Die Elfen in Irland


Die Elfen in Irland

Die Elfen, die in ihrer wahren Gestalt kaum einige Zoll hoch sind, haben einen luftigen, fast durchsichtigen Körper, der so zart ist, daß ein Tautropfen, wenn sie darauf springen, zwar zittert, aber nicht auseinanderrinnt. Dabei sind sie von wunderbarer Schönheit, Elfen sowohl als Elfinnen, und sterbliche Menschen können mit ihnen keinen Vergleich aushalten.

Sie leben nicht einsam oder paarweise, sondern allzeit in großen Gesellschaften. Den Menschen sind sie unsichtbar, zumal am Tage, und da sie zugegen sein und mit anhören könnten, was man spricht, so drückt man sich nur vorsichtig und mit Ehrerbietung über sie aus, und nennt sie nicht anders, als das gute Volk, die Freunde; ein anderer Name würde sie beleidigen. Sieht man auf der Landstraße große Wirbel von Staub aufsteigen, so weiß man, daß sie im Begriffe sind, ihre Wohnsitze zu verändern und nach einem andern Ort zu ziehen und man unterläßt nicht, die unsichtbaren Reisenden durch ehrfurchtsvolles Neigen zu grüßen. Ihre Häuser aber haben sie in Steinklüften, Felsenhöhlen und alten Riesenhügeln. Innen ist alles aufs glänzendste und prächtigste eingerichtet und die liebliche Musik, die zuweilen nächtlich daraus hervordringt, hat noch jeden entzückt, der so glücklich gewesen ist, sie zu hören.

In den Sommernächten, wenn der Mond scheint, am liebsten in der Erntezeit, kommen die Elfen aus ihren geheimen Wohnungen hervor und versammeln sich zum Tanz auf gewissen Lieblingsplätzen, gleichfalls heimliche und verborgene Orte, wie Bergtäler, Wiesengründe bei Bächen und Flüssen, Kirchhöfe, wohin selten Menschen kommen. Oft feiern sie ihre Feste unter geräumigen Pilzen oder ruhen unter ihrem Schirmdach. Bei dem ersten Strahl der Morgensonne verschwinden sie wieder und es ist, als rausche ein Schwarm Bienen oder Mücken dahin.

Ihre Kleidung ist schneeweiß, manchmal silberglänzend, notwendig gehört dazu ein Hut oder ein Käppchen, wozu sie meist die roten Blütenglocken des Fingerhuts wählen und wodurch sich Parteien auszeichnen.

Die geheimen Kräfte der Elfen, ihre Zaubermacht, ist so groß, daß sie kaum Grenzen kennt. Nicht bloß die menschliche, jede andere Gestalt, selbst die abschreckendste, können sie augenblicklich annehmen und es ist ihnen ein leichtes, in einer Sekunde über eine Entfernung von fünf Stunden hinwegzuspringen. Vor ihrem Anhauch schwindet jede menschliche Kraft. Manchmal teilen sie den Menschen etwas von der Wissenschaft übernatürlicher Dinge mit und erblickt man einen, der wie in halbem Wahnsinn mit Bewegung der Lippen einsam auf und abgeht, so ist ein Elfe unsichtbar bei ihm und belehrt ihn.

Die Elfen lieben über alles die Musik. Wer sie angehört hat, kann nicht beschreiben, mit welcher Gewalt sie die Seele erfülle und entzücke: gleich einem Strom dringe sie mächtig entgegen; und doch scheinen die Laute einfach, selbst eintönig und überhaupt Naturlauten ähnlich zu sein.

Zu ihren Belustigungen gehört das Ballspiel, das sie mit großem Eifer treiben und worüber sie oft bis zum Streit uneins werden können.

Im kunstreichen Tanz übertreffen sie weit alles, was Menschen leisten können, und ihre Lust daran ist unermüdlich.

Sie tanzen ununterbrochen, bis der Sonnenstrahl an den Bergen sich zeigt, und machen die kühnsten Sprünge ohne die mindeste Anstrengung.

Nahrung scheinen sie nicht zu bedürfen. Sie laben sich an Tautropfen, die sie von den Blättern sammeln.

Menschen, die vorwitzig sich nähern oder gar sie necken, bestrafen sie hart, sonst pflegen sie gegen Wohlgesinnte, die ihnen vertrauen, freundlich und hilfreich zu sein. Sie nehmen einen Höcker von der Schulter, schenken neue Kleidungsstücke, versprechen einen Wunsch zu erfüllen, obgleich auch hier gute Laune von ihrer Seite nötig zu sein scheint. Sie lassen sich auch wohl in menschlicher Gestalt sehen, oder jemand, der Nachts zufällig unter sie geraten ist, Teil an ihren Tänzen nehmen; aber etwas gefährliches liegt allzeit in dieser Berührung: der Mensch erkrankt darnach und fällt von der unnatürlichen Anstrengung, da sie ihm etwas von ihren Kräften zu verleihen scheinen, in ein heftiges Fieber. Vergißt er sich und küßt der Sitte gemäß seine Tänzerin, so schwindet in dem Augenblick, wo seine Lippen sie berühren, die ganze Erscheinung.

Die Elfen stehen aber noch in einer besonderen und näheren Beziehung zu den Menschen. Es ist, als teilten sie sich in die Seelen der Menschen und betrachteten sie nun als ihre Angehörigen. Daher haben gewisse Familien ihre eigenen Elfen, denen sie ergeben sind, wofür sie aber von diesen Hilfe und Beistand in bedenklichen Augenblicken, oft Genesung von tödlicher Krankheit, erhalten. Weil sie aber ihren Elfen nach dem Tode zufallen, so ist der Tod des Menschen für jene ein Fest, wo einer der Ihrigen in ihre Gesellschaft eintritt. Daher verlangen sie von den Menschen, daß sie bei Leichenzügen sich einfinden und sie ehren; sie selbst feiern die Bestattung des Toten wie ein Hochzeitsfest, tanzen über seinem Grabe und ebendeshalb wählen sie auch Kirchhöfe zu ihren Lieblingsplätzen. Oft entspinnt sich heftiger Streit, wem ein Kind zugehöre, den Elfen des Vaters oder der Mutter, und auf welchem Kirchhof es solle begraben werden. Die verschiedenen Parteien der Unterirdischen hassen und bekriegen sich dann ebenso feindselig wie Stämme der Menschen, ihre Kämpfe finden in der Nacht, an Kreuzwegen statt, und oft trennt sie nur der einbrechende Tag. Diese Verbindung der Menschen mit einem stillen, aber guten Geistervolk würde an sich nichts abschreckendes, eher etwas beglückendes haben, aber die Elfen erscheinen in einem gewissen Zwielicht; beides das Böse wie das Gute hat zugleich Teil an ihnen und sie zeigen ebenso wohl eine schwarze als eine weiße Seite. Es sind vom Himmel gestoßene Engel, die nicht bis in die Hölle gesunken sind, die aber selbst in Angst und Ungewißheit über ihre Zukunft zweifeln, ob sie am jüngsten Tage Begnadigung erhalten werden. Dieses nächtliche, teuflische bricht sichtbar in ihren Neigungen und Handlungen hervor. Wenn sie in Erinnerung des ursprünglichen Lichtes wohlwollend und freundlich gegen die Menschen scheinen, so treibt sie das böse Element ihrer Natur zu heimtückischen und verderblichen Streichen an. Ihre Schönheit, die wunderbare Pracht ihrer Wohnungen, ihre Fröhlichkeit ist dann nichts als ein falscher Schein, und ihre wahre Gestalt von abschreckender Häßlichkeit erregt Grausen. Erblickt man sie in seltenen Fällen bei Tag, so zeigen sie ein von Alter eingefallenes oder, wie man sich ausdrückt, welkem Blumenkohl ähnliches Gesicht, eine kleine Nase, rote Augen und das weiße Haar eines steinalten Greises.

Eins ihrer boshaften Gelüste besteht darin, gesunde und schöne Kinder den Müttern zu stehlen und einen Wechselbalg dafür hinzulegen, der einige Ähnlichkeit mit dem gestohlenen hat, aber nichts als ein häßlicher, krankhafter Elfe ist. Er zeigt alle böse Eigenschaften, ist heimtückisch, schadenfroh und, obgleich unersättlich, will doch nichts an ihm gedeihen. Wird Gott erwähnt, so lacht er, sonst aber spricht er nicht, bis er auf eine besondere Weise genötigt, die Stimme eines uralten Mannes ertönen läßt und sein Alter wohl selbst verrät. Die Neigung zur Musik offenbart sich auch hier, so wie ungewöhnliche Fertigkeit dazu, übernatürliche Kräfte äußern sich in der Macht, womit er alles, selbst unbelebte Dinge, zum Tanz zu nötigen weiß. Wo er ist, bringt er Verderben: ein Unglück auf das andere erfolgt, das Vieh erkrankt, das Haus stürzt ein und jede Unternehmung schlägt fehl. Wird er erkannt und bedroht, so macht er sich unsichtbar oder entflieht, er scheut das fließende Wasser und bringt man ihn über eine Brücke, so springt er hinab und, auf den Wellen sitzend, spielt er sein Instrument und kehrt zu den seinigen zurück. Er heißt irisch »Leprechan«.2

Zu gewissen Zeiten, wie am Maiabend, scheinen die bösen Elfen besonders tätig und mächtig; denen, welchen sie feind sind, geben sie unsichtbar einen Schlag, der Lähmung zur Folge hat, oder sie richten ihren Atem gegen sie, und auf der Stelle, wo dieser Anhauch den Menschen berührt, erzeugen sich alsbald Beulen und Geschwüre. Die in besonderer Gunst bei den Elfen zu stehen vorgeben, unternehmen die Heilung solcher Krankheiten durch Zaubermittel und geheimnisvolle Reisen.

In dieser Eigenschaft unterscheidet sich der Elfe wesentlich von dem Shefro durch sein einsames und täppisches Wesen; man findet den Cluricaun niemals in Gesellschaft, sondern immer für sich allein. Er ist viel körperlicher und zeigt sich am Tag als ein kleines, altes Männchen mit verschrumpftem Gesicht in altmodischer Tracht. Auf seinem erbsenfarbigen Rock sind große Knöpfe, so wie er an großen Metallschnallen auf seinen Schuhen besonders Wohlgefallen zu haben scheint. Einen Hut trägt er auch, aber einen dreieckigen, altfränkisch aufgekrämpten.

Man haßt ihn seines boshaften Wesens wegen und sein Name wird als Ausdruck der Verachtung gebraucht. Man bemüht sich seiner Herr zu werden und droht ihm gern; manchmal gelingt es ihn zu überlisten, manchmal ist er verschmitzter und betrügt den Menschen. Er beschäftigt sich mit der Verfertigung von Schuhen und pfeift ein Lied dazu. Wenn ihn der Mensch dabei überrascht, so ist er zwar voll Furcht vor dessen überlegener Stärke, aber mit der Kraft begabt zu verschwinden, wenn es ihm durch List gelingt es dahin zu bringen, daß der Mensch auch nur auf einen Blick die Augen von ihm abwendet.

Der Cluricaun besitzt Kenntnis (»während der Unruhen«) vergrabener Schätze, entdeckt sie aber nicht eher, als bis er sich aufs höchste gedrängt sieht. Oft hilft er sich noch, wenn der Mensch schon glaubt, ihn ganz in der Gewalt zu haben. Eine gewöhnliche List besteht darin, daß er das Merkmal, wo der Schatz liegt, sei es Strauch, Distel, Stein, Zweig, unendlich vervielfältigt, damit es dem Menschen, der ein Werkzeug herbeigeholt hat, die Erde aufzugraben, nicht weiter als Unterscheidungszeichen dienen kann. Der Cluricaun hat einen kleinen ledernen Beutel mit einem Schilling, welchen er, so oft er auch damit zahlt, immer wieder findet und welcher der Glücksschilling (Sprè na Skillenagh) heißt. Manchmal hat er zwei Beutel bei sich, der eine enthält den Wunderpfennig, der andere eine Kupfermünze, und wird er gezwungen, herauszurücken, so reicht er hinterlistig den letztern, dessen Gewicht befriedigend ist, während er bei Untersuchung des Inhalts, wenn das menschliche Auge sich von ihm abwendet, verschwindet.

Sein Vergnügen besteht im Rauchen und Trinken. Er kennt das Geheimnis, das die Dänen sollen nach Irland gebracht haben, Bier aus Heide zu brauen. Kleine Tabakspfeifen von alter Form, die man beim Graben oder Pflügen häufig in Irland findet, besonders in der Nähe jener runden Verschanzungen, dänische Festungen genannt, glaubt man, gehörten den Cluricaunen; und findet man sie zerbrochen oder sonst auf eine Art verstümmelt, so betrachtet man das als eine Art Vergeltung für die Streiche, die ihre angeblichen Eigentümer sollen gespielt haben.4

Der Cluricaun zeigt sich aber auch in Verbindung mit den Menschen und gehört dann einer Familie an, mit der er aushält, so lange ein Glied davon lebt, die aber gleichfalls seiner nicht los werden kann. Bei aller Neigung zu boshaften Streichen und Neckereien pflegt er vor dem Hausherrn eine gewisse Achtung zu hegen und ihn mit Rücksicht zu behandeln. Er leistet hilfreiche Hand, verhütet heimliche Unglücksfälle, wird aber im höchsten Grade zornig und aufgebracht, wenn man ihn vergessen und die ihm gebührende Speise nicht an den bestimmten Ort gesetzt hat.

Das Wort wird verschiedentlich erklärt als Haupt der Elfen oder als weiße Frau. Es ist ein weiblicher Geist, der gewissen Familien, doch meist nur von altem oder edlem Stamm angehört und sich bloß zeigt, um den Tod von einem Glied derselben anzukündigen. Die Banshi erscheint dann in der Nähe des Hauses oder bei dem Fenster, wo der Kranke liegt, schlägt die Hände zusammen und klagt in den jammervollsten Tönen. Sie hat einen weißen weiten Mantel um und einen Schleier auf dem Kopf.

Es ist schwer, von diesem Geist einen deutlichen Begriff zu geben.5

Es liegt etwas unbestimmtes, immer aber etwas dunkeles und nächtliches in seinem Wesen. Man erinnert sich seiner unvollständig, wie eines Traums, ob man gleich den heftigsten Eindruck empfunden hat; gleichwohl kann die Phuka mit Händen berührt werden. Sie zeigt sich als schwarzes Roß, Adler, Fledermaus, und läßt den Menschen, dessen sie sich bemächtigt hat und der unfähig ist, den geringsten Widerstand zu leisten, in kurzer Zeit vieles erleben. Sie jagt mit ihm über Abgründe, führt ihn hinauf in den Mond und hinab in die Tiefe des Meers. Wenn etwas einstürzt, wird es ihr vom Volk zur Last gelegt. Nicht wenige Abgründe und Höhlen in den Felsen heißen Phukahöhlen (Poula Phuka), selbst ein Wasserfall, den der Liffey in der Grafschaft Wicklow bildet, hat von ihr seinen Namen. Das Volk verbietet den Kindern nach Michaelis noch Brombeeren zu essen und schreibt die Abnahme derselben, welche nach dieser Zeit beginnt, der Phuka zu.

Unter dem Wasser liegt ein Land, so gut wie oben, wo die Sonne scheint, Wiesen grünen, Bäume blühen, Felder und Wälder abwechseln, Städte und Paläste nur viel prächtiger und glänzender sich erheben und das von glücklichen Elfen bewohnt wird. Hat man in dem rechten Augenblick an den Ufern des Sees die rechte Stelle gefunden, so kann man alle diese Herrlichkeiten mit Augen sehen. Einige, die ins Wasser gefallen und ohne Schaden zu nehmen dort angelangt sind, haben bei ihrer Heimkehr Bericht abgestattet. Diese Unterwelt heißt das Land der Jugend, weil die Zeit dort keine Macht hat, niemand altert und wer viele Jahre da unten gewesen ist, den hat es nur ein Augenblick gedeucht. An gewissen Tagen bei aufgehender Sonne erscheinen diese Elfen auf der Oberfläche des Wassers, in größter Pracht und in allen Farben des Regenbogens schillernd. Mit Musik und Tanz, in ungezügelter Lust, ziehen sie einen bestimmten Weg auf dem Wasser dahin, das unter ihren Füßen so wenig weicht, als die feste Erde unter den Tritten der Menschen, bis sie endlich im Nebel wieder verschwinden.

  1. Wörtlich: das gute Volk (the good people). Der irische Ausdruck für Elfe in dieser Beziehung ist Shefro und diesen Namen führt auch im Original die erste Abteilung, ohne daß er sonst vorkäme oder erklärt wäre. She oder Shi heißt ohne Zweifel Elfe, vgl. hernach Ban-shi und das schottische Doane-shi und Shian.
  2. Das Wort, genau Preachän oder Priachan geschrieben, soll einen Raben bedeuten.
  3. Ein irisches Wort, das der Verfasser S. 162 durch die Vermutung erklärt, es sei eine Entstellung von Luacharma’n, Zwerg.
  4. Abbildung einer solchen Pfeife in der Anthologia Hibernica (Dublin 1793.) S.352 und in dem Original dieser Märchen S.176.
  5. Der Sammler bemerkt S.275. daß das walisische Gwyll, welches Dunkelheit, Nacht, Schatten, Berggeist bedeute, dem irischen Phuka vollkommen entspreche. Es ist der deutsche Alp.

XVI. Hexen und Unholde


XVI. Hexen und Unholde

Wir schließen diese Betrachtungen mit folgender aus ihnen zugleich hervorgehender. Der Glaube an Elfen und Geister hat in ganz Europa dem Christentum lange voraus bestanden. Die Lehrer des neuen Glaubens suchten die tiefgewurzelten heidnischen Ideen und Gebräuche des Volks dadurch zu bekämpfen und zu vertilgen, daß sie solche als sündlich und im Zusammenhang mit dem Teufel darstellten. Dadurch nahmen allmählich viele ursprünglich heitere Mythen und Volkslustbarkeiten eine finstere, gemischte und zweideutige Farbe an. Nicht als hätte der Gegensatz des Bösen dem heidnischen Glauben gemangelt; die nordische Fabel weiß von Wesen, die nicht geheuer sind, zumal weiblichen, die nachts auf Schaden ausreiten, Sturm und Unwetter stiften; in Deutschland waren sie nicht unbekannt.12

Auch hat das Volk die unschuldige Ansicht seiner alten Meinungen sich nie völlig abgewinnen lassen, es sind selbst, wie wir darzutun bemüht waren, in den Legenden, Gebräuchen und Festen der christlichen Kirche einzelne Züge und Bilder aus dem Heidentum unvermerkt aufgenommen worden. Doch im ganzen hat sich der Gesichtspunkt und die Beurteilung jener uralten Überlieferungen im Sinne des gemeinen Manns getrübt. Zu der Scheu des Geisterhaften ist auch die des Sündlichen und Teuflischen getreten. Er meidet das stille Volk, wie man etwa einem Ketzer aus dem Wege geht, vielleicht ist manches von dem, was die Ketzer auszeichnet, darum auch den Elfen zugeschrieben worden, namentlich die Enthaltsamkeit von Fluchen und Schwören. Die Reihen auf dem Brocken, die Tänze um das Johannisfeuer waren sicher nichts anders, als Feste der Lichtelfen, sie haben sich in greuliche, teuflische Hexentänze verkehrt, und die Spuren im Wiesentau, vorher den leichten Fußtritten der Geister beigelegt, wurden aus jener Ursache hergeleitet. Auch die vormals hold und gnädig geglaubten Wesen sind gehässige und feindliche geworden, Unholde aus Holden, wenn schon der alte, milde Name noch hin und wieder fortdauert (in Hessen und Thüringen Frau Holle, woraus man die abgöttischere Frau Venus gemacht hat).13

Alle Hexengeschichten haben etwas Dürres, Einförmiges; es ist bloß die Hefe der alten Phantasie darin zurückgeblieben. Sie sind unfruchtbar und freudenlos, wie die Hexerei selbst, die den Ausübenden arm und dürftig läßt, ohne weltlichen Ersatz für den Verlust der Seele; Cervantes sagt (Persiles II, 8.), die Hexen tun nichts, das zu einem Zweck führt. Aber man sieht dennoch durch, wie genau, was die gemarterte Einbildungskraft der Unglücklichen zu bekennen weiß, in so trübem Fluß, auf die Quelle der Geistersage führt.14

Die Hexen tanzen in nächtlicher Stille auf Kreuzwegen, entlegenen Bergen, auf Wiesen im Wald. Naht sich ein Ungeweihter, ruft er einen heiligen Namen aus, so zerstiebt alles Blendwerk. Auch Hahnenkrat (der Anbruch des Tages) unterbricht die Zusammenkunft (Remigius Daemonolatria, deutsche Übers. Frankf 1598. 8. S. 121.); Salz und Brot fehlt bei ihren Mahlzeiten (das. S. 126. Actenmäßige Hexenprocesse, Eichstädt 1811. S. 32) wie bei denen der Elfen. Der Drudenschuß ist der Elfenpfeil; freitags hört die Drud am schärfsten. In der Dunkelheit reiten die Hexen auf Tieren schnell durch die Lüfte, oder auf leblosen mit Zaubersalbe gekräftigten Stöcken und Gabeln, wie jener irische Cluricaun auf Binsen; wer, ihnen unbemerkt, mit dahin gefahren, hat Tage und Wochen lang zur Heimreise nötig. Sie brauen Wetter in Töpfen, daß ein Hagelschlag aufsteigt und »das liebe Getraide« trifft, wie das französ. Volksbuch vom Oberon berichtet, daß er Sturm, Hagel und Regen machte oder die serbische

Vile Wolken sammelt (bei Wuk I. Nr. 323.). Ihr Blick, ihr Händedruck tut es dem Vieh an, seltner dem Menschen, zumeist kleinen Kindern. Fast jedes Bekenntnis solcher Handlungen mußte auf ein wirkliches Ereignis gerecht sein, dessen tausendfältige natürliche Veranlassungen übersehen wurden. Aber weniger das Volk als die Richter haben gegen die Hexen gewütet, ein Prozeß zeugte den andern und warum soll in einem kleinen Landstrich, in einem Städtchen, wo man früher so wenig von Zauberern hörte, wie jetzt in unsern Tagen, im 16., 17ten bis in die Hälfte des 18ten Jahrhunderts, die entsetzliche Menge von Hexen gehaust haben? Der Umgang mit dem bösen Feinde,15 dessen man sie zieh, ist nichts als was die früheren Überlieferungen von Verbindungen der Elfen und Elfinnen mit den Sterblichen erzählen.

Die peinlichen Gesetze jener Zeit (bestärkt und hervorgerufen durch Innocenz des VIII. Bulle von 1484.) nach Karls V. Halsgerichtsordnung (ccc. 109.), sprachen grausame Wasserprobe, Folter und Feuertod dagegen aus und Tausende wurden hingerichtet. Der angeklagten, unmöglichen Verbrechen alle unschuldig; den unbarmherzigen Irrtum mag, wenn es kann, entschuldigen, daß die meisten Verurteilungen Weiber von unreinem, auch sonst zur Strafe reifem Lebenswandel getroffen zu haben scheinen. Nicht in allen Ländern hat ein unscheinbarer Aberglaube des Volks so schreckliche Macht ausgeübt; es war eine schauderhafte Parodie des baren Lebens auf das in der alten Poesie gegründete Geisterwesen.

  1. Folgende Glossen gehören hierher: gl. vindob. lamia: holzmuwa und holzmove. gl. trev. 70a holzmvia, lamia. – gl. lindenbrog. 996b lamia: holzmuwo gl. flor. 988b holzruna, lamia. gl. doc. 210b holzmuoja, wildaz wîp, lamia. muoja scheint die schreiende, brüllende, muhende zu bedeuten. – Tradit fuldens. II. p. 544. domus wildero wibo, ein Ort. – Ein solches wildes Waldweib scheint die rauche Elfe, die den Wolfdietrich an sich zu locken sucht und Zauber über ihn wirft.
  2. Die ältesten Verordnungen gegen die Hexen sind lex salica tit. 67. lex langob. L. I. tit. XI. cap. 9. Caroli M. Capitul. de partibus Saxoniae. cap. 5. s. eine besonders merkwürdige Stelle bei Regino eecl. discipl. lib. 2. §. 364. Vgl. Mone, Heidenthum 2, 128, der die Sache richtig ansieht.
  3. Die alte Benennung kommt hier und da noch vor: im niederdeutschen Roman von Malagis (Heidelberg. Handschr. f. 118b) heißt das Zauberweib ausdrücklich die Elfin.
  4. Er heißt Meister Hemmerlein (Remigius a.a.O.S. 181. 240. 280. 298. 359. 387. 408. 448) grade wie der Berggeist (Deutsche Sagen I ,3); hängt das mit dem Zürcher Hämmerlin (geb. 1389) zusammen? vgl. Joh. Müller 3, 164. 4, 290 und Kirchhofers Sprichwörter S. 79. Oder ist Hammer ein viel älterer Mann für Teufel und Hexenmeister? vgl. Frisch unter Hämmerlein: Poltergeist, Erdschmidlein, Klopfer.

Das stille Volk


Das stille Volk

(Siehe auch die Anmerkungen)

In Tipperary liegt ein Berg so seltsam gestaltet, wie einer auf der Welt. Seine Spitze besteht aus einer kegelförmigen Kuppe, auf der ein kleines Haus zur Erlustigung in den Sommertagen aufgebaut war, das jetzt auch verödet sein mag. Bevor man aber jenes Haus baute oder einen Acker besäte, war dort ein geräumiger Weideplatz eingehegt, wo ein Hirte Tag und Nacht seine Herde hütete. Grund und Boden gehörte von Alters her den Elfen und die verdroß es, daß der Rasen, auf dem sie sonst behend und luftig umher gesprungen waren, von den schweren Klauen der Ochsen und Kühe zertreten wurde. Das Gebrüll der Herde klang ihren Ohren unerträglich und die Königin des Volkes entschloß sich endlich selbst, die Ankömmlinge wieder zu vertreiben. Als die Erntenächte kamen, der Mond über den Berg sein Licht ausgoß, das Vieh still und gesättigt auf dem Boden lag und der Hirte, in seinen Mantel eingewickelt, hin und her sinnend sich der Gesellschaft der Sterne erfreute, die über ihm flimmerten, da zeigte sie sich in verschiedenen, aber immer häßlichen und furchtbaren Gestalten vor ihm tanzend. Einmal erschien sie als ein mächtiges Roß mit Adlerflügeln und einem Drachenschweif, laut zischend und Feuer ausatmend. Plötzlich verwandelte sie sich in ein kleines Männchen, lahm an einem Bein, mit einem Ochsenkopf und von einer lodernden Flamme umkreist. Dann war sie ein großer Affe mit Entenfüßen und schlug ein Rad dazu, wie ein welscher Hahn. Aber ich könnte tagelang erzählen, wenn ich sagen sollte, was für Gestalten sie noch annahm. Sie brüllte, oder wieherte, oder blöckte, oder heulte, oder krächzte, wie bisher noch niemand auf der Welt hatte brüllen, wiehern, blöcken, heulen oder krächzen hören. Der arme Hirte bedeckte sein Gesicht, aber was half ihm das! Sie hauchte ihn nur einmal an und das Stück Mantel, das er mit aller Kraft vor die Augen drückte, war weggeblasen; nun stand er da, ohne sich zu rühren; nicht einmal seine Augen konnte er zuschließen; von unbekannter Macht gefesselt, mußte er diese schrecklichen Gesichte anstarren, bis sich sein Haar aufrecht erhob und die Zähne im Munde klapperten. Das Vieh aber riß wütend aus, als wäre es von Bremsen gestochen und der Spuk dauerte, bis die Sonne über den Hügel schien.

Die armen Tiere magerten aus Mangel an Ruhe ganz ab, auch wollte das Futter bei ihnen nicht anschlagen; dazu kam ein Unfall auf den andern. Keine Nacht verging, daß nicht einige Stücke in einen Sumpf fielen, lahm wurden und gar umkamen; oder sie gerieten in den Fluß und ertranken. Kurz die Unfälle nahmen kein Ende und was die Sache noch schlimmer machte, es war kein Hirte mehr zu finden, der nachts bei dem Vieh bleiben wollte. Eine einzige Erscheinung des Geistes reichte hin, auch dem Unverzagtesten die Besinnung zu rauben. Der Eigentümer des Weideplatzes wußte nicht, was er anfangen sollte. Er bot doppelten, dreifachen, ja vierfachen Sold, aber kein Geld konnte jemand bewegen, dem Grausen sich auszusetzen, das der Anblick des Geistes erregte. Sie selbst freute sich über den glücklichen Erfolg ihres Unternehmens und ließ mit ihren Quälereien nicht nach. Da die Herde immer kleiner wurde und kein Mensch mehr wagte, in dem Bereich der Geister zu verweilen, so kam das stille Volk in großer Anzahl zurück. Jetzt sprangen sie wieder so lustig, wie sonst umher, berauschten sich an den Tautropfen der Eicheln und feierten ihre Feste unter den geräumigen Schirmen der Pilze.

Der arme, verwirrte Landmann wußte um sein Leben keinen Rat. Sein Vermögen nahm von Tag zu Tag ab, seine Leute waren in Furcht gejagt und der Termin, wo er die Pacht bezahlen sollte, rückte herbei. Was Wunder, daß er ganz trübselig aussah und sorgenvoll auf der Landstraße dahin wandelte.

Nun lebte in der Gegend ein Mann, namens Lorenz Hulahan, der blies die Pfeife besser als irgend einer in funfzehen Kirchensprengeln. Ein toller Rauschenblatt war Lorenz, aber sich fürchten, das hatte er noch nicht gelernt. Reichte ihm jemand eine gute Herzstärkung, so nahm er es mit dem Teufel selber auf. Er hätte sich einem wütenden Ochsen entgegengestellt und allein gegen einen ganzen Jahrmarkt geschlagen. Diesem Lorenz begegnete der Pächter einmal auf seinen sorgvollen Gängen, und auf die Frage was denn die Ursache seines Kummer sei, erzählte er ihm sein Mißgeschick.

»Wenns weiter nichts ist«, rief Lorenz, »so gebt euerm Herzeleid den Abschied! Wären noch mehr Elfen auf dem Berg, als Kartoffelblüten in Eliogurty, sie sollten mich nicht in Furcht jagen. Ich müßte ja ein rechter Bärenhäuter sein, ich, der ich keinen Menschen mit Fleisch und Bein fürchte, wollte ich vor einem solchen Balg von Gespenst nur daumensbreit zurückweichen.«

»Rede nicht so frech, Lorenz«, erwiderte der andere, »du weißt nicht, wers mit anhört, doch wenn du deine Worte wahr machst und meine Herde eine Woche auf dem Rücken des Bergs hütest, so soll deine Hand in meine Schüssel tauchen, so lange bis die Sonne zu einem dünnen Lichtchen herabgebrannt ist.«

Der Handel ward abgeschlossen und als der Mond hinter dem Felsen hervorkam, stieg Lorenz auf den Berg. Der Pächter hatte ihm erst vorgestellt, was das Haus vermochte, auch mit einem frischen Trunk sein Herz gestärkt. Lorenz nahm oben seinen Sitz auf einem großen Stein unter einer Höhle, den Rücken gegen den Wind und holte seine Pfeifen hervor. Er hatte noch nicht lange darauf geblasen, als sich die Stimme der Elfen hören ließ, tönend wie ein leiser Strom von Musik. Nun aber brachen sie in lautes Gelächter aus und Lorenz konnte deutlich einen sagen hören: »Was, wieder ein Mensch in dem Elfenkreis! geh hin, Königin, und laß ihn seine Verwegenheit fühlen!«

Sie flogen fort und Lorenz fühlte, wie sie gleich einem Mückenschwarm vorbeizogen; als er aufblickte, sah er zwischen sich und dem Mond eine große, schwarze Katze, die auf den Spitzen ihrer Pfoten stand, einen krummen Buckel machte und miaute, daß es klang, wie das Geräusch einer Wassermühle. Dann schwoll sie auf bis zu den Wolken und auf ihrem linken Hinterbein sich herumdrehend wirbelte sie so lange, bis sie auf den Boden fiel, von welchem sie in der Gestalt eines Lachses aufsprang, der eine weiße Binde um den Hals hatte und ein paar Stulp-Stiefel an.

»Nur zu, mein Schatz«, sagte Lorenz, »willst du tanzen, so will ich pfeifen!« und setzte an.

So verwandelte sie sich bald in dieses, bald in jenes Ungeheuer, aber Lorenz blies immer zu, ohne sich irre machen zu lassen. Zuletzt verlor sie die Geduld, wie Frauen pflegen, auf deren Schelten man nicht achtet, und verwandelte sich in ein Kälbchen, so weiß wie Milch und mit Augen so sanft, wie die meiner Liebsten. Sie kam spielend und schmeichelnd herbei und dachte ihn in der Güte von seinem Geschäft abzubringen und ihm dann einen Streich zu spielen; aber Lorenz war nicht zu überlisten und als sie herankam, setzte er seine Pfeifen ab und sprang auf ihren Rücken.

Wenn du von dem Gipfel des Elfenberges westwärts nach dem Weltmeer schaust, so erblickst du den königlichen Fluß Shannon, wie er, gleich einer See sich ausbreitend, in stolzem Lauf durch die Stadt Limerick fließt, um sich endlich mit dem Ozean zu vermischen. Der Mond schien hell und glänzend über das ferne Gebirg. Fünfzig Boote schwammen hin und her auf dem lieblichen Strom und der Gesang der Fischer stieg fröhlich von den Ufern in die Höhe.

Lorenz saß, wie ich schon erzählt habe, auf dem Rücken des weißen Kalbs und die Elfin wollte ihren Vorteil nutzen. Von der Spitze des Bergs sprang sie in einem Satz über den Fluß Shannon hinweg, durchflog in einer Sekunde drei volle Stunden und sich auf einem entlegnen Damm niederlassend, schlug sie aus und warf den Lorenz auf den weichen Rasen.

Aber wie er da lag, sah er ihr gerade in das Gesicht, strich sich über die Haare und rief: »Wahrhaftig gut gemacht! das war kein schlechter Sprung für ein Kalb!«

Sie betrachtete ihn einen Augenblick, dann nahm sie ihre wahre Gestalt wieder an und sprach: »Lorenz, du bist ein tüchtiger Bursche, willst du den Weg auch wieder zurück machen?«

»Freilich«, antwortete er, »wenn Ihr es zufrieden seid.«

Sie verwandelte sich wieder, Lorenz setzte sich auf den Rücken des weißen Kalbs und mit einem zweiten Sprunge waren sie auf der Bergspitze zurück.

Da sprach die Elfin in ihrer natürlichen Gestalt: »Du hast dich so unerschrocken gezeigt, Lorenz, daß, solange du die Herden hier auf diesem Berg hütest, du weder von mir noch einem der meinigen sollst gestört werden. Der Tag dämmert, geh hinab zu deinem Herrn und sage ihm das; und wenn du noch sonst einen Wunsch hast, will ich ihn erfüllen.«

Darauf verschwand sie.

Die Elfe hielt Wort. Solange Lorenz lebte, zeigte sie sich nicht auf dem Berg. Aber er ward ihr auch nicht durch Bitten lästig. Er blies seine Pfeifen, trank auf seines Herrn Kosten, ruhte sich hinter dem Ofen aus und sah dann und wann nach der Herde. Er starb endlich und ward in einem grünen Tal der schönen Landschaft Tipperary begraben. Ob das stille Volk nach seinem Tode wieder auf den Berg gezogen ist, kann ich nicht sagen.

IX. Lebensweise


IX. Lebensweise

1. Die Elfen leben in großen Genossenschaften, manchmal frei, manchmal unter einem Oberhaupt. In den schottischen Hochländern weiß man nichts von der Königin, deren wohl in Irland und England gedacht wird. In Wales haben sie einen König, der von einem Hof umgeben ist; auch in Schweden (Schwed. Lieder III. 158. 159.), wo sie die menschlichen Einrichtungen nachahmen. In Island ist das Verhältnis am meisten ausgebildet. Dort ist der unterirdische Staat dem menschlichen fast ganz ähnlich. Ein Elfenkönig wohnt in Norwegen und dahin reist der Statthalter nebst einigen Untertanen alle zwei Jahre, Bericht abzustatten; dann wird Recht gesprochen und gehandhabt. In deutschen Gedichten des Mittelalters erscheinen Zwergenkönige, die mächtig in ausgedehnten Reichen herrschen. Elberich trägt eine Krone (Otnit Str. III.) und ist König über große, unterirdische Reiche, er sagt zum Otnit (Str. 173):

ich hàn eigens landes mê dan dîner drì.

Kirschbaum, Kirschbaum,
heb die Äste oben,
unter dir die Vilen
führen Zaubertänze;
Radischa vor ihnen
schwingt Thau mit der Geisel
führt zwei Vilen,
redet zu der dritten.

Vorrede


Vorrede

Obgleich der Verfasser dieses Buchs, das unter dem Titel »Fairy legends and traditions of the South of Ireland«, London 1823, erschien, sich nicht genannt hat, so darf man doch voraussetzen, daß er ein geborener Irländer ist oder lang in Irland gelebt hat. Er zeigt genaue Kenntnis von Örtlichkeiten, Sitten und Denkweise und ist vertraut mit eigentümlichen Ausdrücken, Gleichnissen, sprichwörtlichen Reden und andern Kleinigkeiten dieser Art, die nicht wenig dazu beitragen, seine Darstellung zu beleben und in der Ferne oder aus einem Buch sich nicht erlernen lassen. Daher bedarf es kaum der Versicherung, welche er in ein paar als Einleitung vorangehenden Zeilen gibt, daß er alles aus dem Munde des Volks und in dem Stil, in welchem es gewöhnlich vorgetragen werde, aufgenommen habe. Abgesehen von dem eigentlichen Inhalt verleiht diese Treue und Wahrheit der Ausführung seiner Sammlung noch einen besonderen Wert, denn sie gewahrt eine Reihe kleiner, mit richtigen Farben und in allen Nebendingen sorgfältig ausgemalter Bilder, die als irische Idyllen gelten könnten. Man muß nachsichtig urteilen, wenn manchmal etwas zu viel sollte getan sein; dieser Fehler des zu sorgsamen Ausmalens, der immer nützlich und wobei Fleiß und Bestreben an sich achtungswert ist, erklärt sich am natürlichsten aus dem Einfluß, den Walter Scotts Darstellungsart gegenwärtig in England ausübt, welche ihrer Natur zufolge bei Nachahmern, selbst bei talentvollen, leicht die rechte und feine Linie überschreiten kann. Wer noch Sinn hat für schuldlose und einfache Poesie wird sich von diesen Märchen angezogen fühlen, sie haben einen eigentümlichen Beigeschmack, der nicht ohne Reiz ist, und kommen aus einem Lande, an das wir gewöhnlich nur in wenigen und gerade nicht erfreulichen Beziehungen erinnert werden. Gleichwohl wird es von einem Volke bewohnt, dessen Altertum und frühe Bildung die Geschichte bezeugt und das, wie es zum Teil noch in der eigenen Sprache redet, auch lebendige Spuren seiner Vorzeit wird aufzuweisen haben, wovon der hier dargestellte Glaube an überirdische Wesen vielleicht eins der besten Beispiele abgibt.

Den einzelnen Erzählungen unmittelbar zugefügte Anmerkungen des Sammlers sind nach englischer Sitte so weitläufig als möglich und oft gar nicht auf die Sache, sondern einen nebenbei erwähnten, unwesentlichen Umstand gerichtet. Nichts was zur Erläuterung der Überlieferung selbst diente, ist von uns ausgelassen, wohl aber was ungehörig schien, darunter auch manche gerade nicht glückliche allgemeine Sprachbemerkung oder etymologische Ausführung. Von uns herrührende Zusätze sind jedesmal mit einem Stern bezeichnet worden. Einiges wenige, was sich auf das Wesen der Elfen bezog, haben wir für die einleitende Abhandlung verwendet, die wir hinzuzufügen für zweckmäßig hielten.

Kassel, 10. Juli 1823

VI. Wohnung


VI. Wohnung

1. Die Lichtelfen wohnen nach der Edda bei dem Sonnengott Freir, die schwarzen aber in der Erde und in Steinen. Die heutigen Sagen weisen ihnen sämtlich ein ausgedehntes Reich in Bergen, wilden und unzugänglichen Schluchten, Riesen-hügeln und Felsklüften an. Sie haben darin oftmals ordentliche Wohnungen, die mit Gold und Silber angefüllt sind, und sehr prächtig werden die schottischen Shians beschrieben, dem Frau Venusberg der deutschen Sage (Nr. 170.) ähnlich. In Schweden glaubt man, sie säßen in kleinen, zirkelrund ausgehöhlten Steinen, die man Elfenmühlen (alfquarnar) heißt, dergleichen elfmills auch die schottische Sage kennt und womit die isländ. âlfavakir, kleine Höhlen in dem Eis, übereinkommen. Wolfram redet im Wilhelm dem heiligen S. 26b von Bergen: daz den wilden getwergen wäre ze stîgenne dà genuoc. Hug von Langenstein in der heil. Martina f. 128d:

sie loufent ûf die berge
als die wilden twerge.

von wilden getwergen hân ich gehoeret sagen
sie sin in holn bergen.

ich gibe wol swem mich lustet silber oder golt
ich mahte einen man wol rîche, dem ich wäre holt.

unde hâst dû ûf der erden des landes alsò vil,
sô hân ich darunder klâres goldes swaz ich wil.

VII. Sprache


VII. Sprache

1. Die Edda schreibt den Elfen eine eigene von der der Götter, Menschen und Riesen verschiedene Sprache zu, deren Ausdrücke für die größten Naturerscheinungen im Alvîsmâl aufgezeichnet werden. Ungefähr wie Homer an mehreren Stellen zwischen göttlichen und menschlichen Benennungen unterscheidet. Bemerkenswert ist, daß das Echo in dem nordischen Volksglauben Dvergmâl oder Bergmal, d. h. Zwerg- oder Bergsprache genannt wird (Vgl. Biörn Haldorson I. 73a und Färöiske Qväder. Randers 1822. S. 464. 468.) – In Wales haben die Unterirdischen eine eigene, ganz verschiedene Sprache, von der ein Mensch, der bei ihnen gewesen war, einige Worte gelernt hatte.

2. Die Elfen reden ganz leise. Auf Mau hörte Waldron ein Wispern, das nur von ihnen herrühren konnte. Auch in Schweden ist ihre Stimme leise, wie die Luft. Hinzelmann (Deutsche Sagen I. S. 104. 111. 113.) hatte die feine Stimme eines zarten Knaben.

3. Dagegen der häßliche, verschrumpfte Elfe in der irischen Sage („Die Flasche“) spricht mit einem schnarrenden und schneidenden Ton, der den Menschen erschreckt. Als Wechselbalg spricht er gar nicht, heult und schreit aber zum Entsetzen und wird er genötigt, so klingt seine Stimme wie die eines uralten Mannes („Der Wechselbalg“).

4. Verschiedene Waldgeister schreien laut und brüllen. Der serbischen Vile wird die Stimme des Spechts zugeschrieben.

VIII. Nahrung


VIII. Nahrung

Die Elfen bedürfen einiger zarter Nahrung; erst wenn sie in nähere Verbindung mit den Menschen treten, scheint Verlangen nach gröberer Speise zu entstehen. In Irland schlürfen sie Tautropfen ein; sonst scheint süße Milch ihre eigentümliche Nahrung zu sein. Nicht selten wird ihnen nach den deutschen Sagen (Nr. 38. 45. 75. 273. 298.) eine Schüssel voll hingesetzt; und in Wales herrscht gleiche Sitte. Einem Berggeist in der französischen Schweiz ward jeden Abend ein Napf voll süßer, frischer Nidle (Rahm) auf das Dach des Viehschoppens gestellt und allzeit von ihm geleert (Alpenrosen für 1824. S. 74.). Sie genießen auch wohl Krumen von Käse oder Weißbrot. In Preußen wurde ihnen sonst Brot und Bier Nachts hingesetzt und dann die Türe verschlossen; man war erfreut, wenn man am andern Morgen fand, daß sie davon gegessen hatten. Ausdrücklich wird gesagt (Deutsche S. Nr. 67.), daß bei den Nixen die Speise ungesalzen sei. –

Walter Scott (Minstrelsy II. 163.) bemerkt, daß auf der Spitze des Minchmuir, eines Berges in Peeblesshire, eine Quelle sei, welche die Käsequelle genannt werde, weil vordem jeder Vorübergehende ein Stückchen Käse hineingeworfen habe, als Opfer für die Elfen, denen sie geweiht gewesen. –

Seltsam ist, daß nach Grant Stewart (S. 136.) in den schottischen Hochländern der Genuß des Käses als ein Mittel betrachtet wird, sich vor dem Einfluß der Elfen zu sichern. Er muß nämlich aus der Milch einer Kuh gemacht sein, welche ein gewisses Kraut gefressen hat, das gälisch Mohan heißt und auf Gipfeln oder Abhängen hoher Berge gesammelt wird, wo noch kein vierfüßiges Tier Nahrung gesucht oder hingetreten hat.

Das Waldmärchen

Das Waldmärchen

Die Vorlesung war beendet.

»Vortrefflich!« sagte der Professor. Der Autor verbeugte sich gegen ihn und die übrige in weitem Kreise ihn umgebende Gesellschaft und faltete sein Manuskript.

»Ein deliciöses Märchen! Charmant! Höchst originell!« versicherten die Damen. Die Wirtin des Hauses bedankte sich bei dem Autor; der Autor bedankte sich bei den Damen.

»Ein Märchen?« fragte ein junger Mann. »Ich hätte das eher für eine Allegorie gehalten.«

»Nun«, erwiderte ein ältliches Fräulein, »ist denn das Märchen etwas anderes als ein buntes, die wirklichen Gegenstände magisch färbendes Glas, durch welches wir die uns bekannte Welt erblicken? Und ist das nicht eine Art Allegorie?«

»Ah so!« sagte der junge Mann; »ich hatte mir etwas anderes darunter gedacht.«

»Bei alledem«, sprach ein wohlwollender Kritiker, »liegt eine unergründliche Tiefe der Anmut in der Konzeption dieses Märchens und seiner fernen blauen Zauberberge.«

»Freund!« erwiderte ihm der Dichter, »ein Märchen ist überhaupt immer – die blaue Blume, die uns das blaue Wunder erschließt.«

»Ich hatte mir aber dennoch etwas anderes gedacht«, wiederholte der junge Mann vor sich hin. »Ich meinte, das Märchen ziehe fremdartige Lebensgestalten um die Gestaltung unseres Menschenlebens her.«

»Ein wunderliches Prinzip führt zur Einseitigkeit!« murrte der Professor.

»Ich verstehe von dem allen kein Wort«, sagte ein hübscher Jüngling – es war der Sohn vom Hause –, »ich denke mir aber, es ist mit dem Märchen wie mit der Liebe, die auch kein Weiser richtig definiert: jeder denkt sich etwas anderes darunter. Aber«, fuhr er zu mir und noch ein paar jungen Leuten gewendet fort, »kommt lieber mit mir ins Vorzimmer: da sitzt meine Schwester Linda unter den Kindern, die heute nicht in die Gesellschaftszimmer dürfen, und erzählt ihnen auch Märchen. Waldmärchen, Quellenmärchen – was weiß ich? Vielleicht ist dein anderes Märchen darunter«, lachte er seinem Freunde zu.

Wir waren im Gespräch weitergegangen; im ersten Salon saß wirklich ein junges Mädchen unter den Kindern und erzählte.

»Aber was in aller Welt ist denn ein Quellenmärchen?« fragte ich.

»Das weißt du nicht? Das weißt du nicht einmal?« riefen die Kinder durcheinander. »Ich will dir’s sagen.« – »Nein, nein, ich!« überschrie eins das andere. »Drunten – nein doch! ganz hinten im Garten ist ein kleiner, ganz kleiner Quell, und mit dem kann Tante Linda reden.«

»Ich habe es oft angehört«, versicherte Cäcilie, die Hand aufs Herz legend. »Ich auch! ich auch!« die andern. »Und was er ihr erzählt, das erzählt sie uns alles wieder.«

»Ja«, sagte Edmund sehr ernsthaft, »und wenn der Quell die Geschichte anfängt, so legen sich die kleinen Veilchen auf die Erde unter die Blätter hin und hören zu, und die Grashälmchen spitzen die grünen Öhrchen. Und der Schmetterling schlägt hinten seinen bunten Frack zusammen und setzt sich – siehst du, so!« und er setzte sich als Schmetterling; »und dann, ja, dann kommt die huschliche, fahrige Libelle, die nie ordentlich achtgibt; und die Biene in ihren Honighöschen beeilt sich ganz unsäglich und möchte es gar zu gern mit anhören, läßt sich aber keine Zeit vor dem Feierabend; sie ist gar zu haushälterisch und übertreibt’s ein bißchen – und dann –«

»Nun?« fragte ich sehr ergötzt weiter, »was sagt der Quell?«

»Oh! erst legen sich am Abend lange goldene Sonnenstrahlen über den Bach hin, darauf tanzen die Mücken, bis sie müde sind, und erst dann wird es still, so ganz still! Die Glühwürmchen zünden ihre Laternchen an, und der Quell beginnt sein Märchen.«

»Und wie ist denn das schöne Märchen?«

»Ei, das ist jedesmal anders, aber es gleicht sich; denn siehst du, es ist ein Familienmärchen; da erfahren wir immer mehr, und dann ist das Hübsche – es hat gar kein Ende.

Erst ist da der alte, uralte Ahn im Walde; der wohnt in der hohlen Eiche und ist älter und viel klüger als die kleinen Menschen um ihn her.« – »Er ist auch größer«, sagte Jenny.

»Freilich«, erwiderte Otto, »aber er ist nicht immer so klug gewesen. Er hat einmal etwas sehr Böses getan: er hat sich gegen die Gnomen vergangen, die an seinen Wurzeln zur Außenseite der Erde hinauf ans Licht klettern wollten.«

»Ja, und die Gnomen waren keine bösen Geister: es waren Leute von kleinem Volk und hatten es gut mit dem Grafen im Sinn, dem der Boden gehörte, auf dem die Eiche stand. Sie wollten seiner Tochter Hochzeitsgeschenke bringen und einen kleinen Hausgeist bei ihr zurücklassen, der sollte ihr Glück beschirmen.«

»Und ihre Kinder hüten«, sagte Jenny.

»Ja, aber sie hatte noch keine; das kommt viel später.«

»Also nun konnten die Erdgeister den Segen nicht hinaufbringen?«

»Nein, und die Familie verarmte, und alle Kinder des Hauses welkten hin und kamen um, so daß der Name ganz ausstarb.«

»Nun ist aber ein altes Gesetz«, nahm der älteste Knabe das Wort, »daß die Naturgeister keinem lebenden Wesen mutwillig schaden dürfen und besonders nicht den Menschen. Und als nun der Graf und seine wunderschöne Tochter Sismonde und alle ihre Geschwister, ja selbst alle ihre Kinder, dahinstarben und vergingen wie das Gras auf dem Felde, ward der Elfe gestraft: er verlor die Sprache und durfte den Baum nicht mehr verlassen.

Zu seiner Qual muß er nun still zusehen«, erzählte Edmund weiter, »wie unter ihm seine lieben Menschen – denn er liebt sie, und besonders alle auf dem Gute Geborenen – sich vergehen gegen die Natur und Unrecht untereinander tun. Aber er sitzt fest in seinem Baume, er darf nicht warnen, wenigstens nicht mit Worten. Da kommt der Jäger ganz übermütig und schießt das muntere Wild: das kränkt den Elfen, er rauscht mit den Zweigen, was er weiß und kann. ›Ein frischer Morgenwind heute!‹ spricht der Jäger und hetzt den Jagdhund. Böse Buben kommen, nehmen die Nester aus, verstümmeln die armen Vögelchen – da ächzt die Eiche in den Zweigen. ›Was das alte Holz knarrt!‹ lachten die Knaben; ›wär bald gut für den Ofen!‹ – Am schlimmsten aber war die Geschichte mit dem Oberförster.«

»Die will ich erzählen!« rief Otto. »Nein, nein, die Tante!« schrien und baten die Kleinen, »die liebe, liebe Geschichte mit dem Oberförster!«

Und die gute Tante fing an: »Es war also von dem gewaltigen Grafenstamme, dem der Boden eigen, auf welchem die alte Eiche stand, niemand mehr übrig. Da kam ein junger Mensch aus Ungarn in das Land und verdingte sich als Lehrbursche in die Försterei, die zum Gute gehörte, das nun an eine Seitenlinie des Hauses, entfernten Vettern, zugefallen war. Der alte Förster, ein eigensinniger, harter Mann, konnte die neue Herrschaft nicht leiden, darum vernachlässigte er auch alles in seinem Amte, was nicht eben ins Auge fiel, und tat nur das unumgänglich Nötige. Elmrich, der neue Lehrbursche, war flink, tätig, aber leichten Sinnes und tat das Notwendige am letzten; dagegen liebte er das Schöne und Wunderbare im Walde, pflegte und schonte die Blumen am Rain und freute sich der jüngsten Bäumchen, wenn sie nur schlank und frisch waren und anmutig so vom Hauch des Windes hin und her schwankten wie weiße Mädchen. Darum zog er auch die Erlen, Espen und Birken allen andern vor. Auch jagen mochte er gern, schoß aber nur das alte, kluge Wild, gegen das er einen Kampf zu bestehen hatte: am liebsten das wilde Schwein; die jungen Rehe aber fütterte er, zähmte sie leicht und unterhielt sich oft stundenlang mit ihnen. Bei all seinem Frohsinn war er ein Träumer, ging gern den ganzen Tag hindurch von einem Revier zum andern, saß aber dann auch oft stundenlang sinnend und träge am Fuße eines alten Stammes und sah ins Blaue.

Seltsam war es, daß, obschon der junge Bursch, lustig und träumerisch zugleich, oft unfleißig war, doch von dem Augenblicke an, da er in den Dienst kam, der Forst zu wachsen und zu gedeihen begann wie nie zuvor. Es hatten nie so viele Blumen zwischen Moosen und Farrenkräutern geblüht, der Rasen an den Lichtungen war nie so dicht und grün gewesen, die Bäume hatten nie so unbegreiflich schöne Kronen gehabt. Es war ordentlich, als wenn die Sonne wärmer scheine, wo er hintrat, so wunderbar gedieh alles um ihn her. Elmrich achtete nicht darauf. Er war gewohnt, sich dem Augenblick und seiner Forderung kräftig hinzugeben – oder zu träumen und gar nichts zu tun. Aber in seinen Träumen dachte er nicht an den Wald. Er dachte an prächtige Feste in goldblitzenden Schlössern, an schöne Frauen und zahllose Gäste, an Pferde und glänzenden Schmuck, an Sammet und Perlen, aber nicht an die weißen schwankenden Birken, nicht an den grünen Sammet des Rasens, auf dem er lag, nicht an die Tautropfen, die den Primeln wie Perlen in den bunten Blumenöhrchen hingen.

Eines Tages, als er auch so im Gehölze lag und seinen Gedanken sich hingab, fing er an, von einem innern Unmut getrieben, laut zu klagen. ›Warum‹, sprach er, ›bin ich ein Findling? ein Waisenkind, das nicht einmal seine Eltern kennt? Vielleicht ist mein Vater kein armer Landmann, kein Dorfbewohner: er kann reich sein und vornehm – und vielleicht weint er heiße Tränen um seinen ihm entrissenen Sohn. Als mich der Jäger in den Klauen eines Lämmergeiers hoch in den Wolken schweben sah und den bösen Gast, da er eben niederstieß, mit seiner Büchse traf, als der Räuber mit seiner Beute in den Fängen unter den Hirten sterbend niedersank, da jammerten vielleicht meine fernen Eltern um ihr verlorenes Kind, suchten mich und hielten mich endlich für tot – und mein Erbe ging über in andere, fremde Hand, und mein Schild ward zerbrochen, und mein Name verschwand von der Erde. Ist’s aber nicht gerade, als lebe alles noch heimlich in mir fort und drängte mich unaufhörlich in die Bahn zurück, die ich unbewußt verlassen? Ach, daß ich ein armer, armer Forstlehrling bin!‹

Indem er so sprach, begann die alte Eiche über seinem Kopfe ganz seltsam zu wogen und zu rauschen; es war fast, als antwortete sie seinen Klagen, ja es schien ihm sogar, als senke sie die Zweige gegen ihn. Sogleich kehrte ihm der leichte, frohe Mut zurück und, sich aufrichtend und in die Höhe schauend, rief er lustig dem Baume zu: ›Nimmst du teil an mir, alter Freund? Ich danke dir, daß du so viel Gefühl für ein armes Menschenkind hegst. Freilich, freilich ist dein grüner Baldachin, den du so schön über mich hinwölbst, noch schöner als ein sammetner und obendrein mit echtem Sonnengold durchwirkt! Darum ist’s gar hübsch von dir, du alte Waldperücke, daß du mir’s nicht übel nimmst, daß ich an jenen denke, ja, daß du’s dennoch immer gleich gut meinst mit mir!‹ Und die gute alte Eiche rauschte und rauschte und rauschte immer gewaltiger. Curios! dachte der Bursch: es weht doch gar kein Wind! Er sah die Eiche immer fester an, da fiel ein Zweiglein ab von ihr, daran saßen drei Blätter, und an der Stelle, wo das Zweiglein abgefallen war, schien es dem Jäger einen Augenblick, als blickten ihn ein Paar braune Augen an; wie er aber genau hinsah, waren es Blätterschatten. Das Zweiglein nahm er auf und steckte es an seinen Hut und sagte lachend: ›Schön Dank, alter Freund! und geb‘ dir Gott einen sonnigen Tag!‹ und damit ging er wieder an seine Arbeit.

Der Eichenbaum, oder vielmehr der Elfe in der Eiche, war sehr bewegt und betrübt. Er hatte den Lämmergeier persönlich gekannt, von dem der Jäger sprach, und ein Kuckuck, der bei einem Hänfling aus und ein ging, welcher in seinen Zweigen wohnte, hatte ihm erzählt, wie der böse Raubvogel in einem weit entlegenen Dorfe ein Kind seiner schlafenden Wärterin geraubt und daß dies des letzten Grafen erstgebornes Söhnlein gewesen. Der arme Vater kam kinderlos von einer weiten Reise zurück, die er in Ungarn mit seiner Gemahlin gemacht hatte. Im Dorfe war es verboten, viel davon zu reden, und man hoffte auf einen neuen Erben. Aber obschon die schöne Gräfin Sismonde wieder gesegnet ward und auch wirklich noch ein Jünkerlein gebar, so starb doch das arme Knäbchen schon in den ersten Tagen nach seiner Geburt. Der Graf trug aber den Kummer nicht lange, er und seine Gattin starben jung, und das Lehngut kam in andere Hände. Die tückische Undankbarkeit des Lämmergeiers gegen den Grafen, den die gute Eiche gewissermaßen als dessen Brotherrn betrachtete, hatte sie damals tief betrübt und empört. Nun sie aber die Strafe desselben, den schmählichen Tod des Kinderräubers, vernahm und den schönen Grafensohn frisch und gesund in ihrem Schatten liegen sah, dachte sie nur an das gegenwärtige Glück, und all ihr Dichten und Trachten ging darauf aus, ihm wieder zu seines Herrn Vaters Grafenhut und Erbe zu verhelfen. Nebenbei hoffte sie durch diese Vergütung, die Sprache wiederzuerhalten und sich nicht mehr ärgern zu müssen, wenn die Gräser und Blättchen, die ihr zu Füßen wuchsen, sich so heimlich flüsternd lange Geschichten erzählten, so leise, daß es nicht einmal das nächste Veilchen hörte.

Hätte der Elfe nur die Eiche verlassen dürfen, so hätte er seinen Zweck, sich mit dem schlanken Jäger zu verständigen, auch wortlos erreichen können; aber so konnte er ja nicht einmal seine Töchter besuchen, die ringsum in schönen Birken, Erlen und Espen wohnten, und mußte seine Botschaften durch die kleine Finkenpost an sie gelangen lassen.

Unter diesen ernsten Betrachtungen war es Abend geworden, und die Nacht nahm alles in ihren dunkeln Mantel. Da kamen drei versprengte Irrlichter durch den Wald getänzelt, die eine Herberge suchten. Es war leider liederliches Volk, das im Lande herumzog und ordentliche verständige Leute, wenn sie nachts vom Biere kamen, in den Sumpf lockte, weil jeder eins von ihnen für des Gevatters Laterne hielt. Sie traten vor die Eiche hin, machten ihre Reverenz und nahmen oben die Flammenspitze ab, die sie eine artige Weile in der Luft herumflattern ließen, ehe sie sie wieder aufsetzten: das sollte aber höflich sein; alsdann baten sie die Eiche um Nachtquartier.

Obgleich nun die Eiche nicht mehr auf unsere Menschenweise reden durfte, so hatte sie doch eine gewisse Art, sich den Naturgeistern, zu denen auch die drei Irrlichter gehörten, verständlich zu machen. Sie gestattete ihnen, ihr zur Seite an ihrem Fuße zu verweilen, und gab ihnen die gehörige Stärkung, die sie ganz hell und frisch aufleuchten machte; sie erzählte ihnen endlich auch des jungen Elmrichs trauriges Geschick und schenkte ihnen die Zeche mit der Bedingung: daß sie ihrerseits alles versuchen sollten, dem jungen Grafen begreiflich zu machen, wer er sei. Es ist traurig, dachte die Eiche, daß ich mich des guten Zweckes wegen mit all dem Lumpengesindel einlassen muß; mit dem Kuckuck, der auch kein sicherer Mann ist, werde ich ebenfalls noch reden müssen – indessen, ich muß denken, ich gehörte zum Elfenfrauen-Verein.

Elmrich dachte gar nicht mehr an seine gestrige Betrübnis; er hatte des Försters hübsche Tochter gern, und das Waldrösel, so wurde sie genannt, schien dem netten Burschen auch nicht gram zu sein. Wie er sie aber einmal gefragt hatte, ob sie ihn wohl leiden könnte, hatte sie erwidert: als Jäger sei er ihr schon recht; aber sie sei noch viel zu jung, um an etwas Ernsthaftes zu denken, und dächte lieber an bunte Bänder als an einen grünen Schatz. Der Vater aber sei nun gerade von der finstersten Sorte, und ihm werde gleich alles zu bunt: darum wollten sie lieber gar nicht mehr miteinander reden, denn der Vater habe eine schwere Hand! Wenn sie aber einander begegneten, so küßte Elmrich eine Rosenknospe, die er immer im Knopfloche trug, das Waldrösel aber lachte: es wußte wohl, daß dies soviel heiße als: ich möchte dir selbst einen Kuß geben. Das Rösel nahm dann wohl einen grünen Zweig und steckte ihn ins Haar, und das hieß soviel als: wenn ich deine Braut bin!

Wenige Tage nachdem der arme Elmrich unter der Eiche so bitterlich geklagt hatte, war im nah gelegenen Städtchen die Kirch weihe. Da nun eine Art Jahrmarkt damit verbunden war, ließ es dem guten Jungen keine Ruhe; die Batzen brannten ihm ordentlich in der Tasche, und ehe er sich’s versah, war er heimlich auf und davon, um dem Rösel die schönsten bunten Bänder zu kaufen. Sie wird schon dabei auch an mich denken, meinte er. Hilf Himmel, wie kam alles anders, als er gedacht!

Der alte verdrießliche Förster, der nur immer das ins Auge Fallende tat, hatte seit geraumer Zeit Wilddiebe im Forste bemerkt, ohne den Entschluß zu fassen, dem Unfug, den sie trieben, ernstliche Maßregeln entgegenzusetzen. Dadurch waren die Spitzbuben so keck geworden, daß sie sich bis in die Nähe des Forsthauses zu einem Wetterdächlein hinwagten, unter welchem in der harten Winterszeit das Wild gefüttert wurde, um es vor dem Verhungern zu schirmen, und an dessen Eingang eine Glocke hing, um es zu diesem Behuf zusammenzuläuten. Da nun eben in dieser Nacht heller Mondschein war, so daß man die Sechzehnender deutlich unterscheiden konnte, und die Wilddiebe alle Jäger, auch die Bauern umher, auf der Kirchweihe wußten, Elmrich aber, der als Jüngster zu Haus bleiben sollte, sich bei seinem Handel verspätet hatte, so beschlossen sie, das Wild zusammenzuläuten, und meinten, die alte Gewöhnung werde gewiß eins oder das andere hertreiben, obschon der Äsung jetzt die Hülle und Fülle war. Es geschah, wie sie’s erwarteten: bei dem Klange der Glocke nahte ein Rehbock und schritt stolz auf den Futterkasten zu. Die Schelme ließen ihn ruhig ziehen, denn sie hofften auf noch bessere Beute. Jetzt hörten sie ein Knistern und Brechen der Zweiglein im dichten Busch, als wie wenn der Edelhirsch naht mit seinem Rudel: sie drängten sich an die Hinterpfosten des Dächleins und legten an.

›Hab ich euch, Bursche?‹ tönte es donnernd hinter denselben, und mitten unter ihnen stand der greise Förster, faßte sogleich den ersten besten, warf ihn zu Boden und spannte den Hahn seiner Büchse. Der Alte hatte eine böse Nacht gehabt und eben das Fenster geöffnet, um frische Luft zu atmen, als plötzlich leise ein Lufthauch den Ton des Futterglöckleins an sein geübtes Ohr trug. Er lauschte – es wiederholte sich, und da er schon halb angekleidet war, stand er nach wenigen Augenblicken vor den Schelmen, als eben der Hirsch, von der Kugel des einen getroffen, zusammenstürzte.

Der Förster war allein, der Diebe waren drei; das hatte der unerschrockene Mann nicht bedacht, und jetzt riß ihn der Zorn über alle Überlegung fort: er faßte den zuerst Ergriffenen, riß ihn vor sich hin, setzte ihm den Fuß auf die Brust und drohte den andern, auf sie zu schießen, wenn sie sich nicht ergäben. Die Wilddiebe hatten nur eine Flinte, deren Schuß eben den Hirsch erlegt hatte; die wilden Bursche erschraken und ergriffen die Flucht, worauf der Förster seinem zitternden und zähneklappernden Gefangenen aufzustehen und vor ihm herzugehen befahl, während er die gespannte Büchse auf ihn gerichtet hielt. Unglücklicherweise vergaß er sich dabei zu wilden Drohungen: nun werde alles anders kommen und dem ganzen Raubgesindel solle mit einem Male der Garaus gemacht werden; man werde ihn schon zwingen, die Schlupfwinkel seiner Genossen zu entdecken, und so fort.

Die beiden andern Spitzbuben, die vorher geflohen, hatten sich nur wenige Schritte entfernt; sie bemerkten, daß der Förster allein blieb, keiner seiner Bursche ihm folgte, und brachen, von seinen Reden aufs äußerste getrieben, aus dem Versteck hervor – sie schossen auf den Förster. Zum Unglück hatte er Geräusch gehört, blickte um – die Kugel ging durchs Herz; der alte Mann sank zusammen.

In diesem Augenblick kam Elmrich; er gewahrte noch die Schelme auf der Flucht, wie sie mit dem Wilde zwischen den Bäumen verschwanden – näherte sich, in der Hoffnung, eine Spur der Täter zu entdecken, und fand den eben verschiedenen Förster. Tödlich erschrocken, versuchte er alles in seinen Kräften Stehende, ihn zu erwecken, rief so laut er konnte um Hülfe – umsonst!

Allmählich war es Dämmerung geworden, der Tag begann die Wipfel zu färben – da kamen die übrigen von der Kirchweihe heimkehrenden Bursche des Weges. Elmrich hörte sie und rief ihnen. Aber ach! anstatt seinen Worten zu glauben, hielten sie in halbem Rausche ihn selbst für den Mörder des Erschossenen und führten ihn der Dorfobrigkeit zu. Hier ward er vorläufig vernommen und bis auf weiteres in ein Unterzimmer des Schlosses, in eine Art Rumpelkammer, gesteckt; denn zu zwei ganz gemeinen Dieben, die im eigentlichen Gefängnis saßen, wollte man ihn nicht sperren, bis er förmlich verhört worden sei, was erst am folgenden Tage geschehen konnte, da der anbrechende ein Feiertag war.

Da lag nun der arme Schelm in einer schlechten Stube voll wunderlichen Gerümpels; da der Festigkeit der Türe nicht recht zu trauen, waren ihm die Arme rückwärts mit einem derben Strick zusammengebunden. Der Tag war draußen so sonnenhell und lustig – er aber saß betrübt, allein und elend, auf der harten Ofenbank und blickte sehnsüchtig durch das vergitterte Fenster in den frischen, frohen Wald. Sein Mut war sehr gesunken, und er sann über die Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, als er die deutlichen Worte: ›Trau auf Gott! Trau auf Gott!‹ dicht neben sich vernahm. Es war eine fromme Wachtel, die durch eine zerbrochene Scheibe zu ihm niedersah. Er blickte sie freundlich dankend an und dachte: Gutes Tier, habe manchen deiner nächsten Verwandten mit meiner Vogelflinte niedergeschossen – soll aber nicht wieder geschehen; will deines trostreichen Sprüchleins gedenken! Und somit streckte er sich auf die Ofenbank, um ein Stündchen zu schlafen.

Indem er sich umwandte, fiel sein Blick auf die drei Eichenblätter, die ihm kürzlich die alte Eiche geschenkt und die noch an seinem Hute steckten, der neben ihm lag. Er betrachtete sie genau: auf dem einen saß ein Gallapfel. Ach, dachte er, so schmausen wohl Fremde irgendwo auf meinem Eigentum und bauen Hütten; ich aber kann es nicht! – Auf dem zweiten Blatt war ein seltsam geformter gelber Fleck. Sieh, dachte er, gerade so einen gelben Fleck habe ich am linken Oberarme! – Das dritte Blatt war frisch und grün; es saß ein Marienkäferchen darauf. Bringe mir Glück! seufzte er, und bitt für mich bei Unsrer Lieben Frauen. Und damit schlief er ein.

Als er erwachte, lagen die dicken Stricke, mit denen er gebunden gewesen, neben ihm auf der Erde – ein Mäuschen hatte sie zerfressen! Fröhlich sprang er auf und trat ans Fenster, von dem aus die duftende laue Luft ihm entgegenströmte – da bog sich ein Rosenzweig durchs Fenster herein, an dem saß oben ein Rosenkönig, so recht ausgebildet wie ein Reichsapfel, und daneben ein blühendes Röschen. Schon recht! dachte der Jäger, wär ich ein König oder auch nur ein regierender Graf, ich wollte bald mein Röschen freien und es zur Rosenkönigin machen! Aber so – ›Kuckuck!‹ rief’s neben ihm. ›Kuckuck!‹ antwortete er, ›ja, mein guter Vogel, ich habe eben nicht viel zu kuckucken!‹

›Kuckuck!‹ antwortete der Vogel.

›Wohin denn, mein kluger Schatz?‹ sprach der Jäger. Da kam eine Elster ins Zimmer geflogen, zwischen die Eisenstäbe hindurch, und flog in eine Ecke auf einen alten Schrein, der dort stand. ›Kuckuck!‹ rief’s weiter.

Die Elster kannte er; sie war zahm, und der Förster hatte sie täglich gefüttert. ›Armes Tier‹, rief Elmrich bewegt, ›auch du hast deinen Herrn verloren!‹

Die Elster stocherte mit dem langen Schnabel am Schranke herum und zog endlich mit vieler Mühe ein Papier durch eine Ritze desselben hervor. ›Kuckuck!‹ sagte der Vogel im Fenster.

Wahrhaftig, dachte der Jäger, ihr guten Tiere behandelt mich als euren Verwandten, und wir sind’s auch vom Walde her. Ihr erleichtert mir wunderbar meine Einsamkeit und Gefangenschaft! Habt Dank! Und damit bückte er sich und nahm das Papier vom Boden auf, das die Elster hervorgekratzt hatte.

›O!‹ sagte er, ›das ist ja auch ein Baum, aber ein gemalter! Schade, daß ich ihn nicht recht sehen kann; es ist dunkel geworden, und morgen früh um drei holen sie mich ab und führen mich ins Stadtgericht – und mein armes Mädel hat nicht einmal die bunten Bänder, die ich für sie gekauft habe und die noch in meiner Tasche stecken, sondern lauter Kummer und Herzeleid.‹

Indessen schimmerte ein Licht durch die Fensterscheiben. ›Wer kommt?‹ fragte der Jäger.

Da standen drei leuchtende Irrlichter stockstill nebeneinander, als wollten sie ihm leuchten, und der Vogel Kuckuck schrie sich fast den Hals ab.

›Soll ich das lesen?‹ lachte Elmrich. ›Lesen, lesen, lesen!‹ hallte es durch den ganzen Wald.

Ich glaube, ich träume, dachte der Jägerbursch; –indessen trat er doch ans Fenster und betrachtete das Papier. Es war eine Kopie des oben im Saale befindlichen gräflichen Stammbaums. Er folgte aufmerksam von Geschlecht zu Geschlecht, von Ahn zu Enkel und begriff selbst nicht, warum ihn die alten Namen so zauberhaft anzogen; die drei Irrlichter leuchteten dazu. Als sie aber allmählich etwas schwach und müde wurden, weil das Stillstehen ganz gegen ihre Natur ist, schickte der Eichenelf eine zahllose Menge Glühwürmchen und Johanniskäferlein, die setzten sich in dichten Reihen auf die Stäbe des Gitters am Fenster und bildeten eine prächtige Girandole.

Die fernen Bauern aber, die aus der Schenke kamen und das seltsame Leuchten sahen, bekreuzten sich und sprachen still ein Paternoster; denn sie hielten es für ein Anzeichen, daß etwas Großes im Werke sei.

›Heilige Mutter Gottes!‹ sagte Elmrich – ›so ist’s denn wahr? Hier steht’s ja am Rande geschrieben, daß das älteste Kind des Grafen auf einer Reise in Ungarn von einem Geier entführt worden – und ich bin’s! Und bin Graf und Erbe all dieser Ländereien, und hier auf meinem Arme ist der Fleck, an dem man den Verlorenen erkennen soll – gerade wie auf dem Eichenblatt! Und ich sitze hier gefangen auf meinem eignen Schlosse!‹ Indem brach der Morgen an, und die Gerichtsdiener traten ein, ihn abzuholen.

Als Elmrich herausschritt, flogen Elster und Kuckuck mit, um als Zeugen gleich bei der Hand zu sein. Das Gericht erkannte seine Unschuld leicht; denn es war im Walde an den weit durch Busch und Strauch hindurchgehenden Schweißspuren des Hirsches und an alle den geknickten Zweigen und Blättern, auch an den vielen Fußstapfen zu sehen, daß außer unserm Jägerburschen noch mehrere Personen beim Tode des Oberförsters gegenwärtig gewesen. Auch daß sie den Hirsch mit fortgeschleppt und ihn also geschossen hatten, ließ sich beweisen. Ferner hatte man bei seiner Verhaftung keine Flinte bei Elmrich gefunden, und die tödliche Kugel paßte nicht in sein ungarisches Gewehr.

So ward er denn des Verdachts los und ledig gesprochen; worauf er vortrat, den versammelten Gerichtspersonen dankte und sie bat, ihnen etwas vortragen zu dürfen. Hierauf erzählte er seine seltsame Geschichte, zeigte ihnen den Stammbaum, den Flecken auf seinem Oberarme, die Elster und den Kuckuck und bat sie, die Sache zu untersuchen. Da war nun des Fragens, Verwunderns und Vergewisserns gar kein Ende, und erst spätabends wurde der junge Graf in sein Zimmer zurückgeführt, wo er auf sein Ersuchen in strengem Gewahrsam bleiben sollte, bis nach Ungarn geschrieben und die Bewahrheitung dessen, was er ausgesagt, angekommen sei. Eine Menge Volks geleitete ihn zurück; Elster und Kuckuck flogen über seinem Kopfe wieder mit, und den ganzen Weg über leuchteten drei Irrlichter vor. Rösel stand an der Türe, sprang auf ihn zu, fiel ihm von selbst um den Hals und rief schluchzend: ›Ich wußte wohl, daß du kein Mörder bist!‹ – ›Kuckuck! Kuckuck!‹ sagte der kluge Vogel.

Man will behaupten, daß während seiner freiwilligen Gefangenschaft der Gefangene manchmal doch nicht ganz allein gewesen und das Waldrösel Mittel und Wege gefunden habe, sie ihm zu erleichtern. Auch hat man sie damals oft mit bunten Bändern spielen und tändeln sehen, obschon sie sie jetzt nicht tragen mochte, des Vaters wegen.

Endlich kam die ersehnte Kunde aus Ungarn. Die Ortsobrigkeit des kleinen Fleckens, bei welchem das Unglück geschehen, sandte alle nötigen Nachweisungen, einen ganzen großen Wagen voll Dokumente über des Geiers Kinderraub, des jungen Erbgrafens Verschwinden und über die Merkmale, an welchen man das entführte Knäblein erkennen solle, wenn es jemals sich wiederfände. Denn nach den ersten Augenblicken des Schmerzes hatte der verstorbene Graf alle nötigen Schritte getan, um selbst nach seinem Ableben dem geliebten Söhnlein die Erbfolge in seiner großen Herrschaft zu sichern, und alles das gehörig verbrieft und besiegelt.

Die Dorfgemeinde war es herzlich zufrieden, den freundlichen jungen Herrn anzuerkennen; die Vettern aber, die wie die Galläpfel auf dem fetten Gutsboden saßen, wollten nicht weichen noch wanken, sondern verlangten beständig, daß man ihnen alles Mögliche und Unmögliche beschwöre.

Die Sache zog sich lange hin; als aber der ganze Wald zu trauern begann, junge Bäume vom Wilde geknickt, alte vom Sturm gebrochen wie Spreu hinsanken, als das Gras von der brennenden Hitze welkte und dann der Bach das Heu überschwemmte, als Verdruß auf Verdruß sich häufte, ja sogar die Waldvöglein nicht mehr sangen und in eine andere Gegend flogen – da gaben endlich die bösen Vettern nach und nahmen vom jungen Grafen eine schöne Entschädigungssumme an, mit der sie abzogen.

So ward denn das Grafenkind in all seine alten Rechte wiedereingesetzt und bei der Feierlichkeit der Huldigung seiner Untertanen erklärte Elmrich, daß er das hübsche Waldrösel zu seiner Gemahlin erwählt habe, das Schloß aufbauen und darin wohnen, den nahe liegenden Teil des Waldes aber, auf dem die Eiche stand, zu einem Park umschaffen wolle, in welchem kein Tier weder gejagt, gefangen noch geschossen werden solle; dagegen sollten alle Blumen und Bäume aufs sorgfältigste gepflegt werden.

Am Abend vor seinem Trauungstage führte Elmrich das Waldrösel vor die alte Eiche, erzählte nochmals die ganze seltsame Geschichte und beide dankten ihr gemeinschaftlich für den ihnen gewährten Schutz. Auf den Zweigen des alten Baumes saßen Elster und Kuckuck und jubelten laut. Da öffnete sich plötzlich die alte versunkene Erdgrube zu den Füßen des Stammes, gerade an der Stelle, auf welcher die drei Irrlichter die Nacht zugebracht, und hervor stieg ein langer, langer Zug wenige Zoll hoher Bergknappen mit Schürzel, Hammer, Schlägel und Grubenlicht versehen; ihm folgten unzählige kleine barocke Gestalten, allen Ständen angehörend und im herrlichsten Putz, die trugen kleine Blumenkränze, nicht größer als ein Achtgroschenstück; andere hatten winzige Beutel mit Gold, noch andere rotsammetne Kissen, die ihnen sehr schwer wurden, und auf jedem lag ein Edelstein zum Schmuck der schönen Braut. Es folgten kleine Musikanten, die alle möglichen Instrumente spielten und mit ganz feinen Stimmchen sangen; dann kam eine Schar weißgekleideter fingerlanger Mädchen, die trugen alle an der Krone der Braut: und hätt’s der Anstand nicht verboten, manches hätte schwer geächzt unter der Last.

Die Sonne stand schon tief, als der kleine Zug aus dem Schacht und um den Baum herumgezogen war; und obgleich die Bergknappen mit ihren Fackeln einen Kreis bildeten, mußten es die Zwerge doch noch nicht hell genug finden, denn auf ihren Wink strömten wohl an tausend Irrlichter aus allen Ecken und Enden des Waldes hervor und führten ein Ballett auf, das in einer Lichterpyramide endigte. Der Sprecher des kleinen Volks hielt eine lange Rede an das Brautpaar und übergab dem Waldrösel die köstlichsten Geschenke, mit denen es sich an seinem Ehrentage schmücken sollte. Hierauf trat der kleine Bergmann unter die Eiche, dankte auch ihr für die durch ihre Wurzeln hin erlaubte Fahrt und sprach zum Schluß über den Wald und die Aue, den Mann und die Frau und alles im Wachsen oder im Werden den mächtigen Segen des Geistes der Erden, der allem Lebendigen Gedeihen gibt.

Die Eiche aber fing an zu tönen, und ihre Klänge waren wie die eines überirdischen Gesanges; dann verhallten sie leise und immer leiser, indem zugleich auch nach und nach Fackeln, Zwerge und Irrlichter verschwanden.

Als sich der junge Graf besann und zum deutlichen Selbstbewußtsein kam, stand er mit seiner holden Braut im Erkerzimmer des Schlosses; aber vor ihnen lagen Gold und Juwelen, die Krone und der herrlichste Brautschmuck, den je eine Gräfin getragen.

Und sie lebten lange und glücklich; die Eiche aber überlebte sie alle!«

Das Hausmärchen

Das Hausmärchen

Es war einmal ein altes Haus, darin lebten drei alte Jungfern. Sie hatten ein kleines Auskommen, das sie durch Spitzenklöppeln und feines Nähen zu vermehren suchten. Es gelang ihnen auch nach Wunsch; denn sonntags siedete das Huhn im blanken Kupfertopfe und an hohen Festen wurde Kuchen gebacken und ein großer glänzendbrauner Kalbsbraten empfing ihren Bruder, den Vicarius zu Großhörschau, wenn er nach der Messe in die Stadt kam, um die drei Schwestern zu besuchen und sich einen guten Tag zu machen. Der Vicarius war ein kleines, trockenes, verhutzeltes Männchen, dem der gute Tag mein Tage zu nichts half; er hatte blaßblaue Augen, die er jedesmal zum Himmel aufschlug, wenn von Glück die Rede war, und dabei seufzte er so ganz erbärmlich tief, daß die alten Jungfern mäusestill wurden und sogar die Katze gleich aufhörte zu spinnen.

Eines Abends saßen die drei guten Weiberchen in später Dämmerung beisammen und erzählten sich allerlei von guten und bösen Zeiten. Der Bruder Vicarius war eben mit seinem Blendlaternchen davon und nach seinem ziemlich entlegenen Kirchspiele zurückgegangen. Er hatte heute wieder einmal so schwer geseufzt, daß der Haushund zu heulen angefangen und es einen Stein in der Erde hätte erbarmen müssen, geschweige drei alte gute Jungferchen.

»Ach!« sagte Pinchen, die älteste der drei Schwestern, »ich wollte doch, Bruder Vicarius hätte sich verändert und die schwarze Bärbel zur Frau bekommen, anstatt daß er geistlicher Herr geworden ist! Er hat sich immer noch nicht zufriedengegeben. Hast du ihn heute abend seufzen gehört, Anne Marie? Es läßt ihm wieder keine Ruh.«

»Ja, ja!« erwiderte die gutmütige kleine Schwester – es war die jüngste und frischeste unter den Geschwistern –, indem sie, so gut es ihre etwas kurzen Beinchen gestatteten, das dunkelnde Gemach aufräumte, der Katze die Bratenreste reichte und das Feuer, das zu erlöschen drohte, zur hellen Flamme anschürte, »ja, ja! es drückt ihn immer noch und ist doch jetzt so ein sechzehn Jahr Gras darüber gewachsen. Es wäre mir auch recht gewesen, obschon es wiederum ein Glück ist, daß wir nun einen geweihten Fürbitter haben auf Erden zu Unserer Lieben Frauen im Himmel, die uns und unsere Sünde vertreten mag!« Und damit setzte sich die gute Alte, ganz abgemüdet, auf ein niederes Stühlchen am Kamin; denn damals gab es noch keine kleinen Öfen wie heutzutage, und die haushohen Kachelöfen fand man nur in Herbergen oder öffentlichen Gebäuden.

»Jesus Maria Joseph!« fuhr die mittlere Schwester, eine hagere, lange Xanthippengestalt, dazwischen, »ihr hättet wohl gern die faule Strunze, die böse Ilse, niemand will sie, die Bärbel, hier als Schwägerin im Hause! An nichts glaubt sie, arbeiten mag sie nicht, aber kommandieren tut sie den lieben langen Tag – Anne Marie! so schlage doch Licht an, es ist ja ganz schummerlich! Das Feuer raucht auch wieder! Du kannst doch gar nichts ordentlich machen, und alle Minuten hat man bei dir das Nachsehen! Ja, die schwarze Bärbel, hübsch war sie, das muß wahr sein, aber keine Christin!«

»Ob es nur wahr ist«, fragte Pinchen, »sie soll von Apolda weggezogen sein, weil der Landreiter gestorben ist. Gelt, er war auch der neuen Lehre, die Gott uns fern halte, zugetan? Habt Ihr neulich wohl mit angehört, was der Pater Remigius erzählte? An Geister glauben sie da drinnen im Weimarischen, nicht so an Gespenster, arme Seelen, die umgehen, bis sie ins Fegfeuer kommen, sondern –«

»Was du für dummes Zeug schwatzest, Kind!« murmelte Agathe. »Alle Seelen müssen ins Fegfeuer. Bist du heute in der Seelenmesse gewesen für den Handschuhmacher Jobst? Morgen muß die Anne Marie hingehen!«

»Jawohl, Gott sei seiner armen Seele gnädig! Aber alle Seelen bleiben doch nicht im Fegfeuer, bis sie zu unserm Herrn ins Paradies kommen. Weißt du es nicht mehr, Agathe, wie der Brauer, der seinen Gesellen erschlagen und ins Gebräu geworfen hatte, wie der sieben Nächte über den Kirchhof, die Magdalenengasse hinauf, mit dem Braukessel auf dem Kopfe – oder nein, statt des Kopfes auf den Schultern –«

»Unsinn!« eiferte Agathe. »Alle Seelen kommen ins Fegfeuer, und übrigens glauben die da drinnen auch an Kobolde und Hausgeister – Naturgeister nannte es der Pater Remigius.«

»Höre ‚mal«, flüsterte die kleine Dicke, »ist’s denn auch ganz gewiß nichts damit, Pine? Ich bitte dich, Kind, schlag Licht an! Sieh nur den Schrein da in der Ecke, er sieht aus wie ein alter grauer Mann, der sich duckt. Es läuft mir immer kalt den Rücken hinab, wenn ich so was höre von Kobolden. Hat dich der Alp schon ‚mal gedrückt, Pine? Herr Jesus, was guckt denn über den Tellersims?«

»Narretei und kein Ende!« brummte Agathe, »es ist meine alte Haube, ich habe sie über den Essigkrug gehängt!«

»Aber«, fragte immer noch etwas verschüchtert Schwester Pine, »glaubst du denn nicht an den bösen Blick und an Hexen? Und dann gibt es noch all die greulichen Geschichten vom Gottseibeiuns, der sich in eine schöne Buhlerin verwandelt –«

»Ja, das ist etwas ganz anderes«, versicherte jene; »das muß jeder rechtgläubige Christ zugestehen, daß Satans Macht in den verschiedensten Gestalten dem armen Menschen nachzustellen die Kraft hat. Ich habe schon hundertmal bei mir selbst gedacht, ob die schwarze Bärbel dem Bruder Vicarius nicht so irgend etwas beigebracht hat, daß er so entsetzlich fest an ihr halten mußte? So eine Art Tränkchen –«

»Um Gottes willen, Schwester! ich bitte dich, sieh! da in der Ecke, da wirbelt und schwirbelt ‚was, so niedrig an der Erde hin. Seht ihr nichts?«

»Was die Dirne einem das Leben sauer macht! Was in aller Heil’gen Namen soll ich denn sehen? Ich sehe deinen Spinnrocken, den du angelehnt hast, und des Bruders graugrüne Pantoffeln, die er vergessen hat. Hui! der wird sich ärgern! Das Wetter ist so rauh genug, und der Regen schlägt schon seit einer Viertelstunde ans Fenster.«

»Ich halt’s nicht aus!« rief aufspringend die Anne Marie. »Ihr mögt sagen, was ihr wollt, es bewegt und regt sich dort in der Ecke. Ihr glaubt nicht daran, aber es ist noch außer uns etwas Lebendes im Hause. Ach du mein Heiland! wenn es nur kein armer verdammter Geist ist, wenn es doch lieber so einer wäre vom stillen Volke, von dem die Christel sprach, so ein Hütchen oder Gütchen, so ein Naturgeist, von denen der Pater erzählte.«

»Willst du schweigen!« fuhren Agathe und Pine die Erschrockene an. »Du rufst uns das Übel noch ins Haus mit deinem Geschwätz. Satan kann jede Form annehmen und durch dein leichtsinniges Reden lockst du ihn, dich zu versuchen.«

In dem Augenblicke schlug die Vesperglocke an; die drei Schwestern verstummten, nahmen still jede ihr Gebetbüchlein und ihren Rosenkranz und begannen leise das Ave Maria zu flüstern. Sie waren aber nicht weit vorgeschritten im andächtigen Werke, als drei deutliche Schläge an die Haustür jemanden meldeten, der Einlaß begehrte.

Nachdem die Schwestern eine Weile überlegt, wer es wohl sein könne, zu so unpassender Stunde bei solchem Wetter, und ob es überhaupt ratsam sei, zu öffnen, überwog die Neugier, und die jüngste und älteste trippelten hinunter, um aufzuschließen; Agathe aber folgte bis zum Treppensims, von dem aus sie die Lampe hinabhielt, um den Schwestern zu leuchten.

Als die Tür geöffnet war, trat ein etwa vierzehnjähriges feines Dirnchen ein, das ein Paar pechschwarze Augen zu Schwester Agathe aufschlug und einen Knicks machte. Ehe sie aber noch die roten Lippen zur Anrede zu öffnen vermochte, hatten Anne Marie und Pinchen zugleich ausgerufen : »Bärbel, Bärbel! wie sie leibt und lebt!«

»Ach nein!« sagte nun die Kleine, indem ihr plötzlich die dunkeln Augen tief unter Wasser standen, »ach nein, sie lebt leider gar nicht mehr, und ich bin nur ihre Tochter. Am Mittwoch, früh halb neun Uhr, haben wir sie begraben. Und weil sie mir so oft von ihrer Jugend und ihren Jungfer Basen und dem Herrn Vetter Vicarius erzählt hat – und weil ich so ganz mutterseelenallein bin auf der Welt« – hier ging ihr die Stimme in zitterndes Schluchzen über –, »so bin ich hergekommen, um die Jungfer Basen zu bitten, daß sie sich meiner annehmen und mir raten, was ich anfangen soll.« Und damit machte sie wieder einen kleinen Knicks.

Schon während ihrer ersten Worte war Agathe mit der Lampe die Treppe herabgekommen und stand jetzt, das zierliche Mädchenantlitz scharf beleuchtend, vor der Sprechenden. Mit dem magern Arm die Messinglampe hoch emporhaltend, sah sie wunderlich genug aus, und ihre tiefgewordenen harten Züge bildeten einen herben Kontrast zu der Anmut des armen Kindes, dem das Wort auf den Lippen erstarb. Ein sehr genaues Examen, das sie sogleich über dasselbe ergehen ließ, brachte indes keine weitere Auskunft. Schön Bäschen wußte selbst nicht recht, was eigentlich sie hergetrieben; am meisten war es wohl die Angst vor den vielen seit den Altstädter Unruhen sich noch umhertreibenden Aufrührern und Malkontenten.

Nach des Vaters Tode, der als Lanzknecht in Mainz im kurfürstlichen Regiment gestanden, waren Mutter und Tochter von Dorf zu Dorf endlich nach Apolda gezogen, wo ihm eine Muhme lebte, auf deren Erbschaft und Beistand er sie hoffend zu verweisen pflegte, wenn es ihnen schlecht ging. Kaum aber hatten sie einige Monde daselbst zugebracht, so rührte die Base der Schlag: sie blieb tot auf dem Flecke, ohne ein Testament gemacht zu haben. Mutter und Tochter lebten von da an kümmerlich von ihrer Hände Arbeit, bis erstere erkrankte und nach wenigen Wochen auch starb.

Die durch stets erneute Religionskämpfe erzeugten Unruhen, die Drangsale, der ein ganz einsames Mädchen während derselben ausgesetzt war, rechtfertigten den Versuch des armen Kindes, die einzigen ihr noch übriggebliebenen Verwandten aufzusuchen. Daß hierbei die Form ihres nach des Vaters Tode allmählich der neuen Lehre sich zuneigenden Christentums irgend Einfluß haben könnte, fiel ihr gar nicht ein; waren es doch Blutsfreunde, zu denen sie zog.

Und dann hatte Marianne einen so fröhlichen Mut! Die Sonne schien ihr immer ins Herz. Sie kam sich wie eine Weitgereiste vor, denn sie kannte Weimar und Apolda! ja, sie hätte nur fünf Jahre früher geboren zu werden gebraucht, um gar das Licht der Welt zuerst in Mainz zu erblicken, wo der Vater in Diensten des Kurfürsten stand, als er die Mutter ehelichte. Darum hatte das Soldatenkind auch des Vaters Keckheit und Wanderlust geerbt; so reiste sie denn in Gottes Namen frischweg zu den alten Geschwistern nach Erfurt, ohne erst deshalb bei ihnen anzufragen; sie meinte, dort müsse alles gut werden, wenn sie auch nicht eigentlich sagen könne wie. Als aber Schwester Agathe mit der Messinglampe so dicht vor ihr stand und ihr so scharf ins Gesicht leuchtete, hätte sie fast lieber geweint, wenn sich’s nur geschickt hätte in Gegenwart der Jungfer Basen! Ein Glück war es, daß diese sie ausfragten; sie hätte ja wahrhaftig sonst gar nichts zu sagen gewußt.

Über all dem Erzählen und Plaudern war die Nacht weit vorgerückt; das Mädchen ward bei Schwester Pinchen untergebracht, und es wurde still im alten Hause.

Nur der Anne Marie, die zu Ehren einer Großtante mit dem neuen Ankömmling dieselben Namen führte, kam es heute minder still vor als sonst. Sie hätte gern geschlafen, denn am nächsten Morgen fing ihre Wirtschaftswoche an: aber sie hörte sich’s draußen fortbewegen. Das war das Holz am Herd – es klang wie leises Spalten desselben. Ich hab’s vergessen, dachte Anne Marie – jetzt hebt’s den Wassereimer – nun klingt’s gerade wie Schlösserputzen – oder es reibt auf dem Eichenschranke herum – jetzt ist’s am gewundenen Fuß der Truhe!

Sie stand leise auf und wagte es, durchs Schlüsselloch zu blinzeln, sah aber nichts als einen matten Lichtstreifen und huschte ängstlich zurück ins Bett.

Die Turmuhr schlug sechs. Erschrocken fuhr Anne Marie auf; sie hörte die Leute schon aus der Frühmesse kommen und eilte ins Wohnzimmer. O, wie wird Schwester Agathe schelten, daß sie schon am Montag verschlafen! Aber wie sonderbar! da lag heute auch nicht das mindeste Stäubchen – es war ja wie schon gekehrt! Bänke, Stühle und Tisch glänzten im Morgenstrahl, als habe sie stundenlang an ihnen gebohnt und gerieben. Das kleine Holz mußte gestern gar nicht alle geworden sein, es lag davon noch viel unterm Herd; und auch Wasser war da, und wie frisch und klar! Heute hatte ja Anne Marie auch nicht das mindeste zu tun, und Agathe lobte sie obendrein beim Frühstück, daß alles so gar wohl geraten.

Die gute kleine Dicke dankte innerlich ihrem Herrn; sie hätte gern über den Zusammenhang nachgedacht, wenn das Nachdenken nur überhaupt ihre Sache gewesen wäre.

Nach dem Frühmahl hielten die Schwestern Rat und beschlossen, die Nichte bei sich zu behalten; denn, meinte Agathe, ich werde etwas alt und kann doch nicht mehr alles allein tun! Anne Marie und Pine dachten heimlich, daß sie doch wohl das meiste täten, sagten aber kein Wort.

So blieb nun Marianne, das frische Dorfröschen, als Hausgenossin im alten Hause und nahm den drei guten Schwestern jeden Tag ein Stück ihrer Arbeit ab: Treppe und Sims, Herd und Geschirr, Schränke und Tische glänzten vor Reinlichkeit, und doch hatte das Mädchen noch Zeit übrig. Sie tanzte und hüpfte den ganzen Tag im Hause umher, besuchte die Messe, begleitete, trotz seinen Seufzern, den Vetter Vicarius sonntags ein gut Stück Wegs und trug ihm die Laterne vor, wenn er abends heimging. Freilich nahm sie dann Nachbar Seilers Hans mit zu ihrem Schutz; der war ja aber ein Kind von fünfzehn Jahren und diente dem Vater als Ladenbursche; und der Vicarius meinte wieder glücklich zu sein, wenn er mit den beiden fröhlichen Kindern so hinging, vergaß zu seufzen und träumte in seine schönen Jugendtage sich zurück.

Am lieblichsten war Marianne in der Abenddämmerung, wenn sie, den guten Alten zur Seite, auf einem Schemel saß und am Rocken Seide spann, was ihr die Mutter gelehrt, und dabei erzählte oder sang: dann war’s, als ob die Flamme im Kamin zu dem holden Kinde sich neige; das Feuer brannte so still und geräuschlos: es hörte zu; die Gläser auf dem Simse klangen leise mit – oder was konnte es anders sein, das so liebwehmütig drein tönte wie eine Harmonikabegleitung? Und dann erzählte sie vom stillen Volke – es ist nur ein Märchen, sagte sie, – das unterm Herd wohnt und leise flüstert und die kommenden Schicksale heimlich bespricht. Die Menschen hören’s wohl, meinen aber, es ist die Suppe, die da kocht; und dann erzählte sie weiter von ihren kleinen Hochzeiten und Kindtauffesten.

»Gott verzeih dir das sündige Geschwätz!« fuhr Agathe auf. »Wie können denn verdammte Seelen das Sakrament entweihen?« und sie bekreuzte sich.

»Sie entweihen es nicht, Base!« versicherte Marianne; »aber es sind auch keine verdammten Seelen, Gott hat sie lieb wie uns, aber er hat ihnen andere Pflichten und eine andere Bahn gegeben als uns Menschen; und wenn in einem Hause ein Segen gesprochen wird und ein Mitglied desselben taufen, weihen, trauen oder begraben läßt, so schließen sich die kleinen Leute hinten dem Zuge an und warten an der Kirchtür, bis der Segen gesprochen wird, denn ein kleiner Teil desselben fließt auf sie nieder. Gottes Segen ist ja so überschwenglich, der reicht für uns alle aus! Das mit eingesegnete kleine Geisterkind aber gehört von da an mit zu dem Hause, dem es angeweiht worden, besonders zu der Person, die ihm den Segen verschafft hat: es dient ihr und liebt sie, solange sie lebt.«

»Alle gute Geister!« sprach der Nachbar Seiler, der indes hinzugetreten war. »Wo hat die Dirne das alles her?«

»Ich weiß es wahrhaftig nicht, Meister Miller!« erwiderte die Kleine ganz weinerlich; »es ist mir alles so mit einem Male eingefallen; es war gerade, als flüsterte mir’s jemand zu. Aber es ist doch wohl nur ein Märchen!«

»Wenn du doch lieber auf deinen Spinnrocken sehen möchtest«, brummte Base Agathe.

»Aber es ist alles abgesponnen!« sagte das Mädchen. »Wenn ich erzähle, dann geht’s erst recht schnell!«

»Ach!« meinte die dicke Anne Marie, »wenn ich mich nicht so fürchtete, hörte ich gern zu. Es muß hübsch sein mit so einem Gütchen!«

»O ja!« versicherte Hans, der eben gekommen und nur das Warum vergessen hatte und also wartete, daß es ihm einfiele; »aber es gibt auch Poltergeister, das heißt böse Hausgeister, die werfen nachts alles übereinander, verraten der Hausfrau, wenn die Magd einen Schatz hat, saufen den Kindern die Milch, den Alten das Bier aus; – hu! die sind schauerlich. Unten in Gevatter Hirpels Weinkeller sitzt einer, der ächzt und stöhnt, daß mir’s, wenn ich nur daran denke, kalt den Rücken hinauffährt –«

»Das ist ein Schauder«, sagte Anne Marie, »von dem hab ich gehört, daß er aussieht wie eine Ratte und doch auch wie ein klein Kerlchen. Wenn die andern Geister Leute einängsten, läuft er ihnen mit den spindeldürren Beinchen über das Rückgrat und tritt sie mit den kleinen eiskalten Klauen – wir sagen: es läuft einem der Tod übers Grab!«

»Aber warum willst du so häßlich von den Kleinen denken?« fragte Marianne. »Du und ich haben der Großtante Namen; wer weiß, wir könnten schon ein gemeinschaftlich Gütchen von ihr ererbt haben! und ich will meinen Hausgeist künftig in Ehren halten, ein Schälchen Milch ihm hinsetzen alle Abend und Weihnachten einen Stollen ihm backen: es freut ihn, wenn er auch nichts davon genießt.«

Als aber über dem Reden Schwester Agathe ernstlich böse ward, schwiegen die beiden.

 

Es war um die Weihnachtszeit herum, als Marianne einst beim Schlage Mitternacht erwachte; eine liebliche Musik, so dünkte es sie, hatte sie erweckt. Der Mond schien durch die eingeschnittene Lilie des Fensterladens und legte seinen breiten Lichtstreif auf ihr Bett; am Ende desselben stand eine kleine graue Gestalt, deren Züge sie im Halbdunkel nicht zu unterscheiden vermochte. Als sie aufschreiend in die Höhe fuhr, war alles verschwunden. Das Glockenspiel vom Turme wiederholte die Melodie, die sie wach gerufen, doch in Tönen, die sie nie vorher gehört und die endlich, leise und leiser verklingend, ihre Gedanken wieder in Schlaf wiegten.

Am nächsten Morgen fiel ihr mit einem Male ein, daß heute ihr Geburtstag sei. O weh! mir wird niemand etwas schenken! seufzte sie, und zwei helle Tränen rollten in das Bettstroh, das sie eben umschüttelte. Die klaren Tropfen fielen auf den dunkeln Purpur eines Gegenstandes in der Streu, den sie nie vorher bemerkt. Sie zog ein Juwelenkapselchen hervor; es war altmodisch, mit Silber beschlagen und verschlossen. Marianne drückte versuchend am Schlosse hin und her: es sprang auf und eine wunderschöne Halskette von hellroten Karfunkeln und zwei Ohrenspangen blitzten ihr entgegen. Der Schmuck war in Silber und Gold gefaßt; als sie am Schloßhäkchen nestelte, bemerkte sie ihren eigenen Namen, Marianne, und den richtigen Datum, nur die Jahreszahl darunter war um volle hundert Jahre älter, sie las 1423.

Die hat unserer Großtante angehört, sagte sie leise und nachdenklich – und so haben wir wohl auch denselben Geburtstag! Und plötzlich fing sie wieder an, gar herzlich zu lachen, und lachte, lachte in einem fort, bis ihr die hellen Tränen in den Äuglein standen. Und, kicherte sie, wir haben auch ein Hütchen oder Gütchen, die Großtante und ich, und das graue Männchen, das diese Nacht an meinem Bette stand, hat mir den Schmuck gebracht. Schön Dank! sagte sie, immer noch lachend, und machte wieder ihren kleinen Knicks, dann aber lief sie geschwind, es den Jungfer Basen zu erzählen.

Die Basen trauten ihren Ohren kaum; sie wurden ganz still, und Pinchen ward ausgeschickt, um den Bruder Vicarius zu holen; Agathe aber bekreuzte sich.

Das Geheimnisvolle und Wunderbare des Geschenks regte Marianne unbeschreiblich auf. Sie vermied, weiter davon zu reden, aber das Geisterhafte des Ereignisses wirkte fort in ihr.

Spätabends schlich sie in das Wohnzimmer zurück und stellte dem Gütchen Semmel und Milch hin; am nächsten Morgen war beides verschwunden, nur ein Rosmarinstengel lag an der Stelle. »Von Seilers Hans!« meinte Pinchen, aber Marianne wußte das besser.

Und wirklich schien ein zartes Band das holde Kind einer höhern Welt zu verbinden; das ganz seltsame Gelingen in all ihrem Tun fesselte selbst des Seilers scharfe Zunge und zog alle nähern Freunde des alten Hauses und seiner Einwohner unwiderstehlich zu ihr hin; und sogar fernstehende Bekannte wandten sich in kleinen Verlegenheiten gern an die hübsche Dirne, die immer half, immer das rechte Wort, den besten Rat und Handgriff hatte; dem kranken Kinde, der nicht milchgebenden Kuh brachte das Mädchen nach kurzem Besinnen Hülfe, und wohin sie die weißen Finger steckte, faßten sie das Glück.

»Sie findet Gnade bei Gott und Menschen!« sagte seufzend der Vicarius. »Auch bei Euch, Oheim!« ergänzte lachend die Kleine – und hatte recht.

Indessen war es dem Bruder Vicarius seit Auffindung des alten Familienschmucks sehr bedenklich ums Herz. In seines Ältervaters Meßbuche stand wirklich der darauf angegebene Geburtstag der Großtante angemerkt, die aus Liebesgram früh gestorben. Der Schmuck – dessen konnte er selbst sich noch aus der Kinderzeit erinnern – war in der Familie der Nibelungenhort, der verlorene Schatz, gewesen; Großvater, Großmutter und sogar die Eltern hatten oft davon erzählt. – Ein Goldschmied, dem der Vicarius jetzt den einen Ohrenreif gezeigt, hatte einen großen Wert desselben angegeben. Seitdem brannte die rote Sammetkapsel dem frommen Vicarius in der Tasche, und die Karfunkeln blitzten ihn an wie feurige Teufelszungen, die nach seiner Seele lechzten. Er kämpfte lange und schwer mit sich, ob er der Kleinen nicht sogleich den Schmuck abnehmen solle, um sie vom Versucher zu erlösen. Nein, sagte er endlich, leise im Zimmer auf und ab gehend und fast unhörbar auftretend, als wolle er niemanden stören, sie soll das gute Werk selbst tun, den Mammon opfern und dafür ein Kirchlein bauen zu Ehren der Mutter Gottes mit dem Schwert im Herzen; darin wollen wir beten für die Seele der Großtante und für die ihrer Mutter, die vielleicht doch glücklicher geworden wäre, wenn – da überkam ihn das Seufzen; er blickte ganz verschämt in eine Ecke und fing an, sein Brevier zu lesen.

Marianne ahnete gar nicht, was ihr bevorstand. Eine Stunde vor Christmetten schlich sie auf Strümpfen zurück in die Wohnstube, in deren Winkel ein Christkripplein gar schön aufgeputzt war zu Ehren des morgenden Festes. Seilers Hans, sie und noch ein Kind aus der Nachbarschaft wollten die anbetenden Hirten an demselben vorstellen; sie hatten ein schönes Lied einstudiert, und ihre mitgebrachten Opfergeschenke sollten die Bescherung abgeben, deren Gebrauch damals eben begann, für die Geschwister. Den ganzen Abend hindurch hatte sie aufgeputzt und geordnet, und nun trieb es sie nochmals zurück, nachzusehen, ob auch gewiß nichts fehle.

Als sie aber vom Gang aus durch ein daselbst angebrachtes Fensterlein in die Wohnstube schaute, fesselte ein nie vorher empfundenes grausendes Erstaunen sie an die Stelle. Atemlos blickte sie hinein: das ganze Zimmer war hell, obschon kein Licht darin brannte, und zu Füßen des Krippleins saß das nämliche graue Männchen, das ihr den Karfunkelschmuck gebracht. Es war noch jung und hatte doch schon alte Züge im feingeschnittenen, nachdenklichen Gesicht; die zarten Hände waren wie Lilien anzusehen, und der grau bestiefelte vorgestreckte Fuß erschien fast kleiner als der ihre. Das Röckchen des Männchens schimmerte grau-seltsamlich, er erinnerte an Wasser und an Spinngewebe; den Kopf deckte ein graues Hütchen, das am Rock befestigt war und zurückgeworfen einer Kapuze glich. Die graue Gestalt saß auf der ersten Stufe des kleinen Aufbaues und flüsterte mit einem andern, doch grobem Gesellen seiner Gattung, der vor ihm stand und etwas Wurzelähnliches in den geschnörkelt schiefen Beinchen hatte; dieser trug einen braunen Rock, der, wie von Ratten angefressen, fetzenhaft um ihn herschlotterte, und eine Mütze von Rattenfell, an der man den Kopf des Tieres sah.

Während dieses heimlichen Zwiegesprächs fuhr plötzlich das Fenster schrillend auf, und mit einer Ladung schwirbelnder Schneeflocken huschte eine dritte, noch wunderlichere Gestalt ins Gemach und zu den andern hin. Es war eine Frau, deren ganzer Körper aus Schleiern zu bestehen schien, sogar das Gesicht schien bei jeder Bewegung überflort zu werden. Sie sprach in einem etwas singenden Tone, der an eine Glasharmonika erinnerte:

»Über Stock und Stein gesäuselt,
Hin und her vom Wind gekreiselt,
Komm ich, Nebelwitwe, ich.
Ihr seid warm, hu! wie friert mich!

Mit Eisblumen hab ich die Fenster geschmückt,
Den Hof, und den Stall, und den Brunnen beschickt,
Eiszapfen am Dache ringsum aufgehangen,
Den bellenden Hund und die Katz eingefangen;
Hab mit meinen Schleiern die Treppen gefegt
Und rings alle Reiser zu Bündeln gelegt;
Die Milch angehaucht, daß sie morgen leicht rahmt;
Die Blätter gehäufelt, auf dem Weg, den ihr kamt;
Die Hefe gehoben, das Bier eingesegnet,
Die Luke geschlossen, wo’s jüngst eingeregnet,
Das Stroh wie von selbst um den Keller gehäuft
Und das kleinste der Hälmchen aus dem Wege geschleift.
Dann spann ich zu Ende den Flachs dort am Rocken
Und wärmte das Öl, daß die Pendel nicht stocken
Und zeitig erwecken zur heiligen Mette
Die schläfrigen Menschen im weichlichen Bette.

Ach! dürft ich hier weilen, mit ihnen verkehren,
Sie schützen, beraten, sie schelten und lehren!
Ich bin nur der Geist, der in stockfinstrer Nacht
Das Haus, Hof und Brunn’n und die Schwelle bewacht!«

Der braune Bursche, der ihre Rede mit steigender Ungeduld angehört, fuhr nun heiser lachend dazwischen:

»Im Keller, im dunkeln, munkeln,
Die Menschen schrecken, necken,
Das ist mein Spiel und Ziel.
Knacken, knurren, knarren,
Heulen, fahren, scharren,
In tiefen Spalten
Verhalten, schalten,
Und auf sie harren,
Um sie zu narren,
Mit Knistern und Flüstern,
Den alten Geschwistern
Ein Angst und Graus,
Das lieb ich im Haus.
Ihr eßt vom Teller,
Ich hock im Keller
In stillem Grimme,
Bloß eine Stimme.
Wie eine Ratte in dunkler Falle –
Ist’s noch nicht alle?«

Da aber richtete sich das kleine graue Gütchen auf und sah den wilden Wurzelmann stirnrunzelnd an. »Du Unhold!« drohte es, »du weißt, daß du nur in dieser einen Stunde deine ehemalige Gestalt zeigen darfst; morgen bist du ja nur eine Stimme, ein ächzender Laut, ein knarrendes Tor, ein Echo im Keller – und heute verschwendest du dich an dem nutzlosen Ärger? Ich bitte euch, steht mir lieber beide zur Seite, helft mir mein Segensschwesterlein schirmen und behüten! Du, werte Nebelwittib, sprich mit der Frau Hulle am Brunnen, daß auch sie uns beisteht, und du, wilder Bursch, schreck mirs Jungfräulein nicht! Es ist’s wert auf alle Weise; es achtet uns Geister allerwege in Haus und Hof. Es hat gar eine gute Hand und zerbricht kein Band, das uns Geister an das alte Haus, an den alten Herd bindet. Mir setzt sie allabendlich Milch und Weck vor die Tür und ihr Aug tut mir nicht weh, und ihre Zunge reißt nicht an meinem Dasein hin und her; sie neckt, zerrt und quält mich nicht unnütz in den Tag hinein.«

»Ja, das ist wahr«, knarrte der Wurzelmann, »sie höhnt auch mich nicht, schimpft mich nicht; wenn ich murmele und ächze, schlägt sie still ein Kreuz, aber sie jagt mich nicht mit bösen Verwünschungen in mein Kellerloch zurück. «

»Sie tritt kein Hälmchen nieder und kein Käferlein tot auf meinen Wegen«, sprach die Nebelwitwe. »Sie freut sich, wenn ich ihr spinnen helfe, und braucht mich doch wenig, denn es ist gar ein dralles flinkes Ding!«

»Darum halten wir sie in Ehren!«

Und nun huschten alle drei zusammen und flüsterten heimlich weiter. Das Gespräch wurde unhörbar.

»Aber hüte dich!« sagte endlich die Nebelwitwe, einen schneeweißen Zeigefinger in die Höhe hebend.

»Ja, ja! hüte du dich!« grinste der Wurzelmann, »daß du nicht auch eine bloße Stimme wirst! Hi, hi, hi! eine Stimme im Kellerloch! Hi, hi, hi!«

Mariannen versagte der Atem; sie schloß die Augen, um nicht mehr zu sehen. Nach einer Weile ermannte sie sich und lief zurück in ihre Kammer. Eben schlug die erste Glocke an: »Christ ist geboren!« und nun die zweite, nun die kunstreich geläutete Quint, und wie Engelstimmen noch einmal darüber die kleinen silbernen Campanellen, und mitten darin unterschied sie deutlich die eben gehörten drei Geisterstimmen, die ein Trio sangen: »Preis und Ehre dem Menschengebornen, dem Herrn!«

Mariannen brachen die Kniee zusammen; sie betete still das Credo mit, da tönte ein leises, wie auf Luftwellen getragenes »Amen!« in ihr Ohr – wie ein Hauch berührte etwas ihre Stirn – ihr schwanden die Sinne.

»Marianne! Mädchen! He, Marianne! Die Mette!« klang es dazwischen; und der kleine Vicarius stand an der Türe und hinter ihm Schwester Agathe, die mit Mühe des guten Tages wegen das Schelten unterdrückte. Und alle begaben sich in die Kirche, und nach der Frühmette kamen die Freunde und Nachbarn, das Kripplein zu beschauen und den Morgenimbiß mit den Geschwistern zu teilen; und die Kinder sangen ihr Hirtenlied und übergaben ihre Geschenke; Mariannen aber war während des Singens beständig, als übertöne eine Oberstimme das Lied, wie vorhin die Campanelle das Glockengeläute.

»Liebes Kind!« sagte am andern Morgen der Vicarius, »es ist ein heiliger Tag heute, gar geschickt zur frommen Überlegung und Besprechung. Nicht, als wollte ich dich schelten, nicht, als dächte ich dabei an mich« – er seufzte –, »aber du hast ein wunderseltsamlich Glück gehabt, ein ängstlich Glück, das, hätte sich’s vor zwanzig Jahren ereignet« – er seufzte sehr und sah nieder auf das Brevier in seiner Hand – es war aber, als habe er Mut gefunden in diesem Augenblick, denn plötzlich richtete er die blaßblauen Augen ganz fest auf Mariannens rosiges Antlitz: »Weißt du es ganz gewiß«, fragte er mild, »daß dieser Schmuck« – er nahm ihn vom Tische – »der nämliche ist, den die Großtante verloren, und nicht ein Afterbild, eine Versuchung des Bösen, die Gott zuläßt, auf daß du sie überwindest?«

»Ich weiß wohl, Ohm!« schluchzte die Kleine, »Ihr haltet mich des schönen Schmucks nicht wert.«

»Marianne!« sagte der Vicarius, und ein heftiges Zittern überflog seine eckige Gestalt, »ich frage dich, ob du überzeugt bist, daß dies der nämliche Schmuck ist, den der Kurfürst der seligen Großtante an ihrem Geburtstage als Brautgeschmeide geschenkt und der plötzlich spurlos verschwunden war und bis jetzt es blieb – den du aber gefunden haben willst.«

»Oheim!« flüsterte das Mädchen, »ich habe ihn gefunden.«

»Und du weißt nicht, wer ihn gebracht?« Dem armen Vicarius schwindelte, er mußte sich an die Lehne des Sessels halten.

»Ohm! was habe ich Euch getan?«

»Kind! Kind! ich frage, was hat man dir getan? Marianne, wie kam der Schmuck in deine Hand?«

»Oheim!« erwiderte Marianne, sich stolz aufrichtend, »was ich gewiß weiß, habe ich Euch gesagt; was ich aber vermute, ist so erstaunlich, so träumerisch – ich weiß es nicht, ich fühl es nur hier in meinem Herzen.«

»Sprich!« sagte der Vicarius, indem er seinen Rosenkranz hervorzog und die Augen niederschlug.

»Ich glaube, das Gütchen hat ihn irgendwo hergeholt und ihn mir geschenkt.«

»Alle guten Geister loben Gott!«

»In Ewigkeit, Amen!« erwiderte Marianne.

Die kleine verhotzelte Gestalt des Vicarius schlotterte vor gewaltigem Zittern; er war von der unmittelbaren Gegenwart des Bösen überzeugt, der schon die Klauen nach dem ewigen Heil des geliebten Kindes ausstrecke – aber dennoch ermannte er sich und sprach mit lauter Stimme die Formel, die den Satan beschwört und austreibt. »Hebe dich weg, verfluchtes Höllenblendwerk!« schloß er; »und du, meine Tochter, bitte die Vierzehn Nothelfer um ihre Fürbitte, auf daß deiner armen jungen Seele kein Schade geschehe!«

Und mit gewaltiger Hand ergriff er das Mädchen und drückte sie nieder, daß sie auf die Kniee fiel neben ihm; aber die Steine, die er hielt, blieben unverändert und das Mädchen sah, verwundert und erschreckt, bald auf ihn, bald auf den Schmuck, indem ihre blühenden Lippen die nur halb verstandenen lateinischen Worte wiederholten, die er ihr vorsprach.

»Gib den Mammon der Kirche, Marianne!« sagte der Alte nach einer Weile; aber die Kleine schüttelte den Kopf und ihre Tränen flossen unaufhaltsam.

In demselben Augenblick schlug der schon mehre Male erwähnte Harmonikaton an beider Ohr; er klang stärker denn je vorher.

»Seht Ihr’s?« sagte das Mädchen, »er gibt mir recht; gewiß, der Schmuck ist mir bestimmt!«

Da flog die Tür auf, und mit lautem Jammerton traten die drei Schwestern ins Zimmer; sie brachten die Scherben des großen Glaspokals, aus welchem der Vicarius bei feierlichen Gelegenheiten zu trinken pflegte, der plötzlich oben auf dem Tellersims in tausend Stücke zersprungen war. Die Realität überwog auch hier wie in den meisten menschlichen Dingen. Vor lauter Mutmaßen und Bedauern des Unglücks ward die wichtigere Frage vergessen.

Marianne schlich still davon mit ihrem Schmuck; als sie aber in ihr Kämmerlein trat, sagte sie: »Du hast es übelgenommen, daß sie schlecht von dir dachten, Gütchen!« – indem stand die kleine graue Gestalt vor ihr.

Marianne hatte oft versichert, daß sie bei seinem Anblick durchaus kein Grauen empfunden. Ein Paar tiefblaue Augen blickten aus dem feinen bleichen Gesichte so unbeschreiblich nah sie an, als müsse sie der Körper des Wesens berühren, dem sie angehörten – aber dennoch war nur Luft vor ihr. Der Graue legte den Zeigefinger auf die Lippen und sah sie wohl eine Minute schweigend an. Und obgleich er kein Wort gesprochen, wußte Marianne alles, was er meinte, und wußte es mit einer Gewißheit, wie nie ein armer Menschenblick sie zu geben vermag. Ja, Marianne wußte nun, daß sie nicht allein in der Welt war, daß ein liebendes schützendes Auge um sie sei und sie behüte; Marianne wußte, warum ihr das Leben so viel leichter ward als all den andern um sie; es war ihr aber auch ganz deutlich, daß dies zarte, von keinem Wort berührte Band, das einer Geisterwelt sie einte, durch kein Erwähnen je entweiht werden dürfe.

Sie trat einen halben Schritt zurück und legte die Hand auf ihr schlagendes Herz, – auch über ihre Lippen war kein Ton gekommen, aber es war ihr zumute, als habe sie dem Gütchen ein ewiges, unverbrüchliches Schweigen heilig gelobt.

Von da an gestaltete sich Mariannens Leben schön und schöner. Alle Morgen weckten sie liebliche Klänge, alle Abend wiegten sie sie ein. Alle ihre kleinen häuslichen Geschäfte förderte eine unsichtbare Hülfe; alle ihre kleinen Wünsche erfüllten sich wie von selbst. Ging sie in den Garten, bog sich ihr der Zweig entgegen, der die schönste Rose trug; die reifste und vollkommenste Frucht fiel ihr stets in die Hand. In der Kirche, Spinnstube, ja selbst auf den selten nur besuchten Wallspaziergängen, an jedem Lustorte, bei jedem Schauspiele, dem ihr junger Sinn sie zutrieb, bildete sich immer ein freier Raum für sie, sogar im dichtesten Menschengedränge; und kein Schatten von Gefahr, kein Krankheitshauch, kein Verlust berührte ihr sorglos frisches Sein. War’s ein Wunder, daß Marianne sich bald an die ihr jetzt täglich erscheinende Gestalt des grauen Männchens gewöhnte und alle Scheu, alle Furcht vor demselben schwand?

Nur wenn sie schlief, sprach das Gütchen im Traume zu ihr; am Tage begnügte es sich, plötzlich vor ihr aufzutauchen, wobei es nie verfehlte, ihr durch den auf die feinen Lippen gedrückten Finger Schweigen aufzuerlegen. Und Marianne schwieg; denn das Gespräch mit dem Oheim hatte sie verletzt. Vom Schmuck war auch vorläufig nicht mehr die Rede; der Vicarius hatte ihn Schwester Agathe übergeben, ohne jedoch von seinem frommen Plane abzustehen, dereinst ein Kirchlein aus dessen Erlös zu stiften – nur waren die Zeiten zu unruhig geworden und das Luthertum hob selbst im klosterreichen Erfurt sein ernst drohendes Antlitz. Der Vicarius betete und wartete still auf bessere Tage.

So vergingen ein paar Jahre. Da geschah es, daß des Seilers ältester Sohn, der als Geheimschreiber bei einem hochadeligen Herrn in Diensten stand, mit demselben nach Erfurt kam, Mariannen kennenlernte und sie sehr liebgewann. Der Aufenthalt seines Gebieters in der Stadt dauerte einige Monate; der junge Mann besuchte während dieser Zeit das Haus der drei Schwestern sehr fleißig und erwarb bald ihre und des Bruders Vicarius Neigung durch sein sittsames und ehrenfestes Betragen. Von seiner Liebe sagte er freilich kein Wort; denn so verschieden er auch die Stunden seines Kommens wählte, er traf Mariannen nie allein. Und selbst als es ihm ein paarmal nach langen Berechnungen gelang, das liebe Mädchen am frühen Morgen unter einem Vorwande noch beim Aufräumen der kleinen Wohnung zu überraschen, setzte sich immer ein sonderbares Etwas seinen Wünschen entgegen. Bald liefen plötzlich bei ganz gelindem Feuer alle Töpfe über, bald entstand draußen auf dem Flur ein furchtbares Gepolter, oder es riß wohl gar alle Fenster der Wohnstube zugleich auf; ein andermal brach das Tellerbrett ohne alle sichtbare Veranlassung zusammen und der Lärm zog die drei alten Schwestern in ihren Schlafhauben und Nachtjacken, ja einmal sogar den Bruder Vicarius mit Blitzeseile ins Gemach.

So war denn der Johannistag herangekommen, an welchem ein großes Fest die Fürsten und den Adel in einem schönen Garten versammeln sollte, der auch den niedern Ständen geöffnet blieb. Marianne wünschte sehr, einem dort stattfindenden Umzuge und Schauspiel beizuwohnen, und da die Geschwister vom Meister Seiler dazu aufgefordert waren und noch andere Bekannte und Hausfreunde der kleinen Gesellschaft sich anschlossen, ward einmütig bestimmt, den Nachmittag dem Anschauen all dieser Herrlichkeiten zu widmen.

Marianne war schon früh auf, denn um eilf Uhr sollte zu Mittag gegessen werden, damit den Frauen Zeit zum Putz verbleibe und dem Bruder Vicarius kein Abbruch an seiner gewohnten Pflege geschehe, denn begleiten mochte der fromme Mann die Seinen nicht. Er wolle mit Philax das Haus hüten, meinte er.

Da fehlte plötzlich Philax, der treue, wachsame Haushund. Nach vielem Suchen fand man ihn tot an der Kellertür. Marianne brach in helle Tränen aus und wollte im ersten Schreck das Fest gar nicht besuchen; auch Pinchen, die sogleich für ihre Katze fürchtete, war aller Mut entfallen. Es ward ernstlich vom Aufgeben des ganzen Spaßes geredet, denn Bruder Vicarius mußte ja nun das Haus verschließen, da der Hofwächter fehlte; doch brachte Seilers Hans durch Bitten das alles ins gleiche, und unter Tränen begaben sich die Schwestern an ihren Putztisch.

Aber, hilf Himmel! welch neues Ungewitter, als Schwester Agathe nach wenigen Minuten totenbleich mit ihrer zerrissenen Spitzenhaube ins Wohnzimmer zurückkehrte. Es war nicht zu begreifen, wer das kostbare, noch von ihrer Mutter ererbte Prachtstück so ganz unchristlich zerfetzt haben konnte – denn zerfetzt war es, das war unleugbar. Sogar Marianne gestand ihrer so geschickten Nadel kaum die Möglichkeit einer Heilung dieser Wunden zu.

Das arme Mädchen ward feuerrot. Hastig stürzte sie in ihre Kammer und warf, in Tränen aufgelöst, sich auf ihr Bettchen. Das alles bist du, Gütchen! schluchzte sie; ich habe wohl diese Nacht im Traum dein trauriges Gesicht gesehen, ich weiß ganz genau, wie du mir gesagt, ich solle nicht zum Fest! Und den armen Ludger, der sich so gefreut hat, mich zu begleiten, den kannst du vollends nicht leiden und gönnst ihm nichts! Aber ich sage dir’s, rief sie, rasch aufspringend und mit dem kleinen Fuß den Boden stampfend, – selbst wenn du mir meinen schönen Schmuck forttragen und noch soviel Unfug anrichten solltest – ich will zum Fest; und daß du mich nur verstehst, du kleiner Unhold: ich will und Ludger soll mich begleiten!

Ein klagender, zitternder Laut ergoß sich, wie auf Luftwellen widertönend, durchs ganze Gemach; dann ward alles ganz still und Marianne fuhr mit der Hand aufs Herz, als hätte sie Tränen gesehen, die sie erweckt. Still, sagte sie, selbst halb weinend, und morgen will ich wieder gut sein! und damit huschte sie hinüber zu den Geschwistern.

Aber am andern Morgen dachte Marianne nicht an das Gütchen; sie war ihm weder gut noch böse – sie war auch gar nicht von seinen Tönen erweckt worden, denn sie hatte ja gar nicht geschlafen! Draußen im Herrengarten, wohin das arme Hausgütchen ihr nicht folgen konnte, hatte es ihr der schöne Ludger gesagt, wie lieb er sie habe, und daß ihm sein Herr eine gute Geheimschreiberstelle im Rat verschaffen wolle, die ihren Mann nähre und dessen Frau noch dazu.

Marianne war ganz entsetzlich rot geworden, was sie aber erwidert – das wußte sie gar nicht; aber sie wußte, daß er diesen Morgen um zehn Uhr hinübergehen wolle nach Großhörschau zum Vicarius, um seine Worte anzubringen.

An diesem Vormittage mußte Schwester Pinchen alles allein besorgen, Marianne brachte nichts zustande.

Gegen zwölf Uhr erschien der mit Schweiß bedeckte atemlose kleine Vicarius, um den Schwestern den Fall vorzulegen und das Mädchen darauf anzusehen, ob es denn wirklich eine Hausfrau vorstellen könne; ihm war sie immer noch das vierzehnjährige Kind. Aber freilich, freilich, seufzte er und sah die obere Gardinenfalbel an, freilich, ihre Mutter war auch eben sechzehn Jahre alt geworden, als – ich die heiligen Weihen empfing.

Schwester Agathe war außer sich über den Unsinn der Jugend; Schwester Pinchen weinte und wußte nicht warum; Schwester Anne Marie sagte ganz trocken: »Wenn sie ihn gern nimmt, kann ich mir’s recht hübsch denken, so eine blutjunge Frau Amtsschreiberin zu sein.« – Und am Ende, nachdem Marianne ja gesagt und noch ganz unbeschreiblich viel röter geworden war als das erste Mal, kam um zwei Uhr der Freier und schied abends unter den Tränengüssen der Schwestern und den himmelanstürmenden Seufzern des Vicarius – als Mariannens Bräutigam.

Als Marianne später wie gewöhnlich ihr Zimmerchen betrat, lag das graue Männchen totenbleich, in sein Mäntelchen gewickelt, am Fußende ihres Bettes und hatte die Hutkapuze über die Ohren gezogen. Es weinte, und sein Schluchzen klang grausig durch die Nacht. Zum ersten Male schauderte Mariannen vor seiner Nähe und sie dachte daran, daß sie nicht zu Bett zu gehen sich getraue, solange er da war. Zum ersten Mal kam ihr das Gütchen wie ein kleiner Mann vor. Es weinte leise fort und sah sie immerfort mit dem nämlichen wehmütigen Blicke an. Marianne setzte sich auf einen Schemel und lehnte das Haupt rückwärts an ihr Bett; von der gestrigen Nachtwache übermüdet, schlief sie endlich ein. Sogleich war ihr, als wachse das graue Männchen; es streckte und dehnte sich bis zur Größe eines etwa zwölfjährigen Knaben aus, dann ergriff es ihre Hand. »Marianne«, sprach das Gütchen, »ich kann nicht sterben vor Schmerz, aber wenn du Ludger heiratest, werde ich dich verlassen und sehr elend sein.« Marianne schüttelte den Kopf im Schlafe. »Weißt du denn nicht«, fuhr es, immer leiser flüsternd, über sie hingebeugt fort, »daß ich dich mehr liebe als alles im Himmel und auf Erden? Weißt du nicht, daß uns derselbe Segen durch deine Geburtsstunde vereinigt und daß der neugesprochene Segen dich von mir trennt, dich in ein anderes Haus führt, über das ich keine Gewalt habe? Marie! o Marie Anne!« Dem Mädchen ward furchtbar beklommen, sie schrie im Schlaf: »Ludger! Ludger!« und erwachte vom Tone ihrer Stimme. Alles war dunkel; sie glaubte geträumt zu haben und eilte zu Bett.

Aber der Traum schlang dennoch seine dunkeln Ranken immer wieder in die bunte heitere Gegenwart. Marianne fühlte sich bedrückt und hatte doch nicht den Mut, ihrem Bräutigam zu gestehen, was sie quäle. Im Hause aber war es plötzlich unheimlich geworden; nachts warf es die Türen, stöhnte und ächzte, wie in Sterbelauten; aller Segen schien aus der kleinen Hauswirtschaft gewichen; umsonst plagten sich die drei Schwestern den ganzen Tag; jedes Lieblingsgericht brannte an; immer war die Suppe versalzen, war der Flachs am Rocken zerzaust. Nachts klopfte es den Vicarius aus dem Schlafe oder legte mit Zentnerschwere der armen Marie sich auf die Brust.

»Wir haben einen Poltergeist!« flüsterte die kleine Alte, und allabendlich beteten alle drei gegen den Versucher.

Da ergrimmte der Vicarius. »Es ist der Höllenschmuck, der uns all den Jammer ins Haus zieht. Laßt uns den Mammon opfern!« Aber Marianne war nicht dieser Meinung. Ludger fragte sie nach dem Schmucke. »Sie hat ihn geerbt«, sagten ausweichend die Schwestern. Marianne schwieg. Die Kapsel ward geholt – die große Kostbarkeit des fürstlichen Schmucks machte den Geliebten erstarren. Auch er schwieg, aber ein düsterer Nebel breitete sich über seine Stirn – er fing an, Mariannen mit eifersüchtigem Blick zu bewachen. Es war um Frieden und Glück geschehen.

Das arme Mädchen litt unbeschreiblich. Am Tage ließ sich das Gütchen nicht mehr sehen, aber sie fühlte seine Nähe und sah es im Traum immer bleicher werden. Der Vicarius nahm in der Stille seine Beschwörungsformeln vor; Anne Marie besprengte das ganze Haus mit Weihwasser.

Ludger wünschte eine Erklärung von seiner Braut; sie selbst schien sie zu vermeiden. Sie fühlte, daß sie ihm ihr Verhältnis zum Gütchen nicht eingestehen könne; sie scheute sich, ihr Wort zu brechen, und fürchtete, Ludgern werde grauen vor ihr.

Eines Abends folgte er ihr auf den Flur – der nächste Sonntag war zu ihrer Trauung anberaumt –, Ludger ergriff ihren Arm, zog ihn an seine Brust und bat sie flehentlich, ihm nichts zu verbergen, ihm zu sagen, woher der Schmuck, was sie beunruhige, warum seine Liebe sie nicht mehr glücklich mache.

Im Innersten zerrissen, war Marianne eben im Begriff, ihm alles zu sagen, da befiel sie plötzlich eine unerklärliche ungeheure Angst – die Kniee brachen ihr zusammen und sie wäre zu Boden gesunken, hätte sie Ludger nicht in seinen Armen aufgefangen und mit tausend süßen Liebesworten ans Herz gedrückt. Da tat es hinter oder zwischen ihnen einen furchtbaren Fall; Marianne schaute, tödlich erschreckt, auf – ein Teil der Decke war eingestürzt, und aus Tür und Fenster des Wohnzimmers drang ein heftiger Rauch. »Feuer! Feuer!« rief es in der Gasse. Beide eilten in das Gemach zurück; aber ach! schon brachen aus allen Ecken zwischen dem Holzgetäfel Flammen aus; das mußte schon tagelang so still hingebrannt haben, nun war’s mit einem Male eine Feuersbrunst. Vorhänge, Betten, alles, alles ergriff das züngelnde tückische Element. Entsetzt eilten die alten Schwestern herbei; Nachbarn drangen von allen Seiten ein, um retten zu helfen; Wächter und Soldaten tobten umher; Pumpen und Eimer wurden geholt – vergebens! Das alte Haus brannte und brannte und ohne alles Geräusch – schauerlich still – brannte es aus bis auf die nackten, kalten Mauern, die am Morgen so starr die Geschwister anschauten wie das Skelett ihres Glücks, wie das Wrack all ihrer gesunkenen Hoffnungen.

Der arme kleine Vicarius stand ganz allein mitten im Schutt und schüttelte seufzend und traurig das Haupt. Da schlich Marianne leise hinzu und bat ihn, mit ihr in das teilweise noch erhaltene Hintergemach zu treten, das er selbst zu bewohnen pflegte, wenn er über Nacht in der Stadt blieb. Dort sank das arme gequälte Kind, mitten unter dem Geröll und den Brandspuren, in die Kniee und beichtete nicht dem Ohm, nein, dem Geistlichen alles.

Der arme Mann war tief ergriffen und bewegt; sein strenger Glaube mußte sie einer großen Schuld zeihen und ihr schwere Buße auferlegen, weil sie nicht sogleich in den Schutz der Kirche geflüchtet und dem Verkehr mit einem Wesen sich entzogen, das der Vicarius nur wie einen bösen Geist betrachten konnte und das ja, leider! nun wirklich zu einem solchen geworden war. Er legte also Mariannen auf, ihrem Verlobten alles zu gestehen. »Auch was ich außerdem noch über das arme Gütchen weiß, mag er erfahren!« schluchzte Marianne; »denn ich weiß, daß der arme graue Geist für die Rache, die er an mir genommen, und für sein leidenschaftliches Übertreten der Gesetze, welche die Geisterwelt von der unsern trennen, schwer gestraft und auf Jahrhunderte zu einer bloßen Stimme, zum Echo seiner eigenen Qual geworden ist. Ihr aber, Ohm! mögt nur das Haus aufbauen und in Ruhe wieder bewohnen, grau Gütchen wird Euch nimmer stören, und ich will in ein Kloster gehen, für seine Erlösung zu beten.«

Mit dem Vorschlage, ins Kloster zu gehen, war der kleine Vicarius sehr zufrieden; er brachte auch sogleich den alten Plan zur Sprache, ein Kirchlein vom Erlös des Schmucks zu bauen. Aber ach! der Schmuck war verschwunden; und obgleich der Schutt und die ganze Brandstätte genau untersucht wurden, fand er sich nimmer und nimmermehr.

Aber etwas anderes und weit Köstlicheres fand sich: der Friede. Als Marianne ihrem Bräutigam alles gestanden und ihn gefragt hatte, ob es ihm nicht graue vor einem Mädchen, das mit Geschöpfen einer andern Welt verkehrt, als sie ihm sogar sein Wort zurückgeben wollte und ihm sagte, sie werde in ein Kloster gehen, um für ihn, für sich und das graue Gütchen zu beten, da schlang er beide Arme fest um sie und sprach Doctor Luthers schöne Worte aus: »Wir glauben all‘ an einen Gott!« und versicherte sie, daß er nimmer von ihr lassen werde, und daß ihm sein hoher Gönner Geld zugesagt, mit welchem er mit dem kleinen Vicarius gemeinschaftlich das alte Haus wieder aufbauen wolle; und wenn es fertig sei und stattlich und frisch sich wieder erhoben habe, dann solle Hochzeit sein, und sie alle würden dann glücklich darin sein wie sonst.

Und so geschah’s im Jahre 1526. Und am Hochzeitabend, als alle Gäste Glück wünschend das schöne Paar umringten, erhob sich leise, leise eine wunderliche Musik, wie noch kein Mensch je sie gehört, und man konnte nicht unterscheiden, waren es Singstimmen oder Glockenlaute, die so überaus herrlich erschallten; aber allen, die es hörten, war zumut, als hätten die Töne geklungen wie Worte des Segens.

Und sie verklangen leise und immer leiser und schöner.

Das junge Ehepaar aber lebte noch lange froh und glücklich im wieder aufgerichteten alten Hause mit den alten Geschwistern. Vom Gütchen hat man nimmermehr etwas gehört.