminenz dienen. Ich wäre also hier sehr unwillkommen und müßte da unten in einem schlimmen Lichte erscheinen, wenn ich das, was mir Monseigneur bietet, annehmen würde.«

»Solltet Ihr bereits den stolzen Gedanken haben, ich biete Euch weniger, als Ihr verdient, mein Herr?« sagte der Kardinal mit verächtlichem Lächeln.

»Monseigneur, Ew. Eminenz ist hundertmal zu gut gegen mich, und ich glaube im Gegentheil nicht genug gethan zu haben, um eine solche Güte zu verdienen. Die Belagerung von la Rochelle wird eröffnet, Monseigneur; ich werde unter den Augen Ew. Eminenz dienen, und wenn ich das Glück gehabt habe, mich bei dieser Belagerung so zu benehmen, daß ich Euere Blicke auf mich ziehe, nur dann habe ich eine glänzende Handlung hinter mir, welche die Protektion rechtfertigt, der Ihr mich zu würdigen die Güte haben werdet. Alles zu seiner Zeit. Später werde ich vielleicht das Recht haben, mich zu geben; heute würde es aussehen, als ob ich mich verkaufte.«

»Das heißt, Ihr verweigert mir Euern Dienst, mein Herr?« sprach der Kardinal mit einem ärgerlichen Ton, unter dem jedoch eine gewisse Achtung durchdrang. »Bleibt also frei und bewahrt Euern Haß und Euere Sympathien.«

»Monseigneur …«

»Gut, gut,« sagte der Kardinal, »ich grolle Euch darum nicht; aber versteht wohl: man hat alle Verpflichtung, seine Freunde zu vertheidigen und zu belohnen; seinen Feinden ist man nichts schuldig. Dennoch will ich Euch einen Rath geben. Haltet Euch gut, nehmt Euch wohl in Acht, denn von dem Augenblick an, wo ich meine Hand von Euch abziehe, gebe ich keinen Heller mehr für Euer Leben.«

»Ich werde mich bestreben,« antwortete der Gascogner demüthig und zugleich mit einer gewissen Sicherheit.

»Erinnert Euch später und in einem gewissen Augenblick, wenn Euch Unheil widerfährt,« sagte Richelieu mit vorleuchtender Absicht, »daß ich Euch aufgesucht und daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um dieses Unheil von Euch abzuwenden.«

»Was auch geschehen mag,« erwiderte d’Artagnan, die Hand auf seine Brust legend und sich verbeugend, »ich werde eine ewige Dankbarkeit gegen Ew. Eminenz für das bewahren, was Ihr mir in diesem Augenblick gethan habt.«

»Gut also, Herr d’Artagnan, wir werden uns, wie Ihr sagtet, nach dem Feldzug wieder sehen. »Ich folge Euch mit den Augen, denn ich werde unten sein,« fuhr der Kardinal fort und zeigte d’Artagnan eine prachtvolle Rüstung, die er anlegen sollte. »Und wenn wir zurückkommen, rechnen wir ab.«

»Oh! Monseigneur!« rief d’Artagnan, »erspart mir die Last Eurer Ungnade; bleibt neutral, Monseigneur, wenn Ihr findet, daß ich als ritterlicher Mann handle.«

»Jüngling,« sagte Richelieu, »wenn ich Euch noch einmal sagen kann, was ich Euch heute gesagt habe, so gelobe ich es Euch zu sagen.«

Die letzten Worte Richelieus drückten einen furchtbaren Zweifel aus; d’Artagnan war darüber mehr bestürzt, als über eine Drohung, denn dies war eine Verkündigung. Der Kardinal suchte ihn also vor einem Unglück zu bewahren, das ihn bedrohte. Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber Richelieu entließ ihn mit einer stolzen Geberde.

D’Artagnan entfernte sich, aber an der Thüre drückte es ihm beinahe das Herz ab, und es fehlte wenig, so wäre er umgekehrt. Doch das strenge, ernste Antlitz von Athos trat ihm vor die Augen. Machte er mit dem Kardinal den Vertrag, den dieser ihm vorschlug, so würde ihm Athos keine Hand mehr geben, Athos würde ihn verleugnen.

Diese Befürchtung hielt ihn ab; so mächtig ist der Einfluß eines wahrhaft großartigen Charakters auf seine ganze Umgebung.

D’Artagnan stieg dieselbe Treppe hinab, auf der er heraufgekommen war; er fand vor der Thüre Athos und die vier Musketiere, welche auf seine Rückkehr warteten und unruhig zu werden anfingen. D’Artagnan beruhigte sie mit einem Worte, und Planchet lief umher, um die Andern zu benachrichtigen, daß es unnöthig sei, länger Wache zu halten, indem sein Herr wohlbehalten das Palais des Kardinals verlassen habe.

Sobald sie zu Athos zurückgelangt waren, erkundigten sich Aramis und Porthos nach der Ursache dieser seltsamen Bestellung; aber d’Artagnan sagte ihnen nur, Herr von Richelieu habe ihn kommen lassen, um ihm den Eintritt bei seinen Leibwachen mit dem Grad eines Fähnrichs anzutragen; er habe aber dieses Anerbieten ausgeschlagen.

»Und Ihr habt Recht gehabt,« riefen einstimmig Aramis und Porthos.

Athos versank in eine tiefe Träumerei und erwiderte nichts.

Aber als er mit d’Artagnan allein war, sagte er:

»Ihr habt gethan, was Ihr thun mußtet, aber Ihr habt vielleicht Unrecht gehabt.«

D’Artagnan stieß einen Seufzer aus, denn diese Stimme antwortete auf eine geheime Stimme seiner Seele, die ihm sagte, daß großes Unglück seiner harre.

Der nächste Tag ging unter Vorkehrungen für die Abreise hin.

D’Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville. Noch zu dieser Stunde glaubte man, die Trennung der Garden und der Musketiere würde nur ganz kurz sein; der König würde sein Parlament noch an demselben Tage halten, und am andern Morgen abreisen. Herr von Treville beschränkte sich also darauf, d’Artagnan zu fragen, ob er seiner bedürfe; d’Artagnan aber antwortete stolz, er habe Alles, was er brauche.

Die Nacht versammelte alle Kameraden der Gardecompagnie des Essarts und der Musketiercompagnie des Herrn von Treville, welche Freundschaft miteinander geschlossen hatten. Man verließ sich, um sich wieder zu sehen, wann und wenn es Gott gefiele. Die Nacht war also, wie man sich denken kann, eine höchst geräuschvolle, denn bei einem solchen Fall läßt sich die äußere Unruhe nur mit der äußersten Sorglosigkeit bekämpfen.

Am Morgen trennten sich die Freunde beim ersten Trompetenschall, die Musketiere liefen nach dem Hotel des Herrn von Treville, die Garden nach dem des Herrn des Essarts. Jeder der Kapitäne führte seine Compagnie sogleich nach dem Louvre, wo sie der König Revue passiren ließ.

Der König war traurig und schien krank zu sein, was ihm von seinem guten Aussehen benahm. Es hatte ihn in der That am Tag vorher mitten im Parlament, während er zu Gericht saß, das Fieber ergriffen. Er war darum nicht minder entschlossen, an demselben Tage abzugehen und wollte, trotz allen Bemerkungen, die man ihm machte, die Revue halten, in der Hoffnung, durch dieses erste, kräftige Entgegenstreben die Krankheit zu besiegen, die sich seiner bemächtigte.

Als die Revue vorüber war, marschierten die Garden allein aus, da die Musketiere erst mit dem König abgehen sollten, wodurch es Porthos vergönnt war, mit seiner herrlichen Equipirung einen Ritt durch die Rue aux Ours zu machen.

Die Procuratorin sah ihn in seiner neuen Uniform und auf seinem schönen Pferd vorüberreiten. Sie liebte ihn zu sehr, um ihn abziehen zu lassen; sie machte ihm ein Zeichen abzusteigen und zu ihr zu kommen. Porthos war prächtig: seine Sporen klirrten, sein Panzer glänzte, sein Schwert schlug stolz an seine Beine. Diesmal fühlten die Schreiber keine Lust zum Lachen, so sehr hatte Porthos das Ansehen eines Ohrenabschneiders.

Der Musketier wurde bei Herrn Coquenard eingeführt, dessen kleines graues Auge vor Zorn blitzte, als er seinen angeblichen Vetter ganz flammend erblickte. Eines jedoch tröstete ihn einigermaßen: man sagte allgemein, es würde ein sehr heftiger Feldzug werden, und er hoffte ganz stille im Grunde seines Herzens, Porthos werde dabei das Leben verlieren.

Porthos machte Herrn Coquenard sein Kompliment und verabschiedete sich von ihm. Meister Coquenard wünschte ihm alles mögliche Glück. Madame Coquenard konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, aber ihr Schmerz gab zu keinem bösen Gedanken Anlaß; man wußte, daß sie sehr an ihrem Verwandten hing, um dessen willen sie manchen furchtbaren Streit mit ihrem Gatten durchzufechten hatte.

So lange die Procuratorin ihrem schönen Vetter mit den Augen folgen konnte, neigte sie sich zum Fenster hinaus, das man hätte glauben können, sie wolle sich herausstürzen, und winkte mit dem Sacktuch. Porthos empfing alle diese Zeichen der Zärtlichkeit als ein Mann, der an dergleichen Kundgebungen gewöhnt ist. Als er jedoch um die Straßenecke ritt, nahm er seinen Hut vom Kopfe und schwenkte ihn zum Lebewohl.

Aramis schrieb einen langen Brief. An wen? Niemand wußte es. Ketty, welche an demselben Abend nach Tours abreisen sollte, wartete auf diesen geheimen Brief im Nebenzimmer.

Athos trank in kleinen Zügen die letzte Flasche von seinem spanischen Wein.

Während dieser Zeit defilirte d’Artagnan mit seiner Kompagnie. Als er nach dem Faubourg Saint-Germain kam, drehte er sich um und schaute die Bastille heiter an, der er bis dahin glücklich entgangen war. Da er nur die Bastille anschaute, sah er Mylady nicht, die ihn, auf einem Isabell reitend, mit dem Finger zwei Menschen von ziemlich schlimmem Aussehen bezeichnete, welche sich sogleich den Reihen näherten, um ihn zu betrachten. Auf eine Frage, die sie mit dem Blicke machten, antwortete Mylady, er sei es. Sobald sie sich überzeugt hatte, daß kein Versehen bei Ausführung ihres Auftrags stattfinden konnte, spornte sie ihr Pferd und verschwand.

Die zwei Männer folgten sodann der Kompagnie und bestiegen beim Ausgang aus dem Faubourg Saint-Antoine Pferde welche ein Bedienter ohne Livree für sie bereit hielt.