III. Untergang


III. Untergang

Allgemein verbreitet, und am wahrscheinlichsten durch Einführung des Christentums entstanden, sind die Sagen von dem allmählich näherrückenden Verschwinden der Elfen. Nicht bloß entfernen sie sich vor dem Geräusch und geschäftigen Treiben der Menschen, sondern es erfolgt ein großer Auszug der Unterirdischen. Sie schließen einen Vertrag mit den Menschen ab und auf einem vorher bestimmten Weg, über eine Brücke, hört man in der Nacht die Kleinen in unzähliger Menge forttrippeln oder sie werden über das Wasser gefahren und ihre große Zahl drückt das Schiff. (Deutsche S. Nr. 152-54. dänische bei Thiele II. 2.) Manchmal wird erzählt, daß zum Andenken oder aus Dankbarkeit für das von den Menschen genossene Gute, jeder ein kleines Stück Geld von altem Gepräge in eine hingestellte Schüssel gelegt habe.

Man hat in dem Auszug der Zwerge eine geschichtliche Tatsache, die Unterdrückung und Vertreibung eines alten, einheimischen Volkes durch neue Ankömmlinge erkennen wollen und wozu auch ein Zug von Scheu, Trauer und Ironie, der über die Natur des Geistervolks verbreitet ist, stimmt.

IV. Gestalt


IV. Gestalt

1. Erblickt man den Elfen in seiner wahren Gestalt, so sieht er aus, wie ein schönes Kind von einigen Jahren, zart und wohl gegliedert; die schottischen und walisischen Sagen beschreiben ihn ausdrücklich auf diese Art. Elberich liegt als Kind von vier Jahren unter einer Linde, wo ihn Otnit kraft eines Ringes sehen kann und ihn meint als ein Kind forttragen zu können. (Str. 99. 108.) Und als der Elfe sich vor den Leuten sehen läßt, so heißt es (Str. 517.):

ich wäne daz nie kein ouge schöner bilde ie gesach.

dô vienc er (Siegfried) bì dem barte den altgrîsen man.

ich trage ûf mînem rücken mê dan vierdehalp hundert jâr.

V. Kleidung


V. Kleidung

1. Der Verschiedenheit in der Kleidung der Elfen nach der Verschiedenheit ihres Ursprungs ist schon vorhin gedacht und nur noch anzumerken, daß auch die serbischen, den nordischen Elfinnen entsprechenden Vilen weiß gekleidet sind. Elberich hat glänzende mit Gold und Edelsteinen gezierte Kleider an (Str. 104.); die Tracht der Unterirdischen ist dunkelfarbig, meist grün oder moosfarbig, in deutschen (Nr. 48. 270.) wie in schottischen, walisischen und shetländischen Sagen. Auf den Färöer und in Dänemark grau (Thiele I. 122. 125.), doch zeigen sich auch hier grüngekleidete Elfinnen (Thiele I. 109.). Geister, die mit den Menschen im Verkehr stehen, tragen buntfarbige und rote Röckchen (Deutsche S. Nr. 71. 75.) oder erhalten sie von jenen geschenkt (Nr. 37.). Merkenswert ist eine Übereinstimmung. In dem irischen Märchen von der Flasche („Die Flasche“) erscheint der Elfe ganz in sein Kleid eingewickelt, damit man seine Füße nicht sehen kann; eine Schweizersage (Nr. 149.) erzählt, daß die Zwerge in langen Mänteln dahergetrippelt wären, die ihre Füße ganz bedeckt hätten. Neugierig streut einer Asche und findet, daß ihre Füße platt sind wie Gänsefüße, wiewohl diese eigentlich nur Wasserelfen zuzugehören scheinen; man erinnert sich an die weiße Bertha mit dem großen Fuß (Vergl. Altd. Wälder III. 47, 48.).

2. Von besonderer Wichtigkeit ist die Kappe oder Mütze, so sehr, daß die norwegischen Elfen, obgleich sonst ganz nackt, doch einen heruntergeschlagenen Hut auf dem Kopf haben. Die irischen bedienen sich dazu der roten Blüten des zauberkräftigen Fingerhuts oder sie haben weiße, breite Hüte, gleich Pilzendeckeln. Auch in Dänemark und Schweden sind ihre Mützen rot (Thiele I. 122. II. 3. Schwed. Volksl. III. 127.) sowie bei den Nisser der Färöer, sonst aber auf diesen Inseln schwarz. In Preußen tragen sie spitze Hüte, die wie jene der Cluricaunen aufgekrämpt sind; ebenso sind die Mützen der Hausgeister in Dänemark spitz, während die Hüte, die sie im Sommer tragen, rund sind (Thiele I. 135.). In den deutschen Sagen ist der Hut nicht vergessen. Die Bergmännlein haben weiße Hauptkappen an dem Hemd (Nr. 37.); der Nix trägt einen grünen Hut (Nr. 52.), ein anderer grauer Geist einen großen Schlackhut (Nr. 271.). Hodeken hat den Namen von einem großen Hut, den er so tief in den Kopf drückte, daß man sein Gesicht niemals sehen konnte und dieser Hut bringt dadurch einigermaßen die Wirkung der Nebelkappe hervor, welche völlig unsichtbar macht, deren schon der junge Misener (Man. S. II. 156.) gedenkt und welche den Zwergen am Harz (Deutsche S. Nr. 152. 153. 155.) zugeteilt wird. Mit dieser hat Elberichs Tarnkappe, wenn sie auch zugleich den Mantel enthält und der tamhût entspricht, doch offenbar Zusammenhang. Dienstbar wurde er und sein Reich dem Siegfried, weil der Held die Tarnkappe genommen hatte und das machen deutsche Sagen (Nr. 152. 153. 255.) noch deutlicher, wenn sie erzählen, daß man nach den unsichtbaren Zwergen mit Ruten geschlagen, bis man ihre Mützen getroffen und abgeschlagen habe, worauf sie sichtbar geworden und in die Macht der Menschen geraten seien. Eske Brok schlug zufällig einem Zwerg im Felde den Hut ab und um ihn wieder zu erhalten, bewilligte dieser alle Forderungen (Thiele III. 49.). Nun erklärt sich die Wichtigkeit der Kopfbedeckung bei den Elfen, sie halten sich dadurch vor den Blicken der Menschen verborgen. Laurin hat eine Nebelkappe, so wie Euglin, welcher sie über Siegfried wirft und ihn dadurch den Augen des Riesen entzieht; dem Kopfschleier der Kriemhild legt der Rosengarten gleiche Kraft bei. Der Kobold Zephyr (in dem altfranzös. Roman Perceforest, Mélanges T. XII.), der wie eddische Zwerge nach einem Wind benannt ist, trägt eine schwarze Kappe, durch welche er sich unsichtbar machen, oder eine andere Gestalt annehmen kann.

Unbeständigen, schalkhaften Leuten (von Zwergsnatur) werden auch sonst Nebelkappen beigelegt (Man. Samml. II. 258b) und der römische Volksglaube dachte sich zu seinem incubo, welcher völlig dem deutschen Alp verglichen werden darf, gerade so den Hut und knüpfte an ihn die Unsichtbarkeit des Geistes. Die Stelle findet sich in Petronii satyric. c. 38. (Burm. p. 164): »sed quomodo dicunt, ego nihil scio, sed audivi, quomodo incuboni pileum rapuisset et thesaurum invenit.« – Incubones qui thesauris invigilant. (Sabinus ad II. Georg. v. 507.) und ein neuerer Erklärer Petrons fügt aus dem Volksglauben seiner Zeit hinzu: ex superstitione veteri, cujus hodieque passim exstant reliquiae, velut incubones sint ornati pileis, quibus surreptis compellantur ad obsequium in indicandis pecuniis absconditis. Hieran schließen sich vollkommen die Worte des Nibelungenlieds:

399.

dô er die tarnkappen sit Alberîch angewan,
dô was des hordes herre Sîvrit der vreislîche man.

I. Name


I. Name

Daß das Wort Elfe den allgemeinsten Ausdruck unserer Sprache für jene geisterhaften Wesen enthalte, geht aus der Betrachtung jeder einzelnen deutschen Mundart hervor. Erst später sind einschränkende Bestimmungen hinzugetreten oder die Benennung hat sich verloren.

1. Der hochdeutschen Sprache gebührt die Form alp, welches einfache Wort zwar in keinem einzigen alten Denkmal vor dem 13ten Jahrhundert anzutreffen ist, unstreitig bloß, weil es an Veranlassung fehlte, eines heidnischen, von den Schriftgelehrten verachteten Begriffs Meldung zu tun. Der Ausdruck muß aber von uralter Zeit her gang und gäbe gewesen sein. Eine Menge männlicher und weiblicher Eigennamen sind mit ihm gebildet und zusammengesetzt: Alpinc, Alpirìh, Alpkôz, Alpkast, Alphart, Alpkêr, Alpwin, Alphâri, Alptac, Alphilt, Alplint, Alploug, Alpsuint, Westralp, woraus zugleich erhellt, daß man sich dabei nichts Böses noch Gehässiges dachte.

Die mittelhochdeutschen Dichter bedienen sich des Ausdrucks hin und wieder, wenn gleich im ganzen selten. Gewöhnlich steht die männliche Form. In dem alten Meistergesangbuch 37b ruft ein Dichter Gott an: got unde niht alp! Gott, kein Truggeist! Ungewiß ist im Parc. 46a zer wilder albe klûsen, welches zwar heißen kann: zur Klause wilder Geister, aber auch zur wilden Alpklause, Bergklause (vgl. Barl. 194. gein den wilden alben und Parc. 62a zer wilden muntâne.) Deutlicher gehen folgende Stellen auf den Geist.

Ein fahrender Schüler (Altd. Wäld. II. 55.) nennt ein Mittel: guot vür den alp. Die meisten Anspielungen stehen in dem noch ungedruckten Gedichte Ruodigers von zwein Gesellen (Königsberg. Handschr.) 12a

dich hat geriten der mar,
ein elbischez âs.
dû solt daz übele getwâs
mit dem kriuze vertrîben;
sêt, daz hât man von iu wîben,
swenne uns mannen iht geschehe,
daz ir immer des jehet:
uns triege der alp.

und gleich darauf:

dir enhät nieman niht getân
wan so vil, daz dich zoumet
ein alp, davon dir troumet;
der var der sunnen haz!

Die letzte Zeile ist eine auch sonst gebrauchte Verwünschungsformel. Und 14b:

in bedûhte, daz er vlüge,
oder daz in lihte trüge
ein alp in sime troume.
ez gezame michel baz,
daz dû mit zühten läges
unt solher ruowe pfläges,
als ûf dem beite wäre
den elbischir gebare.

In der letzten Zeile steckt ein Fehler, vielleicht ist zu lesen:

dem elbischen gebäre

und das voraus gehende ûf der beite scheint zu bedeuten: etwas erwarten, einem Ding auf der Lauer sein.

Ferner 16d:

ich sehe wol, daz dû elbisch bist;
ein elbische ungehiure!
sprach sie, dû sist verwâzen!

d. i. verflucht seist du, du elbisches Ungeheuer!

18a:

nû sagâ mir, elbischez getwàs
vil rehte dînen namen.

In einem andern Gedicht (Altes Meistergesangbuch 2b):

elbe triegent niht so vil junge
unde alte, alsô ez mich tuot.

Herbort (trojan. Krieg 84c) redet von elbischem viure (Irrlichtern?); statt der alp scheint er aber das Neutrum daz alp oder elbe, Pl. diu elber zu brauchen (daselbst 5d):

diu elber triegent mich
unreinez getwâs!

wie man schon früher neben dem männlichen der tiuvel auch daz tiuvel, Pl. diu tiuvler (althochdeutsch diufilir Otfr. III. 14, 103) sagte. Sonst wird der christliche, männlich gedachte Teufel in der altdeutschen Sprache gern weiblich, weil unserm Volksglauben der Begriff Unholdin, Hexe geläufiger war, als der des bösen Feindes und Zauberers. Ulfilas sagt lieber unhulthô als unhultha und in althochd. Denkmälern (hymn. XXIV, 3. gloss. Ker. 85) wird diabolus statt durch das Masc. unholdo durch das Fem. únholdâ übersetzt. Deutsche Märchen legen dem Teufel wenigstens seine Großmutter bei und der böse Geist Grendel im angelsächsischen Gedicht hat seine noch ärgere Mutter zur Seite. Desto weniger kann befremden, daß zuweilen das Fem. diu alp, Gen. der elbe vorkommt. Heinrich von Mörungen singt (M. S. I. 50b):

von der elbe wirt entsehen vil maniger man,
alsô wart ich von grôzer liebe entsehen,

d. h. von der Alb wird es manchen Leuten angetan, so ist es mir angetan worden von der Liebe. Die Bedeutung von entsehen bestätigt folgende Stelle aus dem ungedruckten Eraclius Z. 3329-35.

ich sage iu guotiu märe,
sprach diu alte, do sie sie ersach,
iuwers kindes ungemach
kan ich wol vertriben,
hie geredet under uns wiben,
ich hân in gesegent, er was entsehen,
im sol arges niht geschehen.

Neben dieser beschränkten Bedeutung von nächtlichem, die Menschen reitendem Gespenst, mag noch die ältere und ursprünglich allgemeinere für Geist überhaupt bestanden haben, wie sich teils aus dem Elberich der Nibelungen und des Heldenbuchs, teils aus einer Stelle in der Verdeutschung der Ovidischen Metamorphosen (Buch VI Cap. 9.) folgern läßt, wo der Ausdruck die Elben und Elbinnen vorkommt. Wahrscheinlich hat ihn Wikram in dem durch ihn umgearbeiteten Werke Albrechts von Halberstadt bereits vorgefunden.

Heutzutage dauert in Deutschland bloß der Aberglaube von dem Reiten und Drücken des Alps mit dem alten Namen fort; was sonst von den Geistern zu erzählen ist, wird den Zwergen, Wichteln zugeschrieben, nicht den Elben, wiewohl dieser Ausdruck selbst noch in den spätern Hexenprozessen mitunter gebraucht zu werden scheint.8

Der unhochdeutsehen, nie unter dem Volk gebräuchlichen, Wortform Elfen hätten wir uns enthalten, wenn sie nicht von den Dichtern des vorigen Jahrhunderts in Übersetzungen aus dem Englischen, ohne die Eigenheit unserer Mundart zu beachten, angenommen und nun einmal eingeführt worden wäre.

2. Aus der deutschen Sprache haben auch die Franzosen das Wort Alb für Geist übernommen, sie verwandelten es aber nach ihrem Organ in Aube, nämlich so muß der in einer altfranzösischen Volkssage auftretende Auberon, später Oberon, verstanden werden. Er entspricht etwa unserm Elberich und hat ganz das Wesen der gutmütigen Elfen. Aus dieser altfranzösischen Quelle haben die englischen Dichter ihren Elfenkönig Oberon geschöpft, den sie schicklicher in einen Elfric übersetzt haben würden, da Ob nichts anderes als das englische Elf bedeutet.

3. In angelsächsischen Denkmälern begegnet sowohl das einfach älf als die Zusammensetzungen älfric, älfrêd usw. Fürs Fem. gilt älfen, Gen. älfenne. Über die ältere, weitere Bedeutung kann kein Zweifel sein; mägälf und älfscîne werden in den Dichtungen auch als Epitheta von Menschen gebraucht (Cädm. 40. 58, Beov. 194. Ind. 9.). Sagen selbst scheinen nicht erhalten. In den Handschriften finden sich wohl die Ausdrücke dûnälfenne (monticolae, castalides), feldälfenne (moïdés, hamadryades), muntälfenne (oreades) saeälfenne (najades) vudälfenne (dryades), die jedoch mehr zur Übersetzung der griechischen Wörter gebildet scheinen, als uns Unterscheidungen einheimischer Geister lehren. Spätere altenglische Dichter enthalten dafür genug Beispiele von lebendiger Fortdauer des Worts und der Sache. Es wird hinreichen ihrer einige aus den Canterbury tales hier folgen zu lassen.

5174.

the mother was an elve by aventure
ycome by charmes or by sorcerie.

6442.

the elfquene with hire joly compagnie
danced ful oft in many a grene mede,
this was the old opinion, as I rede,
I speke of many hundred yeres ago,
but now can no man see non elves mo.

13718. 13720. 13724. an elfquene, 13633. se semeth elvish by his contenance. 16219. elvish craft 16310 elvish nice. Eine Menge anderer stehen bei Spenser und Shakespeare,9 nach und nach ist der ungefähr gleichbedeutige Name fairy gebräuchlicher worden.

Wiewohl nun jenes elf zuweilen völlig den Sinn des spätem, hochdeutschen Alp hat und elvish gerade so den von phantastisch, so gibt es doch auch eine Reihe echter Elfensagen unter dem alten Namen, ohne solche Beschränkung auf bloße Zauberei.

4. Am reinsten und in der ursprünglichen ausgedehnten Bedeutung haben die nordischen Sagen und Gedichte diese Benennung erhalten. Altnordisch âlfr, Pl. âlfar; schwedisch elf, Pl. elfar, woneben häufig der weibliche Pl. elfvor gebraucht wird; dänisch elv, Pl. elve, in Zusammensetzungen heutzutage ellefolk, ellekone, ellekonge statt elvefolk usw.; aus welchem ellekonge durch ein Mißverständnis die unrichtige deutsche Übersetzung Erlkönig entsprungen ist, da der Name des Geists mit dem des Baums Erle, dänisch eile, altnordisch elni (alnus) nichts zu schaffen hat.

5. Die Urbedeutung des Namens alp, älf, âlfr hängt wahrscheinlich mit dem lateinischen albus (weiß) zusammen, vergleiche das griech. αλφιτον (Mehl), αλφιτω, ein weibliches Gespenst, vor dem sich die Kinder fürchteten (weiße Frau?); nicht aber mit dem latein. alpes (Berge). Sie berührt sich auch mit dem allgemeinen Flußnamen Elbe, elf, albis (französ. aube), ohne daß man daraus zu schließen braucht, die Elfen seien Wassergeister, was sie nur zuweilen sind.

  1. Vgl. Pomarios colleg. synopt. phys. disp. 15. sent. 23. 24. 26. und Prätorius Weltbeschreib. I, 181. 182.
  2. Der Shakespearischen Elfen Eigentümlichkeiten, an denen der Dichter einen nicht geringen Anteil haben mag, obgleich er im ganzen den Glauben des Volks zu Grund gelegt hat, findet man zusammengestellt von Voß in den Anmerkungen zum Sommernachtstraum. S. 509-511.

II. Abstufung und Verschiedenheit


II. Abstufung und Verschiedenheit

Die Sagen, welche die Elfen als vom Himmel verstoßene, der Hölle halb verfallene Engel, eben deshalb als halb teuflische Wesen schildern,10 haben einen Gegensatz, der schon vorhanden war, in christlicher Ansicht erklärt, schwerlich aber erst geschaffen.

Die Edda unterscheidet weiße, leuchtende Elfen des Lichts und schwarze Elfen der Finsternis, nicht als gute und böse, sondern um sie als Geister der verschiedenen Regionen des leuchtenden Himmels und der dunklen Erde zu bezeichnen. Deutlich wird dies daraus, daß sie die schwarzen Elfen zugleich Zwerge nennt (so wie auch ein Zwerg in den Kenningar den Namen âlfr führt), denn dies ist der besondere Ausdruck für die in den dunklen Berghöhlen wohnenden und hausenden Unterirdischen. Die Lichtelfen von reiner Farbe erscheinen fast durchsichtig, ganz ätherisch, mit weißen, silberschimmernden Kleidern, wie in den irischen Märchen. In deutschen Sagen (Nr. 10 und 11.) sitzen sie als schneeweiße Jungfrauen im Sonnenschein, zeigen sich um Mittag (Nr. 12.) und dürfen nur solange als die Sonne am Himmel ist verweilen. Diese heißt daher in der Edda (Säm. I. 70. u. 231.) âlfrödull, die Elfen anstrahlend. Die Erdelfen dagegen sind körperlich und von dunkler Farbe, darum sind sie in Norwegen blau, in dem Sinne, in welchem die nordische Sprache einen Neger blâmadr nennt; der schottische Brownie ist braun und zottig, wie die wilde Berta in der deutschen Sage (Nr. 268.) und brauner Zwerge in Northumberland gedenkt eine Anmerkung in Walter Scotts Lady of the Lake. Die Erdelfen tragen auch dunkelfarbige Kleider. Sie treiben ihr Wesen in der Nacht und fliehen im Gegensatz zu den Lichtelfen die Sonne, die daher auch in der Edda (Hamdismâl Str. 1.) die Sorge der Elfen (graeti âlfa) heißt. Überrascht sie der Tag, so werden sie von dem Strahl der Sonne in Stein verwandelt. (Vgl. Edda Säm. I. 274. II. 44.)

Natürlich bestand diese Unterscheidung nicht länger, sobald man sie auf sittliche Eigenschaften bezog und die Elfen beider Art wurden verwechselt. Daß aber in Deutschland der Begriff der Lichtelfen vorhanden, ja vielleicht gerade im Gegensatz zu der spätem Zeit der allgemeinere war, zeigt nicht bloß die vorhin auseinander gesetzte Verwandtschaft des Worts mit dem lateinischen albus, sondern auch der Umstand, daß seit der Bekehrung das christliche engil ebenso wie früherhin alp zu Namenbildungen gebraucht wurde und insoweit an seine Stelle trat, z. B. Engilrîch, Engilhart, Engilgêr usw. Bei den Angelsachsen zeugt die Zusammensetzung älfscîne, d. h. leuchtend wie ein Elfe.

Für die Mischung beider Arten gibt Elberich das beste Beispiel ab. Sein Name verrät schon seine Abkunft, er heißt in den Nibelungen (1985) wie im Otnit (Str. 127 bei Mone) ein wildez getwerc, schmiedet und haust in Berghöhlen, und gleichwohl erscheint er geistig überlegen und äußerlich glänzend, wo er in letzterem Gedicht, dessen Hauptperson er eigentlich ist, auftritt. In Norwegischen Sagen wird es noch ausgedrückt, daß der Zwerg körperlicher und weniger geistig ist, als der Elfe; je genauer er aber in Verbindung mit dem Menschen kommt, desto menschlicher werden auch seine Bedürfnisse. Als Hausgeist dient er um Speise und Kleider, während er wunderbare Dinge verrichten kann und ist beides, ein hilfsbedürftiges und ein übermächtiges Wesen.

Die Ausdrücke Wichte, Schrate, Schretlein bezeichnen gleichfalls nichts anders, als die Kleinen, Unterirdischen oder Zwerge, wiewohl sich leicht an jede besondere Benennung eine besondere, oft schwer zu bestimmende leise Nebenbedeutung hängt. Wir teilen die Stellen mit, wo wir diese Namen gefunden haben:

Glossae lindenbrog. 995a fauni, silvestres homines: waltscrechel, die im Wald herumspringen. – 996b larvae, lares mali: screza. – gl. vindob. larvae: screzzol scraito. – gl. trev. screiz, larvae, von späterer Hand dabei geschrieben: klein herchin (Herrchin) – Barlaam 251, II. ein wilder waltschrate und Alt. Wälder III. 225. wo es für Faun steht. Schretel im Cod. palat. Nr. 341. f. 371. – Titurel 190. sie (die Minne) ist villîhte ein schrat‘ ein geist von helle. – Hans Vintlers Tugendbuch vom Jahr 1411 (nach der gotha. Handschr.):

– etliche die jehent,
daz schretlîn daz si ein kleinez kint
unde sî als ringe als der wint
unde si ein verzwîvelôter geist. (d. h. gefallener Engel)

  1. S. unten das irische Märchen Nr. 4. die Mahlzeit des Geistlichen und die Anmerkung dazu, wo die übereinstimmende dänische und schottische Sage angeführt ist. Auch in Schweden ist sie allerorten bekannt, nur, und das ist merkenswert, mit entgegengesetzter Auflösung (Schwedische Volkslieder III. 128). Zwei Kinder spielen an einem Fluß, da sitzt ein Nix auf dem Wasser und läßt seine Harfe ertönen. Die Kinder rufen ihm zu: »Was hilft, daß du da sitzest und spielst, du wirst doch nicht selig!« Der Nix weint bitterlich, wirft seine Harfe hin und sinkt in die Tiefe. Als die Kinder heim zu ihrem Vater kommen erzählen sie ihm, was sich zugetragen hat. Der Vater heißt sie zuückgehen, den Nix trösten und ihm die Versicherung der Erlösung geben. Als sie bei dem Fluß anlangen, sitzt der Nix auf dem Wasser und weint. »Nix, trauere nicht«, rufen sie ihm zu, »der Vater hat gesagt, daß auch dein Erlöser lebe.« Da nimmt der Nix seine Harfe wieder und spielt fröhlich. (Vgl. auch das. III. 158.)

21. Das gebückte Mütterchen


21. Das gebückte Mütterchen

(Siehe auch die Anmerkungen)

Margareth Barrett war in ihrer Jugend schlank, artig und wohlgesittet und zeichnete sich durch die Vereinigung zweier Eigenschaften aus, die man nicht oft beisammen findet. Sie war nämlich eine sehr sparsame Hausfrau und zugleich die beste Tänzerin in ihrem Geburtsort dem Dorfe Ballyhuley. Gegenwärtig ist sie an den sechszigen und in den letzten zehn Jahren ihres Lebens durchaus nicht mehr imstand gewesen, sich aufzurichten. Sie geht gebückt, beinahe bis zur Erde, doch ihre Glieder gebraucht sie, so weit es in dieser Stellung möglich ist, mit völliger Freiheit; ihre Gesundheit ist gut, ihr Geist kräftig und in der Familie ihres ältesten Sohns, bei welchem sie seit dem Tode ihres Mannes lebt, verrichtet sie alle häuslichen Arbeiten, welche ihr Alter und jenes Gebrechen zulassen. Sie wäscht die Kartoffeln, macht Feuer an, kehrt das Haus (lauter Geschäfte, wobei ihr, wie sie mit guter Laune bemerkt, ihr krummer Rücken sehr zustatten kommt), spielt mit den Kindern und erzählt ihren Hausgenossen und den Freunden aus der Nachbarschaft, die sich oft rund um sie beim Feuer versammeln, ihr in den langen Winterabenden zuzuhören, allerlei Geschichten. Die anziehende Kraft ihrer Unterhaltung wird sehr gepriesen sowohl wegen ihrer guten Laune als auch wegen ihrer Erzählungen; und drollige und scherzhafte Begebenheiten, die sich auf ihre gekrümmte Gestalt beziehen, dann aber das Ereignis selbst, welches Schuld an diesem Mißgeschick ist, sind das Lieblingskapitel ihrer Gespräche. So hörte man sie unter andern erzählen, wie an einem gewissen Tage, bei dem Schluß einer schlechten Ernte, als verschiedene Pächter in der Gegend, wo sie lebte, auf dem Feld eine Bittschrift um Verminderung des Pachtgeldes beschlossen hätten, das Papier zum Schreiben sei auf ihren Rücken gelegt und dieser als ein leidlich guter Tisch befunden worden.

Margrethe, wie alle gescheite Erzähler, pflegte sich sowohl was die Ausführlichkeit als den Inhalt ihrer Geschichten betraf, nach den Zuhörern und den Umständen zu richten. Sie wußte, daß bei hellem Tageslicht, wenn die Sonne glänzend scheint, die Bäume knospen, die Vögel rings um uns singen, rührige und gesprächige Menschen ihren Geschäften oder Vergnügungen nachgehen; sie wußte, doch gewißlich ohne die Ursache zu kennen oder sich viel darum zu bekümmern, daß wenn wir mit dem wirklichen Leben und der wirklichen Welt beschäftigt sind, der glaubige Sinn fehlt, ohne welchen Erzählungen, die sonst aufs gewaltigste die Teilnahme anregen, einen Eindruck hinterlassen. In solchen Stunden war Margareth kurz, hielt sich nur an Tatsachen und berührte das Wunderbare gar nicht. Doch an einem Weihnachtsabend bei dem flackernden Herde, wenn Ungläubigkeit aus allen Gesellschaften verbannt ist, wenigstens bei stiller und einfacher Lebensart, als eine Eigenschaft, welche, um das geringste zu sagen, in diese Zeit nicht paßt: wenn die Winde in düstern Dezembertagen kalt um die Mauern pfeifen und durch die Türen des kleinen Hauses dringen, eine Mahnung an seine Bewohner, daß wenn die Welt von Elementen, die stärker als menschliche Kräfte sind, geplagt wird, sie auch Wesen einer höheren Natur besuchen – in solchen Stunden pflegte Margareth Barrett ihren Erinnerungen und ihrer Phantasie, oder beiden, ohne Rückhalt nachzugeben, und bei einer solchen Gelegenheit war es, wo sie umständlich erzählte, wie sie zu dieser gekrümmten Gestalt gekommen sei.

»Es war gerade unter allen Tagen im Jahr, der Tag vor dem Mai, wo ich hinaus in den Garten ging, die Kartoffel zu jäten. Ich wäre den Tag nicht herausgegangen, wäre ich nicht traurig und kummervoll gewesen und gerne für mich allein. Die Burschen und Mädchen im Haus lachten alle, scherzten und machten Bälle zum Schleudern oder Bänder zurecht für die Vermummten am folgenden Tage. Ich konnte das nicht ertragen. Eben erst die vergangenen Ostern, und die letzten Ostern waren es zehn Jahre, ich werde die Zeit niemals vergessen, hatte ich meinen armen Mann begraben und ich dachte daran, wie vergnügt und voller Freude ich war, so manches lange Jahr vorher eben an diesem Tage, als Robin neben mir saß und ich die Bänder für den Schleuderball schnitt und nähte, die ich den folgenden Tag den Burschen geben wollte mit dem stolzen Gefühl, allen Mädchen an den Ufern des Blackwaters vorgezogen zu werden von dem hübschesten und besten Schleuderer in dem Dorf. Ich verließ das Haus und ging in den Garten. Ich blieb da den ganzen Tag und kam nicht heim zum Essen. Ich weiß nicht, wie es war, und nur soviel, daß ich in kummervollen Gedanken immer fortfuhr zu jäten, einige von den alten Liedern singend, die ich aber und abermals in den Tagen gesungen habe, die nun dahin sind, vor dem, der nimmer zurückkehrt, sie anzuhören. Die Wahrheit zu sagen, es war mir unerträglich, hinzugehen und schweigend und finster zu Haus zu sitzen, unter Menschen, die lustig und jung waren und ihre besten Tage vor sich hatten. Es ward spät, ehe ich an die Heimkehr dachte und ich verließ den Garten erst einige Zeit nach Sonnenuntergang. Der Mond stand am Himmel, obgleich kein Wölkchen zu sehen war und hier und da ein Stern blinkte, so war der Tag noch nicht lang genug verschwunden, um helles Mondlicht zu haben; doch schien er hinlänglich, um auf einer Seite alle Dinge in des Himmels Licht bleich und silberfarbig zu machen und ein dünner Nebel begann soeben über die Felder hin zu ziehen. Auf der andern Seite, nach Sonnenuntergang zu, war noch mehr Tageslicht und der Himmel blickte ängstlich, rot und feurig durch die Bäume gleich als ob unten eine große Stadt in Brand aufloderte. Überall Schweigen, wie auf einem Kirchhof, nur dann und wann hörte man in der Ferne einen Hund bellen, oder eine eben gemelkte Kuh brüllen. Kein lebendes Wesen war zu sehen, weder auf dem Wege, noch auf dem Feld. Ich verwunderte mich erst, dann erinnerte ich mich, daß es der Abend vor dem Mai war und daß mancherlei, Gutes und Böses, in dieser Nacht umher schwärme und ich die Gefahren meiden müsse, wie jeder andre. Ich ging so rasch zu, als ich konnte und gelangte bald an das Ende der Mauer, die das Gut umgibt, wo die Bäume hoch und dicht auf jeder Seite des Wegs aufsteigen und sich meist mit den Wipfeln berühren. Mein Herz hatte ein Vorge-fühl, als ich unter ihre Schatten kam. Die Öffnung oben ließ so viel Licht herab, daß ich einen Steinwurf weit vor mir sehen konnte. Plötzlich hörte ich in den Ästen auf der rechten Seite des Wegs ein Rascheln und sah etwas, das einem kleinen schwarzen Ziegenbock ähnlich war, nur mit langen, breiten Hörnern auswärts gerichtet statt rückwärts gekrümmt; es stand auf den Hinterfüßen am Rand der Mauer und schaute auf mich herab. Der Atem stockte mir, und ich konnte mich fast eine Minute lang nicht bewegen. Ich mußte, wie es auch zuging, meine Augen unverwandt dahin richten, aber es schaute immer starr auf mich herab. Endlich nahm ich mich zusammen und ging fort, aber ich hatte noch keine zehn Schritte getan, als ich dieselbe Erscheinung auf der Mauer zu meiner linken erblickte, genau in derselben Stellung, nur noch drei- oder viermal so hoch und beinahe so groß, als der größte Mann. Die Hörner sahen schrecklich aus, es starrte mich an, wie dort. Meine Beine zitterten, die Zähne schnatterten und ich glaubte jeden Augenblick ich würde tot hinfallen. Endlich war es mir, als wäre ich gezwungen zu gehen und ich ging wirklich fort, aber ich fühlte nicht, wie ich mich bewegte oder wie meine Beine mich forttrugen. Eben als ich an der Stelle vorbei kam, wo das entsetzliche Wesen stand, hörte ich ein Geräusch, als ob etwas die Mauer herabspränge und hatte ein Gefühl, als wenn ein schweres Tier auf mich stürzte, das mit den Vorderfüßen mich fest um die Schultern packend die Hinterfüße in meinen faltigen, zusammengesteckten Rock verwickelte. Ich verwunderte mich noch und werde es tun, solange ich lebe, wie ich die heftige Erschütterung ertragen habe, aber ich fiel weder, noch schwankte ich bei der Wucht, sondern ging darauflos, als hätte ich die Stärke von zehn Männern; jedoch fühlte ich, daß ich gezwungen war, mich fortzubewegen und nicht die Macht hatte, still zu stehen, wie ich es wünschte. Doch ich keuchte ängstlich, ich wußte was ich tat, so deutlich, als ich es in diesem Augenblick weiß; ich versuchte zu schreien, doch ich konnte es nicht, versuchte zu laufen, aber es war nicht möglich, versuchte rückwärts zu schauen, aber Kopf und Nacken waren wie in einen Schraubstock gespannt. Ich konnte nur meine Augen nach beiden Seiten hindrehen und dann erblickte ich so klar und deutlich, als wäre es in vollem Licht der lieben Sonne, einen schwarzen und gespaltenen Fuß fest auf meine Schulter gelegt. Ich hörte ein leises Atmen in meinem Ohr, ich fühlte, daß bei jedem Schritt, den ich tat, meine Beine an die Füße jener Kreatur stießen, die auf meinem Rücken hing. Endlich sah ich das Haus und es war mir ein willkommener Anblick, denn ich dachte, ich würde erlöst, wenn ich es erreichte. Ich kam bald nah an die Türe, doch sie war verschlossen, ich schaute nach dem kleinen Fenster, aber es war auch verschlossen, denn sie waren an diesem Abend vorsichtiger als ich; ich sah innen das Licht durch die Spalten in der Türe, ich hörte sie drinnen reden und lachen. Ich fühlte, nur drei Ellen weit war ich von denen entfernt, die alles würden aufgeboten haben, mich zu retten. Und möge Gott mich bewahren, noch einmal zu fühlen, was ich in jener Nacht gefühlt habe! Ich fand mich gehalten von etwas, das nicht gut sein konnte, ohne Macht mir zu helfen, oder meine Freunde anzurufen, oder meine Hand auszustrecken, um zu klopfen, oder nur meinen Fuß zu heben, um an die Türe zu stoßen und sie wissen zu lassen, daß ich außen wäre. Es war, als ob meine Hände an die Seite wüchsen oder meine Füße an den Boden geheftet wären, oder als hätte das Gewicht eines Felsen sie daran befestigt. Endlich dachte ich daran, mich zu bekreuzigen und meine rechte Hand, die sonst nichts tat, tat es für mich. Die Last blieb auf meinem Rücken und alles war wie zuvor. Ich bekreuzigte mich abermals, es war immer dasselbe. Ich gab mich für verloren, doch ich bekreuzigte mich zum drittenmal und meine Hand hatte nicht sobald das Zeichen vollendet, als ich fühlte, wie die Bürde von meinem Rücken sprang. Die Türe fuhr auf, als wenn der Donner sie einschlüge und ich stürzte vorwärts gerade auf die Stirne mitten in die Flur. Als ich wieder aufstand, war mein Rücken krumm, und ich konnte mich nicht wieder gerade aufrichten von jener Nacht an, bis zu dieser Stunde.«

Es entstand eine kleine Stille, als Margareth Barrett geendigt hatte. Diejenigen, welche die Geschichte schon kannten, hatten mit dem Ausdruck halb befriedigter Teilnahme, gemischt indessen mit jenem ernsthaften und feierlichen Gefühl, welches eine Erzählung übernatürlicher Wunder erregt, sooft sie auch erzählt wird, zugehört. Sich auf ihren Sitzen bewegend verließen sie die Stellung, in welcher sie während der Erzählung verharrt hatten und nahmen eine andre an, welche zu erkennen gab, daß ihre Neugierde in Beziehung auf die Ursache dieser seltsamen Begebenheit schon längst befriedigt war. Diejenigen aber, welche sie noch nicht gekannt hatten, behielten den Ausdruck und die Stellung gespannter Aufmerksamkeit und ängstlicher, aber feierlicher Erwartung. Ein Enkel der Margareth von etwa neun Jahren (doch kein Kind des Sohnes, bei welchem sie lebte), hatte noch nie die Geschichte gehört. So wie seine Aufmerksamkeit wuchs, drängte es sich immer fester an die Seite der alten Frau und beim Schluß schaute es unverwandt nach ihr hin, mit seinem Leib über ihre Knie zurückgebogen, und sein Gesicht zu ihr hinauf gerichtet, mit einem Ausdruck, in welchem die Neigung zu weinen mit der Neugierde zu kämpfen schien. Nach einem augenblicklichen Stillschweigen konnte es nicht länger seine Neugierde bezähmen, und ihre grauen Locken mit einem Händchen fassend, während Tränen der Furcht und des Erstaunens gerade von seinen Augenwimpern herab tröpfelten, rief es: »Großmutter, wer war das?«

Margareth lächelte erst nach dem ältern Teil der Zuhörer, dann nach ihrem Enkel hin und ihm sanft über die Stirne streichelnd sagte sie:

»Es war die Phuka!«

22. Die verwünschte Burg


22. Die verwünschte Burg

Ich hatte versprochen, die Weihnachten 1820 auf der Insel Bawn Horne in der Grafschaft Tipperary zuzubringen und war dort den achtzehnten Dezember von Dublin angelangt. Müde von der Reise blieb ich zwei Tage lang bei einem Buche, das mich anzog, ruhig am Kamin sitzen.

Als ich ausging, war der erste, der mir begegnete, der alte Schmied Pierce Grace, dessen Sohn mich auf die Jagd zu begleiten pflegte.

»Willkommen hier zu Lande!« hub er an, »ich habe gestern den ganzen Tag darauf gehofft, Ew. Gnaden zu sehen.«

»Ich danke Euch, Pierce, ich bin bei der Frau vom Hause geblieben.«

»Das hörte ich«, antwortete er, »und getraute deshalb nicht, mich vor Euch zu zeigen. Johann ist bereit, Euch zu begleiten und hat Spur von einer großen Anzahl Vögel.«

Mit der Flinte in der Hand durchstreifte ich am folgenden Morgen die Umgegend und wurde von Johann, des alten Pierce Sohn, bedient. Nachdem wir einige Stunden umhergezogen waren, gelangten wir in ein gewundenes Tal, durch welches der Currihihn fließt, und erblickten die Burg von Ballinatotty, deren Grundmauern er bespült, in der Ferne.

Diese Burg ist noch immer gut erhalten und war vordem ein einigermaßen fester Platz. Hier hatte das mächtige und grausame Geschlecht O’Brian, das eine Geißel und ein Schrecken des Landes war, seinen Sitz. Die Sage hat die Namen von dreien Gliedern der Familie erhalten: Phelim mit der starken Hand, Morty mit der blutigen Hand, der Sohn, und Donough ohne Barmherzigkeit in der Finsternis, der Enkel, dessen Grausamkeiten die blutigen Taten seiner Vorfahren völlig in Schatten stellten. Von ihm wird erzählt, daß er auf einem seiner Raubzüge in das Gebiet eines benachbarten Stammhäuptlings alles, Mann und Kinder, mit dem Schwert umbrachte, die Frauen aber, nachdem sie auf seinen Befehl halb in die Erde eingegraben waren, von Bluthunden zerreißen ließ. »Gerade um seine Feinde in Furcht zu setzen«, fügte der Erzähler hinzu. Die Handlung jedoch, welche die heftigsten Verwünschungen auf ihn hervorrief, war der Mord seines Weibes, Helene mit dem Goldhaar, deren Schönheit und Freundlichkeit im ganzen Land gerühmt wurde. Sie war die Tochter des O’Kennedy von Lisnabonney Castle und schlug die angebotne Hand des Donough aus; in dieser Weigerung durch ihren Bruder Brian Oge (mit dem Beinamen der Überredende) unterstützt, wurde ihr vergönnt, unverheiratet bei ihrem Vater zu bleiben, dessen Tod sie von aller Furcht vor Zwang zu befreien schien. Doch ehe ein Monat verging, wurde Brian Oge von unbekannter Hand ermordet, bei welcher Gelegenheit Helene das gefühlvolle und wohlbekannte Trauerlied »mein Herz ist krank und schwer von Jammer« dichtete. Als sie von dem Leichenbegängnis ihres Bruders zurückkam, lauerte Donough dem Zuge auf, ihre Diener wurden niedergehauen und sie selbst sah sich genötigt, seine Frau zu werden. Helene kam zuletzt durch seine Hand um, indem er sie, der Sage nach, aus einem Bogenfenster herabstürzte, weil sie ihm mit dem Mord ihres Bruders belastet habe. Die Stelle, wo sie hinfiel, wird gezeigt und an dem Jahrestag ihres Todes, den zweiten Dienstag im August, glaubt man, besuche ihr Geist diese Stelle.

Ich gab meine Flinte ab und stieg hinauf, die Burg näher zu betrachten. Ein Fenster an der Südseite wird als dasjenige bezeichnet, aus welchem Helene sei herabgestürzt worden, doch ist es viel wahrscheinlicher, daß es von der Zinne darüber geschah, eines besondern Umstands wegen, es sind nämlich in dem Mauerwerk oben und unten regelmäßige Löcher sichtbar, woraus hervorgeht, daß zur Zeit der Erbauung Eisengitter eingefügt waren, mithin das Fenster nicht offen sein konnte.

Nachdem meine Neugierde befriedigt war, stand ich im Begriff, den Ort wieder zu verlassen, als ich eine Öffnung in einer Ecke nach Südosten bemerkte. Ich geriet in Versuchung nachzuforschen, und fand eine enge Steintreppe, welche zu einer Schlafkammer führte. Diese Kammer war von einem Dachshund und seiner ganzen jungen Brut besetzt. Gereizt durch mein Eindringen ging die Alte auf mich los und da ich ohne Mittel zur Verteidigung war, mußte ich mich schleunig zurückziehen. Wie weit mich das wütende Tier verfolgte, kann ich nicht sagen, denn bei meiner übereilten Flucht, als ich die zweite Steintreppe herabstieg, glitt mein Fuß aus und ich rollte durch eine breite Öffnung in einen Raum, der wahrscheinlich sonst als Behälter gedient hatte. Doch die Gefahr, in welche ich jetzt geriet, war viel größer, als jene, welcher ich entfloh, denn der Boden dieses Gemachs befand sich im höchsten Grad von Verfall. Eine Katze würde kaum ohne Gefahr darüber weggeschlichen sein und bei der Gewalt, mit welcher ich anlangte, konnte die vermoderte Oberfläche nicht mehr Widerstand leisten, als ein Spinnengeweb; ich stürzte hindurch und in die finstere Tiefe hinab. Eine Menge Fledermäuse, welche meine plötzliche Ankunft auf-störte, schwangen ihre Flügel und umschwirrten mich.

Als ich wieder zu Besinnung kam, drangen verwirrte Klänge menschlicher Stimmen in meine Ohren und ich unterschied darauf eine weibliche, welche mit dem Ton der liebreichsten Zärtlichkeit sagte: »Er ist gerettet! Er ist gerettet! Das Leben kehrt zurück!« Ich schlug die Augen auf und fand mein Haupt in dem Schoße eines Bauernmädchens von achtzehn Jahren liegen, welches meine Schläfe rieb. Gesundheit oder Besorgnis gaben ihren milden, aber ausdrucksvollen Zügen eine eigene Glut und ihr hellbraunes Haar war einfach über die Stirne gescheitelt. Auf einer Seite stand ein alter Mann, ihr Vater, mit einem Bund Schlüssel, und an der andern kniete Johanne Grace mit einer Schale gebranntem Wasser, welches sie anwendete, mich wieder zu mir selbst zu bringen. Ich blickte mich um und bemerkte, daß wir uns auf einem Felsen in der Nähe der Burg befanden und der Fluß zu unsern Füßen floß. Verschiedene Ausrufungen der Freude folgten und der alte Mann bestand darauf, als Johann die Schale wegschütten wollte, daß ich einen Schluck davon nähme; nachdem ich das getan und mich aufgerichtet hatte, dankte ich ihnen und bot eine geringe Belohnung in Geld an, doch sie wollten nichts nehmen. »Gewiß und wahrhaftig«, sagten sie,»wir hätten mit Freuden zehnmal so viel für Ew. Gnaden getan, ohne Belohnung oder Vergeltung.«

Ich fragte hierauf, wie sie mich gefunden hätten. »Da ich dachte«, antwortete Johann, »daß Ew. Gnaden sich einige Zeit in den Gängen und Ecken der Burg umsehen wollten, so machte ich die Runde, um mit Hannchen da ein wenig zu schwätzen und wie wir so über dieses und jenes redeten, und Hannchen mir gerade sagte, die Jungen, ihre Brüder, hätten im Fluß gefischt und einen ganzen Zuber voll großer Aale gefangen, und wenn ich dächte, der gnädigen Frau geschähe ein Gefallen damit, so könnte ich soviel davon nehmen, als ich Lust hätte und es sollte ihnen lieb sein; als wir ein gewaltiges Getöse und Krachen hörten. ‚Was ist das?‘ rief ich. ‚Ich denke‘, antwortete Hannchen, ‚das alte, graue Pferd hat sich totgefallen oder es ist Paddy’s spanischer Hund, der umher springt, es ist nicht zu sagen, was für Verdruß mir der macht; sie sind beide in dem Torfhaus neben uns.‘ Sie meinte den untern Teil der Burg, in welchen Cromwell Bresche schoß und neben welchem die Hütte stand.«

»Eben kam Thomas Hagerty daher und wir hörten einen Schrei. ‚Das ist des Herrn Stimme‘, sagte ich, ‚er ist durch die Flur gefallen.‘ ‚Ach! wenn das ist‘, rief Thomas, ’so bin ich auf immer verloren. Noch vorigen Montag hieß mich mein Herr die Treppe herstellen, oder, sagte er, es könnte da jemand sich totstürzen und wahrhaftig, ich gedachte es morgen am Tag zu tun.‘ Wir holten ein Licht und sahen die Phukas, welche die Ursache eures Falls waren, in Gestalt von Fledermäusen fortfliegen, und da fanden wir Ew. Gnaden und Torf überall auf dem Platz, und gewiß und wahrhaftig, wenn ihr nicht zuerst darauf gefallen wärt, sondern auf die Knochen, die Paddy und Michael von der Hochzeit des jungen Herrn da aufgesammelt hatten, ihr wärt ganz zerschmettert. Wir alle waren in Eifer und Verwirrung über die verwünschten Phukas, die da waren, und wußten nicht, was wir anfangen sollten. Doch Hannchen gab den Rat, Euch an die frische Luft zu bringen und das taten wir auch und, Gott sei gedankt! unserer Sorge und Bemühung gelang es, Euch wieder ins Leben zu bringen, aber es dauerte verzweifelt lang und mir kam es vor, als sei es so gut als aus mit Euch.«

Das Land der Jugend


Das Land der Jugend

(Siehe auch die Anmerkungen)

Wenn man aus der Stadt Cork geht, unweit der Galgenwiese, liegt ein großer See, auf dem sich Winters das Volk mit Schlittschuhlaufen ergötzt, aber die Lust über dem Wasser ist nichts in Vergleich mit der, die darunter ist, denn auf dem Boden dieses Sees stehen Gebäude und Gärten, die prächtigsten, die man je gesehen. Wie sie dahin kamen, hat sich folgendermaßen zugetragen.

Lange bevor ein sächsischer Fuß irischen Grund betrat, lebte ein großer König namens Corc; sein Schloß stand da, wo jetzt der See ist, in einer grünen, meilenbreiten Aue. Mitten im Burghof befand sich ein Springbrunnen so reinen, klaren Wassers, daß es ein Wunder war. Der König freute sich auch nicht wenig, eine solche Merkwürdigkeit in seinem Schlosse zu besitzen; als aber die Leute in Haufen herbei kamen von fern und von nah, das köstliche Wasser dieses Brunnens zu schöpfen, fürchtete er, daß es mit der Zeit versiegen möchte. Er befahl eine hohe Mauer rundherum zu bauen und wollte niemand mehr zu dem Wasser lassen, was ein großer Schaden für die armen Leute war, die in der Gegend wohnten. So oft er aber selbst Wasser brauchte, sandte er seine Tochter hin, es zu holen und vertraute den Schlüssel zu der Quelltüre keinem seiner Diener, aus Besorgnis, sie könnten etwas davon weggeben.

Eines abends feierte der König ein großes Fest, viele Fürsten waren zugegen, Grafen und Edelleute ohne Zahl, das ganze Schloß war voll Herrlichkeit, Freudenfeuer stiegen in die Wolken auf, der Tanz drehte sich und so süße Musik ging dazu, daß sie die Toten aus ihren Gräbern hätte wecken mögen; Speisen standen für jeden bereit, der hereinkam und niemand wurde von dem Schloßtor zurückgewiesen, jedem rief der Pförtner »willkommen, herzlich willkommen!« entgegen.

Nun geschah es aber, daß bei diesem großen Feste auch ein junger Prinz erschienen war, lieblich von Ansehen, so schlank und gerade, wie sich ihn nur ein Auge wünschen möchte zu erblicken. Recht lustig tanzte er den Abend mit des alten Königs Tochter auf und nieder, federleicht und die Füße so zierlich setzend, daß es allgemeine Bewunderung auf sich zog. Die Musikanten spielten aufs beste, um einem solchen Tanze Ehre zu machen und jene tanzten, als stände ihr Leben darauf. Nach dem Tanz folgte das Abendessen, der junge Prinz saß seiner schönen Tänzerin zur Seite und so oft er mit ihr sprach, lächelte sie ihm zu, er tat es aber lange nicht so oft, als sie wünschte, denn er mußte sich vielmals zu der Gesellschaft umdrehen und für die Komplimente danken, die seiner schönen Tischgefährtin und ihm gemacht wurden.

Mitten in der Mahlzeit sagte einer von den großen Herrn zu dem König Corc: »Mit eurer Majestät Erlaubnis, alles ist hier im Überfluß, was das Herz sich wünschen mag, beides zu essen und zu trinken, nur kein Wasser.«

»Wasser!« sagte der König mit Wohlgefallen darüber, daß jemand das forderte, woran absichtlich Mangel gelassen war: »Wasser sollt ihr gleich haben und von so köstlicher Art, daß ich die ganze Welt auffordere, ein gleiches vorzuweisen. Tochter«, rief er, »geh, hole welches, in dem Goldeimer, den ich dazu habe machen lassen.«

Die Königstochter, welche Fior Usga (Springwasser) hieß, schien eben nicht zufrieden damit, heute vor so vielen Leuten diese gemeine Hausarbeit zu übernehmen. Sie wagte nicht ihres Vaters Geheiß zu widerstreben, aber sie zögerte, auf den Boden schauend. Der König, welcher seine Tochter sehr liebte, merkte ihre Verlegenheit und es tat ihm leid, daß er es von ihr begehrt hatte, doch sein königliches Wort durfte er nicht zurücknehmen, er sann auf ein Mittel, sie gleich dahin zu bringen, daß sie das Wasser holte und fiel auf den Gedanken, der Prinz, ihr Tischgesell solle sie begleiten. Mit lauter Stimme sagte er: »Meine Tochter, mich wundert nicht, daß du dich fürchtest allein auszugehen so spät in der Nacht, der junge Prinz dir zur Seite, hoffe ich, wird dich begleiten.« Der Prinz hörte das mit Vergnügen und den Goldeimer an die eine Hand nehmend, mit der andern die Königstochter aus dem Saal führend, zog er die Blicke aller Gäste auf sich.

Als sie zu dem Wasserbrunnen im Schloßhof kamen, schloß die schöne Usga das Tor sorgfältig auf, bückte sich mit dem Goldeimer und wollte Wasser schöpfen, aber das Gefäß wurde ihr so schwer, daß sie das Gleichgewicht verlor und in den Brunnen stürzte. Vergeblich strebte der junge Prinz sie zu retten, das Wasser stieg und stieg so mächtig, daß es schnell den ganzen Schloßhof einnahm, außer sich eilte er zurück zu dem König.

Das Brunnentor war offen geblieben und das lang verschloßne Wasser, froh über die erlangte Freiheit, rauschte unablässig herein, stieg jeden Augenblick höher und war in dem Gastsaal so schnell wie der junge Prinz selbst, dergestalt, daß, wie er versuchte mit dem König zu reden, er bis an den Hals im Wasser stand. In die Länge stieg das Wasser zu solcher Höhe, daß es die ganze grüne Aue, in welcher des Königs Schloß lag, erfüllte und so wurde der jetzige See von Cork gebildet.

Aber der König und seine Gäste ertranken nicht, noch seine Tochter, die schöne Usga, sondern die nächste Nacht nach dem schreckenvollen Ereignis kehrte sie zum Festgelag zurück und seitdem jede Nacht geht das Fest und der Tanz an in dem Boden des Sees und wird so lange dauern, bis es einem gelingt, den Goldeimer heraus zu bringen, der die Ursache des Unheils war.

Und niemand kann zweifeln, daß dies Gericht darum über den König erging, weil er den Brunnen im Schloßhof den armen Leuten verschlossen hatte. Wer aber der Sage nicht glaubt, gehe hin an den See, wenn das Wasser niedrig und hell steht, so wird er mit guten Augen die Turmspitzen und andere Häuser in der Tiefe erblicken.

24. Der See Corrib


24. Der See Corrib

(Siehe auch die Anmerkungen)

Nicht weit von dem See Corrib in der Grafschaft Galway lebte ein junges Paar, Cormak und Marie, die sich zärtlich liebten und deren Glück nichts im Wege zu stehen schien. Ihr Hochzeitstag war schon bestimmt, als Marie plötzlich verschwand, niemand wußte wohin. Sie war ausgegangen und abends zu der gewöhnlichen Stunde nicht wieder nach Haus gekommen, und als ihre Eltern, während Sorge und Angst jede Minute wuchs, vergeblich die ganze Nacht auf sie gewartet und auch der helle Morgen ihr geliebtes Kind nicht zurückgeführt hatte, so gaben sie alle Hoffnung auf, und der nagende Schmerz über ihren Verlust wurde noch geschärft durch den Gedanken, daß ein Sturz in Abgründe oder sonst ein jämmerlicher, qualvoller Tod ihrem jungen Leben ein Ende gemacht habe.

Wer vermag Cormaks Schmerz und Verzweiflung zu beschreiben! Er irrte weit und breit umher, die heimlichsten und unzugänglichsten Orte suchte er auf, doch es schien, wenn auch Wald und Feld, Bäume, Blumen und Steine die Sprache erhalten hätten, sie würden nichts von ihr haben sagen können; kein lebendes Wesen hatte sie erblickt und alle Spur von ihrem Dasein war verschwunden.

Von nun an ging er jeden Abend hinaus zu dem See Corrib, setzte sich auf die Felsen am Ufer, wo die wildesten und traurigsten Gedanken, wahnsinnige Wut und lebloses Erstarren, sich abwechselnd seiner Seele bemächtigten und sie in immer tiefere Verwirrung senkten.

»Nein, sie ist nicht tot!« rief er aus, »sie lebt, das dunkle Grab hat kein Verlangen nach dieser reinen Taube, die schneeweiß und unschuldig ist und ohne Sünde; der Tod zielt nur nach jenen, deren Seele gereinigt werden soll. Sie lebt hier unter dem Wasser des Corribs, bei jeder Welle, die daher rauscht, höre ich ihre Stimme und vernehme die Lieder, die ich sie selbst gelehrt habe. Kalt ist der Felsen, auf dem ich sitze, frostig wehen die Winde mich an, Nebel bedeckt das dunkle Gewässer, aber ihr Herz ist noch kälter! Warum kehrt sie nicht zu mir zurück? Ach! harte, entsetzliche Zauberworte halten sie gebannt!«

Einmal lag der See in der tiefsten Ruhe. Nur eine einzige weiße Welle rollte sanft darüber hin. Sie kam näher und näher bis zu Cormaks Sitze. Da schien es ihm, als entwickle sich daraus ein ganzer Zug wunderbarer Gestalten. Der Vollmond leuchtete so hell darüber hin, daß er imstand war, sie deutlich zu unterscheiden, und doch waren die Gestalten so zart und luftig, daß der Strahl des Mondes ungehindert durch sie drang. Vor ihnen entfaltete sich flatternd eine Fahne, dann folgte ein langer Zug in prächtiger Rüstung, Helme und Speere leuchteten in höchstem Glanz und deutlich war zu sehen, wie der Widerschein davon auf dem leicht zitternden Wasserspiegel in beständiger Bewegung hin und her schwankte. Sie saßen auf geschmückten Rossen, welche auf dieser pfadlosen Bahn in die Höhe stiegen und wild sich bäumten, während über ihren Häuptern wallende Düfte hingen, deren Säume in den Farben des Regenbogens schimmerten. Rührte ein leiser Wind daran, so lösten sich schillernde Flöckchen ab und zitterten in dem sanften Luftstrom. Kein Schweigen herrschte, es erhob sich ein langsamer, feierlicher Gesang, dessen Töne in unaussprechlicher Süßigkeit leis und doch mächtig heranschwollen. Bei diesem Gesang bewegte sich die ganz luftige Schar in anmutiger Leichtigkeit.

Cormak saß und starrte die Erscheinung an, seine betäubten Sinne wußten nicht, ob er sich selbst mit diesem Blendwerk täusche, oder ob es wirklich vor ihm nach dem Takt der Musik auf- und abwalle, bald in höchster Lust anschwellend, bald dahinsterbend, als spotte es seiner.

Endlich sich ermannend rief er mit lauter Stimme: »Christ, rette ihre Seele!« und kaum war der geheiligte Namen über seine Lippen gekommen, als ein furchtbares Geheul und teuflisches Geschrei antwortete und die ganze Erscheinung verschwand. Neben ihm am Ufer stand Marie, schöner als je, frei durch das eine Wort von aller Macht des Zaubers und ihm zu neuem Leben und neuer Liebe zurückgegeben.

25. Die Kuh mit den sieben Färsen


25. Die Kuh mit den sieben Färsen

(Siehe auch die Anmerkungen)

Lorenz Cotter besaß ein kleines Gut in der Gegend von dem See Gur und gedieh dabei, denn er war ein guter, fleißiger Mann, der bis an seinen Tod still und ruhig darauf gelebt haben würde, wenn ihn nicht ein Unglück betroffen hätte, von dem ihr sogleich hören sollt. Nah am Wasser gehörte ihm ein feines Stück Wiesenland, wie man es sich nicht besser wünschen kann, um dessen Ertrag er aber schmählich gebracht wurde und niemand konnte sagen, durch wen. Ein Jahr um das andere fand es sich immer auf dieselbe Weise zu Grund gerichtet. Die Einfriedigung war im gehörigen Stand und kein Grenzstein verrückt; des Nachbars Vieh konnte keinen Schaden gestiftet haben, denn es war gekoppelt; aber wie es nun geschehen mochte, das Gras auf der Wiese wurde zu großem Verluste Lorenz völlig verdorben.

»Was in der weiten Welt soll ich nur anfangen?« sagte Lorenz Cotter zu Thomas Welch, seinem Nachbar, einem ehrsamen Mann: »Das bißchen Wiese, wofür ich schwere Abgaben entrichten muß, bringt mir so viel wie nichts ein und die Zeiten sind bitter schlecht genug, sie brauchten nicht noch schlimmer zu werden.«

»Ihr redet wahr, Lorenz« versetzte Welch, »die Zeiten sind bitter schlecht, aber ich glaube, wenn ihr bei Nacht wachen wolltet, ihr könntet bald dahinter kommen; Michel und Diether, meine beiden Jungen, sollen mit euch wachen, es ist zum Erbarmen, daß ein so ehrlicher Mann, wie ihr seid, auf so schimpfliche Weise zugrunde gehen sollte.«

Dieser Übereinkunft gemäß nahmen die folgende Nacht Lorenz Cotter und Welch’s beide Söhne ihren Posten in einer Ecke der Wiese. Es war eben Vollmond, der sein Licht über den ruhigen See ergoß, kein Wölkchen war am Himmel zu sehen, kein Laut zu hören, als der Schrei der Wachteln, die sich einander über das Wasser hin zuriefen.

»Jungen, Jungen!« sagte Lorenz, »schaut auf, schaut auf, aber ums Leben macht kein Geräusch und rührt euch keinen Schritt, bis ich das Wort sage.«

Sie schauten und sahen eine dicke fette Kuh in Begleitung von sieben milchweißen Färsen über die glatte Fläche des Sees sich nach der Wiese zu bewegen.

»Das ist nicht Tim Dwyers, des Pfeifers Kuh, die sich alles Fleisch von den Knochen getanzt hat«, flüsterte Michel zu seinem Bruder.

»Ihr Jungen«, sprach jetzt Lorenz Cotter, der die saubere Kuh mit ihren sieben weißen Färsen schönstens auf der Wiese angelangt sah, »sucht mir zwischen sie und den See zu kommen, wir wollen sie geradezu in den Pfandstall treiben, gleichviel wem sie gehören.«

Die Kuh mußte aber diese Worte vernommen haben, denn augenblicklich wendete sie sich in größter Eile zu dem Ufer des Sees und sprang hinein vor ihrer aller Augen; hinter ihr liefen die sieben Färsen, doch die Jungen gewannen ihnen den Vorsprung ab und hatten große Mühe, sie von dem See weg zu Lorenz Cotter hinzutreiben.

Lorenz trieb die sieben Färsen in den Pfandstall, es waren prächtige Tiere, und nachdem er sie daselbst drei Tage lang gehalten hatte, ohne daß sich ein Eigentümer meldete, so nahm er sie heraus und brachte sie auf eines seiner Grundstücke. Sie wuchsen und gediehen mächtig, bis in einer Nacht das Gatter offen gelassen wurde und des morgens die sieben Färsen fort waren. Lorenz konnte nichts wieder von ihnen in Erfahrung bringen und ohne Zweifel waren sie in den See zurück gegangen. Woher sie nun kamen und welcher Welt sie zugehörten, Lorenz bekam ihretwegen kein Hälmchen Gras mehr von der Wiese. Aus Verdruß gab er sich ans Trinken und der Trunk, sagt man, hat ihn getötet.