Die Kasperles kommen in Leipzig an

Die Kasperles standen ganz verloren auf dem Riesenbahnhof in Leipzig. Sie waren ganz benommen von dem Lärm ringsum und beinahe hätten sie angefangen zu heulen. Aber da kam auf dem andern Gleise ein Zug, der pfiff laut und Peringel pfiff ihm nach, so gellend, daß alle Leute erschraken.

Ein Schaffner schnauzte die beiden an: »Warum pfeift ihr denn so?«

»Ich pfiff nicht!« schrie Bimlim.

»Aber ich, wie der Herr Zug.« Kasperle fand, das Pfeifen sei eine rechte Heldentat gewesen, und er konnte nicht begreifen, warum der Schaffner so fürchterlich schalt. Das war überhaupt ein unguter Mann: »Wie seht ihr denn aus, wer seid ihr denn?« fuhr er die Kasperles an. Die wußten nun schon, daß sie immer ausgelacht wurden, wenn sie sich Kasperles nannten, darum sagte Peringel, der Schlingel: »Das ist ein Prinz und ich bin Herr Stopps. Wir wollen zur Messe.«

»So seht ihr aus. Wohl ein Prinz aus dem Affenlande?«

»Ja,« schrie Peringel und schnitt sein fürchterlichstes Gesicht.

Heisa, bekam der Schaffner einen Schreck!

Er trat gleich einer Dame auf den Fuß, die warf wieder ihren Koffer einem Herrn an den Magen, der stolperte und riß ein Fräulein um, die klammerte sich an einen Gepäckträger, der ließ seine Koffer fallen und etliche stolperten darüber und das alles nur, weil Kasperle ein Räubergesicht gemacht hatte.

Es war schon schlimm.

Der Schaffner schrie, das wären verdächtige Kerle, die müßten verhaftet werden. Da dachten die Kasperles, nun müssen wir ausreißen. Ihre Karten hatten sie verloren und weil sie sahen, daß alle ihre Karten abgaben, kobolzten sie auf einmal über Schaffner und alle Leute hinweg und waren jenseits der Sperre, ehe der Schaffner noch ausgeschrien hatte, man solle sie verhaften.

In dem Menschenstrom, der durch den Leipziger Bahnhof flutete, gelang es den Kasperles, zu entwischen. Es sagten zwar etliche Menschen: »Was sind denn das für komische Kerle?« Ehe sie aber noch recht hinschauten, waren die Kasperles schon ein Stück weiter. Und weil viele Reklameträger in diesen Tagen in Leipzig, seltsam angezogen, umherwimmelten, wurden die Kasperles von allen für Reklameträger gehalten, die sich auch ein bißchen das Meßtreiben ansehen wollten.

Die Kasperles kamen unten in die große Halle des Bahnhofs und ein Herr, der vor Peringel ging, sagte: »Ich nehme mir ein Auto.«

Flugs sagte Peringel: »Wir nehmen auch eins.«

Er sah den Herrn hinaustreten, der hatte eine Blechmarke bekommen, woher wußte Peringel nicht, er dachte aber, ich passe auf, was er sagt.

»Hundert!« schrie der Herr und gleich kam ein Auto.

Aha, dachte Peringel, man muß eine Zahl wählen, weil er aber mit dem Zählen nicht Bescheid wußte, stellte er sich hin und rief: »Eine Million!«

Da lachten alle, denn so weit gingen die Nummern der Leipziger Autos denn doch nicht.

»Du mußt dir ’ne Marke holen, Kleiner,« sagte ein Gepäckträger.

Kasperle machte so ein dummes, erstauntes Gesicht, daß wieder alle lachten.

Immer auslachen wollte sich Kasperle nicht lassen, also lief er in den Bahnhof und schrie da mit lauter Stimme: »Wo krieg’ ich ’ne Marke?«

»Oben links ist Post,« antwortete einer. Da rannten Peringel und Bimlim nach oben und forderten dort eine Marke.

»Zu wieviel?« fragte der Beamte.

Kasperle sperrte den Mund weit auf.

»Wieviel sie kosten soll?« Der Beamte dachte, der ist doch aus Dummsdorf.

»’n Gröschle!« schrie Peringel, der wohl mal wieder dachte, der Frager wäre stocktaub.

»Also hier eine Zehnpfennigmarke.«

Nun rannten die beiden Kasperles wieder in großer Eile hinab, unten stellten sie sich auf und Kasperle brüllte: »’n Auto!«

»Hast du ’ne Nummer?«

»Hier!« Kasperle hielt dem Frager seine Marke hin: »’n Gröschle hat sie gekostet.«

»Jemine, ihr seid wohl aus Schilda,« rief der Mann, »dort ’ne Blechmarke mußt du dir geben lassen, bei dem Schutzmann.«

Kasperle erschrak. Nach einem Schutzmann hatte vorhin der Schaffner gerufen, nun hatte er keine Lust, zu einem zu gehen, und sagte: »Bimlim, wir gehen.«

Da gingen sie beide, aber nach drei Schritten lagen sie schon auf der Straße, sie hatten einen Radler angerannt. Der schimpfte und stand glücklicherweise wieder unversehrt auf. Aber böse war er, jemine! Die Kasperles bekamen einen Heidenschreck. Sie wollten ausreißen, wären aber unter ein Auto geraten, wenn ein Schutzmann sie nicht gehalten hätte. »Wo wollt ihr denn hin?« Der Schutzmann sah die beiden verwundert an und die greinten kleinlaut: »Auf die Messe.«

»So seht ihr aus.«

Der freundliche Mann beschrieb nun den beiden den Weg, aber die wußten natürlich nicht, was rechts und links war, und statt rechts gingen sie links, gerieten beinahe wieder unter ein Auto und landeten endlich auf dem Augustusplatz.

Das war ein großer, weiter Platz, auf dem die Menschen sich drängten. Aus einem Hause kam ein süßer Duft und Peringels Nase bekam es gleich heraus, es roch nach Kuchen.

»Wir holen welchen,« sagte Peringel, und flugs gingen beide in das Haus. Da sahen sie nun an den Tischen Menschen sitzen, die Kaffee und Schokolade tranken und sehr viel Kuchen aßen. Das kam den beiden spaßhaft genug vor, sie hätten sich gern auch gesetzt, aber es war kein Tisch frei.

»Oben ist noch Platz,« sagte der Kellner.

»Wo denn?« Peringel guckte mit den Augen zur Decke empor. In diesem Augenblick standen etliche Damen und Herren auf und schwupp saßen die beiden schon. Zwei Damen setzten sich auch noch an den Tisch, und der Kellner kam und sah die Kasperles mißtrauisch an: »Habt ihr denn auch Geld?«

»Viel Geld.« Kasperle holte das Geldsäckchen heraus, das Oswald ihm gegeben hatte. Es war voll Kleingeld, aber ein Dreimarkstück war auch drin. Kasperle zog es heraus und sagte: »Für das große Gröschle Schokolade und Kuchen, viel Kuchen.«

»Den müßt ihr euch aussuchen, da.«

Er zeigte auf ein Büfett, das voller Kuchen stand, und die beiden ließen sich das Aussuchen nicht vergeblich sagen. Sie liefen hin und Kasperle tippte an einen Kuchen mit dem Finger: »Den da will ich und den da.« Das Fingerlein saß in Buttercreme tief drin, und die Dame am Büfett sagte ärgerlich: »Anfassen ist verboten.«

»Den da und den da.« Nun saß auch Bimlims Finger in Buttercreme, und das Fräulein fing heftig zu schelten an. Da zogen die beiden ab, obgleich sie sich gern noch mehr ausgesucht hätten. Sie mußten, als der Kellner mit den Kuchen kam, der schon in Schlagsahne schwamm, noch viele ihrer kleinen Gröschlein dafür geben, denn immer sagte der Kellner: »Es langt noch nicht.«

Endlich stand auch die Schokolade vor den beiden und Kasperle schrie: »So ein kleines Täßle!«

»Du bist ja ein rechter Nimmersatt,« sagte die eine Dame.

»Du auch,« antwortete Kasperle flugs und dachte, er wolle ein Späßchen machen, und flink fuhr er mit seinem Löffel der Dame in die Schlagsahne.

»Das ist empörend!« Die Dame war ganz entrüstet und sie sagte zu ihrer Gefährtin: »Über eine solche Tischgesellschaft kann man in Ohnmacht fallen.«

»Wenn du in Ohnmacht fällst, stell’ ich dich auf den Kopf, das ist gut.«

Die Dame wollte sich ärgern, aber auf einmal lachte Kasperle sie so vergnügt an, daß sie auflachen mußte, und da versenkte Kasperle seine Nase in die Schokolade. Er tauchte wirklich die ganze Nasenspitze hinein. Und dann fing er an, den Kuchen zu schlecken. Er schmatzte dabei wie ein Ferkelchen und an den Tischen nebenan wurden die Leute aufmerksam. So ein Geschmatze und Geschlürfe war man hier nicht gewöhnt. Die beiden Damen, die mit an dem Tisch saßen, ärgerten sich nun, aber allemal, wenn sie in die lustig blickenden Kasperleaugen sahen, mußten sie lachen.

»Wie die beiden so unmanierlich sind!« sagte ein Herr an einem Nebentisch und schaute grillig auf die Kasperles.

»Was sagt der?« fragte Peringel und deutete mit dem Fingerlein auf den Herrn.

»Er sagt, du ißt wie ein Schweinchen, das du auch bist,« antwortete die Dame.

»Ich bin schon fertig.« Kasperle, der wohl wußte, was ein Schweinchen war, stopfte vor Verlegenheit ein halbes Stück Torte auf einmal in den Mund.

»Du wirst ersticken,« rief die Dame.

»Nä.« Kasperle grinste, tippte mit seinem Fingerlein der Dame auf ihre Torte: »Ißt du die nicht?«

»Nein, weil du davon gegessen hast.« Kasperle konnte das zwar nicht begreifen, aber er dachte, was andre nicht essen, kann ich essen, und eins, zwei, drei schnabulierte er der Dame ihre Torte vor der Nase weg.

»Das ist unerhört!« Der grillige Herr regte sich auf, obgleich es nicht seine Torte war, die Peringel mit großer Eile verspeiste. Er schmatzte dabei wieder und jemand rief: »Man muß die unmanierlichen Kinder nauswerfen!«

Da standen aber schon Peringel und Bimlim auf, denn die Geschichte schien ihnen gefährlich zu werden. Sie wollten geschwind naus, ein Kellner wollte geschwind rein. Es ging, wie es bei großer Eile geht, die drei stießen zusammen und es gab einen ungeheuren Krach. Auf einmal saß Bimlim in einem Berg Schlagsahne drin und er wollte sich gerade besinnen, was in dieser Lage zu tun wäre, als ihn Peringel emporzog und ihm zuflüsterte: »Ausreißen!« Ehe Kellner und Gäste noch wußten, wie und was, waren die beiden schon draußen und jagten draußen die Straße entlang. Auf einmal sagte Peringel zu Bimlim: »Bleib’ stehen, du hast Schlagsahne an der Hose, ich lecke sie ab.«

Da lag Bimlim schon auf der Erde, er war aber verkehrt herumgefallen und die Schlagsahne wischte auf der Straße herum. Da konnte sie selbst Peringel nicht mehr auflecken.

Inzwischen war es dämmrig geworden und die Kasperles sahen erstaunt, wie viele Lichter angezündet wurden. Die Stadt war bald ein Lichtermeer und die Kasperles gingen wie betäubt durch die schmucken Hauptstraßen der inneren Stadt. Was gab es da alles zu sehen! Dinge, von denen sie keine Ahnung hatten, was sie bedeuteten. Vor einem großen Strumpfgeschäft blieb Peringel stehen und schrie: »Da haben sie jemand die Beine abgeschnitten!«

Er schrie so laut, daß es die Vorübergehenden hörten und alle lachten. Ein Mann aber sagte: »Geh’ nur, für einen Taler schneiden sie dir auch deine Beine ab.«

Kasperle schrie laut und rannte die Straße entlang, gerade einem Schutzmann in die Arme. Der hielt ihn fest: »Was hast du denn?«

»Der will mir die Beine abschneiden,« schrie Kasperle.

»Wer denn?«

»Der da.«

Peringel deutete auf einen Mann, der dem Necklustigen ähnlich sah, der aber gar kein Wörtchen gesagt hatte.

»Wie können Sie das Kind mit einem so dummen Witz aufregen?«

»Was soll ich getan haben?«

»Du hast gesagt, für einen Taler wird mein Bein abgeschnitten,« schrie Kasperle.

»Unsinn, ist mir gar nicht eingefallen.«

»Du tust lügen.«

»So ein frecher Schlingel.«

»Peringel! Peringel!« schrie Bimlim mit lauter Stimme. Er hatte den Gefährten verloren und fürchtete sich entsetzlich.

»Peringel! Peringel! Du Schlingel, wo bist du denn?«

»Hier!« Peringel brüllte, daß dem Schutzmann beinahe die Ohren platzten, und im nächsten Augenblick sausten die Kasperles die Straße entlang und verschwanden.

»Wer war denn das?« fragte der Schutzmann verwundert.

»Zwei sehr unmanierliche Jungen,« antwortete ein Herr, der die Sache beobachtet hatte, »ich hab’ schon gesehen, wie sie sich bei Tische in der Konditorei benommen haben, unglaublich.«

Werde sie mir merken, dachte der Schutzmann, die gehen sicher auf die Messe und heute abend bin ich da, da werde ich aufpassen.

Die beiden wären wohl wer weiß wohin gelaufen, wenn nicht ein Spielwarenladen gekommen wäre, in dem lauter Kasperles ausgestellt waren.

Bums! blieben die beiden stehen, standen und staunten. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Da gab es Puppen in allen Größen und Felltiere, Affen, Bären, Pferde und Wagen. Das Erstaunlichste aber waren doch die Kasperles, die hatten nämlich nach Ansicht der beiden gar keine Kasperlegesichter.

»Mach’s so!« schrie Peringel und tippte an die Scheibe, und dabei machte er ein Räubergesicht. Bimlim machte es ihm nach, aber das Kasperle im Laden blieb still bei seinem dummen Gesicht.

»So macht er’s.« Bimlim machte es dem im Laden nach.

»So macht’s der andere.« Peringel machte es auch einem Kasperle nach und die beiden fingen an zu lachen, weil die dummen Kasperles ihre Gesichter nicht veränderten.

»Sie sind von Holz,« sagte Bimlim verächtlich.

»Elende Holzdinger,« schrie Peringel.

»Wir wollen ihnen mal was vormachen.«

Die beiden schnitten Gesichter in den Laden hinein, das sahen ein paar Jungen, die blieben stehen und sagten: »Die können es fein.«

Andere Buben und Mädels kamen herzu, alle standen und bewunderten die Kasperles.

»Dreht euch doch um,« rief plötzlich ein Junge, »wenn ihr immer in den Laden guckt, können wir euch nicht ordentlich sehen.«

Da drehten sich die Kasperles um, und als sie die vielen Kinder sahen, schnitten sie die unglaublichsten Gesichter.

Das Gedränge vor dem Laden wurde immer größer.

»Die sind fein, die sind von der Messe,« redeten ein paar Stimmen.

»Jetzt kommt ein Schutzmann,« sagte jemand.

»Au! Au!« schrien etliche. Über ihre Köpfe weg turnten die Kasperles, schossen Purzelbäume gerade auf ein Auto hinauf.

»Halt, halt!« riefen dem Fahrer ein paar Leute zu, der aber schrie: »Ich war’s nicht!« Er dachte, es wäre jemand überfahren worden und er sollte angezeigt werden. Ein Schutzmann lief dem Wagen nach und schrie: »Halten, halten!« aber der Chauffeur schrie nur immer: »Ich war’s nicht, ich war’s nicht!«

In dem Auto saßen ein paar Damen, die auch nicht die Kasperles auf dem Verdeck sehen konnten.

Der Wagen hielt vor einem großen Hause, die Damen stiegen aus, und weil es schon recht dämmrig geworden war, sahen weder Chauffeur noch Damen die beiden Kasperles, und ein Herr, der das Auto anrief und »Meßplatz« verlangte, sah sie auch nicht.

So kamen die beiden zum Meßplatz, aber dort wurden sie gesehen und es gab ein großes Geschrei, als die beiden vom Verdeck herabpurzelten. Aber nicht lange hielt das Rufen an, die beiden waren im Umsehen verschwunden, hatten sich im Gewirr des Meßplatzes verloren.

War das ein Leben! Der Torburger Festplatz war dagegen ein Kinderspiel. Und diese Flut von Licht über den ganzen riesengroßen Platz! Den Kasperles wurde es ganz bang um die beiden kleinen Kasperleherzen, sie sehnten sich auf einmal schrecklich nach Torburg zurück. Peringel kam auf den Einfall, mit einem Auto nach Torburg zu fahren.

»Hast du Gröschlein genug?« fragte Bimlim.

»O ja,« sagte Peringel und holte seinen Geldbeutel heraus, da waren Gröschlein und Zweipfennige drin. Er ging ganz stolz auf einen Chauffeur zu und sagte: »Nach Torburg.«

»Du meinst wohl Tonberg?« (das ist ein Vorort von Leipzig) sagte der Chauffeur.

»Nä, Torburg.«

»Wo liegt denn das?«

»In Franken,« sagte ein Mann, der vorüberging.

»Dahin wollt ihr fahren, habt ihr auch Geld?«

»Ja, viel.«

Ein Schutzmann hörte das und er dachte, wenn zwei so kleine Jungen nach Torburg fahren wollen und sagen, sie hätten viel Geld, dann ist die Sache verdächtig.

»Zeigt mal das Geld,« sagte gerade der Chauffeur.

Kasperle hielt ihm sein Geldbeutelchen hin. Der Mann zählte: »70 Pfennige, aber Jungens, ihr seid wohl piepe! Damit wollt ihr Auto fahren?« Alle Leute, die herumstanden, lachten, und der Schutzmann lachte mit. »70 Pfennige, damit Auto fahren. Macht, daß ihr nach Hause kommt!« rief der Mann.

»Aber wir müssen doch zu Meister Drillhose und Meister Hirsebrei und Madame Käsewurm.«

Da lachten alle noch mehr und der Schutzmann sagte: »Wo wohnt ihr denn?«

Ja, er konnte gut fragen. Die beiden waren wie der Blitz verschwunden.

»Da stimmt etwas nicht,« sagte der Schutzmann.

»Nein, da stimmt etwas nicht,« sagte auch der Chauffeur.

»Hier stimmt auch etwas nicht, hier kriecht etwas herum,« sagte eine Pfefferkuchenfrau und sah unter ihren Verkaufstisch. Da saßen die Kasperles darunter und Peringel schmauste gerade einen Pfefferkuchen.

»Der hat da gelegen,« rief er erschrocken.

»Da liegen noch mehr, wenn du die alle aufessen willst, dann . . .«

»Ja,« rief Kasperle, der das für eine freundliche Aufforderung nahm.

»Nun,« rief die Frau, die es anders gemeint hatte, »dann hau’ ich dir den Buckel voll.« Das war unfreundlich. Die beiden Kasperles dachten wieder, es ist am besten, wieder auszureißen, denn man kann nie wissen, was so einer Pfefferkuchenfrau alles einfällt. Also rissen die beiden mal wieder aus, und weil sie nicht wußten, was sie tun sollten, krochen sie unter die Plane einer Bude. Diese Verkaufsbude war schon geschlossen und die beiden dachten, sie würden hier ordentlich ausschlafen können.

»Ich möchte hundert Jahre schlafen,« sagte Bimlim.

»Nä, bitte nicht, das ist zu lange,« schrie Peringel lauter, als gerade nötig war.

»Wer spricht denn hier?« fragte jemand.

»Stille,« tuschelte Peringel, »da steht ein Schutzmann.« Es stand wirklich einer da. Er kam auch heran und hob die Plane hoch. Aber die Kasperles hatten sich geschwind hinter eine große Kiste versteckt, da sah er sie nicht.

Ich werde die Bude im Auge behalten, dachte er, geheuer ist es da nicht.

Das war ein guter Vorsatz für einen Schutzmann, aber ein schlimmer für Kasperles, die gerne ausschlafen wollten.

Kasperle auf der Leipziger Messe

Es wurde auch nichts mit dem Ausschlafen. Auf einmal hörte nämlich der wachsame Schutzmann ein sonderbares Geräusch.

»Hörst du,« sagte er zu seinem Gefährten, »wer ist das?«

»Einbrecher.«

»Aber recht ungeschickte, die machen ja einen Höllenlärm.«

Währenddem kam eine Dame, die in der Schießbude half und schrie: »Bei mir brechen sie ein!«

»Schreien Sie doch nicht so, sonst fangen wir sie nicht,« tuschelte der Schutzmann.

Aber die Schießbudendame war etwas aufgeregt, sie rief laut: »Hilfe, Hilfe, Einbrecher!«

Die Einbrecher waren aber etwas komisch, die ließen sich gar nicht stören, sie sägten ruhig weiter.

Und wer waren die Einbrecher?

Die Kasperles, die lagen in einer Kiste mit Holzwolle und schnarchten, was sie nur konnten, als der Schutzmann die Plane hochhob.

»Kasperles!« riefen alle.

»Lebendige!« Die Schießbudendame sagte gleich: »Die sind sicherlich aus der Kasperlebude ausgerückt. – Steht ihr mal auf!«

Die beiden standen aber nicht auf, die schnarchten ruhig weiter.

»Hört ihr, steht auf!« der Schutzmann brüllte sie an, die beiden wachten nicht auf.

»Ihr steht auf!« rief ein Budenbesitzer.

Immer noch rührten sich die beiden nicht.

»Ich gieße ihnen mein Deppchen Goffee über den Gopp,« sagte ein Aufseher.

Und gesagt, getan. Der Kaffee war warm und davon wachten die beiden dann auch auf. Und als sie so viele fremde Menschen um sich stehen sahen und der Kaffee ihnen warm über die Nase lief, da brüllten sie los.

»Jemine, ja so’n Deppchen Goffee hilft immer, auswendig oder inwendig, je nach Bedarf,« sagte der Aufseher gemütlich.

»Wer seid ihr denn?«

»Kasperles.«

»Wohl aus der Bude da drüben?« fragte der Aufseher.

»Nä, wir sind geflogen.«

»Ach so, rausgeflogen?«

»Nä, durch die Luft.«

Nun erzählten die Kasperles ihr Abenteuer und niemand glaubte ihnen.

»Ihr seid mir scheene Schwindelmaiers,« sagte der Aufseher.

»Wir schwindeln nicht.«

»Doch, aber feste! Da kommt der Kasperlemann, der kann’s gleich sagen.« Den Kasperlemann hatte die Schießbudendame herbeigeholt. Aber die Kasperles hatten keine Lust mehr, etwas zu sagen, und sie hätten wohl geschwiegen, wenn nicht der Schutzmann, der sie sich gemerkt hatte, dazu gekommen wäre. Der machte den maulfaulen Kasperles Beine. Huppdihupp sprangen sie in die Höhe und wollten ausreißen, aber es standen diesmal zu viele Menschen da und zwei Männer packten die Schelme und herrschten sie an: »Hier geblieben, ihr Einbrecher!«

»Wir sind keine Einbrecher, wir sind Kasperles.«

»Wie heißt ihr?« Der Kasperlemann rannte vor Eile gleich einen Schutzmann um.

»Lebendige Kasperles!«

»Jemine, ihr seid wohl vom Himmel gefallen?«

»Ja, aus ’nem Flugzeug.«

»Glauben Sie doch den Schwindelpetern den Unsinn nicht,« sagte ein Herr, aber der Kasperlemann belehrte ihn, daß das wohl stimmen könnte. Es gibt auf der Welt zwei echte Kasperles, die einmal von der Kasperle-Insel geraubt worden waren und von Zeit zu Zeit lange schliefen und auf diese Weise lange lebten. »Stimmt das?« fragte er.

»Ja,« die beiden nickten, bei dem Gedanken an ihre Heimatinsel waren sie beide traurig geworden und ihre sonst so lustigen Kasperlegesichter sahen ganz wehmütig drein.

»Wie heißt ihr denn? Peringel und Bimlim?«

Auf einmal klärten sich die Gesichter der beiden auf, da war doch jemand, der ihre Namen kannte.

Sie wollten gerade anfangen zu erzählen, als der Kasperlemann rief: »Nicht erzählen, das kommt in die Zeitung.« Und dann bat er in beweglichen Tönen, die beiden sollten zu ihm kommen, er wäre ein ganz armer Mann und hätte nicht einmal Geld genug, die Platzmiete für sein Budchen zu zahlen und zu essen hätte er auch nichts.

»Ich hab’ aber Hunger,« schrie Peringel, und Bimlim echote: »Ich auch.« Das war schlimm und es war gut, daß sich unter den Zuschauern ein paar mitleidige Leute fanden, die gaben Geld für Semmeln und Würstchen und die beiden Kasperles aßen, so viel sie nur bekamen. Dann gingen sie mit dem Kasperlemann in die Bude und legten sich dort zum Schlaf nieder.

»Schlaft aber nicht hundert Jahre, so lange kann ich nicht warten.«

Das versprachen auch die beiden, und richtig wachten sie am nächsten Morgen zu rechter Zeit auf.

Am Vormittag brauchten sie nicht zu kaspern, denn das Publikum, das zusah, kam erst am Nachmittag.

»Jetzt fangt an,« sagte der Kasperlemann, als sich die beiden Faulpelze ihren Nachmittagsschlaf aus den Augen rieben, »es sind schon Kinder da.«

Peringel guckte zuerst hinaus.

»Da ist ’n neir Goasber,« riefen die Kinder.

»Ein Kasperle bin ich.«

»Nu ja, ’n Goasber.«

»Nä, ein Kasperle.«

»Nu freilich, ’n Goasbörlä.«

Da kam Bimlim heraus und rief: »Ich bin der berühmte Prinz Bimlim.«

»Uhjeh, Brinz Pimlim.«

»Nä, Bimlim.«

»Nu ja, Pimlim.«

Die Leipziger Kinder konnten gar nicht begreifen, warum die beiden immer ihre Namen wiederholten. Sie fragten:

»Woher kommt ihr denn?«

»Vom Monde,« rief Kasperle geärgert.

»Das ist aber weit.«

»Freilich, sehr weit.«

»Wie lange biste denn gereist?«

Mit Zählen durfte man Kasperle nicht kommen, er sagte aufs Geratewohl: »Ein Jahr.«

»Aber das ist lange. Wie biste denn gereist?«

»Ich habe Purzelbäume geschossen.«

»Ein Jahr immerzu?« Das Kasperle, das reden konnte und solche Geschichte erzählen, kam den Kindern sehr sonderbar vor und ein kleiner Junge sagte: »Ist dir denn nicht übel geworden?«

»Sehr übel. Darum habe ich jetzt Hunger und ihr müßt mir jetzt Gröschlein geben, denn ich muß Würstchen essen und Pfannkuchen und Pfefferküchlein.«

Aber die Geschichte war den Kindern zu schnell zu Ende. Gröschleins wollten sie schon geben, aber was sehen wollten sie auch. Sie verlangten eine Vorstellung und die beiden Faulpelze, die sich gedacht hatten, sie kämen ohne große Anstrengung zu ihren Gröschleins, mußten sich zum Kaspern bequemen.

»Jetzt fängt der Goasber an.«

»Ich heiße Kasperle Peringel.«

»Nu ja, Goasber Beringel. Nu fang aber an, sonst laufen wir weg.«

Da ließ Kasperle das Streiten um seinen Namen sein und fing an, Grimassen zu schneiden.

Die Kinder lachten erst ein wenig, dann aber, als Kasperle lachte, lachten sie mehr und mehr, und immer lauter tönte das Lachen vor der Kasperlebude.

Auf einmal rief ein Herr: »Du Kasper, bist du wirklich ein Kasper?«

»Das sehnse doch.« Kasperle rief es patzig.

»Sei höflich,« mahnte der Kasperlemann, »das ist ein Herr, der setzt dich in die Zeitung.« Nun kam Kasperle eine Erinnerung an einen Professor, von dem er einst geglaubt hatte, er wolle ihn in Spiritus setzen und er dachte, das wäre etwas Ähnliches. Er brüllte los:

»Ich will nicht in die Zeitung, ich will in keiner Zeitung sitzen!«

»So ein Schafskopf,« sagte der Herr.

»Ich bin kein Schafskopf, ich bin ein Kasperle.«

»Sei doch still,« mahnte der Kasperlemann, »sonst kommst du ja nicht in die Zeitung.«

»Ich will nicht in der Zeitung sitzen!« Kasperle machte vor Angst lauter Räuber- und Menschenfresser-Gesichter. Immer eins nach dem andern.

»Warte, ich will dich photographieren,« sagte der Herr und richtete seinen Apparat auf Kasperle.

»Er schießt mich, er schießt mich!« schrie Kasperle entsetzt, der von der Kunst der Photographie ebensowenig eine Ahnung hatte wie von der Wichtigkeit einer Zeitung. Kasperle schoß einen Purzelbaum von der Bühne herab mitten unter die Kinder, und da stand er vor dem Herrn und riß dem den Apparat aus der Hand. »Du darfst mich nicht schießen.«

»Na höre mal, du bist aber dumm.«

»Ich bin nicht dumm, ich bin ein Kasperle.«

»Bist du wirklich eins, bist du nicht ein ganz gerissener Schwindler?«

Diese Frage ärgerte Kasperle so sehr, daß er auf einmal seine Zunge, und sie war lang, weit herausstreckte, worüber der Herr so erschrak, daß er samt seinem Apparat, den er eben wieder aufgehoben hatte, hintenüber fiel.

»Eener der Goasber hat die Zunge rausgestreckt,« jubelten die Kinder.

»Nochmal!« verlangten etliche.

Aber Kasperle war selbst erschrocken über seine Missetat. Er kobolzte zurück und kasperte oben weiter. Zu seiner Beruhigung verschwand der Herr, der ihn hatte in die Zeitung bringen wollen. Und so kam es, daß von Kasperle kein Sterbenswörtchen in den Leipziger Zeitungen stand und der Kasperlemann klagte: »Gar keine Reklame.«

»Was für ’ne Dame?« fragte Kasperle.

Ach Kasperle, dachte der Kasperlemann, du hast wirklich sehr viel verschlafen. Er sagte es aber nicht laut, denn er hatte Angst, Kasperle könnte noch mehr Dummheiten machen.

Er ließ die Kasperles kaspern und jeden Tag wuchs die Kinderschar und jeden Tag zankte sich Kasperle mit ihnen herum, wenn sie riefen: »Goasber, gomm.«

Aber die Gröschlein flogen und Kasperle litt keine Not. Es war merkwürdig, die verwöhnten, an vieles Merkwürdige gewöhnten Großstadtkinder standen wie festgerammt, wenn das Kasperle kam. Wenn er seine Gesichter schnitt, schnitten sie auch welche und wenn er lachte, lachten sie auch. Schlimm aber war es, wenn Kasperle traurig war, das steckte noch mehr an als Gesichterschneiden und Lachen, dann rollten die Tränen und die Taschentüchlein flogen. Und weil Kasperle nie ein Taschentuch hatte, war es allen eine Ehre, wenn Kasperle verlangte: »Gib mir dein’s.«

Dann flogen Kasperle die Tüchlein zu und Kasperle heulte wie ein kleiner Hofhund und erzählte dazu von seiner geliebten Kasperle-Insel.

»Warum biste nicht mehr dort?« fragten oft die Kinder.

Und Kasperle schwieg. Konnte er erzählen, daß man ihn dort Peringel, den Schlingel, nannte? Nein, da schwieg er lieber. Darum sagte er jedesmal kläglich: »Das weiß ich nicht mehr, das habe ich verschlafen.«

»O Kasperle, du Strick!«

Und Bimlim sagte auch jedesmal: »Ich hab’s auch verschlafen, aber Peringel war dran schuld.«

»Weiß ich nicht, hopple hopp, jetzt wird gekaspert.«

Und weg waren Tränen und Kummer, das Lachen tönte über den Platz und die andern Budeninhaber sagten wohl: »Der Kasperlemann hat’s gut, seit der die lebendigen Kasper hat, geht’s Geschäft.«

Die Kasperles im Kino

Auf der Messe war auch ein Lichtspieltheater. Und die Kasperles, neugierig wie die Elstern, beschlossen hineinzugehen. Der Besitzer hatte geboten: »Macht kein Aufhebens, wenn die Kasperles kommen.« Er dachte nämlich, die beiden könnten allerhand anstellen. Die beiden gingen also eines Tages mit den besten Vorsätzen in das Theater. Sie wollten ganz gewiß nichts anstellen, ja das wollten sie, aber . . . Als sie in den dunklen Zuschauerraum gelassen wurden, erschraken sie sehr und sie stolperten mit Getöse den Gang entlang.

»Da setzt euch,« sagte das Fräulein mit der Lampe.

Ja setzen, wenn man nicht sehen kann.

Auf einmal saß Kasperle einer Dame auf dem Schoß und Bimlim umarmte den dazu passenden Herrn.

»Hilfe, Hilfe, Mörder!« kreischte die Dame. Sie dachte, Kasperle wollte sie umbringen.

Weil Kasperle der Meinung war, zwei schrien immer besser als einer, schrie Kasperle auch um Hilfe, da er nicht wußte, daß er der Übeltäter war.

»Hilfe, Hilfe!« gellte es durch das Theater und ein Diener sprang herzu und drehte das Licht auf. Da saß Kasperle auf dem Schoß der Dame und beide schrien um die Wette.

»Er mordet mich!«

»Mich auch,« stöhnte der Herr, den Bimlim immer noch umhalst hatte.

»Ih nee, das tun die Kasperles nicht.«

»Kasperles!« Im Nu sahen so und so viele Kinderköpfe herum, Kinderaugen suchten, Kinderbeine zappelten, um zu Kasperle zu eilen, das ganze Publikum geriet in Unruhe.

»Was, der häßliche Kerl auf meinem Schoß soll ein Kasperle sein?« rief die Dame. Da schnitt Kasperle, empört über den Zweifel, ein Räuber- und ein Menschenfressergesicht, dabei neues Geschrei der Dame. Endlich setzte der Diener Kasperle und Bimlim neben die schreiende Dame und sagte ein bißchen streng: »Nun still.«

Nun wußten Kasperle, Dame, Bimlim und Herr nicht, wer gemeint war, und darum waren sie alle still, und es wurde wieder dunkel. Aber nicht lange hielt die Stille an, denn auf einmal ertönte Kasperles laute, kreischende Stimme: »’n bißchen lauter, ich kann gar nichts verstehen.«

Kasperle spricht. Wieder drehten sich Kinderköpfe um, wieder zwirbelten Buben- und Mädelbeine und Kindermünder lachten. Kasperle dachte, die Kinoleute sind lebendig. O das blitzdumme Kasperle!

»Lauter!« schrie nun auch Bimlim. Da sagte der Herr herablassend: »Das sind nur Bilder.«

»Nä,« sagte Kasperle laut, »die sind lebendig. Da!« Ein gellender Aufschrei: »Er schießt, er schießt!«

Kasperle fuhr aus dem Stuhle hoch und kreischte: »Mann, sieh doch, Mann, sieh doch, er schießt!«

Ein lautes Lachen brauste durch den Saal und Kasperle sah Bimlim erstaunt an und Bimlim sah ihn erstaunt an.

»Es sind Bilder, mein Sohn,« sagte der Herr mild.

»Du schwindelst.« Kasperle war entrüstet, daß ihm der Herr etwas weismachen wollte, und Bimlim war mit entrüstet, der rief: »Schwindelpeter!«

»Du bist ein ganz frecher Junge.«

»Ich bin kein Junge.«

»Na, was denn?«

»Ein Kasperle.«

»Stille!« tönte es durch den Saal, »Mund halten!«

»Siehste,« sagte Kasperle laut, »du sollst den Mund halten.«

Das ging dem Herrn doch über den Spaß und patsch bekam Kasperle eins auf den Mund.

Der arme Herr wußte nicht, was er angerichtet hatte, denn er hatte in seinem Leben noch kein Kasperle schreien hören. Kasperle schrie so, daß nun alle dachten, er werde wirklich umgebracht und Bimlim schrie mit.

Der Diener kam ganz aufgeregt herbei: »Was ist denn los?«

»Er haut mir, er haut mir!«

»Bloß einen Klaps,« sagte der Herr verlegen und die Dame sagte milde: »Aber Kasperle, es war ganz sanft.«

So war’s, und klapp hatte die Dame eins auf dem Mund und sie wollte gleich in Ohnmacht fallen, da sagte Kasperle: »Man muß sie auf den Kopf stellen,« und flugs war die Dame wieder munter.

»Ruhe,« rief ein ungeduldiger Zuschauer, »nicht so schreien.«

»Ich schreie nicht mehr!« Kasperle brüllte, als wären alle stocktaub, und der Diener sagte ganz streng: »Wenn du nicht gleich still bist, dann wirst du nausgestellt.«

»Es muß ihm gesagt werden, daß das nur Bilder sind,« flüsterte der Herr.

Aber Kasperle hatte das Flüstern doch verstanden und das vermeintliche Geschwindle empörte ihn, er brüllte wieder: »Nä, das sind keine Bilder! Bilder kenne ich, die wackeln nicht, da spuckt man drauf, dann kleben sie.«

Ein lautes Gelächter durchbrauste den Saal und das Publikum verlangte, Kasperle sollte an die weiße Wand geführt werden und selbst sehen, daß es Bilder wären.

Der Herr des Lichtspielhauses mußte kommen und Kasperle wurde zur allgemeinen Freude wirklich an die weiße Wand geführt. Das erste, was er tat, war, daß er einen kräftigen Stoß gegen den Bösewicht des Stückes führte: »Das war der, der geschießt hat,« schrie er. Zu seiner Verwunderung traf er nur die Wand und keinen Menschen. Da fing er allmählich an zu glauben, daß es wirklich nur Bilder waren. Er ging suchend zu seinem Platz zurück, ein kleines feines Mädchen aber rümpfte die Nase, als Kasperle vorbeiging: »Wie der riecht.« Es ging wirklich ein unholdes Düftchen von Kasperle aus. Man konnte schon sagen, er stank.

»Nach was riechst du denn?« fragte die Dame, als er vorbeiging, aber Kasperle wollte sehen und sich nicht unterhalten, er sagte patzig: »Du riechst.«

Da drehten sich ein paar Leute um und sagten: »Es riecht wirklich entsetzlich.«

»Ich bin’s nicht, du bist es,« schrie Kasperle zum Entsetzen der Dame.

»Hier hat jemand Käse mit,« sagte ein alter Herr.

»Hinter mir ist es,« sagte ein Herr, der vor der Dame saß.

»Aber ich bin es nicht.«

»Doch, du bist es.«

Kasperle war sehr frech. Er steckte ein Käsepaketchen, das er vergessen hatte, dem Kasperlemann abzugeben, der Dame unter den Mantel und sagte wieder: »Du bist es.«

Da kam der Aufsichtsbeamte, hielt sich die Nase zu und sagte: »Käse mit ins Kino zu nehmen, ist nicht erlaubt.«

»Ich bin’s nicht,« die Dame stand auf und das Käsepaketchen fiel zu Boden.

»Da ist es,« sagte der Aufsichtsbeamte, »was so riecht.«

»Es gehört mir nicht,« die Dame war wütend und ihr Mann stand auf und sagte: »Wir wollen gehen.«

Sie gingen und die Kasperles hatten die Stuhlreihe für sich allein.

»Nun betragt euch anständig,« sagte der Aufsichtsbeamte und nahm den Käse mit.

Beinahe hätte Kasperle geschrien: »Mein Käse!« er schwieg aber und saß ganz steif und still auf seinem Platz, denn er hatte ein sehr schlechtes Gewissen.

»Kasperle ist fortgegangen,« riefen ein paar Kinder, »wie schade.«

Trotz seines schlechten Gewissens hörte Kasperle das gern und er brüllte laut: »Nä, ich bin da, aber der Käse ist fort.«

Nun lachten wieder alle und der Aufsichtsbeamte dachte: Warte Kasperle, dich kriege ich noch! Der den Käse gehabt hat, bist du gewesen.

»Stille!« mahnte er, denn Kasperle zeigte nicht geringe Lust, ein Gespräch mit den Kindern zu beginnen.

Da schwieg Kasperle muckstill, denn sein Gewissen war noch wach. Aber ein Kasperlegewissen schläft bald ein und Peringels Gewissen schlief ganz fest ein.

Die Vorstellung ging weiter. Ein Lustspiel löste das Drama ab und plötzlich lachte Kasperle und schrie: »Er hat sich in den Pudding gesetzt!«

Ein Mann hatte sich auf einen Zylinder gesetzt und Kasperle dachte, es wäre ein Pudding.

»Kasperle sei still!«

Aber Kasperle war nicht still. Der lachte und lachte sein echtes freches Kasperlelachen und das steckte an. Erst lachten ein paar Kinder mit, dann Erwachsene, immer mehr lachten und zuletzt dröhnte das Haus wider vom Lachen des Publikums.

Und je mehr die andern lachten, je mehr lachte Kasperle.

So war noch nie in einem Kino gelacht worden und ein dicker Herr rief: »Ich platze!«

»Ich platze auch!« rief eine Dame.

»Ich bin schon geplatzt!« rief Kasperle.

»Wo denn?« fragten die Kinder.

»An meinem Hösle ist ein Knöpfle abgesprungen.«

Da brauste das Lachen von neuem auf. Der Aufsichtsbeamte wollte »Stille« rufen, er mußte aber selbst so lachen, daß ihm die Tränen kamen.

Und dem dicken Herrn platzten drei Hosenknöpfe ab und er bat seine Frau um eine Sicherheitsnadel.

»Nun aber still,« flüsterte der Aufsichtsbeamte Kasperle zu, und weil Kasperles Gewissen wieder aufwachte, hielt er sich selbst den Mund zu.

Da erlosch das freche Kasperlelachen und alle sagten wieder: »Wie schade, Kasperle ist fort.«

»Nä, ich bin noch da.«

»Bleibst du noch?«

»Ja, noch lange.«

»Still.«

Schwupp war Kasperle wieder ganz still. Unheimlich still, dachte nach einer Weile der Aufsichtsbeamte. Was macht er nur?

Das Sehen nach der weißen Wand hatte Kasperle ermüdet und auf einmal sah er, daß Bimlim schlief. Da dachte er, das kann ich auch, schloß die Glitzeräuglein und auf einmal sagte jemand: »Was rasselt nur so?«

»Das ist die Maschine,« sagte eine andere Stimme.

»Eine Ratte ist’s,« kreischte ein Fräulein.

»Uh je,« quiekte eine andere.

»Es muß etwas an der Maschine kaputt sein,« sagte die erste Stimme.

»Es wird doch kein Unglück passieren.«

»Kasperle schnarcht,« rief der Aufsichtsbeamte und ein lautes Lachen brauste durch den Saal.

Davon erwachten die Kasperles und sie sahen verdutzt um sich, wußten gar nicht, wo sie waren.

»Ausgeschlafen?« fragte jemand.

»Nä,« schrie Peringel und Bimlim machte »uah.«

Der Aufseher aber nahm beide Kasperles beim Schlafittchen und führte sie hinaus, denn schnarchen im Kino, das ging nun doch nicht.

Draußen, als die beiden noch recht verdutzt dastanden, sagte er: »Hier ist auch der Käse.«

Eilfertig griff Peringel danach und der Aufseher lachte: »Also, du warst es doch,« sagte er.

Da merkte Kasperle, daß er sich verraten hatte und er brach in ein ungeheures Gelächter aus.

»Kasperle lacht draußen!« Die Kinder im Saal sprangen hoch und verlangten, Kasperle solle wieder hereinkommen. Das tat Kasperle gern und beinahe nahm er den Käse wieder mit in den Saal, aber der Aufseher merkte es noch zur rechten Zeit. Das war gut, denn wenn Käse und Kino auch beide einen Anfangsbuchstaben haben, so passen sie doch nicht zusammen wie Kasperle und Kino.

Der kleine alte Kasperlemann

Als der Weltkrieg zu Ende war, fing ein kleiner alter Mann wieder an zu arbeiten. Er hatte, wie so viele Leute, sein erarbeitetes Geld verloren und mußte nun wieder mit der Arbeit beginnen. Er war Kasperlemann, das heißt, er zog von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, von Messe zu Messe mit seiner Kasperlebude. Das Budchen besaß er noch, denn von dem hatte er sich nicht trennen mögen, auch die Puppen waren noch da und so zog nun Herr Hirsebrei mit seiner Frau Mariechen eines Tages auf die Leipziger Messe. Es war um die Osterzeit, alles blühte und grünte schon, die große Stadt lag eingebettet in einen Kranz frischer grüner Wälder und der Kasperlemann Hirsebrei sagte zu seiner Frau Mariechen: »Man sollte lieber spazierengehn als immer Kasperlespiele machen.« Ja, zum Spazierengehn hatte er auch reichlich Zeit, denn die Kinder, die vor der Kasperbude sitzen und lachen sollten, die fehlten.

Woher das nur kam?

Das Budchen war da, die Kasperles waren da, aber die Kinder kamen nicht. »Ich kann’s nicht mehr,« sagte Herr Hirsebrei zu Frau Mariechen, »ich hab’s verlernt.«

»Unsinn, es sind zu viele Kasperle-Theater da,« antwortete die Frau, »du kannst es noch sehr gut. Solche Witze wie du machen nicht viele, aber sieh nur, dort steht ein ganz großes neues Theater und dort eins und da stehen die Kinder herum, wir müssen unsere Kasperles neu anstreichen und neu anziehen.«

Damit war Meister Hirsebrei einverstanden, aber erst nach der Messe, sonst klebten sie, und mit Kasperles, die kleben, kann man nicht spielen.

»Mir ist’s recht.« Frau Mariechen war mit allem zufrieden, was ihr Mann wollte. Aber sie fing doch immer an, neue Anzüge für die Kasperlepuppen zu nähen, damit es schneller ging. So saß sie dann da und nähte Kasperlestaat und manchmal nahm sie auch den Teller und sammelte ein. Es kam aber wenig Geld ein und manchmal war der Gewinn nur ein Hosenknopf. Da hatte sich so ein Büblein gesagt: Geld ist rund und Hosenknöpfe sind auch rund, also kann man auch Hosenknöpfe geben.

Das stimmte nun nicht, und die arme kleine Frau Mariechen ärgerte sich nur, wenn sie einen Hosenknopf fand, denn alle konnte sie ihrem Manne doch nicht annähen.

So ging die Leipziger Messe vorbei und das Ende vom Lied war, daß die armen Kasperleleute nur wenig Geld hatten, nicht einmal so viel, um mit der Bahn nach Weimar zum Jahrmarkt zu fahren. Da zog Herr Hirsebrei seinen alten Kasperlewagen aus dem Schuppen und das Ehepaar zog wieder wie ehedem mit dem Karren übers Land. Zuerst nach Thüringen und dann nach Franken. Dort in dem Städtchen Torburg lernte Meister Hirsebrei einen uralten Kasperlespieler kennen. Der wohnte in einem kleinen uralten Hause, er zog nicht mehr zu Jahrmarkt und Messe hinaus, denn dazu war er zu alt. Er ging also und sah sich Meister Hirsebreis Spiel an und so lernte ihn Meister Hirsebrei kennen. »Ich spiele schlecht,« sagte Meister Hirsebrei traurig, »ich hab’s verlernt.« »Sie spielen ganz gut,« antwortete der alte Meister, der Drillhose hieß. »Aber die Kinder kommen nicht mehr zu mir!«

»Die Kinder wissen nicht, was ein gutes Kasperlespiel ist, es sind neumodische Kinder, die für Kino und Rundfunk schwärmen. Ja, wenn sie mein altes Kasperle sehen würden, da würde ihnen ein Licht aufgehen!«

»Was ist denn das, Ihr altes Kasperle?«

»Ja, das ist ein echtes Kasperle.«

»Das gibt es ja gar nicht.«

»Doch, es ist davon geschrieben worden.«

»Ach, die Leser sind dumm, echte Kasperles gibt es nicht.«

»Doch, die gibt es: ich habe eins.«

Meister Hirsebrei machte große Augen, dann aber lachte er und spottete: »Wenn Sie ein echtes Kasperle hätten, dann wohnten Sie nicht in einem so armen, kleinen Häuschen, sondern hätten viel Geld verdient, denn ein echtes Kasperle würde die Leute anlocken.«

»Da haben Sie recht, aber mein Kasperle schläft. Als mein Vater ein ganz junger Bursche war, ist es eingeschlafen, es hatte sich müde gekaspert.«

»Warum haben Sie es nicht aufgeweckt?«

»Weil es dann stirbt.«

»Ja, vom Aufwecken stirbt man doch nicht.«

»O doch, wenn man ein Kasperle ist.«

»Wissen Sie das so genau?«

»So ziemlich. Mein Großvater war der alte Kasperlemann, mit dem das echte Kasperle einmal herumgezogen ist, der es damals gerettet hat: Peringel, den Schlingel.«

»Was? Peringel, den Schlingel, das weltberühmte Kasperle wollen Sie haben? Das glaube ich nicht!«

»Glauben Sie es nur, es ist so.«

»Aber wo ist der Peringel?«

»In meinem Kasten.«

»Den muß ich sehen.«

»Wenn ich es erlaube, es hat noch niemand Peringel, den Schlingel, gesehen als mein Vater und ich und meine Frau Luise, die ist aber schon tot.«

»Wie alt sind Sie denn?«

»Fünfundsiebzig Jahre. Als ich geboren wurde, schlief Peringel, der Schlingel, ein, und seitdem warte ich auf das Aufwachen.«

»Fünfundsiebzig Jahre!«

»Ja, fünfundsiebzig Jahre. Eine lange Zeit, aber Peringel, der Schlingel, war auch so müde, als er einschlief, er konnte gar nicht mehr richtig kaspern, es fielen ihm keine Späßchen mehr ein und mein Vater sagte, er wird lange schlafen, hoffentlich erlebst du es noch, daß er aufwacht.«

»Wie kann man so lange schlafen!« Der Meister Hirsebrei kam aus dem Verwundern nicht heraus.

»Oh,« sagte Meister Drillhose, »das vorige Mal hat er über achtzig Jahre geschlafen, und ich weiß noch ein Geheimnis.«

»Was für ein Geheimnis?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Hängt es mit Kasperle zusammen?«

»Mit einem anderen Kasperle. Aber ich sage nichts weiter.«

»Wo ist denn das andere Kasperle?«

»Das sage ich nicht.«

»Hier in Torburg?«

»Das sage ich nicht.«

»Auch in Ihrem Kasten?«

»Das sage ich nicht.«

»Ist’s auch ein echtes Kasperle?«

»Das sage ich nicht.«

»Steht es auch in den Kasperlebüchern?«

»Das sage ich nicht.«

Dem Meister Hirsebrei wurde das ewige »Das sage ich nicht« zu dumm, er stand auf und sagte, er müsse nun kaspern lassen.

»Das ist gut, ich sehe zu.«

»Soll ich Ihnen etwas vorkaspern? Sie können es ja doch besser.«

»Ich kann nicht mehr spielen, nur Kasperle konnte es.«

»Zeigen Sie ihn mir?«

»Vielleicht!«

»Wann?«

»Ich sage es nicht.«

Da fing Meister Hirsebrei zu kaspern an und dachte, der alte Drillhose belügt mich, der hat gar kein Kasperle. Er spielte mit seinen Puppen, so gut er konnte, und die paar Kinder, die gekommen waren, lachten. Auf einmal aber rief ein rechter Dreikäsehoch: »Das sind keine echten Kasperle!«

»Gibt’s gar nicht!« brummte Meister Hirsebrei.

»Doch, in Büchern steht es.«

»Da steht viel Unsinn.« Meister Hirsebrei war schlechter Laune, so ärgerte er sich, und die Kinder ärgerten sich noch mehr. Die liefen fort und vergaßen selbst die Hosenknöpfe in den Sammelteller zu tun. Als Frau Mariechen kam, liefen sie davon wie die Mäuse, wenn die Katze um die Ecke blickt.

Da weinte Frau Mariechen und Meister Drillhose legte eine Mark in den Sammelteller, er sagte dabei: »Ihr Mann spielt sehr gut, beinahe als hätte er es von Peringel, dem Schlingel, gelernt. Er soll heute abend zu mir kommen und Sie sollen mitkommen.«

Da dankte Frau Mariechen sehr für die freundliche Einladung, sie fragte auch nicht, ob sie das Kasperle sehen würde, sie dachte, kommt Zeit, kommt Rat.

Am Abend gingen dann die Kasperleleute zu Meister Drillhose. Von den Leuten, die noch auf dem Festplatz waren, blieb niemand vor dem Kasperlebudchen stehen, Meister Hirsebrei konnte es zuschließen, denn die Kinder waren alle im Bett.

Meister Drillhose hatte schon auf seine Gäste gewartet. Er bewohnte in dem uralten Häuschen, das ihm gehörte, im Erdgeschoß zwei Zimmer. In dem einen stand eine große, buntbemalte Truhe.

»Darin liegt Kasperle,« sagte Meister Drillhose gleich, als das Ehepaar eingetreten war.

»Kann ich es sehen?« Meister Hirsebrei war sehr neugierig, am liebsten hätte er den Kasten gleich aufgemacht, aber Meister Drillhose wehrte ab: »Sachte, sachte, erst muß Madame Käsewurm kommen.«

»Wer ist denn das?«

»Na eben Madame Käsewurm. Da drüben in dem Häuschen wohnt sie, sie ist meine Nachbarin.«

Meister Drillhose sah zum Fenster hinaus und sah drüben ein windschiefes, uraltes Häuschen, an dem sich ein Rosenstock emporrankte. Schneeweiße Gardinen schimmerten hinter den Fenstern, die spiegelblank geputzt waren. Vor den Fenstern blühten bunte Blumen, überhaupt sah das ganze Häuschen blitzsauber aus.

»Dort wohnt meine Nachbarin Madame Käsewurm.«

»Wie kann man Käsewurm heißen!« rief Meister Hirsebrei.

»Wie kann man Hirsebrei heißen!« rief Meister Drillhose, und der Kasperlemann rief lachend: »Wie kann man Drillhose heißen!« Da lachten alle drei über die wunderlichen Namen und Frau Mariechen sagte: »Ich bin eine geborene Schlippermilch, das ist auch so ein kurioser Name. Aber wer ist das?«

Aus dem Hause gegenüber war ein altes Dämchen getreten, klein und fein, in ein staubgraues Kleid gehüllt, stand sie vor ihrem Häuschen wie ein Bild aus alter Zeit.

Als sie Herrn Drillhose sah, winkte sie und sagte: »Ist der Kasperlemann da?«

»Ja,« antwortete Meister Drillhose.

»Ist er nett?«

»Ja,« klang’s wieder zurück.

»Ist er wert, Kasperle zu sehen?«

»Ja.«

»Das ist gut, dann komme ich.«

Und das feine kleine Dämchen stelzte in ihrem weitgebauschten Kleid über die Gasse und trat nach ein paar Minuten bei Meister Drillhose ein.

Kasperle steigt aufwärts und wieder abwärts

Man muß sagen, trotzdem Kasperle keine Heimstätte hatte, schlief er in der Nacht wie ein Murmeltier und wachte am nächsten Morgen purzelvergnügt wieder auf. Es sollte gleich zum Jahrmarkt gehen. Meister Drillhose wollte es, obgleich Meister Hirsebrei sagte: »Es lohnt sich nicht, es ist niemand da.« Aber dem alten Kasperlespieler hatte das bunte Treiben so gefallen, daß er es bald wiedersehen wollte. Wenn er gewußt hätte, was er damit anrichten würde, er hätte es nicht getan. Auf dem Jahrmarktsplatz war es noch ganz still. Viele Buden waren noch geschlossen und Meister Drillhose, den das ärgerte, sagte etwas mißmutig zu den Kasperles: »Seht euch einmal die Flugzeuge dort an.«

»Nä,« schrie Peringel.

»Warum denn nicht?«

»Weil du uns foppen willst. Flugzeuge gibt es nicht.«

»Gibt es doch, geht nur und seht sie euch an. Ihr habt eben viel verschlafen.«

Da gingen sie, die merkwürdigen Dinge anzusehen. Ein Eindecker flog ihnen gerade wie ein großer Vogel vor der Nase weg, und die Kasperles staunten ihm mit weit aufgerissenen Mündern nach.

»So was habt ihr wohl noch nie gesehen?« fragte ein Herr. Es war der Pilot eines Passagierflugzeuges, der bald in die Lüfte segeln sollte.

»Nä,« schrie Kasperle, »das war ’n Vogel.«

»Das war ein Flugzeug, mein Junge.«

»Ich bin kein Junge.«

»Na, was bist du dann?«

»Ein Kasperle.«

Da lachte der Luftschiffer hellauf, denn er hatte gestern von dem Kasperle gehört. »Willst du mitfahren?« fragte er. »In einer halben Stunde steige ich auf.«

»Ja!« schrie Kasperle.

»Darfst du denn?«

»Es gibt ja nichts zu spielen.«

»Dann lauf und hole deine Sachen.«

»Ich habe keine.«

»Na, du kannst auch in deinen roten Kasperlehosen fahren. Geh aber erst und frage, ob du darfst.«

Kasperle aber dachte, wer viel fragt, bekommt viel Antwort, und Bimlim dachte gar nichts. Da sagte Kasperle: »Geh, frage du, ob wir mit dem Flugzeug nach – ja wohin?«

»Nach Leipzig,« rief der Pilot.

»Also frage es, Bimlim, hörst du?«

Bimlim nickte und Kasperle dachte, er findet gar nicht den Meister Drillhose, aber Bimlim fand wirklich hin. Nach einer halben Stunde kam er zurück: »Nun hast du ihn gefunden?«

»Ja.«

»Hast du gefragt?«

»Nä.«

»Warum nicht.«

»Sie schlafen gerade.«

Damit war Kasperle vollständig beruhigt. Wenn einer schläft, kann man ihn nicht um Erlaubnis fragen, und darum antwortete er vergnügt: »Ja,« als der Luftschiffer nochmals fragte: »Darfst du auch bis Leipzig mitfahren? Heute abend komme ich erst zurück.«

Ach, dachte das leichtsinnige Kasperle, dann warten eben die Kinder auf mich.

Er zog Bimlim mit hinein und beide setzten sich in dem Doppeldecker hin, als säßen sie in ihrer Kasperlebude.

Auf einmal fing der Propeller an zu spektakeln und Kasperle bekam einen kleinen Schreck. Bimlim aber sagte: »Wohin fahren wir denn?«

»Wir fahren doch nicht, wir fliegen.«

»Ih nä,« schrie Bimlim.

»Ja, da geht es schon los.«

Die Maschine hob sich langsam vom Erdboden und auf einmal sah Kasperle den Festplatz unter sich liegen. Da sprang er in die Höhe und schrie: »Ich will nicht.« Ein Herr aber nahm das Kasperle, wickelte es ganz und gar in eine Decke und sagte: »Sitz still, sonst fällst du naus.«

Bimlim wurde auch eingewickelt, und da saßen die zwei und unter ihnen rauschten die Wälder, flossen die Flüsse, sie waren bald über allem. Kasperle schnitt vor lauter Aufregung die merkwürdigsten Gesichter und Bimlim schnitt mit. Auf einmal rumpelte es in Kasperles Mäglein und auch Bimlim stöhnte: »Mir wird so komisch.«

Selbst einem Kasperle kann es in dem Flugzeug übel werden, und die Herren, die ihren Spaß an Kasperle hatten, hatten auch Mühe genug mit ihm. Kasperle wollte hinaus, wollte nach Torburg zurück, wollte lieber auf dem Jahrmarkt kaspern, statt in dem Flugzeug zu sein. Und die Welt unter ihm war ihm so fremd und unheimlich.

»Jetzt kommt Leipzig bald,« sagte der eine Herr, »dort müßt ihr uns was vorspielen.«

»Ja, ich schon,« schrie Kasperle, und ehe ihn einer halten konnte, kobolzte er zum Flugzeug hinaus und Bimlim faßte ihn am Hosenzipfel, aber statt Kasperle zu halten, kobolzte er ihm nach.

»Die sind verloren,« sagte der Luftschiffer.

»Schade, es wäre etwas Besonderes gewesen, in Leipzig mit zwei Kasperles zu landen.«

»Ja, schade.«

Und die vier Herren schauten betrübt den Kasperles nach. Es war ihnen wirklich leid um die kleinen drolligen Kerle. Und sie sagten zu einander: »Nun liegen sie irgendwo zerschlagen, schade, sehr schade.« Sie wußten aber nicht, wie gut ein Kasperle purzelbaumen kann. Die beiden purzelbaumten durch die Luft wie durch Meister Drillhoses Wohnstube und landeten unzerschlagen, nur etwas dösig, auf einer großen Strohmiete, inmitten eines Feldes. Da lagen sie und mußten sich erst besinnen, wie sie hergekommen waren.

Das erste, was Kasperle sagte, war: »Ich habe Hunger.«

»Ich auch,« schrie Bimlim.

»Wer redet da oben?« fragte eine grobe Stimme. Ein Bauer stand mit Sohn, Tochter, Knecht und Magd an der Strohmiete und sagte zu den Seinen: »Da oben sitzen zwei Bummler, die wollen wir ordentlich vornehmen.«

»Wir machen Teufelsgesichter,« flüsterte Kasperle, und auf einmal grinsten zwei rotbehoste Teufel von oben herab.

Die Magd riß zuerst aus, die Tochter folgte.

Bauer, Sohn und Knecht blieben noch stehen und sagten: »Das sind aber komische Kerle, vielleicht sind es Räuber.«

»Ja,« kreischte Kasperle und griff dem Bauern in die Haare.

Bimlim wollte das beim Knecht nachmachen, er faßte aber dessen Nase und zerrte so gewaltig daran, daß der Knecht sich laut schreiend losriß und davonlief.

Zwei gegen zwei, dachte der Sohn, ich laufe auch davon. Da rannte der Sohn davon und der Vater lief hintendrein, ihnen nach aber schrien die Kasperles, daß den Ausreißern himmelangst wurde.

Sie liefen ins Dorf und schrien dort: »Räuber sind auf der Strohmiete, die dem Ortsvorsteher gehört.«

»Nein, Teufel sind’s,« schrie die Magd.

»Ja, Teufel.«

»Die Feuerspritze anspannen lassen,« gebot der Ortsvorsteher.

»Alle müssen mit, die freiwillige Feuerwehr soll aufmarschieren.«

»Los, eins, zwei, drei!«

Und hinaus zum Dorf marschierte die freiwillige Feuerwehr und hintendrein Buben und Mädels. Die durften nicht fehlen.

Leichtsinnig wie sie waren, hatten sich die zwei erst einmal auf dem Stroh gehörig ausgestreckt, dann waren sie eingeschlafen. Sie schnarchten sich gegenseitig etwas vor und merkten nichts von dem, was um sie herum vorging.

Auf einmal sagte unten eine Stimme: »Los, sie liegen noch oben,« und schschsch, schschsch, sauste ein Wasserstrahl über die beiden.

Davon wachten sie freilich auf und sie fingen ungeheuerlich zu brüllen an.

»Das müssen ein paar Riesenkerle sein, die so brüllen können,« sagten die Dorfleute, »die müssen noch ein Güßlein haben,« und schschsch, schschsch, ging es wieder über die beiden hin.

O je! Laut brüllten sie, sie dachten, es wäre ein ungeheurer Regen über sie gekommen.

»Jetzt die große Leiter angesetzt,« sagte nun der Ortsvorsteher.

»Zwei müssen hinauf! Wer?«

Es hatte aber keiner Lust, zu den brüllenden Ungeheuern hinaufzusteigen, und die Bauerntochter schrie auch immer: »Es sind Teufel, nehmt euch in acht.«

Sie berieten unten so lange, daß die beiden oben den ersten Schreck überwunden hatten.

»Mach ein Teufelsgesicht, Bimlim,« flüsterte Kasperle.

»Hört ihr sie reden?« sagte unten der Ortsvorsteher. Und weil er doch der Ortsvorsteher war, wollte er seinen Mut zeigen und begann langsam, sehr langsam die Leiter emporzusteigen.

»Schschiiii!« fuhren die beiden mit ihren Teufelsgesichtern an den Rand des Strohlagers.

Da lag der Ortsvorsteher am Boden und die freiwillige Feuerwehr ergriff die Flucht. Heidi riß alles aus!

Es waren aber unter den Kindern zwei Buben, die ergriffen den Schlauch, und da noch Wasser im Wasserwagen war, bekamen die beiden oben wieder ein tüchtiges Güßlein.

Und während der eine spritzte, stieg der andre die Leiter empor, und da sah er die Kasperles. Ein unbändiges Lachen tönte den Fliehenden nach; die drehten sich um und sahen den Buben auf der Leiter stehen und lachen.

Kasperle schnitt zwar alle Teufels- und Räubergesichter, die er kannte, aber Oswald, so hieß der Bube, ließ sich kein bißchen schrecken. Er griff zu und packte das spuckende, schreiende Kasperle fest im Genick und zog es über die Leiter. »Ein Junge, der sich als Kasperle angezogen hat,« rief er.

»So ein frecher Bengel,« schrie der Ortsvorsteher.

»Nä,« schrie Kasperle, »ich bin ein Kasperle und bin aus dem Flugzeug gefallen und . . .«

»Warum nicht vom Monde?« spottete Oswald.

»Nä, daher komme ich nicht, ich bin eben ein Kasperle.«

»Ich bin auch ein Kasperle.« Bimlim kam auch zum Vorschein, und wie die beiden mit ihren großen Nasen und den drolligen Gesichtern vor den Dorfleuten standen, mußten die lachen. »Sie sehen wirklich wie Kasperles aus.«

Da dachten die beiden, es ist am besten, wir zeigen ihnen, was wir können, und sie fingen an, Gesichter zu schneiden und Arme, Beine, Ohren, Nasen und sonst noch etwas zu verrenken. Dabei lachten sie ihr vergnügtes Kasperlelachen und bald hallte das Feld wider vom Gelächter der Dorfleute.

Der Ortsvorsteher sagte: »Ihr wollt wohl nach Leipzig zur Messe?«

»Ja, essen,« schrie Peringel, der es falsch verstanden hatte, und Bimlim schrie mit.

»Habt ihr Hunger?«

»Ja!« »Aber feste,« setzte Peringel, der Schlingel, hinzu.

»Dann kommt herunter, wir wollen euch etwas zu essen geben,« sagte der Ortsvorsteher.

Das Herunterkommen war einfach, die beiden purzelbaumten von ihrer Feste herab und rissen drei Kinder, einen Bauern und eine Ziege um, die auch neugierig gewesen war.

Das gab ein Hallo!

Die gefallen waren, schimpften, die anderen, die aufrechtstanden, lachten, zuletzt aber lachten alle, und die beiden Kasperles wurden ins Dorf geführt. Dort sagte der Ortsvorsteher: »Wollt ihr bei mir essen?«

»Ja,« rief Kasperle Peringel.

»Ich dachte bei mir, wir haben Kaffee und Kuchen.«

»Das essen wir auch,« schrie Kasperle.

»Ich dachte bei mir, wir haben Schweinebraten und Sauerkraut.«

»Essen wir auch,« Kasperle nickte.

»Wir haben Klöße mit Birnen.«

»Und wir Milchreis und Apfelschnitze.«

»Wir Kartoffelbrei mit Leber.«

Und zu allem nickte Kasperle, denn eins schien ihm verlockender als das andre.

»Na, dann sagt doch, wo ihr essen wollt,« sagte der Ortsvorsteher ein bißchen ungeduldig.

»Überall,« schrien die Kasperles wie aus einem Munde.

»Überall, ja ihr wollt doch nicht sechsmal zu Mittag essen?«

»Doch, ist doch fein,« riefen die Kasperles vergnügt, »da wird man mal satt.«

»Na, die sind gut,« sagten die Bauern. Sie glaubten aber nicht an die sechs Mittagessen, doch als die Kasperles begannen, da sagte jeder Bauer zum andern: »Gut, daß sie bei dir auch essen, sonst hätten sie bei mir alles aufgegessen.«

Bimlim konnte nur fünfmal essen, Peringel, der Schlingel, klopfte sich nach dem sechsten Mal auf sein Bäuchlein und sagte: »Endlich mal satt.«

»Nun seid ihr so dick gegessen, nun könnt ihr keine Vorstellung geben, worauf alle Kinder warten,« sagte Oswald betrübt.

»Ich kann schon.« Peringel fing schon zu zappeln an.

Und er konnte.

Fein konnte er spielen. Zuletzt tat Bimlim doch mit, und die Dorfkinder kamen aus dem Lachen nicht heraus. Sie belachten jeden Witz und glaubten alles, was die Kasperles sagten. Am liebsten wären sie alle mit nach Leipzig auf die Messe gezogen. Das ging nun nicht, aber Gröschleins brachten sie und Zweipfennige, keine Hosenknöpfe, da bekamen die Kasperles genug Geld, um mit der Eisenbahn nach Leipzig zu fahren.

Kasperle war noch nie mit der Eisenbahn gefahren. Ja, er erinnerte sich nicht, überhaupt eine gesehen zu haben. Und nun sollte er in den langen Zug steigen, der auf der kleinen Dorfstation hielt. Die Kinder hatten alle die Kasperles hingebracht auf den Bahnhof und Kasperle fragte aufgeregt: »Wo ist denn der, der uns fährt?«

»Da ist der Herr Zug,« schrie Oswald, als der Zug brausend einfuhr. Kasperle machte eine tiefe Verbeugung, so wie er sie einst vor dem Herzog August Erasmus gemacht hatte. Und er stupste Bimlim, der mußte auch eine machen.

»Vor wem verbeugt ihr euch denn?« fragte ein Schaffner, der das sah.

»Na, vor dem Herrn Zug.«

»Donnerwetter, ihr seid aber höfliche Fahrgäste.« Der Schaffner lachte, öffnete ein Abteil vierter Klasse und schob die beiden hinein: »Einsteigen, der Herr Zug wartet nicht.«

»Ich muß erst Abschied nehmen,« rief Kasperle und eins, zwei, drei, kobolzte er aus dem Zug wieder heraus, Bimlim ihm nach.

Da fuhr der Zug los, und Schaffner, Kinder, alles schrie: »Hier bleiben!« aber die beiden blieben nicht. Wuppdiwupp waren sie wieder drin, diesmal aber waren sie in ein Abteil zweiter Klasse geturnt und Kasperle saß einer alten Dame auf dem Schoß, während Bimlim einem Herrn den Hut vom Kopf stieß.

»Was sind das für freche Jungen!« rief die Dame.

»Huch, wir sind keine Jungen.«

»Was seid ihr denn?«

»Kasperles!«

Die Dame mußte lachen, denn Kasperle sah sie so unglaublich verschmitzt an.

»Die sind von Holz.«

»Nä, von Holz sind wir nicht. Wir sind echte Kasperles.«

»Kann denn das stimmen, Herr Professor?« fragte die Dame einen Herrn, der eine große Brille auf der Nase hatte.

»Unmöglich,« sagte der, »so eine Gestalt gehört in die Märchenwelt, es sind zwei Jungen, die sich den Spaß machen, als Kasperles verkleidet zu gehen. Wissenschaftlich lehne ich sie ab.«

»Nä, wir sind keine Jungen, wir sind Kasperles.«

»Stille!«

»Nä!« Die beiden schrien und zappelten, und auf einmal sah Kasperle zum Fenster hinaus und rief: »Da, die Bäume laufen weg!«

Er wollte zum Fenster hinausspringen, den fliehenden Bäumen nach, aber die Dame hielt ihn am Hosenbödle: »Du fällst ja hinaus.«

»Ich bin heute schon mal aus dem Flugzeug gefallen,« erzählte Kasperle.

»Unsinn, da müßtest du doch zerschlagen sein.«

»Nä, bin ich nicht.« Und nun erzählte Kasperle seine Erlebnisse, und dann erzählte er von Meister Hirsebrei und Meister Drillhose und daß die auch nach Leipzig zur Messe kommen wollen.

Und plötzlich sagte der Professor: »Es ist unglaublich, wie der Junge schwindeln kann.«

»Ich schwindle nicht.«

»Alles ist erlogen.«

»Nä!« Kasperle zitterte vor Ärger. Auf einmal machte er ein Teufelsgesicht und die Dame erschrak so, daß sie umfiel und eine Ohnmacht bekam.

War das eine Begebenheit!

Der Professor goß gleich eine ganze Flasche Kölnisches Wasser über sie und Kasperle wurde gescholten, er hätte mit seinen Faxen das Unglück verschuldet. Gleich machte Kasperle ein Prinzessin-Gundolfine-Gesicht. Darüber erschrak nun der Professor gewaltig. Alle seine Wissenschaft konnte sich die seltsamen Kasperlegesichter nicht erklären und er sagte streng: »Sie müssen Haue haben.«

»Nä,« schrie Kasperle, sah das offene Fenster und purzelbaumte hinaus und Bimlim ihm nach, gerade an der Nase des Professors vorbei.

»Sie werden überfahren,« schrien alle.

Aber die beiden wurden nicht überfahren. Sie landeten gerade auf dem Bahnsteig, als der Zug in die Riesenhalle des Leipziger Bahnhofs einfuhr. »Herrjeses,« rief ein Gepäckträger, »da fliegen ja die Goffer schon zum Fenster raus.«

Und dann, als die Kasperles auf ihren Beinen standen, sah er sie erstaunt an und brummelte: »Wees Gnebchen, das sind gar keene Goffer, das sind Jungen.«

»Nä, wir sind keine Jungen.«

»Na, was seid ihr dann?«

»Kasperles!«

»Ihr gehört wohl auf die Messe?«

»Ja.«

»Na, da macht mal hin. Sie hat gerade angefangen.«

Die Abreise

Mister Stopps hatte gedacht: Früh reisen ist am besten, gestern ist genug Abschied genommen worden.

Das war schon klug gedacht, aber die Torburger dachten halt anders; die Buben und Mädels besonders, die sonst gern recht lange in den Federn lagen, waren an diesem Morgen schon vor Sonnenaufgang putzmunter. Der alte Postillon hatte nämlich Kasperles frühe Abreise verraten. Dem tat es leid, daß Kasperle so ohne nochmaligen Abschied davonfahren sollte, darum sang und blies er auch laut durch alle Gassen, Mister Stopps konnte es ihm verbieten, so viel er wollte.

»Kasperle reist ab!«

Da purzelten alle Buben und Mädels aus ihren Betten, da liefen und rannten die Großen herbei, um rechtzeitig fertig zu werden. Der Zuckerbäcker tat seinen Laden auch in aller Morgenfrühe auf für diejenigen, die Kasperle eine Abschiedstüte schenken wollten. Und alle, die dem Haus nahe standen, rannten in den Laden und kauften: keine Zuckerles, keine roten oder weißen Lutschstengel, keine Küchlein, kein Stückchen Schokolade blieben mehr übrig, alles, alles wurde für Kasperle gekauft. Und Meister Dusterling gab die schönsten Schächtelchen und Kästchen her, er selbst aber schenkte die allerfeinste Zuckerschachtel.

War das ein Gewusel, ein Schreien und Lärmen im Städtchen! Wie vor einem großen Festtag. Der Bürgermeister sah immer den Schein an, den der Engländer ihm gegeben, und rechnete und rechnete, und immer wieder kam heraus, alle Häuser konnten neu aufgebaut und eingerichtet werden. Und immer wieder kam ihm ein Ratsherr in die Stube gelaufen und fragte: »Hat er wirklich zwei Millionen bezahlt? So wertvoll war ein Kasperle? Unglaublich!«

Die Bäcker hatten am Abend vorher noch eine Beratung gehabt, und statt Morgenwecken buken sie alle Kasperlebrötchen. Und gerade als Mister Stopps Umschau nach der Postkutsche hielt, rannten die Bäckerjungen von Haus zu Haus und schrien: »Wir bringen Kasperle, lauter frische, warme Kasperle!« Zwei Bäckerjungen trugen einen großen Korb frisch gebackener Kasperle auch in Meister Severins Haus, und Kasperle sah da seine Ebenbilder mit Rosinenaugen, und er aß gleich sechs Stück und hätte auch noch mehr gegessen, aber Frau Liebetraut sagte: »Kasperle, es wird dir schlimm, wenn du so viel warme Kasperlebrötchen aufißt.« Sie packte einen Korb voll ein, denn alle Bäcker schickten an diesem Morgen Kasperle zu Meister Severin. Und alle Torburger aßen frischgebackene Kasperle-Brötchen, und Kasperles gute Freunde verdarben sich bald den Magen daran. Nur das feine Marlenchen weinte, als sie ihren kleinen Freund als Kuchen vor sich sah. Sie aß keinen Bissen und stand dann bitterlich weinend vor der Haustüre, als draußen mit trara die Post angefahren kam. Kasperle war stuppsatt, er hatte sich seinen Abschiedskummer mit lauter Kasperles weggegessen, als er aber Marlenchen so bitterlich weinen sah, fing er zu heulen an. Mister Stopps erschrak. Gestern hatte Kasperle gelacht und geweint, das war ihm manchmal etwas laut erschienen, aber so ein Geheule, das liebte er ganz und gar nicht, das war, als holte Kasperle alle Tränen aus dem Herzen. Ganz erschrocken sah Mister Stopps den Bürgermeister an. Er heulte wie ein Mensch.

Aber er ist keiner, Kasperles haben das so an sich.

»Uunderlich.« Mister Stopps nahm seine Brille und starrte Kasperle an, und da ging es bei Kasperle einmal wieder wie schon so oft, daß neben dem Weinen das Lachen stand. Mister Stopps mit der Brille auf der Nase erschien ihm so seltsam, wie er seinem Herrn. »Huhuhähä!« Kasperle lachte, wie eben nur ein Kasperle lachen kann. Mit einem lachenden Kasperle fertig zu werden, traute sich Mister Stopps schon zu, das war nicht so unheimlich wie ein brüllendes. Er nahm Kasperle beim Kräglein, steckte ihn in die Postkutsche und rief: »Fahren!«

Aber Mister Stopps hatte nicht mit den dankbaren Torburgern gerechnet. Die wollten nicht um ihren Abschied kommen. Ein lautes Rufen und Schreien erhob sich, ein paar Buben brüllten den Postillon an: »Nicht fahren!«

»Ich fahre ja nicht, nehmt nur erst Abschied,« versicherte der. Er holte sich eine Pfeife aus der Tasche, zündete die gemächlich an und rief: »Meinetwegen kann’s lange dauern!«

Und es dauerte lange. So einen Abschied hatte Mister Stopps noch nie erlebt. Was geschah da alles! Was wurde alles in die Kutsche geladen: Zuckertüten, Pakete und Körbe, Obst und Kuchen, Würste und Eier, alles brachten die Torburger an. Die Freunde Kasperles schenkten ihm altes Spielzeug, ein paar zerlesene Bücher, die kleinen Mädchen heulten, Marlenchen schluchzte immer bitterlicher, und die Buben versicherten mit trotzigen Blicken auf Mister Stopps: »Reiß nur aus, wenn er böse wird.«

»Das geht nicht, Kasperle muß bleiben,« rief der Bürgermeister, dem es himmelangst wurde, denn er dachte, dann müsse er alles Geld wieder hergeben.

Die Buben sagten aber: »Verkauft ist verkauft, aber daß er nicht ausreißen darf, hat Mister Stopps nicht gesagt.«

»Ausreißen? Er darf nicht ausreißen,« rief der lange Engländer erschrocken.

»Er darf. Gelt, Kasperle, du reißt bald aus?«

»Himmel, Hagel, jetzt fährst du aber los,« herrschte der Bürgermeister den Postillon an. Doch der rauchte in aller Ruhe seine Pfeife und brummelte gelassen: »Erst sollen sie noch spielen.«

Ja, die Torburger Musikanten wollten Kasperle noch ein Ständchen zum Abschied spielen. Sie sammelten sich gerade, und alle dachten, nun wird’s richtig, aber sie hatten alle nicht mit den alten Postpferden gerechnet.

Traratrara, bumbumbum, dideldideldum, ging es los. Mister Stopps hielt sich erschrocken die Ohren zu, die Postpferde aber spitzten sie. Beide dachten daran, daß sie einstmals Soldatenpferde gewesen waren, und daß sie bei Musik immer flott gelaufen waren. Also liefen sie, hoppla, hopp, und rumpelpumpel rollte die Postkutsche plötzlich über den Kirchplatz. Der Kutscher schrie: »Halt, halt!« Die Buben brüllten, der Bürgermeister sank in Herrn Severins Arme. Kasperle kreischte. Marlenchen jammerte, Mister Stopps lag in der Kutsche auf der Nase, aber alles half nichts, die Pferde rannten immer schneller. Die Musikanten waren so erschrocken, daß sie immer lauter und schneller spielten; es gab keine Takte und keine Pausen mehr.

Bumbumbumbum, traratraratrara, dideldideldum, tönte es, und risselrassel fuhr die Kutsche zum Tore hinaus, fuhr an verbrannten Häusern, am Zuckerbäcker Dusterling und an der Obstfrau vorbei. Da lag Meister Helmers Garten, in dem es nach dem Brand wüst und öde aussah, da lag das freie Land, und da lag der Postillon im Graben. Weiter ging es, immer weiter, die Pferde kannten ihren Weg.

Der Postillon erhob sich schimpfend. Er rannte dem Wagen nach und schrie immerzu: »Halten, Hans, Liese!«, denn so hießen die Pferde, aber die hielten nicht.

Mister Stopps, der sich mit vieler Mühe erhoben hatte, stöhnte: »Es gibt ein Unglück!« Kasperle war zwar erst auch etwas verdutzt gewesen, dann hatte er sich aber doch besonnen. Warum sollte er, Kasperle, nicht auch einmal Kutscher sein? Er kletterte also auf den Bock, erwischte die Zügel, und ruck standen die Pferde! Kasperle hatte sich wie ein Bleiklötzlein an die Zügel gehängt.

»Halt, halt!« Der Postillon sah den Wagen stehen, er dachte: Nun erreiche ich ihn doch noch; aber er hatte nicht mit Kasperle gerechnet. Der dachte, ich kann auch allein fahren, und auf einmal schrie er: »Hüh hott,« schwenkte die Peitsche, die der Kutscher im Peitschenhalter hatte stecken lassen, und heidi weiter ging die Fahrt.

»Oh Kahspärle!« stöhnte Mister Stopps. »Du mußt hal –«

Ruck ging es über einen großen Wegstein, und Mister Stopps klappte wieder wie ein Taschenmesser zusammen.

»Halt, halt!«

»Hüh hott, hüüüüüh!«

»Kahspärle!«

Bums da war wieder ein Stein, nun kam ein Loch, die Postkutsche wackelte hin und her wie eine junge Gans, die das erste Mal spazieren geht. War das eine wilde Fahrt!

Kasperle vergaß auf seinem Kutschbock alles Abschiedsleid. Er zappelte hin und her, zog mal rechts, mal links die Zügel, und den braven Postgäulen wurde es himmelangst; so im Zickzack zu fahren, waren sie nicht gewohnt. Aber Mister Stopps auch nicht. Der lag im Wagen, zappelte mit Beinen und Armen und, stöhnte: »Anhalten, anhalten!«

Ruck, da fuhr der Wagen wieder nach rechts, da war ein Graben, und die gute, alte Postkutsche überlegte: »Soll ich hineinfallen?« Aber sie war eine vernünftige alte Dame, also fiel sie nicht in den Graben, sondern richtete sich wieder auf. Sie ließ sich weiterziehen, und derweil die Postpferde auch schon anständig und nicht mehr Springinsfelde wie Kasperle waren, dachten sie, beim nächsten Wirtshaus halten wir.

Und da stand auch wirklich, noch ehe alle im Graben lagen, ein Wirtshaus, und die Pferde hielten vor dem Goldenen Knopf zu Amberg. Ruck, da standen sie. Den Goldenen Knopf und das Städtchen kannten sie. »Hü hott hüüüüüh,« schrie Kasperle. Er schwenkte die Peitsche, zog rechts den Zügel, zog den links, aber alles half nichts, Postpferde, die vor einem Wirtshaus stehen, lassen sich auf solche Kasperlepossen nicht ein.

Und Mister Stopps fand endlich wieder Kraft. Er packte Kasperle am Kräglein und zog ihn neben sich auf den Sitz, und dann rief er laut und dringlich nach dem Wirt, der Wirtin, dem Hausknecht, dem Stubenmädchen, der Köchin, nach allen, die im Haus sein konnten. Und alle kamen angelaufen, und es gab ein großes Verwundern und Fragen über die seltsame Geschichte. Weil nun aber Kasperle im ganzen Lande bekannt war, gab es ein großes Geschrei, als Mister Stopps sagte: »Der Kahspärle gehört mir!«

»Das ist geraubt,« rief die Wirtin laut.

»Oh nein, er gehören mir, ich haben ihn gekauft,« erwiderte Mister Stopps.

»Für zwei Millionen!« schrie Kasperle, denn auf den Preis war er ungeheuer stolz. Und dann erzählte er selbst die ganze Geschichte, denn Mister Stopps hatte von der ausgestandenen Angst fast den Atem verloren. Er ächzte nur einige Male: »Gehört mir!«

»Na, wenn das Kasperle es selbst sagt, dann muß es doch wahr sein,« sagte die Wirtin.

»Du bist ein Tausendsassa,« rief der Wirt, »aber wo in aller Welt hast du denn den Kutscher gelassen?«

Ja, wo war der Postillon? Der keuchte noch die Landstraße entlang und Mister Stopps und Kasperle saßen schon beim Mittagessen, als er anlangte. Er sah den Postwagen vor der Tür und ahnte gleich, die Pferde waren stehen geblieben. Er wollte heftig schelten, aber da sagte der Wirt: »Warum bist du denn heruntergefallen? Ein Postillon, weiß der Himmel, darf doch nicht von seiner Postkutsche fallen. Das ist gerade so, als wenn ein Kirchturm von der Kirche fällt. Kasperle war am gescheitesten, der ist hierhergefahren. Geh hinein, drinnen sitzen sie.«

Kasperle saß am Mittagstisch und aß. Mister Stopps hatte auch essen wollen, aber dem blieb vor Erstaunen der Bissen im Munde stecken. Konnte das Kasperle schlingen, trotzdem er so viele gebackene Kasperle aufgegessen hatte!

Mit der Suppe war es noch gegangen, beim Braten wurde es schlimm, beim Pudding aber ganz schlimm. Selbst der Wirt staunte.

»Oh,« rief Mister Stopps betrübt, »sie haben ihn hungern lassen. Armes Kahspärle, hast nichts gegessen heute?«

»Doch,« sagte Kasperle. Er holte sein gebackenes Ebenbild von Teig aus der Tasche, zeigte es und sagte: »Sechzehn Stück davon.«

»Heute schon?« fragte der Wirt verdutzt.

»Na, das ist doch wenig.« Kasperle steckte gleich ein gebackenes Kasperle auf einmal in den Mund, aber selbst ein Kasperlehunger geht einmal zu Ende. Der kleine Schelm war eigentlich pumpelsatt. Und weil er nun sein gebackenes Ebenbild quer in den Mund gesteckt hatte, konnte er auf einmal nicht mehr schnaufen.

»Hollahopp!« sagte der Wirt. »Mir scheint, Kasperle geht die Luft aus.« Bums flog ihm Kasperles Bein an die Nase, das Teigkasperle rutschte bei dieser heftigen Bewegung hinunter, und Mister Stopps fragte erstaunt: »Oh, warum tust du das?« Wenn Kasperle nur nicht ein Schelm gewesen wäre. Er zog ein Gesicht, als könnt er nicht bis drei zählen, und sagte: »Wenn ich das Bein hebe, kann ich besser essen.«

»Kurios!« Mister Stopps schüttelte erstaunt den Kopf, steckte ein großes Käsebrot in den Mund, und da setzte sich der Wirt erschrocken auf einen Stuhl, denn sein Gast warf mit dem Bein eine Weinflasche vom Tisch und schrie und hustete, aber das Käsebrot wollte nicht in den Magen gehen, das war schon eine schöne Geschichte.

Der gute Mister Stopps wäre beinah erstickt. Der Arzt mußte geholt werden. Der kam geschwinde, zog das Käsebrot Mister Stopps aus dem Munde, klopfte dem Herrn lustig auf den Rücken und sagte: »Wie haben Sie das angestellt?«

Weil Mister Stopps kein Wort sagen konnte, erzählte der Wirt die Geschichte, und der Doktor Zimmermann sah den Engländer von oben bis unten an und brummte: »Ja ja, Sie sind aber auch kein Kasperle. Was das kann, können Sie noch lange nicht.«

»Das stimmt,« rief der Wirt.

»Stimmt,« schrie Kasperle dem Doktor in die Ohren. Doch der wußte was eine rechte Maulschelle ist. Oh jemine! Kasperle kroch gleich unter den Tisch vor Schreck. Und wenn Mister Stopps etwas hätte sagen können, so hätte er etwas gesagt. Aber Mister Stopps war so angegriffen von dem Verschlucken, daß er sich ins Bett legen mußte. Kasperle tat es ihm nach, und beide verschliefen den ganzen schönen Nachmittag.

Eine furchtbare Räubergeschichte

Kasperle und sein neuer Herr wachten grade zur Abendbrotzeit auf. Mister Stopps tat es zuerst. »Hm,« stöhnte er, »hier sein ein Hund.«

»Nä,« rief Kasperle, den das Wort munter gemacht hatte, »hier sein mein Magen.«

»Oh komisch, sehr komisch!«

»Ich hab’ Hunger!«

»Ich auch!« Mister Stopps merkte nun, daß auch sein Magen ein Loch hatte, er stand also auf und sagte: »Kahspärle, uir uollen essen.«

Dagegen hatte Kasperle nichts einzuwenden. Ja, er fand, Mister Stopps wäre sehr vernünftig, und vergnügt trabte er hinter ihm drein die Treppe hinab, und beide betraten zufrieden und hungrig die Gaststube. Der Arzt, Doktor Zimmermann, saß als einziger Gast darin, und Mister Stopps machte ihm sehr höflich eine tiefe Verbeugung. Kasperle machte die Verbeugung nach, und so tief, daß er mit dem Kopf auf den harten Fußboden aufbummste.

»Je, das hat ein Loch gegeben,« rief der Arzt ganz erschrocken.

Ach, was wußte der von einem Kasperlekopf, der hielt schon was aus. Kasperle grinste vergnügt. Er kletterte auf einen Stuhl, schlug mit beiden Füßen auf den Tisch und schrie: »Ich will essen.«

»Schocking,« rief Mister Stopps.

»Nä, das will ich nicht, ich will Kalbsbraten,« rief Kasperle.

»Schock, schock, das habe ich auch nicht,« sagte der Wirt höflich.

Doktor Zimmermann lachte, Mister Stopps sah sich verwundert um, bis ihm ein Lichtlein aufging und er Kasperles und des Wirtes Irrtum verstand und wieder sein himmelblaues Taschentuch herauszog, denn das brauchte er, wenn er lachen wollte.

Es wurde ein vergnügliches Nachtmahl. Kasperle fand Mister Stopps sehr nett, weil er nicht einmal sagte: »Iß nicht zuviel,« und weil er alles Kompott Kasperle überließ. Und dann unterhielt sich Doktor Zimmermann mit dem weitgereisten Fremden, und Kasperle konnte tun, was er wollte. Der war nach dem guten Mahl wohl aufgelegt zu allerlei dummen Streichen. Er hatte am Mittag flüchtig die Köchin gesehen. Unwirsch und verdrossen sah sie drein, und Kasperle dachte, sie muß ein bißchen geneckt werden, damit sie lacht. Mit diesem guten Vorsatz ging er in die Küche.

Die Köchin Amanda saß im Ofenwinkel. Zwei Mägde standen neben ihr, und Kasperle hörte sie grade sagen: »Heute nacht kommen die vermaledeiten Kerle sicher wieder. Alles fressen sie an. Greulich!«

»Wenn sie nur nicht in die Fremdenzimmer kämen, so ein Gesindel!« rief eine Magd. »Neulich lagen zwei unter einem Bett.«

»Oh was, dem Fremden wär’s schon recht, der gefällt mir nicht. Na, und den dummen Kerl, den Kasperle, mögen die Russen meinetwegen beißen und zwicken,« sagte die zweite Magd.

Rutsch, lief Kasperle aus der Küche hinaus. Er hatte genug gehört. In Torburg hatte man noch viel von den Kriegsjahren 1813 und 1814 erzählt, und die alte Apfelfrau hatte einmal gesagt: »Die Russen waren zwar Freunde, aber für die danke ich.«

»Sind sie greulich?« hatte Kasperle gefragt.

»Ja, greulich und arg schlimm!«

Und solche Russen sollten nun zur Nachtzeit in das Gasthaus kommen. Kasperle glitt in einen Flurwinkel. Dort stand etwas auf einem Schemel, auf den er sich setzte. Ein bißchen weich und naß war es, aber das kümmerte ihn weiter nicht. Er mußte nachdenken, und wenn Kasperle nachdachte, war es schlimm.

Kasperle hatte in Torburg zum Abschied allerlei Räubergeschichten erzählt bekommen, und seine gute Freundin, die Apfelfrau, hatte ihn ermahnt: »Sieh auch in Gasthöfen immer unter die Betten, manchmal stecken da Räuber darunter.«

Und sicher waren die Russen Räuber. Was sollte er tun? Es Mister Stopps sagen? Aber der redete mit dem Wirt, und sicherlich wußte der Wirt auch von den schlimmen Russen.

Dem Kasperle wurde es übel vor Angst. Aber auf einmal fiel ihm etwas ungeheuer Kluges ein. Er rutschte von seinem Sitz herab, und merkte nun erst, daß er auf einer Schüssel Heringsalat gesessen hatte. Doch das war ihm gleichgültig, jetzt galt es Hilfe zu holen. Wutsch, war das Kasperle im Flur, dann schlich er aus dem Hause und prallte draußen mit einem zusammen, den er gerade suchen wollte.

Klirr, fiel etwas zu Boden, und der Herr Bürgermeister rief: »Welcher vermaledeite Esel rennt mich da so an? Nun ist mein neuer Pfeifenkopf kaputt.«

»Ich bin’s,« stotterte Kasperle. »Ich will zum Herrn Bürgermeister.«

»Zu mir? Wer ist Er denn?« Es war nämlich stockdunkel, und der Herr Bürgermeister konnte das Kasperle nicht erkennen.

»Ich, Kasperle!«

»Oh du unnützes Ding, von dir habe ich schon gehört. Was treibst du dich denn hier draußen herum? Du gehörst ins Bett,« rief der Bürgermeister. Der kam nämlich, um den Wirt vom Goldenen Knopf nach dem neuen Gast zu fragen.

»Nä, da liegen Räuber drunter.«

»Räu – – – ber?«

Dem Bürgermeister blieb vor Erstaunen das Wort im Halse stecken.

»Ja, Räuber, Russen sind’s,« ächzte Kasperle. »Ich wollte gerade Hilfe holen.«

Nun war der gute Bürgermeister weder sehr klug noch sehr mutig, und statt stipp stapp in das Wirtshaus zu gehen und dort zu fragen, was Kasperles Gerede bedeuten sollte, flüsterte er scheu: »Erzähl’ mal!«

Und Kasperle erzählte.

Der Schelm merkte, der Bürgermeister hatte beinahe noch mehr Angst als er, und darum schmückte er seinen Bericht noch etwas aus. Und je mehr der Bürgermeister zitterte, desto furchtbarer schilderte Kasperle die Angst der Mädchen.

Dem Bürgermeister fiel auf einmal etwas ein. Da war neulich ein Fremder in die Stadt gekommen, der hatte sich beim Schneider einen neuen Anzug machen lassen, und auf einmal war er verschwunden. »Bei Nacht ausgerückt,« hatte der Wirt gesagt.

»Den haben die Russen auch umgebracht,« stöhnte der Bürgermeister.

»Wen?« Kasperle klapperte nun vor Angst.

»Den Fremden neulich. Die Sache ist mir immer unheimlich gewesen mit dem Wirt.«

»Hach, haaaach,« kreischte Kasperle.

»Sei doch still, ums Himmels willen, wenn uns jemand drinnen hört!« Der Bürgermeister konnte kaum stehen, so war ihm die Angst in die Knie gefahren.

Kasperle hielt sich erschrocken mit beiden Händen selbst den Mund zu und setzte sich auf ein Mäuerlein.

»Fall’ nicht rein, das ist der Brunnen!« meinte der Bürgermeister.

»Nä,« rief Kasperle wieder viel zu laut für ein heimliches Gespräch.

»Still doch!« Der Bürgermeister wollte dem Schelm eins auf den Mund geben, und plumps fiel der kopfüber in den Brunnen.

Heiliger Bimbam! Dem Bürgermeister ward es himmelangst. Ein Kasperle kostet ungeheuer viel Geld, der Postillon hatte es in Amberg erzählt. Wenn das nun Schaden genommen hätte! Und innen im Wirtshaus der reiche Fremde und die russischen Räuber dazu.

Was zuviel ist, ist zuviel. Der Bürgermeister verlor allen Verstand. Er brüllte, so laut er konnte: »Nachtwächter, Nachtwächter, Sturm blasen!«

Der alte Nachtwächter Bucholz war eben aus seinem Hause, das neben dem Wirtshaus lag, herausgekommen. Der Ruf fuhr ihm in die Glieder, er setzte erschrocken sein Horn an und blies aus Leibeskräften den Feuerruf in die Nacht hinaus.

»Nicht Feuer, Sturm mußt du blasen,« schrie der Bürgermeister.

Aber wenn Bucholz einmal beim Feuerblasen war, gab es kein Aufhören. Feuer blies der Nachtwächter am liebsten. »Feuer, Feuer,« tutete er.

»Sturm, Sturm,« schrie der Bürgermeister. »Kasperle ist in den Brunnen gefallen, und da drinnen sind Räuber.«

»Wo brennt es? Was ist geschehen?« Aus allen Häusern stürzten die Menschen heraus. Der Wirt kam auch auf die Straße gelaufen. Ihm folgten bedachtsam Mister Stopps und Doktor Zimmermann.

»Wo brennt es denn, Bucholz?«

»Der Bürgermeister liegt unter dem Bett, und Räuber sind in den Brunnen gefallen,« rief Bucholz verwirrt von dem vielen Rufen.

»Bewahre, da steht doch unser Bürgermeister,« rief der Wirt.

»Ja, ich stehe hier, aber bei Ihnen liegen Räuber unter dem Bett, und Kasperle liegt im Brunnen.«

»Mein Kahs – pärle?« rief Mister Stopps erschrocken.

»Räuber, Räuber!« kreischten die Köchin und die Mägde aus dem Gasthofe.

»Ja, bei Ihnen unter dem Bett!«

»Kahs – pärle, oh mein geliebtes Kahs – pärle!«

»Ach was, die Räuber sind nicht hier.«

»No, no, Kahspärle sein nicht hier.« Das gab ein schreckliches Hin und Her. Die Feuerwehr, die Bürgerwehr, alles lief zusammen, der Bürgermeister rief: »Die Räuber müssen gefangen werden.« Mister Stopps schrie: »Mein Kahspärle.« Die Köchin, die ins Haus gelaufen war, jammerte: »Ein Räuber hat auf meinem Heringsalat gesessen, der sollte bei Jungfer Habertanz’ Hochzeit gegessen werden.«

»Räuber, Heringsalat, Kasperle, das ist ja eine alberne Geschichte.«

Doktor Zimmermann war ein besonnener Herr, dem kam das alles äußerst seltsam vor, er packte den Bürgermeister beim Rockknopf und fragte: »Wer hat was von Räubern erzählt? Und wieso ist Kasperle in den Brunnen gefallen?«

»Weil er darauf gesessen hat.«

»Kasperle? Na, wenn das nur keine Dummheit ist!«

»Es ist keine Dummheit, sie liegen unter den Betten, Russen sind’s, und die Köchin hat es selbst erzählt.«

»Was, ich hätte von Räubern erzählt? Ich bin eine ehrliche Jungfer.«

»Jawohl! Russen sollen es sein,« rief der Bürgermeister streng.

»Russen?« Die Köchin sah die beiden Mägde an, die sahen die Köchin an, und plötzlich kreischten sie los: »Das sind doch Käfer, wir haben von den ekligen schwarzen Käfern geredet.«

»Jaso!« Der Bürgermeister faßte sich an der Nase. »Oh Schockschwerebrett, ja. In manchen Orten heißen die schwarzen Küchenkäfer Schwaben, hier in Amberg nennt man sie Russen.« In seiner Verlegenheit schrie er: »Dumm, aber Kasperle ist in den Brunnen gefallen.«

»Das ist schlimmer als die Russen unter dem Bett. Hoffentlich ist er nicht bis in die tiefste Tiefe gefallen,« meinte der Arzt.

»Die Feuerwehr muß ihn herausholen,« rief der Wirt. Laternen wurden gebracht, Fackeln erhellten den Platz, Mister Stopps beugte sich klagend über den Brunnenrand und rief: »Kahspärle, oh mein Kahspärle!«

Unten blieb alles still. Da stieg ein Feuerwehrmann mit einer Laterne in die Tiefe, von oben riefen sie: »Ist er unten?«

»Nä!« Es dauerte ein paar Minuten, da kam der Mann wieder heraufgeklettert.

»Unten ist er nicht, aber unten war er, gleich am Rand an einem Eimerhaken hat er gehängt. Gelt, das gehört dem Kasper?« Und der Feuerwehrmann hielt Mister Stopps einen grün-rotseidenen Flicken unter die Nase.

»Der gehört freilich Kahspärle. Uo kann er sein?« fragte Mister Stopps bebend vor Angst.

»Unten kann er liegen, dann ist er tot.«

»Das kommt von dem hirnverbrannten Quatsch mit den Russen,« schrie der Wirt und sah den Bürgermeister scharf an.

Der wurde gelb vor Ärger. Und weil Mister Stopps drohte: »Sie müssen bezahlen mein Kahspärle,« rannte er erschrocken davon. »Zwei Millionen haben es gekosten.«

»So viel haben wir alle miteinander nicht,« brummte Bucholz, nahm sein Horn und blies: »Hört, ihr Leute laßt euch sagen.«

»Schafskopf, hör’ Er doch mit Blasen auf! Um so ein Kasperle ist es himmelschade,« rief Doktor Zimmermann. »Wer steigt noch einmal in den Brunnen?« Es meldeten sich gleich drei, doch sie fanden kein Kasperle, nur noch einen grünen Flecken, an dem klebte Heringsalat. Da wußte die Köchin wenigstens, wer in ihrem Salat gesessen hatte. Aber was half das alles? Kasperle war und blieb doch verschwunden, und alle riefen: »Der ist ertrunken, der liegt unten.«

»Uer steigt nach unten? Ich geben viel Geld.« Mister Stopps hatte sein himmelblaues Taschentuch vorgeholt und weinte so bitterlich, daß selbst die brummige Köchin Amanda das größte Mitleid mit ihm fühlte. Ganz hinunter wagte sich aber niemand zu steigen, so viel Mister Stopps auch bot und flehte. Der stand am Brunnenrand und schluchzte: »Oh du mein Kahs – pärle!«

»Es ist zu rührend!« Die dicke Köchin begann auch zu schluchzen, alle Frauenzimmer taten es ihr nach, und selbst der Wirt wischte sich die Augen. »Sicher ist er tot,« brummte er.

»Kann er denn so flink tot sein?« Doktor Zimmermann kam die Sache merkwürdig vor, und er meinte, es wäre gut, den Brunnen zu bewachen. Vielleicht komme das Kasperle doch wieder zum Vorschein. Man konnte es nicht wissen. Bucholz setzte sich also auf den Brunnenrand, drei Männer von der Feuerwehr und zwei von der Bürgerwehr gesellten sich dazu. Sie wollten alle warten, und sie versicherten, wenn sie Kasperle schreien hörten, dann würden sie ihn herausholen, ob er lebendig oder tot wäre.

Das war doch mal ein Trost. Mister Stopps versprach ihnen eine gute Belohnung und der Wirt Punsch, dann ließ es sich schon gut Wache halten.

Eine schreckliche Nacht

Doktor Zimmermann und der Wirt redeten so lange auf den armen Mister Stopps ein, bis er sich entschloß, sich ins Bett zu legen. Der Wirt brachte ihm noch Punsch, davon trank er sechs Gläser, und danach war er so schläfrig, daß er, freilich unter Tränen, einschlief. Das große, himmelblaue Taschentuch lag auf seinem Gesicht. Man hätte nun denken können, Mister Stopps werde vom blauen Himmel träumen, aber den ängstigten böse, schreckhafte Träume. Räuber wollten in sein Zimmer eindringen, die rasselten und sägten an der Türe herum. Mister Stopps stöhnte vor Angst, aber plötzlich erklang das Sägen so laut, daß er erwachte.

Himmel, das war ja gar kein Traum. Da sägte und rasselte es weiter, und dabei war stockfinstere Nacht. »Hilfe, Hilfe!« brüllte Mister Stopps, »Hiiilfe!«

Aber er konnte schreien soviel er wollte, niemand kam, aber nach kurzer Zeit war das Rasseln vorbei. Mit zitternden Fingern schlug Mister Stopps Feuer, aber das wollte ihm nicht gelingen, und angstvoll verkroch er sich in sein Bett. Vielleicht hatte sein Geschrei die Räuber, die offenbar eindringen wollten, und die Türe aufzusägen gedachten, verjagt.

Er lauschte lange, steckte tief unter dem dicken Federbett und schwitzte. Es war alles still.

Lange, lange blieb es so, und Mister Stopps war gerade wieder am Einschlafen, als das Sägen wieder losging. Entsetzt sprang der lange Engländer aus dem Bett. Er nahm seine Reisepistole vom Tisch, konnte im matten Dämmerschein des frühen Morgens gerade erkennen, wo die Tür war, und schoß auf diese. Bums, dröhnte es durch das Haus.

»Hiiilfe! Hiiilfe!« klang es aus allen Stockwerken. Der Wirt, das Hausgesinde, alles rannte herbei, und der Wirt schrie draußen an des Gastes verschlossener Türe: »Sind Sie tot?« Mister Stopps war über den Knall selbst sehr erschrocken, er saß auf der Erde und brachte den Mund nicht auf vor Angst. Er verstand kein Wort von den Rufen draußen.

»Um alles in der Welt, sind Sie tot? Antworten Sie doch!«

»Ich meine, wenn er tot ist, kann er nichts mehr sagen,« brummte Bucholz, der auch herbeigekommen war.

Das stimmte nun freilich.

»Holt ein Beil, wir schlagen die Türe ein,« gebot der Wirt.

Mister Stopps innen hörte endlich den Wirt, und er dachte: »Nun wird es ernst, jetzt schlagen die Räuber die Türe ein.« Er suchte seine Pistole, aber die war wer weiß wohin geflogen, und darum hielt es Mister Stopps für das beste, unter das Bett zu kriechen. Eins, zwei, drei – doch ging er nicht ganz drunter, er war zu lang dazu, seine Beine guckten weit hervor.

»Krach, krach!« tönte es an der Türe.

»Uff!« stöhnte Mister Stopps.

Da ging die Türe auf, und der Wirt, Hausknecht, Nachtwächter, die Köchin, die Mädchen, alle stürzten in das Zimmer, und der Wirt rief: »Da liegt er tot unterm Bett.«

»Ich meine, da täte er nicht so zappeln. Wenn eins tot ist, hält’s seine Beine ruhig.« Bucholz hatte wieder recht.

»Mister Stopps, oh, Mister Stopps!« Der Wirt packte ein Bein, Bucholz das andere, beide zogen, aber Mister Stopps, der meinte, dies wären nun die Räuber, brüllte aus Leibeskräften.

»Sind Sie doch ruhig, wir reißen Ihnen sonst noch die Beene ab.« Bucholz meinte es sehr gut, aber Mister Stopps verstand nur, ihm sollten die Beine abgerissen werden. Er brüllte immer lauter und hörte gar nicht, daß der Wirt zu ihm redete.

Es dauerte jedoch nicht lange, da war Mister Stopps unter dem Bett hervorgezogen, und Bucholz sagte verwundert: »Seinen Kopf hat er noch, darum konnte er auch noch schreien.«

»Oh, no, nicht meine Beine ausreißen, nicht Kopf abschlagen,« jammerte und stöhnte der arme Mister Stopps.

»Das wollen wir ja gar nicht!«

»Uollen Sie Geld? Rauben Sie alles, nur morden Sie mir nicht!«

»Jemine, nu denkt er gar, wir seien Räuber.«

Bucholz war höchst verwundert, der Wirt war’s nicht minder, aber die Köchin sagte auf einmal: »Pfui, der hat nichts an!«

»Oh!« Jetzt erst merkte Mister Stopps, daß er in lauter bekannte Gesichter sah. Er riß rasch die Decke vom Bett, wickelte sich hinein und stöhnte: »Uo sein die Räuber?«

»Wer hat denn geschossen?«

»Ich schoßte!«

»Schoß,« rief Bucholz.

»Yes, ich schoßte, weil Räuber an die Türe waren.«

»Ih, bewahre,« rief der Wirt.

»Doch, ganz bestimmt!«

»Uh je, ich fürchte mich!«

»Ich auch, ich auch.« Die Mägde drängten sich alle in eine Zimmerecke, in der noch ein Bett stand. In dem hatte das arme Kasperle, das draußen gewiß im tiefen Brunnen lag, schlafen sollen.

»Das mit den Räubern ist Unsinn,« rief der Wirt.

»No, sein nicht Unsinn, sie haben gemacht »rrrrrr« an die Türe, und ich schoßte.«

»Schoß,« schrie Bucholz wieder, den das falsche Reden des Engländers sehr ärgerte. Bucholz war nämlich ein halber Gelehrter, der lieber Bücher las, als Nachtwache hielt.

»Yes, schoßte!« Mister Stopps wunderte sich sehr über die Einrede des Nachtwächters. Seiner Meinung nach sagte er alles richtig.

»Halt Er doch den Mund,« brummte der Wirt und gab dem Wächter einen derben Rippenstoß. »So einem Herrn darf man nicht immer widersprechen. Jetzt suchen wir mal das ganze Haus ab vom Keller bis zum Boden!«

»Boden und Keller lassen wir lieber weg, da könnten sie sitzen.« Sehr mutig war der gute Bucholz nicht.

Aber der Wirt rief ärgerlich: »Feiger Kerl, alles wird abgesucht. Das wäre noch schöner, wenn nachher der Herr Engländer in der ganzen weiten Welt erzählte, in meinem Wirtshaus gäbe es Räuber.«

»Au, au!« Da saß die Köchin auf einmal mitten im Zimmer und jammerte: »Da im Bett liegt jemand!«

»Potz Wetter, so ’n Unsinn!« Dem armen Wirt wurde es heiß vor Ärger. Er sah die Köchin grimmig an und schrie: »Stille!«

»Nä, da liegt jemand im Bett.«

»Au!« Das Küchenmädchen sprang auch von dem Bett auf, sie schrie auch: »Es liegt jemand drin.« Und nach ihr hopste das Stubenmädchen empor und klagte: »Mich hat jemand gepufft!«

»Am Ende sind’s die Räuber, die da drinnen liegen.« Bucholz legte den Finger an die Nase, um ernsthaft über den sonderbaren Fall nachzudenken, doch ehe er noch recht dazu gekommen war, tönte von dem Bett her ein sonderbares Gurgeln und Schluchzen, und alle im Zimmer sahen sich verdutzt an. Was war denn das?

»Es lacht jemand!«

Der Wirt sah sich erstaunt um.

»Yes, es lacht uo.«

»Sie dadrinne, wenn Se Räuber sein, dann kommen Se raus!« Bucholz stocherte mit seinem Nachtwächterspieß ein bißchen an der Bettlade herum, und da wurde auf einmal die Bettdecke herausgestrampelt, die Mägde flüchteten kreischend in eine andere Ecke, und Mister Stopps schrie laut: »Uo sein meine Pistole?« Aber da. – –

Putzvergnügt kletterte Kasperle aus dem Bett heraus.

»Oh, mein Kahspärle!«

»Jemine, Kasperle, du Strick, wo kommst denn du her?« rief der Wirt.

Mister Stopps aber riß Kasperle an sich, drückte und küßte es, und Kasperle kriegte kaum Luft. »Oh, du liegst nicht in das Brunnen?«

»Dem Brunnen,« verbesserte Bucholz.

»Nä!« Kasperle riß seinen Mund weit auf, grinste alle an, tat einen Seufzer und klagte: »Hab’ schon wieder Hunger!« Aber damit kam der Schelm diesmal nicht durch. Erst mußte er erzählen, ob er wirklich in dem Brunnen gelegen hatte.

»Freilich,« klagte er, »schmutzig war’s da!«

»Oh lieber Himmel, er hat sich so ins Bett gelegt!« Das Stubenmädchen hob empört das Bett hoch: »Und Heringsalat klebt auch dran.«

»So’n Schmierfink!« Die Köchin sah Kasperle wütend an. Aber der Wirt rief ärgerlich: »Stille da! Kasperle erzählt! Alle aufgepaßt! Warste denn wirklich im Brunnen?«

Kasperle nickte. »Ich bin reingefallen und bin rausgekrochen, weil se alle so schreiten.«

»Schrien,« verbesserte Bucholz.

»Schrieten,« fuhr Kasperle fort. »Da hab’ ich mich ins Bett gelegt und da – hat jemand geschreit und geschoßt.«

»Geschrien und geschossen.«

»Halt Er doch sein Maul, Er ist doch kein Schulmeister,« ranzte der Wirt Bucholz an.

»Aber wer hat denn »rrrrrr« gemacht?« fragte Mister Stopps verwundert.

»Kasperle, aber Kasperle, was machst du denn?« Alle, die im Zimmer waren, umringten Kasperle. Der hatte sich plötzlich auf das Bett geworfen, hatte den Kopf in die Kissen gewühlt, gab sonderbare Töne von sich und strampelte mit den Beinen in der Luft herum.

»Er sterbt, er sterbt!« jammerte Mister Stopps unaufhörlich.

»Er ist übergeschnappt!« brummte die Köchin.

»Ih, bewahre, potz Wetter, der lacht.« Der Wirt hob das strampelnde und zappelnde Kasperle hoch, und da sahen es alle, Kasperle lachte und lachte. Die Tränen purzelten ihm über die Backen, so sehr lachte er. Er lachte und lachte und konnte auf alle Fragen nicht antworten. Da nahm der Wirt endlich einen Krug Wasser vom Waschtisch, und schwipp, schwapp, bekam Kasperle das Wasser über den Kopf.

Patsch, da war es stille. Es schaute etwas verdutzt von einem zum andern, schüttelte sich wie ein Bäumlein nach einem Gewitterregen, tat endlich seinen Mund wieder auf und machte: »Rrrrrr.«

»Ja, so haben gemacht die Räuber.« Kasperle fing wieder an zu lachen, und der Wirt drohte: »Ich nehme die zweite Kanne.« Da wurde der Schelm flugs still und sagte ein wenig kläglich: »Ich habe doch nur geschnarcht, »rrrrrr«, so mach’ ich’s immer.«

»Ooooh, uie seltsam! Äußerst komisch!«

»Er hat geschnarcht!« Der dicke Wirt fing plötzlich so zu lachen an wie vorher das Kasperle. Er lachte und lachte, Kasperle lachte mit, und Mister Stopps lachte. Auf einmal war es, als raßle eine schlecht geölte Tür: Bucholz, der griesgrämige Nachtwächter, lachte. Die Mägde kicherten, selbst die verdrossene Köchin lachte zuletzt. Der Wirt mußte sich die Seiten halten. »Uff!« stöhnte er, »ich kann nicht mehr!«

Und da, schwipp, schwapp, hatte geschwinde Kasperle die zweite Wasserkanne geholt und goß sie dem Wirt über den Kopf. Er dachte: »Wie du mir, so ich dir.«

Nun fand der Wirt aber, zwischen einem Wirt zum Goldenen Knopf und einem Kasperle wäre schon ein gewaltiger Unterschied. Er fing heillos zu schimpfen an, aber als er in das ganz verwunderte, blitzdumme Kasperlegesicht sah, mußte er wieder lachen, und Kasperle lachte mit. Patschnaß war er, aber er sah aus, als hätte er eben die allergrößte Herzensfreude erlebt.

»Das möchte man wirklich selbst behalten,« brummte der Wirt halblaut.

Aber Mister Stopps hatte die Worte doch gehört. Erschrocken nahm er sein Kasperle auf den Arm. »Ich hab’ ihn gekaufen, er ist mein Kahspärle!«

»Gekauft,« sagte Bucholz ärgerlich.

»Nä, er hat mich gekaufen.« Kasperle dachte, der brummige Wächter wollte ihn Mister Stopps streitig machen.

»Gekaufen,« rief Mister Stopps.

»Ja, gekaufen für zwei Millionen,« wiederholte Kasperle stolz.

»Ge –,« wollte Bucholz verbessern.

»Stille doch! Geh, tute draußen, daß es Morgen wird, die Hähne krähen schon bald,« schalt der Wirt. »Und Kasperle bekommt noch ein Stück Kuchen, damit er einschläft, sonst ist er morgen müde.« Damit waren alle einverstanden, Kasperle am meisten, der kuschelte sich bald vergnügt in sein Bett. Er hatte ein blitzsauberes Nachtröckchen an, und wenn nicht das unnütze Kasperlegesicht gewesen wäre, man hätte ihn für einen braven, kleinen Jungen halten können. Sein Wämslein nahm das Stubenmädchen mit hinaus. Sie wollte es draußen waschen, aber Mister Stopps sagte, Kasperle dürfe morgen sein feuerrotes Sonntagsjäcklein anziehen. Überhaupt bekäme Kasperle in der nächsten großen Stadt so viele bunte seidene Röcklein, wie er wolle. Sein Kasperle sollte fein angezogen dahergehen.

»Rock hin, Rock her!« Der Schelm dachte jetzt nur an seinen Kuchen. Eins, zwei, drei, hatte er den verschlungen, und dann legte er sich um, und gerade, als auch Mister Stopps in sein Bett gestiegen war, tönte es laut durch das Zimmer »rrrrrr«. Kasperle schnarchte schon wieder.

Mister Stopps aber band sich eine gelbe Nachtmütze über die Ohren. Er seufzte, nein, in seinem Zimmer konnte Kasperle nicht mehr schlafen, da würde er keine ruhige Nacht mehr haben.

»Rissel, rassel, rrrrrr,« schnarchte Kasperle.

Mister Stopps, der wie eine große Zitrone aussah, seufzte. Er drehte sich nach links und drehte sich nach rechts, aber er konnte nicht schlafen.

»Rrrrrr,« da war Kasperle auf einmal stille, und der gute Mister Stopps dachte gerade: »Nun schlafe ich vielleicht ein,« da ging es draußen los.

»Tutututut.«

»Kikerikihi, kikerikihi!«

»Tututut.«

Kasperle aber richtete sich auf und rief:

»Mußt auf der Reise stets aufstehn,
Wenn morgens früh die Hähne krähn,
Denn wer von der Welt was sehen will,
Der lieg’ nicht lang im Bette still.
Der mache sich zu früher Zeit
Zum Weiterwandern stets bereit.«

»Die Apfelfrau hat gesagt, das soll ich jeden Morgen sagen,« rief Kasperle dem armen Mister Stopps zu. Und der merkte nun, es war nicht so einfach, mit einem Kasperle zu reisen. »Bleib’ nur noch liegen,« brummte er.

»Nä,« rief Kasperle, »ich purzelbaume.«

Und hopp di hopp ging es aus dem Bett heraus, durch das Zimmer, und plumps, da saß Kasperle Mister Stopps auf dem Magen und schrie, als wäre der gute Herr stocktaub:

»Sag’ freundlich jedem Guten Morgen,
Wünsch’ einen Tag ihm ohne Sorgen,
Dann wird dir selbst der Tag zum Fest,
Mit Freundlichkeit kommst durch aufs best’ –«

»Still!« schrie Mister Stopps, der gar keine Lust hatte, der Torburger Apfelfrau Reiseregeln anzuhören. »Flink, geh, zieh dich an und bestelle den Kaffee.«

Das tat Kasperle, und im Hause gab es ein großes Verwundern über den Gast, der nach der unruhigen Nacht schon so früh auf den Beinen war.

Doch Kasperle sagte jedem, der es hören wollte, und auch der Köchin, die es nicht hören wollte, sein Sprüchlein:

»Mußt auf der Reise stets aufstehn,
Frühmorgens, wenn die Hähne krähn.«

Und dann schrie er durch das ganze Haus: »Kaffee! Ich bin hungrig.«

Im Krug zum Grünen Kranze

In dem Gasthof zum Goldenen Knopf erwarteten alle, daß bei Mister Stopps und Kasperles Abreise etwas passieren würde. Aber nichts geschah. Der Wagen hielt vor dem Hause, Mister Stopps und Kasperle stiegen ein, der Postillon blies Traritrara, und fort ging die Reise. Kasperle fiel nicht aus dem Wagen, die Pferde gingen nicht durch, und kein Räuber kam, Kasperle zu befreien. Der verlangte auch gar nicht nach Freiheit. Das Reisen erschien ihm sehr vergnüglich. Er aß, schwatzte, steckte seine große Nase hinaus und lachte jedem ins Gesicht, der des Weges daherkam. Und jeder lachte wieder. Und Mister Stopps dachte, mit Kasperle sei es schon gut reisen. Einmal unterwegs ließ er auch die Kutsche halten, denn Kasperle sagte, es müßte vergnüglich sein, da unter den zwei großen Linden zu sitzen, in die schöne Welt zu schauen und zu singen.

»Oh yes, singen ist gut. Kannst du singen?«

»Fein,« rief Kasperle, »singen kann ich prachtvoll.«

»Oh, ist mir sehr lieb! Singe!« Kasperle riß seinen Mund auf und sang mit einer Stimme, die wie eine alte Trompete klang:

»Nur nit verzagt!
Bald der Morgen tagt,
Zum guten End’
Sich alles wend’.«

»Schrecklich,« rief Mister Stopps entsetzt.

»Wunderschön,« sagte Kasperle sehr zufrieden, und noch lauter brüllte er:

»Mußt nit greinen, Mußt –«

Doch da stockte er, ein feines, feines Klingen hub an, und eine wunderschöne Stimme sang weiter:

»– nit weinen!
Auf Gott vertrau’,
Zum Himmel schau’!
Himmelslichter blinken,
Und die Englein winken,
Halt’ nur aus, halt’ nur aus!
Schon nach Haus
Finden ich und du
Einst in guter Ruh’,
Einst in guter Ruh’.«

Oh du lieber Himmel, was war das? Da lag auf einmal das sonst so putzvergnügte Kasperle im Grase und schluchzte jammervoll. Aus einem Seitenweg hervor aber trat ein Spielmann, der rief: »Kasperle, bist du mal wieder unterwegs?«

Es war Florizel, der Spielmann, der wieder einmal seine Heimat sehen wollte. Und Kasperle dachte daran, wie Florizel ihn vor Jahren mit dem Kasperlemann nach Torburg gebracht hatte. Ach je, und nun sollte er die schöne Heimat mit allen lieben Menschen darin verlassen? Es war schon schwer! Sein kleines Kasperleherz tat einmal wieder bitter weh vor Sehnsucht, er schluchzte und schluchzte, und Mister Stopps fragte verwirrt: »Hat er denn schon wieder Hunger?«

»Nein, Heimweh,« antwortete Florizel.

»Heimueh? uas sein das?«

»Ein schlimmes, schlimmes Übel.« Und Florizel beschrieb dem langen Engländer, was Heimweh wäre. Da riß der seine Augen weit auf und sah höchst nachdenklich drein. »Sterbt er daran?« fragte er.

»Nein, Kasperle stirbt nicht daran. Aber gut muß man mit dem armen Schelm sein, sehr gut, denn er hat überhaupt keine rechte Heimat.«

»Oh, uie sonderbar!«

Kasperle war Florizels Versprechen, seine schöne Urheimat zu suchen, eingefallen. Er schrie plötzlich laut in des guten Mister Stopps Bedauern hinein: »Hast denn meine Insel gefunden?«

»Ach nein, mein gutes Kasperle.«

»Warum denn nicht?«

Da tat Florizel einen tiefen Seufzer und antwortete: »Weil ich arm bin. Um so weit über Länder und Meere zu fahren, muß man Geld haben, und ich bin arm.«

Das klang traurig, und Kasperle kramte rasch aus seinem Hosensack ein paar Gröschlein heraus, das war sein ganzer Reichtum. »Das schenke ich dir,« sagte der kleine Kerl treuherzig, »da kannste um die Welt reisen.« Florizel mußte lachen, Mister Stopps sah verwundert das Kasperle an, er sah Tränen in den sonst so unnützen Äuglein, und der reiche Mann, den niemand auf der Welt recht lieb hatte, dachte, es müßte gut sein, wenn das Kasperle ihm sein kleines Herz schenkte. Sollte er dem Kasperle zuliebe dem Florizel auch Geld geben? Er sah auf einmal das stolze Leuchten in den schönen Augen des armen Spielmanns, und da spürte er, der war im tiefsten Grunde reicher als er. Der konnte singen und dichten, war das nicht ein Glück? Sehr höflich bat er, Herr Florizel möchte ihm noch etwas vorsingen. Kasperle bettelte: »Ach ja, ich singe mit.«

»Kasperle, das laß lieber sein! Hör’ zu, gestern im Walde ist mir das eingefallen,« sagte Florizel und sang:

»Zieh’ durch die Wälder weit
In der Maienzeit,
Lieg’ auf Matten grün,
Seh’ die Wolken ziehn,
Hör’ die Vögel singen,
Seh’ die Rehe springen,
Weite Länder mir zu Füßen!
Schöne Welt, o laß dich grüßen!
Wer ist noch wie ich so reich?
Einem König bin ich gleich,
Ziehe durch die Weite.
Trallala, trallala!«

Mister Stopps dachte, der ist wirklich ein König, der so singen kann, Kasperle aber schrie: »Mehr, mehr!«

Da hob Florizel den Bogen, setzte ein, und nun klang es wie sehnsüchtiges Klagen, als er sang:

»Ich weiß eine Insel in ferner See,
Denk’ ich an sie, da wird mir so weh’.
Insel du, bist Urheimat mir,
Im Traume sehn’ ich mich nach dir.
Der Weg zu dir ist so weit, so weit,
Ist ferne wie die Ewigkeit,
Drum wandre ich armes Kasperlein
Immer in fremder Welt allein.«

Oh Florizel, wie kann man dem Kasperle so ein Lied singen! Da lag auf einmal das lustige Kasperle auf der Erde, weinte und weinte und war gar nicht zu trösten.

Mister Stopps wurde es himmelangst und er sagte: »Uir uollen ueiterfahren.«

»Nä,« schrie Kasperle.

»Aber Kasperle,« sagte der gute Spielmann freundlich, »du sollst doch in die weite Welt reisen, vielleicht findest du da selbst deine Insel.«

»Komm mit,« bettelte der kleine Kerl.

»Oh yes, kommen Sie mit,« bat auch Mister Stopps, doch Florizel wollte nicht, und je mehr er den Kopf schüttelte, desto mehr wünschte sich Mister Stopps dessen Mitreise, denn Mister Stopps gehörte zu den Leuten, die das gerne wollen, was sie nicht bekommen können.

»Bitte, kommen Sie mit als mein Reisebegleiter. Ich Ihnen gebe viel Geld!«

»Nein,« antwortete Florizel, »ein Sänger und ein Dichter muß frei sein.«

»Kommen Sie mit, als mein Gast,« bat der stolze, steife Mister Stopps. Aber wieder sagte Florizel: »Nein,« da bat Kasperle: »Du bist doch mein guter Freund, komm doch mit!«

»Ja, so ist’s recht,« rief Mister Stopps. »Kommen Sie mit als unser Freund, Kasperles und mein Freund.« Da sagte Florizel endlich ja. Er stieg gleich mit in die Postkutsche, und während sie die Landstraße entlang rollten, sang Florizel:

»Vorbei am rauschenden Strom,
Vorüber an Stadt und Feld,
Durch des Waldes grünen Dom,
In die weite, weite Welt!
Heio, heio, heio!«

»Heio, heio!« sang auch Kasperle und steckte seine Nase zum Fenster hinaus. Da fuhren sie an einer schwerfälligen Reisekutsche vorbei, in der saß ein wunderliebliches Mädchen, das weinte.

»Marlenchen!« schrie Kasperle und winkte und nickte.

Doch das war nicht Marlenchen. Ein fremdes Mägdelein war es, das schaute bitter traurig drein, und Kasperle bettelte: »Die soll mit uns fahren.«

»Um Himmels uillen, uer noch?« Mister Stopps erschrak ordentlich, doch da war die Postkutsche schon an dem andern Wagen vorbeigefahren, und das fremde Mägdlein winkte zum Abschied mit einem weißen Tüchlein. »Auf Wiedersehen!« schrie Kasperle. »Auf Wiedersehen!« Florizel nahm wieder seine Geige und sang:

»Abschied nehm’ ich nimmermehr,
Abschied nehmen ist zu schwer.
Wünsch’ beim Auseinandergehn,
Lieber: Frohes Wiedersehn!«

Und dann rollte die Postkutsche weiter durch das Land. Ein Wirtshaus kam: »Zum Grünen Kranze« stand daran. Freundlich und einladend sah es aus. Kein dicker Wirt, sondern eine freundliche Frau Wirtin stand vor dem Tore, die sagte: »Das Mittagessen ist beinahe fertig.«

»Ist gut,« rief Mister Stopps, »uir uollen essen.«

»Ja, essen, ich platze vor Hunger,« schrie Kasperle. Er purzelte hinten aus dem Wagen, und Florizel mußte ihn am Hosenbödlein halten.

»Wollen die Herrschaften im Garten essen?« fragte die Frau Wirtin.

»Ja,« rief Kasperle geschwind, ehe noch jemand etwas sagen konnte.

»Ja!« sagte auch Mister Stopps, und die Wirtin dachte, Kasperle wäre gewiß ein Prinz, weil alle taten, was er wollte. Sie knickste vor Kasperle und sagte höflich: »Ißt der Herr Prinz auch Pudding?«

Oh du meine Güte, danach das Kasperle zu fragen! Der lachte über das ganze Gesicht, nickte und rief: »Ja, einen ganzen Pudding, ich hab’ schrecklichen Hunger.«

»Gleich soll der Herr Prinz etwas bekommen.« Die Wirtin rannte in das Haus, und dort rief sie nach Koch und Mägden. Sie ermahnte ihre beiden Buben, recht artig zu sein, draußen wäre ein Prinz. »Gewiß ein Königssohn.«

»Heisa!« da liefen Franzl und Hansl flugs hinaus. Einen Prinzen hatten sie noch nie gesehen. Und dann standen sie da, und staunten das Kasperle an. Sah der Prinz aber komisch aus!

Kasperle grinste, Franzl und Hansl waren etwa in seiner Größe, und er wußte schon, nach drei Minuten waren die ihm gute Spielkameraden. Also schoß er zur Einleitung flink einmal einen Purzelbaum, gerade als drinnen die Frau Wirtin rief: »Flink, Käte, schlag Sahne, ein Prinz muß einen feinen Pudding bekommen.« Da raste das Franzl in die Küche und schrie: »Er schlägt ’n Purzelbaum!«

»Jemine! Ich hab’ doch gesagt, Sahne soll geschlagen werden.«

Aber Franzl war schon wieder draußen, denn draußen kasperte Kasperle herum, als säße er in einer Jahrmarktsbude.

So etwas hatten die beiden Buben noch nicht gesehen, denn sie gingen nur in das nahe Dorf zur Schule, in eine Stadt waren sie noch niemals gekommen. Ein Kasperlemann hatte sich im Dorf, solange Hansl und Franzl denken konnten, noch nicht blicken lassen. Sie meinten daher, Kasperles Narrenpossen seien Prinzensitte, und sie staunten Kasperle mit runden Augen an. Der war putzvergnügt, und weil Mister Stopps mit Florizel in einer Laube saß und er sich unbeaufsichtigt wußte, kasperte er so toll, daß alle Hunde, Hühner, Gänse, die Geißen und selbst die dicke alte Katze in Aufregung gerieten. Kasperle bellte, miaute, gackerte und wieherte, und wenn eins der Tiere nahekam, dann bekam es einen derben Nasenstüber.

Das gab ein Geschrei. Die dicke Miezemutter saß da und fauchte, Karo bellte, und der Geißbock wollte Kasperle auf seine Hörner spießen, aber wutsch kroch Kasperle unter ihm durch und erwischte den Hahn am Schwanz, der Bock meckerte, der Hahn krähte, und Hansl und Franzl kugelten sich vor Lachen auf dem Boden herum. Franzl platzten die Höslein, und dem Hansl wären sie gewiß auch geplatzt, wenn sie es nicht schon gewesen wären. Der Lärm wurde sehr groß. Zuletzt hörte Mister Stopps das Geschrei. Florizel hatte schon lange die Ohren gespitzt, doch der wußte, wo Kasperle war, gab es Lärm. Aber auch die Wirtin in der Küche hörte das Toben, sie kam eilfertig herbei, denn ihre gute Sahnenspeise war gerade fertig geworden. »Oh jegerl, meine Güte, Buben, ihr seid wohl närrisch geworden?« rief sie, und weil das Kasperle just auf der Erde saß, meinte sie, dem Prinzlein sei Unrecht geschehen. Eins, zwei, drei, stellte sie ihre Buben auf, und ein ernstes Strafen sollte gerade beginnen, als Mister Stopps und Florizel herbeikamen. »Aber Kahspärle,« sagte Mister Stopps würdevoll. »Kasperle, du Schelm,« drohte Florizel.

»Kasperle,« rief die Wirtin verdutzt, »wie kann man einen Prinzen Kasperle nennen!«

»Einen Prinzen? Ja, ich bin ein Prinzkasperle!« Kasperle steckte beide Füße in den Mund, dann drehte und kugelte er sich und lachte zuletzt so, wie eben nur ein Kasperle lachen kann. Und alle mußten mitlachen.

Dem Hansl platzte das letzte Hosenknöpflein ab, Mister Stopps zog wieder das himmelblaue Taschentuch hervor, und die Wirtin mußte sich die Seiten halten, so lachte sie; hinter ihr lachten die Mägde, und die Tiere gackerten, meckerten, bellten und miauten durcheinander.

Und gerade da kam eine Kutsche gefahren. Rissel, rassel kam sie an, und – fuhr vorbei. Heraus aber schaute das blasse, feine Fräulein, es winkte und nickte, und Kasperle wurde auf einmal ganz ernst. »Wie Marlenchen sieht sie aus!«

»Es ist aber doch nicht Marlenchen, die ist doch blond,« sagte Florizel.

»Jemine, was ist denn? Das Kasperle weint,« klagte die Wirtin plötzlich.

Ja, Kasperle weinte, und es war gut, daß die Frau Wirtin rief: »Nun wird ihm gar meine schöne Sahnenspeise nicht schmecken!« Da hellte sich aber Kasperles Gesicht auf, und nachher gab es ein fröhliches Mahl und einen lustigen Nachmittag, und als am Spätnachmittag die Gäste weiterfahren wollten, da flossen Tränen im Krug zum Grünen Kranze. Mister Stopps sagte aber: »Ich muß ueiter, in N. uartet Bob auf mich.«

»Ist das auch ein Kasperle?« fragte Kasperle flink.

»Nein, er sein mein Kammerdiener.«

»Oh!« Kasperle riß die Augen weit auf, er dachte aber daran, wie gut der Diener Heinrich auf Schloß Himmelhoch einst zu ihm gewesen war, und darum rief er vergnügt: »Bob ist fein, ich freue mich auf Bob.« Und Kasperle kletterte vergnügt in die Postkutsche, er nahm von allen Abschied, als hätte er zehn Jahre im Krug zum Grünen Kranze gewohnt, und als der Wagen davonrollte, bat er Florizel: »Sing’ wieder das Abschiedslied!« Und Florizel nahm seine Geige und sang wieder:

»Abschied nehm’ ich nimmermehr,
Abschied nehmen ist zu schwer,
Wünsch’ beim Auseinandergehn
Lieber: Frohes Wiedersehn!«

Aber trotz des guten Versleins weinten Hansl und Franzl ihrem lustigen Freund viele Tränen nach, und wenn sie fortan jemand fragte, was sie werden wollten, antworteten sie allemal: »Ein Kasperle.«

Aber zu einem Kasperle muß man eben geboren sein.

Mister Stopps Diener Bob

»Wie sieht Bob aus?« fragte das Kasperle neugierig, als der Wagen mit den Reisenden N. zurollte.

»Dick ist er und dumm,« sagte Mister Stopps.

»Oh!« Kasperle machte kein sehr erfreutes Gesicht, und Mister Stopps verwunderte sich, als Kasperle kläglich sagte: »Dann gefällt er mir nicht.«

»Er uird dir schon gefallen, er ist sehr unangenehm,« erklärte Mister Stopps. Dick, dumm, unangenehm, und dann soll er einem gefallen? Das Kasperle schüttelte den Kopf und rief ein bißchen patzig: »Nä, dann gefällt er mir doch nicht. Dann ist er gräßlich.«

»Aber Kahspärle, mein lieber Bob ist nicht gräßlich. So etuas darfst du nicht sagen.«

Kasperle hätte sicher noch viel gesagt, wenn nicht die Kutsche gerade wieder an dem Wagen mit dem lieblichen kleinen Fräulein vorbeigerollt wäre.

»Na, immer noch so langsam?« rief der Postillon dem alten Kutscher zu, der den anderen Wagen lenkte.

Doch der gab keine Antwort, griesgrämig sah er vor sich hin, und das schöne, blasse Fräulein weinte heute gar.

Kasperle winkte ihr zu, er schnitt allerlei Gesichter, aber diesmal lächelte das Fräulein kein bißchen. Da nahm Florizel seine Geige und spielte gar süß darauf, dazu sang er sein Lied:

»Nur nit verzagt,
Bald der Morgen tagt.«

Da weinte das schöne Fräulein noch heftiger, aber sie winkte doch wieder mit dem Tüchlein herüber. Kasperle regte sich über die Tränen des lieblichen Kindes ordentlich auf, und er gab Mister Stopps einen Rippenstoß und sagte: »Die mußt du auch mitnehmen.«

»Uen soll ich mitnehmen?«

Es dauerte ein Weilchen, ehe Mister Stopps Kasperles Wunsch begriffen hatte, dann sagte er freilich, es ginge nicht an, einfach ein fremdes Fräulein mitzunehmen.

»Aber sie weint doch,« schrie Kasperle ganz böse.

»Sie hört auch wieder auf.« Mister Stopps war ein bißchen ärgerlich, denn das Kasperle verlangte noch zehnmal, die Fremde sollte mitreisen. Es war ganz ungebärdig, wollte gerade heulen, als ganz nah die Türme und Häuser einer großen Stadt auftauchten. In einer größeren Stadt als Torburg war Kasperle, noch nie gewesen. Er riß den Mund weit auf und grinste alle Vorübergehenden an, und ein lautes Rufen und Verwundern entstand. Was war das für ein schnurriger Mensch, der da im Wagen saß?

»Lassen Se Kasperle nicht rausgucken, sonst gibt’s was,« mahnte der Kutscher. Aber seine Mahnung kam zu spät. Denn gerade rollte der Wagen an einer Schule vorbei, und die war eben aus. Kasperle steckte den Kopf weit hinaus, schnitt ein Räubergesicht, dann eins, das blitzdumm war, und da umrannten die Kinder die Postkutsche so, daß die Pferde erschrocken stehen bleiben mußten.

»Kahspärle.« Mister Stopps packte Kasperle und zog ihn in den Wagen hinein. Aber da wurde es ganz schlimm. Die Buben kletterten auf das Trittbrett, die Mädel bettelten unten, sie wollten alle den komischen Jungen sehen.

»Das gibt’s nicht,« rief Mister Stopps.

»Ich bin müsemausetot,« schrie Kasperle aus dem Wagenwinkel heraus.

Ein jauchzendes Geschrei war die Antwort. »Holla he, er sagt, er wäre tot, müsemausetot,« brüllten ein paar Buben.

»Zeig doch, wie tot du bist!« Kasperle streckte flugs die Zunge heraus und machte flink ein Mister Stopps-Gesicht.

»Mehr,« kreischten die Kinder, »er sieht wie der häßliche Mann im Wagen aus.«

Das war selbst dem gutmütigen Mister Stopps zu viel. Klitsch, klatsch bekam Kasperle eins aufs Hosenbödle, und Mister Stopps rief streng: »Ueiter fahren!«

Aber wie soll ein Kutscher fahren, wenn hundert Kinder um ihn herumwuseln und diese hundert Kinder noch dazu schreien wie auf einem Kinderfest.

»Es geht nicht,« brummte der Kutscher verzagt.

Da nahm Florizel seine Geige und spielte heiter und sacht, es klang wie einer Mutter liebes Mahnen:

»Geht nach Haus,
Geht nach Haus,
Mädels und Buben!
Seid nicht wild!
Vater schilt
Und Mutter bang
Wartet schon lang.
Gehet heim,
Gehet heim,
Buben, Mägdelein!
Kasperlein
Will schlafen ein.
Müd’ ist der Wicht,
Stört ihn nicht.«

Da schloß Kasperle gleich seine Augen, er tat, als ob er schliefe.

Das wollten die Kinder aber noch sehen, doch da mahnte Florizel wieder:

»Geht doch heim,
Geht doch heim,
Mädels und Buben!
Mittagszeit,
Essen bereit,
Sorgend Eltern schauen aus.
Nach Haus, nach Haus!«

Es war wunderbar, Florizels Lied trieb die Kinder heim, und Kasperle schlief wirklich ein. Er wachte erst wieder auf, als der Wagen vor einem stattlichen Hause hielt, dem vornehmsten Gasthof der Stadt. Über der Tür hing ein dicker, silberner Mond, und Mister Stopps schüttelte Kasperle und sagte: »Uir sein da, und hier sein der Mondschein.«

Kasperle rieb sich die Augen, sah hinaus und sagte verdutzt: »Ih nein, die Sonne scheint.«

»Oh no, Mondschein.«

»Das ist doch die Sonne.«

»No, ich uill in den Mondschein.«

Da hätten sich Kasperle und sein Herr beinahe gestritten, aber Florizel sagte: »Kasperle, dummes, Mondschein heißt der Gasthof.«

»Ach so, ja das muß einer eben erst wissen.«

»Und da sein Bob, mein lieber Bob.«

Ja, da stand Bob. Neben einem schlanken, großen jungen Mann, der ungeheuer gutmütig aussah, stand einer, der war klein, dick, kugelrund, und sein Gesicht sah aus, als hätte er das schlechte Wetter vom ganzen Jahr eben verschluckt. Oh, Bob gefiel Kasperle nicht. Klein, dick, unangenehm, es stimmte alles. Aber Kasperle dachte, ich will Freundschaft mit ihm schließen, denn wenn ihn Mister Stopps gern hat, kann er so übel nicht sein. Er lief auf den Dicken zu, platschte ihm auf den Magen und rief: »Guten Tag, Bob! Ich bin Kasperle.«

»Daß du ein frecher Kasper bist, sehe ich,« brummte der Dicke, »aber mich Bob zu schimpfen, das verbitt’ ich mir. Da hast du deinen Dank!«

Wutsch, saß dem Kasperle eine kräftige Maulschelle im Gesicht, und vor Schreck kugelte er gleich zu dem Wagen zurück.

»Oh, wie böse,« rief der Schlanke, der neben dem Dicken stand, »oh, und da ist mein Herr, Mister Stopps!«

Der Schlanke sprang herzu, Mister Stopps schlug ihm vertraulich auf die Schulter und sagte: »Guten Tag, Mister Bob. Wie geht’s dir? Und da sein Kahspärle. Oh, so dumm! Kasperle, uarum hast du mit dem fremden Mann geredet?«

»Der hat gedacht, ich wäre es,« antwortete Bob vergnügt.

»Das hat er übel genommen. Aber was ist das für ein sonderbarer Junge, Mister Stopps?«

»Das sein Kahspärle.«

Kasperle heulte. »Ich hab’ doch nur Bob guten Tag gesagt.«

»Das sein hier Bob.«

»Nä,« rief Kasperle, »Sie haben gesagt, er wäre dick, dumm und unangenehm, und das ist der da.«

Der Dicke hatte das Wort gehört, wütend kam er herbei und schrie: »Was, ich soll dick, dumm und unangenehm sein?«

»Ich denken, Sie sind dünn, klug und angenehm,« rief Mister Stopps sehr streng und sehr würdevoll.

»Ach so, ja das bin ich.« Der Dicke blähte sich auf, Kasperle schaute verwirrt Mister Stopps an. Was redete der nur? Aber da lachten Florizel und Bob alle beide, denn sie merkten, der gute Mister Stopps hatte die Worte verwechselt. Bob, der gar kein Engländer war, wußte gleich, was sein Herr meinte. Er beugte sich zu Kasperle, hob es auf und sagte ihm das, und Kasperle lachte wie toll. Er schloß gleich gute Freundschaft mit Bob, denn den konnte man wohl leiden. Er lachte mit Kasperle um die Wette, und als beide an dem Dicken vorbeigingen, sagte er vergnügt: »Herr Dummklug von Angenehm!«

Weil Kasperle aber gar so lachte, machte der Fremde doch ein verdrossenes Gesicht und brummte: »Ich bin der Herr von Löwenzahn, merk Er sich das!«

»Und ich bin der Graf Kasperle von Torburg, und das da ist der Prinz Stopps von England, merk Er sich das auch,« schwätzte Kasperle, denn er nahm das Gerede des Fremden nicht für Wahrheit.

Der aber war wirklich dumm. Er sah nicht, wie Kasperles Äuglein zwinkerten. Er verneigte sich ganz tief und sagte demütig: »Oh, verzeihen Sie, Herr Graf, daß ich –«

»Ja, ich bin bitterböse, daß Sie mich geschlagen haben, und der Prinz von England sagte, Sie wären dick, dumm und unangenehm.«

Herrn von Löwenzahn brannten die Ohren. Von einem englischen Prinzen für dumm und unangenehm erklärt zu werden, war höchst betrüblich. Er hielt Kasperle, der davonlaufen wollte, am Ärmel fest und bat: »Ach, lieber kleiner Graf, Sie sind ein sehr spaßiges Herrlein, seien Sie mir nicht mehr böse!«

»Doch,« schrie Kasperle den Herrn von Löwenzahn an. Dem gellte die Stimme schrecklich in den Ohren, und er prallte ordentlich zurück. Da war Kasperle schon auf und davon, ehe sich der Herr von Löwenzahn noch recht besonnen hatte, und weil Kasperle Mister Stopps, Florizel und Bob schon im Flur des Gasthauses stehen sah, schlug er flink einen Purzelbaum und fiel just vor dem Wirt vom Mondschein nieder.

»Alle guten Geister, was ist denn das?«

»Das ist das weltberühmte, einzige lebendige Kasperle Graf von Torburg,« schrie Kasperle den Wirt an, »wir reisen um die ganze Welt herum, mein Herr, der Prinz Stopps von England –«

»Ein Prinz?« Der Mondscheinbesitzer verneigte sich tief, ein Kasperle, das ein Graf war, und ein Prinz waren noch nie bei ihm eingekehrt. Und ehe Mister Stopps noch etwas sagen konnte, rannten alle, Kellner, Hausdiener und Stubenmädchen, durcheinander, und alle riefen: »Die besten Zimmer müssen gerichtet werden.«

»Ich habe doch schon welche bestellt,« sagte Bob.

»Gilt nicht, gilt nicht,« rief der Wirt, »die sind nicht gut genug.«

»Kasperle, du bist ein Strick,« sagte Bob. Er nahm Kasperle und wollte ihn an den Ohren ziehen, aber da sah ihn das unnütze Kasperle treuherzig an, und Bob sagte: »Ich hab’ dich aber doch lieb.«

Mister Stopps sagte gar nichts, er war nur verwundert über das Geschrei um sich her, und er ließ sich schieben und drängen, und wenn einer eine Verbeugung vor ihm machte, fragte er jedesmal: »Bob, uas uill er?« Und dann verneigte sich Bob und machte auch eine tiefe Verbeugung, und der Wirt nannte ihn dann: »Herr Kammerherr!«

Die Gäste wurden wirklich in die besten Zimmer geführt, und Mister Stopps wollte sich gerade umziehen, als der Wirt in das Zimmer gerannt kam. Er verbeugte sich fortwährend, und wollte sich gerade erkundigen, wie es seinem Gaste gefiel, als Kasperle ihm mit dem linken Bein einen Nasenstüber gab. »Na, das mach’ ich nach,« dachte Bob, und ritsch! bekam der Wirt von rechts auch einen. Da rannte der erschrocken aus dem Zimmer und schrie draußen seiner Frau zu, sie sollte ja nicht in die Nähe des Prinzen gehen, der hätte sehr sonderbare Gewohnheiten. Dies hörte Bob, und Bob war beinah so ein Schelm wie das Kasperle. Er nahm den Kleinen zur Seite und tuschelte ihm etwas zu.

»Fein!« schrie Kasperle und purzelbaumte durch das Zimmer, und auf einmal kugelte er Mister Stopps beinahe um. »O Kahspärle,« stöhnte der, »ich uollte ausruhen, mir hinlegen.«

»Ich auch!« Kasperle kuschelte sich an Mister Stopps und der sagte: »Du sein ein gutes Kahspärle.«

»Es ist Essenszeit!« Der Kellner Fritz, der sich sehr fein benehmen wollte, stürzte in das Zimmer, verneigte sich, und – da hatte er seinen Nasenstüber von Bob.

»Oh Bob, uas sein das?« rief Mister Stopps erschrocken, während Fritz heulend und jammernd aus dem Zimmer lief.

»Kasperlemode.« Für lange Antworten war Bob nicht, aber diesmal wollte Mister Stopps doch mehr von der Mode wissen.

Da kam Herr von Löwenzahn in das Zimmer, und ehe er noch wußte, was los war, hatte er von rechts und links einen Nasenstüber. Bob und Kasperle standen gleich darauf steif wie zwei Säulen da.

»Was ist das?« rief Herr von Löwenzahn entrüstet.

»Sitte!« antwortete Bob.

»Wo?«

»Wo.«

»In England?«

»In England.«

Bob stand steif wie ein Pfahl, er wiederholte wie ein Leierkasten die Fragen.

»Das ist dumm, ganz dumm,« rief Herr von Löwenzahn, während Mister Stopps, der ruhig auf seinem Sofa lag, den fremden Herrn durch ein Opernglas betrachtete.

»Uer sein das?«

»Herr von Löwenmaul,« erklärte Bob.

»Zahn, Zahn,« schrie der kleine aufgeregte Herr.

»Von Maulzahn,« sagte Bob.

»Löwenzahn, Dummkopf.«

»Herr Löwenmaulzahn von Dummkopf.«

Herr von Löwenzahn platzte beinahe vor Ärger, aber da lachte plötzlich das Kasperle, eben wie nur ein Kasperle lachen kann, und darüber verlor Bob auch beinahe seine Ruhe. Er machte aber noch die Türe weit auf, und der Herr von Löwenzahn schoß hinaus wie eine feurige Rakete.

»Uff,« stöhnte Mister Stopps, »uas sein hier für komische Leute! Ich uill essen, aber hier unten ist uider etuas los.«

Darüber freuten sich Kasperle und Florizel. Bob lachte vergnügt dazu, und dann ging er steif und feierlich, um unten das Mittagessen für seinen Herrn, den Prinzen Stopps von England, zu bestellen. Dabei kam er in einen Seitenflur, dort stand Herr von Löwenzahn, der fuhr mal mit dem linken, mal mit dem rechten Bein in der Luft herum. Er wollte den Gruß, der in England Sitte war, lernen, denn der gute Herr von Löwenzahn war schrecklich dumm, und von England wußte er nur, daß die Leute dort manchmal sonderbar waren.

»So,« sagte Bob und fuhr Herrn von Löwenzahn an die Nase.

»Frech!« schrie der.

»Sind Sie selbst, Herr von Löwenmaulzahn,« und damit verneigte sich Bob, ging den Flur entlang, und weg war er.

Ein paar Minuten später gab es ein vergnügtes Mahl in dem Wohnzimmer des Mister Stopps. Kasperle aß wie ein paar Scheunendrescher. Bob legte ihm immer die größten Stücke auf. Florizel war auch vergnügt, aber als Mister Stopps bat: »Ein Lied,« da sang er doch eine traurige Weise:

»Steh’ im hellen Mondenschein,
Seh’ mich um und bin allein.
Mein Liebchen ist vorbeigefahren;
Nach hunderttausend Jahren
Treff’ ich sie erst auf einem Stern
Und sag’: Feinsliebste, hab’ dich gern.«

»Sehr merkuürdig, nach so langer Zeit,« brummte Mister Stopps, und dann schlief er sanft ein.

Kasperle wäre auch gern eingeschlafen, aber Bob nahm ihn am Hosenbödle und sagte: »Komm du mit, du mußt mein Lehrmeister sein.«

Und während Mister Stopps schlief, Florizel mit seiner Geige durch die Stadt spazierte, kasperten Bob und Kasperle in Bobs Zimmer, und Kasperle fand, Bob wäre beinahe ein richtiges Kasperle, aber nur beinahe. Zu einem ganz richtigen Kasperle muß man geboren sein. Und Bobs Vater war eben nur ein Schneider gewesen, der zeitlebens auf dem Brett gesessen hatte.

An diesem Nachmittag schlossen die beiden eine dicke, dicke Freundschaft, und Bob versprach dem Kasperle, er würde ihm auch seine Urheimat suchen helfen.