793. Heunsäulen und Heunaltar

793. Heunsäulen und Heunaltar

In der Grafschaft Erbach liegt eine Heun- oder Riesensäule, und zwar auf dem Felsberge ohnweit Reichenbach; sie ist von graugrünlichem Granit und über einunddreißig Schuh lang. Früher war sie noch um elf Fuß länger, aber ein Stück sprang ab und liegt im Dorfe Bedenkirche. Viel Spuren alter Römerbauten werden in dieser Gegend angetroffen, so das Kestrich ( Castrum) bei Stockstadt, die gepflasterte Heerstraße bei Mudau von Oberscheidenthal nach Schloßau, wo auch ein Castrum, dann liegen nahe beim Dorfe Bullau auf dem Heunberge ohnweit Miltenberg a.M. sieben Heunsäulen beieinander und weiterhin rief versteckt noch zwei. Daran sind noch die Handgriffe, wie die Riesen sie herumgedreht bei der Bearbeitung, und wollten sie brauchen, eine Brücke über den Main zu bauen. Die Säulen bestehen aus rotem Sandstein, sind hier gebrochen, ordentlich behauen und mit Handhaben zum Wegschaffen versehen. Die größte der Säulen hat siebenundzwanzig Fuß Länge und mißt am Fuße dreieinhalb, am oberen Ende zwei Fuß im Durchmesser. Die andern sind fünfundzwanzig, vierundzwanzig und zwanzig Fuß lang. Vier davon sind mit Schriftcharakteren bezeichnet, welche indes weder mit nordischen oder deutschen noch sonst bekannten Runen auch nur die geringste Ähnlichkeit haben. Die größte hat eine ziemlich regelmäßige Reihe derselben; bei den andern ist weniger Ordnung sichtbar. Die Gelehrten können diese Schriften so wenig lesen wie die Heilsberger Steinschrift, die Riesen haben aber auch nicht für die Zwerge geschrieben.

Wandelt einer von dem Dorfe Großheubach am Main, zur Linken des Engelberges, eine halbe Stunde den Rücken des Baulandes hinauf und nach der Seite zu, welche bei der Krümmung des Mains über diesen hinweg einzelne Dörfer und auch Miltenberg erblicken läßt, so gelangt er zu einem Meer von Felsstücken und von dort zu einem freien Platz, auf welchem hie und da große Felsmassen zerstreut liegen. Unter diesen zeichnen sich besonders zwei übereinanderliegende große Stücke aus, die bei einem Umfang von ungefähr dreißig Fuß sicher vierzehn Fuß Höhe messen und den Namen des Heunenaltars führen. Ob die Heunen gebetet haben, können wir freilich so eigentlich nicht wissen, doch formte und türmte ihre übermenschliche Kraft wohl nicht vergebens Säulen und Altäre.

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794. Amorbach

794. Amorbach

In einer Gegend, wo die Römerzeit so viele Spuren hinterließ, würde es kaum befremden, wenn der Name eines Gottes der antiken Mythe in deutscher Sage begegnete, und niemand würde schneller bereit gewesen sein, dem Herzenbewältiger Amor hier ein frühes Heiligtum zuzuweisen, als jene überklugen Diftler, die den Remus in die Altmark auswandern und dort begraben, der Isis im märkischen Sande Tempel gründen lassen und darüber, ob dergleichen nur möglich, in ihrem archäologischen Gemüte völlig beruhigt sind. Sie würden aber hier mit dem Amor geradeso fehl schießen wie mit der Isis in Gardelegen und dem Sol in Soliswelte, heute Salzwedel, allwo, zu Salzwedel, auch Doktor Faust geboren worden sein soll – denn das gemeine Sprüchwort sagt: Trifft’s nicht, so fehlt’s doch.

Es war ein Abt, der hieß Amor – als welches für einen Abt gar ein hübscher Name – und zwar der erste der Abtei, welcher er seinen Namen verlieh; das ist aber schon lange her, denn die Sage geht, daß schon im Jahre des Herrn 734 sotaner Amor gelebt, und daß Karl Martell und Pipin unter Zurateziehung eines Jüngers des heiligen Maurus namens Pirmin diese Abtei begründet, zu der ein Graf Richard von Berg den Grund und Boden gab. Nahebei liegt auch ein Gehöft, heißt Amorsbrunn; allda soll sich Amor bisweilen sehen lassen.

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787. Das Herrenbild

787. Das Herrenbild

Lange bevor der Erbauer des Jagdschlosses zu Hessenthal daselbst eine Kapelle baute, stand ein Kapellchen über dem Ort auf einem Berge. Hessenthal hat seinen Namen nicht von Hessen, es hieß ursprünglich Häslenthal von den vielen Haselnußbäumen (Häslen), die dort wachsen. Das bezeugt noch ein gar nicht alter Bildstock auf der Hohenwart, einem Waldberge über Aschaffenburg, über den auch der wilde Jäger zieht, und wo feurige Männer spuken. Da könnte einer auch schreien: Halbpart auf der Hohenwart – wie jener Wanderer im Valleidatale bei Saalfeld, und würd‘ ihm am Ende auch ein Hinterviertel von einem verruchten Wild zufliegen. Hans Spatz aber, der einstmals nachts darüberging, die wilde Jagd brausen hörte und feurige Männer sich miteinander schlagen sah, daß die Funken umherstoben, und sah Raben mit tollem Kreischen eine Schlacht aufführen, schrie nicht also, sondern gelobte zitternd und bebend einen Bildstock für die heile Haut, die er gar zu gerne heimtragen mochte. Und die lieben Gottesheiligen schützten ihn, daß er heil heimkam, und er ließ dankbar den Bildstock aufrichten und seinen Namen hineinmeißeln: Hans Hénrich Spatz von Heslendahl 1745.

Von Hessenthal führte früher die alte Straße nach Oberbessenbach durch tiefen öden Wald. Ein Postknecht ritt seine Pferde von Aschaffenburg nach der Station zurück, es war Nacht, und er schlief. Da standen plötzlich die Pferde, aus dem nahen Busche drang ein Ruf, und lichter Schimmer leuchtete dort, woher die wundersame Stimme drang. Der Postknecht stieg ab, ging mutig auf die Stelle zu und fand tief im Buschwerk vernachlässigt, moosüberwachsen und altergrau ein Muttergottesbild aus Holz. Treulich erhob er dasselbe, säuberte es, trug es heraus und stellte es auf einen Steinhaufen am Wege, denn es mitzunehmen, dazu war es zu schwer. Es dauerte nicht lange, so taten sich einige fromme Herren zusammen und erbauten dem Bilde eine kleine Kapelle, und das Bild tat Wunder, und die Hessenthaler gingen hinauf und beteten dort. Da nun die Echter in Hessenthal die Kapelle erbauten, zogen die Bewohner hinauf und trugen das Gnadenbild herab in die neue geweihte Kapelle. Allein das Herrenbild – so ward und wird es noch genannt – machte es wie jenes auf der Milseburg im Rhöngebirge und jenes am Räti und kehrte wieder an seinen Ort zurück. Dreimal holten die Hessenthaler das Bild in ihre neue, schöne Kapelle, und an jedem Morgen stand es wieder droben in dem alten einfachen Kapellchen. Da gelobten die Hessenthaler, wenn das Bild bei ihnen bleiben wollte, so wollten sie es alljährlich auf den Pfingstmontag in feierlicher Prozession hinauf auf den Berg tragen. Diesen Akkord hat hernach das Bild eingegangen, und geschieht noch also.

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788. Die Garnkocherin

788. Die Garnkocherin

Zu Hessenthal, das so recht mitten im Schoß des Spessart liegt, steht in einer großen offnen kapellenartigen Halle das Bildwerk einer Kreuzigung mit reicher Gruppierung auf einem dreißig Fuß langen und neun Fuß hohen Piedestal. In der Mitte desselben, unter dem mittleren Kreuze, ist an der Vorderseite eine eingehauene zweikantige Vertiefung in den Stein. Hält man nun hier den Kopf hinein, so vernimmt man ein Brausen, ähnlich dem Strudeln kochenden Wassers. Hierüber geht diese Sage. Es standen früher an diesem Platze zwei Hütten. Die Bewohnerin einer derselben kochte am Pfingstmontage, wo man das Marienbild in Prozession zum Berge trug, Garn, um es zu bleichen. Ihre Nachbarsfrau, die es sah, sagte zu ihr: Was! Du kochst heute am Pfingstmontag Garn? – Allein jene gab ihr zur Antwort: Pfingstmontag hin, Pfingstmontag her, mein Garn muß gekocht sein. – Und alsbald sank sie unter furchtbarem Getöse samt ihrer Hütte unter die Erde. Seitdem vernimmt man nun hier das brodelnde und strudelnde Getöse, das an Pfingstmontagen immer stärker ist als an andern Tagen, und hört aus der Tiefe ein jammerndes Ächzen. Aber die Höhlung hat die wunderbare Eigenschaft, Schwerhörige, die hineinhorchen, von ihrer Taubheit zu heilen.

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78. Der Affe zu Dhaun

78. Der Affe zu Dhaun

Hoch über dem Städtlein Simmern liegt der alte rheingräfliche Burgsitz Dhaun, das war ein gar stattliches und schönes Grafenschloß mit herrlichem säulengezierten Palas – und über dem Eingang zum Palas wird ein Wahrzeichen in Stein erblickt, ein Affe, der einem Kinde einen Apfel darbeut, von welchem Bilde diese Sage geht. Es hatte ein Burggraf ein junges Kind gehabt, das hatte eine Wärterin, die wiegte das Kindlein im schattigen Burghof, und da der Tag ein Sommertag und schwül war, so nickte sie ein, und als sie aufwachte, war das Kindlein aus der Wiege und fort. Da ward ihr angst und bange, denn wie sie es auch ringsum suchte und in alle Winkel lugte – es war und blieb verschwunden. Da schlug ihr der Schreck in alle Glieder, zitternd vor dem Zorn der Gräfin und des Grafen dachte sie nichts Besseres tun zu können, als ihr Leben zu retten, und stürzte in den Wald, um auch da vielleicht noch eine Spur zu finden. Da kam sie in ein dunkles Dickicht, und siehe, da saß der Affe, den der Graf hielt, und hatte den jungen Grafensohn auf seinen haarigen Armen und küßte ihn gar zärtlich und schaukelte ihn, legte ihn dann sanft auf ein Lager von Moos, bot ihm einen Apfel dar, und als es den nicht annahm, sondern einschlief, wehrte der Affe eine Zeitlang die Fliegen von ihm ab, und dann entschlief er selbst. Des war die Amme froh, schlich leise hinzu und nahm das Kind und trug es fröhlich wieder zur Feste Dhaun hinauf, wo schon alles unruhig war und nach ihr rief und suchte. Da verkündete sie laut die Tat des Affen, und die erst entsetzten, nun hocherfreuten Eltern beschlossen, dieselbe in Stein ausgehauen und überm Torbogen ihres herrlichen Palas verewigen zu lassen.

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789. Der Schellenberg

789. Der Schellenberg

Unweit Mespelbrunn in einem engen Tale steht ein alter viereckiger Turm, den bereits der Jahn der Zeit sehr benagte. In seinem Innern befindet sich noch eine Stiege von Stein, die unter die Erde führte. Hier soll sich ein Raubritter aufgehalten haben, der die ganze Umgegend unsicher machte. Von dem Turme aus ging ein Draht nach dem nahen Berge, an dessen Ende in dem Turm eine Schelle angebracht war. über den Berg selbst führte eine sehr lebhaft begangene und befahrene Straße, über diese war der Draht, leicht bedeckt, so geleitet, daß fast alle des Weges Kommenden ihn betreten mußten. Dann klingelte die Schelle, und der Räuber eilte auf einem Richtweg nach einer Stelle hin, wo er nun auf die Reisenden lauerte und ihnen ihre Last leichter machte; davon wird dieser Berg und Turm noch immer der Schellenberg genannt.

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790. Knabenraub im Spessartwalde

790. Knabenraub im Spessartwalde

Wie es nicht selten geschieht, daß die Sage, eines strenggeschichtlichen Ereignisses sich wiederholend bemächtigt, wenn dasselbe nur romantische Färbung hat, so ist es auch in der Nähe von Aschaffenburg im Spessartwalde geschehen. Da klingt die Geschichte des sächsischen Prinzenraubes in eigentümlich treu wiederholter Weise wieder.

Zwischen Ebersbach und Soden lag eine Burg, Altenburg genannt, auf dem zwischen beiden liegenden Berge. Nur noch aus den Erzählungen der Anwohner weiß man etwas von ihrem Vorhandengewesensein. Einer der Ritter, die daselbst hausten, hatte zwei hoffnungsvolle Knaben. Zwei Räuber im Bann glaubten sich durch den Raub der beiden Kinder Begnadigung zu verschaffen und beschlossen, sie zu entführen. Sie bestachen den Pförtner, der sie auch in Abwesenheit des Ritters in das Schloß ließ, so daß sie sich leicht der Kleinen bemächtigen konnten. Bevor sie sich nun auf die Flucht begaben, beschlossen sie, ein jeder solle nach einer andern Gegend hin fliehen, und versprachen sich gegenseitig, wenn ja einer von ihnen ergriffen würde, so solle der zuerst Ergriffene nur dann den Aufenthalt des andern angeben, wenn ihm vorher neben der eigenen auch dessen Begnadigung zugesagt wäre. Der eine, der vom Fluchtwege ziemlich ermattet war, band nach einem langen Ritte durch den finstern Wald sein Pferd an einen Baum und legte sich zur Ruhe nieder, nachdem er dem geraubten Knaben aufs strengste verboten hatte, sich zu entfernen. Aber der Kleine benützte die günstige Gelegenheit zur Flucht und entlief, und lief, solange es ihm möglich war. Endlich kam er zu einem Köhler, der im Walde arbeitete und in dem Knaben sogleich ein Kind hoher Leute vermutete. Er fragte ihn aus, und der Knabe erzählte ihm den ganzen Hergang der Sache. Alsbald kehrte der Köhler mit dem Knaben an den Ort zurück, wo der Räuber noch im Schlafe lag. Der Köhler versetzte diesem mit seiner Hacke einen Schlag, der ihn betäubte, und eilte auf dem Pferde des Ritters mit dem Kinde nach dem naheliegenden Ebersbach, von woher er die Glocken, mit denen man ob des Knabenraubes Sturm läutete, hörte, und wo alles in der größten Bestürzung war. Leute von da bemächtigten sich des Räubers und brachten ihn nebst dem Knaben nach der Altenburg. Auf das Versprechen, er werde begnadigt, wenn er seinen Kameraden angeben würde, verriet er denselben treulos. Dieser wurde mit dem zweiten der Knaben eingeholt und hingerichtet. Ersterem ward Wort gehalten, er blieb ungestraft, hatte aber keine frohe Stunde mehr. Der Geist seines verratenen Bündners verfolgte ihn Tag und Nacht, bis er sich selbst den Tod des Stranges gab.

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77. Taube zeigt den Tod an

77. Taube zeigt den Tod an

Zu Armsheim auf dem Kirchhof steht ein Grabstein, darauf ist ein Pflug, auf dem eine Taube sitzt, eingehauen. Vor vielen Jahren hat dort ein junges Ehepaar gelebt, und die Frau hatte eine zahme Taube, die war ihr Liebling und nahm ihr aus dem Munde, was sie der Taube darbot. Die junge Frau war in guter Hoffnung, und eines Frühlingsmorgens befiel sie ein Bangen, als eben ihr Mann hinaus an den Acker gehen wollte zur Saat, denn es war Säezeit und der Morgen windstill und heiter. Aber die Frau bat gar herzlich ihren Mann: Bleibe bei mir! – Doch er entschuldigte sich mit seiner Arbeit Dringlichkeit und verhieß sich zu eilen und baldige Heimkehr. – Er hatte aber den Samen noch nicht zur Hälfte ausgestreut, da kam die Lieblingstaube seiner Frau geflogen, und flatterte umher, und setzte sich auf den Pflug, der auf dem Acker stand, und sah den Sämann an, und schlug mit den Flügeln. Und da er nicht abließ von seiner Arbeit, so flog ihm die Taube gegen die Brust und pickte ihn in das Kinn, und da gedachte er an seine Frau und eilte heim. Da fand er seine junge schöne Frau tot im Bette, denn sie hatte ohne Hülfe geboren, und zwei lebende gesunde Kinder lagen in ihren Armen. Es war niemand da gewesen, den sie nach Hülfe senden konnte, und er hatte ihre zarte Bitte nicht verstanden. Und war die treue Taube nicht, so wären auch die Kindlein Todes verblichen. Der Mann trauerte, solange er lebte, freite nie wieder und zog die Zwillinge mit Liebe auf. Auf der Gattin Grab ließ er das Bild der Taube meißeln und betete oft um Mitternacht auf dem Grabe seiner Entschlafenen.

Mehr andere Sagen gehen von Tauben, deren eine einen Schatz angezeigt, die andere den Feind abgehalten, eine Stadt zu beschießen.

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779. Die Ritter des Ebersberges

779. Die Ritter des Ebersberges

An einer Abdachung des Ebersberges im Rhöngebirge ist ein kleiner Moorfleck; aus diesem kommen, vornehmlich zur Adventszeit und in den zwölf Nächten, große gespenstige Feuermänner mit Wehr und Waffen, die so heftig miteinander kämpfen, daß man in den nahen Höfen, welche am Fuß des Berges liegen, deutlich das Schwertgeklirr vernimmt. Dieser Kampf dauert vom Einbruch der Nacht bis tief in dieselbe, ja oft bis zur Morgendämmerung und bis zum Hahnenschrei. Gewöhnlich ziehen sich die streitenden Flammengestalten allmählich bis zur Ruine Ebersberg und den zerfallenen Türmen hinauf, wo sie endlich, immer heftiger fechtend, in dem einen offenstehenden Turme mit fürchterlichem Geprassel verschwinden. Die Umwohner sagen, daß es die noch unerlösten Geister der in wilden Kämpfen um die Burg und bei deren Verteidigung erschlagenen und gefallenen Ritter seien.

Von der Ebersburg, im Volke insgemein nur Eberszwackel geheißen, wäre viel zu schreiben, von den Fehden ihrer Ritter mit den fuldaischen Äbten, von ihrem unterirdischen Gange bis herab nach Weihers und von ihren vergrabenen Schätzen.

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780. Der verlorene Schleier

780. Der verlorene Schleier

Fast völlig gleichlautend mit der Schleiersage von der Gründung des berühmten Klosters Neuburg in Österreich barg sich deren Wiederholung in eine stille enge Talrinne der südlichen Rhöngebirgsabdachung. Darinne stand vormals ein Nonnenkloster, davon bis auf die Kirche jede Spur von der Zeit hinweggetilgt worden ist.

Eines Tages lustwandelten Herr Otto und Frau Beatrix, Graf und Gräfin von Henneberg, sie eine geborene Gräfin von Courtenay, Fürstin von Tiberias und Gräfin zu Edessa, die ihr Gemahl im Morgenlande sich erworben, auf ihrer Burg Botenlauben dicht über Kissingen. Da erhob sich ein starker Wind, welcher den Schleier der Gräfin von ihrem Haupte riß und denselben hoch in die Lüfte entführte. Da sie diesen Schleier hoch und wert hielt, so tat sie ein Gelübde, an der Stelle, wo er sich wiederfinden würde, ein Kloster zu erbauen, welchen frommen Vorsatz ihr Gemahl gern bestätigte. Es wurden nun talaufwärts, wohin der Schleier seinen Flug genommen, Boten ausgesandt, doch fanden diese den Schleier nicht, wohl aber fanden ihn nach drei Tagen einige Frauen in dem Tale, das von Burkardrode nach Waldaschach sich herabzieht, hängend auf einem blühenden Rosenstrauch. Als der Graf und die Gräfin davon Nachricht erhalten, begaben sie sich alsbald selbst an Ort und Stelle und legten bald darauf zu dem Kloster den Grund, das sie Unser Frauen Rod nannten, auf Latein: Novale sanctae Mariae. Beide Gatten begabten das Kloster sehr reichlich, und als sie nach einem gottseligen Leben starben, erst der Graf, dann später die Gräfin, sind beide im Kloster vor dem Altar begraben, und es sind ihnen steinerne Denkmäler errichtet worden, die noch heute in der Kirche zu sehen sind. Hierauf wurde ihr Sohn, auch Otto geheißen, welcher erst eine Dynastentochter des Geschlechts von Hiltenburg geheiratet, dann aber von ihr sich mit ihrer Bewilligung geschieden hatte, um sich ganz dem gottseligen Leben zu weihen, der Klosterfrauen zu Frauenrode Provisor. Nachdem das Kloster, welches lange Zeit sich im besten Flor befand, und in dessen Kirche sogar mehrere Hennebergische Grafen, die es mit Schenkungen bedacht, sich begraben ließen, in Verfall geraten, ist es endlich bis auf die Kirche ganz von der Erde verschwunden. Die Gebeine der Gründer aber sind nachmals wieder ausgegraben worden und in zwei Glaskästen auf dem Altar aufgestellt, während ein dritter Glaskasten, zwischen beiden, den Schleier enthält, welcher zur Gründung des Klosters den ersten Anlaß gegeben.

Bei der alten Klosterstätte zu Frauenrode ist es der Sage nach nicht geheuer. Lodernde Feuer oder bläuliche Flämmchen werden in gewissen Nächten brennend auf dem Kirchhof oder in der Nähe der Klosterkirche erblickt, welche einen großen dort vergrabenen Schatz anzeigen. Nicht weit von der Kirche erhebt sich ein Hügel, auf welchem vor langen Zeiten erst eine Burg, dann ein Teil des Klostergebäudes gestanden. Von dort führt ein bedeckter Gang nach der Kirche, über welchen die Nonnen schritten, wenn sie auf dem Chor sich versammelten, die Horas zu singen. Man sieht noch überm Portal die vermauerte Öffnung. Alljährlich in gewissen heiligen Nächten erblickt man diesen Gang durch die Luft und den Zug gespenstiger Nonnen und sieht die Kirche erleuchtet, doch ist es nicht gut, lange hinzusehen, noch viel weniger, die Kirche dann zu betreten, denn in dieser halten die Geister Mette, und es knieen vor dem Altar die Gestalten des Stifters und der Stifterin und hinter ihnen alle, die in der Kirche begraben wurden; von dem Haupte Beatricens weht der weiße Schleier, und auf Ottos Haupte rauschen die Blätter eines welken Kranzes geisterhaft im Hauche der Nacht. Nach der Mette ziehen die Nonnen alle still zurück und schwinden in Nebel, wie sie dem Hügel sich nähern.

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