27. Die Erscheinungen des O’Donoghue


27. Die Erscheinungen des O’Donoghue

(Siehe auch die Anmerkungen)

Ehemals zu einer Zeit, die schon so lange dahingeschwunden ist, daß sie nicht genau mehr kann bestimmt werden, herrschte in dem Land, welches den reizenden See Lean, der jetzt See von Killarney heißt, umgibt, ein Fürst namens O’Donoghue. Weisheit, Wohlwollen und Gerechtigkeit zeichneten seine Regierung aus, Glück und Wohlfahrt seiner Untertanen waren die natürlichen Folgen davon. Er soll eben so berühmt geworden sein durch Heldentaten im Krieg, als durch Tugenden des Friedens und zum Beweis, daß die Milde seiner Regierung der Strenge keinen Abbruch tat, wird Fremden eine Felseninsel gezeigt, die O’Donoghue’s Gefängnis heißt, weil er einmal seinen eigenen Sohn wegen eines unordentlichen und ungehorsamen Betrages dahin verwies.

Sein Ende, denn man kann nicht eigentlich sagen sein Tod, war seltsam und geheimnisreich. Auf einem jener glänzenden Feste, die seinen Hof verherrlichten, umgeben von seinen ausgezeichnetsten Untertanen, kam ein prophetischer Geist über ihn und er sagte voraus, was in den zukünftigen Zeiten geschehen würde. Seine Zuhörer horchten, bald von Staunen ergriffen, bald in Unwillen entbrannt, bald glühend vor Scham oder von Kummer gebeugt, je nachdem er die Tapferkeit, die Ungerechtigkeiten, die Verbrechen und das Elend ihrer Nachkommen offen verkündigte. Mitten in diesen Prophezeiungen erhob er sich langsam von seinem Sitz, bewegte sich in feierlichen, gemessenen und majestätischen Schritten nach dem Ufer des Sees und ging ruhig auf der Oberfläche des Wassers fort, das unter seinen Füßen nicht wich. Als er beinahe die Mitte erreicht hatte, blieb er einen Augenblick stehen, dann kehrte er sich langsam um, schaute zurück nach seinen Freunden und die Arme gegen sie bewegend, wie wenn jemand mit liebreicher Gebärde einen kurzen Abschied nimmt, entschwand er ihren Blicken.

Das Andenken an den guten O’Donoghue ist von den folgenden Geschlechtern sorgsam und mit Ehrfurcht bewahrt worden. Man glaubt, jedesmal am ersten Mai, dem Jahrestage seines Scheidens, morgens bei Sonnenaufgang, komme er wieder, sein altes Reich zu besuchen. Nur wenigen Begünstigten ist in der Regel vergönnt, ihn zu sehen und wem diese Auszeichnung zuteil wird, der betrachtet sie als eine glückliche Vorbedeutung. Ist es vielen gestattet, so gilt es als sicheres Zeichen reichlicher Ernte, ein Segen, dessen Mangel während der Regierung dieses Fürsten von seinem Volke niemals gefühlt wurde.

Einige Jahre waren verstrichen seit der letzten Erscheinung des O’Donoghue. Der April war diesmal auffallend wild und stürmisch gewesen, doch am Morgen des ersten Mais hatte sich die Wut der Elemente gelegt. Die Luft wehte sanft und still und der Himmel, der sich in dem reinen See spiegelte, glich einem schönen doch trügenden Antlitz, dessen Lächeln nach den heftigsten Bewegungen den Unkundigen zu glauben verleitet, daß es einer Seele angehöre, die noch von keiner Leidenschaft sei zerrissen worden.

Die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne vergoldeten eben den hohen Gipfel des Glenaa, als das Gewässer bei dem östlichen Ufer des Sees plötzlich und heftig bewegt wurde, obgleich der übrige Teil seines Spiegels ruhig und still lag, wie ein Grabmal von geglättetem Marmor. Im nächsten Augenblick schoß eine schäumende Welle vorwärts und glich einem stolzen Streitroß mit hoch gekämmten Mähnen; übermütig in ihrer Kraft, rauschte sie über den See nach dem Tumies Gebürge hin. Hinter dieser Woge erschien ein herrlicher, völlig bewaffneter Krieger, auf einem milchweißen Pferde sitzend. Schneeige Federn wallten prächtig von einem Helm aus glänzendem Stahl und über seinen Rücken flatterte eine hellblaue Binde. Das Roß, sichtbar stolz auf seine edle Last, sprang hinter der Welle auf dem Wasser daher, welches ihn wie festes Land trug, während Bogen von Schaum, der glänzend in der Morgensonne schimmerte, bei jedem Sprunge aufsprützten.

Der Krieger war O’Donoghue. Hinter ihm her kam eine zahllose Menge Jünglinge und Mädchen, welche sich leicht und ohne Anstrengung auf der Oberfläche des Sees bewegten, wie Elfen im Mondschein über luftige Gefilde dahingleiten. Sie waren durch Gewinde köstlicher Frühlingsblumen verbunden und ihre Schritte folgten dem Takte einer bezaubernden Melodie. Als O’Donoghue beinahe die westliche Seite des Sees erreicht hatte, wendete er plötzlich das Pferd und richtete seinen Lauf längs dem waldbekränzten Gestade von Glenaa hin, vor ihm her die mächtige Woge, die wallend bis zu dem Nacken des Pferdes aufschäumte, dessen feurige Nüstern darüber weg schnaubten. Der lange Zug der Diener folgte mit lustigen Seitensprüngen der Spur des Führers und bewegte sich in unermüdlicher Lebhaftigkeit nach den Akkorden der himmlischen Musik, bis sie nach und nach, bei ihrem Eintritt in die schmale Enge zwischen Glenaa und Dinis in die Nebel, welche allezeit über einem Teil der See schweben, eingehüllt wurden und vor den Augen der staunenden Zuschauer erblaßten. Doch die Töne der Musik erreichten immer noch ihre Ohren, und das Echo, welches diese melodischen Weisen erfaßte, wiederholte sie eifrig und verlängerte sie in immer sanftem Klängen, bis endlich der letzte, schwache Laut dahin starb und die Zuhörer wie aus einem seligen Traum erwachten.

Anmerkungen


Anmerkungen

1. Das weiße Kalb

Der Berg wird im Irischen Knocksheogowna genannt, welches wörtlich übersetzt der Berg des Elfenkalbs heißt. Die seltsamen und auffallenden Erscheinungen wie z. B. der Lachs mit der Halsbinde, sind kein Zusatz, sondern genau nach den mündlichen Erzählungen beibehalten und dienen zugleich als Beispiel von der wunderlichen Einbildungskraft der Einwohner; es gibt ein im südlichen Irland wohlbekanntes Lied von Castle Hyde, in welchem sogar vorkommt: »die Forelle und der Lachs spielten im Brett zusammen.«

Das Märchen hat Verwandtschaft mit dem deutschen von dem Jungen, der nicht weiß, was Fürchten ist und den durchaus kein Hexenspuk in Schrecken setzen kann, weniger in der Fabel als im Charakter. S. Hausmärchen Nr. 4 und die Anmerkungen dazu.

2. Die erzürnten Elfen

Knockfierna heißt soviel als: Berg der Wahrheit, des Rechts und diesen Sinn setzt auch die Redensart voraus: »geh nach Knockfierna und du wirst sehen, wer Recht hat!« welche gewöhnlich gebraucht wird, wenn sich jemand durchaus nicht will überzeugen lassen.

Die literary gazette vom 11ten Septbr. 1824 erzählt diese Sage auch, doch nicht ganz genau, so wie sie in der Erklärung des Namens irrt, den sie »Berg der Elfen« übersetzt.

Caroll O’Daly ist in den irischen Sagen und Liedern wohl bekannt, wie überhaupt sein Geschlecht wegen seines Muts und der Geschicklichkeit in der Bardenkunst berühmt war. Er soll eine Volksmelodie erfunden und gesungen haben bei einer Begebenheit, welche in dem Leben von Cormac Common erzählt ist, welches man in Walkers Abhandlung über die irischen Barden findet. Ein beliebtes irisches Lied besingt, was ihm an den Ufern des Sees Lean (von Killarney) mit einer Sheban oder einem weiblichen Geist begegnet ist. Eine andre Erzählung von ihm in Miss Brooke’s Relics of irish poetry p. 13, wovon wahrscheinlich ein irisches Manuskript vorhanden ist, welches zu der schottischen Ballade of the Gay Goss Hawk in der Sammlung von Walter Scott (II. 273.) angeführt wird.

3. Fingerhütchen

Knockgrafton, nach der Aussprache des Volks, sollte O’Briens irischem Wörterbuch zufolge vielmehr Knockgraffan oder Raffan geschrieben sein; daselbst wird auch bemerkt, daß dies in alten Zeiten ein Haus der Könige von Munster gewesen und hierhin der berühmte Cormac Mac Airt als Gefangener sei gebracht worden.

Die Worte des einfachen Gesanges bezeichnen die Wochentage: Montag, Dienstag und Mittwoch und mußten eigentlich geschrieben sein: Dia Luain, Dia Mairt, agus Dia Ceadaoine.

Die Melodie, welche hier folgt, hat A. D. Roche aufgezeichnet, sie ist ohne Zweifel alt und wird gemeinlich von jedem geschickten Erzähler gesungen, um den Eindruck zu erhöhen:

Unter Fingerhut (lusmore, wörtlich: das große Kraut) ist die zierliche pupurea digitalis gemeint, welche das Volk Elfenkäppchen nennt, weil die Mützen der Elfen ihren Blüten ähnlich sein sollen. Mit dieser Pflanze ist noch mancher Aberglaube verbunden, namentlich soll sie überirdische Wesen grüßen, indem sie zum Zeichen der Anerkenntnis ihren hohen Stengel beuge.

Es gehört zu jener Reihe von Märchen, in welchen dargestellt wird, daß die Geister nur den Guten Glück gewähren, und dem Bösen dieselbe Gunst, wenn er sie fordert, zum Bösen ausschlägt. Vergl. die Anmerkungen im 3ten B. der Hausmärchen, S. 155.

4. Die Mahlzeit des Geistlichen

Thiele in dem 4ten Band der dänischen Volkssagen erzählt eine ähnliche Geschichte. In einer Nacht reiste ein Geistlicher nach Rothschild auf Seeland und der Weg führte an einem Berg vorbei, in welchem Tanz und Musik war und man sich sehr lustig machte. Einige Zwerge sprangen plötzlich heraus, hielten den Wagen an und fragten den Geistlichen:

»Wo willst du hin?«

»Auf die Kirchenversammlung«, antwortete er. Sie fragten ihn, ob er glaube, daß sie selig würden. Er erwiderte, daß er hierüber sogleich Entscheidung nicht geben könne. Hierauf baten sie ihn, er möge übers Jahr ihnen die Antwort mitteilen. Als sie bei seiner Rückkehr dieselbe Frage taten, versetzte er: »Nein, Ihr seid alle verdammt!« Kaum hatte er das Wort gesprochen, so stand der ganze Berg in Flammen.

Aus dem schottischen Hochland enthält Stewarts Werk gleichfalls diese Sage S. 58-62. Ein frommer Geistlicher hatte einem Sterbenden Beistand geleistet und mußte spät in der Nacht auf dem Heimweg durch eine Gegend, in welcher die Elfen hausten. Der Weg ging eine Strecke neben einem See her, als er an das Ende desselben kam, wurde er von einer melodischen Musik überrascht. Vergnügen und Neugierde bewogen ihn, stillzustehen, bald kam die Musik und ein Licht näher und über den See zu ihm her und er unterschied eine Gestalt, die auf der Oberfläche des Wassers daherschritt, von einer Menge kleiner Musikanten umgeben, wovon ein Teil Lichter trug, der andre musikalische Instrumente, auf welchen sie spielten. Der Anführer entließ seine Diener und betrat das Ufer. Es war ein kleiner Mann mit grauem Haar und seltsamer Kleidung. Er trat grüßend zu dem Geistlichen, der ihn einlud sich neben ihn zu setzen und fragte: »Wer bist du, Fremder, und wo kommst du her?« Er antwortete, er sei einer aus dem guten Volk, doch der umgekehrte Name würde schicklicher sein. Ursprünglich ein Engel und des Lichtes teilhaftig, habe er sich von dem Teufel verführen lassen und sei zur Strafe mit einer unzähligen Menge seinesgleichen herabgeworfen worden, um über Seen und Berge zu wandern bis zu dem großen Tage des Gerichts; sie wüßten nicht, was ihr Schicksal sein würde, aber sie fürchteten das schlimmste. Er fragte hierauf mit Ängstlichkeit den Geistlichen, was seine Meinung sei. Dieser ließ sich in eine lange Unterredung mit dem Elfen ein, welcher ihm das Unser Vater hersagen mußte, wo er aber nicht aussprechen konnte: »der du bist im Himmel«, sondern sprach: »der du warst«; zuletzt gestand der Geistliche, daß er es nicht wage, ihm Hoffnung zu einer Verzeihung zu machen, weil ihr Verbrechen zu groß sei. Hierauf stieß der unglückliche Elfe einen Schrei der Verzweifelung aus und stürzte sich kopfüber in den See.

5. Der kleine Sackpfeifer

Wenn der Wechselbalg auf eine Schaufel gelegt werden soll, oder sonst gequält, so geschieht es in der Absicht, die Elfen dadurch zu nötigen, das gestohlene Kind wieder zu bringen. In Dänemark heizt die Mutter den Ofen, setzt das Kind auf den Schieber und droht, es hineinstecken zu wollen, oder sie haut es tüchtig mit einer Rute oder wirft es ins Wasser. In Schweden bedient man sich einer Weise, die mit der irischen sehr übereinkommt, indem man es auf eine Schaufel setzt. Ihre merkt an (de superstitionibus hodiernis): von Wechselbälgen: tales subinde morbosos infantes esse judicant; quos si in fornacem ardentem se injicere velle simulaverint, aut si tribus diei Jovis vesperis ad Trivium deportentur, proprios se accepturos credunt.

Vertauscht wird allezeit das Kind, bevor es getauft ist und man schützt es am besten, wenn man bei ihm wacht, ein brennendes Licht unterhält, ein Kreuz über Türe und Wiege schlägt und einige Stückchen Eisen, eine Nadel, einen Nagel, ein Messer, in die Wiege legt. – In Thüringen wird als ein unfehlbares Mittel betrachtet, daß man des Vaters Unterkleider an die Mauer hängt. Es ist ein Aberglaube in Irland, daß man keine Katze mitnehmen dürfe, wenn man auszieht, besonders wenn man über einen Fluß gehen muß.

Der kleine Sackpfeifer ist Hans mein Igel im deutschen Märchen (Nr. 108.), der gleichfalls von seinem Vater einen Dudelsack verlangt und darauf kunstreich spielt. Noch deutlicher ist die Übereinstimmung mit deutschen Sagen (S. unsere Sammlung I., Nr. 81. u. 82.) von Wechselbälgen, die, als sie ans Wasser oder über eine Brücke kommen, hinabspringen und darin wie in ihrem Element lustig spielen, während in demselben Augenblick das rechte Kind frisch und gesund von der Mutter in der Wiege gefunden wird.

Eine der ältesten Fabeln vom Wechselbalg ist die in dem plattdeutschen Gedicht von Zeno (Bruns Sammlung S. 26 ff.) Der Teufel entführt das ungetaufte Kind und legt sich in dessen Wiege, saugt aber die Brüste der Mutter so aus, daß sie ihn mit ihrer Milch nicht stillen kann. Ammen werden zur Hilfe genommen und da auch sie dem unersättlichen Balg nicht hinreichen, Kühe zu seiner Nahrung gekauft. Die Eltern müssen ihr ganzes Vermögen zur Auffütterung des falschen Kindes anwenden und zusetzen.

Was die Dichter, der christlichen Ansicht gemäß, dem Teufel zuschreiben, legt das Volk in Sagen und Liedern den Elfen und Zwergen bei. Der Norden ist voll von Erzählungen solcher Umtauschungen (umskiptingar), denen neugeborne, ungetaufte Kinder ausgesetzt sind, vergl. die faroische Liedersammlung p. 294.

6. Die Brauerei von Eierschalen

In Grose’s Provincial Glossary wird dasselbe Märchen mit einigen unwesentlichen Abweichungen erzählt. Die Stelle nämlich der grauen Lene nimmt ein alter Mann ein, und die Mutter des Wechselbalgs, anstatt die Eierschalen zu brauen, bricht ein Dutzend Eier entzwei und stellt die vier und zwanzig halbe Schalen vor das Kind hin, welches ausruft:

»Sieben Jahre war ich alt, eh ich zur Amme kam und vier Jahre habe ich seitdem gelebt und doch habe ich niemals so viel Milchpfannen gesehen!« Das übrige stimmt überein. Auch in W. Scotts Minstrelsy of the scottish Border II. 173.

Ein deutsches Märchen, an sich offenbar dasselbe (Hausmärchen 39, III), hat den feinen Zug voraus, daß die Mutter ihr rechtes Kind zurückerhält, so wie es ihr gelingt, den Wechselbalg zum Lachen zu bringen. Die Mutter schlägt ein Ei entzwei und in den beiden Schalen setzt sie Wasser ans Feuer, damit es koche, da ruft der Wechselbalg aus: »Ich bin so alt, wie der Westerwald und habe nicht gesehen, daß jemand in Schalen kocht!« lacht und in dem Augenblick wird das rechte Kind zurückgebracht. – Auch in Dänemark wird es erzählt. S. Thiele I. 47.

Die graue Lene (Ellen Leah oder genauer geschrieben: Liath, d. h. Helene mit dem grauen Haar) ist eine wirklich lebende, nach der Natur gezeichnete Person und folgendes verdient noch von ihr erzählt zu werden, weil es Denkungsart und Sitten des Landes schildert.

Man glaubte, die graue Lene stände in Verbindung mit Geistern und hätte Verkehr mit dem stillen Volke. Man wußte, daß sie niemals zu Haus schlief. Sie sagte den Tod jedes Menschen voraus, wenn sie ihn auch nicht persönlich kannte, sie vermochte jede Bewegung derselben in der andern Welt zu beschreiben und wußte ihre Bedürfnisse, welche sie den Freunden des Verstorbenen mitteilte, welche dadurch in den Stand gesetzt wurden, jenen Bedürfnissen abzuhelfen. Eine Frau hatte zwei Söhne in Ostindien und da sie lange Zeit nichts von ihnen hörte, nahm sie ihre Zuflucht zu der grauen Lene, die sie auch sogleich, ohne das geringste Zaudern, benachrichtigte, daß ihre beiden Söhne tot wären und daß sie in vierzehn Tagen einen Brief mit der Nachricht empfangen wurde. So seltsam es scheinen mag, der Erfolg bestätigte ihre Aussage.

Johanna Sullivan, eine junge Frau, hatte lange Zeit mit ihrem Schwager, der ein Unrecht gegen sie begangen, in schlechtem Vernehmen gestanden. Als er auf dem Todbette lag, sendete er nach ihr, um Vergebung von ihr zu erhalten, doch sie schlug es ab, hinzugehen und er starb, ohne sie zu sehen. Die Folge war, daß sie nicht mehr allein ausgehen konnte, ohne durch eine gespensterhafte Erscheinung gequält zu werden, die so sehr an ihr nagte, daß die beständige Verwirrung ihrer Seele nach und nach ihre Gesundheit unter-grub. In dieser bedauerungswürdigen Lage suchte sie bei der grauen Lene Hilfe, welche ihr sagte, sie solle den Geist anreden und ihrem Schwager aufrichtig vergeben, so lange bis sie das täte, würde der Geist nicht aufhören, sie zu quälen; die graue Lene nannte ihr noch genau die Stelle, wo er wieder erscheinen würde.

Sie entschloß sich also, all ihren Mut zusammenzunehmen und den Geist zu befragen; doch wenn sie ihn erblickte, so verließ sie die Kraft völlig: das Blut in den Adern erstarrte und mit einem heftigen Schrei fiel sie sinnlos zur Erde. In diesem Zustand wurde die arme Frau gefunden und heimgetragen; als sie wieder zu sich selbst kam, schickte man nach der grauen Lene, die bei ihrem Anblick über diesen Mangel an Mut sehr bestürzt war und sie aufs ernstlichste ermahnte, nicht wieder eine solche Schwachheit zu zeigen. Der Geist würde ihr ohne Zweifel abermals erscheinen und es, wofern sie ihre Verzeihung nicht erklärte, für sie beide die traurigsten Folgen haben.

Der Geist zeigte sich nochmals, aber Johanna Sullivan war, wie das vorigemal, ihrer Sinne nicht mächtig und ohne ein Wort hervorbringen zu können, fiel sie ohnmächtig nieder. Sie verletzte sich bei diesem Falle an verschiedenen Orten.

Die graue Lene war bald hernach bei ihr, mit furchtbaren Verzerrungen des Gesichts und den Zeichen des größten Jammers verkündigte sie ihr, daß die arme Seele ihres Schwagers jetzt unwiderruflich zu endlosen Qualen verurteilt sei und in wenigen Stunden ihr eigenes Leben endigen werde. Johanna Sullivan starb den folgenden Morgen.

7. Der Wechselbalg

Castle Martyr, vormals Bally Martyr genannt, ist ein hübsches Dorf, welches auf der Landstraße von Cork nach Youghall liegt.

8. Die beiden Gevatterinnen

Es gibt mehr Geschichten von einer unsichtbaren Macht, wie diese hier, welche das Kind aus dem Fenster herausreicht, vorzüglich gehört eine hieher, welche Waldron, in der Geschichte der Insel Man, erzählt.

Eine ähnliche schottische Sage, wo zwei Freunde das Kind, das die Elfen haben verlassen müssen, auf der Landstraße finden, und der Mutter wiederbringen, worauf der Wechselbalg entflieht, aus Stewarts Werk in der Einleitung.

9. Die Flasche

Mourne liegt zwei Stunden südlich von Mallow und man sieht die Ruinen noch immer zwischen dem alten und neuen Weg von Cork nach jener Stadt, welche beide unter den Mauern herlaufen. Sonst gehörte es den Tempelherrn. S. Archtale’s Monasticon hibernicum und Smith’s history of Cork.

Der Flaschenberg (Bottle hill) liegt in der Mitte zwischen Cork und Mallow und ist eine dürftig angebaute Strecke, auf der man nur zuweilen die nackten Mauern verlassener Häuser erblickt, welches samt der Dürre und Unfruchtbarkeit einen unglaublich traurigen Eindruck macht.

Der Glaube, daß Schätze unter alten Mauern verborgen liegen, ist allgemein verbreitet und es gibt wenig Ruinen, wo man nicht Spuren von Nachgrabungen findet, die denn zu völliger Zerstörung der alten Gebäude beitragen. Anderthalb Stunden südlich von Cork bei dem Dorfe Douglas liegt ein Berg, Castle Treasure genannt, wo man nicht selten eine alte Frau findet, die da nach einem kleinen Topf mit Gold sucht, welcher der Sage nach daselbst vergraben sein soll. Eine rote Urne von Ton und ein paar Geräte von Metall, einige Jahre zuvor dort gefunden, hatten geraume Zeit hindurch eine Menge Leute an die Stelle gezogen, und noch immer herrscht der Glaube, daß der Topf mit Gold irgend einen Glücklichen belohnen werde.

Owen Pughe teilte dem Verf. über die Reisen der Elfen von dem Volksglauben in Wales folgendes mit. Dort gibt es einen Berggeist, Ellyll genannt, was durch herumschweifender Elfe kann übersetzt werden, sowie ein giftiger Schwamm Bwyd Ellyllon, »Speise der Elfen«, und die Blütenglocken des Fingerhuts Menyg Ellyllon, »Elfenhandschuh« genannt werden. »In jedem kleinen Tale sind hundert schiefmäulige Elfen« sagt D. ab Gwilym in seiner Anrede an den Nebel.

Diese Geister sind oft geneigt, den nicht ganz unschuldigen Bergbewohnern Streiche zu spielen, die es wagen in dem Nebel herumzuschwärmen. Sie bemächtigen sich eines verirrten Reisenden und tun ihm den Vorschlag, ihn durch die Luft zu tragen, dabei lassen sie ihm die Wahl unter drei Wegen, nämlich unter dem Wind, über dem Wind oder mit dem Wind. Diejenigen, die an solche Reisen schon gewohnt sind, hüten sich etwas anders, als den mittleren Weg zu wählen; sollte einer, der das Ding nicht kennt, über dem Wind hinfahren wollen, so wird er so hoch getragen, daß er verzweifelt, je wieder zurück zur Erde zu kommen. Zieht aber einer in der Unwissenheit vor, unter dem Wind herzugehen, so wird der arme Wicht durch alle Brombeer- und wilde Rosen-Gesträuche gezogen, die nur zu finden sind. Ein Rechtsgelehrter mit einer zerbrochenen Nase und auch in anderer Hinsicht entstellt, pflegte in Owens Gegenwart, als dieser noch ein Knabe war, zu erzählen, daß ihm einmal dies Schicksal zuteil geworden sei und er dadurch so verunstaltet, weswegen er Y Trwyn, der Nasige hieß. Diese Erzählung machte auf Owen solchen Eindruck, daß wenn er danach im Nebel ging, er sorgfältig darauf achtete, im Gras zu gehen, falls er genötigt sein sollte, sich an ein Grashälmchen zu halten, welches die Elfen zu brechen nicht Macht haben.

Das deutsche Märchen »Tischchen deck dich!« (Haus-M. Nr. 36.) stimmt im Hauptgang überein und in den Anmerkungen dazu ist auch das verwandte italienische angegeben.

10. Die Bekenntnisse des Thomas Bourke

Der Charakter des Thomas Bourke ist genau nach der Natur gezeichnet.

Der alte Bettler, dem Thomas begegnet, ist ein Bocough oder Buckaugh, wie eine gewisse Klasse irischer Bettler heißt, die in ihrem Wesen viel Ähnlichkeit haben mit dem schottischen Gaberlunzie man.

Ballyhefaan ist ein Furt in dem Fluß Funcheon auf dem Weg von Fermoy nach Araglin: eine wilde Gegend der Grafschaft Cork, da wo sie an Waterford und Tipperary stößt.

Der große Wiesengrund (the big Inch) bei dem Furt von Ballyhefaan, auf welchem die Elfen tanzen, ist eine große Ebene, südlich von dem Funcheon, östlich von Blacwater begränzt.

Der Kilcrumper Kirchhof liegt etwa zweihundert Ruten von dem Dubliner Weg zwischen Kilworth und Fermoy.

11. Die verwandelten Elfen

Leute, welche an Elfen glauben, werden die Erscheinung so auslegen, daß die Geister, welche sich den Augen der beiden jungen Leute nicht zeigen wollten, sich in Pilze verwandelt hätten, unter welchen sie ohnehin gerne hausen; und es ist nicht die Absicht der Sage, den Glauben daran lächerlich zu machen. Dahin deutet die Überschrift im Original: fairies or no fairies?, die hier mit einer andern ist vertauscht worden.

12. Der verwünschte Keller

Eine andere aus Cork herrührende Erzählung enthält manches Eigentümliche.

Herr Harns, ein Quäker, hatte einen Cluricaun von sehr kleiner Gestalt. Wenn einer seiner Leute, wie sie manchmal aus Nachlässigkeit taten, das Bierfaß laufen ließ, so verstopfte der kleine Wildbeam, denn das war sein Name, den Zapfen mit seiner eigenen Person, auf die Gefahr erstickt zu werden, bis jemand kam und den Hahn umdrehte. Zur Vergeltung solcher Dienstleistungen war die Köchin gewohnt nach ihres Herrn Befehl, dem kleinen Wildbeam ein gutes Mittagessen in den Keller zu stellen. An einem Freitag trug es sich zu, daß sie nichts für ihn übrig hatte, als ein Stückchen Häring und einige kalte Kartoffel. Gerade um Mitternacht wurde sie aus ihrem Bett gerissen, von einer unwiderstehlichen Gewalt oben auf die Kellertreppe geschleppt, an den Fersen ergriffen und herabgezogen. Bei jedem Schlag, den ihr Kopf von den Stufen erhielt, schrie der Cluricaun, der an der Tür stand, aus vollem Halse:

»Häringsgräten und Kartoffelschalen!
die Steine sollen dir den Kopf zerschlagen!«

13. Der Schuhmacher

Ahnamoe, genau geschrieben Ath na bo, d.h. Furt der Kuh, ist ein kleiner heller Strom, welcher, die Straße von Carrignavar quer durchschneidend, zwei Meierhöfe scheidet, vier kleine Stunden nordöstlich von Cork.

Grenaugh oder Grinagh ist eine zerfallene Kirche, vier Stunden nordwestlich von Cork, von welcher so wie von einer andern in der Nähe sich befindlichen zu Garrycloyne wunderbare Geschichten in großer Menge im Umlauf sind. Folgende hat der Pächter Rilehan, der in der Nähe wohnt, mitgeteilt.

»Es waren acht Männer, einer von denen ist jetzt mein Mietsmann, die gingen auf den Kirchhof von Garrycloyne, was unrecht von ihnen war, in der Absicht, Stöcke zu schneiden um Hafer zu dreschen, die junge Weide, die sie zuerst abschnitten, schien ganz in Feuer zu stehen, gleich dem feurigen Busch und alle die Bäume rings im Kirchhof waren ebenso anzusehen, desgleichen auf der Straße von der Kirche. Es überfiel sie große Furcht und sie liefen zurück ohne die Stöcke und Gerten. Doch sie fingen ihr Werk wieder an, gegen das Ende der folgenden Nacht, als der Morgen herankam; sie hieben einen Baum auf dem Kirchhof ab und nahmen ihn mit sich fort; er stand ganz in Feuer, bis sie an den Fluß kamen und dann stieg er auf in die Luft, brüllend gleich einem tollgewordenen Ochsen. Sie bekamen einen solchen Schrecken und Angst, daß sie es in zwei Monaten nicht verwinden konnten.

14. Herr und Diener

Die Fahrt mit den Geistern geschieht gewöhnlich auf Binsen, doch auch ein Strohhalm, Grasblatt, Farrenkraut oder Kohlstengel können dabei Dienste tun. Der Sage nach muß mancher mit dem Geist fort in die Nähe und Ferne, eine Nacht nach London, die andere nach Amerika und die Pferde, deren sie sich bei diesen großen Reisen bedienen, sind Kohlstrünke in der Gestalt natürlicher Pferde.

Zu Dundaniel, einem Dorfe eine Stunde von Cork in der angenehmen Ebene, die Blackrock heißt, lebt gegenwärtig (im Dezember 1824.) ein Gärtner, namens Crowley, den seine Nachbarn für einen solchen halten, der unter Aufsicht der Geister steht. Er leidet an der fallenden Sucht als Folge seiner Anstrengung bei den Reisen, die er jede Nacht mit den Geistern auf einem seiner eigenen Kohlstrünke zu machen genötigt wird.

Hierher gehört eine Sage, die ein Glied der Familie Duffus aufbewahrt hat, welches durch die Worte Horse and Hattock! die mit Borram, Borram, Borram! gleiche Wirkung hatten, in Gesellschaft der Geister eine kleine Luftfahrt machte, den Weinkeller des Königs von Frankreich zu untersuchen. Dort, des süßen Weins voll, entschlief er und ward den folgenden Tag mit einem silbernen Becher gefunden und vor den König gebracht. Er erhielt aber von diesem nicht bloß gnädige Verzeihung, sondern auch den silbernen Becher zum Geschenk, der in der Familie allzeit soll aufbewahrt worden sein.

Walter Scott erzählt in dem zweiten Bande der altschottischen Balladen S. 177. dieselbe Geschichte mit der Bemerkung, daß sie sich im sechszehnten Jahrhundert zugetragen habe. Der Mann sei, als er auf dem Feld umher gegangen, plötzlich weggetragen worden, indem er das Geräusch eines Wirbelwindes und jene Worte gehört habe. Der Becher erhielt den Namen Geisterbecher.

Ähnlich ist die Sage, welche in einem unterm 15ten März 1695 geschriebenen, in Aubrey’s Miscellen S. 158. abgedruckten Brief erzählt wird und welche gleichfalls von Walter Scott S. 178. 179. mitgeteilt ist.

Einige Schüler zu Forres schlugen ihre Kräusel auf dem Kirchhof, als sie, wiewohl der Tag ruhig war, das Geräusch eines Windes hörten, in einiger Entfernung ein dünner Staub sich erhob und im Kreise drehte. Er kam näher und die Knaben segneten sich, doch einer, von etwas kecker Natur rief: »Horse and Hattock, with my top.« Augenblicklich wurde der Kräusel aufgehoben und fortgeführt, wohin konnten sie wegen einer Staubwolke nicht sehen, aber sie fanden ihn hernach hinter dem Kirchhof auf der andern Seite der Kirche.

Das junge Paar, das Mac Daniel durch seinen Ausruf rettet, ist aus einem Volkslied bekannt, worin die Brautwerbung beschrieben wird. Folgende Verse kommen darin vor:

Young Darby Riley,
He approached me slyly,
And with a smile he
Unto me cried,
Sweet Bridget Rooney,
Here’s Father Cooney,
And very soon he
‚ll make you my bride.

15. Das Feld mit Hagebuchen

Hagebuche ist hier nach Gutdünken gewählt, weil mit diesem oft strauchartigen Baum unfruchtbare und wüste Flecken pflegen bepflanzt zu werden. Im Original steht boliaun, das Wort findet sich nicht in Nemnichs Catholicon, geschweige in einem Wörterbuch. Geborne Irländer, die ein Freund befragt hat, versichern, daß boliaun ein Stab oder Knüttel sei, doch dem Zusammenhang nach muß es notwendig eine Pflanze bedeuten, wird auch durch ein beigesetztes ragweed erklärt, das zwar gleichfalls kein englisches Wort ist, worunter man aber nach Versicherung der Irländer ein Unkraut versteht, das buschartig und ellenhoch auf wüsten Plätzen wächst und gelbe übelriechende Blumen trägt.

Es ist eine in Irland allgemein verbreitete Überlieferung, daß die Dänen eine Art berauschendes Bier aus Heide zu brauen wüßten. Vgl. Smith history of kerry p. 173.

16. Die kleinen Schuhe

Es kommt öfter in den Erzählungen vor, daß der Cluricaun wenigstens die Schuhe zurückläßt, wenn er auch die Erwartung auf Geld täuscht. In einem öffentlichen Blatt wurde vor drei Jahren zu Kilkenny bekannt gemacht, daß ein Bauer, der in der Dämmerung abends nach Haus gegangen, einen von den Kleinen bei seiner Arbeit entdeckt habe und als es ihm geglückt sei, zu entwischen, habe der Bauer der Schuhe sich bemächtigt; welche Schuhe, um die öffentliche Neugierde zu befriedigen, im Bureau des Blatts niedergelegt seien.

17. Die Banshi von Bunworth

Der Charakter Bunworths so wie die einzelnen von ihm erzählten Züge sind völlig der Wahrheit gemäß. S. Ryan’s Worthies of Ireland I. 228, wo bezeugt steht, daß eine für ihn verfertigte Harfe mit einer Inschrift noch immer in der Familie aufbewahrt wird. Dieses merkwürdige Andenken ist jetzt in den Händen seiner Enkelin Miss Dillon von Blackrock bei Cork, auf welche das musikalische Talent ihres Großvaters scheint übergegangen zu sein.

Keening ist der irische Ausdruck für einen Trauergesang, welcher von bestimmten Klagemännern bei Leichen gesungen und hier der unter dem Baum sitzenden Banshi zugeschrieben wird. Man findet darüber Nachricht und zugleich eine musikalische Aufzeichnung in dem vierten Bande der Verhandlungen der königl. irischen Academie.

18. Die Banshi von Mac Carthy

Eine unwesentliche Kleinigkeit abgerechnet, sind auch die Namen der Personen und Orte völlig der Wahrheit gemäß.

Miss Lefanu, Nichte von Sheridan, erzählt folgende Begebenheit in den Denkwürdigkeiten ihrer Großmutter Frances Sheridan (London 1824. S. 32.)

Gleich mancher irischen Frau, welche ihre Jugendzeit in ihrem Vaterland zugebracht hat, glaubte Miss Elisabeth Sheridan fest an die Banshi, welche mit gewissen irischen Familien verbunden ist. Sie behauptete standhaft, daß die Banshi der Sheridanischen Familie unter den Fenstern von Quilca, dem Aufenthaltsort der Familie, klagend sei gehört worden, bevor die Nachricht aus Frankreich von dem Tode der Frau Frances Sheridan zu Blois angelangt sei.

Walter Scott in den Anmerkungen zur Lady of the Lake, nachdem er die Banshi als eine alte Frau mit blauem Mantel und fliegendem Haar geschildert hat, führt aus den handschriftlichen Denkwürdigkeiten der Lady Fanshaw, jenes Musters ehelicher Treue, folgendes an. Sie und ihr Gemahl Sir Richard besuchten während ihres Aufenthaltes in Irland einen Freund, das Haupt einer Familie, welcher auf einer alten, mit einem Graben umgebenen Ritterburg seinen Sitz hatte. Um Mitternacht wurde sie durch einen grauenhaften, übernatürlichen Schrei aufgeweckt und als sie aus dem Bett sah, erblickte sie im Mondlicht ein weibliches Gesicht und einen Teil der Gestalt an dem Fenster schwebend. Die Entfernung von dem Boden sowohl, als der Graben unten machten es unmöglich, daß dasjenige, was sie erblickte, von dieser Welt sein konnte. Es war das Gesicht einer jungen, eigentlich hübschen Frau, doch bleich, und das etwas rötliche Haar hing frei und aufgelöst. Die Kleidung, welche genau zu beachten der Schrecken die Lady Fanshaw nicht abhielt, war die altirische. Die Erscheinung dauerte noch einige Zeit und verschwand hierauf mit einem zweimal wiederholten Schrei, jenem ähnlich, welcher zuerst der Lady Aufmerksamkeit erregt hatte. Den folgenden Morgen erzählte sie mit großem Schrecken ihrem Wirt, was sie erlebt hatte und dieser war nicht nur bereit, ihr Glauben beizumessen, sondern ihr auch von der Erscheinung Rechenschaft zu geben.

»Ein naher Verwandter meiner Familie«, sagte er, »ist vorige Nacht in dieser Burg verschieden. Wir verhehlten die sichere Erwartung dieses Ereignisses vor Euch, damit der freundliche Empfang, den wir Euch schuldig waren, nicht dadurch getrübt wurde. Aber jedesmal, kurz vorher ehe ein solches Ereignis in der Familie und Burg statt findet, zeigt sich das weibliche Gespenst, das Ihr gesehen habt. Man glaubt, es sei der Geist einer Frau aus geringem Stand, welche zu ehelichen einer meiner Vorfahren sich herabwürdigte, und welche er hernach, um den Schimpf, den er seiner Familie angetan hatte, auszulöschen, in dem Graben hatte ersaufen lassen.«

In der Familie des Verfassers dieser Sammlung zeigte sich noch ganz neulich der Glaube an die Banshi. Ein Dienstmädchen Margreth Rilehan erklärte, daß ein großes Unglück bevorstehe, sie habe einen Schrei gehört und etwas am Fenster vorüberschreiten sehen. Die Schwester des Verfassers, die gerade zugegen war, bemerkte: Ich sah nichts, nur hörte ich Margreth schreien und ausrufen: »Da ist’s! Da ists! was immer erscheint, wenn einer von Rilehans sterben muß!« Sie sagte, sie habe dasselbe gesehen, als ihre Großmutter zu Mallow gestorben wäre. Der Vetter des armen Mädchens war zu der Zeit im Gefängnis wegen Teilnahme an aufrührerischen Bewegungen und nach drei Tagen gerichtet und erschossen.

Die wälsche Gwrâchy Rhibyn oder die Geiferhexe hat einige Ähnlichkeit mit der irischen Banshi. Sie soll in der Dämmerung kommen, mit ihren häutigen Flügeln an das Fenster schlagen und in einem heulenden, gebrochenen Ton zu verschiedenen Malen den anrufen, der das Leben verlassen muß.

19. Das Hexenpferd

Ballyvourney (Stadt meines Geliebten) liegt drei Stunden westlich von Macrum und wird als ein besonders heiliger Platz betrachtet. Ein Ablaß von Papst Clemens VIII. unterm 12ten Juli 1601, denen bewilligt, die dahin wallfahrten, steht in Smiths’s history of Cork, wo man noch einiges andre von diesem Ort angemerkt findet.

Von der heil. Gobinate (ihr Tag ist der 11te Febr.) hat man außerdem eine Sage. Vor etwa achthundert Jahren war ein mächtiger Häuptling mit dem Oberhaupt eines andern Stammes im Krieg begriffen und als er sah, daß sein Feind ihm an Kräften überlegen war, bat er die heil. Gobinate auf einem Feld, nahe bei dem zum Kampf bestimmten Platz, um Beistand. Hier befand sich ein Bienenstock und die heil. Gobinate erfüllte seine Bitte, indem sie die Bienen in bewaffnete Krieger verwandelte, welche aus dem Korb mit allem Schein militärischer Zucht, in Reih und Glieder hervorgingen und ihrem Führer in den Kampf folgten, in dem er Sieger blieb. Diesen trieb hernach Dankbarkeit an, die Stelle zu besuchen, von wo aus er so wunderbaren Beistand erhalten hatte; aber er fand, daß der Bienenkorb gleicherweise verwandelt war, aus dem Stroh und den Binsen in Metall, und an Gestalt einem Helm nicht unähnlich. Diese Reliquie ist im Besitz der Familie O’Hierlyhie und wird von dem irischen Landvolk in großer Verehrung gehalten, so daß sie stundenweit gehen um sich einige Tropfen Wasser daraus zu verschaffen, welches, wenn es einem sterbenden Verwandten oder Freund gereicht wird, nach ihrem Glauben ihm den alsbaldigen Eintritt in den Himmel sichert. Vor noch nicht lang ward Wasser aus diesem metallenen Bienenkorb einem sterbenden Priester von seinem Beistand erteilt in Übereinstimmung mit dem herrschenden Aberglauben.

Der Irwisch, von welchem Morty geneckt wird, heißt im südlichen Irland bei dem Volk Miscaun marry.

In Schottland heißt das Licht, das die Wanderer von dem Weg ab, in Sümpfe und Abgründe lockt, Spunkie. S. Stewart S. 161, 162.

Morty schwört bei der Hand des O’Sullivan; ein Eid, der als besonders kräftig betrachtet wird, denn in einer alten Sage von der Familie heißt es:

Nulla manus,
tam liberalis,
atque generalis,
atque universalis,
quam Sullivanis.

20. Daniel O’Rourke’s Irrfahrten

Dieses Märchen ist in Irland sehr verbreitet und hier aus der besten Quelle erzählt. S. Gosnell von Cork hat es in Blackwoods Magazin in Stanzen gebracht.

Die Burg von Carrigaphuka oder der Phuka Felsen ist ohne Zweifel jene dieses Namens, die eine Stunde westlich von Macrum liegt. Smith history of Cork I. 190. irrt, wenn er sie so beschreibt, als sei es kaum möglich, sie zu erklimmen; es macht gar keine Schwierigkeit hinauf zu steigen, nur daß sie von einer Seite nah beim Wasser liegt.

Der Mann im Mond ist ein noch jetzt vielleicht in ganz Europa verbreiteter Volksglaube, der aber schon im Mittelalter herrschte und sich wahrscheinlich auf ältere, heidnische Vorstellungen gründet. Aus den Mondflecken wird die Gestalt eines nackten Menschen, mit einem Dornbündel auf dem Rücken und einem Beil in der Hand gedeutet. Dem Volk in Deutschland ist es der Mann, welcher sonntags Holz fällte und zur Strafe für die Entheiligung des Feiertags einsam auf dem kalten Mond frieren muß, vgl. Hebels Lied in den Alemannischen Gedichten. Hierbei scheint auf eine biblische Stelle (IV. Moses 15, 32-36.) Rücksicht genommen. Den Italienern des dreizehnten Jahrh. war der Mann im Mond Cain, der Gott Dörner, das Elendeste der Ernte, opfern will, vgl. Dante Inferno XX, 124. Paradiso II, 50 (Caino e li spine) und die Kommentatoren. Ein ziemlich schwieriges, altenglisches Lied des vierzehnten Jahrh. findet sich in (Ritson’s) ancient songs Lond. 1790, p. 35-37; der Mondmann wird frierend, mühevoll, mit einer Gabel und Dörnern, die ihm das Gewand zerrissen haben, vorgestellt. Er war sonst auf der Erde und hat unbefugt Holz gehauen, der Flurschütz hat ihn um den Rock gepfändet. Bekannter sind die Anspielungen bei Shakespeare (Mids. nightsdream und Tempest II, 2.). Ein englischer Kinderreim lautet:

the man in the moon,
came down too soon,
to ask his way to Norwich.

21. Das gebückte Mütterchen

Das Schleuderspiel (hurling oder goal) hat einige Ähnlichkeit mit dem schottischen Golfspiel, nur ist der Ball größer, da er in der Regel vier Daumen im Durchmesser hat; der Stock zum Schlagen ist mithin breiter und unten krumm gebogen.

Die Zahl der Teilnehmer beläuft sich auf zwanzig, hundert oder mehr. Es wird gewöhnlich in einer großen Ebene gespielt von zweien sowohl der Zahl als Geschicklichkeit nach ziemlich gleichen Parteien und die Aufgabe ist, den Ball über eine oder zwei gegenüberliegende Hecken zu schlagen, die vor dem Anfang des Spiels bestimmt werden. Baire comortais bedeutet: »zwei Seiten einer Landschaft (d. h. eine gewisse Anzahl Jünglinge aus jeder), welche an einem bestimmten Platz zusammentreffen«; gewöhnlich den Sonntag oder Festtag nach der Kirche. Bei dieser Gelegenheit werden statt der Hecken auf dem Feld zwei in die Augen fallende Merkzeichen, z. B. eine Landstraße, ein Wald bezeichnet und innerhalb dieses Raums wird das Spiel mit einer Hitze und Heftigkeit betrieben, die oft zu ernsthaften und blutigen Händeln Anlaß gibt, wenn eine bei diesem Volk so mächtige Stammfeindschaft zwischen den beiden entgegengesetzten Teilen herrschen sollte. Der Stock (the hurley oder hurlet) ist eine wirkliche und furchtbare Waffe. Das Spiel hat den einen Namen von diesem Stock und den andern, goal, von dem Ziel oder Zeichen, über welches der Ball muß hinausgegangen sein, ehe das Spiel kann gewonnen werden.

Ähnliche Spiele in Deutschland. S. Hausmärchen II. XXIII.

Die Vermummten in Irland sind offenbar verwandt mit jenen lustigen Banden in England, die man Mohrentänzer nennt. Sie erscheinen in Irland zu allen Jahreszeiten, doch vorzüglich am Maitag, welcher ihr eigentlicher Festtag ist. Sie bestehen aus einer den Umständen nach verschiedenen Anzahl Mädchen und Jünglingen aus der Umgegend, gewöhnlich wegen eines hübschen Äußern ausgewählt oder wegen ihrer Geschicklichkeit und zwar der Mädchen im Tanz, der Jünglinge im Ballspiel oder andern Leibesübungen. Sie kommen in Prozession je zwei und zwei in drei Abteilungen. Voran und zuletzt die Jünglinge, gekleidet in Jacken oder Wämser von weißer oder einer andern muntern Farbe und geziert mit Bändern an den Hüten und Ärmeln. Die jungen Mädchen sind gleichfalls in hellfarbigen Kleidern herausgeputzt, zwei von ihnen tragen einen grünen Kranz, in welchem verschiedene neue Schleuderbälle hängen; ein Maigeschenk der Mädchen an die Jünglinge des Dorfs. Der Kranz ist geschmückt mit einem Überfluß von langen Bändern oder bandweise ausgeschnittenem Papier, welches nicht wenig zu dem heitern und lustigen, doch vollkommen ländlichen Anblick beiträgt, den das Ganze gewährt. Musik geht voran, manchmal eine Sackpfeife, doch gewöhnlich eine Soldaten-Querpfeife, und eine Trommel dabei. Ein Narr mit furchtbarer Maske ist natürlich im Gefolge, er trägt eine lange Stange, an deren einem Ende Zeuglappen fest genagelt sind, wie an einem Wischer. Diese taucht er in eine Lache oder Pfütze und bespritzt damit jeden aus dem Haufen, der sich an seine Gesellschaft zu sehr andrängt zu großem Vergnügen der jugendlichen Zuschauer, welche seine Taten mit schallendem und wiederholtem Gelächter begrüßen. Dieser Aufzug der Vermummten geht den ganzen Tag über durch die benachbarten Dörfer oder von einem Edelhofe zu dem andern; vor dem Herrnhaus wird getanzt, wofür sie eine Belohnung in Geld erhalten. Der Abend wird mit Trinken zugebracht.

Mai-Abend wird als eine besonders gefährliche Zeit betrachtet. Man glaubt, das stille Volk habe dann Macht und Neigung, alle Art von Unheil anzurichten ohne die geringste Zurückhaltung. Das »böse, schielende Auge (evil eye)« urteilt man, hat dann mehr als gewöhnlich Wachsamkeit und Bosheit und eine Amme, die in freier Luft mit dem Kind im Arme auf und ab ginge, würde als ein Ungeheuer geschmäht werden. Jugend und Liebenswürdigkeit sind besonders der Gefahr ausgesetzt. Von tausend Fragen wagt es nicht eine sich draußen sehen zu lassen. Die grauen Haare des Alters retten nicht immer die Wange vor dem Anhauch, noch ist die abgearbeitete Hand des rauhsten Ackermanns sicher, auf diese Art heimgesucht zu werden. Der Anhauch (the blast) ist eine große, runde Beule, welche sich plötzlich an der Stelle erhebt, die von dem giftigen Atem berührt wird, den einer von dem stillen Volk in dem Augenblick rachsüchtiger und eigensinniger Bosheit darauf richtet. Maitag wird genannt la na Beal tina und Mai-Abend neen na Beal tina, d.h. Tag und Abend von Beals Feuer, weil er in heidnischer Zeit dem Gott Beal oder Belus geheiligt war, weshalb auch der Mai im irischen Mi na Beal-tine heißt. – Die Sitte, am Mai-Abend eine Kuh über angezündetes Stroh oder Reisig springen zu machen, soll ein Überbleibsel von der Verehrung dieses Gottes sein. Jetzt wird sie gewöhnlich angewendet, um die Milch vor den Diebereien des stillen Volkes zu sichern.

Eine andere am Mai-Abend herrschende Sitte ist das schmerzhafte und boshafte Peitschen mit Nesseln. In dem südlichen Irland ist es bei den Schulknaben allgemein üblich, zu tun, als hätten sie das Vorrecht, wie toll mit einem Bündel Nesseln herumzurennen und ihren Kameraden damit ins Gesicht und auf die Hände zu schlagen, oder auch andern Personen, bei welchen sie denken ungestraft ihre Unart ausüben zu können.

Über ähnliche, durch ganz Europa verbreitete Sitten am Maitag und bei Frühlingsanfang vergl. Hausmärchen, Einleitung zum zweiten Band S. 30. u. fg.

Der schädliche Anhauch der Elfen heißt in Norwegen alvgust (Hallager u. d. Wort) und auf Island wird ein gewisser Ausschlag âlfa-bruni genannt.

23. Springwasser

Im westlichen Irland erzählte ein Bauer eine ähnliche Sage. Geht man an einem schönen Sommerabend, wenn die Sonne gerade hinter die Berge sinkt, zu dem See und kommt man zu einem kleinen Überhang auf der Westseite, so hat man, wenn man sich bückt und in das Wasser schaut, den schönsten Anblick von der Welt, denn man sieht unter dem Wasser ganz deutlich eine große Stadt mit Palästen, langen Straßen und Plätzen.

Giraldus Cambrensis (aus dem 12ten Jahrh.) gedenkt der Sage, daß der See Neagh vormals eine Quelle gewesen, welche das ganze Land überschwemmt habe: »piscatores aquae illius turres ecclesiasticas, quae more patrio arctae sunt et altae, necnon et rotundae, sub undis manifeste sereno tempore conspiciunt et extraneis transeuntibus reique causas admirantibus frequenter ostendunt.«

Waldron hat eine Sage von der Insel Man, wonach ein Taucher in eine Stadt unter dem Meer kam, deren Pracht er nicht genug beschreiben kann und wo der Boden der Zimmer aus Edelsteinen zusammengesetzt war.

Es gibt auch in Deutschland und sonst genug Sagen von Seen, die an der Stelle ehmaliger Städte und Burgen stehen, vgl. z.B. Deutsche Sagen Num. 131.

24. Der See Corrib

Der See Corrib liegt in der Grafschaft Galway, ist etwa zehn Stunden lang und an der breitesten Stelle etwas über fünf Stunden breit. Er ist in der Mitte so zusammengezogen, daß er zwei Seen ähnlich sieht.

Gervasius von Tilbury bemerkt (Otia imper. p. 331.): gewisse Wassergeister, Dracae genannt, lockten Mädchen und Kinder in ihre Wohnungen unter Seen und Flüssen.

Einer frommen Ausrufung wird die Kraft zugeschrieben, den Zauber zu brechen, womit die Geister den halten, den sie entführt haben.

Ein Messer mit schwarzem Stiel wird als besonders dienlich erachtet, wenn es sollte nötig sein, mit einem von den bösen Geistern zu kämpfen. Das Kleid oder den Mantel umzuwenden wird auch in dieser Hinsicht empfohlen.

Im Original ist es eine Ballade, welche aber nach der ausdrücklichen Versicherung des Verfassers nur ein Versuch war, eine den übrigen ursprünglich ähnliche Sage umzuarbeiten, welche wir in ihre erste Gestalt zurückzuführen versucht haben.

25. Die Kuh mit den sieben Färsen

In der Grafschaft Tipperary, nicht weit von Callir, ist ein See, genannt Longh na Bo oder See der Kuh, nach einer Sage, die Ähnlichkeit hat mit der vom See Gur. Die Hörner dieser Kuh sollen so lang sein, daß man bei niedrigem Wasserstand die Spitzen kann hervorragen sehen.

Aus dem See Blarney hat man zwei Kühe heraussteigen gesehen, die in den zunächst liegenden Wiesen und Kornfeldern bedeutenden Schaden sollen angerichtet haben.

Alle sieben Jahre kommt ein großer, vornehmer Mann aus dem See und wandelt eine Stunde oder weiter in der Hoffnung, daß jemand mit ihm rede, aber da es niemand wagt, so kehrt er in den See zurück.

Dieser große Mann ist ohne Zweifel niemand als der Graf von Clancarthy, eifrig bemüht, Mittel an die Hand zu geben, wie man seinen Silberkasten entdecken könne, welcher der Sage zufolge in den See geschleudert wurde, um zu verhindern, daß er nicht den Feinden, die seine Burg erobert hatten, in die Hände falle.

Dieses Märchen hängt mit den schottischen und nordischen Sagen vom Elfstier zusammen, worüber die Einleitung nachzusehen ist.

26. Der verzauberte See

Die Einleitung, daß ein Ring in den See fallt, kommt häufig in den irischen Sagen vor, vgl. z. B. Miss Brookes Relicts of irish poetry p. 100.

Wie abweichend in der äußern Darstellung, ist dennoch dieses Märchen mit dem deutschen von der Frau Holle (Hausmärchen Nr. 24) dem Grunde nach sehr übereinstimmend. Seltsam ist der Umstand, daß die Frau unter dem See große Zähne hat, wie Frau Holle unter dem Wasser. Auffallend ist auch, daß, wie man beim Schneien in Hessen sagt: »Frau Holle macht ihr Bett, die Federn fliegen«, die irischen Kinder mit einer ähnlichen Idee rufen: »Die Schotten rupfen ihre Gänse!« (p. 361.)

27. Die Erscheinungen des O’Donoghue

Jeder, der Killarney gesehen hat, dem muß auch die Sage von O’Donoghue und seinem weißen Roß bekannt geworden sein. Sie wird erzählt in Weld’s Bericht von diesem See, in Derricks Briefen, und eine große Anzahl von Gedichten haben sie zum Gegenstand. Moore hat ein Lied darüber in seinen Irish Melodies.

Wie am Mai-Morgen O’Donogbue auf seinem weißen Roß über das Wasser sprengt, so zeigt sich in einer Augustnacht einer von den alten Grafen von Kildare ganz in Rüstung auf einem prächtigen Streitroß und mustert die Schatten seiner Krieger auf der breiten Ebene, the Currag of Kildare genannt.

Erinnert an die deutschen Sagen vom Auszug des wilden Jägers und des Rodensteiners.

21. Das gebückte Mütterchen


21. Das gebückte Mütterchen

(Siehe auch die Anmerkungen)

Margareth Barrett war in ihrer Jugend schlank, artig und wohlgesittet und zeichnete sich durch die Vereinigung zweier Eigenschaften aus, die man nicht oft beisammen findet. Sie war nämlich eine sehr sparsame Hausfrau und zugleich die beste Tänzerin in ihrem Geburtsort dem Dorfe Ballyhuley. Gegenwärtig ist sie an den sechszigen und in den letzten zehn Jahren ihres Lebens durchaus nicht mehr imstand gewesen, sich aufzurichten. Sie geht gebückt, beinahe bis zur Erde, doch ihre Glieder gebraucht sie, so weit es in dieser Stellung möglich ist, mit völliger Freiheit; ihre Gesundheit ist gut, ihr Geist kräftig und in der Familie ihres ältesten Sohns, bei welchem sie seit dem Tode ihres Mannes lebt, verrichtet sie alle häuslichen Arbeiten, welche ihr Alter und jenes Gebrechen zulassen. Sie wäscht die Kartoffeln, macht Feuer an, kehrt das Haus (lauter Geschäfte, wobei ihr, wie sie mit guter Laune bemerkt, ihr krummer Rücken sehr zustatten kommt), spielt mit den Kindern und erzählt ihren Hausgenossen und den Freunden aus der Nachbarschaft, die sich oft rund um sie beim Feuer versammeln, ihr in den langen Winterabenden zuzuhören, allerlei Geschichten. Die anziehende Kraft ihrer Unterhaltung wird sehr gepriesen sowohl wegen ihrer guten Laune als auch wegen ihrer Erzählungen; und drollige und scherzhafte Begebenheiten, die sich auf ihre gekrümmte Gestalt beziehen, dann aber das Ereignis selbst, welches Schuld an diesem Mißgeschick ist, sind das Lieblingskapitel ihrer Gespräche. So hörte man sie unter andern erzählen, wie an einem gewissen Tage, bei dem Schluß einer schlechten Ernte, als verschiedene Pächter in der Gegend, wo sie lebte, auf dem Feld eine Bittschrift um Verminderung des Pachtgeldes beschlossen hätten, das Papier zum Schreiben sei auf ihren Rücken gelegt und dieser als ein leidlich guter Tisch befunden worden.

Margrethe, wie alle gescheite Erzähler, pflegte sich sowohl was die Ausführlichkeit als den Inhalt ihrer Geschichten betraf, nach den Zuhörern und den Umständen zu richten. Sie wußte, daß bei hellem Tageslicht, wenn die Sonne glänzend scheint, die Bäume knospen, die Vögel rings um uns singen, rührige und gesprächige Menschen ihren Geschäften oder Vergnügungen nachgehen; sie wußte, doch gewißlich ohne die Ursache zu kennen oder sich viel darum zu bekümmern, daß wenn wir mit dem wirklichen Leben und der wirklichen Welt beschäftigt sind, der glaubige Sinn fehlt, ohne welchen Erzählungen, die sonst aufs gewaltigste die Teilnahme anregen, einen Eindruck hinterlassen. In solchen Stunden war Margareth kurz, hielt sich nur an Tatsachen und berührte das Wunderbare gar nicht. Doch an einem Weihnachtsabend bei dem flackernden Herde, wenn Ungläubigkeit aus allen Gesellschaften verbannt ist, wenigstens bei stiller und einfacher Lebensart, als eine Eigenschaft, welche, um das geringste zu sagen, in diese Zeit nicht paßt: wenn die Winde in düstern Dezembertagen kalt um die Mauern pfeifen und durch die Türen des kleinen Hauses dringen, eine Mahnung an seine Bewohner, daß wenn die Welt von Elementen, die stärker als menschliche Kräfte sind, geplagt wird, sie auch Wesen einer höheren Natur besuchen – in solchen Stunden pflegte Margareth Barrett ihren Erinnerungen und ihrer Phantasie, oder beiden, ohne Rückhalt nachzugeben, und bei einer solchen Gelegenheit war es, wo sie umständlich erzählte, wie sie zu dieser gekrümmten Gestalt gekommen sei.

»Es war gerade unter allen Tagen im Jahr, der Tag vor dem Mai, wo ich hinaus in den Garten ging, die Kartoffel zu jäten. Ich wäre den Tag nicht herausgegangen, wäre ich nicht traurig und kummervoll gewesen und gerne für mich allein. Die Burschen und Mädchen im Haus lachten alle, scherzten und machten Bälle zum Schleudern oder Bänder zurecht für die Vermummten am folgenden Tage. Ich konnte das nicht ertragen. Eben erst die vergangenen Ostern, und die letzten Ostern waren es zehn Jahre, ich werde die Zeit niemals vergessen, hatte ich meinen armen Mann begraben und ich dachte daran, wie vergnügt und voller Freude ich war, so manches lange Jahr vorher eben an diesem Tage, als Robin neben mir saß und ich die Bänder für den Schleuderball schnitt und nähte, die ich den folgenden Tag den Burschen geben wollte mit dem stolzen Gefühl, allen Mädchen an den Ufern des Blackwaters vorgezogen zu werden von dem hübschesten und besten Schleuderer in dem Dorf. Ich verließ das Haus und ging in den Garten. Ich blieb da den ganzen Tag und kam nicht heim zum Essen. Ich weiß nicht, wie es war, und nur soviel, daß ich in kummervollen Gedanken immer fortfuhr zu jäten, einige von den alten Liedern singend, die ich aber und abermals in den Tagen gesungen habe, die nun dahin sind, vor dem, der nimmer zurückkehrt, sie anzuhören. Die Wahrheit zu sagen, es war mir unerträglich, hinzugehen und schweigend und finster zu Haus zu sitzen, unter Menschen, die lustig und jung waren und ihre besten Tage vor sich hatten. Es ward spät, ehe ich an die Heimkehr dachte und ich verließ den Garten erst einige Zeit nach Sonnenuntergang. Der Mond stand am Himmel, obgleich kein Wölkchen zu sehen war und hier und da ein Stern blinkte, so war der Tag noch nicht lang genug verschwunden, um helles Mondlicht zu haben; doch schien er hinlänglich, um auf einer Seite alle Dinge in des Himmels Licht bleich und silberfarbig zu machen und ein dünner Nebel begann soeben über die Felder hin zu ziehen. Auf der andern Seite, nach Sonnenuntergang zu, war noch mehr Tageslicht und der Himmel blickte ängstlich, rot und feurig durch die Bäume gleich als ob unten eine große Stadt in Brand aufloderte. Überall Schweigen, wie auf einem Kirchhof, nur dann und wann hörte man in der Ferne einen Hund bellen, oder eine eben gemelkte Kuh brüllen. Kein lebendes Wesen war zu sehen, weder auf dem Wege, noch auf dem Feld. Ich verwunderte mich erst, dann erinnerte ich mich, daß es der Abend vor dem Mai war und daß mancherlei, Gutes und Böses, in dieser Nacht umher schwärme und ich die Gefahren meiden müsse, wie jeder andre. Ich ging so rasch zu, als ich konnte und gelangte bald an das Ende der Mauer, die das Gut umgibt, wo die Bäume hoch und dicht auf jeder Seite des Wegs aufsteigen und sich meist mit den Wipfeln berühren. Mein Herz hatte ein Vorge-fühl, als ich unter ihre Schatten kam. Die Öffnung oben ließ so viel Licht herab, daß ich einen Steinwurf weit vor mir sehen konnte. Plötzlich hörte ich in den Ästen auf der rechten Seite des Wegs ein Rascheln und sah etwas, das einem kleinen schwarzen Ziegenbock ähnlich war, nur mit langen, breiten Hörnern auswärts gerichtet statt rückwärts gekrümmt; es stand auf den Hinterfüßen am Rand der Mauer und schaute auf mich herab. Der Atem stockte mir, und ich konnte mich fast eine Minute lang nicht bewegen. Ich mußte, wie es auch zuging, meine Augen unverwandt dahin richten, aber es schaute immer starr auf mich herab. Endlich nahm ich mich zusammen und ging fort, aber ich hatte noch keine zehn Schritte getan, als ich dieselbe Erscheinung auf der Mauer zu meiner linken erblickte, genau in derselben Stellung, nur noch drei- oder viermal so hoch und beinahe so groß, als der größte Mann. Die Hörner sahen schrecklich aus, es starrte mich an, wie dort. Meine Beine zitterten, die Zähne schnatterten und ich glaubte jeden Augenblick ich würde tot hinfallen. Endlich war es mir, als wäre ich gezwungen zu gehen und ich ging wirklich fort, aber ich fühlte nicht, wie ich mich bewegte oder wie meine Beine mich forttrugen. Eben als ich an der Stelle vorbei kam, wo das entsetzliche Wesen stand, hörte ich ein Geräusch, als ob etwas die Mauer herabspränge und hatte ein Gefühl, als wenn ein schweres Tier auf mich stürzte, das mit den Vorderfüßen mich fest um die Schultern packend die Hinterfüße in meinen faltigen, zusammengesteckten Rock verwickelte. Ich verwunderte mich noch und werde es tun, solange ich lebe, wie ich die heftige Erschütterung ertragen habe, aber ich fiel weder, noch schwankte ich bei der Wucht, sondern ging darauflos, als hätte ich die Stärke von zehn Männern; jedoch fühlte ich, daß ich gezwungen war, mich fortzubewegen und nicht die Macht hatte, still zu stehen, wie ich es wünschte. Doch ich keuchte ängstlich, ich wußte was ich tat, so deutlich, als ich es in diesem Augenblick weiß; ich versuchte zu schreien, doch ich konnte es nicht, versuchte zu laufen, aber es war nicht möglich, versuchte rückwärts zu schauen, aber Kopf und Nacken waren wie in einen Schraubstock gespannt. Ich konnte nur meine Augen nach beiden Seiten hindrehen und dann erblickte ich so klar und deutlich, als wäre es in vollem Licht der lieben Sonne, einen schwarzen und gespaltenen Fuß fest auf meine Schulter gelegt. Ich hörte ein leises Atmen in meinem Ohr, ich fühlte, daß bei jedem Schritt, den ich tat, meine Beine an die Füße jener Kreatur stießen, die auf meinem Rücken hing. Endlich sah ich das Haus und es war mir ein willkommener Anblick, denn ich dachte, ich würde erlöst, wenn ich es erreichte. Ich kam bald nah an die Türe, doch sie war verschlossen, ich schaute nach dem kleinen Fenster, aber es war auch verschlossen, denn sie waren an diesem Abend vorsichtiger als ich; ich sah innen das Licht durch die Spalten in der Türe, ich hörte sie drinnen reden und lachen. Ich fühlte, nur drei Ellen weit war ich von denen entfernt, die alles würden aufgeboten haben, mich zu retten. Und möge Gott mich bewahren, noch einmal zu fühlen, was ich in jener Nacht gefühlt habe! Ich fand mich gehalten von etwas, das nicht gut sein konnte, ohne Macht mir zu helfen, oder meine Freunde anzurufen, oder meine Hand auszustrecken, um zu klopfen, oder nur meinen Fuß zu heben, um an die Türe zu stoßen und sie wissen zu lassen, daß ich außen wäre. Es war, als ob meine Hände an die Seite wüchsen oder meine Füße an den Boden geheftet wären, oder als hätte das Gewicht eines Felsen sie daran befestigt. Endlich dachte ich daran, mich zu bekreuzigen und meine rechte Hand, die sonst nichts tat, tat es für mich. Die Last blieb auf meinem Rücken und alles war wie zuvor. Ich bekreuzigte mich abermals, es war immer dasselbe. Ich gab mich für verloren, doch ich bekreuzigte mich zum drittenmal und meine Hand hatte nicht sobald das Zeichen vollendet, als ich fühlte, wie die Bürde von meinem Rücken sprang. Die Türe fuhr auf, als wenn der Donner sie einschlüge und ich stürzte vorwärts gerade auf die Stirne mitten in die Flur. Als ich wieder aufstand, war mein Rücken krumm, und ich konnte mich nicht wieder gerade aufrichten von jener Nacht an, bis zu dieser Stunde.«

Es entstand eine kleine Stille, als Margareth Barrett geendigt hatte. Diejenigen, welche die Geschichte schon kannten, hatten mit dem Ausdruck halb befriedigter Teilnahme, gemischt indessen mit jenem ernsthaften und feierlichen Gefühl, welches eine Erzählung übernatürlicher Wunder erregt, sooft sie auch erzählt wird, zugehört. Sich auf ihren Sitzen bewegend verließen sie die Stellung, in welcher sie während der Erzählung verharrt hatten und nahmen eine andre an, welche zu erkennen gab, daß ihre Neugierde in Beziehung auf die Ursache dieser seltsamen Begebenheit schon längst befriedigt war. Diejenigen aber, welche sie noch nicht gekannt hatten, behielten den Ausdruck und die Stellung gespannter Aufmerksamkeit und ängstlicher, aber feierlicher Erwartung. Ein Enkel der Margareth von etwa neun Jahren (doch kein Kind des Sohnes, bei welchem sie lebte), hatte noch nie die Geschichte gehört. So wie seine Aufmerksamkeit wuchs, drängte es sich immer fester an die Seite der alten Frau und beim Schluß schaute es unverwandt nach ihr hin, mit seinem Leib über ihre Knie zurückgebogen, und sein Gesicht zu ihr hinauf gerichtet, mit einem Ausdruck, in welchem die Neigung zu weinen mit der Neugierde zu kämpfen schien. Nach einem augenblicklichen Stillschweigen konnte es nicht länger seine Neugierde bezähmen, und ihre grauen Locken mit einem Händchen fassend, während Tränen der Furcht und des Erstaunens gerade von seinen Augenwimpern herab tröpfelten, rief es: »Großmutter, wer war das?«

Margareth lächelte erst nach dem ältern Teil der Zuhörer, dann nach ihrem Enkel hin und ihm sanft über die Stirne streichelnd sagte sie:

»Es war die Phuka!«

Der Cluricaun


Der Cluricaun

(Siehe auch die Anmerkungen)

Es gibt wenig Leute in Irland, die nicht die alte Familie der Mac Carthys kennen sollten, deren Zweige sich in dem Süden ausgebreitet haben und die sämtlich durch die Gastfreundschaft berühmt sind, womit sie jeden Fremden, vornehm oder gering, aufnehmen.

Von niemand übertroffen ward hierin Justin Mac Carthy von Ballinacarthy; seine Tafel war mit Speise und Trank reichlich besetzt und herzlich willkommen jeder, der daran Teil nehmen wollte. Sein Weinkeller konnte für ein wahrhaftes Muster gelten und mancher andere mußte sich dagegen seines Namens schämen. So viel Raum er hatte, war er doch mit Körben für Weinflaschen und langen Reihen von Fässern aller Art und Größe angefüllt, so daß sie aufzuzählen mehr Zeit wegnehmen würde, als der mäßigste Mensch übrig behalten könnte an solch einem Platz, umgeben von der Fülle zu trinken und herzlich eingeladen, es zu tun.

Ohne Zweifel wird mancher denken, daß der Mundschenk in einem solchen Hause wenig Ursache habe, Klage zu führen und die ganze Grafschaft würde eingestimmt haben, wenn man nur ein Beispiel gehabt hätte, daß ein Mann in diesem Amt längere Zeit, als der Rede wert ist, bei Herrn Mac Carthy geblieben wäre. Gleichwohl sprach keiner, der in seinen Diensten gewesen war, ein böses Wort von ihm.

»Wir haben an dem Herrn nichts auszusetzen«, sagten sie, »und wenn er nur jemand auftreiben könnte, der ihm den Wein aus dem Keller holte, so wäre ein jeder von uns grau in dem Haus geworden und wir hätten bis an unser seliges Ende ruhig und vergnügt da gelebt.«

»Es ist wahrhaftig eine recht wunderliche Geschichte«, dachte der junge Hans Leary, der von Kindheit an in den Ställen zu Ballinacarthy als Beiläufer aufgewachsen war und gelegentlich dem Mundschenk bei seinem Geschäft hilfreiche Hand geleistet hatte, »es ist wahrhaftig eine wunderliche Geschichte, daß kein einziger mit der besten Stelle im ganzen Haus zufrieden sein will, zumal bei einem so guten Herrn, sondern jeder sie wieder aufgibt und zwar, wie sie alle sagen, des Weinkellers wegen. Wollte mich der Herr, dem Gott langes Leben verleihe! zum Mundschenk machen, so sollte man kein murrendes Wörtchen hören, wenn er mich in den Weinkeller gehen heißt, das verspreche ich.«

Leary wartete daher auf eine günstige Gelegenheit, wo er dem Herrn seine Absicht kund geben könnte.

Einige Tage darnach ging Herr Mac Carthy morgens ungewöhnlich früh in den Stallhof und rief laut nach dem Stallknecht: er sollte ihm die Pferde satteln, da er willens sei mit den Jagdhunden auszureiten. Aber kein Stallknecht gab Antwort und der junge Hans Leary führte Regenbogen aus dem Stall.

»Wo ist Wilhelm?« fragte Herr Mac Carthy.

»Gnädiger Herr?« sagte Hans und Herr Mac Carthy wiederholte die Frage.

»Nach dem Wilhelm fragt der gnädige Herr?« antwortete Hans, »ja die Wahrheit zu sagen, er hat vorige Nacht ein Glas zu viel getrunken.«

»Wie kam er dazu?« fragte Herr Mac Carthy, »seit Thomas weggegangen ist, befinden sich die Kellerschlüssel in meiner Tasche und ich sehe mich genötiget, den Wein den ich brauche selbst zu holen.«

»Ich bin durchaus nicht im Stand, es zu sagen«, erwiderte Leary, »es müßte denn sein, daß ihm der Koch ein kleines Restchen Branntewein gegeben hätte; doch«, fuhr er fort, und schnallte den Bügel niedriger, indem er mit der rechten Hand in die Mähnen griff und seinen Kopf herabsenkte, während er mit dem linken Bein, welches er vorgesetzt hatte, zurückscharrte, »darf ich es wagen, Ew. Gnaden eine Frage zu tun?«

»Rede, Hans«, sagte Herr Mac Carthy.

»Wünschen Ew. Gnaden nicht einen Mundschenk zu haben?«

»Weißt Du mir einen?« antwortete der Herr und lächelte gutgelaunt über seine Haltung, »und einen der sich nicht fürchtet in den Weinkeller zu gehen?«

»Ist bloß davon die Rede?« sagte der junge Leary, »Gott weiß! dazu wäre ich der Mann.«

»Du denkst also mir deine Dienste in der Eigenschaft eines Mundschenks anzubieten?« sagte Herr Mac Carthy mit einigem Erstaunen.

»Ja, gnädiger Herr, das war meine Absicht«, antwortete der junge Leary, der jetzt zum erstenmal von dem Boden aufschaute.

»Wohlan, ich glaube du bist ein braver Bursche und ich habe nichts dagegen mit dir einen Versuch zu machen.«

»Mögen Ew. Gnaden lange unser Herr sein und möge Gott Euch langes Leben verleihen!« rief Leary aus und neigte sich nach üblicher Weise, als sein Herr davon ritt. Er sah ihm noch eine Weile mit gedankenlosem Starren nach, bis er allmählich und gradweise eine wichtige Miene annahm.

»Hans Leary!« sagte er endlich, »Hans, ists Hans?« und in einem Tone von Verwunderung: »Meiner Treue, es ist nun nicht Hans, sondern Herr Johann, der Mundschenk.« Und mit einem Vorgefühl der herannahenden Würde schritt er aus dem Stallhof nach der Küche hin.

Learys alter Stallgenosse, ein armer ausgedienter Hund namens Bran, gewohnt öfter liebreich an den Kopf geklopft zu werden, wurde mit einem Fußtritt und dem Ausruf: »Aus dem Weg, Racker!« fortgejagt. In der Tat, des armen Hans Gedächtnis schien durch seine plötzliche Erhebung verwirrt. Außer Zweifel ward dies gestellt, durch das gänzliche Vergessen des allerliebsten Gesichtes des Küchenmädchens, auf dessen Herz er noch vorige Woche einen Angriff getan hatte, durch das Anerbieten ihr einen goldenen Ring an den vierten Finger der rechten Hand zu kaufen und durch einen derben Kuß auf ihre Lippen.

Als Herr Mac Carthy von der Jagd heimkam, schickte er nach Hans Leary, wie er fortfuhr seinen neuen Mundschenk zu nennen.

»Hans«, sagte er, »ich glaube du bist ein zuverlässiger Bursche, hier sind die Schlüssel zum Keller. Ich habe die Herrn, mit welchen ich heute auf der Jagd war, eingeladen mit mir zu essen und ich hoffe, sie werden mit deiner Aufwartung bei Tische zufrieden sein, vor allen Dingen, sorge dafür, daß es nach dem Essen nicht an Wein fehlt.«

Herr Johann hatte ein leidlich gutes Auge für diese Dinge und war von Natur anstellig; er breitete demnach die Tafeltücher aus, stellte die Teller und legte Messer und Gabel auf dieselbe Art, wie er seinen Vorgänger im Amt dieses Geschäft hatte verrichten gesehen. Und wirklich, für den Anfang ging es bei dem Essen recht gut.

Nur muß man nicht vergessen, daß in dem Hause eines irländischen Landedelmannes, welcher eine Gesellschaft von gestiefelten und gespornten Fuchsjägern bewirtete, manches nicht so sehr in Betracht kam, was als Gegenstand von höchster Wichtigkeit unter andern Umständen und in andern Gesellschaften gegolten hätte.

Keiner von den Gästen des Herrn Mac Carthy, treffliche und ehrenwerte Männer in ihrer Art, trug daher große Sorge, ob der Punsch, der nach der Suppe gereicht wurde, aus Jamaica- oder Antigoa-Rum gemacht war. Ebenso wenig hatten sie Lust, die Reinheit des guten alten gebrannten Wassers zu untersuchen und mit Ausnahme des freigebigen Wirts selbst, zog jeder in der Gesellschaft den Portwein, welchen Herr Mac Carthy auf seine Tafel setzte, dem weniger feurigen Wohlgeschmack des roten französischen Weins vor. Eine Wahl, die eigentlich dem neuem Geschmack widersprechen sollte.

Es ging stark auf Mitternacht, als Herr Mac Carthy dreimal die Schelle zog, welches das Zeichen war, mehr Wein zu bringen. Hans begab sich daher nach dem Keller um frischen Vorrat zu holen, doch, es zu gestehen, mit einem kleinen Zögern.

Der Luxus mit Eis war noch unbekannt in dem südlichen Irland, der Vorzug des kühlen Weins aber von niemand bestritten, der gesundes Urteil und richtigen Geschmack hatte.

Der Großvater des Herrn Mac Carthy, welcher das Wohnhaus von Ballinacarthy auf die Stelle einer alten, seinen Voreltern zugehörigen Burg aufgebaut hatte, nahm auf diesen wichtigen Umstand gar wohl Bedacht. Bei Anlegung des Kellers hatte er ein tiefes Gewölbe benutzt, welches in früheren Zeiten in den mächtigen Felsen als ein sicherer Zufluchtsort ausgehauen war. Man stieg in das Gewölbe auf steinernen Stufen hinab und hier und da waren in der Wand schmale Öffnungen oder, recht zu sagen, Risse, mithin gewisse Stellen, welche tiefe Schatten warfen und recht grausenhaft aussahen, wenn jemand mit einem einzelnen Licht die Stufen herabkam. Aber in Wahrheit, zwei Lichter konnten die Sache nicht viel besser machen, denn wenn auch die Breite des Schattens etwas abnahm, die engen Spalten waren so dunkel und dunkler als je.

Alle seine Entschlossenheit aufbietend machte sich der neue Mundschenk auf den Weg. In der rechten Hand trug er eine Laterne und die Kellerschlüssel, in der linken einen Korb, der ihm fähig schien, so viel zu fassen, als für die noch übrige Nacht nötig sein mochte. Er gelangte ohne irgendeine Störung zu der Türe. Als er aber den Schlüssel, der von alter und plumper Art war, einsteckte und umdrehen wollte, so deuchte ihn, er hörte ein seltsames Gelächter mitten in dem Keller, wobei einige leere Flaschen, welche außen auf der Flur standen, so heftig zitterten, daß sie aneinander zerbrachen; hierin konnte er nicht irren, wenn er sich auch in dem Lachen mochte geirrt haben, denn die Flaschen standen gerade vor seinen Füßen und er sah deutlich ihre Bewegung.

Leary wartete einige Augenblicke und schaute dann mit ungewöhnlicher Behutsamkeit um sich. Dann faßte er keck den Griff des Schlüssels und drehte ihn mit aller Macht in dem Schloß, als bezweifle er seine eigene Stärke; und die Türe flog mit so heftigem Krachen auf daß wenn das Haus nicht auf einem so mächtigen Felsen gestanden hätte, es in seinen Fundamenten wäre erschüttert worden.

Eine Erzählung von dem, was der arme Bursch gesehen hat, ist kaum möglich, da er kein rechtes Bewußtsein von sich selbst scheint gehabt zu haben. Dem Koch erzählte er den folgenden Morgen, daß er ein Heulen und Brüllen gehört habe wie von einem tollgewordenen Ochsen und daß alle Fässer, groß und klein, geschwankt hätten, rückwärts und vorwärts gegangen wären und zwar mit solcher Gewalt, daß er gedacht hätte, sie würden alle miteinander zusammenbrechen und er im Weine ersäuft oder erstickt werden.

Sobald Leary wieder zu sich selbst gekommen war, eilte er zu dem Speisezimmer, wo der Herr und die Gesellschaft ungeduldig auf seine Rückkehr warteten.

»Was hast du vor?« sagte Herr Mac Carthy mit einer ängstlichen Stimme, »und wo ist der Wein? Schon vor einer Stunde habe ich geschellt.«

»Der Wein ist in dem Keller, hoffe ich, Herr«, sagte Leary heftig zitternd, »ich hoffe, er ist nicht all verloren.«

»Was meinst du, Narr?« rief Herr Mac Carthy in einem immer ängstlicheren Ton, »Warum hast du keinen mit dir heraufgebracht?«

Leary blickte wild umher und stieß nur einen tiefen Seufzer aus. »Ihr Herrn!« sagte Mac Carthy zu seinen Gästen, »das ist zu arg! Wenn ich das nächstemal Euch an meinem Tische sehe, hoffe ich, soll es in einem andern Hause sein, denn es ist unmöglich, länger in diesem hier zu bleiben, wo man nicht über seinen eigenen Weinkeller Herr ist und keinen Mundschenk bekommen kann, der seine Schuldigkeit tut. Ich habe schon lange daran gedacht, von Ballinacarthy wegzuziehen und bin nun mit Gottes Beistand entschlossen, es morgen am Tage zu verlassen. Doch Wein sollt Ihr haben und müßte ich selbst deshalb in den Keller gehen.« Mit diesen Worten stand er von der Tafel auf, nahm Schlüssel und Laterne seinem halb verrückten Diener, der ihn gedankenlos anstarrte, aus der Hand und stieg die schon beschriebene steinerne Treppe, die zu dem Keller führte, hinab.

Bei der Türe angelangt, die er offen fand, glaubte er ein Geräusch zu hören, wie wenn Mäuse oder Ratten über die Fässer krabbelten und als er näher kam, bemerkte er eine kleine Gestalt, etwa sechs Daumen hoch, welche sich rittlings auf ein Faß mit dem ältesten Portwein gesetzt hatte und einen Zapfen auf der Schulter trug. Mac Carthy hob die Laterne in die Höhe und betrachtete den kleinen Gesellen voll Verwunderung. Er trug eine kleine Nachtmütze auf dem Haupt, vorne ein kurzes Lederschürzchen, das jedoch in seiner gegenwärtigen Stellung auf eine Seite gefallen war; die Strümpfe von hellblauer Farbe gingen so weit herauf, daß sie beinahe sein ganzes Bein bedeckten und an den Schuhen, auf welchen gewaltig große silberne Schnallen lagen, waren hohe Absätze, vielleicht aus Eitelkeit, um größer zu erscheinen. Sein Gesicht glich einem zusammengeschrumpften Winterapfel und seine Nase von glänzender Karmesinfarbe trug auf der Spitze eine zarte Purpurblume gleich einer Rosine. Seine Augen funkelten wie ein paar Johanneswürmchen und sein Mund zog sich mit einem verschmitzten Grinsen nach einer Seite.

»Ach Schurke!« rief Herr Mac Carthy, »habe ich dich endlich gefunden, Ruhestörer! Was hast du in meinem Keller zu schaffen?«

»Freilich, aber, Herr«, antwortete der Kleine und schaute mit einem Auge zu ihm auf, mit dem andern warf er einen listigen Blick nach dem Zapfen auf seiner Schulter, »ziehen wir morgen nicht aus? Ihr werdet den kleinen Cluricaun Naggenin, der Euch angehört, gewiß nicht zurücklassen.«

»O« dachte Mac Carthy, »willst du mir nachfolgen, Meister Naggenin, so sehe ich wenig Vorteil, wenn ich Ballinacarthy verlasse.« Er füllte den Korb, den Leary in seiner Angst nicht mitgenommen und nachdem er die Kellertüre verschlossen hatte, begab er sich wieder zu seinen Gästen.

Einige Jahre lang mußte sich Mac Carthy den Wein für seine Tafel selbst holen und der kleine Cluricaun schien eine persönliche Ehrerbietung vor ihm zu fühlen. Ungeachtet der Beschwerlichkeiten dieser täglichen Reise brachte es der ehrenwerte Herr von Ballinacarthy in seinem väterlichen Hause zu einem hübschen Alter und ward endlich durch die Trefflichkeit seiner Weine so wie durch die Fröhlichkeit seiner Gäste berühmt. Doch zur Zeit seines Todes hatte die Gesellschaft den Weinkeller ziemlich geleert und da er nachher weder so gut wieder angefüllt wurde noch so oft besucht, verloren die Feste des Meister Naggenin ihren Ruf und man hört nur davon, wenn man sich über die Sagen der Gegend belehren läßt. Da wird noch erzählt, der arme Wichtelmann habe sich den Verfall des Weinkellers so schwer zu Herzen genommen, daß er gegen sich selbst nachlässig und gleichgültig geworden und manchmal sei gesehen worden, kaum mit einem Lumpen bedeckt.

13. Der Schuhmacher


13. Der Schuhmacher

(Siehe auch die Anmerkungen)

Es gibt eine Art Menschen, denen jeder einmal hier und da begegnet ist, Menschen, die tun, als glaubten sie nicht, woran sie im Herzen doch glauben und wovor sie sich fürchten. Felix O’Driscoll war ein solcher, überall mit dem Munde voraus, ein Schreier und Schwätzer, gab er vor, weder an die Elfen noch an Cluricaune und Phuken zu glauben und manchmal war er so unverschämt sich anzustellen, als bezweifle er das Dasein der Geister, an welche doch jeder Mensch auf irgendeine Weise glaubt. Die Leute aber pflegten sich zu winken oder einander anzusehen, wenn Felix prahlte, denn man hatte bemerkt, daß er sich fürchtete, wenn er über die Furt von Ahnamoe bei Nacht ging und daß, wenn er einmal über den alten Kirchplatz von Grenaugh in der Dunkelheit ritt, obgleich er sich Mut genug getrunken hatte, er sein Pferd in Trab setzte, so daß niemand gleichen Schritt mit ihm halten konnte und er regelmäßig von Zeit zu Zeit einen scharfen Blick über seine linke Schulter warf.

Eines Abends saßen in Lorenz Reillys Wirtshaus Leute beisammen, tranken und schwätzten und Felix war auch dabei. Er fing wie gewöhnlich mit seinem Geschwätz über die Elfen an und schwur, daß er nicht glaube, es gäbe etwas Lebendiges außer Menschen und Tieren, Fischen und Vögeln und solchen Dingen, die man mit Augen sehen könnte; er begann auf eine so freche Art von dem stillen Volke zu reden, daß etliche in der Gesellschaft erschraken und sich bekreuzigten, ungewiß, was sich ereignen könnte, als eine alte Frau, Moirna Hogaune genannt, welche in einen blauen Mantel gewickelt, in der Ecke beim Feuer gesessen und ihre Pfeife geraucht hatte, ohne in das Gespräch sich einzulassen, ihre Pfeife aus dem Mund nahm, ins Feuer spie und sich umwendend den Felix ins Auge faßte.

»Ihr glaubt also nicht, daß es solche Wesen gibt, als die Cluricaune?« sagte sie.

Felix sah sie erschrocken an, antwortete aber nichts.

»Auf meine Treue, es ziemt wohl Euersgleichen, der nichts ist als ein Stück von einem Gelbschnabel, Euch anzumaßen, Ihr glaubtet nicht an das, was Euer Vater, Eueres Vaters Vater und dessen Voreltern vor ihm niemals im geringsten bezweifelt haben. Doch ich will nicht viele Worte machen, man spricht, wer sieht, der glaubt, so will ich, die ich Eure Großmutter sein könnte, Euch sagen, daß es solche Wesen gibt, wie die Cluricaune und daß ich selbst einen gesehen habe. Was wollt Ihr nun!«

Jedermann in der Stube richtete erstaunt seine Augen nach ihr hin und drängte sich zu dem Feuer, um mit zuzuhören. Felix versuchte zu lachen, aber es wollte nicht gehen und niemand achtete darauf.

»Ich erinnere mich«, sagte sie, »einige Zeit nachdem ich meinen braven Mann, der nun auch dahin gestorben ist, geheiratet hatte, es war gerade, daß ich es bei der Gelegenheit sage, kurz vorher, ehe ich mein erstes Kind zur Welt brachte (und das ist schon eine schöne Zeit), daß ich mich herausgesetzt hatte in unser kleines Gärtchen mit dem Strickzeug in der Hand, auf die Bienen acht zu geben, welche schwärmen wollten. Es war ein schöner Tag mit Sonnenschein in der Mitte Juni, die Bienen flogen von ihren Körben summend aus und ein, die Vögel zwitscherten und hüpften in dem Gebüsch und die Schmetterlinge schwärmten umher und ließen sich auf die Blumen nieder und alles duftete so frisch und süß und ich fühlte mich so glücklich, daß ich kaum wußte, wo ich war. Auf einmal hörte ich zwischen einigen Reihen Bohnen, die wir in der Ecke des Gartens hatten, ein Geräusch, das ging ticktack! ticktack! gerade als wenn ein Schuster den Absatz an einen Schuh anschlägt. »Gott behüte uns!« sagte ich zu mir selbst, »Was in aller Welt kann das sein?« Ich legte mein Strickzeug nieder, stieg auf, schlich mich sachte zu den Bohnen hin, und glaubt mir nimmermehr, wenn ich nicht vor mir, mitten darin, ein altes Männchen sitzen sah, nicht den vierten Teil so groß als ein neugebornes Kind, ein kleines aufgekremptes Hütchen auf dem Haupt, ein Pfeifenstümpfchen in dem Mund, aus dem es beständig rauchte, und einen schlichten, altfränkischen, erbsenfarbigen Rock mit großen Knöpfen auf dem Leibe, ein paar massivsilberne Schnallen auf den Schuhen, die den ganzen Fuß bedeckten, so groß waren sie; dabei arbeitete er in einem fort so eifrig, als er konnte, indem er Absätze an ein paar kleine Holzschuhe machte. Sowie meine Augen nur auf ihn fielen, wußte ich auch, daß es ein Cluricaun war und keck und beherzt sagte ich zu ihm: Gott erhalte Euch, lieber Mann, das ist saure Arbeit für den heißen Tag! Er schaute auf und kam mir vor, als wäre er von Wachs. Indem stürzte ich auf ihn zu, bekam ihn in meine Hand zu fassen und fragte, wo sein Geldbeutel wäre? Geld? sagte er, Geld, wahrhaftig! Und wie sollte ein armes, altes Geschöpf; wie ich bin, zu Geld kommen? Zaudert nicht, gab ich zur Antwort, keine von euern Streichen! Jedermann weiß, daß die Cluricaune wie Ihr so reich sind, wie der Teufel selbst. Zugleich zog ich ein Messer, das ich in meiner Tasche hatte, machte ein Gesicht, so bös als ich nur immer konnte und in Wahrheit, es war nicht leicht für mich (denn mein Gesicht war freundlich und gutmütig, wie Ihr nur eins zu Carrignavar sehen könnt), und schwur, wenn er mir nicht augenblicklich seinen Beutel gäbe oder einen Topf mit Geld zeigte, so würde ich ihm die Nase aus dem Gesicht schneiden. Ich muß gestehen, das kleine Männchen sah so erschrocken aus, als es diese Worte hörte, daß ich mich in meinem Herzen zu Mitleid gegen das arme Geschöpf bewogen fühlte. Nun so kommt, sprach er, kommt mit mir ein paar Felder abwärts, so will ich Euch zeigen, wo ich mein Geld aufbewahre. Immer den Kleinen in der Hand haltend und meine Augen fest auf ihn richtend ging ich fort, als ich plötzlich hinter mir ein Sausen hörte. Dort! Dort! rief er, schwärmen eure Bienen und gehen miteinander fort! Ich war so einfältig und drehte den Kopf um und als ich durchaus nichts sah und mich wieder nach dem Kleinen umwendete, so hatte ich nichts mehr in der Hand. Denn da ich so unglücklich gewesen war, ihn aus den Augen zu lassen, so entschlüpfte er aus meiner Hand wie ein Nebel oder Rauch und mit keinem Tritte kam er je wieder meinem Garten nah.«

14. Herr und Diener


14. Herr und Diener

(Siehe auch die Anmerkungen)

Wilhelm Mac Daniel war ein so artiger junger Bursch, als je einer in einer Tanzgesellschaft seine Sprünge machte, eine Kanne leerte oder den Stock, den er unter dem Rock trug, handhabte. Er fürchtete nichts, als den Mangel eines Trunkes, sorgte für nichts, als wer ihn bezahlen sollte und dachte an nichts, als wie er dem Wirt deshalb einen blauen Dunst vor die Augen machten wollte. Trunken oder nüchtern, ein Wort und ein Schlag war immer seine Weise und das ist eine treffliche Weise entweder einen Streit anzufangen oder zu beendigen. Viel betrübter war es, daß Mac Daniel durch diese Art zu denken, zu fürchten und für nichts zu sorgen in böse Gesellschaft geriet, denn ohne Zweifel ist das stille Volk die schlimmste Gesellschaft, in die jemand geraten kann.

Es trug sich zu, daß Mac Daniel in einer klaren Winternacht nicht lang nach Christtag auf dem Heimwege war. Der Vollmond glänzte, doch obgleich die Nacht so schön war, als das Herz nur wünschen konnte, so fiel ihm doch die Kälte beschwerlich. »Bei meiner Treu«, schnatterte er, »ein gutes Glas Wein wäre auch kein schlimmes Ding, das Herz eines Menschen, der innerlich friert, zu stärken; ich wünschte ich hätte von dem besten und gut gemessen.«

»Brauchst nicht zweimal zu wünschen, Mac Daniel!« sagte ein kleines Männchen in einem dreieckigen, mit Goldtressen besetzten Hut und mit großen Silberschnallen auf den Schuhen, so groß, daß es ein Wunder war, wie es sie tragen konnte. Es reichte ihm ein Glas dar, nicht kleiner als seine eigene Person, angefüllt mit einem so guten Wein, als je Augen gesehen oder Lippen gekostet haben.

»Prost, kleiner Mann«, sagte Mac Daniel unerschrocken, wiewohl er gleich merkte, daß er zu dem stillen Volke gehörte, »auf euer Wohl und mich bestens zu bedanken; mit der Zahlung hat’s gute Wege« und nahm das Glas und trank es in einem Zuge rein aus.

»Prost!« sagte der Kleine, »und sei herzlich willkommen, aber denke nicht mich zu prellen, wie du bei andern getan hast. Heraus mit dem Beutel und als ein ehrlicher Mann bezahlt!«

»Bezahlen soll ich Euch?« antwortete Mac Daniel, »könnte ich Euch nicht aufheben und in meine Tasche stecken, wie eine Brombeere?«

»Wilhelm Mac Daniel«, sagte der Kleine und ward ganz ängstlich; »willst du mir dienen sieben Jahre und einen Tag, so soll das meine Bezahlung sein. Mache dich bereit, mir zu folgen.«

Als Mac Daniel das hörte, reute es ihn, so keck zu dem Kleinen gesprochen zu haben. Er fühlte sich und konnte doch nicht sagen wie, genötigt dem fremden Mann durch das Land zu folgen, auf und ab, über Hecken und Graben, Sumpf und Moor, ohne Rast und Ruhe.

Als der Morgen zu dämmern begann, wendete sich der Kleine um und sprach: »Du kannst nun heim gehen, Mac Daniel, aber auf deine Gefahr säume nicht, dich nachts auf dem Fortfield bei mir einzustellen, sonst wird es dir lange Zeit schlecht ergehn. Finde ich dich aber als einen treuen Diener, so wirst du mich als einen nachsichtigen Herrn finden.«

Mac Daniel ging heim, müde und matt wie er war, ließen ihn die Gedanken an den kleinen Mann keinen Augenblick schlafen. Doch wagte er es nicht, seinem Gebot ungehorsam zu sein und in der Abendzeit machte er sich auf und ging nach Fortfield. Er war noch nicht lange da, so kam der Kleine auf ihn zu und sagte: »Mac Daniel, ich habe für diese Nacht eine weite Reise vor, sattle mir eins von meinen Pferden, das andere kannst du für dich satteln, denn du sollst mich begleiten und bist wahrscheinlich von deinem Gang in voriger Nacht noch müde.«

Mac Daniel dankte seinem Herrn für diese Aufmerksamkeit, »doch«, sagte er, »wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, Herr, so möchte ich fragen, wo der Weg nach euerm Stall ist, denn ich sehe nichts als die Burg hier und den alten Dornstamm in der Ecke des Feldes und den Strom, der in dem Tal unten rinnt und ein Stückchen Moor uns gegenüber.«

»Spare nur deine Fragen«, sagte der Kleine, »aber geh hinüber zu dem Stückchen Moor und bringe mir zwei von den stärksten Binsen, die du finden kannst.«

Mac Daniel gehorchte, verwunderte sich aber, was der kleine Mann damit wollte. Er zog zwei der stärksten Binsen, die er finden konnte, aus, mit einem kleinen Büschel brauner Blüten an jeder Seite, und brachte sie seinem Herrn.

»Sitz auf, Mac Daniel«, sprach der Kleine, indem er eine von den Binsen nahm und quer darüber schritt.

»Wo soll ich aufsitzen, wenn’s Ew. Gnaden beliebt?«

»Ei, auf den Rücken des Pferdes, wie ich, natürlich«, sagte der Kleine.

»Wollt Ihr einen Narren aus mir machen, wie Ihr einer seid«, sagte Mac Daniel, »indem Ihr verlangt, ich soll mich zu Pferd auf dieses Stückchen Binse setzen? Ihr möchtet mich wohl weismachen, die Binse, die ich eben drüben aus dem Moor ausrupfte, sei ein Pferd?«

»Auf! Auf! ohne Widerrede«, sagte das Männchen und sah ängstlich aus, »das beste Pferd, das du je geritten hast, war nur eine Mähre gegen dieses.«

Mac Daniel dachte, das alles wäre nur ein Scherz und besorgt, sein Herr möchte verdrießlich werden, beschritt er die Binse. Der Kleine rief dreimal: »borram! borram! borram!« (d.h. werde groß!) und Mac Daniel tat dasselbe. Augenblicklich schwollen die Binsen zu prächtigen Pferden auf und jagten rasch dahin; aber Mac Daniel, der die Binse zwischen seine Beine genommen hatte, ohne viel zu achten wie, fand sich auf dem Rücken des Pferdes verkehrt sitzen und ganz tölpisch mit dem Gesicht nach dem Schweif. Und so rasch war das Roß mit ihm fortgesprengt, daß es ihm unmöglich war, sich herumzusetzen und nichts übrig blieb, als sich an den Schweif zu halten.

Endlich gelangten sie zu dem Ziele ihrer Reise und hielten vor der Türe eines ansehnlichen Hauses. »Nun, Mac Daniel«, sagte der Kleine, »tue, was du siehst, daß ich tue und folge mir auf der Ferse; doch da du nicht deines Pferdes Kopf von seinem Schweif unterscheiden konntest, so hüte dich, daß du nicht in deinen eigenen Kopf den Wirbel bekommst, und du am Ende nicht recht weißt, ob du auf dem Kopf stehst oder auf den Beinen; denn kann auch nach dem Sprichwort der alte Rebensaft eine Katze zum Sprechen bringen, so kann er auch einen Menschen stumm machen.«

Darauf sprach der Kleine einige wunderlich lautende Worte, aus welchen Mac Daniel keinen Sinn bringen konnte, wiewohl er die Fähigkeit erhielt, sie nachzusprechen. Nun schlüpften beide durch das Schlüsselloch des Tors und so durch ein Schlüsselloch nach dem andern, bis sie in den Keller kamen, der mit allen Arten von Wein wohl versehen war.

Der Kleine fing alsbald an, gewaltig zu trinken und Mac Daniel, dem das Beispiel keineswegs mißfiel, tat dasselbe. »Wahrhaftig, Ihr seid der beste Herr«, sagte Mac Daniel, »einen bessern gibts auf der ganzen Welt nicht; ich bleibe mit dem größten Vergnügen in Euerm Dienst, wenn Ihr fortfahrt, mir Wein vollauf zu geben.«

»Ich habe keinen Handel mit dir gemacht«, antwortete der Kleine, »und will auch keinen machen, doch auf und folge mir.« Sie gingen fort von Schlüsselloch zu Schlüsselloch und beide stiegen auf die Binsen, die sie am Eingangstor gelassen hatten und kaum waren die Worte borram! borram! borram! über ihre Lippen, so rauschten sie fort, indem sie die dunkeln Wolken wie Schneebälle vor sich her stießen.

Als sie zu Fortfield wieder angelangt waren, entließ der kleine Mann seinen Diener, jedoch mit dem Befehl, in der folgenden Nacht um dieselbe Stunde sich wieder einzustellen. Und so ging es von nun an eine Nacht nach der andern, sie richteten ihre Fahrt bald hierhin, bald dorthin, nördlich, östlich und südlich, bis es in ganz Irland keinen ordentlichen Weinkeller mehr gab, den sie nicht besucht hatten und sie kannten Blume und Geschmack eines jeden Weines so gut, ja noch besser, als der Kellner selbst.

In einer Nacht, als Mac Daniel den kleinen Mann wie gewöhnlich in Fortfield antraf und im Begriff war, nach dem Moor zu gehen und die Reisepferde zu holen, sagte der Herr:

»Heute abend mußt du noch ein Pferd mehr mitbringen, möglich, daß wir in größerer Gesellschaft zurückkommen, als wir ausziehen.«

Mac Daniel, der schon wußte, daß er einen Befehl seines Herrn ohne weiteres Fragen auszurichten hatte, brachte noch eine dritte Binse, voll Verwunderung, wer es wohl sein könnte, der in ihrer Gesellschaft zurück reisen würde, und ob er einen Kameraden im Dienste bekommen sollte. »Ist er nur erst da«, dachte Mac Daniel, »so soll er jedesmal gehen und die Pferde im Moor holen, denn ich sehe nicht, warum ich nicht von Haut und Haar ein eben so feiner Mann sein soll, als mein Meister.«

Sie machten sich auf den Weg, und Mac Daniel hatte das dritte Pferd am Zügel. Sie hielten nicht eher an, als bis sie zu einem einsam liegenden Pächterhaus in der Grafschaft Limerick gekommen waren, nahe bei der alten Burg von Carrigogunniel, welche nach der Sage von dem großen Brian Boru gebaut war. Drinnen im Haus wurde ein Fest gefeiert und der Kleine blieb einige Zeit außen stehen, um zu horchen; aber plötzlich kehrte er sich um und sagte: »Mac Daniel, morgen werde ich tausend Jahr alt!«

»Werdet Ihr das, Herr«, antwortete Mac Daniel, »Gott segne Euch!«

»Aber sage das niemand wieder, Mac Daniel, was ich dir da entdeckt habe, es würde zu meinem Verderben auf immer gereichen. Da ich aber morgen tausend Jahr auf der Welt bin, so denke ich, es ist hohe Zeit, mich zu verheiraten.«

»Das scheint mir auch so, ohne allen Zweifel«, antwortete Mac Daniel, »wenn Ihr Willens seid zu heiraten.«

»Und bloß aus diesem Grunde bin ich nach Carrigogunniel gekommen, denn in diesem Hause, gerade an diesem Abend ist der junge Darby Riley im Begriff, die Brigitte Runey zu heiraten, und da es ein schlankes und allerliebstes Mädchen ist und von ehrbaren Leuten abstammt, so denke ich sie selber zu heiraten und mit mir fortzunehmen.«

»Und was wird Darby Riley dazu sagen?« bemerkte Mac Daniel.

»Schweig«, sagte der Kleine und sah ihn mit strengem Blick an, »ich habe dich nicht hergebracht, daß du mir Fragen vorlegen solltest.« Und ohne weiter sich über diesen Gegenstand zu äußern, sprach er jene seltsamen Worte aus, welche die Kraft verliehen, durch die Schlüssellöcher so leicht als durch die freie Luft zu gehen und dem Mac Daniel gefiel es selbst gar sehr, daß er imstande war, sie ihm nachzusagen.

Beide drangen also hinein und um die Gesellschaft besser zu sehen, hüpfte der Kleine behend wie ein Sperling auf einen von den dicken Balken, welche quer durch das Haus über den Häuptern der Leute herliefen und Mac Daniel tat dasselbe von der andern Seite. Doch nicht gewohnt, auf einem solchen Platz, wie auf einer Hühnerstange zu sitzen, hingen seine Beine so ungeschickt als möglich herab und offenbar hatte er sich die Art, mit welcher der Kleine sich zusammenkauchte, nicht zum Muster genommen. Aber dieser, wenn er sein Lebtag ein Schneider gewesen wäre, hätte nicht zufriedner mit untergeschlagenen Beinen dasitzen können.

So saßen beide, Herr und Diener, und schauten auf das lustige Fest herab, das vor ihren Augen begangen wurde. Da war der Geistliche, der Pfeifer, der Vater von Darby Riley mit Darby’s zwei Brüdern und seines Oheims Sohn; da war der Vater und die Mutter von Brigitte Runey (das alte Paar war diesen Abend stolz auf die Tochter und das mit allem Recht) und ihre vier Schwestern mit funkelneuen Bändern auf den Mützen und ihre drei Brüder, die alle so frisch und munter aussahen, als je drei Burschen in Munster; da waren Oheime und Muhmen, Gevatterinnen und Vettern genug, um das Haus voll zu machen. Da war Essen und Trinken im Überfluß und Platz an dem Tisch für jeden und wenn die Zahl noch einmal so groß gewesen wäre.

Nun ereignete es sich, gerade als Frau Runey dem Geistlichen bei dem ersten Schnitt in das Haupt des Spanferkels, das mit weißem Wirsing köstlich gefüllt war, hilfreiche Hand leistete, daß die Braut niesen mußte. Jedermann an dem Tisch fuhr auf, aber keine Seele sprach: »Gott segne uns!« denn alle dachten, der Geistliche würde das tun, wie er auch, wenn er seine Pflicht beachtet hätte, tun mußte, und niemand wollte ihm das Wort vor dem Munde wegnehmen, während er unglücklicherweise mit dem Haupt des Spanferkels und dem Gemüse beschäftigt war. Nach einem augenblicklichen Stillschweigen machten Scherz und Fröhlichkeit bei dem Fest, daß der fromme Segenspruch vergessen wurde.

Bei diesem Umstand waren beide Mac Daniel und sein Meister, von ihren erhabenen Sitzen herab keine gleichgültigen Zuschauer.

»Ha!« rief der Kleine, indem er mit freudiger Bewegung ein Bein unter sich hervorzog und sein Auge mit ungewöhnlichem Feuer funkelte, während seine Augenbrauen sich spitz in die Höhe zogen, »ha!« sagte er, schielte nach der Braut und dann nach Mac Daniel, »halb habe ich sie; wahrhaftig, laß sie nur zweimal niesen, so ist sie mein, dem Priester, Meßbuch und Darby Riley zum Trotz!«

Die schöne Braut nieste zum zweitenmal, doch so sanft und verschämt, daß wenige, den kleinen Mann ausgenommen, es bemerkten oder zu bemerken schienen, und niemand dachte daran zu sagen, »Gott segne uns!«

Mac Daniel hatte während dieser Zeit das arme Mädchen mit den traurigsten Blicken angesehen, denn er mußte beständig daran denken, wie betrübt es wäre für ein artiges junges Geschöpf von neunzehn Jahren mit großen blauen Augen, zarter Haut und Grübchen in den Backen, von Glück und Lust erfüllt, gezwungen zu werden, ein garstiges, kleines Stück von einem Manne zu heiraten, der tausend Jahr, weniger einen Tag, alt ist.

In diesem entscheidenden Augenblick nieste die Braut zum drittenmal und Mac Daniel rief aus allen Kräften: »Gott segne uns!» Ob dieser Ausruf eine Folge seines Selbstgesprächs war oder Macht der Gewohnheit, konnte er selbst nicht genau sagen. Aber kaum waren die Worte heraus, so sprang der kleine Mann, dessen Gesicht von Zorn und Verdruß glühte, von dem Balken, auf welchem er gehuckt hatte, herab und schrie mit dem grellen Ton einer kreischenden Sackpfeife:

»Ich entlasse dich aus meinem Dienste! Nimm das zum Lohn!« wobei er dem Mac Daniel einen wütenden Stoß gab, der den armen zappelnden Diener auf Gesicht und Hände mitten zwischen die aufgetragenen Speisen herunterstürzte.

Wenn Mac Daniel erschrocken war, so war es ein jeder in der Gesellschaft, in welche er ohne alle Feierlichkeit eingeführt wurde, noch mehr; doch als sie seine Erzählung hörten, legte Vater Cuney Messer und Gabel hin und traute das junge Paar auf der Stelle. Mac Daniel tanzte die Rinka bei der Hochzeit und aß und trank nach Herzenslust, worauf er mehr hielt, als auf den Tanz.

15. Das Feld mit Hagebuchen


15. Das Feld mit Hagebuchen

(Siehe auch die Anmerkungen)

Thomas Fitzpatrick war der älteste Sohn eines wohlhabenden Pächters, der zu Ballincolig in der Grafschaft Cork lebte. Thomas, ein munterer, hübscher, reinlicher Bursche, der jedermann gefiel, wer ihn ansah, hatte gerade neun und zwanzig Jahr erreicht, als er folgende Begebenheit erlebte. An einem schönen Herbsttage, es war am Tage unserer lieben Frau, der, wie jeder weiß, einer der größten Feiertage ist, streifte Thomas durch die Trift und ging an der Sonnenseite einer Hecke daher, während er bei sich bedachte, worin wohl das Unrecht liegen möchte, wenn die Leute statt müßig umher zu laufen und nichts zu tun das Heu aufschüttelten und den Hafer in Garben aufbänden, der bereits gemäht war, zumal da das Wetter wieder anfing unbeständig zu werden; als er plötzlich ein klapperndes Geräusch nicht weit von sich in der Hecke hörte. »Ei der tausend!« sagte Thomas, »Das ist ja wunderbar, noch so spät im Jahre die Schmetze singen zu hören!« Er schlich auf den Zehen herbei, ob er die Ursache des Geräusches zu Gesicht bekommen könnte und er sich in seiner Vermutung nicht geirrt habe. Das Geklapper hörte auf, aber als Thomas scharf durch das Buschwerk sah, so erblickte er in einer Ecke des Zauns einen braunen Krug, der etwa sechs Maß Flüssigkeit halten konnte und nahe dabei ein winziges, altes Männchen mit gekremptem Hut auf dem Kopf und ledernem Schürzchen, das vorne herabhing. Es schleppte einen kleinen hölzernen Stuhl herbei, stieg darauf, tauchte ein kleines Eimerchen in den Krug und zog es voll wieder heraus, stellte es neben den Stuhl und setzte sich dann bei dem Krug und fing an zu arbeiten, indem es auf einen kleinen Schuh, wie er gerade für sein Füßchen paßte, einen Fleck aufschlug. »So wahr ich lebe«, sprach Thomas zu sich selbst, »ich habe oft von einem Cluricaun reden hören, aber ehrlich zu gestehen, ich habe nie recht daran geglaubt, doch hier ist einer in allem Ernst. Wenn ich geschickt zu Werke gehe, so bin ich ein gemachter Mann. Wie ich gehört habe, darf man die Augen nicht von ihm abwenden, oder er weiß zu entwischen.«

Thomas schlich sich jetzt herbei und richtete die Augen auf ihn, wie eine Katze auf die Maus, oder wie man liest, daß die Klapperschlange tut, wenn sie die Vögel festbannen will. So kam er ganz nahe zu ihm. »Gott segne Eure Arbeit, Nachbar!« sagte Thomas.

Der Kleine richtete den Kopf in die Höhe: »Ich danke Euch schönstens«, antwortete er.

»Mich wundert, daß Ihr an dem heiligen Tage arbeitet«, sagte Thomas.

»Das ist meine Sorge, nicht Eure.«

»Freilich«, sprach Thomas, »aber Ihr seid ja wohl so gut und sagt mir, was Ihr da in der Kanne habt?«

»Herzlich gerne«, antwortete der Kleine, »es ist gutes Bier.«

»Bier!« rief Thomas, »Blitz und Hagel! Wie seid Ihr dazu gekommen?«

»Wie ich dazu gekommen bin? Gebraut habe ich es. Und wovon denkt Ihr, daß ich es gemacht habe?«

»Das mag der Guckguck wissen!« sprach Thomas, »ich denke aus Malz, woraus sonst?«

»Ihr irrt, ich mache es aus Heide.«

»Aus Heide!« rief Thomas, indem er in lautes Lachen ausbrach; »Ihr denkt doch nicht, daß ich ein solcher Narr wäre, um das zu glauben?«

»Wie es Euch beliebt«, antwortete er, »doch was ich Euch sage, ist wahr. Habt Ihr nie etwas von den Dänen erzählen gehört?«

»Gewißlich habe ich das«, sagte Thomas, »waren das nicht die Burschen, die wir ins Gebet nahmen, als sie uns Limerick zu entreißen gedachten?«

»Geht«, sagte der Kleine mit geringschätziger Miene, »ist das alles, was Ihr davon wißt?«

»Nun, was ist denn mit den Dänen?« fragte Thomas.

»Die Sache ist diese: als sie hier waren, so lehrten sie uns Bier aus Heide machen und das Geheimnis ist seitdem immer in meiner Familie geblieben.«

»Gebt Ihr einem zu versuchen von euerm Bier?« sprach Thomas.

»Ich will Euch etwas sagen, junger Mann. Es würde Euch besser ziemen, Eueres Vaters Haushalt zu besorgen, als bescheidene und ruhige Leute mit Euern dummen Fragen zu quälen. Eben jetzt, während Ihr Eure Zeit in Müßiggang zubringt, sind die Kühe in den Hafer geraten und haben die Frucht ganz niedergetreten.«

Thomas erschrak über diese Nachricht so sehr, daß er eben im Begriff war, sich umzuwenden, als er sich noch besann. Und da er befürchtete, es könnte ihm abermals begegnen, so grapste er nach dem Kleinen und packte ihn mit der Hand; doch in der Hast warf er die Kanne um und verschüttete all das Bier, so daß er es nicht versuchen und nicht sagen konnte, von welcher Art es gewesen sei. Er schwur dem Kleinen zu, daß er ihm kein Leid zufügen wollte, wenn er ihm zeigte, wo sein Geld wäre. Thomas sah so bös und blutdürstig aus, daß der Cluricaun sich gewaltig fürchtete. »Kommt mit mir«, sprach er, »über ein paar Felder, so will ich Euch einen ganzen Topf voll Gold zeigen.«

Sie gingen fort, und Thomas hielt den Kleinen fest in der Hand und wendete die Augen nicht von ihm weg. Sie mußten über Zaun und Graben, denn der Cluricaun schien aus bloßer Schadenfreude den härtesten und beschwerlichsten Weg auszusuchen, bis sie endlich auf ein Feld kamen, das ganz mit Hagebuchen angefüllt war und der Cluricaun ging auf einen dicken Stamm zu und sprach: »Grabt nur unter diesem Hagebuchenbaum, Ihr werdet einen ganzen Topf voll Goldstücke finden.«

Thomas hatte in der Hast nicht daran gedacht, einen Spaten mitzunehmen; er wollte nach Hause laufen und einen holen, und um die Stelle desto besser wiederzufinden, nahm er eins von seinen roten Strumpfbändern, das er um den Hagebuchenbaum knüpfte.

»Ich denke, Ihr bedürft mein nicht weiter«, sagte der Cluricaun mit Höflichkeit.

»Nein«, antwortete Thomas, »Ihr könnt Eurer Wege gehen, wenns Euch beliebt. Gott geleite Euch und gutes Glück folge Euern Schritten.«

«Laßt’s Euch wohl ergehen, Thomas Fitzpatrick«, sagte der Cluricaun, »und möge Euch alles zum Glück ausschlagen!«

Thomas rannte wie besessen nach Hause und holte einen Spaten und lief ebenso schnell, was er nur konnte, wieder nach dem Felde zurück. Aber wie er ankam, siehe da! Kein Hagebuchenbaum auf dem Felde, um den er nicht ein rotes Strumpfband gefunden hätte, dem seinigen völlig ähnlich, und es wäre ein unsinniger Gedanke gewesen, das ganze Feld umzugraben, denn es enthielt mehr als vierzig Acker Land.

Thomas ging also mit seinem Spaten auf der Schulter nach Hause, ein wenig kühler, als er gekommen war und verwünschte den Cluricaun, so oft er an den saubern Streich dachte, den er ihm gespielt hatte.

16. Die kleinen Schuhe


16. Die kleinen Schuhe

(Siehe auch die Anmerkungen)

»Nun sagt mir, Marie«, sprach Herr Cote zu Marie Cogan, als er ihr eines Tages auf der Straße, gerade auf dem alten Torweg von Kilmallock begegnete, »habt Ihr je etwas von einem Cluricaun gehört?«

»Von einem Cluricaun? Das mein‘ ich und mehr als einmal; wie oft habe ich meinen Vater, Ruhe seiner Seele! davon erzählen hören, eine Geschichte nach der andern.«

»Aber habt Ihr selbst niemals einen gesehen, Marie?«

»Nein, ich selbst mein Lebtag nicht; aber mein Großvater, meines Vaters Vater, ja der hat einmal einen gesehen, sogar in den Händen gehabt.«

»In den Händen gehabt! Ei, Marie, das müßt Ihr mir erzählen.«

»Gerne will ich das tun. Seht, mein Großvater war draußen im Moor gewesen, hatte Torf heimgefahren und der arme, alte Gaul war von seinem Tagewerk müde und der alte Mann war hinaus in den Stall gegangen, um nach ihm zu sehen, ob er sein Futter gefressen habe. Und als er zu der Stalltür kam, hörte er etwas hämmern und hämmern, ganz genau so, als wenn ein Schuster Schuhe macht, und dabei ein so hübsches Liedchen pfeifen, wie er sein Lebtag noch keins gehört hatte. Mein Großvater, der dachte gleich, das ist ein Cluricaun und sprach zu sich selbst und sagte: »Wenn’s geht, so fange ich ihn und dann habe ich Geld genug, solange ich lebe.« Er öffnete die Türe sachte, sachte, und machte nicht so viel Lärm als eine Katze, die nach der Maus schleicht; er schaute sich überall um, es war aber von dem kleinen Männchen nichts zu sehen und doch hörte er, wie es hämmerte und pfiff. Da schaute er und schaute, bis er endlich den kleinen Gesellen sah und denkt, er saß in der Gurt unter der Stute. Er hatte ein kleines Schürzfell um, den Hammer in der Hand und eine kleine rote Nachtmütze auf dem Kopf und machte Schuhe. Er war so mit seiner Arbeit beschäftigt, hämmerte und pfiff so laut, daß er meinen Großvater gar nicht merkte, bis ihn dieser fest mit der Hand packte. Jetzt habe ich Euch, rief er und ich sage Euch, ich lasse Euch nicht eher los, als bis ich Euern Geldbeutel habe, der ist jetzt mein, nur gleich heraus damit. Halt, halt! sagte der Cluricaun, ich will ihn holen. Mein Großvater, denkt Euch, ist so ein Narr und öffnet seine Hand ein wenig, und der Kleine hüpft lachend fort, und er sah ihn niemals wieder, noch weniger etwas von dem Geldbeutel; nur den kleinen Schuh, an dem er arbeitete, hatte der Cluricaun zurückgelassen. Mein Großvater war über sich selbst ärgerlich genug, daß er ihn hatte entschlüpfen lassen; den Schuh behielt er, solange er lebte und meine eigene Mutter hat mir erzählt, daß sie ihn oft genug gesehen und in der Hand gehabt, und daß es der niedlichste Schuh gewesen, den ihre Augen jemals erblickt hätten.«

»Und habt Ihr ihn auch gesehen, Marie?«

»Lieber Himmel, nein, das war lange, ehe ich auf die Welt kam, meine Mutter hat mir oft genug davon erzählt.«

Die Banshi


Die Banshi

(Siehe auch die Anmerkungen)

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war Pfarrer zu Buttevant in der Grafschaft Cork der ehrwürdige Herr Carl Bunworth, ein Mann von gründlichen Kenntnissen und ungeheuchelter Frömmigkeit. Von den Reichen war er geachtet, von den Armen geliebt und ein Unterschied im Glauben minderte nicht die Zuversicht, mit der sie sich in einer schwierigen Angelegenheit oder in Zeiten des Mißgeschickes an ihn wendeten; denn sie waren gewiß, von ihm Beistand in Rat und Tat zu erhalten, wie ihn ein Vater seinen Kindern zu gewähren pflegt. Zu ihm kamen aus der benachbarten Stadt Newmarket seines Rates und Unterrichts wegen Curran sowohl als Yelverton vor ihrem Eintritt in die hohe Schule zu Dublin. Jung, ohne Vermögen und Erfahrung empfingen diese späterhin berühmten Männer außer der Belehrung, die sie suchten, noch Unterstützung in Geld, und ihre glänzende Laufbahn in der Folge rechtfertigte den feinen Takt, womit der Geber sie auszeichnete.

Was indessen den Ruf des Herrn Bunworth weit über die Grenzen der nächsten Kirchsprengel verbreitete, war seine Fertigkeit auf der irischen Harfe, und die gastfreundliche Aufnahme und Bewirtung der armen Harfenspieler, die von Haus zu Haus in der Grafschaft umherzogen. Dankbar san-gen sie auf ihren Wanderungen den Ruhm des Wohltäters zu den rauschenden Tönen ihrer Harfe, indem sie zur Vergeltung seiner Güte reiche Segnungen auf sein weißes Haupt herabriefen und in schlichten, kunstlosen Worten die Reize seiner blühenden Töchter, Elisabeth und Marie, priesen. Es war alles, was diese armen Sänger vermochten, aber wer will an der Aufrichtigkeit ihres Dankes zweifeln, da bei dem Tod des Herrn Bunworth nicht weniger als fünfzehn Harfen auf dem Boden seines Kornhauses sich hinterlegt fanden, die ihm von den letzten Gliedern eines Stammes, der nun aufgehört hat zu bestehen, waren vermacht worden? Geringfügig ohne Zweifel war der eigentliche Wert dieser Überbleibsel, doch in den Gaben des Herzens liegt etwas, das verdient erhalten zu werden und es ist zu bedauern, daß nach seinem Tode diese Harfen eine nach der andern zerschlagen und von einem unwissenden Glied der Familie, nachdem man, als sie für eine Zeitlang ihren Aufenthalt in Cork nahm, die Sorge für das Hauswesen übertragen hatte, zum Feueranmachen verbraucht wurden.

Die Umstände bei dem Tode des Herrn Bunworth mögen von manchem in Zweifel gezogen werden; doch es leben noch jetzt glaubwürdige Zeugen, welche die Wahrhaftigkeit davon behaupten und gestellt werden können, um die meisten, wo nicht alle Einzelheiten der folgenden Erzählung zu verbürgen.

Ungefähr eine Woche vor seinem Ende bei dem Eintritt der Nacht ward ein Geräusch an der Saaltüre vernommen, etwa als ob ein Schaf geschoren würde, ohne daß man damals besonders darauf acht hatte. Es war bald elf Uhr in derselben Nacht, als der Hirte Kavanagh von Mallow zurückkehrte, wohin er einiger Arzneien wegen nachmittags war ausgeschickt worden und Miß Bunworth, welcher er das Glas überreichte, bemerkte, daß er sehr verstört aussah. Zu dieser Zeit glaubte man, was wohl zu beachten ist, daß der Zustand ihres Vaters durchaus nicht gefährlich sei.

»Was habt Ihr, Kavanagh?« fragte sie; aber der arme Mensch mit ganz verwildertem Blick, brachte nur die Worte hervor: »Der Herr, Miß, der Herr, er verläßt uns!« Und überwältigt von heftigster Betrübnis brach er in eine Flut von Tränen aus. Miß Bunworth, deren kräftige Natur nicht leicht zu schrecken war, fragte, ob er in Mallow etwas gehört hätte, was ihn veranlassen könnte zu vermuten, daß es mit ihrem Vater schlimm stände?

»Ach nein, es war nicht in Mallow« – antwortete er.

»Kavanagh«, sagte Miß Bunworth mit jenem entschiedenen Wesen, das in ihrem Charakter lag; »ich fürchte, Ihr habt getrunken und ich gestehe, daß ich es am wenigsten in dieser Zeit von Euch erwartete, wo Ihr besonders verpflichtet war’t, nüchtern zu bleiben. Ich dachte, man könnte sich auf Euch verlassen. Was hätten wir anfangen sollen, wenn die Arzneiflasche zerbrach oder verloren ging? Denn der Arzt hat gesagt, es sei von größter Wichtigkeit, daß der Herr noch heute nacht davon nehme; doch ich will morgen mit Euch sprechen, wenn Ihr Euch in einem Zustand befindet, in welchem Ihr fähiger seid zu wissen, was Ihr sagt.«

Kavanagh schaute auf mit einem dummen Blick, der nicht dazu dienen konnte, den Eindruck seiner Trunkenheit zu entfernen, so wenig als die trüben, vom Weinen geschwollenen Augen; doch seine Stimme war nicht die eines Berauschten.

»Miß«, sagte er, »so wahr mir Gott helfe! Kein Tropfen ist über meine Lippen gekommen, seit ich dieses Haus verlassen habe; doch der Herr –«

»Redet leise«, antwortete Miß Bunworth, »er schläft und es geht so gut, als wir nur immer erwarten können.«

»Gott sei gelobt!«, sagte Kavanagh; »Doch ach, er verläßt uns, wahrhaftig, Miß, er verläßt uns!« und rang die Hände.

»Was meint Ihr, Kavanagh?« fragte sie.

»Was ich meine? Die Banshi hat sich gezeigt, seinetwegen, und ich bin es nicht allein, der sie gehört hat.«

»Das ist bloßer Aberglaube!« sagte Miß Bunworth.

»Mag wohl sein!« versetzte Kavanagh, als wenn die Worte bloßer Aberglaube nur in seine Ohren geklungen wären, ohne seine Seele zu erreichen; »mag wohl sein; doch«, fuhr er fort, »als ich durch das Tal von Ballybeg kam, ging sie daher, jammernd und schreiend und die Hände zusammenschlagend; an meiner Seite war sie bei jedem Schritt, den ich auf dem Weg tat; ihr langes, weißes Haar fiel über ihre Schultern und ich konnte hören, wie sie des Herrn Namen dann und wann aussprach, so deutlich, als ich jemals gehört habe. Wie ich zu der alten Abtei kam, verließ sie mich und wendete sich nach dem Taubenfeld zunächst dem Gottesacker und, sich in ihren Mantel hüllend, setzte sie sich unter einen vom Blitz gespaltenen Baum und hub an so bitterlich zu wehklagen, daß es durch’s Herz ging, es mit anzuhören.«

»Kavanagh«, sagte Miß Bunworth, die gleichwohl aufmerksam seiner wunderlichen Erzählung zugehört hatte, »mein Vater befindet sich, wie ich glaube, besser und ich hoffe, er wird bald wieder auf sein und selbst imstande, Euch zu überzeugen, daß dies alles nur Einbildung von Euch ist. Indessen verlange ich von Euch, nichts von dem zu erwähnen, was Ihr mir soeben erzählt habt, denn es ist nicht Augenblick, die Leute im Hause mit dieser Geschichte in Furcht zu setzen.«

Herrn Bunworths Kräfte nahmen allmählich ab, doch kein besonderer Umstand ereignete sich, bis zu der Nacht vor seinem Tode. In dieser Nacht ließen die beiden Töchter, erschöpft von Wachen und der beständigen, aufmerksamen Pflege, sich überreden, ein wenig auszuruhen, eine ältliche Frau, nahe Verwandte und Freundin der Familie, blieb neben dem Bett des Kranken sitzen. Der alte Mann lag in dem Gesellschaftszimmer, wohin er den Morgen auf sein eigenes Verlangen gebracht worden war, weil er sich einbildete, diese Veränderung wurde ihm einige Erleichterung gewähren; mit dem Kopf lag er nahe an dem Fenster. In dem anstoßenden Zimmer saßen einige Freunde und wie gewöhnlich bei solchen traurigen Anlässen waren in der Küche mancherlei Menschen aus Anhänglichkeit an die Familie versammelt.

Es war eine mondhelle Nacht, der Kranke schlief und nichts unterbrach die Stille des traurigen Wachens, als die kleine Gesellschaft in dem anstoßenden Zimmer, dessen Türe offen stand, aufgeschreckt wurde durch einen Ton an dem Fenster nahe bei dem Bett. Ein Rosenbaum stand außen, so nahe, daß er die Scheiben des Fensters berührte. Dieses wurde plötzlich mit einigem Geräusch aufgestoßen und leises Wimmern gehört und ein Zusammenschlagen der Hände, wie von einem Weib in tiefem Jammer. Es schien, als käme der Ton von jemand, der seinen Mund ganz nah an das Fenster hielt. Die Frau, welche neben dem Bette des Kranken saß, stand auf und ging in das Nebenzimmer und fragte mit ängstlichem Ton die Herren, ob sie die Banshi gehört hätten? Zwei von ihnen, die an übernatürliche Erscheinungen wenig glaubten, standen sogleich auf, um die Ursache jener Klänge zu entdecken, die sie gleichfalls deutlich vernommen hatten. Sie gingen rund um das Haus, untersuchten jede Stelle, vorzüglich jene in der Nähe des Fensters, woher die Stimme gekommen war; alles Suchen jedoch war vergeblich, sie entdeckten nicht das geringste und ununterbrochene Stille herrschte überall. In der Hoffnung, das Geheimnis zu enthüllen, setzten sie ihre Nachforschungen die Straße entlang auf das genauste fort, und da diese sehr gerad war und die Nacht vollkommen hell, hinderte sie nichts rund umher eine ziemliche Strecke zu übersehen; indessen war alles still und öd und sie kehrten mit Verwunderung und getäuscht in ihren Erwartungen zurück. Um so größer war ihr Erstaunen, als sie vernahmen, daß in der ganzen Zeit, während ihrer Abwesenheit, jene, die im Hause zurückgeblieben waren, das Wehklagen und Zusammenschlagen der Hände gehört hatten und zwar viel lauter und deutlicher, als zuvor; und kaum hatten sie die Türe des Zimmers hinter sich zugemacht, als sie abermals jene klägliche Stimme vernahmen. Der Kranke ward von Stunde zu Stunde schlimmer und beim ersten Schimmer des Morgens tat Herr Bunworth den letzten Atemzug.

18. Die Banshi von Mac Carthy


18. Die Banshi von Mac Carthy

(Siehe auch die Anmerkungen)

Karl Mac Carthy war im Jahr 1749 der einzige noch lebende Sohn einer zahlreichen Familie. Sein Vater starb, als er wenig mehr als zwanzig Jahr alt war und hinterließ ihm die Güter ziemlich unverschuldet. Karl war lebhaft und wohlgebildet, weder durch Dürftigkeit, noch einen Vater oder Wächter gezügelt und eben deshalb in einem solchen Alter kein Tugendspiegel. Offenherzig zu reden, er war ein verschwenderischer, man sollte wohl sagen wüster Schwelger. Seinen Umgang suchte er, wie sich denken läßt, in der benachbarten Jugend der höheren Stände, deren Vermögensumstände in der Regel glänzender waren, als die seinigen, deren Hang zu Vergnügungen deshalb noch weniger Einschränkung kannte und in deren Beispiel er eben sowohl Anreizung zu seinem unordentlichen Leben als Billigung desselben fand.

Karl Mac Carthy versank so tief in die Lüste, welchen sich zu ergeben die schwache Jugend ohnehin geneigt ist, daß um die Zeit, wo er sein vier und zwanzigstes Jahr vollendete, er von einem heftigen Fieber befallen wurde, welches als höchst bösartig bei der Hinfälligkeit seines Körpers kaum Hoffnung zur Genesung ließ. Seine Mutter, die anfänglich mancherlei Anstrengungen gemacht hatte, ihn von dem Irrwege abzubringen und am Ende genötigt war, die raschen Fortschritte zum Verderben mit stiller Verzweiflung anzusehen, wachte Tag und Nacht bei seinem Lager. Die Angst des mütterlichen Gefühls war gemischt mit einem noch tiefern Jammer, welchen jene allein kennen, die unablässig bemüht ein geliebtes Kind in Tugend und Frömmigkeit zu erhalten, gesehen haben, wie es nach den Wünschen ihres Herzens bis zum Manne heranwuchs, dann, wenn ihr Stolz am höchsten war, erleben mußten, daß eben das, was ihnen das liebste auf der Welt war, sorglos in den Strom des Lasters sich stürzte und nach einem schnellen Lauf vor die Pforten der Ewigkeit zu stehen kam ohne Zeit und Kraft zur Reue. Es war ihr heißes Gebet, wenn sein Leben nicht könnte erhalten werden, daß die Bewußtlosigkeit, welche seit den ersten Stunden seiner Krankheit mit immer wachsender Gewalt fortdauerte, vor seinem Ende aufhören und ihm Besinnung und Ruhe genug hinterlassen möchte, seinen Frieden mit dem beleidigten Himmel zu machen. Nach wenigen Tagen indessen schien die Natur völlig erschöpft und er versank in einen Zustand, der dem Tode zu ähnlich war, als daß man ihn für Ruhe des Schlafes hätte halten können. Sein Gesicht war bleich, glatt und marmorartig, zum sichersten Zeichen, daß das Leben die irdische Wohnung verlassen hat. Seine Augen waren geschlossen und eingesunken, die Augenlider hatten jenes erstarrte und eingedrückte Wesen, das anzuzeigen pflegt, daß die Hand eines Freundes schon den letzten Dienst geleistet hat. Die Lippen, halb geschlossen und vollkommen aschgrau, ließen nur etwas von den Zähnen sehen, um dem Bild des Todes seinen furchtbarsten aber ausdrucksvollsten Zug zu geben. Er lag auf dem Rücken, die Hände zur Seite ausgestreckt, ganz bewegungslos, und die erschütterte Mutter konnte nach wiederholten Versuchen nicht das geringste Zeichen von Leben entdecken. Der Arzt, der zugegen war und die üblichen Proben angestellt hatte, um Gewißheit über den Zustand zu erhalten, erklärte endlich, daß er verschieden sei und traf Anstalt, das Sterbehaus zu verlassen. Sein Pferd wurde vorgeführt. Eine Menge Leute, die sich vor den Fenstern oder in Haufen hier und da auf dem Platz versammelt hatten, eilten herzu, als die Türe sich öffnete. Es waren Diener des Hauses, Leute, die Wohltaten empfingen, arme Verwandte der Familie, wozu noch andere sich gesellten, durch Anhänglichkeit herbeigezogen, auch wohl durch Teilnahme, die zwar mit aus Neugierde entspringt, aber doch noch etwas mehr ist und welche die niedern Stände um ein Haus zu versammeln pflegt, wo ein menschliches Wesen in die andere Welt übergeht. Sie sahen den Mann, der im Beruf zugegen gewesen war, aus der Haustüre treten und zu seinem Pferde gehen; und während er langsam, mit traurigem Wesen sich anschickte aufzusteigen, drängten sie sich forschenden und bewegten Blicks um ihn her. Man hörte kein lautes Wort und doch war ihre Meinung außer Zweifel; der Arzt, als er aufgesessen war, während der Diener beständig den Zaum in den Händen behielt, als wollte er ihn zurückhalten, und ängstlich nach seinen Mienen schaute, als wenn er erwartete, er werde die beklemmende Ungewißheit lösen, schüttelte den Kopf und sagte mit gedämpfter Stimme: »Es ist vorbei, Jacob!« und ritt langsam fort. Kaum war das Wort aus seinem Munde, so stießen die in nicht geringer Zahl anwesenden Weiber einen heftigen Schrei aus, welcher, nachdem er eine halbe Minute lang gedauert hatte, plötzlich in ein lautes, fortgesetztes und mißhelliges, aber jammervolles Wehklagen herabsank, durch welches nur dann und wann die tiefern Töne männlicher Stimmen drangen, manchmal in abgebrochenem Schluchzen, manchmal in deutlichen Ausrufungen des Schmerzens. Karls Milchbruder ging unter der Menge Menschen umher, die Hände bald zusammenschlagend, bald in schmerzvoller Angst ringend. Der arme Bursch war in der Jugend Karls Gefährte und Spielgenosse, in der Folge sein Diener gewesen, hatte sich immer durch eine besondere Anhänglichkeit ausgezeichnet und zuletzt seinen jungen Herrn wie sein eigenes Leben geliebt.

Als die Mutter überzeugt war, daß der harte Schlag sie wirklich getroffen hatte und ihr geliebter Sohn in der Blüte seiner Sünde dahingegangen war, die letzte Rechenschaft abzulegen, blieb sie eine Zeitlang und schaute mit unverwandten Blicken das erstarrte Antlitz an; dann als habe plötzlich etwas die Saite ihrer zärtlichsten Liebe berührt, rollte eine Träne nach der andern über ihre von Angst und Nachtwachen abgebleichten Wangen. Sie schaute noch immer auf ihren Sohn, ohne zu wissen, daß sie weinte und ohne nur einmal ihr Tuch vor die Augen zu halten, bis sie an die beschwerlichen Pflichten, welche herkömmliche Landessitte ihr auflegte, durch die Menge Frauen erinnert ward, die zu der bessern Klasse der Bauern gehörte und nun unter lautem Schreien beinahe das ganze Gemach anfüllten. Sie entfernte sich hierauf, um Anordnungen wegen der Feierlichkeit bei dem Wachen zu treffen und um die zahlreichen Besucher aus allen Ständen mit den bei dieser traurigen Gelegenheit üblichen Erfrischungen versorgen zu lassen. Obgleich ihre Stimme kaum gehört wurde und niemand sie sah, als zwei Diener und ein oder zwei bewährte Hausfreunde, die ihr bei den nötigsten Einrichtungen Beistand leisteten, so wurde doch alles mit der größten Regelmäßigkeit ausgeführt. Und wiewohl sie sich keineswegs anstrengte, ihren Schmerz zu unterdrücken, so hemmte er doch keinen Augenblick ihre Aufmerksamkeit, die gerade jetzt nötiger als je war, um Ordnung in ihrem Hauswesen zu erhalten, welches in dieser Unglückszeit ohne sie ganz in Verwirrung geraten wäre.

Die Nacht war ziemlich vorgerückt, das laute Jammergeschrei, welches den Tag über in und um das Haus herrschte, hatte einem feierlichen und düstern Schweigen Platz gemacht, und Frau Mac Carthy, der das Herz ungeachtet der langen Ermüdung und nächtlichen Wachen zu schwer war, um schlafen zu können, lag in heißem Gebet auf den Knien in einem Zimmer, das unmittelbar an das ihres Sohnes stieß. Plötzlich ward sie in ihrer Andacht durch ein ungewöhnliches Geräusch unterbrochen, welches von den Personen kam, die bei der Leiche wachten. Zuerst war es ein leises Gemurmel, dann war alles still, als wenn die Bewegungen jener, die in dem Zimmer sich befanden, durch einen heftigen Schrecken wären gelähmt worden; jetzt brach ein lauter Schrei des Entsetzens aus, die Türe des Zimmers ward aufgerissen und was im Gedränge sich aufrecht erhalten konnte, stürzte wild untereinander nach der Treppe hin, zu welcher der Weg durch der Frau Mac Carthy Gemach führte. Frau Mac Carthy drang durch das Gewirr in das Zimmer ihres Sohnes und fand ihn aufrecht im Bette sitzen, starr um sich schauend, gleich einem, der aus dem Grabe erstanden ist. Ein gewisser Glanz, der sich über die eingesunkenen Züge und die spitzen, abgestorbenen Formen verbreitete, verlieh seinem ganzen Anblick etwas überirdisch Grauenhaftes. Frau Mac Carthy war nicht ohne Festigkeit der Seele, aber befangen in dem Aberglauben ihres Vaterlandes. Sie sank auf die Knie und die Hände faltend betete sie laut. Die Gestalt vor ihr bewegte den Mund und brachte bloß »Mutter!« heraus, die bleichen Lippen zuckten, als hätten sie die Absicht, den Gedanken zu beendigen, aber die Zunge versagte den Dienst. Sie sprang auf ihn zu und die Hände ausstreckend, rief sie: »Rede, im Namen Gottes und seiner Heiligen, rede, lebst du?«

Er wendete sich langsam zu ihr hin und sprach mit sichtbarer Anstrengung: »Ja, meine Mutter, ich lebe; aber sitzt nieder und sammelt Euch. Ich will Euch etwas erzählen, worüber Ihr mehr erstaunen werdet, als über das, was Ihr gesehen habt!« Er lehnte sich aufs Kopfkissen zurück und während sie neben dem Bette knien blieb, eine von seinen Händen in den ihrigen haltend und zu ihm aufschauend, wie jemand, der seinen eigenen Sinnen nicht mehr traut, fuhr er fort:

»Unterbrecht mich nicht, bis ich zuende bin; ich möchte gerne sprechen, so lange der Reiz des wiederkehrenden Lebens in mir dauert, denn ich fühle, daß ich hernach langer Ruhe bedarf. Von dem Anfang meiner Krankheit habe ich nur eine verwirrte Erinnerung, doch in den letzten zwölf Stunden habe ich vor dem Richterstuhl Gottes gestanden. Starrt mich nicht so ungläubig an, Mutter, es ist wahr, wie es meine Sünden sind und wie ich hoffe, daß es meine Reue sein wird. Ich habe den hehren Richter gesehen, strahlend in all den Schrecken, die ihn umgeben, wenn die Gnade der Gerechtigkeit weicht. Ich habe die furchtbare Herrlichkeit der beleidigten Allmacht gesehen und ich erinnere mich dessen wohl. Es ist mir fest eingeprägt und mit unauslöschlicher Schrift in mein Gehirn gedrückt, aber dahin reicht menschliche Sprache nicht. So viel ich kann, will ich beschreiben, ich muß mich kurz fassen. Es ist genug gesagt, ich ward auf die Waage gelegt und zu leicht befunden. Das unwiderrufliche Urteil sollte eben gefällt werden, die Augen meines allmächtigen Richters, die mich angestrahlt hatten, sprachen schon halb meine Verdammung aus, als ich bemerkte, daß der heilige Schutzengel, an den Ihr so oft mein Gebet richtetet, als ich noch ein Kind war, mit einem Ausdruck voll Güte und Mitleid mich ansah. Ich streckte die Hände nach ihm aus und flehte um seine Fürsprache. Ein Jahr nur, ein Monat, bat ich, möchte mir noch auf Erden gegeben werden zur Reue und Sühne für meine Vergehungen. Er kniete selbst vor den Füßen meines Richters und flehte um Gnade. Ach! niemals, und sollte ich noch übergehen nacheinander in zehntausend verschiedene Zustände meines Daseins, niemals in alle Ewigkeit werde ich das Entsetzen jenes Augenblickes vergessen, wo mein Schicksal zur Entscheidung kam und von einer Sekunde abhing, ob unaussprechliche Qualen auf endlose Zeiten mein Los sein sollten. Doch die Gerechtigkeit verschob ihren Beschluß und die Gnade sprach in festem, mildem Ton: kehre zurück auf die Welt, in welcher du gelebt hast, aber nur um die Gesetze dessen zu versöhnen, der die Welt und dich geschaffen hat. Drei Jahre sind dir gegeben zu bereuen, sind diese verflossen, dann sollst du abermals hier stehen, um erlöst zu werden oder dem ewigen Verderben preisgegeben. Ich hörte nichts mehr, ich sah nichts mehr, bis ich zum Leben erwachte, in dem Augenblick, wo Ihr eintratet.«

Seine Kräfte reichten gerade so weit, um diese letzten Worte zuende zu bringen und sobald er sie ausgesprochen hatte, schloß er die Augen und lag völlig erschöpft. Die Mutter, obgleich sie, wie vorhin bemerkt, übernatürliche Erscheinungen nicht gerade ableugnete, war doch ungewiß, ob sie ihm glauben sollte, oder annehmen, daß er, wiewohl aus einer Ohnmacht erwacht, welche die Krisis der Krankheit möchte gewesen sein, noch immer an Geistesabwesenheit litte. Ruhe indessen war ihm in jedem Falle Bedürfnis und sie traf sogleich Vorkehrungen, daß er sie ungestört genießen konnte. Nach einigen Stunden Schlaf wachte er neugestärkt auf und von da an nahm die Genesung stufenweise beständig zu.

Karl beharrte stets bei der Erzählung von seiner Vision, so wie er sie gleich das erstemal gegeben hatte und die Überzeugung von ihrer Wahrheit mußte notwendig von entschiedenem Einfluß auf seine Lebensweise und sein Betragen sein. Er gab seinen früheren Umgang nicht völlig auf, denn die Heiterheit seiner Natur war durch seine Umwandlung nicht getrübt worden, aber er nahm an Ausschweifungen niemals Teil, dagegen war er oft ernstlich bemüht, die andern davon abzuhalten. Er war gottesfürchtig ohne Scheinheiligkeit, ernst ohne Strenge, und gab ein Beispiel, wie Laster sich in Tugend umwandeln könne, ohne vornehm, herb und trübselig zu werden.

Die Zeit verstrich und lang ehe die drei Jahre zu Ende gingen, war die Geschichte von der Vision vergessen oder wenn die Rede darauf kam, wurde sie gewöhnlich als ein Beweis angeführt, wie unvernünftig es sei, an solche Dinge zu glauben. Karls Gesundheit, bei der Mäßigung und Regelmäßigkeit seiner Lebensweise, ward kräftiger als je. Es ist wahr, seine Freunde hatten oft Gelegenheit, ihn wegen seines ernsthaften und zurückgezogenen Betragens zu necken, welches man an ihm bemerkte, als sich die Zeit näherte, wo er sein siebenundzwanzigstes Jahr vollendete, gewöhnlich jedoch zeigte er im Umgang jene Lebendigkeit und Heiterheit, die ihm eigentümlich war. Unter Leuten wich er jedem aus, der sich bemühte, ihm eine bestimmte Äußerung rücksichtlich jener Voraussagung zu entlocken, doch in seiner eigenen Familie war es kein Geheimnis, daß er fest daran glaubte. Indessen als der Tag herankam, an welchem die Prophezeiung durchaus sich bewähren mußte, versprach sein ganzes Aussehen ein so langes und gesundes Leben, daß er sich durch seine Freunde überreden ließ zur Feier seines Geburtstages, eine große Gesellschaft zu einem Gastmahl auf Springhouse einzuladen. Veranlassung dazu und alle Umstände, die sie begleiteten, lernt man am besten kennen, wenn man folgende von Verwandten der Familie sorgfältig aufbewahrten Briefe liest.

Der erste ist von der Frau Mac Carthy an eine vertraute und bewährte Freundin, welche zu Castle Barry in der Grafschaft Cork, etwa zwölf Meilen von Springhouse wohnte.

»Dienstag den 15ten Oktober 1752.

Teuerste Marie. Ich fürchte, ich setze durch diesen Brief Eure Liebe für Eure alte Freundin und Verwandtin auf eine zu harte Probe. Zwei Tage in dieser Jahreszeit auf schlechten Wegen und in dieser unruhigen Gegend zu reisen, in der Tat, man muß auf eine Freundschaft wie die Eurige bauen, wenn man eine besonnene Frau zu diesem Unternehmen bereden will. Aber in Wahrheit, ich habe oder bilde mir ein mehr als gewöhnliche Ursache zu haben, Euch in meiner Nähe zu wünschen. Ihr kennt die Geschichte von meinem Sohn. Ich kann nicht sagen, wie es zugeht, aber mit dem daß der nächste Sonntag heranrückt, wo die Voraussagung seines Traumes sich als falsch oder wahr bewähren muß, fühle ich im Herzen eine Mutlosigkeit, die ich nicht besiegen kann und Eure Gegenwart, geliebteste Marie, würde, wie sie schon mehr getan hat, manche von meinen Sorgen beschwichtigen. Mein Neffe Jacob Ryan wird sich mit Johanne Osborne (wie Ihr wißt, meines Sohnes Mündel) verheiraten und das Hochzeitfest soll hier den nächsten Sonntag gefeiert werden, obgleich Karl sehr darauf dringt, es einen oder zwei Tage weiter hinaus zu schieben. Wollte Gott – doch ich verspare alles auf mündliche Unterredung. Überwindet Euch, Euren guten Mann auf eine Woche zu verlassen, wenn die Landwirtschaft ihm nicht erlauben sollte, Euch zu begleiten, bringt aber die Mädchen mit und kommt so früh vor Sonntag, als Euch möglich ist.«

Obgleich dieser Brief den Mittwochen morgen zu Castle Barry anlangte, da der Bote durch Sumpf und Moor auf Fußwegen gegangen war, wo Pferd und Wagen nicht fortkommen, so hatte doch Frau Barry, zwar gleich zur Reise entschlossen, doch so mancherlei Einrichtungen für den Haushalt zu treffen, welcher in Irland bei dem mittlern Adel leicht in Verwirrung gerat, wenn die Hausfrau nicht zugegen ist, daß es ihr und den beiden jüngern Töchtern unmöglich fiel, eher als Freitag morgen abzureisen. Die älteste Tochter blieb zurück, dem Vater Gesellschaft zu leisten und die Aufsicht über das Hauswesen zu führen. Da sie die Reise in einem offenen einspännigen Wagen machten, und die Wege, zu aller Zeit schlecht, durch häufige Regengüsse noch grundloser geworden waren, so nahmen sie sich vor, zwei bequeme Stationen zu machen, die erste Nacht auf der Hälfte des Wegs zuzubringen und sonnabends bei guter Zeit zu Springhouse einzutreffen. Dieser Plan konnte aber nicht ausgeführt werden, da sie einsahen, daß bei ihrer späten Abfahrt sie höchstens fünf Meilen den ersten Tag machen könnten, sie beschlossen daher in dem Hause des Herrn Bourke, eines Freundes, zu übernachten, der noch etwas näher wohnte. Sie langten ziemlich durchgeschüttelt, aber doch wohlbehalten bei ihm an. Was ihnen auf der Reise den folgenden Tag bis nach Springhouse und nach ihrer Ankunft daselbst begegnete, ist ausführlich in einem Brief erzählt, den die zweite Miß Barry an ihre älteste Schwester von dorther schrieb.

»Sonntag abend den 20sten Oktober 1752.

Da der Mutter Brief, in welchem dieser eingeschlossen liegt, Euch im Allgemeinen die traurige Nachricht ankündigt, welche ich hier vollständiger mitteilen soll, so glaube ich, es ist besser wenn ich bei der Erzählung von den ungewöhnlichen Ereignissen der beiden letzten Tage regelmäßig verfahre.

Bei Herrn Bourke trafen wir den Freitag abend so spät ein, daß wir gestern unmöglich zu rechter Zeit ausfahren konnten und deshalb mit einbrechender Nacht noch mehr als drei Meilen von Springhouse entfernt waren. Die Wege, von dem anhaltenden Regen in voriger Woche ganz aufgeweicht, gestatteten uns nur ein langsames Fortbewegen, so daß sich die Mutter endlich entschloß, die Nacht in dem Hause von Herrn Bourke’s Bruder zuzubringen, das eine kurze Strecke von dem Weg abliegt. Der Tag war windig und regenhaft gewesen und der Himmel schien drohend, trüb und ungewiß. Der Mond stand voll und zeigte sich wohl dann und wann hell und glänzend, meist aber hinter schwerem, dunkelem und zerrissenem Gewölk versteckt, das schnell vorüber zog, jeden Augenblick in noch größern Massen heranrückte und sich für einen kommenden Sturm anzuhäufen schien. Der Wind, der uns ins Gesicht blies, pfiff kalt durch die niedrigen Hecken an den Seiten der Landstraße, auf welcher wir bei der Menge tiefer Pfützen nur mit Mühe weiter kamen und wo wir nirgends den geringsten Schutz hoffen durften, da meilenweit keine Anpflanzung war. Die Mutter fragte daher den Lorenz, welcher den Wagen führte, wie weit wir noch von Herrn Bourke’s Gut wären.

‚Noch ein paar Steinwürfe weiter‘, antwortete er, ‚bis zu dem Kreuzweg, dann brauchen wir uns nur links in den Baumgang zu wenden.‘

‚Gut Lorenz, wenn du zu dem Kreuzweg kommst, so lenke ein nach Herrn Bourke’s Haus.‘

Kaum hatte die Mutter diese Worte gesprochen, so drang ein Schrei, vor dem wir zusammenfuhren, als habe er uns das Herz durchschnitten, von der Hecke gerade auf uns ein. War er irgend einem irdischen Laute ähnlich, so schien es der Schrei eines Weibes, welches von einem heftigen und mördrischen Schlag getroffen, sein Leben in tiefer, entsetzlicher Todesangst ausstößt.

‚Gott behüte uns!‘ rief die Mutter, ’steig über die Hecke, Lorenz, und hilf dem Weib, wenn es nicht schon tot ist, während wir zu der Hütte zurück eilen, an der wir eben vorüber gekommen sind und im nächsten Dorfe Lärm machen.‘

‚Ein Weib!‘ sagte Lorenz, indem er mit aller Macht aufs Pferd peitschte und seine Stimme zitterte, ‚Das ist kein Weib! Je schneller wir davon eilen, desto besser!‘ und strengte sich aufs neue an, die trägen Schritte des Pferdes zu beleben. Wir sahen nichts, der Mond hatte sich versteckt. Es war ganz dunkel und wir erwarteten längst einen Regenguß. Eben aber als Lorenz gesprochen hatte und es ihm gelungen war, das Pferd in raschere Bewegung zu bringen, hörten wir deutlich ein lautes Zusammenschlagen der Hände, auf welches ein Schrei nach dem andern folgte, was die letzte Anstrengung der Angst und Verzweiflung zu bezeichnen und von einer Person auszugehen schien, welche innerhalb der Hecke eilig dahinrannte, um mit uns gleichen Schritt zu halten. Noch immer sahen wir nicht das geringste, endlich, als wir nur noch zehn Schritte von der Stelle waren, wo ein Fahrweg zu Herrn Bourke’s Haus links einbog, die Straße nach Springhouse aber nach rechts sich wendete, brach der Mond plötzlich hinter den Wolken hervor und ließ uns so deutlich, als ich hier dieses Papier sehe, die Gestalt einer schlanken, hagern Frau erblicken mit unbedecktem Haupte und langem, rund um ihre Schultern flatternden Haare, gekleidet in etwas, das aussah wie ein weiter, weißer Mantel oder ein eilig umgeworfenes Bettuch. Sie stand in dem Winkel der Hecke, wo die Straße, auf der wir uns befanden, an jene stieß, welche nach Springhouse führte, mit dem Gesicht uns zugewendet, während sie den rechten Arm gewaltsam und heftig auf und ab bewegte, als wollte sie uns in dieser Richtung fortziehen. Das Pferd stutzte, sichtbar erschrocken über die plötzliche Gegenwart der Gestalt, deren äußere Erscheinung ich soeben beschrieben habe, und welche eine halbe Minute lang jenes herzzerschneidende Geschrei ausstieß. Sie lief dann auf die Landstraße, verschwand einen Augenblick vor unsern Augen und bald danach sahen wir sie auf einer hohen Mauer stehen, eine kleine Strecke über dem Fahrweg, in welchen wir einzulenken im Begriff waren; sie deutete beständig auf die Straße nach Springhouse hin, doch mit trotziger und gebietender Gebärde, als sei sie bereit sich unserer Einfahrt in jenen Weg zu widersetzen. Die Gestalt schwieg nun gänzlich und ihr Gewand, das vorhin frei in dem Wind geflattert hatte, war jetzt fest um sie gewickelt.

‚Dreh um, Lorenz, nach Springhouse, in Gottes Namen‘, sagte die Mutter, ‚welcher Welt sie auch angehören mag, wir wollen sie nicht erzürnen.‘

‚Es ist die Banshi‘, sagte Lorenz, ‚und ich möchte um mein Leben nicht in dieser Nacht woanders hingehen, als nach Springhouse, aber ich fürchte, dort gibts ein Unglück, sonst zeigte sie uns nicht den Weg dahin.‘

Mit diesen Worten trieb er das Pferd an, und als wir rechts einbogen, entzog der Mond auf einmal sein Licht und wir sahen die Gestalt nicht weiter, doch hörten wir deutlich ein fortwährendes Zusammenschlagen der Hände, das jedoch gradweise abnahm, als komme es von jemand, der sich schnell entferne. Wir setzten unsern Weg fort, so rasch es die schlechte Straße und das abgemattete Tier, das uns zog, erlaubte, und kamen vorige Nacht gegen elf Uhr hier an. Den Zustand, in welchem wir das Haus fanden, kennt Ihr bereits aus der Mutter Brief. Um ihn vollständig zu beschreiben, ist es nötig, daß ich einiges von den Ereignissen erzähle, die hier im Laufe der vorigen Woche sich zugetragen haben.

Ihr wißt schon, daß die Hochzeit der Johanne Osborne mit Jacob Ryan an diesem Tage sollte gefeiert werden und daß die Brautleute mit ihren Freunden vorige Woche hier angelangt waren. Verflossenen Dienstag, an welchem gerade Frau Mac Carthy morgens früh den Einladungsbrief an uns abgeschickt hatte, war die ganze Gesellschaft kurz vor dem Mittagsessen ein wenig ins Freie gegangen. Es scheint, daß ein unglückliches, von Jacob Ryan verführtes Geschöpf in der Nachbarschaft in einem erbärmlichen, höchst betrübten Zustand einige Tage vorher war gesehen worden. Er hatte sich schon seit einigen Monaten von ihr getrennt und, wie man behauptet, sie reichlich versorgt, doch sie war durch ein Eheversprechen verführt worden und die Scham über ihren unglücklichen Zustand, wozu Mißgeschick und Eifersucht kamen, hatten ihre Sinne verwirrt. Den ganzen Vormittag über hatte man sie in den Anlagen bei Springhouse umherwandeln gesehen, in einen Mantel gehüllt mit einer Kappe, die ihr fast das Gesicht bedeckte. Sie hatte vermieden, mit einem Glied der Familie zu reden oder ihm nur zu begegnen.

Karl ging zu der angegebenen Zeit zwischen Jacob Ryan und einem dritten in kleiner Entfernung von den übrigen auf einem Sandweg, der eine Anlage von feinem Buschwerk umgab. Jedermann wurde durch einen Pistolenschuß in großen Schrecken gesetzt, welcher aus der dichtesten Stelle des Ge-sträuchs fiel, an welchem Karl und seine Begleiter eben vorbeigingen. Karl stürzte sogleich zur Erde und es fand sich, daß er am Bein verwundet war. Da sich in der Gesellschaft gerade ein Arzt befand, eilte dieser, Beistand zu leisten, und nachdem er die Wunde untersucht hatte, erklärte er, daß die Gefahr sehr gering und kein Knochen verletzt sei, die bloße Wunde ins Fleisch aber in wenigen Tagen heilen werde. ‚Wir werden den Sonntag mehr wissen‘, sagte Karl, der in sein Zimmer gebracht wurde. Man verband die Wunde und so wenig Beschwerde entstand daraus, daß einige seiner Freunde einen Teil des Abends in seinem Schlafgemach zubrachten.

Bei näherer Nachforschung ergab sich, daß der unglückliche Schuß von jenem armen Mädchen herrührte, dessen ich vorhin Erwähnung getan habe. Offenbar hatte sie nicht auf Karl gezielt, sondern auf den Zerstörer ihrer Unschuld und Glückseligkeit, der an seiner Seite gegangen war. Nachdem man sie in den Anlagen vergeblich gesucht hatte, kam sie aus freien Stücken in das Haus gegangen. Sie lachte und tanzte, wild singend und jeden Augenblick ausrufend: ‚Endlich habe ich den Ryan getötet!‘ Als sie vernahm, daß es Karl war, nicht Herr Ryan, den der Schuß getroffen, fiel sie besinnungslos nieder und nachdem sie einige Zeit in krampfhaften Bewegungen gelegen hatte, sprang sie auf, nach der Türe hin, und entschlüpfte den Nacheilenden. Man konnte ihrer nicht wieder habhaft werden, bis in der letzten Nacht, wo sie kurz vor unserer Ankunft, vollkommen wahnsinnig hieher gebracht wurde.

Man hielt Karls Wunde für so unbedeutend, daß die Vorbereitungen zu dem Hochzeitsfest auf den Sonntag ihren Fortgang hatten. Doch in der Freitagnacht ward er unruhig und fiebrig und gestern, den Sonnabend, fühlte er sich so schlecht, daß man es für nötig hielt, noch einen Kunstverstän-digen zu Hilfe zu nehmen. Zwei Ärzte und ein Wundarzt gingen um Mittag zu Rat und der furchtbare Ausspruch lautete, daß, wo nicht vor Nacht eine kaum zu hoffende Veränderung eintrete, binnen vierundzwanzig Stunden der Tod sich einstellen werde. Wie es schien, hatte man die Wunde zu fest zusammengeschnürt und auch in anderer Hinsicht ungeschickt behandelt. Leider hatten sich die Ärzte in ihrer Voraussagung nicht geirrt. Kein günstiges Zeichen erschien und lange bevor wir Springhouse erreichten, war jeder Strahl von Hoffnung verschwunden. Der Auftritt, von dem wir bei unserer Ankunft Zeuge waren, hätte ein Herz von Stein gespalten. Schon auf der Straße hörten wir, daß Karl Mac Carthy auf dem Totbett liege, und als wir das Haus erreichten, bestätigte der Diener, der das Tor öffnete, diese Nachricht. Gerade, als wir eintraten, wurden wir durch ein furchtbares Geschrei erschreckt, das von der Treppe aus uns entgegenschallte. Die Mutter glaubte die Stimme der armen Frau Mac Carthy zu hören und eilte weiter. Wir folgten und einige Stufen hinaufgestiegen fanden wir ein junges Weib in dem Zustand wahnsinniger Leidenschaft mit zwei Mägden ringend, deren vereinte Kräfte kaum zureichten, jene abzuhalten, daß sie nicht die Treppe hinaufrannte über den Körper der Frau Mac Carthy, welche von Schwachheit überwältigt auf die Stufen niedergesunken war. Wie ich hernach hörte, war es jenes unglückliche Geschöpf, dessen ich vorhin gedacht habe, welches durchaus in Karls Zimmer dringen wollte, um von ihm Vergebung zu erhalten, wie sie sagte, ehe er scheide, sie des Mordes wegen anzuklagen. Dieser wahnwitzige Gedanke war mit einem andern gemischt, welcher jenem den Besitz ihrer Seele streitig zu machen schien. In einem Atem verlangte sie Karls Vergebung und klagte Herrn Ryan als ihren und Karls Mörder an. Endlich brachte man sie weg, und die letzten Worte, die ich sie schreien hörte, waren:

‚Ryan hat ihn getötet, nicht ich! Ryan hat ihn getötet, nicht ich!‘

Als Frau Mac Carthy wieder zu sich selbst kam, sank sie in die Arme der Mutter, deren Gegenwart ihr ein großer Trost zu sein schien. Sie weinte; die ersten Tränen, welche sie, wie man uns sagte, seit dem unglücklichen Ereignis vergossen hatte. Sie führte uns in Karls Zimmer, welcher, wie sie äußerte, verlangt hatte, uns gleich nach unserer Ankunft zu sehen, weil er sein herannahendes Ende fühle und die letzten Stunden seines irdischen Daseins ungestört dem Gebet und der Betrachtung zu widmen wünsche. Wir fanden ihn vollkommen ruhig, ergeben, ja heiter. Er sprach von dem schrecklichen Vorfall, dem man Mut und Vertrauen entgegensetzen müsse und den er als eine Entscheidung betrachte, auf welche er seit jener wunderbaren Krankheit vorbereitet gewesen, da er an der Wahrheit der Vorausverkündigung niemals gezweifelt habe. Er sagte uns Lebewohl mit dem Ausdruck eines Menschen, der im Begriffe steht, eine kurze und vergnügte Reise anzutreten und wir verließen ihn mit einem Eindruck, der bei allem traurigen uns, wie ich gewiß glaube, niemals ganz verlassen wird.« –

Der Brief war nicht geendigt, weil die Schreiberin abgerufen ward. Ehe die Sonne an seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag aufging, war Karls Seele geschieden, vor seinem Schöpfer die letzte Rechenschaft abzulegen.